VVG. Band 4 §§ 100-124 VVG: AVB D&O 2020 [10., völlig neu bearbeitete Auflage] 9783110522662, 9783110520385

Band 4 behandelt die Allgemeinen Vorschriften zur Haftpflichtversicherung (§§ 100-112 VVG), zur Pflichtversicherung (§§

344 20 5MB

German Pages 1181 [1182] Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

VVG. Band 4 §§ 100-124 VVG: AVB D&O 2020 [10., völlig neu bearbeitete Auflage]
 9783110522662, 9783110520385

Table of contents :
Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur
Versicherungsvertragsgesetz
Teil 2 Einzelne Versicherungszweige
Kapitel 1 Haftpflichtversicherung
Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften
Vorbemerkung zu §§ 100–112
§ 100 Leistung des Versicherers
§ 101 Kosten des Rechtsschutzes
§ 102 Betriebshaftpflichtversicherung
§ 103 Herbeiführung des Versicherungsfalles
§ 104 Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers
§ 105 Anerkenntnis des Versicherungsnehmers
§ 106 Fälligkeit der Versicherungsleistung
§ 107 Rentenanspruch
§ 108 Verfügung über den Freistellungsanspruch
§ 109 Mehrere Geschädigte
§ 110 Insolvenz des Versicherungsnehmers
§ 111 Kündigung nach Versicherungsfall
§ 112 Abweichende Vereinbarungen
Abschnitt 2 Pflichtversicherung
Vorbemerkungen zu den §§ 113–124
Anhang zu den Vorbemerkungen zu den §§ 113–124
§ 113 Pflichtversicherung
§ 114 Umfang des Versicherungsschutzes
§ 115 Direktanspruch
§ 116 Gesamtschuldner
§ 117 Leistungspflicht gegenüber Dritten
§ 118 Rangfolge mehrerer Ansprüche
§ 119 Obliegenheiten des Dritten
§ 120 Obliegenheitsverletzung des Dritten
§ 121 Aufrechnung gegenüber Dritten
§ 122 Veräußerung der von der Versicherung erfassten Sache
§ 123 Rückgriff bei mehreren Versicherten
§ 124 Rechtskrafterstreckung
Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB D&O) Musterbedingungen des GDV
Allgemeine Einführung zu den AVB D&O
Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschaftsführern (AVB D&O) Musterbedingungen des GDV
Einleitung
Teil A – D&O-Versicherung
A-1 Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden
Anh. A-1 Überblick über die Haftung von Organmitgliedern
A-2 Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)
A-3 Company reimbursement
A-4 Tochtergesellschaften
A-5 Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes
A-6 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes
A-7 Ausschlüsse
A-8 Versicherung für fremde Rechnung
A-9 Abtretung des Versicherungsanspruches
Teil B – D&O-Versicherung
B1 Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung
Einleitung
B2 Dauer und Ende des Vertrags, Kündigung
B3 Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten
B4 Weitere Regelungen
Stichwortverzeichnis

Citation preview

Großkommentare der Praxis

BRUCK/MÖLLER

Versicherungsvertragsgesetz

Großkommentar 10., völlig neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Roland Michael Beckmann und Robert Koch vormals mit herausgegeben von Horst Baumann (†), Katharina Johannsen (†) und Ralf Johannsen (†) Vierter Band §§ 100–124 AVB D&O Bearbeiter: §§ 100–112: Robert Koch §§ 113–124: Roland Michael Beckmann AVB D&O A1–A6; A8: Christian Armbrüster AVB D&O Anh. A1: Jörg Henzler AVB D&O A7; B: Thomas Gädtke Sachregister: Christian Klie

Stand der Bearbeitung: August 2021 Zitiervorschlag: Bruck/Möller/Koch § 104 VVG Rn. 11

ISBN 978-3-11-052038-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052266-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052080-4 Library of Congress Control Number: 2021944871 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage Erwin Abele, Rechtsanwalt in München Dr. Christian Armbrüster, Professor an der Freien Universität Berlin Dr. Frank Baumann, LL.M., Rechtanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamm Dr. Horst Baumann (†), emeritierter Professor an der Technischen Universität Berlin Dr. Roland Michael Beckmann, Professor an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Oliver Brand, LL.M. (Cambridge), Professor an der Universität Mannheim Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke Univ.), Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Dr. Christoph Brömmelmeyer, Professor an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Dr. Jan Dreyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamburg Charlotte Echarti, Bereichsleiterin Run Off Solutions, E+S Rückversicherung AG, Hannover Christiane Eifler, LL.M., Rechtsanwältin in Nürnberg Anne Fischer, LL.M., Rechtsanwältin in Düsseldorf Dr. Thomas Gädtke, Rechtsanwalt in München und Lehrbeauftragter an der LudwigMaximilians Universität München Dr. Jens Gal, Maître en droit (Lyon 2), Privatdozent und Lehrstuhlvertreter an der GoetheUniversität, Frankfurt am Main Dr. Maximilian Guth, LL.M. (Southampton), Rechtsanwalt in Hamburg, Solicitor of England & Wales Dr. Olaf Hartenstein, D.E.A. (Sorbonne), LL.M. (Assas), Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Dr. h.c. Helmut Heiss, Professor an der Universität Zürich und Rechtsanwalt in Zürich Dr. Jörg Henzler, Rechtsanwalt in Stuttgart Dr. Harald Herrmann, emeritierter Professor an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg Dr. Detlef A. Huber, Rechtsanwalt in Freiburg i.Br. Jens Jaeger, Rechtsanwalt in Hamburg, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg Dr. Ralf Johannsen (†), Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Katharina Johannsen (†), Vorsitzende Richterin am Hanseatischen OLG a. D., Hamburg Dr. Rocco Jula, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Berlin Dr. Kai-Oliver Knops, Professor an der Universität Hamburg Dr. Robert Koch, LL.M. (McGill), Professor an der Universität Hamburg Dr. Hubertus W. Labes, Rechtsanwalt in Hamburg, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg Dr. Annemarie Matusche-Beckmann, Professorin an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Ernst Niederleithinger, Ministerialdirektor beim Bundesministerium der Justiz a. D., Honorarprofessor der Ruhr-Universität Bochum Dr. Stefan Perner, Professor und Vorstand am Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien Jürgen Raab, Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Jens-Berghe Riemer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht sowie Transport- und Speditionsrecht in Nürnberg Dr. Claus von Rintelen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamburg Dr. Christian Rolfs, Professor an der Universität zu Köln Dr. Christian Schneider, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Köln Dr. Winfried Schnepp, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Köln Arno Schubach, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Frankfurt am Main Dr. Dieter Schwampe, Professor an der Universität Hamburg, Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Hans-Peter Schwintowski, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Torsten Sommer, Richter am Landgericht Hamburg Dr. Ansgar Staudinger, Professor an der Universität Bielefeld V https://doi.org/10.1515/9783110522662-201

Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage

Dr. Wolfgang Voit, Professor an der Philipps-Universität Marburg Dr. Conrad Waldkirch, akademischer Rat a. Z. an der Universität Mannheim Dr. Gerrit Winter, emeritierter Professor an der Universität Hamburg

VI

Vorwort Seit dem Erscheinen des Bands 4 der Vorauflage haben sich Rechtsprechung und Literatur zum Haftpflichtversicherungsrecht stetig fortentwickelt. Bedeutsame Streitfragen zu den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des D&O-Versicherers in Fällen der Innenhaftung wurden durch das Urteil des BGH vom 13.4.2016 geklärt. Andere Rechtsfragen wie z. B. die Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel sind nach wie vor offen. Im Herausgeberkreis ist der Abschied von Katharina Johannsen und von Horst Baumann zu beklagen. Katharina Johannsen ist am 5. November 2021 und Horst Baumann ist am 5. Juni 2021 verstorben. Beide haben als Mitherausgeber die Gesamtkonzeption der 9. Auflage und auch noch der 10. Auflage maßgeblich mitgeprägt. Nach dem vollständigen Erscheinen der 9. Auflage im Vorjahr haben sie das Erscheinen von Band 1 der 10. Auflage und die Vorarbeiten zu diesem Band erlebt und begleitet. Ihr Schaffen wirkt wie das von Ernst Bruck, Hans Möller, Karl Sieg und Ralf Johannsen im Bruck/Möller fort. Unter den Autoren dieses Bandes hat sich eine Änderung ergeben. Christian Armbrüster führt den von Horst Baumann bearbeiteten Teil der D&O-Versicherung auf der Grundlage der aktuellen Allgemeinen Versicherungsbedingungen D&O mit neuer Konzeption fort. Mit der 10. Auflage des Bruck/Möller geht eine Anpassung der Bandzuschnitte einher, die zum einen sachlichen Gesichtspunkten geschuldet ist und zum anderen dazu dient, den Seitenumfang der einzelnen Bände zu vereinheitlichen. Abweichend von der Vorauflage behandelt Band 4 deshalb nur die Allgemeinen Vorschriften zur Haftpflichtversicherung (§§ 100–112 VVG), die Vorschriften zur Pflichtversicherung (§§ 113–124 VVG) sowie die Versicherungsbedingungen zur D&O-Versicherung (AVB D&O 2020). Die Allgemeinen Haftpflichtversicherungsbedingungen (AHB), die Privat-, Betriebs-, Produkt- und Umwelthaftpflicht- sowie die Umweltschadensversicherung, die bislang in Band 4 bearbeitet wurden, finden nunmehr Eingang in Band 5, in dem zudem die Rückrufkostenversicherung, die IT-Dienstleisterhaftpflichtversicherung sowie die Cyberversicherung auf Basis der Musterbedingungen des GDV (unter Einschluss der neu strukturierten, durchgeschriebenen, AHB-losen Musterbedingungen) kommentiert werden. Rechtsprechung und Schrifttum sind auf dem Stand August 2021. Soweit möglich, wurden auch spätere Entscheidungen und Aufsätze berücksichtigt. Für Kritik und Verbesserungsvorschläge sind Verlag und Herausgeber dankbar. Saarbrücken und Hamburg im November 2021 Roland Michael Beckmann

VII https://doi.org/10.1515/9783110522662-202

Robert Koch

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage V VII Vorwort Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur Versicherungsvertragsgesetz

1

Teil 2 Einzelne Versicherungszweige

1

Kapitel 1 Haftpflichtversicherung

XI

1

Abschnitt 1 1 Allgemeine Vorschriften 1 Vorbemerkung zu §§ 100–112 60 § 100 Leistung des Versicherers 135 § 101 Kosten des Rechtsschutzes 170 § 102 Betriebshaftpflichtversicherung 193 § 103 Herbeiführung des Versicherungsfalles 256 § 104 Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers 277 § 105 Anerkenntnis des Versicherungsnehmers 289 § 106 Fälligkeit der Versicherungsleistung 312 § 107 Rentenanspruch 326 § 108 Verfügung über den Freistellungsanspruch 366 § 109 Mehrere Geschädigte 413 § 110 Insolvenz des Versicherungsnehmers 430 § 111 Kündigung nach Versicherungsfall 454 § 112 Abweichende Vereinbarungen Abschnitt 2 460 Pflichtversicherung 460 Vorbemerkungen zu den §§ 113–124 481 Anhang zu den Vorbemerkungen zu den §§ 113–124 506 § 113 Pflichtversicherung 518 § 114 Umfang des Versicherungsschutzes 534 § 115 Direktanspruch 569 § 116 Gesamtschuldner 583 § 117 Leistungspflicht gegenüber Dritten 624 § 118 Rangfolge mehrerer Ansprüche 639 § 119 Obliegenheiten des Dritten 650 § 120 Obliegenheitsverletzung des Dritten 658 § 121 Aufrechnung gegenüber Dritten § 122 Veräußerung der von der Versicherung erfassten Sache 670 § 123 Rückgriff bei mehreren Versicherten 683 § 124 Rechtskrafterstreckung

IX

661

Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB D&O) 701 Musterbedingungen des GDV 701 Allgemeine Einführung zu den AVB D&O Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschaftsführern (AVB D&O) Musterbedingungen des 743 GDV 745 Teil A – D&O-Versicherung A-1 Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden 773 Anh. A-1 Überblick über die Haftung von Organmitgliedern 815 A-2 Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip) 836 A-3 Company reimbursement 845 A-4 Tochtergesellschaften 852 A-5 Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes 885 A-6 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes 951 A-7 Ausschlüsse 1017 A-8 Versicherung für fremde Rechnung 1027 A-9 Abtretung des Versicherungsanspruches

745

1043 Teil B – D&O-Versicherung 1043 B1 Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung 1051 Einleitung 1053 B2 Dauer und Ende des Vertrags, Kündigung 1057 B3 Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten 1106 B4 Weitere Regelungen Stichwortverzeichnis

1121

X

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur a. A. a. a. O. ABBV ABE ABG ABGB abgedr. ABGF Abk. abl. ABl. ABMG ABN ABRK ABRV ABS Abs. Abschlussbericht Abschn. ABU ABVerm abw. AcP a. E. AEB ÄndG ÄndVO AERB AEUV AFB a. F. AG AGG AGBG AGlB AGS AHagB AHB AKB AktG ALB allg. allg. M. Alt. AltZertG a. M. AMB AMBUB

anderer Ansicht am angegebenen Ort Allgemeine Bedingungen für die Baubestandsversicherung Allgemeine Bedingungen für die Elektronikversicherung Allgemeine Bedingungen für die Kaskoversicherung von Baugeräten Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) abgedruckt Allgemeine Bedingungen für die dynamische Sachversicherung des Gewerbes und der Freien Berufe Abkommen ablehnend Amtsblatt Allgemeine Bedingungen für die Maschinen- und Kasko-Versicherung von fahrbaren und transportablen Geräten Allgemeine Bedingungen für die Bauleistungsversicherung von Gebäudeneubauten durch Auftraggeber Allgemeine Bedingungen für die Reparaturkosten von Kraftwagen Allgemeine Bedingungen für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung (Österreich) Absatz siehe KomE Abschnitt Allgemeine Bedingungen für die Bauleistungsversicherung von Unternehmerleistungen Allgemeine Bedingungen für die Vermögenshaftpflichtversicherung abweichend Archiv für civilistische Praxis (zit. nach Band, Jahr u. Seite) am Ende Allgemeine Einbruchdiebstahlversicherungsbedingungen Änderungsgesetz Änderungsverordnung Allgemeine Bedingungen für die Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Allgemeine Bedingungen für die Feuerversicherung alte Fassung Amtsgericht; Aktiengesellschaft Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGesetz) Allgemeine Bedingungen für die Glasversicherung Anwaltsgebühren Spezial (Zeitschrift) Allgemeine Hagelversicherungs-Bedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung Allgemeine Bedingungen für die Kfz-Versicherung Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien Allgemeine Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung allgemein allgemeine Meinung Alternative Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen anderer Meinung Allgemeine Maschinen-Versicherungsbedingungen; ab 2008: Allgemeine Bedingungen für die Maschinenversicherung von stationären Maschinen Allgemeine Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen

XI https://doi.org/10.1515/9783110522662-203

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

AMG AMoB amtl. Begr. Anh. Anl. Anm. AnwBl. AnwKom ao AO ARB Art. Armbrüster AStB AT AtomG AUB Auff. Aufl. AuR ausdrückl. ausführl. AusfVO ausl. AuslG AuslKfzPflVV AuslPflVG AusnVO ausschl. Ausschussbericht AV AVB AVB-AVG AVB BU AVB BUZ AVB MaV AVBR AVBSP AVB Vermögen AVBW AVFE AVFEBU AVFEM AVG AVP

Arzneimittelgesetz Allgemeine Montageversicherungsbedingungen amtliche Begründung Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt siehe NK-BGB außerordentlich Abgabenordnung Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung Artikel Privatversicherungsrecht, 2. Aufl. (2019) Allgemeine Bedingungen für die Sturmversicherung Allgemeiner Teil Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen Auffassung Auflage Arbeit und Recht ausdrücklich ausführlich Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Verordnung über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ausländischer Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger Gesetz über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger Ausnahmeverordnung ausschließlich Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (BTDrucks. 16/5862) Allgemeine Verfügung Allgemeine Versicherungsbedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die VermögensschadenHaftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Versicherung Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Maschinen, maschinellen Einrichtungen und Apparaten Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Reisegepäck Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Juwelen, Schmuck- und Pelzsachen im Privatbesitz Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden Allgemeine Bedingungen für die Kasko-Versicherung von Wassersportfahrzeugen Allgemeine Versicherungsbedingungen für Fernmelde- und sonstige elektronische Anlagen Allgemeine Betriebsunterbrechungs-Bedingungen bei Fernmelde- und sonstigen elektrotechnischen Anlagen Allgemeine Bedingungen für die Mehrkostenversicherung bei Fernmeldeanlagen und sonstigen elektrotechnischen Anlagen Angestelltenversicherungsgesetz Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Pferden und anderen Einhufern

XII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

AVR AVSZ AVTHK AWaB AWB AWG Az. Bach/Moser/Bearbeiter BaFin BAG Bamberger/Roth/Hau/ Poseck/Bearbeiter BAnz. Basedow/Fock Bauer BauGB Baumbach/Hopt/Bearbeiter BAV (BAA) BayGaStellv BayObLG BB BBG BBR BBR ITD Bd. BDSG Bearb. Beckmann/MatuscheBeckmann/Bearbeiter BeckOGK-BGB/Bearbeiter BeckOK-BGB/Bearbeiter BeckOK-GG/Bearbeiter BeckOK-ZPO/Bearbeiter BeckOK-VVG/Bearbeiter BeckRS begl. Begr. Bek. Bekl. Bem. Benkel/Hirschberg ber. Berliner Kommentar/ Bearbeiter Berz/Burmann/Bearbeiter bes. BesBed Priv Beschl. Beschw. Bespr.

XIII

Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Rindern Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Schweinen, Schafen und Ziegen Allgemeine Bedingungen für die Tierkrankenversicherung von Hunden und Katzen Allgemeine Versicherungs-Bedingungen für die Waldbrandversicherung Allgemeine Bedingungen für die Leitungswasserversicherung Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen Private Krankenversicherung, MB/KK- und MB/KT-Kommentar, 5. Aufl. (2015) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 1. Bundesarbeitsgericht 2. Bundesamt für Güterverkehr Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch in fünf Bänden, 4. Aufl. (2019); auch zitiert: BRHP/Bearbeiter Bundesanzeiger Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bd. I–III (2002/03) Die Kraftfahrtversicherung, 6. Aufl. (2010) Baugesetzbuch Handelsgesetzbuch: HGB, 39. Aufl. (2020) Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- (bis 1973) und Bausparwesen (bis 2001) Bayerische Garagen- und Stellplatzverordnung Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Haftpflichtversicherung von IT-Dienstleistern Band Bundesdatenschutzgesetz Bearbeitung Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. (2015) beck-online.GROSSKOMMENTAR zum Zivilrecht, hrsg. von Gsell/Krüger/Lorenz/ Reymann (2015 ff.) Beck’scher Online-Kommentar BGB, hrsg. von Hau/Poseck (Stand: 1.5.2020) Beck’scher Online-Kommentar BGB, hrsg. von Epping/Hillgruber (Stand 15.2.2019) Beck’scher Online-Kommentar ZPO, hrsg. von Vorwerk/Wolf (Stand: 1.9.2019) Beck’scher Online-Kommentar VVG, hrsg. von Marlow/Spuhl (Stand: 15.10.2019) Elektronische Entscheidungsdatenbank in beck-online (zitiert mit Jahrgang und lfd. Nummer) beglaubigt Begründung Bekanntmachung Beklagter Bemerkung Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung, ALB- und BUZ-Kommentar, 2. Aufl. (2011) berichtigt Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz: Kommentar zum deutschen und österreichischen VVG, hrsg. von H. Honsell (2012) Handbuch des Straßenverkehrsrechts, hrsg. von Berz/Burmann, 41. EL Mai 2020 besonders Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Privathaftpflichtversicherung Beschluss Beschwerde Besprechung

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Best. bestr. betr. BeurkG BFH BGB BGBl. BGH BGHGrS BGHR BGHSt BGHZ BHHJJ/Bearbeiter BMI BMJ Böhme/Biela/Tomson BR BRAK Brand/Baroch Castellvi/ Bearbeiter BRAO BRDrucks. BReg. BRHP/Bearbeiter BRProt. BRRG Bruck Versicherungsvertrag Bruck/Möller/Bearbeiter8

Bruck/Möller/Bearbeiter9

Bruck/Möller/Bearbeiter

BSG BSHG Bsp. BStBl. BT BTDrucks. BU Buchst. BuVAB van Bühren/Bearbeiter Hdb van Bühren van Bühren/Plote/Bearbeiter Buschbell/Hering/Bearbeiter BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE

Bestimmung bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Großer Senat BGH-Rechtsprechung Zivilsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. (2020) Bundesminister(ium) des Inneren Bundesminister(ium) der Justiz Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Handbuch für die Praxis, 26. Aufl. (2018) (bis zur 22. Aufl. Becker/Böhme) Bundesrat Bundesrechtsanwaltskammer Versicherungsaufsichtsgesetz (2018) Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Bundesregierung siehe Bamberger/Roth/Hau/Poseck Protokolle des Bundesrates Beamtenrechtsrahmengesetz Kommentar zum Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag, 7. Aufl. (1932) Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter Einschluss des Versicherungsvermittlerrechtes, 8. Aufl. (1961–2002) Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, herausgegeben von Horst Baumann/Roland Michael Beckmann/Katharina Johannsen/Ralf Johannsen/Robert Koch, 9. Aufl. (2008–2020) Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, herausgegeben von Roland Michael Beckmann und Robert Koch, 10. Aufl. (2021 ff.) Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Beispiel Bundessteuerblatt Besonderer Teil, Bundestag Bundestagsdrucksache Betriebsunterbrechung Buchstabe AVB Berufsunfähigkeitsversicherung Handbuch Versicherungsrecht, 7. Aufl. (2017) Das versicherungsrechtliche Mandat, 5. Aufl. (2015) Allg. Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung: ARB, 3. Aufl. (2013) Handbuch Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl. (2015) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zit. nach Band u. Seite)

XIV

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

bzgl. bzw. ca. CR dagg. DAR DAV Dauses/Ludwigs/Bearbeiter DB DBKG Derleder/Knops/Bamberger/ Bearbeiter ders. Deutsch/Iversen dgl. d. h. dies. Diff., diff. Dig. DIN Diss. DJ DJT DöV D&O DR DRechtsw. DRiB DRiG DRiZ Drucks. DS DSB DStrR dt. DTV-VHV DVBl. DVO DZWIR E ebd. ebso. ECB ECBUB ED ed(s) EG EGBGB EGGVG EGV EGVVG ehem.

XV

bezüglich beziehungsweise circa Computer und Recht dagegen Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein; Deutsche Aktuarvereinigung Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblattsammlung) Der Betrieb Deutsches Büro Grüne Karte e.V. Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2017) derselbe Versicherungsvertragsrecht, 7. Aufl. (2015) dergleichen das heißt dieselbe(n) Differenzierung, differenzierend Digesta Deutsche Industrie Norm Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche öffentlich-rechtliche Versicherung Directors and Officers (Liability Insurance) Deutsches Recht, Wochenausgabe (vereinigt mit Juristische Wochenschrift) (1931– 1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936–1943) Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Drucksache Der Sachverständige Datenschutzberater Deutsches Steuerrecht deutsch DTV-Verkehrshaftungsversicherung Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entwurf bzw. Entscheidung ebenda ebenso Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur Feuerversicherung für Industrie- und Handelsbetriebe Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur FeuerBetriebsunterbrechungs-Versicherung für Industrie- und Handelsbetriebe Einbruchdiebstahl editor(s) Einführungsgesetz bzw. Europäische Gemeinschaft(en) bzw. Erinnerungsgabe Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz v. 27.1.1877 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum VVG ehemalig

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Einf. eingeh. einschl. einschr. Einl. EL entgg. Entsch. entspr. Entw. ErfK/Bearbeiter Erg. ErgBd. Erl. Erdmann/Kaulbach Erman/Bearbeiter Erw. EStG etc. EU EuGH EuGHE EuGVVO

EuR europ. EUV EuZW evtl. EWG EWGV EWiR EWR f., ff. FAG FamRZ FAO Farny FBUB Fenyves/Perner/Riedler/ Bearbeiter FeV FG FGG FGO FHB FinDAG Feyock/Jacobsen/Lemor/ Bearbeiter Fn. fragl.

Einführung eingehend einschließlich einschränkend Einleitung Ergänzungslieferung entgegen Entscheidung entsprechend Entwurf Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. von Dieterich/Hanau/Schaub, 20. Aufl. (2020) Ergebnis bzw. Ergänzung Ergänzungsband Erläuterung Grundzüge des Versicherungsaufsichtsrechts, 2. Aufl. (2019) Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Grunewald, 15. Aufl. (2017) Erwiderung Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – Amtliche Sammlung Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EG-Verordnung Nr. 44/2001) Europarecht europäisch Vertrag über die Europäische Union (Lissabon-Vertrag) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum folgende Gesetz über Fernmeldeanlagen Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung Versicherungsbetriebslehre, 5. Aufl. (2011) Allgemeine Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen VersVG – Versicherungsvertragsgesetz, Loseblattwerk mit 5. Aktualisierung (bis zur 4. Aktualisierung Fenyves/Schauer/Bearbeiter) Fahrerlaubnis-Verordnung Finanzgericht Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Feuerhaftungs-Versicherungsbedingung Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. (2009) Fußnote fraglich

XVI

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

FS v. Fürstenwerth/Weiß/ Consten/Präve FZV G GB BAV GB GDV GBl. GbR GDV GE Geigel/Bearbeiter gem. GenG GeschO gesetzl. GewArch GewO gg. GG ggf. GI aktuell GKG GKV gl. GmbHG GmbHR grdl. grds. Grimm/Kloth GrS GrSZ GRUR GS GüKG GVBl. GVG GWB Halbs. Halm/Engelbrecht/Krahe Halm/Kreuter/Schwab/ Bearbeiter Hansen Beweislast HansRGZ HansRZ Harbauer HbgGarVO Hdb. HdV Hentschel/König/Dauer/ Bearbeiter HGB hins. Hinw.

XVII

Festschrift VersicherungsAlphabet (VA), 11. Aufl. (2019) Fahrzeug-Zulassungsverordnung Gesetz Geschäftsbericht des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Geschäftsbericht des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Geschäftsplanmäßige Erklärung Haftpflichtprozess, 28. Aufl. (2020) gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Geschäftsordnung gesetzlich Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- u. Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung gegen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Informationen für wirtschaftsprüfende, rechts- und steuerberatende Berufe Gerichtskostengesetz Gesetzliche Krankenversicherung gleich Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (vorher: Rundschau für GmbH) grundlegend grundsätzlich Unfallversicherung, AUB, 6. Aufl. (2021) Großer Senat Großer Senat in Zivilsachen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Halbsatz Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2018) Allgemeine Kraftfahrtbedingungen (AKB), hrsg. von Halm/Kreuter/Schwab, 2. Aufl. (2015) Beweislast und Beweiswürdigung im Versicherungsrecht (1990) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift Hanseatische Rechtszeitschrift Rechtsschutzversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB), 9. Aufl. (2018) Hamburger Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen und offenen Stellplätzen Handbuch Handwörterbuch der Versicherung, hrsg. von Farny/Helten/Koch/Schmidt (1988) Straßenverkehrsrecht, hrsg. von Hentschel/König/Dauer, 45. Aufl. (2019) Handelsgesetzbuch hinsichtlich Hinweis

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

HK-BGB/Bearbeiter HK-ZPO/Bearbeiter HK-BU/Bearbeiter HK-VVG h. A. h. L. h. M. Hofmann Hofmann Hüffer/Koch Hrsg./hrsg. h.Rspr. i.Allg. i. d. F. i. d. R. i. d. S. i. E. i. e. S. IFG i.gl.S. i.Grds. IHK i. H. v. InfoV inl. insbes. insges. InsO inzw. i. R. d. i. R. v. i. S. i. S. d. i. S. e. i. S. v. i.techn.S. i.U. i.üb. i. V. m. i.w. i. w. S. i. Z. m. JA Jauernig/Bearbeiter jew. Jura JurBüro jurisPK/Bearbeiter jurisPR JuS JW JZ KalV

Bürgerliches Gesetzbuch Handkommentar, hrsg. von Schulze/Dörner/Ebert et. al., 11. Aufl. (2021) Zivilprozessordnung Handkommentar, hrsg. von Saenger, 8. Aufl. (2019) Berufsunfähigkeitsversicherung Handkommentar, hrsg. von Ernst/Rogler (2018) siehe Rüffer/Halbach/Schimikowski herrschende Ansicht, herrschende Auffassung herrschende Lehre herrschende Meinung Privatversicherungsrecht, 4. Aufl. (1998) Schutzbriefversicherung (1996) Aktiengesetz, 14. Aufl. (2020) Herausgeber/herausgegeben herrschende Rechtsprechung im Allgemeinen in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Informationsfreiheitsgesetz im gleichen Sinne im Grundsatz Industrie- und Handelskammer in Höhe von siehe VVG-InfoV inländisch insbesondere insgesamt Insolvenzordnung inzwischen im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne einer(s) im Sinne von im technischen Sinne im Unterschied im Übrigen in Verbindung mit im Wesentlichen im weiteren Sinne im Zusammenhang mit Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 17. Aufl. (2018) jeweils Juristische Ausbildung Das Juristische Büro juris Praxiskommentar BGB, hrsg. von Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger, 9. Aufl. (2020) juris PraxisReport Juristische Schulung. Zeitschrift für Studium und Ausbildung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten

XVIII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Kap. Kaulbach/Bähr/Pohlmann Kfz KfzEFondsV KfzPflVV KfzSBHH KG KH KHVG KK-OWiG/Bearbeiter Kl. KomE

K&R krit. KritVj KSchG KStG KVAV Lackner/Kühl/Bearbeiter Langheid/Rixecker/ Bearbeiter Langheid/Wandt/Bearbeiter

LG lit. Lit. LM LMK Looschelders/Pohlmann/ Bearbeiter LPK-SGB VI LS lt. Littbarski LugÜ

m. Martin MAH VersR/ Bearbeiter Maunz/Dürig/Bearbeiter m. a. W. m.Bespr.

XIX

Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung – KalV) (aufgehoben m.W.v. 1.1.2016) Kapitel Versicherungsaufsichtsgesetz, 6. Aufl. (2019) (bis zur 4. Aufl. Fahr/Kaulbach/Bähr) Kraftfahrzeug Verordnung über den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen Kraftfahrzeugpflichtversicherungsverordnung Sonderbedingungen zur Kfz-Haftpflicht- und Kaskoversicherung für Kfz-Handel und -Handwerk Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kraftfahrzeug-Haftpflicht Österreichisches Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz (1994) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 5. Aufl. (2018) 1. Klausel 2. Kläger/in Kommissionsentwurf zur Reform des Versicherungsvertragsrechts; zitiert nach: Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April (2004), hrsg. von Egon Lorenz (2004) Kommunikation und Recht kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Österreichisches Konsumentenschutzgesetz (1979) Körperschaftsteuergesetz Verordnung betreffend die Aufsicht über die Geschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung (Krankenversicherungsaufsichtsverordnung – KVAV) StGB, 29. Aufl. (2018) Versicherungsvertragsgesetz, 6. Aufl. (2019) (vormals Römer/Langheid) Münchener Kommentar Versicherungsvertragsgesetz: VVG; Band 1: §§ 1–99 VVG und VVG-InfoV, 2. Auflage (2016); Band 2: §§ 100–216 VVG, 2. Auflage (2017); Band 3: Nebengesetze, Systematische Darstellungen, 2. Auflage (2017) Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier/Möhring u. a. (zit. nach Paragraph u. Nummer) Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring VVG Versicherungsvertragsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2016) Sozialgesetzbuch VI: SGB VI. Gesetzliche Rentenversicherung. Lehr- und Praxiskommentar, hrsg. von Reinhardt/Silber, 4. Aufl. (2018) Leitsatz laut Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) (2001) Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LuganoÜbereinkommen) mit Sachversicherungsrecht, Kommentar, 3. Aufl. (1992) Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, hrsg. von Höra, 4. Auflage (2017) Grundgesetz, Loseblatt-Kommentar, 90. EL (2/2020) mit anderen Worten mit Besprechung

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

MB/KK MB/KT MB/PPV MBUB MdB MDR MedR Meixner/Steinbeck missverst. m.krit.Anm. MMR MMW MontÜG Motive MÜ MüKoAktG/Bearbeiter MüKoBGB/Bearbeiter MüKoZPO/Bearbeiter MüKoStGB/Bearbeiter MüKoStVR/Bearbeiter Musielak/Voit/Bearbeiter m. w. N. m. W. v. m.zust.Anm. N. Nachtr. Neuhaus n. F. NJ NJOZ NJW NJWE-VHR NJW-RR NK-BGB/Bearbeiter Nr. NStZ NTS-ZA NVersZ NVwZ NZA NZG NZI NZS NZV o. o. ä. ob.dict. Oetker/Bearbeiter ÖBGBl

Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung Musterbedingungen für die private Pflegeversicherung Allgemeine Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen Mitglied des Bundestags Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl. (2011) missverständlich mit kritischer Anmerkung (von) MultiMedia und Recht Münchner Medizinische Wochenschrift Montrealer-Übereinkommen-Durchführungsgesetz vom 6.4.2004 Motive zum VVG, Nachdruck (1963) Montrealer Übereinkommen (Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von Goette/Habersack/Kalss, 4. Aufl. (2014 ff.) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Rebmann/Säcker/ Rixecker, 8. Aufl. (2018 ff.) Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, hrsg. von Rauscher/Wax/Wenzel, 5. Aufl. (2016 ff.), 6. Aufl. (2020 ff.) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Joecks/Miebach, 3. Aufl. (2016 ff.), 4. Aufl. (2020 ff.) Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. von König, Bd. 1 (2016) Kommentar zur Zivilprozessordnung, 17. Aufl. (2020) mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom mit zustimmender Anmerkung Nachweise Nachtrag Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. (2020) neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Versicherungs-/Haftungsrecht NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NomosKommentar BGB, hrsg. von Dauner-Lieb/Heidel/Ring, 6 Bände (2014 ff.) (ehemaliger AnwaltKommentar BGB) Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Nato-Truppenstatut-Zusatzabkommen Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht oben oder ähnlich obiter dictum Handelsgesetzbuch, 6. Aufl. (2019) österreichisches Bundesgesetzblatt

XX

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

öffentl. o. g. ÖOGH OHG OLG OLGZ OVG OWiG Palandt/Bearbeiter PartGG PflVG PfP-Truppenstatut

PHi PKV polit. ProdHM Prölss/Martin/Bearbeiter Prölss/Dreher/Bearbeiter PStG psych. PsyErkr. PWW/Bearbeiter RAA RBerG RdA RdErl. RDG RdK RDV RdW rechtspol. rechtsvergl. RefE

ReformG Reg. RegE RegBl. rel. RG RGBl. RGRK/Bearbeiter RGZ RHG RL

XXI

öffentlich oben genannt Österreichischer Oberster Gerichtshof Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen, einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Aufl. (2021) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Pflichtversicherungsgesetz Übereinkommen zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen (PfP-Truppenstatut) Haftpflicht international (vormals Produkthaftpflicht international) Private Krankenversicherung politisch Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben Versicherungsvertragsgesetz, 30. Aufl. (2018) Versicherungsaufsichtsgesetz, hrsg. von Dreher, 13. Aufl. (2018) Personenstandsgesetz psychisch Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, hrsg. von Schneider/Henningen/Dohrenbusch/Freyberger/Irle/Köllner/Widder (2012) BGB-Kommentar, hrsg. von Prütting/Wegen/Weinreich, 14. Aufl. (2018) Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung Rechtsberatungsgesetz (bis 1962: Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung) Recht der Arbeit Runderlaß/Runderlass Rechtsdienstleistungsgesetz Das Recht des Kraftfahrers, Unabhängige Monatsschrift des Kraftverkehrsrechts (1926–43, 1949–55) Recht der Datenverarbeitung Recht der Wirtschaft (Österreich) rechtspolitisch rechtsvergleichend Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts mit Begründung (nicht veröffentlicht; zitiert nach der vom BMJ online zur Verfügung gestellten PDF-Datei) Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) (siehe auch VVG-Reform 2008) Regierung Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (BTDrucks. 16/3945); siehe auch Ausschussbericht Regierungsblatt relativ Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsrätekommentar – Das Bürgerliche Gesetzbuch. Kommentar, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, 12. Aufl. (1975 ff.) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Reichshaftpflichtgesetz Richtlinie

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Rn. Rom I–VO Rom II-Verordnung

Römer/Langheid Rpfleger RpflG Rspr. RStBl. RT RTDrucks. RuS Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Bearbeiter RVerkBl. RVG RVO s. S. s. a. Sachs/Bearbeiter SB ScheckG SchiedsVZ Schönke/Schröder/ Bearbeiter Schwintowski/Brömmelmeyer/Bearbeiter Sen. Seuff. Arch. SF SGB I, IV, V, VIII, X, XI

SGb. SGG SGlN SkAufG s. o. Soergel/Bearbeiter sog. SP Späte Späte/Schimikowski/ Bearbeiter spez. SpV Stadler/Gail

Randnummer(n) Rom I-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) Rom II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) siehe Langheid/Rixecker Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Reichssteuerblatt Reichstag Drucksachen des Reichstags Recht und Schaden Versicherungsvertragsgesetz Handkommentar, hrsg. von Rüffer/Halbach/ Schimikowski, 4. Aufl. (2020) Reichsverkehrsblatt Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Reichsversicherungsordnung siehe Satz, Seite siehe auch Grundgesetz, Kommentar, hrsg. von Sachs, 8. Aufl. (2018) Selbstbeteiligung Scheckgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren – German Arbitration Journal Strafgesetzbuch, Kommentar, 30. Aufl. (2019) Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl. (2017) Senat Seuffert 's Archiv für die Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten, (8.1855) Schadensfreiheit I: Sozialgesetzbuch, Allg. Teil IV: Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung V: Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung VIII: Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe X: Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehung zu Dritten XI: Soziale Pflegeversicherung Sozialgerichtsbarkeit/Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgerichtsgesetz Sonderbedingungen für die gleitende Neuwertversicherung von Wohn-, Geschäftsund landwirtschaftlichen Gebäuden Streitkräfteaufenthaltsgesetz siehe oben Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. (2000 ff.) sogenannt(e) Schaden-Praxis Haftpflichtversicherung, 1. Aufl (1993) Haftpflichtversicherung, 2. Aufl. (2015) speziell Spektrum für Versicherungsrecht Die Kfz-Versicherung (2015)

XXII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Staudinger/Bearbeiter Staudinger/Halm/Wendt/ Bearbeiter Stein/Jonas/Bearbeiter StGB Stiefel/Maier

StPO str. st.Rspr. StuR StVG StVj StVO SLVS SVS SVS/RVS StVZO s. u. SV SZ t TarifVO TB TDG Tit. TKG TranspR TumSchG TV Tz. u. u. a. u. ä. u. a. m. Üb. ÜbergangsAO Übk. ü.M. Ulmer/Brandner/Hensen/ Bearbeiter umstr. UmweltHM UN/UNO unv. u.ö. UrhG UStG USV usw. u. U. UWG

XXIII

Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung (1993 ff.) Versicherungsrechtskommentar, 2. Aufl. (2017) Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23. Aufl. (2013 ff.) Strafgesetzbuch Kraftfahrtversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung – AKB sowie zu weiteren Gesetzes- und Regelwerken in der Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl. (2017) Strafprozessordnung strittig, streitig ständige Rechtsprechung Staat und Recht Straßenverkehrsgesetz Steuerliche Vierteljahresschrift Straßenverkehrsordnung Speditions-, Logistik- und Lagerversicherungsschein Speditions-Versicherungsschein Speditions- und Rollfuhr-Versicherungsschein Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Sachverhalt Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen Tonne Verordnung über die Tarife in der Kfz-Haftpflichtversicherung Tarifbestimmung Gesetz über die Nutzung von Telediensten Titel Telekommunikationsgesetz Transportrecht Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12.5.1920 Truppenvertrag Textzahl unten unter anderem und ähnlich und anderes mehr Überblick, Übersicht Übergangsanordnung Übereinkommen überwiegende Meinung AGB-Recht, 12. Aufl. (2016) umstritten Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Versicherung der Haftpflicht wegen Schäden durch Umwelteinwirkung United Nations Organization (Vereinte Nationen) unveröffentlicht und öfter Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Umweltschadensversicherung und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

VA VAG v. A. w. VD VE Veith/Gräfe/Gebert/ Bearbeiter VerBAV/VerBaFin

VerfGH VerglO Verh. VerkMitt vermitt. VersG VersAG VersArch VersM VersPrax, VP VersR VersRAI VersRdsch. VersVermV VersVG VersWissArch VersWiss. Stud. VerwArch. VG VGB VGB VGH vgl. VGS VHB

VHB VHV VN VO VOBl. VomVO vorangeh. Voraufl. Vorbem. vorgen. VRR VR VRS

Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung, ab 1947: … des Zonenamtes des Reichsaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (Hamburg) Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmungen (Versicherungsaufsichtsgesetz) von Amts wegen Verkehrsdienst Vorentwurf Versicherungsprozess, 4. Aufl. (2020) Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen, ab 1973: … des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, ab Mai 2002: VerBAFin = Veröffentlichungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Versicherungsbereich) Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Verkehrsrechtliche Mitteilungen vermittelnd Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsaktiengesellschaft Versicherungsarchiv Versicherungsmedizin Die Versicherungspraxis Versicherungsrecht, Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Versicherungsrecht, Beilage Ausland Versicherungsrundschau (Österreich) Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung österreichisches Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswissenschaftliches Archiv Versicherungswissenschaftliche Studien, hrsg. von Brömmelmeyer et. al. Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung von Wohngebäuden gegen Feuer-, Leitungswasser- und Sturmschäden Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vereinigter Großer Senat Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung des Hausrats gegen Feuer-, Einbruchdiebstahl-, Beraubungs-, Leitungswasser-, Sturm- und Glasbruchschäden/ Allgemeine Hausratversicherungsbedingungen Allgemeine Hausrat-Versicherungsbedingungen Verkehrshaftungsversicherung Versicherungsnehmer/in Verordnung Verordnungsblatt Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns vorangehend Vorauflage Vorbemerkung vorgenannt Verkehrsrechtliche Rundschau Versicherer Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts (zit. nach Band u. Seite)

XXIV

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

VU VuR VVaG VVG VVG-InfoV VVGE

VVG-Kommission VVGRefG bzw. VVG-Reform 2008 VVV VW VwGO VwV VwVfG VwVG VwZG Wandt WaffG weitergeh. WM Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Bearbeiter WRP WuM Wussow (Z) z. B. ZEuP ZfRV ZfS/zfs ZfPW ZfV ZGR Ziff. ZIP zit. ZMR Zöller/Bearbeiter ZollG ZPO ZRP ZSW z. T. ZusBedIT zusf. zust. ZustG zutr. z.V.b. ZVersWiss

XXV

Versicherungsunternehmen Verbraucher und Recht Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen Entscheidungssammlung zum Versicherungsvertragsrecht (VVGE): Entscheidungen zum Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), hrsg. von Dietrich Müller Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) (siehe auch ReformG) Versicherungswissenschaft, Versicherungspraxis, insbesondere Versicherungsmedizin; später DVZ Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsvorschrift Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016) Waffengesetz weitergehend Wertpapier-Mitteilungen AGB-Recht, Kommentar, 7. Aufl. (2020) Wettbewerb in Recht und Praxis Wohnungswirtschaft und Mietrecht Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl. (2014) Entscheidung in Zivilsachen zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht u. Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Miet- und Raumrecht ZPO: Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, 33. Aufl. (2020) Zollgesetz Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen zum Teil Zusatzbedingungen zur Betriebshaftpflichtversicherung für die Nutzer von InternetTechnologien zusammenfassend zustimmend Zustimmungsgesetz zutreffend zur Veröffentlichung bestimmt Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (zitiert nach Jahr und Seite)

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

ZVG zw. zz. ZZP ZZPInt

Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) zweifelhaft zurzeit Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

XXVI

Versicherungsvertragsgesetz Artikel 1 des Gesetzes vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631), in Kraft getreten am 1.1.2008, zuletzt geändert durch Art. 4 GesundheitsversorgungsweiterentwicklungsG vom 11.7.2021 (BGBl. I S. 2754)

Teil 2 Einzelne Versicherungszweige Kapitel 1 Haftpflichtversicherung Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften Vorbemerkung zu §§ 100–112 Schrifttum Armbrüster Nanotechnologie – Rechtliche Aspekte zur Versicherbarkeit von Produkten am Anfang wissenschaftlicher Erkenntnisse, ZVersWiss 2013 102; ders. Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; ders. Auswirkungen von Versicherungsschutz auf die Haftung, NJW 2009 18; ders. Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; Armbrüster/Schilbach Nichtigkeit von Versicherungsverträgen wegen Verbotsoder Sittenverstoßes, RuS 2016 109; v. Bar Das „Trennungsprinzip“ und die Geschichte des Wandels der Haftpflichtversicherung, AcP 181 (1981) 289; Bartosch-Koch Regressschutz des Mieters – Ausgleichsansprüche der beteiligten Versicherungen, NJW 2011 484; Basedow Der Gemeinsame Referenzrahmen und das Versicherungsvertragsrecht, ZEuP 2007 280; Basedow/Fock (Hrsg.) Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bde. 1–3 (2002–2003); Baumann Haftungsersetzung und Haftungsfondsersetzung durch Versicherungsschutz im Gesellschaftsrecht, GmbHR 2014 953; ders. Zur unmittelbaren Schadensersatzpflicht des Haftpflichtversicherers gegenüber dem Dritten – Folgerungen aus dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz –, VersR 2004 944; ders. Zur Überwindung des „Trennungsprinzips“ im System von Haftpflicht und Haftpflichtversicherung – Die Bedeutung des Abtretungsverbots gemäß § 7 Ziff. 3 AHB –, in: Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935 (1999) 13; ders. Der Regress kollektiver Schadensträger im freiheitlichen Sozialstaat (1977); Becker Der Einfluss der Haftpflichtversicherung auf die Haftung (1996); Bruns Unentgeltliche Verträge und Gefälligkeitsverhältnisse, VersR 2018 789; Dancz Sowiesokosten – Haftung und Deckung im Rahmen der Bauversicherungen, VersR 2012 688; Dallwig Deckungsbegrenzungen in der Pflichtversicherung (2011); ders., Versicherungsrechtliche Konsequenzen des Gesetzes zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, VersR 2014 19; Dickmann Versicherungsschutz und Haftung für ehrenamtliche Tätigkeit, VersR 2016 489; Diller Fallstricke in der Berufs-Haftpflichtversicherung der Steuerberater, DStR 2016 2305; Dißars Die E&O-Versicherung, VersR 2009 1340; Erne/Buksch D&O-Versicherung – unbeschränkte Arbeitnehmerhaftung aufgrund der jüngsten BGH-Rechtsprechung zur Direktinanspruchnahme des Versicherers?, GWR 2017 371; Marschall v. Bieberstein Zum Einfluß von Versicherungsschutz auf die Haftpflicht, BB 1983 467; Fausten Stand und Entwicklungsmöglichkeiten der privaten Haftpflichtversicherung, VersR 1996 1057; Fleming/Hellner/v. Hippel Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz (1980); Franck Der Direktanspruch gegen den Haftfpflichtversicherer (2014); Fuchs Versicherungsschutz und Versicherbarkeit als Argumente bei der Schadensverteilung, AcP 191 (1991) 318; ders. Gewillkürte Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz, BB 1992 1217; Gärtner Wechselwirkungen zwischen Haftung und Versicherung bei Kfz-Schäden, BB 1993 1454; Großfeld Haftpflichtversicherung im Wandel, VW 1974 693; Hanau Rückwirkung der Haftpflichtversicherung auf die Haftung? Das Beispiel der Innenhaftung leitender Angestellter unter D & O-Versicherung, in FS E. Lorenz (2004) 283; ders. Rückwirkungen der Haftpflichtversicherung auf die Haftung, VersR 1969 291; Hammel Haftung und Versicherung bei Personenkraftwagen mit Fahrerassistenzsystemen, VersR 2016 1414; Harzenetter Der Selbstbehalt in der D&O-Versicherung nach dem VorstAG und der Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), DStR 2010 653; Hauer Die Haftungsrelevanz der Haftpflichtversicherung (2015); ders. Die Bedeutung der Haftpflichtversicherung für die Annahme konkludenter Haftungsausschlüsse, ZVersWiss 2013 102; Heiss Europäischer Versicherungsvertrag, VersR 2005 1; Hoffmann Die Umsetzung des EuGH-Urteils „Test Achats“ in Deutschland, VersR 2012 1073; Hübsch Arbeitnehmerhaftung bei Versicherbarkeit des Schadensrisikos und bei grober Fahrlässigkeit, BB 1998 690; Hüpers Der Regress der Sozialversicherungsträger bei Gesundheitsschäden aus Industrieimmissionen (1995); Jox Zum Haftungsausschluß bei Probefahrten, NZV 1990 53; Kagelmacher Die Be-

1 https://doi.org/10.1515/9783110522662-001

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

schränkungen der Privatversicherungsfreiheit im Hinblick auf das Allgemeininteresse sowie auf Rechte Dritter (1997); Kassing/Richters Der Deckungsanspruch in der Haftpflichtversicherung, VersR 2015 293; Katzenmeier Überlagerungen des Schadensrechts durch das Versicherungsrecht, VersR 2002 1449; Klimke Auswirkungen des Wegfalls des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes in der Haftpflichtversicherung, RuS 2014 105; R. Koch Herausforderungen für die Haftpflichtversicherung autonomer Systeme und der Sharing Economy, VersR 2020 741; ders. Opferschutzlücke bei EScooter- und E-Bike-Unfällen? NJW 2020 183; ders. OGH schränkt Schutz der (Privat-)Haftpflichtversicherung ein, VbR 2019 171; ders. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Pflichtverletzung bei Ausübung der versicherten Tätigkeit“ im Rahmen der D&O-Versicherung, ZIP 2018 301; ders. Ersatzfähigkeit von Kartellbußen, VersR 2015 655; Versicherung im IT-Bereich, Karlsruher Forum 2011 (2012) 113; ders. Versicherung von Haftungsrisiken nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz VersR 2007 288; Kummer jurisPR-BGHZivilR 23/2008 Anm. 2; Kunte Zur Anwendbarkeit von Teilungsabkommen, VersR 2011 307; Lange Die D&O-Selbstbehalt-Versicherung, RuS 2010 92; Lattwein/Dettler Industrieversicherung D&O: Das Selbstbehalts-Modell des GDV, VW 2010 1352; Lehnertz Die Bedeutung des Bestehens einer Haftpflichtversicherung für den Billigkeitsanspruch gemäß § 829 BGB, VersR 1974 940; Littbarski Interdependenz zwischen Gefälligkeit, Haftung und Haftpflichtversicherung?, VersR 2004 950; ders. Zur Versicherbarkeit des „Unternehmerrisikos“ (1980); Looschelders Aktuelle Auswirkungen des EU-Rechts auf das deutsche Versicherungsvertragsrecht unter besonderer Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Tarifierung, VersR 2011 421; E. Lorenz Einfluß der Haftpflichtversicherungen auf die Billigkeitshaftung nach § 829 BGB, in: Beuthien (Hrsg.) FS Dieter Medicus zum 70. Geburtstag (1999) 353; ders. Billigkeitshaftung und Haftpflichtversicherung – Ein Harmonisierungsvorschlag, VersR 1980 697; H. Marburger Anwendung von Teilungsabkommen bei Verkehrsunfällen, NZV 2012 521; Makowsky Der Einfluss von Versicherungsschutz auf die außervertragliche Haftung (2013); P. Marburger Grundsatzfragen des Haftungsrechts unter dem Einfluß der gesetzlichen Regelungen zur Produzenten- und zur Umwelthaftung, AcP 192 (1992) 1, Olbrich/ Kassing Der Selbstbehalt in der D&O-Versicherung: Gesetzliche Neuregelung lässt viele Fragen offen, BB 2009 1659; Otto in: Neujustierung der Risikoverteilung bei der Arbeitnehmerhaftung – Insbesondere Arbeitnehmerverschulden und Versicherung, FS 50 Jahre BAG (2004) 97; Plagemann/Schafhausen Teilungsabkommen mit Sozialversicherungsträgern und ihre Auswirkung auf Dritte, NZV 1991 49; Präve Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, VersR 2004 39; Prelinger Teilungsabkommen in der Regulierungspraxis zwischen SVT und Haftpflichtversicherern, VersR 2021 12; Rodopoulos Kritische Studie der Reflexwirkungen der Haftpflichtversicherung auf die Haftung (1981); Rolfs Die Neuregelung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerhaftung bei Arbeitsunfällen durch das SGB VII, NJW 1996 3177; Rolfs/Binz EuGH erzwingt ab Ende 2012 Unisex-Tarife für alle neuen Versicherungsverträge, VersR 2011 714; Ruttmann Die Versicherbarkeit von Geldstrafen, Geldbußen, Strafschadensersatz und Regressansprüchen in der D&O-Versicherung (2014); Schimikowski Die neuen Musterbedingungen für die Privathaftpflichtversicherung, RuS 2015 373; Schlöpke Interdependenzen von Haftung und Versicherung (2005); Schneider Wie „privat“ muss es sein?, VersR 2020 667; Schrank Prozessuales Trennungsprinzip in der Haftpflichtversicherung nach dem neuen VVG, VersPrax 2009 129; Schreier Zögerliches Regulierungsverhalten von Versicherern – Eine Bestandsaufnahme der Schadensregulierung nach geltendem Recht, VersR 2013 1232; Schwintowski Schutzfunktion und wichtiger Grund in § 843 Abs. 3 BGB, VersR 2010 149; Seybold/Wendt Schafft Deckung doch Haftung? – Eine Erinnerung an das Trennungsprinzip, VersR 2009 455; Sigulla/Visser Künstliche Intelligenz und Versicherung, PHi 2018 198; K. Sieg Haftpflichtversicherung, in: Farny/Helten/Koch/Schmidt (Hrsg.) Handwörterbuch der Versicherung (1988) 261; ders. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz? ZHR 113 (1950) 95; ders. Überlagerung der bürgerlich-rechtlichen Haftung durch kollektive Ausgleichssysteme, VersR 1980 1085; Sinn Gedanken zur volkswirtschaftlichen Bedeutung des Versicherungswesens, ZVersWiss 77 (1988) 1; Sitte/Lattwein AGG: Haftungsfalle für den Haftpflichtversicherer? VW 2007 1141; Sohn Anspruchsberechtigung und Fälligkeit des Deckungsanspruchs in der Architektenhaftpflichtversicherung, BauR 2014 465; Sommer Risiken des Arbeitskampfes und Versicherungsschutz (2017); Spallino Haftungsmaßstab bei Gefälligkeit. Eine Studie unter ausführlicher Betrachtung gesetzlicher und richterrechtlicher Haftungsmilderungen, der Praxis „stillschweigender“ Haftungsausschlüsse und des Einflusses der Haftpflichtversicherung auf die Haftung (2016); Spindler Roboter, Automaten, künstliche Intelligenz, selbst-steuernde Kfz – Braucht das Recht neue Haftungskategorien?, CR 2015 766; Stoffels/Lohmann Risikobeherrschung und Versicherbarkeit als Beurteilungsfaktoren im Vertragsrecht, VersR 2003 1343; Teschabai-Oglu Die Versicherbarkeit von Emerging Risks in der Haftpflichtversicherung (2012); Tehrani Das Wesen der Bindungswirkung im Haftpflichtversicherungsvertrag, VersR 2018 1166; Thomas Haftungs- und Versicherungsrecht bei Kartellverstößen, VersR 2017 596; Thüsing/Traut Angemessener Selbstbehalt bei D&O-Versicherungen – Ein Blick auf die Neuerungen nach dem VorstAG, NZA 2010 140; Thüsing/Hoff Private Versicherungen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, VersR 2007 1; Vatter Der Regress der Sozialversicherungsträger gemäß § 110 SGB VII in den Fällen der Entsperrung der Haftungsprivilegierung, RuS 2011 Sonderheft zum 75. Geburtstag von Hermann Lemcke 122; Wagner Verantwortlichkeit im Zeichen digitaler Techniken, VersR 2020 717; ders. Produkthaftung für autonome Systeme, AcP 217 (2017) 707; ders. Haftung und Versicherung als Instrumente der Techniksteuerung, VersR 1999 1441;

Koch

2

VVG Vor §§ 100–112

Übersicht

Waltermann Risikozuweisung nach den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung, RdA 2005 98; Weimar Die Billigkeitshaftung gemäß § 829 BGB, VP 1981 234; Wessel Stillschweigende Haftungsbeschränkungen im Straßenverkehr – insbesondere bei Gefälligkeits- und Probefahrten sowie Auslandsunfällen und im Sport, VersR 2011 569; Wilke Versicherungsschutz für private Halter und Steuerer von Drohnen im Rahmen einer Privathaftpflichtversicherung, DAR 2018 288; ders. Privathaftpflichtversicherung und Kraftfahrzeuge, DAR 2016 482; Witschen Haftung und Versicherung bei Gefälligkeiten, AcP 219 (2019) 300; Wolf Billigkeitshaftung statt überzogener elterlicher Aufsichtspflichten – ein erneutes Plädoyer für die Anwendung des § 829 BGB auf Grund einer Haftpflichtversicherung, VersR 1998 812.

Übersicht Einführung eines Direktanspruchs des geschä38 digten Dritten

Systematische Einordnung der Haftpflicht6 versicherung

E.

Wirtschaftliche Bedeutung der Haftpflicht40 versicherung

Abgrenzung zu anderen Versicherungszwei10 gen

F.

Rechtsquellen zur Haftpflichtversiche43 rung

I. 1. 2.

Öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlagen 43 VAG Sonstige öffentlich-rechtliche Vorschrif46 ten

II. 1.

Privatrechtliche Rechtsgrundlagen 47 Gesetzliche Grundlagen 47 a) VVG 48 b) HGB 49 c) BGB 50 d) AGG 51 Vertragliche Grundlagen

Wesen der Haftpflichtversicherung

B.

C.

1

2.

A.

2. 3.

11 Allgemeine Sachversicherung Mitversicherung des Sachersatzinteres11 ses 13 Regressverzicht des VR 16 Ersatz von Rettungsaufwendungen

II.

Rechtsschutzversicherung

III.

Transportversicherung

IV. 1. 2.

Vertrauensschadens- und Eigenschadensversi20 cherung 20 Vertrauensschadensversicherung 22 Eigenschadensversicherung

V.

Unfallversicherung

VI.

Krankheitskostenversicherung

I. 1.

VII. Rückversicherung D.

17 18

2.

47

G.

Versicherbarkeit von Haftpflichtrisi55 ken

H.

Zur Technik der Risikobegrenzung in der 60 Haftpflichtversicherung

I.

Primäre Risikoabgrenzung

II.

Sekundäre Risikoabgrenzung

III.

Tertiäre Risikoabgrenzung

23 24

43

25

Geschichte und Entwicklung der Haftpflicht26 versicherung 27

61 62 64

I.

Vorläufer

II.

Entwicklung bis zum Inkrafttreten des VVG 28 a. F.

I.

Haftpflichtversicherung und Zwecke des Haf65 tungsrechts

III.

Entwicklung zum Instrument des Drittschut32 zes

I.

Diskussion um die Beeinträchtigung der Steuerungsfunktion des Haftungsrechts durch die 65 Haftpflichtversicherung

IV. 1.

37 Tendenzen der Rechtsentwicklung Ansteigen der Zahl obligatorischer Haftpflicht37 versicherungen

II.

Bewertung

3

67

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

J.

Interdependenzen von Haftung und Haft70 pflichtversicherung

1. 2.

I.

Grundsatz: Dichotomie zwischen Haftung und 70 Deckung

3.

II.

Haftungsbegründende Wirkung von Haftpflicht72 versicherungsschutz 72 Billigkeitshaftung (§ 829 BGB) Wegfall der Haftungsfreistellung/-beschränkung des Arbeitnehmers bei Schäden infolge betrieb75 lich veranlasster Tätigkeit a) Grundsätze des innerbetrieblichen Scha75 densausgleichs b) Obligatorische Haftpflichtversiche76 rung 77 c) Freiwillige Haftpflichtversicherung Wegfall des Haftungsausschlusses bei leichter 82 Fahrlässigkeit Regress des Sozialversicherungsträgers gem. 85 § 110 SGB VII Unwirksamkeit von Haftungsfreizeichnungs87 klauseln Verschärfung des gesetzlichen Haftungsmaß88 stabs Vertragliche Verpflichtung zum Abschluss einer 91 Haftpflichtversicherung

1. 2.

3. 4. 5. 6. 7.

III. 1. 2. 3. 4. IV.

V.

Haftungsausfüllende Wirkung von Haftpflicht92 versicherungsschutz 92 Billigkeitshaftung (§ 829 BGB) Kapitalabfindung statt Rente (§ 843 Abs. 3 93 BGB) Bemessung immateriellen Schadens (§ 253 95 BGB) 97 Mitverschulden (§ 254 BGB) Haftungsbegrenzende Wirkung von Haftpflicht98 versicherung

3.

Auswirkungen der Versicherbarkeit eines Haft99 pflichtrisikos auf die Haftung Haftungsausschluss des Kfz-Probefahren100 den Beschränkung der Arbeitnehmerhaf103 tung 105 Folgerungen

K.

Trennungsprinzip

I.

Materielles Trennungsprinzip

II.

Prozessuales Trennungsprinzip

1. 2.

Koch

107 Herleitung und Zweck (Vorweggenommener) Deckungspro109 zess 113 Ausnahmen vom Trennungsprinzip a) Fehlende Voraussetzungsidentität nach unstreitigem Vortrag des Geschädig113 ten b) Umwandlung des Haftpflichtversicherungsanspruchs in einen Zahlungsan114 spruch

L.

Haftpflichtversicherung und Prozesskosten115 hilfe (PKH)

M.

Rechtsstellung des geschädigten Drit116 ten

I.

Grundsatz: Durchsetzung eines Zahlungsanspruchs gegen den VR nur als Rechtsnachfolger 116 des VN

II.

Anwendung des Trennungsprinzips

III.

Feststellungsklage des Dritten

N.

Pflicht zur Sicherstellung risikoadäquaten 124 Versicherungsschutzes

I.

Treue- und Fürsorgepflicht des Arbeitge124 bers

II.

Vermögensbetreuungs-/ Interessenwahrnehmungspflicht der Geschäfts126 leitung 127 Rechtsprechung 128 Diskussion in der Literatur 130 Stellungnahme

1. 2. 3.

121 122

O.

Bedeutung von Teilungsabkommen in der 137 Haftpflichtversicherungspraxis

I.

Begriff

137

II.

Zweck

138

III.

Inhalt

139

IV.

Rechtsnatur von Teilungsabkommen

P.

Internationale Entwicklungen/Einheits143 recht

142

106 106 107

4

A. Wesen der Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

A. Wesen der Haftpflichtversicherung Die Haftpflichtversicherung bietet Schutz gegen Vermögensschäden, welche dem VN (und/ 1 oder dem Versicherten) dadurch erwachsen, dass er einem Dritten haftpflichtig wird.1 Mit dem Begriff der Haftpflicht ist gemeint, dass der VN von einem Dritten wegen eines von ihm verusachten Personen-, Sach- und/oder Vermögensschadens kraft gesetzlicher Vorschrift oder aufgrund eines Vertrages auf (nicht notwendigerweise Schadens-)Ersatz in Anspruch genommen wird.2 Dass der Haftpflichtversicherung ein solches Begriffsverständnis zugrundeliegt, findet u. a. seinen Ausdruck in den gesetzlichen Bestimmungen zur freiwilligen und obligatorischen Haftpflichtversicherung. Nach § 103 ist der VR nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der VN vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat. § 107 Abs. 1 betrifft den Fall, dass der VN dem Geschädigten Schadensersatz in Form einer Geldrente zu gewähren hat.3 § 115 Abs. 1 gibt dem Geschädigte auf Grund eines gesetzlich angeordneten Schuldbeitritts in der Person des VR einen weiteren Schuldner für seinen Schadensersatzanspruch gegen den VN. Haftpflichtig ist nur derjenige, der das Integritätsinteresse eines anderen verletzt hat. Dem- 2 zufolge bietet die Haftpflichtversicherung nur Schutz gegen Ansprüche, die auf den Ausgleich des Integritätsinteresses des Geschädigten gerichtet sind. Vermögensnachteile, die der Geschädigte in seiner Eigenschaft als Gläubiger innerhalb eines Vertragsverhältnisses mit dem VN wegen nicht ordnungsmäßiger Erfüllung erleidet, begründen keine Haftpflicht des VN. Für Erfüllungsansprüche besteht vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen deshalb auch kein Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung. Solchen Schäden, die das Erfüllungs-/Äquivalenzinteresse betreffen, fehlt das für jede Versicherung erforderliche Element des Zufälligen. Treffend weist der BGH in seinem Urteil aus dem Jahre 1964 darauf hin, dass „… ein Schuldner [nichts] sicherer und bestimmter [weiß], als daß er eine eingegangene Verpflichtung erfüllen muß (vgl. RGZ 86, 1; Oberbach, Allgemeine Versicherungs-Bedingungen für Haftpflichtversicherung I [1938], 92). Dies trifft auch noch für die unmittelbaren Rechtsfolgen zu, die bei nicht ordnungsmäßiger Erfüllung eintreten. Denn der Schuldner weiß auch, daß er einwandfrei erfüllen und eine schlechte Leistung nachbessern oder dafür Ersatz leisten muß. Sein dadurch unter Umständen höherer Leistungsaufwand ist nur die zwangsläufige Folge nicht gehöriger Erfüllung; sie ist vorauszusehen und vorauszuberechnen (vgl. Mahr, NeumannsZ 12, 60).“4 [Hervorhebung durch den Verfasser]

Zu den Wesensmerkmalen der Haftpflichtversicherung gehört – wie in § 100 positiv-rechtlich 3 geregelt –, dass sie erstens Schutz bei Fremdschäden (Sach-, Personen- oder Vermögensschäden) bietet. Zweitens ist Schutzobjekt nicht ein bestimmter Gegenstand, sondern das jeweilige Vermögen des VN (oder Versicherten). Drittens ist der Versicherungsanspruch nicht auf Zahlung, sondern auf Befreiung (Freistellung i. w. S.) von der auf dem VN lastenden Haftverbindlichkeit gerichtet, welche die Freistellung (i. e. S.) von begründeten und die Abwehr von unbegründeten Haftpflichtansprüchen umfasst. Den Schuldner eines Befreiungsanspruchs trifft die Pflicht, den Befreiungsgläubiger von dem Risiko seiner Inanspruchnahme durch die Drittgläubiger freizustellen, d. h. ihn so zu stellen, wie er ohne die Belastung mit den Drittschul1 Motive 201; vgl. auch BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19 ZIP 2020 2510 Rn. 28; RG 31.1.1911 – VII 180/10, RGZ 75 173, 175; Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkung zu §§ 100 bis 112 Rn. 63 ff.; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 8. 2 Motive 201; vgl. auch BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19 ZIP 2020 2510 Rn. 28; RG 31.1.1911 – VII 180/10, RGZ 75 173, 175; Späte Vorbem. Rn. 1 (keine Beschränkung auf Schäden); Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkung zu §§ 100 bis 112 Rn. 85 ff. (entscheidend ist das Einstehenmüssen des Schuldners); enger Heimbücher Einführung in die Haftpflichtversicherung, 5. Aufl. (2003), 21 (Verpflichtung zum Ersatz eines Schadens). 3 Vgl. § 843 Abs. 1 BGB, § 8 HPflG, § 13 StVG, § 38 LuftVG, § 9 ProdHaftG, § 89 AMG, § 14 UmweltHG, § 32 Abs. 6 GenTG, § 30 AtG. 4 BGH 9.1.1964 – II ZR 86/61, NJW 1964 1025, 1026; vgl. auch OLG Köln 31.1.2019 – 9 U 72/18, RuS 2019 387, 388 („Echte vertragliche Erfüllungsansprüche sind nicht versicherbar, weil ihnen das Element der Ungewissheit fehlt.“). 5

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

den stünde.5 Der Befreiungsanspruch weist insoweit Parallelen zum auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch auf. Baumann hat sich deshalb für eine subsidiäre Anwendung der §§ 249 ff. BGB ausgesprochen: Er setzt den Anspruch auf Befreiung einer Schadensersatzschuld gleich, die primär auf Naturalrestitution – Rechtsschutz oder Freistellung – gerichtet sei (§ 249 Abs. 1 BGB), bei Unmöglichkeit dieser Leistungsvariante entsprechend § 251 Abs. 1 BGB auf Entschädigung in Geld gehe.6 Diese Ansicht, die offenbar auch der Reformgesetzgeber für die Zeit vor der VVG-Reform 4 teilt (s. hierzu Nachweis in Rn. 5), vermag nicht zu überzeugen, weil der Befreiungsanspruch in der Haftpflichtversicherung in der Vertragspraxis damals wie heute als Erfüllungsanspruch ausgestaltet ist. Zudem bestimmt § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, dass der Gläubiger bei Personen- oder Sachschäden statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen kann. Dieses Wahlrecht7 des Gläubigers lässt sich mit § 100 nicht vereinbaren, wonach es im pflichtgemäßen Ermessen des VR steht, wie dieser seine Vertragspflicht erfüllt (§ 100 Rn. 91 ff.). Schließlich umfasst der Anspruch aus § 100 auch die Prüfung der Haftpflichtfrage (§ 100 Rn. 109 ff.). Diese Pflicht findet keinerlei Entsprechung im Rahmen der §§ 249 ff. BGB. 5 Mit der Reform des VVG besteht somit auch auf gesetzlicher Ebene kein Raum mehr für eine Einordnung des Haftpflichtversicherungsanspruchs als Schadensersatzverpflichtung des VR. Ergänzend sei auf die nachstehend wiedergegebene Begründung zu § 100 hingewiesen:8 „Der Wortlaut des § 149 VVG soll an die in der Praxis auf Grund der Allgemeinen Haftpflichtbedingungen (AHB) übliche Leistungspflicht des Versicherers angepasst werden. Danach ist bei der Haftpflichtversicherung der Versicherer verpflichtet, den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die gegen ihn auf Grund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache von einem Dritten geltend gemacht werden. Dem Versicherungsnehmer steht danach an Stelle des bisher in § 149 VVG geregelten Schadensersatzanspruchs ein Freistellungsanspruch gegen den Versicherer zu.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

B. Systematische Einordnung der Haftpflichtversicherung 6 Die Haftpflichtversicherung zählt zur Gruppe der Nichtpersonenversicherungen9 und ist (deshalb) ein Zweig der Schadensversicherung.10 Der VR übernimmt bei ihr die Verpflichtung, dem VN den durch den Versicherungsfall verursachten Vermögensschaden bis zur Höchstgrenze der Versicherungssumme zu ersetzen. Da es an einer besonderen Beziehung zu einem Bestandteil des Aktivvermögens (Sachen, Forderungen und sonstige Rechte) fehlt, ist sie Passivenversicherung.11 Versichert ist das Interesse des VN, nicht mit Haftpflichtverbindlichkeiten und den

5 Vgl. BGH 11.4.1984 – VIII ZR 302/82, BGHZ 91 73, 76 f. = NJW 1984 2151; Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) § 257 Rn. 7. 6 Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 19 ff.; Baumann Festgabe Zivilrechtslehrer 18; vgl. auch Bruck/Möller/ Möller8 Vor §§ 49 ff. Anm. 4; § 49 Anm. 5 und 13. 7 St. Rspr., vgl. BGH 27.6.2018 – XII ZR 79/17, NJW-RR 2018 1103 Rn. 22; BGH 28.2.2018 – VIII ZR 157/17, NJW 2018 1746 Rn. 26; BGH 15.9.2015 − VI ZR 475/14, NZV 2015 587 Rn. 10; BGH 15.5.2008 – III ZR 170/07, NJW 2008 2430, 2431; krit. MüKo-BGB/Oetker § 249 Rn. 357: „Ersetzungsbefugnis“. 8 Vgl. BTDrucks 16/3945 S. 85. 9 Wandt Versicherungsrecht Rn. 1050; Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 155. 10 Allg. Ansicht, vgl. BGH 30.10.1954 – II ZR 131/53, BGHZ 15 154, 158 = NJW 1955 101; Berliner Kommentar/ Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 6; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 8; Prölss/Martin/Lücke Vorbemerkung zu den §§ 100–112 Rn. 1; Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 148. 11 BGH 18.11.2029 – IV ZR 217/19 ZIP 2020 2510 Rn. 28; Berliner Kommentar/Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 8 f.; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 8; Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 154. Koch

6

B. Systematische Einordnung der Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

Aufwendungen, die zur Anspruchsabwehr geboten sind, belastet zu werden.12 Ob der VN überhaupt (Aktiv-)Vermögen hat, ist unerheblich, da es infolge der Belastung mit einer Verbindlichkeit zu einer Vermehrung der Passiva und damit einer Vermögensbeeinträchtigung kommt. Auch ein Vermögensloser oder Überschuldeter kann sich deshalb gegen Haftpflicht versichern.13 Aufgrund des fehlenden Bezugspunkts zu einem Bestandteil des Aktivvermögens lässt sich 7 der Wert des versicherten Interesses in der Haftpflichtversicherung nicht bestimmen. Es fehlt daher an einer mit § 88 vergleichbaren Regelung, die den Versicherungswert für die Sachversicherung definiert. Diejenigen Vorschriften des ersten Abschnitts des VVG zur Schadensversicherung (§§ 74–87), die sich auf den Wert des versicherten Interesses beziehen, finden deshalb keine Anwendung in der Haftpflichtversicherung. Es geht um die Regelungen zur Überversicherung (§ 74), zur Unterversicherung (§ 75) und zur Taxe (§ 76).14 Eingeschränkte Anwendung finden die Vorschriften zur Mehrfachversicherung, nämlich soweit die Summe der Entschädigungen, die von jedem VR ohne Bestehen der anderen Versicherung zu zahlen wären, den Gesamtschaden übersteigt (§ 78 Abs. 1 Alt. 2) und der VN Beseitigung der Mehrfachversicherung verlangen kann (§ 79 Abs. 1). Eine Kürzung des Rettungskostenersatzes gem. § 83 Abs. 2 oder der Schadensermittlungskosten nach § 85 Abs. 3 wegen Unterversicherung ist nicht möglich. Soweit die auf die Haftpflichtversicherung anwendbaren Vorschriften des ersten Abschnitts 8 des VVG zur Schadensversicherung an den Begriff des versicherten Interesses anknüpfen, z. B. zur Bestimmung, wessen Interesse versichert ist (§ 48), ob eine Neben-/Mehrfachversicherung vorliegt (§§ 77, 78) oder das Interesse besteht oder weggefallen ist (§ 80), stellt die Rechtsprechung in der Haftpflichtversicherung auf das versicherte Risiko ab, so wie es in der Risikobeschreibung des Versicherungsvertrags festgelegt ist (z. B. Gefahren des täglichen Lebens in der Privathaftpflichtversicherung, Gefahren aus bestimmter unternehmerischer Tätigkeit in der Betriebshaftpflichtversicherung). In der Haftpflichtversicherung tritt somit das versicherte Risiko an die Stelle des Aktivguts als Anknüpfungspunkt für das versicherte Interesse.15 Ergänzende Sonderregeln für die obligatorische Haftpflichtversicherung sehen §§ 113– 9 124 vor, die immer dann eingreifen, wenn durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Verordnung oder Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder durch eine unionsrechtliche Verordnung eine Pflicht zum Abschluss besteht. Obligatorische Haftpflichtversicherungen begegnen einem sowohl in Bereichen, in denen eine Gefährdungshaftung besteht, als auch in Fällen reiner Verschuldenshaftung. Neben der unionsrechtlich angeordneten Kfz-Haftpflichtversicherung, Berufshaftpflichtversicherung von Versicherungsvermittlern, Luftverkehrshaftpflichtversicherung und Eisenbahn-Unfallhaftpflichtversicherung besteht eine gesetzliche Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung im Hinblick auf besonders gefahrgeneigte Tätigkeiten (z. B. Jagd), das Halten von Tieren (z. B. Hunden), bestimmte berufliche Tätigkeiten (z. B. Rechtsanwälte, Notare, Architekten, Wirtschaftsprüfer), den Betrieb gefährlicher/ umweltgefährdender Anlagen, den gewerblichen Güterverkehr, die Herstellung und/oder den Vertrieb medizinischer Produkte. Zu Einzelheiten und den gesetzlichen Grundlagen für die Verpflichtung zum Abschluss von Haftpflichtversicherungen sei auf die Kommentierung der §§ 113– 124 verwiesen. 12 BGH 24.1.1951 – II ZR 12/50 VersR 1951 76; vgl. auch BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, NJW 1980 1623, 1624; BGH 22.9.1958 – II ZR 87/57, BGHZ 28 137, 140; BGH 30.10.1954 – II ZR 131/53, BGHZ 15 154, 158 = NJW 1955 101; RG 31.1.1911 – VII 180/10, RGZ 75 173, 175; RG 5.2.1909 – VII 186/08, RGZ 70 257, 260; OLG Stuttgart 12.3.2008 – 4 U 58/ 07, NZV 2009 191, 193. 13 Bruck/Möller/H. Baumann/R. Koch § 1 Rn. 74. 14 Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 151; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski Vorbemerkung zu §§ 100–124 Rn. 2. 15 Vgl. BGH 28.11.1990 – IV ZR 233/89, RuS 1991 224, 225 = VersR 1991 172; BGH 20.3.1974 – IV ZR 94/73, VersR 1974 535, 536 = NJW 1974 1139; BGH 22.9.1958 – II ZR 87/57, BGHZ 28 137, 140 f. = NJW 1958 1872; OLG Stuttgart 12.3.2008 – 4 U 58/07, NZV 2009 191, 193; OLG Frankfurt/M. 11.3.2004 – 3 U 89/03, NJW-RR 2004 1333, 1335; OLG Nürnberg 26.5.1995 – 6 U 409/95, RuS 1996 395; LG München I 24.6.2003 – 28 O 21783/02, NJOZ 2003 2613, 2614; LG Düsseldorf 9.12.1983 – 11 O 406/83 VersR 1984 477, 478. 7

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

C. Abgrenzung zu anderen Versicherungszweigen 10 Fremdschäden sind nicht nur in der Haftpflichtversicherung versichert, sondern auch in anderen Versicherungszweigen. Dies kann nicht verwundern, da auch die Parteien eines Versicherungsverhältnisses grundsätzlich frei in der Gestaltung des Vertrages sind. Deshalb unterliegt es ihrer Entscheidung, welches und wessen Interesse Gegenstand der Versicherung sein soll.16 Die Typisierung eines Versicherungsvertrages bedeutet – von aufsichtsrechtlichen Vorgaben abgesehen – nicht, dass die Ausgestaltung im Einzelnen nicht auch Elemente anderer Vertragstypen enthalten kann.17

I. Allgemeine Sachversicherung 1. Mitversicherung des Sachersatzinteresses 11 Die Sachversicherung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen bietet Schutz gegen die Inanspruchnahme wegen Fremdschäden, soweit nicht nur das Sacherhaltungs-, sondern auch das Sachersatzinteresse des VN oder des Versicherten gedeckt ist. Schließt etwa der Besitzer, der gegenüber dem Eigentümer der Sache zur Obhut verpflichtet ist (z. B. Werkstattinhaber, Spediteur, Lagerhalter, Frachtführer, Handwerker oder Leasingnehmer), eine Sachversicherung ab, ist im Rahmen einer Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff.) nicht nur das Sacherhaltungsinteresse des Eigentümers (= versicherte Person), sondern auch das Sachersatzinteresse (= Haftpflichtinteresse) des Besitzers (= VN) versichert. Der Anspruch des VN gegen den VR ist jedoch abweichend von der Haftpflichtversicherung nicht auf Befreiung gerichtet, sondern auf Zahlung einer Entschädigung an den Versicherten. Im Übrigen ist die Entschädigung beschränkt auf den Versicherungswert, weshalb die daran anknüpfenden Vorschriften des ersten Abschnitts des VVG zur Schadensversicherung zur Anwendung kommen. Entschädigt der VR die versicherte Person, befriedigt er nicht nur den Anspruch des VN auf Versicherungsschutz, sondern zugleich auch den auf Befriedigung des Sacherhaltungsinteresses gerichteten Anspruch des Versicherten (§ 44 Abs. 1), ohne dass er den VN auf Regress in Anspruch nehmen kann.18 Da das Sachersatzinteresse des VN mitversichert ist, ist er nicht Dritter i. S. v. § 86 Abs. 1 S. 1. Hier wirkt die Sachversicherung für fremde Rechnung faktisch wie eine Haftpflichtversicherung für eigene Rechnung, ohne dass die §§ 100 ff. zur Anwendung kommen. 12 Letzteres gilt auch in den Fällen, in denen der Eigentümer die Versicherung abgeschlossen und dabei nicht nur sein Sacherhaltungsinteresse, sondern darüber hinaus das Sachersatzinteresse des zur Obhut verpflichteten oder zur Nutzung berechtigten Besitzers (= versicherte Person) versichert hat.19 Der Anspruch der versicherten Person gegen den VR ist auf Zahlung einer Entschädigung an den VN gerichtet. Entschädigt der VR den VN, befriedigt er nicht nur den Versicherungsanspruch der versicherten Person, sondern zugleich auch den auf Befriedigung des Sacherhaltungsinteresses gerichteten Anspruch des VN. Ein Regress gegen den Besitzer kommt nicht in Betracht, da dieser als versicherte Person nicht Dritter i. S. v. § 86 Abs. 1 S. 1

16 BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, RuS 2008 286, 287. 17 Vgl. BGH 18.11.2009 – IV ZR 58/06, RuS 2010 69, 70; BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, RuS 2008 286, 287; OLG Köln 19.6.2018 – 9 U 60/17, RuS 2018 657, 660. 18 Vgl. BGH 8.10.2014 – IV ZR 16/13, RuS 2014 596 Rn. 13; BGH 6.7.1988 – IVa ZR 241/87, NJW 1988 2803 (KfzKaskoversicherung des Leasingnehmers zugunsten des Leasinggebers); OLG Hamm 31.10.2018 – 20 U 19/18, RuS 2019 142, 143; vgl. auch BGH 7.5.2003 – IV ZR 239/02, RuS 2003 431, 432 (Transportversicherung). 19 Vgl. BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, RuS 2008 286, 287 (Kfz-Kaskoversicherung einer KG zugunsten der Gesellschafter); OLG Hamm 9.11.2011 – 20 U 191/11, BeckRS 2012 03834 (Luftfahrzeug-Kaskoversicherung des Vereins zugunsten der Vereinsmitglieder). Koch

8

C. Abgrenzung zu anderen Versicherungszweigen

VVG Vor §§ 100–112

ist. Hier wirkt die Sachversicherung faktisch wie eine Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung.

2. Regressverzicht des VR Ist die Sachversicherung nicht auch für fremde Rechnung genommen worden, kann dem Schä- 13 diger ein Regressverzicht des VR helfen. Gesetzlicher Anwendungsfall für einen Regressverzicht ist § 86 Abs. 3. (Formular-)Vertragliche Beispiele finden sich u. a. in der Kfz-Versicherung (A.2.8 AKB 2015), der Elektronikversicherung (TK 1820 ABE 2018), der Maschinen-/-betriebsunterbrechungsversicherung (TK 2820 AMB 2018, TK 4820 AMBUB 2018), der Verbundenen Sach- und Gewerbeversicherung (Klausel VSG/A 130101/10 VSG 2010) sowie in den Bestimmungen des „Regressverzichtsabkommens der Feuerversicherer bei übergreifenden Schadenereignissen“, das zum 31.12.2017 aufgehoben wurde. Darüber hinaus hat der BGH im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen Regressverzicht des Gebäudeversicherers zugunsten des Mieters für die Fälle bejaht, in denen der Mieter einen Schaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat.20 Zu diesem Auslegungsergebnis gelangt der BGH im Wesentlichen mit der Begründung, dem VN in seiner Eigenschaft als Vermieter sei daran gelegen, das in der Regel auf längere Zeit angelegte Vertragsverhältnis zu seinem Mieter so weit wie möglich unbelastet zu lassen. Im Schadensfall wäre die Vertragsbeziehung aber schon dadurch erheblich belastet, dass den Vermieter die Obliegenheit treffe, den VR bei der Durchsetzung der Regressforderung zu unterstützen. Zudem liege es auch nicht im wirtschaftlichen Interesse des Vermieters, wenn das Vermögen seines Mieters mit Regressforderungen belastet werde, weil sich diese Belastungen auf die Mietzahlungen auswirken könnten. In anderen Entscheidungen hat der BGH auch den Umstand berücksichtigt, dass der Mieter anteilig über die Nebenkosten an der Prämie für die Versicherung beteiligt war.21 Diese Rechtsprechung gilt auch für gewerbliche Mietverhältnisse.22 Nach Ansicht des BGH kommt ein Regressverzicht selbst bei unentgeltlicher Nutzungsüberlassung in Betracht, wenn der VN aus familiären oder sonstigen persönlichen Gründen auf Entgelt für die Überlassung einer Wohnung verzichtet hat.23 In der Hausratversicherung besteht grundsätzlich kein Regressverzicht des Vermieters zugunsten des Mieters24 und im Geschäftsversicherungsvertrag des Mieters besteht kein Regressverzicht des VR zugunsten des Vermieters.25 Offengelassen hat der II. Zivilsenat die Frage, ob ein Regressverzicht des Gebäude-VR eines Vereins zugunsten der Vereinsmitglieder besteht.26 Nach Ansicht des OLG Schleswig erstreckt sich der Regressverzicht des Wohngebäude-VR auch auf Angestellte des Mieters.27 Im Unterschied zur Versicherung für fremde Rechnung hat der Dritte beim Regressverzicht 14 keinen eigenen Anspruch gegen den VR auf Ersatz des Schadens. Der Dritte wird durch die Regressbeschränkung im Verhältnis zum VR lediglich so behandelt, als sei er versichert.28 Hierfür hat K. Sieg bereits im Jahre 1976 die Bezeichnung „Quasi-Versicherungsnehmer“ ge20 BGH 26.10.2016 – IV ZR 52/14, VersR 2017 36 Rn. 13; BGH 13.9.2006 – IV ZR 273/05, BGHZ 169 86, 90 = RuS 2006 500; BGH 8.11.2000 – IV ZR 298/99, BGHZ 145 393, 398 = NJW 2001 1353; vgl. auch BGH 14.2.2001 – VIII ZR 292/98, RuS 2001 294. 21 BGH 13.9.2006 – IV ZR 116/05, VersR 2006 1533, 1535 = RuS 2006 455; BGH 3.11.2004 – VIII ZR 28/04, VersR 2005 498. 22 BGH 12.12.2001 – XII ZR 153/99, NJW-RR 2002, 1243 = VersR 2002, 433; OLG Rostock 1.2.2018 – 3 U 94/15, RuS 2018 204 f.; OLG Schleswig 19.3.2015 – 16 U 58/14, NJW 2015 2742 f. 23 BGH 13.9.2006 – IV ZR 116/05, VersR 2006 1533, 1535 = RuS 2006 455, vgl. auch BGH 15.11.2011 – II ZR 304/09, VersR 2012 580 Rn. 11. 24 BGH 13.9.2006 – IV ZR 26/04, RuS 2006 454, 455 = VersR 2006, 1536. 25 BGH 12.12.2012 – XII ZR 6/12, VersR 2013 318 Rn. 33. 26 BGH 15.11.2011 – II ZR 304/09, VersR 2012 580 Rn. 12. 27 OLG Schleswig 19.3.2015 – 16 U 58/14, VersR 2016 1372. 28 BGH 13.9.2006 – IV ZR 273/05, RuS 2006 500, 503. 9

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

wählt,29 die der BGH in seinem Urteil vom 13.9.2006 aufgegriffen hat.30 Zudem ist der Dritte nicht geschützt, wenn der VN nicht vom VR, sondern von ihm Ersatz des eingetretenen Schadens verlangt.31 Hierzu ist der VN bei Bestehen einer Sonderverbindung (z. B. Mietverhältnis) wegen § 241 Abs. 2 BGB allerdings nur berechtigt, wenn besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine Inanspruchnahme des Dritten rechtfertigen. Liegen solche besonderen Umstände nicht vor, ist der VN verpflichtet, zunächst den VR in Anspruch zu nehmen.32 Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Vermieter, soweit er durch die Versicherung geschützt ist, im Regelfall kein vernünftiges Interesse daran, den Schadensausgleich durch den Mieter zu suchen, wenn dieser bereits durch die Zahlung der Prämie zur Deckung des Schadens beigetragen hat. Aus dieser Interessenlage folgt die mietvertragliche Pflicht des Vermieters, die Versicherung in Anspruch zu nehmen (oder auf Schadensersatz zu verzichten). Verletzt der Vermieter diese Pflicht, billigt der BGH dem Mieter seinerseits einen Schadensersatzanspruch zu, den er dem Schadensersatzanspruch des Vermieters wegen seiner Obhutspflichtverletzung gemäß § 242 BGB („dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“) entgegenhalten kann.33 In der Haftpflichtversicherung spielt der Regressverzicht bislang – soweit ersichtlich – keine Rolle, weil im Rahmen der Privathaftpflichtversicherung der nach § 86 Abs. 3 privilegierte Personenkreis (vgl. A1-2.1 AVB PHV/AVB BHV) und in der Betriebshaftpflichtversicherung die gesetzlichen Vertreter sowie alle Betriebsangehörigen (§ 102 Abs. 1) mitversichert sind. 15 Ohne Bedeutung ist, ob der Mieter oder sonstige Nutzungsberechtigte eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, die den Schaden an den zum Gebrauch überlassenen Sachen deckt.34 Entgegen der Ansicht von Langheid35 besteht in diesem Punkt kein Widerspruch zwischen der Rechtsprechung des für das Versicherungsvertragsrecht zuständigen IV. Zivilsenats und der Spruchpraxis des für das Haftungsrecht zuständigen VI. Zivilsenats,36 der einen Haftungsverzicht des Geschädigten gegen den Schädiger ablehnt, wenn der Schädiger haftpflichtversichert ist. Die Frage der Haftung des Mieters/Nutzers gegenüber dem VN in seiner Eigenschaft als Vermieter/Überlassender wird durch die Rechtsprechung des IV. Zivilsenats, die sich nur auf das Versicherungsverhältnis bezieht, gar nicht betroffen. Es bleibt dem VN unbelassen, den Mieter oder sonstigen Nutzungsberechtigten nach erfolgloser Inanspruchnahme seines Wohngebäude-VR auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen und in dem Haftpflichtverhältnis zwischen Vermieter/Überlassendem und Mieter/Nutzer stellt sich dann die Frage, welche Bedeutung eine Haftpflichtversicherung des Mieters oder sonstigen Nutzungsberechtigten für dessen Haftung hat (Rn. 72 ff.). Das Bestehen einer Haftpflichtversicherung ist nur insoweit von Bedeutung, als dem Gebäude-VR gegen den Haftpflicht-VR nach den Grundsätzen der Doppelversicherung i. S. v. § 78 Abs. 2 S. 1 (analog) ein Aus-

29 K. Sieg VersR 1976 105 f.; vgl. auch Breideneichen VersR 2005 501, 502 f. 30 BGH 13.9.2006 – IV ZR 273/05, RuS 2006 500, 503, vgl. auch BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, RuS 2015 70 Rn. 28; BGH 27.1.2010 – IV ZR 127/08, RuS 2010 154 Rn. 10; BGH 18.6.2008 – IV ZR 108/06, RuS 2008 379, 381. 31 Vgl. BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, RuS 2015 70 Rn. 30; BGH 21.1.2014 – VIII ZR 48/13, RuS 2014 501 Rn. 5; BGH 10.11.2006 – V ZR 62/06, NJW 2007 292 Rn. 7; BGH 3.11.2004 – VIII ZR 28/04, RuS 2005 64; Bruck/Möller/ H. Baumann/R. Koch § 1 Rn. 151; Bruck/Möller/Brand § 43 Rn. 18; Prölss/Martin/Klimke § 43 Rn. 20; Looschelders/ Pohlmann/R. Koch § 43 Rn. 22. 32 Vgl. BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, RuS 2015 70 Rn. 30; BGH 10.11.2006 – V ZR 62/06, VersR 2007, 411 Rn. 10; OLG Düsseldorf 27.11.2013 – 18 U 83/13, TranspR 2014 341; Bruck/Möller/Voit § 86 Rn. 93; Looschelders RuS 2015 582 f. 33 Vgl. BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, RuS 2015 70 Rn. 30; BGH 21.1.2014 – VIII ZR 48/13, RuS 2014 501 Rn. 5; BGH 10.11.2006 – V ZR 62/06, NJW 2007 292 Rn. 7; BGH 3.11.2004 – VIII ZR 28/04, RuS 2005 64. 34 BGH 27.1.2010 – IV ZR 129/09, BGHZ 184 148, 151 = RuS 2010 150; BGH 13.9.2006 – IV ZR 273/05, BGHZ 169 86, 89 f. = RuS 2006 500; vgl. auch BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, RuS 2015 70 Rn. 29; BGH 15.11.2011 – II ZR 304/09, NJW-RR 2012 280, 281 = VersR 2012 580. 35 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 15. 36 Vgl. BGH 26.4.2016 – VI ZR 467/15, RuS 2016 424 Rn. 13 (Gefälligkeitsverhältnis); BGH 10.2.2009 – VI ZR 28/08, RuS 2009 207 Rn. 13 ff. Koch

10

C. Abgrenzung zu anderen Versicherungszweigen

VVG Vor §§ 100–112

gleichsanspruch zusteht, wenn die Schäden in den Schutzbereich der Haftpflichtversicherung fallen.37

3. Ersatz von Rettungsaufwendungen Gem. § 83 Abs. 1 S. 1 hat der VN Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die er zur Abwendung 16 und Minderung des Schadens nach § 82 Abs. 1 tätigt. Aufwendungen lassen sich – wie Schäden – aufteilen in solche Nachteile, die auf der Aktivseite des Vermögens des VN eintreten, und solche, welche die Passivseite betreffen. Zu Nachteilen auf der Passivseite zählt auch die Belastung mit Haftpflichtansprüchen, die daraus resultieren, dass der VN bei seinen Rettungsbemühungen fremde Sachen beschädigt oder Dritte verletzt hat. Insoweit besteht für das Haftpflichtrisiko, das aus Rettungsmaßnahmen resultiert, Versicherungsschutz in der Sachversicherung, der grundsätzlich auch die Übernahme von Prozesskosten umfassen kann.38 Entsprechendes gilt nach § 90 für Schäden Dritter durch Rettungsmaßnahmen des VN, die dazu dienen, einen unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfall abzuwenden oder in seinen Auswirkungen zu mindern.

II. Rechtsschutzversicherung Die Rechtsschutzversicherung sorgt dafür, dass der VN seine rechtlichen Interessen wahrneh- 17 men kann (vgl. § 125). Wie die Haftpflichtversicherung ist sie Passivenversicherung. Der VR trägt nicht nur die Kosten des VN (Eigenschaden), die diesem aus der Beauftragung eines Rechtsanwalts und der Einleitung gerichtlicher Maßnahmen zur Geltendmachung von Haftpflichtschadensersatzansprüchen gegen Dritte oder im Rahmen der Anspruchsabwehr entstehen. Er übernimmt auch die als Fremdschäden zu qualifizierenden Kosten des Gegners, die diesem durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts und der Einleitung gerichtlicher Maßnahmen zur Geltendmachung vertraglicher Schadensersatzansprüche39 entstanden sind, soweit der VN unterliegt. Jedoch trägt der Rechtsschutz-VR nicht solche Kosten, zu deren Übernahme ein anderer verpflichtet wäre, wenn der Rechtsschutzversicherungsvertrag nicht bestünde (Subsidiaritätsabrede, vgl. § 5 Abs. 3g) ARB 2010/Ziff. 3.3.7 ARB 2019). Eine solche Verpflichtung ergibt sich für den Haftpflicht-VR bei einem neben dem Rechtsschutzversicherungsvertrag bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrag (vgl. § 101 Abs. 1 S. 1). Werden gegen den haftpflichtversicherten und gleichzeitig rechtsschutzversicherten VN Schadensersatzansprüche erhoben, die über das Erfüllungsinteresse hinausgehen, hat der Rechtsschutz-VR die Kosten der Abwehr dieser Ansprüche deshalb nur insoweit zu übernehmen, als nicht schon der Haftpflicht-VR eintrittspflichtig ist.40

III. Transportversicherung Schutz gegen die Inanspruchnahme wegen Fremdschäden bieten sowohl die Binnen- als auch 18 die Seetransportversicherung. Nach § 130 Abs. 2 S. 2 haftet der Binnenschiffs-VR für den Schaden, den der VN infolge eines Zusammenstoßes von Schiffen oder eines Schiffes mit festen oder schwimmenden Gegenständen dadurch erleidet, dass er den einem Dritten zugefügten Schaden

37 38 39 40 11

Vgl. BGH 27.1.2010 – IV ZR 129/09, RuS 2010 150 Rn. 12; BGH. 13 9.2006 –IV ZR 273/05, RuS 2006 500 Rn. 22. Bruck/Möller/R. Koch § 83 Rn. 27. Vgl. § 3 Abs. 2 a), § 5 Abs. 1 h) ARB 2010/Ziff. 2.3.3.3 ARB 2019; Bruck/Möller/Bruns Bd. 5 § 5 ARB Rn. 15. Vgl. Bruck/Möller/Bruns Bd. 5 § 5 ARB Rn. 276; Beckmann/Matusche-Beckmann/Obarowski § 37 Rn. 271. Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

zu ersetzen hat.41 Hierunter fallen auch Personenschäden.42 Der VR schuldet jedoch nicht die Übernahme von Prozesskosten, die der VN dem Geschädigten zu erstatten hat, soweit diese Kosten nicht als Beiträge zur großen Haverei nach § 130 Abs. 3 ersatzfähig sind.43 Wünscht der VR eine Entscheidung darüber, ob eine Ersatzpflicht des VN vorliegt, so muss der VN eine solche regelmäßig herbeiführen, selbstverständlich jedoch auf Kosten des VR.44 Darüber hinaus sehen Ziff. 4.2 AVB-Flusskasko 2008/2013 und Ziff. 65.5 DTV-ADS 2009 (für den Bereich der Seeversicherung) vor, dass die Leistungspflicht des VR nicht nur den Haftpflichtschaden, sondern auch die Prüfung der Haftpflichtfrage und die Abwehr unberechtigter Ansprüche umfasst. Kommt es zu einer Kollision mit einem (Schwester-)Schiff, das im Eigentum des VN steht, wird dieses Schiff in der Seeversicherung wie fremdes Eigentum behandelt (Ziff. 66 DTV-ADS 2009), sodass die Schäden am Schwesterschiff als Fremdschäden fingiert werden, für die Versicherungsschutz besteht.45 Demgegenüber gilt in der Binnenschiffsversicherung der (gegenteilige) Grundsatz, dass im Falle der Kollision zwischen Schiffen desselben VN jedes Schiff bzw. dessen VR seinen eigenen Schaden zu tragen hat (Ziff. 4.9 AVB-Flusskasko 2008/2013). 19 Die Verkehrshaftungsversicherung bietet Schutz gegen die Haftung als Frachtführer im Straßengüterverkehr, als Spediteur oder Lagerhalter aus Verkehrsverträgen (Fracht-, Speditionsund Lagerverträge) (vgl. DTV-VHV laufende Versicherung 2003/2011).46

IV. Vertrauensschadens- und Eigenschadensversicherung 1. Vertrauensschadensversicherung 20 Die Vertrauensschadensversicherung in Form der Personenkautionsversicherung ist als (reine) Versicherung für fremde Rechnung ausgestaltet. Der VR ersetzt dem Begünstigten (versicherte Person = Vertragspartner der Vertrauensperson) die Schäden an seinem Vermögen, die vom VN (= Vertrauensperson) vorsätzlich oder fahrlässig verursacht worden sind. Soweit der VR auf den Rückgriff gegen den VN verzichtet, wenn dieser fahrlässig gehandelt hat, wirkt die Versicherung wie eine Quasi-Haftpflichtversicherung für eigene Rechnung (weil der VN eine Versicherung für eigene Rechnung abschließen müsste, um denselben Erfolg zu erzielen).47 Bei der Vertrauensschadensversicherung in Form der Personalgarantieversicherung han21 delt es sich im Unterschied zur Personenkautionsversicherung nicht um eine Fremd-, sondern um eine Eigenversicherung, die dem VN (= Vertrauender) Deckung für alle durch unerlaubte Handlungen von Vertrauenspersonen (z. B. Betriebsangehörige, Subunternehmer) vorsätzlich verursachte Schäden bietet. Hierzu zählen auch Schäden Dritter, die durch Vertrauenspersonen verursacht worden sind, für die der VN haftet.48 Jedoch verzichtet der VR auf den Rückgriff gegen solche Vertrauenspersonen, die nur fahrlässig an der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung einer anderen Vertrauensperson mitgewirkt haben. Für nur fahrlässig handelnde 41 Fall der Versicherung von Adhäsionsinteressen vgl. K. Sieg, in: Farny/Helten/Koch/Schmidt 262; Bruck/Möller/ Möller8 Vor §§ 49–80 Anm. 42. 42 Bruck/Möller/Schwampe9 § 130 Rn. 73 ff.; Prölss/Martin/Voit § 130 Rn. 6. 43 Vgl. OLG Karlsruhe 27.6.1996 – 12 U 313/94, VersR 1997 737, 740. 44 OLG Karlsruhe 27.6.1996 – 12 U 313/94, VersR 1997 737, 739; vgl. auch RG 28.11.1896 – I 206/96, RGZ 38 55, 59 f. 45 Hierzu Bruck/Möller/Eichhorn Bd. 6/2 Ziff. 65 DTV-ADS 2009 Rn. 35 ff. 46 Zur umstr. Einordnung der Verkehrshaftungsversicherung als Sparte der Transportversicherung oder als Haftpflichtversicherung s. BGH 23.11.1988 – IVa ZR 143/87, VersR 1989 250 f.; Bruck/Möller/Abele Bd. 6/1 Einleitung DTVVHV 2003/2011 Rn. 3; Abele Verkehrshaftungsversicherung und laufende Versicherung nach § 210 VVG, TranspR 2009 60 ff.; Thume Haftungs- und Versicherungsfragen bei fehlerhafter Ablieferung des Frachtgutes und bei Vermischungsschäden, RuS 2006 89, 90; Beckmann/Matusche-Beckmann/Heiss/Trümper § 38 Rn. 346. 47 Zur Personenkautionsversicherung vgl. R. Koch Vertrauensschadenversicherung Rn. 404 ff.; Langheid/Wandt/ Grote Bd. 3 Kap 550. Rn. 12 ff. 48 R. Koch Vertrauensschadenversicherung Rn. 172 f.; Langheid/Wandt/Grote Bd. 3 Kap. 550 Rn. 17 ff. Koch

12

C. Abgrenzung zu anderen Versicherungszweigen

VVG Vor §§ 100–112

Vertrauenspersonen wirkt sich die Personalgarantieversicherung somit wie eine Quasi-Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung aus. Der Personalgarantie-VR schuldet jedoch keinen Ersatz der Rechtsverfolgungskosten des geschädigten Dritten, die der VN zu tragen hat, da Fremdschäden, die dem Dritten nur mittelbar durch die unerlaubte Handlung der Vertrauensperson entstehen, nicht ersetzt werden.49

2. Eigenschadensversicherung Die Eigenschadensversicherung von Gemeinden, Gemeindeverbänden und gemeindlichen 22 Einrichtungen (sog. HO-Versicherung) sowie für Sparkassen, Girokassen und Girozentralen bietet Schutz gegen Vermögensschäden durch fahrlässige und vorsätzliche Pflichtverletzungen (kommunaler) Bediensteter. Ebenso wie bei der Personalgarantieversicherung verzichtet der VR dort bei Vermögensschäden durch fahrlässige Pflichtverletzungen auf den Rückgriff gegen den Bediensteten, sodass sich die Eigenschadensversicherung ebenfalls als Quasi-Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung auswirkt.50

V. Unfallversicherung Die Unfallversicherung bietet Schutz gegen die Inanspruchnahme wegen Fremdschäden, soweit 23 die Entschädigung aus einer Unfallversicherung auf die Haftpflichtansprüche ohne Regressmöglichkeit des Unfallversicherers angerechnet wird. Dies ist der Fall, wenn die Unfallversicherung gegen Unfälle abgeschlossen wird, die einem anderen zustoßen. Dann gilt die Versicherung nach der Auslegungsregel des § 179 Abs. 1 S. 2 im Zweifel als für Rechnung des anderen genommen mit der bürgerlich-rechtlichen Folge, dass der Schädiger (= VN) vom Geschädigten (= Versicherter) die Anrechnung der Entschädigung aus der von ihm besorgten Unfallversicherung auf seine Haftpflichtschuld verlangen kann.51 Ein gesetzliches Beispiel einer Anrechnung von Leistungen der Unfallversicherung auf den Haftpflichtanspruch findet sich in § 40 Abs. 3 S. 3 AMG und § 20 Abs. 3 S. 3 MPG (so auch § 50 S. 3 LuftVG a. F.).52

VI. Krankheitskostenversicherung Die Krankheitskostenversicherung ersetzt dem VN nicht nur die Aufwendungen für die medizi- 24 nisch notwendige Heilbehandlung (§ 192 Abs. 1), sondern – soweit gesondert vereinbart – auch für die Abwehr unberechtigter Entgeltansprüche der Erbringer von (Heilbehandlungs-)Leistungen (§ 192 Abs. 3 Nr. 3). Der Krankheitskosten-VR übernimmt insofern die als Fremdschäden zu qualifizierenden Kosten des Leistungserbringers (vergleichbar einem Rechtsschutz-VR) sowie den Ersatz von Verzugsschäden des Leistungserbringers, soweit diese Ansprüche sich als berechtigt herausstellen.

49 Vgl. R. Koch Vertrauensschadenversicherung Rn. 176 ff; v. Arnim, D&O-Versicherung und öffentliche Hand (2018), 124 f. 50 Vgl. R. Koch Vertrauensschadenversicherung Rn. 176 ff.; v. Arnim D&O-Versicherung und öffentliche Hand (2018), 120 ff. 51 Vgl. BGH 13.1.1981 – VI ZR 180/79, BGHZ 80 8, 11 = NJW 1981 1613, 1614; BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 260, 266 = NJW 1975 1273, 1275; Bruck/Möller/Leverenz9 § 179 Rn. 185. 52 Vgl. ÖOGH 28.11.2005 – 7 Ob 266/05 a, VersR 2006 1567; bei einer Probandenversicherung handelt es sich um eine besondere Art der Unfallversicherung für fremde Rechnung (des Probanden). 13

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

VII. Rückversicherung 25 Rückversicherung ist die Versicherung der vom Erst-VR übernommenen Gefahr (vgl. § 779 Abs. 1 HGB a. F.) und bietet dem Erst-VR somit Schutz gegen eine Belastung seines Vermögens mit einer Leistungsverpflichtung gegenüber seinem VN (oder versicherten Personen) oder anspruchsberechtigten Dritten (z. B. in der obligatorischen Haftpflichtversicherung).53

D. Geschichte und Entwicklung der Haftpflichtversicherung 26 Die Anfänge der modernen Haftpflichtversicherung sind eng mit der einsetzenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert verknüpft. Neue Haftungstatbestände zum Schutz von Arbeitnehmern vor Betriebsgefahren schufen für die Unternehmer ein Bedürfnis nach Versicherungsschutz, der bald auch Angehörigen anderer Personengruppen (Freiberufler, Grund- und Hausbesitzer, Pferde- und Wagenbesitzer etc.) angeboten wurde und nicht mehr nur Schutz gegen deliktische, sondern auch vertragliche Ansprüche bot.

I. Vorläufer 27 Risikogemeinschaften, die auch eine Abdeckung von Fremdschäden bezweckten, gab es jedoch schon in der Antike. Im griechischen und römischen Rechtskreis bestanden in der Seeschifffahrt Gemeinschaften, die ihren Mitgliedern Beistand leisteten, falls gegen sie bestimmte Forderungen z. B. von Piraten für den Freikauf von Schiff, Ladung und/oder Gefangenen erhoben wurden.54 Das germanische Recht kannte u. a. die Haftung der Sippengemeinschaft für das „Wergeld“ oder die Buße, die ein der Sippe Angehörender der Sippe des Verletzten schuldete. Rechtsschutz wurde durch Beistand vor Gericht in Form der Eideshilfe geleistet. Später traten an die Stelle der Geschlechtsgenossenschaft die auf freien Vertrag beruhenden Genossenschaften, bei denen ein Beitrag zur Buße nur noch bei Armut des Genossen, Rechtsschutz dagegen in ausgeprägterer Form gewährt wurde.55 Die mittelalterlichen Seeversicherungen, die in den Statuten verschiedener Mittelmeerstädte niedergelegt waren, sahen ebenso wie neuzeitliche Rechtsquellen des niederländischen Rechtskreises bis hin zur Hamburgischen Assecuranz- und Haverei-Ordnung von 1731 (Titel V Art. 1) eine Deckung von Fremdschäden als Beiträge zur großen Haverei vor.56 Daneben wurde vereinzelt Deckung für mittelbare Kollisionsschäden gewährt.57

II. Entwicklung bis zum Inkrafttreten des VVG a. F. 28 Zu einem selbstständigen Versicherungszweig entwickelte sich die Haftpflichtversicherung erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in Frankreich Deckungen, die Schutz gegen (Eigen-) Schäden an Pferd und Wagen und Fremdschäden durch Pferd und Wagen boten.58 In Deutschland werden die Anfänge der selbstständigen Haftpflichtversicherung mit der Hamburgischen Pflichtversicherung von 1837 für Aus53 54 55 56 57

Bruck/Möller/Echarti/Labes § 209 Rn. 32; K. Sieg Ausstrahlungen 37. K. Sieg Ausstrahlungen 17–20; Späte Vorbem. Rn. 6. Ausführlich K. Sieg Ausstrahlungen 20–29. K. Sieg Ausstrahlungen 30–34. Vgl. Hamburgische Assecuranz- und Haverey-Ordnung von 1731, Titel VIII Art. 1–4, zitiert nach K. Sieg Ausstrahlungen 35 f. 58 K. Sieg Ausstrahlungen 45. Koch

14

D. Geschichte und Entwicklung der Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

wanderer-Expedienten in Verbindung gebracht. Diesen wurde zur Auflage gemacht, eine Versicherung für durch Beköstigung, Unterbringung und Weiterbeförderung der Auswanderer im Falle der Reiseunterbrechung entstehende Aufwendungen zu nehmen. Damit sollten Regressansprüche der Behörde des Verschiffungsortes sichergestellt werden, sofern dieser Aufwendungen hinsichtlich der Auswanderer entstanden.59 In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden in Belgien und Frankreich Gesellschaf- 29 ten, die Kollektiv-Unfallversicherungen für Arbeitnehmer betrieben. VN war der Unternehmer, der die Versicherung der Arbeitnehmer gegen haftpflichtige und nichthaftpflichtige Unfälle einging.60 In Deutschland wurden im Anschluss an das Reichshaftpflichtgesetz (RHG) vom 7.6.1871, das – wie noch heute in § 40 Abs. 3 S. 3 AMG und § 20 Abs. 3 S. 3 MPG statuiert – unter gewissen Voraussetzungen die Anrechnung von Leistungen aus einer Unfallversicherung auf die Haftpflichtschuld vorsah (§ 4 RHG), Versicherungskonzepte entwickelt, die eine Kombination von (Kollektiv-)Unfall- und Haftpflichtversicherung beinhalteten.61 Diese Konzepte waren auf die Vorschriften des RHG zugeschnitten und sahen ein Entfallen des Versicherungsschutzes vor, wenn den VN grobes Verschulden traf.62 Aufgrund dieser Verbindung wurde in der Haftpflichtversicherung jedoch nur (eingeschränkt) Versicherungsschutz gegen Fremdschäden aus Unfällen von Arbeitnehmern (also den gleichzeitig Unfallversicherten) gewährt. Die Prämienbemessung folgte dem System der Gefahrenklassen der Unfallversicherung.63 Zu einer Trennung von Haftpflicht- und Unfallversicherung kam es mit der Einführung der 30 gesetzlichen Unfallversicherung durch das Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884.64 Durch die Leistungen der sozialen Unfallversicherung wurde dem Unternehmer die Haftung gegenüber dem Arbeitnehmer abgenommen (Haftungsersetzung durch (Unfall-)Versicherung) und damit eine Anrechnung der Unfallversicherungsleistungen auf die Haftpflichtschuld obsolet. Die Haftpflichtversicherung büßte durch das bis heute geltende Haftungsausschlussprivileg des Unternehmers (§ 104 SGB VII) den größten Teil ihres damaligen Anwendungsbereichs ein. Diese Entwicklung hatte jedoch nicht das Ende der Haftpflichtversicherung zur Folge, sondern war im Gegenteil die Keimzelle für ihre Ausdehnung.65 Die sog. Haftpflichtreste, die das RHG den Unternehmen weiterhin auferlegte, wurden in Deckung gegeben. In der Haftpflichtversicherung waren fortan Ansprüche aus Personenschäden schlechthin und seit 1890 Ansprüche aus Sachschäden versicherbar. Es kam zur Ausbildung verschiedener Sparten innerhalb dieses Versicherungszweiges.66 Im Jahre 1886 wurde die Haftpflichtversicherung der Kleingewerbetreibenden sowie der 31 Grund- und Hausbesitzer eingeführt, 1887 folgte die Haftpflichtversicherung für Ärzte und Apotheker, 1888 für Gastwirte, 1890 für Landwirte, 1891 für Pferde- und Wagenbesitzer, 1894 für Radfahrer, Jäger und Schützen, 1895 für Beamte.67 Im Zuge der Einführung von Berufshaftpflichtversicherungen wurden seit 1896 auch reine Vermögensschäden versicherbar und gesetzliche Haftpflichtansprüche aus Verträgen in den Versicherungsschutz einbezogen.68 Die Haftpflichtversicherung fand in kürzester Zeit erhebliche Verbreitung und als Konsequenz Eingang in das VVG a. F.

59 K. Sieg Ausstrahlungen 45 f.; Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst Einführung vor § 100 Rn. 2. 60 K. Sieg Ausstrahlungen 42. 61 Schon kurz vor Erlass des RHG wurde in Deutschland eine industrielle Haftpflichtversicherung angeboten, vgl. K. Sieg Ausstrahlungen 41 f. 62 V. Bar AcP 181 (1981) 289, 299 f. 63 K. Sieg, in: Farny/Helten/Koch/Schmidt 263. 64 RGBl. 1884 S. 69; ausführlich Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 9 ff. 65 V. Bar AcP 181 (1981) 289, 300 f.; Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 16 ff. 66 K. Sieg Ausstrahlungen 42–45. 67 Späte Vorbem Rn. 10; v. Bar AcP 181 (1981) 289, 301. 68 K. Sieg Ausstrahlungen 52 f. 15

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

III. Entwicklung zum Instrument des Drittschutzes 32 Während die wirtschaftliche Bedeutung der Haftpflichtversicherung unverändert geblieben ist, hat sich in rechtlicher Hinsicht seit ihrer Einführung ein Funktionswandel von einer Versicherung des Schädigers hin zu einer auch den Geschädigten schützenden Versicherung vollzogen.69 In der ersten Phase, d. h. nach der Emanzipation von der Unfallversicherung und vor Inkrafttreten des VVG a. F., galt sie allein dem Schutz des VN. Diese Schutzrichtung fand ihren Ausdruck vor allem darin, dass die Abwehr von erhobenen Schadensersatzansprüchen im Vordergrund stand und die Feststellung der Haftpflichtforderung durch Urteil Voraussetzung für die Entschädigungspflicht des VR war.70 Durch die Haftpflichtversicherung wurde die Stellung des Geschädigten also geradezu verschlechtert.71 33 In der zweiten Phase, die mit Inkrafttreten des VVG a. F. begann, wurde die Rechtsstellung des Geschädigten gestärkt, indem ihm die Realisierung seines Anspruchs in der Insolvenz des VN durch Einräumung eines Absonderungsrechts garantiert wurde (sozialer Gehalt der Haftpflichtversicherung) (§ 157 a. F.), später durch das Gesetz über die Einführung einer Pflichtversicherung für Kfz und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kfz sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 7.11.193972 die freie Verfügbarkeit des VN über seinen Verfügungsanspruch zugunsten des Geschädigten eingeschränkt wurde (§ 156 Abs. 1 a. F.) und der VR, wenn für mehrere Dritte die Versicherungssumme nicht ausreichte, ein Verteilungsverfahren durchzuführen hatte (§ 156 Abs. 3 a. F.). Bereits vor Inkrafttreten dieses Gesetzes hatte das RG in rechtsschöpferischer Weise zum Schutz des geschädigten Dritten beigetragen, in dem es die Haftpflichtversicherungsforderung als Befreiungsanspruch konstruiert hatte73 mit der Folge, dass weitere Gläubiger des Schädigers nicht zwangsweise auf diese Forderung zugreifen konnten (und ihnen dieser Anspruch auch nicht abgetreten werden konnte). 34 Die den vorläufigen Abschluss der Entwicklung markierende dritte Phase ist durch eine starke Ausdehnung der obligatorischen Haftpflichtversicherung gekennzeichnet. Eine „alternative“74 und insoweit abgemilderte Form der Versicherungspflicht findet sich in § 29 LuftVG vom 1.8.1922.75 Danach musste der Halter eines Luftfahrzeuges vor der Zulassung bzw. der Unternehmer eines Flughafens, eines Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen Flugveranstaltung vor Erteilung der Genehmigung nachweisen, dass er „in einer ihm bekannt zu gebenden Höhe eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen oder […] Sicherheit geleistet hat“. Eine echte Versicherungspflicht enthielt dagegen § 23 Nr. 7 RJagdG vom 4.7.1934,76 wonach der Jagdschein Personen versagt werden musste, „die keine ausreichende Jagdhaftpflichtversicherung nachweisen“. Der Schutz des Dritten in der obligatorischen Haftpflichtversicherung wurde durch das bereits zuvor erwähnte Gesetz vom 7.11.193977 noch erheblich verstärkt, indem es den VR über den Anwendungsbereich der obligatorischen Kfz-Haftpflichtversicherung hinaus in Ansehung des Dritten sogar dann haften ließ, wenn er seinem VN gegenüber von der Verpflichtung zur Leistung z. B. wegen Obliegenheitsverletzungen oder Prämienrückstand frei war (§ 158c Abs. 1 und Abs. 2 a. F.), und die Aufrechnungsmöglichkeit erweiterte, die § 35b a. F. zugunsten des Haftpflicht-VR vorsah (§ 158g a. F.). Hiermit stand der Schutz des Geschädigten

69 Vgl. BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, BGHZ 76 279, 286 f. = NJW 1980 1623, 1625; Makowsky 118 ff. 70 Vgl. RG 22.1.1880 – I 870/80, RGZ 3 21, 25: „einen erzwingbaren Anspruch hat der Versicherungsnehmer nur unter der Voraussetzung, dass er dem Verunglückten gegenüber verurteilt ist, und in Höhe dieses Urteils“. 71 K. Sieg, in: Farny/Helten/Koch/Schmidt 22 f.; vgl. auch v. Bar AcP 181 (1981) 289, 305 f. 72 RGBl. I S. 2223. 73 Vgl. RG 5.2.1909 – VII 186/08, RGZ 70 257, 260 f. und ständig. 74 Zu diesem Begriff s. Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 2. 75 RGBl. I S. 681, 686. 76 RGBl. I S. 459, 555. 77 RGBl. I S. 2223. Koch

16

D. Geschichte und Entwicklung der Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

im Vordergrund. Ihm sollte das Risiko genommen werden, seine Ersatzansprüche mangels Solvenz des Schädigers nicht realisieren zu können. Eine herausgehobene Stellung wurde dem Geschädigten in der Kfz-Haftpflichtversicherung 35 durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kfz-Halter vom 5.4.196578 eingeräumt. Nach § 3 PflVG a. F. hat der Geschädigte einen Direktanspruch („action directe“) gegen den VR. Damit tritt der Geschädigte nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich weitgehend an die Stelle des versicherten Schädigers (VN).79 Der Reformgesetzgeber hat den Direktanspruch des Geschädigten in der obligatorischen Haftpflichtversicherung über den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1) hinaus auf die Fälle ausgedehnt, in denen das Insolvenzverfahren über das Vermögen des VN eröffnet ist (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Alt. 1), die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Alt. 1), ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Alt. 2) oder der Aufenthalt des VN unbekannt ist (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 3). Der VR kann dem Geschädigten zudem nach § 114 Abs. 2 S. 2 nicht mehr die Vereinbarung eines Selbstbehalts mit dem VN entgegenhalten. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Rechtsstellung des Geschädigten in der freiwilli- 36 gen Haftpflichtversicherung gestärkt. Nach § 108 Abs. 2 ist es dem VR nicht mehr gestattet, dem VN die Abtretung des Freistellungsanspruchs gegen den VR an den Geschädigten formularmäßig zu untersagen. Der VN kann seinen Freistellungsanspruch gegen den VR somit an den geschädigten Dritten abtreten und diesen dadurch in die Lage versetzen, den VR direkt in Anspruch zu nehmen. Dem VR bleiben die Einwendungen aus dem Versicherungsverhältnis erhalten (vgl. § 108 Rn. 41 f.). Nach § 105 ist es dem VR auch nicht mehr erlaubt, Leistungsfreiheit für den Fall vorzusehen, dass der VN den Geschädigten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt.

IV. Tendenzen der Rechtsentwicklung 1. Ansteigen der Zahl obligatorischer Haftpflichtversicherungen In der Tendenz dürfte die Zahl obligatorischer Haftpflichtversicherungen vor allem zur 37 Absicherung von Haftpflichtrisiken aus gewerblicher und selbstständig beruflicher Tätigkeit als Reaktion auf die Verschärfung bestehender und die Einführung neuer Haftungstatbestände weiter zunehmen. Es ist somit eine weitere Kollektivierung von Haftpflichtschäden zu erwarten.80 Dies gilt insbesondere für die Gefahren, die vom Einsatz autonomer Systeme (z. B. Kfz, Roboter) ausgehen. Der Weg der Gefährdungshaftung gekoppelt mit einer obligatorischen Halterhaftpflichtversicherung und einem Direktanspruch des Geschädigten ist in der Kfz-Haftpflichtversicherung durch das Unionsrecht, VVG, PflVG und die KfzPflVV vorgeben. Er könnte grundsätzlich auch als Modell für die Haftpflichtversicherung von Risiken aus der Nutzung autonomer Systeme dienen, die eine ähnliche Gefahrintensität und ein ähnliches Schadenspotential haben wie Kfz. Bei einer Kopplung der obligatorischen Halterhaftpflichtversicherung und einem Direktanspruch des Geschädigten wird dieser den Haftpflicht-VR des Halters des Systems in Anspruch nehmen. Für den Geschädigten hat diese Kopplung den Vorteil eines „One-Stop-Shop“, an den er sich mit seinem Entschädigungsbegehren wenden kann.81 Der obligatorische Haftpflicht-VR des Halters nimmt dabei die Rolle einer „Clearingstelle“ zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller des autonomen Systems bzw. dessen 78 BGBl. 1965 I 213. 79 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 50. 80 Vgl. auch Einschätzung von Langheid/Wandt/Brandt Vorbemerkung zu §§ 113–124 Rn. 16; Berliner Kommentar/ Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 70 ff.

81 Wagner VersR 2020 717, 731; ders. Roboter als Haftungssubjekte in Faust/Schäfer (Hrsg.), Zivilrechtliche und rechtsökonomische Probleme des Internet und der künstlichen Intelligenz (2019), 28. 17

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

Haftpflicht-VR ein.82 Da Letzterer über eine Betriebshaftpflichtversicherung verfügt, vollzieht sich der Ausgleich im Ergebnis zwischen dem Haftpflicht-VR des Halters und dem Betriebshaftpflicht-VR des Systemherstellers.

2. Einführung eines Direktanspruchs des geschädigten Dritten 38 Mit einer Ausdehnung des Direktanspruchs in der freiwilligen Haftpflichtversicherung ist angesichts der Tatsache, dass der Regierungsentwurf noch die Einräumung eines Direktanspruchs für alle obligatorischen Haftpflichtversicherungen ohne die Beschränkungen des § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 vorsah,83 auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Damit bleibt die Regelung hinter der Rechtsentwicklung in Europa zurück. Nach einer von Basedow/Fock durchgeführten Studie ist der Direktanspruch des Geschädigten, soweit die Haftpflichtversicherung obligatorisch ist, die Regel (nicht nur) in den Mitgliedstaaten der EU.84 Teilweise wird dem Geschädigten auch in der freiwilligen Haftpflichtversicherung ein Di39 rektanspruch gegen den VR eingeräumt. So gibt die am 1.1.2022 in Kraft tretende Teilrevision des schweizerischen Versicherungsvertragsgesetzes dem geschädigten Dritten ein direktes Forderungsrecht gegen den VR (Art. 60 Abs. 1bis schwVVG).85 Teilweise finden sich Beschränkungen, die daran anknüpfen, ob der Geschädigte einen Personen-, Sach- oder Vermögensschaden erlitten hat. So besteht im niederländischen Versicherungsvertragsrecht die Möglichkeit des direkten Vorgehens nur bei Personenschäden.86 Art. 15:101 PEICL sieht einen Direktanspruch u. a. vor, wenn der VN zahlungsunfähig ist, der VN liquidiert oder aufgelöst wurde oder das Opfer einen Personenschaden erlitten hat.87 Die Schutzwürdigkeit des Geschädigten wird somit zum Teil in Abhängigkeit von der Art des erlittenen Schadens unterschiedlich bewertet. Im Unterschied zur obligatorischen Haftpflichtversicherung schlagen in der freiwilligen Haftpflichtversicherung Einwendungen, die vor Eintritt des Schadens entstanden sind und an das Verhalten des VN anknüpfen, auf den Direktanspruch des Geschädigten durch. Der Anspruch des Geschädigten reicht insoweit nicht weiter, als der Schädiger selbst aufgrund seines Vertrages Versicherungsschutz genießt (z. B. Belgien,88 Frankreich,89 Luxemburg,90 Spanien,91 Schweiz92). Insoweit unterscheidet sich die dortige Rechtsstel-

82 Zur Clearingfunktion der Kfz-Haftpflichtversicherung s. Christoph RAW 2018, 103, 108; Gless/Janal JR 2016 561, 571; vgl. auch Wagner AcP 217 (2017) 707, 759 f. und die Begründung des 8. Gesetzes zur Änderung des StVG, mit dem der Gesetzgeber die Grundlagen für das automatisierte Fahren schaffen will, BT-Drucks. 18/11300, 14. 83 BTDrucks. 16/3945 S. 50, 88. 84 Basedow/Fock (Hrsg.) Europäisches Versicherungsvertragsrecht Bd. I (2002), Bd. II (2002), Bd. III (2003). 85 BBl 2020 5661; krit. Heiss Was lange währt, wird endlich klein: die Revision des Versicherungsvertragsrechts in der Schweiz, in: Brömmelmeyer/Ebers/Sauer (Hrsg.) Innovatives Denken zwischen Recht und Markt, FS Schwintowski (2017), 79, 85 ff. 86 Art. 7.17.2.9c nieuw burgerlijk wetboek. 87 Übersetzung der PEICL ins Deutsche im Internet abrufbar unter https://www.uibk.ac.at/zivilrecht/forschung/ evip/restatement/sprachfassungen/peicl-de.pdf. 88 Basedow/Fock/Fock Bd. I 282 f. 89 Basedow/Fock/Völcker Bd. I 540 f. 90 Basedow/Fock/Völcker Bd. I 807 f. 91 Basedow/Fock/Schlenker Bd. II 1350 ff. 92 Vgl. Art. 60 Abs. 1bis schwVVG: „Dem geschädigten Dritten oder dessen Rechtsnachfolger steht im Rahmen einer allfällig bestehenden Versicherungsdeckung und unter Vorbehalt der Einwendungen und Einreden, die ihm das Versicherungsunternehmen aufgrund des Gesetzes oder des Vertrags entgegenhalten kann, ein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Versicherungsunternehmen zu.“. Koch

18

E. Wirtschaftliche Bedeutung der Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

lung des Geschä-digten nicht von der eines Zessionars des Freistellungsanspruchs aus § 100, und die Unterschiede zur aktuellen Rechtslage in Deutschland beschränken sich darauf, dass es hier einer Abtretungsvereinbarung bedarf.

E. Wirtschaftliche Bedeutung der Haftpflichtversicherung Nach den Angaben des GDV haben die VR im Jahre 2020 in der allgemeinen Haftpflichtversiche- 40 rung (ohne Kfz-Haftpflichtversicherung) Prämien in Höhe von EUR 8,14 Milliarden für 47,5 Mio. Versicherungsverträge eingenommen und Schadenszahlungen in Höhe von EUR 5,277 Milliarden – verteilt auf 2.171.000 Versicherungsfälle – geleistet.93 Es wäre verfehlt, die volkswirtschaftliche Bedeutung der Haftpflichtversicherung nur an solch nackten Zahlen zu Prämieneinnahmen und Schadenszahlungen zu messen. Die Einführung der Betriebshaftpflichtversicherung hat den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt begleitet und gefördert, wenn nicht gar erst möglich gemacht. Die Feststellung Sinns, „[o]hne ein funktionierendes Versicherungswesen oder ähnliche Risikokonsolidierungsmechanismen könnte die moderne Industriegesellschaft nicht existieren“,94 ist daher nicht übertrieben und gilt insbesondere für die Betriebshaftpflichtversicherung. Betrieblicher Haftpflichtversicherungsschutz dient vor allem der Erhöhung der Wagnis-, 41 Investitions- und Transaktionsbereitschaft.95 Die unternehmerische Tätigkeit wäre wegen des ihr immanenten und angesichts des regulatorischen Umfelds ständig zunehmenden Risikos einer Schadensersatzhaftung ohne die Möglichkeit, sich hiergegen abzusichern, stark eingeschränkt und würde in besonders haftungsträchtigen Bereichen/Branchen praktisch zum Erliegen kommen. Ohne Produkthaftpflichtversicherung würde so manche Innovation unterbleiben und so mancher Produktionszweig stillgelegt.96 Betroffen wäre jedoch nicht nur der industrielle und gewerbliche, sondern auch der freiberufliche Bereich, wie die Diskussion um den Prämienanstieg zur Berufshaftpflichtversicherung ärztlicher und nichtärztlicher Gesundheitsberufe gezeigt hat.97 Bei der Versicherung privater Haftpflichtrisiken steht die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Sicherheit im Vordergrund.98 Nicht nur die obligatorische, sondern auch die freiwillige Haftpflichtversicherung trägt ganz 42 erheblich zur Entlastung der Sozialversicherungssysteme bei. Ohne Haftpflichtversicherung trügen auf Seiten des Geschädigten die Sozialversicherungsträger wie z. B. die gesetzliche Kranken- und Unfallversicherung das Insolvenzrisiko des Schädigers (Regressausfall).99 Beim Schädiger wird ein womöglich existenzbedrohender Kapitalabfluss verhindert, der bei Unternehmen zu Entlassungen führen und damit die Arbeitslosenversicherung und ggf. die Agenturen für Arbeit belasten würde. In dieser Hinsicht kommt der Haftpflichtversicherung einzelwirtschaftliche Bedeutung zu. Aufgrund der sozialen Bedeutung der Haftpflichtversicherung erkennt der Gesetzgeber die Beiträge als Vorsorgeaufwendungen im Rahmen des Sonderausgabenabzuges nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG an.

93 94 95 96 97

Vgl. GDV (Hrsg.), Statistisches Taschenbuch der Versicherungswirtschaft (2021), abrufbar unter www.gdv.de. Sinn ZVersWiss 1988 1, 19. Vgl. Bruck/Möller/H. Baumann/R. Koch § 1 Rn. 7 m. w. N. Sinn ZVersWiss 1988 1, 19. RDG 2001 111: „Steigende Berufshaftpflichtprämien: Regierung sieht keine Gefahr“; RDG 2010 165: „Explodierende Haftpflichtprämien: Hebammen bekommen Hilfe“. 98 Nach den Angaben des GDV, der eine Sonderauswertung der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2018 des Statistischen Bundesamts durchgeführt hat, besitzen 83 % aller Haushalte in Deutschland eine Privathaftpflichtversicherung (https://www.gdv.de/de/themen/news/versicherungsschutz-versicherungsdichte-ueberversicherung-49418). 99 Vgl. Langheid/Wandt/Schradin Bd. 3 Kap. 140 Rn. 1. 19

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

F. Rechtsquellen zur Haftpflichtversicherung I. Öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlagen 1. VAG 43 Zum Betrieb der Haftpflichtversicherung bedarf es der Erlaubnis durch die Aufsichtsbehörde (§ 8 Abs. 1 VAG). Die Erlaubnis darf grundsätzlich nur AG, VVaG sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts erteilt werden (§ 8 Abs. 2 VAG). Insoweit bestehen in der Haftpflichtversicherung keine Besonderheiten. § 3 Nr. 4 VAG erweitert für den Bereich der Haftpflichtversicherung jedoch den Kreis der nach § 8 Abs. 2 VAG vorgesehenen Unternehmensformen um den „Kommunalen Schadensausgleich“. Bei diesem handelt es sich um einen „nicht rechtsfähigen Zusammenschluss von Gemeinden und Gemeindeverbänden“ zu dem Zweck, durch Umlegung Schäden, u. a. „für welche die Mitglieder oder ihre Bediensteten auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen von Dritten verantwortlich gemacht werden“ (§ 3 Nr. 4 lit. a) VAG), oder aus der „Haltung von Kraftfahrzeugen“ auszugleichen (§ 3 Nr. 4 lit. b) VAG).100 Darüber hinaus können landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften eine Versicherung gegen Haftpflicht für die Unternehmer und die ihnen in der Haftpflicht Gleichstehenden betreiben (§ 1 Abs. 4 VAG i. V. m. § 140 Abs. 1 SGB VII). Bei den kommunalen Schadensausgleichen handelt es sich um nicht rechtsfähige Vereine, die keiner Aufsicht unterliegen. Die Berufsgenossenschaften sind öffentlich-rechtliche Anstalten mit Fachaufsicht durch die BaFin, sofern sie über den Bereich eines Landes hinaus tätig sind (§ 320 Abs. 3 VAG). 44 Die Anlage 1 zum VAG unterscheidet zwischen der Haftpflicht für Landfahrzeuge mit eigenem Antrieb (Nr. 10), der Luftfahrzeughaftpflicht (Nr. 11), der See-, Binnensee- und Flussschifffahrtshaftpflicht (Nr. 12) und der allgemeinen Haftpflicht für alle sonstigen Haftpflichtfälle (Nr. 13). Die Einteilung ist von Bedeutung für die Angaben über die zu betreibenden Versicherungssparten und -risiken (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 VAG) sowie die Bestimmung von Großrisiken i. S. v. § 210 Abs. 2. 45 Mittelbar von Bedeutung für den Betrieb der Haftpflichtversicherung ist § 164 Abs. 1 und Abs. 2 VAG. Danach muss ein VR, der die Rechtsschutzversicherung zusammen mit anderen Versicherungssparten anbietet, zum Zwecke der Vermeidung von Interessenkollisionen die Leistungsbearbeitung in der Rechtsschutzversicherung einem Schadensabwicklungsunternehmen übertragen, das in einer der in § 8 Abs. 2 VAG für den Betrieb von Versicherungsgeschäften genannten Rechtsform oder der Rechtsform einer sonstigen Kapitalgesellschaft ausgeübt wird. Eine solche Interessenkollision kommt in Betracht, weil – wie Lars anschaulich beschreibt – ein Dritter „Freund“ (d. h. rechtsschutzversicherter VN, dem der VR helfen will) und „Feind“ (d. h. Geschädigter, dessen Schadensersatzansprüche der gleiche VR nach Kräften abwehren will) zugleich sein kann.101 Des Weiteren schließen gem. § 8 Abs. 4 VAG die Erlaubnis zum Betrieb der Lebensversicherung sowie der Krankenversicherung und die Erlaubnis zum Betrieb der Haftpflichtversicherung einander aus. Für die Berechnung der Deckungsrückstellung von Renten in der Haftpflichtversicherung ist gem. § 142 VAG ein Verantwortlicher Aktuar zu bestellen, der die korrekte Ermittlung dieser Rückstellung sicherstellt.

2. Sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften 46 Zahlreiche Bundes- und Landesgesetze ordnen eine Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung an (obligatorische Haftpflichtversicherung), wobei teilweise die Alternative besteht, anstelle einer Versicherung eine sonstige finanzielle Sicherheit, wie etwa die Bürg100 Vgl. auch OLG Köln 21.10.2008 – 9 U 59/08, NJOZ 2009 2054 f.; BFH 8.12.2010 – II R 12/08, DStRE 2011 573 f. 101 Lars VAG 4. Aufl. (2017) § 164 Rn. 1. Koch

20

F. Rechtsquellen zur Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

schaft einer Bank bereitzustellen und aufrechtzuerhalten (vgl. § 3 ÖlSG).102 Die Zulassung zum Betrieb oder zur Tätigkeit hängt ab von dem Nachweis des Versicherungsschutzes.

II. Privatrechtliche Rechtsgrundlagen 1. Gesetzliche Grundlagen a) VVG. Primäre Rechtsquelle der (freiwilligen) Haftpflichtversicherung sind die Sonderregelun- 47 gen der §§ 100–112 und darüber hinaus die §§ 113–124 für die obligatorische Haftpflichtversicherung. Daneben kommen zur Anwendung die allgemeinen Regelungen zur Schadensversicherung (§§ 74 bis 87), soweit sie nicht an den Versicherungswert anknüpfen (Rn. 7), und die für alle Versicherungszweige geltenden Vorschriften (§§ 1–73), sofern sich aus §§ 100 bis 112 nichts anderes ergibt. § 102 Abs. 1 S. 2 begründet eine gesetzliche Vermutung dafür, dass eine Betriebshaftpflichtversicherung als Versicherung für fremde Rechnung i. S. d. §§ 43 ff. ausgestaltet ist.103 § 103 (Leistungsbefreiung des VR bei vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens durch den VN) geht § 81 vor. § 104 präzisiert die in § 30 Abs. 1 normierte Anzeigeobliegenheit. Die Fälligkeitsregelung des § 106 verdrängt § 14 Abs. 1. Das Recht des VR gem. § 35 zur Aufrechnung einer fälligen Prämienforderung ist gegenüber dem Geschädigten, in dessen Hand sich der Freistellungsanspruch des VN in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat, wegen § 108 Abs. 1 nur mit Prämien möglich, die bereits zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles fällig waren (§ 108 Rn. 21).104

b) HGB. Handelsrechtliche Normen sind grundsätzlich neben den VVG-Vorschriften anwend- 48 bar, soweit es sich bei dem Abschluss des Haftpflichtversicherungsvertrages für den oder die hieran Beteiligten um ein Handelsgeschäft (§ 343 HGB) handelt105 oder der Vertrag durch einen Versicherungsvertreter (vgl. § 92 HGB) vermittelt worden ist. c) BGB. Bei einem Versicherungsvertrag handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag, auf 49 den die allgemeinen Regelungen des Bürgerlichen Rechts anwendbar sind, soweit keine versicherungsvertragsrechtlichen oder handelsrechtlichen Spezialregelungen eingreifen. Besonders bedeutsam sind die Regelungen über Rechtsgeschäfte (§§ 104 ff. BGB), zur Verjährung (§§ 195 ff. BGB) und zum AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB). d) AGG. Die Regelungen zum zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot (§§ 19 bis 22 AGG) sind 50 grundsätzlich auch für Haftpflichtversicherungsverträge von Bedeutung. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG ist eine Benachteiligung bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben, unzulässig, wenn sie aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität erfolgt. In der freiwilligen Haftpflichtversicherung kommt diesen Diskriminierungsmerkmalen bei der Einschätzung des Risikos keine 102 Nachweise für gesetzliche Versicherungspflichten bei Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 188 ff. und Anh Vor §§ 113-124. 103 Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 43 Rn. 29. 104 Vgl. BGH 8.4.1987 – IV a ZR 12/86, RuS 1987 219 f. = VersR 1987 655 zu § 156 VVG a. F. 105 Vgl. BGH 6.5.1975 – VI ZR 120/74, NJW 1975 1358 (zur Geltung der Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens); OLG Köln 13.11.2007 – 9 U 204/06, RuS 2008 239, 240 (zur Anwendbarkeit des § 354a HGB); OLG Frankfurt/M. 3.3.2006 – 31 C 3136/05, 23 ADAJUR Dok.Nr. 69666 (zum Ersatz des Folgeschadens durch Haftpflichtversicherung – Regelzinsanspruch aus § 352 HGB). 21

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

Bedeutung zu.106 In der Kfz-Haftpflichtversicherung hat das Geschlecht bei der Prämienbemessung eine Rolle gespielt und regelmäßig zu niedrigeren Beiträgen für Frauen geführt.107 Nach dem Urteil des EuGH vom 1.3.2011 in der Rechtssache „Test Achats“ ist eine geschlechtsspezifische Tarifierung, die nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG108 möglich und nach § 20 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AGG zulässig war, jedenfalls für Versicherungsverträge, die ab dem 21.12.2012 geschlossen worden sind, unzulässig.109 § 20 Abs. 2 S. 1 AGG ist durch Art. 8 SEPABegleitgesetz mit Wirkung zum 21.12.2012 aufgehoben worden.110 Bei einem Verstoß gegen § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG können dem diskriminierten (potenziellen) VN nicht nur Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (§ 21 Abs. 1 AGG), sondern auch Schadensersatzansprüche wegen entstandener materieller und immaterieller Schäden (§ 21 Abs. 2 S. 1 und 3 AGG) zustehen. Umstritten ist, ob aus dem Beseitigungsanspruch in § 21 Abs. 1 S. 1 AGG ein Anspruch auf Abschluss eines Versicherungsvertrages folgt, wenn der VR in diskriminierender Weise einen Vertragsschluss verweigert.111

2. Vertragliche Grundlagen 51 Hinsichtlich der Ausgestaltung des Haftpflichtversicherungsvertrages hat sich in den verschiedenen Zweigen der Haftpflichtversicherung ein Marktstandard herausgebildet, der sich – wenn der GDV Versicherungsbedingungen entwickelt hat – an diesen (unverbindlichen) Musterbedingungen orientiert und insoweit eine Vergleichbarkeit der angebotenen Deckungen erleichtert.112 Im Grundsatz ist zu unterscheiden zwischen solchen Haftpflichtversicherungsverträgen, die in erster Linie Deckung gegen die Inanspruchnahme auf Schadensersatz wegen eines Sach- oder Personenschadens bieten, und solchen, die Schutz gegen die Inanspruchnahme auf Schadensersatz wegen Vermögensschäden gewähren. Zur ersten Gruppe zählen sämtliche Bedingungswerke, die auf den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflicht (AHB) basieren (z. B. Privat-, Betriebs-, Produkt- und Umwelthaftpflichtversicherung, Rückrufkostenversicherung). Sie werden ergänzt durch Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen (BBR), die jeweils auf das versicherte Risiko zugeschnitten sind (z. B. Muster-Bedingungsstruktur I: Industrie, Handel und Gewerbe; Muster-Bedingungsstruktur IX: Privathaftpflichtversicherung etc.). Seit 2014 hat der GDV damit begonnen, sog. „durchgeschriebene Musterbedingungen“ u. a. für die Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung und die Privathaftpflichtversicherung zu veröffentlichen, in die die AHB und die BBR integriert werden. Das Zusammenspiel aus mehreren Musterbedingungen (z. B. für die Betriebshaftpflichtversicherung: AHB und Muster-Bedingungsstruktur AT, mitsamt IT-Nutzer-Baustein, UHV-Basis und ProdHM) wird abgeschafft und das bisherige „Ausschluss (AHB) – Einschluss (BBR) – System“ durch positive Leistungsbeschreibungen ersetzt. Hierdurch verspricht sich

106 Vgl. Sittle/Lattwein VW 2007 1141. 107 Vgl. Looschelders VersR 2011 421, 424; Rolfs/Binz VersR 2011 714, 715; Präve VersR 2004 39, 40; Thüsing/Hoff VersR 2007 1, 4 ff. 108 Abl EG L 373 v. 21.12.2004 S. 37. 109 EuGH 1.3.2011 – C-236/09, VersR 2011 377, 379. 110 Gesetz zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in EUR und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009, BGBl. 2013 I 610; kritisch im Hinblick auf die bloße Streichung von § 20 Abs. 2 S. 1 AGG Hoffmann VersR 2012 1073, 1075. 111 Bejahend MüKo-BGB/Thüsing § 21 AGG Rn. 17 ff.; BeckOGK/Mörsdorf AGG § 21 Rn. 31 f.; Bamberger/Roth/ Wendtland § 21 AGG Rn. 13 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 5. Aufl. (2018) § 21 Rn. 6; a.A.: Palandt/Grüneberg § 21 AGG Rn. 7; Staudinger/Rolfs (2018) § 21 AGG Rn. 2; Armbrüster VersR 2006 1298, 1303; ders. NJW 2007 1494, 1498; R. Koch VersR 2007 288, 299; vgl. auch Bachmann ZBB 2006 257, 265 f.; Maier-Reimer NJW 2006 2577, 2582. 112 Im Internet abrufbar unter https://www.gdv.de/de/ueber-uns/unsere-services/musterbedingungen-23924. Koch

22

F. Rechtsquellen zur Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

der GDV eine bessere Verständlichkeit der Bedingungswerke.113 Gegenwärtig ist nicht klar, ob und inwieweit der Markt auf die „durchgeschriebenen Bedingungswerke“ bereits zurückgreift, da es noch keine veröffentlichen Entscheidungen zu einzelnen Klauseln dieser Bedingungswerke gibt. Zu beachten ist, dass die „durchgeschriebenen Bedingungswerke“ die Musterbedingungen nicht immer 1:1 umsetzen. Dies kann sich nachteilig für den VN auswirken. Beispielhaft sei A1-2.3 AHB PHV genannt, der abweichend von der bisherigen Tarifstruktur IX – Privathaftpflicht und § 47 VVG den (Fremd-)Versicherungsschutz für mitversicherte Personen auch dann entfallen lässt, wenn die Voraussetzungen für Risikobegrenzungen oder Ausschlüsse bei einer anderen mitversicherten Person vorliegen. § 47 VVG sieht nur eine Zurechnung im Verhältnis zum VN vor.114 Die zweite Gruppe der Vermögensschadensdeckungen lässt sich weiter unterteilen in Bedin- 52 gungswerke, die lediglich zur Voraussetzung haben, dass der zur Haftung führende Verstoß während der Dauer des Versicherungsvertrages eingetreten ist („occurence“), und solche Bedingungswerke, nach denen nicht nur der Verstoß, sondern auch die Geltendmachung des Anspruchs während der Dauer des Versicherungsvertrages erfolgen muss („claims made and occurence“). Zur ersten Untergruppe zählen sämtliche Bedingungswerke, die auf den AVB-Vermögen basieren (z. B. Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Angehörige der wirtschaftsprüfenden sowie wirtschafts- und steuerberatenden Berufe115). Die AVB Vermögen sind in der Musterbedingungsstruktur des GDV nicht berücksichtigt, weil diese Sparten vom Gesamtverband nicht betreut werden.116 Zur zweiten Untergruppe zählen neugeschaffene Deckungskonzepte z. B. zur Abdeckung von D&O-Risiken,117 IT-/Cyberrisiken,118 AGG-Risiken.119 Die Vertragspraxis lässt es hierbei oftmals genügen, dass der Anspruch während der Laufzeit des Vertrages geltend gemacht wird (vgl. A-5.2 AVB D&O). Versicherungsschutz wird somit auch für unbekannte Pflichtverletzungen gewährt, die vor Abschluss des Versicherungsvertrages begangen worden sind (sog. Rückwärtsdeckung). Eine Kombination der Deckung von Ansprüchen aus Personen-, Sach- und Vermögensschä- 53 den sehen die Haftpflichtversicherungen der Konstruktionsberufe (Architekten, Ingenieure, Statiker, Bauunternehmer) vor. So unterscheiden z. B. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Objekt-Haftpflichtversicherung von Architekten, Bauingenieuren und Beratenden Ingenieure (AVB Objekt-Arch./Ing.)(Stand: April 2020) nur zwischen Personen- und sonstigen Schäden (A1-3.1).120

113 Erläuterungen zur Strukturreform und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Betriebs-und Berufshaftpflichtversicherung (AVB BHV), S. 2, https://www.gdv.de/resource/blob/6238/1381db76f87bca203bf853d1 821c249a/01-erlaeuterungen-strukturreform-und-avb-bhv-2014-08-data.pdf. 114 Zu Einzelheiten s. Bruck/Möller/Brand § 47 Rn. 32; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 13. 115 Hierzu Dißars VersR 2009 1340 ff. 116 Prölss/Martin/Lücke Vorbemerkung zu §§ 1 ff. AVB Verm Rn. 3. 117 Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB D&O), https://www.gdv.de/resource/blob/6044/aff62dda6ec6fb4e1b99 98b765de435d/05-allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-vermoegensschaden-haftpflichtversicherung-von -aufsichtsraeten-vorstaenden-und-geschaeftsfuehrern-avb-d-o-data.pdf. 118 Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Cyberrisiko-Versicherung (AVB Cyber), https://www.gdv.de/resource/blob/6100/d4c013232e8b0a5722b7655b8c0cc207/01-allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-cyberrisi ko-versicherung-avb-cyber-data.pdf. 119 Allgemeine Bedingungen zur Haftpflichtversicherung von Ansprüchen aus Benachteiligungen – AVB Benachteiligungen, https://www.gdv.de/resource/blob/5914/94bef4f5ecf39adcfde361a3f95bf3ca/04-allgemeine-bedingungen-zur-haftpflichtversicherung-von-anspruechen-aus-benachteiligungen-avb-benachteiligungen-data.pdf; vgl. hierzu R. Koch VersR 2007 288 ff. 120 Im Internet abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/56652/a4820917ff41a34e3e2cdccfc6ad4bc0/30avb-objekt-arch-ing-allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-objekt-haftpflichtversicherung-von-architekten -bauingenieuren-und-beratenden-ingenieuren-data.pdf. 23

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

54

Vorbemerkung zu §§ 100–112

Allen Deckungskonzepten gemein ist, dass die Regelungen der Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) abbedungen/modifiziert werden, der Kreis der versicherten Personen i. S. v. § 43 VVG konkretisiert und – bei der Versicherung beruflicher/betrieblicher Risiken – der subjektive Risikoausschluss des § 103 VVG (vorsätzliche Herbeiführung des Schadens) in der Weise verschärft wird, dass es genügt, wenn der VN die haftungsbegründende Pflichtverletzung wissentlich begeht (vgl. Ziff. 7.2 AHB 2016, A1-7.2 AVB BHV/PHV; Ziff. 6.2.4 ProdHM 2008, A-7.1 AVB D&O, Ziff. 5.1 AVB Benachteiligungen, § 4 Ziff. 5 AVB-Vermögen121).

G. Versicherbarkeit von Haftpflichtrisiken 55 Hinsichtlich der Versicherbarkeit des Risikos bestehen bei der Haftpflichtversicherung im Vergleich zu anderen Sparten im Ausgangspunkt keine Besonderheiten. Rechtlich versicherbar ist grundsätzlich jedes Haftpflichtrisiko. Grenzen ergeben sich aus den allgemeinen Regeln zur Rechts- und Sittenwidrigkeit.122 Ein wirksame Versicherung setzt ein erlaubtes versichertes Interesse voraus (§ 134 BGB). Zudem darf die Gewährung von Versicherungsschutz nicht gegen die guten Sitten verstoßen (§ 138 BGB).123 Von diesen Grenzen abgesehen hängt die Versicherbarkeit des Haftpflichtrisikos faktisch allein davon ab, ob sich der Risikoträger (VN) mit dem potenziellen VR auf den Transfer des Risikos einigen kann. Es muss auf beiden Seiten die Bereitschaft zur Versicherung bestehen. Hierbei sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht des VR neben der Vereinbarkeit mit den Unternehmenszielen die Durchsetzbarkeit einer angemessenen Prämie sowie die Verfügbarkeit ausreichender Sicherheitsmittel (eigene Kapazität und verfügbare Kapazität an Rückversicherungsschutz) von entscheidender Bedeutung.124 Um eine für das Risiko angemessene Prämie berechnen zu können, muss der VR die Wahrscheinlichkeit des Eintritts und das Ausmaß des Schadens quantifizieren. 56 Im Unterschied zur Sachversicherung kann sich der Versicherer in seiner Kalkulation nicht an einem Versicherungswert orientieren (Rn. 7). Der Haftpflicht-VR muss vielmehr an die Eigenschaften, Rechtsverhältnisse und/oder Tätigkeiten des VN anknüpfen. Um die im Versicherungsfall geschuldeten Ersatzleistungen quantifizieren zu können, muss der VR darüber hinaus auch das in seinen Rechtsfolgen abschätzbare materielle Haftpflichtrecht und das Prozessrecht kennen sowie vor dem Hintergrund des § 101 Abs. 2 S. 1 VVG die Kosten der Anspruchsabwehr im Blick haben. 57 Erweist sich die Berechnung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts und des Schadensausmaßes aufgrund besonderer Eigenschaften oder Tätigkeiten des VN oder Unwägbarkeiten hinsichtlich des (anwendbaren) materiellen Rechts und/oder des Prozessrechts als schwierig, reagieren Haftpflicht-VR mit dem ihnen zur Verfügung stehenden vertragsrechtlichen Instrumentarium, d. h. Deckungseinschränkungen, Risikoausschlüssen und Obliegenheiten. Bei neuen unbekannten Risiken stellen die VR zunächst niedrige Versicherungssummen zur Verfügung und warten die Schadensentwicklung ab. 58 Höchstrichterlich ungeklärt ist die Frage, ob Regressansprüche gegen Organmitglieder in der D&O-Versicherung versicherbar sind, wenn gegen die VN eine Verbandsgeldbuße (§ 30 Abs. 1 OWiG, § 81a GWB, § 83 Abs. 4 DSGVO) verhängt worden ist (ausführlich A-7 AVB D&O Rn. 117). Ebenfalls höchstrichterlich noch ungeklärt ist die Vorfrage, ob die Abwälzung der Geldbuße, die akzessorisch an die Vortat eines Organmitglieds anknüpft, im Wege des Regresses auf

121 Die AVB-Vermögen sind abgedruckt in der Kommentierung von Prölss/Martin/Lücke Kap. 250. 122 BVerfG 29.5.2006 – 1 BvR 240/98, VersR 2006 961 Rn. 25; Armbrüster ZVersWiss 2013 183, 192, Ruttmann 27 ff.; Teschabai-Oglu 52 ff. 123 BGH 22.6.1972 – II ZR 113/70 NJW 1972 1575, 1576. 124 Langheid/Wandt/Schradin Bd. 3 Kap. 140 Rn. 10. Koch

24

G. Versicherbarkeit von Haftpflichtrisiken

VVG Vor §§ 100–112

das handelnden Organmitglied überhaupt zulässig ist (hierzu A-7 AVB D&O Rn. 111 ff.).125 Der gescheiterte Regierungsentwurf zur Reform des Verbandssanktionsrechts vom 16.6.2020 enthält keine Regelung zum Regress.126 Für Geldstrafen/-bußen, die gegen die versicherten Organmitglieder verhängt werden, besteht in der Haftpflichtversicherung von vornherein keine Deckung, weil diese nicht auf Haftpflichtbestimmungen, sondern auf Straf- und Bußgeldvorschriften beruhen.127 Bei Straf- und Bußgeldern handelt es sich nicht um Fremdschäden, sondern um Eigenschäden. Gleiches gilt für Straf- und Geldbußen, die gegen die VN verhängt werden. Im Übrigen wäre die mit der Versicherung von Straf- oder Bußgeldern, die gegen die VN oder Organmitglieder persönlich verhängt werden, einhergehende vorherige Zusage der Freistellung geeignet, den Sanktionszweck des Straf-/Bußgeldes in gesetzes- und/oder sittenwidriger Weise zu beeinträchtigen.128 Dieses Risiko ist nicht versicherbar. Versicherbar sind hingegen die Kosten der Verteidigung der VN und/oder der versicherten Personen gegen straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Vorwürfe (A-7 AVB D&O Rn. 109).129 Unter der Prämisse, dass die VN ihre Organmitglieder wegen der Verbandsgeldbuße auf 59 Schadenersatz in Regress nehmen kann, dürften diese Ansprüche grundsätzlich auch versicherbar sein. Im Hinblick auf eine mögliche Beeinträchtigung der Präventionszwecke der gegen die VN gerichteten Geldbuße macht es nämlich keinen Unterschied, ob das Organmitglied oder der VR die Geldbuße erstattet.130 Der Zweck der gegen die VN gerichteten Geldbuße, der auch darin besteht, die Vorteile abzuschöpfen, die ihr durch die von ihren Organmitgliedern begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit zugeflossen sind,131 wäre nur dann beeinträchtigt, wenn Versicherungsschutz auch für Regressansprüche zugesagt würde, die auf den Ersatz von Gewinnen gerichtet sind, die durch das Bußgeld abgeschöpft werden. Für diesen Teil der Verbandsgeldbuße besteht jedoch gerade keine Deckung, weil in Höhe des abgeschöpften Gewinns kein Schaden bei der VN vorliegt.132 Aber auch soweit das Bußgeld nur auf Ahndung gerichtet ist, ist ein etwaig bei der Bemessung des Bußgeldes in Ansatz gebrachter wirtschaftlicher Vorteil aus dem Bußgeld herauszurechnen.133 Insbesondere bei Kartellgeldbußen, die am Unternehmensumsatz ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung des (tatbezogenen) Umsatzes, der mit den kartellierten Produkten erzielt wurde (und über den das Unternehmen nach § 81b Abs. 1 125 Bejahend: z. B. Zimmermann WM 2008 433, 436 ff.; Fleischer DB 2014 345, 347 f.; Hauger/Palzer ZGR 2015 33, 54 f.; Bayer/Scholz GmbHR 2015 449, 450 ff.; ablehnend: LAG Düsseldorf 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, VersR 2015 629; Grau/Durst ZRP 2020 134, 135 f.; Dreher FS Konzen (2006) 85, 103 ff.; Thomas VersR 2015 1409, 1410; Lotze/Smolinski NZKart 2015 254; Lotze NZKart 2014 166; Bunte NJW 2018 125; Grunewald NZG 2016 1123; Seibt NZG 2015 1101; Bachmann BB 2015 771, 775; Beschränkung auf denjenigen Betrag, in dessen Höhe das Organmitglied selbst mit einem Bußgeld belegt werden könnte: R. Koch VersR 2015 655, 660; Thole ZHR 173 (2009), 504, 533; Gaul AG 2015 118; einzelfallabhängigen Reduktion aus Wertungsgesichtspunkten: Hüffer/Koch/J. Koch § 93 Rn. 51a; Bayer FS Schmidt (2009) 85, 97; Wilhelmi NZG 2017 681, 684 ff. 126 BTDrucks 19/23568; vgl. Sachoulidou NJOZ 2021 353, 354; Schäfer wistra 2021 89, 94. 127 Ausführlich Ruttmann 55 ff.; Armbrüster RuS 2016 109, 110. 128 Vgl. Armbrüster/Schilbach RuS 2016 109, 111 f.; Dreher VersR 2015 781, 792; Ruttmann 84 ff., 122 f.; J. Koch, Beschränkungen des gesellschaftsrechtlichen Innenregresses, in: Liber Americorum für Martin Winter (2011) 327, 331; Twele Die Haftung des Vorstands für Kartellrechtsverstöße (2013) 197 ff.; Blaurock Kartellbußgeldhaftung und gesellschaftsrechtlicher Rückgriff, FS Bornkamm (2014) 117; einschränkend Kagelmacher 94 f.: nur Verstoß gegen § 138 BGB; zum österreichischen Recht Strasser VersR 2017 65, 70 ff. 129 Dreher VersR 2015 781, 792; Ruttmann 115 ff. 130 Ruttmann 177; vgl. auch Blaurock Kartellbußgeldhaftung und gesellschaftsrechtlicher Rückgriff, FS Bornkamm (2014) 117. 131 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten. BT-Drucks. V/1269, S. 59; Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG 4. Auf. (2014), § 30 Rn. 16. 132 R. Koch VersR 2015 655, 658. 133 Vgl. FG Rheinland-Pfalz 15.7.2003 – 2 K 2377/01, BB 2004, 1442, 1443: „Denn auch der erzielte Gewinn kann in die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung einbezogen werden, ohne dass hierin eine Abschöpfung zu sehen ist.“; s. auch J. Koch, Beschränkungen des gesellschaftsrechtlichen Innenregresses, in: Liber Americorum für Martin Winter (2011), 327, 332. 25

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

S. 1 Nr. 2 GWB zur Auskunft verpflichtet ist), zwangsläufig gegeben.134 Hinzukommt, dass bei Vermögensschadenshaftpflichtdeckungen bereits bei einer nur wissentlichen Pflichtverletzung keine Deckung besteht (Rn. 62), so dass sich der Versicherungsschutz auf Ersatzansprüche für Verbandsgeldbußen beschränkt, die wegen einer (grob) fahrlässig begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit verhängt worden sind.

H. Zur Technik der Risikobegrenzung in der Haftpflichtversicherung 60 Die Technik der Risikobegrenzung in der Haftpflichtversicherung unterscheidet sich nicht von der anderer Versicherungszweige. Um das Risiko kalkulierbar zu machen, bedient sich der VR eines hierarchischen Systems, das in mehrere Ebenen aufgegliedert ist, die Regeln, Ausnahmen und Gegenausnahmen vorsehen.135

I. Primäre Risikoabgrenzung 61 Auf der Primärebene beschreibt und begrenzt der VR zugleich sein Eintrittsrisiko durch die Festlegung des versicherten Risikos (vgl. Ziff. 3 AHB 2016, A1–1 AVB BHV/PHV), die Definition des Versicherungsfalles, mit dem regelmäßig die versicherten Gefahren und die Art der ersatzfähigen Schäden des Dritten festgelegt werden (vgl. Ziff. 1.1 AHB 2016/A1-3.1 AVB BHV/PHV), sowie die Vereinbarung der Versicherungssumme je Versicherungsfall und der Höchstersatzleistung für die Versicherungsperiode (vgl. Ziff. 6.1 AHB 2016, A1-5.1 und A1-5.2 AVB BHV/PHV). Die Eintrittspflicht ist begrenzt auf den Umfang der gesetzlichen Haftpflicht des VN (Ziff. 1.1 AHB 2016/A1-3.1 AVB BHV/ PHV). Keine Deckung besteht für Haftpflichtansprüche, die aufgrund Vertrages oder Zusagen darüber hinausgehen (vgl. auch Ziff. 7.3 AHB 2016/A1-5.1 AVB BHV/PHV). Für Risiken, die nach Abschluss der Versicherung neu entstehen, besteht Deckung im Rahmen der Vorsorgeversicherung, jedoch mit weitaus niedrigeren Versicherungssummen (Sublimit)(vgl. A1–9 AVB BHV/PHV, Ziff. 10.1 ProdHM 2008, A3-10.2 AVB BHV). Dem Frequenzschadensrisiko (Kleinschäden) begegnen VR – wie auch außerhalb der Haftpflichtversicherung – mit Selbstbehalten (vgl. Ziff. 6.4 AHB 2016, A1-5.4 AVB BHV/PHV, Ziff. 9.3 ProdHM 2008). Bei „Long tail“-Risiken (Spätentdeckungsrisiko) wird der Versicherungsschutz für den Fall der Beendigung des Versicherungsvertrages zeitlich begrenzt auf Versicherungsfälle, die dem VR innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Vertragsende gemeldet werden (vgl. Ziff. 7.1 ProdHM 2008, A3–11 AVB BHV). Um Kumulrisiken entgegenzuwirken, enthalten alle Bedingungswerke Serienschadensklauseln, die vorsehen, dass mehrere Versicherungsfälle als ein Versicherungsfall behandelt werden, sodass hierfür auch nur einmal die Versicherungssumme zur Verfügung steht (vgl. Ziff. 6.3 AHB 2016, A1-5.3 AVB BHV/PHV, Ziff. 8.3 ProdHM 2008, A3-5.3 AVB BHV). Für Auslandsrisiken wird standardmäßig nur eingeschränkt Versicherungsschutz gewährt (vgl. Ziff. 7.9 AHB 2016, A3-6.3 AVB BHV).136

II. Sekundäre Risikoabgrenzung 62 Auf der Sekundärebene begrenzt der VR sein Eintrittsrisiko dadurch, dass er unkalkulierbare, vom VN nicht beherrschbare und somit von dessen Verhalten unabhängige Risiken von vorn134 Vgl. BGH 26.2.2013 – KRB 20/12, BeckRS 2013 06316 Rn. 45; Schönfeld/Haus/Bergmann DStR 2014, 2323, 2324; Haus DB 2014 2066 ff.

135 Vgl. Bruck/Möller/H. Baumann/R. Koch § 1 Rn. 65 f.; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 13; Bach/Moser/ Staudinger Teil A Einleitung Rn. 57 ff.; Berliner Kommentar/Schauer Vorbem. §§ 49–68a Rn. 6; Dreher 168 f.; K. Sieg BB 1970 106 ff. 136 Vgl. auch Wagner VersR 1999 1441, 1445. Koch

26

I. Haftpflichtversicherung und Zwecke des Haftungsrechts

VVG Vor §§ 100–112

herein ausschließt (z. B. Haftpflichtansprüche wegen Asbestschäden oder wegen Schäden durch gentechnisch veränderte Organismen, vgl. Ziff. 7.11 und Ziff. 7.12 AHB 2016, A1-7.7 und A1-7.8 AVB BHV/PHV). Für vom VN beherrschbare und von seinem Verhalten abhängige Risiken tritt der VR nur unter der Voraussetzung ein, dass sich kein „Moral Hazard“ (moralisches Risiko) verwirklicht hat (z. B. Haftpflichtansprüche wegen Schäden an gemieteten Sachen oder wegen Bearbeitungsschäden (vgl. Ziff. 7.6 und Ziff. 7.7 AHB 2016, A1-7.5 AVB BHV/PHV und A3-6.1 AVB BHV) sowie Schäden durch nicht hinreichend erprobte Produkte (vgl. Ziff. 6.2.5 ProdHM 2008, A3-8.26 AVB BHV)). Hierbei geht es speziell darum, dass sich das Risikoverhalten des VN im Hinblick auf das Bestehen des Versicherungsvertrages ändert, etwa weil er weniger Vorsicht walten lässt, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalles erhöht, oder zu geringe Mühe aufwendet, den Versicherungsfall in seinen Auswirkungen zu begrenzen. Das moralische Risiko reicht in der Haftpflichtversicherung vom Eingehen unverantwortlicher Risiken über den Versuch des VN, seine privaten, beruflichen oder unternehmerischen Risiken zulasten der VR und damit der Versichertengemeinschaft zu externalisieren bis hin zu bewusster Manipulation und Versicherungsbetrug.137 Bei Vermögensschadensdeckungen (D&O-Versicherung, Berufshaftpflichtversicherung) besteht abweichend von § 103 VVG bereits bei einer nur wissentlichen Pflichtverletzung keine Deckung, um den Organmitgliedern und Berufsträgern aus Gründen der Verhaltenssteuerung und zur Verminderung des subjektiven Risikos den Einwand abzuschneiden, sie hätten darauf vertraut, dass kein Schaden eintreten würde (§ 103 Rn. 121). Sämtliche formularmäßige Beschränkungen der Eintrittspflicht unterliegen der AGB-Einbe- 63 ziehungs- und -Inhaltskontrolle; sie dürfen den VN nicht überraschen (§ 305c Abs. 1 BGB), müssen klar und verständlich sein (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB), dürfen nicht von wesentlichen Grundgedanken gesetzlicher Regelungen abweichen (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) oder den Vertragszweck gefährden (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) und den VN auch in sonstiger Weise nicht unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).138

III. Tertiäre Risikoabgrenzung Die Tertiärebene schließt bestimmte Sachverhalte wieder in die Deckung ein, die Gegenstand 64 eines Ausschlusses sind (z. B. Ziff. 7.7 (3) AHB 2016: „[D]ieser Ausschluss gilt nicht, wenn der VN beweist, dass er zum Zeitpunkt der Tätigkeit offensichtlich notwendige Schutzvorkehrungen zur Vermeidung von Schäden getroffen hatte.“ oder Ziff. 6.2.5 ProdHM, A3-8.26 S. 2 AVB BHV: „Dies[er Ausschluss] gilt nicht für Schäden an Sachen, die mit den hergestellten oder gelieferten Erzeugnissen weder in einem Funktionszusammenhang stehen noch deren bestimmungsgemäßer Einwirkung unterliegen.“).

I. Haftpflichtversicherung und Zwecke des Haftungsrechts I. Diskussion um die Beeinträchtigung der Steuerungsfunktion des Haftungsrechts durch die Haftpflichtversicherung Aus dem Bericht der Kommission über die Entwürfe eines Gesetzes über den Versiche- 65 rungsvertrag lässt sich entnehmen, dass es Bedenken insbesondere gegen die Versicherung der Haftung wegen grob fahrlässig angerichteter Schäden gab. Es wurde argumentiert, „[d]ie Allgemeinheit müsse darauf Bedacht nehmen, daß die Sorglosigkeit der Menschen nicht geför-

137 R. Koch Karlsruher Forum 2010, S. 113. 138 Vgl. Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 174 ff. und 244 ff. 27

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

dert werde, zumal sich bei weitem nicht alle Schäden durch Geld restlos ausgleichen ließen“.139 Um dies zu verhindern, sei die Leistung des VR „auf einen Bruchteil der von dem VN dem Dritten zu leistenden Entschädigung zu einer gesetzlichen Regelung auszugestalten“.140 Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder ist dieser Argumentation jedoch nicht gefolgt, weil sie der Ansicht war, dass eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf einfach fahrlässig herbeigeführte Versicherungsfälle und die Einführung von Pflichtselbstbehalten den sozialen und wirtschaftlichen Wert der Haftpflichtversicherung erheblich herabsetzen und den einzelnen Arten der Haftpflichtversicherung nicht hinreichend Rechnung tragen würde.141 Im Übrigen vertraute die Mehrheit auf die Selbstregulierungskräfte des Versicherungsmarkts, da die VR kein Interesse daran hätten, durch Versicherungsbedingungen „zu einer Vermehrung der Haftpflichtfälle beizutragen“. Schließlich könne der VR bei Eintritt eines Schadensfalles kündigen, „wo das Verhalten des Versicherungsnehmers nicht den Anforderungen entspreche, die an einen sorgfältigen Mann zu stellen seien, und ein Versicherungsnehmer, dem gegenüber eine solche Kündigung erfolgt sei, werde kaum mehr Aufnahme bei einer anderen Gesellschaft finden“.142 In der älteren Literatur wurde ebenfalls diskutiert, ob durch die Haftpflichtversicherung die 66 Steuerungsfunktion des Haftungsrechts beeinträchtigt werde.143 Auch im jüngeren Schrifttum finden sich mahnende Stimmen.144 Zum Teil wird sogar die Ausgleichsfunktion des Haftungsrechts unter Hinweis auf die „großflächige Überlagerung des Deliktsrechts durch das Sozial- und das Privatversicherungsrecht“ in Frage gestellt.145 Überwiegend vertraut das Schrifttum – ebenso wie der historische Gesetzgeber – darauf, dass die VR von den zuvor aufgezeigten versicherungstechnischen Instrumentarien im Rahmen der Vertragsgestaltung zum Zweck der Verhaltenslenkung Gebrauch machen.146

II. Bewertung 67 Ohne an dieser Stelle in grundsätzlichere Überlegungen zur Funktion und zum Funktionswandel des Haftungsrechts infolge der Kollektivierung des Schadensausgleichs – nicht nur auf der Schädiger-, sondern auch auf der Geschädigtenseite – eintreten zu wollen,147 darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass – worauf sogleich näher einzugehen sein wird (Rn. 72 ff.) – Haftpflichtversicherungsschutz in der Person des Schädigers in einigen Fällen erst seine Haftung begründet. In diesen Konstellationen kommt dem Haftungsrecht überhaupt keine Präventivfunktion zu. Jedenfalls solange die Steuerungsfunktion des Haftungsrechts durch das Strafrecht 139 140 141 142 143

Motive 368. Motive 368. Motive 369. Motive 370. So etwa Lundstedt Die Unwissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft II/1 (1936) 307 f.; Bortkiewicz, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft Bd. 27 (1903) 1090 sah in der Haftpflichtversicherung gar einen „Anreiz zu einer fahrlässigen, für die Mitmenschen gefährlichen Handlungsweise“; so auch noch Ehrenzweig Psychoanalytische Rechtswissenschaft (1973) 307. 144 Staudinger/Hager (2017) Vorbemerkung zu §§ 823 ff. Rn. 8. 145 MüKo-BGB/Wagner Vorb. §§ 823 ff. Rn. 43 f., der dem Deliktsrecht in erster Linie Präventivfunkion zumisst; ders. ZHR 178 (2014) 227, 251 ff., 272 ff.; vgl. auch Marburger AcP 192 (1992) 1, 30 f. 146 Vgl. Staudinger/Hager (2017) Vorbemerkung zu §§ 823 ff. Rn. 8; Soergel/Spickhoff Vor § 823 Rn. 34; NK-BGB/ Katzenmeier Vor § 823 Rn 54; Looschelders VersR 1996 529, 536 ff.; v. Bar AcP 181 (1981) 289, 311 f.; Großfeld VW 1974 693, 695; Makowsky 80 f.; Berliner Kommentar/Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 73; BeckOGK/Spindler, 1.8.2020, BGB § 823 Rn. 12. 147 Hierzu MüKo-BGB/Oetker § 249 Rn. 10 ff.; Soergel/Ekkenga/Kuntz Vor § 249 Rn. 9; jurisPK/Rüßmann § 249 Rn. 17 ff.; Baumann Der Regress 7 ff.; Armbrüster NJW 2009, 187 ff.; Katzenmeier VersR 2002 1449 ff.; Brüggemeier AcP 182 (1982) 385 ff.; K. Sieg VersR 1980 1085 ff. Koch

28

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

(§§ 222, 230 StGB) flankiert wird, wird sich der VN allein deshalb, weil er eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, nicht allzu nachlässig verhalten.148 Problematisch sind somit nur die Fälle, in denen ihm keine über die Verpflichtung zur Kom- 68 pensation hinausgehende Sanktion droht (z. B. bei Sach- und Vermögensschäden) und zudem keine ausreichende Verhaltenssteuerung im Versicherungsverhältnis stattfindet, weil es an Anreizen zur Schadensvermeidung z. B. durch Selbstbehalte, Ausschlüsse, Obliegenheiten fehlt.149 Hier hat der Gesetzgeber im Bereich der Haftung von AG-Vorstandsmitgliedern gegenüber ihrer Gesellschaft ein Defizit zu erkennen geglaubt und sich dazu veranlasst gesehen, einen Pflichtselbstbehalt in der D&O-Versicherung gesetzlich zu verankern (§ 93 Abs. 2 S. 3 AktG), weil dieser „verhaltenssteuernde Wirkung“ habe. Die Haftung mit dem Privatvermögen, so der Gesetzgeber, wirke Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern präventiv entgegen.150 Ob dieses Ziel mithilfe des Selbstbehalts erreicht werden kann, ist jedoch zweifelhaft, weil es den Vorstandsmitgliedern möglich ist, den Pflichtselbstbehalt selbstständig zu versichern.151 Die Neuregelung ist deshalb zu Recht in der Literatur auf Ablehnung gestoßen.152 Von größerer verhaltenssteuernder Bedeutung ist die zuvor beschriebene Absenkung der Eingriffsschwelle des subjektiven Risikoausschlusses (Rn. 62), weil damit wohlkalkulierten Pflichtverletzungen von Organmitgliedern vorgebeugt wird, die in der Hoffnung auf einen persönlichen Vorteil (z. B. höhere variable Vergütung) begangen werden. Im Übrigen lassen die Literaturstimmen, die die Funktionen des Haftungsrechts durch die 69 Haftpflichtversicherung als gefährdet ansehen, die sich verändernde Rolle der Versicherung im Kontext von Big Data Analytics und der Digitalisierung außer Betracht. Besonders deutlich wird das bei den Telematiktarifen, die Eingang in verschiedene Versicherungssparten gefunden haben. Bei diesen Tarifen wird das risikorelevante Verhalten (z. B. sichereres Autofahren in der Kfz-Versicherung) im laufenden Vertragsverhältnis mittels digitaler Technologie dauernd beobachtet und analysiert. Hier geht es nicht mehr nur um Risikotransformation, sondern auch um Risikoprävention, weil das individuelle Risiko ausgewertet und dem VN eine Rückmeldung in Form der Festsetzung/Anpassung der Versicherungstarife gegeben wird.153 Dadurch werden zukünftige Schäden vermieden und ein verhaltenssteuernder Gleichklang zwischen der Haftpflichtversicherung und dem Deliktsrecht bewirkt. Diese Entwicklung ist nicht auf den Bereich der Personen-, Sach- und Kfz-Haftpflichtversicherung beschränkt, sondern erfasst auch andere Haftpflichtversicherungssparten wie z. B. Produkthaftpflicht und Umwelthaftpflicht (Anlagenrisiko).

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung I. Grundsatz: Dichotomie zwischen Haftung und Deckung Der Anspruch des VN auf Haftpflichtversicherungsschutz entsteht, wenn er von einem Dritten 70 für einen (behaupteten) Schaden verantwortlich gemacht wird, der in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fällt (§ 100 Rn. 34 ff.). Ist der Haftpflichtanspruch des Dritten begründet, muss der VR den VN nach § 100 freistellen. Die Pflicht des VR zur Freistellung knüpft

148 149 150 151 152

Looschelders VersR 1996 529, 537, vgl. auch Mesch VersR 2015 1337, 1339. Vgl. MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 222. BTDrucks. 16/13433 S. 17. Hierzu Lange RuS 2010 92 ff.; Lattwein/Dettler VW 2010 1352 ff. Vgl. R. Koch AG 2009 637 ff.; Harzenetter DStR 2010 653, 658; Olbrich/Kassing BB 2009 1659, 1962; Thüsing/ Traut NZA 2010 140, 142 f.; Mesch VersR 2015 1337, 1344 ff. 153 Vgl. Bruck/Möller/H. Baumann/R. Koch § 1 Rn. 13. 29

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

insoweit gleichsam akzessorisch an die ihr vorgelagerte Haftpflicht des VN an („Deckung folgt Haftung“).154 Aus dieser Dichotomie zwischen Haftung und Deckung wird das (materielle) Trennungsprinzip hergeleitet, demzufolge sich die Versicherung nach der Haftung und nicht umgekehrt die Haftung nach der Versicherung richtet.155 Es kommt deshalb für Grund und Höhe eines Haftpflichtanspruchs nicht darauf an, ob der Schädiger über Versicherungsschutz verfügt.156 Dies hat z. B. in der D&O-Versicherung im Falle der Inanspruchnahme von leitenden Angestellten, für die die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs eingreifen,157 zur Folge, dass die Beschränkung der Innenhaftung gegenüber der geschädigten VN (Gesellschaft) durchschlägt und die VN bei erfolgreicher Inanspruchnahme ihres Angestellten nur in Höhe der Beschränkung vom VR befriedigt wird (Rn. 75 ff.). Diese Dichotomie wird freilich zwangsläufig in den Fällen durchbrochen, in denen das für die Haftpflichtigkeit des VN maßgebliche Haftungsrecht als Vorfrage daran anknüpft, ob der Schädiger Haftpflichtversicherungsschutz genießt.158 Hier kann Haftpflichtversicherungsschutz nach der Rechtsprechung haftungsbegründende, -ausfüllende und -begrenzende Wirkung entfalten (dazu sogleich Rn. 72 ff.).159 Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Versicherbarkeit eines Risikos im versicherungsuntechnischen Sinne (zum Begriff versicherungstechnischen Begriff der Versicherbarkeit s. Rn. 55 ff.) Auswirkungen auf die Haftung dem Grund und der Höhe nach hat. 71 Entgegen Littbarski vermischt die Rechtsprechung nicht in unzulässiger Weise Haftung und Versicherung,160 weil das dem allgemeinen Bürgerlichen Recht entspringende Haftungsrecht selbstverständlich nicht dem von der Rechtsprechung aus dem Haftpflichtversicherungsrecht entwickelten Trennungsgrundsatz folgen muss. Soweit das Haftungsrecht die Berücksichtigung wirtschaftlicher Verhältnisse zulässt oder sogar fordert, ist deshalb auch der Bestand von Haftpflichtversicherungsschutz zu berücksichtigen,161 mag hierdurch auch die Abwicklung von Schadensersatzansprüchen zusätzlich belastet werden, weil die Antwort auf die (Vor-)Frage, ob der VR eintrittspflichtig ist, dem Versicherungsvertrag zu entnehmen ist.162 Geht es um die Frage der haftungsbegründenden und -ausfüllenden Wirkung von Haftpflichtversicherungsschutz, bietet sich als Ausweg sowohl für den VN als auch für den Geschädigten die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Geschädigten an, weil Haftung und Deckung dann vor ein und demselben Gericht im Rahmen des Verfahrens gegen den VR festgestellt werden. In diesem einheitlichen Verfahren hat das Gericht dann zu klären, ob dem Leistungsversprechen des VR zu entnehmen ist, den VN von Ansprüchen freizustellen, die ihre Entstehung oder Höhe dem Versicherungsvertrag verdanken.163

154 Vgl. Seybold/Wendt VersR 2009 455, 461; Schirmer Zwangshaftpflichtversicherung für Kinder?, DAR 2004 509. 155 BGH 27.10.2009 – VI ZR 296/08, RuS 2010 33, 34: „Das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes vermag das fehlende Verschulden des Beklagten nicht zu ersetzen“. 156 Armbrüster RuS 2010 441, 442; Harsdorf-Gebhardt RuS 2012 162, 262, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr. des RG und des BGH. 157 BGH 25.6.2001 – II ZR 38/99, NJW 2001 3123, 312, vgl. auch BGH 18.3.2019 – AnwZ (Brfg) 22/17, NJOZ 2019 964 Rn. 6; LAG Düsseldorf 27.11.2015 – 14 Sa 800/15, BeckRS 2016 65558. 158 Vgl. Schlöpke 62 f., 70 f.; Makowsky 165 ff. 159 Vgl. Makowsky 148 ff.; Hauer 18 ff. 160 Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 138 ff.; Littbarski VersR 2004 950, 954. 161 Vgl. BGH 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18 149, 165 f. = NJW 1955 1675; BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, BGHZ 76 279, 286 f. = NJW 1980 1623; MüKo-BGB/Wagner § 829 Rn. 21; a. A. OLG Koblenz 7.7.2015 – 3 U 1446/14, VersR 2016 124, 126 m. krit. Anm. Makowsky VersR 2016 127, 128. 162 Vgl. Seybold/Wendt VersR 2009 455, 463 f. 163 Vgl. Hanau FS E. Lorenz (2004) 294; ders., VersR 1969 291, 293; vgl. auch E. Lorenz VersR 1980 697, 700; Seybold/Wendt VersR 2009 455, 459. Koch

30

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

II. Haftungsbegründende Wirkung von Haftpflichtversicherungsschutz 1. Billigkeitshaftung (§ 829 BGB) Bei der Billigkeitshaftung nach § 829 BGB geht es um die Frage, ob und ggf. wie eine Haftpflicht- 72 versicherung, die zugunsten eines aufgrund der §§ 827, 828 BGB deliktisch nicht verantwortlichen Schädigers abgeschlossen worden ist, in die Billigkeitserwägungen einzustellen ist. Die Rechtsprechung differenziert zwischen freiwilliger Haftpflichtversicherung und obligatorischer Kfz-Haftpflichtversicherung. Nach Ansicht des BGH164 rechtfertigt die besondere Zweckbestimmung der Kfz-Haftpflichtversicherung, „dem Geschädigten auch im Rahmen des § 829 BGB einen bestehenden Versicherungsschutz des Schädigers schon für das ‚Ob‘ des Anspruchs zugute kommen zu lassen“. Dem stehe nicht entgegen, dass damit das Trennungsprinzip, wonach die Eintrittspflicht des VR dem Anspruch folge und nicht umgekehrt, durchbrochen werde. Für den besonderen Anspruch des § 829 BGB müsse sich der auf den Opferschutz gerichtete Zweck der Kfz-Haftpflichtversicherung gegenüber diesem Prinzip durchsetzen.165 Allerdings könne das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung nicht allein den Anspruch aus § 829 BGB begründen, vielmehr müssten die gesamten Umstände des Einzelfalls den Ausgleich erfordern.166 Diese Einschränkung zielt bei Kfz-Unfällen, bei denen der materielle Schaden des Unfallopfers bereits über die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nach § 7 StVG abgedeckt wird, auf das Schmerzensgeld ab, dessen Zubilligung mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter des § 829 BGB nur in Betracht kommt, wenn seine Versagung im Einzelfall dem Billigkeitsempfinden krass widerspricht.167 Soweit das für Kfz geltende Haftungsregime wegen § 8 Nr. 1 StVG keine Anwendung findet (z. B. bei E-Scootern, die bauartbedingt nicht schneller als 20 km/h fahren können), gilt diese Einschränkung auch für den materiellen Schaden.168 Gleiches dürfte für andere Zweige der obligatorischen Haftpflichtversicherung gelten, wenn die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 für eine direkte Inanspruchnahme des VR gegeben sind.169 Für den Bereich der freiwilligen Haftpflichtversicherung vermag die Tatsache, dass der 73 Schädiger über den Schutz einer Haftpflichtversicherung verfügt, keine Haftung nach § 829 BGB zu begründen,170 sondern kann lediglich – auf der Ebene der Haftungsausfüllung – Anlass zu einer Korrektur hinsichtlich der Höhe des zu zahlenden Betrages geben.171 Der VR muss tatsächlich eintrittspflichtig sein. Allein der Abschluss eines Versicherungs- 74 vertrages für das in Rede stehende Risiko genügt nicht. Soweit also in der obligatorischen Haftpflichtversicherung Ausschlüsse eingreifen (§ 117 Abs. 3 S. 1 Alt. 2), ist die obligatorische Haft164 BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 192 = VersR 1995 96; vgl. auch BGH 29.11.2016 – VI ZR 606/15, RuS 2017 160 Rn. 10. 165 BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 191 f. = VersR 1995 96; diese Unterscheidung ablehnend MüKoBGB/Wagner § 829 Rn. 20; Soergel/Spickhoff § 829 Rn. 20; Hauer 91 ff. 166 BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 191 f. = VersR 1995 96; vgl.auch BGH 29.11.2016 – VI ZR 606/15, RuS 2017 160 Rn. 10; Staudinger/Oechsler (2018) § 829 Rn. 47. 167 BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 192 = VersR 1995 96; vgl. auch BGH 29.11.2016 – VI ZR 606/15, RuS 2017 160 Rn. 11. 168 R. Koch NJW 2020 183, 184. 169 Weitergehend Staudinger/Oechsler (2018)§ 829 Rn. 49: alle Berufshaftpflichtversicherungen, die dem Schutz der Geschädigten dienen. 170 BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 191 = VersR 1995 96; OLG Celle 24.9.2015 – 5 U 48/15, BeckRS 2015 116500; LG Frankfurt/M. 24.10.2013 – 2–13 O 86/10, NJW 2014 408; Armbrüster NJW 2009 187, 188; Seybold/ Wendt VersR 2009 455, 459. 171 BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, BGHZ 76 279, 286 f. = NJW 1980 1623, 1625; BGH 24.4.1979 – VI ZR 8/78, VersR 1979 645; OLG Frankfurt/M. 24.6.2020 – 16 U 265/19, BeckRS 2020 17162; OLG Köln 4.9.2017 – 5 U 40/17, BeckRS 2017 145913; OLG Frankfurt/M. 16.8.2000 – 7 U 142/99, OLGR Frankfurt 2001 18; OLG Köln 8.12.1999 – 11 U 233/95, OLGR Köln 2000 293, 294; OLG Düsseldorf 18.7.1997 – 22 U 5–97, NJW-RR 1998 98, 99; LG Dortmund 2.5.1995 – 1 S 313/94, zfs 1995 366. 31

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

pflichtversicherung nicht in die Billigkeitserwägungen einzustellen. Dies gilt auch für den Fall, dass der Entschädigungsfonds nach § 12 PflVG haftet. Bei Verletzung einer vor Eintritt des Versicherungsfalles zu beachtenden Obliegenheit ist zu beachten, dass der VR nach § 116 Abs. 1 S. 2 beim VN Regress nehmen kann (wenngleich auch in der Kfz-Haftpflichtversicherung wegen § 5 Abs. 3 KfzPflVV nur beschränkt), so dass die Haftpflichtversicherung ebenfalls nicht in die Billigkeitserwägungen einzustellen ist.172 Lediglich in den Fällen, in denen der VR wegen einer nach Eintritt des Versicherungsfalles begangenen Obliegenheitsverletzung (teilweise) leistungsfrei ist, kommt die Berücksichtigung der (Kfz-)Haftpflichtversicherung bei der Beurteilung der Billigkeit in Betracht.173

2. Wegfall der Haftungsfreistellung/-beschränkung des Arbeitnehmers bei Schäden infolge betrieblich veranlasster Tätigkeit 75 a) Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs haftet der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber bei leichtester Fahrlässigkeit nicht, bei mittlerer Fahrlässigkeit in der Regel anteilig und bei grober Fahrlässigkeit voll. Nach der Rechtsprechung des BAG174 und des BGH175 kommen Haftungserleichterungen jedoch auch bei grober Fahrlässigkeit nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in Betracht, wenn ein grobes Missverhältnis zwischen Arbeitsverdienst und dem Schadensrisiko besteht, das sich verwirklicht hat.176 Grob ist das Missverhältnis dann, wenn es zu einer Existenzgefährdung des Arbeitnehmers führen kann,177 weil er den Schadensersatzbetrag auch nicht bei einer einschneidenden Beschränkung seiner Lebensführung aus seinem laufenden Arbeitseinkommen bestreiten kann.178 Hinsichtlich des Umfangs lehnt das BAG eine Beschränkung der Haftung auf eine Höchstsumme oder eine bestimmte Anzahl von Monatsverdiensten ab, weil die Festlegung einer solchen Haftungsbeschränkung allein dem Gesetzgeber vorbehalten sei.179 Bei leitenden Angestellten kann sich die Haftung auf bis zu zwei Jahresgehälter erstrecken180 und in den Fällen, in denen es um Arbeitnehmer geht, die weniger qualifizierte Tätigkeiten ausüben und deshalb einen eher geringen Verdienst haben, beschränken die Gerichte die Haftung zumeist auf bis zu sechs Monatsvergütungen.181

76 b) Obligatorische Haftpflichtversicherung. Lässt die Rechtsprechung das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung für sich allein nicht genügen, um den Anspruch aus § 829 BGB zu

172 Vgl. auch Hauer 94 ff. 173 A. A. Hauer 94 ff. (keine Berücksichtigung der obligatorischen Haftpflichtversicherung auch bei nach Eintritt des Versicherungsfalles begangenen Obliegenheitsverletzungen).

174 Vgl. nur BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NJW 2011 1096 Rn. 17; BAG 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NJW 2004 2469, 2470; BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NJW 2003 377, 378 f.; BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990 97, 98 ff. 175 BGH 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148 167, 172 = NJW 2001 3123; BGH 11.11.1969 – VI ZR 71/68, BeckRS 1969 30375561. 176 Hübsch NZA-RR 1999 393, 394. 177 BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990 97, 98 = NJW 1990 46 m. w. N. auf die Rspr. des BAG und des BGH. 178 Hübsch, NZA-RR 1999 393, 394. 179 BAG 23.1.1997 – 8 AZR 893/95, NZA 1998 140, 141; BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990 97. 180 Vgl. LAG Sachsen 13.6.2017 – 3 Sa 556/16, BeckRS 2017 127707; LAG Niedersachsen 7.7.2003 – 5 Sa 188/02, NZARR 2004 142. 181 Vgl. LAG Berlin Brandenburg 28.2.2017 – 7 Sa 1010/16 –, juris; LAG Rheinland-Pfalz 8.1.2014 – 7 Sa 84/13 –, BeckRS 2014 68454; LAG Niedersachsen 18.2.2015 – 16 Sa 664/14 –, juris; LAG Schleswig-Holstein 6.3.2014 – 4 Sa 295/13 –, juris. Koch

32

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

begründen, so geht der BGH bei der Arbeitnehmerhaftung einen Schritt weiter. Die Haftungsfreistellung für leichteste Fahrlässigkeit und die Beschränkung der Haftung für mittlere und grobe Fahrlässigkeit entfällt, wenn zu Gunsten des Arbeitnehmers eine obligatorische Haftpflichtversicherung, etwa eine Kfz-Haftpflichtversicherung, eingreift.182 Bei Bestehen einer Pflichtversicherung, so das BAG in seinem Grundsatzurteil vom 28.10.2010, „liegen Risiken vor, die der Gesetzgeber als so gefahrträchtig erachtet hat, dass er den Handelnden im Hinblick auf mögliche Gefahren für andere ohne Versicherungsschutz nicht tätig sehen wollte. Dieser Grund für eine gesetzliche Pflichtversicherung überlagert gleichsam die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung.“183 [Hervorhebung durch den Verfasser]

Im Übrigen entfällt auch hier die Haftungsfreistellung/-beschränkung nur, wenn der obligatorische Haftpflicht-VR tatsächlich eintrittspflichtig ist.184 Im Hinblick darauf, dass es sich bei den richterrechtlichen Regeln über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung um „einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht“ handelt,185 ist kein Raum für die vom BAG propagierte Überlagerung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs, wenn Ausschlüsse eingreifen (§ 117 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 VVG) oder der VR nach § 116 Abs. 1 S. 2 VVG beim VN wegen einer vor Eintritt des Versicherungsfalles begangenen Obliegenheitsverletzung Regress nehmen kann.186

c) Freiwillige Haftpflichtversicherung. Eine (freiwillig abgeschlossene) Privathaftpflichtver- 77 sicherung, so das BAG, wirkt sich „dagegen grundsätzlich auf die interne Betriebsrisikoverteilung nicht aus. Insbesondere darf auch beim Bestehen einer solchen Privathaftpflichtversicherung zu Gunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass das gezahlte Entgelt im Verhältnis zu dem von ihm zu tragenden Risiko unangemessen gering ist. Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Arbeitgeber vor Einstellung des Arbeitnehmers wegen der Risiken der gefahrgeneigten Tätigkeit den Abschluss einer solchen privaten Haftpflichtversicherung verlangt und zur Einstellungsbedingung gemacht hatte, erst recht, wenn dafür zusätzliche Vergütungsbestandteile vereinbart wurden. Wie bei einer gesetzlichen Pflichtversicherung kann auch zwischen den Parteien eines Arbeitsvertrags wegen bestehender Risiken der Abschluss einer Haftpflichtversicherung zwingend vereinbart werden mit der Folge, dass bei einem Schadenseintritt das Bestehen einer solchen Versicherung für Schäden im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen ist.“187 [Hervorhebung durch den Verfasser]

Bei einer freiwilligen (Privat-, Betriebs- oder Berufs-)Haftpflichtversicherung bleibt es somit im Grundsatz bei der Anwendung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensaus182 BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NJW 2011 1096 Rn. 28; BAG 25.9.1997 – 8 AZR 288/96, NZA 1998 310, 311; BGH 3.12.1991 – VI ZR 378/90, BGHZ 116 200, 209 = RuS 1992 185; vgl. auch BGH 8.12.1971 – IV ZR 102/70, VersR 1972 166, 167; OLG Köln 4.9.2017 – 5 U 40/17, BeckRS 2017 145913; OLG Hamm 11.11.2011 – I-20 U 3/11, RuS 2012 284, 287; OLG Koblenz 14.3.2011 – 12 U 1528/09, BeckRS 2011 05944. 183 BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NJW 2011 1096 Rn. 28. 184 A. A. Hauer 184 f., der jedoch übersieht, dass nicht der Arbeitnehmer, sondern der Halter des Kfz und damit regelmäßig der Arbeitgeber zum Abschluss der Kfz-Haftpflichtversicherung verpflichtet ist. 185 BAG 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NJW 2004 2469, 2470 f.; BAG 2.12.1999 – 8 AZR 386/98, NZA 2000 715, 716; BAG 17.9.1998 – 8 AZR 175/97, NZA 1999 141, 144. 186 BeckOK/Hesse ArbR BGB § 619a Rn. 15. 187 BAG 28.10.2010 – NJW 2011 1096 Rn. 29; vgl. auch bereits BAG 14.10.1993 – 8 AZR 242/92, BeckRS 1993 30916228; so auch die h.L. vgl. Reichhold, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1: Individualarbeitsrecht I, 4. Aufl. (2018), § 57 Rn. 38; Hanau FS E. Lorenz (2004) 288 ff.; ErfK/Preis § 619a Rn. 20; MüKo-BGB/Henssler § 619a Rn. 42; Walker JuS 2002 736, 739; Waltermann RdA 2005 98, 107; a. A. Otto FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht 117 ff.; ihm folgend Henssler/Willemsen/Kalb/Krause Arbeitsrecht Kommentar, 7. Aufl. (2016), § 619a Rn. 39; Hauer 170 ff. 33

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

78

79

80

81

Vorbemerkung zu §§ 100–112

gleichs und einer daraus resultierenden Haftungsfreistellung oder -beschränkung des Arbeitnehmers im Falle seiner Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber. Handelt es sich bei dem Geschädigten um einen außenstehenden Dritten, hat der Arbeitnehmer einen Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber, der auf gänzliche oder anteilige Freistellung von der Schadensersatzpflicht gegenüber dem Dritten gerichtet ist. Soweit der Haftpflicht-VR den Arbeitnehmer freistellt, kann er deshalb nach § 86 Abs. 1 S. 1 – vorausgesetzt, das Interesse des Arbeitgebers ist nicht mitversichert – Regress beim Arbeitgeber in der Höhe nehmen, in dem die Außenhaftung des Arbeitnehmers die Haftung im Innenverhältnis zum Arbeitgeber übersteigt. Ausnahmsweise kann freiwilliger Haftpflichtversicherungsschutz bei Anwendung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, die bei der Prüfung der Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen anzustellen ist, die unbeschränkte Haftung zur Folge haben, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer vor dessen Einstellung den Abschluss einer Versicherung verlangt und zur Einstellungsbedingung gemacht hat. Da ein Arbeitnehmer für sich selbst gar keine Betriebshaftpflichtversicherung oder (in seiner Eigenschaft als leitender Angestellter) eine (Eigen-)D&O-Versicherung abschließen kann – ein solches Produkt wird von den D&O-Versicherern nicht angeboten –, wird kein Arbeitgeber deren Abschluss zur Einstellungsbedingung machen (anders mag der Fall in der Berufshaftpflichtversicherung liegen). Denkbar ist allenfalls, dass ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber vereinbart, dass er für den Fall seiner Inanspruchnahme von Dritten oder von seiten des Arbeitgebers wegen bei der Ausübung seiner Tätigkeit begangener Pflichtverletzungen im Rahmen einer bestehenden oder noch vom Arbeitgeber abzuschließenden Haftpflichtversicherung gedeckt wird. Selbst wenn man diese Konstellation vor dem Hintergrund, dass der Arbeitgeber die Prämien für den Versicherungsschutz trägt, dem Fall gleichstellt, in dem die Einstellung vom Abschluss einer Haftpflichtversicherung abhängig gemacht wird, hätte das nicht zwangsläufig die Berücksichtigung der Versicherung zur Folge. Insoweit ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung nur etwas anderes gelten „kann“, wenn die Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Haftpflichtversicherung zum Schutz des Arbeitnehmers zwingend vereinbart haben. Selbst in den Fällen, in denen eine entsprechende Vereinbarung zum Inhalt des Arbeitsvertrages gemacht worden ist, muss die Versicherung somit nicht zwangsläufig im Rahmen der Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden und zu einer höheren Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen führen. Im Hinblick darauf, dass es sich bei den richterrechtlichen Regeln über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung – wie bereits bemerkt – um „einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht“ handelt, wäre die Vereinbarung im Anstellungsvertrag über den Abschluss einer Versicherung oder den Einschluss in einen bereits bestehenden Vertrag nur dann zu berücksichtigen, wenn sichergestellt ist, dass der durch die Versicherung gebotene Schutz für den Arbeitnehmer nicht hinter dem Standard zurückbleibt, den die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs gewähren. Deshalb muss der Versicherungsschutz im Rahmen der Gesamtbetrachtung und -abwägung bezüglich der Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen unberücksichtigt bleiben, wenn und soweit die zur Verfügung stehende Deckungssumme nicht ausreicht, um den Schaden zu ersetzen, und/oder der VR infolge von Obliegenheitsverletzungen oder Ausschlüssen nicht (vollständig) zur Leistung verpflichtet ist. Positiv formuliert kann die Versicherung bei der Haftung von Arbeitnehmern nur Berücksichtigung finden, soweit der VR eintrittspflichtig ist. Eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Betriebshaftpflichtversicherung (vgl. § 102 Abs. 1 S. 2) muss deshalb unbeachtet bleiben, wenn es um Haftpflichtansprüche des Unternehmens gegen den Arbeitnehmer geht, weil diese Ansprüche von der Deckung nach Ziff. 7.4 (1) AHB 2016 ausgeschlossen sind. Ließe man allein die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung ausreichen, um die Haftungsprivilegierung aufzuheben, würden die Arbeitnehmer schlechter stehen als ohne Versicherung. Eine Berücksichtigung der D&O-Versicherung(ssumme) scheidet von vornherein aus, wenn nach der Ausgestaltung des Versicherungsvertrages der Teil des Schadens der VN, der nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs von den angestellten Arbeitnehmern nicht ersetzt werden muss, nicht vom Haftpflichtversicherungsschutz umfasst ist. So liegt der Fall, wenn der Koch

34

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass für den Schadensausgleich bei Angestellten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung gelten und/oder für diesen Teil des Schadens eine Eigenschadensdeckung vorgesehen ist. Kommt eine Berücksichtigung der D&O-Versicherung ausnahmsweise in Betracht, ist zu beachten, dass für wissentliche Pflichtverletzungen keine Deckung besteht (vgl. A-7.1 AVB D&O). Ließe man die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Abschluss einer D&O-Versicherung ausreichen, um die Haftungsprivilegierung mitversicherter Angestellter aufzuheben, würden diese schlechter stehen als ohne Versicherung, wenn sie den Schaden nur grob fahrlässig herbeigeführt, die Pflicht jedoch wissentlich verletzt haben. Bei Anwendung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs würden sie in diesem Fall nämlich ungeachtet der Wissentlichkeit nur beschränkt haften, weil sich das Verschulden in Fällen privilegierter Haftung abweichend von allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen nicht nur auf die Pflicht-, Rechtsguts- oder Schutzgesetzverletzung, sondern – wie bei § 826 BGB und § 103 – auch auf den eingetreten Schaden beziehen muss.188 Fänden die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs aufgrund des Abschlusses der D&O-Versicherung keine Anwendung, hätte dies zur Folge, dass die leitenden Angestellten einerseits unbeschränkt gegenüber ihrem Arbeitgeber haften würden, ohne andererseits wegen des Ausschlusses der wissentlichen Pflichtverletzung durch die D&O-Versicherung geschützt zu sein. Eine Berücksichtigung der D&O-Versicherung(ssumme) kommt deshalb nicht in Betracht, wenn das Gericht eine wissentliche Pflichtverletzung des leitenden Angestellten feststellt, den Vorsatz in Bezug auf den Schaden jedoch verneint. Seine Haftung ist auf den Betrag beschränkt, den er ohne Bestehen der Versicherung zu zahlen hätte. Die Möglichkeit des leitenden Angestellten, den Freistellungsanspruch an den Arbeitgeber abzutreten, damit dieser den Haftungs- und Deckungsanspruch direkt gegenüber dem D&O-Versicherer geltend machen kann, schafft ebenfalls keine ausreichende Legitimationsgrundlage für die Berücksichtigung der D&O-Versicherung bei der Beurteilung der Haftung, weil die Anwendung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nicht zur Disposition von Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen.189

3. Wegfall des Haftungsausschlusses bei leichter Fahrlässigkeit Haftungsbegründend wirkt Haftpflichtversicherungsschutz bei leicht fahrlässig herbeigeführten 82 Schäden im Rahmen von sportlichen Wettbewerben (z. B. beim Motorsport,190 bei Gesellschaftsjagden191) sowie im Rahmen von Gefahrgemeinschaften192 oder Gefälligkeitsverhältnissen (Übernahme einer Autofahrt, Nachbarschaftshilfe, sonstige Freundschaftsdienste wie Hilfe beim Umzug, Zurverfügungstellung eines Pferds zum Reiten).193 Hier geht die Rechtsprechung zwar von einem Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit aus stillschweigender Vereinbarung oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aus.194 Bereits das RG hatte in ständiger Rechtsprechung jedoch den Standpunkt vertreten, es sei nicht zu beanstanden, wenn vom Tatrichter angenommen werde, dass das Bestehen einer Haftpflichtversicherung ge188 BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003 37, 40. 189 So aber Erne/Buksch GWR 2017 371 (372); vgl. MüKo-BGB/Henzler § 619a Rn. 42. 190 Vgl. BGH 29.1.2008 – VI ZR 98/07, RuS 2008 256, 257; BGH 5.3.1963 – VI ZR 123/62, NJW 1963 1099, 110; OLG Karlsruhe 23.2.2012 – 9 U 97/11, NJW 2012 3447. 191 BGH 21.10.1958 – VI ZR 190/57, BeckRS 1958 31197518. 192 Vgl. OLG Stuttgart 7.1.2008 – 5 U 161/07, NJOZ 2008 2798, 2799. 193 Vgl. BGH 26.4.2016 – VI ZR 467/15, RuS 2016 424 Rn. 10; BGH 9.6.1992 – VI ZR 49/91, NJW 1992 2474, 2475; BGH 15.1.1980 – VI ZR 191/78, VersR 1980 384, 385; OLG Hamm 14.5.2007 – 13 U 34/07, VersR 2008 1219; OLG Frankfurt/M. 18.11.1997 – 17 U 103–96, NJW 1998 1232; LG München I 9.4.2019 – 17 O 4345/14, BeckRS 2019 13184. 194 S. nur BGH 26.4.2016 – VI ZR 467/15, RuS 2016 424 Rn. 10; BGH 10.2.2009 – VI ZR 28/08, VersR 2009 558 Rn. 13; BGH 15.1.1980 – VI ZR 191/78, VersR 1980 384, 385; OLG Saarbrücken 2.8.2010 – 5 U 492/09, NJW-RR 2011 109; OLG Hamm 14.5.2007 – 13 U 34/07, VersR 2008 1219; OLG Frankfurt/M. 18.11.1997 – 17 U 103/96, NJW 1998 1232. 35

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

gen einen stillschweigenden Haftungsausschluss spreche.195 Der BGH hat diese Rechtsprechung übernommen und in seinem Urteil vom 29.1.2008 verdeutlicht, „dass es dort, wo der Schädiger gegen Haftpflicht versichert ist, insb. eine Pflichtversicherung besteht, weder dem gesetzlichen Anliegen der Versicherungspflicht noch dem Willen der Beteiligten entspricht, den Haftpflichtversicherer zu entlasten und dass das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes für den Schädiger in aller Regel gegen eine stillschweigende Haftungsbeschränkung spricht. Unter besonderen Umständen kann das Bestehen einer Pflichtversicherung sogar Grund und Umfang eines Haftungsanspruchs bestimmen. […] Dass durch die Inanspruchnahme evtl. ein teilweiser Verlust des Schadensfreiheitsrabatts bewirkt wird, vermag die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens nicht zu rechtfertigen, weil dies keine unzumutbare Belastung darstellt“.196

83 In diesem Urteil, dem ein Auffahrunfall während einer motorsportlichen Veranstaltung auf dem Hockenheimring zugrunde lag, hat der BGH festgestellt, dass im Regelfall weder von einem konkludenten Haftungsausschluss ausgegangen noch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen als treuwidrig angesehen werden kann, wenn für die aufgrund des besonderen Gefahrenpotentials einer Sportveranstaltung zu erwartenden bzw. eintretenden Schäden für die Teilnehmer Versicherungsschutz besteht. In seiner Entscheidung vom 27.10.2009197 hat der BGH diese Feststellungen aufgegriffen und dahingehend auf den Punkt gebracht, dass er in seinem Urteil vom 29.1.2008 „dem Bestehen eines Versicherungsschutzes […] eine anspruchserhaltende Funktion beigemessen [habe]“. Diese Formulierung verwundert, weil es bei der Frage, ob der Schädiger für einfach fahrlässig verursachte Schäden haftet, nicht nur um die Erhaltung, sondern um die Begründung eines Haftpflichtanspruchs geht. Möglicherweise deutet sich eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung an. Freilich kam es in dem Urteil vom 27.10.2009 auf diese Frage auch nicht an, weil der BGH eine Haftung des Schädigers mangels Verschuldens – daran fehlt es, wenn es sich um Verletzungen handelt, die sich ein Sportler bei einem regelgerechten und dem Fairnessgebot entsprechenden Einsatz seines Gegners zuzieht – verneinte.198 84 Im Unterschied zur Billigkeitshaftung und zum Wegfall der Haftungsfreistellung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit wird das Trennungsprinzip bei Haftungsausschlüssen für leicht fahrlässig verursachte Schäden nicht nur bei Bestehen einer obligatorischen Haftpflichtversicherung durchbrochen. Haftungsbegründend wirkt auch die freiwillige Haftpflichtversicherung.199 Die Einbeziehung der freiwilligen Haftpflichtversicherung rechtfertigt sich aus der Herleitung des Ausschlusses der Haftung bei leichter Fahrlässigkeit aus stillschweigender Vereinbarung oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Beide Rechtskonstruktionen lassen Raum für die Annahme, dass die Beteiligten im Fall des Bestehens sowohl einer obligatorischen als auch einer freiwilligen Haftpflichtversicherung nicht auf ihre Ansprüche bei nur leichter Fahrlässigkeit verzichtet haben (stillschweigender Haftungsausschluss) bzw. sich auf ein entsprechendes Ansinnen billigerweise nicht hätten einlassen müssen (ergänzende Vertragsauslegung). Dass die Haftung bei Gefälligkeitsverhältnissen insoweit strenger ist als die Haftung 195 S. Nachweise Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 72. 196 BGH 29.1.2008 – VI ZR 98/07, RuS 2008 256, 257; vgl. auch BGH 27.10.2009 – VI ZR 296/08, RuS 2010 33, 34; BGH 13.7.1993 – VI ZR 278/92, RuS 1993 363, 364 = VersR 1993 1092; BGH 9.5.1992 – VI ZR 49/91, RuS 1992 373 = VersR 1992 1145; BGH 15.1.1980 – VI ZR 191/78, VersR 1980 384, 385; BGH 10.7.1974 – IV ZR 212/72, BGHZ 63 51, 59; BGH 26.10.1965 – VI ZR 102/64, VersR 1966 40, 41; BGH 5.3.1963 – VI ZR 123/62, BGHZ 39 156, 158. 197 BGH 27.10.2009 – VI ZR 296/08, RuS 2010 33. 198 BGH 27.10.2009 – VI ZR 296/08, RuS 2010 33. 199 BGH 26.4.2016 – VI ZR 467/15, RuS 2016 424 – Privathaftpflichtversicherung; BGH 9.6.1992 – VI ZR 49/91, RuS 1992 373 – Tierhalterhaftpflichtversicherung; OLG München 16.6.2010 – 20 U 5105/09, RuS 2010 390; OLG Stuttgart 8.5.2008 – 13 U 223/07, RuS 2008 304, 306; LG Magdeburg 25.7.2012 – 10 O 81/12, juris; LG Nürnberg-Fürth 21.11.2014 – 10 O 552/13, juris; OLG Hamm 7.11.2000 – 29 U 47/00, VersR 2002 705; a. A. OLG Koblenz 7.7.2015 – 3 U 1446/14, VersR 2016 124, 126 m. krit. Anm. Makowsky VersR 2016 127, 128; OLG Celle 3.4.2014 – 5 U 168/13, MDR 2014 775. Koch

36

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

von Schenker, Verleiher oder Nothelfer, steht diesem im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung gewonnenen Ergebnis nicht entgegen.200 Weiterhin bleibt Raum für die Annahme, dass im Umfang eines vereinbarten Selbstbehalts, bei ausgeschöpfter Versicherungssumme oder Eingreifen eines Risikoausschlusses ein Haftungsausschluss anzunehmen ist.201 Gleiches gilt, wenn der VN oder der VR den Versicherungsvertrag vor Eintritt des Versicherungsfalles kündigt. Lediglich in den Fällen, in denen der VR wegen einer nach Eintritt des Versicherungsfalles begangenen Obliegenheitsverletzung (teilweise) leistungsfrei ist, besteht kein Anlass, den VN durch einen Haftungsausschluss zu begünstigen.202

4. Regress des Sozialversicherungsträgers gem. § 110 SGB VII Keinen Einfluss hat die Haftpflichtversicherung auf die Haftungsbeschränkung gem. § 104 85 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Nach dieser Vorschrift sind Unternehmer den in ihren Unternehmen tätigen Versicherten nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, der auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist, nur dann verpflichtet, wenn sie den Unfall vorsätzlich herbeigeführt haben oder wenn der Arbeitsunfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist. Das Bestehen einer (Kfz-)Haftpflichtversicherung ändert daran nichts.203 Unternehmer i. S. d. SGB VII ist nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Soweit die Beschränkung gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII eingreift, kann der Sozialversi- 86 cherungsträger bei der Entscheidung, ob er beim Unternehmer Rückgriff nach § 110 Abs. 1 SGB VII nimmt, etwaigen Haftpflichtversicherungsschutz im Rahmen des ihm gem. § 110 Abs. 2 SGB VII eingeräumten billigen Ermessens berücksichtigen, das sich an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners zu orientieren hat.204 Da ein Verzicht auf den Rückgriff (ganz oder zum Teil) nicht nur zulässig, sondern – wenn es die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht erlauben, weil die Existenz der Schädigers gefährdet oder unzumutbar belastet wird –205 wegen Ermessensreduzierung auf Null auch rechtlich geboten ist,206 kann der Bestand von Haftpflichtversicherungsschutz für Regressansprüche (vgl. Ziff. 7.9 AHB 2016) insoweit haftungsbegründend wirken.207

5. Unwirksamkeit von Haftungsfreizeichnungsklauseln Haftungsbegründende Wirkung kommt einer bestehenden Haftpflichtversicherung auch in den 87 Fällen zu, in denen ein formularvertraglich vereinbarter Haftungsausschluss für Sach- und Vermögensschäden wegen der Existenz der Versicherung unwirksam ist. Insoweit ist der Hinweis geboten, dass die Rechtsprechung die Angemessenheit eines solchen Ausschlusses u. a. danach beurteilt, ob die Risiken besser vom Verwender solcher Klauseln (im Rahmen einer Haftpflichtversicherung) oder von seinem Vertragspartner (im Rahmen einer Sachversicherung) un-

200 201 202 203

A. A. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 80; Langheid/Wandt/Littbarski Vorbemerkung zu §§ 100 bis 112 Rn. 124. Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter Vorbemerkungen zu §§ 100 bis 112 Rn. 11. Vgl. Armbrüster NJW 2009 187. BAG 14.12.2000 – 8 AZR 92/00, VersR 2001 720; BAG 18.1.1966 – 1 AZR 247/63, VersR 1966 881, 883; BGH 29.1.1963 – VI ZR 67/62, NJW 1963 654, 655 f.; OLG Koblenz 20.2.2003 – 10 U 883/02, NJW 2003 2100, 2104 f. = VersR 2003 658; Berliner Kommentar/Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 43. 204 Vgl. auch BGH 28.9.1971 – VI ZR 216/69, NJW 1972 107, 110; Berliner Kommentar/Baumann Vorbem. §§ 149– 158k Rn. 43; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter Vorbemerkungen zu §§ 100 bis 112 Rn. 15. 205 Vgl. auch BGH 28.9.1971 – VI ZR 216/69, NJW 1972 107, 110. 206 BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, BGHZ 168 161 Rn. 19. 207 Hauer 218 ff. 37

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

ter Versicherungsschutz gebracht werden können oder typischerweise gebracht werden.208 Im erstgenannten Fall hat die Rechtsprechung die Freizeichnungsklausel für unwirksam nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 2 BGB gehalten.209 Dies muss erst recht für den Fall gelten, dass der Verwender tatsächlich eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat.210

6. Verschärfung des gesetzlichen Haftungsmaßstabs 88 Die Existenz von Haftpflichtversicherungsschutz kann zum Wegfall einer gesetzlichen Haftungsprivilegierung führen und insoweit die Haftung des an sich privilegierten Schädigers begründen. So hat der BGH die Haftungserleichterung nach § 1359 BGB auf die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (§ 277 BGB) im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung u. a. mit der Begründung für unanwendbar erklärt, es „wäre […] unangebracht, wenn bei Schädigungen im außerhäuslichen Bereich der Haftpflichtversicherer, sofern die für Schädigungen unter Eheleuten geltenden Ausschlussklauseln nicht eingreifen, unter Berufung auf § 1359 BGB die Gewährung des Versicherungsschutzes ablehnen könnte“.211 Nach Ansicht des OLG Hamm muss Gleiches für die Parallelnorm des § 1664 BGB bezüglich des Verhältnisses von Eltern zu ihren Kindern gelten.212 89 Mittlerweile stellt die Rechtsprechung bei der Anwendung von § 1359 BGB jedoch nicht mehr auf die Existenz von Haftpflichtversicherungsschutz ab, um die gesetzliche Haftungsprivilegierung zu Fall zu bringen.213 Vielmehr hebt sie bei Schäden im außerhäuslichen Bereich darauf ab, ob im konkreten Fall Spielraum für individuelle Sorgfalt bestand.214 Hinzu kommt, dass seit der Reform des Schadensersatzrechts von 2002 auch unentgeltlich beförderte Mitfahrer einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch haben (§ 8a StVG). Dagegen ist die Frage umstritten, ob der Haftungsmaßstab der §§ 1664, 277 BGB auch dann Anwendung findet, wenn es nicht nur um die Verletzung rein familienrechtlich begründeter Sorgfaltspflichten geht, sondern zugleich um die Verletzung (allgemeiner) deliktischer Verhaltenspflichten, insbesondere bei der Teilnahme am Straßenverkehr.215 Der BGH hat diese Frage bislang offen gelassen.216 90 Nach Ansicht des OLG Bamberg ist der Haftungsmaßstab des § 1664 BGB anzuwenden, wenn die Eltern ihr Kind nicht als Kraftfahrer unter Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften schädigen.217 Dies entspricht der Linie des BGH, der eine Privilegierung nicht nur nach § 1359 BGB, sondern auch nach § 708 BGB für den Bereich des Straßenverkehrs218 und des motorbetriebenen Freizeitsports219 ablehnt. Außerhalb dieser Bereiche bleibt das Versicherungsargument jedoch weiterhin relevant. Armbrüster leitet aus dem Zweck der Haftungsmilderung, den Schädiger zu schonen, 208 BGH 1.4.1992 – XII ZR 100/91, NJW 1992 1761, 1762. 209 BGH 24.10.2001 – VIII ARZ 1/01, BGHZ 149 89, 99 = NJW 2002 673; KG 14.11.1990 – 23 U 5029/89, NJW-RR 1991 698, 699; Hans. OLG Hamburg 10.2.1984 – 11 U 184/83, DAR 1984 260, 262; Stoffels/Lohmann VersR 2003 1343, 1345 f. 210 Vgl. auch Armbrüster RuS 2010 441, 442. 211 BGH 11.3.1970 – IV ZR 772/68, BGHZ 53 352, 355 = NJW 1970 1271; vgl. auch BGH 10.7.1974 – IV ZR 212/72, NJW 1974 2124, 2126. 212 OLG Hamm 20.1.1992 – 6 U 183/91, NJW 1993 542, 543. 213 Vgl. BGH 24.3.2009 – VI ZR 79/08, NJW 2009 1875, 1876. 214 Vgl. BGH 24.3.2009 – VI ZR 79/08, NJW 2009 1875, 1876. 215 Grundsätzlich ablehnend OLG Karlsruhe 3.5.2012 – 1 U 186/11, NZV 2012 443 f.; OLG Saarbrücken 20.11.2001 – 4 U 31/01-6, NZV 2002 511; OLG Hamm 17.8.1993 – 27 U 144/92, RuS 1994 15, 16. 216 BGH 15.6.2004 – VI ZR 60/03, BGHZ 159 318, 323 = RuS 2004 390; BGH 1.3.1988 – VI ZR 190/87, BGHZ 103 338, 346 = NJW 1988 2667; BGH 16.1.1979 – VI ZR 243/76, NJW 1979 973, 974. 217 OLG Bamberg 14.2.2012 – 5 U 149/11, NZV 2012 386. 218 Vgl. auch BGH 5.12.2020 – VI ZR 224/20, VersR 2021 391 Rn. 10; BGH 20.12.1966 VI ZR 53/65, BGHZ 46 313, 317 f. = NJW 1967 558 zu § 708 BGB. 219 Vgl. auch BGH 5.12.2020 – VI ZR 224/20, VersR 2021 391 Rn. 10; BGH 24.3.2009 – VI ZR 79/08, NJW 2009 1875 Rn. 11. Koch

38

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

eine Begrenzung der Norm auf solche Fälle her, in denen er für den Schaden persönlich aufzukommen hat.220. Daran anküpfend vertritt er die Ansicht, dass auch die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB, die Rücksichtnahmepflicht der Kinder nach § 1618a BGB oder die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht den Geschädigten nicht an der Geltendmachung des Anspruchs ohne Haftungsmilderung hindern, wenn ein Haftpflichtversicherer eintrittspflichtig ist. Indessen ist fraglich, ob die Voraussetzungen für eine teleogische Reduktion der Haftungsprivilegierung vorliegen. Es ist nicht erkennbar, dass die Haftungsmilderung in §§ 708, 1359 und 1664 BGB nach den Vorstellungen des Gesetzgebers keine Anwendung finden sollte, wenn zugunsten des Schädigers eine Haftpflichtversicherung eingreift.221 Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke, die Voraussetzung nicht nur für die Analogie, sondern auch für die teleologische Reduktion ist.222 Deshalb ist auch kein Raum für eine Verschärfung des gesetzlichen Maßstabs der Haftung von Schenker (§ 521 BGB), Verleiher (§ 599 BGB), Nothelfer (§ 680 BGB) oder Verwahrer (§ 690 BGB) für den Fall, dass Haftpflichtversicherungsschutz besteht.223 Letzteres gilt auch dann, wenn ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 S. 1 BGB gegen die Eltern besteht, der durch § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen wird.224

7. Vertragliche Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung Hat sich der Geschädigte (Bauherr) dazu verpflichtet, zugunsten des Schädigers (Architekt) eine 91 Haftpflichtversicherung abzuschließen, und kommt der Geschädigte dieser Verpflichtung nach, liegt kein stillschweigender Ausschluss der Haftung vor, weil anderenfalls die Haftpflichtversicherung sinnlos wäre.225

III. Haftungsausfüllende Wirkung von Haftpflichtversicherungsschutz 1. Billigkeitshaftung (§ 829 BGB) Für den Bereich der freiwilligen Haftpflichtversicherung kann das Bestehen von freiwilligem 92 Haftpflichtversicherungsschutz – wie zuvor ausgeführt (Rn. 73) – Anlass zu einer Korrektur hinsichtlich der Höhe des zu zahlenden Betrages geben.226

2. Kapitalabfindung statt Rente (§ 843 Abs. 3 BGB) Die Existenz von Haftpflichtversicherungsschutz hat auch Auswirkungen auf den Anspruch des 93 Geschädigten auf Kapitalabfindung statt Rente. Einen solchen Anspruch hat der Geschädigte nach § 843 Abs. 3 BGB nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes. Wichtige Gründe können sowohl in der Sphäre des Ersatzpflichtigen als auch in der Sphäre des Geschädigten gegeben

220 Armbrüster NJW 2009 187, 188; vgl. auch Schirmer DAR 2007 2, 7; a. A. Hauer 148 ff. 221 Vgl. auch Hauer 148 ff. 222 Zu den Voraussetzungen der teleologischen Reduktion vgl. BGH 1.7.2020 – VIII ZR 323/18, NJW-RR 2020 956 Rn. 31; BGH 21.12.2011 − VIII ZR 70/08, BGHZ 192 148 = NJW 2012 1073 Rn. 31; BGH 7.12.2011 − IV ZR 105/11, BGHZ 192 67 = NJW 2012 1365 Rn. 16; BGH 26.11.2008 − VIII ZR 200/05, BGHZ 179 27 = NJW 2009 427 Rn. 22. 223 I. E. auch Hauer 153 f. 224 BGH 5.12.2020 – VI ZR 224/20, VersR 2021 391 Rn. 9, m. Anm. Lugani NZFam 2021 267 und Wellenhofer Jus 2021 461 f. 225 BGH 8.12.2005 – VII ZR 138/04, NZBau 2006 254, 255. 226 BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, BGHZ 76 279, 286 f. = NJW 1980 1623, 1625; BGH 24.4.1979 – VI ZR 8/78, VersR 1979 645. 39

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

sein. Aus der Sphäre des Schädigers kommen vor allem Zahlungsschwierigkeiten oder eine drohende Insolvenz227 sowie die sachlich begründete Sorge, der Schädiger werde in der Zukunft nicht mehr dazu in der Lage sein, seinen Verpflichtungen zur Rentenzahlung nachzukommen oder sich ihnen durch ständige Umzüge oder einen Wohnsitzwechsel ins Ausland zu entziehen suchen, als wichtiger Grund in Betracht.228 Diese Risiken bestehen nicht, wenn Haftpflichtversicherungsschutz besteht. Deshalb hat die Rechtsprechung einen wichtigen Grund trotz Zahlungsschwierigkeiten des Schädigers nicht angenommen, wenn hinter dem Schädiger eine Versicherungsgesellschaft steht, die zur Regulierung des Versicherungsfalles bereit ist.229 Ebenso wie bei der Bemessung von Schmerzensgeld (dazu sogleich Rn. 95) spielt bei § 843 94 Abs. 3 BGB auch das Regulierungsverhalten des VR eine Rolle und kann ein wichtiger Grund für die Zubilligung einer Kapitalabfindung nach § 843 Abs. 3 BGB anstelle einer Rente nach § 843 Abs. 1 BGB sein.230

3. Bemessung immateriellen Schadens (§ 253 BGB) 95 Ein weiteres Beispiel für den Einfluss von Haftpflichtversicherungsschutz auf der Ebene der Haftungsausfüllung bildet die Bemessung des Schmerzensgeldes (§ 253 BGB). Hier ist seit der Entscheidung des Großen Senats des BGH vom 6.7.1955231 fester Auslegungsgrundsatz, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch der Umstand zu berücksichtigen ist, dass der Schädiger gegen den VR einen Anspruch auf Freistellung hat, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich um eine freiwillige oder obligatorische Haftpflichtversicherung handelt.232 Zu beachten ist jedoch, dass das Bestehen einer Haftpflichtversicherung die Haftung des Schädigers nicht erhöht, sondern nur dazu führt, dass es für die Frage der Leistungsfähigkeit, die bei der Schmerzensgeldzumessung zugunsten des Geschädigten berücksichtigt werden kann,233 nicht mehr auf die Vermögensverhältnisse des Schädigers ankommt.234 Das Schädigervermögen wird also nicht durch die Deckungssumme substituiert mit der Folge, dass der VN als „Millionär“ fingiert würde.235 Umgekehrt kann das Nichtbestehen von Haftpflichtversicherungsschutz zu einer Reduktion des Schmerzensgeldanspruchs führen.236 Nach Ansicht des BGH soll das nicht gelten, wenn der VN den Versicherungsschutz durch eigenes schuldhaftes Verhalten verloren hat.237 Dem ist nur insoweit zuzustimmen, als es um (teilweise) Leistungsfreiheit des VR wegen einer Verletzung einer Obliegenheit geht, die nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten ist.238

227 Vgl. RG 21.6.1918 – VII 140/18, RGZ 93 209, 210; LG Hamburg 26.7.2011 – 302 O 192/08, BeckRS 2011 78634. 228 Vgl. MüKo-BGB/Wagner § 843 Rn. 77; weiter gehend Schwintowski VersR 2010 140, der die Erforderlichkeit einer Kapitalabfindung zur Disposition des Geschädigten stellen will. 229 RG 21.6.1918 – Rep. VII. 140/18, RGZ 93 209, 210 f.; LG Hamburg 26.7.2011 – 302 O 192/08, BeckRS 2011 78634; BeckOK BGB /Spindler § 843 Rn. 32; a. A. OLG Nürnberg 19.12.1967 – 7 U 143/67, FamRZ 1968 476, 478. 230 OLG Köln 11.8.2011 – 5 U 74/11, VersR 2012 907; vgl. auch LG Coburg 19.1.2011 – 12 O 541/08, BeckRS 2011 2789. 231 BGH 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18 149, 165 f. = NJW 1955 1675. 232 Vgl. auch BGH 16.2.1993 – VI ZR 29/92, NJW 1993 1531, 1532; BGH 1.2.1966 – VI ZR 196/64, VersR 1966 368; OLG Hamm 1.10.1998 – 6 U 92/98, NJW-RR 2000 1193 (Revision nicht angenommen von BGH 27.7.1999 – VI ZR 14/ 99); OLG Köln 5.5.1993 – 11 U 5/93, NJW-RR 1993 1498, 1500; OLG Düsseldorf 10.2.1992 – 1 U 218/90, NJW-RR 1993 156, 158; OLG Frankfurt/M. 21.3.1990 – 7 U 126/88, VersR 1990 1287, 1288; zur hiervon abweichenden Rechtsprechung des RG vgl. Nachweise Voraufl. Bd. IV Anm. B 70. 233 Vgl. BGH 16.2.1993 – VI ZR 29/92, NJW 1993 1531, 1532. 234 OLG Düsseldorf 25.5.2009 – 1 U 130/08, BeckRS 2010 03031. 235 Berliner Kommentar/Baumann Vorbem. §§ 149–158k Rn. 50; Makowsky 254 f. 236 LG Dresden 17.12.2009 – 7 O 1942/09, BeckRS 2010 00724. 237 BGH 13.11.1962 – VI ZR 12/62, VersR 1963 185, 187. 238 Krit. auch Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 78. Koch

40

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

Ferner ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes das Regulierungsverhalten des VR 96 zu berücksichtigen, das sich der VN analog § 166 BGB zurechnen lassen muss, weil der VR die Regulierung üblicherweise im Namen des VN, in der Kfz-Haftpflichtversicherung darüber hinaus auch im eigenen Namen im Rahmen der ihm durch den Versicherungsvertrag begründeten Geschäftsführungsbefugnis vornimmt.239 Ein zögerliches oder kleinliches Regulierungsverhalten wirkt nach der Rechtsprechung dann schmerzensgelderhöhend (Größenordnung ca. 1020 %),240 wenn es sich um ein vorwerfbares oder jedenfalls nicht nachvollziehbares Verhalten handelt, welches sich niederschlägt in unangemessen niedrigen vorprozessuale Leistungen,241 unverständlich verzögerter Regulierung, insbesondere, wenn die Haftung dem Grunde nach unstreitig ist und trotzdem keine Abschlagszahlung erfolgt242 oder unvertretbarem (vor-)prozessualen Verhalten, wenn es über die verständliche Rechtsverteidigung hinausgeht243 und von einem Geschädigten als herabwürdigend empfunden werden muss,244 etwa der Versuch, einen Abfindungsvergleich zu erzwingen.245 Erforderlich ist, dass die verzögerte Zahlung das gemäß § 253 BGB geschützte Interesse des Gläubigers beeinträchtigt.246

239 Vgl. BGH 23.1.1991 – IV ZR 284/89, VersR 1991 462, 463; OLG Frankfurt/M. 7.1.1999 – 12 U 7/98, NJW 1999 2447; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter Vorbemerkungen zu §§ 100 bis 112 Rn. 12. 240 Vgl. OLG Frankfurt/M. 4.6.2020 – 22 U 34/19, BeckRS 2020 16309; OLG Frankfurt/M. 22.9.1993 – 9 U 75/92, NZV 1994 363. 241 Vgl. etwa OLG Naumburg 21.8.2017 – 1 U 58/17, DAR 2018 631; OLG München 13.8.2010 – 10 U 3928/09, Schaden-Praxis 2011 107; OLG München 24.9.2010 – 10 U 2671/10, BeckRS 2010 23467; OLG München 19.1.2009 – 10 U 4917/08 (177.387,56 EUR mit vorgeschlagener Gesamtabfindung bei inkompletter Querschnittslähmung und schwersten Folgeerkrankungen statt angemessener 350.000 EUR); OLG Naumburg 15.10.2007 – 1 U 46/07, NJW-RR 2008 693; OLG Hamm 11.9.2002 – 9 W 7/02, VersR 2003 780; OLG Naumburg 25.9.2001 – 9 U 121/00, VersR 2002 1569 (offensichtlich unzureichende vorprozessuale Leistung (50.000 DM von insgesamt 225.000 DM) und dann unzutreffende verfahrensverzögernde Einwendungen gegen die Schmerzensgeldhöhe – Revision vom BGH nicht angenommen [18.6.2002 – VI ZR 380/01]); OLG Köln 16.3.2001 – 19 U 130/00, NJW-RR 2002 962, 963: Zahlung eines „lächerlich geringen Betrages“; OLG Frankfurt/M. 7.1.1999 – 12 U 7/98, NJW 1999 2447; OLG Nürnberg 25.4.1997 – 6 U 4215/ 96, VersR 1998 731, 732; OLG Nürnberg 11.7.1995 – 11 U 267/95, zfs 1995 452. 242 Vgl. BGH 2.12.1966 – VI ZR 88/66, VersR 1967 256, 257; BGH 23.6.1964 – VI ZR 90/63, VersR 1964 1103; OLG Hamm 15.2.2019 – 11 U 136/16, BeckRS 2019 8485; OLG Dresden 28.4.2017 – 6 U 1780/16, BeckRS 2017 120487; OLG München 21.3.2014 – 10 U 1750/13, NZV 2014 577, 578; OLG Schleswig 23.2.2011 – 7 U 106/09, juris; OLG Köln 7.12.2010 – 4 U 9/09 MDR 2011 290; OLG Saarbrücken 27.7.2010 NJW 2011 933, 936; OLG München 13.8.2010 – 10 U 3928/09 Schaden-Praxis 2011 107; OLG Brandenburg 8.3.2007 – 12 U 154/06, juris; OLG Nürnberg 22.12.2006 – 5 U 1921/06, NZV 2007 301, 303; OLG München 2.6.2006 – 10 U 1685/06, VersR 2008 799; OLG Rostock 14.6.2002 – 8 U 79/00, BeckRS 2009 17810; OLG Naumburg 28.11.2001 – 1 U 161/99, NJW-RR 2002, 672; OLG Köln 9.3.2001 – 19 U 130/00, NJW-RR 2002 962; OLG Köln 16.11.2000 – 7 U 64/00, VersR 2001 1396; OLG Köln 26.4.1995 – 2 U 161/94, NZV 1995 399, 400; OLG Frankfurt/M. 19.1.1994 – 7 U 189/92, zfs 1994 82; OLG München 24.11.1992 – 5 U 2599/91, NZV 1993 434; OLG München 14.4.1992 – 5 U 7176/91, NZV 1993 232; OLG München 11.12.1979 – 5 U 4231/78, VersR 1981 560; OLG Celle 7.12.1978 – 5 U 35/78, VersR 1980 632; OLG Karlsruhe 2.11.1972 – 4 U 149/71, NJW 1973 851, 852; KG 15.12.1969 – 12 U 1304/69, VersR 1970 379; LG Gera 6.5.2009 – 2 O 15/05, VersR 2009 1232; LG Saarbrücken 13.8.2000 – 15 O 121/97, zfs 2001 255; vgl. auch OLG Köln 27.6.2012 – 5 U 38/10, BeckRS 2012 14534; offengelassen von BGH 12.7.2005 – VI ZR 83/04, BGHZ 163 351 = RuS 2005 528, 530 bei zögerlichem Regulierungsverhalten; krit. Makowsky 256 ff. 243 OLG München 9.10.2009 – 10 U 2309/09, juris; OLG Brandenburg 17.9.2009 – 12 U 26/09, NZV 2010 154; OLG Köln 11.8.2011 – 5 U 74/11VersR 2012 907. 244 OLG München 24.9.2010 – 10 U 2671/10, juris; OLG Schleswig 15.1.09 – 7 U 76/07, NZV 2010 96; OLG Karlsruhe 14.11.2007 – 7 U 251/06, VersR 2008 545; OLG München 2.6.2006 – 10 U 1685/06, juris; LG Frankfurt/O. 18.5.2006 – 17 O 524/03, DAR 2008 29. 245 Vgl. OLG Naumburg 15.10.2007 – 1 U 46/07, NJW-RR 2008 693, 694; OLG Naumburg 25.9.2001 – 9 U 121/00, NZV 2002 459, (Revision nicht angenommen von BGH 18.6.2002 – VI ZR 380/01); LG Berlin 6.12.2005 –10 O 415/05, NJW 2006 702 f.; OLG Frankfurt/M. 7.1.1999 – 12 U 7–98, NJW 1999 2447, 2247 f. 246 Vgl. nur OLG Frankfurt/M. 31.1.2017 – 8 U 155/16, BeckRS 2017 139887. 41

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

4. Mitverschulden (§ 254 BGB) 97 Armbrüster hat als weiteren Anwendungsbereich für die Durchbrechung des Trennungsprinzips die mögliche Berücksichtigung von Haftpflichtversicherungsschutz beim Mitverschulden ausgemacht.247 In der Tat würde sich die Existenz von Versicherungsschutz haftungserweiternd für den Schädiger auswirken, wenn ein Mitverschulden des Geschädigten unberücksichtigt bliebe, weil der Schädiger für einen Teil des Schadens haftete, für den er bei Anrechnung eines Mitverschuldens nicht einstandspflichtig gewesen wäre. Jedoch ist bislang keine Rechtsprechung bekannt, die ein Mitverschulden des Geschädigten unberücksichtigt gelassen hat, weil der Schädiger haftpflichtversichert war. Insbesondere bei Verkehrsunfallschäden, bei denen es über die Anrechnung der Betriebsgefahr regelmäßig zu einer Anspruchskürzung kommt,248 wird kein Abzug mit der Begründung vorgenommen, dass dieser nicht dem Schädiger, sondern dessen VR nutze. Gegen eine Mitberücksichtigung von Versicherungsschutz auf Seiten des Schädigers bei der Verschuldensabwägung spricht, dass weder § 254 BGB selbst einen billigen Ausgleich verlangt, noch die Ersatzpflicht auf dem Fehlen eines Verschuldens oder deren Umfang auf der Unwägbarkeit immaterieller Interessen beruht.249

IV. Haftungsbegrenzende Wirkung von Haftpflichtversicherung 98 Eine haftungsbegrenzende Wirkung kommt der Haftpflichtversicherung in den Fällen zu, in denen der VN seine Haftung (wirksam) auf die Versicherungssumme begrenzt. Betroffen ist der Bereich der obligatorischen Haftpflichtversicherung. Nach § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO kann der Rechtsanwalt seine Haftung für (einfach oder grob) fahrlässig verursachte Schäden durch schriftliche Individualvereinbarung mit dem Mandanten auf die Mindestversicherungssumme von EUR 250.000 beschränken.250 Durch vorformulierte Vertragsbedingungen kann der VN seine Haftung für Fälle einfacher Fahrlässigkeit auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme beschränken (EUR 1 Mio.). Gleiches gilt nach § 52 Abs. 1 S. 2 BRAO für Berufsausübungsgemeinschaften. Entsprechende Regelungen gelten für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (§ 67a StBerG, § 54a WPO), deren jeweilige Abs. 1 Nr. 2 sogar grobe Fahrlässigkeit einschließt.

V. Auswirkungen der Versicherbarkeit eines Haftpflichtrisikos auf die Haftung 99 Bei der Behandlung der Wirksamkeit von Haftungsfreizeichnungsklauseln ist die Versicherbarkeit des Haftpflichtrisikos durch den Schädiger als Abwägungsgesichtspunkt bei der Angemessenheitsprüfung angesprochen worden (Rn. 87). Es geht also bei der Versicherbarkeit nicht darum, ob der VR das Risiko tragen kann (zur Versicherbarkeit von Haftpflichtrisiken im versicherungstechnischen Sinn s. Rn. 55 ff.), sondern ob der Schädiger sich hätte versichern können. In den nachstehend aufgezeigten Fallgruppen hat die Rechtsprechung haftungsrechtliche Konsequenzen aus der Versicherbarkeit des Haftpflichtrisikos durch den Geschädigten gezogen.

247 Armbrüster NJW 2009 187, 188. 248 Vgl. BGH 13.5.1956 – VI ZR 347/54, BGHZ 20 259, 262 = NJW 1956 1067; BGH 9.6.1952 – III ZR 297/51, BGHZ 6 319, 322 f. = NJW 1952 1015; vgl. auch MüKo-BGB/Oetker § 254 Rn. 114 f.

249 Staudinger/Schiemann § 254 Rn. 112; vgl. auch MüKo-BGB/Oetker § 254 Rn. 116; BeckOK-BGB/Lorenz § 254 Rn. 56.

250 Zu den versicherungsrechtlichen Konsequenzen des Gesetzes zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte s. Dallwig VersR 2014 19, 20. Koch

42

J. Interdependenzen von Haftung und Haftpflichtversicherung

VVG Vor §§ 100–112

1. Haftungsausschluss des Kfz-Probefahrenden Die eine Fallgruppe betrifft die Haftung des Probefahrenden für fahrlässig verursachte Sachschä- 100 den an dem Kfz des Kfz-Händlers251 oder eines privaten Eigentümers, für den der Kfz-Händler als Vermittler auftritt,252 sowie den Ersatz eines fahrlässig herbeigeführten Personenschadens, den der Kfz-Händler während der Probefahrt erleidet.253 Der BGH bejahte in diesen Fällen einen stillschweigenden Haftungsausschluss wegen des erhöhten Unfallrisikos bei Probefahrten, das der Probefahrende praktisch nicht, der Kfz-Händler jedoch ohne Weiteres versichern könne, sowie schließlich wegen des geschäftlichen Interesses des Kfz-Händlers an der Probefahrt.254 Das OLG Düsseldorf hält diesen dogmatischen Ansatz für verfehlt und begründet die Enthaf- 101 tung des Probefahrenden damit, dass bei dem Kaufinteressenten ein Vertrauenstatbestand dahingehend erweckt werde, der mit den spezifischen Risiken ständig konfrontierte und über entsprechende Erfahrungen verfügende gewerbsmäßige Verkäufer habe sich gegen derartige Risiken abgesichert. Verlange ein Verkäufer für einen bei einer Probefahrt leicht fahrlässig verursachten Schaden Ersatz, der in Zusammenhang mit den einer Probefahrt eigentümlichen Gefahren stehe, verstoße er gegen § 242 BGB (venire contra factum proprium).255 Teile der Literatur wollen die Problematik über eine entsprechende Anwendung des § 254 BGB im Rahmen des Mitverschuldens lösen.256 Abgelehnt hat die Rechtsprechung die Annahme eines stillschweigenden Haftungsaus- 102 schlusses bei einer Probefahrt mit dem Kfz eines privaten Halters, das dieser zum Verkauf angeboten hat.257 Zur Begründung wird auf die andersartige Interessen- und Risikolage zwischen privatem Verkäufer und privatem Käufer hingewiesen; insbesondere sei für den Gesichtspunkt der leichteren Versicherbarkeit des Verkäuferrisikos kein Raum.258

2. Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung Im Rahmen der Arbeitnehmerhaftung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadens- 103 ausgleichs misst die Rechtsprechung bei der im Rahmen der entsprechenden Anwendung von § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung der Gesamtumstände neben dem Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens insbesondere einem vom Arbeitgeber einkalkulierten oder durch Versicherung abdeckbaren Risiko besondere Bedeutung zu.259 Nach Ansicht des BAG ist ein durch das schädigende Ereignis eingetretener Vermögensverlust umso mehr dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zuzurechnen, als dieser einkalkuliert oder durch Versicherun251 BGH 7.6.1972 – VIII ZR 35/71, NJW 1972 1363 f. 252 BGH 10.1.1979 – VIII ZR 264/76, NJW 1979 643, 644; vgl. auch OLG Koblenz 13.1.2003 – 12 U 1360/01, NJW-RR 2003 1185, 1186; OLG Hamm 17.12.1999 – 29 U 54/99, NVersZ 2000 385. 253 BGH 18.12.1979 – VI ZR 52/78, NJW 1980 1681, 1682; für Personenschäden des Halters durch einen berechtigten Fahrer besteht mittlerweile Schutz der Kfz-Haftpflichtversicherung, nicht dagegen für Sach- und Vermögensschäden, vgl. A. 1.5.6 AKB 2015. 254 BGH 18.12.1979 – VI ZR 52/78, NJW 1980 1681, 1682; BGH 10.1.1979 – VIII ZR 264/76, NJW 1979 643, 644. 255 OLG Düsseldorf 9.6.1976 – 15 U 209/75, VersR 1978 156, 157; Fuchs AcP 191 (1991) 318, 342; Jox NZV 1990 53, 55. 256 MüKo-BGB/Emmerich § 311 Rn. 63; Ströfer NJW 1979 2553, 2554 Anm. zu BGH 10.1.1979 – VIII ZR 264/76, NJW 1979 643; Schmid JR 1980 139; Makowsky 272 ff. 257 OLG Köln 20.11.1995 – 16 U 32/95, NJW 1996 1288, 1289. 258 OLG Köln 20.11.1995 – 16 U 32/95, NJW 1996 1288, 1289; OLG Zweibrücken 27.4.1990 – 1 U 188/89, NZV 1990 466; bei einer bestehenden Vollkaskoversicherung greift freilich ein Regressverzicht des VR zugunsten des fahrlässig handelnden Probefahrenden ein, vgl. A. 2.8 AKB 2015. 259 Vgl. BAG 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007 1230, 1235; BAG 27.1.2000 – 8 AZR 876/98, NZA 2000 727, 729; BAG 12.11.1998 – 8 AZR 221/97, NZA 1999 263, 264; LAG Köln 7.5.1992 – 5 Sa 448/91, NZA 1992 1032 ff.; LAG Bremen 26.7.1999 – 4 Sa 116/99, NZA-RR 2000 126, 127; s. auch Hübsch BB 1998 690, 691; v. Bar AcP 181 (1981) 289, 322. 43

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

gen – ohne Rückgriffsmöglichkeit gegen den Arbeitnehmer – abdeckbar ist.260 Diese Voraussetzungen sind bei einer Betriebshaftpflichtversicherung gegeben, bei der nicht nur die gesetzlichen Vertreter des VN mitversichert sind, sondern auch sämtliche Arbeitnehmer für Schäden, die sie in Ausführung ihrer dienstlichen Verrichtungen verursachen (vgl. § 102 Rn. 26). 104 Soweit das eingetretene Schadensrisiko durch eine Betriebshaftpflichtversicherung abdeckbar ist, haftet der Arbeitnehmer, der den Schaden beim Dritten mit mittlerer Fahrlässigkeit verursacht hat, im Innenverhältnis gegenüber seinem Arbeitgeber deshalb nur bis zur Höhe eines vereinbarten Selbstbehalts, ohne dass es darauf ankommt, ob der Arbeitgeber tatsächlich eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen hat.261 Wird der Arbeitnehmer von dem Geschädigten auf Schadensersatz in Anspruch genommen, muss der Arbeitgeber ihn von seiner Verpflichtung gegenüber dem Geschädigten in Höhe des über den vereinbarten Selbstbehalt hinausgehenden Betrags freistellen.262 Hat der Arbeitnehmer bereits den Schaden ersetzt, so wandelt er sich in einen Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber um.263 Da nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs eine Entlastung selbst bei grober Fahrlässigkeit vorgesehen ist (Rn. 75), kommt auch bei diesem Verschuldensgrad eine Beschränkung der Haftung im Innenverhältnis auf einen vereinbarten Selbstbehalt in Betracht.264

3. Folgerungen 105 Ungeachtet der unterschiedlichen dogmatischen Ansätze lassen sich die Voraussetzungen, unter denen sowohl die zivilgerichtliche als auch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung die Versicherbarkeit des Haftpflichtrisikos auf Seiten des Geschädigten bei der Haftung(sbeschränkung) zugunsten des Schädigers berücksichtigt hat, wie folgt verallgemeinerungsfähig, d. h. nicht beschränkt auf die soeben behandelten Fallgruppen, zusammenfassen. Es muss sich erstens um typische Haftpflichtrisiken im Rahmen eines (vorvertraglichen) Schuldverhältnisses zwischen einem Unternehmer (auch Arbeitgeber) und einem Verbraucher (auch Arbeitnehmer) handeln. Bei sozialen Kontakten im Rahmen von Gefälligkeitsverhältnissen spielt die Versicherbarkeit keine Rolle.265 Diese Risiken dürfen zweitens nur durch den Geschädigten, nicht jedoch durch den Schädiger versicherbar sein. Allein der Umstand, dass eine Selbstversicherung des Geschädigten „praktikabler oder billiger oder gerechter“ ist, dürfte nicht genügen.266 Drittens muss die Haftpflichtversicherung üblich und zumutbar sein, wovon nicht nur bei Industrie-, Gewerbe-, Handels- und Landwirtschaftsbetrieben ausgegangen werden kann, sondern auch bei Berufsgruppen, bei denen ein großes Schadens-/Haftungspotential besteht (z. B. Ingenieure, Architekten, Ärzte, auch Hebammen).

260 BAG 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007 1230, 1235; LAG Rheinland-Pfalz 29.10.2015 – 3 Sa 464/14, BeckRS 2016 67460; LAG Rheinland-Pfalz 4.11.2013 – 5 Sa 222/13, BeckRS 2014 66819; LAG Rheinland-Pfalz 26.3.2012 – 5 Sa 655/11, BeckRS 2012 70133; LAG Köln 27.1.2011 – 7 Sa 802/10, BeckRS 2011 69961. 261 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz 29.10.2015 – 3 Sa 464/14, BeckRS 2016 67460; LAG Rheinland-Pfalz 4.11.2013 – 5 Sa 222/13, BeckRS 2014 66819; LAG Rheinland-Pfalz 26.3.2012 – 5 Sa 655/11, BeckRS 2012 70133; LAG Bremen 26.7.1999 – 4 Sa 116/99, NZA-RR 2000 126, 127. 262 Vgl. allgemein zum Anspruch auf Freistellung BGH 14.11.2002 – III ZR 87/02, NJW 2003 578, 580; BAG 14.12.1995 – 8 AZR 875/94, NJW 1996 1301, 1302; BAG 23.6.1988 – 8 AZR 300/85, NZA 1989 181, 182; BAG 5.12.1969 – 1 AZR 239/69, NJW 1970 775. 263 ErfK/Preis § 619a BGB Rn. 26. 264 A. A. LAG Sachsen-Anhalt 31.3.2015 – 6 Sa 351/13, BeckRS 2015 72680. 265 Vgl. Armbrüster NJW 2009 187, 190. 266 So aber v. Bar AcP 181 (1981) 289, 327; Fuchs AcP 191 (1991) 318, 342. Koch

44

K. Trennungsprinzip

VVG Vor §§ 100–112

K. Trennungsprinzip I. Materielles Trennungsprinzip Das bereits vom RG267 anerkannte und vom BGH268 übernommene versicherungsrechtliche ma- 106 terielle Trennungsprinzip (hierzu bereits Rn. 70) folgt zwangsläufig daraus, dass die Leistungspflichten des VR gemäß § 100 daran anknüpfen, ob der von einem Dritten geltend gemachte Haftpflichtanspruch begründet ist. Das macht eine zweistufige Prüfung der Eintrittspflicht des VR erforderlich.269 Zunächst bedarf es der Feststellung, ob der VN dem geschädigten Dritten gegenüber haftet (Haftpflichtverhältnis). Anschließend erfolgt die Prüfung, ob der VR dem VN Freistellung von dessen zuvor im Haftungsverhältnis ermittelten Zahlungspflicht zu gewähren hat (Deckungsverhältnis). Dabei gilt – abgesehen von den soeben erörterten Ausnahmen – der Grundsatz, dass sich die Versicherung nach der Haftung und nicht umgekehrt die Haftung nach der Versicherung richtet. Das materielle Trennungsprinzip bleibt auch in den Fällen bestehen, in denen der VR von Seiten des VN, der den Geschädigten befriedigt hat, auf Zahlung in Anspruch genommen wird, weil die Entstehung dieses Direktanspruches von der Begründung des Haftpflichtanspruches gegen den VN abhängig ist.270 Dies gilt auch für den Fall, dass der VR von Seiten des Geschädigten nach Abtretung oder Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs auf Zahlung in Anspruch genommen wird. Insoweit gilt der allgemeine Grundsatz, dass niemand mehr Rechte geltend machen oder übertragen kann, als er selbst innehat.271 In beiden Konstellationen wird lediglich das prozessuale Trennungsprinzip durchbrochen.

II. Prozessuales Trennungsprinzip 1. Herleitung und Zweck Die Trennung zwischen Haftung und Deckung findet ihr prozessuales Gegenstück darin, 107 dass die Frage der Haftpflicht des VN gegenüber dem Geschädigten und die der versicherungsrechtlichen Deckungspflicht des VR gegenüber dem VN grundsätzlich in getrennten Prozessen zu klären sind.272 Zum Wesen des Haftpflichtversicherungsschutzes gehört – wie nunmehr in § 100 positiv-rechtlich geregelt – gerade auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche durch den VR. Da der VN einen fälligen Anspruch auf Gewährung von Haftpflichtversicherungsschutz deshalb bereits dann hat, wenn der vom Dritten geltend gemachte Anspruch in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fällt (§ 100 Rn. 34), kommt dem prozessualen Trennungsprinzip im Verhältnis zum materiellen Trennungsprinzip versicherungsrechtlich die weitaus größere Bedeutung zu.

267 Erstmals RG 22.3.1904 – VII 516/03, VA 1904 180 Nr. 85; RG 27.4.1926 – VI 3/26, RGZ 113 286, 290; RG 15.3.1932 – VII 371/31, RGZ 135 368, 369; RG 16.6.1933 – VII 24/33, RGZ 141 185, 187; RG 22.9.1933 – VII 66/33, RGZ 141 410, 414; RG 2.8.1935 – VII 76/35, RGZ 148 282, 285; RG 23.4.1937 – VII 296/36, RGZ 154 340, 341. 268 BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, RuS 2011 430, 431; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, RuS 2011 66 = VersR 2011 203, 150; BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241, 242 = VersR 2007 641; BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, RuS 2006 149 = VersR 2006 106; BGH 18.2.2004 – IV ZR 126/02, RuS 2004 232, 233 = VersR 2004 590; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, RuS 2001 408, 409 = VersR 2001 1103; jeweils m. w. N. 269 Vgl. Stiefel/Maier Vorbemerkung (vor § 113 VVG) Rn. 16. 270 Zum Direktanspruch in der Kfz-Haftpflichtversicherung vgl. BGH 5.12.1978 – VI ZR 233/77, NJW 1979 983, 984. 271 Vgl. Seybold/Wendt VersR 2009 455, 462. 272 Vgl. nur BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90; OLG Hamm 2.10.2015 – 20 U 139/14, RuS 2016 32; OLG Hamm 25.1.2012 – 20 U 120/11, VersR 2012 985; OLG Karlsruhe 24.3.2005 – 12 U 432/04, VersR 2005 781; Langheid/ Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 102. 45

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

108

Vorbemerkung zu §§ 100–112

Ergänzt – und nicht etwa durchbrochen273 – wird das Trennungsprinzip durch die Bindungswirkung des rechtskräftigen Haftpflichturteils für den nachfolgenden Deckungsrechtsstreit. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrunde liegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut überprüft werden.274 Die Bindungswirkung ist zudem nach § 106 Voraussetzung für die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs des VN. Zu Begriff und Umfang der Bindungswirkung s. § 106 Rn. 16 ff. Der Trennungsgrundsatz gilt auch in den Fällen, in denen in Bezug auf die zwischen den Parteien des Haftpflichtversicherungsprozesses strittigen Punkte keine Identität zwischen den Voraussetzungen des Haftpflichtanspruchs und des Versicherungsanspruchs besteht, sog. Voraussetzungsidentität. Auch in dieser Konstellation ist der VR zur Anspruchsabwehr verpflichtet (§ 100 Rn. 46).

2. (Vorweggenommener) Deckungsprozess 109 Aus dem prozessualen Trennungsprinzip folgt, dass in denjenigen Fällen, in denen der Schadensersatzanspruch des Dritten (u. a.) auf ein Ereignis gestützt wird, das in den Schutzbereich des Vertrages fällt, im Deckungsprozess nicht geprüft werden darf, ob dieses Ereignis tatsächlich stattgefunden hat oder nicht.275 Anderenfalls bestünde die Gefahr divergierender Entscheidungen, etwa wenn später im Haftpflichtprozess der Anwalt wegen Verletzung seiner Anwaltspflichten zum Schadensersatz verurteilt wird, nachdem vorher rechtskräftig im Deckungsprozess die Deckung für den betreffenden Schadensfall verneint worden ist, oder im Deckungsprozess die Haltereigenschaft des VN rechtskräftig verneint und im Haftpflichtprozess diese Haltereigenschaft später doch bejaht wird. Die Rechtskraft der Entscheidung im Deckungsprozess wird durch die spätere Entscheidung im Haftpflichtprozess nämlich nicht berührt.276 110 Ändert der Dritte seinen (dem Deckungsprozess zugrunde gelegten) Sachvortrag im Haftpflichtprozess in einem für den Deckungsschutz entscheidenden Punkt und wird die neue Darstellung für richtig befunden, so steht, da im vorausgegangenen Deckungsprozess über den neuen Sachverhalt nicht entschieden wurde, einem neuen Deckungsprozess die Rechtskraft des früheren nicht entgegen.277 So liegt der Fall, wenn der Geschädigte und der VN annehmen, die Schäden seien auf asbesthaltige Substanzen zurückzuführen, und die Deckungsklage deshalb wegen Ziff. 7.11 AHB 2016 abgewiesen wird, später im Haftpflichtprozess aber durch Sachverständige festgestellt wird, dass die Schäden auf einer anderen, versicherten Ursache beruhen. 111 Anders liegt der Fall, wenn der VR aufgrund des vom Dritten behaupteten Sachverhalts in einem vorweggenommenen Deckungsprozess verpflichtet wurde, der Dritte den Sachverhalt im Haftpflichtprozess jedoch ändert und obsiegt. In diesem Fall kann der VR weder die Kosten des Deckungsprozesses noch die durch die Entscheidung im Haftpflichtprozess verursachten Kosten vom VN erstattet verlangen, weil er den Anspruch abzuwehren hatte.278 Ein Anspruch 273 Missverständlich Harsdorf-Gebhardt RuS 2012 261, 262 und Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski Vorbemerkung zu §§ 100–124 Rn. 9. 274 BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, RuS 2011 430, 431; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, RuS 2011 66 = VersR 2011 203, 204; BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241, 242= VersR 2007 641; BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, RuS 2006 149, 150 = VersR 2006 106; BGH 18.2.2004 – IV ZR 126/02, RuS 2004 232, 233 = VersR 2004 590; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, RuS 2001 408, 409 = VersR 2001 1103; jeweils m. w. N. 275 Vgl. nur BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90; OLG Hamm 2.10.2015 – 20 U 139/14, RuS 2016 32; OLG Hamm 25.1.2012 – 20 U 120/11, VersR 2012 985; OLG Karlsruhe 24.3.2005 – 12 U 432/04, VersR 2005 781; Langheid/ Wandt/Littbarski Vorbemerkungen zu den §§ 100–124 Rn. 102. 276 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 54. 277 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 54. 278 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 55. Koch

46

K. Trennungsprinzip

VVG Vor §§ 100–112

auf Freistellung des VN besteht nicht, da über den Deckungsanspruch wegen des Anspruchs aus dem geänderten Sachverhalt noch nicht entschieden ist. Die Rechtskraft des früheren Deckungsurteils hindert den VR jedoch nicht daran, seine Leistungspflicht wegen dieses neuen Anspruchs zu bestreiten.279 Ergibt sich im Haftpflichtprozess, dass im Deckungsprozess Kollusion vorgelegen hat (z. B. gemeinschaftliche Vortäuschung eines Unfalls), kommt § 826 BGB zum Tragen, sodass es einer Einschränkung der Rechtskraft nicht bedarf.280 Aus dem Trennungsprinzip folgt auch zwingend, dass der Versicherungsschutzprozess 112 grundsätzlich nicht mit der Begründung nach § 148 ZPO ausgesetzt werden darf, dass zurzeit noch ungewiss sei, ob der Haftpflichtanspruch begründet sei oder nicht (§ 100 Rn. 167). Nur soweit es um die Frage geht, ob der geltend gemachte Anspruch in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fällt oder ein Ausschluss eingreift, kommt ein vorweggenommener Deckungsprozess in Betracht.281 Hängen die sachliche Begründetheit eines geltend gemachten Anspruchs und die Frage der Deckung von dem in tatsächlicher Hinsicht streitigen Vorliegen derselben Eigenschaft oder desselben Rechtsverhältnisses ab und liegt somit ein Fall der Voraussetzungsidentität vor (zu Einzelheiten s. § 106 Rn. 23), bleibt es jedoch dabei, dass die Entscheidung des Haftpflichtprozesses nicht im Deckungsprozess vorweggenommen werden darf.

3. Ausnahmen vom Trennungsprinzip a) Fehlende Voraussetzungsidentität nach unstreitigem Vortrag des Geschädigten. 113 Von dem Grundsatz, dass im vorweggenommenen Deckungsprozess nicht geprüft werden darf, ob der geltend gemachte Haftpflichtanspruch begründet ist oder nicht, ist eine Ausnahme zu machen, wenn es nach unstreitigem Vortrag des Geschädigten an der Voraussetzungsidentität fehlt und deshalb ausgeschlossen ist, dass im Haftpflichtprozess über eine für den Versicherungsschutz maßgebliche Frage mit Bindungswirkung entschieden wird. Es leuchtet ein, dass es prozessökonomisch ist, in einem derartigen Ausnahmefall, in dem die Gefahr divergierender Urteile nicht besteht, den geschilderten Trennungsgrundsatz zu durchbrechen. Beispielhaft sei der Fall genannt, dass die VN in der D&O-Versicherung ihren Anspruch mit einem von dem versicherten Geschäftsführer nicht bestrittenen Sachverhalt begründet, der eine wissentliche Pflichtverletzung nahelegt. Lehnt der VR die Deckung deshalb ab und wird von dem Geschäftsführer auf Feststellung des Bestehens von Versicherungsschutz verklagt, kann das mit der Klage befasste Gericht, über die Wissentlichkeit der Pflichtverletzung entscheiden. Es muss nicht erst das Urteil des über die Haftung entscheidenden Gerichts abwarten, weil Feststellungen des Haftpflichtrichters zur Wissentlichkeit der Pflichtverletzung mangels Voraussetzungsidentität keine Bindungswirkung für das mit dem Deckungsprozess befasste Gericht entfalten. Bestreitet die versicherte Person den Sachverhalt, ist der VR zur Gewährung von Rechtsschutz unter Vorbehalt der Rückforderung verpflichtet (§ 100 Rn. 46).

b) Umwandlung des Haftpflichtversicherungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch. 114 Eine Durchbrechung des prozessualen Trennungsprinzips findet stets statt, wenn sich der Haftpflichtversicherungsanspruch in einen Zahlungsanspruch umwandelt. Dies ist der Fall, wenn – der geschädigte Dritte sich den Freistellungsanspruch des VN pfänden und überweisen lässt (§ 100 Rn. 133), – der VN den Freistellungsanspruch an den Dritten abtritt (§ 100 Rn. 134 f.), 279 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 55. 280 Krämer RuS 2001 177, 182; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 55. 281 OLG München 8.8.2008 – 25 U 5188/07, NJW-RR 2008 1560, 1561; OLG Hamm 21.3.2007 – 20 U 29/06, RuS 2007 321; OLG Hamm 7.2.2007 – 20 U 118/06, RuS 2007 152, 153. 47

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

– – – – –

Vorbemerkung zu §§ 100–112

der VN den Haftpflichtanspruch des Dritten anerkennt und/oder befriedigt (§ 100 Rn. 136), der Dritte infolge der Insolvenz des VN ein Einziehungsrecht entsprechend § 1282 BGB erwirbt (§ 100 Rn. 137), dem VR eine wirksame Abwehr des Zugriffs des geschädigten Dritten auf das Vermögen des VN nicht mehr möglich ist (§ 100 Rn. 138 ff.), der VR auf einen Aktivprozess verzichtet, wenn der Geschädigte mit der bestrittenen Haftpflichtforderung aufrechnet (§ 100 Rn. 143) oder der Haftpflichtanspruch infolge der Vereinigung von Haftpflichtanspruch und Haftpflichtschuld in einer Person untergeht (§ 100 Rn. 144).

L. Haftpflichtversicherung und Prozesskostenhilfe (PKH) 115 Wird der VN auf Schadensersatz in Anspruch genommen, schuldet der VR gem. § 100 die Abwehr des Anspruchs, soweit er den VN nicht von dem Anspruch freistellt. Kommt der VR dieser Pflicht nach, fehlt es an der Bedürftigkeit des VN i. S. v. § 114 ZPO.282 Ein Anspruch auf PKH besteht nicht. Lehnt der VR die Deckung ab, hat der VN gemäß § 115 Abs. 3 S. 1 ZPO zur Bestreitung der Prozesskosten auch sein verwertbares Vermögen einzusetzen.283

M. Rechtsstellung des geschädigten Dritten I. Grundsatz: Durchsetzung eines Zahlungsanspruchs gegen den VR nur als Rechtsnachfolger des VN 116 Die Rechtsstellung des geschädigten Dritten (zur Person und zum Begriff des geschädigten Dritten s. § 100 Rn. 148 ff.) ist in der (freiwilligen) Haftpflichtversicherung dadurch gekennzeichnet, dass er nicht in Rechtsbeziehungen zu dem VR steht und er deshalb kein eigenes Forderungsrecht gegen den VR hat. Dieser Grundsatz ist vor der Reform des VVG von Rechtsprechung284 und Literatur nahezu einmütig vertreten worden.285 Die von Bruck286 für einen Sonderfall vertretene Auffassung, dass dem Dritten, wenn der VN nach § 156 S. 3 i. d. F. von 1908 (= § 156 Abs. 2 a. F.) Zahlung an ihn verlange, aufgrund eines Vertrages zugunsten eines Dritten i. S. v. § 328 BGB ein unmittelbares Forderungsrecht zustehe, hat sich ebenso wenig durchsetzen können287 wie die Ansichten, die einen Direktanspruch aus der Übernahme einer Garantie des VR gegenüber dem Dritten oder einem „Reihenschuldverhältnis“ herleiten wollten.288 Andere Einordnungsversuche der Haftpflichtversicherung als Erfüllungsübernahme im Sinne des § 329 BGB oder als Schuldverhältnis „sui generis“289 sind für die Frage, ob dem Dritten ein eigenes Forderungsrecht zusteht, ohne Bedeutung. Dies gilt auch für die von K. Sieg vorgenommene Deutung des durch § 156 Abs. 1 a. F. (= § 108 Abs. 1) ausgesprochenen relativen Veräußerungsverbots i. S. v. § 135 BGB als „Obligation mit Drittwirkung“.290 282 Vgl. BFH 30.1.2004 – VII S 22/03; OLG Karlsruhe 24.3.2011 – 1 U 19/11, NZV 2011 260, 261; KG 29.3.1979 – 12 U 35/79, VersR 1979 449; Zöller/Schultzky § 115 Rn. 49.

283 OLG Karlsruhe 24.3.2011 – 1 U 19/11, NZV 2011 260, 261. 284 Vgl. nur BGH 8.10.1952 – II ZR 309/51, BGHZ 7 244, 246 = NJW 1952 1333; RG 5.2.1909 – VII 186/08, RGZ 70 257, 261.

285 Vgl. Späte § 1 Rn. 195 ff.; K. Sieg Ausstrahlungen 85; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 79 m.Nachw. zum älteren Schrifttum. Bruck Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 7. Aufl. (1932), § 156 Anm. 15. Vgl. Nachw. bei Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 79; K. Sieg Ausstrahlungen 183. Vgl. Nachw. bei Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 81; K. Sieg Ausstrahlungen 249 ff. Vgl. die Hinweise auf die ältere Literatur bei K. Sieg Ausstrahlungen 248 f. K. Sieg Ausstrahlungen 260 f.

286 287 288 289 290

Koch

48

M. Rechtsstellung des geschädigten Dritten

VVG Vor §§ 100–112

In jüngerer Zeit, allerdings noch vor der Reform des VVG, hat Baumann diese Deutung aufge- 117 griffen und zum Anlass genommen, den Haftpflichtversicherungsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, hier also des geschädigten Dritten, zu qualifizieren. Im Hinblick auf die sechsmonatige Klagefrist des VN gem. § 12 Abs. 3 a. F. nach Ablehnung der Deckung hat Baumann den VR gegenüber dem Dritten als nach § 311 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB zur Aufklärung verpflichtet angesehen.291 Nach seiner Ansicht erfährt die „mehr abstrakte Schutzposition des Dritten […] mit Eintritt des Haftpflichtversicherungsfalles eine Konkretisierung dahin gehend, dass nunmehr die Versicherungsentschädigung für den konkret Geschädigten ‚verfangen‘ ist. Er hat zwar keinen unmittelbaren Leistungsanspruch gegen den Versicherer. Aber die Versicherungsentschädigung soll ihm […] nach dem gesetzlichen Konzept der §§ 156, 157 VVG [§§ 108, 110] ‚unter allen Umständen zugute kommen‘. […] Diese, sich gleichsam wie ein Anwartschaftsrecht dynamisch fortentwickelnde Rechtsposition soll durch die hier bejahte Aufklärungspflicht des Versicherers geschützt werden“.292 Verletzt der VR seine Aufklärungspflicht, sei er gegenüber dem Dritten nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.293 Die Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 a. F. ist der VVG-Reform ersatzlos zum Opfer gefallen und 118 scheidet somit als Anknüpfungspunkt für eine Aufklärungspflicht des VR aus. Über den Eintritt der Verjährung des Versicherungsanspruchs muss der VR den Dritten weder aufklären noch Auskunft erteilen, da dieses Rechtsinstitut allgemein bekannt ist und der Dritte den Eintritt selbst ermitteln kann.294 Eine Auskunftspflicht ließe sich allenfalls mit Blick auf eine mögliche Hemmung nach § 15 bejahen. Es ist jedoch fraglich, ob sich die Zubilligung eines Schadensersatzanspruches wegen Verletzung der Auskunftspflicht in Einklang mit der Dogmatik der Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bringen lässt. Nach der Rechtsprechung können die Rechte des Dritten aus dem zwischen dem Gläubiger (= VN) und dem Schuldner (= VR) geschlossenen Vertrag grundsätzlich nicht weiter gehen als die Rechte des Gläubigers als des Vertragspartners des Schädigers (= VR).295 Dem VN als Gläubiger des VR stehen jedoch im Hinblick auf etwaige Ausschluss- oder Verjährungsfristen keine Auskunftsansprüche zu und der VR ist nach allgemeinen Grundsätzen (kein Wissensvorsprung) auch nicht verpflichtet, den VN über diese Fristen zu informieren. Auch wenn es sich bei der Begrenzung des Drittschutzes, die sowohl dem Rechtsgedanken 119 des § 334 BGB als auch dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entnommen wird,296 nur um einen Grundsatz297 und nicht um ein unverrückbares Prinzip handelt, wird man nicht ohne Weiteres eine konkludente Abbedingung des § 334 BGB annehmen können. Eine solche kann nach der Rechtsprechung bei gegenläufigen Interessen von Gläubiger und Drittem zwar vorliegen.298 Jedoch besteht hinsichtlich der Sicherstellung der Leistungspflicht des VR eher ein Interessengleichlauf zwischen Schädiger und Geschädigten, mag auch der VN mehr an Abwehr und der Dritte mehr an der Befriedigung der Haftpflichtansprüche interessiert sein. Erst wenn der VN untätig bleibt und ein Verlust des Versicherungsschutzes droht, sind die Interessen gegenläufiger Natur. In solchen Fällen billigt die Rechtsprechung dem Dritten jedoch nur ein Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Haftpflichtversicherungsschutz und auf Auskunft zu (dazu

291 292 293 294 295

Baumann VersR 2004 944, 946. Baumann VersR 2004 944, 946; vgl. auch Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 145 f. Baumann VersR 2004 944, 947. Vgl. BGH 27.11.1958 – II ZR 90/57, NJW 1959 241 = VersR 1959 22. St. Rspr., vgl. BGH 14.6.2012 – IX ZR 145/11, NZG 2012 866, 870; BGH 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127 378, 384 f. = NJW 1995 392; BGH 13.11.1997 – X ZR 144/94, NJW 1998 1059; BGH 15.6.1971 – VI ZR 262/69, NJW 1971 1931, 1932; BGH 23.6.1965 – VIII ZR 201/63, NJW 1965 1757, 1759; BGH 7.11.1960 – VII ZR 148/59, BGHZ 33 247, 250 = NJW 1961 211. 296 BGH 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127 378, 384 f. = NJW 1995 392. 297 So ausdrücklich BGH 15.6.1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56 269, 272 = NJW 1971 1931. 298 BGH 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127 378, 385 f. = NJW 1995 392. 49

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

sogleich Rn. 122 f.). Ebendiese Möglichkeit lässt im Übrigen die Schutzbedürftigkeit des Dritten als fraglich erscheinen, die Voraussetzung für die Annahme einer Schutzwirkung ist.299 120 Auch nach der Reform besteht deshalb kein Anlass, die Rechtsprechung zu § 149 a. F. infrage zu stellen. Es bleibt somit dabei, dass der Dritte – abgesehen von den Besonderheiten des § 115 Abs. 1 S. 1 – nur im Umwege über die Rechtsstellung des VN ein Forderungsrecht gegen den VR erhält, also abgesehen vom Fall der Insolvenz des VN (hierzu § 110 Rn. 12 f.) erst nach Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs oder nach einer Abtretung. Für eine analoge Anwendung von § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder wenigstens § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 besteht kein Raum. Ein individualvertraglich vereinbartes Abtretungsverbot steht nur bis zur endgültigen Feststellung der Haftpflichtforderung i. S. v. § 106 S. 1 entgegen (vgl. § 851 Abs. 2 ZPO), also nicht mehr z. B. nach rechtskräftigem Abschluss des Haftpflichtprozesses. Dazu, dass dem Dritten bei Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses das Recht zuzubilligen ist, auf Feststellung des zwischen dem VN und dem VR bestehenden Rechtsverhältnisses zu klagen, vgl. Rn. 23 f. und § 100 Rn. 168 ff. Vorstehendes gilt auch in dem Fall, in dem der VN zugleich Drittgeschädigter ist (z. B. in der D&O-Versicherung, vgl. § 100 Rn. 148).

II. Anwendung des Trennungsprinzips 121 Bei der Durchsetzung des Freistellungsanspruchs, der auf den Dritten durch einen staatlichen Hoheitsakt (Pfändungs- und Überweisungsbeschluss) oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN übergegangen oder durch Abtretung übertragen worden ist, ist wiederum das Trennungsprinzip zu beachten. Dessen Anwendung bedeutet, dass der VR auch gegenüber dem Dritten grundsätzlich nicht einwenden kann, dass der Haftpflichtprozess unrichtig entschieden sei. Die hier im übertragenen Sinne „im Deckungsstreit“ stehenden Parteien sind außerhalb der geschriebenen Regeln der Rechtskraft an die Entscheidung im Haftpflichtprozess und auch an die außergerichtliche Feststellung der Haftpflichtforderung gebunden. Der VR kann dem Dritten gem. § 404 BGB nur die versicherungsrechtlichen Einwendungen entgegensetzen. Damit wird ein anschließender Rechtsstreit zwischen dem Dritten und dem VR auf die Frage beschränkt, ob Haftpflichtversicherungsschutz besteht.300

III. Feststellungsklage des Dritten 122 Vorstehende Ausführungen zu I. (Rn. 116 ff.) beziehen sich nur auf ein Zahlungsverlangen des geschädigten Dritten, dagegen nicht auf eine Feststellungsklage, die dieser erhebt, um Rechtsnachteilen vorzubeugen, die sich aus einer Untätigkeit des VN ergeben können. Nach der Rechtsprechung301 und einhelliger Meinung in der Literatur302 ist der Geschädigte berechtigt, Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO zu erheben, wenn der VR seine Eintrittspflicht aus dem Vertrag ablehnt und außerdem der VN untätig bleibt.303 Ein Feststellungsinteresse des Geschädigten ist ferner gegeben, wenn der VR auf Anfrage 123 des Geschädigten, ob Versicherungsschutz bestehe, keine oder keine eindeutige Antwort gibt 299 Vgl. nur BGH 12.1.2011 – VIII ZR 346/09, NZV 2011 183, 184; BGH 2.7.1996 – X ZR 104/94, BGHZ 133 168, 173 f. = NJW 1996 2927. 300 Vgl. BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, RuS 1993 370, 371. 301 Vgl. BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, BGHZ 214 314 Rn. 24 m.Anm. R. Koch LMK 2017 392034; BGH 22.7.2009 – IV ZR 256/06, VersR 2009 1485 Rn. 2; BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90, 91; OLG Celle 5.7.2012 – 8 U 28/ 12, juris. 302 Vgl. nur Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 21; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 54; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 149; Armbrüster RuS 2010 441, 447; R. Johannsen RuS 1997 309, 313. 303 BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90, 91. Koch

50

N. Pflicht zur Sicherstellung risikoadäquaten Versicherungsschutzes

VVG Vor §§ 100–112

oder die Auskunft verweigert (§ 100 Rn. 170).304 Insoweit ist der Hinweis geboten, dass der Dritte gegen den VR des Schädigers einen Anspruch auf Auskunft über den Gegenstand und den Umfang des Versicherungsschutzes hat.305 Schließlich besteht ein Interesse des Geschädigten an einer gerichtlichen Feststellung der Deckung gegenüber dem VR, wenn über das Vermögen des VN das Insolvenzverfahren eröffnet ist und der Geschädigte entsprechend § 1282 BGB ein Einziehungsrecht unmittelbar gegenüber dem VR erwirbt, sobald der Anspruch fällig geworden ist.306

N. Pflicht zur Sicherstellung risikoadäquaten Versicherungsschutzes I. Treue- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer nicht zum 124 Abschluss einer Kaskoversicherung verpflichtet, wenn sich dies nicht aus dem Arbeitsvertrag oder den das Arbeitsverhältnis gestaltenden normativen Bestimmungen ergibt.307 Mit der gleichen Begründung hat das LAG Sachsen-Anhalt eine (Rechts-)Pflicht des Arbeitgebers zum Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung verneint.308 Die Literatur vertritt ebenfalls dieses Ansicht mit der Begründung, der Arbeitnehmer sei hinreichend dadurch geschützt, dass nach den Grundsätzen über den innerbetrieblichen Schadensausgleich fehlender Haftpflichtversicherungsschutz zulasten des Arbeitgebers ins Gewicht falle, weil die Haftung des Arbeitnehmers nicht nur bei leicht fahrlässig verursachten, sondern auch bei mit einem höheren Verschuldensgrad verursachten Fremdschäden beschränkt werde.309 Jedoch liegen die Dinge bei Fremdschäden etwas anders, da der Arbeitnehmer im Außenverhältnis gegenüber dem geschädigten Dritten voll haftet.310 Der Arbeitnehmer läuft somit Gefahr, dass er – selbst bei nur einfachster Fahrlässigkeit – seinen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch bei Insolvenz seines Arbeitgebers nicht realisieren kann.311 Dieser Umstand spricht für die Annahme einer (Fürsorge-)Pflicht des Arbeitgebers zum Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung.312 In seinem Urteil vom 16.3.2009 hat der II. Zivilsenat des BGH eine Pflicht der Gesellschaft 125 gegenüber ihren Aufsichtsratsmitgliedern zum Abschluss einer D&O-Versicherung – ohne eine Regelung in der Satzung – verneint.313

II. Vermögensbetreuungs-/Interessenwahrnehmungspflicht der Geschäftsleitung Eine Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung gegenüber dem Unternehmen 126 kann sich aus der Vermögensbetreuungs-/Interessenwahrnehmungs-/Treuepflicht der Geschäfts-

304 BGH 22.7.2009 – IV ZR 265/06, VersR 2009 1485 Rn. 2; OLG München 18.12.2015 – 25 U 1668/15, VersR 2016 1363, 1364; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 21; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 149. OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 210/00, NVersZ 2002 135. Vgl. BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 487 Rn. 10; OLG Köln 29.1.2008 – 9 U 71/07, VersR 2008 1345. Vgl. BAG 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988 584, 585 – keine Pflicht zum Abschluss einer Kaskoversicherung. Vgl. LAG Sachsen-Anhalt 31.3.2015 – 6 Sa 351/13, BeckRS 2015, 72680. Vgl. Linck, in: Schaub (Begr.) Arbeitsrechts-Handbuch 19. Aufl. (2021) § 59 Rn. 63. BGH 13.12.1994 – VI ZR 103/93, NJW 1995 1150, 1151; BGH 21.12.1993 – VI ZR 103/93, NJW 1994 852, 854; BGH 19.9.1989 – VI ZR 349/88, NJW 1989 3273, 3274. 311 MüKo-BGB/Müller-Glöge § 611 Rn. 912. 312 MüKo-BGB/Müller-Glöge § 611 Rn. 913; vgl. auch allgemein zur Versicherungspflicht aus dem Schuldverhältnis und Treu und Glauben Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 124. 313 BGH 16.3.2009 – II ZR 280/07, VersR 2009 1635 Rn. 23; vgl. auch Bruck/Möller/Armbrüster Einl D&O Rn. 46; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 225; BeckOGK/Fleischer AktG § 93 Rn. 286.

305 306 307 308 309 310

51

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

führungsorgane einer Kapital- oder Personengesellschaft, einer Genossenschaft oder eines Vereins ergeben.

1. Rechtsprechung 127 Für den Vorstand eines Reitvereins hat der BGH eine solche Pflicht in seinem Urteil vom 26.11.1985 bejaht.314 In dem Urteil ging es um die Verpflichtung zum Abschluss einer auch Personenschäden der Vereinsmitglieder umfassenden Tierhalterhaftpflichtversicherung. Der Kläger hatte es in seiner Amtszeit als alleinvertretungsberechtigter Vorsitzender des beklagten Reitvereins unterlassen, eine solche Versicherung abzuschließen. Als er selbst Opfer eines Reitunfalls wurde (das seinem Pferd vorausgehende Pferd schlug nach hinten aus und zertrümmerte sein rechtes Schienbein) und den Verein nach § 833 S. 1 BGB als Tierhalter auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch nahm, rechnete der Verein mit einem Schadensersatzanspruch auf. Diesen stützte er darauf, dass der Kläger nicht für ausreichenden Versicherungsschutz der Vereinsmitglieder gesorgt habe, als die aus einer Betriebssportabteilung hervorgegangene Reitergemeinschaft in einen eingetragenen Verein umgewandelt worden sei. Der BGH ist diesem Einwand gefolgt und hat eine fahrlässige Verletzung der den Kläger in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied gem. § 27 Abs. 3 BGB treffenden Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Beauftragten mit folgender Begründung bejaht315: „Da für einen Tierhalter, insbesondere einen über mehrere Pferde verfügenden Reitverein, die ausreichende Haftpflichtversicherung ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft ist, hätte der Kläger, dem nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes als Rechtsanwalt die strenge Tierhalterhaftung auch damals schon bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein müssen, an die ausreichende versicherungsmäßige Abdeckung des Tierhalterrisikos denken müssen […]. Als sachkundiges Vorstandsmitglied wäre es seine Pflicht gewesen, in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob der bislang bestehende Versicherungsschutz, dessen aus dem Inhalt des Versicherungsscheins klar zu ersehender beschränkter Umfang nach dem Vorbringen des Klägers seine Erklärung in der Unfallversicherung der Mitglieder der früheren Betriebssportabteilung finden dürfte, den veränderten Umständen genügte. Davon scheint letztlich auch das Berufungsgericht auszugehen, wenn es unterstellt, daß dem Kläger der nicht ausreichende Versicherungsschutz des beklagten Vereins bekannt war. Lag aber eine solche Kenntnis des Klägers vor oder hatte er sich diese zumindest pflichtgemäß zu verschaffen, dann gebot es […] die dem Kläger als Vorstandsmitglied obliegende Sorgfaltspflicht, zur Wahrung der Interessen des Beklagten für eine versicherungsmäßige Abdeckung des Tierhalterrisikos auch gegenüber den Vereinsmitgliedern zu sorgen oder, als andere Möglichkeit, auf einen Haftungsausschluß durch vertragliche Vereinbarung mit den Mitgliedern hinzuwirken.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]

Drei Feststellungen des BGH verdienen – weil verallgemeinerungsfähig, d. h. nicht beschränkt auf die Geschäftsleitung eines Vereins – der Hervorhebung: Der Vorstand ist erstens im Rahmen seiner Geschäftsführung aus seiner ihn als Organ gegenüber dem Verein obliegenden Sorgfaltspflicht zur Wahrung der Vereinsinteressen verpflichtet.316 Zweitens hat er das Gebot der wirtschaftlichen Vernunft zum Maßstab seines Handelns zu machen. Drittens hat er bei der Ausübung der Organfunktion für die Kenntnisse und Fähigkeiten einzustehen, die die übertragene Geschäftsaufgabe erfordert.317 Hierzu zählt bei einem Reitverein selbstredend die Kenntnis vom Tierhalterrisiko. 314 BGH 26.11.1985 – VI ZR 9/85, NJW-RR 1986 572 ff.; vgl. auch BGH 23.3.1987 – II ZR 190/86, NJW 1987 1887 ff.; OLG Zweibrücken 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999 506 ff. 315 BGH 26.11.1985 – VI ZR 9/85, NJW-RR 1986 572, 574. 316 Zu organschaftlichen Interessenwahrungspflichten s. Hopt ZGR 2004 1, 5 ff. 317 Vgl. LG Kaiserslautern – 3 O 662/03, VersR 2005 1090, 1092 f. (zur Haftung des Vorstands eines Fußballvereins gegenüber dem Verein wegen Verletzung von Lizenzverträgen); s. auch HdB Vereins- und Verbandsrecht/Achenbach, 14. Aufl. (2018), Rn. 3623. Koch

52

N. Pflicht zur Sicherstellung risikoadäquaten Versicherungsschutzes

VVG Vor §§ 100–112

2. Diskussion in der Literatur In der Literatur ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Geschäftsleitung (einer Kapi- 128 talgesellschaft) dieser gegenüber verpflichtet ist, zum Schutz des Gesellschaftsvermögens Versicherungsschutz sicherzustellen, zunächst im Zusammenhang mit der Jahr-2000-Fehler-Problematik318 und später mit der Haftung von Gesellschaftsorganen319 und der Gefahr von Terroranschlägen320 diskutiert worden. Gegenwärtig wird eine Verpflichtung zum Abschluss einer Versicherung zum Schutz vor Cyber-Schäden erörtert.321 Graf von Westphalen sieht die Geschäftsleitung von Unternehmen, denen Eigen- und/oder Fremdschäden wegen des Jahr2000-Fehlers drohen, als zum Risikomanagement verpflichtet an und leitet daraus die Folgepflicht ab, zur Absicherung dieser Risiken für ausreichenden Sach- und Haftpflichtversicherungsschutz zu sorgen.322 Schaal untersucht, inwieweit die Geschäftsleitungen von AG und GmbH zum Abschluss einer Terrorversicherung verpflichtet sind. Anknüpfungspunkt ist die in § 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 43 Abs. 1 GmbHG statuierte besondere Sorgfaltspflicht der Geschäftsleitung als treuhändischer Verwalter fremden Vermögens. Unter Zugrundelegung des betriebswirtschaftlichen Risikobegriffs stellt Schaal zunächst heraus, dass der Abschluss einer solchen Versicherung im Ermessen der Geschäftsleitung stehe. Im Rahmen der Ermessensausübung habe sie die Chance, die beim Nichtabschluss der Versicherung in der Ersparnis der Versicherungsbeiträge liege, abzuwägen mit dem Risiko eines Schadens durch einen Terrorakt. Dabei müsse sie Eintrittswahrscheinlichkeit und mögliches Ausmaß der Schäden ebenso berücksichtigen wie alle sonstigen sicheren und erwarteten Folgen einer Entscheidung für oder gegen eine Versicherung.323 Als eine derartige Folge im Falle des Nichtabschlusses spricht Schaal die Kündigung von Darlehensverträgen seitens des Darlehensgebers aus wichtigem Grund wegen Gefährdung des Rückerstattungsanspruchs (§ 490 Abs. 1 BGB) bei Anzeichen einer konkreter Terrorgefährdung an.324 Die gesellschaftsrechtliche Literatur lehnt eine allgemeine Rechtspflicht zum Abschluss einer 129 D&O-Versicherung ganz überwiegend ab und stellt stattdessen auf den Einzelfall ab.325 Weitergehend sieht Vetter den Vorstand einer AG „im Regelfall“ zum Abschluss einer D&O-Versicherung als verpflichtet an, wenn entsprechende Deckungsangebote zu angemessenen Bedingungen am Markt erhältlich seien. Im Ernstfall müsse die Gesellschaft nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, ihre Schadensersatzforderung gegenüber den betroffenen Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats nicht oder jedenfalls nicht in voller Höhe durchsetzen zu können.326 Ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Realisierung eventueller Schadensersatzansprüche – jedoch in Abhängigkeit von der Risikoanfälligkeit der unternehmerischen Tätigkeit – halten auch Dreher und Lange den Abschluss einer D&O-Versicherung für geboten.327 Henssler sieht den Vorstand dagegen allenfalls als verpflichtet an, auf den Abschluss einer entsprechenden Versicherung hinzuwirken und einen entsprechenden Beschluss der Hauptversammlung anzuregen. Eine pauschale Verpflichtung zum Abschluss lehnt er u. a. deshalb ab, weil für neu gegründete Unternehmen Versicherungsschutz häufig überhaupt nicht oder aber nur zu wirtschaftlich fragwürdigen 318 Graf von Westphalen, in: Graf von Westphalen/Langheid/Streitz, Der Jahr-2000-Fehler (1999), Rn. 704 f. 319 Vgl. Dreher ZHR 165 (2001) 293, 313; Henssler D&O-Versicherung in Deutschland, in: RWS-Forum 20 Gesellschaftsrecht (2001) 150 f.; Vetter AG 2000 453, 454 f.; Lange DStR 2002 1626, 1630 f.; Hauschka AG 2004 461, 468. 320 Schaal VW 2002 1468, 1469 f. 321 Kiefner/Happ BB 2020 2051, 2055, Fortmann RuS 2019 688, 691; Wirth BB 2018 200, 208; Achenbach VersR 2017 1493, 1497; Erichsen CCZ 2015 247, 250. 322 Graf von Westphalen, in: Graf von Westphalen/Langheid/Streitz, Der Jahr-2000-Fehler (1999), Rn. 704 f. 323 Schaal VW 2002 1468, 1469 f. 324 Schaal VW 2002 1468, 1469 f. 325 MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 226; BeckOGK/Fleischer AktG § 93 Rn. 285; Hölters/Hölters AktG 3. Aufl. (2017) § 93 Rn. 404. 326 Vetter AG 2000 453, 454 f. 327 Dreher ZHR 165 (2001) 293, 313; Lange DStR 2002 1626, 1630 f.; vgl. auch MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 226. 53

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

Prämien erreichbar sei. Es stehe deshalb grundsätzlich im Ermessen des Vorstands, ob er die Belastung des Unternehmens mit den Versicherungsprämien für sachgerecht erachte.328 In diesem Sinne äußert sich auch Hauschka.329

3. Stellungnahme 130 Dem BGH und der Rechtslehre ist insoweit zu folgen, als sie die Sorgfaltspflichten, welche die Leitungsorgane im Rahmen ihrer Geschäftsführung zu beachten haben, zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen. Unabhängig davon, ob es sich um Kapital- oder Personengesellschaften, um eine Genossenschaft oder um einen Verein handelt, verlangt die Einhaltung dieser Pflichten von der Geschäftsleitung, den Gesellschafts-/Vereinszweck zu fördern und hierzu korrespondierend Schäden vom Unternehmen abzuwenden.330 Beide Ziele lassen sich nur dadurch erreichen, dass die Geschäftsleitung sich solcher Maßnahmen bedient, die inhaltsbestimmend für den betriebswirtschaftlich geprägten Begriff des Risikomanagement-Prozesses sind. Zu den einzelnen Prozessschritten zählt man gemeinhin Identifikation, Bewertung, Steuerung und Überwachung von Risiken.331 Konkret bedeutet dies, dass die Geschäftsleitung sowohl bei der Vorbereitung und Umsetzung risikobehafteter Geschäftsabschlüsse als auch bei der permanenten Kontrolle des unternehmerischen Handelns unternehmensexterne und unternehmensinterne Verlustgefahren zu identifizieren und zu bewerten und ihr weiteres Vorgehen, d. h. die Risikosteuerung und -überwachung von der Bewertung abhängig zu machen hat (sog. Regelkreislauf des Risikomanagements).332 131 Für die Mitglieder der Geschäftsleitung von Kapitalgesellschaften lässt sich eine so verstandene Amtspflicht zum effektiven Risikomanagement dogmatisch aus der Vermögensbetreuungspflicht herleiten. Diese resultiert aus deren Stellung als Verwalter fremden Vermögens und hat zur Folge, dass sich die Geschäftsleitung im Rahmen ihrer Geschäftsführung gem. § 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG an den Maßstäben messen lassen muss, die für einen ordentlichen Geschäftsmann in verantwortlich leitender Position bei selbstständiger treuhänderischer Wahrung fremder Vermögensinteressen gelten.333 Bei der Geschäftsleitung von Personengesellschaften kommt aufgrund des Prinzips der Selbstorganschaft der Gesichtspunkt der Wahrung fremder Vermögensinteressen bei der Geschäftsführung nicht oder zumindest nicht in dem Maße zum Tragen wie bei

328 Henssler D&O-Versicherung in Deutschland, in: RWS-Forum 20 Gesellschaftsrecht (2001) 150 f. 329 Hauschka AG 2004 461, 468. 330 Jeweils m.w.Nachw. für die GbR: MüKo-BGB/Ulmer § 705 Rn. 226; für die OHG: Ebenroth/Boujong/Jost/Strohn/ Mayen § 114 Rn. 33 ff.; für die AG: z. B. MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 92; für die GmbH: Roth/Altmeppen/Altmeppen § 43 Rn. 3. 331 Vgl. Wolf DStR 2020 1333, 1335; Tiecks/Joos/Otremba BC 2020 278, 281; Hauschka AG 2004 461, 467; Bürkle BB 2005 565, 567. 332 Vgl. aus dem betriebswirtschaftlichen Schrifttum: Diederichs Risikomanagement und Risikocontrolling, 4. Aufl. (2018) 91 ff.; Romeike Risikomanagement (2018) 36 ff.; Königs IT-Risikomanagement mit System, 5. Aufl. (2017) 45 ff.; Tiecks/Joos/Otremba BC 2020 278 ff.; Gleissner DB 2018 2769, 2771; aus dem juristischen Schrifttum (insb. zur weiterhin umstrittenen Frage nach der dogmatischen Verankerung der entsprechenden Geschäftsleiterpflicht): Wolf DStR 2020 1333, 1335, Pauli/Albrecht CCZ 2014 17 ff.; Bunting ZIP 2012 357, 358; Baums ZGR 2011 218, 270 ff.; v. Holleben/Menz CR 2010 63 ff.; Theusinger/Liese NZG 2008 289, 290; Berg AG 2007 271, 274 ff.; Berenbrok Risikomanagement im Aktienrecht (2016) 173 ff.; HdB Corporate Compliance, 3. Aufl. (2016), § 6 Rn. 21 f. (Schmidt/ Husson); § 14 Rn. 45 ff. (Glage/Götzner); § 15 Rn. 35 ff. (Pampel/Krolak); a. A. offenbar MüKoAktG/Spindler § 91 Rn. 29 ff., § 93 Rn. 37 (betriebswirtschaftliche Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung lassen sich nicht verallgemeinern). 333 BGH 20.2.1995 – II ZR 143/93, NJW 1995 1290, 1291; OLG Celle 15.3.2000 – 9 U 209/99, NZG 2000 1178, 1179; OLG Koblenz 12.5.1999 – 1 U 1649/97, NJW-RR 2000 483, 484; OLG Zweibrücken 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999 506, 507; OLG Düsseldorf 28.11.1996 – 6 U 11/95, AG 1997 231, 235. Koch

54

N. Pflicht zur Sicherstellung risikoadäquaten Versicherungsschutzes

VVG Vor §§ 100–112

Kapitalgesellschaften. Jedoch sind die Gesellschafter aus der allgemeinen Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft – ebenso wie die Geschäftsleitung von Kapitalgesellschaften – zur aktiven Förderung des Gesellschaftszwecks und zur Führung der Geschäfte im Interesse der Gesellschaft verpflichtet. Dies schließt selbstverständlich auch die Pflicht ein, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Es handelt sich hierbei um die Kehrseite der ebenfalls aus der Interessewahrungspflicht abzuleitenden Pflicht, Geschäftschancen für die Gesellschaft zu nutzen.334 Allein aus der Amtspflicht zum effektiven Risikomanagement lässt sich jedoch keine Ver- 132 pflichtung der Geschäftsleitung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung herleiten. Der Risikotransfer auf Dritte durch Abschluss von Versicherungen ist als Risikosteuerungsmaßnahme zu qualifizieren, die zum Ziel hat, den finanziellen Verlust eines einmal eingetretenen Fremdschadens für das Unternehmen abzumildern, wenn möglich zu egalisieren. Risikomanagement setzt jedoch, wie zuvor dargelegt, viel früher ein. Der Risikosteuerung geht stets die Identifikation und Bewertung eines Risikos voraus. Ebenso wie es auf der Ebene der Risikosteuerung verschiedene Maßnahmen zur Steuerung gibt (gemeinhin umschrieben als Risikovermeidung, -verminderung, -transfer oder -selbsttragung), existieren auch auf den vorgelagerten Ebenen der Risikoidentifikation und -bewertung unterschiedliche Verfahren und Ansätze zur Identifikation335 und Bewertung.336 Damit rückt der haftungsfreie, unternehmerische Beurteilungs- und Handlungsspielraum in den Blickpunkt, den die Geschäftsleitung bei der Führung der Geschäfte und somit grundsätzlich auch im Rahmen des Risikomanagements für sich in Anspruch nehmen kann und ohne den eine unternehmerische Tätigkeit nicht denkbar ist. Die Grenzen dieses Spielraums ergeben sich mittelbar aus der Regelung in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, die aufgrund der mit § 93 Abs. 1 S. 1 AktG identischen oder vergleichbaren Sorgfaltsmaßstäbe für Geschäftsleiter von Kapital- und Personengesellschaften entsprechende Anwendung findet.337 Angesichts der Bedeutung, die der Haftpflichtversicherung als Instrument der Haftungs- 133 ersetzung im Hinblick auf die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs (Rn. 75) und zum Schutz des Unternehmens vor der Insolvenz des Regressschuldners auf der Ebene der Risikosteuerung zukommt, ist dieser Spielraum dahingehend reduziert, dass die Geschäftsleitung zur Sicherstellung risikoadäquaten Versicherungsschutzes verpflichtet ist. Die Risikoadäquanz beurteilt sich nach der Höhe des Versicherungsbeitrags und des Schadensrisikos (Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß) unter Berücksichtigung von Risikoausschlüssen, Versicherungssummen, Selbstbeteiligungsbeträgen und alternativen Formen der Risikobewältigung. Bei Großrisiken, die für ein Unternehmen kaum tragbar sind und in hohem Maße störend 134 auf das Unternehmensziel einwirken,338 oder gar existenziellen Risiken, die die Insolvenz des

334 Zur Pflicht, Geschäftschancen für die Gesellschaft zu nutzen s. BGH 23.9.1985 – II ZR 257/84, NJW 1986 584, 585.

335 Zu den verschiedenen Methoden der Risikoidentifikation s. Diederichs Risikomanagement und Risikocontrolling, 4. Aufl. (2018) 92 ff.; Romeike Risikomanagement (2018) 69 ff.; Gleißner/Klein Risikomanagement und Controlling, 2. Aufl. (2017) 27 ff.; R. Koch ZGR 2006 184, 193 f. 336 Zu den verschiedenen Bewertungsansätzen quantitativer und qualitativer Natur s. Diederichs Risikomanagement und Risikocontrolling, 4. Aufl. (2018), 135 ff.; Gleißner/Klein Risikomanagement und Controlling, 2. Aufl. (2017), 29 ff.; Königs IT-Risikomanagement mit System, 5. Aufl. (2017) 57; Diederichs/Form/Reichmann Controlling 2004 189, 192 f.; Kromschröder/Lück DB 1998 1573, 1574; R. Koch ZGR 2006 184, 193 f. 337 R. Koch ZGR 2006 184, 194 f. 338 Hierzu zählen Schäden, zu deren Ausgleich auf Deckungsmassen zurückgegriffen werden muss, deren Einsatz ein Unternehmen in erheblicher Weise beeinträchtigen würde, etwa weil betriebsnotwendige Vermögensteile veräußert werden müssen oder Grundkapital in Anspruch genommen werden muss. Vgl. Hölscher, in: Hölscher/Elfgen (Hrsg.), Herausforderung Risikomanagement (2002) 24 f.; Durstin, in: Hölscher/Elfgen (Hrsg.), Herausforderung Risikomanagement (2002) 366. 55

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

Unternehmens zur Folge haben können,339 ist die Geschäftsleitung – bei Versicherbarkeit dieser Risiken – in der Regel zum Abschluss einer Versicherung verpflichtet. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der für den Schaden Verantwortliche in der Lage sein wird, dem Unternehmen den Schaden zu ersetzen, desto geringer ist, je höher der Schaden ausfällt. Hinzu kommt, dass nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs (hierzu Rn. 75) bei Fremdschäden, die von Mitarbeitern unterhalb der Ebene der Geschäftsleitung verursacht werden, nicht nur die Realisierbarkeit des Regressanspruchs gefährdet ist. Bei leichter Fahrlässigkeit haftet der verantwortliche Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmer nämlich gar nicht. Das Unternehmen befindet sich also in einer Situation, die mit der eines unbekannten Schadensstifters vergleichbar ist: es steht ihm kein Regressschuldner zur Verfügung.340 Ergänzend sei an dieser Stelle bemerkt, dass die vom BGH seinem Urteil vom 26.11.1985 135 (Rn. 127) als Alternative zum Abschluss einer Versicherung in den Raum gestellte Vereinbarung eines Haftungsausschlusses sich nur in seltenen Fällen als solche darstellt. Zum einen entfaltet sie keine Wirkung gegenüber Personen, zu denen das Unternehmen nicht in (vor-)vertraglichen Beziehungen steht. Zum anderen unterliegen formularmäßige Haftungsfreizeichnungen den Beschränkungen des AGB-Rechts. Ausschlüsse, die sich auf Personenschäden oder auf vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführte Sach- und Vermögensschäden beziehen, sind gem. 309 Nr. 7 lit. a) und b) (ggf. i. V. m. § 310 Abs. 1 S. 2) BGB unwirksam. Sind diese Schäden das Ergebnis einer wesentlichen Vertragsverletzung, hält sogar ein Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht stand. 136 Insoweit bliebe Raum für einen formularmäßigen Haftungsausschluss nur bei leicht fahrlässig verursachten Sach- und Vermögensschäden, die nicht auf einer wesentlichen Vertragsverletzung beruhen. Bezüglich dieser Kategorie von Schäden beurteilt die Rechtsprechung die Wirksamkeit von Haftungsausschlussklauseln – wie oben ausgeführt (Rn. 87) – u. a. danach, ob die Risiken besser vom Verwender solcher Klauseln (im Rahmen einer Haftpflichtversicherung) oder von seinem Vertragspartner (im Rahmen einer Sachversicherung) unter Versicherungsschutz gebracht werden können oder typischerweise gebracht werden. Von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, hat die Rechtsprechung dabei regelmäßig zugunsten des geschädigten Vertragspartners entschieden und die Haftungsfreizeichnung des Verwenders bei branchenüblichem Haftpflichtversicherungsschutz für unwirksam nach § 307 Abs. 1 BGB erklärt.341

O. Bedeutung von Teilungsabkommen in der Haftpflichtversicherungspraxis I. Begriff 137 Teilungsabkommen sind (privatrechtliche) Verträge, die direkt zwischen Haftpflicht-VR und Sozialversicherungsträger (Unfall-, Kranken- oder Pflegeversicherung des Geschädigten) oder zwischen deren vertretungsberechtigten Verbänden zum Zwecke der kostensparenden Abwicklung des Regresses gemäß § 116 Abs. 1 SGB X gegen den haftpflichtversicherten Schädiger ge-

339 Nach Diederichs/Form/Reichmann Standard zum Risikomanagement, Controlling 2004 189, 192, liegt bei Risiken der Kategorie schwerwiegend die Schadenhöhe über 50 % des durchschnittlichen Betriebsergebnisses und unter 50 % des Eigenkapitals. Als existenzbedrohend sollen Risiken gelten, deren Schadenausmaß größer gleich 50 % liegt. Dabei orientieren sie sich bei der Bestimmung der zuletzt genannten Grenze an § 92 AktG, in dem eine Existenzbedrohung bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals unterstellt wird, bei dem der Vorstand zur Einberufung einer Hauptversammlung verpflichtet ist. 340 R. Koch ZGR 2006 184, 201 f. 341 Vgl. BGH 30.11.2004 – X ZR 133/03, VersR 2005 804, 806 f.; BGH 24.10.2001 – VIII ARZ 1/01, NJW 2002 673, 675; BGH 25.2.1998 – VIII ZR 276/96, NJW 1998 1640, 1644; BGH 19.2.1998 – I ZR 233/95, NJW-RR 1998 1426, 1428; BGH 3.3.1988 – X ZR 54/86, NJW 1988 1785, 1787; KG 14.11.1990 – 23 U 5029/89, NJW-RR 1991 698, 699; Hans. OLG Hamburg 10.2.1984 – 11 U 184/83, DAR 1984 260, 262; MüKo-BGB/Wurmnest § 307 Rn 44, 47. Koch

56

O. Bedeutung von Teilungsabkommen

VVG Vor §§ 100–112

schlossen werden.342 Schadensersatzansprüche wegen eines Personenschadens gehen gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X auf den zuständigen Sozialversicherungsträger (SVT) über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen.343 In aller Regel findet der Übergang bereits im Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses statt, da aufgrund des zwischen dem Geschädigten und dem SVT bestehenden Sozialversicherungsverhältnisses von vornherein eine Leistungspflicht in Betracht kommt.344 Teilungsabkommen können aber auch für andere Ansprüche, etwa solche nach § 110 SGB VII,345 und zwischen Haftpflicht-VR und Kfz-Haftpflicht-VR346 oder Kasko-VR347 für Ansprüche nach § 86 Abs. 1 S. 1 vereinbart werden. Abzugrenzen sind Teilungsabkommen von Regressverzichtsabkommen, durch die ein SVT gegen Zahlung einer Jahrespauschale durch den Haftpflicht-VR darauf verzichtet, bestimmte Regressansprüche gegen ihn geltend zu machen.348

II. Zweck In Teilungsabkommen wird vereinbart, dass ohne Prüfung der Haftpflichtfrage im Einzelfall 138 jeder vom Abkommenspartner gemeldete Schaden seitens des VR zu einem gewissen Prozentsatz erstattet wird. Hierdurch wird die Schadensabwicklung vereinfacht, weil die außergerichtliche oder gerichtliche Klärung aller zweifelhaften Schadensfälle aufgrund der zu regulierenden Fallmenge mit erheblichem personellen und materiellen Aufwand für beide Seiten verbunden wäre.349 § 116 Abs. 9 SGB X lässt die Vereinbarung einer Pauschalierung der Ersatzansprüche ausdrücklich zu. Nach Kater wird die Mehrheit aller Schadensfälle über Teilungsabkommen abgerechnet (bei Regressansprüchen der Krankenversicherungsträger 80–85 % der Kfz-Schadensfälle, 75–80 % der Schadensfälle insgesamt; bei Regressansprüchen der Unfallversicherungsträger 70 % der Schadensfälle).350 Grundsätzlich können alle Haftpflichtbereiche (z. B. Arzthaftung, Tierhalterhaftung, Sportunfälle, Pflegeheimunfälle und Kfz-Haftung) zum Gegenstand von Teilungsabkommen gemacht werden.351

III. Inhalt In dem Teilungsabkommen wird üblicherweise vereinbart, dass der Haftpflicht-VR auf die Prü- 139 fung der Haftpflichtfrage verzichtet.352 Dieser Verzicht umfasst den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung und – soweit es um Verschuldenshaftung geht – auch das Verschulden

342 Zu Einzelheiten s. Geigel/Plagemann Haftpflichtprozess 28 Aufl. (2020) Kap. 30 Rn. 95 ff.; Kasseler Kommentar/ Kater § 116 SGB X Rn. 269 ff.; Prelinger VersR 2021 12; Marburger NZV 2012 521 ff.; Kunte VersR 2011 307 ff.; Plagemann/Schafhausen NZV 1991 49 ff.; Baumann 10 ff. 343 Vgl. BGH 17.10.2017 – VI ZR 423/16, BGHZ 216 149 Rn. 12 = VersR 2018 120; Prelinger VersR 2021 12. 344 BGH 24.4.2012 – VI ZR 329/10, VersR 2012 924 Rn. 9. 345 Vgl. BGH 8.2.1983 – VI ZR 48/81, VersR 1983 534; BGH 7.4.1981 – VI ZR 251/78, VersR 1981 649. 346 Vgl. BGH 25.5.1993 – VI ZR 272/92, VersR 1993 981, 983. 347 Vgl. OLG Saarbrücken 1.12.1989 – 3 U 114/88, NZV 1990 118, 119. 348 BGH 7.4.1981 – VI ZR 251/78, VersR 1981 649. 349 BGH 6.7.1977 – IV ZR 147/76, VersR 1977 854; Prelinger VersR 2021 12. 350 Kasseler Kommentar/Kater § 116 SGB X Rn. 270270, nach; Prelinger VersR 2021 12 werden nur bis zu 50 % aller Abrechnungen auf der Grundlage von Teilungsabkommen reguliert. 351 Vgl. Plagemann/Schafhausen NZV 1991 49, 50. 352 Vgl. Prelinger VersR 2021 12, 13 mit Formulierungsbeispiel in Fn. 13. 57

Koch

Vor §§ 100–112 VVG

Vorbemerkung zu §§ 100–112

(soweit nicht ausnahmsweise ein sog. Groteskfall353 vorliegt).354 Selbst ein im Haftpflichtprozess ergangenes klagabweisendes Urteil ist ohne Bedeutung.355 Unberührt von dem Teilungsabkommen bleibt die Frage der Deckungspflicht des Haftpflicht-VR. Sie ist gegebenenfalls wie in einem Deckungsprozess (mit der dort geltenden Darlegungs- und Beweislast) zu klären. Das bedeutet, dass der Schadensfall seiner Art nach in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallen muss.356 Daneben wird regelmäßig ein Verzicht auf den Einwand der mangelnden zivilrechtlichen 140 Übergangsfähigkeit vereinbart. Dieser Einwand betrifft weder die Haftungsfrage noch die Deckungsfrage, sondern die Frage, ob der Sozialversicherungsträger gem. § 116 Abs. 1 SGB X zur Geltendmachung des Anspruchs des Geschädigten berechtigt ist. Zu prüfen ist deshalb nur, ob der Anspruch, wenn er bestünde, gem. § 116 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergegangen wäre.357 Der Begriff der „zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit“ wird so verstanden, dass der Leistung des Sozialversicherers ein auch sachlich kongruenter Anspruch des Geschädigten gegenüberstehen muss.358 Wird in einem Teilungsabkommen – wie dies häufig bis zu einer bestimmten Wertgrenze geschieht – auf die „Prüfung des Rechtsübergangs“ bzw. den Einwand der mangelnden Übergangsfähigkeit verzichtet wird, erstreckt sich dieser Verzicht grundsätzlich auf das Fehlen der für den Regress vorausgesetzten Kongruenz zwischen einzelnen Schadenpositionen und den Versicherungsleistungen sowie auf das Eingreifen des Familienprivilegs.359 141 Hinsichtlich der zu zahlenden Quote lassen die vertraglichen Vereinbarungen eine Fülle von Varianten zu. Allgemein üblich ist die Unterscheidung zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung. Da die Beweislage für Sozialversicherungsträger bei einer Gefährdungshaftung wesentlich einfacher ist als bei einer Verschuldenshaftung, werden entsprechend höhere Quoten vereinbart.360

IV. Rechtsnatur von Teilungsabkommen 142 Rechtsprechung und Praxis behandeln Teilungsabkommen als Rahmenverträge zur Regelung erst in Zukunft durch Schadensfälle entstehender Rechtsverhältnisse, die den auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruch gegen den Schädiger auf Dauer ausschließen.361 Der haftpflichtversicherte Schädiger wird von seiner Ersatzpflicht freigestellt. Der Haftpflicht-VR ist Alleinschuldner. Seine Leistung dient nicht der Befriedigung des auf den Sozialversicherungsträger übergangenen Schadensersatzanspruchs, sondern der Erfüllung des 353 Mit Groteskfällen sind solche Fälle gemeint, in denen die Einbeziehung des Schadens in die Erstattungsregelung mit dem Grundgedanken des Teilungsabkommens schlechthin unvereinbar wäre und sich das Erstattungsverlangen des Abkommenpartners insoweit als rechtsmissbräuchlich darstellen würde (vgl. schon BGH 28.5.1956 – II ZR 77/55, juris Rn. 12; LG Münster 4.12.2014 – 8 O 56/14, BeckRS 2015 7096; Prelinger VersR 2021 12, 16; Kunte VersR 2011 307, 310); Beispiel (Marburger NZV 2012 521, 523): Ein Fußgänger erleidet auf einer Straße einen Ohnmachtsanfall und fällt dabei auf ein ordnungsgemäß geparktes Kfz. Dadurch wird er verletzt. In diesem Fall verstieße eine Inanspruchnahme des für das Kfz zuständigen Haftpflicht-VR gegen § 242 BGB. 354 BGH 1.10.2008 – IV ZR 285/06, RuS 2009 62; BGH 23.11.1983 – IVa ZR 3/82, RuS 1984 120; BGH 26.5.1982 – IVa ZR 78/81, RuS 1982 182; Prelinger VersR 2021 12, 15. 355 BGH 1.10.2008 – IV ZR 285/06, RuS 2009 62; BGH 12.6.2007 – VI ZR 110/06, RuS 2007 407; BGH 8.2.1983 – VI ZR 48/81, RuS 1983 118. 356 BGH 1.10.2008 – IV ZR 285/06, RuS 2009 62 63; OLG Jena 1.7.2009 – 7 U 943/08, OLGR Jena 2009 801; Kasseler Kommentar/Kater § 116 SGB X Rn. 279279; Prelinger VersR 2021 12, 14. 357 BGH 20.9.2011 – VI ZR 337/10, RuS 2012 49 Rn. 6; Prelinger VersR 2021 12, 15. 358 BGH 20.9.2011 – VI ZR 337/10, RuS 2012 49 Rn. 6. 359 BGH 20.9.2011 – VI ZR 337/10, RuS 2012 49 Rn. 6. 360 Marburger NZV 2012 521, 523. 361 BGH 14.7.1976 – IV ZR 239/74, BeckRS 1976 30401493; BGH 31.1.1951 – II ZR 42/50, LM Nr. 2 zu § 1542 RVO = VersR 1951, 65; Marburger NZV 2012 521, 522; a. A. Kasseler Kommentar/Kater § 116 SGB X Rn. 273. Koch

58

P. Internationale Entwicklungen/Einheitsrecht

VVG Vor §§ 100–112

mit diesem bestehenden Vertrages. Der Verzicht des Sozialversicherungsträgers, den VN als Schuldner in Anspruch zu nehmen, wirkt als Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB), auf den sich der haftpflichtversicherte Schädiger im Rechtsstreit berufen kann.362 Leistet der HaftpflichtVR des Schädigers aufgrund des Abkommens an den Sozialversicherungsträger, so erlischt dessen Anspruch gegen den Schädiger in der gesamten Höhe des Regressanspruchs gem. §§ 362, 364 Abs. 1 BGB.363

P. Internationale Entwicklungen/Einheitsrecht Auf der Ebene des Versicherungsvertragsrechts existieren lediglich im Bereich der obligatori- 143 schen Haftpflichtversicherung völkerrechtliche und unionsrechtliche Regelungen. Der im Jahr 1979 veröffentlichte Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur Angleichung des Versicherungsvertragsrechts,364 der im Jahr darauf abgeändert wurde und dessen Realisierung scheiterte, enthielt keine Bestimmungen zur Haftpflichtversicherung. Mit einer Harmonisierung des Rechts der freiwilligen Haftpflichtversicherung durch den europäischen Gesetzgeber ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Die Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) enthalten in Art. 14 f. Regelungen zur Haftpflichtversicherung (Abwehrkostentragung, Verfügungen zu Lasten des Geschädigten, Vorsatzausschluss, Anerkenntnis des VN, Abtretung des Freistellungsanspruchs, Schadenfreiheitsrabatte, Definition des Versicherungsfalles, Verteilung nicht ausreichender Versicherungsumme bei mehreren Geschädigten, Direktansprüche, Informationspflichten des VN gegenüber dem Geschädigten, Befreiung, Verjährung).365 Auf der Ebene des internationalen Versicherungsvertragsrechts gibt die Rom I-VO das 144 Maß für die Bestimmung des anwendbaren Rechts auf Haftpflichtversicherungsverträge, die Risiken decken, die in verschiedenen Staaten belegen sind. Hier kann auf die Kommentierung der Rom I-VO in Bruck/Möller9 Band 9 verwiesen werden.

362 BGH 14.7.1976 – IV ZR 239/74, BeckRS 1976 30401493; Kasseler Kommentar/Kater § 116 SGB X Rn. 278278; Prelinger VersR 2021 12, 13; Marburger NZV 2012 521, 522; Baumann 13.

363 BGH 25.5.1993 – VI ZR 272/92, VersR 1993 981, 983; BGH 7.2.1984 – VI ZR 90/82, VersR 1984 526, 527; BGH 13.6.1978 – VI ZR 166/76, VersR 1978 843, 844; BGH 13.12.1977 – VI ZR 14/76, VersR 1978 278, 280; Kasseler Kommentar/Kater § 116 SGB X Rn. 280280; Prelinger VersR 2021 12, 13. 364 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung vom 10.7.1979, ABl. C 190 vom 28.7.1979, geändert durch KOM(80) 854 endg., ABl. C 355 vom 31.12.1980. 365 Übersetzung der PEICL ins Deutsche im Internet abrufbar unter https://www.uibk.ac.at/zivilrecht/forschung/ evip/restatement/sprachfassungen/peicl-de.pdf. 59

Koch

§ 100 Leistung des Versicherers Bei der Haftpflichtversicherung ist der Versicherer verpflichtet, den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten auf Grund der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache geltend gemacht werden, und unbegründete Ansprüche abzuwehren.

Schrifttum Abram Die Berufshaftpflichtversicherung für Versicherungsvermittler (2000); ders. Schützt das neue Recht den Versicherungsnehmer gegen Folgen einer Pflichtverletzung seines Versicherungsvermittlers? VersR 2008 724; Armbrüster Verteilung nicht ausreichender Versicherungssummen in D&O-Innenhaftungsfällen, VersR 2014 1; ders. Nanotechnologie – Rechtliche Aspekte zur Versicherbarkeit von Produkten am Anfang neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, ZVersWiss 2013 183; ders. Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; ders. Haftpflicht- und Vermögensschadenversicherung für Verwalter und Beiräte, ZWE 2010 117; ders. Auswirkungen von Versicherungsschutz auf die Haftung, NJW 2009 187; Baumann AGB-rechtliche Inhaltskontrollfreiheit des Claims-made-Prinzips? – Zugleich Grundsatzbetrachtungen zum Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung –, VersR 2012 1461; ders. Die Problematik der Abtretbarkeit von Freistellungsansprüchen in der D&O-Versicherung, RuS 2011 229; ders. Die Überwindung des Trennungsprinzips durch das Verbot des Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, VersR 2010 984; ders. Versicherungsfall und zeitliche Abgrenzung des Versicherungsschutzes in der D&O-Versicherung, NZG 2010 1366; ders. Zur unmittelbaren Schadensersatzpflicht des Haftpflichtversicherers gegenüber dem Dritten – Folgerungen aus dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz –, VersR 2004 944; ders. Zur Überwindung des „Trennungsprinzips“ im System von Haftpflicht und Haftpflichtversicherung – Die Bedeutung des Abtretungsverbots gemäß § 7 Ziff. 3 AHB –, Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935 (1999) 13; Canaris Der Bereicherungsausgleich bei Zahlung des Haftpflichtversicherers an einen Scheingläubiger, NJW 1992 868; Chab Der Abwehrschutz in der Haftpflichtversicherung und seine Grenzen, AnwBl 2017 552; Dißars Die E&O-Versicherung, VersR 2009 1340; Gnauck Das Absonderungsrecht nach § 110 VVG (2016); Graf von Westphalen Wirksamkeit des Claims-made-Prinzips in der D&O-Versicherung, VersR 2011 145; Hagen Grenzen der Bindungswirkung bei der Haftpflichtversicherung, NVersZ 2001 341; Harsdorf-Gebhardt Die Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Haftpflichtversicherung, RuS 2016 489 und RuS 2014 439; RuS 2012 261; Hartung Die Allgemeine Haftpflichtversicherung (1957); Heße Das Anspruchserhebungsprinzip in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen von D&O-Versicherungsverträgen und das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, NZI 2009 790; Hintz/Burkard Folgen unberechtigten Versagens der Deckung wegen vermeintlich vorsätzlichen Herbeiführens des Versicherungsfalles in der Haftpflichtversicherung, VersR 2011 1373; Hösker Die Pflichten des Versicherers gegenüber dem VN nach Abtretung des Haftpflichtanspruchs an den Geschädigten, VersR 2013 952; R. Johannsen Zur Rechtsstellung des geschädigten Dritten in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung, RuS 1997 309; Kassing/Richters Der Deckungsanspruch in der Haftpflichtversicherung, VersR 2015 293; Klimke Auswirkungen des Wegfalls des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes in der Haftpflichtversicherung, RuS 2014 105; Knöfel Die „versicherte Tätigkeit“ von Organmitgliedern bei der D&O-Versicherung, VersR 2019 1249; Knütel Haftpflichtversicherung und selbständiges Beweisverfahren: Zur Fälligkeit und zum Inhalt des Rechtsschutzanspruchs, VersR 2003 300; H. Koch/Hirse Die Prozessführung durch den Versicherer, VersR 2001 405; R. Koch Eintrittspflicht der Exzedentenversicherer in der Haftpflichtversicherung, VersR 2021 879; ders. Verteilung des Haftpflichtversicherungs-/Regressrisikos bei Kfz-Unfällen während der Fahrzeugführung im Autopilot-Modus gem. § 1 a Abs. 2 StVG, VersR 2018 901; ders. Kostenanrechnungsklauseln in der Haftpflichtversicherung, VersR 2016 1405; ders. Kontrollfähigkeit/-freiheit formularmäßiger Haftpflichtversicherungsfalldefinitionen? VersR 2014 1277; ders. Das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer, Versicherungsnehmer und versicherten Personen in Innenhaftungsfällen der D&O-Versicherung, ZVersWiss 2012 151; ders. Das Claims-madePrinzip in der D&O-Versicherung auf dem Prüfstand der AGB-Inhaltskontrolle, VersR 2011 295; ders. Der Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung, RuS 2009 133; ders. Versicherung von Haftungsrisiken nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz VersR 2007 288; ders. Aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der D&O-Versicherung, WM 2007 2173; ders. Schiedsgerichtsvereinbarungen und Haftpflichtversicherungsschutz, SchiedsVZ 2007 281; ders. Die Rechtsstellung der Gesellschaft und des Organmitglieds in der D&O-Versicherung (I–III), GmbHR 2004 18, 160 und 288; Krämer Prozessuale Besonderheiten des Haftpflicht- und Versicherungsprozesses, RuS 2001 177; Kramer Das Beurteilungsermessen des Betriebshaftpflichtversicherers und die geschäftsschädigende Festlegung auf Abwehrschutz, RuS 2008 1; Kretschmer Die zeitliche Abgrenzung des Versicherungsschutzes in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung unter besonderer Berücksichtigung des AGB-Gesetzes und internationa-

Koch https://doi.org/10.1515/9783110522662-002

60

VVG § 100

Übersicht

ler Deckungskonzepte (2002); ders. Der „Schadensereignisbegriff“ in der Haftpflichtversicherung – Mehrdeutigkeit und Intransparenz des § 1 Ziff. 1 AHB, VersR 2004 1376; Kröger Regulierungsermessen und Belastung des Schadenfreiheitsrabatts – der Versicherer zwischen den Fronten, VersR 2013 139; Lange Die verbrauchte Versicherungssumme in der D&O-Versicherung, VersR 2014 1413; ders. Der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (am Beispiel der D&O-Versicherung), RuS 2011 185; ders. Die Rechtsstellung des Haftpflichtversicherers nach der Abtretung des Freistellungsanspruchs vom Versicherungsnehmer an den geschädigten Dritten, VersR 2008 713; ders. Die Prozessführungsbefugnis der Versicherungsnehmerin einer D&O-Versicherung, VersR 2007 893; ders. Das Zusammenspiel von Anerkenntnis und Abtretung in der Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, RuS 2007 401; ders. Das Anerkenntnisverbot vor und nach der VVG-Reform, VersR 2006 1313; ders. Der Versicherungsfall der D&O-Versicherung, RuS 2006 177; ders. Die Serienschadenklausel in der D&O-Versicherung, VersR 2004 563; ders. D&O-Versicherung: Innenhaftung und Selbstbehalt, DB 2003 1833; Langheid Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, NJW 2007 3665 und 3745; ders. Tücken in den §§ 100 ff. VVG-RegE, VersR 2007 865; Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Lehmann Ausgewählte Rechtsfragen der Berufshaftpflichtversicherung der freien Berufe unter besonderer Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung, RuS 2016 1; Littbarski Die Haftung des gerichtlich ernannten Sachverständigen nach § 839a BGB und ihre versicherungsrechtlichen Konsequenzen, VersR 2016 154; Loacker Die Haftpflichtversicherung vor dem EuGH: Überblick über jüngere Entwicklungen, VersR 2020 1209; Looschelders Grundfragen der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung und der Vertrauensschadenversicherung im Spiegel der neueren Rechtsprechung, VersR 2021 337; Loritz/Hecker Das Claims-made-Prinzip in der D&O-Versicherung und das deutsche AGB-Recht, VersR 2012 385; Mankowski Eine Gerichtsstandsvereinbarung im Haftpflichtversicherungsvertrag entfaltet keine Derogationswirkung gegen den geschädigten Direktkläger, IPrax 2018 233; Meckling-Geis Außergerichtliche Streitbeilegung in der Schadensregulierung des Haftpflichtversicherers, VersR 2016 79; Meixner/Schröder Kein Schutz des Treuhandkommanditisten durch die Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung für Steuerberater, DStR 2017 2766; Melot de Beaugard/Gleich Aktuelle Problemfelder bei der D&O-Versicherung, NJW 2013 814; Mokthari Der Geschädigte in der Insolvenz des freiwillig Haftpflichtversicherten – Regelungslücken des § 110 VVG, VersR 2014 665; Pataki Der Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung, VersR 2004 835; Ramharter D&O-Versicherung (2018); v. Rintelen Die Fälligkeit und die Durchsetzbarkeit des abgetretenen Freistellungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 133; Rudkowski Aktuelle Herausforderungen für die Rückrufkostenhaftpflichtversicherung, VersR 2018 65; Schimikowski Die „Benzinklausel“ in der Privathaftpflichtversicherung, RuS 2016 14; ders. Der Versicherungsfall in der Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung, RuS 2017 393; ders. Claims made – ein geeignetes Prinzip für Haftpflichtversicherungen im Heilwesenbereich? VersR 2010 153; Schimmer Die D&O-Versicherung und §§ 105 und 108 Abs. 2 VVG 2008 – kann die Versicherungsnehmerin „geschädigte“ Dritte sein? VersR 2008 875; Schirmer Die Vertretungsmacht des Haftpflichtversicherers im Haftpflichtverhältnis (1969); ders. Die Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, ZVersWiss Supplement 2006 427; Schramm Das Anspruchserhebungsprinzip (2009); Schramm/Wolf Das Abtretungsverbot nach der VVG-Reform, RuS 2009 358; Schrank Prozessuales Trennungsprinzip in der Haftpflichtversicherung nach dem neuen VVG, VP 2009 129; Schultheiß Das Verteilungsverfahren nach § 109 VVG in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, VersR 2016 497; Schwintowski Lücken im Deckungsumfang der Allgemeinen Haftpflichtversicherung, VuR 1998 35; ders. Neuerungen im Versicherungsvertragsrecht, ZRP 2006 139; Seybold/Wendt Der „Insolvenz“-Senat des BGH und das Trennungsprinzip in der Haftpflichtversicherung, VersR 2011 458; K. Sieg Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung (1952); Staudinger Ausgewählte Probleme der D&O-Versicherung im Internationalen Zivilverfahrens-, Kollisions- und Sachrecht, Karlsruher Forum 2009 (2010) 41; Stockmeier Die kleine Benzinklausel, VersR 2013 823; Tehrani Das Wesen der Bindungswirkung im Haftpflichtversicherungsvertrag, VersR 2018 1166; Terno Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln, RuS 2013 577; ders. Abgrenzungsprobleme zwischen KH-Versicherung und Allgemeiner Haftpflichtversicherung, RuS 2011 361; Winter Das Abtretungsverbot in der Berufshaftpflichtversicherung, RuS 2001 133.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Normzweck

61

III.

Anwendungsbereich

1

B.

Der Versicherungsfall

2

I.

Vertragliche Bestimmung

6 7 7

Koch

§ 100 VVG

II. 1.

2.

Leistung des Versicherers

Bestimmung des Versicherungsfalles auf der Ba10 sis gesetzlicher Bestimmungen 10 Rückgriff auf § 100 10 a) Stand der Diskussion b) Entscheidung des BGH vom 13 26.3.2014 Stellungnahme und rechtsdogmatische Annähe14 rung a) Wirksamer Versicherungsvertrag als Voraussetzung der ergänzenden Vertragsaus15 legung 16 b) Auslegung von § 100 16 aa) Begriff der Tatsache 18 bb) Systematische Erwägungen c) Vorrang des Parteiwillens vor dem disposi21 tiven Gesetzesrecht d) Unzumutbare Störung der Vertragsabwick24 lung

C.

Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf 25 Haftpflichtversicherungsschutz

I. 1. 2.

25 Geltendmachung von Ansprüchen 25 Erklärung der Inanspruchnahme 27 Ernstlichkeit der Erklärung a) Gerichtliche Geltendmachung von Ansprü28 chen b) Außergerichtliche Geltendmachung von 29 Ansprüchen 32 Person des Erklärenden 33 Erklärungsempfänger

3. 4. II. 1. 2. 3. III. 1. 2.

3.

4.

Koch

b) c) d) e) f) IV. 1. 2.

72

Betroffenheit verschiedener versicherter und/ 77 oder unversicherter Risiken Tätigkeiten des VN mit doppelter Zweckset78 zung Verschiedene (nicht) versicherte Eigenschaften 81 oder Rechtsverhältnisse des VN 82 a) Kasuistik 85 b) Folgerungen

D.

Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversiche89 rungsschutz

I.

Verpflichtung des VR zur Freistellung des VN von begründeten Haftpflichtansprüchen und zur Abwehr unbegründeter Haftpflichtansprü90 che Einheitlicher Anspruch auf Befreiung von begründeten und unbegründeten Haftpflichtan90 sprüchen Ermessensentscheidung des VR über Abwehr 91 oder Freistellung 91 a) Ermessensrecht des VR 91 aa) Pflichtgemäßes Ermessen bb) Abweichende Ansichten in der Litera94 tur 96 cc) Stellungnahme b) Bestimmung des pflichtgemäßen Ermes98 sens aa) Offensichtlich berechtigte Haftpflicht99 ansprüche bb) Offensichtlich unberechtigte Haft104 pflichtansprüche 107 cc) Zweifelsfälle 109 c) Prüfung der Haftpflicht des VN 112 d) Fehleinschätzungen 114 Ende des Ermessensrechts

1.

2.

Betroffenheit des Schutzbereichs des Versiche34 rungsvertrages 34 Maßgeblichkeit des Vortrags des Dritten 42 Ausnahmen 43 Stellungnahme Konkretisierung des Schutzbereichs durch AVB/ 48 BBR 49 Versichertes Risiko 53 Versicherte Gefahr 54 a) AHB 56 b) ProdHM/A3 AVB BHV 58 c) Rückruf 60 d) Umwelthaftpflicht/Umweltschäden 62 e) AVB-Vermögen 63 f) AVB-D&O 64 Versicherte Person 65 a) Privathaftpflichtversicherung 66 b) Betriebshaftpflichtversicherung c) Vermögensschadenshaftpflichtversiche67 rung Zeitlicher Umfang des Versicherungsschut68 zes 69 a) AHB

70 ProdHM/A3 AVB BHV 71 Rückruf Umwelthaftpflicht/Umweltschäden 74 AVB-Vermögen 75 D&O-Versicherung

3. II. 1. 2.

Konkretisierung des Haftpflichtversicherungsan117 spruchs Freistellung von begründeten Ansprü117 chen 123 Abwehr unbegründeter Ansprüche a) Gewährung passiven Rechtsschut123 zes b) Gewährung aktiven Rechtsschut124 zes aa) Ernsthafte Berühmung einer Haft124 pflichtforderung bb) Aufrechnung mit Haftpflichtforde126 rung

62

VVG § 100

Übersicht

cc)

III.

1. 2.

3. 4. 5. 6.

7.

(1) Leistungsklage 126 129 (2) Feststellungsklage Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts, Wegnahme/Pfändung eines dem VN gehörenden Gegen131 stands

Umwandlung des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs in einen Freistellungs- oder 133 Zahlungsanspruch Pfändung und Überweisung des Freistellungsan133 spruchs Abtretung des Freistellungsanspruchs an den ge134 schädigten Dritten a) Nach Eintritt der Bindungswirkung hin134 sichtlich des Haftpflichtanspruchs b) Vor Eintritt der Bindungswirkung hinsicht135 lich des Haftpflichtanspruchs Anerkenntnis und/oder Befriedigung des Haft136 pflichtanspruchs 137 Insolvenz des Versicherungsnehmers Unmöglichkeit der Abwehr des Zugriffs auf das 138 Vermögen des VN Verzicht des Versicherers auf Aktivprozess bei Aufrechnung mit bestrittener Haftpflichtforde143 rung 144 Konfusion

3.

161 Zulässigkeit der Feststellungsklage 161 a) Feststellungsinteresse b) Umwandlung des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs in einen Freistel166 lungs- oder Zahlungsanspruch 167 Begründetheit der Feststellungsklage

II.

Klagerecht des geschädigten Dritten

III.

Streitwert der Deckungsklage

H.

Abtretung und Pfändung/Überweisung des 175 Freistellungsanspruchs

I.

Geschädigter als Abtretungsempfänger oder 175 Pfändungsgläubiger

II.

Unbeteiligte Vierte

III.

Versicherte Personen

IV. 1. 2. 3.

Besonderheit in der D&O-Versicherung von In178 nenhaftungsansprüchen 178 Problemstellung 179 Meinungsstand 181 Stellungnahme

2.

168

172

176 177

182

I.

Bereicherungsansprüche

Auswirkungen von Obliegenheitsverletzun147 gen

I.

E.

Inanspruchnahme durch einen Drit148 ten

1. 2.

Fehlender Rechtsgrund im Haftpflichtverhält183 nis 183 Zahlung an den geschädigten Dritten 186 Zahlung an den VN

F.

Verjährung des Haftpflichtversicherungsan152 spruchs

II.

I.

Einheitlicher auf Abwehr und/oder Freistellung gerichteter Haftpflichtversicherungsan152 spruch

IV.

153

II. 1. 2.

Freistellungs-/Zahlungsanspruch 153 § 106 155 § 14 Abs. 1

G.

Prozessuale Fragen

I. 1.

156 Klagerecht des VN 156 Richtige Klageart 156 a) Feststellungsklage 157 b) Leistungsklage c) Anspruch des VN auf Leistungen in Form der Freistellung von Rechtsschutzkosten im Wege des vorläufigen Rechtsschut158 zes

63

156

1. 2.

Fehlender Rechtsgrund im Versicherungsverhält187 nis 187 Zahlung an den geschädigten Dritten 189 Leistung an den VN

III.

Doppelmangel

IV.

Kondiktionsausschluss (§ 814 BGB)

J.

Beweislast

K.

Abdingbarkeit

L.

Österreichisches Recht/Principles of Europe200 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

190 191

194 198

200 204

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 100 ist die Nachfolgeregelung zu § 149 a. F., der seit der Schaffung des VVG 1908 unverändert geblieben war. Während § 149 a. F. ganz allgemein von der Leistung sprach, die der haftpflichtige VN an den geschädigten Dritten zu bewirken und der VR ihm zu ersetzen habe, konkretisiert die Neufassung die Leistungspflichten des VR in Anpassung an die allgemeine Vertragspraxis in den verschiedenen Sparten der Haftpflichtversicherung (z. B. Ziff. 5.1 S. 1 AHB 2016). Zugleich trägt die Neufassung der tatsächlichen Abwicklung von Versicherungsfällen besser Rechnung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der VR den Schaden unmittelbar gegenüber dem Dritten reguliert (vgl. § 106 S. 1).

II. Inhalt und Normzweck 2 § 100 bestimmt das Wesen des Haftpflichtversicherungsvertrages, indem er die finanzielle Abdeckung der aus dem einzelnen Haftpflichtfall erwachsenen Verantwortlichkeit des VN einem Dritten gegenüber als Gegenstand des Leistungsversprechens des VR festlegt.1 Kennzeichnend für die Haftpflichtversicherung ist, dass dem VN anders als in den sonstigen Schadensversicherungssparten kein Zahlungsanspruch, sondern ein Befreiungsanspruch zusteht (zum Wesen des Haftpflichtversicherungsanspruches s. Vorbemerkung zu §§ 100–112 Rn. 1 ff.). Dem VN sollen keine finanziellen Belastungen dadurch erwachsen, dass er seitens eines Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Nach bürgerlich-rechtlichem Verständnis verpflichtet ein Befreiungsanspruch den Freistellungsschuldner, begründete Ansprüche gegen den Freistellungsgläubiger zu erfüllen und unbegründete Ansprüche vom Freistellungsgläubiger abzuwehren.2 In diesem umfassenden Sinne haben die versicherungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur auch stets den Anspruch des VN auf Haftpflichtversicherungsschutz verstanden (Freistellung i. w. S.). 3 Soweit es in § 100 heißt, der VR sei verpflichtet, den VN „von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten auf Grund der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache geltend gemacht werden, und unbegründete Ansprüche abzuwehren“, liegt dem (versicherungsrechtlichen) Begriff der Freistellung allerdings ein engeres Verständnis als im bürgerlich-rechtlichen Sinne zugrunde. Wie sich aus der Gegenüberstellung von Freistellung und Anspruchsabwehr ergibt, bezieht sich die Freistellung auf begründete Haftpflichtansprüche (Freistellung i. e. S.).3 Der Begriff der „Freistellung“ stellt insoweit nur klar, dass es dem VR überlassen bleibt, auf welche Weise er begründete Haftpflichtansprüche befriedigt (i. d. R. durch Zahlung). Freistellung i. S. v. § 100 ist somit gleichbedeutend mit Erfüllung/Befriedigung des Haftpflichtanspruchs.4 4 Ebenfalls der Klarstellung dient die Hervorhebung der Pflicht zur Anspruchsabwehr.5 Diese Verpflichtung hatte im VVG 1908 nur unvollkommen ihren Ausdruck gefunden. Durch die Hervorhebung soll zudem deutlich gemacht werden, dass es sich bei der Pflicht zur Anspruchs-

1 Vgl. BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, RuS 2003 500, 501; BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, NJW 2003 511, 513; BGH 28.11.1990 – IV ZR 184/89, VersR 1991 175, 176.

2 Vgl. BGH 15.10.2007 – II ZR 136/06, NJW-RR 2008 256, 258 (zu § 426 Abs. 1 S. 1 BGB); BGH 19.1.1983 – II ZR 82/ 82, NJW 1983 1729, 1739 (zu § 257 BGB); BGH 24.6.1970 – VIII ZR 268/67, NJW 1970 1594, 1595 (zu § 11 Abs. 2 VOL/ B). 3 Vgl. Baumann VersR 2010 984, 985; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 100 Rn. 4. 4 Vgl. OLG Frankfurt/M. 15.8.2014 – 4 U 223/13, MDR 2014 1249. 5 Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 85. Koch

64

B. Der Versicherungsfall

VVG § 100

abwehr um eine Hauptpflicht handelt, der Leitbildfunktion i. S. d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zukommt. Diese Einordnung entspricht der Rechtsprechung zu § 149 a. F.6 Die Prüfung der Haftpflichtfrage wird nicht ausdrücklich erwähnt. Dass diese ebenfalls – 5 und zwar als Hauptpflicht und nicht nur aufgrund entsprechender Regelungen in den Vertragsbedingungen – gesetzlich geschuldet ist, ergibt sich daraus, dass der VR andernfalls keine Entscheidung darüber treffen könnte, wie er seinen Hauptpflichten nachkommt.7 Die Prüfung der Haftpflichtfrage ist insoweit „notwendige Voraussetzung der beiden anderen Ansprüche“;8 sie ist ebenso wie die Befriedigung begründeter und die Abwehr unbegründeter Ansprüche Ausstrahlung ein und desselben einheitlichen Versicherungsanspruches.9 Diese Einheitlichkeit findet ihren Ausdruck darin, dass kein neuer Anspruch entsteht, wenn der VR sich nach Prüfung der Haftpflichtfrage erfolglos um die Anspruchsabwehr bemüht. Vielmehr kann und muss der VR den Haftpflichtversicherungsanspruch nunmehr in anderer Form als zuvor – nämlich durch Freistellung des VN/Befriedigung des Dritten – erfüllen.10 An diesem Begriffsverständnis wollte der Reformgesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien nichts ändern. Es liegt auch § 100 zugrunde. Zum einheitlichen Haftpflichtversicherungsschutzanspruch gehören im Übrigen auch die Verpflichtungen des VR zum Ersatz der Rechtsschutzkosten (§ 101 Abs. 1), zur Befreiung des VN von Zinsansprüchen des geschädigten Dritten (§ 101 Abs. 2 S. 2) und zur Sicherheitsleistung (§ 101 Abs. 3).

III. Anwendungsbereich § 100 findet keine Anwendung in der Seeversicherung (§ 209). Er gilt auch in der obligatorischen 6 Haftpflichtversicherung. Soweit unter den Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 ein Direktanspruch gegen den VN besteht, hat § 100 dort nur geringe praktische Bedeutung, da der Geschädigte den VR nach § 115 Abs. 1 S. 3 direkt auf Zahlung in Anspruch nehmen kann („Schadensersatz in Geld“). Der Geschädigte wird den traditionellen Weg über die Inanspruchnahme des VN und anschließender Pfändung und Überweisung oder Abtretung des Freistellungsanspruchs erst dann beschreiten, wenn zwar sein Direktanspruch gegen den VR, nicht hingegen der Versicherungsanspruch des VN gegen den VR verjährt ist.11 Hier ist zu beachten, dass die Verjährung des Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 2 S. 2 spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens endet. Die Verjährungsfrist für den Versicherungsanspruch des VN beginnt dagegen erst mit der Inanspruchnahme des VN durch den Dritten (Rn. 152).

B. Der Versicherungsfall I. Vertragliche Bestimmung Der Reformgesetzgeber verzichtet – wie bereits die Gesetzesredaktoren des VVG 190812 – be- 7 wusst auf eine konkrete Festlegung des Versicherungsfalles in der Haftpflichtversicherung. Die 6 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171 56 = VersR 2007 1116 Rn. 12; BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 281 = VersR 1992 1504; BGH 21.1.1976 – IV ZR 123/74, VersR 1976 477; BGH 20.2.1956 – II ZR 53/55, NJW 1956 826, 827 = VersR 1956 186. 7 Von Rintelen RuS 2010 133, 136; Kramer RuS 2008 1, 3. 8 Vgl. RG 7.2.1936 – VII 224/35, RGZ 150 227, 229. 9 BGH 20.2.1956 – II ZR 53/55, NJW 1956 826, 827 = VersR 1956 186; vgl. auch BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, BGHZ 155 69, 71 = NJW 2003 2376; BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 281 = VersR 1992 1504; BGH 17.3.1992 – VI ZR 62/91, BGHZ 117 345, 349 = RuS 1992 228; OLG Hamm 12.12.2016 – 20 U 168/16, RuS 2017 304; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 8; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 12; Kassing/Richters VersR 2015 293, 294 f. 10 Vgl. BGH 18.6.2009 – VII ZR 167/08, NJW 2010 60, 61 bezüglich des Ausgleichsanspruchs bei der Gesamtschuld. 11 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 Vor §§ 1–16 PflVG Rn. 102 ff. und A.1 AKB Rn. 189. 12 Motive 201 f. 65

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

nähere Ausgestaltung will er ausweislich der nachstehend wiedergegebenen Gesetzesbegründung – wie auch in anderen Versicherungszweigen (vgl. § 1: „vereinbarter Versicherungsfall“) – den Parteien des Versicherungsvertrages überlassen:13 „Die Vorschrift enthält keine Definition des Versicherungsfalles, der gerade in der Haftpflichtversicherung sehr unterschiedliche Ausprägungen erfährt. Als Versicherungsfall werden unter anderem vereinbart das Schadensereignis (z. B. Allgemeine Haftpflichtversicherung), der Rechtsverstoß (z. B. Anwalts- und Notarhaftpflichtversicherung), der Planungsfehler (z. B. Architektenhaftpflichtversicherung), das In-Verkehr-Bringen eines Produktes (z. B. Produkthaftpflichtversicherung), die erstmalige Feststellung des Schadens (z. B. Umwelthaftpflichtversicherung) oder die Schadensmeldung – auch ‚claims made’ genannt – (z. B. Allgemeine Haftpflichtversicherung, D&O-Versicherung). Diese Gestaltungsmöglichkeiten werden auch künftig nicht eingeschränkt; in den folgenden Vorschriften wird der Begriff des Schadensereignisses im alle Versicherungsfälle umfassenden Sinn verwendet.“

8 In diesem Punkt unterscheidet sich die freiwillige Haftpflichtversicherung von der obligatorischen Haftpflichtversicherung, die im Hinblick auf den besonderen Schutz des geschädigten Dritten zwingende Vorgaben hinsichtlich der Definition des Versicherungsfalles macht. So sehen § 1 PflVG i. V. m. § 2 KfzPflVV für die Kfz-Haftpflichtversicherung vor, dass Deckung für den Fall gewährt werden muss, dass der VN oder eine versicherte Person durch den Gebrauch des Kfz Personen verletzt oder getötet hat, Sachen beschädigt oder zerstört hat, zu deren Abhandenkommen beigetragen hat oder Vermögensschäden herbeigeführt hat, die weder mit einem Personen- noch mit einem Sachschaden mittelbar oder unmittelbar zusammenhängen (Schadensereignisprinzip, vgl. A.1.1 AKB 2015). Nach § 51 Abs. 2 BRAO hat der Versicherungsvertrag Deckung für jede einzelne Pflichtverletzung zu gewähren, die gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts gegen den Rechtsanwalt zur Folge haben könnte. Versicherungsschutz muss somit im Moment der schädigenden Handlung bestehen, weshalb der Anwaltshaftpflichtversicherung das sog. Verstoßprinzip zugrunde liegt (vgl. auch § 54 Abs. 1 WPO). Versichert sind danach alle Verstöße, die in den materiellen Versicherungszeitraum fallen, also im Rahmen der Berufsausübung begangen werden.14 9 Lässt man einmal unberücksichtigt, dass die vom Gesetzgeber für die Produkthaftpflichtversicherung (In-Verkehr-Bringen) und für die Allgemeine Haftpflichtversicherung (Schadensmeldung) beispielhaft aufgeführten Versicherungsfalldefinitionen bislang keinen Eingang in die Vertragspraxis gefunden haben,15 stellt sich für den Rechtsanwender die Frage, ob in den Fällen, in denen die Versicherungsfalldefinition, die stets formularvertraglich vereinbart wird, nicht Vertragsbestandteil (vgl. § 305c Abs. 1 BGB) und/oder unwirksam (vgl. § 307 BGB) ist, diese Vertragslücke nach § 306 Abs. 2 BGB durch § 100 geschlossen werden kann. Hierbei handelt es sich nicht nur um ein theoretisches Problem, wie die Diskussion um die Wirksamkeit des Claims-made-Prinzips in der D&O-Versicherung im Anschluss an das Urteil des OLG München vom 8.5.2009 zeigt.16

13 Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 85. 14 Schumacher VersR 2016 964, 966 f. 15 Zu Recht krit. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 100 Rn. 8; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 108; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 2. 16 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1068 = RuS 2009 327; vgl. auch Vorinstanz LG München 25.9.2008 – 12 O 20461/07, VersR 2009 210, 213; OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 332; Schimikowski RuS 2009 331; Graf von Westphalen VersR 2011 145 ff.; R. Koch VersR 2011 295 ff.; Baumann NZG 2010 1366 ff.; ders. VersR 2012 1461 ff.; Loritz/Hecker VersR 2012 385; Heße NZI 2009 790 ff.; Staudinger Karlsruher Forum 2009 41, 69 ff.; zur Wirksamkeit des Schadenereignisbegriffs in der Haftpflichtversicherung s. Schwintowski VuR 1998 35, 36 ff.; Kretschmer VersR 2004 1376, 1389. Koch

66

B. Der Versicherungsfall

VVG § 100

II. Bestimmung des Versicherungsfalles auf der Basis gesetzlicher Bestimmungen 1. Rückgriff auf § 100 a) Stand der Diskussion. Baumann verneint die Eignung des § 100 zur Lückenfüllung. Er ist 10 der Ansicht, § 100 setze eine vertragliche Konkretisierung des Versicherungsfallbegriffs voraus. Konsequenterweise spricht er sich dafür aus, Lücken infolge Unwirksamkeit des Versicherungsfallbegriffs im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen.17 Diese Ansicht entspricht der vorherrschenden Kommentarliteratur zu § 149 a. F., die insoweit auch auf eine Kommentierung des Tatsachenbegriffs verzichtet18 und zum Teil die Auffassung vertritt, mit dem gesetzlichen Begriff der „Tatsache“ sei der Versicherungsfall umschrieben.19 Andere Autoren haben § 149 a. F. dagegen Ersatzfunktion i. S. v. § 306 Abs. 2 BGB zugesprochen.20 R. Johannsen hat sich dafür ausgesprochen, diejenige Handlung, die adäquat kausal das Schadensereignis zur Folge hatte, als Tatsache i. S. v. § 149 a. F. aufzufassen (Verstoß- oder Kausalereignistheorie).21 Er hat die Verstoß- oder Kausalereignistheorie sogar als in § 149 a. F. verankertes Leitbild i. S. d. § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG a. F. angesehen.22 Die Rechtsprechung hat hinsichtlich der Eignung des § 149 a. F. zur Lückenfüllung nicht Stel- 11 lung bezogen. Allerdings hat sie wiederholt § 149 a. F. als Leitbild i. S. d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB/ § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG a. F. herangezogen, wenn es um die Eintrittspflicht des VR ging. So hat der BGH in mehreren Entscheidungen, die die Wirksamkeit von Serienschadensklauseln zum Gegenstand hatten, festgestellt, § 149 a. F. lege fest, dass die finanzielle Abdeckung der aus dem „einzelnen Haftpflichtfall erwachsenen Verantwortlichkeit des VN einem Dritten gegenüber“ Gegenstand des Leistungsversprechens des VR sei.23 Hiervon weiche eine Klausel ab, in der mehrere Versicherungsfälle für die Regulierung durch den VR zu einem einzigen gebündelt würden.24 Der BGH versteht den Begriff der Tatsache i. S. v. § 149 a. F. anscheinend als einzelnen schadensstiftenden Vorgang. Im Rahmen der bereits angesprochenen Diskussion um die Wirksamkeit des Claimsmade-Prinzips in der D&O-Versicherung haben sowohl das LG München I als auch das OLG München eine Abweichung von § 149 a. F. mit der Begründung verneint, auch die Erhebung eines Anspruchs könne als eintretende Tatsache i. S. v. § 149 a. F. angesehen werden.25 Offenbar sieht die Rechtsprechung § 149 a. F., soweit es um die Definition des Versicherungs- 12 falles geht, als eine der Ergänzung zugängliche und – vor allem im Hinblick auf die versicherte Gefahr (Rn. 53 ff.) – grundsätzlich auch bedürftige Regelung an, die zugleich einen äußeren Rahmen vorgibt, der für die Inhaltskontrolle bedeutsam ist und damit auch zur Lückenfüllung infrage kommt. Ganz in diesem Sinne hat Schwintowski die Ansicht vertreten, dass unter einer Tatsache i. S. v. § 149 a. F. alle haftungsbegründenden Ereignisse zu verstehen seien, d. h. sowohl die Haftungsursachen als auch die Haftungsfolgen.26 Kretschmer nennt als mögliche 17 Baumann NZG 2010 1366, 1372; Bruck/Möller/Baumann9 § 1 Rn. 112; Staudinger Karlsruher Forum 2009 41, 71 f.; a. A. Schramm 123: § 100 sei „geeignete Vorschrift zur Vertragsergänzung“. 18 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 152 ff.; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 149 Rn. 20 ff.; Späte AHB (1992) § 1 Rn. 44; vgl. auch Rolfes VersR 2006 1162, 1163. 19 Z. B. Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 108; Loritz/Hecker VersR 2012 385, 391; ablehnend: Baumann VersR 2012 1461, 1462; Schramm 9 f. 20 Schwintowski VuR 1998 35, 39 f.; Kretschmer VersR 2004 1376, 1390; vgl. auch Wriebe VersR 1997 794, 795. 21 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 23. 22 R. Johannsen FS E. Lorenz 363, 367 f.; ders. Umweltschäden 86 und 156 ff. 23 BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, RuS 2003 500, 501. 24 Vgl. BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, RuS 2003 500, 501; BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, NJW 2003 511, 513; BGH 28.11.1990 – IV ZR 184/89, VersR 1991 175, 176. 25 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1068 = RuS 2009 327; LG München 25.9.2008 – 12 O 20461/07, VersR 2009 210, 213; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 108; anders noch LG München 1.3.2007 – 12 O 8517/06, unveröffentlicht. 26 Schwintowski VuR 1998 35, 40. 67

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

Anknüpfungspunkte nicht nur den kausalen Verstoß (Ursachenereignis) und den zeitlich unmittelbar zum Schaden führenden Vorgang (Schadensereignis), sondern auch die Anspruchserhebung und sogar die gerichtliche Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs. Bei einem zeitlichen Auseinanderfallen von Ursache und Erfolg will er ausreichen lassen, dass einer der beiden haftungsbegründenden Ereignisse während der Versicherungszeit eintritt.27

13 b) Entscheidung des BGH vom 26.3.2014. Der BGH hat in seinem Urteil vom 26.3.2014, in dem es um einen Fall der Maklerhaftung ging, umfänglich Ausführungen zur Kontrollfähigkeit/ -freiheit formularmäßiger Versicherungsfalldefinitionen in der Haftpflichtversicherung getroffen und dabei die Frage einer Lückenschließung durch § 100 obiter verneint.28 Nachdem das Berufungsgericht die Ansicht geäußert hatte, dass einiges dafür spräche, dass Ziff. 1.1 AHB 2008 intransparent sei,29 lehnte der BGH eine Inhalts- und Transparenzkontrolle nach § 307 BGB unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien mit der Begründung ab, die Definition des Versicherungsfalles gehöre zu den essentialia negotii des Haftpflichtversicherungsvertrages, deren Unwirksamkeit die Unwirksamkeit des gesamten Vertrages zu Folge habe.30 Nach Ansicht des BGH lässt sich die im Fall der Unwirksamkeit der Versicherungsfalldefinition entstehende Vertragslücke somit nicht durch § 100 schließen. Dieser Begründungsansatz greift zu kurz, weil er den Fall der Nichteinbeziehung von AVB, die die Versicherungsfalldefinition enthalten, unberücksichtigt lässt. Anders als bei der Verwendung unwirksamer AGB kommen in dieser Konstellation keine Schadensersatzansprüche des VN gegen den VR in Betracht,31 so dass der VN infolge der Unwirksamkeit des Haftpflichtversicherungsvertrages keine Ansprüche gegen den VR hätte.32

2. Stellungnahme und rechtsdogmatische Annäherung 14 Das Urteil des IV. Zivilsenats des BGH steht nicht nur im Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung zu § 149 a. F., die im Rahmen der Inhaltskontrolle von Serienschadensklauseln wiederholt § 149 a. F. als Leitbild i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB herangezogen hatte, wenn es um die Eintrittspflicht des VR ging,33 sondern auch zu späteren Urteilen in der Rechtsschutzversicherung.34

27 28 29 30

Kretschmer VersR 2004 1376, 1391. BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 34 f. OLG Brandenburg 23. 10.2012 – 11 U 90/10, RuS 2013 125, 126. BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 34 f.; zustimmend Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 100 Rn. 14; vgl. auch Loritz/Hecker VersR 2012 385, 389 ff.; Franz DB 2011 1961, 1964. 31 Hierzu R. Koch VersR 2014 1277, 1282 m. w. N. aus der Rspr. 32 Soweit in der Literatur die durch die Nichteinbeziehung von AVB entstehende Lücke nach § 306 Abs. 2 BGB durch ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) in dem Sinne geschlossen werden soll, dass „branchenübliche Musterbedingungen“ gelten (Prölss/Martin/Rudy § 7 Rn. 57), lässt sich diese Ansicht nicht nur mit der juristischen Methodenlehre kaum in Einklang bringen, sondern steht auch im Widerspruch zum Schutzzweck des AGBRechts, weil die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in ihrer Gesamtheit einbezogenen Musterbedingungen als Individualvereinbarung nicht mehr Gegenstand einer Inhalts- und Transparenzkontrolle wären. Diese Konsequenz ließe sich nur durch eine analoge Anwendung von § 49 Abs. 2 vermeiden, für die sich Armbrüster ausgesprochen hat (Langheid/Wandt/Armbrüster § 7 Rn. 155; ders. RuS 2008 493, 503). Jedoch handelt es sich bei dieser Norm um eine den vorläufigen Versicherungschutz betreffende Ausnahmeregelung, die (deshalb) auf den Fall der Nichteinbeziehung von AVB in einen Hauptvertrag weder ausdehnend ausgelegt noch entsprechend angewendet werden kann (vgl. auch Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 23; Beckmann/Matusche-Beckmann/K. Johannsen § 8 Rn. 38; Schimikowski RuS 2012 577, 579). 33 BGH 17.9.2003 – VI ZR 19/03, VersR 2003 1389 f. = RuS 2003 500; BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187, 188 f. = NJW 2003 511; BGH 28.11.1990 – IV ZR 184/889, VersR 1991 175, 176. 34 Kritisch R. Koch VersR 2014 1277, 1283; Armbrüster NJW 2015 1788, 1789; Looschelders/Paffenholz/Looschelders ARB 2. Aufl. 2019 Teil A Rn. 68; Prölss/Martin/Voit Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 2. Koch

68

B. Der Versicherungsfall

VVG § 100

Obwohl sich dort die im Fall der Unwirksamkeit des Versicherungsfalles auftretende Lücke ebenfalls nicht durch eine gesetzliche Regelung schließen lässt, hält der BGH eine Inhaltskontrolle für möglich.35 Bedauerlicherweise hat sich der BGH auch nicht mit der obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere mit dem Urteil des OLG München vom 8.5.2009, auseinandergesetzt. Das OLG München hatte die Inhaltskontrollfähigkeit des Claims-made-Prinzips mit der Begründung bejaht, „lediglich die Beschreibung als Haftpflichtversicherung für Führungskräfte [sei] als Kernbereich der Leistungspflicht und damit als Leistungsbeschreibung anzusehen“.36 Die Vorinstanz hatte das noch anders gesehen und festgestellt, dass ohne die angegriffenen Klauseln nicht mehr nachzuvollziehen sei, was genau Gegenstand des Leistungsversprechens des Versicherers sei.37 Auch das OLG Frankfurt/M. bejaht die Inhaltskontrollfähigkeit und spricht sich ebenso wie Baumann für eine Lückenschließung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aus, falls die Versicherungsfalldefinition unwirksam sei.38

a) Wirksamer Versicherungsvertrag als Voraussetzung der ergänzenden Vertragsaus- 15 legung. Der Rückgriff auf die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung weist den Weg, die aus der Unwirksamkeit oder der Nichteinbeziehung der Versicherungsfalldefinition resultierende Lücke zu schließen, in die richtige Richtung, weil die ergänzende Vertragsauslegung dem tatsächlichen und mutmaßlichen Willen der Parteien den Vorrang einräumt und somit dem Willen des Gesetzgebers am besten Rechnung trägt. Um die Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen, sind jedoch einige dogmatische Hürden zu überwinden. Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass der Versicherungsvertrag wirksam zustande gekommen ist.39 Da die Definition des Versicherungsfalles über die Eintritts- und damit auch über die Leistungspflicht des VR entscheidet, ist sie essentialium negotii des Versicherungsvertrages. Haben die Parteien keine Vereinbarung darüber getroffen, fehlt es somit an einem wirksamen Versicherungsvertrag(sschluss), wenn sich der Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung nicht mithilfe der gesetzlichen Regelungen bestimmen lässt. Damit rückt § 100 in den Blickpunkt.

b) Auslegung von § 100 aa) Begriff der Tatsache. Der Tatsachenbegriff i. S. v. § 100 gibt für eine Bestimmung des 16 Versicherungsfalles nichts her. Soweit man ihn auf tatsächliche Vorgänge beschränken will, kommt es darauf an, dass es sich um „etwas Geschehenes oder Bestehendes [handelt], das zur Erscheinung gelangt und in die Wirklichkeit getreten und daher dem Beweise zugänglich ist“.40 Erfasst würden somit sämtliche Ereignisse, die Anknüpfungspunkt für die tatsächlich bestehende oder lediglich behauptete Haftung des VN dem Grunde und der Höhe nach sind, wobei im Hinblick auf das Merkmal „während der Versicherungszeit“ zu verlangen wäre, dass alle haf35 BGH 30.4.2014 – IV ZR 47/13, VersR 2014 742 Rn. 17; BGH 30. 4.2014 – IV ZR 61/13, BeckRS 2014 09828 Rn. 17; BGH 30.4.2014 – IV ZR 60/13, BeckRS 2014 09827 Rn. 17; BGH 30.4.2014 – IV ZR 62/13, BeckRS 2014 09829 Rn. 17.

36 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067 = RuS 2009 327; zustimmend R. Koch VersR 2011 295, 296 f.

37 LG München I 25.9.2008 – 12 O 20461/07, VersR 2009 210, 212 = RuS 2009 11; so auch Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 26; Loritz/Hecker VersR 2012 385; Steinkühler/Kassing VersR 2009 607 Fn. 1; ablehnend R. Koch VersR 2011 295, 296 f.; Schimikowski VersR 2010 1533, 1537; Baumann VersR 2012 1461, 1463; Graf v. Westphalen VersR 2011 145, 150; Beauregard/Gleich NJW 2013 824, 827; Franz DB 2011 1961. 38 OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 332; vgl. auch Hans. OLG Hamburg 8.7.2015 – 11 U 313/13; VersR 2016 245, 246. 39 Vgl. BGH 7.2.2006 – KZR 24/04, NJW-RR 2006 1139 Rn. 21; Erman/Armbrüster § 157 Rn. 15; Staudinger/Roth (2020) § 157 Rn. 12; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 104. 40 RG 21.12.1920 – II 1214/20, RGSt 55 129, 131 zu § 186 StGB. 69

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

tungsbegründenden Ereignisse während der Versicherungszeit eingetreten sind. Ein Rückgriff auf § 100 würde deshalb gerade in den praktisch relevanten Fällen ausscheiden, in denen das haftungsbegründende Verhalten (Handlung oder Unterlassung) und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und nur eines der beiden Ereignisse innerhalb der Versicherungszeit eintritt. Selbst wenn man den Begriff der Tatsache – wofür die Gesetzesbegründung spricht – nicht auf tatsächliche Vorgänge beschränkt, sondern – wie bei § 425 BGB41 und § 726 ZPO42 – auch rechtliche Umstände als erfasst ansieht, ließe sich der Versicherungsfall angesichts der Vielfalt der infrage kommenden Anknüpfungspunkte nicht festlegen. 17 Somit stellt sich die Frage, ob sich der Versicherungsfall nicht mithilfe der vom VR nach § 100 geschuldeten Hauptleistungspflichten bestimmen lässt. Die Pflicht zur Freistellung i. S. v. Befriedigung besteht nur dann, wenn der VN sich zumindest dem Grunde nach haftpflichtig gemacht hat, also schuldhaft – soweit nicht ausnahmsweise ein Fall der verschuldensunabhängigen Deliktshaftung vorliegt – vertragliche Pflichten oder fremde Rechtsgüter während der materiellen Versicherungsvertragsdauer verletzt hat. Und die Pflicht zur Abwehr unberechtigter Ansprüche setzt voraus, dass ein Dritter Ansprüche gegen den VN geltend macht. Da die Abwehrpflicht wiederum nur einsetzt, wenn der Dritte eine in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallende haftungsbegründende Handlung behauptet (Rn. 34 ff.), wird man auch bezogen auf die Entstehung dieser Verpflichtung darauf abstellen müssen, ob das haftungsbegründende Verhalten (Tun oder Unterlassen) während der materiellen Versicherungsvertragsdauer liegt. Damit lässt sich zwanglos folgern, dass das Verhalten, welches die Inanspruchnahme/Haftung begründet hat, jedenfalls auch als „während der Versicherungszeit eintretende Tatsache“ i. S. v. § 100 VVG aufzufassen ist, m. a. W. die Pflichtverletzung (Verstoß) den Versicherungsfall begründet. Hiergegen lässt sich auch nicht die Begründung des Gesetzgebers anführen, demzufolge § 100 gerade keine Definition des Versicherungsfalles vorgebe. Im Kontext mit der weiteren Begründung des Gesetzgebers, den Parteien möglichst viel Gestaltungsspielraum bei der Definition des Versicherungsfalles zu geben, wird deutlich, dass er mit dieser Formulierung lediglich klarstellen wollte, dass § 100 kein Leitbild i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorgibt.

18 bb) Systematische Erwägungen. Das Abstellen auf die Pflichtverletzung fügt sich am besten in die Systematik der Schadens-/Haftpflichtversicherung ein. So ist die Vereinbarung einer Rückwärtsversicherung i. S. v. § 2 Abs. 1 beim Claims-made-Prinzip wegen § 2 Abs. 2 S. 2 nicht möglich. Beim Schadensereignis-, Manifestations- und Claims-made-Prinzip trifft den VN zwar die Obliegenheit zur Anzeige nach § 104 Abs. 1 S. 1, wenn er Kenntnis von einer möglichen Haftung hat. Weitere Auskunft schuldet der VN dem VR nach dem Gesetz jedoch nicht, da der VR gemäß § 31 erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalles Auskunft vom VN verlangen kann (vgl. § 104 Rn. 6). Hinzukommt, dass nur beim Abstellen auf die Pflichtverletzung Deckungslücken in der Betriebshaftpflichtversicherung für im Zeitpunkt des Schadenseintritts bereits aus dem Unternehmen der VN ausgeschiedene Mitarbeiter vermieden werden (§ 102 Rn. 42). Schließlich wird nur das Verstoßprinzip dem Normzweck des § 82, den VN durch den Abschluss einer Versicherung nicht seiner Eigenverantwortung zu entheben und ihn anzuhalten, sich um Schadenminderung zu bemühen, wirklich gerecht, weil die Rettungsobliegenheiten bereits ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung einsetzen. 19 Für das Abstellen auf die Pflichtverletzung sprechen auch die allgemein für die Haftpflichtversicherung geltenden Feststellungen des BGH, die er anlässlich der Auslegung des in älteren Fassungen der AHB verwandten Ereignisbegriffs in seinem Urteil vom 4.12.198043 getroffen hat. Danach würden zwar die Erwartungen des VN in erster Linie vom Text des Versicherungsvertrages bestimmt. Jedoch müsse auch die Verkehrsauffassung und die Interessenlage in Betracht gezo41 Staudinger/Looschelders (2017) § 425 Rn. 3. 42 Vgl. MünchKomm-ZPO/Wolfsteiner § 726 Rn. 9; BeckOK-ZPO/Ulrici § 726 Rn. 5. 43 BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 79 ff. = VersR 1981 173. Koch

70

B. Der Versicherungsfall

VVG § 100

gen werden. Wer einen Haftpflichtversicherungsvertrag abschließe, so der BGH, rechne im Allgemeinen nicht damit, dass der VR auch für ein vor dem Vertragsschluss (oder dem vereinbarten Versicherungsbeginn) liegendes Fehlverhalten des Versicherten eintrete. Der VN habe aber ein berechtigtes Interesse daran, dass der VR in allen Fällen, in denen das haftungsbegründende Ereignis in den Haftungszeitraum falle, vollen Versicherungsschutz gewähre, und zwar auch dann, wenn die schädigenden Folgen erst nach dem Ende der vereinbarten Versicherungszeit hervorträten.44 Schließlich spricht für eine an die Pflichtverletzung anknüpfende Eintrittspflicht des VR 20 auch die Überlegung, dass Versicherung ein Element der Risikosteuerung ist und als solches an die Stelle anderer Risikosteuerungsmaßnahmen tritt oder diese ergänzt. Versicherung kann naturgemäß zwar nicht mehr das vor Abschluss des Vertrages liegende Verhalten des VN steuern, wohl aber ist sie geeignet, das nach Abschluss liegende Verhalten des VN zu beeinflussen. Er wird im Vertrauen auf den Versicherungsschutz möglicherweise risikofreudiger agieren.

c) Vorrang des Parteiwillens vor dem dispositiven Gesetzesrecht. Lücken, die dadurch 21 entstehen, dass die Versicherungsfalldefinition nicht Vertragsbestandteil oder unwirksam ist, lassen sich im Grundsatz somit durch Rückgriff auf § 100 schließen, so dass entgegen der Ansicht des BGH eine Inhalts- und Transparenzkontrolle möglich und geboten ist45 und die Nichteinbeziehung der AVB die Wirksamkeit des Vertrags nicht berührt. Damit gilt es die zweite dogmatische Hürde für eine ergänzende Vertragsauslegung zu überwinden, da beim Vorhandensein einer gesetzlichen Regelung in der Regel kein Raum für einen Rückgriff auf die ergänzende Vertragsauslegung besteht. Dieser Grundsatz des Vorrangs des dispositiven Rechts vor der ergänzenden Vertragsauslegung findet jedoch keine Anwendung, wenn das Gesetz zwar Bestimmungen enthält, die auf den in Rede stehenden Fall anwendbar sein könnten, jedoch feststeht, „dass die Parteien nach ihrem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen die gesetzliche Regelung nicht wollten“.46 Ein Rückgriff auf das nach hier vertretener Ansicht aus § 100 zu entnehmende Verstoßprinzip kommt somit nicht in Frage, wenn aus den Vereinbarungen der Parteien oder aus deren Interessenlage ergibt, dass der Versicherungsfall nicht bereits durch die Pflichtverletzung, sondern erst durch ein späteres Ereignis eintreten soll. § 100 lässt sich insoweit als Beispiel dafür begreifen, dass dispositives Gesetzesrecht zwar vor- 22 handen und zur Lückenfüllung grundsätzlich auch geeignet ist, ein Rückgriff jedoch nur dann in Betracht kommt, wenn und soweit er der Interessenlage gerecht wird und dem Parteiwillen (bei Vertragsschluss) entspricht. Nur wenn es an diesen Voraussetzungen fehlt, m. a. W. wenn das Abstellen auf die Pflichtverletzung nicht der Interessenlage oder dem Parteiwillen entspricht, ist die Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung unter Berücksichtigung des hypothetischen Parteiwillens (§§ 133, 157 BGB) zu schließen. Es ist darauf abzustellen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Bestimmung bewusst gewesen wäre. Ebenso wie bei der Auslegung und Inhaltskontrolle formularmäßiger Abreden ist bei der 23 Lückenschließung ein objektiv generalisierender Maßstab anzulegen. Die Vertragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein. Sie scheitert, anders als bei (Individual-)Verträgen, nicht daran, dass mehrere Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausfüllung der Regelungslücke in Be44 BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 79 ff. = VersR 1981 173. 45 A. A. Baumann VersR 2012 1461, 1464 f., der die Inhaltskontrolle des Claims-made-Prinzips damit begründet, dass das Erfordernis der Anspruchserhebung während der Vertragslaufzeit von § 100 abweicht, demzufolge die Geltendmachung des Drittanspruchs ohne zeitliche Eingrenzung, d. h. auch noch wirksam nach Ablauf des Versicherungsvertrages erfolgen kann. 46 BGH 14.3.1990 – VIII ZR 18/89, NJW-RR 1990 817, 818 f.; BGHG 19. 3.1975 – VIII ZR 262/73, NJW 1975 1116; vgl. auch BGH 12.10.2012 – V ZR 222/11, NJW-RR 2013 494 Rn. 14. 71

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

tracht kommen.47 Vielmehr ist die Ergänzung auf einer höheren Abstraktionsebene und damit ohne Rücksicht auf Anhaltspunkte für eine bestimmte Lösungsvariante vorzunehmen.48 Gemessen an diesen Maßstäben dürfte das Abstellen auf das Schadensereignis in der Privat- und Betriebshaftpflichtversicherung, auf die erste nachprüfbare Feststellung des Schadens in der Umwelthaftpflicht- und Umweltschadensversicherung, auf das Anspruchserhebungs-/Claimsmade-Prinzip dem gemeinsamen Willen und Interesse der Vertragsparteien entsprechen,49 so dass ein Rückgriff auf § 100 nicht in Betracht kommt.

24 d) Unzumutbare Störung der Vertragsabwicklung. Weitere Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist nach der Rechtsprechung, dass die ersatzlose Streichung der unwirksamen oder nicht einbezogenen Klausel zu einer unzumutbaren Härte für die Vertragsparteien führen würde.50 Insoweit stellt die Rechtsprechung weitergehende Anforderungen an die Lückenschließung als bei unbeabsichtigten Vertragslücken, bei denen es für die Schließung genügt, dass die ersatzlose Streichung keine angemessene, den typischen Interessen des AGB-Verwenders und seines Vertragspartners Rechnung tragende Lösung bietet.51 Da der ersatzlose Wegfall oder die Nichteinbeziehung der Versicherungsfalldefinition nicht nur für den VN, sondern auch für den VR eine unzumutbare Härte begründet und ein Rückgriff auf § 100 mit Ausnahme der Berufshaftpflichtversicherung nicht im Einklang mit dem gemeinsamen Willen und Interesse von VR und VN steht, scheitert eine Rückgriff auf die ergänzenden Vertragsauslegung an dieser Voraussetzung nicht.

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz I. Geltendmachung von Ansprüchen 1. Erklärung der Inanspruchnahme 25 Zum Schutz des VN haben Entstehung und Fälligkeit des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs nach § 100 zur Voraussetzung, dass von Dritten Ansprüche „geltend gemacht werden“.52 Was unter dem Begriff der Geltendmachung zu verstehen ist, lässt das Gesetz offen. 47 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, NJW 2005 3559, 3565; bestätigt in BGH NJW-RR 2007 1629; vgl. auch BGH 6.4.2016 – VIII ZR 79/15, NJW 2017 320 Rn. 39; BGH 18.7.2007 – IV ZR 254/03, NJW 2012 1865 Rn. 35; Staudinger/ Mäsch (2019) § 306 Rn. 39; Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt AGB-Recht 12. Aufl. 2016 § 306 Rn. 38; a. A. BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/15, NJW 2017 388 Rn. 48 (kommen unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht, ohne dass erkennbar ist, welche die Parteien gewählt hätten, sind die Gerichte zu einer ergänzenden Vertragsauslegung weder in der Lage noch befugt). 48 BGH 12.10.2005 – IV ZR 162/03, NJW 2005 3559, 3565; vgl. auch BGH 18.7.2007 – IV ZR 254/03, NJW 2012 1865 Rn. 35. 49 Zum Claims-made-Prinzip als interessengerecht zur Bestimmung des Versicherungsfalles in der D&O-Versicherung vgl. OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 332 f.; R. Koch VersR 2011 295, 300 f. 50 Vgl. BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550 Rn. 51; BGH 24.9.1985 – VI ZR 4/84, BGHZ 96 18, 26 f. = VersR 1986 153; BGH 1.10.2014 – VII ZR 344/13, NJW 2015 49 Rn. 24; BGH 15.1.2014 – VIII ZR 80/13, NJW 2014 1877 Rn. 20; BGH 31.7.2013 – VIII ZR 162/09, NJW 2013 3647 Rn. 61. 51 St. Rspr., vgl. BGH 17.5.2018 – VII ZR 157/17, NJW 2018 2469 Rn. 23; BGH 4.12.2014 – VII ZR 4/13, NJW 2015 955 Rn. 27; BGH 1.10.2014 – VII ZR 344/13, BGHZ 202 309 Rn. 24; BGH 15.11.2012 – VII ZR 99/10, NJW 2013 678 Rn. 15; BGH 28.4.2009 – XI ZR 86/09, WM 2009 1180 Rn. 27; jeweils m. w. N.; im Verbraucherverkehr darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht auf eine geltungserhaltende Reduktion hinauslaufen, vgl. EuGH 14.6.2012 – C 618/10, EuZW 2012 754, 757 = NJW 2012 2257; kritisch zu dieser Verschärfung Staudinger/Mäsch (2019) § 306 Rn. 40 ff. 52 Vgl. OLG Hamm 12.12.2016 – 20 U 168/16, VersR 2017 610. Koch

72

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

Nach der Rechtsprechung zu § 3 II Ziff. 1 AHB a. F. und vergleichbaren Bestimmungen in anderen AVB muss der Dritte sich dazu entschlossen haben, Schadensersatzansprüche gerade gegen den VN zu erheben, und er muss diesen Entschluss in einer Art und Weise zu erkennen gegeben haben, die vom VN als ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme verstanden werden kann.53 In diesem Sinne wird der Begriff der Geltendmachung i. S. v. § 100 vom Schrifttum verstanden.54 Die Inanspruchnahme des VN ist im Übrigen nicht entbehrlich und eine Geltendmachung ist folglich zu verneinen, wenn der Dritte im Hinblick auf sein persönliches Verhältnis zum VN von dessen Inanspruchnahme absieht.55 Vorbehaltlich einer abweichenden Abrede (vgl. A-2 AVB D&O) muss die Geltendmachung nicht in einer bestimmten Form erfolgen, sodass die Erklärung der Inanspruchnahme grundsätzlich mündlich und sogar konkludent ausgesprochen werden kann.56 Ebenso wenig ist es erforderlich, dass der Geschädigte den Schaden bereits konkret beziffert.57 Bloße Umstandsmeldungen, wie sie in der D&O-Versicherung vorgesehen sind, nach der nur Umstände zu nennen sind, die mit einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit zu einer Inanspruchnahme führen können, lassen die Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz unberührt. Für den Fall, dass aus einem Schadensereignis mehrere Geschädigte Ersatzansprüche stellen, ist die Geltendmachung für jeden Anspruch eines geschädigten Dritten gesondert festzustellen.58 Die Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs i. S. v. § 100 ist abzugrenzen von der Anzei- 26 gepflicht nach § 104 Abs. 1 S. 1. Letztere berührt den „Bereich vor der Fälligkeit des Deckungsanspruchs“.59 Dieses Stadium, ist nach Ansicht des BGH dadurch gekennzeichnet, dass es zwar noch an eindeutigen Willensbekundungen des Geschädigten fehlt, die dem VN die Sicherheit geben, dass von ihm Schadensersatz verlangt wird, aufgrund des Verhaltens des Geschädigten eine künftige Anspruchserhebung jedoch möglich oder gar wahrscheinlich erscheint. Deshalb besteht bereits zu diesem Zeitpunkt ein gesetzlich anerkanntes Informationsinteresse des VR. Es steht dem VR jedoch frei, zunächst abzuwarten oder bereits tätig zu werden, um nach Möglichkeit eine Belastung mit späteren Schadensersatzansprüchen schon in diesem frühen Stadium abzuwehren. Einen Anspruch auf Abwehrmaßnahmen hat der VN zu diesem Zeitpunkt noch nicht, „mögen sie auch sinnvoll sein und in seinem Interesse liegen“.60

2. Ernstlichkeit der Erklärung Bedarf es somit einer eindeutigen Willensbekundung des Geschädigten, so folgt daraus nur, 27 dass die Ernstlichkeit der Inanspruchnahme objektiv anhand der Umstände des Einzelfalls 53 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043; OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 509; OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62; OLG Karlsruhe 16.2.2006 – 19 U 110/05, VersR 2006 538; OLG Köln 30.10.2001 – 9 U 32/01, VersR 2003 1166, 1166; vgl. auch BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, BGHZ 155 69, 71 = VersR 2003 900; BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118; BGH 20.1.1966 – II ZR 233/ 63, VersR 1966 229, 232. 54 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 Rn. 28; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 36; Prölss/ Martin/Lücke § 100 Rn. 14; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 28; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 100 Rn. 14. 55 LG Karlsruhe 25.6.1987 – 9 S 99/87, MDR 1987 850. 56 BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 57; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 21, jew. zu § 153 Abs. 2 a. F.; LG Dortmund 22.10.2015 – 2 O 203/13, RuS 2016 126, 127. 57 RG 23.10.1936 – VII 67/36, RGZ 152 235, 242; vgl. auch OLG Köln 5.3.1996 – 9 U 172/95, RuS 1998 323; KG 21.2.2003 – 6 U 301/01, VersR 2003 1246; LG Düsseldorf 11.4.2003 – 2b O 186/97, Schaden-Praxis 2004 98, 99; OLG Düsseldorf 16.7.1963 – 4 U 65/63, VersR 1964 178, 179. 58 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 26. 59 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043 zu § 153 a. F. 60 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043; vgl. auch OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62. 73

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

zu bestimmen ist. Die hinter der Inanspruchnahme stehende Motivation des Anspruchsstellers ist nicht zu berücksichtigen. Es ist also völlig unerheblich, warum der Anspruchssteller gegen die VN/versicherte Person die Forderung erhebt und ob er diese allein mit Blick auf die Möglichkeit in Anspruch nimmt, im Vollstreckungswege Zugriff auf den Deckungsanspruch gegen ihren VR zu nehmen, und anderenfalls – d. h. bei Fehlen einer Haftpflichtversicherung oder fehlender Eintrittspflicht des VR – von einer Inanspruchnahme absähe.61

28 a) Gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen. Die gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den VN ist stets als ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme anzusehen, weil spätestens in diesem Moment die Verpflichtung des VR zur Prüfung der Haftpflichtfrage und zur Rechtsschutzgewährung fällig wird.62 Die gilt auch für die Inanspruchnahme des VN im Weg der Widerklage. Neben dem Antrag auf Prozesskostenhilfe, der Einleitung des Mahnverfahrens und der Klageerhebung63 hat die Rechtsprechung eine ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme im Falle der Streitverkündung bejaht.64 Das selbstständige Beweisverfahren soll nach Ansicht der Rechtsprechung nur dann als Inanspruchnahme zu qualifizieren sein, wenn der Dritte allein den VN für einen eingetretenen Schaden verantwortlich machen will und das selbstständige Beweisverfahren lediglich dem Zweck dient, die Schadenshöhe festzustellen.65 Kommen dagegen mehrere Schädiger in Betracht, ist das Schadensbild unklar und will der Geschädigte sich mit dem selbstständigen Beweisverfahren Klarheit darüber verschaffen, welche Schäden eingetreten sind, was zur Schadensentstehung geführt hat und wer jeweils die Verantwortung dafür trägt, soll die Einleitung eines Beweisverfahrens als solche nach Ansicht des BGH nicht als ernsthafte Inanspruchnahme zu qualifizieren sein.66 Dass der Gläubiger erkennbar eine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den VN erwäge oder für möglich erachte, reiche für die Fälligkeit des Anspruchs auf Versicherungsleistungen noch nicht aus.67

29 b) Außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen. Die Ernstlichkeit der Erklärung bestimmt sich nicht danach, ob sie gerichtlich oder außergerichtlich, schriftlich oder mündlich erfolgt. Die Einleitung gerichtlicher Schritte gegen den VN ist nicht entscheidend. Zu Recht hat die Rechtsprechung deshalb die außergerichtliche Aufforderung zur Zahlung von Schadensersatz oder zur Anerkennung der Schadensersatzforderung, ja selbst das Verlangen nach Abgabe eines auf den Grund des Anspruchs beschränkten Anerkenntnisses der Schadensersatzpflicht, als ernstliche Erklärung ausreichen lassen.68 Eine ernsthafte Inanspruchnahme liegt auch vor, wenn der Besteller die Abnahme unter Hinweis auf angebliche Mängel verweigert

61 Vgl. BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 Rn. 25 f.; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 33 f.; R. Koch VersR 2013 1522, 1525 f.; ders. VersR 2016 765, 767. 62 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043. 63 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043. 64 BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, BGHZ 155 69, 73 f. = NJW 2003 2376; OLG Schleswig 20.5.2010 – 16 U 16/10, VersR 2011 341. 65 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043; vgl. OLG Karlsruhe 16.2.2006 – 19 U 110/ 05, NJOZ 2006 1413, 1414; OLG Köln 9.9.2003 – 9 U 27/03, RuS 2003 501, 502; KG 21.2.2003 – 6 U 301/01, VersR 2003 1246; OLG Stuttgart 11.12.1997 – 7 U 5/97, NVersZ 1999 289; OLG Saarbrücken 22.8.1990 – 5 U 21/90, VersR 1991 872, 873; Knütel VersR 2003 300. 66 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043. 67 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043; Wussow WJ 1989 133, 134; weitergehend Späte § 3 Rn. 23. 68 BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118; OLG Naumburg 14.3.2018 – 4 U 58/17, VersR 2019 614, 615; OLG Jena 29.1.2007 – 4 U 660/06, zitiert nach juris Rn. 5. Koch

74

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

und vom VN die komplette Neuerstellung des Werks verlangt.69 Im Hinblick darauf, dass die Erfüllung der Abwehrverpflichtung den VR auch zu Aktivprozessen nötigt, wenn der geschädigte Dritte wegen seiner vermeintlichen Haftpflichtforderung ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht, gegen eine Forderung des VN aufrechnet oder ein dem VN gehörenden Gegenstand wegnimmt (Rn. 126 ff.), stehen einer Geltendmachung gleich die Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht, die Erklärung der Aufrechnung sowie die Wegnahme einer Sache. Sieht man den VR (ausnahmsweise) als zur Erhebung einer negativen Feststellungsklage 30 verpflichtet an (Rn. 124), liegt eine Geltendmachung i. S. v. § 100 auch dann vor, wenn der Geschädigte sich eines dem Grunde oder der Höhe nach nicht bestehenden Schadensersatzanspruchs berühmt. Insoweit ist der Hinweis geboten, dass das Erfordernis der Ernstlichkeit der Inanspruchnahme Parallelen zu den Voraussetzungen aufweist, die an das rechtliche Interesse bei einer negativen Feststellungsklage zu stellen sind. Ein Feststellungsinteresse setzt voraus, dass dem Recht oder der Rechtslage des Feststellungsklägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht, was stets dann anzunehmen ist, wenn sich die Gegenseite eines dem Grunde oder der Höhe nach nicht bestehenden Anspruchs berühmt.70 Weder die Ankündigung, unter bestimmten Umständen in die Prüfung eines Anspruchs einzutreten,71 noch die Bekundung „möglicher“72 oder „etwaiger“ Rechte73 oder dafür maßgebender Tatsachen (z. B. Strafanzeige) genügt, soweit und solange daraus nicht erkennbar auch bestimmte Rechte abgeleitet werden.74 Die Aufforderung, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, ist nach Ansicht des 31 BGH noch nicht als ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme des VN zu verstehen.75 Dies hat der BGH damit begründet, dass eine solche Erklärung „vor allem dann verlangt und abgegeben [wird], wenn der Geschädigte sich noch nicht darüber schlüssig ist, ob er seinen Verhandlungspartner in Anspruch nehmen soll, sondern dies von noch ungewissen Umständen, z. B. dem Ausgang eines Strafverfahrens oder eines Zivilprozesses gegen einen anderen Haftpflichtigen abhängig machen will“.76 Diese allgemein gehaltene Feststellung überzeugt nicht. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Deshalb hat das OLG Karlsruhe auch völlig zu Recht die Aufforderung durch den Geschädigten zum Verzicht auf die Einrede der Verjährung unter Androhung der Erhebung einer Feststellungsklage als ernsthafte Inanspruchnahme angesehen. In jenem Fall hing die Geltendmachung von angekündigten Schadensersatzansprüchen nur vom Ausgang eines anderen Verfahrens ab.77 Gemessen an diesen Maßstäben sind bloße Vorwürfe, Anschuldigungen, Drohungen und Redensarten noch nicht als Inanspruchnahme anzusehen.78

3. Person des Erklärenden Die Erklärung muss nicht vom geschädigten Dritten (Rn. 148 ff.) selbst abgegeben werden. Eine 32 Abgabe durch einen hierzu bevollmächtigten Vertreter reicht aus. Bei Angehörigen des Verletzten ist davon auszugehen, dass derartige Erklärungen „auf Grund tatsächlicher oder zu ver-

69 70 71 72 73

OLG Köln 30.10.2001 – 9 U 32/01, VersR 2003 1166, 1168. BGH 4.5.2006 – IX ZR 189/03, NJW 2006 2780, 2781; BGH 10.10.1991 – IX ZR 38/91, NJW 1992 436, 437. BGH 10.10.1991 – IX ZR 38/91, NJW 1992 436, 437. RG 18.4.1913 – III 555/12, RGZ 82 170, 172 (zur Streitverkündung). Z. B. Verweigerung der Entlastung (BGH 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94 324, 329 f. = NJW 1986 129; OLG Celle 9.3.1994 – 20 U 44/93, NJW-RR 1994 1545, 1546). 74 Musielak/Foerste ZPO 17. Aufl. 2020 § 256 Rn. 10. 75 BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118. 76 BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118. 77 Vgl. OLG Karlsruhe 16.2.2006 – 19 U 110/05, NJOZ 2006 1413, 1414. 78 Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 22. 75

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

mutender Vollmacht, kraft Auftrags oder Geschäftsführung ohne Auftrag i. S. einer Inanspruchnahme des VN diesem gegenüber abgeben [werden]“.79 Erklärungen unbeteiligter Vierter, etwa des aufnehmenden Polizeibeamten, dass mit der Erhebung von Ansprüchen zu rechnen sei, stellen keine Geltendmachung dar.80 Im Übrigen kann die Erklärung auch durch die nach §§ 844, 845 BGB Berechtigten sowie all diejenigen erfolgen, die den Schadensersatzanspruch derivativ (durch Abtretung nach § 398 BGB oder kraft Gesetzes nach § 86 Abs. 1 S. 1, § 116 SGB X oder § 268 Abs. 3 BGB) oder originär (z. B. nach § 110 SGB VII bzw. nach §§ 426, 683 und 670 BGB) erworben haben (hierzu Rn. 148).

4. Erklärungsempfänger 33 Der Anspruch muss gegenüber dem VN (oder einer versicherten Person81) geltend gemacht werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der Geschädigte direkt an den VN wenden muss.82 Voraussetzung für die Geltendmachung ist lediglich, dass dem VN oder seinem Empfangsvertreter – hierzu zählt aufgrund seiner (Regulierungs-)Vollmacht (Ziff. 5.2 AHB 2016) auch der VR83 – die anspruchserhebende Erklärung des Dritten i. S. v. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugeht.84

II. Betroffenheit des Schutzbereichs des Versicherungsvertrages 1. Maßgeblichkeit des Vortrags des Dritten 34 Erforderlich, im Hinblick auf die Pflicht des VR zur Prüfung des Haftpflichtanspruchs und zur Rechtsschutzgewährung zunächst aber auch ausreichend, ist, „daß der Dritte seinen Anspruch auch mit einem in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallenden Rechtsverhältnis begründet“.85 Ob der vom Dritten behauptete Anspruch begründet ist, ist somit ohne Belang. Maßgeblich ist allein der Sachverhalt, den der Dritte behauptet.86 Der Schutzbereich des Versicherungsvertrages wird zunächst bestimmt und zugleich be35 grenzt durch das versicherte Risiko (Rn. 49 ff.), das zuweilen auch als versicherte Gefahr be-

79 80 81 82 83 84 85

RG 14.1.1938 – VII 151/37, RGZ 156 378, 383. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. F 36. Hierzu OLG Frankfurt 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62. Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 24. Vgl. OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 210/00, NVersZ 2002 135 = VersR 2002 1020. BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 59; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. F 36. St. Rspr., vgl. BGH 17.4.1997 – I ZR 251/94, VersR 1998 79, 80; vgl. BGH 22.6.1967 – II ZR 217/64, VersR 1967 769, 770; BGH 21.2.1957 – II ZR 175/55, BGHZ 23 355 = NJW 1957 907; RG 25.11.1938 – VII 95/38, RGZ 159 16, 19 f.; OLG Hamm 12.2.2020 – 20 U 202/19, RuS 2020 499, 500 f.; OLG Hamm 3.5.2017 – 20 U 158, RuS 2017 629, 631; OLG Rostock 31.5.2019 – 4 U 17/16, RuS 2020 22; OLG Celle 8.8.2017 – 8 U 107/17, BeckRS 2017 150044; OLG Hamm 18.11.2016 – 20 U 48/16, VersR 2017 811, 813; OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 481; OLG Stuttgart 25.4.2016 – 7 U 215/15, RuS 2016 564, 566; OLG Hamm 2.10.2015 – 20 U 139/14, VersR 2016 524; OLG Schleswig 20.5.2010 – 16 U 16/10, VersR 2011 341, 342; OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Hamm 21.3.2007 – 20 U 29/06, RuS 2007 321; OLG Saarbrücken 20.12.2006 – 5 U 65/06, BeckRS 2008 02348; OLG Stuttgart 28.4.2005 – 7 U 209/04, NJW-RR 2005 1269, 1271; OLG Hamm 23.2.2005 – 20 U 109/0414, BeckRS 2005 03720; OLG Saarbrücken 8.4.2003 – 3 U 159/02, BeckRS 2003 30315252; KG Berlin 2.3.1999 – 6 U 9481/97, RuS 2000 61, 62; OLG Köln 27.2.1996 – 9 U 114/95, BeckRS 2008 20074. 86 Vgl. RG 25.11.1938 – VII 95/38, RGZ 159 16, 19 f.; OLG Schleswig 20.5.2010 – 16 U 16/10, VersR 2011 341, 342; OLG Hamm 7.2.2007 – 20 U 118/06, VersR 2007 980, 981; OLG Saarbrücken 20.12.2006 – 5 U 65/06, BeckRS 2008 02348; OLG Hamm 3.7.1981 – 20 U 70/81, VersR 1982 642; OLG München 27.11.1979 – 5 U 2653/79, VersR 1980 1138; OLG Braunschweig 11.4.1961 – 1 U 142/60, VersR 1961 746, 747; OLG Hamm 3.3.1959 – 7 U 142/58, VersR 1960 784, 785; OLG Frankfurt 11.10.1957 – 3 U 67/57, VersR 1958 369. Koch

76

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

zeichnet wird und die Frage beantwortet, wofür Versicherungsschutz gewährt wird (Grundsatz der Spezialität des versicherten Risikos). Das versicherte Risiko ergibt sich aus den im Versicherungsschein angegebenen Eigenschaften, Rechtsverhältnissen und/oder Tätigkeiten des VN. Die Privathaftpflichtversicherung knüpft beispielsweise an die Eigenschaft des VN als Privatperson an und bietet Schutz gegen die gesetzliche Haftpflicht aus den Gefahren des täglichen Lebens.87 Gegen Haftpflichtrisiken, die im Zusammenhang mit der im Versicherungsvertrag beschriebenen betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit stehen, bietet die Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung Schutz.88 An Rechtsverhältnisse knüpft die Versicherung gegen die Haftpflichtrisiken des VN als Haus- und/oder Grundstücksbesitzer, z. B. als Eigentümer, Mieter, Pächter, Leasingnehmer oder Nutznießer an. Darüber hinaus muss sich der Anspruch auf versicherte Gefahren (Rn. 53 ff.) beziehen, die in den AVB oftmals mit „Gegenstand der Versicherung“ umschrieben werden. Die versicherten Gefahren geben Auskunft darüber, wogegen Versicherungsschutz gewährt wird. Bei Versicherungsverträgen, denen die AHB zugrunde liegen, wird Schutz geboten gegen Schadensersatzansprüche wegen Personen- und/oder Sachschäden, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts gegen den VN geltend gemacht werden (Ziff. 1.1 AHB 2016). Sind dagegen nur (reine/echte) Vermögensschäden (z. B. Berufshaftpflichtversicherung, D&O-Versicherung) gedeckt, entsteht der Anspruch auf Haftpflichtversicherungsschutz, wenn Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, die nicht aus Personen- und/oder Sachschäden resultieren. Die versicherten Gefahren werden zum Teil darüber hinaus in der Weise konkretisiert, dass Deckung nur für bestimmte haftungsbegründende Ereignisse und nur für bestimmte Schäden gewährt wird (z. B. Ziff. 4.2 bis 4.6 ProdHM). Die Haftpflichtansprüche müssen zudem gegen die Versicherten geltend gemacht werden. Zu diesem Personenkreis zählen alle Personen, deren Interesse versichert ist. In der Eigenversicherung ist somit der VN der richtige Anspruchsgegner, in der kombinierten Eigen- und Fremdversicherung sind neben dem VN auch die versicherten Personen (z. B. Betriebsangehörige in der Betriebshaftpflichtversicherung, vgl. § 102 VVG, oder Familienmitglieder in der Privathaftpflichtversicherung) und in der reinen Fremdversicherung ausschließlich die versicherten Personen (z. B. D&O-Versicherung) richtige Anspruchsgegner. Des Weiteren müssen die geltend gemachten Haftpflichtansprüche an ein haftungsbegründendes Ereignis anknüpfen, das während der Versicherungszeit eingetreten ist. Gemeint ist die materielle Versicherungsdauer, nicht die formelle Versicherungsdauer,89 sodass es bei einer Rückwärtsversicherung i. S. v. § 2 Abs. 1 darauf ankommt, ob das Ereignis innerhalb der Dauer der Rückwärtsversicherung liegt. Schließlich müssen die Haftpflichtansprüche gem. § 100 von einem Dritten erhoben werden. Die Haftpflichtversicherung setzt ihrer Natur nach die Trennung von Geschädigtem und Träger des versicherten Interesses voraus (Rn. 148 f.).90 Ist ausschließlich das eigene Risiko/ Interesse versichert (z. B. Privathaftpflichtversicherung eines Alleinstehenden), kommen deshalb alle nicht mit dem VN identischen Personen und bei einer ausschließlich als Fremdversicherung ausgestalteten Haftpflichtversicherung alle Personen, die nicht mit der in Anspruch genommenen versicherten Person identisch sind, als Dritte in Betracht. An der Qualifikation als Dritte ändert sich grundsätzlich nichts, wenn die Anspruchsteller an dem VN als Gesellschafter beteiligt und/oder für den VN als Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied tätig sind.91 Bei einer reinen Fremdversicherung kann somit auch – und wie das Beispiel der D&O-Versicherung von Innenhaftungsansprüchen gegen Organmitglieder nach § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG

87 88 89 90 91 77

Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 3 AHB Rn. 13 ff. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 3 AHB Rn. 120 ff. Bruck/Möller/R. Johannsen/R. Koch § 2 Rn. 24 ff. K. Sieg Ausstrahlungen 240; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. H 22. Vgl. LG Oldenburg 23.7.1996 – 9 S 496/96, VersR 1998 869 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 119. Koch

36

37

38

39

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

oder § 34 GenG zeigt, sogar vornehmlich – der VN selbst Dritter i. S. d. § 100 sein.92 Bei einer kombinierten Eigen- und Fremdversicherung kommen je nachdem, gegen wen sich die Ansprüche richten, sowohl der VN (soweit er als Geschädigter Ansprüche gegen mitversicherte Personen geltend macht) als auch die versicherten Personen (soweit sie als Geschädigte Ansprüche gegen den VN oder andere versicherte Personen geltend machen) als Dritte in Frage.93 40 Übersteigen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche die zur Verfügung stehende (Jahreshöchst-)Versicherungssumme, berührt dieser Umstand die Entstehung des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz nicht. Für den Freistellunganspruch folgt dies aus § 109 S. 1, der für diesen Fall eine Neuverteilung gem. § 109 vorsieht. Dabei kann dahinstehen, ob die Kosten der Anspruchsabwehr abweichend von der gesetzlichen Regelung des § 101 Abs. 2 S. 1 auf die Versicherungssumme angerechnet werden, weil auch in diesem Fall eine Neuverteilung erfolgt (§ 109 Rn. 13 ff.). Ist der VR unter den Voraussetzungen des § 109 S. 2 nicht zur Neuverteilung verpflichtet, weil er mit der Geltendmachung dieser Ansprüche nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste, besteht kein Anspruch auf Freistellung und bei Vereinbarung Kostenanrechnung auch kein Anspruch auf Abwehrschutz. Ist keine Anrechnung vorgesehen, besteht vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung zumindest noch Anspruch auf Rechtsschutz, wenn der Haftpflichtanspruch unbegründet ist. Dies folgt daraus, dass § 101 Abs. 2 S. 1 keine Begrenzung des Kostenerstattungsanspruchs für den Fall enthält, dass in einem vom VR veranlassten Rechtsstreit die geltend gemachten Haftpflichtansprüche oder die Kosten die Versicherungssumme überschreiten. 41 Negative Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz ist, dass auf der Ebene der sekundären Risikoabgrenzung keine objektiven Risikoausschlüsse eingreifen. Da der Eintritt des Versicherungsfalles in der Haftpflichtversicherung vertraglicherseits stets an objektive Voraussetzungen anknüpft, bleiben subjektive Risikoausschlüsse wie z. B. die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens oder die wissentliche Pflichtverletzung für die Bestimmung des Schutzbereichs außer Betracht.

2. Ausnahmen 42 Von der Maßgeblichkeit des Vortrags des Dritten will die Literatur unter Berufung auf vereinzelte höchst- und obergerichtliche Entscheidungen94 eine Ausnahme machen für Tatsachen, die – eine Schädigung des Dritten durch den VN unterstellt – für den zeitlichen, räumlichen und sachlichen Umfang des versicherten Risikos und für Ausschlüsse bedeutsam sind. Diese Tatsachen müssten objektiv vorliegen bzw. nicht vorliegen, um den Rechtsschutzanspruch entstehen zu lassen.95 Als Begründung wird angeführt, allein das Abstellen auf die Behauptun92 Vgl. BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 Rn. 19 f.; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 26 f.; OLG München 15.3.2005 – 25 U 3940/04, VersR 2005 540, 541; Bruck/Möller/Brand § 44 Rn. 28; Langheid/Rixecker/ Langheid § 100 Rn. 23; Prölss/Martin/Voit Ziff. 10.2 AVB-AVG Rn. 1; Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 75; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 119; Looschelders/Derkum ZIP 2017 1249, 1250; Brinkmann ZIP 2017 301, 302 f.; Harzenetter NZG 2016 728, 729; Klimke RuS 2014 105, 114 a. A. Armbrüster NJW 2016 2155, 2156; ders. RuS 2010 441, 448 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski3 § 108 Rn. 6. 93 Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 118; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 8, H 22; Späte § 7 Rn. 16. 94 BGH 22.6.1967 – II ZR 217/64, VersR 1967 769 f.: Versicherungsfall während der Versicherungszeit; OLG Rostock 31.5.2019 – 4 U 17/16, RuS 2020 22; OLG Celle 13.12.2018 – 8 U 142/18, BeckRS 2018 49057; OLG Hamm 7.11.2018 – 20 U 107/17, VersR 2019 533, 536; OLG Stuttgart 25.4.2016 – 7 U 215/15, RuS 2016 564, 566; OLG Hamm 2.10.2015 – 20 U 139/14, VersR 2016 524; OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Köln 4.11.1997 – 9 U 76/97, RuS 1998 59, 60; OLG München 2.5.1952 – 1 U 405/51, VersR 1952 270, 271: Ausschluss; vgl. auch BGH 30.6.1960 – II ZR 170/58, VersR 1960 625, 626; RG 27.4.1926 – VI 3/26, RGZ 113 286, 288 f.; OLG Hamm 10.4.1970 – 20 U 6/70, VersR 1970 729, 730. 95 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 73; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 12; Bruck/Möller/Baumann Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 8. Koch

78

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

gen des Dritten könne dazu führen, dass der VR Rechtsschutz für Ansprüche gewähren müsse, die nach dem wahren Sachverhalt nicht unter das versicherte Risiko fielen, und umgekehrt der VN in Gefahr sei, den Anspruch auf Rechtsschutz nur deswegen zu verlieren, weil der Dritte wahrheitswidrig einen Sachverhalt behaupte, bei dem kein Deckungsschutz bestehe.96 Die allgemeine Vermutung der Redlichkeit des VN97 und seine vertragsseitige Obliegenheit zu wahrheitsgemäßen Angaben führe allerdings dazu, dass der VR regelmäßig dessen Angaben zugrunde legen müsse, und zwar vorrangig gegenüber denen des Dritten, die freilich ebenfalls zu berücksichtigen seien.98 Ergebe sich daraus die Verpflichtung zur Rechtsschutzgewährung, so müsse der VR diese Verpflichtung zunächst erfüllen. Erwiesen sich die Angaben des VN später als objektiv unrichtig, sei der VR in aller Regel leistungsfrei und könne seine Leistungen zurückverlangen.99 Bei erheblichen Zweifeln an der Redlichkeit des VN und/oder der Richtigkeit der Angaben des VN bestehe dagegen keine Pflicht des VR zur Abwehr. Vielmehr müsse in einem (vorweggenommenen) Deckungsprozess geklärt werden, ob die Tatsachen objektiv vorliegen.100

3. Stellungnahme In der Tendenz verdient die Literatur Zustimmung. Der Ausgangspunkt überzeugt jedoch 43 nicht.101 Abgesehen davon, dass von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis keine Rede mehr sein kann, wenn man verlangt, dass die Tatsachen, die für den zeitlichen, räumlichen und sachlichen Umfang des versicherten Risikos und für Ausschlüsse bedeutsam sind, objektiv (nicht) vorliegen, ist es widersprüchlich, einerseits auf das objektive (Nicht-)Vorliegen dieser Tatsachen und andererseits auf die (subjektiven) Angaben des VN abzustellen. Nach Sinn und Zweck der Haftpflichtversicherung muss der VR seine Verpflichtung zur (vorläufigen) Rechtsschutzgewährung in den Fällen, in denen der Haftpflichtanspruch entweder nach dem Vorbringen des Anspruchstellers und/oder nach dem Verteidigungsvorbringen des VN in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fällt, zunächst stets erfüllen, ohne dass es darauf ankommt, ob der behauptete Sachverhalt tatsächlich vorliegt.102 Nur dann ist sichergestellt, dass der Anspruchssteller dem VN nicht den Versicherungsschutz in Form der Anspruchsabwehr nehmen kann, und wird der Bedeutung der Rechtsschutzkomponente in der Haftpflichtversicherung angemessen Rechnung getragen, die für den VN ebenso wichtig ist wie die Freistellung von begründeten Ansprüchen.103 Dies findet seinen Ausdruck in § 100, in dem beide Pflichten nebeneinander genannt werden. Die Praxis zeigt, dass selbst dem Grunde nach berechtigte Haftpflichtansprüche vielfach überhöht sind und der VN deshalb auf die Hilfe des VR bei der Prüfung des Haftpflichtanspruchs und der Organisation der Anspruchsabwehr angewiesen ist und sich dabei auf die „überlegene Sach- und Rechtskenntnis“ des VR verlässt.104 Insoweit kommen hier ähnliche Überlegungen zum Tragen, die den BGH in der Rechtsschutzversicherung dazu 96 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 16; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB Ziff. 5 Rn. 11. 97 Zweifelnd Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 17. 98 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 17; vgl. auch BGH 22.6.1967 – II ZR 217/64, VersR 1967 769, 770; OLG Köln 4.11.1997 – 9 U 76/97, RuS 1998 59, 60. 99 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 17; Veith/Gräfe/Betz § 12 Rn. 77. 100 Vgl. OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Köln 4.11.1997 – 9 U 76/97, RuS 1998 59; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 17; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB Ziff. 5 Rn. 11. 101 So auch Ramharter 5/42. 102 Vgl. auch OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 504 f.; OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, BeckRS 2021 21425; OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390 (zur D&O-Versicherung); Ramharter 5/44. 103 Vgl. auch OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 504 (Rechtsschutzverpflichtung zur Abwehr unberechtigter Ansprüche ist für den Versicherten von existentieller Bedeutung. Er muss sich auf die Rechtsschutzfunktion seiner D&O-Versicherung verlassen können). 104 BGH 16.5.2007 – IV ZR 149/03, RuS 2007 191 Rn. 18. 79

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

veranlasst haben, auch bei Passivprozessen zur Bestimmung des Versicherungsfalles allein auf das Vorbringen des VN abzustellen.105 Im Hinblick auf die nachteiligen Folgen für den VN (Vorleistung der Abwehrkosten) und den VR (Bindung an das Haftpflichturteil, einen vom VN geschlossenen Vergleich oder ein vom ihm abgegebenes Anerkenntnis) gilt es, einen womöglich parallel zum Haftpflichtprozess geführten Deckungsprozess zu vermeiden.106 Für die Rechtsschutzverpflichtung des VR ist somit ein anderer Maßstab anzulegen als für die Verpflichtung zur Befriedigung des Dritten nach Durchführung des Haftpflichtprozesses, die nur besteht, wenn die Tatsachen objektiv vorliegen.107 Behauptet der Dritte beispielsweise, dass der Schaden (Versicherungsfall) während der 44 Laufzeit des Versicherungsvertrages eingetreten sei, muss der VR dem VN Rechtsschutz gewähren.108 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der VN erklärt, der Versicherungsfall sei vor Vertragsschluss eingetreten. Herrscht zwischen dem Geschädigten und dem VN Streit darüber, ob der Versicherungsfall im versicherten Zeitraum eingetreten ist, muss der VR Rechtsschutz gewähren, wenn der VN plausibel darlegt, dass der Versicherungsfall während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eingetreten ist. Ist streitig, ob der VN den Schaden – wie vom Geschädigten behauptet – in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit verursacht hat, muss der PrivathaftpflichtVR dem VN Rechtsschutz gewähren. Etwas anderes gilt nur dann, wenn erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des VN bestehen oder die Angaben offensichtlich falsch sind.109 Der VR wird hierdurch nicht unzumutbar belastet. Wird die Haftpflichtklage des Dritten abgewiesen, weil die von ihm behaupteten Tatsachen keine Verurteilung rechtfertigen, trägt der Dritte die Kostenlast. Erhält der VR die von ihm zur Anspruchsabwehr aufgewendeten Kosten vom Dritten nicht ersetzt und fallen die Ansprüche nach den im Prozess getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages, kann der VR vom VN Ersatz der Kosten nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) verlangen.110 Letzteres gilt auch in den Fällen, in denen der Haftpflichtklage stattgegeben wird (Rn. 187). In diesem Fall kann der VR gegenüber dem Dritten, der sich den Anspruch des VN auf Freistellung abtreten (§ 398 BGB) oder pfänden und überweisen (§§ 829, 835 ZPO) lassen hat, die Einwendungen aus dem Deckungsverhältnis entgegenhalten (§ 404 BGB), die in einem Deckungsstreit mit dem Dritten abschließend geklärt werden. Gleiches gilt, wenn der Dritte vom VR die Freigabe einer zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil hinterlegten Sicherheit verlangt.111 Betreibt der Dritte die Zwangs-

105 BGH 3.7.2019 – IV ZR 111/18, RuS 2019 461 Rn. 28 („Denn der VN wird dem Leistungsversprechen des Rechtsschutz-VR, die für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers erforderlichen Leistungen zu erbringen, eine Solidaritätszusicherung entnehmen, dass der Versicherer ihn gegen Vorwürfe des Gegners unterstütze (vgl. Maier RuS 2015 489, 492). Deshalb erwartet er, dass der Rechtsschutzversicherer von seiner, des Versicherungsnehmers, Darstellung und Bewertung des Geschehens ausgeht und nicht vom Vorbringen seines Anspruchsgegners, zumal die Bestimmung des Versicherungsfalls nicht der Ort ist, den Wahrheitsgehalt einander widersprechender Darstellungen der Parteien des Ausgangsrechtsstreits oder den Widerstreit unterschiedlicher Rechtsauffassungen zu klären.“); vgl. auch BGH 31.3.2021 – IV ZR 221/19, VersR 2021 696 Rn. 40 ff. 106 Vgl. OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 505 f.; OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, BeckRS 2021 21425; OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390 (zur D&O-Versicherung). 107 OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 481; OLG Köln 6.9.2016 – 9 U 29/16, VersR 2016 1427, 1431. 108 OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 481; OLG Köln 6.9.2016 – 9 U 29/16, VersR 2016 1427, 1431; vgl. auch BGH 27.5.2015 – IV ZR 292/13, RuS 2015 398 Rn. 48 f. (zum Haftpflichtversicherungsschutz in der Flusskaskoversicherung). 109 Vgl. Ramharter 5/44. 110 OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 481; OLG Köln 6.9.2016 – 9 U 29/16, VersR 2016 1427, 1431. 111 A. A. OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 112 (im Falle einer fehlerhaften Einschätzung des Deckungspflicht, um die es hier jedoch nicht geht). Koch

80

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

vollstreckung in das Vermögen des VN und verlangt der VN vom VR Maßnahmen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, müssen Einwendungen aus dem Deckungsverhältnis in einem Deckungsstreit zwischen VN und VR geklärt werden. Behauptet der Dritte einen Sachverhalt, bei dem ein Ausschlusstatbestand eingreift, eine 45 den VR zur vollständigen Leistungskürzung berechtigende Obliegenheitsverletzung gegeben ist und/oder eine arglistige Täuschung vor Vertragsschluss vorliegt, muss der VR den Rechtsschutzanspruch des VN ebenfalls zunächst erfüllen, wenn der VN diesen Sachverhalt bestreitet.112 Ist der VR nur zur teilweisen Leistungskürzung berechtigt, berührt das seine Rechtsschutzverpflichtung nicht (Rn. 147). Stellt sich nach den im Prozess getroffenen Tatsachenfeststellungen heraus, dass der Ausschluss eingreift und/oder eine Obliegenheitsverletzung vorliegt, ist der VR gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB berechtigt, vom VN Ersatz der Kosten zu verlangen (Rn. 189).113 Insoweit ist der Hinweis geboten, dass der VR, der zunächst Rechtsschutz gewährt, sich in vollem Umfang auf Leistungsfreiheit berufen kann, wenn die Voraussetzungen des Ausschlusses erst später in einem Deckungsprozess festgestellt werden.114 Gleiches gilt, wenn es um eine Obliegenheitsverletzung geht. Zu Recht weist vor allem die obergerichtliche Judikatur darauf hin, dass der Haftpflichtprozess dem VR erst die Grundlage für die Prüfung seiner Einstandspflicht im Deckungsverhältnis geben solle und deshalb die Gewährung von Rechtsschutz für den Haftpflichtprozess weder zu einem Ausschluss von Einwendungen noch zu einem Vertrauenstatbestand im Hinblick auf die Frage der Zahlung an die Geschädigten führen könne.115 Die Aufnahme eines Vorbehalts der Rückforderung wegen ungerechtfertigter Bereicherung ist somit grundsätzlich nicht erforderlich.116 Die Verpflichtung des VR zur (vorläufigen) Rechtsschutzgewährung besteht selbst in den 46 Fällen, in denen es um einen Ausschlusstatbestand geht, der mangels Voraussetzungsidentität von Haftung und Deckung (zu Einzelheiten vgl. § 106 Rn. 23 ff.) nicht mit bindender Wirkung für den VR vom Haftpflichtrichter festgestellt werden kann (z. B. Ausschluss wissentlicher Pflichtverletzungen oder vorsätzlicher Schadensherbeiführung) und folglich in einem Deckungsprozess geklärt werden muss, der dem Haftpflichtprozess nachfolgt (Rn. 44). In diesen Fällen kann der VR seine Rechte durch einen Rückforderungsvorbehalt wahren, der nicht nur der Annahme eines deklaratorischen Anerkenntnisses der Deckungspflicht entgegensteht,117 dessen Folge ist, dass der VR mit solchen Einwendungen ausgeschlossen ist, die er im Zeitpunkt des Anerkenntnisses bereits gekannt hat oder bei gehöriger Prüfung hätte kennen müssen, sondern auch dem Eingreifen eines Kondiktionsausschlusses nach § 814 BGB. Zudem schließt der Vorbehalt die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) in entsprechender Anwendung des § 820

112 Vgl. OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 505 f.; OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, BeckRS 2021 21425; OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390 (zur D&O-Versicherung); für Rechtsschutzversicherung: BGH 31.3.2021 – IV ZR 221/19, VersR 2021 696 Rn. 40 ff.; vgl. aber auch BGH 22.5.2021 – IV ZR 324/ 19, BeckRS 2021 13204 Rn. 34 ff. (keine vorläufige Leistungspflicht des Rechtsschutz-VR, wenn die Parteien des Versicherungsvertrages darüber streiten, ob die Voraussetzungen eines Risikoausschlusses, hier die Begehung einer vorsätzlichen Straftat durch den Versicherten vorliegen). 113 OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 481; OLG Köln 6.9.2016 – 9 U 29/16, VersR 2016 1427, 1431. 114 Vgl. OLG Saarbrücken 20.12.2006 – 5 U 65/06, BeckRS 2008 02348; OLG Koblenz 6.4.1979 – 10 U 607/78, VersR 1979 830; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 17. 115 OLG Düsseldorf 12.7.2017 – 4 U 61/17, RuS 2018 193, 196; OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 481; OLG Köln 6.9.2016 – 9 U 29/16, VersR 2016 1427, 1431; OLG Saarbrücken 20.12.2006 – 5 U 65/06, BeckRS 2008 02348; OLG Stuttgart 15.7.1999 – 7 U 266/98, NVersZ 2000 95; vgl. auch BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171 56 = VersR 2007 1116 Rn. 15; BGH 27.5.2015 – IV ZR 292/13, RuS 2015 398 Rn. 48 f. (zum Haftpflichtversicherungsschutz in der Flusskaskoversicherung). 116 Vgl. OLG Stuttgart 15.7.1999 – 7 U 266/98, NVersZ 2000 95; KG 2.3.1999 – 6 U 9481/97, RuS 2000 61, 62; OLG Hamm 25.6.1980 – 20 U 76/78, VersR 1981 178, 179 f.; Feist VersR 1978 27, jeweils zum Eingreifen von Ausschlüssen. 117 OLG Nürnberg 9.8.2021 – 8 U 1012/21, BeckRS 2021 24810. 81

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

Abs. 1 S. 1 BGB aus.118 Behauptet der Dritte vorsätzliches Verhalten des VN und/oder stützt er seinen Anspruch auf Tatsachen, die auf eine vorsätzliche Schadensherbeiführung schließen lassen, muss der VR allerdings einen entsprechenden Vorbehalt aufnehmen. Leistet der VR in einem solchen Fall vorbehaltlos Abwehrschutz, liegt darin nämlich konkludent ein unwiderruflicher Verzicht auf die Geltendmachung des § 103, der in seiner Reichweite freilich auf den Ersatz von Aufwendungen für die Anspruchsabwehr beschränkt ist. 47 In der Formularpraxis lassen sich vor allem für den Fall, dass eine vorsätzliche oder wissentliche Pflichtverletzung im Raum steht, entsprechende Vorbehalte finden. Beispiel: „Sofern die vorsätzliche Pflichtverletzung streitig ist, besteht Deckungsschutz für die Abwehrkosten unter der Bedingung, dass der Vorsatz nicht durch gerichtliche oder behördliche Entscheidung, Vergleich oder Anerkenntnis festgestellt wird. Erfolgt eine solche Feststellung, entfällt der Versicherungsschutz rückwirkend und bis dahin an ihn aufgewendete Kosten sind dem Versicherer zurückzuerstatten.“ Ein solcher Vorbehalt bedeutet nicht, dass der VR den Anspruch des VN auf Gewährung von Rechtsschutz bestreitet.119 Nur ausnahmsweise verzichtet der VR in seinen AVB auf die Rückforderung.120 Entgegen der Ansicht des OLG Frankfurt/M.121 und des OLG Düsseldorf122 ist der VR auch zur Rückforderung berechtigt, wenn er in seinen AVB den rückwirkenden Wegfall des Versicherungsschutzes davon abhängig macht, dass die wissentliche Pflichtverletzung „rechtskräftig festgestellt“ ist. Diese Formulierung, die sich auf das Deckungsverhältnis bezieht (das bürgerlich-rechtliche Haftungsregime verwendet den Begriff „wissentliche Pflichtverletzung“ nicht) und wegen fehlender Voraussetzungsidentität nur im nachfolgenden Deckungsstreit von Bedeutung ist, wird von der VN und den versicherten Personen dahingehend verstanden, dass sie nach einer rechtskräftigen Abweisung der Deckungsklage wegen Vorliegens einer wissentlichen Pflichtverletzung zur Rückzahlung der Rechtsschutzkosten verpflichtet sind. Insoweit ist der Hinweis geboten, dass die Feststellung der wissentlichen Pflichtverletzung im Deckungsprozess in Rechtskraft erwächst, weil bei einer Klageabweisung die Urteilsformel keine Aufschlüsse über den Streitgegenstand zulässt und sich dieser erst aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen einschließlich des Parteivorbringens ergibt.123

III. Konkretisierung des Schutzbereichs durch AVB/BBR 48 Der zuvor beschriebene Schutzbereich des Haftpflichtversicherungsvertrages wird – wie auch in anderen Versicherungszweigen – in der Praxis seitens des VR formularmäßig festgelegt.124 Auf den Einzelvertrag abgestimmte Individualvereinbarungen, die auf das individuelle Haftpflichtrisiko des VN bezogen sind, finden sich im Massengeschäft, z. B. bei der Privathaftpflichtversicherung, kaum. Auch im industriellen und gewerblichen Geschäft sowie im freiberuflichen Bereich bilden die Standard-AVB die Vertragsgrundlage, welche durch Individualvereinbarungen (im Versicherungsschein) lediglich geändert, ergänzt oder erweitert wird. So werden oftmals Ausschlüsse abbedungen, die das versicherte Risiko und die versicherte Gefahr betreffen. Zumindest die Art des versicherten Betriebes oder der versicherten Berufstätigkeit ist in der

118 OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 481; OLG Köln 6.9.2016 – 9 U 29/16, VersR 2016 1427, 1431; OLG Saarbrücken 20.12.2006 – 5 U 65/06, BeckRS 2008 02348; vgl. auch BGH 20.10.2005 – III ZR 37/05, NJW 2006 286, 288; BGH 8.6.1988 – IVb ZR 51/87, NJW 1989 161, 162 (nicht versicherungsrechtliche Fälle). 119 OLG Celle 19.11.1976 – 8 U 52/76, VersR 1978 25, 26. 120 Vgl. OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 505; OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, BeckRS 2021 21425; OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390 (zur D&O-Versicherung). 121 OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, BeckRS 2021 21425. 122 OLG Düsseldorf 21.12.2006 – 4 U 6/06, NJOZ 2007 1242, 1244. 123 St. Rspr., vgl. BGH 6.10.2015 – XI ZB 17/15, NJW 2017 3777 Rn. 37; BGH 28.5.1998 – I ZR 275/95, NJW 1999 287, 288 f.; BGH 17.3.1995 – V ZR 178/93, WM 1995 1204, 1205. 124 Zu den Gründen s. Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 1 ff. Koch

82

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

Regel individuell umschrieben,125 weil das versicherte Risiko insoweit nur bedingt einer Konkretisierung durch AVB zugänglich ist. Soweit die Vertragsregelungen nicht ausgehandelt worden sind, finden die §§ 305 ff. BGB Anwendung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sie von einem hierzu seitens des VN beauftragten Versicherungsmakler auf dessen Betreiben in den Versicherungsvertrag einbezogen worden sind.126

1. Versichertes Risiko Die Konkretisierung des versicherten Risikos erfolgt in der Regel durch Besondere Bedingungen 49 und Risikobeschreibungen (BBR), die auf AVB (z. B. AHB 2016) aufbauen. Seit 2014 hat der GDV damit begonnen, sog. „durchgeschriebene Musterbedingungen“ u. a. für die Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung127 und die Privathaftpflichtversicherung128 zu veröffentlichen, in die die AHB und die BBR integriert werden. In der Umwelthaftpflichtversicherung besteht Versicherungsschutz nur für die im Versicherungsschein aufgeführten Anlagerisiken nach Maßgabe der Risikobausteine Ziff. 2.1 bis 2.7 UmweltHM 2009/A2-1.1.3 (1)–(7) AVB BHV (UHV), die jeweils gesondert zu vereinbaren sind.129 In der Produkthaftpflichtversicherung wird die genaue Beschreibung des „Produktions- und Tätigkeitsumfang[s]“ verlangt (Ziff. 2 ProdHM 2015/ A3-1.2 AVB BHV). Dagegen bestimmt Ziff. 3.1 (1) AHB 2016 für den Bereich der Betriebshaftpflichtversicherung nur allgemein, dass der Versicherungsschutz die gesetzliche Haftpflicht „aus den im Versicherungsschein und seinen Nachträgen angegebenen Risiken des Versicherungsnehmers“ umfasst (vgl. auch A1–1 AVB BHV). Die Rückrufkostenversicherung deckt ausschließlich „die in der Risikobeschreibung gemäß Versicherungsschein aufgeführten, vom Versicherungsnehmer hergestellten, gelieferten oder vertriebenen Erzeugnisse“ (A4-1.2 AVB BHV/A51.2 AVB BHV).130 Teilweise haben die VR auch eigenständige Bedingungswerke für besondere Eigenschaften, 50 Tätigkeiten oder Berufsgruppen entwickelt. Zu den eigenständigen berufsgruppenspezifischen Bedingungswerken zählen die Allgemeinen Bedingungen der Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte (z. B. AVB-RSW), zu den tätigkeitsbezogenen Bedingungswerken die Allgemeinen Bedingungen zur Haftpflichtversicherung von Ansprüchen aus Benachteiligungen (AVB Benachteiligungen).131 Die D&O-Versicherung (AVB D&O)132 knüpft an die Eigenschaft der versicherten Person als Mitglied der geschäftsführenden Organe (z. B. Vorstand oder Geschäftsführer) und der Kontrollorgane (z. B. Aufsichtsrat) an. Ein eigenständiges Bedingungswerk existiert auch für die Kfz-Haftpflichtversicherung (A.1 AKB 2015), die Schutz gegen die Haftpflichtrisiken aus dem Gebrauch des Kfz bietet.133 125 Vgl. Späte Vorbem. 46. 126 BGH 22.7.2009 – IV ZR 74/08, RuS 2010 100, 101. 127 Abrufbar im Internet unter https://www.gdv.de/resource/blob/6240/99985ccaad73e28e8559e641380a791b/02avb-betriebs-und-berufshaftpflichtversicherung-2020-data.pdf.

128 Abrufbar im Internet unter https://www.gdv.de/resource/blob/6242/7eafbb431499ac246bfdfd5feadc2aaa/09avb-fuer-dieprivathaftpflichtversicherung-avb-phv-gdv-2020-data.pdf. 129 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 2 UmweltHM Rn. 2. 130 Abrufbar im Internet unter https://www.gdv.de/resource/blob/49080/7c587f200ae26014731fbaa3e5eda8aa/28avb-bhv-rueckrufkostenrisiko-fuer-hersteller-und-handelsbetriebe-data.pdf. 131 Abrufbar im Internet unter https://www.gdv.de/resource/blob/5914/94bef4f5ecf39adcfde361a3f95bf3ca/04allgemeine-bedingungen-zur-haftpflichtversicherung-von-anspruechen-aus-benachteiligungen-avb-benachteiligun gen-data.pdf. 132 Abrufbar im Internet unter https://www.gdv.de/resource/blob/6044/aff62dda6ec6fb4e1b9998b765de435d/05allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-vermoegensschaden-haftpflichtversicherung-von-aufsichtsraetenvorstaenden-und-geschaeftsfuehrern-avb-d-o-data.pdf. 133 Abrufbar im Internet unter https://www.gdv.de/resource/blob/6178/844aa24f88c68be0d96faa4a46941d64/01allgemeine-bedingungen-fuer-die-kfz-versicherung-akb-2015-data.pdf. 83

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

Ob ein Schadensereignis unter das versicherte Risiko des jeweiligen Versicherungsvertrags fällt, ist durch Auslegung zu ermitteln, die sich bei formularvertraglicher Festlegung daran orientiert, wie ein durchschnittlicher VN diese Festlegung bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht.134 Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis insbesondere bei der Abgrenzung der Deckungsbereiche der Privat- und der Betriebshaftpflichtversicherung, wenn der VN in seiner Freizeit einen Schaden durch eine Tätigkeit verursacht, die er auch beruflich ausübt, oder umgekehrt einen Schaden im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit durch eine Handlung herbeiführt, die dem Bereich der Privatsphäre zuzuordnen ist.135 In der Betriebshaftpflichtversicherung kann es zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, wenn das versicherte betriebliche Risiko – wie üblich – nur abstrakt beschrieben ist oder die Beschreibung nicht den kompletten Tätigkeits- und/oder Produktionsbereich des VN abbildet. In der Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte (und Notare) ist nicht jede Tätigkeit „des Rechtsanwalts“ zugleich versicherte Tätigkeit „als Rechtsanwalt“, sondern allein die von unabhängiger Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten geprägte „klassische“ Tätigkeit des Rechtsanwalts, wie sie auch in § 3 BRAO beschrieben ist.136 Fällt das Schadensereignis nicht unter das versicherte Risiko, ist zu prüfen, ob Anspruch auf Versicherungsschutz aus einer Vorsorgeversicherung besteht (zu Mischfällen s. Rn. 77 ff.).137 Die Ausschlüsse in AVB und BBR hinsichtlich des versicherten Risikos dienen vielfach der 52 Abgrenzung zu anderen Versicherungsprodukten. So sind in der Privat- und Betriebshaftpflichtversicherung Risiken aus dem Gebrauch des Kfz (vgl. Ziff. 3.1 BBR PHV/Ziff. 7.4.3 BBR BHV) und in der Produkthaftpflichtversicherung Ansprüche aus Planung oder Konstruktion, Herstellung oder Lieferung von Luft- oder Raumfahrzeugen und Tätigkeiten an Luft- oder Raumfahrzeugen (vgl. Ziff. 6.2.6 ProdHM 2015/A3-8.14 AVB BHV) sowie Rückrufkosten (vgl. Ziff. 6.2.8 ProdHM 2015/A3-7.7.3 AVB BHV) ausgeschlossen. In der Privathaftpflichtversicherung ist nicht versichert die Haftung für Schäden, die vom Versicherten in seiner Eigenschaft als Tierhalter verursacht werden.138 51

2. Versicherte Gefahr 53 Die versicherte Gefahr, die die vom Versicherungsschutz umfassten Ansprüche und Schäden Dritter zum Gegenstand hat, wird positiv (primäre Risikobegrenzungsebene) maßgeblich durch die Definition des Versicherungsfalles und negativ (sekundäre Risikobegrenzungsebene) durch Ausschlüsse konkretisiert. Die Beschreibung der versicherten Gefahr dient vor allem der Kalkulierbarkeit des Versicherungsschutzes. Hierzu einige Beispiele:

54 a) AHB. Die AHB liegen der Betriebs- und Privathaftpflichtversicherung zugrunde. Sie gewähren Versicherungsschutz für den Fall, dass der VN wegen eines Schadensereignisses, „das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird“ (Ziff. 1.1 S. 1 AHB 2016, vgl. auch A1-3.1 AVB BHV/AVB PHV). 134 Vgl. BGH 18.3.2020 – IV ZR 43/19, NJW 2020 2962 Rn. 34 ff.; BGH 23.9.2015 – IV ZR 484/14, VersR 2016 388 Rn. 19 ff.; OLG Hamm 26.4.2013 – 20 U 201/12, RuS 2014 11, 12 f.; zu den Einzelheiten Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 206 ff.; Langheid/Wandt/Reiff Bd. 3 Kap. 50 Rn. 79; R. Koch VersR 2015 133, 137 f. 135 S. hierzu Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 3 AHB Rn. 13, zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Kfz-Haftpflichtversicherung und Allgemeiner Haftpflichtversicherung s. Terno RuS 2011 361 ff. 136 Vgl. BGH 18.3.2020 – IV ZR 43/19, NJW 2020 2962 Rn. 37; BGH 23.9.2015 – IV ZR 484/14, VersR 2016 388 Rn. 2. 137 S. hierzu Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 4 AHB. 138 Vgl. BGH 25.4.2007 – IV ZR 85/05, RuS 2007 319, 320; Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 3 AHB Rn. 106 ff. Koch

84

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

Versicherungsschutz besteht somit nur für Ansprüche, die auf Schadensersatz und für Ansprüche, die auf Ausgleich des eingetretenen Schadens im Wege der Wiederherstellung des Zustands vor dem Schadensereignis gerichtet sind.139 Ansprüche auf (Nach-)Erfüllung und Unterlassung sind von der Deckung ausgenommen. Unter gesetzliche Haftpflichtbestimmungen fallen solche Bestimmungen, die unabhängig vom Willen der beteiligten Parteien an die Verwirklichung eines unter die Klausel fallenden Ereignisses Rechtsfolgen knüpfen.140 Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Anspruchsnormen einen privatrechtlichen Inhalt haben. Zudem muss der Dritte den VN wegen eines Personen- oder Sachschadens und/oder deren Folgen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Kein Versicherungsschutz besteht somit für Schadensersatzansprüche, die allein aus öffentlich-rechtlichen Normen resultieren oder auf den Ersatz von Vermögensschäden gerichtet sind, die nicht Folge eines vorangegangenen Personen- oder Sachschadens sind. Die Ausschlüsse in den AHB sind, soweit sie Ansprüche von der Deckung ausnehmen, die 55 an die mangelhafte Leistungserbringung des VN anknüpfen und an die Stelle der ursprünglich auf Erfüllung gerichteten Leistung treten, deklaratorischer Natur, da für solche Ansprüche grundsätzlich keine Deckung in der Haftpflichtversicherung besteht (Vor §§ 100–112 Rn. 1 f.). Sie haben nur klarstellende (Warn-)Funktion. Konstitutiver Charakter kommt ihnen zu, soweit sie bestimmte Tatbestände wegen der außergewöhnlichen Häufigkeit (Kumulrisiko) oder Schwere der durch sie ausgelösten Schäden aus der auf eine Normallage abstellenden Versicherung herausnehmen (z. B. Ziff. 7.15 AHB 2016: Schäden aus dem elektronischen Datenaustausch, vgl. A16.16 AVB BAHV/AVB PHV) oder sie darauf abzielen, den Moral Hazard (z. B. Ziff. 7.6 AHB 2016: sog. Besitzklausel, vgl. A1-7.5 AVB BHV/AVB PHV; Ziff. 7.7 AHB 2016: sog. Tätigkeitsklausel, vgl. A1-6.7.3 und A1-6.7.4 AVB BHV) einzudämmen.141

b) ProdHM/A3 AVB BHV. Die Produkthaftpflichtversicherung ist eine besondere Form der Be- 56 triebshaftpflichtversicherung, die auf die Bedürfnisse von Herstellern und Händlern zugeschnitten ist, deren Erzeugnisse nicht Endprodukte sind, sondern einer weiteren gewerblichen/industriellen Tätigkeit unterliegen. Das ProdHM baut auf den AHB auf, bietet aber darüber hinausgehenden Schutz, weil es nicht auf Schadensersatzansprüche privatrechtlichen Inhalts beschränkt ist und Schadensersatzansprüche wegen Vermögensschäden umfasst, die aus der Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung von mangelhaft hergestellten oder gelieferten Erzeugnissen mit anderen Produkten (Ziff. 4.2 ProdHM 2015, A3-7.1 AVB BHV), infolge Weiterverarbeitung oder -bearbeitung mangelhaft hergestellter oder gelieferter Erzeugnisse (Ziff. 4.3 ProdHM 2015, A3-7.2 AVB BHV) oder durch den Einbau, das Anbringen, Verlegen oder Auftragen von mangelhaft hergestellten oder gelieferten Erzeugnissen (Ziff. 4.4 ProdHM 2015, A3-7.3 AVB BHV) entstanden sind. Allerdings werden nicht alle durch die vorbezeichneten Herstellungsvorgänge verursachten Vermögensschäden Dritter gedeckt, sondern nur die Inanspruchnahme wegen einzelner Schadenspositionen wie z. B. der Kosten für die Herstellung der Gesamtprodukte, Nachbesserungskosten, weiterer Vermögensnachteile (z. B. entgangener Gewinn), weil die Gesamtprodukte nicht oder nur mit einem Preisnachlass veräußert werden können, sowie Produktionsausfallkosten.142 Bei den speziellen, auf das ProdHM beschränkten Ausschlüssen geht es vor allem darum, 57 bestimmte besonders schadensträchtige Sachverhalte aus der Deckung herauszunehmen (z. B. Ziff. 6.2.8 ProdHM: Rückrufkosten, vgl. A3-7.7.3 AVB BHV). Der Begrenzung des Moral Hazard 139 Vgl. BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, VersR 2021 113 Rn. 18; BGH 8.12.1999 – IV ZR 40/99, NVersZ 2000 189, 190 = VersR 2000 311; Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 1 AHB Rn. 37 ff.

140 Vgl. BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, VersR 2021 113 Rn. 13; BGH 11.12.2002 – IV ZR 226/01, BGHZ 153 182 unter II 1 = VersR 2003, 236. 141 Zu den Einzelheiten s. Kommentierung AHB in Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4. 142 Zu den Einzelheiten s. Kommentierung ProdHM in Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4. 85

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

dient der Ausschluss von Sach- und Vermögensschäden durch nicht ausreichend erprobte Erzeugnisse (Ziff. 6.2.5 ProdHM, vgl. A3-8.26 AVB BHV).143

58 c) Rückruf. Bei der Rückrufkostenversicherung werden von Seiten des GDV unterschiedliche Bedingungswerke angeboten. Ein Modell trägt den besonderen Bedürfnissen der Kfz-Branche Rechnung und richtet sich ausschließlich an Kfz-Teile-Zulieferer (BBR für die RückrufkostenHaftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer, KfzRückRM).144 Das andere Modell richtet sich allgemein an Hersteller- und Handelsbetriebe (BBR für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe, ProdRückRM).145 Die Rückrufkostenversicherung bietet dem VN auf der Basis der AHB Schutz gegen Inanspruchnahme wegen Vermögensschäden, die nicht aus Personen- oder Sachschäden resultieren, sondern dadurch entstehen, dass „aufgrund festgestellter oder nach objektiven Tatsachen, insbesondere ausreichenden Stichprobenbefundes vermuteter Mängel von Erzeugnissen oder aufgrund behördlicher Anordnung zur Vermeidung von Personenschäden ein Rückruf … durchgeführt wurde und der VN hierfür in Anspruch genommen wird“ (vgl. Ziff. 1.1 KfzRückRM/ProdRückRM, A4-1.1/A5-1.1 AVB BHV). Versicherungsschutz besteht darüber hinaus auch dann, wenn der VN zur Erfüllung seiner gesetzlichen Rückrufverpflichtung selbst einen Rückruf durchführt und ihm hierdurch ein Vermögensschaden entsteht (nur BBR für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe, vgl. Ziff. 1.3 ProdRückRM, A4-1.4 AVB BHV). Allerdings sind nicht sämtliche Kosten Dritter versichert, wegen derer der VN auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, sondern wie beim ProdHM nur die enumerativ aufgezählten. 59 Die konstitutiven Ausschlüsse sind vorwiegend verhaltensbezogen. Nicht versichert sind u. a. Ansprüche wegen nicht ausreichend erprobter Erzeugnisse (Ziff. 6.1 KfzRückRM/Ziff. 6.2 ProdRückRM, A4-9.13 AVB BHV/A5-11.14 AVB BHV).

60 d) Umwelthaftpflicht/Umweltschäden. Die Umwelthaftpflichtversicherung ist ebenfalls eine besondere Form der Betriebshaftpflichtversicherung. Das UmweltHM 2009146 basiert auf den AHB und bietet Schutz gegen privatrechtliche Schadensersatzansprüche Dritter wegen Personen- und Sachschäden durch Umwelteinwirkung. Daneben sind mitversichert Vermögensschäden aus der Verletzung von Aneignungsrechten, des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, wasserrechtlichen Benutzungsrechten oder -befugnissen. Die Ausschlüsse dienen der Begrenzung des Moral Hazard (z. B. Ziff. 6.1 UmweltHM 2009: Kleckerschäden, vgl. A2-1.6.1 AVB BHV (UHV)), der Vermeidung nicht kalkulierbarer Kumulrisiken (z. B. Ziff. 6.2 UmweltHM 2009: Normalbetriebsschäden, vgl. A2-1.6.2 AVB BHV (UHV)) sowie der Herausnahme besonders schadensträchtiger Sachverhalte (Ziff. 6.6 UmweltHM 2009: Schäden aus dem Betrieb von Deponien, vgl. A2-1.6.6 AVB BHV (UHV); Ziff. 6.13 UmweltHM 2009: Veränderung der Grundwasserverhältnisse, vgl. A2-1.6.11 AVB BHV (UHV)).147 Die Umweltschadensversicherung knüpft nicht an die Unterscheidung zwischen Perso61 nen-, Sach- und Vermögensschäden an, sondern an den Begriff des Umweltschadens, der in § 2 Nr. 1 USchadG legal definiert wird. Bei den AVB für die Umweltschadensversicherung (USV 143 Zu den Einzelheiten s. Kommentierung Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 6 ProdHM. 144 Im Internet abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/49078/02d96a55dd3d5be7c6dca7aa8d41e28a/27avb-bhv-rueckrufkostenrisiko-fuer-kfz-teile-zulieferer-data.pdf.

145 Im Internet abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/49080/7c587f200ae26014731fbaa3e5eda8aa/28avb-bhv-rueckrufkostenrisiko-fuer-hersteller-und-handelsbetriebe-data.pdf. 146 Im Internet abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/64008/f734a30430ff4485d1b33038562be87b/ 08-besondere-bedingungen-und-risikobeschreibungen-fuer-die-versicherung-der-haftpflicht-wegen-schaeden-durchumwelteinwirkung-umwelthaftpflicht-modell-data.pdf. 147 Zu den Einzelheiten s. Kommentierung UmweltHM in Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4. Koch

86

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

2016) handelt es sich um ein eigenständiges Bedingungswerk, das sich am UmweltHM orientiert, im Hinblick auf die Beschränkung der versicherten Gefahr auf Umweltschäden jedoch nicht auf den AHB aufbaut (vgl. auch A2–2 AVB BHV (USV)).148 Versichert ist die Pflicht des VN nach dem USchadG zur Sanierung von Umweltschäden (§ 6 USchadG). Zudem bietet die Umweltschadensversicherung dem VN Schutz vor der Inanspruchnahme durch Behörden oder sonstige Dritte auf Erstattung der Kosten für Sanierungsmaßnahmen. Die Ausschlüsse entsprechen überwiegend denjenigen des UmweltHM.149

e) AVB-Vermögen. Die gesondert abzuschließende Vermögensschadenshaftpflichtversiche- 62 rung (AVB-Vermögen) gewährt dem VN Versicherungsschutz „für den Fall, dass er wegen eines bei der Ausübung beruflicher Tätigkeit – von ihm selbst oder einer Person, für die er einzutreten hat – begangenen Verstoßes von einem anderen auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird“.150 Vermögensschäden werden definiert als solche Schäden, die weder Personenschäden noch Sachschäden sind, wobei das Abhandenkommen von Sachen, insbesondere auch von Geld und geldwerten Zeichen als Sachschaden qualifiziert wird.151

f) AVB-D&O. Die D&O-Versicherung bietet Mitgliedern der geschäftsführenden Organe (z. B. 63 Vorstand, Geschäftsführer) und der Kontrollorgane (z. B. Aufsichtsrat, Verwaltungsrat, Beirat) Schutz gegen die Inanspruchnahme durch die VN oder sonstige Dritte auf Ersatz von Vermögensschäden aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen einer Pflichtverletzung. Vermögensschäden werden in gleicher Weise negativ abgegrenzt wie bei der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung (A-1 AVB für die VermögensschadenHaftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB D&O)).152

3. Versicherte Person Abgesehen vom Ausnahmefall der reinen Fremdversicherung (z. B. D&O-Versicherung) zählt der 64 VN stets zum Kreis der versicherten Personen. Wessen Interesse darüber hinaus standardmäßig mitversichert ist, wird in den Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen festgelegt. Die AHB (Ziff. 27 AHB 2016) beschränken sich – ebenso wie die AVB-Vermögen (§ 7 Ziff. 1 AVB-Vermögen)153 – insoweit darauf, die Rechtsfolgen für den Fall festzulegen, dass sich die Versicherung auch auf Haftpflichtansprüche gegen andere Personen als den VN selbst erstreckt.

a) Privathaftpflichtversicherung. In der Privathaftpflichtversicherung sind die Interessen 65 des Ehegatten und eingetragenen Lebenspartners des VN sowie ihrer unverheirateten und nicht in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Kinder (auch Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder) versichert. Der in häuslicher Gemeinschaft mit dem VN lebende Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und dessen Kinder sind dagegen nur bei besonderer Verein148 Im Internet abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/6168/0ddfae6062f1dd6a644fd9f427cc92fb/12umweltschadensversicherung-feb2016-data.pdf. Zu den Einzelheiten s. Kommentierung USV in Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4. Vgl. § 1.1 S. 1 AVB Vermögen, abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke Kap. 250. Vgl. § 1.2 AVB Vermögen, abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke Kap. 250. Zu den Einzelheiten s. Bruck/Möller/Armbrüster Ziff. 1 AVB D&O. Vgl. § 4 Ziff. 5 AVB Vermögen, abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke Kap. 250.

149 150 151 152 153 87

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

barung in den Versicherungsschutz einbezogen. Standardmäßig mitversichert sind dagegen die Interessen der im Haushalt des VN beschäftigten Personen gegenüber Dritten aus dieser Tätigkeit. Das Gleiche gilt für Personen, die aus Arbeitsvertrag oder gefälligkeitshalber Wohnung, Haus und Garten betreuen oder den Streudienst versehen (vgl. Ziff. 2.1-2.3 BBR PHV/A1-2.1 AVB PHV).154

66 b) Betriebshaftpflichtversicherung. In der Betriebshaftpflichtversicherung (vgl. Ziff. 7.1.2 BBR BHV/A1-2.1 AVB BHV) und allen diese ergänzenden Bedingungswerken (vgl. Ziff. 2.2 ProdHM 2015/A3-2.1 AVB BHV, Ziff. 1.3 UmweltHM 2009, aber auch Ziff. 1.2 USV 2016/Ziff. A2-2.2 AVB BHV) sind versichert die Interessen der gesetzlichen Vertreter des VN und solcher Personen, die er zur Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben angestellt hat, sowie sämtlicher übriger Betriebsangehöriger für Schäden, die sie in Ausführung ihrer dienstlichen Verrichtung für den VN verursachen (zu den Einzelheiten s. Kommentierung zu § 102).

67 c) Vermögensschadenshaftpflichtversicherung. In der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung findet keine generelle Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf die angestellten Mitarbeiter statt. Mit Rücksicht auf die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf Vermögensschäden besteht für eine generelle Ausdehnung auch kaum Bedürfnis, weil die Angestellten des VN für derartige Schäden ohne vertragliche Beziehung zum Dritten regelmäßig nicht haften. Es besteht aber die Möglichkeit, die persönliche Haftpflicht von Mitarbeitern einschließen zu lassen.155 Soweit eine Sozietät („Berufsträgergesellschaft“) VN ist, schließt der Versicherungsschutz auch Partner, Angestellte etc. mit ein, falls diese persönlich vom Geschädigten in Anspruch genommen werden (vgl. § 1 Abs. 2 AVB-Vermögen).156

4. Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes 68 Der zeitliche Umfang des Versicherungsschutzes wird maßgeblich durch die Definition des Versicherungsfalles bestimmt. In den AVB finden sich zudem ergänzende Regelungen, die von Bedeutung sind, wenn das haftungsbegründende Verhalten (Handlung oder Unterlassung), der Eintritt des Schadens und die Inanspruchnahme durch den Dritten zeitlich auseinanderfallen. Diese Konstellationen werden in der Rechtsprechung157 und im älteren Schrifttum158 als „zusammengesetzte“ oder „gedehnte“ Versicherungsfälle bezeichnet.159 Sie haben nichts mit den Fällen gemein, in denen der BGH zur Bestimmung des Umfangs der Versicherungsleistung in der Personen- und Sachversicherung auf den Begriff des gedehnten Versicherungsfalles zurückgreift.160 Hierzu wiederum einige Beispiele aus den vorgenannten Bedingungswerken:

69 a) AHB. Nach Ziff. 1.1 S. 1 AHB 2016 muss das Schadensereignis während der Wirksamkeit der Versicherung eingetreten sein. Schadensereignis ist definiert als „das Ereignis, als dessen FolZu den Einzelheiten s. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 27 AHB Rn. 33 ff. Vgl. Diller AVB-RSW § 7 Rn. 8; Hans. OLG Hamburg 22.6.1982 – 7 U 194/80, VersR 1985 229, 230. Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke Kap. 250; vgl. auch Diller AVB-RSW § 7 Rn. 5. Vgl. LG Berlin 13.4.1994 – 7 O 565/93, RuS 1995 211, 212; LG Baden-Baden 29.1.1993 – 3 O 295/91, VersR 1994 582, 583; ÖOGH 25.4.1990 – 7 Ob 14/90, VersR 1991 486, 487. 158 Vgl. Nachweise bei Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 21. 159 Vgl. Nachweise bei Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 21. 160 BGH 12.4.1989 – IVa ZR 83/88, BGHZ 107 170 = VersR 1989 588.

154 155 156 157

Koch

88

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

ge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist. Auf den Zeitpunkt der Schadensverursachung, die zum Schadensereignis geführt hat, kommt es nicht an“ (Schadensereignisprinzip)(vgl. auch A.1-3.1 AVB PHV/AVB BHV). Die Inanspruchnahme des VN muss also an einen Schaden anknüpfen, der während der (materiellen) Dauer der Versicherung eingetreten ist, mag auch die Ursache (Pflichtverletzung) vor dem Beginn der Versicherung liegen. Auf den Zeitpunkt der Anspruchserhebung kommt es nicht an.161

b) ProdHM/A3 AVB BHV. In der Produkthaftpflichtversicherung gilt als Versicherungsfall das 70 Schadensereignis i. S. d. Definition des Ziff. 1.1 AHB 2016, soweit es um Sach- und Personenschäden geht (Ziff. 8.1 ProdHM 2015/A3-7.6 S. 1 AVB BHV). Geht es um die nach Ziff. 4.2 ff. ProdHM 2015/ A3–7 AVB BHV versicherten Vermögensschäden, tritt der Versicherungsfall/das Schadensereignis ein im Zeitpunkt der Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung der Erzeugnisse, der Weiterbearbeitung oder -verarbeitung der Erzeugnisse und des Einbaus, Anbringens, Verlegens oder Auftragens der Erzeugnisse (Ziff. 8.2 ProdHM 2015/A3-7.6 S. 3 AVB BHV). Maßgeblich für die Deckung ist somit, dass der Produktionsvorgang während der Dauer der Versicherung stattfindet. Im Falle der Beendigung des Vertrages ist der Versicherungsschutz für die versicherten Vermögensschäden dahingehend zeitlich begrenzt, dass die zur Inanspruchnahme führenden Versicherungsfälle dem VR innerhalb einer Frist von drei Jahren nach der Beendigung gemeldet werden müssen (Ziff. 7.1 ProdHM 2015/A3-11.1 AVB BHV). Für Ansprüche wegen Schäden durch Erzeugnisse des VN, die vor Beginn des Versicherungsvertrages ausgeliefert wurden, besteht Versicherungsschutz nur bei besonderer Vereinbarung (Ziff. 7.2 ProdHM 2015/A3-11.2 AVB BHV).162

c) Rückruf. Versicherungsfall in der Rückrufkostenversicherung für Hersteller- und Handelsbe- 71 triebe ist der während der Wirksamkeit der Versicherung erfolgte Rückruf. Dieser wird definiert als „auf gesetzlicher Verpflichtung beruhende Aufforderung –

des Versicherungsnehmers,



zuständiger Behörden oder



sonstiger Dritter an Endverbraucher, Endverbraucher beliefernde Händler, Vertrags- oder sonstige Werkstätten,

die Erzeugnisse von autorisierter Stelle auf die angegebenen Mängel prüfen und die ggf. festgestellten Mängel beheben oder andere namentlich benannte Maßnahmen durchführen zu lassen. Als Rückruf gilt auch die Warnung vor nicht sicheren Erzeugnissen, soweit auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen zur Vermeidung von Personenschäden eine Warnung ausreichend ist.“ (vgl. Ziff. 2 ProdRückRM, A4-3.1 AVB BHV)

Der Versicherungsschutz ist ebenso wie in der Produkthaftpflichtversicherung zeitlich dahingehend begrenzt, dass die Versicherungsfälle innerhalb eines Zeitraums von 3 Jahren nach der Auslieferung des Erzeugnisses durch den VN eintreten müssen. Für Ansprüche wegen Kosten durch Erzeugnisse, die vor Inkrafttreten des Vertrages ausgeliefert wurden, besteht Versicherungsschutz nur bei besonderer Vereinbarung (vgl. Ziff. 10 ProdRückRM, A4–11 AVB BHV). Die Kfz-Rückrufkostenversicherung enthält vergleichbare Regelungen (vgl. Ziff. 2 KfzRückRM, A5-3.1 AVB BHV und Ziff. 12 KfzRückRM, A5–13 AVB BHV).

d) Umwelthaftpflicht/Umweltschäden. Bei der Umwelthaftpflichtversicherung ist Versi- 72 cherungsfall die nachprüfbare erste Feststellung des Personenschadens (Tod, Verletzung oder 161 Zu den Einzelheiten s. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 1 AHB Rn. 6. 162 Zu den Einzelheiten s. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 7 ProdHM. 89

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

Gesundheitsschädigung von Menschen), Sachschadens (Beschädigung oder Vernichtung von Sachen) oder eines mitversicherten Vermögensschadens durch den Geschädigten, einen sonstigen Dritten oder den Versicherungsnehmer (Manifestationsprinzip). Ohne Belang ist, ob zu diesem Zeitpunkt bereits Ursache oder Umfang des Schadens oder die Möglichkeit zur Erhebung von Haftpflichtansprüchen erkennbar war. Die nachprüfbare erste Feststellung muss innerhalb der Versicherungsdauer liegen (Ziff. 4 UmweltHM 2009, A2-1.2 AVB BHV (UHV)). 73 Die Umweltschadensversicherung stellt ebenfalls auf den Zeitpunkt der nachprüfbaren ersten Feststellung des Umweltschadens ab (Ziff. 8 USV 2016, A2-2.4 AVB BHV (USV)).163

74 e) AVB-Vermögen. In der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung sind die Folgen aller Verstöße vom Beginn des Versicherungsschutzes bis zum Ablauf des Vertrages versichert, die Haftpflichtansprüche gegen den Versicherungsnehmer zur Folge haben könnten (vgl. § 5 Ziff. 1 AVB-Vermögen)(Verstoßprinzip).164 Für die Entstehung des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz kommt es allein darauf an, dass das Verhalten (Pflichtverletzung), an das die Inanspruchnahme des VN anknüpft, innerhalb der Dauer des Vertrages liegt. Weder der Zeitpunkt des Schadenseintritts noch der Anspruchserhebung hat Einfluss auf den Versicherungsschutz.

75 f) D&O-Versicherung. Bei der D&O-Versicherung wird der Versicherungsfall umschrieben als „die erstmalige [schriftliche] Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages“165 (Anspruchserhebungs-/Claimsmade-Prinzip). Grundsätzlich besteht somit Versicherungsschutz für Ansprüche, die an Pflichtverletzungen anknüpfen, die vor Abschluss des Versicherungsvertrages begangen worden sind (sofern die versicherte Person von der Pflichtverletzung bis zum Abschluss der Versicherung keine Kenntnis hatte, analog § 2 Abs. 2 S. 2). Etwas anderes gilt, wenn die Pflichtverletzung auch während der Dauer des Versicherungsvertrages begangen worden sein muss (Claims-madeand-occurence-Prinzip)(vgl. A-5.1 AVB-D&O). In dem einen wie dem anderen Fall besteht kein Anspruch auf Versicherungsschutz, wenn die versicherte Person erst nach Beendigung des Versicherungsvertrags in Anspruch genommen wird. Will der VN den Versicherungsschutz sicherstellen, muss er eine Nachmeldefrist vereinbaren oder den Versicherungsvertrag so lange aufrecht erhalten, wie eine Inanspruchnahme zu befürchten ist; im Zweifel bis zum Ablauf der Verjährung. 76 Eine weitere Modifikation des Anspruchserhebungsprinzips stellt das sog. Claims-madeand-reported-Prinzip dar, demzufolge Versicherungsschutz nur gewährt wird für die innerhalb der Vertragsdauer erfolgte Inanspruchnahme, die innerhalb der Vertragsdauer dem VR gemeldet worden ist.166 In älteren Bedingungswerken ist zuweilen hinsichtlich der Form der Anspruchserhebung gerichtliche Geltendmachung verlangt.167

IV. Betroffenheit verschiedener versicherter und/oder unversicherter Risiken 77 Nimmt der Dritte den VN wegen eines Schadens in Anspruch, der verschiedene versicherte und/ oder unversicherte Risiken betrifft, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob und/oder ggf. unter 163 Zu den Einzelheiten s. Kommentierung UmweltHM/USV in Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4. 164 Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke Kap. 250. 165 Vgl. Ziff. 2 AVB-AVG 2011 (im Internet abrufbar unter http://www.gdv.de/downloads/versicherungsbedingungen/schaden-und-unfallversicherung/allgemeine-versicherungsbedingungen-fur-die-vermogensschaden-haftpflicht versicherung-von-aufsichtsraten-vorstanden-und-geschaftsfuhrern-avb-avg/). 166 Zu den verschiedenen Ausprägungen des Claims-made-Prinzips s. Schramm 40 ff. 167 S. Schramm 143 ff. Koch

90

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

welchem Vertrag Versicherungsschutz besteht.168 Diese Abgrenzung ist selbst in den Fällen wichtig, in denen eine Vorsorgeversicherung eingreift (s. hierzu Ziff. 4 AHB 2016), weil für Vorsorgeversicherungsschutz nur eine im Vergleich zum Hauptvertrag niedrigere Deckungssumme zur Verfügung gestellt wird.

1. Tätigkeiten des VN mit doppelter Zwecksetzung Es geht zum einen um solche Konstellationen, in denen ein und dieselbe Tätigkeit sowohl 78 versicherten als auch nicht versicherten Zwecken dient (sog. Mischtätigkeiten). So lag der vom RG entschiedene Fall, der einen Personenschaden auf einer Fahrt zum Gegenstand hatte, die sowohl – versicherten – landwirtschaftlichen Betriebszwecken (Abtransport von Stämmen) als auch einem anderen – nicht versicherten – gewerblichen Zweck (Durchführung einer Lohnfuhre) diente.169 Hier soll es nach Ansicht des RG für den Versicherungsschutz nach dem Inhalt des Versicherungsvertrages darauf ankommen, ob die versicherte Tätigkeit überwiegt.170 Das Schrifttum folgt diesem Ansatz ganz überwiegend.171 Weitergehend hat sich R. Johannsen dafür ausgesprochen, im Interesse des Versicherungsschutzes und zur Vermeidung von Unbilligkeiten nicht auf die überwiegende Tätigkeit abzustellen, sondern darauf, ob die versicherte Tätigkeit gänzlich untergeordnet zum nicht versicherten Tun war.172 Der ÖOGH lässt es dagegen bei einer einheitlich (untrennbaren) Tätigkeit genügen, dass 79 sie sowohl versicherten wie auch unversicherten Interessen des VN dient. In dem vom ÖOGH entschiedenen Fall ging es um Schadensersatzansprüche anlässlich der Reinigung eines Öltanks, den der VN, der ein Erdbewegungsunternehmen betrieb, zur Lagerung von Heizöl für seinen Neubau verwenden wollte. In dem Neubau befanden sich nicht nur die Büroräumlichkeiten seines Erdbewegungsunternehmens, sondern auch seine Wohnung. Der BetriebshaftpflichtVR lehnte die Deckung mit der Begründung ab, die Reinigung stünde in keinem Zusammenhang mit dem Erdbewegungsunternehmen des VN. Dieser Sichtweise vermochte sich der ÖOGH nicht anzuschließen. Dass die Reinigung im Übrigen teilweise auch privaten Interessen des VN Beheizung (seiner Privatwohnung) gedient habe, sei mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Vereinbarung für den Versicherungsschutz der Betriebshaftpflichtversicherung ohne Bedeutung, wenn – so der ÖOGH – wie hier eine einheitliche (untrennbare) Tätigkeit sowohl betrieblichen wie auch privaten Interessen des Versicherten diene. Nur wenn zwei verschiedene, jedoch zusammenhängende Tätigkeiten vorliegen sollten, von denen die eine versichert, die andere aber nicht versichert ist, wäre allenfalls darauf abzustellen, ob eine der Tätigkeiten von so untergeordneter Bedeutung ist, dass sie gegenüber der anderen zurücktreten müsse.173 Dem Ansatz von R. Johannsen ist zu folgen. Fälle, in denen es einer Abgrenzung bedarf, 80 dürften freilich eher selten sein. Zumeist wird eine klare Zurechnung zwischen der (nicht) versicherten Tätigkeit und dem eingetretenen Schaden möglich sein. Nimmt beispielsweise ein Fahrradkurier eine Kurierfahrt zum Anlass, auch noch persönliche Einkäufe für das Abendessen zu tätigen und wird er wegen eines Schadens in Anspruch genommen, der sich auf dem Umweg zum Einkaufsladen oder als Folge des (außerplanmäßigen) Halts am Einkaufsladen ereignet, hat sich nur ein Privathaftpflichtrisiko verwirklicht. Die Abgrenzungsfrage stellt sich erst dann, 168 Entgegen Späte/Schimikowski/v. Rintelen Ziff. 3 AHB Rn. 26 geht es hierbei nicht um die Frage der „Mitverursachung durch das versicherte Risiko“.

169 RG 23.4.1909 VA 1909 Anh. 94, 96 Nr. 482. 170 So auch LG Krefeld-Uerdingen 27.10.1938 – 2 O 512/38, JRPV 1939 93, 94: Waschfrau bearbeitet teils zum versicherten Betrieb und teils zum nicht versicherten Privathaushalt gehörende Wäsche.

171 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 86; Späte § 1 Rn. 229; K. Sieg VersPrax 1940 8, 9; Hartung 52; a. A. Wussow § 1 Anm. 89.

172 So aber Späte/Schimikowski/v. Rintelen Ziff. 3 AHB Rn. 26. 173 ÖOGH 2.12.1976 – 7Ob59/76, VersR 1977 780. 91

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

wenn der Halt z. B. auch dem Erwerb von Fahrradflickzeug zur Reparatur eines Reifens dient, der Luft verliert. Kommt es bei dem Halt zu einem Fahrradunfall mit Drittschaden, besteht Deckung in der Betriebshaftpflichtversicherung, weil es sich bei dem Erwerb von Flickzeug nicht um eine gänzlich untergeordnete Tätigkeit handelt, mag der Wert der Waren, die der Kurier zu persönlichen Zwecken erwerben wollte/erworben hat, auch deutlich höher ausfallen als der Wert des Flickzeugs.

2. Verschiedene (nicht) versicherte Eigenschaften oder Rechtsverhältnisse des VN 81 Zum anderen geht es um solche Konstellationen, in denen der Dritte Schadensersatzansprüche geltend macht, die an verschiedene (nicht) versicherte Eigenschaften oder Rechtsverhältnisse des VN anknüpfen. Die von der Rechtsprechung behandelten Fälle betreffen vielfach Sachverhalte, in denen der VN auf seinem Privatgrundstück ein Unternehmen betrieb und von Besuchern oder Angehörigen des Betriebes wegen Schäden, die aus der Beschaffenheit des Grundstücks oder des Hauses entstanden waren, in Anspruch genommen wurde. Unabhängig davon, ob der VN nur eine Grundstücks- oder lediglich eine Betriebshaftpflichtversicherung oder sowohl eine Grundstücks- als auch eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen hat, stellt sich die Frage, ob und welcher VR eintrittspflichtig ist. Zu dieser Problematik existiert ganz überwiegend nur ältere Rechtsprechung, was seinen Grund darin haben dürfte, dass die aktuellen Bedingungswerke eindeutig regeln, dass Versicherungsschutz für das Haftpflichtrisiko aus dem Haus- und Grundstücksbesitz nur durch eine besondere Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung gewährt wird, wenn der VN auf dem Grundstück einen Betrieb oder Beruf ausübt (vgl. Ziff. 7.1.2.1 BBR BHV). In den neu neustrukturieren GDV-Musterbedingungen wird diese Beschränkung durch die Formulierung „gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers als (privater) Haus-und/oder Grundstücksbesitzer“ (A1-1.1 AVB gewerbliche HuG HV/AVB Private HuGHV) deutlich gemacht.174

82 a) Kasuistik. In dem Urteil des RG vom 17.6.1911175 ging es darum, dass ein Gastwirt für sein Hausgrundstück eine Grundstückhaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, dagegen keine Haftpflichtversicherung für das Risiko aus der von ihm auf diesem Grundstück betriebenen Gastwirtschaft. Bei einer Vereinsfestlichkeit fiel eine zu einer im Saal aufgebauten Bühne führende Treppe um. Das RG verneinte den Versicherungsschutz. Es ließ dabei die Frage offen, wie zu entscheiden wäre, wenn Bühne und Treppe nicht eigens für die Festlichkeit aufgebaut worden wären, sondern wesentliche Bestandteile oder Zubehör des Grundstücks dargestellt hätten. Das KG hat in einer Entscheidung vom 13.11.1937176 in einem Fall, in dem ebenfalls nur eine Grundstückshaftpflichtversicherung, aber keine Betriebshaftpflichtversicherung bestand, einen Sturz auf dem für den öffentlichen Verkehr zugänglichen Vorplatz eines Hauses, in dem sich ein Kino befand, der Grundstückshaftpflichtversicherung zugerechnet. Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn der Sturz nicht auf die Beschaffenheit des Bodens, sondern auch auf das ungestüm zur Kasse drängende Publikum zurückzuführen gewesen sein sollte.

174 Die allgemeinen Versicherungsbedingungen für die gewerbliche Haus-und Grundbesitzerhaftpflichtversicherung (AVB gewerbliche HuG HV) sind im Internet abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/29226/f33135a72 85fb90086834c4009faa8cf/24-allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-gewerbliche-haus--und-grundbesitzerha ftpflichtversicherung-avb-gewerbliche-hug-hv-2020-data.pdf und die allgemeine Versicherungsbedingungen für die Private Haus-und Grundbesitzerhaftpflichtversicherung unter https://www.gdv.de/resource/blob/6112/d5009d7de48af0 de86136faaa5c52948/08-avb-private-haus-und-grundbesitzer-hughv-gdv-2020-data.pdf. 175 RG 17.6.1911, VA 1911 31 f. Nr. 584. 176 KG 13.3.1937 – 24 U 5180/36, JW 1937 2622 = JRPV 1937 166. Koch

92

C. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

In der Entscheidung des RG vom 7.11.1939177 ging es ebenfalls um eine Grundstückshaft- 83 pflichtversicherung. Diese enthielt eine Klausel, nach der solche Gefahren nicht mitversichert waren, die mit einem auf dem Grundstück ausgeübten Betrieb des VN oder den dazu gehörigen Einrichtungen zusammenhingen. Zum Gastwirtschaftsbetrieb des VN gehörte ein mit einer Bühneneinrichtung versehener Saal. Der Maler M stürzte in den Hof des Hauses, als er Dekorationsgegenstände von der Bühne über eine Treppe wegschaffte, die an der Außenseite des Hauses vom Bühnenraum zum Hof hinabführte. Die Ursache des Sturzes war ein plötzliches Nachgeben der als Treppengeländer dienenden Eisenstange. Das Berufungsgericht hatte den Vorgang dem Betrieb des VN zugerechnet und deshalb den Versicherungsschutz verweigert.178 Das RG bejahte dagegen den Versicherungsschutz. Es legte die Klausel so aus, dass sie nur einer Erweiterung des Versicherungsschutzes auf außerhalb der eigentlichen gesetzlichen Haftpflicht des Hausbesitzers liegenden Gefahren vorbeugen wolle und nicht bezwecke, den Versicherungsschutz des Hausbesitzers in solchen Fällen auszuschließen, in denen seine gesetzliche Haftpflicht als Grundstückseigentümer an sich gegeben sei. In der Entscheidung des ÖOGH vom 16.1.1975179 bestand sowohl eine Gebäude- als auch 84 eine Betriebshaftpflichtversicherung für „Sauna- und Medizinalbad mit Massage …“. Die VN war wegen Schäden durch Wasseraustritte in Anspruch genommen worden, die ihre Ursache in einer durch Außenkorrosion bedingten Schadhaftigkeit der verzinkten Wasserzuleitungen und Bleiabflussleitungen des oberhalb dieser Geschäftsräume gelegenen und zum Medizinalbad der VN gehörenden Unterwassermassageraumes hatten. Der Betriebshaftpflicht-VR bestritt, dass das Schadensereignis unter das versicherte Risiko falle, und wollte die VN auf den Gebäudehaftpflicht-VR verweisen. Der Erstrichter gab der Klage der VN gegen den Betriebshaftpflicht-VR auf Gewährung von Versicherungsschutz statt. Da die Geschädigte die VN nicht ausschließlich als Hauseigentümerin in Anspruch genommen habe und der Versicherungsschutz in der Betriebshaftpflichtversicherung die gesetzliche Haftpflicht des VN aus der Innehabung dieser ausschließlich für den versicherten Betrieb oder Beruf dienenden Räumlichkeiten umfasse, habe der Betriebshaftpflicht-VR den begehrten Versicherungsschutz zu leisten. Das Berufungsgericht trat der dargestellten rechtlichen Beurteilung bei und bestätigte das Ersturteil. In der Revision machte der Betriebshaftpflicht-VR geltend, dass der Klageanspruch auf Deckung im Rahmen der Betriebshaftpflicht nicht bestehe, weil der geschädigte Dritte im Haftpflichtprozess seinen Anspruch nicht aus der „gefährlichen Verwahrung“ von Wasser im Betrieb der VN abgeleitet habe, sondern aus der schuldhaften Beschädigung des Bestandsobjektes durch die VN und ihren Ehemann als Hauseigentümer. Der ÖOGH trat dem mit der Begründung entgegen, dass der Geschädigte sich nicht auf die Geltendmachung des zuletzt genannten Rechtsgrundes beschränkt habe. Zwar sei der Deckungsanspruch des Haftpflichtversicherten durch das versicherte Risiko spezialisiert und von dem vom Geschädigten erhobenen Anspruch abhängig. Im Fall einer Anspruchskonkurrenz genüge für die Gewährung des Versicherungsschutzes aber, dass einer der Ansprüche oder eine Rechtsgrundlage eines einheitlichen Anspruchs unter das versicherte Risiko falle, gleichgültig, ob daneben noch andere Haftungstatbestände oder Haftungsgründe vorhanden seien.

b) Folgerungen. Die vorstehenden Beispiele aus der Rechtsprechung machen deutlich, dass 85 die Kriterien, die hinsichtlich der Bestimmung des Versicherungsschutzes bei Tätigkeiten gelten, in den Fällen, in denen Dritte Schadensersatzansprüche geltend machen, die an verschiedene (nicht) versicherte Eigenschaften oder Rechtsverhältnisse des VN anknüpfen, nicht weiter helfen. Rutscht beispielsweise ein Gast in einem Restaurant auf dem Gang zur Toilette auf nicht rutschfesten Fliesen aus, lässt sich der Versicherungsschutz nicht nach dem Grundsatz der nicht 177 OLG Naumburg 7.11.1939 – VII 56/39, JRPV 1940 4 f. 178 OLG Naumburg 6.1.1939 – 4 U 150/38, ÖffrV 1939 139. 179 ÖOGH 16.1.1975 – 7 Oh 295/74, VersR 1977 556. 93

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

ganz „untergeordneten oder überwiegenden Tätigkeit“ versagen, wenn der Betreiber und Eigentümer des Grundstücks nur eine Grundstückshaftpflichtversicherung und nicht eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Hier kommt es vielmehr darauf an, ob sich eine dem versicherten Risiko innewohnende Schadensgefahr verwirklicht hat. Daran fehlt es, wenn sich ein nur in einem zufälligen oder gelegentlichen Zusammenhang mit der versicherten Eigenschaft oder dem versicherten Rechtsverhältnis stehendes Risiko verwirklicht hat.180 Die Inanspruchnahme des ein Restaurant betreibenden Eigentümers wegen der Verletzungen, die ein Gast erlitten hat, der auf den nicht rutschfesten Fliesen ausgerutscht ist, steht nicht nur in einem zufälligen oder gelegentlichen Zusammenhang mit dem Haus- und Grundstücksbesitzerrisiko, so dass Deckung für den Anspruch aus unerlaubter Handlung wegen Verletzung einer Verkehrspflicht besteht. Kein Versicherungsschutz besteht dagegen für den Schadensersatzanspruch aus schuldhafter Verletzung der sich aus dem Gastwirtsvertrag ergebenden Schutzpflichten (§§ 280, 241 Abs. 2 BGB). Versicherungsschutz besteht aber für den auf den schadhaften Zustand der Treppe zurückzuführenden Anspruch aus unerlaubter Handlung. Wird der Geschäftsführer einer Rechtsanwalts-GmbH persönlich für Fehler bei Abschluss eines Vergleichs von seinem Mandanten in Anspruch genommen (§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 BGB), besteht keine Deckung in der D&O-Versicherung, sondern nur in der Berufshaftpflichtversicherung,181 weil dieser Fehler in keinem Zusammenhang mit seiner Geschäftsführertätigkeit steht. 86 Der Beispielsfall zur Deckung in der Grundstückshaftpflichtversicherung macht deutlich, dass es für die Gewährung von Haftpflichtversicherungsschutz richtigerweise genügt, wenn mehrere Anspruchsgrundlagen gegeben sind, die teils in das versicherte Risiko fallen, teils nicht vom Versicherungsschutz erfasst werden. Versicherungsschutz besteht somit auch dann, wenn unversicherte und gesetzliche Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts oder (unversicherte) öffentlich-rechtliche und (versicherte) privatrechtliche Ansprüche konkurrieren und zwar die vom Geschädigten gewählte Anspruchsgrundlage nicht unter das versicherte Risiko fällt, eine von ihm nicht gewählte, daneben bestehende Anspruchsgrundlage jedoch vom versicherten Risiko erfasst wird.182 Für diese Auslegung des Leistungsversprechens des VR spricht der Gedanke, dass es anderenfalls der Geschädigte in der Hand hätte, dem VN den Versicherungsanspruch zu nehmen. Aus Sicht des VN steht das schädigende Ereignis sowie seine daraus folgende Inanspruchnahme im Vordergrund. Er darf deshalb das Leistungsversprechen so verstehen, dass es genügt, wenn ein Sachverhalt gegeben ist, aus dem gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts erwachsen können, ohne dass es darauf ankommt, ob der Dritte seine Ansprüche auf diesen oder einen anderen Rechtsgrund stützt.183 Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich aus dem Versicherungsvertrag klar ergibt, dass bei gleichzeitiger Betroffenheit eines versicherten und eines unversicherten Risikos kein Versicherungsschutz bestehen soll. Regelmäßig wird es sich dann nicht mehr um die Abgrenzung verschiedener primärer Risikobegrenzungen handeln, sondern um das Eingreifen einer Ausschlussklausel.184 Beispielhaft sei der Ausschluss der Haftung als Tierhalter und Halter eines Kfz in der Privat87 haftpflichtversicherung genannt (Ziff. 1.9 und Ziff. 3.1 BBR PHV/A1-6.9.1 und A1-6.10.1 AVB PHV). Diese Ausschlüsse sind nicht beschränkt auf Ansprüche, die tatbestandsmäßig an die Haltereigenschaft anknüpfen. Ausgeschlossen sind deshalb nicht nur Ansprüche aus § 833 BGB und § 7 Abs. 1 StVG, sondern auch solche aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen – in erster Linie § 823 BGB wegen Verletzung einer Verkehrspflicht –, denen sich der VN sich in seiner Eigenschaft als 180 OLG München 13.9.2017 – 7 U 4126/13, ZIP 2018 27, 30 f.; R. Koch ZIP 2018 301, 305. 181 Persönliche Haftung abgelehnt OLG Nürnberg 21.1.2008 – 6 U 2208/07, NJW-RR 2009 140. 182 Vgl. BGH 20.12.2006 – IV ZR 325/05, RuS 2007 94, 96 f. = VersR 2007 200; BGH 21.2.1957 – II ZR 175/55, BGHZ 23 355, 360 = VersR 1957 212, m. w. N.; s. auch Vogel/Stockmeier/Vogel 3. Teil, B Rn. 8: Im Falle einer Anspruchskongruenz zwischen USchadG und z. B. BBodSchG besteht Versicherungsschutz in der USV, soweit nach USchadG gehaftet wird. 183 Vgl. BGH 20.12.2006 – IV ZR 325/05, RuS 2007 94, 96 f. = VersR 2007 200. 184 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 86; Späte § 1 Rn. 229; Haidinger LM Nr. 4 zu § 149. Koch

94

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

Halter ausgesetzt sieht.185 Wird der VN dagegen nicht in seiner Eigenschaft als Halter, sondern nach § 832 BGB wegen Verletzung der Aufsichtspflicht über Minderjährige in Anspruch genommen, besteht Versicherungsschutz auch dann, wenn der VN zugleich Halter des den Schaden verursachenden Tieres oder Kfz und er in dieser Eigenschaft deshalb ohne Versicherungsschutz ist.186 Abzulehnen ist die Ansicht Spätes187 und der ihm folgenden Literatur,188 der Versicherungs- 88 schutz für Ansprüche aus öffentlichem Recht wegen der unterschiedlichen verfahrensmäßigen Durchsetzung (Urteil, Verwaltungsakt) ablehnt, wenn daneben ein gedeckter, auf gleiche Leistung gerichteter privatrechtlicher Anspruch besteht.189 Ebenso wenig wird eine Beschränkung des Versicherungsschutzes dadurch gerechtfertigt, dass der VR häufig außerstande ist, hypothetisch zu überprüfen, ob daneben auch ein zivilrechtlicher Anspruch begründet gewesen wäre, den der Staat aber gar nicht erhoben hat.190 Diese Gesichtspunkte tragen den von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätzen, die auf das Verständnis des durchschnittlichen Haftpflicht-VN abstellen,191 nicht hinreichend Rechnung.

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz Macht der Dritte einen in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallenden Haftpflicht- 89 anspruch geltend und bringt hierdurch den Anspruch des VN auf Haftpflichtversicherungsschutz zur Entstehung/Fälligkeit, stellt sich die Frage, worauf dieser Anspruch gerichtet ist.

I. Verpflichtung des VR zur Freistellung des VN von begründeten Haftpflichtansprüchen und zur Abwehr unbegründeter Haftpflichtansprüche 1. Einheitlicher Anspruch auf Befreiung von begründeten und unbegründeten Haftpflichtansprüchen § 100 bestimmt, dass der Haftpflicht-VR den VN von begründeten Ansprüchen Dritter freizustel- 90 len und unbegründete Ansprüche abzuwehren hat. Der so umschriebene, die Pflicht zur Prüfung der Haftpflichtfrage beinhaltende einheitliche Haftpflichtversicherungsanspruch ist somit nicht unmittelbar auf Zahlung, sondern wie § 149 a. F. auf „Befreiung des VN von Angriffen gerichtet, die ein Dritter gegen ihn erhebt“.192 Der VN kann Zahlung an sich nur unter der Voraussetzung verlangen, dass er selbst den Haftpflichtgläubiger mit bindender Wirkung für den VR befriedigt hat (vgl. § 106 S. 2)(zur Konfusion unten Rn. 144 ff.), der Geschädigte die Zwangsvollstreckung in sein Vermögen betreibt (Rn. 139) oder mit seiner unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Haftpflichtforderung aufrechnet (Rn. 136). Zahlung an den Geschädigten kann der VN erst dann verlangen, wenn der Anspruch des geschädigten Dritten mit bindender Wirkung für den VR festgestellt worden ist (vgl. § 106 S. 1). Schließlich kann der Dritte Zahlung 185 186 187 188 189

Vgl. BGH 25.4.2007 – IV ZR 85/05, VersR 2007 939 Rn. 15 ff. Vgl. OLG Hamm 25.8.1989 – 20 U 98/89, VersR 1990 774, 775. Späte § 1 Rn. 188. Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 70; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 97. Späte/Schimikowski/v. Rintelen AHB § 1 Rn. 326; vgl. auch Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 97, der für den Einzelfall in entsprechender Anwendung des § 242 BGB prüfen will, ob nicht bereits die öffentliche Hand verpflichtet sei, die für den Schadensersatzpflichtigen letztlich mildere Reaktion zu wählen, nämlich eine Inanspruchnahme auf privatrechtlicher Grundlage. 190 Späte § 1 Rn. 188. 191 Hierzu Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 204 ff. 192 RG 7.2.1936 – VII 224/35, RGZ 150 227, 229; OLG Saarbrücken 29.7.2020 – 5 U 2/20, VersR 2021 168, 169; zu abweichenden älteren Ansichten s. Nachw. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 33. 95

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

verlangen, wenn der VN den Freistellungsanspruch an ihn abgetreten hat (Rn. 134 f.), er den Anspruch des VN pfänden und sich überweisen lassen hat (Rn. 133) oder er infolge der Insolvenz ein gesetzliches Pfandrecht am Freistellungsanspruch erwirbt, das ihn nach §§ 1282 Abs. 1, 1228 Abs. 2, 1273 Abs. 2, 1257 BGB zur Einziehung berechtigt, ohne dass es einer Pfändung und Überweisung bedarf (vgl. Rn. 137).

2. Ermessensentscheidung des VR über Abwehr oder Freistellung a) Ermessensrecht des VR193 91 aa) Pflichtgemäßes Ermessen. Der einheitliche Haftpflichtversicherungsanspruch wird mit der Erhebung von Ansprüchen durch den geschädigten Dritten fällig (Rn. 34 ff.). Dem Wesen des Befreiungsanspruchs entsprechend steht es sodann im Ermessen des VR als Schuldner dieses Anspruchs, auf welche Weise er die Befreiung bewirkt. Besonders aufschlussreich ist diesbezüglich das Urteil des BGH vom 20.2.1956:194 „Wie der Versicherer zur Erfüllung seiner Vertragspflicht die Ersatzansprüche des Dritten von dem Versicherten abwenden will, steht in seinem Ermessen. Er kann sie sofort anerkennen und befriedigen, er kann zunächst weitere Ermittlungen anstellen, mit dem Dritten verhandeln oder es schließlich auf einen Rechtsstreit ankommen lassen. Entschließt er sich aber dazu, die Ansprüche ganz oder teilweise zu bestreiten, so hat er alles zu tun, was zu ihrer Abwehr notwendig ist.“

92 Diese Begründung macht zunächst deutlich, dass der Anspruch auf Befreiung aus § 100 weiter geht als die Befreiung von begründeten Ansprüchen Dritter nach § 257 BGB;195 sie vermittelt den Eindruck, als stünde es mehr oder weniger im Belieben des VR, auf welche Weise und zu welchem Zeitpunkt er seine Entscheidung über Freistellung oder Anspruchsabwehr trifft.196 Dieser Eindruck täuscht jedoch. In einer späteren Entscheidung zur Kfz-Haftpflichtversicherung hat der BGH nämlich klargestellt, dass der VR nicht berechtigt ist, völlig beliebig zwischen Freistellung und Abwehr der geltend gemachten Ansprüche zu wählen:197 „Ob der Versicherer freiwillig zahlt, oder ob er die Zahlung ablehnt und es darauf ankommen läßt, ob der geschädigte Dritte seine Ansprüche gerichtlich geltend macht, entscheidet er grundsätzlich nach seinem eigenen Ermessen. Diesem Ermessen sind lediglich dort Grenzen gesetzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt werden und wo diese deshalb die Rücksichtnahme des Versicherers verlangen. Das gilt beispielsweise dann, wenn ein Schadensfreiheitsrabatt des Versicherungsnehmers auf dem Spiele steht oder wenn über die Versicherungssumme hinausgehende Ansprüche des geschädigten Dritten durch das Verhalten des Versicherers präjudiziert werden könnten …“ [Hervorhebung durch den Verfasser].

Das (Regulierungs-)Ermessen des VR wird mithin durch dessen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des VN beschränkt. Es besteht nur ein pflichtgemäßes Ermessen (vgl. auch

193 In der Vorauflage wurde anstelle des Begriffs „Ermessensrecht“ der Begriff „Wahlrecht“ gebraucht. Da der Begriff „Wahlrecht“ suggeriert, dass der VR sich aussuchen kann, ob er den Haftpflichtanspruch abwehrt oder den VN freistellt, wird klarstellend nunmehr der Begriff „Ermessensrecht“ gebraucht. 194 BGH 20.2.1956 – II ZR 53/55, NJW 1956 826, 827. 195 Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 7. 196 Vgl. auch BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 78 = VersR 1981 173. 197 BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181; vgl. auch OLG Saarbrücken 29.6.2011 – 5 U 553/10-83, RuS 2012 71, 72; LG Düsseldorf 7.4.2006 – 22 S 422/05, Schaden-Praxis 2007 191, 192; AG Düsseldorf 10.11.2010 – 38 C 7609/10, BeckRS 2011 20349. Koch

96

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

A.1.1.4 AKB 2015/§ 10 Nr. 5 AKB a. F.). Die Entscheidung des BGH hat durchweg Billigung in der Kfz-haftpflichtversicherungsrechtlichen Rechtsprechung gefunden.198 Die vom BGH aufgestellten Grundsätze sind jedoch nicht auf den Bereich der (obligatori- 93 schen) Kfz-Haftpflichtversicherung beschränkt, da das allgemeine Rücksichtnahmegebot (§ 241 Abs. 2 BGB) in allen (auch freiwilligen) Haftpflichtversicherungssparten gilt.199 Der VR hat sein Vorgehen an einer Abwägung seiner eigenen Interessen mit denen des VN auszurichten. Für die Beurteilung der Pflichtgemäßheit der Ermessensausübung ist nicht das Verhältnis zwischen Geschädigtem und VN, sondern das Versicherungsvertragsverhältnis zwischen VN und VR maßgeblich.200 Keine Zustimmung verdienen deshalb Stimmen in der Literatur, die aus dem Rücksichtnahmegebot herleiten, dass der VR verpflichtet sei, in seine Ermessensentscheidung die Interessen des VN an der Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zum Anspruchssteller einzubeziehen.201 Ebenso wenig trifft den VR ein Rücksichtnahmegebot gegenüber dem Geschädigten.202 Verzögert der VR die Regulierung und erhöht der Haftpflichtrichter deshalb das Schmerzensgeld, verletzt der VR nur seine Rücksichtnahmepflichten im Verhältnis zum VN (Rn. 133).

bb) Abweichende Ansichten in der Literatur. Lücke203 und v. Rintelen204 vertreten unter 94 Hinweis auf den Wortlaut, den Sinn und Zweck des nach § 100 eingeräumten Ermessens sowie die Gesetzesbegründung zu § 149 a. F. die Ansicht, dem VR werde kein Ermessen zwischen Anspruchsabwehr und -befriedigung eingeräumt. Nach Lücke stellt jede falsche Entscheidung – und nicht nur ein Ermessensfehlgebrauch – objektiv einen Pflichtenverstoß dar. Der VR dürfe nicht in der Hoffnung auf einen günstigen Vergleich oder in der oft berechtigten Erwartung, dass der Geschädigte einen Prozess nicht durchstehen werde, berechtigte Ansprüche abwehren, auch dann nicht, wenn Interessen des VN, die über die dem VR ohnehin obliegende Abwicklung des Versicherungsfalles hinausgehen (z. B. bei Verkäufer- oder Kundenbeziehungen, bei gesellschaftlichen oder verwandtschaftlichen Beziehungen, bei Selbstbehalt, Überschreitung der Deckungssumme oder teilweiser Leistungsfreiheit), nicht berührt würden.205 v. Rintelen hebt hervor, dass beide Leistungsalternativen erstens an unterschiedliche objek- 95 tive Sachverhalte (begründet/unbegründet) geknüpft seien.206 Die Entscheidung des VR zwi198 Vgl. OLG Saarbücken 29.7.2020 – 5 U 2/20, VersR 2021 168, 169; OLG Dresden 23.5.2017 – 4 U 1524/16, VersR 2017 1404, 1407; OLG Hamm 31.8.2005 – 20 W 28/05, NJW 2005 3077, 3078; OLG Frankfurt/M. 18.12.2002 – 7 U 54/ 02, VersR 2003 588; LG Köln 19.4.2011 – 11 S 289/09, BeckRS 2011 23745; LG Coburg 5.6.2009 – 32 S 15/09, BeckRS 2009 21933; LG Düsseldorf 27.6.2002 – 21 S 402/01, RuS 2004 406, 407; LG Köln 22.10.2003 – 20 S 8/03, zitiert nach juris; AG Düsseldorf 10.11.2010 – 38 C 7609/10, BeckRS 2011 20349; AG Köln 3.3.2009 – 267 C 213/08, SchadenPraxis 2009 302; AG Köln 28.1.2009 – 269 C 293/08, NJW-RR 2010 98, 99; AG Essen 2.5.2007 – 20 C 89/07, NJOZ 2007 2242, 2243. 199 Vgl. OLG Düsseldorf 13.12.2019 – 4 U 23/18, VersR 2020 683, 686; OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 483; OLG Köln 6.9.2016 – 9 U 29/16, RuS 2017 138, 142; OLG Saarbrücken 29.6.2011 – 5 U 553/10-83, RuS 2012 71, 72; OLG Frankfurt 18.12.2002 – 7 U 54/02, VersR 2003 588; OLG Karlsruhe 25.6.1992 – 12 U 7/92, VersR 1993 1390; LG Köln 2.11.2011 – 20 O 143/11, RuS 2012 239, 240; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 5, 20; Prölss/Martin/Voit/ Knappmann27 § 3 AHB Rn. 2; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 8; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 5; Baumann VersR 2010 984 f.; Kramer RuS 2008 1, 5; wohl auch Armbrüster RuS 2010 441, 443; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 100 Rn. 5; MAH VersR/Kummer § 12 Rn. 167; a. A. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 2; v. Rintelen RuS 2010 133, 136 f. (kein Ermessen); weiter gehend Lange VersR 2008 713 (freies Ermessen). 200 Vgl. auch Feyock/Jacobsen/Lemor § 10 AKB Rn. 89; Kröger VersR 2013 139, 142 f. (für die Kfz-Haftpflichtversicherung). 201 Kramer RuS 2008 1, 5; wohl auch Prölss/Martin/Lücke Ziff. 5 AHB Rn. 4. 202 Vgl. OLG Dresden 23.5.2017 – 4 U 1524/16, VersR 2017 1404, 1407. 203 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 2. 204 v. Rintelen RuS 2010 133, 136 f. 205 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 2; vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski AHB Ziff. 5 Rn. 1. 206 v. Rintelen RuS 2010 133, 136 f. 97

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

schen Anspruchsabwehr und Freistellung habe mit einem Wahlrecht i. S. d. § 262 BGB, das ein frei ausübbares Gestaltungsrecht ist, daher nichts zu tun. Ihm werde lediglich „ein tatbestandliches oder kognitives Ermessen in Bezug auf die Einschätzung der Begründetheit/Unbegründetheit eingeräumt, nicht aber ein (Rechtsfolge-)Ermessen, bei einem begründeten Anspruch auch Anspruchsabwehr zu wählen“.207 Das in § 100 statuierte Ermessen des VR diene zweitens dazu, den tatsächlichen Schwierigkeiten des VR Rechnung zu tragen, bei der Anspruchsprüfung die Un-/Begründetheit des Anspruchs häufig nicht abschließend beurteilen zu können. Gemessen an diesem Zweck habe der VR den Haftpflichtanspruch grundsätzlich zu befriedigen, wenn dieser offensichtlich begründet sei.208 Drittens verweist von Rintelen auf die Gesetzesbegründung zu § 149 a. F. Dort wird zu den Pflichten des VR u. a. angeführt:209 „In allen Fällen, in welchen der erhobene Anspruch ohne weiteres als begründet erscheint, kann die Aufgabe des Haftpflichtversicherers nur in dem Ersatze der dem Dritten geschuldeten Leistung, nicht aber in Maßnahmen zur Abwehr des Anspruchs bestehen. Es würde dem Zweck der Versicherung und zugleich der Billigkeit und dem allgemeinen Rechtsgefühle widersprechen, wenn der Versicherer auch in solchen Fällen einen Rechtsanspruch nur unter der Voraussetzung der vorgängigen Führung eines Prozesses mit dem Dritten hätte.“

96 cc) Stellungnahme. v. Rintelen ist zuzugeben, dass die Prüfung der Begründetheit des Haftpflichtanspruchs nicht dem Handlungs-, sondern dem Erkenntnisbereich zuzuordnen ist. Auch finden die bürgerlich-rechtlichen Regelungen der §§ 262 ff. BGB keine Anwendung auf das Ermessensrecht des VR. Der Grund hierfür liegt jedoch allein darin, dass die Ansprüche auf Anspruchsabwehr und Freistellung gerade nicht in einem echten Alternativverhältnis stehen, da der VR neben der Abwehr auch Freistellung schuldet, nämlich wenn der Anspruch nach vergeblichen Abwehrbemühungen mit für ihn bindender Wirkung festgestellt worden ist. In letzter Konsequenz bedeutete der Ansatz Lückes und v. Rintelens, dass dem VN bei offensichtlich begründeten Haftpflichtansprüchen ein Anspruch auf Befriedigung aus § 100 zugebilligt werden müsste, ohne dass sich der Freistellungsanspruch zuvor in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat.210 Zahlung an sich kann der VN jedoch nur verlangen, wenn er den begründeten Anspruch des Dritten befriedigt (vgl. § 106 S. 2) oder der Dritte die Zwangsvollstreckung in sein Vermögen betreibt (Rn. 139 ff.). Zahlung an den Dritten kann der VN nur unter den in § 106 S. 1 genannten Voraussetzungen verlangen. v. Rintelens Ansatz ist auch nicht in Einklang mit der zuvor aufgezeigten Rechtsprechung zu bringen, da eine Berücksichtigung der wechselseitigen berechtigten Interessen von VN und VR dogmatisch nur auf der Ebene des Handlungsbereichs möglich ist.211 Soweit Lücke sich gegen ein pflichtgemäßes Ermessen mit der Begründung ausspricht, der VR dürfe insbesondere nicht, in der Hoffnung auf einen günstigen Vergleich oder in der oft berechtigten Erwartung, dass der Geschädigte einen Prozess nicht durchstehen werde, berechtigte Ansprüche abwehren,212 übersieht er, dass dieser Gesichtspunkt für die Beurteilung der Pflichtgemäßheit unberücksichtigt bleiben muss, weil es nur auf das Versicherungsvertragsverhältnis ankommt. Es gilt ferner zu beachten, dass es keine Frage der materiellen Wahrheit ist, ob ein An97 spruch begründet ist.213 Letzteres hängt bis zur Entscheidung durch rechtskräftiges Urteil im Haftpflichtprozess, Vergleich oder Anerkenntnis vielmehr von der rechtlichen Bewertung des VR ab, die wiederum infolge einer zwischenzeitlichen Veränderung der Rechtslage oder der Beweis- und 207 208 209 210 211 212 213 Koch

Von Rintelen RuS 2010 133, 137. Von Rintelen RuS 2010 133, 136 f. Motive 204. Vgl. auch OLG Brandenburg 21.4.2021 – 11 U 43/20 –, juris; LG Köln 2.11.2011 – 20 O 143/11, RuS 2012 239, 240. Vgl. auch OLG Brandenburg 21.4.2021 – 11 U 43/20 –, juris. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 2. So aber offenbar Kramer RuS 2008 1, 2. 98

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

Tatsachenlage seit Anzeige des Versicherungsfalles Änderungen unterworfen sein kann.214 Selbst bei umfänglicher Prüfung der Sach- und Rechtslage wird der VR die Erfolgsaussichten des Haftpflichtanspruchs dem Grunde und der Höhe nach nur selten abschließend beurteilen können. Hinzu kommt, dass es in gleicher Weise wie bei der Prognose über die Begründetheit eines Schadensersatzanspruchs bei der Abwägung der Gründe, die für oder gegen dessen Befriedigung oder Abwehr sprechen, sog. „Grauzonen“ gibt, in denen sachlich zwingende Entscheidungen nach der einen oder der anderen Richtung nicht ohne Weiteres möglich sind. Die besseren Argumente sprechen deshalb dafür, dem VR, soweit und solange sich der Anspruch des VN noch nicht in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat, ein (Handlungs-/Rechtsfolgen-)Ermessen zwischen Anspruchsabwehr und -befriedigung zuzubilligen, dessen pflichtgemäße Ausübung zu einer Ermessensreduzierung (auf Null) führen kann. Übt der VR sein Ermessen fehlerhaft aus, kommt eine Haftung des VR gemäß § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. § 100 und/oder nach § 286 BGB in Betracht.

b) Bestimmung des pflichtgemäßen Ermessens. Welche Anforderungen an eine pflichtge- 98 mäße Ermessensausübung zu stellen sind, ist eine bislang nicht abschließend geklärte Frage. Die hierzu vornehmlich zur Kfz-Haftpflichtversicherung ergangene und von der einschlägigen Literatur215 zustimmend zur Kenntnis genommene Rechtsprechung lässt sich dahin gehend zusammenfassen, dass dem VR ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt wird, bei dem er sich auch von wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen darf (Kosten, absolute Höhe des Anspruchs). Der VR darf die Haftungslage pauschal beurteilen und sich zeitraubende und aufwendige Ermittlungen ersparen, wenn diese außer Verhältnis zum geltend gemachten Schadensumfang stehen.216 Ermessensfehlerhaft ist eine Schadensregulierung, wenn die vom Unfallgegner geltend gemachten Ansprüche nach den gegebenen Beurteilungsgrundlagen eindeutig und leicht nachweisbar unbegründet sind.217 Ferner ist ein Verstoß gegen das pflichtgemäße Ermessen bejaht worden bei fragwürdiger Schadensschilderung des Geschädigten, bei Bestreiten jeglicher Schadensverursachung durch den VN, bei einer möglichen Schadensverursachung durch ein anderes Kfz kurz vor dem Schadensereignis, bei Fehlen von Zeugen für den Schadenshergang sowie bei fehlender Beschädigung des Fahrzeugs des VN.218 Kein Verstoß gegen das pflichtgemäße Ermessen liegt vor, wenn der VR auf der Grundlage der Bußgeldakte den Schaden reguliert219 oder der VR aufgrund des polizeilichen Unfallberichts davon ausgehen darf, dass die Forderung des Geschädigten berechtigt ist.220 Auf einen Rechtsstreit mit dem Unfallgegner (allein gestützt auf die Ehefrau des VN als Zeugin) braucht sich der VR nicht einzulassen.221

aa) Offensichtlich berechtigte Haftpflichtansprüche. Die für die Kfz-Haftpflichtversiche- 99 rung angestellten wirtschaftlichen Überlegungen zur Bestimmung des pflichtgemäßen Ermes214 Vgl. OLG Brandenburg 21.4.2021 – 11 U 43/20 –, juris; OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 111. 215 Prölss/Martin/Klimke AKB 2015 Abs. A_1_1 A.1.1 Rn. 35 ff.; Feyock/Jacobsen/Lemor § 10 AKB Rn. 89 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Heß/Höke § 29 Rn. 34 ff.

216 Vgl. nur LG Duisburg 4.11.1986 – 5 S 133/86, VersR 1987 1004; LG Weiden 19.1.1982 – 2 S 698/81, ZfS 1983 53; AG Dortmund 8.1.2002 – 123 C 10526/01, Schaden-Praxis 2002 399; AG Frankfurt/M. 25.2.1999 – 31 C 2858/98, DAR 1999 554; AG Köln 15.6.1984 – 266 C 404/83, VersR 1984 835. 217 Z. B. LG Düsseldorf 7.4.2006 – 22 S 422/05, Schaden-Praxis 2007 191; LG Mönchengladbach 17.4.1998 – 2 S 29/ 98, RuS 1998 271; AG Düsseldorf 7.4.2009 – 48 C 7891/08, Schaden-Praxis 2009 374, 375; AG Essen 2.5.2007 – 20 C 89/07, NJOZ 2007 2242, 2243; AG Köln 10.6.2003 – 264 C 376/02, Schaden-Praxis 2004 350; AG Dortmund 8.1.2002 – 123 C 10526/01, Schaden-Praxis 2002 399. 218 OLG Köln 19.3.1992 – 5 U 100/91, RuS 1992 261. 219 Vgl. OLG Rostock 9.1.2001 – 1 W 338/98, MDR 2001 935 f.; LG Halle 14.9.2009 – 1 T 55/09, BeckRS 2010 00010; LG Köln 11.2.1981 – 19 S 217/80, VersR 1981 1124; AG Hamburg-Altona 31.1.1980 – 317 C 449/79, VersR 1980 738. 220 AG Hannover 31.7.1986 – 508 C 3078/86, VersR 1987 277. 221 LG Frankfurt 25.1.1989 – 2/1 S 150/88, RuS 1989 174. 99

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

sens sind nicht auf diese Versicherungssparte beschränkt. Dogmatisch hat sich eine Konkretisierung zunächst an § 100 zu orientieren, da sich eine pflichtgemäße Ermessensausübung im Ausgangspunkt an dem Zweck der Ermächtigungsnorm zu orientieren hat.222 Daneben ist das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 241 Abs. 2 BGB zu beachten. Sowohl nach dem Gesetzeszweck als auch nach dem Rücksichtnahmegebot ist allein die Befriedigung des geltend gemachten Haftpflichtanspruchs ermessensgerecht, soweit er offensichtlich berechtigt ist (Ermessensreduzierung auf Null).223 Übersteigt der offensichtlich berechtigte Haftpflichtanspruch die Versicherungssumme, mag zwar ein Interesse des VN daran bestehen, dass der VR sich zunächst auf den Standpunkt stellt, der Anspruch sei unbegründet, um den Dritten zu einem Nachgeben zu veranlassen. Jedoch ist dem VR die nach § 101 Abs. 2 vorgesehene zusätzliche Tragung der Abwehrkosten nicht zumutbar. Hierbei ist zu beachten, dass § 241 Abs. 2 BGB eine wechselseitige Rücksichtnahme auf die Interessen der jeweils anderen Vertragspartei verlangt. Auf Seiten des VR spielt nicht nur sein eigenes wirtschaftliches Interesse eine Rolle, sondern auch das der von ihm organisierten Versichertengemeinschaft. 100 Werden die Kosten der Anspruchsabwehr abweichend von § 101 Abs. 2 nach dem Versicherungsvertrag auf die Versicherungssumme angerechnet, begeht der VR eine Pflichtverletzung, die den VN zum Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB berechtigt, wenn er einen offensichtlich begründeten Haftpflichtanspruch nicht befriedigt, sondern versucht ihn abzuwehren. 101 Zu beachten ist, dass der VR nicht mehr ex lege verpflichtet ist, den VN vor einer Zahlung an den Dritten oder dessen sonstiger Befriedigung zu unterrichten. Die entsprechende Regelung des § 156 Abs. 2 a. F. hat der Gesetzgeber mit der Begründung gestrichen, die dort geregelten Voraussetzungen für die Leistung des VR an den geschädigten Dritten widersprächen dem neuen § 100. Soweit es um die Benachrichtigungspflicht geht, ist ein Widerspruch indes nicht zu erkennen. Durch die Benachrichtigungspflicht sollte der VN vor Vermögensnachteilen bewahrt werden, die aus einer Leistung des VR an den Dritten entstehen können. Da auch nach der Reform ein Schutzbedürfnis des VN besteht, ist diese Verpflichtung nunmehr aus § 241 Abs. 2 BGB herzuleiten.224 102 Nachteile können dem VN in den Fällen entstehen, in denen er mit einer eigenen Gegenforderung gegen den Haftpflichtanspruch des Dritten aufrechnen könnte. Befriedigt der VR den Dritten, bevor der VN die Aufrechnung erklärt, besteht für den VN das Risiko, dass er seine Forderung gegen den Dritten nicht mehr realisieren kann.225 Die Rücksichtnahme auf die Interessen des VN gebietet dem VR deshalb, dem VN vor der Regulierung des Schadens die Möglichkeit zu geben, darauf hinzuweisen, dass der Anspruch bereits teilweise erfüllt ist, oder ihm Gelegenheit zu geben, von einer bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit noch Gebrauch zu machen. Der VR muss mit der Regulierung des Schadens einen angemessenen Zeitraum zuwarten, damit der VN sein Vorgehen überlegen und gegebenenfalls die Aufrechnung erklären oder ein Zurückbehaltungsrecht erheben kann.226 Erklärt der VN sich nicht oder bringt er vom VR angeforderte Unterlagen nicht innerhalb angemessener Frist bei, kann der VR gegenüber dem Geschädigten regulieren, ohne dass er Rechtsnachteile im Verhältnis zum VN zu befürchten hat.227 Er verstößt nicht gegen das Rücksichtnahmegebot und macht sich deshalb nicht schadensersatzpflichtig.228 Unter Umständen muss der VR aber nachfragen, weshalb der VN angeforderte Unterlagen noch nicht vorgelegt hat.229

222 223 224 225 226 227 228 229 Koch

v. Rintelen RuS 2010 133, 137. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 37; Kramer RuS 2008 1, 5. Vgl. auch Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 33. Vgl. Motive 211; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 280. Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 7. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 33. OLG Celle 4.1.1985 – 8 U 44/84, VersR 1985 1129 f. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 33. 100

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

Da nach § 767 Abs. 2 ZPO eine Aufrechnung gegen den gerichtlich festgestellten Haft- 103 pflichtanspruch mit einer schon im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestehenden Gegenforderung nicht zulässig ist,230 ist der VR verpflichtet, im Prozess auf Verlangen des VN mit dessen Gegenforderungen hilfsweise aufzurechnen.231 Allerdings ist der VR nicht dazu verpflichtet, sich bei dem VN nach solchen Gegenforderungen zu erkundigen. Ein VN, der sich während des Prozesses nicht um die Durchsetzung seiner Gegenforderung durch Unterrichtung des VR kümmert, hat sich die verpasste Aufrechnungsmöglichkeit selbst zuzuschreiben.232

bb) Offensichtlich unberechtigte Haftpflichtansprüche. Haftpflichtansprüche, die dem 104 Grunde oder der Höhe nach offensichtlich unberechtigt sind, hat der VR grundsätzlich abzuwehren. Selbst wenn klar ist, dass die Kosten der Anspruchsabwehr für sich allein genommen die Versicherungssumme überschreiten, ist der VR nicht berechtigt, den Haftpflichtanspruch in Ausübung seiner ihm nach dem Versicherungsvertrag zustehenden Regulierungsvollmacht anzuerkennen und den Haftpflichtanspruch in Höhe der Versicherungssumme zu befriedigen, um sich auf diese Weise nach Art eines Abandons von seiner Rechtsschutzverpflichtung zu befreien (vgl. § 101 Rn. 85). Die dahin gehende Ermessensreduzierung folgt vor allem daraus, dass jede Entschädigungsleistung die pro Versicherungsjahr für weitere Versicherungsfälle zur Verfügung stehende Versicherungssumme reduziert. Ist eine Anrechnung der Kosten auf die Versicherungssumme vorgesehen, kann im Einzelfall eine abweichende Bewertung im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme gerechtfertigt sein. Übersteigen die Kosten der Anspruchsabwehr (voraussichtlich) den Haftpflichtanspruch, wird man den VR als berechtigt ansehen müssen, einen offensichtlich unbegründeten Anspruch (im Rahmen eines Vergleichs) zu befriedigen. Ein solches Vorgehen liegt schließlich auch im Interesse des VN, selbst wenn hiermit Nachteile einhergehen (z. B. Verlust des Schadenfreiheitsrabatts). Insoweit kommt dem VR ein Handlungsermessen zu. Realisiert der geschädigte Dritte seinen unbegründeten Haftpflichtanspruch, indem er sich 105 aus dem Vermögen des VN gegen dessen Willen z. B. durch Aufrechnung, Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts oder Wegnahme eines dem VN gehörenden Gegenstands befriedigt, ist das Handlungsermessen des VR innerhalb der zuvor beschriebenen Grenzen dahin gehend reduziert, dass er auf sein Kostenrisiko im Namen des VN Klage auf Herausgabe des Gegenstandes erhebt oder dessen Forderung klageweise gegen den Dritten geltend macht.233 In diesem Haftpflichtprozess mit vertauschten Rollen wird dann die Frage geklärt, ob und in welchem Umfang der Anspruch des geschädigten Dritten begründet ist oder nicht (vgl. Rn. 126 ff., 131 f.). Wird die Herausgabeklage abgewiesen, muss der VR dem VN den objektiven Wert des Gegenstandes bis zur Höhe der Versicherungssumme ersetzen. War die zur Aufrechnung gestellte Forderung begründet, muss der VR dem VN den Betrag der durch die Aufrechnung erloschenen Forderung erstatten und die Prozesskosten tragen. Verzichtet der VR im Falle der Aufrechnung auf die Führung eines Prozesses für seinen 106 VN gegen den Dritten, weil er glaubt, den Betrag vom geschädigten Dritten aus Rechtsgründen oder wegen dessen Vermögenslage nicht erhalten zu können, muss er sich so behandeln lassen, als ob er dessen Schadensersatzanspruch anerkannt hätte.234 Der VR hat dem VN den entsprechenden Betrag zu erstatten. Hiervon wollen einige Autoren eine Ausnahme für den Fall machen, dass sich der Anspruch des VN aufgrund der Vermögenslage des Dritten nicht hätte realisieren lassen. In diesem Fall könne der VR sich auf den Standpunkt stellen, dass er zwar den 230 BGH 16.2.1961 – VII ZR 191/59, BGHZ 34 274, 278 = NJW 1961 1067; BGH 11.4.1957 – VII ZR 212/56, BGHZ 24 97, 98 = NJW 1957 986. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd, IV Anm. G 278. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 15. Vgl. OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 36. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 17.

231 232 233 234 101

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

Schadensersatzanspruch nicht anerkenne, einen Rechtsstreit wegen des aufgerechneten Betrags gegenüber dem Dritten aber nicht führen wolle, weil dieser in Wirklichkeit wertlos sei. Ob diese Ansicht des VR berechtigt sei, müsse notfalls in einem Deckungsprozess zwischen VN und VR geklärt werden.235 Hiergegen lässt sich anführen, dass sich die Frage, ob und inwieweit das Aktivvermögen des Dritten zur Befriedigung der offenen Forderung des VN ausreicht, außerhalb eines Insolvenzverfahrens nur durch ein Vermögensverzeichnis klären lässt, zu dessen Erteilung der Dritte erst nach erfolgloser Zwangsvollstreckung verpflichtet ist (vgl. § 807 ZPO). Dies spricht dafür, den VR, der sich auf die Vermögenslosigkeit des Dritten beruft, als zu einem Aktivprozess verpflichtet anzusehen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann er sich nicht auf die Vermögenslosigkeit des Dritten berufen.

107 cc) Zweifelsfälle. Nur in seltenen Fällen wird ein Haftpflichtanspruch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach offensichtlich begründet sein. Hält der VR den Rechtsstandpunkt des Dritten aufgrund dessen Sachverhaltsschilderung und der Auskünfte des VN zumindest für vertretbar und ist er in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt, darf er den Anspruch befriedigen. Er kann es aber auch auf einen Prozess ankommen lassen. Soweit die Kosten der Anspruchsabwehr auf die Versicherungssumme angerechnet werden, hat der VR diesen Umstand aus den zuvor angemerkten Gründen allerdings mitzuberücksichtigen. Hält der VR den Rechtsstandpunkt nicht für vertretbar und/oder ist er in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung nicht überzeugt, muss er zunächst versuchen, den Anspruch abzuwehren. Die Tatsache, dass die Befriedigung von Ansprüchen die zur Verfügung stehende Versicherungssumme für weitere Versicherungsfälle reduziert, wirkt aber auch hier ermessensreduzierend. 108 Wie bereits festgestellt (Rn. 93), ist das wechselseitig bestehende Rücksichtnahmegebot aus § 241 Abs. 2 BGB auf das jeweilige Schuldverhältnis begrenzt. Dies bedeutet, dass nur solche Interessen des VN zu berücksichtigen sind, die ihn in seiner Eigenschaft als Partei des Versicherungsvertragsverhältnisses betreffen und nicht aus anderen Rechtsverhältnissen resultieren.236 Der Verlust des Schadenfreiheitsrabatts betrifft den VN als Partei des Versicherungsvertrages ebenso wie Erklärungen des VR, die den VN aufgrund rechtsgeschäftlich erteilter (Regulierungs-)Vollmacht oder kraft Gesetzes binden, nicht hingegen der Verlust von Geschäftsbeziehungen mit Dritten. Abzulehnen ist deshalb die Ansicht, die das Interesse des VN an der Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zum Anspruchssteller im Rahmen der Ermessensausübung einbeziehen will.237 Auf der anderen Seite ist der VR nicht berechtigt, ohne Einwilligung des VN ein über den Umfang der Versicherungssumme hinausgehendes Schadenanerkenntnis abzugeben oder einen darüber hinausgehenden Vergleich zu schließen.238

109 c) Prüfung der Haftpflicht des VN. Um sein Ermessen pflichtgemäß ausüben zu können, muss der VR vorab die Haftpflichtfrage prüfen.239 Dabei ist der VR gehalten, sich auf Grundlage der Behauptungen des Dritten und des Vorbringens des VN (§ 31) ein umfassendes Bild über die tatsächlichen Umstände zu verschaffen, aus denen die Ansprüche hergeleitet werden, die Rechtslage sorgfältig zu prüfen und die Aussichten für eine Abwehr der Ansprüche nach Grund und Höhe möglichst zuverlässig einzuschätzen.240 Da juristische Anspruchsprüfungen nicht der

235 236 237 238 239 240 Koch

Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 16 und zuvor Späte § 3 Rn. 29. Vgl. Staudinger/Olzen § 241 Rn. 422. So aber Kramer RuS 2008 1, 5; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 5 AHB Rn. 4. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 5 AHB Rn. 11. BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181. BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181. 102

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

Stringenz mathematischer Problemlösungen folgen,241 kann auf einen – begrenzten – Beurteilungsspielraum für den VR nicht verzichtet werden. Dieser kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn die Klärung von Beweisfragen nicht hinreichend prognostizierbar ist oder bei Rechtsfragen im Wesentlichen gleichgewichtige entgegengesetzte Auffassungen einander gegenüberstehen. Hält sich die Prognose des VR innerhalb eines solchen Beurteilungsspielraums, ist sie nicht zu beanstanden. Für die zu der gebotenen Prüfung nötigen Erhebungen steht dem VR eine angemesse- 110 ne Zeit zur Verfügung. Am Ende der Prüfung steht die Entscheidung des VR, ob und in welchem Umfang er sich gegenüber seinem VN für eintrittspflichtig hält, was er diesem mitzuteilen hat.242 Der VR hat grundsätzlich das Recht, die polizeilichen Ermittlungsakten vor seiner Entscheidung einzusehen. Er muss sich nicht auf die Angaben seines VN oder des Geschädigten verlassen, sondern ist insbesondere auch im Interesse der Versichertengemeinschaft gehalten zu prüfen, ob und inwieweit er zur Zahlung verpflichtet ist.243 Aus der Prüfung der Berechtigung des erhobenen Haftpflichtanspruchs lässt sich deshalb keine Anerkennung seiner Deckungspflicht herleiten.244 Bei vorzeitiger Erhebung der Deckungsklage und sofortigem Anerkenntnis treffen den VN die Prozesskosten (§ 93 ZPO).245 Versucht der VR ohne angemessene Prüfung der Haftpflichtfrage die Ansprüche abzu- 111 wehren oder befriedigt er sie gewissermaßen „auf gut Glück“, verletzt er seine Pflicht aus § 100 i. V. zum Beispiel mit Ziff. 1.1 AHB 2016 und kann sich nach § 280 Abs. 1 BGB dem VN gegenüber schadensersatzpflichtig machen.246 Werden die Kosten der Abwehr – wie nach § 101 Abs. 2 S. 1 vorgesehen – nicht auf die Versicherungssumme angerechnet, kommt ein Nachteil des VN jedoch nur insoweit in Betracht, als der Schaden sich vergrößern und ggf. die (noch zur Verfügung stehende) Jahresversicherungssumme überschreiten kann. In diesem Fall kann der VN vom VR verlangen, dass die Erhöhung nicht zur Reduktion der zur Verfügung stehende Jahresversicherungssumme führt. Überschreitet der Schadensersatzanspruch die Jahresversicherungssumme, schuldet der VR den diese Summe übersteigenden Betrag als Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB. Ist der Haftpflichtanspruch unbegründet, steht dem VN die volle Versicherungssumme weiterhin zur Verfügung.247 Bleibt der VR einfach untätig, kommen auch Ansprüche aus Verzug in Betracht (Rn. 128).248 Ein Rückgriff auf § 241 Abs. 2 BGB ist in beiden Fällen nicht angezeigt, da es sich bei der Prüfung der Haftpflichtfrage um eine Hauptleistungspflicht des VR handelt.

d) Fehleinschätzungen. Erweist sich die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach Prüfung 112 der Haftpflichtfrage seitens des VR und darauf basierend die Entscheidung zur Abwehr oder Freistellung als falsch, muss der VR die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen tragen (z. B. Tragung der Abwehrkosten, Verbrauch der Versicherungssumme).249 Zu Recht weist das OLG Celle darauf hin, dass der VR die sich aus einer falschen Beurteilung ergebenden Konsequenzen, dass er nämlich Leistungen erbringt, zu denen er gar nicht verpflichtet ist, selbst 241 Götz NJW 1997 3275, 3276. 242 OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 110; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 5 AHB Rn. 4. 243 OLG Rostock 9.1.2001 – 1 W 338/98, MDR 2001 935 f.; OLG Bamberg 6.12.1988 – 5 U 32/88, RuS 1990 86; OLG Nürnberg 30.1.1976 – 7 W 62/75, VersR 1976 1052; LG Köln 19.4.2011 – 11 S 289/09, BeckRS 2011 23745; LG Halle 14.9.2009 – 1 T 55/09, BeckRS 2010 00010; LG Düsseldorf 7.4.2006 – 22 S 422/05, Schaden-Praxis 2007 191, 192. 244 BGH 9.3.1961 – II ZR 247/58, VersR 1961 399; OLG Saarbrücken 20.12.2006 – 5 U 65/06, BeckRS 2008 02348; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 5 AHB Rn. 6; Späte § 3 Rn. 25; Littbarski § 3 AHB Rn. 70. 245 OLG Bamberg 6.12.1988 – 5 U 32/88, RuS 1990 86, 87; OLG Nürnberg 30.1.1976 – 7 W 62/75, VersR 1976 1052. 246 Vgl. Baumann VersR 2010 984, 986. 247 Vgl. OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 111. 248 Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 AHB § 3 Rn. 2; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 13; Littbarski AHB § 3 Rn. 7070; s. a. LG Köln 10.1.1990 – 24 O 269/87, RuS 1991 410. 249 Vgl. OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 111; Terno RuS 2013 578, 580. 103

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

trägt und er dies in die Berechnung der Versicherungsprämie für die Haftpflichtversicherung einfließen lässt.250 Soweit der VR seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten und/oder nicht fehlerhaft von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat, liegt jedoch kein Pflichtverstoß vor, der den VN gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zum Schadensersatz (z. B. Wiederauffüllung der Versicherungssumme) berechtigt.251 113 Beruht die Fehleinschätzung auf einer Pflichtverletzung und führt die Fehleinschätzung dazu, dass sich der Schadensersatzanspruch des Geschädigten erhöht, kann der VN vom VR verlangen, dass die Erhöhung nicht zur Reduktion der zur Verfügung stehende Jahresversicherungssumme führt. Überschreitet der Schadensersatzanspruch infolge der Pflichtverletzung die Jahresversicherungssumme, schuldet der VR den diese Summe übersteigenden Betrag als Schadensersatz. Beispiel: Der VN hat eine Privathaftpflichtversicherung mit einer Jahresversicherungssumme über 2,5 Mio. Euro abgeschlossen. Infolge eines von ihm verursachten E-Bike-Unfalls erleidet ein 2-jähriges Kind schwere Verletzungen und Folgeschäden. Das mit der Haftung des VN befasste Gericht erhöht den Schmerzensgeldanspruch der Geschädigten um 50.000 Euro und verurteilt den VN zur Zahlung von 2,5 Mio. Euro, weil der VR versuchte, die Geschädigte zum Abschluss eines Abfindungsvergleiches zu drängen. Verursacht der VN innerhalb der Versicherungsperiode einen weiteren Unfall, stehen ihm die 50.000 Euro weiterhin als Teil der (unverbrauchten) Versicherungssumme zur Verfügung. Verurteilt das Gericht den VN zur Zahlung von 2,55 Mio. Euro, schuldet der VR dem VN den die Versicherungssumme übersteigenden Betrag als Schadensersatz. Ist Kostenanrechnung vereinbart, darf der VR die Kosten der erfolglosen Abwehr bei einem offensichtlich begründeten Haftpflichtanspruch nicht von der Versicherungssumme in Abzug bringen.

3. Ende des Ermessensrechts 114 Das Ermessensrecht des VR endet in dem Zeitpunkt, in dem ihm aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eine wirksame Abwehr des Zugriffs des geschädigten Dritten in das Vermögen des VN unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB).252 Letzteres ist der Fall, wenn die Haftpflichtschuld endgültig durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist (vgl. § 106 S. 1) oder der VN zuvor den Anspruch des Dritten anerkannt und/oder den Dritten (z. B. durch Zahlung oder Aufrechnung) befriedigt hat (vgl. § 106 S. 2), ohne dass es an dieser Stelle auf die Bindungswirkung eines Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleichs für den VR oder seine Zustimmung zur Befriedigung ankommt. Bindungswirkung und Zustimmung spielen nach der Ersetzung des § 154 Abs. 2 a. F. durch § 105 nach § 106 nur eine Rolle für die Fälligkeit und damit Begründetheit des Freistellungs-/Zahlungsanspruchs des VN gegen den VR.253 Das Ermessensrecht des VR endet darüber hinaus auch dann, wenn der Dritte aus einem 115 nur vorläufig vollstreckbaren Titel die Zwangsvollstreckung betreibt, und dem VN (genauer: dem VR für ihn) die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung aus prozessualen Gründen nicht möglich ist, etwa weil der Dritte seinerseits Sicherheit geleistet hat (§ 709 ZPO) oder nicht zur Sicherheitsleistung verpflichtet ist (§§ 710, 720a ZPO).254 In all diesen Fällen ist der VR im Rahmen des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs verpflichtet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden (vgl. § 101 Abs. 3

250 251 252 253

Vgl. OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 111. Vgl. LG Köln 2.11.2011 – 20 O 143/11, RuS 2012 239, 240. Vgl. OLG Nürnberg 9.8.2021 – 8 U 1012/21, BeckRS 2021 24810. Vgl. auch OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284; LG Ellwangen 14.3.2014 – 3 O 103/13, BeckRS 2014 7945. 254 Vgl. OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 111 f. Koch

104

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

S. 1).255 Das Ermessensrecht des VR bleibt dagegen bestehen, wenn der Dritte seinen bestrittenen Haftpflichtanspruch durch Aufrechnung, Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts oder Wegnahme eines dem VN gehörenden Gegenstands realisiert.256 In diesen Fällen besteht die Abwehrpflicht des VR darin, auf sein Kostenrisiko im Namen des VN dessen Forderung klageweise gegen den geschädigten Dritten geltend zu machen oder klageweise Herausgabe des Gegenstands zu verlangen. Das Ermessensrecht des VR endet im Falle der Abtretung des Freistellungsanspruchs an 116 den Geschädigten. Der VR als Freistellungsschuldner kann sein Ermessensrecht nämlich nur solange ausüben, wie der VN sowohl Gläubiger des Rechtsschutz- als auch des Freistellungsanspruchs ist. Insoweit ist der Hinweis geboten, dass der Anspruch auf Abwehr beim VN verbleibt. Der VR kann deshalb nach seiner erfolglosen Inanspruchnahme durch den Dritten u. U. verpflichtet sein, dem sodann vom Dritten erneut in Anspruch genommenen VN Abwehrschutz zu leisten (vgl. § 108 Rn. 68). Das Ermessensrecht des VR endet im Übrigen mit der Entscheidung, die Deckung abzulehnen. Mit Ablehnung lässt der VR dem VN konkludent freie Hand bei der Schadensregulierung.257

II. Konkretisierung des Haftpflichtversicherungsanspruchs 1. Freistellung von begründeten Ansprüchen Hat der VR sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums und Handlungsermessens dazu ent- 117 schlossen, die gegnerische Haftpflichtforderung als begründet anzuerkennen, oder ist sie auf andere Weise gegenüber dem VR bindend i. S. d. § 106 festgestellt, ist er dazu verpflichtet, den VN freizustellen. Wie er den VN freistellt, bleibt grundsätzlich dem VR überlassen.258 In der Regel erfolgt die Freistellung durch Zahlung einer Geldsumme an den geschädigten Dritten. Die Zahlung erfolgt dabei – soweit nicht ein Fall des § 115 Abs. 1 S. 1 gegeben ist – nicht auf eigene Schuld, sondern auf die Schuld des VN. Denkbar sind auch Vergleich, Verzichtsvertrag oder eine befreiende Schuldübernahme (§§ 414, 415 BGB). Möglich ist auch die Freistellung des VN durch Aufrechnung mit einer Gegenforde- 118 rung.259 Dies hat jedoch zur Voraussetzung, dass der VR seine Forderung gegen den Dritten an den VN abgetreten hat,260 da sich der Haftpflichtanspruch des Dritten nicht gegen den VR richtet und der nach § 267 BGB leistende VR die Befriedigung des Dritten durch Aufrechnung mit einer eigenen Forderung nicht erreichen kann.261 Der VN darf sich gegen eine solche Abtretung zum Zwecke der Aufrechnung nicht sperren. Etwas anderes gilt nur dann, wenn er selbst mit eigenen Gegenforderungen aufrechnen könnte. In diesem Fall geht auch nach der Streichung von § 156 Abs. 2 a. F. das Interesse des VN dem des VR vor, weil es dem VN nicht zum Nachteil gereichen darf, haftpflichtversichert zu sein. Dieser Gedanke, der in § 86 Abs. 1 S. 2 seinen Ausdruck gefunden hat (sog. Differenztheorie oder Quotenvorrecht des

255 Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 35; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 101 Rn. 22; s. auch OLG München 7.5.1993 – 10 U 4163/92, OLGR 1993 206, 207. 256 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 13 bezüglich der Aufrechnung. 257 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171 56 = VersR 2007 1116 Rn. 15; vgl. auch BGH 27.5.2015 – IV ZR 292/13, RuS 2015 398 Rn. 48 f. (zum Haftpflichtversicherungsschutz in der Flusskaskoversicherung). 258 Vgl. RG 27.5.1938 – VII 16/38, RGZ 158 9, 10; RG 28.1.1913 – I 395/12, RGZ 81 251; RG 5.2.1909 – VII 186/08, RGZ 70 257, 261. 259 Vgl. OLG Frankfurt/M. 15.8.2014 – 4 U 223/13, MDR 2014 1249. 260 Vgl. RG 24.2.1912 – I 49/11, RGZ 78 382, 384 (nicht versicherungsrechtliche Entscheidung), a. A. K. Sieg 193 f., der eine Zustimmung des VN genügen lässt. 261 RG 11.11.1927 – II 102/27, RGZ 119 1, 4; OLG Celle 17.7.2001 – 9 U 172/00, WM 2001 2444; Berliner Kommentar/ Baumann § 156 Rn. 37. 105

Koch

§ 100 VVG

119

120

121

122

Leistung des Versicherers

VN),262 ist bei der nach § 241 Abs. 2 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen in der Weise zu berücksichtigen, dass der VR aus dem zufälligen Umstand, dass er auch eine Forderung gegen den geschädigten Dritten hat, keinen Vorteil im Verhältnis zu seinem VN genießen darf. Der VN ist nicht verpflichtet, seine Gegenforderung zur Aufrechnung zur Verfügung zu stellen.263 Demgegenüber ist der VR gehalten, den Aufrechnungswunsch seines VN immer dann zu berücksichtigen, wenn dieser ohne eine solche Aufrechnung seine Gegenforderung nicht realisieren könnte.264 Denkbar ist schließlich, dass der VR gegen den VN eine Forderung hat. Hier räumt § 35 dem VR ein Recht zur Aufrechnung mit ihm gegen den VN zustehenden Prämienforderungen oder sonstigen Ansprüchen aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag gegenüber dem geschädigten Dritten ein. Dieses Recht wird jedoch durch § 108 Abs. 1 dahin gehend beschränkt, dass der VR nur mit Prämienforderungen aufrechnen darf, die vor dem Versicherungsfall fällig geworden sind.265 Das aus § 35 resultierende Recht des VR zur Aufrechnung tritt insoweit nicht hinter dem Aufrechnungsrecht des VN zurück,266 da dem VN kein Nachteil droht. Unter Berücksichtigung des mit der Regelung des § 108 Abs. 1 verbundenen Schutzes des Geschädigten muss diese Beschränkung auch für die Einrede des Zurückbehaltungsrechts durch den VR mit gegen den VN bestehenden Ansprüchen gelten. Anderenfalls würde die Auszahlung der Versicherungssumme an den Geschädigten von der Bereitschaft des VN zur Erfüllung der gegen ihn bestehenden Ansprüche des VR abhängig gemacht; zudem würde dadurch das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit des VN auf den Geschädigten verlagert.267 Rechnet der Dritte mit seiner bestrittenen Haftpflichtforderung gegen eine berechtigte Forderung des VN auf und verzichtet der VR auf die Führung eines Aktivprozesses für den VN gegen den Dritten, wird der VR so behandelt, als ob er die Haftpflichtforderung anerkannt hätte. In diesem Fall wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch in der Person des VN um und der VR ist verpflichtet, den entsprechenden Betrag an den VN zu erstatten (vgl. § 106 S. 2).268 Soweit Autoren eine Ausnahme für den Fall machen wollen, dass sich der Anspruch des VN aufgrund der Vermögenslage des Dritten nicht hätte realisieren lassen, ist diese Ansicht abzulehnen.269 Sie lässt sich nicht mit der Rechtsschutzverpflichtung des VR in Einklang bringen. Falls die zur Aufrechnung gestellte Haftpflichtforderung nicht offensichtlich unberechtigt ist, muss der VR zunächst in einem Aktivprozess deren Berechtigung klären lassen (Rn. 126 ff.). Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, hat er sich im Verhältnis zum VN so behandeln zu lassen, als ob der Dritte mit einer unbestrittenen Haftpflichtforderung aufgerechnet und hierdurch die Forderung des VN zum Erlöschen gebracht hat. Auf die Vermögenslosigkeit des Dritten kommt es in diesem Fall nicht an. Hat ein sonstiger Dritter mit Zustimmung des VR für den VN Zahlungen auf eine unter die Haftpflichtversicherung fallende Haftpflichtverbindlichkeit geleistet, so hat der VR den VN von den Ansprüchen, die der Dritte hieraus gegen den VN herleitet, in gleicher Weise freizustellen wie von der Haftpflichtschuld.270 Im Falle einer zu Unrecht an den Dritten erfolgten Zahlung hat der BGH mittlerweile klargestellt, dass der Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB nicht in der Person

262 263 264 265

Vgl. BGH 25.11.2009 – XII ZR 211/08, RuS 2010 105. Ebenso Ruhkopf VersR 1961 99, 100; a. A. E. Prölss VersR 1954 1, 2; Schirmer Vertretungsmacht 66 ff. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 3. BGH 8.4.1987 – IV a ZR 12/86, RuS 1987 219, 220 = VersR 1987 655; vgl. auch BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, VersR 2001 235, 236; OLG Köln 10.6.2008 – 9 U 144/07, VersR 2009 391, 394; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 14. 266 A. A. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V Anm. B 90. 267 OLG Köln 10.6.2008 – 9 U 144/07, VersR 2009 391, 394. 268 Vgl. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 16. 269 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 17 und Späte § 3 Rn. 29. 270 Vgl. BGH 26.11.1959 – II ZR 60/58, VersR 1960 73, 74; Späte § 3 Rn. 29. Koch

106

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

des VN, sondern in der des VR entsteht. Dieser leiste als Dritter i. S. v. § 267 BGB in Erfüllung seiner Freistellungspflicht gegenüber dem VN (hierzu näher Rn. 183 ff.).271

2. Abwehr unbegründeter Ansprüche a) Gewährung passiven Rechtsschutzes. Hat der VR sich im Rahmen seines Beurteilungs- 123 spielraums und Handlungsermessens dazu entschlossen, die gegnerische Haftpflichtforderung abzuwehren, hat er den VN in jeder Beziehung von der Last der unbegründeten Ansprüche zu befreien. Dieser Verpflichtung wird der VR im Allgemeinen dadurch gerecht, dass er für den VN den Haftpflichtprozess führt (vgl. Ziff. 5.2 S. 2 AHB 2016) und das damit verbundene Prozesskostenrisiko trägt (vgl. § 101 Abs. 1 und 2). Erweist sich dabei die Einschätzung des VR, dass die Ansprüche unbegründet seien, als unrichtig, so trägt der VR die Folgen. Fehleinschätzungen gehen somit zu seinen Lasten, soweit diese nicht aus falschen Angaben des VN resultieren. Er muss alsdann im Rahmen der Freistellungsvariante des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs die gerichtlich zuerkannten Beträge bezahlen. Dies gilt mit Rücksicht auf die Bindungswirkung der Entscheidung des Haftpflichtprozesses auch dann, wenn das rechtskräftige Urteil offensichtlich unrichtig ist (vgl. zur Bindungswirkung § 106 Rn. 23 ff.). Im Übrigen kann der VR seine Verpflichtung zur Gewährung passiven Rechtsschutzes auch dadurch erfüllen, dass er im Haftpflichtprozess – einschließlich des Kostenfestsetzungsverfahrens272 – die Rolle des Streithelfers übernimmt.273 Dies gilt allerdings nur für Rechtsstreitigkeiten, bei denen kein Anwaltszwang (§ 78 ZPO) besteht. Wird der VN vor einem Landgericht verklagt, muss der VR den geschuldeten Rechtsschutz durch einen für den VN bestellten Anwalt erbringen.

b) Gewährung aktiven Rechtsschutzes aa) Ernsthafte Berühmung einer Haftpflichtforderung. Entschließt sich der geschädigte 124 Dritte nicht zur Haftpflichtklage, ist aber auch nicht bereit einzuräumen, dass ihm keine Haftpflichtforderung zustehe, stellt sich die Frage, ob die Abwehrverpflichtung so weit reicht, dass der VR ggf. eine negative Feststellungsklage im Namen des VN erheben muss. Nach hier vertretener Ansicht genügt die ernsthafte Berühmung für die Entstehung des Haftpflichtversicherungsanspruchs (Rn. 29). Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass der VR zur Erhebung einer negativen Feststellungsklage verpflichtet ist, wenn ein Dritter sich eines Haftpflichtanspruchs gegen den VN berühmt. Zwar ist die ernsthafte Berühmung grundsätzlich geeignet, den Handlungsspielraum des VN zu beeinträchtigen, z. B. weil Mittel zur Befriedigung des angemaßten Anspruchs vorzuhalten sind (z. B. Rückstellungen).274 Soweit Versicherungsschutz besteht, ist jedoch zu beachten, dass eine etwa begründete Haftpflichtforderung vom VR zu bezahlen wäre, falls sich der Dritte später doch noch entschließt, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen. Der VN ist also in seinen Zukunftsdispositionen regelmäßig nicht beeinträchtigt. Etwas anderes mag gelten, wenn der geschädigte Dritte sich zwar nicht zu einer Klage entschließt, aber über den VN verbreitet, dieser erfülle „begründete“ Ansprüche nicht. Ob allein der Ruf des 271 BGH 29.2.2000 – VI ZR 47/99, RuS 2000 264; BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113 62, 69 = NJW 1991 919; zustimmend Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 204; Martinek JZ 1991 395 ff.; Stresemann Rückabwicklung 15 ff.; Wertheimer JuS 1992 284 ff.; Staudinger/S. Lorenz (2007) § 812 Rn. 44; ablehnend Canaris NJW 1992 868 ff.; Schnauder JuS 1994 542. 272 OLG Celle 30.11.2012 – 2 W 306/12, BeckRS 2012 25574. 273 Vgl. BGH 15.9.2010 – IV ZR 107/09, RuS 2010 504 Rn. 16; BGH 9.3.1993 – VI ZR 249/92, RuS 1994 212 = VersR 1993 62; LG Bochum 1.10.2014 – 9 S 108/14, BeckRS 2015 602; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 46; Prölss/ Martin/Lücke § 100 Rn. 46. 274 Musielak/Förste § 256 ZPO Rn. 9; vgl. auch BGH 4.5.2006 – IX ZR 189/03, NJW 2006 2780, 2781. 107

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

VN als Privatperson oder sein Ansehen als Geschäftsmann ein Vorgehen im Wege der negativen Feststellungsklage gebieten, ist jedoch sehr fraglich.275 125 Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Versicherungsschutz zeitlichen Grenzen unterliegt und deshalb nicht klar ist, ob der VR die sich später als begründet erweisende Haftpflichtforderung tragen wird. Hier kann der VR im Einzelfall zur Erhebung einer negativen Feststellungsklage verpflichtet sein. Als besonders problematisch erweisen sich Claims-madeDeckungen, soweit sie – wie z. B. in der D&O-Versicherungspraxis üblich (vgl. A-2 AVB D&O) – den Eintritt des Versicherungsfalles von der schriftlichen Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs abhängig machen.276 Fehlt es an der Schriftlichkeit, entsteht mangels Vorliegens des Versicherungsfalles kein Haftpflichtversicherungsanspruch. Ohne entsprechende vertragliche Regelung besteht überhaupt keine Leistungspflicht des VR.

bb) Aufrechnung mit Haftpflichtforderung 126 (1) Leistungsklage. Eine Pflicht des VR zum aktiven Handeln i. S.e. prozessualen Vorgehens gegen den geschädigten Dritten ergibt sich dann, wenn der geschädigte Dritte seine vermeintliche Haftpflichtforderung deshalb nicht prozessual geltend macht, weil er sich bereits selbst aus dem Vermögen des VN (zu Recht oder zu Unrecht) befriedigt hat. Der Hauptanwendungsfall ist hier der, dass der geschädigte Dritte mit dem Haftpflichtanspruch gegen eine Forderung des VN aufgerechnet hat. In einem derartigen Fall besteht, wenn der VR die Berechtigung der Aufrechnung in Zweifel zieht, eine Verpflichtung des VR zur Finanzierung einer nunmehr vom VN anzustrengenden Zahlungsklage. Der VR hat auch die Arbeitslast dieses Rechtsstreits zu tragen.277 Hat der Dritte eine dem VN gehörende Sache weggenommen, muss der VR die Herausgabeklage finanzieren. 127 Wird die Zahlungsklage abgewiesen (= Unterliegen des VN), weil entgegen der Auffassung des VR die gegnerische Haftpflichtforderung doch begründet war, so muss der VR nicht nur die gesamten Kosten des Prozesses tragen, sondern dem VN auch den Betrag seiner durch die Aufrechnung erloschenen Forderung ersetzen.278 Insoweit trägt der VR die volle Gefahr eines von ihm eingeleiteten Abwehrversuchs und erst recht die Folgen seiner möglichen Untätigkeit.279 Wird die Klage abgewiesen, weil die Forderung des VN nicht besteht, hat der VN dem VR die Kosten des Verfahrens gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu erstatten. Da die Aufrechnung ins Leere ging und insoweit das Vermögen des VN unberührt ließ, bestand keine Pflicht zur Finanzierung einer Leistungsklage.280 Ein solcher Fall dürfte eher theoretischer Natur sein, da der Geschädigte mit seiner Haftpflichtforderung nicht gegen bestrittene Forderungen des VN aufrechnen wird. 128 Wird der Zahlungsklage stattgegeben (= Obsiegen des VN), weil die Haftpflichtforderung unbegründet war, stellt sich die Frage, ob der VR verpflichtet ist, die Forderung des VN zu erstatten, wenn dieser die Forderung gegen den Dritten wegen einer zwischenzeitlich eingetretenen Vermögenslosigkeit nicht mehr realisieren kann. Nach verbreiteter Ansicht im Schrifttum soll eine Erstattungspflicht des VR nur für den Fall bestehen, dass der VR im Verzug war, nicht 275 So Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. G 5. 276 Hierzu R. Koch GmbHR 2004 288, 290. 277 Allg.M., vgl. OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284, 285; OLG Hamm 14.11.1975 – 20 U 126/75, VersR 1978 80, 81; LG Dortmund 27.1.2011 – 2 O 275/10, BeckRS 2011 03849; LG Berlin 12.11.1985 – 7 O 187/85, VersR 1987 578; LG Kiel 9.5.1962 – 8 S 21/62, VersR 1962 1075; vgl. auch ÖOGH 18.10.1979 – 7 Ob 45/79, VersR 1981 1064, 1065; OGH 27.11.1975 – 7 Ob 227/75, VersR 1976 1199, 1200; OGH 24.10.1974 – 7 Ob 187/74, VersR 1976 56; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 12; Späte § 3 Rn. 29; Littbarski AHB § 3 Rn. 75. 278 LG Berlin 12.11.1985 – 7 O 187/85, VersR 1987 578, 579; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 12; Schmalz Rn. 41; a. A. Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 7 (anteilige Kosten des Aktivprozesses des VN hat der VR nicht zu tragen). 279 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. G 5. 280 Weitergehend Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 7 (VR schuldet Erstattung der etwaigen durch die Aufrechnung entstandenen Mehrkosten). Koch

108

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

dagegen bei zügiger Prozessführung.281 Dieser Ansicht ist im Grundsatz zuzustimmen. Nach der vertraglichen Risikoverteilung in der Haftpflichtversicherung trägt der VR das Risiko von Fehleinschätzungen, die er im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungs- und Handlungsspielraums getroffen hat, nur in Bezug auf die Un-/Begründetheit des Schadensersatzanspruchs. Er hat die Kosten eines vergeblichen Abwehrversuchs zu tragen, im Falle eines Aktivprozesses somit die Prozesskosten des VN. Eine darüber hinausgehende Pflicht zur Erstattung der Forderung des VN gegen den Dritten wegen dessen zwischenzeitlich eingetretener Vermögenslosigkeit kann sich nur unter dem Gesichtspunkt des Verzugs ergeben. Dies setzt freilich voraus, dass der VN die Forderung gegen den Dritten bei schnellerer Klageerhebung noch hätte realisieren können. Es geht also zum einen um die Frage der Zurechnung unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens.282 Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der VR vor seiner Entscheidung nicht nur die Haftpflichtfrage prüfen muss, sondern auch berechtigt ist, die Begründetheit der Forderung des VN zu prüfen. Für letztere Prüfung bedarf es der Mitwirkung des VN. Für beide Prüfungen muss ihm ein angemessener Zeitraum zugebilligt werden, dessen Dauer sich nach dem Einzelfall richtet. Als maßgebliche Umstände sind die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Begründetheit beider Forderungen zu berücksichtigen. Erst nach Ablauf einer angemessenen Frist kommt der VR in Verzug.283

(2) Feststellungsklage. Strittig ist, ob der VR seiner Rechtsschutzverpflichtung im Fall der 129 Aufrechnung des Dritten schon dadurch genügt, dass er eine Feststellungsklage des Inhalts erhebt, dass durch die erklärte Aufrechnung die Forderung des VN nicht erloschen sei,284 oder aber, ob nur eine Zahlungsklage den Anforderungen gerecht wird.285 Die letztgenannte Auffassung verdient grundsätzlich den Vorzug, soweit die Forderung des VN berechtigt ist. In diesem Fall muss es das Bestreben des VR sein, so schnell wie möglich einen für den VN befriedigenden Ausgleich zu finden. Diesem Erfordernis wird nur eine Leistungsklage gerecht. Steht nicht (ausnahmsweise) zu erwarten, dass der Dritte ein Feststellungsurteil akzeptiert und einhält, ist der VR deshalb gehalten, eine Zahlungsklage des VN zu finanzieren und auch die Arbeitslast dieses Prozesses zu tragen, soweit dessen Problematik im Haftpflichtverhältnis begründet ist.286 Ist weder die Forderung des VN noch die des geschädigten Dritten berechtigt, so be- 130 steht keine Verpflichtung des VR zur Finanzierung einer Leistungsklage.287 Der VR haftet aber für jeden dem VN adäquat kausal aus einer etwaigen irrigen Beurteilung der Rechtslage hinsichtlich der Berechtigung des Haftpflichtanspruchs entstehenden Schaden, wenn sich später ein anderer Standpunkt als der vom VR vertretene als berechtigt erweist. In solchen Fällen könnte sich daher entsprechend der Empfehlung von K. Sieg288 eine Feststellungsklage empfehlen. Diese dürfte allerdings nicht darauf gerichtet sein, dass die Forderung des VN nicht erloschen sei, sondern darauf, dass dem Dritten aus einem bestimmten Ereignis oder Verstoß kein Haftpflichtanspruch zustehe.289 281 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 7; modifizierend Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. G 5; weitergehend Roesch VersR 1977 113, 117 für die KVO-Versicherung; anders Venzmer VersR 1957 72, 73.

282 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 12. 283 BGH 19.1.1983 – IVa ZR 116/81, NJW 1983 1729, 1739 zur Verletzung einer nicht versicherungsvertraglich begründeten Freistellungsverpflichtung.

284 So K. Sieg 188; Schirmer 104 f. 285 So Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. G 5; Späte § 3 Rn. 29; AG Charlottenburg 16.4.1968 – 4 C 977/67, VersR 1969 315 f. Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 12. Vgl. G. Schmidt VersR 1966 18, 19. K. Sieg 188. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. G 5.

286 287 288 289 109

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

131 cc) Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts, Wegnahme/Pfändung eines dem VN gehörenden Gegenstands. Versucht der Dritte seinen Anspruch durch Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts oder durch Wegnahme eines dem VN gehörenden Gegenstands zu realisieren, besteht die Erfüllung der Abwehrverpflichtung darin, dass der VR eine Klage auf Herausgabe dieses Gegenstands finanziert.290 Bei schon eingetretener Pfändung muss der VR versuchen, die Aufhebung der Pfändungsmaßnahmen zu erreichen.291 Tut der VR dies nicht, so hat er für den dadurch entstehenden Schaden vollen Umfangs einzustehen. Erfährt der VR, dass der geschädigte Dritte einen Arrest oder eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, so ist der VR ebenfalls zu gesteigerter Aktivität verpflichtet.292 Jedes Zögern macht den VR nach § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig. Ist die Herausgabe unmöglich, weil der Dritte den Gegenstand bereits verwertet hat, hat der VN Anspruch auf Zahlung gegen den VR. Dies gilt selbst dann, wenn der gegnerische Anspruch objektiv unbegründet ist.293 Befand sich der VR mit der Abwehr in Verzug, hat er darüber hinaus einen etwaigen Erwerbsschaden zu ersetzen.294 132 Wird der VN in seiner persönlichen Freiheit wegen der Forderungen aus dem Schadensereignis beeinträchtigt, ist eine besonders gesteigerte Aktivität des VR geboten. So liegt der Fall, wenn der VN im Anschluss an ein Schadensereignis in Haft genommen und nur gegen Sicherheitsleistung für die zivilrechtlichen Ansprüche freigelassen wird. Hier muss der VR diese Sicherheit sofort stellen.295

III. Umwandlung des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs in einen Freistellungs- oder Zahlungsanspruch 1. Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs 133 Der einheitliche Haftpflichtversicherungsanspruch des VN richtet sich von dem Zeitpunkt an, zu dem der Anspruch des Dritten mit bindender Wirkung für den VR durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist, auf Freistellung (vgl. § 106 S. 1), nicht auf Zahlung. In einen Zahlungsanspruch wandelt er sich erst in der Hand des Dritten nach Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs zur Einziehung (§§ 829, 835, 836 ZPO) um.296

2. Abtretung des Freistellungsanspruchs an den geschädigten Dritten 134 a) Nach Eintritt der Bindungswirkung hinsichtlich des Haftpflichtanspruchs. Vorstehendes zur Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs Gesagte gilt entsprechend im Falle einer Abtretung (§ 398 BGB) an den geschädigten Dritten. Der Freistellungsanspruch wandelt sich in einen Zahlungsanspruch um.297 290 291 292 293 294 295 296

Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 12; Späte § 3 Rn. 29; G. Schmidt VersR 1966 18, 19 f. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. G 5. Venzmer VersR 1957 72, 74. BGH 13.7.1959 – II ZR 45/58, VersR 1959 701, 702. BGH 13.7.1959 – II ZR 45/58, VersR 1959 701, 702. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. G 5. Vgl. BGH 2.7.2007 – IV ZR 149/03, RuS 2007 191, 195; BGH 17.3.2004 – IV ZR 268/03, VersR 2004 634, 645; BGH 13.2.1980 – IV ZR 39/78, VersR 1980 522, 523; BGH 12.3.1975 – IV ZR 102/74, VersR 1975 655; OLG Saarbrücken 8.9.2004 – 5 U 21/04–1, VersR 2005 394, 395; OLG München 29.3.1999 – 30 U 761/98, RuS 2000 58; LG Karlsruhe 11.1.2012 – 2 O 370/11, VersR 2013 352, 353; LG Dortmund 12.7.2007 – 2 O 80/07, RuS 2007 415, 416; BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 40. 297 Vgl. auch BGH 16.9.1993 – IX ZR 255/92, ZIP 1993 1657, 1658; BGH 20.12.1956 – II ZR 177/55, BGHZ 23 17, 22; BGH 22.1.1954 – I ZR 34/53, BGHZ 12 136, 141; RG 8.10.1919 – II 302/12, RGZ 80 183, 184. Koch

110

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

b) Vor Eintritt der Bindungswirkung hinsichtlich des Haftpflichtanspruchs. Letzteres 135 gilt auch für den Fall der Abtretung erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) vor der rechtskräftigen Feststellung des Haftpflichtanspruchs. In diesem Fall kommt es zu einer Aufspaltung des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs in einen Anspruch auf Rechtsschutz, der beim VN verbleibt und von Bedeutung ist, wenn der Geschädigte nach erfolgloser Inanspruchnahme des VR (erneut) gegen den VN vorgeht,298 und den Anspruch auf Freistellung, der auf Befriedigung des Haftpflichtanspruchs gerichtet ist. Der Geschädigte ist nach der Abtretung berechtigt, den VR auf Zahlung in Anspruch zu nehmen (zu näheren Einzelheiten vgl. § 108 Rn. 39 ff.).299

3. Anerkenntnis und/oder Befriedigung des Haftpflichtanspruchs Anerkennt der VN den Haftpflichtanspruch des geschädigten Dritten, beschränkt sich der ein- 136 heitliche Haftpflichtversicherungsanspruch auf Freistellung des VN von den Ansprüchen des geschädigten Dritten um, weil der VR nur noch durch Freistellung den nach § 100 geschuldeten Leistungserfolg herbeiführen kann.300 Befriedigt der VN darüber hinaus den Dritten, wandelt sich der einheitliche Haftpflichtversicherungsanspruch in einen Anspruch des VN auf Zahlung an sich selbst um,301 soweit der Haftpflichtanspruch begründet ist. Der Befriedigung steht es gleich, wenn der Dritte mit seiner Haftpflichtforderung gegen die Forderung des VN aufrechnet und sich der VN mit der Aufrechnung einverstanden erklärt.302 Tritt der VN den Anspruch auf Freistellung an den Dritten an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 1 BGB) ab, liegt ebenfalls eine Befriedigung des Haftpflichtanspruchs seitens des VN vor. Der auf Freistellung gerichtete Anspruch wandelt sich im Zeitpunkt der Abtretung in der Person des Dritten in einen Anspruch auf Zahlung um.

4. Insolvenz des Versicherungsnehmers In der Insolvenz des VN erwirbt der Dritte ein Absonderungsrecht am Freistellungsanspruch, 137 das ihn nach §§ 1282 Abs. 1, 1228 Abs. 2, 1273 Abs. 2, 1257 BGB ein Einziehungsrecht gewährt. Der Dritte kann vom VR Zahlung verlangen, ohne dass es einer Pfändung und Überweisung oder Abtretung des Freistellungsanspruchs bedarf (§ 110 Rn. 12 ff.).

5. Unmöglichkeit der Abwehr des Zugriffs auf das Vermögen des VN Ist dem VR eine wirksame Abwehr des Zugriffs des geschädigten Dritten auf das Vermögen des 138 VN nicht mehr möglich, wandelt sich der Anspruch auf Freistellung in einen Zahlungsanspruch des VN um, weil auch in dieser Konstellation der VR nur noch durch Freistellung den nach § 100 geschuldeten Leistungserfolg herbeiführen kann. Es geht zum einen um den Fall, dass der geschädigte Dritte mit seiner unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Haft-

298 Vgl. LG Freiburg 6.8.2013 – 3 S 134/13, zitiert nach juris. 299 Vgl. BGH 20.4.2016 – IV ZR 531/14, VersR 2016 783 Rn. 16 ff.; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 16; Prölss/ Martin/Lücke § 100 Rn. 7. 300 Zu diesem Gesichtspunkt s. BGH 16.9.1993 – IX ZR 255/92, ZIP 1993 1657, 1658. 301 Vgl. LG Saarbrücken 19.5.2016 – 14 S 26/15, NJW-RR 2017 155, 156; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 8; zur Umwandlung von Befreiungsansprüchen in Zahlungsansprüche infolge Befriedigung s. BGH 13.11.2014 – IX ZR 277/13, ZIP 2014 2217 Rn. 14; BGH 22.1.1954 – I ZR 34/53, BGHZ 12 136, 141 m. w. N. 302 OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284. 111

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

pflichtforderung aufrechnet (zur Aufrechnung mit einer bestrittenen Haftpflichtforderung, vgl. Rn. 143) und hierdurch eine gegen ihn gerichtete Forderung des VN zum Erlöschen bringt. 139 Zum anderen geht es um den Fall, dass sich der Dritte zwangsweise aus dem Vermögen des VN befriedigt. Bezüglich dieser Fallgruppe gibt es in der Literatur Diskussionen um die dogmatische Konstruktion. Anlass hierfür gibt die Entscheidung des BGH vom 13.7.1959, in der dem VN kein Zahlungsanspruch infolge der Umwandlung des Versicherungsschutzanspruchs, sondern nur ein (verschuldensabhängiger) Sekundäranspruch in Form von Schadensersatz gewährt wurde.303 In jenem Fall ging es um die Sicherstellung eines Fahrzeugs des VN, die im Anschluss an einen schweren Unfall im Jahre 1952 durch die sowjetische Militärmission erfolgte. Da die für das beschädigte sowjetische Eigentum erhobenen Ansprüche nicht befriedigt wurden, veräußerten die Sowjets das Fahrzeug des VN an unbekannte Dritte und befriedigten sich aus dem Erlös. Vom BGH304 ist dazu u. a. Folgendes ausgeführt worden: „Der Verzug der Beklagten (VR) endete aber, als Anfang 1954 der Lastzug infolge seiner Verwertung durch die sowjetische Militärbehörde endgültig verlorenging; denn dieser Umstand bewirkte, daß die von der Beklagten geschuldete Freistellung des Klägers von den Haftpflichtansprüchen und damit auch die Auslösung des Lastzugs unmöglich wurde, nachdem sich die sowjetische Militärbehörde durch seine Verwertung wegen ihrer Haftpflichtansprüche selbst befriedigt hatte … Da die Unmöglichkeit infolge der dargelegten, von der Beklagten zu vertretenden Umstände eintrat, erwuchs dem Kl. damit gegen die Bekl. nach § 280 BGB ein neuer Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung, nämlich ein Anspruch auf Ersatz der Schäden, die ihm dadurch entstanden, daß er infolge der Nichterfüllung seinen Lastzug nunmehr endgültig verlor. Dieser Schadensersatzanspruch, der die Bekl. nach § 249 BGB verpflichtet, den Kl. so zu stellen, wie wenn sie am 1.4.1954 ihre Verpflichtung zur Gewährung des Versicherungsschutzes erfüllt hätte, geht nicht nur auf Ersatz des Wertes des Lastzugs, sondern umfaßt auch den Schaden, der dem Kl. durch die weitere zeitweilige Entbehrung der Nutzungen des Lastzuges entstand.“

140 Hj. Wussow305 hat sich gegen diese Auffassung des BGH gewandt. Er führt aus, dass immer dann, wenn eine Befreiung des VN von den Ansprüchen des Dritten nicht mehr möglich sei, an die Stelle des Versicherungsanspruchs ein Zahlungsanspruch des VN trete, dessen Erfüllung nicht unmöglich werden könne (§ 279 BGB a. F.). Deshalb komme es für den Zahlungsanspruch auch nicht auf ein Vertretenmüssen des VR an. Baumann gelangt mit anderer Begründung zu dem gleichen Ergebnis. Er hebt hervor, dass die Haftpflichtversicherung auf Naturalrestitution i. S. v. § 249 Abs. 1 BGB gerichtet sei, die sowohl Freistellung als auch Anspruchsabwehr umfasse, und dass der VR im Falle der Unmöglichkeit der Anspruchsabwehr entsprechend § 251 Abs. 1 BGB Entschädigung in Geld schulde. Eines Rückgriffs auf § 280 Abs. 1 BGB bedürfe es deshalb nicht.306 R. Johannsen folgt im Grundsatz dem Urteil des BGH mit der Begründung, die Entstehung eines Zahlungsanspruchs sei ein Ausnahmefall im Verhältnis zur primär geschuldeten Befreiung.307 141 Im Ergebnis ist der Ansicht Hj. Wussows zu folgen. Der Haftpflichtversicherungsanspruch verliert nicht dadurch seine primärrechtliche Natur, dass er sich infolge der Unmöglichkeit der Anspruchsabwehr in einen Zahlungsanspruch umwandelt. Schadensersatzansprüche des VN kommen nur insoweit in Betracht, als der VN infolge der Vollstreckung in einen Gegenstand einen Vermögensverlust erleidet, der über die Haftpflichtforderung hinausgeht und deshalb nicht vom VR ersetzt wird. Insoweit ist der Feststellung des BGH, dass der VR auch den Schaden zu ersetzen habe, der dem VN durch die weitere zeitweilige Entbehrung der Nutzungen des Lastzuges entstanden sei, zuzustimmen. Nur ergibt sich diese Rechtsfolge nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 281 BGB), sondern aus § 286 BGB wegen 303 304 305 306 307 Koch

BGH 13.7.1959 – II ZR 45/58, VersR 1959 701 ff. BGH 13.7.1959 – II ZR 45/58, VersR 1959 701, 703. Hj. Wussow VersR 1959 976 f. Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 20 f. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 40. 112

D. Inhalt des Anspruchs auf Haftpflichtversicherungsschutz

VVG § 100

Verzugs mit der Pflicht zur Gewährung von Versicherungsschutz in Form der Abwehr oder Freistellung von unbegründeten oder begründeten Haftpflichtansprüchen.308 Für die Ansicht Baumanns besteht nach der Neufassung des § 100 kein Raum mehr (Vor §§ 100–112 Rn. 4 ff.). Um einen Fall der zwangsweisen Befriedigung aus dem Vermögen des VN geht es auch 142 dann, wenn der Geschädigte die Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Titel gegen den VN betreibt. Kommt es zu einer Befriedigung des Gläubigers, kann der VN Zahlung an sich selbst verlangen kann.309 Gleiches gilt, wenn der VN zur Abwendung der Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil Sicherheit leistet oder Zahlungen aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel erbringt. Zur Verpflichtung des VR zur Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung und Hinterlegung gem. § 101 Abs. 3 s. § 101 Rn. 60 ff.

6. Verzicht des Versicherers auf Aktivprozess bei Aufrechnung mit bestrittener Haftpflichtforderung Verzichtet der VR im Falle der Aufrechnung mit einer bestrittenen Haftpflichtforderung auf den 143 Prozess des VN gegen den Dritten, weil er glaubt, den Betrag vom geschädigten Dritten aus Rechtsgründen oder wegen dessen Vermögenslage nicht erhalten zu können, wird er so behandelt, als ob er den Haftpflichtanspruch anerkannt hätte. Der VN hat in diesem Fall einen Zahlungsanspruch gegen den VR (Rn. 120).

7. Konfusion Umstritten ist, ob sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch umwandelt, wenn 144 sich Haftpflichtanspruch und Haftpflichtschuld in einer Person vereinigen und der Haftpflichtanspruch infolge dieser Konfusion untergeht. Das kann in der Weise geschehen, dass der geschädigte Dritte den VN beerbt oder umgekehrt der VN den Dritten. Eine Konfusion kann auch durch umwandlungsrechtliche Verschmelzung zweier juristischer Personen eintreten.310 In der Vergangenheit haben sich vereinzelt Instanzgerichte und Literaturstimmen für ein gänzliches Freiwerden des VR ausgesprochen.311 Das jüngere Schrifttum vertritt dagegen einhellig die Ansicht, dass der Freistellungsanspruch auch nach Untergang der Haftpflichtforderung in Form des Zahlungsanspruchs bestehen bleibe.312 Begründet wird diese Ansicht im Wesentlichen damit, dass der VR aus der zufälligen Konfusion keine Vermögensvorteile ziehen dürfe. W. Wussow313 stellt auf den mutmaßlichen Willen der Parteien des Haftpflichtversicherungsvertrages ab und wirft die Frage auf, welche Vereinbarung getroffen worden wäre, wenn die Parteien sich einen derartigen Fall bei Abschluss des Versicherungsvertrages vorgestellt hätten. Aufgrund der erhaltenen Versicherungsprämien sei anzunehmen, dass der VR den Willen habe, den Dritten auch dann zu befriedigen, wenn dieser durch den für den VR zufällig eintretenden Tod des VN

308 A. A. AG Mannheim 4.11.2011 – 10 C 156/11, RuS 2012 337 (für Verweigerung des Deckungsschutzes hat VR gem. §§ 280, 281, 249 BGB einzustehen).

309 BeckOGK/Looschelders § 362 Rn. 130; Staudinger/Olzen (2016), § 362 Rn. 9; MüKo-BGB/Fetzer § 362 Rn. 40; Palandt/Grüneberg § 362 Rn 15; Jauernig/Stürner § 362 Rn. 4; BeckOK BGB/Dennhardt § 362 Rn. 10; Soergel/Schreiber § 362 Rn. 12. 310 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 41. 311 S. Nachw. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 41. 312 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 24; Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 78; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 40; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 100 Rn. 20; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 116; Späte/Schimikowski/v. Rintelen Ziff. 1 AHB Rn. 335; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 35. 313 W. Wussow AHB § 1 Anm. 21. 113

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

und sich daraus ergebender Gesamtrechtsnachfolge in vermögensrechtlicher Beziehung mit dem VN zu ein und derselben Person werde. 145 Die h. M. verdient Zustimmung. Die Begründung W. Wussows, die im Kern auf nichts anderes als eine ergänzende Vertragsauslegung hinausläuft, überzeugt. Zunächst ist freilich zu prüfen, ob der Freistellungsanspruch nicht trotz der Konfusion als fortbestehend gilt (vgl. z. B. § 1976, § 1991 Abs. 2, § 2143, § 2175 oder § 2377 BGB).314 Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Vereinigung von Forderung und Schuld nicht in jedem Fall zum Erlöschen der Schuld führt. Ausnahmen hat die Rechtsprechung insbesondere in solchen Fällen angenommen, in denen schutzwürdige Interessen Dritter am Fortbestand der Forderung bestehen.315 Im Fall der Konfusion von Haftpflichtanspruch und Haftpflichtschuld sind schutzwürdige Interessen Dritter am Fortbestand der Haftpflichtforderung jedoch nicht ersichtlich, sodass diese Rechtsprechung nicht eingreift. 146 Für die Kfz-Haftpflichtversicherung ist entschieden, dass der Direktanspruch des Geschädigten nicht untergeht, wenn der VN verstirbt, bevor der Geschädigte, der ihn beerbt, seinen Anspruch gegen den VR durchsetzen kann.316 Dies hat die Rechtsprechung im Wesentlichen damit begründet, dass die Konfusion bei gesamtschuldnerischer Haftung gem. § 425 Abs. 2 BGB nur für und gegen den Gesamtschuldner wirke, in dessen Person sie eintrete. In der freiwilligen Haftpflichtversicherung steht dem Geschädigten ein Direktanspruch nicht zu. Es liegt deshalb auch keine Gesamtschuld vor. Jedoch besteht auch hier die berechtigte Erwartung des VN, dass derjenige, der durch sein Verhalten zu Schaden gekommen ist, Ersatz erhält, für den letztlich der VR einzustehen hat. Der VN braucht nicht damit zu rechnen, dass bei seinem Tode der Geschädigte den Anspruch auf Haftpflichtversicherungsschutz gegen den VR nur deshalb verliert, weil dieser ihn vor Erhalt der Ersatzleistung beerbt. Nicht anders stellt sich die Situation in dem Fall dar, in dem der Geschädigte verstirbt, bevor er Ersatz vom VR erhalten hat, und der VN ihn beerbt. In beiden Konstellationen ist kein vernünftiger Grund für die Leistungsfreiheit des VR ersichtlich.

IV. Auswirkungen von Obliegenheitsverletzungen 147 Obliegenheitsverletzungen des VN lassen den Anspruch auf Rechtsschutz unberührt, soweit sie nicht zur vollständigen Leistungsfreiheit des VR führen (vgl. auch § 101 Rn. 46). Wird der VN verurteilt und ist der VR hinsichtlich des Anspruchs auf Freistellung teilweise leistungsfrei, so hat er die Kosten des Haftpflichtprozesses nach Ansicht des BGH in dem gleichen Verhältnis zu tragen, in dem er zur Freistellung von der Haftpflichtschuld verpflichtet ist.317 Übertragen auf die teilweise Leistungsfreiheit des VR z. B. wegen Obliegenheitsverletzung bedeutet das Folgendes: Hat der VN mit seinem Fahrrad einen Menschen schwer verletzt und sich vom Unfallort entfernt, ohne zuvor Hilfe zu holen, ist der VR wegen Verletzung der Rettungsobliegenheit nach § 82 Abs. 1 zur Kürzung des Freistellungsanspruchs berechtigt, soweit es um die Mehrkosten geht, die kausal aus dem Fehlverhalten des VN resultieren. Erhöhen sich die Haftpflichtansprüche des Geschädigten z. B. von 5.000 EUR auf 10.000 EUR, schuldet der VR bei einer 50 %igen

314 Späte § 1 Rn. 192. 315 Vgl. BGH 23.4.2009 – IX ZR 19/08, NJW-RR 2009 1059, 1060; BGH 14.6.1995 – IV ZR 212/94, NJW 1995 2287, 2288; BGH 30.4.1980 – V ZR 56/79, NJW 1981 447, 448; OLG Düsseldorf 9.2.1999 – 4 U 38/98, NVersZ 2000 218, 219; OLG Schleswig 28.7.1998 – 6 U 14–98, NJW-RR 1999 1528, 1529. 316 Vgl. BGH 9.7.1996 – VI ZR 5/95, RuS 1996 398, 399 = VersR 1996 1258; OLG Hamm 16.6.1994 – 6 U 227/93, RuS 1995 176, 177 = VersR 1995 454; der BGH hat die Revision durch Beschl. v. 14.3.1995 – VI ZR 230/94 – nicht angenommen; s. auch BGH 9.7.1996 – VI ZR 5/95, VersR 1996 1258, 1259. 317 BGH 28.9.1961 – II ZR 101/59, VersR 1961 975, 976; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 19; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 87; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 101 Rn. 19; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 25. Koch

114

E. Inanspruchnahme durch einen Dritten

VVG § 100

Kürzungsquote nur Freistellung i. H. v. insgesamt 7.500 EUR und – soweit es zu (außer-)gerichtlichen Kosten kommt – auch nur Ersatz in Höhe dieses Streitwerts.

E. Inanspruchnahme durch einen Dritten Ein Anspruch kann von vornherein nicht entstehen, wenn er sich gegen denjenigen richten 148 müsste, dem er zustehen soll (§ 194 Abs. 1 BGB).318 An diesen auch für das Haftungsrecht geltenden Grundsatz anknüpfend setzt die Haftpflichtversicherung begrifflich die Trennung zwischen Geschädigtem und Träger des versicherten Interesses voraus. Dritter i. S. v. § 100 ist in der Eigenversicherung jede nicht mit dem VN und in der Fremdversicherung jede nicht mit der versicherten Person identische (natürliche oder juristische) Person, die gegen den VN oder die versicherte Person Schadensersatzansprüche erhebt.319 Auch der VN kann somit im Rahmen einer reinen Fremdversicherung (z. B. D&O-Versicherung)320 oder in einer kombinierten Eigenund Fremdversicherung (z. B. Betriebshaftpflichtversicherung) Dritter i. S. v. § 100 sein, wenn er durch eine versicherte Person geschädigt wird.321 Umgekehrt kann die versicherte Person im Rahmen einer kombinierten Eigen- und Fremdversicherung Dritte sein, wenn der VN sie schädigt. Ohne Belang ist es dabei, ob es sich um unmittelbar oder mittelbar Geschädigte handelt. So kann gemäß §§ 844, 845 BGB im Falle eines Personenschadens auch der Unterhaltsberechtigte, Dienstberechtigte oder Träger der Beerdigungskosten anspruchsstellender Dritter sein. Auch in denjenigen Fällen, in denen ausnahmsweise ein Dritter, der nicht zu den in §§ 844, 845 BGB aufgeführten Personen gehört, aus der Körperverletzung eines Geschädigten mit Rücksicht auf eine in dieser Körperverletzung zu sehende schuldhafte Vertragsverletzung begründete Schadensersatzansprüche erheben kann, besteht Versicherungsschutz.322 Des Weiteren ist ohne Belang, ob es sich um den ursprünglich Geschädigten selbst oder um seine Rechtsnachfolger (z. B. § 1922 Abs. 1 BGB) handelt und ob diese die Forderung derivativ (durch Abtretung nach § 398 BGB oder kraft Gesetzes nach § 86 Abs. 1 S. 1, § 116 SGB X oder § 268 Abs. 3 BGB) oder originär (z. B. nach § 110 SGB VII bzw. nach §§ 426, 683 und 670 BGB) erworben haben.323 Soweit mehrere VN in einem Versicherungsvertrag zusammengefasst sind, gilt das Ge- 149 sagte in gleichem Maße. Auch hier ist davon auszugehen, dass ein VN im Verhältnis zum anderen als Dritter angesehen werden kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn über eine solche Aufspaltung auch ein Eigenschaden desjenigen VN ersetzt wird, der von dem anderen VN haftpflichtig gemacht wird. Das bezieht sich auf einen Eigenschaden am Aktivvermögen des schädigenden VN, wenn nämlich z. B. eine Sache beschädigt wird, die im gemeinsamen Eigentum zweier VN steht. Der Versicherungsanspruch ist in diesem Fall um den Umfang des Miteigentumsteils des Schädigers zu kürzen.324 Entsteht einer nicht rechtsfähigen oder nicht teilrechtsfä318 Vgl. OLG Nürnberg 9.2.2004 – 8 U 2772/03, VersR 2004 905. 319 Vgl. BGH 10.6.1986 – VI ZR 113/85, RuS 1986 222, 223 = VersR 1986 1010; BGH 17.5.1956 – II ZR 96/55, BGHZ 20 371, 376 = VersR 1956 364; OLG Hamm 4.6.1993 – 20 U 62/93, RuS 1993 326, 327; ÖOGH 13.10.1977 – 7 Ob 53/77, VersR 1978 727, 728; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 23; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 33; Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 73; Späte § 1 Rn. 191; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 115. 320 Vgl. BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 Rn. 27; BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34; R. Koch VersR 2016 765 f.; ders. ZVersWiss 2012 151, 156 f.; Harzenetter NZG 2016 728 f.; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 77; Lange RuS 2011 185, 186 f.; a. A. Armbrüster NJW 2016 2155, 2156; ders. RuS 2010 441, 448 f.; Ihlas D&O 2. Aufl. (2009) 408 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 7; Schimmer VersR 2008 875, 878 f. 321 Vgl. auch BGH 7.1.1965 – II ZR 115/62, BGHZ 43 42 = NJW 1965 758; Schirmer FS K. Sieg 464 f.; Späte § 7 Rn. 11; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 75. 322 Vgl. dazu RG 19.2.1937, JW 1937 1496 und (für einen ähnlich gelagerten Fall einer Sachbeschädigung) RG 7.3.1939 – VII 162/38, RGZ 160 48, 49; Späte § 1 Rn. 194; einschränkend Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 73. 323 Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 73; Späte § 1 Rn. 191; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 115. 324 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 38. 115

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

higen Personenmehrheit, an welcher der Schädiger selbst beteiligt ist, ein Schaden, hat er im Umfang seiner Beteiligung einen Schaden in seinem eigenen Vermögen erlitten und wird in seiner Eigenschaft als VN insoweit – quotenmäßig – nicht „von einem Dritten“ in Anspruch genommen.325 Ergänzend ist festzuhalten, dass auch ein Mitversicherter im Verhältnis zu einem anderen Mitversicherten (im Rahmen einer Fremd- oder kombinierten Eigen- und Fremdversicherung) Dritter i. S. d. Haftpflichtversicherungsrechts ist. 150 Der Geschädigte verliert nicht dadurch seine Eigenschaft als Dritter i. S. v. § 100, dass er an der VN als Gesellschafter beteiligt ist.326 Umgekehrt kann auch die Gesellschaft Dritte sein, wenn sie einen Schaden durch den versicherungsnehmenden Gesellschafter erleidet.327 So liegt der Fall, wenn ein Tochterunternehmen einen Schaden erlitten hat, für den sie die Konzernmutter (VN) oder in der D&O-Versicherung die Gesellschaft ihren geschäftsführenden (Allein-)Gesellschafter auf Ersatz in Anspruch nimmt.328 Keine Zustimmung verdient ein Urteil des LG Magdeburg, in dem einer GmbH die Eigenschaft als Dritte i. S. v. § 100 abgesprochen wird, weil ihr Allein-Gesellschafter identisch mit dem Allein-Gesellschafter der VN (ebenfalls eine GmbH) gewesen ist. Haftungsrechtlich, so das LG Magdeburg, sei die in ihrem Eigentum geschädigte GmbH nur ein in besonderer Form verwalteter Teil des Vermögens des Alleingesellschafters, weshalb bei wirtschaftlicher Betrachtung Personenidentität von Schädiger und Geschädigtem bestehe.329 Dass der Sachschaden, den die VN verursacht hat, ihren Alleingesellschafter aufgrund seiner Stellung als Alleingesellschafter der Geschädigten auch persönlich trifft, rechtfertigt nicht, die gesellschaftsrechtliche Selbstständigkeit von Schädiger und Geschädigtem bei der Bestimmung des Dritten unberücksichtigt zu lassen. Gleiches gilt für den an einer teilrechtsfähigen Personengesellschaft beteiligten Geschädigten.330 Für die Frage, wie die Rechtslage ist, wenn nachträglich eine Identität zwischen VN und 151 geschädigtem Dritten eintritt (Konfusion), siehe Ausführungen Rn. 144 ff.

F. Verjährung des Haftpflichtversicherungsanspruchs I. Einheitlicher auf Abwehr und/oder Freistellung gerichteter Haftpflichtversicherungsanspruch 152 Der einheitliche Haftpflichtversicherungsanspruch auf Abwehr unbegründeter und Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen wird fällig, wenn der VN von dem geschädigten Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird (Rn. 25 ff.). Die Verjährung dieses Anspruchs bestimmt sich nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB. Sie beginnt grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres der Inanspruchnahme durch den geschädigten Dritten,331 ist jedoch gem. § 15 solange gehemmt, bis dem VN die Entscheidung des VR in Textform zugeht.332 Da eine Entscheidung des VR voraussetzt, dass er Kenntnis von der Inanspruchnahme des VN hat, tritt die Hemmung jedoch erst ab Zugang der Anzeige der Inanspruchnahme beim VR ein (vgl. § 104 Abs. 1 S. 2). Unterlässt der VN die Anzeige, wird die Verjährung somit nicht gehemmt. Eine Hemmung kann sich darüber hinaus ergeben, wenn es zwischen VN und VR zu Verhandlungen kommt oder ein 325 Vgl. OLG Koblenz 11.12.1992 – 10 U 464/91, RuS 1993 411. 326 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 124. 327 Vgl. LG Erfurt 16.12.1999 – 1 S 282/99, BeckRS 2008 14747; LG Oldenburg 23.7.1996 – 9 S 496/96, VersR 1997 869, 870; LG Coburg 14.10.1994 – 3 S 93/94, NZV 1995 195; AG Bayreuth 25.11.1985 – 1 C 364/85, NJW-RR 1986 459. Vgl. Sachverhalt OLG Düsseldorf 26.6.2020 – I-4 U 134/18, VersR 2020 1307. LG Magdeburg 20.12 2016 – 2 S 227/16, RuS 2017 97, 98. Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 74. St. Rspr., vgl. nur BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412; BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, BGHZ 155 69, 71 = NJW 2003 2376; BGH 21.3.2003 – IV ZR 209/02, RuS 2003 360, 361. 332 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 55.

328 329 330 331

Koch

116

F. Verjährung des Haftpflichtversicherungsanspruchs

VVG § 100

befristeter Verzicht auf die Einrede der Verjährung vereinbart wird.333 Die durch den Deckungsprozess eingetretene Hemmung (§ 204 Abs. 1 BGB) endet nicht gem. § 204 Abs. 2 BGB durch Nichtweiterbetreiben des Deckungsprozesses (Ruhen des Verfahrens, § 251 Abs. 1 ZPO), wenn das Nichtweiterbetreiben seinen Grund darin hat, dass die streitige Frage des Haftungsgrundes vorab im Haftpflichtprozess rechtskräftig geklärt werden soll.334

II. Freistellungs-/Zahlungsanspruch 1. § 106 Entscheidet sich der VR für die Anspruchsabwehr, wird der Anspruch auf Freistellung oder 153 Zahlung ihm gegenüber erst unter den Voraussetzungen des § 106 VVG fällig, d. h. wenn der Haftpflichtanspruch des Dritten mit bindender Wirkung für den VR durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt oder der Dritte von dem VN mit bindender Wirkung für den VR befriedigt worden ist. § 106 gilt auch dann, wenn der VN den Haftpflichtanspruch ohne Zustimmung des VR anerkannt oder sich mit dem Geschädigten verglichen hat und im Versicherungsvertrag eine Bindungswirkung für den Fall vorgesehen, dass der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016, A.1-4.1 S. 3 AVB PHV/ AVB BHV, A-6.1. S. 3 AVB D&O)(§ 106 Rn. 5). Ist der einheitliche Haftpflichtversicherungsanspruch zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt, 154 ergreift die Verjährung auch den Freistellungs- oder Zahlungsanspruch. Freistellungs- oder Zahlungsanspruch können somit verjähren, bevor sie fällig sind.335 Etwas anderes gilt, wenn sich der einheitliche Haftpflichtversicherungsanspruch, bevor er verjährt ist, unter den in § 106 genannten und zu den dort bezeichneten Zeitpunkten in einen Freistellungs- oder Zahlungsanspruch umwandelt. Für diesen Anspruch läuft eine neue dreijährige Verjährungsfrist, deren Beginn sich nach § 199 Abs. 1 BGB bestimmt.336 Nach Ansicht des OLG Hamm steht die Zusage des VR, die Ergebnisse eines Beweissicherungsverfahrens der Regulierung zugrunde zu legen, der späteren Einrede der Verjährung nicht entgegen.337 Dieses Urteil verdient Zustimmung, weil die Verjährung des Freistellungsanspruchs, der sich infolge Abtretung in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hatte, bei der Zusage bereits eingetreten war.

2. § 14 Abs. 1 Vorstehendes gilt entsprechend, wenn sich innerhalb der für den einheitlichen Haftpflichtversi- 155 cherungsanspruch geltenden Verjährungsfrist der Freistellungsanspruch ohne Bindungswirkung für den VR in einen Zahlungsanspruch umwandelt (z. B. infolge der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten oder die Befriedigung des Dritten). In diesem Fall bestimmt sich die Fälligkeit jedoch nicht nach § 106, sondern nach § 14 Abs. 1 (vgl. § 106 Rn. 43).

333 BGH 17.2.2004 – VI ZR 429/02, RuS 2004 306. 334 Vgl. OLG Karlsruhe 7.10.2004 – 12 U 145/04, VersR 2005 213 zu § 211 BGB a. F. 335 Vgl. nur OLG Hamm 12. 12.2016 – 20 U 168/16, VersR 2017 610; OLG Düsseldorf 5.3.2010 – 4 U 82/09, BeckRS 2010 11132 m. w. N. 336 Vgl. BGH 12.5.1960 – II ZR 212/58, VersR 1960 554, 555 = NJW 1960 1346; RG 7.2.1936 – VII 224/35, RGZ 150 227, 230 f.; OLG Hamm 23.4.1975 – 20 U 306/74, VersR 1976 1030, 1031; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 1; Prölss/ Martin/Lücke § 100 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 106 Rn. 3; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 11; a. A. Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 31. 337 OLG Hamm 12. 12.2016 – 20 U 168/16, VersR 2017 610. 117

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

G. Prozessuale Fragen I. Klagerecht des VN 1. Richtige Klageart 156 a) Feststellungsklage. Vor der Umwandlung des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruches in einen Freistellungs- oder Zahlungsanspruch kann der VN nur auf Feststellung klagen, dass der VR „wegen einer im Einzelnen genau zu bezeichnenden Haftpflichtforderung Versicherungsschutz zu gewähren habe“.338 Hinsichtlich der Anforderungen an die Bezeichnung der Haftpflichtforderung genügt es, wenn der Feststellungsantrag auf die geltend gemachten Ansprüche (vgl. § 104 Abs. 1 S. 2) und/oder auf das Schadensereignis Bezug nimmt, aus dem Ansprüche hergeleitet werden (vgl. § 104 Abs. 1 S. 1).339 Erhebt der VN Zahlungsklage, so müsste diese als materiell-rechtlich unbegründet abgewiesen werden. Es kann sich aber aus der Klagbegründung ergeben, dass es dem VN gar nicht auf die Durchsetzung bestimmter Zahlungen ankommt, sondern auf die Feststellung, dass ihm für einen bestimmten Schadensfall Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren ist. Dann kommt eine Umdeutung des Zahlungsantrags in einen solchen auf Feststellung in Betracht.340 Vom BGH wird allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO vom Gericht auf eine zutreffende Antragsfassung hätte hingewirkt werden müssen.341 Klagt der VN auf Feststellung, dass die von dem VR genannten Ablehnungsgründe nicht vorliegen, so stellt das eine unzulässige Antragsfassung dar. Nach § 256 ZPO ist nur die Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Ganzen, nicht aber auf Feststellung einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses zulässig.342

157 b) Leistungsklage. Nach der Umwandlung des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs kann der VN auf Freistellung (Leistung an den Geschädigten) oder – falls der VN den Haftpflichtanspruch befriedigt hat, der VR den Zugriff auf das Vermögen des VN nicht verhindern kann oder der VR auf einen Aktivprozess bei Aufrechnung mit bestrittener Haftpflichtforderung verzichtet– Zahlung an sich selbst klagen.343 Hat sich der einheitliche Haftpflichtversicherungsanspruch teilweise in einen bezifferbaren Zahlungsanspruch umgewandelt, ist der VN nicht gezwungen, zu einer bezifferten Leistungsklage überzugehen, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist.344 Nicht zu Unrecht weist das OLG Hamm darauf hin, dass von einem der Versicherungsaufsicht unterliegenden VR anzunehmen sei, dass er einen

338 St. Rspr., vgl. BGH 21.9.1983 – IV a ZR 165/81, NJW 1984 370; BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 78 = NJW 1981 870; so auch OLG Brandenburg 23.10.2012 – 11 U 90/10, BeckRS 2012 22217; OLG Saarbrücken 30.6.2010 – 5 U 615/09, BeckRS 2011 26838; OLG Köln 16.2.2010 – 9 U 179/09, RuS 2010 374; OLG Jena 29.1.2007 – 4 U 660/06, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe 24.3.2005 – 24.3.2005, VersR 2005 781; OLG Karlsruhe 20.3.2003 – 12 U 214/02, OLGR 2003 179; OLG Koblenz 29.10.1999 – RuS 2000 279 = VersR 2000 755; KG 2.3.1999 – 6 U 9481/97, RuS 2000 61, 62; OLG Düsseldorf 6.2.1996 – 4 U 272/94, NJW-RR 1996 1245, 1246; LG Berlin 13.12.2011 – 7 O 446/10, BeckRS 2012 19702; vgl. weitere Nachweise auf ältere Rspr. bei Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. GB 45. 339 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 75. 340 Vgl. BGH 30.4.1981 – IVa ZR 129/80, VersR 1981 948. 341 Vgl. auch BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 78 = NJW 1981 870; OLG Saarbrücken 29.7.2020 – 5 U 2/ 20, VersR 2021 168, 169. 342 BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117. 343 Vgl. BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 78 = NJW 1981 870; OLG Düsseldorf 6.2.1996 – 4 U 272/94, NJW-RR 1996 1245, 1246; AG Köln 24.4.1992 – 266 C 19/90, VersR 1993 1390, 1391. 344 OLG Hamm 10.1.1973 – 20 U 149/72, VersR 1973 633; OLG Hamm 7.6.1972 – 20 U 21/72, VersR 1975 173. Koch

118

G. Prozessuale Fragen

VVG § 100

Versicherungsfall auch auf ein Feststellungsurteil hin ordnungsgemäß reguliere, weshalb die Erhebung einer Feststellungsklage anstelle einer möglichen Leistungsklage zulässig sei.345

c) Anspruch des VN auf Leistungen in Form der Freistellung von Rechtsschutzkosten 158 im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes. Ausnahmsweise kann der VN den VR nach § 940 ZPO auf Leistungen in Form der Freistellung von u. a. Rechtsanwaltskosten in Anspruch nehmen, wenn er glaubhaft machen kann, dass er auf die sofortige Erfüllung zur Abwendung einer existentiellen Notlage dringend angewiesen sei und im Hauptsacheverfahren mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit obsiege. Des Weiteren darf ihm die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren wegen der unvermeidlichen zeitlichen Verzögerung nicht zumutbar sein und ihm müssen aus der Nichtleistung schwerwiegende Nachteile drohen, die nicht außer Verhältnis stehen dürfen zu dem Schaden, den der VR erleiden kann (zum Anspruch auf Vorschuss vgl. § 101 Rn. 42).346 Diese Voraussetzungen liegen nach Ansicht des OLG Frankfurt/M. vor, wenn der VN glaub- 159 haft machen kann, dass ihm ohne die begehrte Abwehrdeckung eine adäquate Verteidigung gegen die Inanspruchnahme nicht möglich sei, weil sein gesamtes Vermögen arretiert sei, er über keinerlei Vermögen mehr verfüge und die seinen Anwälten überlassenen Vorschüsse mittlerweile aufgebraucht seien. Die Anordnung der Zahlung der Rechtsanwaltskosten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes führe im für den VR ungünstigsten Fall dazu, dass er bei einer Klageabweisung im Deckungsprozess mögliche Rückzahlungsansprüche gegenüber dem Antragsteller unter Umständen nicht realisieren könnte. Demgegenüber laufe der VN ohne die Abwehrdeckung Gefahr, seine gesamte wirtschaftliche Existenzgrundlage zu verlieren, da er auch nicht auf die Beantragung von Prozesskostenhilfe verwiesen werden könne. Insoweit fehle es dem nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderlichen Unvermögen der Kostentragung, sofern die Partei über eine Haftpflichtversicherung verfügt und diese verpflichtet sei, alles zur Abwehr der Klageforderung Notwendige zu veranlassen.347 Da der VR zur vorläufigen Rechtsschutzgewährung bedingungsseitig „[i]m Zweifel“ über das Vorliegen einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung verpflichtet sei, solange eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung aufgrund eines Geständnisses oder einer gerichtlichen Entscheidung nicht feststehe, werde der VN im Hauptsacheverfahren mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit obsiegen.348 Letztere Feststellung verdient Zustimmung. Im Hinblick auf die Bedeutung der Rechtsschutzkomponente in der Haftpflichtversicherung wäre der VR zur Gewährung der vorläufigen Deckung (unter Rückforderungsvorbehalt)(Rn. 46) aber auch ohne eine solche Zweifelsregelung in den Versicherungsbedingungen bei Vorliegen einer existenziellen Notlage verpflichtet. Entsprechendes gilt nach Ansicht des OLG Frankfurt/M., wenn der VN oder die versicherte 160 Person Freistellung von Kosten der strafrechtlichen Verteidigung verlangt, für die der VR bedingungsseitig und unter Verzicht auf bereits geleistete Verteidigungskosten im Fall der Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung versprochen hat.349

345 OLG Hamm 2.10.1985 – 20 U 78/85, VersR 1987 88; OLG Hamm 5.10.1977 – 20 U 160/75, VersR 1980 1061; OLG Hamm 7.6.1972 – 20 U 21/72, VersR 1975 173; LG Schweinfurt 25.10.1976 – 2 O 74/76, BeckRS 1976 01012; a. A. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 129. 346 OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 509; OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390 (zur D&O-Versicherung); vgl. auch OLG Düsseldorf 15.5.2012 – 4 U 246/11, juris; LG Mannheim 29.4.2020 – 11 O 66/20, juris (zu Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung). 347 Vgl. OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390 (zur D&O-Versicherung); vgl. auch KG 29.3.1979 – 12 U 35/79, VersR 1979 449. 348 Vgl. OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 508; OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390 (zur D&O-Versicherung). 349 Vgl. OLG Frankfurt/M. 4.8.2021 – 7 W 13/21, BeckRS 2021 21382. 119

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

2. Zulässigkeit der Feststellungsklage 161 a) Feststellungsinteresse. Das für die Zulässigkeit einer (positiven) Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung – was in der versicherungsrechtlichen Literatur350 mitunter auch als Rechtsschutzinteresse bezeichnet wird, ohne dass hiermit etwas anderes gemeint ist351 – ist in der Regel gegeben, wenn der Dritte einen Anspruch gegen den VN geltend macht und der VR seine Verpflichtung zur Deckung bestreitet.352 Darüber hinaus besteht ein Feststellungsinteresse, wenn der VR gänzlich untätig bleibt353 oder die Haftpflichtfrage zögerlich prüft.354 Ohne Belang für das Feststellungsinteresse ist, ob die Ansprüche des geschädigten Dritten begründet sind.355 Droht nur die Verjährung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung, besteht solange kein Feststellungsinteresse des VN, wie er durch Anzeige der Inanspruchnahme die Hemmung der Verjährung erreichen kann (§ 15). 162 Dem VN ist somit vor Einleitung eines Rechtsstreits gegen den VR grundsätzlich zuzumuten, abzuwarten, ob von dem geschädigten Dritten Ersatzansprüche erhoben werden. Dies gilt selbst dann, wenn der VR seine Eintrittspflicht in Abrede stellt. Der VN erleidet hierdurch keine Nachteile. Für den VN mag diese Situation nicht erquicklich sein, weil er nach der vom VR ausgesprochenen Ablehnung nicht weiß, ob für das eingetretene Schadensereignis Versicherungsschutz besteht oder nicht. Er hat es jedoch in der Hand, diese Frage dadurch zu klären, dass er sich bei dem geschädigten Dritten danach erkundigt, ob Ansprüche erhoben werden. Diesen Weg wird der VN zwar nicht gern gehen, insbesondere deshalb nicht, weil er bei zweifelhafter Versicherungsschutzlage Gefahr läuft, die begründeten Ansprüche aus eigener Tasche bezahlen zu müssen, während doch immerhin die theoretische Möglichkeit besteht, dass ohne eine solche Erkundigung der Dritte keinen Anspruch erhebt. Gleichwohl rechtfertigt dies nicht eine Durchbrechung des oben dargestellten Grundsatzes, dass eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Versicherungsschutz für ein bestimmtes Ereignis erst nach Entstehung des Haftpflichtversicherungsanspruchs erhoben werden kann. 163 Freilich ist zu beachten, dass der VN – losgelöst von einem konkreten Schadensfall – die Möglichkeit hat, durch eine Feststellungsklage die Zweifel über den Umfang des durch den Haftpflichtversicherungsvertrag gewährten Versicherungsschutzes zu klären. Ein Feststellungsurteil i. S. d. § 256 ZPO könnte z. B. mit verbindlicher Wirkung für die Parteien des Haftpflichtversicherungsvertrages darüber ergehen, ob ein bestimmtes Risiko in den Versicherungsschutzbereich des Vertrages fällt, ob gewisse Ausschlusstatbestände vertraglich abbedungen sind oder Ähnliches. Ein Feststellungsinteresse des VN für eine derartige Klage wird bei einem ernsthaften Streit der Parteien über den Deckungsumfang des Vertrages stets zu bejahen sein. Wichtige Entschlüsse, wie z. B. der über den Abschluss eines zusätzlichen Haftpflichtversicherungsvertrages, können von der Beurteilung der Frage abhängen, ob ein neues Risiko schon vom vorhandenen Versicherungsvertrag erfasst wird oder nicht. Doch bedeutet dieser allgemeine Grundsatz keine Durchbrechung des oben dargestellten Prinzips bezüglich der Unzulässigkeit einer Feststellungsklage für einen konkreten Schadensfall, solange das für die Entstehung der Verpflichtung des VR maßgebliche Element der Anspruchserhebung durch den geschädigten Dritten nicht gegeben ist.

350 Vgl. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 45. 351 Vgl. auch MüKo-ZPO/Becker-Eberhard Vorbemerkung zu §§ 253 ff. Rn. 27: „Das Feststellungsinteresse ist das im Gesetz besonders zum Ausdruck kommende Rechtsschutzinteresse“.

352 Vgl. OLG Hamm 10.4.1970 – 20 U 6/70, VersR 1970 729; OLG Karlsruhe 8.4.1959 – 2 U 181/57, VersR 1960 699; LG Dortmund 1.8.2013 – 2 S 5/13, RuS 2013 548, 549.

353 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 100 Rn. 3; R. Johannsen RuS 1997 309, 313. 354 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 20. 355 RG 15.3.1932 – VII 371/31, RGZ 135 368, 369; ÖOGH 14.4.1983 – 7 Ob 62/82, VersR 1985 197. Koch

120

G. Prozessuale Fragen

VVG § 100

Eine Ausnahme kann aus prozessökonomischen Gründen geboten sein, wenn mehrere 164 Dritte bei einem Schadensereignis verletzt worden sind, aber nur ein Teil von ihnen Ansprüche gegen den VN erhoben hatte, als der VR schon im Ganzen den Versicherungsschutz ablehnte. Zwar laufen für den Versicherungsschutz gegenüber den verschiedenen Ansprüchen der geschädigten Dritten ab Inanspruchnahme des VN gesonderte Verjährungsfristen. In einer solchen Ausnahmesituation ist mit Rücksicht auf das zur Klage im Ganzen herausfordernde Verhalten des VR aber eine Durchbrechung des dargelegten Grundsatzes geboten. Gleiches gilt wegen noch nicht erhobener, jedoch zu erwartender Ausgleichsansprüche in Fällen, in denen der VN als Gesamtschuldner haftet und der VR den Versicherungsschutz gegenüber dem Geschädigten schon im Ganzen ablehnt. Zu Recht hat das OLG Hamm deshalb ein rechtliches Interesse des Architekten im Deckungsprozess gegen den VR an der weiteren Feststellung bejaht, dass der VR ihm auch wegen der noch nicht erhobenen, jedoch zu erwartenden Ausgleichsansprüche des Bauunternehmers Versicherungsschutz zu gewähren habe. In diesem Fall ist es dem VN nicht zuzumuten abzuwarten, ob auch der Dritte Ansprüche erhebt, und dann u. U. einen weiteren Prozess gegen den VR zu führen, in dem er Gefahr läuft, zumindest teilweise um die gleichen Fragen wie in dem ersten Prozess streiten zu müssen. Andererseits ist es in einem solchen Fall dem VR zuzumuten, seine gesamten Einwendungen, auch soweit sie nur den Ausgleichsanspruch betreffen, bereits in dem anhängigen Rechtsstreit vorzubringen.356 Abzulehnen ist das Urteil des BGH vom 26.9.1959, wonach für eine Klage auf Gewährung von 165 Versicherungsschutz auch dann ein Feststellungsinteresse bestehen soll, wenn der VR seine Leistungsverpflichtung gar nicht geleugnet hat.357 Das zunächst unbillig erscheinende Ergebnis wurde vom BGH unter Hinweis auf § 93 ZPO damit begründet, dass der VR es in der Hand habe, durch ein sofortiges Anerkenntnis unter Protest gegen die Kostenlast dem VN die Kosten auferlegen zu lassen. Zu Recht hat der BGH in seiner Entscheidung vom 30.4.1981 eine Deckungsklage bei ähnlich gelagerten Situationen wegen fehlenden Feststellungsinteresses als unzulässig angesehen.358 An einem Feststellungsinteresse fehlt es auch dann, wenn der VR die Abwehr der für unbegründet erachteten Schadensersatzansprüche anbietet.359 Tut er dies nicht, besteht im Hinblick auf die Kostenübernahmepflicht des VR nach § 101 Abs. 1 S. 1 das Feststellungsinteresse des VN so lange, wie der Haftpflichtprozess noch nicht beendet ist und daher ein fälliger und bezifferbarer Anspruch auf Zahlung an die Geschädigten noch nicht geltend gemacht werden kann.360

b) Umwandlung des einheitlichen Haftpflichtversicherungsanspruchs in einen Frei- 166 stellungs- oder Zahlungsanspruch. Hat der VN eine Feststellungsklage in zulässiger Weise erhoben, wird diese während des Prozesses nicht dadurch unzulässig, dass sich der Haftpflichtversicherungsanspruch in einen Freistellungs- oder Zahlungsanspruch umwandelt, der mittels Leistungsklage zu verfolgen ist. Daher braucht der VN nicht zur Leistungsklage überzugehen.361 Eine Ausnahme ist nur geboten, wenn lange vor Beendigung des ersten Rechtszuges die Schadensentwicklung abgeschlossen ist und der VR deshalb den Übergang von der Feststellungszur Leistungsklage anregt.362 Erhebt der VN Feststellungsklage bezüglich des Versicherungs-

356 OLG Hamm 14.12.1977 – 20 U 248/76, VersR 1978 809, 810. 357 BGH 26.9.1959 – II ZR 60/58, VersR 1960 73, 74. 358 BGH 30.4.1981 – IVa ZR 129/80, NJW 1981 1952 = VersR 1981 948; vgl. auch OLG Hamm 18.6.1984 – 20 W 12/ 84, VersR 1985 77. 359 OLG Jena 29.1.2007 – 4 U 660/06, BeckRS 2007 17222; OLG Frankfurt 18.12.2002 – 7 U 54/02, VersR 2003 588; OLG Karlsruhe 25.6.1992 – 12 U 7/92, VersR 1993 1390. 360 OLG Saarbrücken 27.5.2009 – 5 U 461/08, BeckRS 2010 00051; vgl. auch LG Köln 5.6.2007 – 85 O 177/05, zitiert nach juris. 361 Vgl. BGH 25.6.1980 – VIII ZR 260/79, WM 1980 1176, 1177; OLG Koblenz 6.10.1999 – 5 U 1802/98, RuS 2002 87. 362 Vgl. BGH 25.6.1980 – VIII ZR 260/79, WM 1980 1176, 1177; OLG Koblenz 6.10.1999 – 5 U 1802/98, RuS 2002 87 f. 121

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

schutzes, so kann es in der obligatorischen Haftpflichtversicherung zu der Situation kommen, dass vom VR Widerklage auf Zahlung des Regressbetrages erhoben wird (vgl. § 116 Abs. 1 S. 2). Hat der VR den Schadensfall abschließend reguliert, sodass sich der Regressbetrag nicht mehr erhöhen kann, so entfällt mit der streitigen Verhandlung über die Widerklage das Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage. Wird sie dennoch weiterverfolgt, so ist sie als unzulässig abzuweisen.363

3. Begründetheit der Feststellungsklage 167 Die Feststellungsklage ist begründet, wenn der Dritte einen Anspruch geltend macht, der nach unstreitigem Sachvortrag in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages (Rn. 34 ff.) fällt. Berühren die vom Dritten behaupteten inneren und äußeren Tatsachen den Versicherungsschutz des VN nachteilig, kommt es für die Begründetheit der Feststellungsklage auf den Vortrag des VN an, soweit nicht erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Angaben bestehen, m. a. W. diese nicht offensichtlich falsch sind (vgl. auch Rn. 44). Ohne Belang für die Begründetheit der Feststellungsklage ist, ob die Ansprüche des geschädigten Dritten berechtigt sind. Dies folgt aus der Rechtsschutzfunktion der Haftpflichtversicherung, durch die als komplementäre Hauptpflicht des VR die Abwehr von unbegründeten Ansprüchen geschuldet wird. Mit dieser Funktion ist es im Übrigen nicht vereinbar, wenn der Deckungsprozess wegen denkbarer „Voraussetzungsidentität“ nach § 148 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Haftpflichtprozesses ausgesetzt wird.364 Gewährt der VR Rechtsschutz für die seiner Ansicht nach unbegründeten Ansprüche des Geschädigten, so besteht kein Grund zur Aussetzung des Verfahrens.365

II. Klagerecht des geschädigten Dritten 168 In der (freiwilligen) Haftpflichtversicherung hat der an dem Versicherungsvertrag nicht beteiligte geschädigte Dritte erst nach Abtretung oder Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN eine rechtliche Handhabe, den VR im Rahmen einer Leistungsklage direkt auf Zahlung in Anspruch zu nehmen. Jedoch billigt die Rechtsprechung366 und einhellige Meinung in der Literatur367 dem Geschädigten schon vorher das Recht zu, (Dritt-)Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO zu erheben, wenn der VR seine Eintrittspflicht aus dem Vertrag ablehnt und außerdem der VN untätig bleibt. Hierdurch wird die Verjährung des Freistellungsanspruchs des VN gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt.368 Berechtigter i. S. d. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist somit nicht nur der VN, sondern auch der geschädigte Dritte.369 In Betracht kommt auch eine Klage auf künftige Leistung gemäß § 259 ZPO.370 Hat der VR zur Abwendung der Zwangsvollstreckung 363 OLG Frankfurt 2.7.1970 – 1 U 166/69, VersR 1971 73 (Kfz-Haftpflichtversicherung). 364 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 2323; vgl. auch AG Wipperfürth 4.4.2014 – 1 C 168/13, BeckRS 2014 13049; AG Ulm 2.3.2012 – 4 C 18381/11, NZV 2013 43, 44.

365 OLG Jena 29.1.2007 – 4 U 660/06, BeckRS 2007 17222; OLG Hamm 7.1.1994 – 20 W 59/93, RuS 1994 220; vgl. auch OLG Frankfurt 11.10.1957 – 3 U 67/57, VersR 1958 369. 366 BGH 22.7.2009 – IV ZR 265/06, VersR 2009 1485; BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90, 91; OLG Naumburg 25.7.2013 – 2 U 23/13, RuS 2013 431, 433; OLG Celle 5.7.2012 – 8 U 28/12, zitiert nach juris. 367 Vgl. nur Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 21; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 54; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 149; Armbrüster RuS 2010 441, 447; R. Johannsen RuS 1997 309, 313. 368 Landheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 26. 369 Zum Erfordernis der Klage des materiell Berechtigten für die Hemmung s. BGH 29.10.2009 – I ZR 191/07, NJW 2010 2270 Rn. 38. 370 Landheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 28; Schweer/Todorow NJW 2013 2072 Rn. 16. Koch

122

G. Prozessuale Fragen

VVG § 100

aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil Sicherheit gem. § 101 Abs. 3 S. 1 geleistet, steht dem Dritten gegenüber dem VR ein Anspruch auf Freigabe der Sicherheitsleistung zu.371 Das für die Feststellungsklage erforderliche Interesse an der Feststellung, dass der VR dem 169 Schädiger Deckungsschutz zu gewähren habe, wird der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung entnommen, wie sie in den §§ 108 Abs. 1, 110 VVG zum Ausdruck kommt. Diese Bestimmungen bezwecken den Schutz des Geschädigten; durch sie soll gewährleistet werden, dass die Versicherungsentschädigung ihm zugutekommt.372 Mit dieser materiell-rechtlichen Entscheidung korrespondiert, dass im Fall der Untätigkeit des VN der geschädigte Dritte selbst gegen den VR, den durch die Untätigkeit des VN zu privilegieren kein Anlass besteht, gerichtlich vorgehen kann.373 Zur Drittfeststellungsklage ist nicht nur der Geschädigte befugt, sondern auch derjenige, auf den der Anspruch kraft cessio legis übergehen würde.374 Nach Ansicht des OLG Düsseldorf wird die Verjährung nicht nur durch eine Anzeige des Schadens seitens des VN, sondern auch durch eine Anzeige des Geschädigten gehemmt.375 Dies folgert das Gericht daraus, dass gleichfalls der Geschädigte die Verjährung durch Deckungsklage unterbrechen könne. Folgte man dieser Ansicht, besteht kein Feststellungsinteresse des Dritten, solange er durch Anzeige der Inanspruchnahme beim VR die Hemmung der Verjährung erreichen kann (§ 15).376 Die unkommentiert gebliebene Entscheidung überzeugt jedoch nicht, weil der Dritte keinen eigenen „Anspruch aus dem Versicherungsvertrag“ i. S. v. § 15 gegen den VR hat. Ein Feststellungsinteresse des Geschädigten ist auch dann gegeben, wenn der VR auf Anfra- 170 ge des Geschädigten, ob Versicherungsschutz bestehe, keine oder keine eindeutige Antwort gibt oder die Auskunft verweigert.377 Insoweit ist der Hinweis geboten, dass dem Dritten gegen den VR des Schädigers ein Anspruch auf Auskunft über den Gegenstand und den Umfang des Versicherungsschutzes zusteht.378 Aus der Gewährung von Rechtsschutz kann nicht auf den Willen des VR geschlossen werden, auch die Freistellungsverpflichtung zu erfüllen.379 Der Dritte kann nach Maßgabe der §§ 66 f. ZPO einem (ggf. vorweggenommenen) Deckungs- 171 prozess zwischen VN und VR als Nebenintervenient beitreten.380

III. Streitwert der Deckungsklage Bei Zahlungs- oder beziffertem Freistellungsanspruch richtet sich der Streitwert gem. § 6 ZPO 172 nach der Höhe des geltend gemachten oder mit bindender Wirkung i. S. v. § 106 S. 1 festgestellten Haftpflichtanspruchs. Er ist nicht auf die vereinbarte Versicherungssumme begrenzt,381 sondern erhöht sich – soweit nicht eine Anrechnung der Kosten auf die Versicherungssumme vereinbart 371 OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 110 f. 372 BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 Rn. 24 (m. Anm. R. Koch LMK 2017 392034); BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90, 91. 373 BGH 22.7.2009 – IV ZR 265/06, VersR 2009 1485 Rn. 2. 374 OLG Frankfurt/M. 24.5.2007 – 3 U 144/06, RuS 2008 66 f. 375 OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 210/00, RuS 2002 106, 107 = VersR 2002 1020 (zu § 12 Abs. 2 a. F.). 376 OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 210/00, RuS 2002 106, 107 = VersR 2002 1020. 377 BGH 22.7.2009 – IV ZR 265/06, VersR 2009 1485 Rn. 2; OLG München 18.12.2015 – 25 U 1668/15, VersR 2016 1363, 1364; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 149. 378 OLG Celle 5.7.2012 – 8 U 28/12, BeckRS 2012 23251; OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 210/00, RuS 2002 106, 107 = VersR 2002 1020. 379 BGH 22.7.2009 – IV ZR 265/06, VersR 2009 1485 Rn. 3; BGH 13.12.2000 – IV ZR 279/99, VersR 2001 90, 91; BGH 12.12.1963 – II ZR 38/61, VersR 1964 156. 380 OLG München 5.10.1966 – 10 W 1168/66, NJW 1967 635, 636 = VersR 1967 76; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 21; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 151; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 30; a. A. OLG Oldenburg 25.4.1966 – 1 W 77/65, VersR 1966 1173. 381 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 24; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 76; vgl. auch OLG Hamm 13.7.1988 – 20 W 37+38/88, JurBüro 1989 523, 524; OLG Frankfurt – 17 W 17/83, JurBüro 1983 1086, 1087. 123

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

worden ist – um die nach verlorenem Haftpflichtprozess festgesetzten Kosten des Haftpflichtstreits.382 Dies gilt auch dann, wenn der Geschädigte den Deckungsanspruch nach der Abtretung oder aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses einklagt.383 Eine etwaige Selbstbeteiligung ist in Abzug zu bringen.384 Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Deckungsklageverfahren geltend gemachten Anspruches wirken dagegen auch dann nicht werterhöhend, wenn sie dem Deckungsanspruch hinzugesetzt werden.385 Anders verhält es sich mit vorprozessualen Sachverständigenkosten und Kostenpauschalen.386 Bei der Feststellungsklage richtet sich die Wertbemessung nach § 3 ZPO. Ausgangspunkt ist 173 wiederum der Nominalbetrag des geltend gemachten Haftpflichtanspruchs. Die versicherungsrechtliche Rechtsprechung387 nimmt bei einer (positiven) Feststellungsklage des VN in der Praxis einen Abschlag von 20 % vor. Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang vom „Feststellungsrabatt“.388 Ob ein Abschlag in dieser Höhe gerechtfertigt ist, scheint jedoch fraglich, da es für die Festsetzung des Streitwerts maßgeblich auf die Realisierbarkeit des festzustellenden Anspruchs ankommt. Deshalb bemisst die Rechtsprechung den Streitwert bei einer Feststellungsklage auch danach, wie hoch oder gering das Risiko einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Feststellungskläger ist.389 Im Hinblick darauf, dass von einem unterliegenden VR anzunehmen ist, dass er einen Versicherungsfall auch auf ein Feststellungsurteil hin ordnungsgemäß reguliert, ist das wirtschaftliche Interesse des VN an der Feststellung, dass Versicherungsschutz besteht, sehr hoch.390 Berücksichtigt man zudem die wirtschaftliche Lage des VR, scheinen Abschläge vom Nominalbetrag der Haftpflichtforderung sachlich nicht gerechtfertigt, da der weniger weit tragenden, weil in der Hauptsache nicht vollstreckungsfähigen Wirkung eines Feststellungsurteils gegenüber einem Leistungsurteil keine Bedeutung zukommt.391 Ebenso wie bei der (negativen) Feststellungsklage des VR gegen den VN392 ist somit bei der (positiven) Feststellungsklage kein Abschlag vorzunehmen. 174 Die Begründetheit der geltend gemachten Haftpflichtansprüche ist bei der Bemessung des Streitwertes der Deckungsklage grundsätzlich nicht zu prüfen. Illusionäre oder offensichtlich unbegründete Ansprüche müssen aber bei der Streitwertberechnung außer Betracht bleiben.393

382 383 384 385 386 387

Vgl. BGH 21.1.1976 – IV ZR 123/74, VersR 1976 477, 478. Vgl. BGH 21.1.1976 – IV ZR 123/74, VersR 1976 477, 478. OLG Frankfurt/M. – 17 W 17/83, JurBüro 1983 1086, 1087. BGH 30.1.2007 – X ZB 7/06, VersR 2007 1102. BGH 13.2.2007 – VI ZB 39/06, VersR 2007 1288. Vgl. BGH 22.7.2009 – IV ZR 265/06, VersR 2009 1485; BGH 23.9.1965 – II ZR 234/63, NJW 1965 2298; BGH 16.10.1961 – III ZR 136/61, VersR 1961 1094, 1095; OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Frankfurt 30.10.1992 – 22 U 256/90, BeckRS 1992 09161; LG Schweinfurt 25.10.1976 – 2 O 74/76, BeckRS 1976 01012; vgl. auch BGH 26.10.2011 – IV ZR 141/10, VersR 2012 204 (Rechtsschutzversicherung). 388 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 24; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 76; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 183. 389 Vgl. BGH 22.1.2009 – IX ZR 235/08, NJW 2009 920 f.; BGH 13.12.2000 – IV ZR 279/99, NJW-RR 2001 316, 317; BGH 28.11.1990 – VIII ZB 27/90, NJW-RR 1991 509; BGH 6.2.1958 – VII ZR 39/57, VersR 1958 318; a. A. BGH 3.2.1988 – VIII ZR 276/87, NJW-RR 1988 689 f. 390 Vgl. BGH 28.9.1999 – VI ZR 195/98, NJW 1999 3774, 3775; OLG Braunschweig 14.10.1993 – 1 U 16/93, NJW-RR 1994 1447; OLG Hamm 5.10.1977 – 20 U 160/75, VersR 1980 1061 (zur Leistungsbereitschaft von VR aufgrund von Feststellungsklagen). 391 Zu diesem Gesichtspunkt als Rechtfertigung für den Abschlag vgl. nur BGH 30.11.2011 – IV ZR 167/10, zitiert nach juris. 392 Vgl. auch OLG Hamm 13.7.1988 – 20 W 37+38/88, JurBüro 1989 523, 524. 393 OLG Hamm 13.7.1988 – 20 W 37+38/88, JurBüro 1989 523, 524; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 76. Koch

124

H. Abtretung und Pfändung/Überweisung des Freistellungsanspruchs

VVG § 100

H. Abtretung und Pfändung/Überweisung des Freistellungsanspruchs I. Geschädigter als Abtretungsempfänger oder Pfändungsgläubiger Hinsichtlich der Abtretung und Pfändung ist zwischen dem Anspruch auf Abwehr unbegründe- 175 ter und dem Anspruch auf Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen zu unterscheiden. Der Anspruch auf Abwehr ist untrennbar mit der Person des VN verbunden und als solcher nach § 399 Alt. 1 BGB nicht abtretbar und nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbar.394 Auch der Freistellungsanspruch ist mit Rücksicht auf die Natur des Haftpflichtversicherungsverhältnisses an die Person des VN gebunden.395 Nur der Freizustellende selbst, d. h. der VN, kann die Leistung verlangen. Es ist jedoch seit langem in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Abtretung eines Freistellungsanspruchs trotz § 399 Alt. 1 BGB zulässig ist, wenn sie an den Geschädigten als Gläubiger der Haftpflichtforderung, von welcher der VN zu befreien ist, bewirkt wird. Auch der Gesetzgeber ist von der Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs an den geschädigten Dritten ausgegangen, wie das Abtretungsklauselverbot in 108 Abs. 2 deutlich macht (argumentum e contrario). In der Person des Geschädigten wandelt sich der Anspruch auf Freistellung in einen Zahlungsanspruch um. Ein Verbot der Abtretung an den Geschädigten kann wirksam nur noch individualvertraglich vereinbart werden (§ 399 Alt. 2 BGB). In diesem Fall erlangt der Geschädigte erst nach Pfändung und Überweisung zur Einziehung (§§ 829, 835, 836 ZPO) einen Zahlungsanspruch gegen den VR, da das Abtretungsverbot einer Pfändung nicht entgegensteht (§ 851 Abs. 2 ZPO).

II. Unbeteiligte Vierte Die Abtretung an eine Person, die nicht am Haftpflichtversicherungsverhältnis beteiligt ist, 176 scheitert nach dem zuvor Gesagten an § 399 Alt. 1 BGB; sie ist erst dann möglich, wenn sich der Freistellungsanspruch nach Befriedigung des geschädigten Dritten durch den VN in einen Zahlungsanspruch des VN (vgl. § 106 S. 2) umgewandelt hat.396 Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unabtretbarkeit der Freistellungsforderung an einen unbeteiligten Vierten ist für den Fall zu machen, dass der geschädigte Dritte der Abtretung zustimmt.397 Mit der Zustimmung zur Abtretung wandelt sich der Freistellungsanspruch des VN in einen Zahlungsanspruch des unbeteiligten Vierten um. Ist die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Geschädigten erfüllungshalber erfolgt, scheitert eine Weiterabtretung des Dritten an einen Vierten jedoch im Hinblick darauf, dass der Dritte die Stellung eines treuhänderisch gebundenen Inhabers der erfüllungshalber abgetretenen Forderung einnimmt,398 an § 399 Alt. 1 BGB.399

III. Versicherte Personen Nach § 45 Abs. 1 steht bei der Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung die Ausübung 177 der dem Versicherten nach § 44 Abs. 1 S. 1 zustehenden Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausschließlich dem VN zu (vgl. auch Ziff. 27.2 AHB 2016). Hier stellt sich die Frage, ob der VN 394 Allg. M., Landheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 89; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 31; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 22 ff.; Armbrüster RuS 2010 441, 449.

395 Vgl. BGH 12.10.2011 – IV ZR 163/10, RuS 2012 74, 75 zum Anspruch des VN auf Kostenfreistellung in der Rechtsschutzversicherung. 396 BGH 30.10.1954 – II ZR 131/53, BGHZ 15 154, 158 = NJW 1955 101; RG 5.2.1909 – VII 186/08, RGZ 70 259. 397 BeckOK BGB/Rohe § 399 Rn. 5. 398 Vgl. BeckOK BGB/Dennhardt § 364 Rn. 4; Staudinger/Olzen § 364 Rn. 23; MüKo-BGB/Fetzer § 364 Rn. 12. 399 Vgl. MüKo-BGB/Roth/Kieninger § 399 Rn. 14; einschränkend BGH 5.5.2010 – III ZR 209/09, NJW 2010 2197, 2198. 125

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

den Freistellungsanspruch in Ausübung seiner Rechtsmacht an den Geschädigten – ggf. gegen den Willen des Versicherten – abtreten kann. Bedenken könnten sich daraus ergeben, dass nach der Rechtsprechung mit Eintritt des Versicherungsfalles ein gesetzliches Treuhandverhältnis zwischen VN und den betroffenen versicherten Personen entsteht. Die treuhänderische Bindung des VN gegenüber dem Versicherten dürfte jedoch in der Haftpflichtversicherung kein umfassendes Verbot der Abtretung des Freistellungsanspruchs des Versicherten nach § 399 Alt. 1 BGB zur Folge haben, da die Versicherungsleistung letztlich dem geschädigten Dritten zugutekommen soll. Die Rechtsstellung des Versicherten wird hinreichend dadurch geschützt, dass ihm der VN weiterhin aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis verpflichtet bleibt, das durch eine erfüllungshalber erfolgte Abtretung des Freistellungsanspruchs in seinem Bestand nicht berührt wird. Zu beachten ist, dass eine Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs der versicherten Person durch den Geschädigten ins Leere gehen, wenn sie ohne Zustimmung des VN erfolgt. Fehlt es daran, muss der Geschädigte außerdem die Ansprüche der versicherten Person gegen den VN auf Einwilligung in die Auszahlung an ihn pfänden und sich überweisen lassen.400

IV. Besonderheit in der D&O-Versicherung von Innenhaftungsansprüchen 1. Problemstellung 178 In der D&O-Versicherung von Innenhaftungsansprüchen besteht die Besonderheit, dass die VN zugleich geschädigter Dritte ist. Lässt man hier eine Abtretung des Freistellungsanspruchs der versicherten Person zu, könnte sich die VN einen auf Zahlung gerichteten Deckungsanspruch gegen den VR verschaffen, indem sie von ihrer Verfügungsbefugnis aus § 45 Abs. 1 Gebrauch macht und den Freistellungsanspruch der versicherten Person an sich selbst abtritt. Im Hinblick darauf, dass die VN die Stellung eines gesetzlichen Treuhänders einnimmt, hätte sie das Verbot des § 181 BGB zu beachten,401 weil ein Interessengegensatz zwischen der VN und der versicherten Person insb. dann, wenn die Abtretung nicht an Erfüllungs statt, sondern – wie im Regelfall – erfüllungshalber erfolgt, nicht ausgeschlossen ist. Insoweit ist die Stellung der VN als Treuhänder der von Trägern eines privaten Amts (Testamentsvollstrecker, Nachlass- und Insolvenzverwalter) durchaus vergleichbar, für welche die entsprechende Anwendung des § 181 BGB anerkannt ist.402 Für die Wirksamkeit der Abtretung bedarf es deshalb der Zustimmung (Einwilligung, Genehmigung) der versicherten Person.

2. Meinungsstand 179 Die Möglichkeit, sich selbst einen auf Zahlung gerichteten Deckungsanspruch zu verschaffen und auf diese Weise in das Ermessensrecht des VR bezüglich Abwehr oder Befriedigung einzugreifen, ist in der Rechtsprechung403 und Literatur404 auf Ablehnung gestoßen. Zur Begründung wird zum einen auf allgemeine bürgerlich-rechtliche Grundsätze verwiesen und argumentiert, 400 Vgl. OLG München 29.3.1999 – 30 U 761/98, RuS 2000 58; OLG Düsseldorf 29.10.1996 – 4 U 197/95, VersR 1997 1475; Bruck/Möller/Brand9 § 44 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 8. 401 Vgl. Ramharter Rn. 3/45 (zur Rechtslage in Österreich). 402 Vgl. BGH 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113 262, 270 = NJW 1991 982; BGH 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108 21, 24 = NJW 1989 2694; KG 3.2.2004 – 1 W 244/03, NJW-RR 2004 1161, 1162; Palandt/Ellenberger § 181 Rn. 3. 403 OLG Köln 2.9.2008 – 9 U 151/07, VersR 2008 1673, 1674 f.; LG Marburg 3.6.2004 – 4 O 2/03, DB 2005 437. 404 Z. B. MAH/Sieg § 17 Rn. 185; Lange RuS 2011 185, 194 f.; ders. VersR 2008 713, 714 f.; R. Koch ZVersWiss 2012 151, 156; ders. GmbHR 2004 18, 24; Schramm PHi 2008, 24 f.; Schimmer VersR 2008 875, 877 ff.; Armbrüster RuS 2010 441, 448. Koch

126

I. Bereicherungsansprüche

VVG § 100

der Dritte könne nur in die Stellung der versicherten Person eintreten und müsse sich deshalb gem. § 404 BGB den Einwand des „Erfüllungswahlrechts“ – Freistellung oder (zunächst) Anspruchsabwehr – des VR entgegenhalten lassen. Hiergegen lässt sich aber einwenden, dass das Ermessensrecht des VR nur in den Grenzen des § 399 BGB, nicht aber durch § 404 BGB geschützt wird (§ 108 Rn. 46).405 Zum anderen wird vertreten, den Anwendungsbereich des § 108 Abs. 2 teleologisch dahin 180 gehend zu reduzieren, dass unter den Begriff des Dritten nur außerhalb des Vertragsverhältnisses stehende Personen fallen.406 Dieser Reduktion ist vor allen Dingen aus rechtssystematischen Gründen nicht zu folgen (§ 108 Rn. 36) und sie ist vom BGH mittlerweile zu Recht abgelehnt worden.407 Die VR sichern ihr Ermessensrecht in der Praxis zumeist dadurch ab, dass sie abweichend von § 45 Abs. 1 VVG nicht dem VN, sondern den versicherten Personen die Verfügungsbefugnis geben (vgl. A-1.8 AVB D&O). Ohne Mitwirkung der versicherten Person in Form der Abtretung des Freistellungsanspruchs kann sich der VN somit nicht das Recht zur Direktklage gegen den VR verschaffen. Es bleibt jedoch zu klären, wie die Rechtslage ist, wenn es an einer solchen vertraglichen Regelung fehlt.

3. Stellungnahme In ihrer Eigenschaft als Vertragspartei kann sich die VN keine weitergehende Rechtsstellung 181 verschaffen als die versicherten Personen, da nur deren Haftpflichtinteresse in der D&O-Versicherung versichert ist. Diese haben die Rechte aus § 100 auf Prüfung des Haftpflichtanspruchs, Abwehr oder Freistellung. Einen auf Zahlung gerichteten Anspruch haben die versicherten Personen, wenn sie den begründeten Haftpflichtanspruch der VN befriedigen (vgl. § 106 S. 2). Insoweit ist der VN nur dann ein Anspruch auf Zahlung zuzubilligen, wenn sie den Freistellungsanspruch an sich selbst an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 1 BGB) abtritt, weil hierdurch ihr Haftpflichtanspruch erfüllt wird. Eine Abtretung erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) genügt nicht.

I. Bereicherungsansprüche Bereicherungsansprüche des VR kommen in Betracht, wenn er Zahlungen an den Dritten oder 182 an den VN erbracht hat, bevor der Haftpflichtanspruch mit bindender Wirkung festgestellt worden ist und sich später herausstellt, dass die Haftpflichtschuld des VN gegenüber dem Dritten nicht oder jedenfalls nicht in der angenommenen Höhe bestand (fehlender Rechtsgrund im Haftpflichtverhältnis) und/oder er im Innenverhältnis gegenüber dem VN (teilweise) leistungsfrei ist (fehlender Rechtsgrund im Versicherungsverhältnis). In all diesen Konstellationen stellt sich die Frage, ob und von wem der VR kondizieren kann.

I. Fehlender Rechtsgrund im Haftpflichtverhältnis 1. Zahlung an den geschädigten Dritten Liegt im Haftpflichtverhältnis eine Überzahlung an den Dritten vor, kann der VR nach Ansicht 183 des vornehmlich älteren Schrifttums nur gegen den VN nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB vorge405 R. Koch RuS 2009 133, 135; vgl. Armbrüster RuS 2010 441, 449; von Rintelen RuS 2010 133, 136. 406 Schimmer VersR 2008 875, 878 f.; Armbrüster RuS 2010 441, 448. 407 Vgl. auch BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 Rn. 27; BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34. 127

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

hen. Zur Begründung wird angeführt, der VR handle und leiste regelmäßig im Namen des VN, also als dessen Stellvertreter.408 Der VN sei jedoch – je nach Weisung des VR – gehalten, seinen Bereicherungsanspruch an den VR abzutreten oder ihn gerichtlich im eigenen Namen für Rechnung des VR geltend zu machen.409 Nur wenn der VR nicht als Vertreter, sondern als echter Dritter i. S. d. § 267 BGB gehandelt habe, entstehe ein Bereicherungsanspruch in der Person des VR.410 Es sei von einer Vermutung tatsächlicher Art auszugehen, dass der VR nicht im eigenen, sondern für den VN in dessen Namen gehandelt habe. 184 Demgegenüber haben verschiedene Senate des BGH eine Drittzahlung des VR bejaht und folglich dem VR einen unmittelbaren Kondiktionsanspruch gegen den Dritten zugebilligt.411 Zur Begründung hat der XII. Zivilsenat des BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 28.11.1990 u. a. Folgendes ausgeführt:412 „Das Berufungsgericht hat angenommen, nicht der Kläger [=VR], sondern der frühere [als Schädiger in Anspruch genommene] Zweitbeklagte sei als Leistender anzusehen; er habe sich des Klägers als seines ‚Anweisungsempfängers‘ bedient. Dem kann indessen nicht gefolgt werden. Ein sogenannter Anweisungsfall (vgl. …) liegt nicht vor. Nach der (…)Feststellung des Berufungsgerichts wollte der Kläger durch die Zahlung eine Haftpflichtschuld des früheren Zweitbeklagten gegenüber der W.-GmbH erfüllen. Zu dieser Freistellung seines Versicherungsnehmers glaubte er sich aufgrund des fehlerfreien Deckungsverhältnisses (Versicherungsvertrag mit den Architekten) verpflichtet. Damit leistete er – wie Haftpflichtversicherer bei Zahlung an den Gläubiger regelmäßig – nicht auf eigene Schuld, sondern auf die Schuld des Versicherungsnehmers. Eine Leistung des Haftpflichtversicherers auf eigene Schuld kommt nur ausnahmsweise in Betracht, so gemäß dem Pflichtversicherungsgesetz oder nach einem den Versicherer selbst verpflichtenden Vergleich (vgl. …). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Das bedeutet aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht, daß der Kläger auf Anweisung des früheren Zweitbeklagten gezahlt hat. Dieser hatte ihm nur mitgeteilt, daß er von dem Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werde, also den Versicherungsfall gemeldet, und die Ansicht geäußert, das Verlangen sei berechtigt. Darin liegt keine Anweisung, nicht einmal im weiteren Sinne eine Weisung. Eine solche steht dem Versicherungsnehmer auch nicht zu, und der Haftpflichtversicherer würde sie nicht zu befolgen brauchen. Vielmehr prüft der Versicherer, ehe er eine Zahlung an den Gläubiger leistet, außer dem Versicherungsvertrag (Deckungsverhältnis) auch die Berechtigung der Forderung des Gläubigers gegen den Versicherungsnehmer. Erst wenn diese Prüfung des Valutaverhältnisses zu dem Ergebnis führt, daß dem Gläubiger die erhobene Forderung zusteht, zahlt der Versicherer auf die Schuld seines Versicherungsnehmers. Dem entspricht die Handhabung im vorliegenden Fall. Als der frühere Zweitbeklagte mitteilte, der Beklagte mache ihn haftpflichtig, hat der Kläger geprüft, ob der Anspruch bestand. Dabei sind ihm Zweifel an der Sachbefugnis des Beklagten gekommen. Diese hat der Kläger nach weiteren Angaben des Beklagten für ausgeräumt gehalten, sich deshalb zur Zahlung auf die vermeintliche Schuld des früheren Zweitbeklagten entschlossen und an den Beklagten gezahlt.“ [Klammerzusätze und Hervorhebung durch den Verfasser]

Diese Begründung überzeugt. Zu beachten ist, dass es sich bei der Leistungshandlung nicht um ein Rechtsgeschäft, sondern um einen Realakt handelt, sodass es für die Einordnung des VR als Dritter i. S. v. § 267 BGB nicht davon abhängen kann, ob der VR gerade „im Namen“ des

408 K. Sieg ZVersWiss 1965 358, 370; Schirmer 87 f.; Baumann ZVersWiss 1970 193, 195; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 67; Späte § 3 Rn. 25; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 149 Rn. 47; aus dem aktuellem Schrifttum Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 88. 409 K. Sieg 216. 410 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 88. 411 BGH 29.2.2000 RuS 2000 264; BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113 62, 68 ff. = NJW 1991 919; vgl. auch BGH 16.2.2017 – IX ZR 165/16, NJW 2017 3376 Rn. 11 (Rechtsschutzversicherung); zustimmend OLG Frankfurt/M. 11.10.2010 VersR 2011 390, 392; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 44; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 205; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 77. 412 BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113 62, 65 f. = NJW 1991 919. Koch

128

I. Bereicherungsansprüche

VVG § 100

Schuldners leistet.413 Für die Person des Dritten kommt es vielmehr darauf an, ob der VR die Leistung an den Gläubiger aus eigenem Antrieb für den Schuldner bewirkt oder ob er nur Erfüllungsgehilfe des Schuldners i. S. d. § 278 S. 1 Alt. 2 BGB ist.414 Zu Recht weist der BGH darauf hin, dass die Zahlung des VR in der freiwilligen Haftpflicht- 185 versicherung nicht auf Veranlassung des VN erfolgt. Der VR nimmt die Zahlung vielmehr erst nach Prüfung des Versicherungsvertrages (Deckungsverhältnis) und der Berechtigung der Forderung des Dritten gegen den VN vor. Erst wenn diese Prüfung des Valutaverhältnisses zu dem Ergebnis führt, dass dem Dritten die geltend gemachte Forderung zusteht, zahlt der VR auf die Schuld des VN.415 Dabei bewirkt der VR die Zahlung nicht als Erfüllungsgehilfe des VN, sondern aus eigenem Antrieb in Erfüllung seiner Rechtspflicht gegenüber dem VN aus § 100. Es handelt sich somit um eine (Dritt-)Leistung des VR. Nichts anderes gilt, wenn der VN den Freistellungsanspruch vor der Zahlung des VR an den Dritten abgetreten hat. Auch hier erfolgt der Bereicherungsausgleich zwischen dem VR und dem Dritten.

2. Zahlung an den VN Leistet der VR nicht an den geschädigten Dritten, sondern an den VN – sei es mit Zustimmung 186 des Dritten, sei es nach Erfüllung des Anspruchs des Dritten durch den VN – erfolgt der Bereicherungsausgleich nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zwischen VR und VN.

II. Fehlender Rechtsgrund im Versicherungsverhältnis 1. Zahlung an den geschädigten Dritten Dagegen kann der geschädigte Dritte nicht aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Berei- 187 cherung in Anspruch genommen werden, wenn der VR an ihn geleistet hat, obwohl kein Versicherungsschutz bestand oder dieser nachträglich entfallen ist. Dies rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass der VR – auch bei fehlendem Direktanspruch – aufgrund der uneingeschränkten Verhandlungsvollmacht aus Ziff. 5.2 AHB 2016 – der maßgebliche Ansprechpartner des Geschädigten ist; dieser soll – so der BGH – „sich auf das Wort des VR verlassen können, ohne von sich aus nachforschen zu müssen, ob der VR seinem VN, dem Schädiger, gegenüber (teilweise) leistungsfrei ist“.416 Aus der Sicht des Geschädigten sind ihm gegenüber erbrachte Zahlungen deshalb dahin zu verstehen, dass der VR seinem VN gegenüber deckungspflichtig ist und in dessen Namen den Haftpflichtanspruch anerkennt.417 Dies schließt es nach Ansicht des BGH aus, dass der VR sich dem Geschädigten gegenüber auf ihm bis dahin bekannte Einwendungen aus dem Deckungsverhältnis berufen kann. Die Leistung des VR für den VN verbleibt also bei dem Dritten. Bereicherungsschuldner ist der VN, weil er durch seinen VR von einer Haftpflichtschuld befreit worden ist, ohne dass gegen diesen ein Freistellungsanspruch bestanden

413 Vgl. Staudinger/Bittner (2019) § 267 Rn. 5. 414 Vgl. Staudinger/Bittner (2019) § 267 Rn. 5; MüKo-BGB/Krüger § 267 Rn. 9 f. 415 BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113 62, 68 ff. = NJW 1991 919; BGH 29.2.2000 – VI ZR 47/99, RuS 2000 264; OLG Frankfurt/M. 11.10.2010 – 21 U 56/08, VersR 2011 390, 392. 416 BGH 19.11.2008 – IV ZR 293/05, NJW-RR 2009 382, 383; BGH 11.10.2006 – IV ZR 329/05, BGHZ 169 232, 237 f. = NJW 2007 69; BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113 62, 65 f. = NJW 1991 919; BGH 7.10.2003 – VI ZR 392/02, NJW-RR 2004 109, 110 = VersR 2003 1547. 417 Zur Rechtsnatur des Anerkenntnisses vgl. BGH 19.11.2008 – IV ZR 293/05, NJW-RR 2009 382, 38; BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113 62, 65 f. = NJW 1991 919. 129

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

hat.418 Daran ändert sich auch nichts im Fall des Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1419 oder infolge der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten.420 188 Nach Urteil des RG vom 23.4.1940421 bleibt eine vom VR im eigenen Namen gegenüber dem geschädigten Dritten übernommene Verpflichtung auch dann rechtsbeständig, wenn sich für den VR nachträglich herausstellt, dass er gar keinen Versicherungsschutz zu leisten braucht.422 Soweit es sich dabei um eine Rentenzahlungsverpflichtung handelt, wird der VN demgemäß einem laufend neu entstehenden Bereicherungsanspruch ausgesetzt.

2. Leistung an den VN 189 Erbringt der VR Zahlungen an oder Rechtsschutzleistungen für den VN, richtet sich der Bereicherungsanspruch gegen diesen. Der VN kann sich gegenüber dem Bereicherungsanspruch des VR nicht erfolgreich mit der Einlassung verteidigen, dass er deshalb nicht bereichert sei, weil ein anderer VR im Risiko gewesen sei, der nunmehr mit Rücksicht auf die Leistung des zu Unrecht von seiner eigenen Leistungspflicht ausgehenden ersten VR nichts mehr zu erbringen habe. Die Bereicherungsschuld tritt dann an die Stelle der Haftpflichtverbindlichkeit, sodass der VN durch die Erfüllung der Bereicherungsschuld in seinen Rechten als VN gegenüber dem anderen VR nicht beeinträchtigt wird.423 Dagegen soll der VR bereits erbrachte Zahlungen nicht nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückverlangen können, wenn er wegen einer erst nach der Zahlung begangenen Obliegenheitsverletzung des VN leistungsfrei wird.424 Dies begründet der BGH damit, dass der Gedanke, dass ein Vertragspartner eine empfangene Leistung, die ihm zum Zeitpunkt der Erfüllung auch zugestanden habe, wegen einer nachträglichen Pflichtverletzung herauszugeben hätte, dem Bürgerlichen Recht fremd sei.425

III. Doppelmangel 190 Soweit ein Fall des sogenannten Doppelmangels vorliegt, wenn also sowohl eine Überzahlung im Haftpflichtverhältnis als auch die hier erörterte Alternative des Nichtbestehens des Versicherungsschutzes gegeben sind, ist dem VR ein unmittelbarer Anspruch gegen den geschädigten Dritten zuzubilligen.426

IV. Kondiktionsausschluss (§ 814 BGB) 191 Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Der Leistende muss nicht nur sämtliche Umstände gekannt haben, aus denen sich seine fehlende Leistungsverpflichtung ergibt, sondern auch positive Kenntnis davon gehabt haben, 418 BGH 5.3.1964 VersR 1964 474; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 77; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 45; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 89; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 206; K. Sieg 216.

419 Vgl. OLG Hamm 17.12.2015 – 6 U 139/14, VersR 2016 1308, 1309. 420 Vgl. BGH 2.11.1988 BGHZ 105 365 = NJW 1989 900 (Rückforderung der an den Zessionar gezahlten Versicherungssumme in der Feuerversicherung). RG 23.4.1940 – VII 206/39, JRPV 1940 100, 101. Vgl. dazu K. Sieg 186 ff. BGH 5.3.1964 – II ZR 220/62, VersR 1964 474; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 90. BGH 2.10.1985 – IVa ZR 18/84, VersR 1986 77, 79; OLG Hamm 28.11.1990 – 20 U 174/89, VersR 1991 1168. BGH 2.10.1985 – IVa ZR 18/84, VersR 1986 77, 79; OLG Hamm 28.11.1990 – 20 U 174/89, VersR 1991 1168. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 46; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 77; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 88; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 207; K. Sieg 216 f.

421 422 423 424 425 426

Koch

130

J. Beweislast

VVG § 100

dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Dabei genügt es nicht, dass dem Leistenden die Tatsachen bekannt sind, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt; der Leistende muss vielmehr aus diesen Tatsachen auch eine im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben. Stellt sich eine rechtliche Einschätzung später als fehlerhaft heraus, ist § 814 BGB nicht anwendbar.427 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Kenntnis ist der Zeitpunkt der Leistung.428 Bloße Zweifel des VR am Bestehen des Haftpflicht- oder Versicherungsanspruchs stehen 192 einem Bereicherungsanspruch gegen den Dritten oder den VN somit grundsätzlich nicht entgegen. Entscheidend für den Kondiktionsausschluss nach § 814 BGB ist jedoch, wie das Verhalten des VR aus der Sicht des Zahlungsempfängers objektiv zu verstehen ist.429 Bringt der VR trotz unklarer Rechtslage bestehende Zweifel gegenüber dem Dritten oder dem VN nicht zum Ausdruck, dürfen diese in der Regel annehmen, dass der VR den Fall abschließend regulieren und bereits geleistete Zahlungen auch für den Fall neuer Erkenntnisse nicht zurückfordern will.430 Dies gilt insbesondere für den Fall, dass bei unverändertem Sachverhalt dieser etwa i. S. v. § 28 Abs. 2 unterschiedliche Wertungen in der Abwägung zulässt.431 Um sicherzugehen, dass die Rückforderung nicht nach § 814 BGB gesperrt ist, muss der VR 193 die Zahlung ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Rückforderung erbringen.432 In diesem Fall ist dem Empfänger die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung in entsprechender Anwendung des § 820 Abs. 1 S. 1 BGB genommen.433 Die Formulierung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ ist dagegen problematisch, da sie auch in dem Sinn verstanden werden kann, dass der VR die Auffassung vertritt, nur im geleisteten Umfang zur Zahlung verpflichtet zu sein.434 Will der VR in den Fällen, in denen ein Ausschlusstatbestand in Rede steht, der mangels Voraussetzungsidentität von Haftung und Deckung nicht mit bindender Wirkung für den VR vom Haftpflichtrichter festgestellt werden kann, sichergehen, dass er die Kosten der Anspruchsabwehr zurückfordern kann, wenn im Deckungsprozess das Vorliegen des Ausschlusses festgestellt wird, muss er die Rechtsschutzleistungen ebenfalls unter Rückforderungsvorbehalt erbringen (Rn. 46).

J. Beweislast Hinsichtlich der Verteilung der Beweislast gelten die allgemeinen Regeln. Danach trägt jeder 194 die Darlegungs- und Beweislast für die ihm günstigen Tatsachen. Der VN muss somit dartun und beweisen, dass er aus einem im Versicherungsvertrag unter Versicherungsschutz gestellten Rechtsverhältnis haftpflichtig gemacht wird. Sekundäre Risikobeschränkungen in Form von 427 St. Rspr., vgl. BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113 62, 70 = NJW 1991 919; BGH 23.10.1980 – IVa ZR 45/ 80, NJW 1981 277, 278; OLG Frankfurt/M. 11.10.2010 – 21 U 56/08, VersR 2011 390, 392; OLG Köln 3.4.2009 – 20 U 168/08, NJW-RR 2010 244; OLG Schleswig 18.5.2001 – 14 U 153/00, BeckRS 2001 30181815. 428 St. Rspr., vgl. BGH 10.3.2004 – IV ZR 75/03, RuS 2004 404, 405; OLG Frankfurt 11.10.2010 – 21 U 56/08, BeckRS 2010 30830; OLG Oldenburg 12.2.1992 – 2 U 215/91, RuS 1992 239, 240. 429 OLG Naumburg 8.11.2011 – 9 U 106/11, BeckRS 2011 27063; OLG Schleswig 18.5.2001 – 14 U 153/00, BeckRS 2001 30181815; OLG Koblenz 20.9.1983 – 3 U 1636/82, NJW 1984 134, 135; Palandt/Sprau § 814 Rn. 3. 430 Vgl. LG Baden-Baden 21.3.1986 – 2 O 447/85, RuS 1986 289, 290; vgl. auch LG Magdeburg 26.4.2011 – 10 O 75/ 10, BeckRS 2011 27062. 431 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 91; vgl. auch LG Baden-Baden 21.3.1986 – 2 O 447/85, RuS 1986 289, 290. 432 BGH 16.7.2003 – IV ZR 310/02, RuS 2003 378, 379; OLG Naumburg 8.11.2011 – 9 U 106/11, BeckRS 2011 27063; OLG Koblenz 14.1.2010 – 10 U 411/09, RuS 2011 120, 121. 433 OLG Köln 27.9.2016 – 9 U 26/16, VersR 2017 478, 481; vgl. auch BGH 20.10.2005 – III ZR 37/05, NJW 2006 286, 288; BGH 8.6.1988 – IVb ZR 51/87, NJW 1989 161, 162 (nicht versicherungsrechtliche Fälle). 434 OLG Naumburg 8.11.2011 – 9 U 106/11, BeckRS 2011 27063; OLG Koblenz 20.9.1983 – 3 U 1636/82, NJW 1984 134; LG Magdeburg 26.4.2011 – 10 O 75/10, BeckRS 2011 27062 (Vorinstanz); vgl. aber auch BGH 16.7.2003 – IV ZR 310/02, RuS 2003 378, 379; zur Mehrdeutigkeit dieser Formulierung Filthaut VersR 1997 525, 526 f. 131

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

Ausschlüssen hat der VR zu beweisen. Letzteres gilt auch für Obliegenheitsverletzungen, auf die sich der VR gegenüber dem VN zum Zwecke der (teilweisen) Leistungsfreiheit beruft.435 195 Im Hinblick darauf, dass der VR auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche schuldet, gelten jedoch Besonderheiten, soweit die Haftpflichtigkeit des VN nicht (rechtskräftig) festgestellt worden ist. So bedarf es zur Entstehung des Rechtsschutzanspruchs nicht des Nachweises, dass die Forderung des Dritten berechtigt ist oder dass die von der Gegenseite zur Begründung der Haftpflicht aus dem versicherten Rechtsverhältnis oder der versicherten Eigenschaft behaupteten Tatsachen zutreffen. Behauptet der Dritte (innere oder äußere) Tatsachen, die den Versicherungsschutz für den erhobenen Anspruch nachteilig berühren, kommt es für die Entstehung des Rechtsschutzanspruchs auf die Angaben des VN an, soweit diese nicht offenkundig falsch sind. Die Angaben des VN müssen – ihre Wahrheitsgemäßheit unterstellt – einen versicherten Haftpflichtanspruch begründen können. 196 Geht es um die Rückforderung von Leistungen, die der VR an den VN oder den geschädigten Dritten bereits erbracht hat, trägt der VR die Beweislast für die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.436 Er muss darlegen und beweisen, dass er die nunmehr zurückgeforderte Leistung ohne Rechtsgrund erbracht hat, weil der Haftpflichtanspruch und/ oder der Versicherungsanspruch nicht besteht.437 Beruft er sich gegenüber dem VN auf (teilweise) Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung, obliegt dem VR – anders als im Prozess des VN auf Versicherungsleistung – die Darlegungs- und Beweislast für die nachteiligen Folgen einer Obliegenheitsverletzung.438 Er hat nicht nur den Vorsatzbeweis zu führen, sondern auch den Kausalitätsgegenbeweis.439 197 Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ändert sich nicht dadurch, dass der VR Leistungen unter dem Vorbehalt des Bestehens der noch nicht endgültig geprüften Forderung erbringt.440 Entgegen Lücke muss der Empfänger (VN oder Dritter) die Leistung als ordnungsmäßige Erfüllung gegen sich gelten lassen und darf sie nicht zurückweisen.441 Zu Recht weist der BGH darauf hin, dass ein Schuldner mit einem solchen Vorbehalt im allgemeinen nicht die Erfüllungswirkung des § 362 BGB infrage stellen will, sondern lediglich dem Verständnis seiner Leistung als Anerkenntnis entgegentreten und die Wirkung des § 814 BGB ausschließen will, um sich die Möglichkeit offenzuhalten, das Geleistete gem. § 812 BGB zurückzufordern.442

K. Abdingbarkeit 198 § 100 zählt nicht zu den nach § 112 halbzwingend Vorschriften. Formularvertragliche Abweichungen, die für den VN nachteilig sind, sind – wie auch sonst üblich – an § 307 BGB zu messen. Dies gilt nicht nur im Falle einer Einschränkung der Leistungspflichten, sondern entgegen der Rechtsprechung des BGH auch in Bezug auf die Definition des Versicherungsfalles, die nach dem Willen des Gesetzgebers den Parteien des Versicherungsvertrages überlassen bleiben soll (Rn. 13 ff.). Eine vollständige Abbedingung des Rechtsschutzanspruchs oder des Freistellungsanspruchs bei der Versicherung von Gefahren des täglichen Lebens oder betrieblichen Risiken ist sicherlich überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB, gefährdet den Vertragszweck i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB und weicht auch von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Rege435 BGH 21.2.1957 – II ZR 175/55, BGHZ 23 358 = NJW 1957 907; BGH 22.6.1967 – II ZR 217/64, VersR 1967 769, 770. 436 BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, RuS 1993 333, 335; BGH 20.9.1982 – II ZR 186/81, NJW 1983 220, 221; BGH 21.10.1982 – VII ZR 369/80, NJW 1983 626; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 92. BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, RuS 1993 333, 335. BGH 10.10.2007 – IV ZR 95/07, VersR 2008 241, 242; BGH 14.12.1994 – IV ZR 304/93, VersR 1995 281, 282. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 92. BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, RuS 1993 333, 335; a. A. Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 210. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 93. BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, RuS 1993 333, 335; vgl. auch BGH 8.2.1984 – IV b ZR 52/82, NJW 1984 2826, 2827.

437 438 439 440 441 442

Koch

132

L. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 100

lung ab (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). In der D&O-Versicherung eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH sind sog. Eigenschadensklauseln, denen zufolge der Versicherungsschutz nicht den Teil des Schadensersatzanspruchs umfasst, welcher der Quote einer etwaigen Beteiligung der versicherten Person an der VN entspricht, sowohl überraschend als auch vertragszweckgefährend i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.443 Nachmeldefristen in „claims made“-basierten Deckungen müssen so lang bemessen sein, dass sie dem durchschnittlichen Zeitraum zwischen Pflichtverletzung und Anspruchserhebung Rechnung tragen, so dass auch für Haftpflichtansprüche Schutz besteht, die innerhalb dieses Zeitraums nach der Beendigung des Vertrages erhoben werden.444 Soweit Haftpflichtversicherungsschutz als Annex einer Aktivenversicherung angeboten wird (z. B. Transportversicherung, vgl. § 132 Abs. 2 S. 2),445 kommt § 100 kein Leitbildcharakter zu. Ist in der obligatorischen Haftpflichtversicherung zwingend das Verstoßprinzip vorge- 199 schrieben (z. B. § 51 Abs. 2 BRAO, § 45 Abs. 2 PAO, 15 Abs. 4 MaBV, § 12 Abs. 4 VersVermV; § 5 Abs. 2 RDV), sind Abweichungen hiervon wegen Verstoßes gegen § 114 Abs. 2 S. 1 nach § 134 BGB unwirksam.

L. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 100 ist § 149 VersVG, der auf § 149 VVG 200 zurückgeht und bestimmt, dass der VR verpflichtet ist, dem VN die Leistung zu ersetzen, die dieser auf Grund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat. Nach der Rechtsprechung des OGH hat der VN gegenüber dem VR – im Rahmen des abgeschlossenen Vertrags – einen Befreiungsanspruch, der ihn von den Folgen der Inanspruchnahme durch den geschädigten Dritten schützen soll. Der Versicherungsanspruch in der Haftpflichtversicherung ist aber nicht nur auf die Befreiung von begründeten Haftpflichtansprüchen gerichtet, vielmehr schließt er auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche ein. Der geschädigte Dritte hat – abgesehen von wenigen Ausnahmen – gegen den VR keinen direkten Anspruch, sondern ist auf eine Schadensersatzklage gegen den VN beschränkt.446 Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage nicht von der deutschen. Abweichend von der deutschen Rechtsprechung stellt der OGH bei der Frage, wessen Vor- 201 trag bei einander widersprechenden Darstellungen zur Begründung der Fälligkeit des Anspruchs auf Rechtsschutz maßgeblich ist, nicht auf den Vortrag des VN ab,447 sondern legt den Vortrag des (vermeintlich) Geschädigten zugrunde. Ein weiterer Unterschied besteht hinsichtlich der Bindungswirkung der Feststellungen im Haftpflichtprozess für den Deckungsprozess. Der VR ist an die Feststellungen zur Haftung des VN nur gebunden, wenn sich der VR am Haftpflichtprozess beteiligte oder vergeblich zur Nebenintervention aufgefordert wurde.448

443 R. Koch VersR 2020 1284, 1288; krit. Looschelders VersR 2021 337, 343; a. A. OLG Düsseldorf 26.6.2020 – I-4 U 134/18, VersR 2020 1307, 1313.

444 R. Koch VersR 2011 295, 298; vgl. auch Hans. OLG Hamburg 8.7.2015 – 11 U 313/13 VersR 2016 245, 246; OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329 ff.; OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08 RuS 2009 327 ff.; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 100 Rn. 14 (mind. dreijährige Nachmeldezeit erforderlich). 445 Vgl. OLG Karlsruhe 27.6.1996 – 12 U 313/94, VersR 1997 737, 739 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 198. 446 OGH 24.1.2018 – 7Ob211/17f, ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00211.17F.0124.000; OGH 2.9.2015 – 7Ob131/15p, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00131.15P.0902.000. 447 OGH 24.4.2019 – Ob142/18k, VersR 2020 520 f. m. Anm. R. Koch VbR 2019 171, 172 f.; Maier VersR 2020 511 f. 448 OGH 8.4.1997 – 1Ob2123/96d, ECLI:AT:OGH0002:1997:0010OB02123.96D.0408.000; OGH 25.1.1990 7 Ob 2/90, VersR 1990 1376; Perner Privatversicherungsrecht (2021) Kap. 7.66. 133

Koch

§ 100 VVG

Leistung des Versicherers

Zum anderen legt die österreichische Judikatur die primäre Risikobeschreibung in der privaten Haftpflichtversicherung sehr viel enger aus als die deutsche Rechtsprechung. Der OGH versteht unter der Formulierung „Gefahren des täglichen Lebens“ all jene Gefahren, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss.449 Es muss sich dabei nicht um Gefahren handeln, die täglich auftreten. Es genügt, wenn die Gefahren erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintreten. Es dürfe sich nur nicht um eine ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Vorhabens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nähmen.450 Dagegen entnimmt der BGH dieser Formulierung für sich genommen überhaupt keine Einschränkung des Versicherungsschutzes.451 203 Der OGH hat eine Gefahr des täglichen Lebens u. a. dann abgelehnt, wenn der VN die Schadenszufügung von vornherein plant,452 aktiv in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt wird und einen Unbeteiligten verletzt,453 dem noch am Boden Liegenden einen Fußtritt gegen den Kopf versetzt,454 eine schwere Körperverletzung im Zustand der vollen Berauschung verübt,455 sich aktiv in eine Handgreiflichkeit einmischt und dabei einem Kontrahenten einen „Schupfer“ versetzt, der weder Abwehrreaktion noch Reflexhandlung oder Schlichtungsversuch war und zu einer schweren Verletzung einer dritten Person führt,456 im Zuge der Abwehr eines tatsächlich oder fahrlässig irrtümlich angenommenen Angriffs seines Vaters aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet oder sich fahrlässig einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient und seinen Vater grob fahrlässig tötet457 oder infolge psychischer Erkrankung eine Messerattacke ausübt.458 Darüber hinaus hat der OGH auch in Fällen (bloß) fahrlässiger Handlungen das Vorliegen einer Gefahr des täglichen Lebens verneint, nämlich bei Schäden infolge unvorsichtiger Schweißarbeiten durch einen hierzu nicht ausgebildeten VN459 sowie infolge des Einsatzes einer „3-Mann-Wasserbombenschleuder“ in einer Wasserbombenschlacht.460

202

II. PEICL 204 Die PEICL beschreiben die Leistungspflichten des Haftpflicht-VR nicht. Art. 14:101 bestimmt lediglich, dass der VR die Kosten der Anspruchsabwehr zu tragen hat. Bezüglich des Versicherungsfalles unterscheiden die PEICL zwischen der Privathaftpflichtversicherung und der Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung. Gemäß Art. 14:107 Abs. 1 gilt für die Privathaftpflichtversicherung zwingend das Verstoßprinzip. Für die Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung gilt es nur dann, wenn die Parteien nicht etwas anderes vereinbart haben. 205 Soweit die Parteien das Anspruchserhebungsprinzip (Claims-made) vereinbart haben, sieht Art. 14:101 Abs. 2 S. 1 zwingend eine fünfjährige Nachmeldefrist vor. Daneben kann die Deckung ausgeschlossen werden, wenn dem Antragsteller bei Vertragsabschluss die Umstände, die Anlass zur späteren Inanspruchnahme gegeben haben, bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (Art. 14:101 Abs. 2 S. 2). 449 450 451 452 453 454 455 456 457 458 459 460 Koch

St. Rspr., vgl. OGH 29.5.2019 – 7Ob86/19a, ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00086.19A.0529.000. St. Rspr., vgl. OGH 29.5.2019 – 7Ob86/19a, ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00086.19A.0529.000. St. Rspr., vgl. BGH 28.10.2015 – IV ZR 269/14, VersR 2016 41 Rn. 22. St. Rspr., vgl. OGH 18.10.2017 – 7Ob145/17z, VersR 2018 834. OGH 26.2.2014 – 7Ob245/13z, VersR 2014 1355. OGH 29.5.2019 – 7Ob86/19a, ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00086.19A.0529.000. OGH 13.10.2016 – 7Ob189/16v, ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00189.16V.1013.000. OGH 29.3.2017 – 7Ob18/17y, ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00018.17Y.0329.000. OGH 30.1.2019 – 7Ob243/18p, ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00243.18P.0130.000. OGH 18.10.2017 – 7Ob145/17z, ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00145.17Z.1018.000. OGH 21.9.2017 – 7Ob126/17f, ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00126.17F.0921.000. OGH 21.2.2018 – 7Ob13/18i, ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00013.18I.0221.000. 134

§ 101 Kosten des Rechtsschutzes (1)

1

Die Versicherung umfasst auch die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, die durch die Abwehr der von einem Dritten geltend gemachten Ansprüche entstehen, soweit die Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten ist. 2Die Versicherung umfasst ferner die auf Weisung des Versicherers aufgewendeten Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren, das wegen einer Tat eingeleitet wurde, welche die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnte. 3Der Versicherer hat die Kosten auf Verlangen des Versicherungsnehmers vorzuschießen. (2) 1Ist eine Versicherungssumme bestimmt, hat der Versicherer die Kosten eines auf seine Veranlassung geführten Rechtsstreits und die Kosten der Verteidigung nach Absatz 1 Satz 2 auch insoweit zu ersetzen, als sie zusammen mit den Aufwendungen des Versicherers zur Freistellung des Versicherungsnehmers die Versicherungssumme übersteigen. 2Dies gilt auch für Zinsen, die der Versicherungsnehmer infolge einer vom Versicherer veranlassten Verzögerung der Befriedigung des Dritten diesem schuldet. (3) 1Ist dem Versicherungsnehmer nachgelassen, die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, hat der Versicherer die Sicherheitsleistung oder Hinterlegung zu bewirken. 2Diese Verpflichtung besteht nur bis zum Betrag der Versicherungssumme; ist der Versicherer nach Absatz 2 über diesen Betrag hinaus verpflichtet, tritt der Versicherungssumme der Mehrbetrag hinzu. 3Der Versicherer ist von der Verpflichtung nach Satz 1 frei, wenn er den Anspruch des Dritten dem Versicherungsnehmer gegenüber als begründet anerkennt.

Schrifttum Alexander/Böhmer Anmerkung zu OLG München, Beschl. v. 7.1.2019 und v. 18.2.2019 – 25 U 2750/18, VersR 2020 546; Armbrüster Inhaltskontrolle von D&O-Klauseln – Zugleich ein Beitrag zur Leitbildkontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr, in Koch/Werber/Winter (Hrsg.) Der Forschung – der Lehre – der Bildung – 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg eV (2016) 313; ders. Interessenkonflikte in der D&O-Versicherung, NJW 2016 897; ders. Verteilung nicht ausreichender Versicherungssummen in D&O-Innenhaftungsfällen, VersR 2014 1; Chab Der Abwehrschutz in der Haftpflichtversicherung und seine Grenzen, AnwBl 2017 552; Dickstein Die Kostenanrechnungsklausel in der D&O-Versicherung (2020); Fenyves Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches Problem, in Koziol/Rummel (Hrsg.) Im Dienste der Gerechtigkeit, FS Franz Bydlinski (2001) 121; Fiedler Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln in der D&O-Versicherung, in Drees/Koch/Nell (Hrsg.) Aktuelle Probleme des Versicherungsvertrags-, Versicherungsaufsichtsund Vermittlerrechts, Bd. 4 (2013) 57; ders. Die Curanum-Entscheidung des OLG Frankfurt, PHI 2013 94; Fortmann Anmerkung zu OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2019 – 4 U 23/18, RuS 2020 274; Grooterhorst/Looman Kostentragung des Versicherers bei (teilweiser) Erschöpfung der Versicherungssumme in der D&O-Versicherung, RuS 2014 157; Henning Grundlagen der Exzedentenversicherung (2019); R. Koch Wechselseitige Rücksichtnahmepflichten der Versicherer in der Exzedentenversicherung, FS Roderich Thümmel (2020) 423; ders. Kostenanrechnungsklauseln in der Haftpflichtversicherung, VersR 2016 1405; Knöfel Strukturprobleme der D&O-Exzedentenversicherung, ZIP 2018 1814; ders. D&O-Exzedentendeckungen, VersR 2018 513; Lange Die verbrauchte Versicherungssumme in der D&O-Versicherung, VersR 2014 1413; ders. D&O-Versicherung und Managerhaftung (2014); Malek/Schütz Cyberversicherung: Rechtliche und praktische Herausforderungen, RuS 2019 421; Ramharter D&O-Versicherung (2018); Repgen Die Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln in der D&O-Versicherung (2017); Säcker Streitfragen zur D&O-Versicherung, VersR 2005 10; Schaloske Exzedentenversicherung – Rechtsfragen in der Schadenspraxis, in: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (Hrsg.): Verlässlichkeit, Verantwortung, Vertrauen: FS für Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth (2020) 315; Schimikowski Zins- und Kostenklauseln in der Haftpflichtversicherung – Zur (Un-)Abdingbarkeit des § 150 Abs. 2 VVG – , VersR 2005 861; O. Sieg/P. Koch Zur Rechtsnatur des Direktanspruchs auf Abwehrkostendeckung in der Haftpflichtversicherung, PHI 2019 96; Schmuckermeier Strafrechtsschutz als Bestandteil oder Ergänzung einer D&O-Versicherung, RuS 2019 131; Terno Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln, RuS 2013 577; Werber Kostenanrechnungsklauseln in der

135 https://doi.org/10.1515/9783110522662-003

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

D&O-Versicherung, VersR 2014 1159; Wilhelm/Becker Unwirksamkeit der Anrechnung von Abwehrkosten auf die Versicherungssumme in D&O-Versicherungsverträgen? VP 2013 27.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

II. 1.

2 2 9 10

2. 3.

Inhalt und Normzweck 2 § 101 Abs. 1 a) § 101 Abs. 1 S. 1 b) § 101 Abs. 1 S. 2 c) § 101 Abs. 1 S. 3 11 § 101 Abs. 2 12 § 101 Abs. 3

III.

Anwendungsbereich

13

B.

Voraussetzungen und Umfang des Erstat14 tungsanspruchs

I. 1.

2. 3. II. 1. 2. 3.

2.

15 Zivilrechtliche Streitigkeiten Gerichtliche und außergerichtliche Kos15 ten 19 a) Gerichtliche Kosten 19 aa) Überblick 22 bb) Ausgang des Verfahrens cc) Art und Weise der Verfahrensbeteili25 gung 27 dd) AVB Vermögen 28 b) Außergerichtliche Kosten Angemessenheit der zu ersetzenden Kos30 ten 36 Selbstbehalt 37 Strafverfahren 37 Verteidigungskosten im Strafverfahren 38 Adhäsionsverfahren und Nebenklage Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a 40 StPO 41

III. 1. 2.

Vorschusspflicht des Versicherers 41 Allgemeines 43 Einzelheiten

IV.

Kostentragungspflicht bei teilweiser Leistungs46 freiheit

V.

Besonderheiten bei Überschreitung der Versiche47 rungssumme 47 Kosten (§ 101 Abs. 2 S. 1) 47 a) Grundsatz 48 aa) Begriff der Veranlassung

C.

Kostenerstattungsanspruch und Forderungs57 übergang nach § 86 Abs. 1 S. 1

D.

Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung (§ 101 60 Abs. 3)

I.

Verpflichtung zur Sicherheitsleistung oder Hin60 terlegung Abwendbarkeit der Vollstreckung durch Sicher60 heitsleistung oder Hinterlegung Unabwendbarkeit der Vollstreckung durch Si62 cherheitsleistung oder Hinterlegung 64 Obliegenheitsverletzungen des VN 65 Fehleinschätzung der Deckungspflicht

1. 2. 3. 4. II.

Umfang der Verpflichtung des Versicherers zur 66 Sicherheitsleistung oder Hinterlegung

III.

Art und Weise der Sicherheitsleistung

IV. 1.

68 Rechtsfolgen der Sicherheitsleistung Aufhebung des Haftpflichturteils gegen den 68 VN Rechtskräftiges Haftpflichturteil gegen den 71 VN

2.

Koch

67

72

E.

Abdingbarkeit

I.

Praxisrelevante Abweichungen

II.

Wirksamkeit der Abweichungen von § 101 Abs. 2 73 S. 1 Kostenbegrenzung bei Überschreiten der Versi74 cherungssumme Kostenbegrenzung bei Widerspruch des 76 VN Kostenanrechnung auf Versicherungs77 summe a) Urteil des OLG Frankfurt/M. vom 79 9.6.2011 81 b) Stellungnahme

1. 2.

1.

bb) Ohne Veranlassung geführter Rechtsstreit 51 b) Die Versicherungssumme übersteigende be53 gründete Haftpflichtansprüche 54 Zinsen (§ 101 Abs. 2 S. 2) 54 a) Grundsatz 56 b) Formularpraxis

3.

72

136

A. Einführung

aa) Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung 81 (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) (1) Leitbildcharakter von § 101 82 Abs. 2 S. 1? (2) Gesichtspunkt der Veranlassung 83 des Rechtsstreits (3) Entscheidung nach pflichtgemä84 ßem Ermessen bb) Gefährdung des Vertragszwecks 89 (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) cc) Unangemessene Benachteiligung aus sonstigen Gründen (§ 307 Abs. 1 S. 1 90 BGB)

VVG § 101

dd) Interessenabwägung/ 91 Nachteilskompensation? 92 (1) Interessenabwägung 95 (2) Nachteilskompensation F.

Besonderheiten bei der Exzedentenversiche98 rung

G.

Österreichisches Recht/Principles of Europe102 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

102 105

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 101 ist die Nachfolgeregelung zu § 150 a. F. § 101 Abs. 1 tritt an die Stelle des § 150 Abs. 1 S. 1, 1 3 u. 4 a. F. Die Änderungen sind rein redaktioneller Natur. § 150 Abs. 1 S. 2 a. F., der klarstellte, dass die Haftpflichtversicherung auch die Kosten des VN umfasst, die ihm durch die Abwehr unbegründeter Ansprüche entstehen, ist ersatzlos gestrichen worden. Der Gesetzgeber hielt diese Vorschrift wegen der Neufassung des § 100 für entbehrlich.1 Die Regelung des § 150 Abs. 1 S. 3 a. F., die die Deckung der Kosten des Strafverfahrens betrifft, war in Anlehnung an entsprechende Vorschriften des früheren österreichischen und tschechisch-slowakischen Rechts durch Gesetz vom 7.11.19392 in das VVG eingefügt worden.3 In der ursprünglichen Fassung des § 150 VVG 1908 hatte der Gesetzgeber noch bewusst davon abgesehen, die Kosten eines Strafverfahrens in die Haftpflichtversicherung einzubeziehen; eine solche Regelung sollte den besonderen Vereinbarungen der Versicherungsparteien überlassen bleiben.4 § 101 Abs. 2 entspricht sachlich § 150 Abs. 2 a. F. § 150 Abs. 3 a. F. hat mit einer Änderung Eingang in § 101 Abs. 3 gefunden. Abweichend von § 150 Abs. 3 a. F. ist der VR nicht mehr nur auf Verlangen des VN, sondern grundsätzlich zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung verpflichtet, um die Zwangsvollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Urteilen (vgl. §§ 708 f., 720a ZPO) und Schiedssprüchen (§ 1064 ZPO) oder sonstigen vorläufig vollstreckbaren Titeln aller Art gegen den VN abzuwenden.

II. Inhalt und Normzweck 1. § 101 Abs. 1 a) § 101 Abs. 1 S. 1. Der VR schuldet im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 100, den VN 2 von begründeten und unbegründeten Haftpflichtansprüchen zu befreien, auch die Tragung der in diesem Zusammenhang entstehenden Kosten.5 § 101 Abs. 1 S. 1 bringt das mit den Worten zum Ausdruck, dass die Versicherung „auch“ die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten 1 2 3 4 5

BTDrucks. 16/3945, S. 85. RGBl. I S. 2223. Motive 639. Motive 202 f.; Gerhard/Hagen §§ 149, 150 Anm. 3. Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 13; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 3.

137

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

umfasst, die durch die Abwehr des von dem Dritten geltend gemachten Anspruchs entstehen. Damit hat sich der Gesetzgeber der Rechtsprechung und der h.Lit. zu § 150 a. F. angeschlossen, die die Rechtsschutzverpflichtung durchweg als Bestandteil der Hauptleistungspflicht des VR angesehen haben.6 Folglich ist kein Raum mehr für abweichende Ansichten, die die Verpflichtung zur Abwehr unbegründeter Ansprüche und die damit einhergehende Kostentragungslast des VR als Anwendungsfall des Rettungskostenersatzes gem. § 63 a. F. angesehen haben7 und hinsichtlich § 83 weiterhin ansehen8 oder zwischen Kosten als Bestandteil der Hauptforderung und als Rettungsaufwand differenzieren.9 Die Qualifikation als Hauptleistungspflicht bedeutet indes nicht, dass die Rettungsobliegenheiten in Bezug auf die Kosten der Anspruchsabwehr nicht gelten. Im Gegenteil hat die Einordnung als Hauptleistungspflicht zur Folge, dass sich die Schadensabwendungs- und -minderungsobliegenheit des VN nach § 82 Abs. 1 auch auf die Abwehrkosten erstreckt. Ziff. 25.2 bis 25.5 AHB 2016 (B3-3.2.1 und B3-3.2.2 lit. b)–e) AVB BHV/AVB PHV) konkretisiert diese Obliegenheit des VN. Die dort vorgesehenen Regelungen beziehen sich allerdings weniger auf die Geringhaltung der Rechtsschutzkosten als vielmehr auf die Begrenzung der vom VN verursachten Haftpflichtschäden.10 § 101 Abs. 1 S. 1 wirkt nur im Verhältnis zwischen dem VR und dem VN (und/oder den 3 versicherten Personen) und begründet keinen „unmittelbaren Direktanspruch des Rechtsanwalts gegen den VR“. Ein solcher Anspruch des Rechtsanwalts des VN ergibt sich nur aus Vertrag, wenn der VR den Rechtsanwalt selbst beauftragt hat.11 Im Hinblick darauf, dass der VR bereits nach § 100 verpflichtet ist, den VN von begründeten 4 und unbegründeten Haftpflichtansprüchen zu befreien, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen § 100 und § 101 Abs. 1 S. 1. Vor der Reform hat sich R. Johannsen dafür ausgesprochen, § 150 Abs. 1 S. 1 a. F. als abschließende Spezialregelung gegenüber § 149 a. F. nicht nur für die dem VN zu ersetzenden, sondern auch für die an die Gegenseite zu zahlenden Kosten, gleich aus welchem Rechtsgrund, zu behandeln. Auch soweit die Kosten der Gegenseite Bestandteil des bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzanspruchs seien, regele sich die Ersatzpflicht allein nach § 150 Abs. 1 S. 1 a. F.12 Der BGH hat in Bezug auf die Erstattung von Nebenklagekosten die Frage offengelassen, ob § 150 Abs. 1 S. 3 a. F. (= § 101 Abs. 1 S. 2) als abschließende Regelung anzusehen ist.13 Der Ansicht R. Johannsens ist auch für das Verhältnis von § 100 zu § 101 Abs. 1 S. 1 zu folgen.14 5 Entscheidend ist, dass dem Wortlaut von § 101 Abs. 1 S. 1 keine Begrenzung auf prozessuale Kostenerstattungsansprüche zu entnehmen ist. § 101 Abs. 1 S. 1 findet somit auch auf materiellrechtlich begründete Kostenerstattungsansprüche des Dritten Anwendung. Insoweit konkretisiert und begrenzt § 101 Abs. 1 S. 1 den Umfang der Kosten, zu deren Tragung der VR gem. § 100 verpflichtet ist.15 Für Anwaltskosten des Geschädigten, die ihm als Nebenkläger im Strafverfahren entstanden sind und die er als Schadensersatzanspruch im Haftpflichtverfahren gel-

6 Vgl. BGH 15.9.2010 – IV ZR 107/09, RuS 2010 504, 505; BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171 56, 60 f. = RuS 2007 191; BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 281 = RuS 1992 406; Berliner Kommentar/ Baumann § 150 Rn. 4; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm F 85 m. w. N. 7 RG 14.5.1929 – VII 63/29, RGZ 124 235, 237 zu § 63 a. F. 8 AG Mannheim 4.11.2011 – 10 C 156/11, RuS 2012 337; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 101 Rn. 1; Prölss/Martin/Lücke VVG § 101 Rn. 1 und AVB Verm § 3 Rn. 30; wohl auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 101 Rn. 4 f.; wie hier Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 9. 9 Sieg Ausstrahlungen 134 ff. 10 Bruck/Möller/R. Koch § 82 Rn. 85 ff. 11 BGH 10.1.2019 – IX ZR 89/18, VersR 2019 682 Rn. 17. 12 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm G 23, 25; ihm folgend Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 4. 13 Vgl. BGH 23.1.1958 – II ZR 28/57, BGHZ 26 261, 268 = VersR 1958 211. 14 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 12. 15 So auch Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 3 f. Koch

138

A. Einführung

VVG § 101

tend macht,16 besteht deshalb keine Deckung (zu Ausnahmen s. Rn. 39).17 Nicht durch § 101 Abs. 1 S. 1 ausgeschlossen ist ein darüber hinausgehender Anspruch des VN auf Kostenerstattung im Wege des Schadensersatzes, wenn der VR seine Rechtsschutzverpflichtung verletzt (s. Rn. 70). Der VR schuldet nach § 101 Abs. 1 S. 1 letzter Halbs. Ersatz der Kosten lediglich soweit, wie 6 deren Aufwendung den Umständen nach geboten war (Rn. 30 ff.). Dieser Regelung liegt offenbar die Vorstellung zugrunde, dass die Anspruchsabwehr und damit die wesentliche Entscheidung darüber, welche Kosten aufgewendet werden sollen, in der Hand des VN liegt, was zumindest nach den AHB nicht der Fall ist. In Ziff. 25.5 S. 1 und 3 AHB 2016 (B3-3.2.2 lit. e) S. 1 und 3 AVB BHV/AVB PHV) ist ausdrücklich festgelegt, dass der VN dem VR die Führung des Verfahrens überlassen und dem vom VR beauftragten Rechtsanwalt Vollmacht erteilen muss. Auf die Kosten, die dem Dritten entstehen, kann der VN durch sein Verhalten nur mittelbar Einfluss nehmen. Materiell-rechtlich wird der VN durch § 254 BGB geschützt, prozessual durch § 91 ZPO. Die Beschränkung des Ersatzanspruchs nach § 101 Abs. 1 S. 1 letzter Halbs. ist vor allem von 7 Bedeutung, wenn der VR den Haftpflichtversicherungsschutz zu Unrecht versagt.18 In diesen Fällen hat der VN zwar weitestgehend „freie Hand“ hinsichtlich der Regulierung des Haftpflichtanspruchs,19 was auch Auswirkungen hinsichtlich der Kosten zur Folge haben kann (z. B. bei Abschluss eines Vergleichs). Der VN darf die gegen ihn erhobenen Ansprüche durch einen Rechtsanwalt prüfen lassen, den Geschädigten deren Schaden ersetzen sowie deren Kosten übernehmen, Prozesse führen und beenden (auch durch Versäumnisurteil)(zu den Grenzen s. Rn. 16). Unabhängig davon, für welche Vorgehensweise sich der VN entscheidet, gilt jedoch die Beschränkung auf die objektiv für die Durchführung der jeweiligen Maßnahme erforderlichen Kosten. Die Beschränkung des Ersatzanspruchs kommt ferner in den Fällen zum Tragen, in denen es in den AVB an einer Ziff. 25.5 AHB 2016 (B3-3.2.2 lit. e) AVB BHV/AVB PHV) entsprechenden Bestimmung fehlt oder der VR die Organisation der Anspruchsabwehr nicht (von Anfang an) in der Hand hält.20 Von der unberechtigten Deckungsverweigerung zu unterscheiden ist der Fall, dass eine vom 8 VR geforderte Erledigung eines Haftpflichtanspruchs an dem Widerstand des VN scheitert. Für diesen Fall bestimmt Ziff. 6.8 AHB 2016 (A1-5.8 AVB BHV/AVB PHV), dass der VR für den von der Weigerung an entstehenden Mehraufwand an Entschädigungsleistung, Zinsen und Kosten nicht aufzukommen hat (zur Rechtsnatur und Wirksamkeit dieser Klausel s. Rn. 76).

b) § 101 Abs. 1 S. 2. § 101 Abs. 1 S. 2 betrifft die Kosten, die dem VN dadurch entstehen, dass 9 er sich in einem Strafverfahren verteidigt, das wegen einer Tat eingeleitet wurde, die seine zivilrechtliche Verantwortlichkeit gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnte. Es geht vor allem um die Gebühren des Verteidigers des VN. Diese Gebühren hat grundsätzlich der VN selbst zu tragen, da sie nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Abwehr von Haftpflichtansprüchen stehen. Die Ergebnisse des Strafverfahrens haben jedoch maßgebenden Einfluss auf das Schicksal des zivilrechtlichen Ersatzanspruches, weil die Verurteilung im Strafprozess de facto ein Präjudiz für den Haftpflichtprozess bildet. Im Hinblick auf die Wechselwirkung besteht deshalb ein erhebliches Interesse des VR an einem für den VN günstigen Ausgang des Strafprozes16 Vgl. OLG Hamm 1.6.2006 – 6 U 131/05, BeckRS 2006 14893. 17 Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 5; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 101 Rn. 12. 18 Vgl. OLG Düsseldorf 13.12.1988 – 4 U 181/88, RuS 1989 325; LG Düsseldorf 31.3.2009 – 11 O 457/06, BeckRS 2009 20859. 19 BGH 7.2.2007 – 4 U 181/88, BGHZ 171 56 = RuS 2007 191 Rn. 15; BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 282; vgl. auch BGH 27.5.2015 – IV ZR 292/13, RuS 2015 398 Rn. 48 f. (zum Haftpflichtversicherungsschutz in der Flusskaskoversicherung). 20 Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 19. 139

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

ses.21 Deshalb umfasst die Haftpflichtversicherung auch die Kosten der Verteidigung, sofern diese Kosten auf Weisung des VR aufgewendet wurden. Insoweit dient § 101 Abs. 1 S. 2 einerseits der Klarstellung bezüglich des Umfangs des Haftpflichtversicherungsanspruchs, andererseits als Rechtsgrund für den Ersatz der Verteidigungskosten.

10 c) § 101 Abs. 1 S. 3. Ergänzend verpflichtet § 101 Abs. 1 S. 3 den VR auf Verlangen des VN zum Vorschuss der Kosten einer Anspruchsabwehr im Zivilverfahren und der Verteidigung in einem Strafverfahren.

2. § 101 Abs. 2 11 Nach § 101 Abs. 2 S. 1 hat der VR die Kosten eines auf seine Veranlassung geführten Rechtsstreits und die Kosten der Verteidigung nach § 101 Abs. 1 S. 2 auch insoweit zu ersetzen, als sie zusammen mit den Aufwendungen des VR zur Freistellung des VN die Versicherungssumme übersteigen. § 101 Abs. 2 S. 2 dehnt diese Regelung auf Zinsen aus, die der VN dem Dritten aus einer vom VR veranlassten Verzögerung schuldet. Hierdurch sollen Benachteiligungen des VN infolge eines Handelns des VR vermieden werden.22 § 101 Abs. 2 S. 1 stellt somit klar, dass die Versicherungssumme für die Freistellung von Bedeutung ist und im Grundsatz auch den Ersatz der Kosten des Rechtsstreits begrenzt, soweit nicht – wie im Regelfall – die Anspruchsabwehr im Zivilverfahren auf Veranlassung oder die Verteidigung im Strafverfahren auf Weisung des VR erfolgen. Im Hinblick auf die Nichtanrechnung auf die Versicherungssumme in diesen Fällen lässt sich die Norm als Ausdruck der vertraglichen Risikoverteilung begreifen, der zufolge der VR das Risiko von Fehleinschätzungen in Bezug auf die Un-/Begründetheit des Haftpflichtanspruchs trägt (§ 100 Rn. 112).

3. § 101 Abs. 3 12 § 101 Abs. 3 S. 1 betrifft den Umfang der Kostentragungspflicht des VR, wenn es darum geht, die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden. Der Höhe nach begrenzt § 101 Abs. 3 S. 2 diese Verpflichtung auf die Versicherungssumme, soweit nicht der VR nach § 101 Abs. 2 über diesen Betrag hinaus verpflichtet ist. Der VR ist nach § 101 Abs. 3 S. 3 von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung frei, wenn er den Anspruch des Dritten dem VN gegenüber als begründet anerkennt. Diese Regelung trägt ebenfalls der zuvor beschriebenen vertraglichen Risikoverteilung in der Haftpflichtversicherung Rechnung. Der VR hat den VN gem. § 100 von allen Nachteilen freizustellen, die diesem im Zusammenhang mit der erfolglosen Abwehr des Haftpflichtanspruchs entstehen (zur analogen Anwendung auf die Fälle, in denen der VR die Vollstreckung nicht durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung verhindern kann, vgl. Rn. 62).

III. Anwendungsbereich 13 S. § 100 Rn. 6.

21 Späte § 3 Rn. 32; Gerhard/Hagen §§ 149, 150 Anm. 3; vgl. auch BGH 23.1.1958 – II ZR 28/57, BGHZ 26 262, 267 = VersR 1958 211.

22 Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 89; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 34. Koch

140

B. Voraussetzungen und Umfang des Erstattungsanspruchs

VVG § 101

B. Voraussetzungen und Umfang des Erstattungsanspruchs Hinsichtlich der Ersatzfähigkeit der Kosten ist zwischen zivil- und strafrechtlichen Streitig- 14 keiten zu unterscheiden.

I. Zivilrechtliche Streitigkeiten 1. Gerichtliche und außergerichtliche Kosten Bei zivilrechtlichen Streitigkeiten ergibt sich die Pflicht des VR zur Tragung aller gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen gegen den VN stehen, dem Grunde nach aus § 100. § 101 Abs. 1 S. 1 dient nur der Beschränkung der Kostentragungspflicht, bezieht sich also auf die Höhe des Anspruchs des VN gegen den VR auf Ersatz dieser Kosten. Diese Beschränkung ist – wie eingangs erwähnt – nur in den Fällen von Bedeutung, in denen der VN selbst Aufwendungen tätigt, ohne sich zuvor mit dem VR abgestimmt zu haben. Wird der VN vom VR entgegen seinen Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag ohne Versicherungsschutz gelassen, versagt der VR also zu Unrecht den Versicherungsschutz, so kann er die Art und Weise der Regulierung des Haftpflichtanspruchs oder der Verfahrensführung durch den VN nicht angreifen und muss die daraus resultierenden Kosten ersetzen. Dabei gilt wie in Bezug auf die Haftpflichtforderung (§ 106 Rn. 39), dass der VN nicht in leichtfertiger Weise seine eigenen wohlverstandenen Interessen missachten darf, indem er die außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten ohne Grund in die Höhe treibt und den VR insoweit in sachlich nicht gerechtfertigter Weise belastet. Dabei ist zugunsten des VN ein großzügiger Maßstab anzulegen. Der Entschluss des VN, den Rechtsstreit gegen sich durch ein Versäumnisurteil beenden zu lassen, stellt keine unberechtigte Belastung des VR dar. Gleiches gilt, wenn der VR dem VN gegenüber leistungsbefreiende Umstände ins Feld führt und den VN im Unklaren darüber lässt, ob er Deckungsschutz erhält. Der VR ist insoweit verpflichtet, seine Entscheidung darüber dem VN unverzüglich, spätestens aber dann mitzuteilen, wenn er die Anzeige von der gerichtlichen Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs erhalten hat.23 In Anbetracht der nachteiligen Folgen behält der VR in der Praxis die Regulierung der Haftpflichtschäden in der Regel fest in seiner Hand, sodass sich die Frage gar nicht stellt, ob die entstandenen Kosten als angemessen im Sinne des § 101 Abs. 1 S. 1 zu qualifizieren sind. Der Begriff der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten ist nicht gleichbedeutend mit dem engeren Begriff der Kosten des Rechtsstreits i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.24 Der zivilprozessuale Begriff bezieht sich in der Regel nur auf das Erkenntnisverfahren. Nicht erfasst werden das Arrest- oder einstweilige Verfügungsverfahren, das Zwangsvollstreckungsverfahren und das schiedsgerichtliche Verfahren.25 Nicht zu den Kosten i. S. v. § 101 Abs. 1 S. 1 zählen Aufwendungen des VR zur Prüfung seiner Einstandspflicht gegenüber dem VN.26

23 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171 56 = RuS 2007 191 Rn. 15; BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 282; vgl. auch BGH 27.5.2015 – IV ZR 292/13, RuS 2015 398 Rn. 48 f. (zum Haftpflichtversicherungsschutz in der Flusskaskoversicherung). 24 Musielak/Voit/Flockenhaus ZPO § 91 Rn. 7; MüKo-ZPO/Schulz ZPO § 91 Rn. 20. 25 Musielak/Voit/Flockenhaus ZPO § 91 Rn. 7; MüKo-ZPO/Schulz ZPO § 91 Rn. 20, 24. 26 Vgl. OLG Düsseldorf 16.5.1973 – 10 W 18/73, VersR 1973 863 f.; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 83; Späte § 3 Rn. 69. 141

Koch

15

16

17

18

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

a) Gerichtliche Kosten 19 aa) Überblick. Zu den gerichtlichen Kosten gehören alle unmittelbaren Aufwendungen des VN zur Führung eines Rechtsstreits sowohl vor ordentlichen Gerichten als auch vor Schiedsgerichten.27 Dass der VR die Kosten von Schiedsverfahren zu tragen hat, folgt daraus, dass die aus § 100 dem Grund nach folgende Entschädigungspflicht nicht auf Verfahren vor staatlichen Gerichten begrenzt ist. In der allgemeinen Haftpflichtversicherung kommen Streitigkeiten vor Schiedsgerichten freilich kaum vor, weil es an einer vertraglichen Vereinbarung und/oder an einer Schiedsabrede zwischen dem Geschädigten und dem VN fehlt, die sich auf die Haftpflichtansprüche erstreckt. Anders mögen die Dinge im Bereich der Produkthaftpflichtversicherung oder der D&O-Versicherung liegen. Bei Verfahren vor ordentlichen Gerichten zählen neben den Kosten des Rechtsstreits i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO aus Klageverfahren vor Zivilgerichten (§§ 253 ff., 495 ff. ZPO), aus Verfahren über Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) und aus selbstständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO) die Kosten aus Verfahren über Arrest und einstweilige Verfügung (§§ 916 ff. ZPO).28 Bei Schiedsverfahren zählen zu den gerichtlichen Kosten die Gebühren des Schiedsgerichts sowie – bei institutioneller Schiedsgerichtsbarkeit – der jeweiligen Schiedsgerichtsinstitution, die das Verfahren administriert (z. B. ICC, DIS). 20 Zu den gerichtlichen Kosten i. S. v. § 101 Abs. 1 S. 1 zählen nicht nur die Aufwendungen des VN für den eigenen Rechtsanwalt, sondern auch die Aufwendungen des Geschädigten für dessen Rechtsanwalt, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rechtsstreit gegen den VN stehen (Verfahrens-, Termins- und ggf. Einigungsgebühren vor ordentlichen Gerichten, vereinbarte Honorarsätze in Schiedsverfahren) sowie die vom Geschädigten nach § 12 Abs. 1 GKG vorausgezahlten Gerichtskosten. Kosten für vorprozessual erstattete Privatgutachten sind als gerichtliche Kosten anzusehen, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind. Es genügt nicht, wenn das Gutachten irgendwann in einem Rechtsstreit verwendet wird. Es muss sich vielmehr auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden sein.29 Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, sind nicht als gerichtliche Kosten anzusehen.30 Es handelt sich vielmehr um außergerichtliche Kosten (Rn. 28).31 Gleiches gilt für Aufwendungen für ein vereinbarungsgemäß eingeholtes Schiedsgutachten.32 21 Des Weiteren zählen zu den gerichtlichen Kosten i. S. v. § 101 Abs. 1 S. 1 die Kosten der Zwangsvollstreckung (§ 788 ZPO). Dies spielt eine Rolle, wenn der Dritte den Anspruch des VN gegen den VR pfändet oder die Sachvollstreckung in das Vermögen des VN betreibt. In beiden Fällen hat der VR die Pfändungskosten zu tragen.33 Die Haftpflichtversicherung umfasst auch die durch ein Verfahren auf Umschreibung des Titels nach §§ 727 bis 732 ZPO oder durch eine Zwangsvollstreckungsgegenklage entstehenden Aufwendungen.34 Das Gleiche gilt für die Kosten, die durch ein Verfahren gem. §§ 722, 723 ZPO (inländische Vollstreckungsklage für aus-

27 R. Koch SchiedsVZ 2007 281, 286; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 16. 28 Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 8. 29 BGH 30.4.2019 – IV ZB 41/17, VersR 2019 1521 Rn. 9; BGH 26.2.2013 – VI ZB 59/12, VersR 2013 1194 Rn. 5; BGH 20.12.2011 – VI ZB 17/11, BGHZ 192 140 = VersR 2012 920 Rn. 13.

30 BGH 17.12.2002 – VI ZB 56/02, NJW 2003 1398, 1399; vgl. auch BGH 23.5.2006 – VI ZB 7/05, RuS 2006 526 = VersR 2006 1236; OLG Koblenz 3.4.2007 3.4.2007 – 14 W 238/07, OLG Düsseldorf 29.8.2005 – 4 W 39/05, VersR 2006 990; OLG Karlsruhe 11.5.2004 – 13 W 15/04, VersR 2004 931, 932; OLG Koblenz 9.12.2003 – 14 W 823/03, VersR 2004 933; OLG Hamm 14.10.2003 – 23 W 117/03 zfs 2004 87; OLG Koblenz 12.3.2002 - 14 W 165/02, VersR 2004 802, 803. 31 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 15. 32 BGH 24.11.2005 – VII ZB 76/05, NJW-RR 2006 212, 213. 33 Späte § 3 Rn. 67; Sieg VersR 1960 673, 674; ebenso LG Berlin 11.11.1954 – 7 S 11/54, VersR 1955 52; ferner ÖOGH 5.6.1961 VersR 1962 192, 193. 34 K. Sieg VersR 1960 673, 675; a. A. LG Berlin 16.4.1953 VersR 1954 9; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 8. Koch

142

B. Voraussetzungen und Umfang des Erstattungsanspruchs

VVG § 101

ländischen Titel) entstehen,35 soweit Auslandsrisiken mitversichert sind.36 Vgl. in diesem Zusammenhang auch § 4 Ziff. 1 AVB-Vermögen.37 Dort sind Haftpflichtansprüche, die vor ausländischen Gerichten außerhalb der EU geltend gemacht werden, und ein sich im Anschluss daran im Inland nach § 722 ZPO ergebendes Verfahren ausdrücklich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

bb) Ausgang des Verfahrens. Unterliegt der VN, hat der VR neben der Entschädigungssum- 22 me die eigenen Prozesskosten des VN sowie die anwaltlichen Kosten des geschädigten Dritten und die von diesem vorausgezahlten Gerichtskosten zu tragen, die der VN erstatten muss.38 Wie erwähnt trägt der VR auch die Kosten der Zwangsvollstreckung in den Freistellungsanspruch (Erwirkung der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse).39 Der VR ist jedoch kein Kostenschuldner i. S. v. § 29 GKG, da er Erstattung nur dem VN, nicht der Staatskasse, schuldet. Der Dritte kann keine Kostenfestsetzung gegen den VR erlangen.40 Obsiegt der VN, weil sich der Anspruch des Dritten als unbegründet erweist, übernimmt 23 der VR die Kosten des VN (einschl. der Gerichtskosten, soweit der VN diese für den Dritten gezahlt haben sollte), unabhängig davon, ob er vom unterlegenen Dritten Erstattung erlangt.41 Hat der VR ausnahmsweise, etwa aufgrund der vorläufigen Vollstreckbarkeit einer Entscheidung, die später aufgehoben worden ist, bereits gezahlt und ist von dem Dritten (nach Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils) nichts zu erlangen, so geht dieses Risiko zulasten des VR. Selbst in denjenigen Fällen, in denen der VN den Rechtsstreit gewinnt, müssen nach § 101 Abs. 1 S. 1 u. U. auch die Kosten der Gegenseite getragen werden. Wird neben dem VN auch der VR als Gesamtschuldner verklagt, wie das in der obligatori- 24 schen Haftpflichtversicherung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3 der Fall ist, folgert die Rechtsprechung aus § 101 Abs. 1 S. 1, dass die Erstattungspflicht des VR auch die Erhöhungsgebühr für die gemeinsame Prozessführung umfasst.42 Zwar kann als notwendige Kosten für den obsiegenden Streitgenossen grundsätzlich nur der seiner Beteiligung am Rechtsstreit entsprechende Bruchteil der Anwaltskosten festgesetzt werden, dessen Höhe sich nach dem Innenverhältnis der Streitgenossen und im Zweifel nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt. Aus der gesetzlichen Verpflichtung eines Streitgenossen, im Innenverhältnis die gesamten Prozesskosten endgültig zu tragen, ergibt sich jedoch eine auch für die Kostenfestsetzung maßgebliche anderweitige Bestimmung.43

cc) Art und Weise der Verfahrensbeteiligung. Die Art und Weise der Beteiligung an diesen 25 Verfahren ist ohne Bedeutung. In den allermeisten Fällen befindet sich der VN auf der Passivseite in der Rolle als Beklagter (oder als Streitverkündeter). Eine Beteiligung auf der Aktivseite kommt in Betracht, wenn der Geschädigte mit seiner Haftpflichtforderung gegen eine unbestrittene Forderung des VN aufrechnet, bei Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts oder im Falle der Wegnahme eines dem VN gehörenden Gegenstands durch den Geschädigten (§ 100 Rn. 126 ff.).44

35 36 37 38 39 40 41

K. Sieg VersR 1960 673, 674. Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 7.9 AHB Rn. 266 ff. Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke Kap. 250. Motive 202. BGH 8.11.1989 – IVa ZR 163/88, RuS 1990 82, 83. Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 9. Vgl. OLG Köln 10.11.1988 – 5 U 272/87, RuS 1989 74; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 9; Berliner Kommentar/ Baumann § 150 Rn. 9; Späte § 3 Rn. 31. 42 Vgl. BGH 25.10.2005 – IV ZB 58/04, VersR 2006 241 Rn. 8; OLG Schleswig 24.1.2019 – 9 W 182/18, AGS 2019 256. 43 Vgl. BGH 25.10.2005 – IV ZB 58/04, VersR 2006 241 Rn. 8; OLG Schleswig 24.1.2019 – 9 W 182/18, AGS 2019 256. 44 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 19; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 8 ff. 143

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

Hier ist der VR verpflichtet, die Kosten einer Zahlungs-/Herausgabeklage des VN gegen den geschädigten Dritten zu finanzieren. Er muss also im Rahmen seiner Abwehrverpflichtung die Kosten für einen Aktivprozess tragen und ist insoweit auch zur Vorschusszahlung verpflichtet (vgl. Rn. 41 ff.). 26 Weitere Beispiele für eine Beteiligung des VN auf der Aktivseite ist die Erhebung einer negativen Feststellungsklage.45 Grundsätzlich kann der VR im Rahmen seiner Verpflichtung aus § 100 gehalten sein, für den VN (und in dessen Namen) eine negative Feststellungsklage gegenüber der unbegründeten Haftpflichtforderung erheben zu lassen (§ 100 Rn. 124 f.). Vgl. auch § 3 Ziff. 7 S. 1 AVB Vermögen.46 Dort heißt es, dass „die Kosten einer mit Zustimmung des Versicherers vom Versicherungsnehmer betriebenen negativen Feststellungsklage oder Nebenintervention [.] voll zulasten des Versicherers [gehen]“. Hier muss der VR also die Kostenlast für einen Prozess tragen, in dem der VN als Kläger auftritt. Das Gleiche gilt – ungeachtet dessen, dass es an einer § 3 Ziff. 7 S. 1 AVB Vermögen entsprechenden Vorschrift im Bereich der AHB fehlt –, und zwar sowohl für eine negative Feststellungsklage als auch für die ebenfalls in § 3 Ziff. 7 S. 1 AVB Vermögen erwähnte Nebenintervention. § 3 Ziff. 7 S. 1 AVB Vermögen ist im Übrigen einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Verweigerung der Zustimmung durch den VR dann als rechtlich unbeachtlich anzusehen ist, wenn vom Standpunkt eines verständigen VN die Verpflichtung des VR zur Befreiung des VN von den unbegründeten Ansprüchen gerade durch Führung eines Aktivprozesses zu bejahen ist.

27 dd) AVB Vermögen. Vertritt ein anwaltlicher VN sich in einem Haftpflichtprozess selbst oder lässt er sich durch einen Sozius oder Mitarbeiter vertreten, so werden nach § 3 Ziff. 7.4 AVB Vermögen dem VN und den genannten Personen eigene Gebühren nicht erstattet. Zu erklären ist diese Vorschrift damit, dass dem VR in der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung nicht in der gleichen umfassenden Weise wie nach Ziff. 25.5 S. 2 und 3 AHB 2016 (B3-3.2.2 lit. e) AVB BHV/AVB PHV) das Recht zusteht, die Anwaltswahl auszuüben. Durch § 3 Ziff. 7.4 AVB Vermögen hat sich der VR ein gewisses Gegengewicht geschaffen. Er kann unter Umständen einen VN unter Hinweis auf die mangelnde Kostenerstattungspflicht von der Führung eines Prozesses in eigener Sache abschrecken. Soweit ein VR entgegen diesem Erfahrungssatz darauf Wert legt, dass der – etwa besonders sachkundige – VN sich doch selbst vertritt, ist es dessen Sache, die Übernahme der Prozessführung von einer Abänderung des § 3 Ziff. 7.4 AVB Vermögen für den betreffenden Einzelfall abhängig zu machen.

28 b) Außergerichtliche Kosten. Zu den außergerichtlichen Kosten zählen alle vor Rechtshängigkeit des Haftpflichtanspruchs entstandenen Kosten des VN und des Gegners, insbesondere die Gebühren und Auslagen der Rechtsanwälte, die sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) berechnen. Ferner zählen hierzu Aufwendungen für nichtanwaltliche Prozessbevollmächtigte und Beistände, Reisekosten der Parteien und Entschädigungen für deren Zeitversäumnis47 sowie Kosten für die Einschaltung eines privaten Sachverständigen, für sonstige vorbereitende Recherchen, für die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit mit dem Ziel der Streitschlichtung, für die Kosten eines Schiedsgutachtens48 oder eines vorgerichtlichen Vergleichs.49 29 Während sich in Verfahren vor ordentlichen Gerichten die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten des Gegners im Fall des Unterliegens des VN sowohl aus dem prozessualen Kostener45 46 47 48 49

Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 8 ff. Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke AVB Verm § 3. Musielak/Voit/Flockenhaus Vorbemerkung §§ 91–107 ZPO Rn. 5. Vgl. MüKo-ZPO/Schulz § 91 Rn. 159. Vgl. MüKo-ZPO/Schulz § 91 Rn. 43.

Koch

144

B. Voraussetzungen und Umfang des Erstattungsanspruchs

VVG § 101

stattungsanspruch – im Schiedsverfahren aus der Kostenentscheidung des Schiedsgerichts – als auch aus dem materiellen Schadensersatzrecht ergeben kann,50 ergibt sich diese Verpflichtung im Falle einer vorgerichtlichen Einigung oder hinsichtlich der Kosten, die nicht i. S. d. Kostenfestsetzungsrechts erstattungsfähig sind (Verfahren vor ordentlichen Gerichten) nur aus dem materiellen Schadensersatzrecht.51

2. Angemessenheit der zu ersetzenden Kosten Der VR schuldet dem VN im Rahmen seiner Verpflichtung zur Anspruchsabwehr gem. § 101 30 Abs. 1 S. 1 Ersatz der Kosten, soweit sie „den Umständen nach geboten“ waren. Hieraus folgert die h. M., dass sie objektiv geboten sein müssen. Auf den subjektiven Standpunkt des VN komme es nicht an.52 Für die Kosten des Rechtsstreits bestimmt § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass die unterliegende Partei die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten hat, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Dieser Maßstab ist auch für § 101 Abs. 1 S. 1 anzuwenden, und zwar auch insoweit und mit der Maßgabe, dass er für über die Kosten des Rechtsstreits i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hinausgehenden gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des geschädigten Dritten und des VN gilt.53 Lücke und Knütel halten das Abstellen auf einen objektiven Maßstab für unbillig in den Fäl- 31 len, in denen der VN wegen der Untätigkeit des VR selbst einen Anwalt mit der Anspruchsabwehr beauftragen muss. In solchen Fällen könne der VN Ersatz derjenigen Aufwendungen verlangen, die den Umständen nach zur sachgerechten Verteidigung geboten seien. Dabei reiche es stets aus, dass der VN die Aufwendungen subjektiv für erforderlich halten durfte.54 Unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH zur Kostenerstattung im Falle unberechtigter Deckungsablehnung vertreten Lücke und Knütel die Ansicht, der VR müsse bei Untätigkeit die Kosten fehlerhafter Entscheidungen des VN jedenfalls bis zur Grenze der Leichtfertigkeit übernehmen.55 Für die h. M. spricht zunächst der Wortlaut von § 101 Abs. 1 S. 1 und der Vergleich mit dem 32 Wortlaut in § 83 Abs. 1 S. 1, wo es für die Erstattungsfähigkeit der Rettungskosten darauf ankommt, ob der VN diese „für geboten halten durfte“. Soweit Lücke und Knütel sich auf die Rechtsprechung des BGH zur unberechtigten Deckungsablehnung berufen, überzeugt dies nicht, weil der BGH zur Frage der Gebotenheit der Kosten gar nicht Stellung genommen hat. Dort ging es nicht um die Erstattungsfähigkeit von Prozesskosten, sondern um die Frage, ob der VR an das Ergebnis des Handelns des VN und des Haftpflichtprozesses in Bezug auf den (materiellen) Haftpflichtanspruch gebunden ist.56 Zu beachten ist jedoch, dass sich der VR vertragswidrig verhält, wenn er seiner Rechtsschutzverpflichtung nicht nachkommt,57 und sich gegenüber dem VN schadensersatzpflichtig macht. Die Situation weist insoweit Parallelen zu den Herausforderungsfällen auf, bei denen der Geschädigte vom Schädiger Ersatz der Aufwendungen zur Schadensminderung verlangen kann. Dort gilt ein subjektiver Maßstab. Der Geschädigte kann Aufwendungen zur Verhinderung des Schadens so weit ersetzt verlangen, „als sie ein

50 Zum Verhältnis beider Ansprüche zueinander s. Musielak/Voit/Flockenhaus Vorbemerkung §§ 91–107 Rn. 16. 51 Zur Behandlung vor- und außerprozessualer Kosten s. MüKo-ZPO/Schulz § 91 Rn. 43 ff. 52 OLG Düsseldorf 13.12.1988 – 4 U 181/88, RuS 1989 325; LG München I 22.7.1981 – 15 S 6351/81, VersR 1982 541; ÖOGH 17.2.1977 – 7 Ob 8/77, VersR 1978 478, 479; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 14; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 19; Späte § 3 Rn. 67; a. A. Knüttel VersR 2003 300, 301. 53 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 42; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 19; Späte § 3 Rn. 67. 54 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 18; Knütel VersR 2003 300. 55 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 18. 56 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171 56 = RuS 2007 191 Rn. 12 ff.; BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 281 = RuS 1992 406. 57 Vgl. BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171 56 Rn. 14 = RuS 2007 191. 145

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in seiner Lage zur Verfolgung dieses Ziels für zweckmäßig und vertretbar halten durfte“.58 33 Allerdings wird der VN nur in Ausnahmefällen über den Umweg des vertraglichen Schadensersatzanspruchs den Ersatz von Aufwendungen verlangen können, die über das nach § 101 Abs. 1 S. 1 objektiv Erforderliche hinausgehen. Ein VN, dem gegenüber Haftpflichtansprüche geltend gemacht werden, darf nur die Beauftragung eines Anwalts für geboten halten, wenn er sich nicht dazu entschließt, den Rechtsstreit gegen sich durch Versäumnisurteil beenden zu lassen. Die Kosten des Anwalts bestimmen sich nach dem RVG und sind deshalb in jedem Fall als geboten anzusehen. Hier stellt sich nur die Frage, ob der VR kraft Honorarvereinbarung zwischen dem VN und dem Anwalt entstandene höhere Gebühren erstatten muss, die auch ohne Anlegung eines subjektiven Maßstabs in den Fällen zu bejahen wäre, in denen der VR, wäre er seiner Rechtsschutzverpflichtung nachgekommen, ebenfalls eine Honorarvereinbarung zu diesen Sätzen abgeschlossen hätte. 34 Die Gebotenheit der Kosten der Anspruchsabwehr wird nicht dadurch infrage gestellt, dass die gegen den VN erhobenen Ansprüche offensichtlich unbegründet sind.59 Zu den gebotenen Aufwendungen zählen stets auch die Kosten, die dadurch entstehen, dass der VN obliegenheitsgemäß (vgl. Ziff. 25.4 AHB) ohne Weisung des VR Widerspruch gegen einen Mahnbescheid oder Einspruch gegen ein Versäumnisurteil einlegt. Ob die Kosten eines Versäumnisurteils erstattungsfähig sind, hängt von den Umständen ab, die zu dem Versäumnisurteil geführt haben.60 Kosten, die allein dadurch entstehen, dass der VN keine Klarheit darüber schafft, an wen der VR zu zahlen hat, zählen nicht zu den gebotenen Aufwendungen.61 Ebenso wenig sind die Kosten eines zusätzlichen oder unter Verletzung von Ziff. 25.5 35 S. 2 AHB 2016 (B3-3.2.2 lit. e) S. 2 AVB BHV/AVB PHV) bestellten Anwalts erstattungsfähig, wenn der VR einen anderen Anwalt rechtzeitig beauftragt hat. Etwas anderes gilt, wenn ein besonderer sachlicher Grund für die Einschaltung eines eigenen Anwalts besteht.62 So liegt der Fall, wenn der VR die Deckung abgelehnt oder ohne Ablehnung insoweit nichts getan und damit gegen seine Rechtsschutzverpflichtung verstoßen hat.63 Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass der VR, ohne die Deckung abzulehnen, von seinem Prozessführungsrecht wegen des Verdachts auf Kollusion zwischen dem Dritten und dem VN keinen Gebrauch macht. Dann besteht auch für den vom VN beauftragten Anwalt Kostentragungspflicht, sodass der VR letztlich zwei Anwälte bezahlen muss, wenn er selbst – z. B. im Wege der Nebenintervention – am Prozess mit einem eigenen Rechtsanwalt teilnehmen will.64

3. Selbstbehalt 36 Ist ein Selbstbehalt vereinbart, ist bei Fehlen einer ausdrücklichen Anrechnungsregelung davon auszugehen, dass sich der Anteil des VN nur auf die Hauptentschädigung und nicht auf die Kosten bezieht. Diese sind voll zu ersetzen.65 58 59 60 61 62

BGH 6.11.1979 – VI ZR 254/77, BGHZ 75 230, 238 = NJW 1980 119. ÖOGH 17.2.1977 – 7 Ob 8/77, VersR 1978 478, 479. Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 14. OLG Celle 4.1.1985 – 8 U 44/84, RuS 1986 92, 93 = VersR 1985 1129; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 14. Vgl. zur Kfz-Haftpflichtversicherung BGH 20.1.2004 – VI ZB 76/03, NJW-RR 2004 536 = VersR 2004 622; KG 30.5.2008 – 1 W 89/08, NJW-RR 2008 1616; OLG München 30.11.1994 – 11 W 2545/94, MDR 1995 263; OLG Koblenz 9.9.1994 – 14 W 493/93, MDR 1995 263; LG Bochum 1.10.2014 – 9 S 108/14, BeckRS 2015 602. 63 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, RuS 2007 191, 193 = VersR 2007 1116; BGH 14.2.2007 – IV ZR 54/04, RuS 2007 239, 240 = VersR 2007 1119; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 14. 64 BGH 15.9.2010 – IV ZR 107/09, RuS 2010 504, 505 f. = VersR 2010 1590; Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 7; vgl. auch BGH 6.7.2010 – VI ZB 31/08, RuS 2010 411. 65 Vgl. OLG Köln 10.6.2008 – 9 U 144/07, VersR 2009 391, 393; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 52; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 19. Koch

146

B. Voraussetzungen und Umfang des Erstattungsanspruchs

VVG § 101

II. Strafverfahren 1. Verteidigungskosten im Strafverfahren Nach § 101 Abs. 1 S. 2 umfasst die Haftpflichtversicherung die Kosten der Verteidigung in einem 37 Strafverfahren, das wegen einer Tat eingeleitet wurde, die die Verantwortlichkeit des VN gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnte, soweit die Verteidigungskosten auf Weisung des VR aufgewendet wurden. Unter den „Kosten der Verteidigung“ sind nach Ansicht des BGH66 „bei unbefangener Auslegung nur solche Kosten zu verstehen, die der Angekl. selbst aufwendet, um einen Freispruch oder eine mildere Bestrafung zu erzielen, also insbes. die Gebühren des Verteidigers, wie dies auch § 3 Ziff. II 1 AHB, mit dem § 150 Abs. 1 Satz 3 VVG in Übereinstimmung gebracht werden sollte, ausdrücklich besagt.“

Nicht unter den Begriff der Kosten der Verteidigung fallen die Kosten des Strafverfahrens oder Geldstrafen oder -bußen.67 Dass der Reformgesetzgeber an diesem Verständnis etwas ändern wollte, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Es liegt auch Ziff. 5.3 AHB 2016 (vgl. A1-4.3 AVB BHV/AVB PHV) zugrunde: Sofern „die Bestellung eines Verteidigers für den VN von dem VR gewünscht oder genehmigt“ wird,68 trägt der VR die „gebührenordnungsmäßigen oder die mit ihm besonders vereinbarten höheren Kosten des Verteidigers“.

2. Adhäsionsverfahren und Nebenklage Verfolgt der Geschädigte seine zivilrechtlichen Ansprüche im Adhäsionsverfahren gem. 38 §§ 403 ff. StPO, hat der VR die das Adhäsionsverfahren betreffenden Gerichtskosten (§ 472a StPO) einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Zeugen69 gem. §§ 100, 101 Abs. 1 S. 1 zu tragen.70 Dies gilt auch in den Fällen, in denen im Adhäsionsverfahren ein Anerkenntnisurteil ergeht und das Verfahren nach Erklärung des Anerkenntnisses gem. § 153a StPO eingestellt wird.71 Die Kosten, die dadurch entstehen, dass der Dritte als Nebenkläger auftritt, zählen nicht 39 zu den Verteidigungskosten i. S. d. § 101 Abs. 1 S. 2.72 Dies gilt auch dann, wenn der Geschädigte die Kosten als Schadensersatzanspruch im Haftpflichtverfahren geltend macht (s. auch Rn. 5). Eine Ausnahme ist jedoch in den Fällen geboten, in denen der VR den VN veranlasst hat, Einspruch gegen den ergangenen Strafbefehl einzulegen. In diesen Fällen, in denen der VR auch die den VN treffenden Verteidigungskosten zu tragen hat, würde der VR gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn er die Übernahme der nur durch sein Eingreifen entstandenen Nebenklagekosten ablehnte. Vielmehr hat er sie in diesen Fällen analog § 101 Abs. 1 S. 2 zu decken.73 66 67 68 69 70

BGH 23.1.1958 – II ZR 28/57, BGHZ 26 262, 267 = VersR 1958 211. Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 53; Späte § 3 Rn. 32. Dazu Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 5.3 AHB Rn. 59 ff. OLG Karlsruhe 31.10.2019 – 9 U 77/17, VersR 2020 472, 475. Vgl. BGH 23.1.1958 – II ZR 28/57, BGHZ 26 262, 267 = VersR 1958 211; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 61; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 101 Rn. 12; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 5; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 30; zur Praxisrelevanz des Adhäsionsverfahrens s. Haller NJW 2011 970. 71 Vgl. hierzu AG Berlin-Tiergarten 23.3.2011 – 34 Js 5355/10, NStZ-RR 2011 383. 72 Offengelassen von OLG Karlsruhe 31.10.2019 – 9 U 77/17, VersR 2020 472, 475. 73 Clauß NJW 1957 411, 413; offenlassend BGH 23.1.1958 – II ZR 28/57, BGHZ 26 262, 268 = VersR 1958 211; vgl. auch Haidinger LM Nr. 1 zu § 150; i. E. auch Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 11; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 61; Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 101 Rn. 12; Berliner Kommentar/ Baumann § 150 Rn. 29. 147

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

Gleiches gilt, wenn der VR den VN anweist, gegen eine erstinstanzliche Entscheidung Rechtsmittel einzulegen, und sich der Geschädigte erst in der Berufung dem Verfahren als Nebenkläger anschließt.74

3. Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO 40 Grundsätzlich kein Versicherungsschutz besteht für eine dem VN im Strafverfahren gem. § 153a StPO auferlegte Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten sowie für die beim VN für das Aushandeln des vom Strafgericht festgesetzten Betrags angefallenen Anwaltskosten.75 Anderes gilt, wenn der VN auch zivilrechtlich Schmerzensgeld schuldet und das ihm auferlegte Schmerzensgeld darauf anzurechnen ist.76 Hierdurch verringern sich die Kosten des Zivilverfahrens.77

III. Vorschusspflicht des Versicherers 1. Allgemeines 41 Nach § 101 Abs. 1 S. 3 hat der VR die Kosten auf Verlangen des VN – erforderlichenfalls mehrmals78 – vorzuschießen.79 Gewährt der VR dem VN ordnungsgemäß Versicherungsschutz, so kommt dem Vorschussrecht des VN praktisch kaum eine Bedeutung zu. Insbesondere ist grundsätzlich allein der VR Kostenschuldner des von ihm für den VN beauftragten Anwalts. Wenn der VR dem VN allerdings die Beauftragung eines Anwalts überlässt, sodass diesem ein Honoraranspruch gegen den VN zusteht, so kann der VN bei grundloser Weigerung des VR, Vorschuss zu zahlen, Klage auf Zahlung erheben und diese ggf. mit einem Feststellungsantrag für zukünftig benötigte Vorschüsse verbinden.80 Der Anspruch auf Vorschuss kann unter den Voraussetzungen der §§ 935 ff. ZPO grundsätz42 lich auch im Wege der einstweiligen Verfügung (§ 940 ZPO) durchgesetzt werden, da ein Anspruch auf Vorschuss zu den sicherbaren Ansprüchen zählt.81 Das erforderliche Eilbedürfnis ist zu bejahen, wenn der VN glaubhaft machen kann, dass ihm ohne die begehrte Abwehrdeckung eine adäquate Verteidigung gegen Inanspruchnahme nicht möglich sei, weil sein gesamtes Vermögen arretiert sei, er über keinerlei Vermögen mehr verfüge und die seinen Anwälten überlassenen Vorschüsse mittlerweile aufgebraucht seien. Auf die Beantragung von Prozesskostenhilfe kann der VN nicht verwiesen werden, weil die Haftpflichtversicherung verpflichtet ist, alles zur Abwehr der Klageforderung Notwendige zu veranlassen. Insoweit fehlt es dem nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderlichen Unvermögen der Kostentragung. Im Hinblick auf das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ist Voraussetzung für den Erlass einer derartigen Leistungsverfügung, dass ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des VN in der Deckungsklage besteht. Dies ist bei Zweifeln über das Vorliegen einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung zu bejahen, solange eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung 74 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 4; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 62; offengelassen von BGH 23.1.1958 – II ZR 28/57, BGHZ 26 262, 268 = VersR 1958 211. 75 LG Tübingen 31.12.1987 – 2 O 158/87, VersR 1988 1172. 76 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 13; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 63; Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 6. 77 Vgl. Anrechnungsfall bei OLG Düsseldorf 12.7.1996 – 22 U 31/96, NJW 1997 1643. 78 ÖOGH 22.11.1984 – 7 Ob 592/84, VersRdSch 1987 67. 79 LG Bochum 1.10.2014 – 9 S 108/14, BeckRS 2015 602; AG Wipperfürth 4.4.2014 – 1 C 168/13, BeckRS 2014 13049; AG Ulm 2.3.2012 – 4 C 1838/11, NZV 2013 43. 80 OGH 22.11.1984 – 7 Ob 592/84, VersRdSch 1987 67. 81 Vgl. OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 509; OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390; OLG Köln 1.3.1934 VA 1934 39–40 Nr. 2690. Koch

148

B. Voraussetzungen und Umfang des Erstattungsanspruchs

VVG § 101

aufgrund eines Geständnisses oder einer gerichtlichen Entscheidung nicht feststeht (vgl. § 100 Rn. 158 f.).82 Entsprechendes gilt, wenn der VN oder die versicherte Person Freistellung von Kosten der strafrechtlichen Verteidigung verlangt, für die der VR bedingungsseitig und unter Verzicht auf bereits geleistete Verteidigungskosten im Fall der Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung versprochen hat.83

2. Einzelheiten Der Anspruch auf Vorschuss ist auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet, dessen Höhe sich 43 nach den voraussichtlich erforderlichen Aufwendungen bemisst. Wenn notwendig, sind mehrfach Vorschüsse zu gewähren.84 Der Vorschuss ist nur auf Verlangen des VN zu leisten. Hierbei handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des VN (§ 130 BGB) an den VR, die keiner Form bedarf. Das Verlangen muss hinreichend bestimmt sein. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass der VN sein Verlangen beziffert. Der VN kann den voraussichtlich erforderlichen Betrag schätzen. Insoweit gelten hier die gleichen Grundsätze wie bei § 83 Abs. 1 S. 2.85 Beim Vorschussanspruch handelt es sich um einen verhaltenen Anspruch, der kraft des 44 Verlangens sofort entsteht und fällig wird.86 Entgegen Lücke87 und Langheid88 kann der VN den Vorschuss nicht erst mit der Zustellung der Klage verlangen, sondern bereits mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, die in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallen.89 Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nur ersatzfähig, wenn sich der VR mit der Vorschussforderung in Verzug (§ 286 BGB) befunden hat.90 Dem VR steht entsprechend §§ 666, 259 BGB ein Anspruch auf Auskunft und Rech- 45 nungslegung zu, der mit der bindenden Feststellung des Haftpflichtanspruchs und der rechtskräftigen Abweisung des Haftpflichtanspruchs fällig wird. Wenn der VN den Vorschuss wider Erwarten nicht (in voller Höhe) benötigt, kann der VR entsprechend § 667 BGB die Rückzahlung des nicht verwendeten Vorschusses vom VN verlangen.91 Insoweit steht der Vorschuss unter dem Vorbehalt der endgültigen Abrechnung. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass der VR leistungsfrei oder zur Kürzung des Aufwendungsersatzanspruchs berechtigt ist, kann er den bereits verbrauchten Vorschuss (anteilig) nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern, wenn er den Vorschuss unter dem Vorbehalt des Bestehens der Leistungspflicht ausgezahlt hat.92 Dem VN ist in diesem Fall auch die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) in entsprechender Anwendung des § 820 Abs. 1 S. 1 BGB verwehrt.93 82 OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21 RuS 2021 502, 505; OLG Frankfurt/M. 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020 48390 (zur D&O-Versicherung). 83 Vgl. OLG Frankfurt/M. 4.8.2021 – 7 W 13/21, BeckRS 2021 21382. 84 Vgl. ÖOGH 22.11.1984 – 7 Ob 592/84, VersRdSch 1987 67. 85 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch § 83 Rn. 94 f. 86 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch § 83 Rn. 96; MüKo-BGB/Grothe § 199 Rn. 7. 87 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 27. 88 Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 20. 89 AG Ulm 2.3.2012 – 4 C 18381/11, NZV 2013 43, 44 stellt ebenfalls auf Zustellung der Klage ab. 90 AG Ulm 2.3.2012 – 4 C 18381/11, NZV 2013 43, 44. 91 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 29; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 66. 92 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 101 Rn. 21; Prölss/Langheid/Lücke § 101 Rn. 29; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 67; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 101 Rn. 15; übersehen von AG Ulm 2.3.2012 – 4 C 18381/11, NZV 2013 43, 44, das aus dem Vorbehalt der endgültigen Abrechnung unter irrtümlicher Berufung auf Lücke einen Rückforderungsanspruch des VR hinsichtlich der RA-Kosten des VN für den Fall herleitet, dass sich im Verkehrsunfallprozess ein versuchter Versicherungsbetrug herausstellt. 93 Vgl. BGH 20.10.2005 – III ZR 37/05, NJW 2006 286, 288; BGH 8.6.1988 – IVb ZR 51/87, NJW 1989 161, 162 (nicht versicherungsrechtliche Fälle). 149

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

IV. Kostentragungspflicht bei teilweiser Leistungsfreiheit 46 Zur Kostentragungspflicht bei teilweiser Leistungsfreiheit des VR wegen Obliegenheitsverletzungen s. Rn. 64 und § 100 Rn. 147.

V. Besonderheiten bei Überschreitung der Versicherungssumme 1. Kosten (§ 101 Abs. 2 S. 1) 47 a) Grundsatz. § 101 Abs. 2 S. 1 regelt den Fall, dass die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten der Verteidigung zusammen mit der übrigen Entschädigung die Versicherungssumme überschreiten. Der Begriff der Kosten des Rechtsstreits bezieht sich auf die Haftpflichtigkeit des VN und ist nicht in dem engen Sinn des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, sondern in dem weiten Sinne des § 101 Abs. 1 S. 1 zu verstehen, der sowohl gerichtliche als auch außergerichtliche Kosten umfasst. Das Gesetz bestimmt, dass diese Kosten dann, wenn sie in einem auf Veranlassung des VR geführten Rechtsstreit entstehen, auch insoweit zu ersetzen sind, als sie zusammen mit der übrigen Entschädigung die Versicherungssumme übersteigen. Die Aufwendungen des VR für Kosten werden somit nicht auf die Versicherungssumme angerechnet. Dieser gesetzlichen Ausgangslage entspricht Ziff. 6.5 AHB 2016 (A1-5.5 AVB BHV/AVB PHV).

48 aa) Begriff der Veranlassung. Fraglich ist, was Veranlassung bedeutet bzw. wann Veranlassung vorliegt. Dieses Merkmal, das wegen § 101 Abs. 1 S. 2 nur von Bedeutung für Zivilverfahren ist,94 liegt nach Ansicht von Littbarski vor, wenn der VR im Namen des VN einen Rechtsanwalt beauftragt oder wenn nach der Anzeige des Versicherungsfalles durch den VN gegenüber dem VR diesem eine Einigung mit dem Dritten nicht möglich ist und der Dritte daraufhin Klage gegen den VN erhebt.95 Legt man dieses Verständnis dem Wort „Veranlassung“ zugrunde, hätte der VN die Kosten des Geschädigten z. B. für dessen anwaltliche Vertretung selbst dann zu tragen, wenn sich der VR mit dem Geschädigten über den Haftpflichtanspruch in einer Höhe einigen, die die Versicherungssumme erreicht oder übersteigt. 49 Dieses Ergebnis lässt sich mit § 101 Abs. 1 S. 1 nicht vereinbaren, dem zufolge die Versicherung auch die außergerichtlichen Kosten des Geschädigten mitumfasst. Der Begriff „Veranlassung“ ist deshalb nicht in dem Sinne zu verstehen, dass derjenige der etwas veranlasst, dafür sorgt, dass etwas geschieht, etwas anordnet oder etwas bewirkt. Für die Veranlassung genügt es vielmehr, dass der VR durch sein Verhalten Anlass zum Rechtsstreit gibt. Dies ist dann der Fall, wenn der VR den Anspruch des Dritten dem Grund und/oder der Höhe nach für unberechtigt hält und es deshalb zu einem Rechtsstreit kommt. Anlass zum Rechtsstreit gibt der VR auch dann, wenn er seiner Verpflichtung zur Rechtsschutzgewähr nicht nachkommt, z. B. weil er die Deckung (zu Unrecht) ablehnt, und es (deshalb) zu einem Rechtsstreit kommt. 50 Zu beachten ist, dass § 101 Abs. 2 S. 1 keine Begrenzung des Kostenerstattungsanspruchs für den Fall enthält, dass in einem vom VR veranlassten Rechtsstreit die geltend gemachten Haftpflichtansprüche oder die Kosten die Versicherungssumme überschreiten.96 Ohne besondere vertragliche Abrede (hierzu sogleich Rn. 53) hat der VR deshalb die Kosten i. S. v. § 101 Abs. 1 S. 1 auch dann zu tragen, wenn der VN z. B. bei einer Versicherungssumme von 2 Mio. EUR zur Zahlung von 5 Mio. EUR verurteilt wird oder die Kosten der erfolgreichen

94 A. A. offenbar Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 76. 95 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 77; i. S. auch Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 101 Rn. 11. 96 A. A. Ramharter Rz. 6/49 Fn. 1803. Koch

150

B. Voraussetzungen und Umfang des Erstattungsanspruchs

VVG § 101

Anspruchsabwehr 3 Mio. EUR betragen.97 Abzulehnen ist die von Lücke vertretene verhältnismäßige Aufteilung der Kosten bei Überschreiten der Versicherungssumme unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken der §§ 83 Abs. 2, 85 Abs. 2, soweit sich die die Versicherungssumme überschreitenden Ansprüche als begründet erweisen.98 Diese Normen sehen ein Kürzungsrecht nur dann vor, wenn der VR wegen Obliegenheitsverletzung oder Herbeiführung des Versicherungsfalles berechtigt ist, die Leistung zu kürzen.99

bb) Ohne Veranlassung geführter Rechtsstreit. Wird ein Rechtsstreit ohne Veranlassung 51 durch den VR geführt, was praktisch nur in Betracht kommt, wenn der VN keine Kenntnis über das Bestehen der Haftpflichtversicherung100 oder den VR entgegen § 104 Abs. 1 S. 2 nicht über die Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs informiert hat, so tritt nach dem Gesetz eine derartige unbegrenzte Kostentragungspflicht nicht ein. Die Leistungspflicht des VR ist vielmehr auf die Versicherungssumme beschränkt.101 Diese Regelung könnte den VR dazu veranlassen, in den Fällen, in denen die Prozesskosten entweder bereits für sich allein genommen oder aber zusammen mit dem Haftpflichtanspruch voraussichtlich die Versicherungssumme übersteigen, den Haftpflichtanspruch in Ausübung seiner ihm nach Ziff. 5.2 S. 1 AHB 2016 (A1-4.2 AVB BHV/ AVB PHV) zustehenden Regulierungsvollmacht anzuerkennen und den Haftpflichtanspruch in Höhe der Versicherungssumme zu befriedigen, um sich auf diese Weise von weiteren Verbindlichkeiten zu befreien. Dies liefe auf eine Art Abandon hinaus (vgl. § 141). Mit einer solchen Vorgehensweise würde der VR jedoch seine Rechtsschutzverpflichtung aus § 100 i. V. m. Ziff. 5.1 S. 1 AHB 2016 (A1-4.1 lit. b) AVB BHV/AVB PHV) verletzen. Zu einer Anerkennung ist der VR gegenüber dem VN nur berechtigt, wenn er nach Prüfung der Sach- und Rechtslage und Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu dem Ergebnis kommt, dass der Anspruch des Dritten begründet ist (vgl. § 100 Rn. 109 ff.) oder der VN eingewilligt hat. Schulze Schwienhorst problematisiert, ob die Möglichkeit besteht, eine fehlende Veranlas- 52 sung seitens des VR zum Rechtsstreit durch eine „nachträgliche Genehmigung“ zu heilen. Während für Lücke eine nachträgliche Billigung genügt,102 will Schulze Schwienhorst unter Zugrundelegung der gesetzlichen Leitlinien des Obliegenheitsrechts danach unterscheiden, ob die nicht eingeholte „Veranlassung“ des VR dem VN anzulasten sei und zu einer Verschlechterung der Verteidigungsposition des VR geführt habe oder ob den VN kein maßgebliches Verschulden treffe und sich durch die verspätete Einbindung des VR auch nicht dessen Verteidigungsposition verschlechtere. Nur bei der zuletzt genannten Fallgestaltung sei die fehlende Veranlassung „als heilbar i. S. d. § 101 Abs. 2 einzustufen“.103 Die Beschränkung der „Heilbarkeit“ auf die Fälle, in denen der VR gegenüber dem VN nicht (teilweise) leistungsfrei ist, vermag nicht zu überzeugen. Schließlich ist es auch bei grob fahrlässigen, vorsätzlichen oder gar arglistigen Obliegenheitsverletzungen Sache des VR, ob er sich hierauf gegenüber dem VN beruft oder nicht (Einrede). Hat es aber der VR in der Hand, sich auf (teilweise) Leistungsfreiheit z. B. wegen Verstoßes gegen die Anzeigeobliegenheit gem. Ziff. 26 AHB 2016 (B3-3.3 AVB BHV/AVB PHV) i. V. m. § 28 Abs. 2 und 3 im Fall der Nichtanzeige zu berufen, lässt sich eine fehlende Heilbarkeit durch Genehmigung nicht auf die gesetzlichen Leitlinien des Obliegenheitsrechts stützen. Vorzugs97 Vgl. RG 14.5.1929 – VII 63/29, RGZ 124 237, 238; OLG München 7.1.2019 u. 18.2.2019 – 25 U 2750/18, VersR 2020 543 f. (die Nichtzulassungsbeschwerde des Grund-VR hat der BGH mit Beschl. v. 4.12.2019 – IV ZR 78/19 zurückgewiesen); vgl. auch ÖOGH 23.5.2013 – 7Ob60/13v, VersR 2014 901. 98 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 222. 99 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 101 Rn. 4. 100 Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 100 Rn. 11: verspätete Kenntnis des Insolvenzverwalters über das Bestehen einer Haftpflichtversicherung. 101 RG 14.5.1929 – VII 63/29, RGZ 124 235, 237 f. 102 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 26. 103 Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 100 Rn. 10; so auch Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 78. 151

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

würdig ist deshalb die Ansicht Lückes. Es kommt somit darauf an, ob der VR die Führung des Rechtsstreits durch den VN nachträglich billigt. Davon kann bei Klagen, die die zur Verfügung stehende Versicherungssumme von vornherein überschreiten, nicht ohne Weiteres ausgegangen werden.

53 b) Die Versicherungssumme übersteigende begründete Haftpflichtansprüche. In Ziff. 6.6 AHB 2016 (A.1-5.6 AVB BHV/AVB PHV, A.3-5.6 AVB BHV) wird bestimmt, dass für den Fall, dass die begründeten – nicht die erhobenen – Haftpflichtansprüche die Versicherungssumme übersteigen, der VR die Prozesskosten nur im Verhältnis der Versicherungssumme zur Gesamthöhe der Ansprüche zu tragen hat (Rn. 74). Diese Regelung hat gegenüber der gesetzlichen Lösung für den VN den Nachteil, dass die Beschränkung auf den Kostenanteil auch dann eintritt, wenn der Rechtsstreit auf Veranlassung des VR geführt wurde. Der Vorteil ist dagegen darin zu sehen, dass die Leistungen des VR unter Umständen die Versicherungssumme auch dann übersteigen, wenn es sich um einen Prozess handelt, der nicht auf Veranlassung des VR geführt wurde. Abzulehnen ist die Ansicht, die Quotierung auch bei solchen Haftpflichtversicherungen durchzuführen, die nicht auf den AHB beruhen.104 Soweit für Personen-, Sach- und (echte) Vermögensschäden gesonderte Versicherungssummen vereinbart worden sind, ist bei der Prüfung, ob die begründeten Ansprüche die Deckungssumme überschreiten, darauf abzustellen, worauf sich die Haftpflichtansprüche richten.105

2. Zinsen (§ 101 Abs. 2 S. 2) 54 a) Grundsatz. § 101 Abs. 2 S. 2 dehnt die Regelung des § 101 Abs. 2 S. 1 auf Zinsforderungen aus, soweit sie der VN infolge einer vom VR veranlassten Verzögerung der Befriedigung des Dritten diesem zu entrichten hat. Die Versicherungssumme begrenzt insoweit nur die Entschädigungsforderung, nicht aber die auf die Entschädigungsforderung zu zahlenden Zinsen, soweit sie durch ein Verhalten des VR veranlasst worden sind. Veranlasst ist die Verzögerung der Befriedigung des Dritten nach Ansicht des BGH jedenfalls dann, wenn sich der VR mit seiner Freistellungsverpflichtung gegenüber dem VN in Verzug befindet.106 Da ein Verschulden des VR nach dem Gesetz nicht erforderlich ist,107 kann es jedoch auf Verzug nicht ankommen. Eine Veranlassung liegt demnach stets vor, wenn der VR die Forderung nicht rechtzeitig erfüllt.108 Unabhängig davon schuldet der VR Verzugszinsen über die Deckungssumme hinaus, wenn er mit der Erfüllung des Freistellungsanspruchs gegenüber dem VN in Verzug gerät (§ 288 BGB).109 55 § 101 Abs. 2 S. 2 findet keine analoge Anwendung auf andere während der Dauer des Prozesses eintretende, für den VN nachteilige Rechtsfolgen, wie z. B. eine während der Dauer des Rechtsstreits fortschreitende Geldentwertung, die dazu führt, dass die Versicherungssumme für die Ansprüche des geschädigten Dritten nicht ausreicht. Eine analoge Anwendung ist jedoch geboten in den Fällen, in denen der VR die Deckung zu Unrecht verweigert (hat) und die 104 Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 22; Grooterhorst RuS 2014 157, 158; wie hier Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 101 Rn. 5.

105 OLG Karlsruhe 6.3.1963 – 1 U 134/62, VersR 1963 1067. 106 BGH 11.3.1992 – IV ZR 284/90, RuS 1992 193, 194 = VersR 1992 1257 (§ 150 Abs. 2 S. 2 a. F.); Langheid/Wandt/ Littbarski § 101 Rn. 89; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 30; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 101 Rn. 21; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 34. 107 Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 89; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 101 Rn. 21; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 34; R. Johannsen ZVersWiss 83 (1994) 449, 461 f. 108 OLG Düsseldorf 13.12.2019 – I-4 U 23/18, VersR 2020 683, 686; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 30; vgl. auch Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 34. 109 BGH 11.3.1992 – IV ZR 284/90, RuS 1992 193, 194 = VersR 1992 1257 (§ 150 Abs. 2 S. 2 a. F.); Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 30; vgl. auch R. Johannsen ZVersWiss 83 (1994) 449, 461 f. Koch

152

C. Kostenerstattungsanspruch und Forderungsübergang nach § 86 Abs. 1 S. 1

VVG § 101

Schadensersatzansprüche des geschädigten Dritten aufgrund der faktischen Auswirkungen der Verweigerung die Versicherungssumme übersteigen.

b) Formularpraxis. § 101 Abs. 2 S. 2 wird nicht durch die Formulierung berührt, wonach Auf- 56 wendungen des VR für Kosten nicht auf die Versicherungssummen angerechnet werden (vgl. Ziff. 6.5 AHB, A1-5.5 AVB BHV/AVB PHV). Aus der Nichterwähnung der Zinsen folgt nicht mit der für die Auslegung von AVB erforderlichen Klarheit, dass nur Kosten nicht angerechnet werden. Diese Unklarheit geht gem. § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des VR.110 Im Übrigen würde eine Anrechnung der Zinsen einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen Abweichung von wesentlichen Grundgedanken des § 101 Abs. 2 S. 2 nicht standhalten, weil der VN das Risiko einer Erhöhung des Schadensumfangs durch Zinsansprüche des Geschädigten allein zu tragen hätte und insoweit den VR nur unter den schwer nachzuweisenden Voraussetzungen des Verzugs in Anspruch nehmen könnte, während der VR selbst durch die Verzögerung der Erfüllung der Ansprüche des Geschädigten einen Zinsgewinn erlangt.111

C. Kostenerstattungsanspruch und Forderungsübergang nach § 86 Abs. 1 S. 1 Hat der VR Leistungen auf Kosten erbracht, die vom Gegner zu erstatten sind, gehen die Kosten- 57 erstattungsansprüche des VN als „Versicherungsschaden im weiteren Sinne“112 gem. § 86 Abs. 1 S. 1 auf den VR über.113 Die Festsetzung der von dem unterlegenen Dritten an den VN zu erstattenden Kosten des Rechtsstreits i. S. v. § 91 Abs. 1 ZPO erfolgt nach den Regeln des Prozessrechts (§§ 103 ff. ZPO). Der VN ist regelmäßig ermächtigt, den Kostenerstattungsanspruch im eigenen Namen geltend zu machen (Fall der gewillkürten Prozessstandschaft). Der unterlegene Dritte kann sich mit Rücksicht auf die regelmäßig gegebene Ermächtigung des VN durch den VR auf diesen Forderungsübergang grundsätzlich auch in einem Verfahren nach § 767 ZPO nicht mit Erfolg berufen. Der VN ist verpflichtet, den vom Gegner eingezogenen Betrag an den VR weiterzuleiten. Hat der VR die Kostenforderung befriedigt, ist der VN gem. § 86 Abs. 2 S. 1 auch verpflichtet, 58 auf entsprechendes Verlangen des VR an einer Umschreibung des Titels mitzuwirken. Schwierigkeiten können sich ergeben, wenn ein unbeteiligter Vierter den prozessualen Kostenerstattungsanspruch des VN pfändet. Soweit der VR bereits durch Bezahlung des betreffenden Kostenanteils Inhaber der Forderung geworden ist, kann er mit der Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO gegen die Pfändung vorgehen. Gegenüber einem solchen pfändenden Vierten ist der VR, der bereits gezahlt hat, auch dann bevorrechtigt, wenn die Pfändung des „Kostenerstattungsanspruchs“ vor Erlass der Kostenentscheidung des Haftpflichtprozesses erfolgt. Der vor Erlass der Kostenentscheidung mit der Rechtshängigkeit aufschiebend bedingt entstandene Kostenerstattungsanspruch114 geht im Zeitpunkt der Zahlung auf den VR nach § 86 Abs. 1 S. 1 über und ist somit dem Pfändungszugriff des Vierten entzogen. Soweit allerdings der VR noch 110 BGH 11.3.1992 – IV ZR 284/90, RuS 1992 193, 194 = VersR 1992 1257; BGH 8.11.1989 – IVa ZR 163/88, VersR 1990 191; OLG Düsseldorf 13.12.2019 – I-4 U 23/18, VersR 2020 683, 686; OLG Koblenz 22.6.1979 – 10 U 900/78, VersR 1980 569; a. A. LG Koblenz 10.12.1954 – 2 O 155/54, NJW 1955 1235, 1236. 111 So zutreffend obiter OLG Koblenz 22.6.1979 – 10 U 900/78, VersR 1980 569; a. A. OLG Düsseldorf 13.12.2019 – I-4 U 23/18, VersR 2020 683, 686; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 30; offenlassend Fortmann RuS 2020 274, 275 f. 112 Zu diesem Begriff und zur Abgrenzung vom Versicherungsschaden i. e. S. s. Bruck/Möller/R. Koch9 § 82 Rn. 56 ff. 113 Vgl. BGH 3.7.1962 – VI ZR 88/61, NJW 1962 1678, 1679; RG 19.3.1940 – VII 147/39, DR 1940 986, 987 (für den in der Interessenlage gleich gelagerten Fall des Übergangs eines gemäß § 426 BGB gegebenen Ausgleichsanspruchs gegen einen anderen Mitschädiger nach § 67 Abs. 1 S. 1 a. F. zusammen mit den außerhalb eines Rechtsstreits entstandenen notwendigen Regulierungskosten); vgl. auch OLG Karlsruhe 10.7.2017 – 1 U 130/16, BeckRS 2017 152860. 114 Vgl. BGH 22.5.1992 – V ZR 108/91, NJW 1992 2575. 153

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

nicht geleistet hat, geht ihm der pfändende Vierte vor. Für die Annahme einer stillschweigenden, § 86 Abs. 1 S. 1 ergänzenden Forderungsabtretung des VN an den VR besteht kein Raum, da damit den Parteien ein rechtsgeschäftliches Handeln unterstellt wird, an das sie selbst gar nicht gedacht haben. 59 Kosten, die der VR aufwendet, um seine Eintrittspflicht gegenüber dem VN zu prüfen, kann er nicht nach § 86 Abs. 1 S. 1 vom unterlegenen Dritten ersetzt verlangen.115

D. Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung (§ 101 Abs. 3) I. Verpflichtung zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung 1. Abwendbarkeit der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung 60 Entscheidet sich der VR nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zur Abwehr des Haftpflichtanspruchs, trifft ihn nach § 101 Abs. 3 S. 1 später auch die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, um die Zwangsvollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Urteilen (§§ 708 f., 720a ZPO), Schiedssprüchen (§ 1064 ZPO) oder sonstigen vorläufig vollstreckbaren Titeln aller Art gegen den VN abzuwenden, wenn dem VN diese Möglichkeit nachgelassen ist. Dazu zählen auch Entscheidungen, die im Eilverfahren ergangen sind (Arrest, §§ 916 ff. ZPO, und einstweilige Verfügung, §§ 935 ff. ZPO). Kommt der VR dagegen nach Prüfung der Sachund Rechtslage zu dem Ergebnis, dass der Haftpflichtanspruch begründet ist, und erkennt ihn gegenüber dem VN an, entfällt nach § 101 Abs. 3 S. 3 diese Verpflichtung und die Entschädigung wird nach § 106 S. 1 fällig. 61 Abweichend von § 150 Abs. 3 S. 1 a. F. ist für die Verpflichtung des VR zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung ein Verlangen des VN nicht mehr erforderlich. Vielmehr ist der VR verpflichtet, bereits dann die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, wenn dem VN dies gem. § 711 ZPO nachgelassen wird.116 Mit dem Erlass der Entscheidung wird der Anspruch des VN auf Sicherheitsleistung oder Hinterlegung fällig. Dies bedeutet für den Regelfall, also bei Durchführung des Haftpflichtstreits durch den VR (bzw. durch einen von ihm beauftragten Anwalt), dass eine „spontane“ Leistungsverpflichtung des VR besteht, mit der er auch ohne Mahnung durch den VN in Verzug geraten kann. Hat dagegen der VR dem VN mit dessen Einverständnis die Prozessführung überlassen oder handelt es sich sonst um einen „ohne Veranlassung des VR“ durchgeführten Rechtsstreit, so bedarf es zur Herbeiführung des Verzuges einer Mahnung.117 Wendet der VN die Zwangsvollstreckung dadurch ab, dass er für die Sicherheitsleistung sorgt, kann er vom VR etwaige Habenzinsverluste oder Darlehenskosten nebst Zinsen ersetzt verlangen.

2. Unabwendbarkeit der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung 62 Soweit es sich nicht um Anerkenntnis- oder Versäumnisurteile handelt (vgl. § 708 Nr. 1 bis 3 ZPO) oder das Urteil unzweifelhaft nicht rechtsmittelfähig ist (§ 713 ZPO), spricht das Gericht 115 Vgl. auch BGH 18.10.2018 – III ZR 236/17, VersR 2018 1502 Rn. 15; OLG Karlsruhe 10.7.2017 – 1 U 130/16, BeckRS 2017 152860 (beide Urteile betreffen die Sachversicherung). 116 Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 93; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider § 24 Rn. 135; a.A. Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 101 Rn. 6. 117 Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 94; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 101 Rn. 22; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 39 (zu AHB); Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 150 Rn. 15 (§ 150 Abs. 3 S. 1 a. F.). Koch

154

D. Abwendung der Vollstreckung

VVG § 101

von Amts im Tenor des Urteils aus, dass der beklagte VN die Zwangsvollstreckung durch den geschädigten Kläger durch Sicherheitsleistung abwenden kann, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Bei Anerkenntnis- und Versäumnisurteilen sowie bei Sicherheitsleistung durch den Kläger bietet nur ein Antrag nach § 712 ZPO die Chance zur Abwendung der Vollstreckung. Unterlässt es hier der (vom VR beauftragte) Anwalt, rechtzeitig in der Berufungsinstanz einen Antrag nach § 712 ZPO zu stellen, kann dies in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht mehr nachgeholt werden.118 Wird der Antrag nach § 712 ZPO abgelehnt, muss der VR zur Abwendung der Zwangsvollstreckung Zahlung (unter Vorbehalt des Rechtskrafteintritts) an den Dritten leisten, obgleich der Haftpflichtanspruch i. S. d. § 106 S. 1 noch nicht rechtskräftig festgestellt ist. Dies folgt daraus, dass nach der vertraglichen Risikoverteilung in der Haftpflichtversicherung der VR das Risiko von Fehleinschätzungen in Bezug auf die Un-/Begründetheit des Haftpflichtanspruchs trägt (§ 100 Rn. 112 f.). Der VR hat den VN deshalb gem. § 100 von allen Nachteilen freizustellen, die diesem im Zusammenhang mit der erfolglosen Abwehr des Haftpflichtanspruchs entstehen. Rechtstechnisch lässt sich dieses Ergebnis durch eine analoge Anwendung von § 101 Abs. 3 erreichen.119 Dabei trägt der VR auch das Risiko, dass nach rechtskräftigem Obsiegen des VN vom geschädigten Dritten wegen dessen Vermögenslosigkeit nichts zurückzuerlangen ist. Auch in den Fällen, in denen der VN ohne Zustimmung des VR und damit ohne Bindungs- 63 wirkung i. S. v. § 106 S. 1 den Haftpflichtanspruch anerkennt, muss der VR sorgsam abwägen, inwieweit die Forderung des Dritten ganz oder teilweise begründet ist und ggf. die Zwangsvollstreckung insoweit durch Zahlung oder durch Hinterlegung unterbinden.

3. Obliegenheitsverletzungen des VN Informiert der VN den VR nicht über seine gerichtliche Inanspruchnahme und kommt es 64 durch grobe Fahrlässigkeit des VN dazu, dass ein Versäumnisurteil ergeht oder ein Vollstreckungsbescheid erlassen wird, so braucht der VR grundsätzlich die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus diesen Titeln erforderliche Sicherheitsleistung nicht in vollem Umfang zu stellen. Das ergibt sich als Folge der Verletzung der Anzeigeobliegenheit (Ziff. 25.3 AHB 2016, B3-3.2.2 lit. a) AVB BHV/AVB PHV) bzw. der Rettungsobliegenheit (Ziff. 25.2 S. 1, 25.4 S. 1 AHB 2016, B3-3.2.1, B3-3.2.2 lit. d) AVB BHV/AVB PHV) aus Ziff. 26.2 AHB 2016 (B33.3.1 AVB BHV/AVB PHV).120 Mit Rücksicht darauf, dass der VR aber in diesen Fällen weiter die Freistellung von etwa doch begründeten Haftpflichtansprüchen schuldet, muss der VR sorgsam abwägen, inwieweit die Forderung des Dritten ganz oder teilweise begründet ist. Wenn erkennbar ein Teil der gegnerischen Haftpflichtforderung begründet ist, darf der VR diesbezüglich die gerichtliche Auseinandersetzung nicht fortsetzen und muss die Zwangsvollstreckung insoweit durch Zahlung, mindestens aber durch Hinterlegung unterbinden. Es verstieße gegen Treu und Glauben, wenn der VR sich hier darauf beriefe, dass ihm eine Teilleistung deshalb nicht zuzumuten sei, weil die Erfahrung lehre, dass durch solche Teilleistungen die Prozesslust des Dritten gesteigert werde. Bietet der VN in Fällen, in denen eine Sicherheitsleistung durch seine Obliegenheitsverletzung erforderlich wird, dem VR an, den durch die Hinterlegung entstehenden Zinsverlust zu vergüten und zahlt er den angemessen abzuschätzenden Betrag dafür im Voraus an den VR, so muss der VR nach Treu und Glauben die Sicherheitsleistung stellen. Ein weiteres Verharren auf seinem formalen Rechtsstandpunkt müsste hier als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

118 Vgl. nur BGH 23.6.2021 – XII ZB 495/20, BeckRS 2021, 17566 Rn. 6; MüKo-ZPO/Götz § 714 Rn. 3 m. w. N. 119 Für eine analoge Anwendung von § 106 S. 1: Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 4. 120 Vgl. OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 111 (Ist tatsächliche Deckungspflicht nur eingeschränkt gegeben, trifft den VR auch nur eine anteilige Kostentragungspflicht). 155

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

4. Fehleinschätzung der Deckungspflicht 65 Der VR kann sich gegenüber dem Geschädigten nicht darauf berufen, dass er gegenüber dem VN nicht zur Gewährung von Versicherungsschutz verpflichtet gewesen sei. Das Risiko, zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Sicherheit die Deckungspflicht aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag gegenüber dem Vollstreckungsschuldner falsch einzuschätzen, trägt insoweit allein der VR.121 Dies folgt aus dem Zweck der Sicherheitsleistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil. Es soll ein angemessener Ausgleich für den Gläubiger geschaffen werden, der infolge der Sicherheitsleistung auf die vorläufige Vollstreckung verzichtet.122 Angemessen ist dieser Ausgleich jedoch nur, wenn die Sicherheit nach Rechtskraft der vorläufig vollstreckbaren Entscheidung auch tatsächlich zur Verfügung steht. Nur in diesem Fall ist es einem Gläubiger zumutbar, von der Fortführung der Zwangsvollstreckung aufgrund der Sicherheitsleistung abzusehen.123

II. Umfang der Verpflichtung des Versicherers zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung 66 In § 101 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 ist vorgesehen, dass der VR für den VN die Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nur bis zum Betrag der Versicherungssumme zu erbringen hat. Etwas anderes gilt dann, wenn der Rechtsstreit auf Veranlassung des VR geführt wurde und/oder der VR die Befriedigung der Dritten verzögert. In diesen Fällen erhöht sich die Sicherheitsleistung oder Hinterlegung gem. § 101 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 um den Mehrbetrag, den der VR dem VN nach § 101 Abs. 2 zu ersetzen hat.124

III. Art und Weise der Sicherheitsleistung 67 Bei der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung handelt es sich nach allgemeiner Ansicht um eine Wahlschuld i. S. d. § 262 BGB.125 Mangels einer – nicht gegebenen – Bestimmung des Wahlberechtigten steht das Wahlrecht dem Schuldner, d. h. hier dem VR, zu. Art und Weise der Sicherheitsleistung richten sich nach §§ 108 ff. ZPO i. V. m. §§ 234 f. BGB. Der VR kann daher grundsätzlich darüber bestimmen, ob er die Zwangsvollstreckung durch Hinterlegung des ausgeurteilten Betrages oder durch Stellung einer selbstschuldnerischen Bankbürgschaft als Sicherheit abwenden will.126 Lehnt das Gericht die Bürgschaft des VR als Sicherheitsleistung ab, ist die Sicherheit in der vom Gericht bestimmten Art und Weise zu leisten.127 Der geschädigte Dritte kann den Anspruch auf Sicherheitsleistung oder Hinterlegung pfänden und sich überweisen lassen.128

121 122 123 124 125

OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 111. Vgl. BGH 3.5.2005 – XI ZR 287/04, NJW 2005 2157, 2159 – für die Prozessbürgschaft. Vgl. OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109, 111. Vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 110. OLG Hamm 10.6.1987 – 20 W 79/86, RuS 1987 307 = VersR 1988 902; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 32; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 103; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 38. 126 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 103; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 39. 127 Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 103; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 39. 128 OLG Hamm 10.6.1987 – 20 W 79/86, RuS 1987 307 = VersR 1988 902; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 32; Langheid/Wandt/Littbarski § 101 Rn. 103. Koch

156

D. Abwendung der Vollstreckung

VVG § 101

IV. Rechtsfolgen der Sicherheitsleistung 1. Aufhebung des Haftpflichturteils gegen den VN Leistet der VR aufgrund eines gegen den VN ergangenen, für vorläufig vollstreckbar erklärten 68 Urteils Sicherheit zur Abwendung der Vollstreckung, so steht ihm nach Ansicht des BGH im Fall der Aufhebung des Urteils kein Anspruch auf Ersatz des (fiktiven) Zinsschadens gem. § 717 Abs. 2 ZPO zu, weil nicht er, sondern der VN Vollstreckungsschuldner ist.129 Dem VN ist wiederum aufgrund der Sicherheitsleistung des VR kein Schaden entstanden, so dass er ebenfalls keinen Anspruch gegen den Vollstreckungsgläubiger hat. Hinzukommt, dass der VR die Sicherheitsleistung auch nicht zur Befriedigung des Haftpflichtanspruchs erbringt, sondern zum Zwecke der Erfüllung seiner Vertragspflicht gegenüber dem VN. Es liegen daher weder die Voraussetzungen eines Anspruchsübergangs nach § 86 Abs. 1 S. 1 vor, noch kann der VN einen Schadensersatzanspruch an den VR abtreten.130 Eine Schadensliquidation im (Dritt-)Interesse des VR durch den VN lehnen der BGH131 69 und das vornehmlich zivilprozessuale Schrifttum132 ab. Zur Begründung führt der BGH an, es fehle an der dafür erforderlichen Schadensverlagerung, weil sich die Frage, ob und in welchem Umfang dem Vollstreckungsschuldner (VN) oder einem für diesen aufgrund vertraglicher Verpflichtung leistenden Dritten (VR) infolge der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erbrachten Zahlung ein Anlageschaden (Zinsverlust) entstehe, nach gänzlich unterschiedlichen, in der jeweiligen persönlichen und finanziellen Situation des Leistenden begründeten Umständen richte.133 Ist aber eine Zinseinbuße des durch die Zwangsvollstreckung nur mittelbar geschädigten Dritten sowohl in der Entstehung als auch in ihrer Höhe von einem (fiktiven) Zinsverlust des Vollstreckungsschuldners unabhängig, so wird nach Ansicht des BGH insoweit nicht ein Schaden des Schuldners auf den Dritten „verlagert“.134 Wussow ist zudem der Ansicht, dass der VR überhaupt keinen Schaden erleide, da er vertraglich gegenüber dem VN zur Sicherheitsleistung verpflichtet sei.135 Baumann spricht sich dagegen für eine Liquidation mit der Begründung aus, der Dritte dürfe nicht davon profitieren, dass der VN einen Versicherungsvertrag abgeschlossen habe.136 Nach Baumann dürfte aus „normativer Sicht der Vortrag des VN [entscheidend] sein, dass er ohne die Leistung des VR einen verzinslichen Kredit hätte aufnehmen müssen“; der damit begründete Schadensersatzanspruch gehe zwar nicht nach dem Gesetz auf den VR über, sei aber vertraglich auf ihn überzuleiten.137 Der vom BGH entschiedene Fall weist die Besonderheit auf, dass der VN seinen Zinsschaden 70 damit begründete, dass er die von seinem VR gezahlten Beträge von Anfang 1976 bis Mitte 1981 auf dem Wertpapiermarkt hätte anlegen und dabei eine Durchschnittsrendite von jährlich 8,2 % hätte erzielen können. Es ging somit um eine Haftungsausweitung auf einen in der Person des VN gar nicht entstandenen Drittschadens. Insoweit hat der BGH zu Recht festgestellt, dass es „zu einer Schadenfiktion führen [würde], die über die normative Korrektur seiner Schadenbilanz hinausginge, weil sie an die Stelle des wirklichen Geschehens eine andere, hypothetische Schadenentwicklung setzen würde,“ wenn man den VN gleichwohl behandelte, „als sei ihm durch

129 Vgl. BGH 3.7.1984 – VI ZR 264/82, VersR 1984 943, 944; OLG Frankfurt 23.4.1959 – 1 U 126/58, VersR 1959 894. 130 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 44; Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 18; a. A. Langheid/ Wandt/Littbarski § 101 Rn. 106; Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 37. 131 BGH 3.7.1984 – IV ZR 264/82, VersR 1984 943, 944; OLG Frankfurt 23.4.1959 – 1 U 126/58, VersR 1959 894. 132 Wussow VersR 1959 894, 895; MüKoZPO/Götz § 717 Rn. 13; Musielak/Voit/Lackmann § 717 Rn. 11; a. A. Stein/ Jonas/Münzberg § 717 Rn. 27. 133 BGH 3.7.1984 – VI ZR 264/82, VersR 1984 943, 944. 134 BGH 3.7.1984 – VI ZR 264/82, VersR 1984 943, 944. 135 Wussow VersR 1959 894, 895. 136 Krit. Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 37; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V Anm. G 2. 137 Berliner Kommentar/Baumann § 150 Rn. 37. 157

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

die Vollstreckung […] die Nutzung seines Kapitals entzogen worden.“138 Den Bedenken des BGH ließe sich jedoch dadurch Rechnung tragen, dass man den Schaden so bemisst, als ob der VN eigenes Kapital zur Zahlung der Titelforderung eingesetzt hätte. In diesem Fall könnte der VR den (fiktiven) Zinsverlust des VN als Anlageschaden oder die Zinsen des VN für ein (fiktives) Darlehen im Wege des Schadensersatzes nach § 717 Abs. 2 ZPO geltend machen. Ferner ist zu beachten, dass der VR, der gegenüber dem VN seiner Verpflichtung zur Sicherheitsleistung nicht nachkommt, zum Schadensersatz gem. § 280 BGB verpflichtet ist. In dieser Konstellation haften der vermeintlich geschädigte Dritte und der VR gesamtschuldnerisch für den Anlage-/ Zinsschaden, der dem VN entstanden ist. Der VR könnte somit (anteilig) Ausgleichsansprüche aus eigenem Recht nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB sowie aus nach § 426 Abs. 2 BGB übergegangenem Recht geltend machen, wobei jeweils der Schaden, der dem VN entstanden ist, für die Aufteilung zugrunde zu legen wäre.

2. Rechtskräftiges Haftpflichturteil gegen den VN 71 Der Gegenstand der Hinterlegung dient der Sicherung der Vollstreckungsbefugnis des geschädigten Dritten in seiner Eigenschaft als Vollstreckungsgläubiger. Mit der Hinterlegung erlangt der Sicherungsberechtigte ein Pfandrecht am hinterlegten Gegenstand.139 Die Ausführung der Hinterlegung richtet sich nach dem jeweiligen landesrechtlichen Hinterlegungsgesetzen. Die Überweisung an die Zahlstelle des Prozessgerichts genügt nicht.140 Wird über die Haftpflichtforderung aus dem Urteil rechtskräftig entschieden, steht dem Vollstreckungsgläubiger ein Anspruch auf Verwertung des Pfandrechtes an der die titulierte Forderung sichernden Sicherheit nach §§ 1228 Abs. 2, 1273 Abs. 2, 1282 Abs. 1 S. 1 BGB zu. Zu diesem Zweck kann der Geschädigte von dem VR die Freigabe der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gewährten Sicherheit verlangen.141

E. Abdingbarkeit I. Praxisrelevante Abweichungen 72 § 101 ist abdingbar (vgl. § 112). Zu den Besonderheiten in der obligatorischen Haftpflichtversicherung s. Rn. 77. Die praxisrelevanten Änderungen betreffen § 101 Abs. 2 S. 1. Es geht um die Anrechnung von Kosten auf die Versicherungssumme (Rn. 77),142 die Begrenzung des Kostenersatzes bei begründeten Haftpflichtansprüchen, welche die Versicherungssumme überschreiten (Rn. 74), sowie das Scheitern einer vom VR verlangten Erledigung eines Haftpflichtanspruchs durch Anerkenntnis, Befriedigung oder Vergleich am Verhalten des VN (Rn. 76). Die in älteren AHB-Fassungen noch vorgesehene Möglichkeit für den VR, sich bei Überschreiten der Versicherungssumme durch Zahlung der Versicherungssumme und eines der Versicherungssumme entsprechenden Anteils an den bis dahin erwachsenen Kosten von weiteren Leistungen zu befreien (sog. Abandon), ist in den AHB 2016/AVB BHV/AVB PHV nicht mehr enthalten.

138 139 140 141 142 Koch

BGH 3.7.1984 – VI ZR 264/82, VersR 1984 943, 944. Zöller/Herget29 § 108 ZPO Rn. 15a. BGH 25.7.2002 – VII ZR 280/01, NJW 2002 3259. Vgl. OLG Celle 23.12.2009 – 3 U 144/09, RuS 2010 109 ff. Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 7 Rn. 291 ff., 411 AHB. 158

E. Abdingbarkeit

VVG § 101

II. Wirksamkeit der Abweichungen von § 101 Abs. 2 S. 1 Formularvertragliche Abweichungen, die – wie die vorstehend genannten – für den VN nach- 73 teilig sind, haben sich – wie auch sonst – an § 307 BGB messen zu lassen. Unbestritten zählt die Rechtsschutzverpflichtung des VR zum Leitbild der Haftpflichtversicherung. Jedoch wird diese Verpflichtung durch keine der vorstehenden Klauseln in Abrede gestellt. Die Klauseln sind darüber hinaus auch nicht geeignet, den Freistellungsanspruch auszuhöhlen.143 Im Einzelnen:

1. Kostenbegrenzung bei Überschreiten der Versicherungssumme Übersteigen die begründeten – nicht die erhobenen – Haftpflichtansprüche aus einem Versi- 74 cherungsfall die Versicherungssumme, trägt der VR gem. Ziff. 6.6 AHB 2016 (A.1-5.6 AVB BHV/ AVB PHV) die Prozesskosten im Verhältnis der Versicherungssumme zur Gesamthöhe dieser Ansprüche (Rn. 53). Ist der Haftpflichtanspruch in Höhe von 5 Mio. EUR begründet, beträgt die Versicherungssumme jedoch nur 2 Mio. EUR, hat der VR den VN somit nur in Höhe von 40 % (2 Mio. EUR: 5 Mio. EUR) der insgesamt entstandenen Kosten freizustellen. Die degressive Ausgestaltung der Rechtsanwalts- und Gerichtskosten bleibt unberücksichtigt. Darin liegt jedoch keine unangemessene Benachteiligung des VN i. S. v. 307 Abs. 1 S. 1 BGB, weil sich die Situation der Sache nach nicht anders darstellt, als ob im Haftpflichtprozess teils dem Versicherungsschutz unterliegende, teils nicht gedeckte Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Hier besteht ebenfalls nur eine anteilige Kostentragungspflicht.144 Im Übrigen würde der VN von der Degression auch dann nicht profitieren, wenn der VR den VN in Höhe von 2 Mio. EUR freigestellt und der Geschädigte den VN in Höhe des offen gebliebenen Betrags in Anspruch genommen hätte. Unwirksam gem. §§ 307 Abs. 2 Nr. 2, 307 Abs. 1 S. 1 BGB wäre eine Regel, wonach der VR 75 die Prozesskosten nicht im Verhältnis der Versicherungssumme zu den begründeten, sondern den erhobenen Ansprüchen trägt, weil dann der Anspruchsteller die Quote bestimmen könnte.145 Ergänzend sei bemerkt, dass Ziff. 6.6 AHB 2016 (A1-5.6 AVB BHV/AVB PHV) den Vorgaben der Rechtsprechung zur Vorgängerregelung in den AHB 2002 und älteren Fassungen entspricht. Diese stellte nur allgemein darauf ab, dass die Haftpflichtansprüche die Versicherungssumme übersteigen. Ohne ihre Wirksamkeit zu erörtern, legte die Rechtsprechung diese Klausel dahin gehend aus, dass der VR den VN von den gesamten ihm auferlegten Prozesskosten freizustellen habe, wenn die Haftpflichtansprüche gänzlich unbegründet oder teilweise bis zur Höhe der Versicherungssumme begründet seien.146

2. Kostenbegrenzung bei Widerspruch des VN Scheitert die von dem VR verlangte Erledigung eines Haftpflichtanspruchs durch Anerkenntnis, 76 Befriedigung oder Vergleich am Verhalten des VN, hat der VR gem. Ziff. 6.8 AHB 2016 (A1-5.8 AVB BHV/AVB PHV) für den von der Weigerung an entstehenden Mehraufwand an Entschädigungsleistung, Zinsen und Kosten nicht aufzukommen. Bei dieser Klausel handelt es sich um eine vertragliche Obliegenheit, mit der der VR vornehmlich bezweckt, seine Herrschaft über 143 Vgl. Schimikowski VersR 2005 861, 865 (zur Kostenanrechnungsklausel). 144 Vgl. BGH 28.9.1961 – II ZR 145/59, VersR 1961 975, 976, Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 24. 145 Vgl. OLG München 7.1.2019 u. 18.2.2019 – 25 U 2750/18, VersR 2020 543, 544 (die Nichtzulassungsbeschwerde des Grund-VR hat der BGH mit Beschl. v. 4.12.2019 – IV ZR 78/19 zurückgewiesen). 146 OLG Karlsruhe 12.1.1993 – 18a U 113/92, RuS 1994 7, 8 = VersR 1993 821; so zuvor bereits zu AVB Vermögen OLG Düsseldorf 28.11.1989 – 4 U 46/89, VersR 1991 94; inzidenter auch OLG Karlsruhe 6.3.1963 – 1 U 134/62, VersR 1963 1067; zu Hinweisen auf die ältere Rspr. s. Vorauflage, Bd. IV, Anm. G 29. 159

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

die Regulierung des Haftpflichtanspruchs und über die Prozessführung zu sichern. Da sie den Vorgaben des § 28 keine Rechnung trägt, ist sie nach § 32 unwirksam.147 Im Hinblick auf die Abweichung von § 101 bestehen jedoch keine Wirksamkeitsbedenken.

3. Kostenanrechnung auf Versicherungssumme 77 In der Betriebshaftpflichtversicherung (beschränkt auf Auslandsschäden), in der D&O-Versicherung und in der Cyberversicherung ist eine Anrechnung der Kosten auf die Versicherungssumme vorgesehen (A1-6.8.2 AVB BHV; A-6.4 S. 2 AVB D&O, A3-6.3 AVB Cyber). Solche Klauseln, die § 101 Abs. 2 S. 2 unberührt lassen,148 sind problematisch, wenn bereits die Haftpflichtansprüche oder die Kosten (ggf. mit den zuerkannten Haftpflichtansprüchen) voraussichtlich die Versicherungssumme überschreiten werden. Kommt der VR nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass der Haftpflichtanspruch unbegründet ist und entschließt er sich zur Anspruchsabwehr, kann dies im Fall einer Verurteilung des VN im Extremfall dazu führen, dass die Versicherungssumme aufgebraucht ist. Der Geschädigte Dritte geht bei Vermögenslosigkeit des VN leer aus. Deshalb ist die Vereinbarung der Kostenanrechnung in der dem Geschädigtenschutz bezweckenden obligatorischen Haftpflichtversicherung wegen Verstoßes gegen § 114 Abs. 2 S. 1 nach § 134 BGB unwirksam, soweit die Anrechnung nicht nach dem Gesetz zulässig ist, das die Haftpflichtversicherungspflicht begründet, oder der Vorbehalt aufgenommen wird, dass die Anrechnung unterbleibt, wenn die Mindestversicherungssumme unterschritten wird. Zur Frage des Verstoßes der Kostenanrechnung gegen § 108 Abs. 1 S. 1 s. Kommentierung zu § 108 Rn. 25. 78 In der freiwilligen Haftpflichtversicherung stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel weniger im Hinblick auf den Schutz des Geschädigten, sondern vor allem im Hinblick auf den Schutz des VN, der den Haftpflichtanspruch aus seinem eigenen Vermögen befriedigen muss, soweit die Versicherungssumme wegen der Anrechnung zur Befriedigung nicht mehr ausreicht. Höchstrichterlich ist Frage der Wirksamkeit der Klausel bislang nicht geklärt. Das OLG Frankfurt/M. hat sie einer noch zu § 150 Abs. 2 S. 1 a. F. ergangenen – nicht rechtskräftigen – Entscheidung für die streitgegenständliche Kostenanrechnungsklausel verneint.

79 a) Urteil des OLG Frankfurt/M. vom 9.6.2011. Die Klausel sah vor, dass in der Versicherungssumme u. a. Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten enthalten sind. Diese Formulierung hat das OLG Frankfurt/M. als intransparent i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB angesehen, weil der VN ihr nicht entnehmen könne, in welchen Zusammenhängen die anzurechnenden Kosten entstehen könnten, ob beispielsweise auch in rechtlichen Auseinandersetzungen des VR mit dem VN oder mit Versicherten, und er darüber hinaus die Höhe der anzurechnenden Kosten nicht abzuschätzen vermöge.149 Wollte er Versicherungsleistungen einklagen, müsste er sich daher einem unnötigen Kostenrisiko aussetzen. Darüber hinaus widerspreche eine Anrechnung derjenigen Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten, die der VR selbst veranlasst hat, auf die Versicherungssumme dem Leitbild des § 150 Abs. 2 a. F. Auch insoweit liege eine unangemessene Benachteiligung der VN vor, sodass die Klausel zudem nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB un-

147 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 6 AHB Rn. 42 ff. 148 OLG Koblenz 22.6.1979 – 10 U 900/78, VersR 1980 569, 570. 149 OLG Frankfurt/M. 9.6.2011 – 7 U 127/09, VersR 2012 432, 434 = RuS 2011 509; offenlassend OLG Düsseldorf 13.12.2019 – 4 U 23/18, RuS 2020 271 273. Koch

160

E. Abdingbarkeit

VVG § 101

wirksam sei.150 Diese Begründung, die sich auf Säcker stützt,151 ist nicht überzeugend, soweit sie die mangelnde Transparenz betrifft. Erstens lässt die Klausel den VN nicht im Unklaren.152 Zweitens bleibt es dem VN unbenommen, vom VN Rechnungslegung zu verlangen, und der VR ist nach § 241 Abs. 2 BGB gegenüber dem VN auch zur Rechnungslegung verpflichtet. Im Übrigen sind die aktuell verwendeten Kostenanrechnungsklauseln präziser gefasst. Beispielhaft sei die vom GDV unverbindlich empfohlene Fassung in A6–4 AVB D&O genannt, in der es heißt, dass „Aufwendungen des Versicherers für Kosten der gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr der gegenüber einer versicherten Person von einem Dritten und/oder dem Versicherungsnehmer bzw. einer Tochtergesellschaft geltend gemachten Ansprüche (insbesondere Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten) [.]auf die Versicherungssumme angerechnet [werden]“. In der Literatur hat sich im Anschluss an dieses Urteil und einen Besprechungsaufsatz des 80 früheren Vorsitzenden des IV. Zivilsenats Terno vor allem eine Kontroverse über den Leitbildcharakter von § 101 Abs. 2 S. 1 i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB entwickelt.153 Terno misst der Kostentragungsregelung als Fortschreibung eines Gerechtigkeitsgedankens Leitbildcharakter zu, der sich aus dem Wesen des Haftpflichtversicherungsvertrags herleiten lasse und ihn mit Blick auf die Versicherungssumme übersteigende Abwehrkosten umsetze. Seiner Ansicht nach ist § 101 Abs. 2 S. 1 Ausdruck der dem Haftpflichtversicherungsvertrag immanenten Pflichten- und Risikoverteilung, die daraus resultiere, dass der VR verpflichtet sei, den Versicherten von den gegen ihn erhobenen Haftpflichtansprüchen und deren Folgen, auf welche Weise auch immer, freizuhalten. Der VR, der ein Wahlrecht zwischen Freistellung und Anspruchsabwehr habe, müsse das Risiko tragen, das mit der von ihm getroffenen Wahl gerade auch hinsichtlich der entstehenden Kosten einhergehe. Die hiervon abweichende Kostenanrechnung führe zu einer Risikoverlagerung auf den VN, die dazu führen könne, dass der VR auch bei möglicherweise eher begründeten Haftpflichtansprüchen dennoch zuvörderst den Weg der Anspruchsabwehr beschreite, weil sein Risiko in jedem Fall auf die Versicherungssumme beschränkt bleibe. Ein höherrangiges Interesse des VR an der Verwendung der Kostenanrechnungsklausel, mit der die Vermutungswirkung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB widerlegt werden könnte, sei auch im Hinblick auf die Besonderheiten der D&O-Versicherung nicht anzuerkennen. Dem VR sei es aufgrund seiner Tätigkeit am Markt möglich, die Kosten einzuschätzen und seine Prämiengestaltung darauf einzurichten.154

b) Stellungnahme aa) Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 81 Abs. 2 Nr. 1 BGB). In der Vorauflage ist ausgehend von den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers der Leitbildcharakter von § 101 Abs. 2 S. 1 zwar bejaht, eine unangemessene Benachteiligung im Ergebnis aber wegen höherrangiger Interessen des VR (fehlende Kalkulierbarkeit von Auslandsrisiken in der Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung) bzw. wegen anderweitiger vorteilhafter Klauseln (D&O-Versicherung) verneint worden. Es stellt sich jedoch die

150 OLG Frankfurt/M. 9.6.2011 – 7 U 127/09, VersR 2012 432, 434 = RuS 2011 509; vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 101 Rn. 4; ders. VersR 2005 861, 865; ebenso Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen A.1 Rn. 42; Prölss/ Martin/Lücke § 101 Rn. 33; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 27. 151 Säcker VersR 2005 10, 14. 152 Vgl. auch Ramharter Rz. 6/36; Schimikowski VersR 2005 861, 865; Langheid/Müller-Frank NJW 2012 2324, 2325. 153 Terno RuS 2013 577 ff.; hierzu Armbrüster NJW 2016 897, 898; MAH VersR/O. Sieg § 17 Rn. 140; Grooterhorst/ Looman RuS 2014 157, 158 f.; Langheid/Rixecker/Langheid VVG § 101 Rn. 23; Repgen 52 ff; Peppersack 71 ff.; R. Koch VersR 2016 1405 ff.; Langheid/Grote VersR 2005 1165; Malek/Schütz RuS 2019 421, 428 f.; Lange § 15 Rn. 21 ff.; Werber VersR 2014 1159; Seitz/Finkel/Klimke D&O Versicherung (2016), Nr. 4 AVB-AVG Rn. 59 ff.; Ramharter Rz. 6/44 ff. 154 Terno RuS 2013 577, 579; die Wirksamkeit der Kostenanrechnung verneinen auch Rüffer/Halbach/Schimkowski/Schimikowski § 100 Rn. 4; Prölss/Martin/Lücke MB AT Abs. 7_7 Ziff. 7.7 Rn. 3, 4; Ramharter Rz. 6/36 ff. 161

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

Frage, ob § 101 Abs. 2 S. 1 im Lichte der Entwicklung der Rechtsprechung überhaupt noch Leitbildcharakter beizumessen ist.

82 (1) Leitbildcharakter von § 101 Abs. 2 S. 1? Bei der Prüfung der Frage, ob eine gesetzliche Regelung Leitbildcharakter hat, ist zunächst davon auszugehen, dass jede Regelung grundsätzlich auf einen angemessenen Interessenausgleich der Vertragsparteien ausgerichtet ist. Sodann ist zu unterscheiden zwischen Normen, die nur eine von mehreren vertretbaren Ausgleichsmöglichkeiten darstellen, und Normen, die den einzig denkbaren Interessenausgleich darstellen.155 Zur Kategorie der letztgenannten Normen zählen gesetzliche Regelungen, die eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgedankens sind. Jede Abweichung von der vom Gesetzgeber als gerecht vorgegebenen Ausgleichsstruktur begründet zugleich einen Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und die Vermutung einer unangemessenen Benachteiligung der aus ihr ansonsten begünstigten Partei. Normen, die nur eine von mehreren vertretbaren Ausgleichsmöglichkeiten darstellen, sind dagegen kein Ausdruck des Gerechtigkeitsgedankens, sondern beruhen auf Zweckmäßigkeitserwägungen des Gesetzgebers. Abweichungen begründen deshalb keinen Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.156

83 (2) Gesichtspunkt der Veranlassung des Rechtsstreits. Auf den ersten Blick ist man dazu geneigt, den Leitbildcharakter von § 101 Abs. 2 S. 1 bereits deshalb zu bejahen, weil die Kostentragungspflicht des VR daran anknüpft, dass er den Rechtsstreit durch die Entscheidung gegen die Freistellung veranlasst hat. Einige Autoren ziehen hier die Parallele zum Rettungskostenersatz gem. § 83 Abs. 3 und wollen hieraus ein allgemeines Prinzip herleiten.157 Dabei wird übersehen, dass sich die beiden Vorschriften nicht vergleichen lassen. Zwar hat der historische Gesetzgeber die Verpflichtung zum Kostenersatz damit begründet, dass sie der allgemeinen Vorschrift des § 63 Abs. 1 S. 2 a. F., der Vorgängerregelung des § 83 Abs. 3, entspreche.158 Nach dieser Vorschrift sind Aufwendungen des VN, die er gemäß den Weisungen des VR macht, auch insoweit zu erstatten, als sie zusammen mit der sonstigen Entschädigung die Versicherungssumme übersteigen. Dabei ist der historische Gesetzgeber offenbar davon ausgegangen, dass es im Belieben des VR steht, sich für die Freistellung des VN von den Haftpflichtansprüchen oder für die Abwehr dieser Ansprüche zu entscheiden. In diesem Sinn hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung vereinzelt auch noch bis ins Jahr 1981 geäußert.159 Hinzu kam, dass das rechtskräftige Urteil als die vor Inkrafttreten des VVG „normale Form der Feststellung der Haftpflichtforderung“ galt.160 Angesichts dessen war es allzu verständlich, dass der Gesetzgeber eine Kostentragungspflicht des VR statuierte, und gemessen an den heutigen Bewertungsmaßstäben lässt sich § 150 Abs. 2 S. 1 a. F. im historischen Kontext als Ausprägung des Gerechtigkeitsgedankens ansehen.

155 BGH 1.12.2004 – IV ZR 291/03, VersR 2005 266, 268 f. 156 St. Rspr., vgl. nur BGH 11.10.2011 − VI ZR 46/10, NJW 2012 222 Rn. 10; BGH 9.5.1996 – III ZR 209/95, VersR 1997 319; BGH 23.4.1991 – XI ZR 128/90, BGHZ 114 238, 240; BGH 21.12.1983 – VIII ZR 195/82, BGHZ 89 206, 211 = NJW 1984 1182; kritisch Werber VersR 2014 1159 1161. 157 Schulze Schwienhorst in Looschelders/Pohlmann, § 101 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 101 Rn. 4. 158 Motive 203. 159 Vgl. BGH 4.12.1980 – IVa ZR 32/80, BGHZ 79 76, 78 = VersR 1981 173 („Dem Haftpflichtversicherer steht es vielmehr frei, ob er die gegen seinen VN geltend gemachten Haftpflichtansprüche erfüllen oder den Versuch einer Abwehr dieser Ansprüche machen will“). 160 K. Sieg in Farny/Helten/Koch/Schmidt Handbuch der Versicherung (2008), Stichwort „Haftpflichtversicherung“ 284. Koch

162

E. Abdingbarkeit

VVG § 101

(3) Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen. Mittlerweile besteht jedoch Konsens in der Rechtsprechung und der Literatur, dass das (Regulierungs-)Ermessen des VR durch dessen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der VN/versicherten Personen beschränkt ist und der VR deshalb kein freies, sondern nur ein pflichtgemäßes Ermessen bei der Entscheidung zwischen Abwehr und Freistellung hat (§ 100 Rn. 91 ff.). Seit der VVG-Reform hat dies seinen Ausdruck in § 100 gefunden, demzufolge der VR verpflichtet ist, den VN/die versicherte Person von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten geltend gemacht werden, und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Kommt der VR nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass der Haftpflichtanspruch begründet ist, muss er den VN/die versicherte Person freistellen. Der VR darf somit offensichtlich berechtigte Ansprüche, z. B. in der Hoffnung auf einen Vergleich, nicht versuchen abzuwehren (§ 100 Rn. 99). Kommt der VR zu dem Ergebnis, dass der Anspruch dem Grund und/oder der Höhe nach unbegründet ist, muss er es zu einem Rechtsstreit kommen lassen und die Kosten hierfür gem. § 101 Abs. 2 S. 1 tragen. Gleiches gilt für den Fall, dass der Ausgang des Verfahrens nicht vorhersehbar ist, weil richterliche Beweiserhebungen erforderlich sind, um die Begründetheit festzustellen. Selbst wenn klar ist, dass die Kosten der Anspruchsabwehr für sich allein genommen oder aber zusammen mit der Haftpflichtforderung die Versicherungssumme überschreiten, ist der VR nicht berechtigt, den Haftpflichtanspruch in Ausübung seiner ihm nach dem Versicherungsvertrag zustehenden Regulierungsvollmacht anzuerkennen und den Haftpflichtanspruch in Höhe der Versicherungssumme zu befriedigen, um sich auf diese Weise nach Art eines Abandons von seiner Rechtsschutzverpflichtung zu befreien. Vielmehr hat er auch in diesen Fällen den Anspruch abzuwehren (§ 100 Rn. 104). Demgegenüber steht es bei § 83 Abs. 3 im freien Ermessen des VR, dem VN/der versicherten Person Weisungen zu erteilen, die bei ihm/ihr zu Aufwendungen führen. Es ist deshalb (sach)gerecht, dass der VR diese Aufwendungen auch insoweit zu erstatten hat, als sie zusammen mit der sonstigen Entschädigung die Versicherungssumme übersteigen. Dies findet seinen Ausdruck auch darin, dass gem. § 87 selbst in Individualverträgen von § 83 Abs. 3 nicht zum Nachteil des VN/der versicherten Personen abgewichen werden darf. § 101 Abs. 2 S. 1 ist dagegen nicht halbzwingend ausgestaltet. Im Hinblick auf diese Unterschiede lassen sich aus § 83 Abs. 3 keine Schlussfolgerungen für den Leitbildcharakter von § 101 Abs. 2 S. 1 treffen. Bei einem freien Ermessen des VR wäre es plausibel – wie bei § 83 Abs. 3 –, das Risiko gerade auch hinsichtlich der entstehenden Kosten, das mit der Entscheidung einhergeht, stets den VR tragen zu lassen. Darf der VR seine Entscheidung dagegen nur nach pflichtgemäßem Ermessen ausüben, stellt sich die Frage, wo die innere Rechtfertigung für die von Terno vorgeschlagene Risikoverlagerung liegt und warum die Kostentragungsregelung in § 101 Abs. 2 S. 1 einen Gerechtigkeitsgedanken fortschreibt, der sich aus dem Wesen des Haftpflichtversicherungsvertrags ergibt. Der Gerechtigkeitsgedanke gebietet es nicht, den VR zusätzlich zur Freistellung die Kosten für eine ex ante nach pflichtgemäßem Ermessen getroffene Entscheidung zur Anspruchsabwehr tragen zu lassen, die sich ex post betrachtet als falsch erweist. Die von Terno als Beispiel für eine Risikoverlagerung zulasten der versicherten Person beschriebene Situation, in der der Haftpflichtanspruch die Versicherungssumme nahezu vollständig erschöpfe und der VR sich deshalb dazu veranlasst sehe, den Weg der Anspruchsabwehr zu beschreiten, obwohl sich der Haftpflichtanspruch nach seiner Einschätzung eher als begründet erweisen dürfte,161 führt im Übrigen – selbst unter Berücksichtigung etwaiger bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen bestehender Prozess- und Beweisschwierigkeiten – zu keiner Risikoverlagerung auf die versicherte Person. Ein VR, der so handelt, verletzt sein pflichtgemäßes Ermessen und macht sich gegenüber der versicherten Person wegen Verletzung der Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB nach § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig. Er muss der versicherten Person nach erfolgloser Anspruchsabwehr die Versicherungssumme ungeschmälert zur Verfügung stellen (§ 100 Rn. 111). Jedenfalls nach dem Stand der gegenwärti161 Terno RuS 2013 577, 581. 163

Koch

84

85

86

87

88

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

gen Rechtsentwicklung lassen sich somit keine überzeugenden Argumente dafür finden, die Kostentragungsregelung in § 101 Abs. 2 S. 1 als Ausprägung oder Fortschreibung eines Gerechtigkeitsgedankens zu qualifizieren. Ihr kommt deshalb kein Leitbildcharakter mehr zu. Bei transparenter Formulierung der Kostenanrechnungsklausel kommt eine unangemessene Benachteiligung des VN/der versicherten Person nur wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB oder § 307 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht.

89 bb) Gefährdung des Vertragszwecks (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Gemessen an den hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine Vertragszweckgefährdung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB stellt, lässt sich die Kostenanrechnungsklausel auch nicht als Klausel qualifizieren, die wesentliche Rechte der versicherten Personen oder Pflichten des VR, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, derart einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.162 Nach der Rechtsprechung ist eine Gefährdung erst dann anzunehmen, wenn die Klausel den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht.163 Davon ließe sich nur dann sprechen, wenn in der Mehrzahl der Fälle die Gefahr bestünde, dass die Versicherungssumme durch die Abwehrkosten verbraucht und der VR deshalb seiner Freistellungsverpflichtung nicht mehr nachkommen könnte. Da die Kostenanrechnung bislang nur vom OLG Frankfurt/M. problematisiert und ansonsten von keinem anderen Gericht – in den zugegebenermaßen wenigen Urteilen – infrage gestellt worden ist, dürfte bislang in der Mehrzahl der Fälle die Versicherungssumme durch die Anrechnung nicht so stark reduziert worden sein, dass der Restbetrag für die Freistellung von der Haftpflichtschuld nicht mehr ausreichte. Das Problem des Verbrauchs dürfte sich in erster Linie bei Großschäden im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich stellen. Von einer generellen Eignung der Kostenanrechnungsklausel zur Vertragszweckgefährdung kann gegenwärtig jedenfalls nicht ausgegangen werden.164

90 cc) Unangemessene Benachteiligung aus sonstigen Gründen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB). Ebenso wenig stellt die Kostenanrechnungsklausel eine unangemessene Benachteiligung aus sonstigen Gründen i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Diese liegt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann vor, „wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen“.165 Daran fehlt es, weil die marktüblichen D&O-Versicherungsbedingungen in inhaltlicher Übereinstimmung mit § 100 die Prüfung der Haftpflichtfrage, die Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche und die Freistellung von berechtigten Ansprüchen vorsehen und somit ebenfalls eine Entscheidung nur nach pflichtgemäßem Ermessen zulassen (vgl. A-6.1 AVB D&O). Da im Rahmen der Ermessensausübung die Interessen der versicherten Personen mitberücksichtigt werden müssen, fehlt es an einer missbräuchlichen Durchsetzung eigener Interessen auf Kosten der versicherten Personen.

162 Offenlassend Terno RuS 2013 577, 581. 163 St. Rspr.; vgl. BGH 16.7.2020 – VII ZR 159/19, BeckRS 2020 22063; BGH 25.7.2012 – IV ZR 201/10, BGHZ 194 208 = VersR 2012 1149 Rn. 18; BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257 Rn. 26; BGH 19.5.2004 – IV ZR 29/03, VersR 2004 1035, 1036 f. 164 Vgl. Terno RuS 2013 577, 580 f. 165 St. Rspr.; BGH 25.4.2001 – VIII ZR 135/00, NJW 2001 2331; BGH 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, NJW 2000 1110 (1112); BGH 4.7.1997 – V ZR 405/96, NJW 1997 3022; jeweils m. w. N. aus der Rspr. des BGH; OLG Hamm 31.8.2016 – 20 U 69/16, NJW-RR 2017 287, 288; OLG Koblenz 23.3.2000 – 2 U 792/99, NJW-RR 2000 1042. Koch

164

E. Abdingbarkeit

VVG § 101

dd) Interessenabwägung/Nachteilskompensation? Misst man § 101 Abs. 2 S. 1 entgegen 91 der hier vertretenen Ansicht Leitbildcharakter zu, wäre zu klären, ob die Abweichung nicht durch besondere Interessen des Verwenders, hier also des VR, gerechtfertigt ist oder die Benachteiligung durch anderweitige, für den VN bzw. die versicherten Personen vorteilhafte Regelungen ausgeglichen wird. (1) Interessenabwägung. Nach der Rechtsprechung des BGH ist nach einem „besonderen In- 92 teresse des Verwenders“ zu fragen, „das das Interesse der Gegenseite an der Einhaltung der durch das Gesetz gezogenen Grenze übersteigt“.166 Es gilt somit, die Interessen des VR mit den Interessen des VN bzw. der versicherten Personen an der Beibehaltung des § 101 Abs. 2 S. 1 als Modell abzuwägen. Hieran hat sich die Unvereinbarkeitsprüfung konkret auszurichten, d. h. es sind die Besonderheiten des jeweiligen Versicherungstyps und der versicherten Risiken zu berücksichtigen. Ein berechtigtes, das Interesse des VN übersteigendes Interesse des VR an einer Kostenan- 93 rechnungsklausel ist ohne Weiteres in den Fällen zu bejahen, in denen die Kosten für den VR nicht kalkulierbar sind. So liegt der Fall, wenn Auslandsrisiken, insbesondere Schadensfälle in den USA, mitversichert sind. Hier sind die Verteidigungskosten nicht vorhersehbar, weil es erstens keine mit Deutschland vergleichbare Gebührenordnung gibt, zweitens die Verfahren anderen Grundsätzen folgen, die höhere Kosten zur Folge haben können, und drittens Gutachten über das ausländische Recht eingeholt werden müssen. Hinzu kommt, dass die (zusätzlichen) Kosten selbst im Fall der erfolgreichen Anspruchsabwehr im Grundsatz nicht vom Kläger ersetzt verlangt werden können (keine „loser-pays-all-rule“).167 Deshalb sind die Anrechnungsklauseln bei Auslandsschäden (z. B. Ziff. 7.7.3 BBR BHV, A1-6.8 AVB BHV) als wirksam anzusehen. Gleiches gilt für Anrechnungsklauseln bei Schäden im Inland, die im Ausland geltend gemacht werden (z. B. Ziff. 7.8 BBR BHV, A1-6.9 AVB BHV). Zwar müssen hier keine Gutachten über die ausländische Rechtsordnung eingeholt werden. Jedoch müssen den ausländischen Gerichten in der Praxis oftmals Gutachten über die Haftpflichtigkeit nach deutschem Recht vorgelegt werden, so dass höhere Kosten entstehen. Bei Klagen, die innerhalb Deutschlands und auf der Basis deutschen Rechts geführt wer- 94 den, scheinen die Abwehrkosten auf den ersten Blick hingegen ohne Weiteres kalkulierbar. Zur Berechnung der im Fall des Prozessverlusts gesetzlich geschuldeten Gebühren könnte vereinfachend die Versicherungssumme zum Ausgangspunkt genommen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die bei Großschäden zur Abwehr von Schadensersatzansprüchen – großteils auf Veranlassung der VN oder versicherten Personen – eingeschalteten Rechtsanwälte in der Regel Stundenhonorare verlangen, die weit höher sind als die nach dem RVG zu zahlende Vergütung.168 Nicht unüblich ist zudem die Einholung von Privatgutachten durch den VR. Diese Mehrkosten sind auch im Falle einer erfolgreichen Anspruchsabwehr nicht vom Kläger zu erstatten. Deshalb wird man auch Kostenanrechnungsklauseln, die nicht zwischen Auslandsschäden und rein deutschen Sachverhalten differenzieren, wie im vom OLG Frankfurt/M. entschiedenen Fall, nicht von vornherein die Wirksamkeit versagen können. Insbesondere in der D&O-Versicherung ist ferner zu beachten, dass bei Pflichtverletzungen eines Organmitglieds in der Praxis stets auch die anderen Organmitglieder wegen Verletzung ihrer Überwachungs- und Kontrollpflichten in Anspruch genommen werden, die sich alle durch einen Anwalt ihres Ver-

166 BGH 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, BGHZ 110 82, 92 = NJW 1990 2065 – zur Verjährungsverlängerung; vgl. auch BGH 5.10.2005 – VIII ZR 16/05, NJW 2006 47, 50 – zur Begründung einer verschuldensunabhängigen Schadensersatzhaftung. 167 Vgl. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 325. 168 Vgl. Bruck/Möller/Armbrüster A-6 AVB D&O Rn. 117; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 326. 165

Koch

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

trauens vertreten lassen,169 was zwangsläufig zu einer Vervielfachung der Abwehrkosten führt.170

95 (2) Nachteilskompensation. Selbst wenn man ein höherrangiges Interesse des VR an der Kostenanrechnung unter dem Gesichtspunkt der Risikobeherrschung ablehnt,171 stellt sich die Frage, ob der Nachteil der Kostenanrechnung nicht durch vorteilhafte Regelungen ausgeglichen wird. Insoweit ist anerkannt, dass eine Kompensation von Vertragsklauseln, die für sich genommen unangemessen sind, durch vorteilhafte Bestimmungen im übrigen Vertrag möglich ist.172 Voraussetzung für die kompensierende Wirkung ist, dass die vorteilhafte Regelung durch ihr Gewicht die Benachteiligung aufzuwiegen vermag.173 Darüber hinaus verlangt die Rechtsprechung, dass es sich um sachlich zusammengehörende Regelungen handelt, die in einer Wechselbeziehung zueinander stehen.174 Diese Voraussetzungen wird man jedenfalls dann als gegeben ansehen müssen, wenn der VR verspricht, dem VN oder den versicherten Personen die Kosten für die Mandatierung eines Rechtsanwalts auch insoweit zu erstatten, als dessen Honorar über die nach RVG erstattungsfähigen Gebühren und nach § 101 Abs. 1 S. 1 zu tragenden Kosten hinausgeht. 96 In der Praxis enthalten insbesondere D&O-Versicherungsverträge Regelungen, denen zufolge Kosten im Rahmen von Honorarvereinbarungen, die über die gebührenordnungsmäßigen Kosten nach dem RVG oder entsprechenden ausländischen Gebührenordnungen hinausgehen, erstattet werden, soweit diese Kosten im Hinblick auf die Schwierigkeit und die Bedeutung der Sache angemessen sind und die Honorarvereinbarung zuvor mit dem VR abgestimmt worden ist.175 Bei Inanspruchnahme im Ausland versprechen die VR zudem die Erstattung der Kosten eines weiteren Rechtsanwaltes im Heimatland zur Erläuterung der Empfehlungen des ausländischen Rechtsanwaltes sowie zur Beratung und Interessenvertretung. Durch solche Regelungen wird der VN bzw. die versicherte Person begünstigt, weil es insbe97 sondere im Bereich der Produkt- und Managerhaftung üblich ist, dass entsprechend qualifizierte Rechtsanwälte nur auf Honorarbasis tätig werden, und der VN/die versicherte Person ohne diese Regelungen das über den gesetzlichen Rahmen hinausgehende Honorar ihres Rechtsanwalts selbst tragen müssten.176 Es hilft dem VN bzw. den versicherten Personen nicht, wenn sie Klagen zwar mit Hilfe höchst qualifizierter Rechtsanwälte erfolgreich abwehren, die höheren Kosten für die Anspruchsabwehr jedoch weder vom Gegner noch von ihrem VR erstattet bekommen. Gleiches gilt für den Fall, dass sie unterliegen und der VR sie hinsichtlich des Schadens sowie der fremden und der eigenen Kosten der Rechtsverteidigung nur nach Maßgabe der gesetzlichen Gebühren freistellt. Ebenso wenig hilft es dem VN und den versicherten Personen in den Fällen, in denen die Inanspruchnahme die Deckungssumme erreicht oder übersteigt, dass ihnen zwar die gebührenordnungsgemäßen Kosten ihres Rechtsanwalts erstattet werden, der Prozess jedoch wegen der nicht hinreichend Qualifikation des Rechtsanwalts verloren geht. Diese Gesichtspunkte sind in der Literatur bislang nicht berücksichtigt worden.

169 Vgl. Ihlas 209. 170 Vgl. Fiedler 87, 93; a. A. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 32 (berechtigtes Interesse des VR ablehnend).

171 So z. B. Terno RuS 2013 577, 582. 172 Vgl. BGH 29.11.2002 – V ZR 105/02, NJW 2003 888, 890 f.; BGH 25.10.1995 – VIII ZR 258/94, NJW 1996 389, 390; OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1068. 173 BGH 23.4.1991— XI ZR 128/90, BGHZ 114 238, 246 = NJW 1991 1886. 174 Vgl. BGH 29.11.2002 – V ZR 105/02, NJW 2003 888, 890 f.; BGH 25.10.1995 – VIII ZR 258/94, NJW 1996 389, 390. 175 Vgl. Schuckermeier RuS 2019 131, 132. 176 Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung (2014), § 15 Rn. 22. Koch

166

F. Besonderheiten bei der Exzedentenversicherung

VVG § 101

F. Besonderheiten bei der Exzedentenversicherung Bei einer Exzedentenhaftpflichtversicherung sind die Exzendenten-VR erst dann eintrittspflichtig, wenn der begründete Haftpflichtanspruch die Versicherungssumme der Grunddeckung oder die Deckungssumme vorangehender Exzedenten-VR überschreitet (Summendifferenzdeckung) oder die Grunddeckung/Deckungssumme vorangehender Exzedenten sich auf Grund von geleisteten Zahlungen in früheren Versicherungsfällen verbraucht ist (Summenausschöpfungsdeckung). In diesem Fall tritt der Exzedenten-VR gleichsam an die Stelle des Grund-VR und/oder eines vorangehenden Exzedenten-VR. Entscheidet sich der Grund-VR nach Prüfung der gegen den VN erhobenen Ansprüche zur Anspruchsabwehr, hat er ohne anderweitige Abreden im Grundversicherungsvertrag die Kosten der Abwehr sowohl unbegründeter als auch begründeter Ansprüche auch dann zu tragen, wenn die gegen den VN erhobenen Ansprüche die Grundversicherungssumme übersteigen. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage nicht von derjenigen, in der kein Exzedenten-VR vorhanden ist.177 Liegen dem Grundversicherungsvertrag die AHB zugrunde und macht der Anspruchssteller (teilweise) begründete Haftpflichtansprüche über der Grundversicherungssumme geltend, trägt der Grund-VR gem. Ziff. 6.6 AHB (A1-5.6 AVB BHV/AVB PHV) die Prozesskosten im Verhältnis der Versicherungssumme zur Gesamthöhe der begründeten Ansprüche. Die vom VN im Verhältnis zum Grund-VR zu tragenden verbleibenden Kosten muss der Exzedenten-VR tragen. Beispiel: Das Exzedentenversicherungsprogramm in einer Produkthaftpflichtversicherung beläuft sich auf insgesamt 60 Mio. EUR. Die Grundversicherungssumme beträgt 10 Mio. EUR. Die Versicherungssummen der Exzendentenversicherer 1 bis 5 betragen jeweils 10 Mio. EUR (10xs10, 10xs20, 10xs30, 10xs40 und 10xs50). Die AHB liegen der Grundversicherung und aufgrund einer „following form“-Abrede auch allen Exzedentenversicherungen zugrunde. Der Anspruch der VN auf Rechtsschutzgewährung gegen den Grund-VR und die Exzedenten-VR wird zu dem Zeitpunkt fällig, zu dem die VN von dem Geschädigten auf Schadensersatz Höhe von 60 Mio. EUR in Anspruch genommen wird.178 Im Fall einer Verurteilung der VN in dieser Höhe zahlt jeder am Programm beteiligte VR 10 Mio. EUR an den Geschädigten. Unter Zugrundelegung von Ziff. 6.6 AHB haben der Grund-VR und die fünf Exzedenten-VR jeweils 1/6 der Prozesskosten bezogen auf ihre Versicherungssummen von jeweils 10 Mio. EUR zu tragen.179 Die Kosten des Rechtsstreits sind somit nicht streitwertabhängig, sondern verhältnismäßig aufzuteilen. Soweit Schaloske eine Einstandspflicht der Exzedenten-VR für die Kosten über die Exzedentenversicherungssumme hinaus unter Hinweis darauf verneint, diese hätten keine Veranlassung zum Rechtsstreit im Sinne von § 101 Abs. 2 S. 1 VVG gegeben,180 liegt dieser Ansicht ein zu enges Verständnis des Veranlassungsbegriffs zugrunde. Nach hier vertretener Ansicht ist Veranlassung bereits dann zu bejahen, wenn der VR den Anspruch des Dritten dem Grund und/oder der Höhe nach für unberechtigt hält und es deshalb zu einem Rechtsstreit kommt. Es bleibt den Exzendenten-VR unbenommen, die VN vom Schadensersatzanspruch freizuzustellen, wenn sie sich der Anspruchsabwehr des Grund-VR nicht anschließen wollen. Tun sie das nicht, haben sie den Geschädigten zur Klage in einer Höhe veranlasst, die ihre Deckungsstrecke umfasst. Ist abweichend von § 101 Abs. 2 S. 1 Kostenanrechnung im Grundversicherungsvertrag vereinbart, sind die Exzedenten-VR für Kosten eintrittspflichtig, wenn die Kosten der (erfolglosen) 177 OLG München 7.1.2019 u. 18.2.2019 – 25 U 2750/18, VersR 2020 543 (die Nichtzulassungsbeschwerde des GrundVR hat der BGH mit Beschl. v. 4.12.2019 – IV ZR 78/19 zurückgewiesen); ÖOGH 23.5.2013 – 7Ob60/13v, VersR 2014 901; R. Koch FS Thümmel 424. 178 Vgl. auch Thürmann FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. (2016) 505, 522. 179 Vgl. Thürmann FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. (2016) 505, 521. 180 Schaloske in FS v. Fürstenwerth (2020) 315, 327. 167

Koch

98

99

100

101

§ 101 VVG

Kosten des Rechtsschutzes

Anspruchsabwehr zusammen mit dem Betrag, der der Befriedigung des Geschädigten dient, oder allein die Abwehrkosten die Grundversicherungssumme übersteigen.181

G. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich 102 Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 101 ist § 150 VersVG, der nahezu wortgleich mit § 150 a. F. ist und sich insoweit nur in redaktioneller Hinsicht von § 101 unterscheidet. Nimmt man die österreichische Rechtsprechung und Literatur in den Blick, lassen sich keine wesentlichen Unterschiede bei der Rechtsanwendung feststellen. 103 Bezüglich der Kostenanrechnung hat der ÖOGH in zwei Entscheidungen zur Kfz-Haftpflichtversicherung festgestellt, dass eine Klausel, der zufolge „bei Vorliegen einer Pauschalversicherungssumme Kosten, Zinsen und sonstige wie immer Namen habende Nebenleistungen auf diese angerechnet werden“, so auszulegen sei, dass die Kosten eines auf Veranlassung des VR geführten Rechtsstreites auf die Pauschalversicherungssumme nicht anzurechnen seien. Zur Begründung hat der ÖOGH ausgeführt, dass eine gegenteilige Auslegung zum Ergebnis führen würde, dass der VR bei Überschreitung der Pauschalversicherungssumme von ihm selbst veranlasste Prozesse auf Kosten seines eigenen VN führen könnte oder den Anspruch des Geschädigten schmälern würde.182 In einer zum Wettbewerbsrecht ergangenen Entscheidung zur obligatorischen Berufshaftpflichtversicherung hat der ÖOGH ausgeführt, dass die für jeden Versicherungsfall gesetzlich vorgeschriebene Mindestversicherungssumme (§ 21a Abs. 3 RAO) dem Klienten des Anwalts ungeschmälert zur Verfügung stehen müsse.183 Für die freiwillige Haftpflichtversicherung steht eine höchstrichterliche Klärung der 104 Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln noch aus.184 Fenyves hat sie im Hinblick auf die Zwangslage des VN, der sich gegen gutgläubig erteilte Weisungen, es auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen, nicht wehren könne, jedenfalls für die „Jedermannsversicherung“ verneint.185 Ramharter sieht die Kostenanrechnung jedenfalls im Grundsatz als gröbliche Benachteiligung i. S.d § 879 Abs. 3 ABGB an.186

II. PEICL 105 Art. 14:101 bestimmt, dass der VR die Kosten der Anspruchsabwehr nach Art. 9:102 zu tragen hat. Art. 9:102 regelt die Erstattungspflicht des VR für Kosten der Schadensminderung. Nach Abs. 1 hat der VR die angefallenen Kosten oder die Höhe des Schadens, die dem VN durch Schadensminderungsmaßnahmen entstanden sind, bis zu der Höhe zu ersetzen, in der sie der VN unter den gegebenen Umständen berechtigterweise als angemessen ansehen durfte, und zwar auch dann, wenn diese Maßnahmen erfolglos waren. Gem. Abs. 2 hat der VR den VN für alle Maßnahmen im Sinne des Absatzes 1 zu entschädigen, und zwar auch dann, wenn der zu zahlende Betrag zusammen mit der für den versicherten Schaden zu leistenden Entschädigung 181 R. Koch FS Thümmel 424 f. 182 OGH 20.9.2001 – 2 Ob 277/00z, ECLI:AT:OGH0002:2001:0020OB00277.00Z.0920.000; OGH 12.11.1998 – 2Ob278/ 98s, ECLI:AT:OGH0002:1998:0020OB00278.98S. 1112.000. OGH 28.2.2012 – 4 Ob 165/11k, ECLI:AT:OGH0002:2012:0040OB00165.11K.0228.000. Ramharter Rz. 6/41. Fenyves FS Bydlinski 146 f. Ramharter Rz. 6/49 ff.

183 184 185 186

Koch

168

G. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 101

die Versicherungssumme übersteigt. Abweichend vom deutschen Recht sehen die PEICL die Verpflichtung zur Abwehr unbegründeter Ansprüche und die damit einhergehende Kostentragungslast des VR als Anwendungsfall des Rettungskostenersatzes an. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht darin, dass Abwehrkosten ersetzt werden müs- 106 sen, wenn sie zusammen mit den Aufwendungen des VR zur Freistellung des VN die Versicherungssumme übersteigen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Kosten auf Veranlassung des VR entstanden sind. In der Kommentierung der PEICL-Projektgruppe heißt es hierzu ergänzend, dass „[w]here the compensation and the defence costs exceed the sum laid down in the policy, the insured who has acted reasonably will be entitled to recover in excess“.187 Diese Ausführungen zielen offenbar auf die Situation ab, dass der VN ohne Veranlassung und Unterstützung des VR die Anspruchsabwehr organisiert und ggf. einen Vergleich in Höhe oder knapp unterhalb der Versicherungssumme abschließt. In diesem Fall soll der VN auch noch zum Ersatz der Rechtsanwaltskosten berechtigt sein. Eine Anrechnungsklausel, die nicht den Vorgaben des Art. 9:102 Rechnung trägt, wäre somit nach den Vorstellungen der PEICL-Projektgruppe unwirksam.

187 Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), 2nd edition (2016) Art. 14:101 note C5. 169

Koch

§ 102 Betriebshaftpflichtversicherung (1)

1

Besteht die Versicherung für ein Unternehmen, erstreckt sie sich auf die Haftpflicht der zur Vertretung des Unternehmens befugten Personen sowie der Personen, die in einem Dienstverhältnis zu dem Unternehmen stehen. 2Die Versicherung gilt insoweit als für fremde Rechnung genommen. (2) 1Wird das Unternehmen an einen Dritten veräußert oder auf Grund eines Nießbrauchs, eines Pachtvertrags oder eines ähnlichen Verhältnisses von einem Dritten übernommen, tritt der Dritte an Stelle des Versicherungsnehmers in die während der Dauer seiner Berechtigung sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. 2§ 95 Abs. 2 und 3 sowie die §§ 96 und 97 sind entsprechend anzuwenden.

Schrifttum Bauer Der Begriff der Veräußerung in § 151 Abs. 2 VVG, VersR 1968 813; Bocianiak Die Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen der Betriebshaftpflichtversicherung, VersR 1998 285; Geserich Beiträge des Arbeitgebers für die eigene Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung sind kein Arbeitslohn, DStR 2016 441; R.Koch Herausforderungen für die Haftpflichtversicherung autonomer Systeme und der Sharing Economy, VersR 2020 741; ders. Versicherung von Haftungsrisiken nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, VersR 2007 288; ders. Geschäftsleiterpflicht zur Sicherstellung risikoadäquaten Versicherungsschutzes, ZGR 2006 184; ders. Nullstellung und Wiedereinschluss von IT-Risiken in der Betriebshaftpflichtversicherung (AHB 2004/BWV-18), RuS 2005 181; ders. Versicherungsschutz bei Gestattung privater Online-Nutzung am Arbeitsplatz – (k)ein neues Risiko? VersR 2006 1433; Schmalzl Die Berufshaftpflichtversicherung des Architekten und des Bauunternehmers (1989); Schneider Wie „privat“ muss es sein? VersR 2020 667; K. Sieg Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung (1952). Zum älteren Schrifttum s. Nachw. bei Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. H 1.

Übersicht 2.

1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II. 1.

3 Inhalt und Normzweck Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf drit3 te Personen Qualifikation als Haftpflichtversicherung für 7 fremde Rechnung

2.

1

3.

III.

Erscheinungsformen der Betriebshaftpflichtver10 sicherung

IV.

Anwendungsbereich

B.

Versicherung für ein Unternehmen

C.

Personenkreis der Versicherten

I.

VN

II. 1.

16 Mitversicherte Personen Vertreter im Sinne des § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 17 1

11 12 15

15

Koch https://doi.org/10.1515/9783110522662-004

4. 5.

Im Dienstverhältnis stehende Personen im Sinne des § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 19 Schutzumfang der Betriebshaftpflichtversiche22 rung 22 a) Ausgangspunkt b) Abgrenzung der Deckungsbereiche von Betriebs- und Privathaftpflichtversiche25 rung 33 c) Kasuistik 33 aa) Streitigkeiten/Unfug bb) Betriebsbedingte Teilnahme am Stra35 ßenverkehr 36 cc) Gefälligkeit 38 dd) Pausen 39 ee) Rauchen im Betrieb ff) Verwahrung beruflich anvertrauter 40 Schlüssel Vertragliche Erstreckung des Versicherungs41 schutzes auf dritte Personen 42 Ausgeschiedene Mitarbeiter

D.

Übergang des Haftpflichtversicherungsver43 hältnisses gem. § 102 Abs. 2

I.

Ausgangspunkt

43 170

A. Einführung

II.

3.

Veräußerung oder Übernahme des versicherten 45 Unternehmens Veräußerung des versicherten Unternehmens an 45 einen Dritten Übernahme und Fortführung des Unternehmens 53 aufgrund von Nießbrauch oder Pacht 56 Gesellschaftsrechtliche Besonderheiten

III.

Rechtsfolgen

E.

Beweislast

1. 2.

VVG § 102

60

F.

Abdingbarkeit

G.

Österreichisches Recht/Principles of Europe61 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

61 62

58 59

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 102 ist die Nachfolgeregelung zu § 151 a. F., der seit der Schaffung des VVG unverändert 1 geblieben ist. § 151 Abs. 1 S. 1 a. F. hat redaktionelle und sachliche Änderungen erfahren. Die sachlichen Änderungen betreffen den vom Versicherungsschutz umfassten Personenkreis. Nach § 151 Abs. 1 S. 1 a. F. war der Versicherungsschutz beschränkt auf „Vertreter des Versicherungsnehmers sowie […] solcher Personen, welche er zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs oder eines Teiles des Betriebs angestellt hat“. Die Neuregelung des § 102 Abs. 1 S. 1 schließt nunmehr alle Personen ein, die in einem Dienstverhältnis zu dem Unternehmen stehen. Diese Änderung entspricht der bereits vor der Reform geübten Vertragspraxis.1 Redaktioneller Art ist – wie § 151 Abs. 2 S. 1 a. F. deutlich macht („das Unternehmen“) – die Ersetzung der Formulierung „Versicherung für die Haftpflicht aus einem geschäftlichen Betrieb“ durch „Versicherung für ein Unternehmen“. Diese Ersetzung hat der Gesetzgeber damit begründet, dass die Terminologie des § 1 HGB übernommen werden solle.2 § 102 Abs. 1 S. 2 ist inhaltlich identisch mit § 151 Abs. 1 S. 2 a. F. § 102 Abs. 2 stimmt mit dem bisherigen § 151 Abs. 2 a. F. überein. Sachlich ergibt sich eine 2 Veränderung aus der Verweisung auf § 97, weil dieser gegenüber § 71 Abs. 1 S. 2 a. F. geändert worden ist. Nach § 97 Abs. 1 ist die Leistungsfreiheit des VR bei unterlassener Anzeige der Übertragung des Unternehmens nunmehr von dem Nachweis des VR abhängig, dass er den mit dem Veräußerer bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrag mit dem Erwerber des Unternehmens nicht geschlossen hätte.

II. Inhalt und Normzweck 1. Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf dritte Personen § 102 beschreibt eine Erscheinungsform der Haftpflichtversicherung, die Betriebshaftpflicht- 3 versicherung, die Vorsorge gegen die Belastung mit Haftpflichtansprüchen aus Schadensfällen bietet, die im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit des VN stehen.3 Der Zweck des § 102 Abs. 1 besteht darin, den Versicherungsschutz auf die Mitarbeiter des Unternehmens und alle zur Vertretung des Unternehmens berechtigten Personen auszudehnen. Dieses Ziel wird rechtstechnisch dadurch erreicht, dass ihnen die Stellung eines Mitversicherten ein1 Vgl. BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 19. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 3 Vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 9. 171

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

geräumt wird.4 Die Erstreckung des Versicherungsschutzes auf für das Unternehmen des VN tätige Personen dient dem Betriebsfrieden.5 Spannungen zwischen Mitarbeitern und dem VN, die bei deren unmittelbarer Inanspruchnahme durch einen geschädigten Dritten entstehen könnten, werden gemindert. Treffend heißt es darüber in der amtlichen Begründung zu § 151 a. F.:6 „Die Verrichtungen aller dieser Personen stehen unter sich in engem Zusammenhange; bei dem Eintritt eines Haftpflichtfalls bleibt es dann häufig zweifelhaft, ob der Ersatzanspruch des Dritten den Unternehmer oder einen Vertreter oder sonstigen Angestellten trifft und wie sich, wenn mehrere dieser Personen beteiligt sind, ihre Verpflichtung im Verhältnisse zueinander gestaltet. Ist lediglich die persönliche Verantwortlichkeit des Unternehmers unter Versicherung gebracht, so werden sich aus der bezeichneten Sachlage leicht Verwicklungen ergeben, die den Nutzen der Versicherung in Frage stellen. Derartige Mißstände sind ausgeschlossen, wenn der Unternehmer durch den Versicherungsvertrag von vornherein die gesamte mit der Leitung und der Beaufsichtigung des Betriebs verbundene Haftpflichtgefahr deckt.“

4 Diese Überlegungen sind auch heute noch von Bedeutung. Für Mitarbeiter wird kein (Eigen-)Versicherungsschutz gegen die gesetzliche Haftpflicht aus den Gefahren eines Betriebes oder Berufes gewährt.7 Soweit sie nicht Freistellung von dem Unternehmen nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadenausgleichs verlangen können, müssen sie den Schaden selbst tragen. Die Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf die gesetzliche Haftpflicht von Betriebsan5 gehörigen dient aber noch aus anderen Gründen dem Unternehmenswohl. In den Fällen, in denen zwar das Unternehmen außenstehenden Dritten gegenüber für die Rechtsgutsverletzung seiner Mitarbeiter haftet, ein Rückgriff auf diese – unterhalb der Geschäftsleiterebene – jedoch nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadenausgleichs entfällt oder beschränkt ist, dient die Betriebshaftpflichtversicherung als Instrument der Haftungsersetzung (Vor §§ 100– 112 Rn. 133). Haftet im Außenverhältnis nur der Mitarbeiter, schützt die Mitversicherung das Unternehmen insoweit, als dessen Freistellungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis gegen das Unternehmen versichert ist.8 6 § 102 Abs. 2 betrifft die Übertragung oder Überlassung des Unternehmens zur Nutzung auf den Erwerber oder Nutzer. Der Eintritt in die Rechte und Pflichten des VN stellt sich als Vertragsübergang kraft Gesetzes dar. Durch diese Regelung wird dafür gesorgt, dass kontinuierlich Versicherungsschutz für den jeweiligen Inhaber des versicherten Unternehmens besteht, mithin Deckungslücken vermieden werden.9 Das Versicherungsverhältnis erlischt nicht nach § 80 Abs. 2 wegen Interessewegfalls. Im Vordergrund steht der Schutz des Eintretenden.10

4 5 6 7

Vgl. BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 19. Vgl. BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 32. Motive 137. vgl. BGH 19.12.1990 – IV ZR 212/89, RuS 1991 120, 121 = VersR 1991 293, 294; OLG Celle 12.4.2007 – 8 U 33/05, BeckRS 2010 11357; KG 26.10.2001 – 6 U 4294/00, NVersZ 2002 229, 230; Hans. OLG Hamburg 22.6.1982 – 7 U 194/80, VersR 1985 229 ff.; Späte/Schimikowski/Schimikowski BB BHV Rn. 26; Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen § 26 Rn. 24a. 8 Vgl. BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 33; a. A. im Hinblick auf Ziff. 1.1 AHB 2016 Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen § 26 Rn. 24a (Freistellungsanspruch ist keine gesetzliche Haftpflichtregelung). 9 BGH 10.2.1966 – II ZR 237/63, VersR 1966 354 f.; vgl. Motive 137, wo es heißt, dass es für den Eintretenden nur von Vorteil sei, den Versicherungsschutz ohne Weiteres zu genießen. 10 A. A. K. Sieg Ausstrahlungen 79, der den Schutz des geschädigten Dritten in den Mittelpunkt stellt. Koch

172

A. Einführung

VVG § 102

2. Qualifikation als Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung Sofern es sich bei dem VN nicht um eine einzelne natürliche Person handelt, die das Unterneh- 7 men allein betreibt (Eigenversicherung), gilt die Betriebshaftpflichtversicherung nach § 102 Abs. 1 S. 2 als für fremde Rechnung genommen. Werden Mitarbeiter und/oder zur Vertretung des Unternehmens berechtigte Personen von Dritten in Anspruch genommen, beurteilt sich das Rechtsverhältnis zwischen VN, den in Anspruch genommenen versicherten Personen und dem VR nach §§ 43 ff., soweit nicht im Arbeitsvertrag Sonderregeln vorgesehen sind.11 Im Hinblick darauf, dass sowohl das eigene Interesse des VN als auch fremdes Interesse (des oder der Versicherten) gedeckt sind, spricht man von einer kombinierten Eigen- und Fremdversicherung. Der einheitliche Haftpflichtversicherungsvertrag ist insoweit aufzuspalten in eine Versicherung für eigene Rechnung (des VN) „mit einer gedanklich davon zu trennenden Fremdversicherung“.12 In der Regel besteht bei einer solchen Kombination eine Identität des versicherten Risi- 8 kos in dem Sinne, dass der Versicherungsfall im Rahmen des die Versicherung für fremde Rechnung betreffenden Teils zugleich einen Versicherungsfall für den das Eigenrisiko des VN betreffenden Teil des Versicherungsvertrages darstellen kann (nicht muss). Es gibt aber auch Koppelungen von Versicherungen für eigene mit solchen für fremde Rechnung, bei denen diese Identität des versicherten Risikos nicht gegeben ist. So liegt der Fall, wenn im Rahmen der Betriebshaftpflichtversicherung den gesetzlichen Vertretern der haftpflichtversicherten juristischen Personen oder rechtsfähiger Personengesellschaften als Zusatzbaustein Privathaftpflichtversicherungsschutz gewährt wird.13 Richten diese im privaten Bereich einen Schaden an, so liegt begrifflich nicht zugleich ein Versicherungsfall für die Versicherung für eigene Rechnung des VN vor. R. Johannsen hat eine derartige Erstreckung des Haftpflichtversicherungsschutzes als „atypische“ Beteiligung eines Dritten am Versicherungsschutz in der Betriebshaftpflichtversicherung bezeichnet.14 Der Unterschied zwischen den beiden geschilderten Typen kann namentlich bei der entsprechenden Anwendung der Bestimmungen des Versicherungsvertrages auf den Versicherten von Bedeutung sein.15 Die Haftpflichtversicherung kann nicht nur als Eigenversicherung oder kombinierte Eigen- 9 und Fremdversicherung abgeschlossen werden, sondern auch als reine Fremdversicherung. In diesem Fall sind nur die Mitarbeiter des VN und die zur gesetzlichen Vertretung des VN befugten Personen gegen die Gefahr der Inanspruchnahme geschützt. Als Beispiel für eine derartig isolierte Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung ist die D&O-Versicherung zu nennen (zum Kreis der versicherten Personen s. A-1 AVB D&O Rn. 15 ff.).16 Reine Fremdhaftpflichtversicherungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 102, da dieser zur Voraussetzung hat, dass zumindest auch die Interessen des Unternehmensträgers mitversichert sind.

III. Erscheinungsformen der Betriebshaftpflichtversicherung Es haben sich bestimmte Betriebshaftpflichtversicherungstypen herausgebildet, die vornehm- 10 lich an die versicherte Gefahr (Inanspruchnahme auf Schadensersatz) anknüpfen und im Hin11 Zur Versicherung für fremde Rechnung s. Bruck/Möller/Brand §§ 43 ff. 12 BGH 14.12.1967 – II ZR 169/65, BGHZ 49 130, 133 = NJW 1968 447, 449; vgl. auch Bruck/Möller/Brand § 47 Rn. 31; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 20. 13 Vgl. BGH 19.12.1990 – IV ZR 212/89, VersR 1991 293, 294; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 102 Rn. 8; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. H 4; Hartung 123–134. 14 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. H 4. 15 S. hierzu Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 27.1 AHB. 16 Vgl. OLG Köln 2.9.2008 – 9 U 151/07, RuS 2008 468, 469; OLG Dresden 25.9.2007 – 2 U 318/07, ZBB 2008 125; OLG Düsseldorf 21.12.2006 I – 4 U 6/06 –, juris; OLG München 15.3.2005 – 25 U 3940/04, VersR 2005 540, 541 f. 173

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

blick auf Anspruchsgrundlagen (Umweltschäden), die Schadensursache (z. B. Verarbeitung von Produkten, Umwelteinwirkungen) und Schadensart (Sach-, Personen- und Vermögensschäden) weitere Differenzierungen erfahren haben. In der Praxis hat sich für die Versicherung freiberuflicher Tätigkeiten (Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Architekten, Ärzte etc.) die Bezeichnung Berufshaftpflichtversicherung und für die Versicherung gewerblicher Tätigkeiten die Bezeichnung Betriebshaftpflichtversicherung herausgebildet. Es handelt sich dabei jedoch nur um eine sprachliche Unterscheidung, da es sich in beiden Fällen um eine „Versicherung für ein Unternehmen“ i. S. v. § 102 handelt (hierzu sogleich Rn. 12 ff.).17

IV. Anwendungsbereich 11 S. Kommentierung zu § 100 Rn. 6.

B. Versicherung für ein Unternehmen 12 Voraussetzung für die Anwendung des § 102 ist zunächst, dass die Versicherung für ein Unternehmen besteht. Mit dieser Formulierung wird klargestellt, dass es sich um eine Haftpflichtversicherung handeln muss, die Schutz gegen die Gefahr der Inanspruchnahme wegen Schäden bietet, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehen.18 Kein Versicherungsschutz besteht deshalb für das Risiko der Inanspruchnahme wegen Schäden, die aus dem privaten Bereich des Inhabers des Unternehmens resultieren (zur Abgrenzung s. Rn. 25 ff.). Weitere Voraussetzung für die Anwendung von § 102 ist, dass ein Unternehmen als solches 13 vorhanden ist. Für den Begriff des Unternehmens gibt es keine Legaldefinition. § 14 BGB definiert nur den Unternehmer, also den Rechtsträger des Unternehmens. Soweit in der Gesetzesbegründung auf § 1 Abs. 2 HGB verwiesen wird, hilft dies nicht weiter, weil dem Handelsrecht kein einheitlicher Begriff des Unternehmens zugrunde liegt.19 Dieser Begriff wird dort als Synonym für die Begriffe „Handelsgewerbe“, „Handelsgeschäft“ oder „Gewerbebetrieb“ verwendet.20 Dafür, dass der Gesetzgeber den Verweis in der Begründung so verstanden haben wollte, dass § 102 nur auf gewerblich tätige Unternehmen, die zudem eine bestimmte Größe aufweisen müssen, anwendbar ist, gibt die weitere Gesetzesbegründung nichts her. § 151 a. F. erfasste nach der amtlichen Begründung nicht nur „landwirtschaftliche[.], indust14 rielle[.] oder kaufmännische[.] Unternehmungen“, sondern auch „andere[.] geschäftliche[.] Betriebe[.], in denen, wie in den Bureaus der Rechtsanwälte, der Ingenieure, Personen zur Leitung und Beaufsichtigung der untergeordneten Hilfskräfte bestellt sind“.21 Da der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 102 nicht verkleinern wollte, ist deshalb davon auszugehen, dass diese Norm auch für kleine gewerblich sowie freiberuflich tätige Unternehmen gilt.22 Der haftpflichtversicherungsrechtliche Begriff „Unternehmen“ ist somit (im kartellrechtlichen Sinne) weit auszulegen, und zwar als eine selbständige Organisationseinheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, ohne dass es darauf ankommt, ob der Unternehmensträger eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft ist und die Einheit in

17 Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen § 26 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 3; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 2. 18 Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 3; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 51; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 15. 19 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Kindler § 1 Rn. 12. 20 Vgl. Oetker/Körber § 1 Rn. 49. 21 Motive 205. 22 So auch Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen § 26 Rn. 1. Koch

174

C. Personenkreis der Versicherten

VVG § 102

Gewinnerzielungsabsicht handelt.23 Der Unternehmensbegriff des § 102 dürfte insoweit auch mit dem in § 613a BGB verwendeten Betriebsbegriff sowie mit dem allgemeinen arbeits- bzw. betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff übereinstimmen.24

C. Personenkreis der Versicherten I. VN VN ist der Rechtsträger des Unternehmens. Bei natürlichen Personen ist dies der Einzelunter- 15 nehmer, bei juristischen Personen (SE, AG, GmbH, Genossenschaft, VVaG, Verein) und bei (teil-)rechtsfähigen Personengesellschaften (OHG, KG, EWIV, Partnerschaft (§§ 124, 161 Abs. 2 HGB, § 1 EWIVAG, § 7 Abs. 2 PartGG) sowie Außen-GbR25) sind die Verbände selbst VN.26

II. Mitversicherte Personen Mitversichert sind nach § 102 Abs. 1 die zur Vertretung des Unternehmens befugten Personen 16 (S. 1 Alt. 1) sowie die Personen, die in einem Dienstverhältnis zu dem Unternehmen stehen (S. 1 Alt. 2).

1. Vertreter im Sinne des § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 Der Wortlaut von § 102 Abs. 1 S. 1 lässt offen, ob nur gesetzliche oder auch rechtsgeschäftlich 17 bestellte Vertreter des Unternehmens mitversichert sind. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass die „bisherige Regelung des § 151 VVG […] auf die Mitglieder des Leitungsorgans des Unternehmens erstreckt [wird]“. Diese Formulierung spricht dafür, dass der Gesetzgeber den Kreis der Mitversicherten auf die gesetzlichen Vertreter beschränken will. Für eine solche Beschränkung spricht auch der Hinweis in der Gesetzesbegründung auf die Vertragspraxis, der mit der Neufassung von § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 Rechnung getragen werden sollte.27 Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des reformierten VVG vom GDV unverbindlich empfohlene Muster-Bedingungsstruktur AT für die Betriebshaftpflichtversicherung stellte nämlich auf den „gesetzlichen Vertreter des VN“ ab.28 Der Versicherungsschutz für rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter (z. B. Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte) beurteilt sich somit nach § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 2.29

23 vgl. EuGH 5.3.2009 – C-350/07, NJW 2009 1325, 1326; BAG 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NJW 2005 90, 91 m. w. N.; OLG Celle 14.1.1961 – 1 W 6/61, VersR 1961 169, 170; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 6; Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid § 102 Rn. 4; Langheid/ Wandt/Littbarski § 102 Rn. 43 ff. 24 hierzu MüKo-BGB/Müller-Glöge § 613a Rn. 14 m. w. N. 25 BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146 341, 344 = NJW 2001 1056; BGH 18.2.2002 – II ZR 331/00, NJW 2002 1207, 1208. 26 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 66 ff.; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 7. 27 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 28 Hierzu Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 27 AHB Rn. 21 ff. 29 Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 84; a. A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 14; Looschelders/ Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 102 Rn. 10; zu § 151 a. F. Späte BetrH Rn. 9; noch weitergehend MAH VersR/Schünemann § 14 Rn. 32, der auch „Repräsentanten“ als mitversichert ansieht. 175

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

Nicht vom Anwendungsbereich des § 102 Abs. 1 erfasst sind Parteien kraft Amtes (z. B. Insolvenzverwalter). Deren Einschluss bedarf besonderer Vereinbarung.30 18 Handelt es sich bei dem VN um eine Gesellschaft, bestimmt sich die Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter nach den Vorgaben des Gesellschaftsrechts. Bei der AG und der Genossenschaft zählen die Mitglieder des Vorstands (§ 78 AktG, § 24 GenG), bei der GmbH die Mitglieder der Geschäftsführung (§ 35 GmbHG) – hierzu zählen auch faktische Geschäftsführer – und bei den Personengesellschaften deren (unbeschränkt haftende) Gesellschafter zu den nach § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 mitversicherten gesetzlichen Vertretern.31 Im Hinblick darauf, dass der Versicherungsschutz sich auf die Mitglieder der Leitungsorgane bezieht, sind Mitglieder des (fakultativen) Aufsichtsrats nicht als Vertreter i. S. d. § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 anzusehen, weil der Aufsichtsrat keine Leitungsmacht ausübt.32 Sie sind ebenso wie die Gesellschafter juristischer Personen und Kommanditisten nur unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 geschützt.33 Angesichts der Gesetzesbegründung kommt es nicht darauf, ob die organschaftlichen Vertreter zur (Allein-)Vertretung befugt sind. Es genügt, dass sie Mitglied des Vertretungsorgans sind.

2. Im Dienstverhältnis stehende Personen im Sinne des § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 19 Der Begriff Dienstverhältnis wird in § 89, § 187, § 205 sowie an verschiedenen Stellen im BGB (z. B. §§ 576 bis 576b, 617, 621, 624 bis 630 BGB) verwendet, ohne dass es eine gesetzliche Definition hierfür gibt. In der bürgerlich-rechtlichen Kommentarliteratur wird es als durch einen Dienstvertrag i. S. v. § 611 BGB begründetes Rechtsverhältnis umschrieben, das sich vom Arbeitsverhältnis dadurch unterscheidet, dass der Dienstverpflichtete keine weisungsgebundene Tätigkeit ausübt.34 Legte man dieses Verständnis § 102 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 zugrunde, zählten Arbeitnehmer des Unternehmens nicht zum Kreis der Mitversicherten. Rechtsanwälte, Steuerberater, Ärzte und andere selbständige Dienstleistungserbringer wären dagegen – trotz daneben bestehenden Eigenversicherungsschutzes – in der Betriebshaftpflichtversicherung des dienstberechtigten VN mitversichert, soweit ihre Tätigkeiten dazu bestimmt wären, der versicherten betrieblichen Tätigkeit zu dienen. Diese Rechtsfolge ist ausweislich der Gesetzesbegründung nicht intendiert. Dort heißt es, dass „[d]ie bisherige Regelung des § 151 VVG [.] auf alle Arbeitnehmer sowie auf die Mitglieder des Leitungsorgans des Unternehmens erstreckt [wird], wie dies bereits in den bisher verwendeten AVB geschieht. Die Formulierung lehnt sich bezüglich der angestellten Personen an § 85 VVG [a. F.] an“.35 Gelegentlich wird vertreten, ein Dienstverhältnis i. S. v. § 89 Abs. 2 S. 1, der inhaltlich § 85 a. F. entspricht, liege vor, wenn der Verpflichtete seine Tätigkeit am Versicherungsort ausübe.36 Für diese Ansicht gibt der Wortlaut dieser Vorschrift nichts her. § 89 Abs. 2 S. 1 macht lediglich den Versicherungsschutz davon abhängig, dass die Personen, die in einem Dienstverhältnis zum VN stehen, ihre Dienste an dem Ort ausüben, für den die Versicherung gilt. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kommt es für den Begriff des Dienstverhältnisses i. S. v. 20 § 102 Abs. 1 S. 1 entscheidend darauf an, dass es sich um unselbständige, weisungsgebundene Tätigkeiten handelt, wie sie vor allem im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden. 30 Z. B. A1-6.2.5 AVB Arch./Ing. (https://www.gdv.de/resource/blob/56650/2681ef2e2963402290c3e0b6f1f6da6c/29avb-arch-ing-allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-berufshaftpflichtversicherung-von-architekten-bauinge nieuren-und-beratenden-ingenieuren-data.pdf). 31 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 13; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 85. 32 H. M., vgl. Großkomm-AktG/Kort § 76 Rn. 2; MüKo-AktG/Spindler § 76 Rn. 1; Hüffer/Koch/J. Koch § 76 AktG Rn. 2. 33 Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 85; a. A. hinsichtlich der Kommanditisten Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 11; Bruck/Möller/K. Sieg8 § 74 Anm. 24. 34 vgl. Palandt/Weidenkaff Einf. v. § 611 Rn. 2. 35 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 36 z. B. Langheid/Wandt/Staudinger § 89 Rn. 12. Koch

176

C. Personenkreis der Versicherten

VVG § 102

Dies entspricht dem Verständnis des Dienstverhältnisses nach § 576 Abs. 1 BGB.37 Zum Kreis der Mitversicherten zählen deshalb alle Personen, die als Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, vgl. § 5 Abs. 3 BetrVG) oder arbeitnehmerähnliche Personen38 für den VN tätig sind. In der Literatur wird sich darüber hinaus für eine Mitversicherung von Leiharbeitnehmern ausgesprochen, die vorübergehend in das Unternehmen des VN eingegliedert sind.39 Dagegen spricht, dass keine unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zwischen dem entleihenden Unternehmen und den Leiharbeitnehmern bestehen. Jedoch ist der Begriff Dienstverhältnis insbesondere mit Blick auf Sinn und Zweck der Betriebshaftpflichtversicherung einer dahingehenden Auslegung zugänglich, auch ohne (wirksamen) Dienst- oder Arbeitsvertrag i. S. v. § 611a BGB im Unternehmen Tätige als mitversichert anzusehen, soweit und solange sie ihre Tätigkeit mit Wissen und Willen des Unternehmers für sein Unternehmen ausüben und seinen Weisungen unterliegen.40 Dies gilt nicht nur für Leiharbeiter,41 sondern auch für unentgeltlich mithelfende Familienangehörige oder Lebensgefährten.42 Keine Mitversicherung besteht dagegen für solche Personen, die selbst Unternehmer 21 i. S. v. § 14 BGB sind, mögen sie auch den Weisungen des VN unterliegen. Freie Mitarbeiter, selbständige Subunternehmer, Pächter oder selbstständige (Einfirmen-)Handelsvertreter zählen deshalb nicht zu den versicherten Personen.43 Sie müssen für eigenen Versicherungsschutz sorgen, soweit sie nicht durch eine entsprechende vertragliche Vereinbarung in den Schutz der Versicherung des VN einbezogen sind. So liegt der Fall in der Architektenhaftpflichtversicherung, in der freie Mitarbeiter mitversichert sind, soweit sie für das Büro des VN arbeiten und keine eigene Berufshaftpflichtversicherung haben.44 Soweit die Mitarbeiter außerhalb ihres Hauptberufes einer selbständigen (un-)entgeltlichen Nebentätigkeit im eigenen Namen und/oder für eigene Rechnung nachgehen, die hauptbetriebs-/-berufsbezogen ist, besteht keine Deckung in der Betriebs-/Berufshaftpflichtversicherung des Hauptbetriebs/-berufs (s. Rn. 31).

3. Schutzumfang der Betriebshaftpflichtversicherung a) Ausgangspunkt. Die Rechtsstellung der mitversicherten Personen ergibt sich vorbehaltlich 22 abweichender vertraglicher Vereinbarungen aus §§ 43 ff. Die Mitversicherten haben nach § 44 Abs. 1 einen eigenen Anspruch auf Versicherungsschutz gegen den VR, dessen Geltendmachung nach § 45 allerdings dem VN obliegt (Fall der gesetzlichen Einziehungsermächtigung/ Prozessstandschaft), soweit nicht ausnahmsweise der Versicherte im Besitz des Versicherungsscheins ist, der VN die Zustimmung zur Geltendmachung erteilt hat, der VN die Ansprüche des Versicherten nach Ablehnung des VR nicht weiter verfolgen will45 oder die mitversicherten Personen nach den AVB in Abweichung von § 45 zur eigenständigen Geltendmachung befugt

37 38 39 40 41 42

Vgl. Staudinger/Rolfs (2018) § 576 Rn. 6; Schmidt-Futterer/Blank Vor § 576 Rn 3. Vgl. BAG 6.7.1995 – 5 AZB 9/93, NZA 1996 33, 35 – Rote-Kreuz-Schwester. Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen § 26 Rn. 26. Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 93; HK-VVG/Schimikowski § 102 Rn. 2. hier kann es zur Mehrfachversicherung i. S. v. § 78 kommen: Späte/Schimikowski/Schimikowski BB BHV Rn. 27. allg.M., vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 14; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 102 Rn. 11; Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 13; Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen § 26 Rn. 26; Langheid/ Wandt/Littbarski § 102 Rn. 94. 43 vgl. Prölss/Martin/Lücke Prölss/Martin/Lücke MB AT Abs. 7_1_2 Ziff. 7.1.2 Rn. 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen § 26 Rn. 26. 44 Vgl. A1-2.1.2 AVB Arch./Ing. (https://www.gdv.de/resource/blob/56650/2681ef2e2963402290c3e0b6f1f6da6c/29avb-arch-ing-allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-berufshaftpflichtversicherung-von-architekten-bauinge nieuren-und-beratenden-ingenieuren-data.pdf). 45 Bruck/Möller/Brand § 44 Rn. 24; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 20 ff. 177

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

sind.46 Hieraus leitet die Rechtsprechung ab, dass der VR den Mitversicherten Versicherungsschutz unabhängig davon zu gewähren hat, ob der Haftpflichtfall zugleich auch eine Haftpflicht für den VN nach den §§ 278, 831 BGB begründet.47 Da den Mitversicherten nur die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zustehen, ist Voraussetzung für den Anspruch des Mitversicherten, dass ein in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallender Anspruch gegen ihn geltend gemacht wird.48 Insoweit ist die Kontrollfrage stets, ob für den Fall, dass (nur) der VN auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden wäre, auch Versicherungsschutz bestanden hätte. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nicht alle dem VN eingeräumten Begünstigungen stets auch für die mitversicherten Personen gelten. So finden die Bestimmungen zur Vorsorgeversicherung (Ziff. 4 AHB 2016/A.1.9 AHB BHV) keine Anwendung auf den Mitversicherten, wenn das neue Risiko nur in der Person des Mitversicherten entstanden ist (Ziff. 27.1 S. 2 AHB 2016/ A1-2.2 AHB BHV). 23 Der Schutzbereich des Versicherungsvertrages wird zunächst bestimmt und zugleich begrenzt durch das versicherte Risiko (§ 100 Rn. 49 ff.). Nach dem in der Haftpflichtversicherung geltenden Grundsatz der Spezialität des versicherten Risikos kann eine Abgrenzung in zwei Schritten erforderlich sein. Der eingetretene Schaden ist zunächst entweder dem Bereich der Privat- oder dem Bereich der Unternehmenssphäre zuzuordnen. Soweit der Schaden der Unternehmenssphäre zuzuordnen ist, muss in einem zweiten Schritt festgestellt werden, ob er aus einer Eigenschaft, einem Rechtsverhältnis oder einer Tätigkeit resultiert, die im Versicherungsschein beschrieben ist.49 Die Haftpflichtversicherung eines Dachdeckers deckt z. B. nicht die gewerbsmäßige Vermietung von Gerüsten an fremde Unternehmer.50 Verursacht ein Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Vermietung einen Schaden, besteht – vorbehaltlich des Eingreifens der Vorsorgeversicherung – kein Versicherungsschutz.51 24 Für die Anwendbarkeit von § 102 Abs. 1 ist lediglich die Abgrenzung zwischen der dem Deckungsbereich der Privathaftpflichtversicherung zuzuordnenden Privatsphäre und der dem Deckungsbereich der Betriebshaftpflichtversicherung zuzuordnenden Unternehmenssphäre bedeutsam. Die Frage, ob die den Schaden verursachende betriebliche Tätigkeit nach den eher abstrakt gefassten Beschreibungen im Versicherungsschein versichert ist, ist dagegen Sache der Vertragsauslegung (§ 100 Rn. 51).

25 b) Abgrenzung der Deckungsbereiche von Betriebs- und Privathaftpflichtversicherung. Eine Abgrenzung der Deckungsbereiche von Betriebs- und Privathaftpflichtversicherung ist immer dann erforderlich, wenn ein Mitarbeiter des VN durch sein Verhalten (Tun oder Unterlassen), das in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für das Unternehmen des VN steht, einen Schaden verursacht. Sie ist nicht nur unter dem Blickwinkel des § 102 Abs. 1 bedeutsam, sondern auch aus der Sicht der Privathaftpflichtversicherung, weil dort vertragsseitig nur die „Gefahren des täglichen Lebens als Privatperson“ und nicht auch die „Gefahren eines Betriebes oder Berufes“ versichert sind.52 Insoweit kann zur Abgrenzung ergänzend auch auf die Kasuistik zu der Frage der (Mit-)Versicherung von Schäden durch Mitarbeiter zurückgegriffen werden, die nach dem äußeren Ablauf sowohl durch eine private als auch durch eine betriebsbezogene Tätigkeit entstanden sein können. 26 Die Rechtsprechung stellt zur Abgrenzung der beiden Deckungsbereiche darauf ab, ob der Schaden bei Ausübung einer dienstlichen Verrichtung verursacht worden ist. Eine dienstli46 47 48 49 50 51 52

BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 22. BGH 4.12.1958 – II ZR 177/57, NJW 1959 243, 244. vgl. BGH 2.6.1976 – IV ZR 163/75, NJW 1976 2134, 2135; OLG Köln 20.6.1995 – 9 U 362/94, VersR 1996 966, 967. vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 24. BGH 9.10.1974 – IV ZR 118/73, VersR 1975 77; vgl. auch OLG Hamm 25.2.2005 – 20 U 176/04, RuS 2005 243, 244. Zu Einzelheiten und weiteren Beispielen s. Bruck/Möller/R.Koch9 Ziff. 3 AHB Rn. 158 ff. u. Ziff. 4 AHB 15 f. Bruck/Möller/R.Koch9 Ziff. 3 AHB Rn. 13 ff.

Koch

178

C. Personenkreis der Versicherten

VVG § 102

che Verrichtung liegt nur vor, wenn die Handlung der versicherten Person betriebs-/berufsbezogen war. Betriebs-/Berufsbezogenheit setzt grundsätzlich voraus, dass der Schaden durch ein Verhalten des VN verursacht worden ist, das erstens den Interessen des Betriebes/Berufs zu dienen bestimmt ist und zweitens in einem inneren ursächlichen Zusammenhang zum betrieblichen/beruflichen Tätigkeitsbereich steht.53 An der erstgenannten Voraussetzung fehlt es, wenn der Mitinhaber eines Gebrauchtwagenhandels sein nur privaten Zwecken dienendes Kfz in der Firmenwerkstatt repariert und hierbei Schäden entstehen (anders kann der Fall liegen, wenn es sich um das Kfz eines Betriebsangehörigen handelt, hierzu sogleich Rn. 27).54 Bei Schädigungen, die nur bei Gelegenheit betrieblicher Verrichtungen verursacht werden, fehlt es am inneren Zusammenhang.55 Wie den nachstehenden Ausführungen des BGH entnommen werden kann, genügt es für die 27 Betriebs-/Berufsbezogenheit, wenn das Handeln subjektiv darauf gerichtet war, betrieblichen Belangen zu dienen,56 wozu im Übrigen auch die Förderung des sozialen Klimas am Arbeitsplatz zählt. Mit dieser Begründung hat der BGH die Betriebsbezogenheit von Schweißarbeiten des VN an dem privaten Kfz einer Betriebsangehörigen in seinem auf die Reparatur von Bootsmotoren eingerichteten Betrieb bejaht, bei denen es zu einem Brand gekommen war.57 Dagegen hat das OLG Frankfurt/M. die Betriebsbezogenheit des Baus einer Konfettikanone unter Verwendung der im Betrieb vorhandenen Gerätschaften und Materialien für einem Faschingsumzug mit der eher fragwürdigen Begründung verneint, nur ein Teil der Belegschaft habe an ihm teilnehmen wollen.58 Nicht erforderlich ist, dass das Handeln auch objektiv im Interesse des Unternehmens liegt. Vgl. hierzu grundlegend das Urteil des BGH vom 4.12.1958:59 „Bei der Frage, ob der Schaden, für den der Mitversicherte haftpflichtig gemacht wird, bei Ausübung seiner dienstlichen Verrichtungen verursacht worden ist, kommt es hiernach nicht darauf an, ob der schadenstiftenden Handlung ein besonderer Auftrag oder bestimmte Weisungen des Versicherungsnehmers zugrunde lagen. Ebenso ist es unerheblich, ob der schadenstiftenden Handlung ein besonderer Auftrag oder bestimmte Weisungen des VN zugrunde lagen. Ebenso ist es unerheblich, ob der Mitversicherte solche Weisungen richtig befolgt oder beschritten hat, ob er seine dienstlichen Verrichtungen gut oder schlecht ausgeführt hat, ob sein Handeln im objektiven Interesse des Betriebes lag und dem mutmaßlichen Willen des Versicherungsnehmers entsprach und ob die von ihm getroffenen Maßnahmen geeignet waren, den erstrebten Erfolg herbeizuführen. Wollte

53 BGH 26.10.1988 – IVa ZR 73/87, RuS 1989 8, 9 = VersR 1988 1283, 1284; BGH 7.10.1987 – IVa ZR 140/86, VersR 1987 1181 f.; BGH 2.6.1976 – IV ZR 163/75, VersR 1976 921, 922 f. = NJW 1976 2134; BGH 17.1.1973 – IV ZR 167/71, VersR 1973 214 = NJW 1973 515, 516; BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 327, 334 = VersR 1964 709 ff.; BGH 9.3.1961 – II ZR 247/58, VersR 1961 399 f.; BGH 4.12.1958 – II ZR 177/57, NJW 1959 243, 244 = VersR 1959 42, 43; OLG Hamm 7.11.2018 – 20 U 107/17, VersR 2019 533, 535; OLG Frankfurt/M. 17.12.1997 – 23 U 42–97, OLGR 1998 144; OLG Frankfurt/M. 29.10.1997 – 7 U 105/96, VersR 1998 575; OLG Hamm 14.2.1997 – 20 U 204/96, VersR 1997 1093; OLG Köln 2.7.1996 – 9 U 14/96, VersR 1997 1345, 1346 f.; OLG Köln 20.6.1995 – 9 U 362/94, VersR 1996 966, 967; OLG Bamberg 20.2.1992 – 1 U 272/90, VersR 1992 1346, 1347; Hans. OLG Hamburg 8.3.1990 – 6 U 224/89, VersR 1991 92 f.; OLG Celle 15.3.1989 – 8 U 63/88, VersR 1991 216 f.; Hans. OLG Hamburg 3.3.1981 – 12 U 114/80, VersR 1982 458 ff.; OLG Hamm 24.8.1973 – 20 U 65/73, VersR 1973 1133 f.; LG Limburg 16.11.2007 – 3 S 116/07, VersR 2008 814, 815; LG Düsseldorf 8.3.1966 – 16 O 49/66, VersR 1968 438, 439; BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 27. 54 BGH 26.10.1988 – IVa ZR 73/87, RuS 1989 8, 9 = VersR 1988 1283, 1284. 55 BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 327, 334 = VersR 1964 709 ff.; OLG Hamm 7.11.2018 – 20 U 107/17, VersR 2019 533, 535; OLG Bamberg 20.2.1992 – 1 U 272/90, VersR 1992 1346, 1347; LG Düsseldorf 8.3.1966 – 16 O 49/66, VersR 1968 438, 439; BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 27; Späte/Schimikowski/Schimikowski BB PHV Rn. 12. 56 Vgl. BGH 17.1.1973 – IV ZR 146/71, VersR 1973 313; BGH 4.12.1958 – II ZR 177/57, VersR 1959 42; OLG Hamm 7.11.2018 – 20 U 107/17, VersR 2019 533, 535. 57 Vgl. BGH 7.10.1987 – IVa ZR 140/86, RuS 1987 337. 58 Vgl. OLG Frankfurt/M. 17.12.1997 – 7 U 192/96, OLGR 1998 144 f. 59 BGH 4.12.1958 – II ZR 177/57, NJW 1959 243, 244 = VersR 1959 42; vgl. auch BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 27; vgl. auch OLG Jena 26.7.2019 – 4 U 50/19, VersR 2019 1209. 179

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

man das Bestehen des Versicherungsschutzes der Mitversicherten hierauf abstellen, so würde die praktische Bedeutung der Mitversicherung weitgehend ausgehöhlt werden, weil schadenstiftende Handlungen von Betriebsangehörigen regelmäßig auch vom Standpunkt des Versicherungsnehmers aus Fehlhandlungen sind, die nicht im objektiven Interesse des Betriebes liegen. Entscheidend ist vielmehr […], ob der Umstand, daß der Mitversicherte haftpflichtig geworden ist, eine Auswirkung seiner Beschäftigung in dem betreffenden Betrieb ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er bei der schadenstiftenden Handlung im Rahmen seiner Beschäftigung im Betrieb für diesen tätig geworden ist. Hierbei genügt es schon, daß sein Handeln dazu bestimmt war, dem Interesse des Betriebes zu dienen. Dagegen ist nicht erforderlich, daß es auch objektiv im Interesse des Betriebes lag.“ [Hervorhebung durch Verfasser]

28 In späteren Entscheidungen hat der BGH zur Bestimmung der Betriebs-/Berufsbezogenheit auch die für § 831 BGB und § 637 RVO a. F. (§ 105 SGB VII) geltenden Grundsätze herangezogen, ohne dabei zu anderen Ergebnissen zu gelangen. Vgl. hierzu das Urteil des BGH vom 17.1.197360: „Die für § 831 BGB und § 637 RVO geltenden Grundsätze können dazu beitragen, den hier streitigen Deckungsbereich der Betriebshaftpflichtversicherung richtig abzugrenzen. An die Stelle des vom Geschäftsherrn übertragenen Aufgabenbereiches tritt dabei der Betrieb. Der mit versicherte Betriebsangehörige hat Versicherungsschutz nur für Schäden, die er durch eine „betriebliche Tätigkeit“ verursacht. Ist der Betriebsangehörige bei der schadenstiftenden Handlung im Rahmen seiner Beschäftigung für den Betrieb tätig geworden, so ist es unerheblich, ob er seine dienstlichen Verrichtungen gut oder schlecht ausgeführt hat, ob er seine Befugnisse irrig oder eigenmächtig überschritten hat, ob sein Handeln im objektiven Interesse des Betriebes gelegen und dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprochen hat. Es genügt, daß sein Handeln bestimmt war, dem Interesse des Betriebes zu dienen. In allen diesen Fällen ist ein betriebsbezogenes Handeln, das vom Versicherer zu decken ist, anzunehmen … Dieser übereinstimmenden Ansicht von Rechtsprechung […] und Schrifttum […] schließt sich der erkennende Senat an. Hingegen vermag er nicht mehr der darüber hinausgehenden Auffassung zu folgen, daß der Betriebshaftpflichtversicherer auch dann noch zur Deckung verpflichtet sei, wenn der mitversicherte Betriebsangehörige nicht für den Betrieb tätig geworden sei, sondern aus Mutwillen gehandelt habe […]. Denn damit wird die notwendige Betriebsbezogenheit des Handelns aufgegeben.“ [Hervorhebung durch Verfasser]

Für die Erstreckung der Betriebs-/Berufshaftpflichtversicherung auf Mitarbeiter kommt es somit nicht darauf an, ob eine Haftung des VN aus § 831 BGB möglich ist.61 Dies schließt jedoch nicht aus, zur Bestimmung der Betriebs-/Berufsbezogenheit auf diese Vorschrift (dann natürlich ohne Berücksichtigung der Exkulpationsmöglichkeit) zurückzugreifen. Die Kasuistik (dazu sogleich Rn. 33 ff.) zeigt, dass sich die Betriebs-/Berufsbezogenheit bei der Haftpflichtversicherung an ähnlichen Kriterien misst, wie sie für die Qualifikation der Verrichtung i. S. v. § 831 BGB (und einer betrieblichen Tätigkeit i. S. v. § 105 SGB VII/§ 637 RVO a. F.) entwickelt worden sind.62 Ein auf Kausalität beschränkter, lediglich äußerer Zusammenhang zwischen der schadenstiftenden Tätigkeit und dem Unternehmen genügt auch nach diesen Vorschriften nicht. Erforderlich ist vielmehr – wie ausgeführt – ein innerer Zusammenhang zwischen dem übertragenen Aufgabenkreis und der Schadenszufügung.63 Ohne Bedeutung für den inneren ursächlichen Zusammenhang mit dem Betrieb des VN ist, ob der Mitarbeiter die schadensstiftende Tätigkeit un-/entgeltlich oder als Gefäl-

60 BGH 17.1.1973 – IV ZR 146/71, NJW 1973 515, 516 = VersR 1973 313. 61 A.A. BGH 19.3.1952 – II ZR 122/51, VersR 1952 141, 142: Mitversicherungsklausel in der Privathaftpflichtversicherung ist dahin auszulegen, dass Versicherungsschutz für Mitversicherte nur dann eingreift, wenn es sich um die Tätigkeit einer Person handelt, für die eine Haftung des VN aus § 831 BGB in Betracht kommt. 62 Vgl. ErfK/Rolfs § 105 SGB VII Rn. 3; MüKo-BGB/Wagner § 831 Rn. 30 ff.; BeckOGK /Spindler BGB § 831 Rn. 29 ff. 63 BGH 14.2.1989 – VI ZR 121/88, NJW-RR 1989 723, 725. Koch

180

C. Personenkreis der Versicherten

VVG § 102

ligkeit erbracht hat, da auch eine un-/entgeltliche oder eine Gefälligkeitstätigkeit den Interessen des Unternehmens dienen kann (vgl. auch Rn. 36 f.).64 Betriebs-/Berufsbezogenheit ist stets gegeben, wenn der Schaden durch eine Tätigkeit 29 verursacht worden ist, die dem Mitarbeiter von dem Unternehmen und für das Unternehmen übertragen worden ist oder die er im Interesse des Unternehmens ausführt. Für örtlich dem Unternehmen zugehöriges Verhalten besteht eine tatsächliche Vermutung für betriebsbezogenes Verhalten.65 Ob die zu dem schädigenden Ereignis führende Tätigkeit zum eigentlichen Aufgabengebiet des Mitarbeiters gehört, ist nicht entscheidend. Handelt er Weisungen zuwider oder überschreitet er die Grenzen seines Auftrags, ist Betriebsbezogenheit zu bejahen, soweit sein Verhalten noch mit dem Betriebszweck in Zusammenhang steht. Wird etwa der Fahrer einer Planierraupe angewiesen, das Eintreffen frischen Hydrauliköls abzuwarten, hält sich dieser nicht daran und verursacht dadurch einen Unfall, ist die Betriebsbezogenheit gegeben. Kein unternehmensbezogener Zusammenhang besteht für Unfälle, die ein Arbeitnehmer auf dem Weg von und zur Arbeit mit seinem Fahrzeug verursacht. Die Betriebsbezogenheit ist nicht allein deshalb zu verneinen, weil der Mitarbeiter vorsätz- 30 lich eine Pflichtverletzung begangen oder einen Schaden herbeigeführt hat (im letztgenannten Fall besteht wegen § 103 allerdings kein Versicherungsschutz für den Mitarbeiter66). Der notwendige innere Zusammenhang zwischen der unternehmerischen Tätigkeit und dem Schadensereignis fehlt jedoch, wenn nicht mehr die Verfolgung betrieblicher Zwecke, sondern die durch die Eigeninteressen des Mitarbeiters bedingte Art und Weise der Tätigkeit als entscheidende Schadensursache anzusehen ist. An einem inneren Zusammenhang fehlt es auch, wenn das deliktische Verhalten aus dem Kreis der übertragenen Aufgaben herausfällt, der Gehilfe also „rein zufällig mit den Rechtsgütern des Geschädigten in Berührung“ kommt. Bei missbräuchlicher Verwendung gefährlicher Betriebsmittel hat sich der BGH für eine wertende Gesamtschau ausgesprochen, bei der es vor allem darauf ankomme, ob das mutwillige Verhalten des Versicherten oder die Gefährlichkeit des Betriebswerkzeugs als die entscheidende Schadensursache zu werten ist. Im erstgenannten Fall liege eher eine Verwirklichung dieser persönlichkeitsbezogenen Gefahr „des täglichen Lebens“ vor als Auswirkung eines Betriebsrisikos.67 An der Betriebsbezogenheit fehlt es, wenn der Mitarbeiter die Tätigkeit im eigenen Namen 31 und/oder für eigene Rechnung erbringt, mag er auch für die Tätigkeit seine beruflich im Unternehmen des VN erworbenen Kenntnisse zum Einsatz bringen68 oder die von ihm geschaffene Gefahrenlage typisch für seine berufliche Tätigkeit sein.69 In diesen Fällen dient die Tätigkeit weder den Interessen des versicherten Unternehmens noch steht sie in einem inneren ursächlichen Zusammenhang zu der Tätigkeit des versicherten Unternehmens. An der Betriebsbezogenheit fehlt es auch, wenn jemand im Betrieb eines anderen, ohne hierzu vom VN angewiesen zu sein, aushilfsweise tätig wird.70 Betriebsbezogenheit besteht nicht allein deshalb, weil der Schaden im Betrieb während der Arbeitszeit und mit Betriebsmitteln herbeigeführt worden ist.71 In

64 Vgl. BGH 11.12.1980 – IVa ZR 29/80, BGHZ 79 145, 152 = VersR 1981 271 ff.; BGH 2.6.1976 – IV ZR 163/75, VersR 1976 921, 922 f.; KG 26.10.2001 – 6 U 4294/00, NVersZ 2002 229, 230; OLG Köln 20.4.1999 – 9 U 9/99, VersR 2000 95, 96; OLG Hamm 9.12.1977 – 20 W 29/77, BeckRS 2010 04875. 65 Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 14. 66 Vgl. auch BAG 15.9.2016 – 8 AZR 187/15, VersR 2017 875 Rn. 37. 67 Vgl. BGH 2.6.1976 – IV ZR 163/75, NJW 1976 2134, 2135; OLG Hamm 7.11.2018 – 20 U 107/17, VersR 2019 533, 535. 68 Vgl. BGH 11.12.1980 – III ZR 38/79, BGHZ 79 145, 152 = NJW 1981 2057, 2059; KG 26.10.2001 – 6 U 4294/00, NVersZ 2002 229, 230; OLG Hamm 9.12.1977 – 20 W 29/77, VersR 1980 1037. 69 LG Frankfurt 19.2.1971 – 2/17 O 464/70, VersR 1974 181. 70 Vgl. LG Amberg 16.10.1985 – 2 O 359/85, zfs 1986 56; LG Osnabrück 3.4.1958 – 4 O 378/57, VersR 1958 469, 470. 71 KG 26.10.2001 – 6 U 4294/00, NVersZ 2002 229, 230; OLG Frankfurt/M. 17.12.1997 – 7 U 192/96, OLGR 1998 144; a. A. OLG Hamm 16.4.1984 – 2 U 307/82, VersR 1985 438, 439 = zfs 1985 219: Schäden bei Ausführung von Schweißarbeiten an einem fremden PKW außerhalb der Arbeitszeit in der Werkstatt des Arbeitgebers fallen in den Deckungsbereich der Betriebshaftpflichtversicherung; wie hier Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 24. 181

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

den Fällen, in denen Mitarbeiter nur gelegentlich in ihrer Freizeit tätig werden, besteht Versicherungsschutz in der Privathaftpflichtversicherung.72 32 Zu beachten ist, dass der VN, der als Unternehmensinhaber wegen der schadenstiftenden Handlung seiner Mitarbeiter auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, auch dann Versicherungsschutz genießt, wenn es an der Betriebsbezogenheit der Handlung des Mitarbeiters fehlt, da der Versicherungsschutz auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche umfasst, soweit sie an das versicherte Risiko anknüpfen oder die Vorsorgeversicherung eingreift.73

c) Kasuistik 33 aa) Streitigkeiten/Unfug. Betriebsbezogenheit mangels inneren ursächlichen Zusammenhangs mit der Betriebstätigkeit hat die Rechtsprechung verneint, wenn der Mitversicherte seinem Arbeitskollegen die Tür zuhält und einen Faustschlag versetzt,74 aus „Langeweile“ einen Arbeitskollegen erschrecken will und diesen dabei versehentlich verletzt75 oder unter Verwendung im Betrieb vorhandener Gerätschaften und Teilen eine „Konfettikanone“ für einen Faschingsumzug zusammenbaut und beim Ausprobieren einen Auszubildenden verletzt.76 34 Will ein Vorarbeiter seinen Arbeitskollegen durch Schläge zur Arbeit zwingen, soll es sich um ein Ereignis aus der Betriebssphäre handeln.77 Ist der Mitversicherte von dem Inhaber einer Bar damit beauftragt worden, sein Hausrecht auszuüben und Gäste, von denen Unruhe droht, aus dem Lokal zu weisen, fallen Schäden, die dadurch entstehen, dass der Mitversicherte nach Abgabe eines Warnschusses aus Furcht Schüsse auf einen vermeintlichen Angreifer abgibt, dem er zuvor Hausverbot erteilt hatte, in den Bereich der Betriebshaftpflichtversicherung.78 Will ein Bauarbeiter einen Jugendlichen von einer Baustelle vertreiben, kommt der Jugendliche dabei zu Fall und verletzt sich, besteht wegen der Betriebsbezogenheit Versicherungsschutz über die Betriebshaftpflichtversicherung.79 Dem betrieblichen Bereich zuzuordnen ist auch ein Schaden, den der VN dadurch verursacht, dass er seinen Aktenkoffer versehentlich auf die Brille eines Kollegen gestellt und diese dabei zerbrochen hat.80

35 bb) Betriebsbedingte Teilnahme am Straßenverkehr. Für Haftpflichtansprüche aus Schäden, die bei der betriebsbedingten Teilnahme am Straßenverkehr entstehen, besteht Versicherungsschutz, wenn und solange ein innerer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Betrieb und der schadenstiftenden Tätigkeit besteht.81 Dieser Zusammenhang ist zu bejahen, wenn der Mitarbeiter zur Ausführung eines Auftrags am Straßenverkehr teilnimmt (z. B. Lkw-Fahrer, Bring-Dienste, Fahrradkuriere). Dagegen fallen die Haftpflichtgefahren aus Wegeunfällen des Bruck/Möller/R.Koch9 Ziff. 3 AHB Rn. 20 ff. BGH 13.7.1983 – IVa ZR 226/81, VersR 1983 945 f. BGH 17.1.1973 – IV ZR 146/71, NJW 1973 515, 517; OLG Hamm 24.8.1973 – 20 U 65/73, VersR 1973 1133 f. BGH 2.6.1976 – IV ZR 163/75, NJW 1976 2134 f. unter Aufgabe von BGH 9.3.1961 – II ZR 247/58, VersR 1961 399 f., wo ein Handeln im Bereich der dienstlichen Verrichtungen bejaht wurde, als ein Lehrling aus grobem Unfug einen anderen durch „spielerisches Anzünden von Waschbenzin“ schwer verletzte; vgl. auch BSG 29.5.1962– 2 RU 113/60, NJW 1962 1742 (zu § 542 RVO a. F.); Hans. OLG Hamburg 8.3.1990 – 6 U 224/89, VersR 1991 92 f.; OLG Hamm 16.5.1979 – 20 W 24/78, VersR 1979 1046 (Verletzung eines Arbeitskollegen durch einen im Scherz geworfenen Nagel); ÖOGH 18.2.1982 – 8 Ob 9/82, VersR 1983 302 (scherzhafte, von leichten Fußtritten begleitete Streitigkeiten zwischen Arbeitskollegen im manuellen Arbeitsbereich); ÖOGH 7.7.1977 – 7 Ob 44/77, VersR 1978 532. 76 OLG Frankfurt/M. 17.12.1997 – 7 U 192/96, OLGR 1998 144. 77 LG Düsseldorf 8.3.1966 – 16 O 49/66, VersR 1968 438, 439. 78 OLG Frankfurt/M. 29.10.1997 – 7 U 105/96, VersR 1998 575. 79 LG Aachen 10.8.1979 – 7 O 69/79, ZfS 1981 184 f. 80 AG Hannover 24.4.1990 – 528 C 554/90, ZfS 1991 62. 81 BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 333, 335; Späte PrivH Rn. 12; Kuwert/Erdbrügger PrivH Rn. 3023.

72 73 74 75

Koch

182

C. Personenkreis der Versicherten

VVG § 102

Arbeitnehmers auf dem Nachhauseweg von seiner versicherten Tätigkeit82 oder zum Zwecke des häuslichen Mittagessens nicht in den Bereich der Betriebshaftpflichtversicherung (Rn. 38).83

cc) Gefälligkeit. Nach Ansicht des BGH fehlt es an einem inneren ursächlichen Zusammen- 36 hang mit dem Betrieb des VN, wenn ein Gesellschafter einer betriebshaftpflichtversicherten oHG aus Gefälligkeit einem fremden LKW-Fahrer durch Einwinken beim Einfahren in eine belebte Straße behilflich ist. Eine betriebliche Tätigkeit wird danach nicht allein dadurch begründet, dass eine Gefälligkeitshandlung aus Gründen der Berufssolidarität vorgenommen wird. Anders wäre aber dann zu entscheiden, wenn es sich um die Ausfahrt aus dem Hof des VN gehandelt hätte oder um eine Tätigkeit für den Lastzug einer Firma, mit der der VN in Geschäftsbeziehungen steht oder wenn der VN durch das Einwinken des fremden Fahrers seine eigene Tätigkeit danach hätte leichter ausüben können.84 Betriebsbezogenheit ist zu bejahen, wenn ein Mitarbeiter auf der Baustelle die Arbeit eines 37 anderen Unternehmers übernimmt, um mit der eigenen Arbeit weiterzukommen.85 Hier ist bei Prüfung der Eintrittspflicht des VR allerdings der Umfang der Risikobeschreibung zu beachten. Soweit die übernommene Arbeit nicht unter das versicherte Risiko fällt, besteht keine Deckung aus der Betriebshaftpflichtversicherung (da die Vorsorgeversicherung gem. Ziff. 27.1 S. 2 AHB 2016/A1-2.2 S. 2 AHB BHV nicht eingreift).

dd) Pausen. Entgleitet einem Dachdecker während der Frühstückspause auf dem Dach eine 38 Sprudelflasche und wird dadurch ein parkender Pkw beschädigt, besteht Deckung in der Betriebshaftpflichtversicherung.86 Verlässt ein Mitarbeiter dagegen das Unternehmensgelände, um sich in der Umgebung etwas zu Essen zu beschaffen, unterbricht er seine zuvor für das Unternehmen ausgeübte Tätigkeit bis zu seiner Rückkehr in das Unternehmen. Er handelt deshalb im privaten Bereich.87 Dieser Sachverhalt ist nicht anders zu beurteilen, als wenn ein Betriebsangehöriger in einer Arbeitspause die Betriebsstätte verlässt, um an anderer Stelle eine Mahlzeit einzunehmen.88 In solchen Fällen kann der Bezug zur betrieblichen Betätigung nicht mit der Überlegung hergestellt werden, dass das Verlassen des Betriebes und die Rückkehr dorthin ohne die Betriebstätigkeit nicht stattgefunden hätten bzw. dass die Einnahme oder Beschaffung einer Mahlzeit insofern betrieblichen Interessen diene, als damit die Arbeitskraft und die Leistungsfähigkeit der versicherten Person bewahrt und gefördert werde.89 Anders liegt es lediglich, wenn ein Arbeitgeber den bei ihm Beschäftigten Gelegenheit zur Einnahme einer Mahlzeit im Bereich der Betriebsstätte oder in einer außerhalb dieser gelegenen Kantine gewährt, da dann die Mahlzeit in den betrieblichen Arbeitsablauf eingeordnet ist.90 ee) Rauchen im Betrieb. Das Rauchen im Betrieb ist grundsätzlich privater Natur. Daraus 39 entstehende Haftpflichtschäden fallen nach einem Urteil des LG Hannover deshalb nicht in den 82 LG Karlsruhe 11.1.2012 – 2 O 370/11, VersR 2013 352, 354. 83 BGH 12.5.1971 – IV ZR 50/70, VersR 1971 657 f. 84 BGH 12.1.1961 – II ZR 249/58, VersR 1961 121, 122; vgl. hierzu auch BGH 7.2.1963 – II ZR 137/61, VersR 1963 325, wo ein betriebliches Handeln bejaht wurde, als ein Betriebsleiter des VN den Straßenverkehr regelte, weil ein von den Leuten des VN zu beladendes fremdes Fahrzeug eine Kurve gefährlich verengte. 85 Hans. OLG Hamburg 3.3.1981 – 12 U 114/80, VersR 1982 458 ff. 86 AG Dortmund 18.4.1984 – 113 C 24/84, ZfS 1984 186, 187. 87 Hans. OLG Hamburg 15.12.1989 – 11 U 183/89, RuS 1990 367 f. 88 BGH 12.5.1971 – IV ZR 50/70, VersR 1971 657 f. 89 Hans. OLG Hamburg 15.12.1989 – 11 U 183/89, RuS 1990 367 f. 90 vgl. BGH 12.5.1971 – IV ZR 50/70, VersR 1971 657 f.; auch OLG Celle 30.4.1976 – 8 U 70/75, RuS 1976 180. 183

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

Bereich der Betriebshaftpflichtversicherung, sondern in den der Privathaftpflichtversicherung.91 Dieser Bewertung ist das OLG Celle in der Rechtsmittelinstanz nicht gefolgt.92 Danach soll die Betriebshaftpflichtversicherung jedenfalls dann zuständig sein, wenn der VN bestimmte Bewachungs- und Obhutspflichten übernommen hatte.93 Die Sinnhaftigkeit dieser Abgrenzung erschließt sich nicht. Vorzugswürdiger ist die Ansicht von Späte und Schmalz, die die Zuordnung davon abhängig machen, ob das Rauchen im Betrieb ausnahmsweise als Ausübung dienstlicher Verrichtungen anzusehen ist, z. B. weil ein Unternehmer in einer Arbeitsbesprechung darauf Wert legt, dass man ihm rauchend Gesellschaft leistet,94 ein Prüfer einer Zigarettenfabrik zur Qualitätskontrolle eine Zigarette raucht oder ein Tankwart eine Zigarette im Kassenraum ablegt, um beim Bedienen an der Zapfsäule keine Explosion hervorzurufen.95 v. Rintelen spricht sich gegen eine isolierte Betrachtung des Rauchens als Tätigkeit rein privater Natur aus und will es ausreichen lassen, dass der VN während der Dienstausübung am Dienstort geraucht hat.96 Das Ausleeren eines Aschenbechers durch einen Lehrling im Rahmen des Aufräumens des Vesperraums nach einer Adventsfeier stellt eine betriebsbezogene Handlung dar.97

40 ff) Verwahrung beruflich anvertrauter Schlüssel. Die Verwahrung beruflich anvertrauter Schlüssel in der Privatwohnung ist nach Ansicht des OLG Köln98 sowie des LG Limburg99 dem Privathaftpflichtrisiko zuzuordnen. Eine Berufsbezogenheit könne nur bejaht werden, wenn der VN die ihm beruflich anvertrauten Schlüssel Dritten z. B. ausgehändigt habe, nicht aber dann, wenn er die Schlüssel lediglich während seiner Dienstzeit in einem privaten Wohnbereich zwecks jederzeitiger Verfügbarkeit aufbewahre, wie es in vielen Berufsbereichen (z. B. bei Dienstzimmerschlüsseln) der Fall sei. In diesen Fällen bestehe allenfalls noch ein mittelbarer, äußerer Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, der für eine Bejahung der Berufshaftpflicht aber nicht ausreiche. Diese Wertung ist nicht zwingend. Ein ausreichender Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ist jedenfalls dann gegeben, wenn der VN dienstlich verpflichtet ist, den Schlüssel im Interesse des Betriebes bei sich zu verwahren (z. B. Filialleiterschlüssel zum Auf- und Abschließen bei Geschäftsbeginn und -schluss).100

4. Vertragliche Erstreckung des Versicherungsschutzes auf dritte Personen 41 Hierfür besteht wegen § 102 Abs. 1 nur ein Bedürfnis, soweit es nicht um die Versicherung von Haftpflichtgefahren aus unternehmerischer Tätigkeit geht. Neben der Haftpflichtversicherung für Haus- und Grundbesitzer101 ist vor allem die Privathaftpflichtversicherung als Beispiel zu nennen, die Schutz vor der Haftpflicht des VN aus den Gefahren des täglichen Lebens bietet. Mit91 LG Hannover 30.4.1945 RuS 1975 159 f. 92 OLG Celle 30.4.1976 – 8 U 70/75, RuS 1976 180. 93 Ablehnend Späte/Schimikowski/Schimikowski BB PHV Rn. 14; offengelassen OLG Bamberg 20.2.1992 VersR 1992 1346, 1347. 94 Schmalz Berufshaftpflichtversicherung Rn. 455; Späte/Schimikowski/Schimikowski BB PHV Rn. 14. 95 Beispiele von Wussow WJ 1986 1; Späte/Schimikowski/Schimikowski BB PHV Rn. 14. 96 Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen § 26 Rn. 3. 97 OLG Bamberg 20.2.1992 – 1 U 272/90, VersR 1992 1346, 1347; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 62. 98 OLG Köln 5.3.1991 – 5 U 160/91, RuS 1992 228. 99 LG Limburg 16.11.2007 – 3 S 116/07, VersR 2008 814, 815. 100 Prölss/Martin/Lücke MB PHV Abs. 1 Ziff. 1 Rn. 7. 101 Im Internet abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/29226/f33135a7285fb90086834c4009faa8cf/24allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-gewerbliche-haus--und-grundbesitzerhaftpflichtversicherung-avb-ge werbliche-hug-hv-2020-data.pdf. Dort wird die persönliche Haftpflicht des Verwalters und der Wohnungseigentümer bei Betätigung im Interesse und für Zwecke der Gemeinschaft (vgl. A2-2.2.1 b) AVB gewerbliche HuG HV) oder der durch Arbeitsvertrag mit der Verwaltung, Reinigung, Beleuchtung und sonstigen Betreuung der Grundstücke Koch

184

D. Übergang des Haftpflichtversicherungsverhältnisses gem. § 102 Abs. 2

VVG § 102

versichert sind standardmäßig die Ehegatten und eingetragenen Lebenspartner des VN, ihre minderjährigen Kinder (auch Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder), ihre volljährigen Kinder, solange sie sich noch in einer Schul- oder sich unmittelbar anschließenden Berufsausbildung befinden, sowie – in Anlehnung an § 102 Abs. 1 S. 1 – die im Haushalt des VN beschäftigten Personen gegenüber Dritten aus dieser Tätigkeit. Das gleiche gilt für Personen, die aus Arbeitsvertrag oder gefälligkeitshalber Wohnung, Haus und Garten betreuen oder den Streudienst versehen. Durch besondere Vereinbarung können in häuslicher Gemeinschaft mit dem VN lebende Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und dessen Kinder in den Versicherungsschutz einbezogen werden.102

5. Ausgeschiedene Mitarbeiter Vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung verlieren die Mitarbeiter der VN ihren Status 42 als versicherte Person und haben deshalb auch keinen Anspruch mehr auf die Versicherungsleistung, wenn der Versicherungsfall nach ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen der VN eintritt.103 Es besteht somit kein Versicherungsschutz auf der Grundlage des Schadensereignisprinzips, wenn ein Mitarbeiter der VN eine Fehlkonstruktion erstellt, die nach seinem Ausscheiden zu einem Personenschaden führt. Versicherungsschutz besteht jedoch für die VN, soweit sie für das Verhalten ihres ehemaligen Mitarbeiters einstehen muss oder unter dem Gesichtspunkt der Organisationpflichtverletzung gegenüber dem Geschädigten haftet. Der ausgeschiedene Mitarbeiter wiederum hat nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs einen Anspruch auf Freistellung gegen die VN, von dem selbst bei grober Fahrlässigkeit als Faustregel höchstens ein ein- bis zweifaches Jahresgehalt in Abzug zu bringen ist, wenn ein grobes Missverhältnis zwischen Arbeitsverdienst und dem Schadensrisiko besteht, das sich verwirklicht hat (Vor §§ 100–112 Rn. 75). Gleichwohl besteht für ausgeschiedene Mitarbeiter in der Betriebshaftpflichtversicherung eine Deckungslücke, die nur durch Einbeziehung auch ehemaliger Mitarbeiter in den Versicherungsschutz geschlossen werden kann. Dies gilt insbesondere für die gesetzlichen Vertreter der VN, auf die die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs keine Anwendung finden, soweit nicht Schutz durch die D&O-Versicherung geboten wird (der auch die leitenden Angestellten einschließt).

D. Übergang des Haftpflichtversicherungsverhältnisses gem. § 102 Abs. 2 I. Ausgangspunkt Eine Haftpflichtversicherung ist grundsätzlich an die Person des VN gebunden. Allein der VN 43 ist berechtigt, die Rechte aus dem Vertrag gegenüber dem VR geltend zu machen. Diese Regel gilt im Grundsatz selbst dann, wenn die Haftpflichtversicherung (auch) als Fremdversicherung ausgestaltet ist (vgl. Nr. 27.2 AHB 2016/A1-2.4 ABV BHV). Hierdurch soll der VR davor geschützt werden, in Schadensfällen mit einer unbestimmten Vielzahl ihm unbekannter Personen das Vertragsverhältnis abwickeln zu müssen. Für die Betriebshaftpflichtversicherung gilt allerdings nach § 102 Abs. 2 S. 1 hinsichtlich der Person etwas anderes, „der einen von der Versicherung umfassten Betrieb als Ganzes übernimmt“.104 Er tritt im Falle der Veräußerung, aber auch im Falle der Bestellung eines Nießbrauchs, der Verpachtung oder eines ähnlichen zum Besitz beauftragten Personen für Ansprüche versichert, die gegen sie aus Anlass der Ausführung der Verrichtungen erhoben werden. 102 S. Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 27 AHB Rn. 34 ff. 103 Prölss/Martin/Lücke MB AT Abs. 7_1_2 Ziff. 7.1.2 Rn. 10; Späte/Schimikowski/Schimikowski BBR BHV Rn. 43 f. 104 BGH 13.7.1983 – IVa ZR 226/81, VersR 1983 945 = RuS 1983 245 f. 185

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

berechtigenden Rechtsverhältnisses kraft Gesetzes an die Stelle des VN, ohne dass es hierfür einer Zustimmung des VR bedarf. Die Haftpflichtversicherung für einen Betrieb wird vom Gesetz insoweit wie eine Sachversicherung behandelt. Dementsprechend bestimmt § 102 Abs. 2 S. 2 eine entsprechende Anwendung der für den Eintritt des Erwerbers einer versicherten Sache im Falle der Veräußerung geltenden Vorschriften des § 95 Abs. 2 und 3 sowie der §§ 96 und 97. Das allein, so der BGH,105 sei sachgerecht, weil „es insoweit auf den Betrieb als wirtschaftlichen Organismus und das Haftpflichtrisiko ankommt, das sich aus ihm ergibt. Das Gesetz [§ 151 Abs. 2 a. F.] stellt insoweit das Interesse an der Fortdauer des Versicherungsschutzes für die aus dem Betrieb folgenden Haftpflichtrisiken vor das Interesse des Versicherers, sich nicht mit einer anderen Person auseinandersetzen zu müssen. Die gesetzliche Regelung geht erkennbar und sachgerechter Weise davon aus, daß es bei einer Betriebshaftpflichtversicherung dem Versicherer in erster Linie auf den Betrieb und weit weniger auf die Person seines Inhabers ankommt. Zum Ausgleich des – aus diesem Grunde gegenüber anderen Haftpflichtversicherungsarten geringeren – Schutzbedürfnisses des Versicherers gibt das Gesetz diesem das außerordentliche, aber nur für die Zukunft wirkende befristete Kündigungsrecht nach § 70 Abs. 1 [a. F.].“

44 Wenngleich auch gewisse Parallelen hinsichtlich der Bedeutung der Person des VN in der Sachund in der Betriebshaftpflichtversicherung bestehen, die eine Abweichung nicht nur von sonstigen versicherungsrechtlichen, sondern auch allgemein bürgerlich-rechtlichen Gestaltungen rechtfertigen, so dürfen bei der Auslegung des § 102 Abs. 2 S. 1 die Besonderheiten der Betriebshaftpflichtversicherung nicht außer Betracht bleiben. Für die Sachversicherung stellt § 95 Abs. 1 allein auf das Eigentum des Veräußerers und des Erwerbers ab, weil deren rechtliches Interesse an der Erhaltung der versicherten Sache geschützt werden soll. Die Betriebshaftpflichtversicherung knüpft dagegen an die Führung eines Betriebes durch den VN an und soll Vorsorge gegen die Belastung mit Haftpflichtansprüchen aus Schadensfällen bieten, die im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit des VN und seiner Mitarbeiter mit Haftpflichtansprüchen stehen. Die Eigentumslage ist unerheblich. Dieser Unterschied gegenüber § 95 Abs. 1 ist deutlich, soweit § 102 Abs. 2 S. 1 die Übernahme auf Grund eines Nießbrauchs, eines Pachtvertrages oder eines ähnlichen Verhältnisses anführt. Dasselbe muss nach Ansicht des BGH aber auch für den zunächst angeführten Tatbestand der Veräußerung an einen Dritten gelten. Auch die Veräußerung an einen Dritten führe den Übergang des Versicherungsverhältnisses mit einer entsprechenden Anzeigepflicht des VN nur herbei, „wenn mit der Veräußerung – wie im Regelfall – ein Wechsel bei der Führung des Betriebes verbunden ist“ [Hervorhebung durch den Verfasser].106

II. Veräußerung oder Übernahme des versicherten Unternehmens 1. Veräußerung des versicherten Unternehmens an einen Dritten 45 Aus dem zuvor Gesagten folgt, dass Veräußerung nicht im strengen Sinne des bürgerlichen Rechts als dingliches Rechtsgeschäft aufzufassen ist. Zu einer Veräußerung i. S. v. § 102 Abs. 2 S. 1 kommt es, wenn an die Stelle des bisherigen Inhabers ein anderer tritt, der das Unternehmen als Ganzes im eigenen Namen übernimmt.107 Die Veräußerung von Unternehmensteilen zur Gründung eines neuen Unternehmens oder zur Einbringung in ein bestehendes Unternehmen fällt nicht in den Anwendungsbereich des § 102 Abs. 2 S. 1.108 Davon zu unterscheiden 105 BGH 13.7.1983 – IVa ZR 226/81, VersR 1983 945 = RuS 1983 245 f. 106 BGH 10.2.1966 – II ZR 237/63, VersR 1966 353, 354 = NJW 1963 1548, 1549. 107 Vgl. BGH 10.2.1966 – II ZR 237/63, VersR 1966 353, 354; BGH 21.3.1963 – II ZR 111/60, NJW 1963 1548, 1549; Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 18; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 109. 108 Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 30; Späte BetrH Rn. 3. Koch

186

D. Übergang des Haftpflichtversicherungsverhältnisses gem. § 102 Abs. 2

VVG § 102

ist der Fall, dass in einem einheitlichen Versicherungsvertrag mehrere Unternehmen haftpflichtversichert sind. Hier ist § 102 Abs. 2 für den Fall der Veräußerung nur eines Unternehmens anwendbar, d. h. es entstehen zwei voneinander zu trennende Versicherungsverhältnisse.109 Die Veräußerung mitversicherter Tochtergesellschaften fällt nicht unter § 102 Abs. 2 S. 1, 46 da diese Vorschrift an die Führung eines Betriebes durch den VN anknüpft. Keine Anwendung findet § 102 Abs. 2 S. 1, wenn das haftpflichtversicherte Unternehmen zerstückelt wird.110 Werden z. B. das Betriebsgrundstück und das darauf befindliche Inventar an zwei Personen, die nichts miteinander zu tun haben, übertragen, erlischt grundsätzlich der Versicherungsvertrag.111 Die Versicherung wird dagegen i. S. d. § 102 Abs. 2 S. 1 fortgesetzt, wenn zwar ein derart getrennter Erwerb stattfindet, aber der Betrieb nach kurzer Zeit von den beiden Erwerbern gemeinsam fortgeführt wird.112 Werden von einem landwirtschaftlichen Betrieb das gesamte Vieh und Inventar an einen Dritten veräußert und endgültig vom Hof entfernt und alsdann nur das Grundstück mit dem Gebäude einem weiteren Dritten verpachtet, so liegt keine Unternehmensübernahme vor.113 Maßgebend ist allein die tatsächliche, nach außen in Erscheinung tretende Fortführung 47 des Unternehmens durch einen Dritten; auf das Außenverhältnis kommt es entscheidend an.114 Insoweit weist § 102 Abs. 2 S. 1 Parallelen zu § 25 HGB auf. Hier wie dort ist Voraussetzung für die Fortführung, dass eine nach außen in Erscheinung tretende Betätigung vorliegt, die den Willen des Erwerbers ausdrückt, dass das alte Geschäft das auf ihn als neuen Inhaber übergegangene Handelsgeschäft sei.115 Ebenso wie bei § 25 HGB116 ist deshalb von einer für die Anwendung von § 102 Abs. 2 S. 1 erforderlichen tatsächlichen Unternehmensfortführung nur dann auszugehen, wenn das Unternehmen von einem neuen Inhaber in seinem wesentlichen Bestand unverändert weitergeführt wird, der Tätigkeitsbereich, die innere Organisation und die Räumlichkeiten ebenso wie Kunden- und Lieferantenbeziehungen jedenfalls im Kern beibehalten und/oder Teile des Personals übernommen werden.117 Neben diesem sachlichen Zusammenhang wird von der Rechtsprechung118 und der Litera- 48 tur119 verlangt, dass es zu keiner längeren Unterbrechung des Betriebs kommt. Als Höchstfrist wird eine Unterbrechung von bis zu 4 Monaten als unschädlich angesehen.120 Bei längerfristigem Ruhen des Geschäftsbetriebs kann es zu einem Erlöschen der Haftpflichtversicherung 109 Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 21; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 110; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 18; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 30; Späte BetrH Rn. 2; a. A. OLG Bamberg 21.5.1952 – 1 U 21/52, VersR 1952 316, 317, das einen einheitlichen Vertrag mit mehreren VN annimmt. 110 Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 117; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 30; Späte/Schimikowski/ Schimikowski BBR BHV Rn. 145. 111 Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 117; Späte/Schimikowski/Schimikowski BBR BHV Rn. 145. 112 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 23. 113 AG Oldenburg 3.3.1933 JRPV 1933 127. 114 BGH 10.2.1966 – II ZR 237/63, VersR 1966 353, 354; BGH 5.10.1961 – II ZR 10/59, BGHZ 36 24, 26. 115 RG 13.2.1934 – II 254/33, RGZ 143 368, 371 f.; OLG Stuttgart 10.6.1987 – 3 U 300/86, BB 1987 2184 zu § 25 HGB. 116 Vgl. BGH 16.9.2009 – VIII ZR 321/08, NJW 2010 236, 238; BGH 28.11.2005 – II ZR 355/03, NJW 2006 1001, 1002. 117 Vgl. LG Darmstadt 14.5.1964 – 6 S 8/64, MDR 1965 211; LG Ansbach 25.1.1961 – 2 S 110/60, VersR 1961 588; LG Münster 16.1.1952 – 8 S 449/51, VersR 1952 65; AG Neumarkt 16.2.1967 – C 232/66, VersR 1967 772, 773; Langheid/ Wandt/Littbarski § 102 Rn. 116; Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 21; Späte/Schimikowski/Schimikowski BBR BHV Rn. 141; zu eng AG Berlin-Schönefeld 3.12.1984 – 7 C 450/84, VersR 1986 330, wonach die Fortführung einer auf Getränkekonsum ausgerichteten Gaststätte als auf italienische Spezialitäten ausgerichtetes Restaurant keine Übernahme darstellt. 118 LG Ansbach 25.1.1961 – 2 S 110/60, VersR 1961 588. 119 Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 18; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 22; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 34; Späte/Schimikowski/Schimikowski BBR BHV Rn. 141. 120 Vgl. LG Ansbach 25.1.1961 – 2 S 110/60, VersR 1961 588; LG Darmstadt 14.5.1964 – 6 S 8/64, MDR 1965 211; Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 18; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 22; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 34; Späte/Schimikowski/Schimikowski BBR BHV Rn. 141. 187

Koch

§ 102 VVG

49

50

51

52

Betriebshaftpflichtversicherung

wegen Interessewegfalls kommen.121 Da in der Haftpflichtversicherung das Interesse erst mit Wegfall jeder Möglichkeit einer Haftung entfällt, lässt sich ein Zeitraum für den Eintritt des Interessewegfalls jedoch nicht allgemein bestimmen. Im Übrigen greifen bei einer Veränderung des Tätigkeitsbereichs die AHB-Regelungen zur Risikoerhöhung/-erweiterung (Nr. 3.1 (2) AHB 2016/A1-8.1 AVB BHV) und zur Vorsorgeregelung (Nr. 3.1 (3) AHB 2016/A1-9.1 AVB BHV)) ein. Kommt es für die Veräußerung allein auf die nach außen dokumentierte Kontinuität des Unternehmens an, kann nicht auf die rechtsgeschäftlichen Beziehungen zwischen Veräußerer und Erwerber abgestellt werden. Ein Eigentumsübergang genügt daher nicht für die Anwendung von § 102 Abs. 2 S. 1, wenn der ursprüngliche Eigentümer den versicherten Hof weiter bewirtschaftet.122 Gleiches gilt bei einer Sicherungsübereignung, weil sich an der Betriebsführung nichts ändert und es deshalb an einer tatsächlichen Übernahme fehlt.123 Unerheblich ist, ob der schuldrechtliche Vertrag, der der Veräußerung zugrunde liegt (i. d. R. Kaufvertrag, denkbar sind aber auch Tausch oder Schenkung), oder die Eigentumsübertragung (z. B. bei Veräußerung eines Betriebsgrundstücks) zwischen dem VN und dem Erwerber wirksam ist.124 Das bedeutet, dass auch bei einem nichtigen oder angefochtenen oder wegen Dissenses nicht rechtswirksam zustande gekommenen Vertrag § 102 Abs. 2 S. 1 Anwendung finden kann, sofern nur die Übernahme tatsächlich erfolgt.125 Gelingt es dem ursprünglichen VN sich (z. B. im Rechtswege) wegen der Fehlerhaftigkeit des Übernahmevertrages wieder des Betriebes zu bemächtigen, so ändert das nichts daran, dass bis zu diesem Zeitpunkt der Übernehmer der neue VN war. § 102 Abs. 2 S. 1 findet auf die Wiederübernahme durch den ursprünglichen VN erneut Anwendung. Für die Zwischenzeit genießt aber der Übernehmer Versicherungsschutz. § 102 Abs. 2 S. 1 greift sogar dann ein, wenn es überhaupt an Rechtsbeziehungen zwischen dem alten und dem neuen Betriebsinhaber fehlt, also auch nicht der Schein eines Vertrages vorliegt. So liegt der Fall, wenn ein Gastwirt seinen Pachtvertrag mit dem Eigentümer des Hauses löst und keinerlei Vereinbarungen mit seinem Nachfolger trifft, der also nur mit dem Eigentümer kontrahiert. Ähnliche Situationen können sich aber z. B. auch bei der Verpachtung eines Theaters126 oder einer Werkstatt (z. B. Schmiede127) ergeben. Der neue Pächter, der also keinerlei vertragliche Beziehungen zu dem alten VN hat, tritt dann in das von dem ersten Pächter begründete Versicherungsverhältnis ein. Weder Veräußerung noch ein „ähnliches Verhältnis“ stellt der Erbgang dar. Hier beurteilt sich der Eintritt der Erben in die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach §§ 1922, 1967 BGB.128 Anders liegt der Fall, wenn der Erbe das Unternehmen auf einen Vermächtnisnehmer überträgt oder ein Miterbe im Wege der Erbauseinandersetzung das Unternehmen übernimmt.129 Die Veräußerung eines geschäftlichen Unternehmens im Rahmen der Zwangsversteigerung ist nicht möglich, da Gegenstand der Zwangsvollstreckung nur die Übertragung des Eigentums an bestimmten Sachen ist.130 Raum für die – nach h. M. analoge – Anwendung des § 102 Vgl. zum Interessewegfall Prölss/Martin/Armbrüster § 80 Rn. 16; Bruck/Möller/Schnepp9 § 80 Rn. 74. BGH 21.3.1963 – II ZR 111/60, NJW 1963 1548, 1549; a. A. Langheid/Rixecker/Langheid § 102 Rn. 10. Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 17; Späte BetrH Rn. 2; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 29. Vgl. BGH 18.2.1953 – II ZR 117/52, VersR 1953 102; LG Hagen 9.7.1951 – 1 S 175/51, VersR 1951 243; Prölss/Martin/ Lücke § 102 Rn. 18; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 28; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 104; Langheid/ Rixecker/Langheid § 102 Rn. 11. 125 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 104; Späte/Schimikowski/Schimikowski BBR BHV Rn. 141. 126 KG 19.11.1928 JRPV 1928 324, 325. 127 AG Passau 20.9.1951 – C 680/51, VersR 1952 21. 128 Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 22; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 21; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 35; Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 11; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 104. 129 Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 22; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 21; Wussow § 1 Rn. 20; Späte BetrH Rn. 3; Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 11; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 125. 130 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 21; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 31; Prölss/Martin/ Lücke § 102 Rn. 21; Späte/Schimikowski/Schimikowski BBR BHV Rn. 146; a. A. Bauer VersR 1968 813, 816.

121 122 123 124

Koch

188

D. Übergang des Haftpflichtversicherungsverhältnisses gem. § 102 Abs. 2

VVG § 102

Abs. 2 ist nur insoweit gegeben, als jemand in der Zwangsversteigerung ein Betriebsgrundstück mit Inventar erwirbt und alsdann dort sofort oder mit nur kurzer Unterbrechung den Betrieb fortsetzt.131

2. Übernahme und Fortführung des Unternehmens aufgrund von Nießbrauch oder Pacht Das vorstehend für den Fall der Veräußerung Ausgeführte gilt entsprechend, wenn ein Unter- 53 nehmen aufgrund eines Nießbrauchs, eines (Unternehmens-)Pachtvertrages oder eines ähnlichen Verhältnisses dauerhaft oder vorübergehend von einem Dritten übernommen wird. Hierzu bedarf es stets eines Wechsels des Unternehmensträgers, der sich allerdings in lediglich vorübergehender Form vollziehen kann. Ein Ertragsnießbrauch, bei dem die Befugnisse des Nießbrauchers (zulässigerweise) so weit eingeschränkt sind, dass die Unternehmerstellung weiterhin beim Besteller verbleibt,132 ist kein „Nießbrauch“ i. S. d. Vorschrift.133 Um dem Nießbrauch oder der Pacht ähnlich zu sein, muss es sich um ein Vertragsverhältnis 54 handeln, dass die Nutzung i. S.e. Fortführung des versicherten Unternehmens zum Gegenstand hat. Als Beispiel für ein „ähnliches Verhältnis“ lässt sich das „eheliche Güterrecht“ anführen, das dem Ehemann nach früherer Rechtslage ein Nutznießungs- und Verwaltungsrecht an dem Vermögen seiner Ehefrau gewährte.134 Heute kommt als ähnliches Verhältnis das zwischen dem treuhänderisch handelnden Testamentsvollstrecker und den Erben bestehende Rechtsverhältnis in Betracht, wenn es um die Testamentsvollstreckung nach einem Einzelkaufmann geht.135 § 102 Abs. 2 S. 1 findet im Übrigen auch Anwendung, wenn ein Pächter eines Unternehmens 55 eine Haftpflichtversicherung abschließt und später nach Ablauf des Pachtvertrages der Eigentümer (Verpächter) das Unternehmen selbst betreibt, also nicht erneut verpachtet.136 Keine Anwendung findet § 102 Abs. 2 S. 1 dagegen in einem Falle, in dem nach erfolgter Verpachtung und Übergabe des Pachtbetriebes der Verpächter eine Betriebshaftpflichtversicherung abschließt.137 Hier liegt vielmehr eine Betriebshaftpflichtversicherung für fremde Rechnung vor. Wird dann aber eine Neuverpachtung an einen Dritten vorgenommen, so kann eine analoge Anwendung des § 102 Abs. 2 S. 1 mit der Folge gerechtfertigt sein, dass der Vertrag als Vertrag für eigene Rechnung durch den Pächter fortgesetzt wird.138

3. Gesellschaftsrechtliche Besonderheiten An einer Veräußerung an oder einer Übernahme durch Dritte i. S. v. § 102 Abs. 2 S. 1 fehlt es, 56 wenn der VN lediglich die Rechtsform139 ändert.140 Auf die Veräußerung von Anteilen an

131 Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 125; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 21; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 31; Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 21. 132 Vgl. näher Staudinger/Heinze (2017) Anhang zu §§ 1068, 1069 Rn. 29 f. 133 Vgl. Oetker/Schlingloff § 22 Rn. 38 zur vergleichbaren firmenrechtlichen Fragestellung. 134 LG Münster 16.1.1952 – 8 S 449/51, VersR 1952 65; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 113 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 32. 135 Vgl. Oetker/Schlingloff § 22 Rn. 38; MüKo-HGB/K. Schmidt § 1 Rn. 58; a. A. Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 22. 136 Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 28. 137 BGH 7.1.1965 – II ZR 115/62, VersR 1965 274 f. – insoweit in BGHZ 43 42 ff. nicht abgedruckt. 138 Vgl. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. D 40. 139 Z. B. nach § 123 HGB, beim Wechsel oder Beitritt eines Gesellschafters zu einer bestehenden Personengesellschaft, wenn OHG/KG durch Aufgabe ihres Handelsgewerbes ihre Eigenschaft als Handelsgesellschaft verliert, wenn eine Partnerschaftsgesellschaft eine gewerbliche Tätigkeit aufnimmt. 140 Vgl. Bauer VersR 1968 813, 816. 189

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

Kapitalgesellschaften findet § 102 Abs. 2 S. 1 ebenso wenig Anwendung141 wie bei der Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften.142 Fraglich ist, ob eine Veräußerung an oder eine Übernahme durch Dritte vorliegt, wenn der VN sich i. S. v. § 1 Abs. 1 UmwG durch Verschmelzung (§§ 2 ff. UmwG), Spaltung (§§ 123 ff. UmwG), Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG) und Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) umwandelt. Dagegen spricht, dass es bei der Umwandlung zu einer Gesamtrechtsnachfolge kommt,143 so dass es eines Rückgriffs auf § 102 Abs. 2 S. 1 nicht bedarf, da alle Rechte und Pflichten auf diesem Wege auf den neuen Rechtsträger übergehen.144 Soweit bei einer Umwandlung nur Teile des Vermögens ohne Auflösung des übertragenden Rechtsträgers übertragen werden (Abspaltung, § 123 Abs. 2 UmwG; Ausgliederung, § 123 Abs. 3 UmwG) oder es zu einer Teilübertragung auf mehrere Rechtsträger unter Auflösung des übertragenden Rechtsträgers kommt (aufspaltende oder ausgliedernde Teilübertragung, § 174 Abs. 2 Nr. 2, 3 UmwG), liegt kein Fall der Unternehmensübernahme i. S. v. § 102 Abs. 2 S. 1 vor. In beiden Konstellationen fehlt es an einer Übertragung des Unternehmens als Ganzes. 57 Dagegen findet § 102 Abs. 2 S. 1 Anwendung, wenn der VN mit einem Dritten eine Gesellschaft neu gründet und mit dieser das Unternehmen fortführt oder durch die Aufnahme eines Dritten in das Unternehmen des VN eine Personengesellschaft (auch Außen-GbR) entsteht.145 Der Übergang der Führung des Unternehmens von einer GbR, die als Besitzgesellschaft fortbesteht, auf eine Betriebs-GmbH, deren Geschäftsführer-Gesellschafter zugleich die Gesellschafter der Besitzgesellschaft sind, stellt ebenfalls eine Übernahme i. S. v. § 102 Abs. 2 S. 1 dar.146 Ebenso liegt der Fall, wenn der VN Inhaber und gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person ist und sein Unternehmen an die juristische Person verpachtet. Der Abschluss von Unternehmensverträgen i. S. v. § 291 AktG führt dagegen nicht zur Anwendung des § 102 Abs. 2 S. 1, weil das herrschende Unternehmen nicht als Übernehmer nach außen in Erscheinung tritt.147

III. Rechtsfolgen 58 Der das Unternehmen fortführende Dritte tritt gem. § 102 Abs. 2 S. 1 ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Fortführung in die Rechte und Pflichten des VN ein. Für die Prämie der laufenden Versicherungsperiode haften beide Parteien nach §§ 102 Abs. 2 S. 2, 95 Abs. 2 als Gesamtschuldner. Ansprüche aus Versicherungsfällen, die vor der Übernahme eingetreten sind, stehen dem früheren Unternehmensinhaber zu.148 Ist die Anzeige der Veräußerung nach §§ 102 Abs. 2 S. 2, 97 unverschuldet unterblieben, bleibt der VR verpflichtet.149 Im Übrigen ist der Hinweis geboten, dass nicht jede Verletzung der Anzeigepflicht zur Verwirkung des Versicherungsschutzes nach § 97 Abs. 1 S. 2 führt. Die Vorschrift ist in einer an den Geboten von Treu und Glauben ausgerichteten Betrachtungsweise dahingehend einschränkend auszulegen, dass die Verwirkung der Versicherungsleistung nicht außer Verhältnis zur Schwere des Versto-

141 142 143 144 145

Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 39; a. A. Bauer VersR 1968 813, 817 bei Veräußerung sämtlicher Aktien. A.A. Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 38. Vgl. nur Baumbach/Hopt/Roth Einl. v. § 105 Rn. 23. Für sinngemäße Anwendung Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 41. BGH 5.10.1961 – II ZR 10/59, BGHZ 36 24, 26 = VersR 1961 988, 989; vgl. auch BGH 25.3.1970 – IV ZR 650/68, VersR 1970 609; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 111; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 37; Prölss/Martin/ Lücke § 102 Rn. 21. 146 LG Essen 22.11.1983 – 45 O 294/82, VersR 1985 929, 930; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 114; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 36. 147 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 41. 148 OLG Düsseldorf 1.12.1953 – 4 U 104/53, VersR 1954 507. 149 BGH 5.10.1961 – II ZR 10/59, BGHZ 36 24, 28. Koch

190

G. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 102

ßes stehen darf.150 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu §§ 95 bis 97 verwiesen.

E. Beweislast Derjenige, der – ohne VN zu sein – die Versicherungsleistung aus einer Betriebshaftpflichtversi- 59 cherung begehrt, muss darlegen und beweisen, dass der Anspruch in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fällt und er zum Kreis der versicherten Personen zählt. Wer sich auf den Vertragsübergang beruft, trägt im Prozess dafür die Beweislast.151 Dies kann der VR sein, wenn er den neuen Inhaber auf Prämienzahlung in Anspruch nimmt, der frühere Inhaber, wenn er vom VR auf Prämienzahlung in Anspruch genommen wird,152 oder der neue Inhaber, wenn dieser die Versicherungsleistung beansprucht. Die Voraussetzungen für Leistungsfreiheit nach § 97 Abs. 1 hat der VR zu beweisen.153

F. Abdingbarkeit § 102 ist dispositiv.154 Ziff. 7.1.2.3 und Ziff. 7.1.2.4 BBR BHV (A1-2.1.1 und A1-2.1.2 AVB BHV) kon- 60 kretisieren den Kreis der versicherten Personen. Ziff. 20 AHB 2016/B2–3 AVB BHV vollziehen § 102 Abs. 2 und die in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 95, 96 und 97 nach. Ein Ausschluss des Kündigungsrechts des Übernehmenden nach §§ 102 Abs. 2 S. 2, 97 ist unwirksam, weil eine solche Abrede als Vertrag zulasten Dritter zu qualifizieren ist.155

G. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 102 ist § 151 VersVG, der nahezu wortgleich 61 und inhaltlich identisch mit § 151 a. F. ist. Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert nur zu § 151 Abs. 2 VersVG und betrifft vornehmlich die Frage, wann der Übernehmer an die Stelle des VN in die sich während der Dauer seiner Berechtigung aus dem Versicherungsverhältnis 150 BGH 7.2.2007 – IV ZR 249/06, RuS 2007 198 Rn. 16; BGH 20.5.1987 – IVa ZR 227/85, RuS 1987 234; BGH 11.2.1987 – IVa ZR 194/85, BGHZ 100 60, 64; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 131; vgl. auch BTDrucks. 16/3945 S. 85: „Im Übrigen verbleibt es bei dem von der Rechtsprechung zu § 71 VVG entwickelten Grundsatz, dass der VR nur dann leistungsfrei ist, wenn diese Rechtsfolge nicht außer Verhältnis zur Schwere des Verstoßes des VN steht. Hier handelt es sich um die Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben, der keiner ausdrücklichen Regelung bedarf.“. 151 Vgl. auch Bruck/Möller/Staudinger9 § 95 Rn. 100. 152 AG Köln 28.10.1980 – 135 C 266/80, VersR 1981 227. 153 Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 24. 154 Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 133; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 24; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 46; Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 23; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 102 Rn. 16. 155 Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 133; Berliner Kommentar/Baumann § 151 Rn. 46; Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 133; Prölss/Martin/Lücke § 102 Rn. 23; vgl. OLG Schleswig 17.10.1989 – 6 U Kart. 21/89, VersR 1990 197 ff. m. Anm. Wille VersR 1990 199; OLG Koblenz 31.10.1988 – 12 U 932/87, NJW-RR 1989 537; offengelassen von BGH 30.5.1990 – IV ZR 266/89, BGHZ 111 295, 298 = VersR 1990 1115, der Unwirksamkeit gem. § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG a. F. angenommen hat. 191

Koch

§ 102 VVG

Betriebshaftpflichtversicherung

ergebenden Rechte und Pflichten eintritt. Der Unternehmer tritt ein, sobald das Haftpflichtrisiko auf ihn übergegangen ist. Ansprüche, die vor der Übernahme eingetreten sind, stehen dem früheren Betriebsinhaber weiter zu.156 Ebenso wie im deutschen Recht kommt es für den Vertragseintritt des Erwerbers nicht darauf an, ob das Veräußerungsgeschäft wirksam ist, sofern der Betrieb nur tatsächlich übernommen wurde.157

II. PEICL 62 Die PEICL enthalten keinen Vorschriften speziell zur Betriebshaftpflichtversicherung.

156 ÖOGH 2.7.2015 – 7Ob91/15f, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00091.15F.0702.000; ÖOGH 28.10.2009 – 7Ob104/ 09h, ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00104.09H.1028.000.

157 ÖOGH 31.3.1998 – 7Ob86/98t, ECLI:AT:OGH0002:1998:RS 0109854 (zur Rechtsschutzversicherung). Koch

192

§ 103 Herbeiführung des Versicherungsfalles Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.

Schrifttum Armbrüster Auswirkungen von Versicherungsschutz auf die Haftung, NJW 2009 187; Armbrüster/Dallwig Die Rechtsfolgen übermäßiger Deckungsbegrenzungen in der Pflichtversicherung, VersR 2009 150; Baumann Quotenregelung contra Alles- oder Nichts-Prinzip im Versicherungsfall – Überlegungen zur Reform des § 61 VVG –, RuS 2005 1; Breideneichen Die Risikoausschlüsse in der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung, RuS 2013 417; Burmann/Jahnke Vorsätzliche Schädigung im Straßenverkehr, DAR 2020 128; Dallwig Versicherungsrechtliche Konsequenzen des Gesetzes zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, VersR 2014 19; ders. Deckungsbegrenzungen in der Pflichtversicherung (2011); Deutsch Die grobe Fahrlässigkeit im künftigen Versicherungsvertragsrecht, VersR 2004 1485; Dickstein Vorsatzausschluss in der D&O-Versicherung, in FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. (2016) 333; Diller Fallstricke in der Berufshaftpflichtversicherung der Anwälte, AnwBl 2014 2; Dilling § 64 GmbHG a. F. – Folgerungen für den Risikoausschluss für wissentliche Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2021 1076; ders. Zur Unwirksamkeit des Risikoausschlusses für wissentliche Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2018 332; ders. Die Wirksamkeit der Risikoausschlüsse für wissentliche und vorsätzliche Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung (2015); Dreher Versicherungsschutz für die Verletzung von Kartellrecht oder von Unternehmensinnenrecht in der D&O-Versicherung und Ausschluss vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzungen, VersR 2015 781; Eggert Beweisprobleme bei behaupteter Unfallmanipulation, RuS-Beil. 2011 24; Felsch Die neuere Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Haftpflichtversicherung, RuS 2008 265; ders. Die Rechtsprechung des BGH zum Versicherungsrecht: Haftpflichtversicherung und Sachversicherung, RuS 2010 265; Fiedler Der Risikoausschluss bei Vorsatz und wissentlicher Pflichtverletzung in der D&O-Versicherung, in FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. (2016) 343; Fleischer Kartellrechtsverstöße und Vorstandsrecht, BB 2008 1070; ders. Vorstandsverantwortlichkeit und Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen – Von der Einzelüberwachung zur Errichtung einer Compliance-Organisation, AG 2003 291; Franck Richtlinienkonforme Auslegung der Vorschriften über die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Pflichtversicherung, VersR 2014 13; Franz Das Versicherungsvertragsrecht im neuen Gewand, VersR 2008 298; ders. Die Reform des Versicherungsvertragsrechts – ein großer Wurf? DStR 2008 303; Garbes Die Haftpflichtversicherung der Architekten/Ingenieure 3. Aufl. (2008); Geißler Zukunft, Stillstand oder Geltungsverlust für die Durchgriffshaftung im Recht der GmbH? GmbHR 1993 71; Glöckner/Müller-Tautphaeus Rückgriffshaftung von Organmitgliedern bei Kartellrechtsverstößen, AG 2001 344; Grote/Chr. Schneider VVG 2008: Das neue Versicherungsvertragsrecht, BB 2007 2689; Grunewald Die Abwälzung von Bußgeldern, Verbands- und Vertragsstrafen im Wege des Regresses, NZG 2016 1121; Hartung Haftpflichtversicherung (1957); Heitmann Risikoausschluss der Vorsatztat gemäß § 152 VVG in der Kfz-Haftpflichtversicherung, VersR 1997 941; Hintz/Burkard Folgen unberechtigten Versagens der Deckung wegen vermeintlich vorsätzlichen Herbeiführens des Versicherungsfalls in der Haftpflichtversicherung, VersR 2011 1373; Hübner Der Durchgriff bei juristischen Personen im europäischen Gesellschafts- und Unternehmensrecht, JZ 1978 703; R. Johannsen Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in der Haftpflichtversicherung, RuS 2000 133; ders. Haftpflichtversicherungsschutz gegen Umweltschäden durch Verunreinigung des Erdbodens und der Gewässer (1987); ders. in Symposium „80 Jahre VVG“ (1988) 196; R. Koch Anspruch auf die Versicherungsleistung in der D&OVersicherung in der Doppelinsolvenz von Gesellschaft und (Alleingesellschafter-)Geschäftsführer, VersR 2020 1284; ders. OGH schränkt Schutz der (Privat-)Haftpflichtversicherung ein, VbR 2019 171; ders. Ersatzfähigkeit von Kartellbußen, VersR 2015 655; Kolb Keine Haftung des GmbH-Geschäftsführers für eine gegen die Gesellschaft verhängte Kartellbuße, GWR 2015 169; Kordes D&O-Versicherung: Zusammentreffen von wissentlicher Pflichtverletzung und weiteren fahrlässigen Pflichtverletzungen, RuS 2019 307; Lange Vernachlässigte Aspekte des Wissentlichkeitsausschlusses in der D&O-Versicherung, VersR 2020 588; Langheid Uneingeschränkte Haftpflichtdeckung trotz Vorsatz? NVersZ 1999 253; ders. Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, NJW 2007 3665 und 3745; ders. Tücken in den §§ 100 ff. VVGRegE, VersR 2007 865; de Lippe Probleme wissentlicher Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2021 69; Littbarski Haftungs- und Versicherungsrecht im Bauwesen (1986); ders. Aktuelle Probleme der Gewässerschadenhaftpflichtversicherung, VersR 1987 127; Looschelders Der Risikoausschluss bei vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzung – Auswirkungen auf die Rechtsstellung der VN und anderer Versicherter, VersR 2018, 1413; ders. Schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalls nach der VVG-Reform, VersR 2008 1; E. Lorenz Der subjektive Risikoausschluss durch § 61 VVG und die Sonderregelung in § 152 VVG, VersR 2000 2; Niebel Der Vorsatzausschluss in den ARB – ein

193 https://doi.org/10.1515/9783110522662-005

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

ausgestandenes Thema? RuS 2021 425; Präve Das neue Versicherungsvertragsgesetz, VersR 2007 1046; Pütz/Maier Haftung und Versicherungsschutz bei Cyber-Angriffen auf ein Kfz, RuS 2019 444; Riechert Die Grenzen des Schutzes in der Berufshaftpflichtversicherung, AnwBl 2017 996; ders. Die Berufshaftpflichtversicherung der PartGmbB – Grundlagen, AnwBl 2014 266; Ruppert Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung – Ende gut, alles gut? DStR 2013 1623; Ruttmann Die Versicherbarkeit von Geldstrafen, Geldbußen, Strafschadensersatz und Regressansprüchen in der D&O-Versicherung (2014); ders. D&O-Versicherungsschutz für Geldstrafen und -bußen? VW 2/2015 50; Segger Keine Haftung unbeteiligter Organmitglieder für wissentliche Pflichtverletzungen ihrer Kollegen, VersR 2018 329; Schirmer Die Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, ZVersWiss Supplement 2006 427; Schweitzer Zulässigkeit der Ausschlussklauseln für Vorsatz und wissentliches Handeln in der D&O-Versicherung (2013); Seitz Vorsatzausschluss in der D&O-Versicherung – endlich Licht im Dunkeln! VersR 2007 1476; K. Sieg Zwei wichtige Fragen zur Architekten-Haftpflichtversicherung – Zugleich Stellungnahme zum Urteil des OLG Hamm VersR 78, 52 –, VersR 1978 193; Stoecker Der Vorsatz des Versicherungsnehmers bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne des § 103 VVG (2011); Thalmair Die Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, ZVersWiss Supplement 2006 459; Tilsen Die beschränkte Haftung des Minderjährigen im Deliktsrecht – Zugleich ein Beitrag zur Beschränkung der Haftung des Minderjährigen aus verfassungs-, sozialversicherungs- und insolvenzrechtlicher Sicht (2009); Thomas Bußgeldregress, Übelszufügung und D&O-Versicherung, NZG 2015 1409; Vothknecht Die „wissentliche Pflichtverletzung“ in der Vermögensschaden-Haftpflicht-/D&O-Versicherung, PHi 2006 52; V. Wagner Die schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalles in der Schadensversicherung nach der VVG-Reform 2008 (2010); Werner Die zivilrechtliche Haftung des Vorstands einer AG für gegen die Gesellschaft verhängte Geldbußen gegenüber der Gesellschaft, CCZ 2010 143; Zimmermann Kartellrechtliche Bußgelder gegen Aktiengesellschaft und Vorstand: Rückgriffsmöglichkeiten, Schadensumfang und Verjährung, WM 2008 433.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Normzweck und rechtspolitische Bedeu6 tung

III.

Rechtsnatur

IV.

Besonderheiten in der obligatorischen Haft14 pflichtversicherung 14 Grundsatz 15 Kfz-Haftpflichtversicherung

1. 2. V. 1. 2.

1

B.

Objektive Tatbestandsvoraussetzun23 gen

I.

Herbeiführung des Schadens

II.

Widerrechtlichkeit

III.

Dritter

C.

Vorsätzliche Schadensherbeiführung

Koch

Begriff des Vorsatzes

II.

Zum Umfang des Vorstellungsbildes

III. 1.

36 Kasuistik 37 Körperverletzung 37 a) Allgemein b) Körperverletzung unter Einsatz von gefährli38 chen Werkzeugen c) Körperverletzungen als Folge von Jux, Albernheit, Spaß, Spielerei, Ausgelassenheit, 39 Unfug d) Körperverletzungen und Sachschäden 40 durch Minderjährige 41 Brandstiftung 42 Kfz-Unfälle Schädigung Dritter anlässlich einer (versuchten) 43 Selbsttötung 44 Sachschäden Schäden durch Lieferung oder Herstellung mangelhafter Waren, Erzeugnisse oder Arbeiten (Ziff. 7.2 AHB 2016/§ 4 II Ziff. 2 S. 1 AHB a. F./A1-7.2 45 AVB BHV)

13

Verhältnis zu Gefahrerhöhungs- und Rettungsob19 liegenheiten 20 Verhältnis zur Gefahrerhöhung 22 Rettungsobliegenheiten

2. 3. 4. 5. 6.

24

25

IV. 1. 2. 3.

30 31

31

I.

33

Verantwortlichkeit/Zurechnungsfähigkeit 46 § 827 BGB 50 § 828 BGB Trunkenheit oder sonstige Berauschungszu51 stände

46

194

VVG § 103

Übersicht

53

F.

Verfahrens- und Beweisfragen

54 Versicherung für fremde Rechnung Vorsätzliche Schadenszufügung durch versicher54 te Personen Vorsätzliche Schadenszufügung durch den 57 VN 57 a) Freiwillige Haftpflichtversicherung b) Obligatorische Haftpflichtversiche60 rung

I.

Berücksichtigung von Amts wegen

II.

Darlegungs- und Beweislast

III. 1. 2. 3.

97 Beweisführung 97 Grundsatz 98 Unzulässigkeit des Anscheinsbeweises 99 Indizienbeweis a) Vorsatz bezüglich der Schadensfol99 gen b) Exkurs: Wissentliche Pflichtverlet101 zung 103 c) Kasuistik Bindungswirkung der Feststellungen im vorausgegangenen Haftungsprozess für den Deckungs104 prozess Bindungswirkung der Feststellungen im vorausgegangenen Strafprozess/Adhäsionsverfah106 ren

I.

Mehrheit von VN

II. 1.

III. 1.

2.

3.

4.

IV. 1. 2. 3.

62 Gesellschaften als VN Vorsätzlich Schadenszufügung durch Organmit62 glieder 62 a) Juristische Personen b) Rechtsfähige Personengesellschaf64 ten c) Nicht eingetragene Vereine und Vorgesell65 schaften juristischer Personen Vorsätzliche Schadenszufügung durch Mitarbei66 ter des VN 66 a) Haftung für Repräsentanten 70 b) Beispiele Vorsätzliche Schadenszufügung durch Gesellschafter juristischer Personen und nicht zur Geschäftsführung berechtigte Personengesellschaf73 ter Vorsätzliche Schadenszufügung durch sonstige 74 Dritte Natürliche Personen als VN/versicherte Perso75 nen Vorsätzliche Schadenszufügung durch gesetzli75 che Vertreter natürlicher Personen Vorsätzliche Schadenszufügung durch Ehegat76 ten/Lebenspartner/Kinder Vorsätzliche Schadenszufügung durch sonstige 77 Dritte

4.

5.

Einstehen für Parteien kraft Amtes

E.

Rechtsfolge/Umfang der Leistungsfreiheit bei 79 vorsätzlicher Schadensherbeiführung

I.

Im Hinblick auf die Leistungspflicht des 79 VR

II.

Personelle Reichweite

III.

Auswirkungen auf den Vertrag

IV.

Schadensersatzansprüche des VR

84

V.

Rückforderungsansprüche des VR

85

82

92 92

93

108

IV.

Revisibilität

G.

Abdingbarkeit

I.

Abweichungen zugunsten des VN und/oder mit110 versicherter Personen Einschluss von Haftpflichtansprüchen wegen vor110 sätzlich herbeigeführter Schäden 111 Einschluss von Geldbußen/-strafen

1. 2. II. 1. 2.

78

V.

195

91

Verzicht

Zurechnung des Verhaltens Dritter

2.

52

VI.

D.

3. 4.

109

Nachteilige Abweichungen für VN und/oder mit113 versicherte Personen 113 AGB-rechtlicher Ausgangspunkt 114 Wissentliche Pflichtverletzung a) Obligatorische Haftpflichtversiche114 rung 116 b) Freiwillige Haftpflichtversicherung 116 aa) Pflichtwidrigkeitsklausel bb) Kenntnisklausel (Ziff. 7.2 AHB 119 2016) Grob fahrlässige Pflichtverletzung/Herbeiführung 122 des Schadens Individualisierende Beschreibungen des versi123 cherten Risikos

H.

Österreichisches Recht/Principles of Europe127 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

83 127 129

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 103 ist die Nachfolgeregelung zu § 152 a. F. In der Begründung der Neufassung heißt es, dass „[i]n der Sache [.] die bisherige Regelung des § 152 VVG erhalten [bleibt]“ und nur „klargestellt wird, dass sich der Vorsatz hier – anders als bei § 823 BGB – nicht nur auf die Handlung, sondern auch auf die Schadensfolgen beziehen muss, damit der Haftungsausschluss zugunsten des VR greift.“1 § 152 a. F. sah indes nur vor, dass der VR nicht haftet, wenn der VN „vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, widerrechtlich herbeigeführt hat“. Dass sich der Vorsatz auch auf die Herbeiführung des Schadens, also die Schadensfolgen, erstreckt, ist dem Wortlaut des § 152 a. F. somit abweichend von § 103 nicht zu entnehmen. Da die nach bürgerlichem Recht zu beurteilende haftungsrechtliche Verantwortlichkeit an das haftungsbegründende Verhalten anknüpft,2 spricht der Wortlaut eher dafür, die Anwendung des § 152 a. F. gerade nicht davon abhängig zu machen, dass der VN auch hinsichtlich der Schadensfolgen vorsätzlich handelt.3 Die Erstreckung des Vorsatzes auf die Schadensfolgen entspricht auch nicht dem Willen des historischen Gesetzgebers, wie die nachstehend im Auszug wiedergegebene amtliche Begründung deutlich macht:4 „Daß der Vorsatz des Versicherungsnehmers auch die ferneren Folgen der die Haftpflichtverbindlichkeit begründenden Verletzung des fremden Rechtes oder Rechtsguts, insbesondere Art und Umfang des verursachten Schadens, umfaßt habe, fordert der Entwurf nicht. Danach hat z. B. im Falle der Tötung eines anderen der Versicherungsnehmer keinen Anspruch aus der Versicherung, sobald ihm in Ansehung der den Tod nach sich ziehenden Verletzung Vorsatz zur Last fällt, ohne daß es weiter darauf anzukommen hätte, ob bei dem widerrechtlichen Eingriff in die körperliche Integrität des andern sein Wille auf die Herbeiführung einer so schweren Folge gerichtet war …“

Es verwundert daher nicht, dass insbesondere die ältere Literatur § 152 a. F. im Sinne dieser Begründung auslegte5 und § 4 II Ziff. 1 S. 1 AHB a. F. (Ziff. 7.1 AHB 2016), demzufolge sich der Vorsatz auf die Schadensherbeiführung beziehen muss, als Abweichung zugunsten des VN verstand.6 2 Während die reichsgerichtliche Rechtsprechung bereits eine mehr oder weniger deutliche Präferenz dahingehend erkennen ließ, dass sich der Vorsatz des VN auch auf den Schaden erstrecken muss,7 haben der BGH und die Obergerichte die Frage, ob der durch die vorsätzliche Pflichtverletzung herbeigeführte Schaden vom Vorsatz des Handelnden umfasst sein, anfänglich offengelassen.8 In jüngeren Entscheidungen hat der BGH zunächst im Rahmen der Inhaltskontrolle subjektiver Ausschlussklauseln in der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung, die bereits Vorsatz hinsichtlich des haftungsbegründenden Verhaltens ausreichen lassen, klargestellt, dass der Vorsatz sich nach dem gesetzlichen Leitbild des § 152 a. F. auch auf die Scha1 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 2 BGH 20.11.1979 – VI ZR 238/78, BGHZ 75 328, 329 = NJW 1980 996; BGH 30.5.1972 – VI ZR 6/71, BGHZ 59 30, 39; BGH 20.3.1961 – III ZR 9/60, BGHZ 34 375, 381; BGH 18.3.1955 – I ZR 52/53, MDR 1955 542; Palandt/Grüneberg § 276 Rn. 10. 3 A. A. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 222: Wortlaut ist doppeldeutig. 4 Motive 207. 5 Z. B. Herzfelder Haftpflichtversicherung 1. Aufl. 1913, 34; Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 73; offenlassend Späte § 4 Rn. 201. 6 Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 73; K. Sieg VersR 1978 193; Hartung 92. 7 Vgl. RG 20.4.1917 VA 1917 60, 62; RG 14.12.1937 JW 1938 684. 8 BGH 26.5.1971 – IV ZR 28/70, VersR 1971 806, 807; OLG Hamm 24.8.1973 – 20 U 65/73, VersR 1973 1133, 1134; OLG München 11.1.1973 – 1 U 2473/72, VersR 1974 1069, 1070; vgl. aber auch BGH 9.6.1958 – II ZR 46/57, VersR 1958 469; ÖOGH 7.7.1977 – 7 OB 44/77, VersR 1978 532. Koch

196

A. Einführung

VVG § 103

densfolgen erstrecken müsse.9 In seiner Entscheidung vom 17.6.1998 hat der BGH diese Feststellung auch für den Bereich der Privathaftpflichtversicherung getroffen.10 Die Nichtberücksichtigung des gesetzgeberischen Willens bei der Auslegung von § 152 a. F. 3 durch die aktuelle(re) Rechtsprechung und herrschende Literatur11 dürfte vor allem dem von Baumann beschriebenen Funktionswandel der Haftpflichtversicherung hin zum Schutz des Dritten geschuldet sein.12 Dies erklärt, warum eine Erstreckung des Vorsatzes auf die Schadensfolgen in der Sachversicherung durch eine entsprechende Auslegung des § 61 a. F. von der h. M. abgelehnt wurde.13 In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass in dem Bericht der VIII. Reichstagskommission14 den Bedenken gegen die Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf (grob) fahrlässig herbeigeführte Versicherungsfälle mit dem Argument begegnet wurde, dass für die Verletzten und die neben ihnen Forderungsberechtigten „in der bestehenden Versicherung oft die einzige Aussicht auf tatsächliche Entschädigung gelegen sei“.

Möglicherweise hat auch die bis 1994 erforderliche Genehmigung der AHB durch die Versiche- 4 rungsaufsichtsbehörde dazu geführt, dass Rechtsprechung und Literatur § 4 II Ziff. 1 S. 1 AHB a. F. als Darstellung oder bloße Wiedergabe der gesetzlichen Regelung angesehen haben. Darauf deutet der Verweis in vorbezeichneter Entscheidung des BGH vom 17.6.1998 auf ein Urteil aus dem Jahre 1979 hin, das die Haftungsprivilegierungen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nach §§ 636, 637 RVO a. F. (§§ 104 ff. SGB VII) und § 640 RVO a. F. (§ 110 SGB VII) zum Gegenstand hatte.15 In jenem Urteil vom 20.11.1979 stellte der BGH fest, dass entsprechend dem Wortlaut des § 640 Abs. 1 RVO a. F. („Haben Personen, deren Ersatzpflicht durch § 636 oder § 637 beschränkt ist, den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, so haften sie ….“) „sich der Vorsatz (oder im Falle des § 640 RVO auch die grobe Fahrlässigkeit) des Schädigers, soll er auf Ersatz in Anspruch genommen werden, in diesen Fällen nicht nur auf die Verletzung einer Verhaltensnorm, sondern auf die (dadurch herbeigeführte) Verursachung des Arbeitsunfalles beziehen [muß] […]. Ähnlich liegt es bei der Ausschlußklausel des § 4 II Ziff. 1 AHB: Im Bereich der privaten Haftpflichtversicherung bleiben danach von der Versicherung ausgeschlossen Versicherungsansprüche aller Personen, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben (vgl. § 152 VVG) […]. Der dieser Regelung zugrundeliegende Gedanke, daß der Schädiger den Versicherungsschutz nur dann verlieren soll, wenn sein Verhalten gerade im Hinblick auf die Herbeiführung des Schadens zu mißbilligen ist, weil dann eine Schadensabnahme durch die Versichertengemeinschaft nicht mehr vertretbar erscheint, findet sich in den entsprechenden Regelungen der gesetzlichen Unfallversicherung wieder, wenn dort darauf abgestellt wird, daß der Schädiger vorsätzlich (oder ggf. grob fahrlässig) das den Schaden verursachende Ereignis, nämlich den Arbeitsunfall, herbeigeführt hat.“16 [Hervorhebung durch den Verfasser]

9 BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, NJW-RR 1991 145, 146 zum Ausschluss für pflichtwidriges Verhalten in der Steuerberaterhaftpflichtversicherung; vgl. auch BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, VersR 2010 940, 941; OLG Köln 22.9.2008 – 20 W 43/08, NJW-RR 2009 994; OLG Saarbrücken 12.12.2007 – 5 U 242/06, NJOZ 2008 2882, 2885. 10 BGH 17.6.1998 – IV ZR 163/97, RuS 1998 367, 368; vgl. auch OLG Hamm 27.4.2011 – 20 U 10/11, BeckRS 2011 18634; OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237, 238; OLG Karlsruhe 24.3.2005 – 12 U 432/04, NZV 2005 378, 379; OLG Nürnberg 2.12.2004 – 2 U 2712/04, NZV 2005 267, 268; OLG Köln 16.3.1999 – 9 U 99/98, NVersZ 1999 288, 289. 11 Vgl. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 222; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 152 Rn. 5; Langheid/ Rixecker/Langheid § 152 Rn. 4; Reiff VersR 1990, 113, 121. 12 Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 17. 13 Vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 61 Anm. 79; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 59; Prölss/Martin/Prölss27 § 61 Rn. 18; Langheid/Rixecker/Langheid2 § 61 Rn. 41; a. A. Canaris Verstöße gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot im Recht der Geschäftsfähigkeit und im Schadensersatzrecht, JZ 1987 993, 1003, der eine entsprechende Auslegung aus verfassungsrechtlichen Übermaßverbot herleitet; E. Lorenz VersR 2000 2, 6. 14 Motive 369. 15 BGH 20.11.1979 – VI ZR 238/78, BGHZ 75 328, 332 ff. = NJW 1980 996, 997. 16 BGH 20.11.1979 – VI ZR 238/78, BGHZ 75 328, 332 ff. = NJW 1980 996, 997. 197

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

Unabhängig davon, welche Beweggründe für die Erstreckung des Vorsatzes auf die Schadensfolge den Ausschlag gegeben haben, lässt sich die Neuregelung somit in der Tat als Klarstellung begreifen, so dass zur Auslegung auf die Rechtsprechung zu § 152 a. F. i. V. m. § 4 II Ziff. 1 S. 1 AHB a. F./Ziff. 7.1 AHB 2016 zurückgegriffen werden kann. 5 Die amtliche Überschrift des § 103 ist missverständlich, weil nicht alle marktüblichen Versicherungsfalldefinitionen an den Schadenseintritt anknüpfen. Das Verstoßprinzip stellt auf die Pflichtverletzung ab, das Claims-Made-Prinzip auf die Anspruchserhebung. In der Umwelthaftpflicht-/-schadensversicherung tritt der Versicherungsfall mit der nachprüfbaren ersten Feststellung des Schadens ein. Beim Verstoßprinzip tritt der Schaden somit erst nach dem Eintritt, beim Claims-Made-Prinzip dagegen regelmäßig vor Eintritt des Versicherungsfalls ein. In der Umwelthaftpflicht-/-schadensversicherung kann der Schadenseintritt der ersten nachprüfbaren Feststellung des Schadens ebenfalls vorausgehen. Die amtliche Überschrift bringt ferner nicht zum Ausdruck, dass sich der Vorsatz des VN – wie bei § 826 BGB, § 104 SGB VII17 und der Arbeitnehmerhaftung18 – nicht nur auf die Handlung und deren Erfolg (Rechtsgutsverletzung/ Schadenseintritt) erstrecken muss, sondern auch auf den Schadensumfang. Die Überschrift sollte deshalb korrigiert werden. Statt „Herbeiführung des Versicherungsfalls“ sollte es besser „Vorsätzliche Herbeiführung des Schadens“ heißen.

II. Normzweck und rechtspolitische Bedeutung 6 In den Gesetzesmaterialien zu § 103 finden sich keine Erörterungen zum Normzweck. Aufschluss hierüber geben die Materialien zur Vorgängerregelung des § 152 a. F. Nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers dient § 152 a. F. – ebenso wie § 61 a. F. (§ 81) – vor allem der Reduktion des subjektiven Risikos in Form des Moral Hazard, der auch als moralische Versuchung oder moralisches Risiko bezeichnet wird.19 Beim moralischen Risiko geht es speziell darum, dass sich das Risikoverhalten der VN/versicherten Personen im Hinblick auf das Bestehen des Versicherungsvertrages ändert, etwa weil sie weniger Vorsicht walten lassen, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls erhöht, oder zu geringe Mühe aufwenden, den Versicherungsfall in seinen Auswirkungen zu begrenzen.20 Das moralische Risiko reicht in der Haftpflichtversicherung vom Eingehen unverantwortlicher Risiken zulasten einzelner Dritter und/oder der Allgemeinheit über den Versuch des VN, seine privaten, beruflichen oder unternehmerischen Risiken zulasten des VR und damit der Versichertengemeinschaft zu externalisieren bis hin zu bewusster Manipulation und Versicherungsbetrug.21 7 Vergleiche hierzu die amtliche Begründung zu § 152 VVG a. F.:22 „Durch die Bestimmung des § 152 ist keineswegs der Frage vorgegriffen, ob es nicht für besondere Verhältnisse aus Gründen der öffentlichen Ordnung erforderlich werden wird, der Haftpflichtversicherung, soweit sie die Rechtsfolgen unerlaubter Handlungen des Versicherungsnehmers betrifft, engere Grenzen zu ziehen. Unter Umständen kann das Bewußtsein, die Vermögensnachteile, welche sich an die Verletzung der Rechte anderer knüpfen, durch Versicherung im voraus von sich abgewendet zu haben, den Versicherungsnehmer dahin beeinflussen, daß er gegen die Pflicht, solche Verletzungen zu meiden, gleichgültig wird. Die hier in Betracht kommenden Umstände entziehen sich aber einer gesetzlichen Feststellung. Namentlich wäre eine Vorschrift verfehlt, welche der Haftpflicht-

17 Vgl. ErfK/Rolfs SGB VII § 104 Rn. 12. 18 Vgl. BAG 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007 1230, 1233; BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003 37, 40. 19 Motive 207 und 368; Berliner Kommentar/Baumann 1999 § 152 Rn. 1; Bruck/Möller/Baumann § 81 Rn. 14; Wandt/ Langheid/Halbach § 81 Rn. 1; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 2 f.; Terbille RuS 2000 45, 46; Rokas VersR 2008 1457; de Lippe VersR 2021 69, 72; Dilling 87. 20 Zum Begriff des Moral Hazard vgl. Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 14; Bruck/Möller/Möller8 § 61 Anm. 3. 21 Vgl. Wandt/Langheid/Schwepcke Bd. 3 Kap. 110 Rn. 82; de Lippe Probleme wissentlicher Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2021 69, 72; Schweitzer 207. 22 Motive 207. Koch

198

A. Einführung

VVG § 103

versicherung alle aus einer auch nur fahrlässig begangenen strafbaren Handlung entspringenden Verbindlichkeiten entziehen wollte, und ebensowenig erscheint es angängig, gegenüber denjenigen Ersatzansprüchen Dritter, welchen eine Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers zugrunde liegt, die Haftung des Versicherers stets nur für einen Bruchteil des Betrags zuzulassen, so daß hinsichtlich des Restes der Versicherungsnehmer Selbstversicherer bleiben müßte. Eine Regelung der Frage durch den Entwurf ist indessen auch nicht geboten. Die Versicherungsunternehmer haben selbst ein naheliegendes Interesse daran, nicht durch ihre Versicherungsbedingungen zu einer Vermehrung der Haftpflichtfälle beizutragen, und demgemäß sind in den Bedingungen schon gegenwärtig Beschränkungen verschiedener Art vorgesehen.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

Dieser Regelungszweck kommt auch in dem nachstehend wiedergegebenen Auszug aus dem 8 Bericht der VIII. Reichstagskommission über die Debatte über § 152 a. F. zum Ausdruck:23 „Die Allgemeinheit müsse darauf Bedacht nehmen, daß die Sorglosigkeit nicht gefördert werde, zumal da sich bei weitem nicht alle Schäden durch Geld restlos ausgleichen ließen. Dies gelte aber ebenso wie für Verletzung von Leben und Gesundheit auch für Verletzung von Amts- und Dienstpflichten, da die Allgemeinheit in der Aufrechterhaltung der Sorgfalt im Amte ein sehr wesentliches Interesse habe. Eine einheitliche Regelung, die für alle Fälle passe, gebe es aber nicht; man müsse es also der Abmachung in den einzelnen Zweigen der Haftpflichtversicherung überlassen, die nötigen Riegel vorzuschieben.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

Auskunft über den weiteren Normzweck geben schließlich die Gründe, die vom historischen 9 Gesetzgeber für die Schaffung einer Spezialregelung zu § 61 a. F., die auch Versicherungsschutz für grob fahrlässig herbeigeführte Schäden umfasst, genannt worden sind.24 Die Ausdehnung auf grob fahrlässig herbeigeführte Schäden hat er u. a. mit der „wesentliche[n] Vereinfachung der Rechtslage“ erklärt, die mit dem Wegfall des Erfordernisses der Fahrlässigkeitsgradfeststellung einhergehe. Zudem sei in der Haftpflichtversicherung die Gefahr, dass „der VN durch die seitens des VR zu leistende Entschädigung einen unberechtigten Gewinn erlange, so gut wie ausgeschlossen“.25 Die Materialien zeigen, dass sich der Gesetzgeber der Gefahr sehr wohl bewusst war, dass 10 einerseits die verhaltenssteuernde Funktion der Haftung durch den Einschluss grober Fahrlässigkeit vermindert (Vor §§ 110–112 Rn. 65) und andererseits der Moral Hazard erhöht wird. Er hat diese Gefahr angesichts der volkswirtschaftlichen Vorteile sowie der Entlastung der sozialen Sicherungssysteme (Vor §§ 110–112 Rn. 40 ff.) und vor dem Hintergrund, dass einer Vermehrung von Haftpflichtfällen seitens der VR durch eine entsprechende Umgestaltung der AVB und erforderlichenfalls durch gesetzgeberische Maßnahmen entgegengewirkt werden kann, als für die Rechtsordnung hinnehmbar angesehen. Der Gesetzgeber hat deshalb auch darauf verzichtet, bei grober Fahrlässigkeit das Recht des VR zum Regress beim VN vorzusehen.26 Ein solcher Verzicht mag für den Fall grober Fahrlässigkeit hinnehmbar sein, jedoch kaum für Fälle vorsätzlichen Verhaltens des VN. Die Erstreckung des Vorsatzes auf die Schadensfolge, die zur Konsequenz hat, dass bloß vorsätzlich begangene Pflicht-, Rechtsguts- oder Schutzgesetzverletzungen ohne Folgen für den VN bleiben, lässt sich insoweit nur schwer mit den Wertungen des bürgerlichen Rechts vereinbaren (vgl. § 276 Abs. 3 BGB). Allerdings lassen sich Beispiele für damit verbundene vergleichbare Privilegierungen des Schädigers – wie zuvor bereits angemerkt – in der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 104 ff. SGB VII) und im Bereich der Arbeitnehmerhaftung finden. Von den dort für die Privilegierung angeführten Gründen – Vertretbarkeit der Schadensabnahme durch die Versichertengemeinschaft, Interesse des Betriebsfriedens, Entlastung des Arbeitnehmers von der vollen Risikozurechnung des Schadens – ließe sich freilich allenfalls die Vertretbarkeit der Schadensabnahme durch die Versichertengemeinschaft als Kriterium für den 23 24 25 26 199

Motive 368. Hierzu Baumann RuS 2005 1, 4. Motive 368 f. Vgl. Bericht der VIII. Kommission des Reichstags, Motive 367 ff. Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

Bereich der Haftpflichtversicherung heranziehen.27 Hier scheint die Schadensabnahme durch die Versichertengemeinschaft noch vertretbar, soweit sich der Vorsatz auf das haftungsbegründende Verhalten beschränkt. 11 Die von § 103 geforderte Erstreckung des Vorsatzes auf die Schadensfolgen ist grundsätzlich als geeignet anzusehen, eine durch die Haftpflichtversicherung etwaig bewirkte Minderung der Steuerungswirkung von Haftung, für die nach § 276 BGB ja bereits eine fahrlässige Pflicht-, Rechtsguts- oder Schutzgesetzverletzung genügt, (weiter) herabzusetzen.28 Denn dem VN wird die Möglichkeit an die Hand gegeben, sich mit dem Einwand zu verteidigen, den Schaden nicht gewollt oder jedenfalls berechtigterweise darauf vertraut zu haben, sein Verhalten werde zu keinem Schaden führen.29 Wohlkalkulierte Pflichtverletzungen können damit ohne Sanktion bleiben. Dem VN wird es ermöglicht, unternehmerische Risiken auf den VR zu verlagern. Betroffen sind vor allem die versicherten Gefahren, gegen die die Betriebshaftpflicht- und Vermögensschadenshaftpflichtversicherung sowie die D&O-Versicherung Schutz bietet. Spätestens hier setzen §§ 138 Abs. 1, 242 BGB der Haftpflichtversicherung Grenzen, eine Schadensabnahme durch die Versichertengemeinschaft scheint nicht mehr vertretbar. Die verminderte Steuerungswirkung der Haftung für Sach- und Vermögensschäden wird auch nicht durch strafrechtliche Sanktionen ausgeglichen, weil der Versuch einer Sachbeschädigung ebenso wenig wie die versuchte Untreue strafbar ist.30 12 Rechtspolitisch stellt sich deshalb durchaus die Frage, ob die Betriebs-/BerufshaftpflichtVR nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet sein sollten, diesen Gefahren vorzubeugen, indem sie Ausschlüsse bereits bei vorsätzlich begangenen Pflichtverletzungen eingreifen lassen (zur Abdingbarkeit von § 103 s. Rn. 109 ff.).31 Freilich kommen auch andere Maßnahmen zur Reduktion des subjektiven Risikos in Betracht. Auf der Ebene des primären Risikos können bestimmte Verhaltensweisen durch Umschreibung des versicherten Risikos vom Versicherungsschutz ausgenommen werden. Selbstbehalte können ebenfalls zur Reduktion des subjektiven Risikos beitragen. Auf der Ebene der sekundären Risikoabgrenzung kann das subjektive Risiko zudem durch verschuldungsunabhängig ausgestaltete Ausschlüsse sowie durch Statuierung von Obliegenheiten verringert werden (Vor §§ 110–112 Rn. 62).

III. Rechtsnatur 13 § 103 begründet einen subjektiven Risikoausschluss. In dem Umfang, in dem der eingetretene Schaden auf vorsätzlichem Verhalten des VN beruht, für das es keine Rechtfertigung gibt (z. B. aus §§ 228, 229 oder 904 BGB), und der Schaden darüber hinaus vom Vorsatz des VN umfasst ist, besteht von vornherein keine Deckung.32 Es handelt sich also um kein bloßes Leistungsverweigerungsrecht, sondern um eine rechtshindernde Einwendung (Rn. 92). Für Schäden infolge grob fahrlässigen Verhaltens besteht in der Haftpflichtversicherung abweichend von § 81 uneingeschränkt Versicherungsschutz. § 103 ist lex specialis zu § 81.33 27 28 29 30 31

Vgl. BGH 20.11.1979 – VI ZR 238/78, BGHZ 75 328, 332 ff. = NJW 1980 996, 997. Vgl. BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 324 = NJW 1952 1291, 1293. Vgl. Späte § 4 Rn. 213. Vgl. BVerfG 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BeckRS 2010 51599 Rn. 149 f. Zum Ausschluss schon allein für vorsätzliche Pflichtverletzung in der D&O-Versicherung Looschelders VersR 2018 1413, 1416; Dreher VersR 2015 781, 783; Seitz VersR 2007 1476, 1478. 32 BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239, 240; vgl. auch BGH 30.9.1980 –VI ZR 38/79, NJW 1981 113; KG 30.1.2007 – 6 U 132/06, VersR 2008 69, 70; OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237, 238; OLG Düsseldorf 28.2.2003 – 14 U 167/02, NZV 2003 424; OLG München 16.6.2000 – 10 U 5480/99, NZV 2001 220 zu § 152 a. F.; Prölss/ Martin/Lücke § 103 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 1. 33 BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 313, 321; OLG Saarbrücken 30.10.2014 – 4 U 165/13, NJW-RR 2015 411, 415; OLG Schleswig 25.11.1983 – 14 U 215/83, VersR 1984 954, 955; vgl. Bruck/Möller/Baumann § 81 Rn. 5, 8; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 4; Franck VersR 2004 13, 14. Koch

200

A. Einführung

VVG § 103

IV. Besonderheiten in der obligatorischen Haftpflichtversicherung 1. Grundsatz § 103 gilt grundsätzlich auch in der obligatorischen Haftpflichtversicherung.34 Dies folgt aus 14 §§ 115 Abs. 1 S. 2, 117 Abs. 3 S. 1 Alt. 2, wonach der VR nur im Rahmen der von ihm übernommenen Gefahr zur Leistung verpflichtet ist.35 So heißt es in der Begründung zu § 117 Abs. 3 S. 1 VVG36 u. a.: „Für Risikoausschlüsse ergibt sich aus Satz 1, dass sie grundsätzlich dem Anspruch des Dritten entgegengehalten werden können, da die Leistungspflicht des Versicherers nicht weiter gehen kann als bei einem ordnungsgemäßen Versicherungsverhältnis. Aufgabe der die Versicherungspflicht anordnenden Stelle ist es, den notwendigen Umfang des zu vereinbarenden Versicherungsschutzes festzulegen und dabei zu entscheiden, ob und gegebenenfalls welche Risikoausschlüsse vereinbart werden dürfen, ohne dass dadurch der mit der jeweiligen Pflichtversicherung verfolgte Schutzzweck beeinträchtigt wird (vgl. § 114 Abs. 2 VVG-E).“

Zwar bezieht sich die Gesetzesbegründung auf vertraglich vereinbarte Ausschlüsse. Sie gilt jedoch auch für gesetzlich begründete Ausschlüsse, da diese ebenfalls die übernommene Gefahr begrenzen. So liegt der Fall bei § 103 VVG, der Ansprüche wegen vorsätzlich herbeigeführten Schäden vom Versicherungsschutz ausnimmt.

2. Kfz-Haftpflichtversicherung Fraglich ist, ob die durch §§ 115 Abs. 1 S. 2, 117 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 VVG statuierte Drittwirkung von 15 § 103 VVG mit der RL 2009/103/EG über die Kfz-Haftpflichtversicherung37 in Einklang steht. Zwar hat der Geschädigte in der Kfz-Haftpflichtversicherung als Ausgleich für den nicht bestehenden Direktanspruch gegen den VR einen Anspruch gegen den Entschädigungsfonds aus § 12 Abs. 1 Nr. 3 PflVG.38 Die Einräumung eines Anspruchs gegen den Entschädigungsfonds im Falle einer Leistungsfreiheit gem. § 103 VVG schafft jedoch keinen gleichwertigen Ersatz für den Geschädigten, da der Entschädigungsfonds gem. § 12 Abs. 1 S. 2 PflVG nur dann haftet, wenn der Geschädigte weder von dem Halter, dem Eigentümer oder dem Fahrer des Fahrzeugs noch von einem Schadensversicherer Ersatz seines Schadens zu erlangen vermag. Handelt es sich bei dem Geschädigten um einen Fahrzeughalter, der eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen

34 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164; vgl. jew. zu § 152 a. F. BGH 20.6.1990 – IV ZR 298/89, RuS 1990 291; BGH 30.9.1980 – VI ZR 38/79, NJW 1981 113, 114 = VersR 1981 40; BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, NJW 1971 459, 460 = VersR 1971 239, 240; BGH 27.10.1954 – VI ZR 132/53, VersR 1954 591; OLG Rostock 5.2.2010 – 5 U 83/09, BeckRS 2010 17379; OLG Oldenburg 5.8.2009 – 6 U 143/09, Schaden-Praxis 2010 121; OLG Celle 15.5.2003 – 14 U 240/02, zfs 2004 122; OLG Düsseldorf 28.2.2003 – 14 U 167/02, VersR 2003 1248; OLG Oldenburg 29.4.1998 – 2 U 264/97, VersR 1999 482; OLG Hamm 24.2.1988 – 20 U 255/87, VersR 1988 1122, 1123. 35 Vgl. jew. zu §§ 158c a. F. BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239 = NJW 1971 459; OLG Nürnberg 2.12.2004 – 2 U 2712/04, zfs 2005 503; OLG Celle 15.5.2003 – 14 U 240/02, zfs 2004 122; OLG Düsseldorf 28.2.2003 – 14 U 167/ 02, VersR 2003 1248; OLG Oldenburg 29.4.1998 – 2 U 264/97, VersR 1999 482; OLG München 19.1.1990 – 10 U 5454/ 89, VersR 1990 484; OLG Hamm 24.2.1988 – 20 U 255/87, VersR 1988 1122, 1123; verkannt von OLG Frankfurt 23.5.1996 – 12 U 125/95, VersR 1997 224 m. abl. Anm. Langheid VersR 1997 348, 349; Lorenz VersR 1997 349; Lemcke RuS 1996 483; zu § 103 AG Bremen 13.6.2013 – 9 C 16/13, RuS 2014 165; Prölss/Martin/Lücke § 117 Rn. 24; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber § 117 Rn. 9; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 9. 36 BTDrucks. 16/3945 S. 89. 37 Richtlinie 2009/103/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl. L 263 v. 7.10.2009 S. 11. 38 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd V.1 Anm. G 81; Langheid VersR 2003 1248. 201

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

hat, steht der Entschädigungsfonds für Sachschäden nicht ein und der Geschädigte muss eine Rückstufung seines Vertrages gem. I.3 AKB hinnehmen.39 16 Der BGH hat die Unionsrechtkonformität der durch §§ 115 Abs. 1 S. 2, 117 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 VVG statuierten Drittwirkung von § 103 VVG in seinem Urteil vom 18.12.2012 unter Hinweis auf das Straßburger Abkommen vom 20.4.1959 über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge und den Vorbehalt Deutschlands „die von einem Versicherten vorsätzlich verursachten Schäden von der Versicherung auszuschließen“,40 bejaht.41 Auf die von Looschelders unter Hinweis auf die Ruiz-Bernáldez-Entscheidung des EuGH vom 28.3.1996 geäußerten Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit europäischem Recht ist der BGH nicht eingegangen.42 In jener Entscheidung hatte der EuGH festgestellt, „dass ein Pflichtversicherungsvertrag … bezüglich der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht vorsehen darf, dass der VR in bestimmten Fällen, insbesondere im Fall der Trunkenheit des Fahrers, nicht verpflichtet ist, Ersatz für Personen- und Sachschäden zu leisten, die Dritten durch das versicherte Fahrzeug entstanden sind.“43 Dem VR dürfe in solchen Fällen lediglich ein Regressanspruch gegen den Versicherten zugebilligt werden. Der EuGH hat seine Entscheidung u. a. damit begründet, dass die Richtlinien Ungleichbehandlungen der Geschädigten je nach Unfallort vermeiden wollten. Die gegen die deutsche Regelung vorgebrachten Bedenken haben somit durchaus ihre Berechtigung. Sie lassen sich auch nicht damit ausräumen, dass die Zweite und Dritte Kfz-Haftpflicht-Richtlinie ausdrücklich einige Deckungsausschlüsse nennen, die der Geschädigte sich nicht entgegenhalten lassen muss, und hierzu weder die Trunkenheit des Fahrers noch die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls zählen (vgl. Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 84/5/EWG und Art. 1 Abs. 2 RL 90/232/ EWG). Insoweit weist Looschelders zu Recht daraufhin, dass die einschlägigen Regelungen nur klarstellende Bedeutung haben und daher nicht abschließend sind.44 Die vom BGH gegebene Begründung greift zu kurz, weil sie das Verhältnis von Unionsrecht 17 und dem ins deutsche Recht transformierten Straßburger Übereinkommen unberücksichtigt lässt. Die RL 2009/103/EG enthält keine Kollisionsregeln. Art. 351 AEUV, der eine Kollisionsregel zugunsten völkerrechtlicher Abkommen enthält, findet nur auf solche Abkommen Anwendung, die vor dem 1.1.1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden. Das Straßburger Übereinkommen wurde erst im Jahre 1959 geschlossen und von Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Norwegen und Schweden unterzeichnet (später haben auch Polen und die Türkei das Abkommen unterzeichnet). Insoweit findet die Kollisionsregel nur hinsichtlich Dänemark, Griechenland und Schweden Anwendung, da diese erst später Mitgliedsstaat wurden. 18 In Bezug auf Deutschland ließe sich ein Vorrang des Straßburger Übereinkommens rechtstechnisch wohl nur mit einer Analogie zu Art. 351 AEUV auf Abkommen begründen, die zwar nach dem 1.1.1958 bzw. nach dem Beitritt zum E(W)G-Vertrag von Mitgliedstaaten geschlossen wurden, aber einen Sachbereich betreffen, für den die Union erst später durch Kompetenzzuwachs zuständig geworden ist. In der Literatur wird eine solche Analogie befürwortet, wenn die Kompetenzverschiebung für die Mitgliedsstaaten bei Vertragsschluss objektiv nicht vorherseh-

39 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 4 KfzPflVV Rn. 19. 40 Europäisches Abkommen über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 20.4.1959, BGBl. 1965 II 281, Anh. II Nr. 3; vgl. auch BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164; OLG Koblenz 12.8.2002 – 12 U 823/01, zfs 2003 68, 69; Looschelders VersR 2008 1, 3; Heitmann VersR 1997 941, 942. 41 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163 Rn. 17; zustimmend Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 1; Piontek jurisPR-VersR 8/2019 Anm. 1; offengelassen von OLG Köln 30.4.2019 – 9 U 30/17, RuS 2020 20, 21. 42 Looschelders VersR 2008 1, 3; Franck VersR 2014 13, 16 f.; zweifelnd auch Prölss/Martin/Knappmann29 § 117 Rn. 24. 43 EuGH 28.3.1996 – C-129/94, EuZW 1996 735, 736; bestätigt durch EuGH 30.6.2005 – C-537/03, EuZW 2005 593 Tz. 18; vgl. jetzt auch EuGH 19.4.2007– C-356/05, NJW 2007 2029, 2030. 44 Looschelders VersR 2008 1, 3. Koch

202

A. Einführung

VVG § 103

bar gewesen war.45 Letzteres dürfte hinsichtlich der KH-RL wohl zu bejahen sein. Letztlich kann die Frage der analogen Anwendbarkeit von Art. 351 AEUV und die Vereinbarkeit der nach der KfzPflVV und dem VVG zugelassenen Ausschlüsse nur vom EuGH i. R.e. Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 267 AEUV geklärt werden. Sollte der EuGH diese Frage bejahen, stellte sich für Deutschland die Folgefrage, ob es gem. Art. 351 Abs. 2 AEUV zur Kündigung des Straßburger Übereinkommens verpflichtet ist. Verneint der EuGH einen Vorrang des Straßburger Übereinkommens, sind §§ 115 Abs. 1 S. 2, § 117 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 VVG dergestalt richtlinienkonform auszulegen, dass der Ausschluss gem. § 103 VVG in der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht gegenüber Geschädigten wirkt.46

V. Verhältnis zu Gefahrerhöhungs- und Rettungsobliegenheiten Dem subjektiven Risiko wird auf gesetzlicher Ebene nicht erst und allein durch § 103 begegnet, 19 sondern auch durch die Vorschriften zur Gefahrerhöhung (§§ 23 ff.) sowie zur Schadensabwehr und -minderung (§ 82 Abs. 1 und 2). Da diese Vorschriften keine Risikoausschlüsse begründen, sondern Obliegenheiten darstellen, gilt es vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgenregimes, ihr Verhältnis zu § 103 zu klären. Dabei ist zu beachten, dass die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens bereits auf der Ebene der Anspruchsentstehung relevant wird. Ist der Anspruch auf Haftpflichtversicherungsschutz entstanden, weil der VN den Schaden nicht vorsätzlich herbeigeführt hat, stellt sich die Frage nach der Leistungsfreiheit wegen Verletzung einer Obliegenheit (Einrede) erst auf der Ebene der Anspruchsdurchsetzung.

1. Verhältnis zur Gefahrerhöhung Nach der Rechtsprechung finden die Vorschriften über die Gefahrerhöhung neben § 103 An- 20 wendung.47 Damit kann es zu Konflikten zwischen §§ 23, 26 und § 103 kommen, da der VR bereits bei grob fahrlässig herbeigeführten Gefahrerhöhungen und dadurch verursachten Schadensfällen zur Leistungskürzung berechtigt ist. Wegen der unterschiedlichen Bezugspunkte des Vorsatzes ist der VR zudem schon bei bewusst vorgenommenen Gefahrerhöhungen, die zu Schadensfällen geführt haben, nach § 26 Abs. 1 nicht zur Leistung verpflichtet, während § 103 verlangt, dass sich der Vorsatz des VN auch auf die Schadensfolgen erstrecken muss. Lässt man es z. B. mit dem OLG Hamm für die Dauerhaftigkeit des sexuell motivierten „Spiels“ des Zuziehens und Lockerns des Gürtels sowie des Herumführens der Geschädigten an der „Leine“ von mehr als 5 Minuten ausreichen, verneint aber den bedingten Vorsatz des VN in Bezug auf die daraus resultierende Schädelprellung, HWS-Distorsion und partielle Lähmung der Stimmlippen bei Subluxation des Aryknorpels, kommt eine Leistungsfreiheit des VR gem. § 26 Abs. 1 in Betracht.48 Die Ausführungen des OLG Hamm beziehen sich zwar nicht auf §§ 23 ff., sondern auf den in der Privathaftpflichtversicherung gebräuchlichen Ausschluss der „ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung“ (vgl. A1-7.15 AVB PVH).49 Der Begriff der Beschäftigung setzt jedoch – ähnlich wie bei der Gefahrerhöhung – ein Verhalten voraus, das auf längere Dauer ange45 Vgl. z. B. Calliess/Ruffert/Schmallenbach, 5. Aufl. (2016), Art. 351 AEUV Rn. 8; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Lorenzmeier, 71. EL Oktober 2020, Art. 351 AEUV Rn. 28.

46 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 4 KfzPflVV Rn. 19; vgl. auch Franck VersR 2014 13, 17; a. A. Looschelders VersR 2008 1, 3 (richtlinienkonforme Auslegung scheitert an der gesetzgeberischen Entscheidung). 47 BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 313 ff.; RG 3.1.1936 – VII 203/35, RGZ 150 48 f.; ÖOGH 25.2.1970 – 7 Ob 29/70, VersR 1971 1051; ÖOGH 23.9.1982 – 7 OB 32/82, VersR 1984 974; vgl. auch Langheid/Wandt/Wrabetz/Reusch § 23 Rn. 128 ff. 48 OLG Hamm 27.4.2011 – I-20 U 10/11, RuS 2011 469. 49 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 3 AHB Rn. 141. 203

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

legt ist und so einen von den normalen Gefahren des täglichen Lebens abgrenzbaren Bereich besonderer Gefahrenlagen bildet, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederholt eintreten.50 Das Beispiel ist deshalb gut geeignet, den möglichen Konflikt zwischen §§ 23, 26 und § 103 zu veranschaulichen. Der Konflikt ist nicht auf die an den Eintritt des Schadens als Versicherungsfall anknüpfenden Deckungen (z. B. Privat- und Betriebshaftpflichtversicherung, vgl. Ziff. 1.1 AHB 2016) beschränkt, sondern betrifft auch die Haftpflichtversicherungssparten, die auf die Pflichtverletzung (Verstoß) oder die Geltendmachung des Anspruchs („claims made“) abstellen und bereits die wissentliche Pflichtverletzung als Ausschlussgrund ausreichen lassen. 21 Der BGH hat dieses Problem gesehen und festgestellt, dass die Anwendung der §§ 23, 26 nicht zur einer Aushöhlung des § 103 führen dürfe.51 Die Frage, wie der Konflikt zu lösen ist, konnte der BGH offenlassen, weil letztlich das für die Annahme einer Gefahrerhöhung erforderliche Zeitmoment – konkret ging es um eine einmalige Trunkenheitsfahrt – nicht vorlag.52 Im Hinblick auf das Zeitmoment scheidet ein Konflikt bei impulsiven, spontanen Vorsatzhandlungen von vornherein aus. Bei einer nur wenige Minuten andauernden Handlung fehlt es an der Dauerhaftigkeit. Ist Dauerhaftigkeit gegeben, kommt wegen des für die Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung erforderlichen Schutzzweckzusammenhangs zwischen der Gefahrerhöhung und dem verwirklichten Risiko eine parallele Anwendung der §§ 23 ff. nur dann in Betracht, wenn die durch die Gefahrerhöhung geschaffene Situation mitursächlich für den Entschluss zur vorsätzlichen Herbeiführung des Schadens oder zur wissentlichen Pflichtverletzung gewesen ist. Plant der VN von langer Hand die Tat, bei der der eingetretene Schaden nach Art und Schwere über das vom VN intendierte Maß hinausgeht, kommt eine Leistungsfreiheit gem. § 26 Abs. 1 für den vom Vorsatz nicht umfassten Schaden nur in Betracht, wenn diese Absicht durch Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen nach außen zu Tage getreten ist, weil bloße Absichten keine Gefahrerhöhung zu begründen vermögen.53 Um eine Aushöhlung des § 103 zu vermeiden, ist des Weiteren zu verlangen, dass sich die Schadenszufügungsabsicht bereits vor Eintritt in das Versuchsstadium dauerhaft manifestiert haben muss. Die parallele Anwendung von § 103 und §§ 23, 26 VVG ist somit nur auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. In der Praxis stellt sich die Frage des Konflikts im Übrigen dann nicht, wenn durch die Einbeziehung von Erweiterungen und Erhöhungen des versicherten Risikos (vgl. Ziff. 3.1 (1) und (2) AHB 2016) in den Versicherungsschutz ein Rückgriff auf §§ 23 ff. ausscheidet.54

2. Rettungsobliegenheiten 22 Die Rettungsobliegenheiten (§ 82 Abs. 1 und 2) treffen auch den Haftpflicht-VN. Eine Überschneidung mit § 103 kommt in den Fällen in Betracht, in denen der VN den Schaden vorsätzlich durch Unterlassen herbeigeführt hat. Soweit der Versicherungsfall an den Eintritt des Schadens anknüpft, setzt die Obliegenheit zur Abwendung und Minderung des Schadens jedoch erst nach Eintritt des (Anfangs-)Schadens ein,55 so dass sich die Anwendungsbereiche von § 82 und § 103 nicht berühren.56 Stellen die subjektiven Risikoausschlüsse abweichend von § 103 nicht auf den 50 BGH 28.10.2015 – IV ZR 269/14, RuS 2016 74 Rn. 27; BGH 9.11.2011 – IV ZR 115/10, RuS 2012 21 Rn. 15. 51 BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 321 zu §§ 23, 152 a. F.; vgl. auch Berliner Kommentar/Baumann 152 Rn. 9; Armbrüster Rn. 1259; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 15. 52 BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 322. 53 Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 26; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 36 ff.; Prölss VersR 2004 576 („Erfordernis der realen Gegenwärtigkeit“); Reinhardt ZVersWiss 2014 505, 510 f. („nach außen erkennbare Ernsthaftigkeit des Entschlusses“). 54 Vgl. OLG Köln 15.9.1988 – 5 U 267/87, RuS 1989 9; OLG Hamm 9.1.1981 – 20 U 163/80; VersR 1981 1122, 1123; Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 AHB 2012 Ziff. 3 Rn. 141; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 3 AHB 2016 Rn. 11 m. w. N.; vgl. auch BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506 Rn. 13 ff. (zur D&O-Versicherung). 55 Bruck/Möller/R. Koch9 § 82 Rn. 76 f. 56 Zur Rechtslage vor der VVG-Reform s. Bruck/Möller/R. Koch9 § 82 Rn. 45 f. Koch

204

B. Objektive Tatbestandsvoraussetzungen

VVG § 103

Schadenseintritt ab, sondern lassen Vorsatz hinsichtlich des haftungsbegründenden Verhaltens (Pflichtverletzung), das dem Schadenseintritt vorhergeht, genügen, scheidet eine Überschneidung aus. So liegt der Fall in der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung und in der D&OVersicherung. Die Obliegenheit zur Schadensabwendung und -minderung setzt dort erst nach der Pflichtverletzung (Vermögensschadenshaftpflichtversicherung) oder nach der Anspruchserhebung (D&O-Versicherung) ein.

B. Objektive Tatbestandsvoraussetzungen § 103 setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der „VN widerrechtlich den bei dem Dritten einge- 23 tretenen Schaden herbeigeführt hat“. Im Falle der Fremdversicherung kommt es darauf, ob die versicherte Person den Schaden herbeigeführt hat (vgl. § 47 Abs. 1, Rn. 54).

I. Herbeiführung des Schadens Der Begriff des Herbeiführens erfasst jedes (mit-)ursächliche, auf den Erfolg (Schaden des 24 Dritten) gerichtete Verhalten des VN.57 Das Verhalten muss die Haftpflichtigkeit des VN zur Folge haben. Soweit er den Schaden durch Unterlassen herbeigeführt hat, muss deshalb eine Rechtspflicht zum Handeln bestanden haben (z. B. Verkehrssicherungspflicht), die er verletzt hat.58 Kausal ist ein Unterlassen für den schädigenden Erfolg, wenn dieser ohne die unterbliebene Handlung nicht eingetreten wäre oder – anders gewendet – bei pflichtgemäßem Verhalten vermieden worden wäre.59

II. Widerrechtlichkeit Das Verhalten des VN muss widerrechtlich sein. Widerrechtlich ist gleichbedeutend mit 25 rechtswidrig60 und bezieht sich auf die Haftpflichtigkeit des VN. Da Rechtswidrigkeit ohnehin Voraussetzung für die Haftung des VN ist, kommt diesem Tatbestandsmerkmal in erster Linie klarstellende Bedeutung zu. Soweit in den AHB (vgl. Ziff. 7.1 AHB 2016) das Merkmal der Widerrechtlichkeit nicht genannt wird, stellt dies deshalb keine Abweichung von § 103 dar.61 Die Rechtswidrigkeit ist nach Ansicht der Rechtsprechung erfolgsbezogen zu beurteilen.62 Jede 26 nicht durch einen besonderen Rechtfertigungsgrund gedeckte Verletzung eines fremden Rechts oder Rechtsguts durch positives Tun oder Unterlassen ist rechtswidrig. Entsprechendes gilt für die Pflichtwidrigkeit bei Vertragsverletzungen.63 Als Rechtfertigungsgründe kommen Notwehr (§ 32 StGB, § 227 BGB)64 und rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB, §§ 228 S. 2, 904 S. 2 und

57 Vgl. Bruck/Möller/Baumann § 81 Rn. 29. 58 Vgl. Staudinger/Hager (2017) BGB § 823 A 9 ff.; BeckOGK/Spindler, 1.8.2020, BGB § 823 Rn. 95 ff.; Erman/Wilhelmi BGB § 823 Rn. 74a; Soergel/Spickhoff BGB § 823 Rn. 15 ff. 59 Vgl. BGH 7.2.2012 – VI ZR 63/11, BGHZ 192 298 = RuS 2012 564 Rn. 10 m. w. N. 60 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 9; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 53. 61 Vgl. OLG Frankfurt/M. 10.3.1971 – 11 U 59/70, NJW 1971 1613; Hans. OLG Hamburg 20.12.1961 – 5 U 148/61, VersR 1962 366; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 14; Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 7 AHB 2012 Rn. 40. 62 Z. B. BGH 12.7.1996 – V ZR 280/94, NJW 1996 3205, 3207 m. w. N. 63 Vgl. Palandt/Ellenberger § 276 Rn. 8. 64 Vgl. OLG Frankfurt/M. 19.12.1988 – 22 U 99/88, RuS 1991 335; LG Dortmund 24.11.2010 – 2 O 451/08, RuS 2012 114, 115; AG München 15.5.1997 – 191 C 5593/97, RuS 1999 453, 454; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 14. 205

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

§§ 229 ff. BGB)65 in Betracht. Erweist sich das Verhalten infolge des Eingreifens eines Rechtfertigungsgrundes als rechtmäßig, haftet der VN weder nach § 823 ff. BGB noch aus § 280 BGB. Der vom VR geschuldete Versicherungsschutz ist beschränkt auf die Anspruchsabwehr. Eine Haftung für vorsätzliche Sachschäden trotz fehlender Rechtswidrigkeit kann sich jedoch aus §§ 228 S. 2, 904 S. 2 und §§ 229 ff. BGB ergeben.66 In diesen Fällen ist der VR zur Freistellung verpflichtet.67 27 Überschreitet der VN bei objektiv gegebener Notwehrlage das erforderliche Maß der Abwehr (Notwehrexzess), handelt er zwar rechtswidrig, weil § 33 StGB kein Rechtfertigungsgrund ist.68 Der Vorsatzausschluss greift jedoch nur ein, wenn sich der VN der Überschreitung auch bewusst ist.69 Für Schadensfolgen, die aus der Überschreitung resultieren und für den VN erkennbar waren, besteht dann kein Versicherungsschutz. Hat der VN die Notwehrlage rechtswidrig und vorwerfbar herbeigeführt (sog. Notwehrprovokation), so wird sein Notwehrrecht durch § 242 BGB eingeschränkt.70 Überschreitet er die Grenzen, handelt er rechtswidrig.71 Hat er die Provokation mit Verletzungsvorsatz angezettelt, besteht für die später tatsächlich eingetretenen Verletzungen kein Versicherungsschutz. 28 Liegen die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes objektiv nicht vor, geht der VN jedoch irrig von Tatsachen aus, die im Fall ihres Vorliegens sein Eingreifen unter dem Gesichtspunkt der Notwehr oder eines anderen Rechtfertigungsgrundes rechtfertigten (Putativnotwehr), so handelt er zwar widerrechtlich, jedoch nicht vorsätzlich i. S. d. für § 103 maßgeblichen Vorsatzbegriffs (Rn. 31).72 Für Schäden, die er infolge seines Irrtums herbeigeführt hat und für die der VN nur bei Verschulden haftet,73 besteht Versicherungsschutz.74 29 Sind die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds zwar objektiv gegeben, handelt der VN jedoch ohne Verteidigungs-, sondern mit Angriffswillen, etwa weil er die Notwehr- oder Notstandslage nicht erkennt, stellt sich die Frage, ob das Verhalten als rechtswidrig einzuordnen ist. Die vorherrschende Ansicht bejaht diese Frage.75 Die Gegenansicht, die eine objektive Verteidigungs-/Rettungshandlung genügen lässt,76 hat jedoch die besseren Argumente für sich. Für diese Ansicht spricht vor allem, dass das Zivilrecht nicht der Lehre vom Verhaltensunrecht folgt, sondern der Lehre vom Erfolgsunrecht. Da es also nicht um einen personalen Schuldvorwurf und dessen Sanktion geht, ist nicht recht einsichtig, warum es für eine Rechtfertigung der Notwehr-/Notstandshandlung auf die Willensrichtung des Handelnden ankommen soll.77 Zu Recht hebt die Gegenansicht hervor, dass ein subjektives Rechtfertigungselement eine 65 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 14; zum Verhältnis von §§ 228, 904 BGB zu § 34 StGB vgl. nur Staudinger/Repgen (2019) § 228 Rn. 3. 66 Zu Sonderregelungen s. Staudinger/Repgen (2019) § 228 Rn. 8 ff. 67 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 27. 68 MüKo-StGB/Erb § 33 Rn. 1 m. w. N. 69 Vgl. OLG Düsseldorf 11.1.1994 – 4 U 250/92, RuS 1994 209, 211; LG Dortmund 24.11.2010 – 2 O 451/08, RuS 2012 114, 116. 70 Vgl. OLG Zweibrücken 14.6.2006 – 1 U 92/05, BeckRS 2007 12640; OLG Karlsruhe 12.7.1989 – 13 U 313/88, RuS 1990 233, 234; zur Beschränkung des Notwehrrechts bei Provokation s. BGH 7.3.2002 – 3 StR 490/01, NStZ 2002 425, 426. 71 BGH 7.6.1983 – 4 StR 703/82, NJW 1983 2267. 72 BGH 28.4.1958 – II ZR 163/57, VersR 1958 361 f.; OLG Karlsruhe 16.6.1994 – 12 U 10/94, RuS 1995 9; OLG Düsseldorf 11.1.1994 – 4 U 250/92, RuS 1994 209, 211; OLG Frankfurt/M. 10.3.1971 – 11 U 59/70, NJW 1971 1613, 1614; OLG Düsseldorf 18.1.1977 – 4 U 152/76, NJW 1977 587, 588; LG Köln 24.5.2007 – 24 O 399/06 –, juris; Späte/Schimikowski/ Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 15. 73 BGH 26.5.1987 – VI ZR 157/86, NJW 1987 2509; BGH 23.9.1975 – VI ZR 232/73, NJW 1976 41, 42; LG Traunstein 14.3.2007 – 8 O 3929/05, NJW-RR 2007 1324, 1325. 74 Zu eng AG München 15.5.1997 – 191 C 5593/97, RuS 1999 453, 454, das bei objektiv fehlender Erforderlichkeit oder Gebotenheit der Notwehrhandlung den Rechtfertigungsgrund der Notwehr entfallen lassen will. 75 Vgl. BGH 30.10.1984 – VI ZR 74/83, BGHZ 92 357, 359; Palandt/Ellenberger § 228 Rn. 7; BeckOK/Dennhardt § 228 Rn. 8; JurisPK/Backmann § 228 Rn. 10; Soergel/Fahse § 228 Rn. 26; BGB-RGRK/Johannsen § 228 Rn 14. 76 Staudinger/Repgen (2009) § 228 Rn. 32 ff.; MüKo-BGB/Grothe § 228 Rn. 11; Jaunerig/Mansel § 288 Rn. 2. 77 Vgl. Staudinger/Repgen (2019) § 228 Rn. 33. Koch

206

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

systemfremde Sanktion für Versuchsunrecht in das Zivilrecht hineintrage, und zieht den Umkehrschluss aus § 228 S. 2 BGB, wonach ein Verschulden des Handelnden bei Entstehung der Notstandslage die Anwendbarkeit des § 228 S. 1 BGB nicht hindere.78

III. Dritter Dritte i. S. d. § 103 sind alle Geschädigten (natürliche und/oder juristische Personen), die nicht 30 mit dem vorsätzlich Handelnden (VN oder versicherte Person) identisch sind. Durch dieses Merkmal wird der Charakter der Haftpflichtversicherung als Fremdschadensversicherung herausgestrichen.

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung I. Begriff des Vorsatzes Die Vorschriften des VVG geben keine Begriffsbestimmung des Vorsatzes. Sie setzen diesen 31 ebenso wie die entsprechenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts als gegeben voraus. Die im Zivilrecht für die Definition des vorsätzlichen Verhaltens entwickelten Grundsätze gelten daher auch für § 103.79 Vorsätzlich ist somit gleichbedeutend mit „wissentlich und willentlich.“80 Da sich der Vorsatz nach § 103 auf die Herbeiführung des Haftpflichtschadens beziehen muss, genügt es – anders als bei § 8181 – jedoch nicht, dass der VN den Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen hat (Vorsatz im natürlichen Sinne). Vielmehr ist erforderlich, dass der Erfolg objektiv pflichtwidrig/rechtswidrig ist und der VN sich dessen auch bewusst gewesen ist. Er muss den pflichtwidrigen/rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben (Vorsatz im Rechtssinn).82 Demgemäß entfällt der Versicherungsschutz durch § 103 nicht, wenn der VN zwar mit natürlichem Vorsatz, aber rechtmäßig (z. B. in Notwehr oder im zivilrechtlichen Notstand) gehandelt hat. Nimmt er irrig an, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Notwehrhandlung gegeben seien (Putativnotwehr), liegt gleichfalls kein vorsätzliches Handeln im Sinne des zivilrechtlichen Vorsatzbegriffes vor.83 Vorsätzliches Handeln im Sinne des Zivilrechts liegt auch dann nicht vor, wenn der VN unzurechnungsfähig i. S. d. §§ 827, 828 BGB ist.84 Soweit die Unzurechnungsfähigkeit dazu führt, dass der VN nicht haftet, beschränkt sich der Versicherungsschutz auf Anspruchsabwehr.85 78 MüKo-BGB/Grothe § 228 Rn. 11; vgl. auch Staudinger/Repgen (2019) § 228 Rn. 34. 79 Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 3; Berliner/Kommentar/Baumann § 152 Rn. 15. 80 Vgl. Staudinger/Caspers (2019) § 276 Rn. 22. 81 Vgl. Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 58. 82 Vgl. hierzu BGH 20.12.2011 – VI ZR 309/10, NJW-RR 2012 404 Rn 10; BGH 15.7.2008 – VI ZR 212/07, NJW 2009 681, 684; BGH 8.2.1965 – III ZR 170/63, NJW 1965 962, 963 = VersR 1965 493, 495; BGH 28.4.1958 – II ZR 163/57, VersR 1958 361, 362; OLG Saarbrücken 27.5.2009 – 5 U 461/08, zfs 2009 699; OLG Karlsruhe 19.2.2009 – 12 U 249/ 08, VersR 2009 923; OLG Celle 22.11.2007 – 8 U 105/07, OLGR Celle 2008 63, 64; OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/ 05, RuS 2006 493, 494; OLG Hamm 26.11.2003 – 20 U 143/03, RuS 2004 145, 146; OLG Düsseldorf 29.4.1976 – 18 U 204/75, VersR 1976 1093, 1094; OLG Celle 7.1.1970 – 1 U 11/69, VersR 1970 314, 315; Fenyves VersRdSch 1988 104. 83 Vgl. BGH 28.4.1958 – II ZR 163/57, VersR 1958 361; OLG Schleswig 28.6.1984 – 2 U 68/83, VersR 1984 1163, 1164; OLG Karlsruhe 16.6.1994 – 12 U 10/49, RuS 1995 9; OLG Düsseldorf 11.1.1994 – 4 U 250/92, RuS 1994 209, 210 = VersR 1994 850, 851; AG Hamburg 9.8.1988 – 4 C 458/88, zfs 1989 280; R. Johannsen RuS 2000 133. 84 Vgl. BGH 29.10.2008 – IV ZR 272/06, RuS 2010 16 ff.; OLG München 11.3.2020 – 10 U 2150/18, NJW-RR 2020 921; OLG Köln 30.4.2019 – 9 U 30/17, RuS 2020 20, 21; OLG Hamm 11.1.2019 – 20 W 25/18, VersR 2019 871; Hans. OLG Hamburg 23.10.1991 – 4 U 95/91, RuS 1993 174 = VersR 1992 1126. 85 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 15. 207

Koch

§ 103 VVG

32

Herbeiführung des Versicherungsfalles

Unerheblich ist, ob es dem VN darauf ankommt, den missbilligten Erfolg zu erreichen (Absicht), er den Erfolg zwar nicht beabsichtigt, jedoch weiß oder es für sicher hält, dass der Erfolg eintritt (direkter Vorsatz), oder er den Erfolg nur für möglich hält und den Eintritt billigend – wenn auch nicht in allen Einzelheiten – in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihm abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein (bedingter Vorsatz).86 Vom bedingten Vorsatz abzugrenzen ist die bewusste Fahrlässigkeit, die vorliegt, „wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.“87 Schlagwortartig lässt sich die Einstellung eines bewusst fahrlässig handelnden Täters mit „Es wird schon gut gehen“, die eines mit Eventualvorsatz handelnden mit „Und wenn schon …“ darstellen.88 Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist somit die innere Haltung des VN.

II. Zum Umfang des Vorstellungsbildes 33 Wie bereits mehrfach erwähnt, muss der Vorsatz des VN nach § 103 nicht nur die Schädigungshandlung umfassen, sondern auch den konkret eingetretenen Schaden, d. h. die Verletzungsfolgen. Für das Eingreifen von § 103 ist somit stets Voraussetzung, dass der VN überhaupt einen Schaden herbeiführen will. Wenn er demgegenüber der Überzeugung ist, es werde überhaupt kein Schaden entstehen, so kann von einer vorsätzlichen Herbeiführung nicht gesprochen werden.89 Nicht erforderlich ist, dass der VN den Schaden in allen Einzelheiten vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen hat. Es reicht aus, wenn er die Folgen der Schädigungshandlung in groben Umrissen voraussehen konnte und ihren Eintritt wenigstens billigend in Kauf genommen hat.90 An diesen Voraussetzungen fehlt es, wenn der eingetretene Schaden 86 St. Rspr., vgl. BGH 15.7.2008 – VI ZR 212/07, NJW 2009 681, 684; BGH 17.6.1998 – IV ZR 163/97, VersR 1998 1011, 1012; BGH 20.11.1979 – VI ZR 238/78, VersR 1980 164, 165; BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239, 240; BGH 13.7.1964 – II ZR 229/62, VersR 1964 916; BGH 9.6.1958 – II ZR 46/57, VersR 1958 469; OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237, 239; OLG Karlsruhe 24.3.2005 – 12 U 432/04, VersR 2005 781, 782; OLG Nürnberg 2.12.2004 – 2 U 2712/04, NJW-RR 2005 466, 469; OLG Hamm 26.11.2003 – 20 U 143/03, RuS 2004 145, 147; OLG Saarbrücken 11.11.1992 – 5 U 24/92, VersR 1993 1004, 1005; KG 5.6.1989 – 12 U 4073/88, VersR 1989 1188; OLG Schleswig 28.6.1984 – 2 U 68/83, VersR 1984 1163, 1164; OLG Nürnberg 12.2.1981 – 8 U 2544/80, VersR 1981 1123; OLG Frankfurt/ M. 26.5.1977 – 16 U 185/76, VersR 1977 829; OLG Hamm 24.8.1973 – 20 U 65/73, VersR 1973 1133, 1135; Prölss/Martin/ Lücke § 103 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 103 Rn. 3; zu Nachweisen aus der älteren Rspr. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 223. 87 Vgl. z. B. BGH 5.11.2015 – 4 StR 124/14, BeckRS 2015 19909 Rn. 29; BGH 27.1.2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011 699 Rn. 34; BGH 25.3.1999 – 1 StR 26/99, NJW 1999 2533, 2534; OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237, 239. 88 OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237, 239; Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 21. 89 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 12. 90 Vgl. BGH 17.6.1998 – 4 ZR 163/97, VersR 1998 1011, 1012 = RuS 1998 367; BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, NJW-RR 1991 145, 146; BGH 20.11.1979 – VI ZR 238/78, BGHZ 75 328, 329 = NJW 1980 996; BGH 13.7.1964 – II ZR 229/62, VersR 1964 916; BGH 9.6.1958 – II ZR 46/57, VersR 1958 469; BGH 27.10.1954 – VI ZR 132/53, VersR 1954 591; RG 20.4.1917 VA 1917 62; OLG Hamm 11.1.2019 – 20 W 25/18, VersR 2019 871, 872; OLG Hamm 11.11.2011 – 20 U 3/11, RuS 2012 284, 285; OLG Hamm 27.4.2011 – 20 U 10/11, BeckRS 2011 18634; OLG Saarbrücken 27.5.2009 – 5 U 461/ 08, zfs 2009 699; OLG Karlsruhe 19.2.2009 – 12 U 249/08, VersR 2009 923; OLG Koblenz 6.7.2007 – 10 U 1748/06, NJW-RR 2008 45, 46; OLG Celle 22.11.2007 – 8 U 105/07, OLGR Celle 2008 63; OLG Schleswig 22.11.2007 – 16 U 9/ 07, RuS 2008 67, 68; OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782; OLG Nürnberg 2.12.2004 – 2 U 2712/ 04, NZV 2005 267, 268; OLG Düsseldorf 17.12.2002 – 4 U 107/02, RuS 2004 457; OLG Saarbrücken 14.11.2001 – 5 U 384/99, VersR 2004 507, 510; OLG Karlsruhe 20.3.2003 – 12 U 214/02, VersR 2003 987, 988; OLG Frankfurt/M. 26.2.2003 – 7 U 30/02, zfs 2003 359, 360; Hans. OLG Hamburg 23.10.1991 – 4 U 95/91, RuS 1993 174 = NJW-RR 1992 1188; OLG Saarbrücken 11.11.1992 – 5 U 24/92, VersR 1993 1004, 1005; OLG Düsseldorf 29.3.1966 – 4 U 300/65, VersR 1966 481; OLG Düsseldorf 18.1.1977 – 4 U 152/76, VersR 1977 745; OLG Düsseldorf 25.5.1999 – 4 U 84/98, VersR 2000 447, 448; OLG Düsseldorf 12.12.2000 – 4 U 46/00, NVersZ 2001 572 = VersR 2002 89, 90; OLG Köln 14.12.1977 – 2 U Koch

208

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

nach Art und Schwere und/oder in Hinblick auf den erwarteten oder vorhersehbaren Ablauf von den Vorstellungen des VN wesentlich abweicht.91 Die Abgrenzung, ob in diesem Sinne eine wesentliche oder unwesentliche Abweichung von dem Vorstellungsbild des Handelnden vorliegt, ist im Einzelfall schwierig,92 weil der subjektive Tatbestand auf die konkreten Umstände des Einzelfalls bezogen und die Person des VN individuell zu ermitteln ist. Dabei geht es nicht nur um die Willensrichtung. In die abschließende Bewertung müssen auch die ebenso schwer feststellbaren Vorstellungen des Täters über die Risikolage Eingang finden. Schwierigkeiten bei der Bewertung und daraus resultierende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten sind die zwangsläufige Folge. Willkürlich anmutende Entscheidungen sind nicht auszuschließen. Nur selten wird der VN wirklich gezielt einen bestimmten Schaden herbeiführen wollen. In 34 den meisten Fällen wird er sich keine genaueren Vorstellungen über das Ausmaß des angerichteten Schadens gemacht haben. Das Ausschlagen von Zähnen, der Bruch des Kiefers, der Verlust des Auges oder das Platzen des Trommelfells lassen sich bei einem Faustschlag nicht wirklich planen. Es handelt sich in all diesen Fällen nur um die mehr oder weniger wahrscheinlichen Folgen eines auf vorsätzlicher Willensbetätigung beruhenden Verhaltens. Wer auf einen Menschen schießt, um ihn zu töten, kann sich seines Erfolges ebenfalls nicht sicher sein. Möglicherweise wird das Opfer nur schwer verletzt. Gleichwohl besteht für die Schadensersatzansprüche des Opfers keine Deckung. In Anlehnung an die im Strafrecht von der ganz h. M. vertretenen Einheitstheorie ist in jedem Tötungsvorsatz als wesensgleiches Minus nämlich ein entsprechender Körperverletzungsvorsatz enthalten, weil die Körperverletzung notwendiges Durchgangsstadium einer Tötung ist.93 Der VN kann sich in solchen Fällen, in denen die Verletzungsfolgen hinter seinen Vorstellungen zurückbleiben, auch nicht darauf berufen, dass der eingetretene Schaden nach Art und Schwere und/oder in Hinblick auf den erwarteten oder vorhersehbaren Ablauf von seinen Vorstellungen abweiche. Anders liegt der Fall, wenn die Verletzungsfolgen über seine Vorstellungen hinausgehen. Bloße Irrtümer in der Person des Verletzten (error in persona) schließen den Vorsatz dagegen nicht aus.94 Wann eine den Vorsatz hinsichtlich der Schadensherbeiführung ausschließende wesentli- 35 che Abweichung von den Vorstellungen des VN vorliegt, hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Abweichungen sich im Hinblick auf die konkrete Tatsituation, die Art der Tatausführung und die sonstigen Umstände innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und deshalb keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen.95 Nach allgemeiner Lebenserfahrung voraussehbar sind naheliegende und im Zusammenhang mit einem bestimmten Verhalten typischerweise entstehende Schädigungen als unmittelbare Folge der Verletzungshandlung. Hierbei handelt es sich um das objektivierbare Teilelement des Eventualvorsatzes. War die Schadensfolge nach allgemeiner Lebenserfahrung voraussehbar, ist in einem zweiten Schritt festzustellen, ob der VN dies auch in der konkreten Situation sowie nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten voraussehen konnte. Dabei ist in der Regel davon auszugehen, dass das, was im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung voraussehbar ist, auch vom VN hätte vorausgesehen werden können, sofern sich aus den Umständen oder 67/77, VersR 1978 265; OLG Köln 30.11.1989 – 5 U 139/89, RuS 1990 14; OLG München 1.10.1976 – 10 U 3074/76, RuS 1977 53; ÖOGH 9.3.1999 – 7 Ob 363/98, VersR 2001 220; vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 26; Prölss/Martin/ Lücke § 103 Rn. 5, 10 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski Ziff. 7 AHB Rn. 6; Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 18; E. Lorenz VersR 2000 2, 6. 91 Vgl. OLG Hamm 11.1.2019 – 20 W 25/18, VersR 2019 871; OLG Hamm 27.4.2011 – 20 U 10/11, BeckRS 2011 18634; OLG Karlsruhe 19.2.2009 – 12 U 249/08, VersR 2009 923; OLG Schleswig 22.11.2007 – 16 U 9/07, RuS 2008 67, 68; OLG Koblenz 6.7.2007 – 10 U 1748/06, NJW-RR 2008 45, 46; OLG Köln 31.5.1994 – 9 U 71/94, RuS 1995 9; LG Konstanz 3.3.2020 – Me 4 O 290/19, DAR 2020 333; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 8; Prölss/ Martin/Lücke § 103 Rn. 5, 10 f. 92 Kritisch Littbarski § 4 Rn. 374; vgl. auch Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 11. 93 Vgl. Lackner/Kühl § 212 Rn. 7 f.; MüKoStGB/Schneider § 212 Rn. 99. 94 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 8; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 7 AHB Rn. 7. 95 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 19. 209

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

der Person des VN keine gegenteiligen Besonderheiten ergeben. Es ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen.96 Insoweit beurteilt sich die Vorhersehbarkeit der Schadensfolgen im Rahmen von § 103 nach denselben Maßstäben wie die strafrechtlich relevante Vorhersehbarkeit.97 Deshalb kann auf die von der Strafgerichtsbarkeit zur Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und Eventualvorsatz entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Neben Gewicht und Nähe des Schadens sind je nach Sachlage zu berücksichtigen: die Motivation des VN; die Gleichgültigkeit des VN gegenüber dem möglichen Erfolgseintritt; sein Wissensstand, auch konkretes Wissen um die Gefährlichkeit der von ihm gewählten Angriffsart; die Schnelligkeit des Geschehensablaufs und die Spontanität des Tatentschlusses; der Grad seiner Intelligenz; seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, namentlich auch die jeweilige seelische Belastung; die Gefährlichkeit seiner Angriffsweise im Hinblick auf die jeweilige Tatsituation, und seine Vermeidungsbemühungen; der Umstand, ob er zugleich sich selbst oder ihm nahe stehende Personen gefährdet hat; sein Nachtatverhalten, soweit es Rückschlüsse auf den psychischen Zustand zur Tatzeit zulässt; Besonderheiten seiner Persönlichkeit, aus denen Hinweise auf die Motivlage ableitbar sind.98

III. Kasuistik 36 Nachstehend werden exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit Beispiele aus der Rechtsprechung zur Reichweite des Vorsatzes zusammenfassend wiedergegeben:

1. Körperverletzung 37 a) Allgemein. OLG Brandenburg 29.11.2019 – 7 U 129/18 RuS 2020 154: Springt der Torwart beim Fußballspiel – obgleich er den Ball noch erreichen könnte – einen gegnerischen Spieler mit gestrecktem Bein an, um ihn zu stoppen, nimmt er dessen Verletzung (hier: Schien- und Wadenbeinbeinbruch) billigend in Kauf, so dass keine Deckung im Rahmen der Privathaftpflichtversicherung besteht. OLG Karlsruhe 27.9.2012 – 9 U 162/11, RuS 2012 592: Grätscht ein Fußballspieler, der seinem Gegenspieler angedroht hat, ihm bei der nächsten Aktion die Beine zu brechen, mit 20 bis 30 Metern Anlauf und gestrecktem Bein von hinten in seinen Gegner hinein, ohne den Ball erreichen zu können, liegt hinsichtlich des Wadenbeinbruchs, der Verletzung des Sprunggelenks und der Zufügung mehrere Bänderrisse bedingter Vorsatz vor. OLG Hamm 27.4.2011 – 20 U 10/11, RuS 2011 469: Auf der Grundlage des feststehenden Sachverhalts lässt sich allenfalls feststellen, dass der Kläger Schmerzen bzw. Luftnot der Geschädigten billigend in Kauf genommen hat. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auch die Bewusstlosigkeit der Geschädigten einschließlich der hierdurch bedingten Verletzungsfolgen billigend in Kauf genommen hätte, sind hingegen weder dargetan noch sonst ersichtlich. BGH 29.10.2008 – IV ZR 272/06, RuS 2010 16: Durch Konsum großer Mengen alkoholischer Getränke kann der VN in einen Zustand geraten, der die Annahme vorsätzlicher Schädigung verbietet (hier: Schultereckgelenkssprengung mit Abriss mehrerer Bänder, HWS-Distorsion, Becken- und Gesäßprellung infolge körperlicher Angriffe). Deuten Indizien darauf hin, dass der VN zur Tatzeit erheblich betrunken war und deutliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen 96 BGH 13.3.2007 – 4 StR 606/06, NStZ-RR 2007 199, 200; BGH 4.11.1988 – 1. StR 262/88, BGHSt 36 1, 10 = NJW 1989 781, 784. 97 Hierzu BGH 25.10.1990 – 4 StR 371/90, NJW 1991 933, 934; BGH 21.4.1955 – 4 StR 552/54, BGHSt 7 325, 329 = NJW 1955 1077; OLG Stuttgart 30.7.1981 – 3 Ss 375/81, NJW 1982 295, 296. 98 Lackner/Kühl § 15 Rn. 25 m. w. N. Koch

210

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

zeigte, verletzt die Zurückweisung eines beantragten Beweises durch Zeugen, die zum Trinkverhalten des VN aussagen sollten, den Anspruch auf rechtliches Gehör. OLG Celle 22.11.2007 – 8 U 105/07, OLGR Celle 2008 63: Der Vorsatz desjenigen, der einem anderen einen Faustschlag in das Gesicht versetzt, richtet sich in der Regel nur darauf, seinem Gegner einen augenblicklichen Schmerz zuzufügen, ihn damit zu strafen, zu warnen oder zu demütigen. Allenfalls nimmt er noch billigend in Kauf, dass der Gegner Gesichtsverletzungen erleidet, Zähne verliert oder, wenn es sich um einen besonders heftigen Schlag handelt, zu Boden stürzt. Es kann aber nicht das allgemeine Bewusstsein angenommen werden, dass ein Faustschlag weitere Verletzungsfolgen wie bspw. schwere Schädel-Hirnverletzungen haben kann. Anders wäre das möglicherweise zu beurteilen, wenn der Kläger mehrfach auf den Geschädigten eingeschlagen oder auch noch nach dessen Fall auf den am Boden liegenden Geschädigten eingetreten hätte. Hinzu kommt, dass der Kläger zum Tatzeitpunkt gerade einmal 18 Jahre alt war und ein Heranwachsender in diesem Alter die Folgen seines Tuns noch nicht so in alle Details gehend reflektiert wie ein Erwachsener mit entsprechender Lebenserfahrung. LG Köln 24.5.2007 – 24 O 399/06, zitiert nach juris: Bei einem Schlag auf den Kopf, der einen Aufprall des Geschädigten auf das Straßenpflaster zur Folge hat, sind Verletzungen am und im Kopf (Blutgerinnsel im Gehirn löste Schwerhörigkeit aus) vom Vorsatz umfasst. OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781: Bei einem gezielten und heftigen Schlag ins Gesicht, durch den der Geschädigte „niedergestreckt“ wird, ist der Vorsatz hinsichtlich einer Orbitabodenfraktur ((Durch-)Bruch des Augenhöhlenbodens zur Kieferhöhle) zu bejahen.99 LG Dortmund 17.2.2005 – 2 O 148/04, zitiert nach juris: Zwar mag der Kläger billigend eine tätliche Auseinandersetzung mit dem Polizeibeamten F. in Kauf genommen haben, sofern er, wie die Beklagte behauptet, mit erhobenen Fäusten auf diesen zulief. Es erscheint aber ausgeschlossen, dass er hierdurch die Verletzung des Polizeibeamten infolge eines von diesem selbst geführten Faustschlags billigte. Ein derartiger Geschehensablauf dürfte von der Vorstellung des Klägers überhaupt nicht erfasst gewesen sein, selbst wenn er trotz seiner alkoholischen Beeinflussung erkannt haben sollte, dass der Polizeibeamte sein Verhalten als Angriff werten und sogleich zur Gegenwehr übergehen werde. OLG Köln 23.1.2001 – 9 U 8/00, RuS 2001 190: Hat der VN dem Geschädigten einen Fußtritt versetzt, der zu einem Wadenbeinbruch und Bänderabriss führte, kann nicht von einer vorsätzlichen Körperverletzung ausgegangen werden, wenn nicht festgestellt werden kann, ob der Tritt während eines Gerangels mit dem Geschädigten erfolgte oder ob der Tritt erst erfolgte, nachdem der Geschädigte bereits hingefallen war. OLG Hamm 18.8.2000 – 20 U 26/00, RuS 2001 145: Versetzt der VN dem Kläger nicht nur einen Faustschlag in seiner Wohnung, sondern misshandelt ihn auch im Treppenhaus weiter, stößt ihn schließlich aus dem Haus und tritt auf den am Boden liegenden Kläger ein, sind Hautabschürfungen, Prellungen und Blutergüsse an Kopf und Körper als typische Verletzungen vom Tätervorsatz miterfasst. LG Osnabrück 17.11.1999 – 7 O 519/99, NVersZ 2000 301: Verfolgt ein Autoeigentümer eine Gruppe Jugendlicher, von denen er annimmt, sie hätten seinen Pkw beschädigt, und kommt bei den anschließenden Handgreiflichkeiten einer der Jugendlichen dergestalt zu Fall, dass er sich den Oberschenkel bricht, dann muss der Privathaftpflichtversicherer des Autoeigentümers, wenn er wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht eintreten will, beweisen, dass der Autoeigentümer mit Verletzungsvorsatz handelte; er muss darlegen, welchen Kausalverlauf sich der Autoeigentümer vorgestellt hatte, insbesondere, ob er eine fortdauernde Körperverletzungsfolge wollte. OLG Düsseldorf 25.5.1999 – 4 U 84/98, VersR 2000 447: Streckt der Kläger das Opfer grundlos mit einem Faustschlag an die Schläfe nieder und schlägt dessen Kopf zusätzlich auf den Boden, sind Gehirnerschütterung und Schädelprellung vom Vorsatz umfasst. Auch wenn der 99 Vgl. auch OLG Hamm 11.6.1985 – 20 U 46/86, RuS 1986 305, 306. 211

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

Kläger erheblich angetrunken war, lagen für ihn die eingetretenen naheliegenden Folgen auf der Hand. Denn der Kläger war zum Zeitpunkt des hier in Rede stehenden Ereignisses bereits 40 Jahre alt und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er in angetrunkenem Zustand bei einer Schlägerei dem ebenfalls bereits am Boden liegenden Opfer gegen den Kopf getreten und ihm dadurch den Anbruch des Nasenbeins und eine Gehirnerschütterung zugefügt hatte. Der Kläger kannte daher die Gefährlichkeit seiner Angriffshandlungen und wusste, welche Folgen sie bei seinem Opfer hervorrufen konnten. OLG Köln 16.3.1999 – 9 U 99/98, VersR 1999 1270: Intensität und Gefährlichkeit eines Angriffs lassen auf eine bedingt vorsätzliche Körperverletzung mit Umfassung der Verletzungsfolgen schließen. Im Rahmen der folgenden Auseinandersetzung schlug der Kläger mit der Faust massiv auf den Zeugen K. ein und traf ihn u. a. an der linken Schläfe. Einzelheiten dazu sind zwischen den Parteien streitig. Anschließend schlug der Kläger auch noch mit der Faust in Richtung des Kopfes des mit der Absicht zu schlichten herbeigeeilten Zeugen P.C. und traf ihn am linken Auge. Der Zeuge K. erlitt durch einen von dem Kläger geführten Schlag ein epidurales Hämatom mit Arterienriß. Es bestand akute Lebensgefahr. Nach eintretender Bewusstseinstrübung wurde im Kreiskrankenhaus E. eine notfallmäßige osteoklastische Trepanation links temporal durchgeführt und das epidurale Hämatom ausgeräumt. OLG Hamm 16.10.1998 – 20 U 88/98, RuS 1999 102: Hat ein VN in alkoholisiertem Zustand aus Eifersucht einem „Rivalen“ einen Faustschlag ins Gesicht versetzt, wodurch eine Le Fort II-Fraktur, eine Nasengerüstfraktur und Schmelz-Dentinfrakturen verursacht wurden, kann die Privathaftpflichtversicherung Versicherungsschutz nicht unter Berufung auf den Leistungsausschluss „Vorsatz“ verweigern, wenn es hinreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass der VN die von ihm herbeigeführten Verletzungsfolgen nicht oder nicht in ihrem wesentlichen Umfang als möglich erkannt und für den Fall ihres Eintritts gewollt oder im Sinne bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat. Solche Anhaltspunkte liegen vor, wenn von einer starken Alkoholisierung auszugehen ist, die zu einer erheblichen Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des VN zur Tatzeit geführt hat. Dann kann die Verminderung der Einsichtsfähigkeit Einfluss auf die Vorhersehbarkeit und Billigung der Verletzungsfolgen gehabt haben und die Minderung der Steuerungsfähigkeit kann dazu geführt haben, dass der Schlag heftiger ausgefallen ist, als es geplant war. OLG Hamm 6.11.1996 – 20 U 28/96, RuS 1997 103: Hat der VN bei einer tätlichen Auseinandersetzung einen Brillenträger ins Gesicht geschlagen, hat er im Sinne bedingten Vorsatzes nicht notwendigerweise auch billigend in Kauf genommen, dass es (durch zersplitterndes Brillenglas) bei dem Verletzten zu schweren Augenverletzungen und einer Erblindung (hier: auf einem Auge) kommt. Sind keine besonderen Umstände erkennbar (etwa einschlägige Vorstrafen des VN oder besondere Schädigungsabsicht im Einzelfall) kann nicht davon ausgegangen werden, dass der VN hinsichtlich der zugefügten Verletzungen vorsätzlich gehandelt hat. OLG Karlsruhe 28.3.1996 – 12 U 246/95, RuS 1996 301: Schlägt bei einer tätlichen Auseinandersetzung im Rahmen eines Fußballspiels der VN einen Gegenspieler mit der Faust ins Gesicht, nimmt er damit – soweit kein Anhaltspunkt für eine abweichende Bewusstseinslage gegeben ist – knöcherne Verletzungen im Gesicht des Geschädigten billigend in Kauf. LG Duisburg 7.7.1994 – 2 S 100/94, RuS 1995 378: Wer einem anderen Faustschläge ins Gesicht versetzt, nimmt erhebliche Verletzungen des Gegners im Gesichtsbereich (Jochbeinbruch) billigend in Kauf. OLG Karlsruhe 16.6.1994 – 12 U 60/94, RuS 1995 408: Zielt das Handeln des Täters lediglich auf eine Misshandlung, die Zufügung eines augenblicklichen Schmerzes, um das Opfer zu strafen, zu warnen oder zu demütigen, so lässt sich daraus im Allgemeinen nicht der Schluss ziehen, er habe auch Gesundheitsbeschädigungen (Hüftluxation mit Pfannengrundfraktur sowie eine Schambeinfraktur) in das sein Handeln steuernde Bewusstsein aufgenommen. OLG Köln 11.11.1993 – 5 U 271/92, RuS 1994 373: War es die primäre Absicht des VN sich von einem ihn festhaltenden Polizeibeamten loszureißen, kann daraus nicht zwingend darauf

Koch

212

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

geschlossen werden, er habe eine Körperverletzung des dabei zu Fall gekommenen Polizeibeamten zumindest billigend in Kauf genommen.100 OLG Hamm 6.1.1993 – 20 U 202/92, RuS 1993 451: Wenn der VN einen Menschen anhebt und wegschleudert, ist ein Unterschenkelbruch als Folge des Sturzes keineswegs ungewöhnlich. Der Vorsatzausschluss greift jedoch ein, wenn nicht auszuschließen ist, dass der VN sich lediglich Prellungen und Abschürfungen als mögliche Verletzungsfolgen vorgestellt hat. OLG Bremen 1.11.1991 – 4 U 24/91, RuS 1992 10: Fällt der Verletzte nach einem Umklammern des Versicherten mit einer Beinschere zu Boden und zieht er sich dabei einen komplizierten Trümmerbruch des rechten Schien- und Wadenbeins sowie des Fußgelenks zu, so ist Vorsatz nicht nachgewiesen, wenn ungeklärt bleibt, ob der Versicherte den anderen mit der Beinschere festhalten oder zu Fall bringen wollte. Hans. OLG Hamburg 23.10.1991 – 4 U 95/91, VersR 1992 1127: Wer einen erkennbar Alkoholisierten rückwärts von einer Treppe mit acht Stufen hinunterstößt, muss mit der Möglichkeit von Knochenbrüchen rechnen und nimmt diese billigend in Kauf. Damit hat der VN eine schwere Körperverletzung (hier: Lendenwirbelbruch mit Lähmungserscheinungen in den Beinen) zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt. Ein Blutalkoholwert von 2 ‰ schließt vorsätzliches Handeln nicht aus, denn auch für einen Betrunkenen bleibt erkennbar, dass bei einem Sturz rückwärts von einer Treppe die Gefahr von Knochenbrüchen naheliegt. OLG Köln 11.7.1991 – 5 U 198/90, VersR 1992 89: Angesichts der großen Härte, mit der der VN den Geschädigten angesprungen, mit den Fäusten traktiert und schließlich zu Boden gebracht hat, und aufgrund des Umstandes, dass es nach der Lebenserfahrung für jedermann auf der Hand liegt, dass bei einem solchermaßen herbeigeführten Sturz leicht Verletzungen an den Extremitäten eintreten können, muss vom äußeren Geschehensablauf darauf geschlossen werden, dass der VN auch im Hinblick auf die Schadensfolgen bedingt vorsätzlich gehandelt hat. LG Bremen 29.8.1991 – 2 O 369/91, RuS 1992 11: Wer nach einem vorbeifahrenden Mopedfahrer greift, der daraufhin stürzt und sich dabei eine Unterschenkelverletzung zuzieht, hat diese Verletzung zumindest billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich gehandelt. OLG Hamm 19.4.1991 – 20 U 295/90, VersR 1992 90: Stößt ein Diskothekenangestellter einen stark Angetrunkenen von einem drei Stufen hohen Gaststelleneingang herunter, so kann vom äußeren Geschehensablauf noch nicht geschlossen werden, dass er einen Außenknochenbruch des linken Sprunggelenks billigend in Kauf genommen hat. OLG Köln 30.11.1989 – 5 U 139/89, RuS 1990 14: Stürzt der Verletzte nach einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden und zieht er sich dabei eine Knieinnenbandzerrung und eine Teilruptur des Kreuzbandes zu, so handelt es sich bei dieser Verletzung um keine typische Folge eines rückwärtigen Sturzes. Vorhersehbar – und damit vorsätzlich – sind bei einem Sturz infolge Schlages ins Gesicht Verletzungen am Kopf und im Gesicht oder Prellungen an Arm und Rücken, nicht aber untypische Verletzungen wie die hier primär auf einer ruckartigen Drehbewegung des Kniegelenks beruhende Verletzung. LG Osnabrück 5.10.1989 – 8 O 234/89, zfs 1989 389: Wer einem anderen kräftig das Knie in den Unterleib stößt, rechnet üblicherweise zwar mit einer Verletzung der empfindlichen Geschlechtsorgane in der Form eines Blutergusses in der Hodenhöhle, nicht aber mit erheblich schwerwiegenderen Folgen wie einem Hodenriss. Wird deshalb eine Entfernung des Hodens erforderlich, so besteht im Rahmen der allgemeinen Haftpflichtversicherung Versicherungsschutz. OLG Schleswig 28.6.1984 – 2 U 68/83, VersR 1984 1163: Bei der Feststellung des Vorsatzes ist der Senat nicht gehindert, aus dem äußeren Geschehensablauf Rückschlüsse auf den Grad des Verschuldens zu ziehen und sich dabei auf die Lebenserfahrung und allgemeinen Erfahrungssätze zu stützen. Nach gefestigter Rechtsprechung braucht der VN nicht den genauen Umfang der Wirkung seines Handels vorausgesehen zu haben. Wer seinen Gegner schwer mit der Hand an den Kopf schlägt, braucht die dabei entstehenden körperlichen Schäden, z. B. den 100 Vgl. auch OLG Koblenz 7.7.1995 – 10 U 1707/94, RuS 1995 334. 213

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

Verlust von Zähnen oder das Platzen des Trommelfells, nicht im Einzelnen in seine Vorstellung aufgenommen zu haben. Er kann nur solche Folgen der Schläge nicht gewollt oder nicht billigend in Kauf genommen haben, die gewöhnlich nicht aus Schlägen ins Gesicht herrühren.101 OLG Hamm 12.11.1980 – 20 U 111/80, VersR 1981 789: Stößt der VN jemanden mit den Händen zu Boden, stellt er sich in der Regel lediglich Prellungen und Abschürfungen als möglich vor und rechnet nicht mit knöchernen Verletzungen des Fußes oder der Beine. Dagegen spricht, dass der VN sich, als das Opfer nach dem zweiten Sturz offenbar erheblich verletzt am Boden liegenblieb, spontan entschuldigte. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass der VN über die Folgen seiner Tat selbst erschrocken war, diese also nicht gewollt hat. OLG Hamm 4.2.1980 – 20 W 18/80, zfs 1981 25: Wer einem anderen kräftig das Knie in den Unterleib stößt, rechnet zwar mit einer Verletzung der empfindlichen Geschlechtsorgane (Bluterguss in die Hodenhöhle), aber nicht mit einer dauernden Einschränkung der Zeugungsfähigkeit. OLG Düsseldorf 18.1.1977 – 4 U 152/76, VersR 1977 745: Wer einem anderen einen so kräftigen Faustschlag ins Gesicht versetzt, dass dieser zu Bogen stürzt, verliert wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens Haftpflichtversicherungsschutz, soweit es sich um die Folgen von Verletzungen handelt, die der Geschädigte im Bereich der Augen erleidet. Der Versicherungsschutz bleibt dagegen für Ansprüche bestehen, die der Verletzte aus einem bei dem Sturz erlittenen Bruch von vier Mittelfußknochen herleitet. BGH 26.5.1971 – IV ZR 28/70, VersR 1971 806: Stirbt der Geschlagene jedoch an den Folgen der „Ohrfeige“, etwa weil er unglücklich auf den Hinterkopf fällt, so wird in aller Regel der Vorsatz zu verneinen sein, weil nur eine Misshandlung gewollt war. BGH 9.6.1958 – II ZR 46/57, VersR 1958 469: Wer seinen Gegner schwer mit der Hand auf den Kopf schlägt, muss mit den dabei entstehenden körperlichen Schäden, also z. B. Verlust von Zähnen, Platzen des Trommelfelles usw., rechnen. Ein derartig handelnder VN kann sich daher auch nicht damit verteidigen, dass er infolge seiner Wut gar keine Überlegungen über konkrete Schadensfolgen habe anstellen wollen und können. Hingegen wird der durch eine vorsätzliche Körperverletzung herbeigeführte Tod des Gegners zumeist nicht vom Vorsatz umfasst gewesen sein, auch wenn eine schwere Misshandlung gewollt war.

38 b) Körperverletzung unter Einsatz von gefährlichen Werkzeugen. OLG Karlsruhe 19.2.2009 – 12 U 249/08, VersR 2009 923: Schlägt der VN in einem Festzelt einem anderen Gast mit einem Bierkrug so fest auf den Kopf, dass der Krug zerbricht und umherfliegende Scherben in unmittelbarer Nähe stehende Personen verletzen, so handelt er bezüglich dieser Verletzungen nicht (bedingt) vorsätzlich, wenn seine Behauptung, er habe bei der Ausführung der Tat überhaupt nicht daran gedacht, dass umherstehende Personen verletzt werden könnten, und sich keine Gedanken über die Reichweite des Fluges der Glassplitter gemacht, nicht widerlegt ist, und allein die unmittelbare Nähe der Verletzten zum Tatort nicht für die Annahme vorsätzlichen Handelns ausreicht. OLG Karlsruhe 24.3.2005 – 12 U 432/04, VersR 2005 781: Der Sohn des Klägers hatte als Berufsschüler aus dem Rucksack eines Mitschülers eine Flasche Reizgasspray gezogen und den Inhalt ziellos im Unterrichtsraum versprüht. Die Lehrerin atmete das Gas ein. Als Asthmatikerin litt sie kurz darauf unter Atemnot. Es entwickelte sich eine Lungenentzündung, die zu einer mehrmonatigen Arbeitsunfähigkeit der Lehrerin führte. Einen auf so gravierende Folgen gerichteten Verletzungsvorsatz des Täters lehnte das Gericht als unwahrscheinlich ab, weil diesem die Asthmaerkrankung nicht bekannt und deshalb der Krankheitsverlauf in seinen wesentlichen Zügen nicht vorhersehbar war. Dabei berücksichtige das Gericht auch den Umstand, dass der Täter mit dem Reizgas niemanden gezielt angesprüht, sondern das Gas ziellos im Raum verteilt und sich somit selbst der Reizgaswolke ausgesetzt hatte. 101 Vgl. auch Hans. OLG Hamburg 26.1.1983 – 5 U 192/82, VersR 1983 1021; OLG Düsseldorf 18.1.1977 – 4 U 152/ 76, VersR 1977 745, 746; OLG Hamm 8.7.1981 – 20 U 9/81, VersR 1982 641. Koch

214

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

BGH 17.6.1998 – IV ZR 163/97, VersR 1998 1011: Eine nicht zur Schuldunfähigkeit führende starke Alkoholisierung (hier: Blutalkoholkonzentration 2,56 ‰) kann die Einsichts- und Hemmungsfähigkeit erheblich vermindern. Es muss bei Personenschäden festgestellt werden, ob der VN die Verletzungsfolgen – hier: Schädigung von 40 % der Haut durch Verbrennungen dritten und vierten Grades – trotz seiner hohen Blutalkoholkonzentration unter Berücksichtigung seiner intellektuellen Fähigkeiten im Wesentlichen vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen hat. Es spricht gegen die Annahme des Vorsatzes, wenn der VN, nachdem er die Kleidung des anderen angezündet hat, sofort versucht, die Flammen zu löschen. OLG Köln 31.5.1994 – 9 U 71/94, RuS 1995 9: Derjenige, der während einer mit Fäusten ausgetragenen (Wirtshaus-)Schlägerei ein abgebrochenes oder zerbrochenes Bierglas ergreift, will dieses nach der Lebenserfahrung als „Waffe“ einsetzen. Wer in einer solchen Situation einen Schlag oder Stoß mit dem abgesplitterten Glas gegen einen anderen führt, ohne sich sicher sein zu können, wo dessen Körper getroffen werden wird, der nimmt billigend in Kauf, dass auch überaus verletzliche Körperpartien wie insbesondere das Gesicht mit der Folge schwerwiegender Schnittverletzungen (hier: des Augenlides) Zielscheibe des Angriffs werden. OLG Hamm 3.2.1993 – 20 U 124/92, VersR 1994 41: Keine vorsätzliche Todesfolge bei ungezieltem Messerstich, der durch die starke Erregung des Klägers ausgelöst worden ist. Vorausgegangen war nicht nur eine Schlägerei oder Rangelei zwischen dem Kläger und dem Gastwirt. Kurz vor dem Messerstich waren vielmehr die beiden getrennt worden und der Kläger hatte gesagt, dass nun Schluss sein sollte. Danach wandte sich der Gastwirt vom Kläger weg, ging in Richtung Theke, drehte sich dann aber plötzlich um und schlug dem Kläger mit der Faust ins Gesicht. Die dann folgende Reaktion des Klägers, nämlich Wegstoßen, Messerziehen und Zustechen, lässt nicht ohne weiteres den Schluss zu, dies müsse mit Tötungsabsicht erfolgt sein. Auch die Tatsache, dass der Kläger unmittelbar danach das Messer auf den Boden warf und den anderen Gästen zurief, Polizei und Notarzt müssten verständigt werden, spricht eher gegen eine Tötungsabsicht. LG Bochum 17.9.1991 – 1 O 510/91, zfs 1993 163: Schlägt der VN mit einem Bierglas vorsätzlich in das Gesicht des Opfers, so dass dieses verletzt wird und das Augenlicht verliert, so ist von einer vorsätzlichen Schadensherbeiführung auszugehen. LG Bad Kreuznach 18.8.1987 – 1 S 150/87, RuS 1988 163: Versetzt der Haftpflichtversicherte einem Dritten mit einem Motorradhelm einen kräftigen Schlag von vorn ins Gesicht, so nimmt er den Verlust zweier Schneidezähne in Kauf. LG Düsseldorf 8.3.1966 – 16 O 49/66, VersR 1968 438: Schlägt der VN mit einem 60 cm langen Rundholz von etwa 8 cm Durchmesser nach dem Kopf des Opfers und trifft es dabei an der Schläfe, hat der VN den hierdurch herbeigeführten Tod vorsätzlich herbeigeführt.

c) Körperverletzungen als Folge von Jux, Albernheit, Spaß, Spielerei, Ausgelassen- 39 heit, Unfug. OLG Saarbrücken 27.5.2009 – 5 U 461/08, zfs 2009 699: Verletzt ein VN eine Begleiterin bei einem Konzert durch eine Art „stage-diving“, so nimmt er zwar gewisse körperliche Schäden wie Prellungen, Zerrungen oder Stauchungen billigend in Kauf, regelmäßig nicht aber schwere Wirbelbrüche und Bandscheibenschäden. In einem solchen Fall lässt sich für den Risikoausschluss auch nicht zwischen vorsätzlich verursachten leichteren und fahrlässig verursachten schweren Schäden trennen. OLG Karlsruhe 21.8.1997 – 12 U 109/97, RuS 1998 189: Selbst wenn es kaum zu verstehen ist, dass der VN beim Abfeuern einer Silvesterrakete in Richtung von Mitfeiernden deren Gefährdung nicht realisiert haben sollte, kann – wenn der VN sich in alkoholbedingt fröhlicher Stimmung befand und es nicht zu Streitereien gekommen ist – nicht ausgeschlossen werden, dass der VN mit dem Abfeuern von Feuerwerkskörpern die Mitfeiernden nur erschrecken wollte. 215

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

OLG Saarbrücken 11.1.1992 – 5 U 24/92, VersR 1993 1004: VN hat bei einem Schuss mit der Schreckschusspistole aus 50 cm Entfernung keinen Vorsatz hinsichtlich einer Innenohrschädigung.102 OLG Hamm 22.5.1991 – 20 U 341/90, RuS 1992 47: Vorsätzlich ist eine Schussverletzung nicht herbeigeführt, wenn der Versicherte eine Schreckschusspistole in der Annahme auf einen Menschen abfeuert, dass die Pistole nicht geladen ist. OLG Düsseldorf 13.12.1937 VA 1937 240: Auf einer Silvesterfeier zog ein Teilnehmer den anderen von seinem Sitz auf einer Treppe, wodurch dieser sich die Beine brach; gewollt war aber lediglich ein unangebrachter Scherz. Genau so dürften in aller Regel die Vorstellungen desjenigen sein, der „zum Scherz“ einem sich hinsetzenden Dritten den Stuhl wegzieht. RG 20.4.1917 VA 1917 60: Verlust des Auges durch Schuss mit einer Zimmerflinte; gewollt war eine harmlose Schmerzzufügung durch einen Schuss auf den entblößten Rücken.

40 d) Körperverletzungen und Sachschäden durch Minderjährige. OLG Karlsruhe 13.12.2013 – 9 U 27/13, VersR 2014 994: Bei einem zwölfjährigen Jungen, der „mit dem Feuer spielt“, kann nicht ohne Weiteres von der objektiv erkennbaren Gefährlichkeit seines Tuns auf einen bedingten Schädigungsvorsatz (hier: Abbrennen der Gartenhütte) geschlossen werden. OLG Koblenz 24.6.2013 – 10 U 235/13, VersR 2014 1450: Für einen 17-jährigen mit Erfahrung in Judo und Krafttraining liegt es auf der Hand, dass bei einem gezielten mit großer Wucht gegen den Kopf ausgeführten Faustschlag und einem darauf beruhenden Sturz des Angegriffenen schwere Verletzungen (Schädel-Hirn-Trauma) eintreten können. OLG Schleswig 22.11.2007 – 16 U 9/07, RuS 2008 67: Hat ein 15-Jähriger einen Feuerlöscher in der Kirche benutzt, beschränkt sich seine Vorstellung darauf, dass der Kirchenraum verschmutzt wird. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Gefährdung des Inventars fehlt es dagegen am Vorsatz.103 OLG Koblenz 6.7.2007 – 10 U 1748/06, NJW-RR 2008 45: Im Hinblick auf das Alter des klägerischen Sohns M zum Schadenszeitpunkt von 13 Jahren kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass dieser bei der Betätigung des Feuerlöschers den Vorsatz hatte, mit diesem den Kirchenraum zu verschmutzen. Es ist jedoch nichts dafür ersichtlich, dass M darüber hinaus gewusst oder billigend in Kauf genommen hätte, dass mit der Betätigung des Feuerlöschers der gesamte Kirchenraum mit derart weitreichenden Folgen verschmutzt würde. Durch das austretende Löschmittel wurden weite Bereiche des Kircheninneren, die Sitzbank, der Boden sowie Teile der Orgel, Metall- und Kunstgegenstände beschmutzt. Allein die Tatsache, dass M mit einem Feuerlöscher im Kircheninnenraum Pulver versprühte, lässt insoweit noch keinen Rückschluss auf einen solchen Schädigungsvorsatz zu, auch dann nicht, wenn – wie der Bekl. behauptet – M den Feuerlöscher über mindestens 16 Sekunden hinweg betätigt und vollständig entleert haben sollte. Es sind keine Indizien für den sich in der subjektiven Sphäre des M abspielenden bedingten Vorsatz ersichtlich. Vielmehr sprechen die Umstände dafür, dass der Grad der Verschmutzungs- und Beschädigungsfolgen – nicht nur die Höhe der Kosten – sein Vorstellungsvermögen eindeutig überstieg. OLG Düsseldorf 17.12.2002 – 4 U 107/02, RuS 2004 457: Schüttet ein 121/2 jähriges spielendes Kind brennbare Flüssigkeit auf den Boden eines hölzernen Carports und steckt die Flüssigkeit an, muss es nicht damit rechnen, dass die Flammen die Aufbauten erreichen und auf das in der Nähe geparkte Kfz übergreifen. OLG Düsseldorf 12.12.2000 – 4 U 46/00, VersR 2002 89: Der VR ist nicht verpflichtet, aus einer Haftpflichtversicherung Deckungsschutz für den Schaden zu gewähren, den ein zwölf Jahre alter Realschüler gemeinsam mit anderen Schülern nach Einbruch in die Schule durch Zerstö-

102 Vgl. auch OLG Hamm 22.5.1991 – 20 U 341/90, VersR 1992 86, 87. 103 Vgl. auch OLG Koblenz 6.7.2007 – 10 U 1748/06, VersR 2007 1506 = NJW-RR 2008 45, 46. Koch

216

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

rungen, durch Vandalismus und durch Fluten der Räume mittels Öffnen der Wasserhähne bei gleichzeitigem Verstopfen der Abflüsse mutwillig angerichtet hat. LG Düsseldorf 19.10.1999 – 11 O 246/99, RuS 2000 233: Für die Anwendbarkeit des Vorsatzausschlusses kann es darauf ankommen, ob der Schaden durch Mechanismen verursacht wurde, die nicht zum Erfahrungsschatz eines Minderjährigen gehören oder durch Mechanismen, die ihm seit vielen Jahren vertraut sind (etwa Wirkungen von Wasser; hier: Verstopfen und Überlaufenlassen von Waschbecken). Zum Vorsatz gehört nicht, dass die Höhe des Schadens richtig eingeschätzt wird. AG Neuwied 23.11.1998 – 14 C 1267/98, RuS 1999 235: Wer gegen eine am Boden liegende Person einen ungezielten Tritt ausführt, nimmt Verletzungen – hier: Kieferverletzungen, Zahnverlust – in Kauf, denn der am Boden liegende Mensch kann überall getroffen werden – auch am Kopf. Dies trifft auch auf einen 14-jährigen zu, wobei es keine Rolle spielt, wenn der minderjährige Täter hyperaktiv und affektlabil ist, so dass er auf Provokationen nicht adäquat zu reagieren vermag. OLG Frankfurt 24.7.1997 – 15 U 143/96, VersR 1998 573: Zündet ein ca. zehnjähriges Kind gemeinsam mit Spielkameraden (wie bereits mehrfach zuvor) in einem Sonnenstudio eine aus Papierhandtüchern bestehende „Papierspur“ an, ist nicht davon auszugehen, dass sich der (bedingte) Vorsatz des Kindes auf einen durch das brennende Papier verursachten Großbrand erstreckt. AG Hannover 23.7.1996 – 534 C 6606/95, RuS 1997 12: Ein achtjähriger Junge, der einem anderen Jungen einen Feuerwerkskörper („Feuer-Wespen-Wirbel“ oder „Silber-Wirbel“) unter die Jacke steckt, handelt hinsichtlich der eingetretenen Körper- und Sachschäden mit zumindest bedingtem Vorsatz. LG Oldenburg 1.3.1996 – 2 S 1333/95, NJW-RR 1997 92: Die Beweiserleichterung, nach der aus einem erkennbar objektiv gefährlichen Geschehensablauf auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden kann, gilt bei Kindern nur eingeschränkt. Ein normal entwickeltes neunjähriges Kind, welches nach Erkennen erheblicher von ihm verursachter Lackschäden an einem Pkw die schädigende Handlung fortsetzt, handelt mindestens mit bedingter Schädigungsabsicht. LG Augsburg 26.5.1986 – 3 O 1672/86, zfs 1986 378: Ein normal entwickelter 121/2-jähriger Junge, der auf einen Parkplatz mit Hilfe eines Steines den Lack von einer ganzen Anzahl von Pkws zerkratzt, ist sich der Folgen seines Tuns bewusst und handelt somit vorsätzlich. Von einer verminderten Einsichtsfähigkeit wegen übermäßigen Spieltriebes kann hier keine Rede sein. BGH 23.2.1983 – IVa ZR 130/81, VersR 1983 477: Ein 15-jähriger Junge hatte unmittelbar neben einem Zelt einen Papierhaufen in Brand gesetzt. Der BGH hob das die Deckungsklage abweisende Urteil auf und verwies die Sache an das OLG Hamm mit der Begründung, dass die Einlassung des Jungen, er habe vorgehabt, den Papierhaufen durch Austreten mit den Füßen wieder zu löschen, sei aber erschrocken davongelaufen, weil das Feuer plötzlich zu groß geworden sei, nicht widerlegt worden sei. Sollte dies zutreffen, so der BGH, hätte der Vorsatz des Jungen den Brand des Zeltes nicht umfasst, selbst wenn der Kläger die Einsicht gehabt haben sollte, das Feuer werde vom Papierhaufen auf das Zelt übergreifen, falls es vorher nicht „ausgetreten“ würde. OLG Hamm 25.6.1980 – 20 U 76/78, VersR 1981 178: Ob sich der Vorsatz des 11 Jahre alten Klägers, der in seinem Heimatort J. mehrere Scheunen angesteckt hat, in der Stroh und Heu lagerten und landwirtschaftliche Geräte abgestellt waren und die bis auf die Grundmauern niederbrannten, auf den eingetretenen Schaden erstreckt, ist im Deckungsprozess zu prüfen. OLG Düsseldorf 29.3.1966 – 4 U 300/65, VersR 1966 481: Der minderjährige Versicherte hatte aus Neckerei einem anderen Jungen ein brennendes Streichholz in die Hosentasche geworfen, in der sich – wie der Versicherte wusste – Feuerwerksraketen befanden. Das Gericht hielt es für unwahrscheinlich, dass Brandverletzungen gewollt oder auch nur als mögliche Folge billigend in Kauf genommen worden seien. 217

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

2. Brandstiftung 41 OLG Hamm 6.2.2002 – 20 U 151/01, VersR 2002 1369: Hat der Versicherte in einer Remise Heu auf einem Wagen entzündet, um auf diese Weise einen Feuerwehreinsatz zu provozieren, an dem er selbst als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr teilnehmen wollte, und hat er bemerkt, dass in der Remise weiteres entzündbares Material (Stroh) gelagert war, so erstreckt sich der Vorsatz auch auf das Abbrennen der gesamten Remise: Dabei spielt auch eine Rolle, dass der Versicherte um die leichte Brennbarkeit des Strohs wusste, da er zuvor wiederholt schon anderweitig Strohballen entzündet hatte, ebenfalls in der Absicht, Feuerwehreinsätze zu provozieren. Er konnte daher voraussehen, wie die Flammen aus den beladenen Strohwagen hochschlagen würden. Ein Alkoholspiegel von 1 ‰ zur Tatzeit spricht zumindest dann nicht gegen die Vorsatzannahme, wenn der Täter unmittelbar nach der Tat keine Ausfallerscheinungen zeigte.

3. Kfz-Unfälle 42 LG Konstanz 3.3.2020 – Me 4 O 290/19, DAR 2020 333: Fährt der VN vorsätzlich seine aus ihrem Kfz aussteigenden Ehefrau an und wird hierdurch auch das Kfz eines Dritten beschädigt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Vorsatz des VN neben der Schädigung seiner Ehefrau auch auf die Schädigung des Kfz des Dritten erstreckt. OLG München 17.2.2017 – 10 U 2007/16, BeckRS 2017 112607: Fahrzeugführer, der seine ehemalige Lebensgefährtin mit dem Kfz 40 Meter vor sich her schiebt, mit dem Kfz umstößt und überfährt, handelt hinsichtlich der Folgen (schwere Schädelverletzungen durch den Sturz und dem Überrollen beider Beine) bedingt vorsätzlich. AG Bremen 13.6.2013 – 9 C 16/13, RuS 2014 165: Bremst ein Fahrzeugführer auf der Autobahn von 125 km/h auf 40 km/h grundlos ab, so handelt er im Hinblick auf den unmittelbar nachfolgenden Verkehr mit bedingtem Schädigungsvorsatz. OLG Saarbrücken 4.4.2013 – 4 U 31/12-9, BeckRS 2013 06836: Bereits der äußere Ablauf des Geschehens spricht gegen eine vorsätzliche Schadensherbeiführung, wenn der Fahrer bei einem BAK von mind. 2,45 ‰ mit seinem Kfz eine innerörtliche Straße in Geradeausfahrt befährt, unwillkürlich nach links in eine Hofeinfahrt einschwenkt, dort auf einen geparkten Pkw auffährt, der für ihn zu Beginn des Einbiegens nicht erkennbar war, durch die Einfahrt über die gesamte Straßenbreite – einschließlich des Bürgersteigs – zurückfährt und mit dem Fahrzeugheck gegen die gegenüberliegende Hauswand prallt. OLG Hamm 11.11.2011 – 20 U 3/11, RuS 2012 284: Fährt ein reparaturbedürftiger Sattelschlepper ungebremst in einen Supermarkt, kann aus einem Verzicht auf eine geplante Reparatur nicht auf bedingten Vorsatz hinsichtlich der Schadensfolgen (Tod des Fahrers und zweier weiterer Menschen) geschlossen werden. OLG Brandenburg 30.8.2007 – 12 U 55/07, VRR 2007 468: Ein Unfall, bei dem der verstorbene Fahrer auf gerader Strecke von der Fahrbahn einer Bundesstraße abgekommen und gegen einen Straßenbaum geprallt ist, führt nicht dazu, den Nachweis einer Selbstmordfahrt (vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles und Einwilligung des Beifahrers) als erbracht anzusehen. OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237: Insbesondere auf Grund der vom Sachverständigen in seinem Gutachten dargestellten Persönlichkeit des Getöteten und seiner durch die Verfolgungs-Stress-Situation mit Wahrscheinlichkeit eingeschränkten Wahrnehmungs- und Entscheidungsfähigkeit unmittelbar vor dem Unfall sind erhebliche, nicht ausräumbare Zweifel am Vorliegen der für einen bedingten Verletzungsvorsatz erforderlichen Willensrichtung des VN geblieben. Es ist nicht positiv festzustellen, dass Herr B die Gefahrensituation, die objektiv gesehen eine Bremsreaktion erforderte, mit Gewissheit erkannt und wahrgenommen hat, dass er ohne Kollision die spätere Unfallstelle nicht werde passieren können, sowie sich Gedanken daKoch

218

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

rüber gemacht hat, dass sich in den vor ihm vorhandenen Fahrzeugen Personen befanden, die durch sein Weiterfahren verletzt oder gar getötet werden könnten. LG Dortmund 1.6.2006 – 2 O 268/05, NJW-RR 2007 26: Keine vorsätzliche Schadensherbeiführung liegt vor, wenn der Kl., der mit ca. 80 km/h, ohne abzubremsen, bewusst auf den mit eingeschaltetem Blaulicht querstehenden Funkwagen zufuhr und das Fahrzeug im vorderen Bereich mit derartiger Wucht rammte, dass es gegen die auf der rechten Fahrbahnseite befindliche Leitplanke prallte, schuldunfähig i. S. v. § 827 BGB ist. OLG Hamm 15.6.2005 – 13 U 63/05, RuS 2006 33: Nach der Fahrweise – mindestens 35 km/h – , seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit (BAK von 2,28 ‰) und der örtlichen Verhältnisse war dem Beklagten bei natürlicher Betrachtungsweise auch unter Berücksichtigung seiner alkoholbedingten Beeinflussung klar, daß es leicht zu Schäden kommen konnte. Dass diese auftreten würden (hier: Kollision mit dem Imbissstand), hat er mithin offenkundig billigend in Kauf genommen. OLG Nürnberg 2.12.2004 – 2 U 2712/04, NJW-RR 2005 466: Ein Kraftfahrer, der seinen PKW im fließenden Verkehr von ca. 40 km/h bis zum Stand stark abbremst, handelt vorsätzlich hinsichtlich der aus dem dadurch verursachten Auffahrunfall resultierenden Schäden. OLG Oldenburg 29.4.1998 – 2 U 264/97, RuS 1999 236: Der Kfz-Halter handelt nicht vorsätzlich hinsichtlich der Folgen eines Kfz-Unfalls, wenn er einem angetrunkenen selbstmordgefährdeten Teilnehmer einer privaten Feier durch unzureichende Verwahrung der Kfz-Schlüssel die Ingebrauchnahme des bereitstehenden Pkw ermöglicht. OLG Hamm 7.12.1995 – 6 U 53/95, RuS 1996 97: Der Haftpflichtversicherer ist gem. § 152 a. F. leistungsfrei, wenn Halter und Fahrer des vers. Kfz den Unfall mit dem Fahrer des Kfz des Geschädigten verabredet haben. LG Koblenz 1.10.1987 – 3 S 269/86, RuS 1989 5: Hat der alkoholisierte VN den Unfall nicht durch eine einmalige, alkoholbedingte Fehlreaktion herbeigeführt, sondern hat er während einer Verfolgungsjagd das Fahrzeug des Geschädigten 10 bis 15mal von hinten angestoßen, bis dieser schließlich nach einem besonders starken Anprall die Herrschaft über sein Fahrzeug verlor und von der Straße abkam, so liegt eine bedingt vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles vor. OLG Köln 14.12.1977 – 2 U 67/77, VersR 1978 265: Der Fahrer, der mit einem BAK von 2,4 ‰ vor der Polizei flüchtet und dabei mit Geschwindigkeiten innerhalb des Ortsverkehrs von teilweise wenigstens 140 km/h rot geschaltete Ampeln überfährt, nimmt nicht nur schwere oder gar tödliche Verletzung eines Polizeibeamten, sondern erst recht die Beschädigung eines Polizeifahrzeuges in Kauf.

4. Schädigung Dritter anlässlich einer (versuchten) Selbsttötung OLG München 11.3.2020 – 10 U 2150/18, NJW-RR 2020 921: VN, der in Selbsttötungsabsicht ei- 43 nem mit hoher Geschwindigkeit herannahenden ICE-Zug entgegengeht, um sich von diesem überfahren zu lassen, handelt hinsichtlich der Schäden an dem Zug und der daraus resultierenden Folgeschäden vorsätzlich. OLG Köln 30.4.2019 – 9 U 30/17, RuS 2020 20: Bei einer Geisterfahrt in Selbsttötungsabsicht sind die damit verbundenen Personen- und Sachschäden in groben Umrissen vorhersehbar und werden auch billigend in Kauf genommen. OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594: Bei einem erweiterten Suizid bezieht der VN, der nach der Tötung seines Sohnes seine eigene Wohnung in Brand setzt, um sich umzubringen, nicht zwangsläufig die Schädigung von Rechtsgütern der am Familienkonflikt unbeteiligten Mieterin in sein Vorstellungsbild ein. OLG Nürnberg 7.6.2011 – 3 U 188/11, NZV 2011 538: Lenkt der mitversicherte Fahrer das Kfz in Suizidabsicht auf das Lkw-Gespann, führt er den bei diesem eingetretenen Schaden vorsätzlich herbei.

219

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

OLG Oldenburg 5.8.2009 – 6 U 143/09, Schaden-Praxis 2010 121: Der VN, der infolge eines in Selbsttötungsabsicht durchgeführten Überholmanövers bei einer Fluchtfahrt nach Tötung seiner Freundin und Inbrandsetzung seines Hauses einen Verkehrsunfall bedingt vorsätzlich herbeiführt, handelt auch hinsichtlich der daraus resultierenden Folgeschäden vorsätzlich. KG Berlin 10.3.2003 – 12 U 184/01, VersR 2004 325: Gegen Selbsttötungsabsicht spricht der Umstand, dass der VN sowohl vor der ersten Kollision gegen das geparkte Fahrzeug als auch danach während der Fortsetzung der Trunkenheitsfahrt angeschnallt war. OLG München 29.3.1999 – 30 U 761/98, RuS 2000 58: Der VN, der in Selbsttötungsabsicht einem mit 200 km/h herannahenden ICE-Zug entgegengeht, um sich von diesem überfahren zu lassen, handelt hinsichtlich der Schäden an dem Zug und der daraus resultierenden Folgeschäden vorsätzlich, wenn er trotz seiner psychischen Ausnahmesituation nach seinem Bildungsstand und seinen Kenntnissen von den Folgen eines derartigen Selbstmordes damit rechnen musste, dass solche Schadensfolgen zwangsläufig eintreten. Der Nachweis des Vorsatzes kann regelmäßig aus dem objektiven Geschehensablauf geführt werden. Dies bedeutet, dass dann, wenn nach den Verhältnissen anzunehmen ist, dass sich der Versicherte über die Folgen seines Tuns klar sein musste, daraus regelmäßig gefolgert werden kann, dass er sich über die Folgen auch tatsächlich bewusst war.104 LG Aachen 19.10.1990 – 5 S 320/90, RuS 1990 409: Wer sich in Selbstmordabsicht aus einem Hochhaus stürzt und auf einen vor dem Haus parkenden Pkw fällt, handelt wegen der Sachbeschädigung des Pkws nicht vorsätzlich. Angesichts der psychischen Ausnahmesituation kann aus objektiven Tatsachen nicht auf die subjektive Einstellung des Selbstmörders geschlossen werden. Ob ein Selbstmord nicht mehr den „Gefahren des täglichen Lebens“ zugerechnet werden kann, ist sehr zweifelhaft und bleibt offen. Der Sprung aus einem Hochhaus in selbstmörderischer Absicht ist „ungewöhnlich und gefährlich“, so dass für dabei verursachte Schäden kein Deckungsschutz besteht. OLG Hamm 23.11.1984 – 20 U 187/84, VersR 1985 463: Werden infolge des Selbstmordes des VN Dritte geschädigt (hier: Zerstörung eines Hauses durch Explosion infolge der Öffnung der Gasleitungen durch den VN anlässlich seines Selbstmordes), so muss der Haftpflichtversicherer beweisen, dass der VN die Folgen seines Tuns (Explosion des Hauses) wollte oder billigend in Kauf nahm. Aus der sich in der Tat aufdrängenden Gefährlichkeit des Tuns des VN kann nicht darauf geschlossen werden, dass ihm dies auch bewusst war und er darüber hinaus die Gefährlichkeit etwaiger Folgen noch billigend in Kauf genommen hat, denn die Vorstellungen und Willensrichtungen eines Selbstmörders vor der Tat sind nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. OLG Frankfurt/M. 13.1.1977 – 1 U 63/76, RuS 1977 73: Wenn der VN gegen eine geschlossene Bahnschranke fährt, danach bei der Polizei die Selbstmordabsicht betont und etwa 14 Tage später tatsächlich Selbstmord begeht, ist von Vorsatz auszugehen. Depressive Zustände sowie eine BAK von 1,15 ‰ schließen die Möglichkeit einer freien Willensbestimmung nicht aus, solange der von Motiven gelenkte Wille noch Einfluss auf die Entscheidung des VN hat und sie insoweit verständlich macht.

5. Sachschäden 44 OLG Köln 25.3.1993 – 5 U 179/92, RuS 1993 333: Dem Kläger stand das realistische Risiko eines Schadenseintrittes (Schäden an der Tankanlage) vor Augen, als er die Pappel ohne die im Gutachten genannten Sicherungsmaßnahmen fällte und die übrigen Pappeln im Schadensbereich schlechthin zu fällen bereit war. Wenn er dessen ungeachtet die Fällaktion auftragsgemäß

104 Vgl. nur OLG Düsseldorf 29.3.1966 – 4 U 300/65, VersR 1966 481 und OLG Karlsruhe 16.6.1994 – 12 U 60/94, RuS 1995 408, 409. Koch

220

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

durchführte, ohne bei der einen Pappel die oben genannten Sicherungsmaßnahmen durchzuführen, und im Übrigen das bei den anderen Pappeln im Schadensbereich in jedem Fall bestehende Schadensrisiko hinnahm, ohne z. B. einen Haftungsausschluss insoweit mit dem Auftraggeber zu vereinbaren, so nahm er den möglichen bzw. naheliegenden Schadenseintritt im Sinne von bedingtem Vorsatz billigend in Kauf.

6. Schäden durch Lieferung oder Herstellung mangelhafter Waren, Erzeugnisse oder Arbeiten (Ziff. 7.2 AHB 2016/§ 4 II Ziff. 2 S. 1 AHB a. F./A1-7.2 AVB BHV) OLG Karlsruhe 20.3.2003 – 12 U 214/02, VersR 2003 987: Bei der Lieferung oder Herstellung von 45 Waren, Erzeugnissen oder Arbeiten steht die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit der Waren usw. dem Vorsatz gleich. Die Gleichsetzung mit der vorsätzlichen Schadensherbeiführung macht dabei deutlich, dass hohe Anforderungen an die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit zu stellen sind. Nach den von der Beklagten in Bezug genommenen Feststellungen des Sachverständigen T war an den ihm übergebenen Untersuchungsstücken kein „versierter Handwerker“ tätig gewesen. Dies und der Umstand, dass die Heizrohre nach den Ausführungen des Sachverständigen T stellenweise nicht hinreichend bis zu 10 mm ineinander geschoben und teils auch nicht sachgemäß gelötet worden waren, vermag für sich allein betrachtet keine Kenntnis von der Mangelhaftigkeit der durchgeführten Handwerkerleistungen zu belegen. Mängel am Bauwerk in der beschriebenen Art sind in der Regel auf eine nicht genügende Beachtung der Verlegungs- und DIN-Vorschriften zurückzuführen und begründen ohne besondere weitere Anhaltspunkte nur eine fahrlässige Handlungsweise des Handwerkers. OLG Stuttgart 5.5.1994 – 7 U 313/93, RuS 1994 451: Stellt der VN einen Gasherd zu dicht an einer im Innern brennbares Material enthaltenden Wand auf, was gegen die einschlägigen technischen Richtlinien für die Gasinstallation verstößt, nimmt aber aufgrund des äußeren Zustands der Wand an, diese enthalte keine brennbaren Stoffe, liegt keine vorsätzliche Schadensherbeiführung vor. Für das Eingreifen des Risikoausschlusses nach § 4 II Ziff. 1 S. 2 AHB ist die positive Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und der Schädlichkeit der Waren, Erzeugnisse oder Arbeiten erforderlich. An die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und der Schädlichkeit (hier: der Werkleistung) sind hohe Anforderungen zu stellen. OLG Nürnberg 10.1.1964 – 4 U 8/63, VersR 1965 225: Für den Tod des Dritten infolge Durchgehens eines mit unzutreffenden Eignungsangaben verkauften Pferdes besteht kein Versicherungsschutz gem. § 4 II Ziff. 1 S. 2 AHB, weil dem Verkäufer genau bekannt war, dass die von ihm gelieferte Rotschimmelstute für die Verwendung als Einspänner und Sattelpferd erst abgerichtet werden musste und dass eine Verwendung ohne vorherige Abrichtung und in Unkenntnis der mangelnden Abrichtung die Gefahr mit sich brachte, dass der Pferdelenker infolge Scheuens und Durchgehens des Pferdes körperlichen Schaden erlitt.

IV. Verantwortlichkeit/Zurechnungsfähigkeit 1. § 827 BGB Im Zivilrecht setzen Haftungstatbestände, die an ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit 46 i. S. v. § 276 BGB) anknüpfen, persönliche Verantwortungsfähigkeit (Schuldfähigkeit) voraus. Folglich entfällt nach § 827 S. 1 BGB die Einstandspflicht des Schädigers für Schäden infolge unerlaubter Handlungen, die mit natürlichem Vorsatz (Rn. 31) herbeigeführt worden sind, wenn er sich zum Zeitpunkt der Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat. M.a.W. ist vorsätzliches Handeln im Rechtssinn nur solange möglich, bis ein Täter den Zustand einer Zurechnungsunfähigkeit i. S. v. § 827 BGB erreicht und damit ein Ausschluss der Wahrnehmungsfähigkeit oder der 221

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

freien Willensbestimmung eintritt.105 Dies gilt nach § 276 Abs. 1 S. 2 BGB auch für das Vertragsrecht. Nach allgemeiner Ansicht ist § 827 S. 1 BGB darüber hinaus überall dort anwendbar, wo eine Rechtsfolge an ein Verschulden anknüpft.106 Insoweit gelten die zu § 827 BGB entwickelten Grundsätze hinsichtlich des Erfordernisses der Zurechnungsfähigkeit auch für den subjektiven Risikoausschluss des § 103.107 47 Ist eine vorübergehende Schuldunfähigkeit zur Tatzeit auf Alkohol oder andere berauschende Mittel zurückzuführen, haftet der Schädiger nach § 827 S. 2 BGB, „wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele“, es sei denn, ihn träfe an diesem Zustand kein Verschulden. Wird der VN nach § 827 S. 2 BGB auf Schadensersatz in Anspruch genommen, ist der VR somit zur Deckung verpflichtet. Der Ausschluss gem. § 103 greift nicht ein.108 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Grundsätze der actio libera in causa zum Tragen kommen, der VN sich also vor der Tat vorsätzlich (im Rechtssinn) in den Zustand der Willensunfreiheit gesetzt hat, um dem Opfer Schäden zuzufügen.109 Nimmt der Geschädigte den VN gem. § 829 BGB auf Schadensersatz in Anspruch, greift 48 § 103 ebenfalls nicht ein, da für den Ausschluss nach § 103 Vorsatz im natürlichen Sinne nicht genügt (zur Bedeutung der Haftpflichtversicherung im Rahmen des § 829 BGB vgl. Vor §§ 100– 112 Rn. 72 ff.). Unter den Voraussetzungen des § 832 BGB kommt eine Haftung der Aufsichtspflichtigen in Betracht. Eine bloße Minderung der Willenskraft führt nicht zum Ausschluss der Verantwortlich49 keit. Sie ist aber bei der Feststellung des Vorsatzes sowohl auf der Ebene der Haftungsbegründung als auch hinsichtlich des Schadensfolgen zu berücksichtigen und somit auch von Bedeutung für § 103.110 Gleiches gilt bei krankhafter Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen eines Handelns oder der Unfähigkeit zu vernünftigen Überlegungen.111 In allen diesen Fällen stellt sich die Frage, ob dem VN die erforderliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit für die Annahme auch nur bedingten Vorsatzes, bezogen auch auf die Schadensfolgen, fehlt.112 Betroffen ist vor allem der Bereich der Trunkenheit (Rn. 51).113

105 BGH 9.11.2005 – IV ZR 146/04, RuS 2006 99, 100 = NJW 2006 292, 294; OLG München 11.3.2020 – 10 U 2150/ 18, NJW-RR 2020 921. 106 Staudinger/Oechsler (2018) § 827 Rn. 4; MüKo-BGB/Wagner § 827 Rn. 4. 107 Allg. M., vgl. BGH 20.6.1990 – IV ZR 298/89, BGHZ 111 372, 374 f. = NJW 1990 2387, 2388; OLG München 11.3.2020 – 10 U 2150/18, NJW-RR 2020 921; LG Dortmund 22.10.2015 – 2 O 203/13, RuS 2016 126, 128; Staudinger/ Oechsler (2018) § 827 Rn. 25; MüKo-BGB/Wagner § 827 Rn. 5; Felsch RuS 2010 265, 273; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 15. 108 LG Dortmund 22.10.2015 – 2 O 203/13, RuS 2016 126, 128. 109 LG Dortmund 22.10.2015 – 2 O 203/13, RuS 2016 126, 128; MüKo-BGB/Wagner § 827 Rn. 10; Palandt/Sprau § 827 Rn. 2; Staudinger/Caspers (2019) § 276 Rn. 106; vgl. auch zu § 61 a. F. BGH 22.2.1989 – Iva ZR 274/87, RuS 1989 349, 350; OLG Hamm 31.5.2000 – 20 U 231/99, RuS 2001 55, 56; OLG Oldenburg 16.8.1995 – 2 U 103/95, VersR 1996 1270, 1271. 110 Vgl. OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594. 111 RG 22.2.1924 – III 259/23, RGZ 108 86, 90; BGH 5.7.1965 II ZR 192/63, VersR 1965 949, 950; BGH 25.4.1966 – II ZR 148/64, VersR 1966 579; BGH 25.1.1977 – VI ZR 166/74, VersR 1977 430, 431; BAG 28.2.1979 – 5 AZR 611/77, NJW 1979 2326; ebenso BGH 9.11.2005 – IV ZR 146/04, NJW 2006 292, 293 = VersR 2006 108, 109; OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594. 112 Vgl. BGH 17.6.1998 – IV ZR 163/97, RuS 1998 367, 368 = VersR 1998 1011; OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237, 240: Affektstarre mit kurzzeitiger Handlungsunfähigkeit; OLG Hamm 18.8.2000 – 20 U 26/00, NVersZ 2001 134, 136 = RuS 2001 145, 147; OLG Düsseldorf 25.5.1999 – 4 U 84/98, NVersZ 2000 97, 98 = VersR 2000 447, 448: Insbesondere wenn der VN stark unter Alkoholeinfluss steht, ist nicht in jedem Fall die billigende Inkaufnahme aller eingetretenen Verletzungsfolgen anzunehmen. 113 Nach Ansicht des OLG München 11.3.2020 – 10 U 2150/18, NJW-RR 2020 921 f. lässt ein Selbstmord mit einem BAK von knapp 2 ‰ nicht den Schluss auf einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit des VN zur Tatzeit zu. Koch

222

C. Vorsätzliche Schadensherbeiführung

VVG § 103

2. § 828 BGB Kinder, die das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet haben, haften gem. § 828 Abs. 1 BGB – 50 abgesehen von dem Ausnahmefall des § 829 BGB – grundsätzlich nicht.114 Jugendliche im Alter von sieben bis 18 Jahren haften dagegen nach § 828 Abs. 2 S. 2 BGB für die vorsätzliche Herbeiführung von Verletzungen. Hier kann der Ausschluss gem. § 103 zum Tragen kommen, soweit sich der Vorsatz auch auf die Schadensfolgen erstreckt. Voraussetzung für eine Haftung nach § 828 Abs. 2 S. 2 BGB ist jedoch, dass der Jugendliche zurechnungsfähig ist. Er muss gem. § 828 Abs. 3 BGB bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gehabt haben. Nur dann handelt er vorsätzlich im Rechtssinn. Ob der Jugendliche die erforderliche Einsicht hatte, entzieht sich einer generellen Bewertung. Wie die Kasuistik belegt,115 sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Nicht entscheidend ist hingegen das Alter.

3. Trunkenheit oder sonstige Berauschungszustände Trunkenheit oder sonstige Berauschungszustände können in Extremfällen die freie Willens- 51 betätigung (vorübergehend) ausschließen.116 Eine Haftung wegen Vorsatzes scheidet dann aus, soweit nicht ein Fall der actio libera in causa vorliegt (Rn. 47). Allerdings gibt es keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration die freie Willensbetätigung ausgeschlossen ist.117 Nach der Rechtsprechung ist die Blutalkoholkonzentration zudem nicht allein maßgeblich für das Vorliegen eines alkoholbedingten, die freie Willensbetätigung ausschließenden Zustandes krankhafter Störung der Geistestätigkeit i. S. v. § 827 BGB. Selbst bei hohen Alkoholisierungsgraden sollen im Einzelfall psychodiagnostische Beweisanzeichen der Annahme einer krankhaften Störung entgegenstehen.118 Der BGH hatte zunächst bei BAK-Werten von 2,26 ‰ bzw. 2,5 ‰ Zurechnungsfähigkeit verneint.119 In späteren Entscheidungen hat er die Anforderungen an die fehlende Zurechnungsfähigkeit jedoch verschärft und selbst bei BAK von über 2,5 ‰ die Zurechnung bejaht.120 Diese Tendenz lässt sich auch in der Rechtsprechung der Obergerichte beobachten, die selbst bei BAK-Werten von 3,00 ‰ und mehr Zurechnung bejahen.121 Aber auch nur eine eingeschränkte, den bedingten

114 Vgl. BGH 21.5.1963 – VI ZR 254/62, BGHZ 39 281, 284; RG 13.12.1934 – VI 340/34, RGZ 146 213, 245; ÖOGH 10.12.1987 – 7 Ob 55/87, VersR 1989 426 (Vorsatzverneinung bei sechsjährigem Kind).

115 OLG Schleswig 22.11.2007 – 16 U 9/07, RuS 2008 67 (Teilvorsatz eines Fünfzehnjährigen); AG Neuwied 23.11.1998 – 14 C 1267/98, RuS 1999 235, 236 (Vorsatz eines Vierzehnjährigen); OLG Koblenz 6.7.2007 – 10 U 1748/ 06, NJW-RR 2008 45, 46 und LG Saarbrücken 24.9.1999 – 13 AS 47/99, VersR 2000 882 (jeweils Vorsatz eines Dreizehnjährigen); OLG Düsseldorf 12.12.2000 – 4 U 46/00, VersR 2002 89, 90 = RuS 2001 500, 501 (Vorsatz eines Zwölfjährigen); LG Augsburg 26.5.1986 – 3 O 1672/86, zfs 1986 378 (Vorsatz eines Zwölfeinhalbjährigen); OLG Hamm 25.6.1980 – 20 U 76/78, VersR 1981 178, 179 (Vorsatz eines Elfjährigen); OLG Frankfurt 24.7.1997 – 15 U 143/96, VersR 1998 573, 575 (kein Vorsatz eines ca. zehnjährigen Kindes); LG Oldenburg 1.3.1996 – 2 S 1333/95, VersR 1996 1487, 1488 = NJW-RR 1997 92, 93 (Vorsatz eines Neunjährigen); AG Hannover 23.7.1996 – 534 C 6606/95, RuS 1997 12, 13 (Vorsatz eines achtjährigen Jungen). 116 MüKo-BGB/Wagner § 827 Rn. 8; Staudinger/Oechsler (2018) § 827 Rn. 12. 117 BGH 29.10.2008 – IV ZR 272/06, RuS 2010 16, 18; BGH 17.5.1965 – II ZR 48/63, VersR 1965 656; BGH 17.11.1966 – II ZR 156/64, VersR 1967 125, 126. 118 BGH 29.10.2008 – IV ZR 272/06, RuS 2010 16, 18. 119 BGH 4.11.1966 – VI ZR 41/65, VersR 1967 82, 83; BGH 17.11.1966 – II ZR 156/64, VersR 1967 125, 126. 120 BGH 17.6.1998 – IV ZR 163/97, RuS 1998 367, 368 = VersR 1998 1011 (BAK-Wert von 2,56 ‰); BGH 17.11.1966 – II ZR 156/64, VersR 1967 125 ff. (BAK-Wert von 2,66 ‰). 121 OLG Koblenz 19.8.2013 – 5 U 847/13, MDR 2013 1346 (BAK-Wert im Bereich von 4 ‰); OLG Hamm 15.6.2005 – 13 U 63/05, zfs 2006 75, 76 (BAK-Wert von 2,28 ‰); OLG Hamm 31.5.2000 – 20 U 231/99, NVersZ 2000 524, 525 223

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

Vorsatz ausschließende Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit wird nur in Ausnahmefällen angenommen.122

D. Zurechnung des Verhaltens Dritter 52 In der Haftpflichtversicherung gilt der Grundsatz, dass nur derjenige Interesseträger, der vorsätzlich i. S. v. § 103 handelt, seinen Versicherungsschutz verliert.123 Die Zurechnung des Verhaltens Dritter (Täter) bedarf deshalb wie auch sonst besonderer Rechtfertigung.

I. Mehrheit von VN 53 Bei einer Mehrheit von VN, die einen „einheitlichen“ Versicherungsvertrag abschließen (z. B. Bruchteilsgemeinschaft, Gesamthandsgemeinschaft), hat die Rechtsprechung in der Sachversicherung im Rahmen des § 61 a. F. eine wechselseitige Zurechnung mit der Begründung bejaht, die Versicherung sei auf ein einheitliches und gleichartiges Interesse aller Mitversicherten bezogen.124 Ob dieser Ansicht zu folgen ist,125 kann dahinstehen. Da es in der Haftpflichtversicherung an einem einheitlichen, gemeinschaftlichen Interesse der VN fehlt, käme eine Zurechnung mit der für den Bereich der Sachversicherung von der Rechtsprechung gegebenen Begründung

(BAK-Wert von 2,96 ‰); OLG Hamm 6.11.1996 – 20 U 28/96, RuS 1997 103, 104 (BAK-Wert von 2,3 bis 3,3 ‰); OLG Köln 24.1.1995 – 9 U 31/94, RuS 1995 406, 407 (BAK-Wert von 2,93 ‰); OLG Hamm 22.11.1991 – 20 U 141/91, VersR 1992 818 ff.; OLG Frankfurt/M. 14.4.1999 – 7 U 87/98, VersR 2000 883 (BAK-Wert von 3,00 ‰); OLG Köln 14.12.1977 – 2 U 67/77, VersR 1978 265, 266 = RuS 1978 99 (BAK-Wert von 2,4 ‰). 122 Vgl. OLG Nürnberg 7.6.2011 – 3 U 188/11, RuS 2012 65, 67: Vorsatz bejaht bei BAK zwischen 0,87 und 1,33 ‰ und Gamma-Hydroxybuttersäure (Iiquid ecstasy) in einer Konzentration von 70 μ Gramm/ml; OLG Hamm 15.6.2005 – 13 U 63/05, zfs 2006 75, 76: Vorsatz bejahend bei BAK von 2,28 ‰; OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/ 04, 289/05, NZV 2007 237; OLG Koblenz 12.8.2002 – 12 U 823/01, zfs 2003 68, 69 f.; OLG Hamm 6.2.2002 – 20 U 151/ 01, VersR 2002 1369, 1370 = RuS 2002 323, 324: Die Alkoholisierung mag den Zeugen enthemmt haben, darauf, daß er bei einem BAK-Wert von ca. 1 ‰ zur Tatzeit erheblich in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit gemindert war, deutet jedoch nichts hin; OLG Hamm 6.11.1996 – 20 U 28/96, RuS 1997 103, 104: Vorsatz unter Berücksichtigung der Art der Verletzungshandlung und der Persönlichkeit des VN verneint bei BAK von 2,3 bis 3,3 ‰; Hans. OLG Hamburg 23.10.1991 – 4 U 95/91, RuS 1993 174 = VersR 1992 1127: Vorsatz bejahend bei BAK von 2 ‰ zu Tatzeit; OLG Nürnberg 27.4.1989 – 8 U 4187/88, RuS 1989 275, 276 = VersR 1990 375: Vorsatz bei BAK von mind. 1,81 ‰ mit der Begründung verneint, dass sich der Kläger aufgrund der polizeilichen Verfolgung, des Unfalles während der Verfolgungsfahrt, der bevorstehenden polizeilichen Kontrolle und der Furcht vor dem Verlust der Fahrerlaubnis, auf die er beruflich angewiesen ist, in einem zwar selbst verschuldeten, aber doch erheblichen Erregungszustand, ferner unter ebensolchem Alkoholeinfluss befand; LG Koblenz 1.10.1987 – 3 S 269/86, RuS 1989 5: Hat der alkoholisierte VN den Unfall nicht durch eine einmalige, alkoholbedingte Fehlreaktion herbeigeführt, sondern hat er während einer Verfolgungsjagd das Fahrzeug des Geschädigten 10 bis 15mal von hinten angestoßen, bis dieser schließlich nach einem besonders starken Anprall die Herrschaft über sein Fahrzeug verlor und von der Straße abkam, so liegt eine bedingt vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles vor; OLG Frankfurt/M. 13.1.1977 – 1 U 63/76, RuS 1977 73: Wenn der VN gegen eine geschlossene Bahnschranke fährt, danach bei der Polizei die Selbstmordabsicht betont und etwa 14 Tage später tatsächlich Selbstmord begeht, ist von Vorsatz auszugehen. Depressive Zustände sowie eine BAK von 1,15 ‰ schließen die Möglichkeit einer freien Willensbestimmung nicht aus, solange der von Motiven gelenkte Wille noch Einfluss auf die Entscheidung des VN hat und sie insoweit verständlich macht. 123 Vgl. BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, NJW 1971 459 f. = VersR 1971 239. 124 Vgl. BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, NJW-RR 2006 460, 461; BGH 28.3.2001 – IV ZR 163/99, VersR 2001 713, 714 (betr. Miteigentum an versichertem Gebäude); BGH 24.1.1996 – IV ZR 270/94, NJW-RR 1996 665, 666 = RuS 1996 146; BGH 30.4.1991 – IV ZR 255/90, RuS 1992 240, 241 (Feuerversicherung); OLG Oldenburg 16.12.1998 – 2 U 221/98, RuS 1999 162; OLG Hamm 28.1.1987 – 20 U 238/86, VersR 1988 508 (Hausratversicherung); OLG Hamm 20.9.1989 – 20 U 272/88, VersR 1990 846, 847 (Kfz-Kasko). 125 Ablehnend z. B. Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 86; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 11. Koch

224

D. Zurechnung des Verhaltens Dritter

VVG § 103

nicht in Betracht. Allein das Interesse jedes Einzelnen an der Freistellung von Haftpflichtansprüchen genügt insoweit nicht.126 Eine Zurechnung findet nur in den Fällen statt, in denen der vorsätzlich handelnde Mitversicherungsnehmer zugleich Repräsentant eines anderen (hierzu sogleich Rn. 66 ff.) ist.127 In diesem Fall verlieren beide VN ihren Versicherungsschutz. Eine Ausnahme besteht in der Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, bei der § 51 Abs. 3 Nr. 5 BRAO es dem VR gestattet, Ersatzansprüche wegen Veruntreuung u. a. durch Sozien des Rechtsanwalts auszuschließen. Macht der VR hiervon Gebrauch, wirkt die wissentliche Pflichtverletzung eines Sozius zulasten aller Sozien und Scheinsozien.128

II. Versicherung für fremde Rechnung 1. Vorsätzliche Schadenszufügung durch versicherte Personen Im Falle der Fremdversicherung hat das Verhalten der versicherten Personen nach § 47 Abs. 1 54 dieselbe rechtliche Bedeutung wie das Verhalten des VN selbst. Damit ist gemeint, dass alle gesetzlichen Obliegenheiten und Risikoausschlüsse und somit auch § 103 für die versicherten Personen gelten. Entsprechend dem eingangs wiedergegebenen Grundsatz, dass jedenfalls derjenige, der vorsätzlich handelt, seinen Versicherungsschutz verliert, gilt, dass der VR nur gegenüber dem Versicherten leistungsfrei wird, der den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat.129 Der VR bleibt somit sowohl dem VN (im Rahmen der Eigenversicherung) als auch den anderen Versicherten (im Rahmen der Fremdversicherung) gegenüber zur Deckung verpflichtet. Etwas anderes gilt wiederum nur dann, wenn der vorsätzlich handelnde Versicherte als (Risiko-)Repräsentant des VN und/oder der anderen Versicherten anzusehen ist (Rn. 66).130 Von dem Grundsatz der Zurechnung des Verhaltens des (Risiko-)Repräsentanten macht die 55 Rechtsprechung eine Ausnahme in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Wird ein Unfall durch den Fahrer vorsätzlich herbeigeführt, bleibt der Versicherungsschutz des vom Fahrer personenverschiedenen VN auch dann unberührt, wenn an sich die Voraussetzungen eines Repräsentantenverhältnisses gegeben sind. Dies wird damit begründet, dass sich der VN in der Kfz-Haftpflichtversicherung gerade auch gegen solche Risiken absichern möchte, die aus der Überlassung des Fahrzeugs an einen Dritten entstehen.131 Deshalb könne das bloße Fahren des

126 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 22; Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 7; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 12; vgl. auch BGH 13.6.1957 – II ZR 35/57, BGHZ 24 378, 380 = VersR 1957 458 (bejaht für Obliegenheitsverletzungen, offengelassen für § 152 a. F. in der Kfz-Haftpflichtversicherung); OLG Düsseldorf 28.2.1984 – 4 U 173/83, VersR 1984 1060 (Abgrenzung und Zurechnungsunterschiede Kfz-Haftpflichtversicherung von Kfz-Kaskoversicherung). 127 BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, RuS 2007 273 = VersR 2007 673 zu § 61 a. F.; BGH 25.3.1992 – IV ZR 17/91, RuS 1992 265, 266 = VersR 1992 865; OLG München 8.8.2008 – 25 U 5188/07, VersR 2009 59, 61 = NJW-RR 2008 1560; OLG Nürnberg 14.9.2000 – 8 U 1855/00, RuS 2001 100 = VersR 2001 634; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 2; Knappmann VersR 1997 261, 262. 128 BGH 21.7.2011 − IV ZR 42/10, VersR 2011 1257 Rn. 10; vgl. auch Veith/Gräfe/Gebert/Gräfe/Brügge § 19 Rn. 789; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 84. 129 BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, NJW 1971 459, 461 = VersR 1971 239, 241; OLG Stuttgart 19.1.1990 – 2 U 306/88, NJW-RR 1990 527; ÖOGH 24.3.1983 – 7 OB 71/83, VersR 1984 1198, 1199; Looschelders VersR 2018 1413, 1415. 130 Vgl. BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, NJW 1971 459, 461 = VersR 1971 239; OLG Koblenz 13.1.2006 – 10 U 246/05, VersR 2007 787, 788; OLG Hamm 15.6.2005 – 13 U 63/05, RuS 2006 33, 34; OLG Schleswig 15.11.1994 – 9 U 85/93, VersR 1995 827; OLG Köln 1.7.1981 – 16 U 25/81, VersR 1982 383; OLG Hamm 28.9.1992 – 6 U 45/92, VersR 1993 1372, 1373 = NJW-RR 1993 1180, 1181. 131 BGH 20.5.1969 – IV ZR 616/68, NJW 1969 1387, 1388; BGH 13.6.1957 – II ZR 35/57, BGHZ 24 378, 380; OLG Köln 29.10.2002 – 9 U 93/00, RuS 2002 492, 493; OLG Nürnberg 14.9.2000 – 8 U 1855/00, NJW-RR 2001 100, 101 = RuS 225

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

versicherten Kfz durch eine dritte Person nicht als Repräsentation gewertet werden.132 Keine Zustimmung verdient die Entscheidung des OLG Hamm vom 19.3.2001, in der es für den Fall des Versicherungsbetrugs durch Unfallmanipulation allein die zeitweise Überlassung des Kfz für eine Zurechnung ausreichen lässt, weil in Haftpflichtfällen das Interesse des VR, nicht aufgrund von vorsätzlichen Taten Versicherungsleistungen zu erbringen, stärkere Beachtung als in der Sachversicherung verdiene.133 Die strengeren Anforderungen an eine Repräsentation müssten deshalb nicht vorliegen. Für eine unterschiedliche Bewertung der Interessenlage hinsichtlich des Schutzes vor Versicherungsbetrug auf Seiten des VR in der Sachversicherung und in der Haftpflichtversicherung besteht keinerlei Anlass.134 Abzulehnen ist die von Teilen der Literatur vertretene Ansicht, die dem VR einen Regress 56 gem. § 86 Abs. 1 S. 1 gegen die mit Schadenszufügungsabsicht handelnde versicherte Person verwehren will, wenn bei einer kombinierten Eigen- und Fremdversicherung (z. B. Privatoder Betriebshaftpflichtversicherung) der lediglich fahrlässig handelnde VN und die versicherte Person gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen werden und der VR den Schaden reguliert.135 Der VR ist sowohl gegenüber dem VN als auch den versicherten Personen nur im Rahmen der von ihm übernommenen Gefahr zur Leistung verpflichtet. Die von den Vertretern dieser Ansicht gegebene Begründung, zwar sei ein nach § 86 Abs. 1 S. 1 übergangsfähiger Anspruch gemäß §§ 840, 426 BGB aus dem Gesamtschuldverhältnis gegeben, jedoch sei der Mitversicherte nicht Dritter, da Dritter nur eine außerhalb des Vertragsverhältnisses stehende Person sein könne, greift zu kurz.136 Dritter i. S. d. § 86 Abs. 1 S. 1 ist jeder, dessen Interesse nicht mitversichert ist. Dazu zählen in der kombinierten Eigen- und Fremdversicherung sowohl VN als auch die versicherten Personen, soweit sie den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben. Deren Interesse, nicht mit einer Haftpflichtverbindlichkeit belastet zu werden, die aus einer mit Schädigungsabsicht begangenen Handlung resultiert, ist infolge von § 103 nicht versichert und wäre im Übrigen auch nicht versicherbar (Vor §§ 100–112 Rn. 55). Versagte man dem VR den Regressanspruch gegen die versicherte Person, würde die gesamtschuldnerisch mit dem VN haftende versicherte Person keinen Schadensersatz zu leisten haben, was sich mit wesentlichen Grundsätzen des materiellen Rechts (§ 138 Abs. 1 BGB)(vgl. auch Rn. 11) nicht vereinbaren ließe.

2. Vorsätzliche Schadenszufügung durch den VN 57 a) Freiwillige Haftpflichtversicherung. Fraglich ist, ob der VR dem Versicherten (im Rahmen der Fremdversicherung) gegenüber zur Deckung verpflichtet ist, wenn nur der VN den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat (ohne Repräsentant des Versicherten zu sein). Es geht dabei um die eher seltenen Fälle, in denen der VN und die versicherten Personen gemeinsam einen Schaden herbeiführen, die Voraussetzungen des § 103 jedoch nur in der Person des VN vorliegen. Rechtsprechung zu dieser Problematik existiert – soweit ersichtlich – nicht. Die Urteile befassen sich nur mit der zuvor behandelten Problematik der vorsätzlichen Schadensherbeiführung durch den Versicherten und den Auswirkungen auf den Eigenversicherungsschutz 2001 100 = zfs 2000 542 m. Anm. Rixecker; OLG Köln 30.5.2000 – 9 U 130/99, NJW-RR 2000 1476; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 77; Beckmann/Matusche-Beckmann/Heß/Höke § 29 Rn. 55; Stiefel/Maier/ Maier AKB 2015 Rn. 59. 132 BGH 20.5.1969 – IV ZR 616/68, NJW 1969 1387, 1388; OLG Köln 29.10.2002 – 9 U 93/00, RuS 2002 492, 493; OLG Nürnberg 14.9.2000 – 8 U 1855/00, NJW-RR 2001 100, 101; OLG Köln 30.5.2000 – 9 U 130/99, NJW-RR 2000 1476; Prölss/Martin/Knappmann AKB 2008 E.1 Rn. 28; zw. Langheid NVersZ 2000 463, 464. 133 OLG Hamm 19.3.2001 – 13 U 164/00, VersR 2002 700, 701 = RuS 2002 9, 10 unter Bezugnahme auf Dannert NZV 1993 13, 16. 134 Das Urteil des OLG Hamm zu Recht ablehnend daher auch Langheid/Wandt/Wandt § 28 Rn. 144 f., 44. 135 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 103 Rn. 10; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 73; wie hier i. E. R. Johannsen RuS 2000 133, 135; Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 31. 136 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 103 Rn. 10; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 73. Koch

226

D. Zurechnung des Verhaltens Dritter

VVG § 103

des VN. Die Literatur spricht sich überwiegend dafür aus, im Falle der vorsätzlichen Herbeiführung des Schadens durch den VN dem Versicherten den Fremdversicherungsschutz zu versagen.137 Zuweilen wird unter Berufung auf das Urteil des BGH vom 15.12.1970138 die gegenteilige Ansicht vertreten.139 In dieser Entscheidung hatte der BGH über die Frage, welche Auswirkungen die vorsätzliche Schadensherbeiführung durch den VN auf den Fremdversicherungsschutz hat, freilich gar nicht zu entscheiden, weil es nur um die Auswirkungen der vorsätzlichen Schadensherbeiführung durch den Versicherten auf den Eigenversicherungsschutz des VN ging.140 Für die h. Lit. spricht die Rechtsprechung des BGH zur Zurechnung von Obliegenheitsverlet- 58 zungen. In seinem Urteil vom 14.12.1967 hat der BGH unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 28.1.1958 festgestellt, dass in der Kfz-Haftpflichtversicherung die Verletzung von Obliegenheiten durch den VN, die vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllen sind (Verwendungsklausel, vgl. D.1.1.1 AKB 2015), den VR von seiner Leistungspflicht auch gegenüber einem berechtigten Fahrer befreie, der die vertragswidrige Verwendung des Kfz nicht verschuldet habe.141 In der Begründung der Entscheidung aus dem Jahre 1958 heißt es, die Antwort auf die Frage, ob der Verstoß des VN auch den selbständigen Anspruch des mitversicherten Fahrers zu Fall bringen könne, sei in dem Wesen der Kfz-Haftpflichtversicherung und dem Sinn der Verwendungsklausel zu finden. Ändere der VN den Verwendungszweck des versicherten Kfz, so werde der vertragliche Rahmen des Risikos, das der VR übernommen habe, überschritten und damit ein wesentliches und schutzwürdiges Interesse des VR betroffen. In einem solchen Fall bestimme die vom VN verletzte Obliegenheit auch den Rahmen für das geschützte Fremdinteresse des mitversicherten Fahrers. Daran, dass die vorsätzliche Schadensherbeiführung durch den VN den vertraglichen Rah- 59 men der vom VR übernommenen Gefahr überschreitet, kann kein Zweifel bestehen. Wertungsmäßig wiegt die vorsätzliche Schadensherbeiführung als schwerster denkbarer Vertragsverstoß sogar schwerer als die vor Eintritt des Versicherungsfalls begangene Obliegenheitsverletzung. Es ist deshalb nur konsequent, dem Versicherten den Fremdversicherungsschutz zu versagen, wenn der VN den Schaden vorsätzlich herbeiführt.142

b) Obligatorische Haftpflichtversicherung. Fraglich ist, ob Vorstehendes auch für den Be- 60 reich der obligatorischen Haftpflichtversicherung gilt. Nach § 123 Abs. 1 kann der VR eine gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit einem Versicherten, der im Rahmen der Fremdversicherung zur selbstständigen Geltendmachung seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrag befugt ist, nur dann entgegenhalten, wenn die der Leistungsfreiheit zugrunde liegenden Umstände in der Person dieses Versicherten vorliegen oder ihm diese Umstände bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt waren. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu:143 „Die bisherige Regelung [§ 158i] gewährt dem Mitversicherten einer Pflichtversicherung Versicherungsschutz, wenn der VR wegen einer vom Mitversicherten nicht zu vertretenden und diesem nicht bekannten Rechts- oder Obliegenheitsverletzung dem VN gegenüber leistungsfrei, dem geschädigten Dritten gegenüber aber leistungspflichtig ist …“ [Hervorhebung durch Verfasser].

137 Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 17; Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 85; Wandt/Langheid/Halbach § 81 Rn. 95. BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, NJW 1971 459, 461 = VersR 1971 239, 241. Z. B. Späte § 4 Rn. 207; Littbarski AHB § 4 Rn. 382. So zutreffend der Hinweis von Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V1 Anm. G 86. BGH 14.12.1967 – II ZR 169/65, BGHZ 49 130, 134 = NJW 1968 447; BGH 28.1.1958 – VIII ZR 420/56, BGHZ 26 282, 287 ff. = NJW 1958 548, 549. 142 Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 2; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V1 Anm. G 86; Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 10. 143 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 90.

138 139 140 141

227

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

Nach dieser Begründung ist der Anwendungsbereich von § 123 Abs. 1 auf Rechts- und Obliegenheitsverletzungen des VN beschränkt. Dagegen haben R. Johannsen und Baumann zu der mit § 123 identischen Vorgängernorm des § 158i a. F. die Ansicht vertreten, dass diese Vorschrift auch im Falle des § 152 a. F. gelte.144 Brand vertritt diese Ansicht für § 123 Abs. 1 ausdrücklich auch in Bezug auf § 103,145 ohne auf die Gesetzesbegründung einzugehen. Huber vertritt ebenfalls diese Ansicht146 und bezieht sich dabei auf Schwartze, der zwar davon spricht, dass die Gründe, aus denen der VR den VN im Innenverhältnis gegenüber leistungsfrei ist, unerheblich seien, aber in seiner weiteren Erläuterung nur Obliegenheits- und Rechtsverletzungen als Beispiele nennt.147 Für deren Ansicht lässt sich anführen, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 158i a. F. nicht nur den Schutz des Opfers, sondern auch die soziale Risikoabsicherung des gesetzlich Mitversicherten bezweckt hat,148 was einen weiten Anwendungsbereich nahelegt, der die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens i. S. v. § 103 mit umfasst. Dass der Reformgesetzgeber § 123 enger verstanden hat oder haben wollte, ist nicht ersichtlich, so dass der Gesetzesbegründung nicht zu viel Gewicht beigemessen werden kann. 61 § 123 dürfte vornehmlich in der obligatorischen Berufshaftpflichtversicherung von Bedeutung sein, da in der Kfz-Haftpflichtversicherung kaum Anwendungsfälle vorstellbar sind, in denen der VN und die versicherten Personen gemeinsam einen Schaden herbeiführen, die Voraussetzungen des § 103 jedoch nur in der Person des VN vorliegen. In der Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte lässt § 51 Abs. 3 Nr. 5 BRAO eine von § 123 Abs. 1 abweichende vertragliche Regelung ausdrücklich zu.149

III. Gesellschaften als VN 1. Vorsätzlich Schadenszufügung durch Organmitglieder 62 a) Juristische Personen. Juristische Personen können selbst nicht handeln und somit auch nicht selbst vorsätzlich Dritten einen Schaden zufügen. Handelt es sich bei dem Interesseträger (VN/versicherte Person) um eine juristische Person, kann der Ausschluss gem. § 103 folglich nur dann zum Tragen kommen, wenn der Schaden durch eine natürliche Person herbeigeführt worden ist, deren Verhalten als Handlung der juristischen Person gilt. Letzteres ist analog § 31 BGB zu bejahen, wenn es sich bei dem Handelnden um ein Organmitglied handelt.150 Eine direkte Anwendung scheidet aus, da § 31 BGB sich auf Schadensersatzpflichten bezieht. Umstritten ist, ob Voraussetzung für die Zurechnung der Schadenszufügung ist, dass das 63 Organ „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“, also in amtlicher Eigenschaft gehandelt hat, wie es § 31 BGB vorsieht. Das RG hat eine solche Einschränkung der Zurechnung im Versicherungsrecht in Bezug auf Obliegenheitsverletzungen als unbeachtlich angesehen.151 Hiergegen wendet Looschelders ein, dass Gründe für eine solche Haftungsverschärfung zulasten des VN nicht ersichtlich seien.152 Unangemessene Ergebnisse ließen sich durch eine sachgemäße Auslegung des Merkmals „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“ vermeiden. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 86; Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 4. Langheid/Wandt/Brand § 123 Rn. 8; Langheid/Rixecker/Langheid § 123 Rn. 7 („gleich aus welchem Grunde“). Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber § 123 Rn. 4. Looschelders/Pohlmann/Schwartze § 123 Rn. 3. BTDrucks. 11/6341 S. 36. BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, NJW 2011 3718 Rn. 20 ff. = VersR 2011 1257. RG 4.6.1907 – VII 379/06, RGZ 66 181, 184; OLG Saarbrücken 11.12.2002 – 5 U 17/00, RuS 2003 101, 104; OLG Köln 7.6.1994 – 9 U 70/94, VersR 1995 205; OLG Koblenz 25.6.1993 – 10 U 1274/92, VersR 1994 715, 716; OLG Karlsruhe 15.10.1981 – 12 U 23/81, VersR 1982 1189, 1190; vgl. auch BGH 9.7.1954 – 1 StR 677/53, NJW 1954 1576, 1577 (Strafsache). 151 RG 4.6.1907 – VII 379/06, RGZ 66 181, 184; zustimmend Bruck/Möller/Möller8 § 61 Anm. 61. 152 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 16; s. a. Langheid/Wandt/Halbach § 81 Rn. 99.

144 145 146 147 148 149 150

Koch

228

D. Zurechnung des Verhaltens Dritter

VVG § 103

Die Zurechnung sei erst dann ausgeschlossen, wenn das Handeln des Organs so weit außerhalb seines Aufgabenbereichs liege, dass ein innerer Zusammenhang mit den ihm obliegenden Verrichtungen nicht mehr erkennbar sei. Baumann will eine Ausnahme von der Einschränkung ebenfalls nicht anerkennen.153 Insbesondere könne die Zurechnung nicht mit der Erwägung verneint werden, das Organ habe nicht in amtlicher Eigenschaft gehandelt, weil der Schaden von einem Nichtorgan in gleicher Weise hätte verursacht werden können. Diese Gegenargumente überzeugen – jedenfalls für den Bereich der Haftpflichtversicherung – nicht. Eine Deckungsverschärfung zulasten des VN findet nicht statt, weil die Einschränkung auf haftungsrechtlicher Ebene ja nach wie vor zugunsten des VN zum Tragen kommt. Hat das Organmitglied nicht in amtlicher Eigenschaft gehandelt, muss sich die VN sein vorsätzliches Handeln nicht zurechnen und haftet deshalb gegenüber dem Geschädigten nicht. Insoweit geht es in erster Linie um Abwehrschutz. Den kann der VR selbst dann nicht versagen, wenn der Dritte das Unternehmen wegen einer vorsätzlichen Schadensherbeiführung durch ein Organmitglied auf Ersatz in Anspruch nimmt (§ 100 Rn. 45).

b) Rechtsfähige Personengesellschaften. Ist Interesseträger eine rechtsfähige Personenge- 64 sellschaft i. S. d. § 14 Abs. 2 BGB (z. B. oHG, KG, Außen-GbR, Partnerschaft), kommt es wiederum entsprechend § 31 BGB auf die vorsätzliche Schadensherbeiführung durch einen vertretungsberechtigten Gesellschafter an.154 c) Nicht eingetragene Vereine und Vorgesellschaften juristischer Personen. Auf die Or- 65 gane nicht eingetragener Vereine i. S. v. § 54 BGB155 und von Vorgesellschaften juristischer Personen156 findet § 31 BGB entsprechende Anwendung, so dass die vorstehenden Ausführungen auch hier gelten.157

2. Vorsätzliche Schadenszufügung durch Mitarbeiter des VN a) Haftung für Repräsentanten. Führen Mitarbeiter unterhalb der Organebene den Schaden 66 vorsätzlich herbei, beurteilt sich die Zurechnung im Rahmen der Eigenversicherung nach den mittlerweile zu Gewohnheitsrecht erstarkten Grundsätzen der Repräsentantenhaftung.158 Die Repräsentantenhaftung knüpft entweder an die Risikoverwaltung oder die Vertragsverwaltung des Dritten an. Erstere ist dadurch gekennzeichnet, dass der VN einen Dritten in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder vertretungsähnlichen Verhältnisses an seine Stelle treten lässt.159 Der VN überträgt dem Dritten die Rolle in Bezug 153 Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 91. 154 Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 92; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 74; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 17; Langheid/Wandt/Halbach § 81 Rn. 100; s. auch BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, VersR 2008 634 für Kfz-Kaskoversicherung einer KG unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung (BGH 24.1.1990 – IV ZR 270/88, VersR 1990 380, 381; BGH 9.3.1964 – II ZR 216/61, WM 1964 592), wonach die vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Handelsgesellschaft im Rahmen eines von dieser geschlossenen Versicherungsvertrages als VN anzusehen seien. 155 Palandt/Ellenberger § 31 Rn. 3 und § 54 Rn. 6, 12. 156 OLG Stuttgart 2.11.1988 – 2 W 5/88, NJW-RR 1989 637, 638; Palandt/Ellenberger § 31 Rn. 3. 157 Vgl. auch Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 94. 158 Zum Streit über die gewohnheitsrechtliche Anerkennung s. Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 110; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 77 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 35 m. w. N. 159 BGH 14.5.2003 – IV ZR 166/02, NJW-RR 2003 1250, 1251; BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230; BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 253 = VersR 1993 828; BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 230, 231. 229

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

auf das versicherte Risiko, die er eigentlich selbst spielen müsste.160 Ob das der Fall ist, lässt sich nur aufgrund einer Würdigung der Gesamtumstände feststellen. Die Rechtsprechung stellt maßgeblich darauf ab, ob der Dritte befugt ist, selbständig und in nicht ganz unbedeutendem Umfang für den VN zu handeln. Nicht erforderlich ist, dass der Dritte auch Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag wahrzunehmen hat.161 Die Vertragsverwaltung ist dadurch gekennzeichnet, dass der VN einen Dritten damit betraut, für ihn Rechte und Pflichten/Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag wahrzunehmen, zu beachten oder zu erfüllen. Der Dritte wird dabei erst dann zum Repräsentanten, wenn seine Aufgabe so umfassend ist, dass er an die Stelle des VN tritt. Einzelne begrenzte Aufgaben, etwa die Erstattung einer konkreten Schadensmeldung, lassen den Beauftragten noch nicht zum vertragsverwaltenden Repräsentanten werden.162 Voraussetzung für die Zurechnung ist, dass die schuldhafte Handlung des Repräsentanten in 67 einem inneren Zusammenhang mit den übernommenen Aufgaben steht.163 Überträgt ein VN dem Dritten die selbständige Wahrnehmung seiner Befugnisse nur in einem bestimmten abgrenzbaren Geschäftsbereich, ist die Zurechnung darauf beschränkt und kann nicht auf andere Tätigkeitsbereiche ausgedehnt werden.164 Eine solche auf einen bestimmten Bereich bezogene Repräsentantenstellung kommt insb. bei Geschäfts- und Betriebsversicherungen in Betracht.165 Der innere Zusammenhang wird nicht dadurch unterbrochen, dass der Repräsentant sich eigenmächtig verhält und gegen die Interessen des VN verstößt (Repräsentantenexzess). Solange der Repräsentant auf der Grundlage der ihm vom VN eingeräumten Möglichkeiten handelt, muss sich der VN dies zurechnen lassen.166 Der VN muss sich deshalb auch die vorsätzliche Herbeiführung von Schäden zurechnen lassen.167 Soweit die Gegenansicht argumentiert, nach Sinn und Zweck des § 81 solle einem Versicherungsbetrug vorgebeugt werden, was nicht der Fall sei, wenn der Repräsentant den VN schädige, trägt dieses Argument in der Haftpflichtversicherung nicht. 68 Die von der Rechtsprechung zur Bestimmung des (Risiko-/Vertrags-)Repräsentanten maßgeblichen Eigenschaften lassen den „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ i. S. v. § 31 BGB stets als Repräsentant des VN erscheinen, was Anlass zur der Frage gibt, warum man nicht zumindest in der Haftpflichtversicherung auch für diesen Personenkreis anstelle der Grundsätze der Repräsentantenhaftung auf § 31 BGB zurückgreift.168 Insoweit ist der Hinweis geboten, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter ebenfalls keine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht besitzen muss. Es genügt vielmehr, wenn ihm „durch allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, für die Gesellschaft wesensmäßige Funktionen zur selbstständigen, eigenver160 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch § 28 Rn. 103. 161 BGH 14.5.2003 – IV ZR 166/02, NJW-RR 2003 1250, 1251; BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230; BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 253 = VersR 1993 828; BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 230, 231. 162 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch § 28 Rn. 107. 163 BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, BGHZ 171 304 Rn. 8 f. = VersR 2007 673= NJW 2007 2038 m. Anm. Staudinger; BGH 19.3.1986 – IVa ZR 182/84, VersR 1986 541, 542 = NJW-RR 1986 767; OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 338/94 RuS 1995 402 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch § 28 Rn. 122. 164 BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, BGHZ 171 304 Rn. 8 f. = VersR 2007 673= NJW 2007 2038 m. Anm. Staudinger. 165 BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, BGHZ 171 304 Rn. 8 f. = VersR 2007 673= NJW 2007 2038 m. Anm. Staudinger; BGH 25.3.1992 – IV ZR 17/91, NJW-RR 1992 921, 922 = VersR 1992 865; BGH 14.4.1971 – IV ZR 17/70, VersR 1971 538, 539. 166 BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, BGHZ 171 304 Rn. 8 = VersR 2007 673= NJW 2007 2038 m. Anm. Staudinger (beschränkt auf Risikoverwaltung); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch § 28 Rn. 112; Knappmann VersR 1997 261, 263 m. w. N. in Fn 26; a. A. OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 338/94, RuS 1995 402 f. 167 Vgl. BGH 20.5.1981 – IVa ZR 86/80, VersR 1981 822, 823; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch § 28 Rn. 110; Bruck/Möller/K. Johannsen/R. Johannsen8 Bd. III Anm. G 51; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 46; Knappman VersR 1997 261, 263; E. Lorenz VersR 2000 2, 6 mit Fn. 20; einschränkend Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 92; a. A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 53; Looschelders VersR 1999 666, 673; Winter FS E. Lorenz 723, 727 ff. 168 Vgl. Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 106 ff. Koch

230

D. Zurechnung des Verhaltens Dritter

VVG § 103

antwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass er die Gesellschaft im Rechtsverkehr repräsentiert… Sogar das unerlaubte Handeln eines bloßen Sachbearbeiters ist der Gesellschaft zuzurechnen, falls jenem eine wichtige Angelegenheit zur eigenverantwortlichen Erledigung übertragen worden ist.“169 Eine Weisungsgebundenheit im Innenverhältnis schadet nicht, sofern der Vertreter nach außen selbstständig auftritt.170 Im Rahmen der Privat- und Betriebshaftpflichtversicherung dürften all diejenigen, auf 69 die der VN eine ihn treffende Rücksichtspflicht i. S.v § 241 Abs. 2 BGB, eine Verkehrssicherungspflicht oder eine Organisationpflicht i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB übertragen hat, als (Risiko-)Repräsentant anzusehen sein. Im Rahmen der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung finden nach Ansicht des BGH die Grundsätze der Repräsentantenhaftung keine Anwendung, weil Pflichten des VN bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit nur von ihm selbst oder von solchen Hilfspersonen verletzt werden könnten, für die er gemäß § 278 S. 1 BGB oder § 831 BGB einzustehen habe. Der VN könne seine berufliche Tätigkeit nicht vollständig auf einen anderen Berufsträger, etwa einen Sozius, übertragen.171 Diese Argumentation trifft aber nicht auf alle Berufsgruppen zu, die eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung abschließen; sie lässt sich nur auf Freiberufler i. S. v. § 1 Abs. 2 PartGG übertragen, nicht hingegen auf WEG-Verwalter172 oder Unternehmensberater. Bei Anwalts-GbR und Partnerschaftsgesellschaften gestattet §§ 51a Abs. 1, 50 Abs. 3 Nr. 5 BRAO es dem Berufshaftpflicht-VR für Rechtsanwälte im Übrigen ausdrücklich, die Haftung für Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal auszuschließen, so dass kein Bedürfnis für eine Zurechnung fremden Verschuldens nach den Grundsätzen der Repräsentanz besteht.173

b) Beispiele.174 Die Rechtsprechung hat die Repräsentanteneigenschaft desjenigen bejaht, der 70 die laufenden Geschäfte in dem Unternehmen des VN selbständig führt oder faktisch Inhaber eines Betriebes ist, der nur formal die Unternehmensführung dem VN übertragen hat.175 Ob ein Betriebsleiter die Verantwortung für das versicherte Risiko vollständig übernommen hat, hängt von den Einzelheiten seiner Tätigkeit und davon ab, ob der VN bereit und in der Lage ist, jederzeit einzugreifen und ob er Kontrollmaßnahmen zur Überwachung des Betriebsleiters veranlasst hat, die dem VN ein Eingreifen ermöglichen.176 Bejaht worden ist die Repräsentantenstellung eines Baustellenleiters,177 eines technischen Betriebsleiters, der mit der Planung und Durchführung des Einsatzes der Tankwagen und mit der Überwachung der Fahrzeiten der einzelnen Fahrer betraut gewesen ist,178 eines Prokuristen179 sowie des beauf-

169 Vgl. BGH 3.5.2007 – IX ZR 218/05, NJW 2007 2490, 2491; BGH 10.2.2005 – III ZR 258/04, NJW-RR 2005 756, 758; BGH 5.3.1998 – III ZR 183/96, NJW 1998 1854, 1856; BGH 21.9.1971 – VI ZR 122/70, NJW 1972 334; BGH 30.10.1967 – VII ZR 82/65, BGHZ 49 19, 21 = NJW 1968 391; RG 14.3.1939 – III 128/37, RGZ 162 129, 166 ff. 170 BGH 12.7.1977 – VI ZR 159/75, NJW 1977 2259, 2260. 171 BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, RuS 2011 430 Rn. 30. 172 LG Wiesbaden 24.11.2017 – 8 O 88/17, RuS 2018 136. 173 Vgl. BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257 Rn. 22. 174 Die nachfolgenden Beispiele umfassen nicht nur Fälle des § 103/§ 152 a. F., sondern auch Urteile zur Repräsentation bei der Verletzung von Obliegenheiten. 175 OLG Koblenz 16.10.2003 – 10 U 1117/02, VersR 2004 642; OLG Köln 21.2.1995 – 9 U 108/94, VersR 1996 94. 176 BGH 25.3.1992 – IV ZR 17/91, VersR 1992 865, 866. 177 OLG Hamm 16.6.1999 – 20 U 92/98, VersR 2000 1104, 1105; OLG Celle 18.3.1999 – 8 U 48/98, VersR 2001 453, 454. 178 OLG Hamm 9.6.1976 – 20 U 284/75, VersR 1978 221, 222; vgl. auch BGH 15.11.1965 – II ZR 73/63, VersR 1966 131, 132. 179 Vgl. BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, RuS 1996 385, 386 = VersR 1996 1229, 1230 f.; Hans. OLG Hamburg 17.3.1988 – 6 U 8/88, VersR 1988 1147. 231

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

tragten Fahrers, dem die Sorge für das Kfz und seine Verkehrssicherheit vollständig überantwortet ist.180 71 Verneint hat der BGH dagegen die Repräsentantenstellung des Fahrers, dem das Kfz nur zur Nutzung überlassen worden ist (Rn. 55). Ebenfalls verneint hat der BGH die Repräsentantenstellung des Betriebsleiters der Abfüll- und Kennzeichnungsanlage eines Mineralöllagers, weil diesem aufgrund der vom VN angebrachten besonderen technischen Kontrollen kein großer eigener Spielraum zukomme. In jenem Fall hatte der VR in einem Versicherungsschein über die Haftpflichtversicherung des Betreibers eines Mineralöllagers den Nachtrag aufgenommen, dass Haftpflichtansprüche wegen Schäden durch nicht ordnungsgemäße Einfärbung von Mineralölen mitversichert seien. Der BGH stellte fest, dass der VR auch für Steuerschäden einzustehen habe, die dadurch verursacht worden seien, dass der Betriebsleiter die Abfüll- und Kennzeichnungsanlage manipuliert und infolgedessen ungekennzeichnetes Gasöl, das als ordnungsgemäß gefärbtes, steuerbegünstigtes Heizöl ausgewiesen gewesen war, als Dieselkraftstoff abgegeben habe. Dass dem Betriebsleiter die Aufgabe übertragen war, die Anlage auf ihre Funktionstauglichkeit zu überwachen, gab ihm nach Ansicht des BGH noch keine Vertrauensstellung, die es rechtfertigte anzunehmen, ihm sei die Verantwortung über das Risiko der richtigen Kennzeichnung in vollem Umfang übertragen worden.181 72 Verneint hat die Rechtsprechung auch die Repräsentanteneigenschaft des Poliers.182 Dieser sei auf einer Baustelle nur einer von mehreren Fachkräften, die für den Bauunternehmer tätig seien und durch die dieser die Bauleistungen erbringen lasse. Er trage zwar in seinem Arbeitsbereich eine gewisse Verantwortung, weil er die ihm unterstellten Arbeiter einteile, bei ihrer Tätigkeit anleite und überwachen müsse. Er sei aber auch in dem ihm anvertrauten Teil der Baustelle nicht Vertreter des Bauunternehmers. Er sei dem Bauleiter unterstellt. Sein Entscheidungsspielraum sei auf seinen unmittelbaren Einsatzbereich beschränkt. Ebenfalls nicht als Repräsentant des Bauunternehmers anzusehen ist ein Schachtmeister.183 Dessen Tätigkeit beschränke sich auf die handwerklich/technische Abwicklung des konkreten Bauvorhabens. Zwar habe er gegenüber anderen Bauarbeitern eine herausgehobene Stellung inne, im Übrigen unterstehe er jedoch den Weisungen des allein verantwortlichen Bauleiters. Arbeiter des VN, die bei Dritten Parkettschleifarbeiten vornehmen, sind keine Repräsentanten des VN.184 Die angestellte Kellnerin ist keine Repräsentantin des Gastwirts,185 ebenso wenig weisungsgebundene Mitarbeiter eines WEG-Verwalters186 oder der den Unfallflug steuernde Pilot und der am Unfalltag eingesetzte Fallschirmsprungleiter.187

3. Vorsätzliche Schadenszufügung durch Gesellschafter juristischer Personen und nicht zur Geschäftsführung berechtigte Personengesellschafter 73 Haftet die juristische Person oder die Personengesellschaft (VN) gegenüber Dritten für das vorsätzlichen Verhalten ihrer nicht zur Geschäftsführung befugten Gesellschafter, muss sich die VN deren Verhalten stets zurechnen lassen, wenn es sich bei diesen Personen um (Risiko- oder Vertrags-)Repräsentanten handelt.188 Ist Letzteres nicht der Fall, stellt sich die Frage, ob eine 180 181 182 183 184 185 186 187 188

OLG Koblenz 17.9.1982 – 10 U 1250/80, VersR 1983 870. BGH 25.3.1992 – IV ZR 17/91, VersR 1992 865, 866. OLG Hamm 16.6.1999 – 20 U 92/98, VersR 2000 1104, 1105. OLG Celle 18.3.1999 – 8 U 48/98, VersR 2001 453, 454. OLG Koblenz 13.1.2006 – 10 U 246/05, VersR 2007 787, 788. BGH 10.5.2000 – IV ZR 297/98, RuS 2002 119, 121 = VersR 2000 846, 847. LG Wiesbaden 24.11.2017 – 8 O 88/17, RuS 2018 136 (Vermögensschadenshaftpflichtversicherung). OLG Hamm 26.4.2013 – 20 U 201/12, RuS 2014 11, 14 (Luftfahrt-Haftpflichtversicherung). Bruck/Möller/Baumann § 81 Rn. 92; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 17 f.; a. A. Bruck/ Möller/Möller8 § 61 Anm. 62; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 36; für Repräsentantenstellung des persönlich Koch

232

D. Zurechnung des Verhaltens Dritter

VVG § 103

von der Repräsentantenhaftung losgelöste Zurechnung im Hinblick auf den Normzweck des § 103 in Betracht kommt. Bruck und Ehrenzweig haben die Leistungsfreiheit des Sach-VR damit begründet, dass es Treu und Glauben widerspreche, wenn sich der Täter auf den Unterschied zwischen dem juristischen und dem wirtschaftlichen Eigentum berufen könnte.189 Diese Argumentation verfängt jedoch nicht bei Fremdschäden. In der gesellschaftsrechtlichen Literatur wird diese Frage ebenfalls nur bezogen auf § 81 erörtert und bejaht.190 Soweit die maßgeblich beteiligten Gesellschafter auf den versicherten Gegenstand zugreifen könnten, bestünden keine Bedenken gegen eine teleologisch-extensive Auslegung des § 81. Dessen Normzweck, das subjektive und moralische Risiko zu begrenzen, sei nicht nur tangiert, wenn sich der Geschäftsführer völlig sorglos oder unlauter verhalte, sondern auch, wenn Alleingesellschafter, Mehrheitsgesellschafter oder alle Gesellschafter gemeinschaftlich dieses Verhalten an den Tag legten.191 Diese am Normzweck anknüpfenden Argumente lassen sich auf § 103 übertragen, da dieser den gleichen Zwecken dient wie § 81. Muss die Gesellschaft für das vorsätzliche Verhalten ihrer Gesellschafter haftungsrechtlich einstehen, lässt sich deshalb durchaus vertreten, ihr dieses Verhalten deckungsrechtlich zuzurechnen.

4. Vorsätzliche Schadenszufügung durch sonstige Dritte Für sonstige, nicht in das Unternehmen des VN eingegliederte Dritte gilt das zuvor zur Zurech- 74 nung des Mitarbeiterverhaltens Ausgeführte (Rn. 66 ff.) entsprechend. Eine Zurechnung vorsätzlicher Schäden erfolgt dann, wenn die Dritten Vertrags- oder Risikorepräsentanten des VN sind.

IV. Natürliche Personen als VN/versicherte Personen 1. Vorsätzliche Schadenszufügung durch gesetzliche Vertreter natürlicher Personen Der nicht (voll) geschäftsfähige VN muss sich die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens 75 durch seine Eltern (§§ 1626 ff. BGB) oder seinen Vormund (§§ 1773 ff. BGB) nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung zurechnen lassen.192 Gleiches gilt für Pfleger (§§ 1909 ff. BGB) und Betreuer (§§ 1896 ff. BGB) hinsichtlich vorsätzlicher, im Rahmen ihr Vermögensverwaltung/-betreuung herbeigeführter Schäden.193

2. Vorsätzliche Schadenszufügung durch Ehegatten/Lebenspartner/Kinder Die Zurechnung der vorsätzlichen Schadensherbeiführung im Verhältnis zwischen Ehegatten 76 und Lebenspartnern erfolgt ebenfalls nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung. Weder die Ehe noch eine Lebensgemeinschaft mit dem VN vermögen dabei für sich allein haftenden Gesellschafters einer OHG/KG OLG Hamm 9.5.1958 – 7 U 198/57, VersR 1958 778, 779; OLG Celle 9.11.1973 – 8 U 9/73, VersR 1974 737. 189 Ehrenzweig Versicherungsvertragsrecht 192; Bruck 653 Fn. 25. 190 Vgl. MüKo-AktG/Heider, 5. Aufl. 2019, § 1 Rn. 60; BeckOGK/Fock AktG § 1 Rn. 70; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, GmbHG § 13 Rn. 363; Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt/Lieder, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 13 Rn. 366. 191 Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt/Lieder, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 13 Rn. 366; vgl. auch MüKo-BGB/Reuter Vor § 21 Rn. 30 und Hübner JZ 1978 703, 705 (Durchgriff nur bei Alleingesellschafter). 192 RG 15.3.1932 – VII 247/31, RGZ 135 370, 371 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 27; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 45; a. A. Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 95: § 254 Abs. 1 i. V. m. § 278 Abs. 1 Alt. 1 BGB. 193 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 27; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 45; vgl. auch OLG Nürnberg 5.4.2001 – 8 U 3457/00, NJW-RR 2002 820, 821 (Obliegenheitsverletzung). 233

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

genommen eine Repräsentantenstellung zu begründen.194 Gleiches gilt für Eltern-Kind-Beziehungen. Vorsätzliches Verhalten von Kindern müssen sich die Eltern nur zurechnen lassen, wenn die Kinder Repräsentanten sind (und umgekehrt).195

3. Vorsätzliche Schadenszufügung durch sonstige Dritte 77 Weder enge persönliche Beziehungen zum VN noch ein bloßes Nutzungsverhältnis mit dem VN vermögen eine Zurechnung vorsätzlicher Schadensherbeiführung durch sonstige Dritte nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung auszulösen.196

V. Einstehen für Parteien kraft Amtes 78 In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit, dass der VN sich das Verschulden einer Partei kraft Amtes (Testamentsvollstrecker, Nachlass-, Insolvenz-197 oder Zwangsverwalter198) zurechnen lassen muss, soweit diese im Rahmen ihres Aufgabenbereichs handelt.199 Bezüglich der Zurechnung des Verhaltens eines Zwangsverwalters zulasten des VN hat der BGH explizit auf die Repräsentantenhaftung zurückgegriffen.200 Looschelders und Heiss haben sich für eine entsprechende Anwendung von § 31 BGB ausgesprochen.201

E. Rechtsfolge/Umfang der Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Schadensherbeiführung I. Im Hinblick auf die Leistungspflicht des VR 79 Der VR ist gem. § 103 „nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der VN vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat“. Dieser Vorsatzbegriff schließt es nach Ansicht des BGH aus,202 194 Vgl. BGH 20.5.2009 – XII ZR 94/07, NJW 2009 2881, 2882; BGH 14.5.2003 – IV ZR 166/02, NJW-RR 2003 1250, 1251; BGH 2.5.1990 – IV ZR 48/89, VersR 1990 736, 737; BGH 4.7.1990 – IV ZR 158/89, NJW-RR 1990 1305, 1306; BGH 8.2.1965 – II ZR 171/62, VersR 1965 425, 429; OLG Hamm 26.1.1998 – 13 U 128/97, RuS 1998 500, 501; OLG Karlsruhe 16.5.1991 – 12 U 25/91, VersR 1992 1391, 1392; OLG Hamm 9.1.1991 – 20 U 325/89, VersR 1992 570, 571; OLG Karlsruhe 21.6.1990 – 12 U 56/90, VersR 1991 1048; Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 97; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 45 ff. 195 Vgl. OLG Hamm 15.2.1989 – 20 U 147/88, NJW-RR 1989 860. 196 Vgl. OLG Hamm 12.4.2002 – 29 U 73/01, VersR 2003 333, 335. 197 Vgl. OLG Köln 20.12.2005 – 9 U 99/05, VersR 2006 1207, 1208; KG 18.3.2005 – 6 U 244/04, RuS 2005 502, 503; OLG Celle 1.3.2001 – 13 U 103/00, VersR 2002 602, 603; LG Berlin 12.10.2004 – 7 O 601/03 zitiert nach juris. 198 BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465. 199 Vgl. LG Wuppertal 27.10.1961 VersR 1962 629, 630; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 19; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 75; Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 95: §§ 254 Abs. 1 i. V. m. § 278 Abs. 1 Alt. 1 BGB; Berliner Kommentar/Beckmann, § 61 Rn. 45; Bruck/Möller/Möller8 § 6 Rn. 70 und § 61 Rn. 66; Prölss/Martin/Prölss § 6 Rn. 44. 200 BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465; vgl. auch Bruck/Möller/K. Johannsen/R. Johannsen8 Bd. III Anm. G 56; Spielmann Sicherheitsvorschriften in der Leitungswasser-/Rohrbruchversicherung, VersR 2006 317, 320. 201 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 19; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 75 jew. unter Bezugnahme auf MüKo-BGB/Reuter § 31 Rn. 17; Palandt/Ellenberger § 31 Rn. 3. 202 BGH 17.6.1998 – IV ZR 163/97, RuS 1998 367, 368; vgl. auch OLG Hamm 18.8.2000 – 20 U 26/00, RuS 2001 145, 146 = NVersZ 2001 134. Koch

234

E. Rechtsfolge/Umfang der Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Schadensherbeiführung

VVG § 103

„dem VN Schadensfolgen zuzurechnen, die er nicht oder nicht in ihrem wesentlichen Umfang als möglich erkannt und für den Fall ihres Eintritts gewollt oder im Sinne bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat.“

Die Erstreckung des Vorsatzerfordernisses auf die Schadensherbeiführung hat somit zur Konsequenz, dass der VR nur insoweit nicht zur Leistung verpflichtet ist, als die gegen den VN geltend gemachten Schadensersatzansprüche an Verletzungsfolgen anknüpfen, die erstens in objektiver Hinsicht adäquat-kausal auf der haftungsbegründenden Handlung beruhen und zweitens in ihrem wesentlichen Umfang vom VN als möglich erkannt und wenigstens billigend in Kauf genommen worden sind. Bei einem Gesamterfolg kann es deshalb – wie die Kasuistik zeigt – zu einer Aufspaltung in einen gedeckten und einen ungedeckten Teil, je nach der Willensrichtung des Handelnden, kommen.203 Tritt der VN gewaltsam eine Tür ein und werden dahinter stehende Personen in einer für 80 den VN nicht vorhersehbaren Weise durch umherfliegende Glassplitter verletzt, ist der VR nur hinsichtlich der Schäden an der Tür leistungsfrei. Ist der Eigentümer durch die Splitter verletzt worden und macht die Schadensersatzansprüche gerichtlich geltend, sind die Prozesskosten entsprechend aufzuteilen. Wird beim Betätigen des Feuerlöschers in einer Kirche diese nicht nur, wie erwartet, verschmutzt, sondern werden auch wertvolle Kunstgegenstände beschädigt, ist der VR insoweit zur Deckung verpflichtet.204 Schlägt der VN seinen Gegenüber mit der Faust nieder, woraufhin dieser (unerwartet) eine Gehirnblutung erleidet und daran später verstirbt, besteht kein Versicherungsschutz für Schadensersatzansprüche, die typische Verletzungsfolgen eines Faustschlags sind, also äußere Gesichts- und Schädelverletzungen. Versicherungsschutz ist nur für die an den Tod anknüpfenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche der Hinterbliebenen gegeben.205 Wollte der VN sein Opfer dagegen umbringen, verletzt es jedoch nur schwer, besteht für die Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Opfers keine Deckung (Rn. 34). Die gegenteilige Ansicht, die zwischen ein- und mehraktigen Handlungen trennen und nur 81 bei letzteren eine Aufspaltung in einen gedeckten und einen ungedeckten Teil vornehmen will,206 lässt sich mit dem Gesetz nicht vereinbaren. Die Begründung, die Aufspaltung lasse sich bei einaktigen Handlungen nicht „überzeugend durchführen“,207 ist nicht recht nachvollziehbar und rechtfertigt nicht, auch vorhersehbare Schäden entgegen § 103 in den Versicherungsschutz einzubeziehen. Zu Recht weist Weitzel auf den Wertungswiderspruch hin, wenn „derjenige, der ‚nur‘ die Folgen herbeiführt, die er beabsichtigt, [.] keinen Versicherungsschutz [erhält], während derjenige, der genau diese Folgen herbeiführt, darüber hinaus aber auch – wenn auch nicht gewollt – ein ‚Mehr‘ verwirklicht, vollen Versicherungsschutz erhält, also auch im Hinblick auf diejenigen Folgen, die genau seinem Tatplan entsprachen und für die eigentlich der Vorsatzausschluss eingreifen müsste.“208 Werden Schadens- und/oder Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht, ist somit im Ergebnis der Teil auszuscheiden, der auf die vorsätzlich zugefügten Verletzungen ent-

203 Vgl. OLG Hamm 18.8.2000 – 20 U 26/00, RuS 2001 145, 146 = NVersZ 2001 134; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 12; Langheid NVersZ 1999 253; zur ähnlichen Problematik nach §§ 104 ff. SGB VII vgl. BGH 11.2.2003 – VI ZR 34/ 02, VersR 2003 595; OLG Hamm 8.11.2013 – 26 U 31/13, RuS 2014 101. 204 A. A. OLG Schleswig 22.11.2007 – 16 U 9/07, RuS 2008 67, 69; OLG Celle 22.11.2007 – 8 U 105/07, OLGR Celle 2008 63. 205 Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 10; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 12. 206 OLG Schleswig 22.11.2007 – 16 U 9/07, RuS 2008 67, 69; LG Bonn 8.10.2004 – 10 O 183/04, NJW-RR 2005 822, 824; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 54; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 15; Prölss/ Martin/Voit/Knappmann27 § 152 Rn. 5; Knappmann VersR 2000 11, 12; E. Lorenz VersR 2000 2, 6; ausdrücklich offengelassen OLG Hamm 18.8.2000 – 20 U 26/00, RuS 2001 145, 146 = NVersZ 2001 134. 207 Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 152 Rn. 5. 208 Weitzel VersR 2008 954, 955; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 12. 235

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

fällt. Dieser ist, soweit es nicht in dem bindenden Haftpflichturteil geschehen ist, im Deckungsprozess – notfalls mit sachverständiger Hilfe – gem. § 287 ZPO zu schätzen.209

II. Personelle Reichweite 82 Der Ausschluss ist – wie zuvor dargestellt (Rn. 52 ff.) – im Grundsatz beschränkt auf den Versicherungsschutz desjenigen Interesseträgers (VN/versicherte Person), der vorsätzlich gehandelt hat. Führt beispielsweise in der Betriebshaftpflichtversicherung ein Mitarbeiter des versicherten Unternehmens vorsätzlich einen Schaden bei einem außenstehenden Dritten herbei, für den dieser sowohl das Unternehmen als auch den Mitarbeiter auf Schadensersatzanspruch in Anspruch nimmt, besteht Versicherungsschutz nur für das Unternehmen, nicht hingegen für den Mitarbeiter. Der einheitliche Versicherungsvertrag ist insoweit aufzuspalten in eine Versicherung für eigene Rechnung (des VN) „mit einer gedanklich davon zu trennenden Fremdversicherung“. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich das Unternehmen das vorsätzliche Verhalten des Mitarbeiters zurechnen lassen muss, sei es, weil es sich hierbei um ein Organmitglied handelt, sei es, weil er Repräsentant ist. In diesen Fällen verliert auch das Unternehmen den Versicherungsschutz. Eine weitere Ausnahme betrifft den Fall, dass der Inhaber des (Einzel-)Unternehmens oder ein Mitglied des Geschäftsführungsorgans einer Gesellschaft den Schaden vorsätzlich herbeiführt. In diesem Fall verlieren sowohl das Unternehmen als auch der nur fahrlässig an der Schadensherbeiführung beteiligte (sonstige) Mitarbeiter den Versicherungsschutz (Rn. 57 bis 59). Entsprechendes gilt für andere Haftpflichtversicherungsverträge, bei denen eigene und fremde Interessen versichert sind (z. B. Privathaftpflichtversicherung).

III. Auswirkungen auf den Vertrag 83 Die vorsätzliche Herbeiführung eines Schadens lässt die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages unberührt, gibt dem VR jedoch das von der Verschuldensform freilich unabhängige und im Übrigen nicht an die Herbeiführung des Schadens, sondern des Versicherungsfalls anknüpfende Recht zur außerordentlichen Kündigung gem. § 111.

IV. Schadensersatzansprüche des VR 84 Die vorsätzliche Herbeiführung eines Schadens bei einem Dritten vermag für sich allein genommen keinen Schadensersatzanspruch des VR aus §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB zu begründen. Es fehlt insoweit an einer Pflichtverletzung gegenüber dem VR. Zudem erleidet der VR keinen Schaden, da keine Deckung besteht. Zeigt der VN den Versicherungsfall an und erteilt dem VR falsche Auskünfte, weil er sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen will, verletzt er nicht nur die ihn nach §§ 30, 31 treffenden Obliegenheiten, sondern begeht auch den Tatbestand des versuchten (Versicherungs-)Betrugs. Hierin liegt eine Verletzung der allgemeinen Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB, die den VR nach § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz berechtigt. Daneben kommen § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263, 265 StGB und § 826 BGB als deliktische Anspruchsgrundlagen in Betracht. Ersatzfähig sind insbesondere die im Zuge der Ermittlungen eines angezeigten Schadensfalls getätigten Aufwendungen (z. B. Detektiv- und Sachverständigenkosten).210 209 Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 11; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 12; Stiefel/Maier/Jahnke § 103 Rn. 15 f.; Weitzel VersR 2008 954, 955; Langheid NVersZ 1999 253. 210 Vgl. OLG Köln 2.12.2008 – 9 U 57/08, VersR 2009 1071, 1072 f. (Leitungswasserversicherung); OLG Saarbrücken 23.11.2005 – 5 U 70/05, VersR 2006 644, 647 (Krankentagegeldversicherung); OLG Köln 30.7.1992 – 5 U 91/90, RuS Koch

236

E. Rechtsfolge/Umfang der Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Schadensherbeiführung

VVG § 103

V. Rückforderungsansprüche des VR Werden Schadensersatzansprüche gegen den VN geltend gemacht und wird ein vorsätzliches 85 Verhalten des VN behauptet, ist der VR zunächst zur Anspruchsabwehr verpflichtet. Er ist nicht berechtigt, seine Deckungszusage bis zur endgültigen Klärung dieser Frage zurückzuhalten. Dies gilt selbst dann, wenn die Schadensersatzansprüche, die gegen den VN geltend gemacht werden, nicht zur Voraussetzung haben, dass sich der Vorsatz des VN auch auf die Schadensfolgen erstreckt (z. B. § 823 Abs. 1 BGB), und deshalb der Ausgang des Haftpflichtprozesses mangels Voraussetzungsidentität des Vorsatzbegriffs im Haftpflicht- und im Deckungsprozess keinerlei Bindungswirkung entfaltet (§ 100 Rn. 45 ff.). In der Praxis stellt der VR in Fällen, in denen der Anspruchssteller vorsätzliches Verhalten des VN behauptet, Abwehrschutz unter dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall zur Verfügung, dass der Vorsatz durch gerichtliche oder behördliche Entscheidung, Vergleich oder Anerkenntnis festgestellt wird. Gleiches gilt, wenn der Geschädigte zwar kein vorsätzliches Verhalten des VN behauptet, der von ihm vorgetragene Sachverhalt jedoch Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Schadensherbeiführung oder – wenn § 103 abbedungen ist – eine vorsätzliche Pflichtverletzung bietet. Diese Variante ist der Regelfall, da der gut beratene Geschädigte, der um die Haftpflichtversicherung des Schädigers weiß, tunlichst vermeidet, den Begriff „Vorsatz“ zu verwenden, wenn er Schadensersatzansprüche geltend macht. Ein solcher Vorbehalt kann verschiedene Bedeutung haben. Er kann zum einen dazu die- 86 nen, zu verhindern, dass die Leistung als deklaratorisches Anerkenntnis i. S. d. § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB verstanden wird und die Rückforderung gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB an § 814 BGB scheitert.211 Zudem wird dem VN die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) in entsprechender Anwendung des § 820 Abs. 1 S. 1 BGB genommen.212 Ein solcher (einseitiger) Vorbehalt hindert nicht die Erfüllungswirkung der Leistung nach § 362 BGB.213 Er kann aber auch bedeuten, dass der VR nur Abwehrschutz leistet, soweit kein Fall des § 103 vorliegt.214 In letzterem Fall macht der VR die Leistung an den VN davon abhängig, dass dieser eine von den Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB unabhängige, bedingte Rückzahlungsverpflichtung eingeht. Auf den Abschluss einer solchen Vereinbarung hat der VR freilich keinen Anspruch.215 Der VN kann ein solches Angebot des VR zurückweisen und den VR auf Erfüllung verklagen.216 Dies spricht selbst unter Zugrundelegung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB dagegen, formularmäßigen Vorbehaltsklauseln mit dem zuvor beschriebenen Inhalt eine über den Ausschluss der Wirkung des § 814 BGB hinausgehenden Inhalt beizumessen.217 Sollte 1992 347, 348 (Feuerversicherung); OLG Düsseldorf 6.12.1994 – 4 U 267/93, NJW-RR 1995 1493, 1494 (Feuerversicherung); OLG Oldenburg 11.12.1991 – 2 U 167/91, VersR 1992 1150, 1151 (Einbruchdiebstahlversicherung); Hans. OLG Hamburg 19.2.1988 – 14 U 192/87, VersR 1988 482, 483 (Einbruchdiebstahlversicherung); LG Kiel 21.5.1999 – 9 O 7/ 99, RuS 2000 376, 377 (Rechtsschutzversicherung); vgl. auch OLG Celle 24.8.1979 – 8 U 52/97, zfs 1982 367 f. 211 BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, RuS 1993 333, 335; OLG Saarbrücken 20.12.2006 – 5 U 65/06, zfs 2007 522, 524; OLG Düsseldorf 14.3.1995 – 4 U 61/94, RuS 1996 278; OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 6/95, RuS 1995 462, 463; OLG Düsseldorf 16.3.1988 – 19 U 38/87, NJW-RR 1989 27, 28; OLG Hamm 9.1.1987 – 20 U 263/86, NJW-RR 1987 985, 986 = VersR 1987 1129; vgl. auch OLG Köln 12.5.1995 – 9 U 232/94, RuS 1995 265, 266; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbem. zu §§ 74–99 Rn. 137. 212 Vgl. BGH 20.10.2005 – III ZR 37/05, NJW 2006 286, 288; BGH 8.6.1988 – IVb ZR 51/87, NJW 1989 161, 162 (nicht versicherungsrechtliche Fälle). 213 BGH 9.1.1999 – IV ZR 97/89, RuS 1991 100, 102; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbem. zu §§ 74–99 Rn. 138. 214 Vgl. OLG Düsseldorf 14.3.1995 – 4 U 61/94, RuS 1996 278; OLG Düsseldorf 16.3.1988 – 19 U 38/87, NJW-RR 1989 27, 28; OLG Hamm 9.1.1987 – 20 U 263/86, NJW-RR 1987 985, 986 = VersR 1987 1129. 215 BGH 9.1.1991 – IV ZR 97/89, RuS 1991 100, 102. 216 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbem. zu §§ 74–99 Rn. 139. 217 Vgl. auch BGH 9.6.1992 – VI ZR 215/91, RuS 1993 333, 335; OLG Düsseldorf 14.3.1995 – 4 U 61/94, RuS 1996 278; OLG Düsseldorf 16.3.1988 – 19 U 38/87, NJW-RR 1989 27, 28; OLG Hamm 9.1.1987 – 20 U 263/86, NJW-RR 1987 985, 986 = VersR 1987 1129; Glauber VersR 1993 1263. 237

Koch

§ 103 VVG

87

88

89

90

Herbeiführung des Versicherungsfalles

der Vorbehalt in Ausnahmefällen als Antrag auf Abschluss einer eigenständigen Rückzahlungsverpflichtung zu verstehen sein, den der VN durch Inanspruchnahme der Leistungen des VR konkludent annimmt, ist diese Vereinbarung als unentgeltlicher Darlehensvertrag zu qualifizieren.218 Der einseitige Rückforderungsvorbehalt verändert nicht die Beweislastverteilung im Rückforderungsprozess. Es bleibt dabei, dass der VR beweisen muss, dass der VN den Schaden vorsätzlich herbeigeführt und er somit ohne Rechtsgrund geleistet hat.219 Dabei kommt dem VR bei Vorliegen von Voraussetzungsidentität (§ 106 Rn. 23) die Bindungswirkung der rechtskräftigen Feststellungen des Haftpflichtrichters zugute. Die Bindungswirkung greift insoweit auch im Rückforderungsprozess ein.220 Hat der VR (ausnahmsweise) vorbehaltlos Abwehrschutz geleistet, obgleich der Dritte vorsätzliches Verhalten des VN behauptet hat und/oder seinen Anspruch auf Tatsachen gestützt hat, die auf eine vorsätzliche Schadensherbeiführung schließen lassen, liegt darin konkludent ein unwiderruflicher Verzicht auf die Geltendmachung des § 103, der jedoch in seiner Reichweite nur auf den Ersatz von Aufwendungen für die Anspruchsabwehr beschränkt ist (§ 100 Rn. 46).221 Konnte der VR aufgrund des vom Anspruchssteller behaupteten Sachverhalts nicht auf eine vorsätzliche Schadensherbeiführung schließen, kommt der Abwehrschutzgewährung kein Erklärungswert i. S.e. Verzichts zu.222 Auch wird hierdurch kein Vertrauenstatbestand geschaffen, der eine Rückforderung nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB als rechtsmissbräuchlich erscheinen ließe223 und ebenso wenig steht § 814 BGB einer Rückforderung entgegen.224 Auf den Wegfall der Bereicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB kann sich der VN in entsprechender Anwendung des § 820 Abs. 1 S. 1 BGB nicht berufen.225 Erfährt der VR erstmals durch die spätere Übersendung der Klageschrift vom Vorliegen des Risikoausschlusses, kann er seine weiteren Leistungen unter Rückforderungsvorbehalt erbringen. Hat der VR die Entschädigungsleistung erbracht und erfährt erst im Nachhinein, dass der VN den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat, so kann er seine Leistung nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB herausverlangen, weil der VN ohne rechtlichen Grund von seiner Schuld befreit worden ist.226 Daran ändert sich auch nichts im Fall des Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder infolge der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten (§ 100 Rn. 187). Hat der VN den Schaden vorsätzlich herbeigeführt und ist der VR leistungsfrei, so ist kein Raum für einen Regress gegen Dritte nach § 86 Abs. 1 S. 1.227

218 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbem. zu den §§ 74–99 Rn. 139. 219 OLG Hamm 24.2.1989 – 20 U 220/88, RuS 1989 389; Prölss/Martin/Armbrüster Vorbem. zu den §§ 74–99 Rn. 138 m. w. N.; vgl. auch BGH 8.2.1984 – IVb ZR 52/82, NJW 1984 2826, 1827; OLG Hamm 23.9.1992 – 20 U 89/92, VersR 1993 737, 738; OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 6/95, RuS 1995 462, 463; Glauber VersR 1993 1263, 1264. 220 LG Frankfurt/M. 27.3.1990 – 2/14 O 425/89, RuS 1990 382, 383; AG St. Ingbert 23.11.1990 – 3 C 342/89, RuS 1991 205. 221 LG Berlin 7.2.1989 – 7 O 272/88, RuS 1990 19, 20; vgl. LG Köln 23.12.1992 – 24 O 55/92, RuS 1994 102, 103; LG Köln 13.11.1991 – 24 S 15/91, RuS 1992 277 f., jew. Rechtsschutzversicherung. 222 Vgl. BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241 Rn. 14; BGH 20.9.1978 – IV ZR 57/77, VersR 1978 1105; zur Deckungszusage in der Rechtsschutzversicherung BGH 18.3.1992 – IV ZR 51/91, VersR 1992 568, 570; s. auch OLG Hamm 17.12.2015 – 6 U 139/14, VersR 2016 1308, 1309. 223 Vgl. LG Essen 9.3.1999 – 3 O 649/98, RuS 2000 158 f.; LG Kiel 21.5.1999 – 9 O 7/99, RuS 2000 376; LG Essen 3.2.1992 – 2 O 479/91, RuS 1993 21, 22; LG Hechingen 1.10.1990 – 2 O 234/90, RuS 1991 307, 308; LG Köln 13.11.1991 – 24 S 15/91, RuS 1992 277, 278. 224 OLG Karlsruhe 19.5.1988 – 12 U 197/87, RuS 1991 187; LG Köln 13.11.1991 – 24 S 15/91, RuS 1992 277, 278. 225 Vgl. BGH 20.10.2005 – III ZR 37/05, NJW 2006 286, 288; BGH 8.6.1988 – IVb ZR 51/87, NJW 1989 161, 162. 226 Vgl. BGH 25.4.1960 – VII ZR 113/59, VersR 1960 529, 530; OLG Hamm 17.12.2015 – 6 U 139/14, VersR 2016 1308, 1309. 227 Vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 61 Rn. 83. Koch

238

F. Verfahrens- und Beweisfragen

VVG § 103

VI. Verzicht Der VR kann auf den Einwand der Leistungsfreiheit einseitig verzichten.228 Da die Rechtswirkun- 91 gen des § 103 kraft Gesetzes eintreten und insoweit nicht abhängig vom Willen des VR sind, lässt sich ein solcher Verzicht dogmatisch nur als deklaratorisches Anerkenntnis konstruieren (dessen Annahme durch den VN nach § 151 BGB entbehrlich ist).229 An die Annahme eines Verzichtswillens sind dabei strenge Maßstäbe anzulegen.230 Grundsätzlich hat der VR keinen Anlass, eine ihm vorteilhafte Rechtsposition aufzugeben. Im Übrigen darf der VR mit der Gewährung von Versicherungsschutz nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Soweit im Haftungsprozess mit bindender Wirkung gerichtlich festgestellt worden ist, dass der VN den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat, wäre ein Verzicht, der über den Ersatz von Aufwendungen für die Anspruchsabwehr hinausgeht, nach § 138 Abs. 1 BGB, bei strafbaren Handlungen auch nach § 134 BGB nichtig, und deshalb im Deckungsprozess unbeachtlich. Der Verzicht auf Rückforderung der Rechtsschutzkosten im Fall der Feststellung der vorsätzlichen Schadensherbeiführung ist somit unbedenklich.231 Gleiches gilt, wenn der VR den Verzicht auf die Rückforderung der Rechtsschutzkosten bereits vor Eintritt des Versicherungsfalles (z. B. in seinen AVB) erklärt. Bei einem solchen vorweggenommenen Verzicht handelt es sich um eine vertragliche Abbedingung von § 103 (Rn. 110). Anders liegt der Fall, wenn ein Repräsentant des VN den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat, weil §§ 138 Abs. 1, 242 BGB nur verlangen, dass der vorsätzlich Handelnde nicht in den Genuss der Versicherungsleistung kommt232 und im Übrigen der Repräsentant selbst wegen der Regressmöglichkeit des VR nicht begünstigt wird.233

F. Verfahrens- und Beweisfragen I. Berücksichtigung von Amts wegen Bei § 103 handelt es sich um eine rechtshindernde Einwendung, die als solche wie eine Tatsache 92 ipso iure wirkt. Anders als die Geltendmachung von (teilweiser) Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen, sind Risikoausschlüsse (selbst in der Revisionsinstanz noch) von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn sich die Voraussetzungen aus dem Vortrag der Parteien ergeben und kein (wirksamer) Verzicht auf die Rechtsfolgen seitens des VR erklärt wurde.234 Dies gilt auch dann, wenn der VN in den Tatsacheninstanzen nicht auf diese Bestimmung abgehoben hat.235

II. Darlegungs- und Beweislast Der VR trägt die Darlegungs- und Beweislast für die objektiven und subjektiven Voraus- 93 setzungen des § 103. Er muss darlegen und beweisen, dass der VN oder eine Person, deren Verhalten sich dieser zurechnen lassen muss, den Schaden kausal und vorsätzlich herbeigeführt

228 Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 124; Bruck/Möller/Möller8 § 61 Rn. 81. 229 Vgl. BGH 27.6.1953 – II ZR 176/52, VersR 1953 316, 318; OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 205/00, RuS 2002 242, 243; Hans. OLG Hamburg 25.10.1973 – 3 U 60/73, VersR 1974 463, 464 f.; OLG Köln 10.11.1964 – 9 U 23/64, VersR 1965 54. 230 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 7 AHB Rn. 30 ff. 231 Vgl. OLG Frankfurt/M. 4.8.2021 – 7 W 13/21, BeckRS 2021 21382 (zum Verzicht auf Rückforderung von Verteidigungskosten bei wissentlicher oder vorsätzlicher Pflichtverletzung). 232 Vgl. auch Langheid/Wandt/Looschelders § 81 Rn. 154. 233 Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 124; Langheid/Wandt/Looschelders § 81 Rn. 154. 234 OLG Saarbrücken 20.10.2016 – 4 U 104/15, NJW-RR 2017 350, 354. 235 BGH 12.6.1985 – IVa ZR 17/83, VersR 1985 1029, 1030; OLG Köln 25.5.1992 – 5 U 186/91, RuS 1992 343, 344. 239

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

hat.236 Der VR trägt auch die Darlegungs- und Beweislast für den Risikoausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung (hierzu Rn. 101).237 Nach herrschender Ansicht muss der VR auch die Voraussetzungen der Widerrechtlichkeit beweisen.238 Beruft sich der VN auf Unzurechnungsfähigkeit, muss er jedoch – ungeachtet der Regel, dass der VR für das Eingreifen von Ausschlusstatbeständen beweisbelastet ist – in entsprechender Anwendung des § 827 S. 1 BGB den Beweis dafür führen.239 Dasselbe gilt für die Voraussetzungen des § 828 Abs. 2 BGB.240 Behauptet der VN sich über die Widerrechtlichkeit geirrt zu haben, trifft ihn ebenfalls die Beweislast dafür.241 Nach anderer Ansicht muss der VN darlegen und beweisen, dass ein Rechtfertigungsgrund 94 vorliegt und es deshalb an der Widerrechtlichkeit fehlt.242 Für diese Ansicht spricht zunächst, dass ein Gleichlauf zwischen Haftungs- und Versicherungsrecht erzielt wird. Zumindest bei unmittelbaren Rechtsgutsverletzungen indiziert haftungsrechtlich die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit und der Täter muss den Ausschluss der Widerrechtlichkeit beweisen.243 Die Minderansicht lässt sich jedoch nicht damit in Einklang bringen, dass (selbst nach Ansicht der Vertreter dieser Ansicht) für die Annahme von Vorsatz nach § 103 erforderlich ist, dass der VN den pflichtwidrigen/rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen hat.244 Freilich ist auch die herrschende Ansicht nicht frei von Widersprüchen, wie die abweichenden Beweislastregeln bei Unzurechnungsfähigkeit und Irrtum über die Widerrechtlichkeit zeigen. 95 Hat der VN den Schaden vorsätzlich herbeigeführt, wäre er aber auch bei grober Fahrlässigkeit eingetreten, stellt sich die Frage, ob dieser Einwand der hypothetischen Kausalität zugunsten des VN zu berücksichtigen ist.245 Der BGH hat diesen Einwand für den Bereich der Sachversicherung für relevant erachtet. Im Raum stand allerdings nicht der Vorwurf der vorsätzlichen, sondern der grob fahrlässigen Schadensherbeiführung.246 Das OLG Köln hatte sich mit dem Einwand der hypothetischen Kausalität in der Berufs-/Betriebshaftpflichtversicherung zu befassen. Der VN, ein Bauingenieur, hatte die Ausführungsplanung für die Errichtung einer Mauer erstellt und die Ausführung selbst veranlasst, ohne dass zuvor die Genehmigungsplanung einschließlich der Vorlage bei der Bauordnungsbehörde durchgeführt worden war. Diese 236 Vgl. nur BGH 10.3.2004 – IV ZR 169/03, RuS 2004 188, 189; BGH 4.5.1988 – IVa ZR 278/86, BGHZ 104 256, 260 = RuS 1988 239; BGH 27.10.1954 – VI ZR 132/53, VersR 1954 591, 592; OLG Köln 30.4.2019 – 9 U 30/17, RuS 2020 20, 21; s. a. Nachweise bei Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 7; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 58; Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 28. 237 OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782; OLG Düsseldorf 11.1.1994 – 4 U 250/92, VersR 1994 850, 851; LG Dortmund 24.11.2010 – 2 O 451/08, RuS 2012 114; ebenso Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 7; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 103 Rn. 8; MAH VersR/Kummer § 12 Rn. 186. 238 BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 20; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001 1103; OLG Düsseldorf 8.11.2019 – I-4 U 182/17, VersR 2020 968, 973; OLG Düsseldorf 30.11.2018 – 4 U 5/18, BeckRS 2018 36674; OLG Karlsruhe 14.3.2017 – 12 U 141/16, RuS 2018 70, 72; OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1495. 239 BGH 29.10.2003 – IV ZR 16/03, VersR 2003 1561 f.; BGH 20.6.1990 – IV ZR 298/89, BGHZ 111 372, 374 = RuS 1990 291; BGH 1.7.1986 – VI ZR 294/85, zfs 1987 6, 7; OLG Köln 30.4.2019 – 9 U 30/17, RuS 2020 20, 21; OLG Hamm 11.1.2019 – 20 W 25/18, VersR 2019 871, 972; OLG Hamm 14.3.1996 – 6 U 188/95, RuS 1997 3, 4; OLG Frankfurt/M. 20.9.1989 – 19 U 249/87, VersR 1990 42, 43; OLG Hamm 29.5.1985 – 20 U 390/84, VersR 1987 89, 90; OLG Hamm 25.6.1980 – 20 U 76/78, VersR 1981 178, 180; LG Köln 24.4.2003 – 24 O 431/02, RuS 2004 183, 184; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 7; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 62. 240 OLG Hamm 14.3.1996 – 6 U 188/95, RuS 1997 3, 4; OLG Hamm 25.6.1980 – 20 U 76/78, VersR 1981 178, 179 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 28. 241 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 7; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 62. 242 Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 62; Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 18; so auch Weitzel VersR 2006 783. 243 Vgl. BGH 30.10.2007 – VI ZR 132/06, NJW 2008 571, 573. 244 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 10. 245 Vgl. BGH 17.4.1997 – I ZR 131/95, VersR 1998 82, 83; BGH 14.7.1986 – IVa ZR 22/85, VersR 1986 962, 963; OLG Köln 23.8.2005 – 9 U 204/04, RuS 2005 461, 462; OLG Karlsruhe 29.6.1995 – 12 U 186/94, VersR 1995 1306, 1308 f. 246 Vgl. BGH 17.4.1997 – I ZR 131/95, VersR 1998 82, 83; BGH 14.7.1986 – IVa ZR 22/85, VersR 1986 962, 963; OLG Karlsruhe 29.6.1995 – 12 U 186/94, VersR 1995 1306, 1308 f. Koch

240

F. Verfahrens- und Beweisfragen

VVG § 103

Pflichtwidrigkeit erfolgte bewusst, da dem VN bekannt war, dass eine gültige Baugenehmigung notwendig war und nicht vorlag. Der VN berief sich darauf, dass die Planungsmängel auch bei der Durchführung des Genehmigungsverfahrens nicht aufgefallen wären. Das OLG Köln ging diesem Einwand nach, ließ ihn aber daran scheitern, dass der VN den Beweis eines solchen hypothetischen Kausalverlaufs nicht führen konnte.247 In der Krankenversicherung hält Rogler den Einwand des VN, dass der Versicherungsfall auch ohne sein vorsätzliches Handeln (§ 201) eingetreten wäre, für beachtlich.248 Abgesehen davon, dass der Einwand der hypothetischen Kausalität, für den der VN in vollem Umfang die Darlegungs- und Beweislast trägt, in der Praxis kaum erfolgreich zu führen ist, dürfte er für den Deckungsausschluss bei vorsätzlicher Schadensherbeiführung ohnehin nur in den Fällen beachtlich sein, in denen der VN den Schaden durch Unterlassen herbeiführt. Hinsichtlich des Risikoausschlusses der wissentlichen Pflichtverletzung ist es dem VN im 96 Übrigen verwehrt sich darauf zu berufen, dass derselbe Schaden nicht nur durch eine wissentliche Pflichtverletzung, sondern auch durch weitere, nicht wissentliche Pflichtverletzungen mitverursacht worden ist. Nach Ansicht des BGH versteht der VN den Leistungsausschluss dahin, dass er schon dann Versicherungsleistungen ausschließt, wenn ein Schaden durch eine wissentliche Pflichtverletzung mitverursacht ist.249

III. Beweisführung 1. Grundsatz Grundsätzlich hat der VR den Vollbeweis i. S. v. § 286 ZPO der vorsätzlichen Schadensherbei- 97 führung zu führen.250 Soweit es darum geht, bei Schäden die Teile von der Deckung auszuschließen, auf die sich der Vorsatz bezieht, kann das Gericht, – notfalls mit sachverständiger Hilfe – gem. § 287 ZPO schätzen.251

2. Unzulässigkeit des Anscheinsbeweises Beweiserleichterungen kommen dem VR für den Nachweis der Voraussetzungen des § 103 nicht 98 zugute. Es gibt keinen Anscheinsbeweis für vorsätzliches Vorhalten, da grundsätzlich keine allgemeinen Erfahrungssätze für die Aufklärung individueller innerer Vorgänge aufgestellt werden können.252

3. Indizienbeweis a) Vorsatz bezüglich der Schadensfolgen. Gelingt dem VR der direkte Beweis nicht, bleibt 99 nur noch die Möglichkeit des Indizienbeweises. Dabei darf aus dem äußeren Geschehensablauf 247 248 249 250

OLG Köln 23.8.2005 – 9 U 204/04, RuS 2005 461, 462. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Rogler § 201 Rn. 11; LG Nürnberg-Fürth 11.12.2008 – 8 O 3170/07, BeckRS 2009 23429. BGH 27.5.2015 – IV ZR 322/14, RuS 2015 386; OLG Saarbrücken 31.7.2007 – 5 U 510/06, zfs 2008 219, 221. BGH 13.4.2005 – IV ZR 62/04, NJW-RR 2005 1051 f.; BGH 14.4.1999 – IV ZR 181/98, NJW-RR 1999 1184, 1185 = NVersZ 1999 390; BGH 8.11.1995 – IV ZR 221/94, NJW-RR 1996 275 = RuS 1996 410; BGH 25.4.1990 – IV ZR 49/89, VersR 1990 894; OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594. 251 OLG Hamm 18.8.2000 – 20 U 26/00, NVersZ 2001 134, 135 = RuS 2001 145; Weitzel VersR 2008 955; Langheid NVersZ 1999 253. 252 Vgl. BGH 4.5.1988 – IVa ZR 278/86, VersR 1988 683, 684 = NZV 1988 101; BGH 28.4.1958 – II ZR 163/57, VersR 1958 361; OLG Köln 30.4.2019 – 9 U 30/17, RuS 2020 20, 21; OLG Rostock 5.2.2010 – 5 U 83/09, BeckRS 2010 17379; 241

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

und dem Ausmaß der objektiven Pflichtwidrigkeit auf den (bedingten) Schädigungsvorsatz geschlossen werden.253 Neben dem unmittelbaren Tatgeschehen sind die Vorgeschichte und insbesondere die – bereits vor dem Tatgeschehen und in demselben – nach außen zu Tage getretenen Persönlichkeitsmerkmale des Handelnden mit in die Beurteilung einzubeziehen.254 Der Beweis (nach § 286 Abs. 1 ZPO) ist einwandfrei geführt, wenn eine Mehrzahl von einzelnen Umständen, von denen jeder einzelne für sich genommen nicht voll beweiskräftig ist, in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die Überzeugung vom Vorliegen der unter Beweis gestellten Tatsache mit hinreichender Sicherheit vermitteln.255 Der Gewissheitsgrad muss vernünftigen restlichen Zweifeln Schweigen gebieten, ohne sie objektiv völlig auszuschließen:256 Eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit ist nicht erforderlich.257 Maßstab ist die freie Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO, also ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit. Dazu ist aber eine Bewertung der einzelnen Indizien nach ihrer Aussagekraft und eine zusammenfassende Gesamtbetrachtung erforderlich.258 Der Indizienbeweis nähert sich so in gewisser Weise dem abgelehnten Anscheinsbeweis an.259 Nur wird hier vom Zivilrichter die volle Entscheidung der Vorsatzfrage im Rahmen seiner richterlichen Überzeugungsbildung verlangt.260 Ein Indizienschluss auf den Vorsatz kann schwierig sein, wenn der VN in erheblichem Um100 fang alkoholisiert war. Solange nicht feststeht, dass die Alkoholisierung ein solches Ausmaß erreichte, dass ein Zustand der Zurechnungsunfähigkeit i. S. v. § 827 BGB vorlag und ein Ausschluss der freien Willensbestimmung erreicht war, bleibt vorsätzliches Handeln auch bei einer (starken) Alkoholisierung möglich. Lassen sich im PKH-Verfahren die tatrichterlichen Feststellungen nicht treffen, ob die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in einem Maße beeinträchtigt war, dass sie die Fähigkeit des VN beeinträchtigte, die (möglichen) Folgen seines Tuns zu erkennen und zu billigen, ist dem Antrag auf Prozesskostenhilfe stattzugeben.261

OLG Celle 16.4.2009 – 11 U 220/08, NJOZ 2009 2394, 2399; OLG Düsseldorf 19.1.2009 – 1 U 209/07, BeckRS 2009 09214; OLG Koblenz 6.7.2007 – 10 U 1748/06, NJW-RR 2008 45, 46; OLG Hamm 7.3.2007 – 20 U 132/06, VersR 2007 1550, 1551; OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782; OLG Nürnberg 2.12.2004 – 2 U 2712/04, NJWRR 2005 466, 469; OLG Köln 11.11.1993 – 5 U 271/92, VersR 1994 339; a. A. KG 13.6.2006 – 6 U 67/06, VersR 2007 1076, 1077 f. (bei eindeutigen Verstößen gegen Notarpflichten). 253 BGH 13.4.2005 – IV ZR 62/04, NJW-RR 2005 1051, 1052; BGH 14.4.1999 – IV ZR 181/98, NJW-RR 1999 1184, 1185 = NVersZ 1999 390, 391; BGH 9.4.1997 – IV ZR 73/96, NJW-RR 1997 1112, 1113 = RuS 1997 294; BGH 24.1.1996 – IV ZR 270/94, NJW-RR 1996 665 f. = RuS 1996 146 f.; OLG Hamm 11.1.2019 – 20 W 25/18, VersR 2019 871, 872; OLG München 17.2.2017 – 10 U 2007/16, BeckRS 2017 112607; OLG Hamm 11.11.2011 – 20 U 3/11, RuS 2012 284, 286; OLG Köln 28.4.2009 – 9 U 114/08, RuS 2009 371, 373; OLG Celle 22.11.2007 – 8 U 105/07, OLGR Celle 2008 63, 64; OLG Koblenz 6.7.2007 – 10 U 1748/06, NJW-RR 2008 45 = VersR 2007 1506; OLG Hamm 7.3.2007 – 20 U 132/06, VersR 2007 1550, 1551; OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782. 254 OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594; OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237. 255 BGH 5.4.1989 – IVa ZR 39/88, RuS 1989 193, 195. 256 Vgl. BGH 14.12.1993 – VI ZR 221/92, NJW-RR 1994 567, 568; OLG Celle 16.4.2009 – 11 U 220/08, NJOZ 2009 2394, 2399; vgl. BGH 8.7.2008 – VI ZR 274/07,VersR 2008 1126, 1127; OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594. 257 Vgl. BGH 14.12.1993 – VI ZR 221/92, NJW-RR 1994 567, 568; OLG München 11.3.2020 – 10 U 2150/18, NJW-RR 2020 921; OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594. 258 BGH 5.4.1989 – IVa ZR 39/88, RuS 1989 193, 195; vgl. OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594; OLG Celle 16.4.2009 – 11 U 220/08, NJOZ 2009 2394, 2399. 259 Vgl. OLG Celle 25.2.1997 – 5 U 249/95 zitiert nach juris: „Das Zusammentreffen der genannten Indizien ist kein Zufall. Sie erbringen in ihrer Gesamtheit nach Anscheinsbeweisgrundsätzen den Beweis dafür, daß die Kollision des gestohlenen Opel Kadett mit seinem Mercedes vom Kläger inszeniert worden ist, um den Schaden einem Haftpflichtversicherer gegenüber auf Gutachtenbasis überhöht abrechnen zu können.“. 260 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 225. 261 OLG Hamm 11.1.2019 – 20 W 25/18, VersR 2019 871, 972. Koch

242

F. Verfahrens- und Beweisfragen

VVG § 103

b) Exkurs: Wissentliche Pflichtverletzung. Ist die Haftung für Ersatzansprüche wegen wis- 101 sentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen (hierzu Rn. 114 ff.), folgt aus der Darlegungs- und Beweislast des VR, dass dieser zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des VN zumindest hindeutet. Der VR hat dabei darzulegen, der VN habe gewusst, wie er sich hätte verhalten müssen.262 Dabei ist der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann.263 Zu diesen Pflichten des Rechtsanwalts zählt u. a. die Wahrnehmung von Gerichtsterminen, die Verhinderung von Versäumnisurteilen, die Unterrichtung des Mandanten über den Verfahrensstand,264 die korrekte Abrechnung der Gebühren gegenüber den Mandanten,265 das Wissen darum, wie ein Kaufvertrag ohne ungesicherte Vorleistung abgewickelt werden kann,266 und vor Auszahlung vom Anderkonto zu kontrollieren, ob die von den Gläubigern bestimmten und ihm auch bekannten Auflagen erfüllt sind.267 Zur Kardinalpflicht des Geschäftsleiters zählt, sich stets über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft und ihrer Zahlungsfähigkeit zu versichern und diese zu überwachen.268 Das Einlegen eines Einspruches gegen Steuerbescheide gegen welche die Mandantschaft vorgehen will, gehört dabei zu einer elementaren Berufspflicht des Steuerberaters.269 Zur Kardinalpflicht des als Mittelverwendungskontrolleur beauftragten Wirtschaftsprüfers zählt die Überprüfung, ob das nach der Vereinbarung im Mittelverwendungskontrollvertrag einzurichtende Sonderkonto, über das die Fondsgesellschaft nur gemeinsam mit dem beauftragten Wirtschaftsprüfer verfügen können soll, tatsachlich auch eingerichtet worden ist.270 Jenseits der Fälle der Verletzung von beruflichen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Ge- 102 schehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, muss der VR Anknüpfungstatsachen vortragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem VN im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, dass und warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.271 c) Kasuistik. Einzelfälle aus jüngerer Zeit:272

103

OLG München 11.3.2020 – 10 U 2150/18, NJW-RR 2020 921 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Der Kollisionshergang lässt den Schluss für eine Fahrt in suizidaler Absicht zu, da ein Umfahren 262 BGH 17.12.1986 – IVa ZR 166/85, RuS 1987 99; OLG Frankfurt/M. 15.7.2020 – 7 U 47/19, RuS 2020 634, 637; OLG Hamm 7.3.2007 – 20 U 132/06, RuS 2007 279.

263 BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 20; OLG Düsseldorf 8.11.2019 – 4 U 182/17, NJOZ 2020 1033, 1041; OLG Karlsruhe 14.3.2017 – 12 U 141/16, RuS 2018 70, 71; OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1495; vgl. auch Lange VersR 2020 588 592 f. 264 OLG Köln 29.11.2011 – 9 U 75/11, VersR 2012 560, 562. 265 OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1495. 266 OLG Karlsruhe 14.3.2017 – 12 U 141/16, RuS 2018 70, 71 (Verkauf von 64 kg Feingold); vgl. auch LG Köln 22.1.2009 – 24 O 363/08, NJOZ 2009 2984. 267 OLG Hamm 22.9.1995 – 20 U 38/95 VersR 1996 1006. 268 LG Wiesbaden 6.3.2019 – 5 0 234/17, RuS 2019 455, 457. 269 LG Kaiserslautern 28.9.2018 – 3 O 244/17, BeckRS 2018 39259. 270 OLG München 17.9.2015 – 23 U 1751/14, BeckRS 2015 16177. 271 BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 21; BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, VersR 2006 106 Rn. 27; OLG Karlsruhe 11.10.2019 – 12 W 10/19, VersR 2020 156; OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1495; OLG Karlsruhe 4.3.2017 – 12 U 141/16, VersR 2017 1389; OLG Köln 24.7.2015 – 20 U 44/15, VersR 2016 322; OLG München 17.9.2015 – 23 U 1751/14, BeckRS 2015 16177; OLG Bremen 20.11.2014 – 3 U 17/14, juris; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, VersR 2010 940, 941 f.; OLG Saarbrücken 31.10.2007 – 5 U 510/06, NJOZ 2008 3483, 3487. 272 Beispiele aus der älteren Rechtsprechungspraxis bei Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. G 225; Beispiele zu § 81 s. Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 166. 243

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

einer geschlossenen Bahnschranke und das Anhalten auf den Schienen andere Zielrichtungen oder Zufälle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hier ausschließt. OLG Köln 3.5.2018 – 9 U 126/17, RuS 2018 594 (Privathaftpflichtversicherung): Indizienbeweis für vorsätzliche Tötung nicht erbracht, da nicht auszuschließen ist, dass der VN sich vor, während und nach der Tötung seines Sohnes in einem emotionalen Ausnahmezustand befand, der seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bezüglich der sich anschließenden Inbrandsetzung entfallen ließ. OLG München 17.2.2017 – 10 U 2007/16, BeckRS 2017 112607 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Indizienbeweis für vorsätzliche Körperverletzung erbracht, wenn Kfz-Fahrer nicht anhält, obwohl seine Frau vor dem Kfz stand. OLG Saarbrücken 20.10.2016 – 4 U 104/15, NJW-RR 2017 350 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Ausgesprochen riskante und unbeherrschte Fahrweise (bewusste Lenkbewegung nach links, um den Überholversuch eines Motorradfahrers zu unterbinden) lässt keinen sicheren Rückschluss auf einen Vorsatz hinsichtlich der Verletzungsfolgen zu. OLG Karlsruhe 27.9.2012 RuS 2012 592 (Privathaftpflichtversicherung): Im Fußball lässt der äußere Hergang eines groben Foulspiels grundsätzlich nicht auf einen die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers ausschließenden Verletzungsvorsatz schließen. Das gilt auch dann, wenn der Spieler mit 20 bis 30 Metern Anlauf und gestrecktem Bein von hinten in seinen Gegner hineingrätscht, ohne den Ball erreichen zu können. Hat er dem Gegner zuvor jedoch bereits gedroht, ihm bei der nächsten Aktion die Beine zu brechen, so kann der Schluss auf einen zumindest bedingten Verletzungsvorsatz ausnahmsweise gerechtfertigt bindend sein. OLG Hamm 11.11.2011 – 20 U 3/11, RuS 2012 284 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Aus der Ankündigung einer Reparatur kann darauf geschlossen werden, dass dem Ankündigenden die Existenz eines Mangels und die Notwendigkeit einer Reparatur bekannt waren. Für eine Akzeptanz von Schadensfolgen, die bis zur Reparatur eintreten, gibt dies jedoch nichts her. OLG Köln 22.9.2008 – 20 W 43/08, VersR 2009 58 (Berufshaftpflichtversicherung): Das anwaltliche Unterlassen jeglicher Reaktionen auf ein zugegangenes Versäumnisurteil verstößt in einer derart krassen und fundamentalen Weise gegen elementare Pflichten eines Rechtsanwalts, dass andere Erklärungen als direkter Vorsatz nicht denkbar sind, jedenfalls aber so weit außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegen, dass sie keiner Ausräumung im Rahmen eines Zivilprozesses bedürfen. OLG Celle 22.11.2007 – 8 U 105/07, OLGR Celle 2008 63 (Privathaftpflichtversicherung): Indizienbeweis für einen die konkreten Gesundheitsschäden umfassenden Vorsatz ist nicht geführt, wenn nicht auszuschließen ist, dass der VN dem Geschädigten aus Reflex mit der Faust ins Gesicht geschlagen hat. OLG Brandenburg 30.8.2007 – 12 U 55/07, VVR 2007 468 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Indizienbeweis für Selbstmordfahrt das Fahrers ist nicht geführt, wenn nicht auszuschließen ist, dass er angesichts der Unfallzeit (3 Uhr) eingeschlafen ist oder infolge des Bedienens des Radios nicht auf die Straße geachtet und deshalb die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hat. OLG Hamm 7.3.2007 – 20 U 132/06, RuS 2007 279 (Berufshaftpflichtversicherung): Indizienbeweis für bewusst pflichtwidriges Verhalten eines Architekten ist erbracht, wenn dieser das Primär- oder Elementarwissen seines Berufs außer Acht gelassen hat, dass ein bloß deckendes Dach nur bei einer bestimmten Dachneigung geplant werden darf und dass ohne eine solche Neigung eine Abdichtung vorzusehen ist. OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Indizienbeweis für vorsätzliche Herbeiführung eines Auffahrunfalls auf der Autobahn durch einen von der Polizei verfolgten flüchtigen Fahrzeugführer ist nicht erbracht, da auf Grund der Persönlichkeit des bei einer Verfolgung am Ende eines „künstlichen Staus“ getöteten verfolgten VN und seiner durch die Verfolgungs-Stress-Situation mit Wahrscheinlichkeit eingeschränkten Wahrnehmungs- und Entscheidungsfähigkeit unmittelbar vor dem Unfall nicht ausräumbare Zweifel am Verletzungsvorsatz bestanden.

Koch

244

F. Verfahrens- und Beweisfragen

VVG § 103

OLG Hamm 15.6.2005 – 13 U 63/05, RuS 2006 33 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Indizienbeweis für die vorsätzliche Herbeiführung einer Sachbeschädigung bei ungebremster Fahrt durch eine schmale Gasse auf einem Kirmesgelände bejaht. OLG Nürnberg 2.12.2004 – 2 U 2712/04, NJW-RR 2005 466 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Indizienbeweis für vorsätzliche Herbeiführung eines Auffahrunfalls ist erbracht bei Abbremsen des Kfz im fließenden Verkehr von ca. 40 km/h bis zum Stand. Hans. OLG Hamburg 27.2.2004 – 14 U 192/03, OLGR Hamburg 2005 85 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Folgende Indizien rechtfertigen in ihrer Gesamtheit die sichere Überzeugungsbildung, dass der Fahrer des VW vorsätzlich auf den Mercedes aufgefahren ist: Die Aufprallgeschwindigkeit lag mit 25 km/h in einem Bereich, der die Verletzungsgefahr gering hielt. Der Mercedes war für den VW-Fahrer bereits aus einer Entfernung von 30 m gut zu erkennen. Der Straßenverlauf war praktisch geradlinig. Vor dem Aufprall wurde nicht abgebremst. Die Vorderräder des VW waren geradeaus gestellt. Zwischen dem Ort der Entwendung des VW und der Kollisionsstelle lag keine große Entfernung. Zum Zeitpunkt der Kollision um 0.15 Uhr brauchte der Fahrer kaum mit Zeugen zu rechnen. OLG Celle 15.5.2003 – 14 U 240/02, zfs 2004 122 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Allein aus den von der Klägerin geschilderten Indizien, insbesondere der ausgesprochen riskanten und unbeherrschten Fahrweise des Fahrzeugführers, ist jedoch ein sicherer Rückschluss auf einen Vorsatz weder für sich gesehen möglich noch in Zusammenschau mit der Bekundung des Zeugen, wie er sie im Ermittlungsverfahren (im Beisein der Klägerin) abgegeben hat. KG 10.3.2003 – 12 U 184/01, VersR 2004 325 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Eine schwierige persönliche Lage des VN einer Kfz-Haftpflichtversicherung aufgrund einer Trennung seiner Ehefrau nach einem Ehestreit, des Verlustes seiner Arbeitsstelle durch eine betriebsbedingte Kündigung sowie einer hohen Verschuldung und die geäußerte Suizidabsicht haben keine Indizwirkung für eine vorsätzliche Herbeiführung eines Verkehrsunfalls durch eine Kollision mit einem anderen Fahrzeug in Selbsttötungsabsicht, wenn der Versicherte zum Unfallzeitpunkt trotz seiner Alkoholisierung den Sicherheitsgurt angelegt hatte und in einem niedrigen Gang mit geringer Geschwindigkeit gefahren ist. Diese gegenläufigen anderen Beweisanzeichen sprechen gegen ein Indiz für eine Selbsttötungsabsicht, so dass sich der VR nicht auf eine Haftungsfreiheit gem. § 152 [a. F.] VVG berufen kann. OLG Frankfurt 26.2.2003 – 7 U 30/02, zfs 2003 359 (Privathaftpflichtversicherung): Indiz für eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens kann eine besonders gefährliche Gewalthandlung sein, bei der der Handelnde den glücklichen Ausgang ohne Gegenvorkehrungen dem Zufall überlässt. Das bloße Richten einer geladenen und ungesicherten Gaspistole auf den Geschädigten bei einem Treffen von Jugendlichen ist zwar eine gefährliche und leichtsinnige Handlungsweise, aber noch keine besonders gefährliche Gewalthandlung, die allein und ohne Gegenvorkehrungen zum Erfolg führt; hinzukommen muss vielmehr, dass der Handelnde den Abzug betätigt. LG Berlin 14.11.2001 – 24 O 597/00, Schaden-Praxis 2002 194 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Dafür, dass es sich bei dem Schadensereignis um einen abgesprochenen, sog. bestellten (fingierten) Unfall gehandelt hat, spricht, dass an dem Unfall zwei erheblich vorgeschädigte Fahrzeuge beteiligt waren und dieser sich nachts in abgelegener Gegend ohne unbeteiligte Zeugen ereignete, wobei wegen angeblich klarer Haftungslage (Vorfahrtverletzung) keine Polizei hinzugezogen wurde, der Unfall jedoch unpräzise und wenig nachvollziehbar geschildert wurde und das Verhalten der Beteiligten vor und nach dem Unfall Widersprüche aufwies sowie bei Abrechnung der Schäden auf Gutachtenbasis erhebliche Vorschäden am Fahrzeug des Geschädigten ebenso wie fehlende Kompatibilität zwischen Unfallhergang und Fahrzeugschäden festgestellt wurden, der Termin zur TÜV-Untersuchung unmittelbar bevorstand und die beteiligten Fahrzeuge kurz nach dem Unfall ins Ausland verkauft wurden. OLG München 29.3.1999 – 30 U 761/98, RuS 2000 58 (Privathaftpflichtversicherung): Der VN, der in Selbsttötungsabsicht einem mit 200 km/h herannahenden ICE-Zug entgegengeht, um sich von diesem überfahren zu lassen, handelt hinsichtlich der Schäden an dem Zug und der 245

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

daraus resultierenden Folgeschäden vorsätzlich, wenn er trotz seiner psychischen Ausnahmesituation nach seinem Bildungsstand und seinen Kenntnissen von den Folgen eines derartigen Selbstmordes damit rechnen musste, dass solche Schadensfolgen zwangsläufig eintreten würden. OLG Köln 16.3.1999 – 9 U 99/98, NVersZ 1999 288 (Privathaftpflichtversicherung): Aus der Intensität und Gefährlichkeit eines Angriffs kann auf eine bedingt vorsätzliche Körperverletzung mit Umfassung der Verletzungsfolgen geschlossen werden. Hans. OLG Hamburg 30.1.1998 – 14 U 152/97, OLGR Hamburg 1998 120 (Kfz-Haftpflichtversicherung): Das Zusammentreffen einer Vielzahl von Indizien, die allesamt in das Erscheinungsbild eines gestellten Verkehrsunfalls nach dem sog. „Berliner Modell“ passen, rechtfertigen den Schluss, dass der Unfallfahrer nach Absprache mit dem Halter vorsätzlich in dessen Fahrzeug hineingefahren ist.

4. Bindungswirkung der Feststellungen im vorausgegangenen Haftungsprozess für den Deckungsprozess 104 Die Beweisführung wird dem VR erleichtert, wenn im vorausgegangenen Haftungsprozess mit Bindungswirkung für den nachfolgenden Deckungsprozess festgestellt worden ist, dass der VN vorsätzlich ein Rechtsgut und/oder eine Vertragspflicht verletzt hat und der daraus resultierende Schaden vom Vorsatz umfasst war. Die Bindungswirkung verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung sowie deren Grundlagen im Deckungsprozess in Frage gestellt werden (§ 106 Rn. 16).273 Sie erstreckt sich dabei nicht nur auf die allgemeine Feststellung der Haftungsfrage, sondern auch auf die Einzelfeststellungen, die das Haftpflichturteil zum Haftungstatbestand getroffen hat, soweit Voraussetzungsidentität besteht, d. h. das Vorliegen der vorsätzlichen Herbeiführung des Schadens i. S. v. § 103 sich auch im Haftpflichtprozess als entscheidungserheblich erweist.274 Der Grundsatz der Voraussetzungsidentität gilt auch für den Risikoausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung. Hier ist die Bindung an eine im Haftpflichtprozess festgestellte schadenverursachende Pflichtverletzung auch dann gegeben, wenn daneben noch andere Pflichtverletzungen bestehen mögen; dem VR ist es insoweit verwehrt, sich zur Begründung eines Ausschlusstatbestands auf eine andere als die festgestellte Pflichtverletzung zu berufen.275 105 Bei Ansprüchen aus § 826 BGB ist zu beachten, dass der Vorsatz zwar die Zufügung des Schadens umfassen muss, für die Sittenwidrigkeit aber bereits leichtfertiges und gewissenloses Verhalten genügen kann.276 Kann somit bereits die grobe Fahrlässigkeit in Form der Gewissenlosigkeit die Sittenwidrigkeit begründen, wirft dieser Befund die Frage auf, ob darüber hinausgehende Feststellungen des Haftpflichtrichters zum Vorsatz Bindungswirkung für den Deckungsprozess haben. 273 Vgl. BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 11; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 10; BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241, 242; BGH 18.2.2004 – IV ZR 126/02, RuS 2004 232, 233 = VersR 2004 590; OLG Brandenburg 29.11.2019 – 7 U 129/18, RuS 2020 154, 155. 274 Vgl. BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 11; BGH 19.3.2003 – IV ZR 233/01, VersR 2003 635, 636; BGH 17.7. 2002 – IV ZR 268/01, VersR 2002 1141; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312 = NVersZ 2001 473, 474; BGH 21.2.1963 – II ZR 71/61, VersR 1963 421, 422; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372; OLG Hamm 6.2.2002 – 20 U 151/01, RuS 2002 323, 325; OLG Hamm 18.5.1988 – 20 U 353/87, RuS 1989 72, 73; OLG Koblenz 7.10.1994 – 10 U 189/94, RuS 1995 92 = VersR 1995 1298, 1299; OLG München 29.3.1999 – 30 U 761/98, RuS 2000 58, 60; OLG Hamm 6.12.1985 – 20 U 126/85, VersR 1987 603, 604; OLG Hamm 25.6.1980 – 20 U 76/78, VersR 1981 178, 180. 275 Vgl. BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 12; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 13; OLG Karlsruhe 31.10.2019 – 9 U 77/17, VersR 2020 472, 474; OLG Karlsruhe 14.3.2017 – 12 U 141/16, RuS 2018 70, 71; vgl. auch OLG Frankfurt/M. 15.7.2020 – 7 U 47/19, RuS 2020 634, 636. 276 BGH 26.9.2000 – X ZR 94/98, VersR 2002 72, 76; BGH 13.2.1992 – III ZR 28/90, NJW 1992 2080, 2083; BGH 26.11.1986 – IVa ZR 86/85, NJW 1987 1758 f.; BGH 12.12.1978 – VI ZR 132/77, VersR 1979 283, 284; BGH 13.7.1956 – VI ZR 132/55, VersR 1956 641; OLG München 13.4.1995 – 24 U 86/93, WM 1997 613, 620. Koch

246

F. Verfahrens- und Beweisfragen

VVG § 103

Dies scheint fraglich. Unabhängig davon führt dieser Befund dazu, dass in der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung für Ansprüche aus § 826 BGB Deckung bestehen kann, da dort in Abweichung von § 103 nur die wissentliche Pflichtverletzung des VN zur Leistungsfreiheit des VR führt, ohne dass sich der Vorsatz des VN auf die Schadenszufügung beziehen muss.

5. Bindungswirkung der Feststellungen im vorausgegangenen Strafprozess/ Adhäsionsverfahren Im Hinblick auf die Herleitung der Bindungswirkung (§ 106 Rn. 17 ff.) vermögen die im Strafverfah- 106 ren getroffenen und eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Verletzung eines Menschen (§§ 223 ff. StGB) oder wegen Sachbeschädigung (§ 303 BGB) tragenden Feststellungen keine Bindungswirkung im Deckungsprozess zu entfalten.277 Dies gilt selbst dann, wenn über die Schadensersatzund Schmerzensgeldansprüche des Verletzten oder seiner Erben (§ 403 Abs. 1 StPO) im Adhäsionsverfahren entschieden wird. Zwar steht die in einem Strafverfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung über den Antrag, durch den der Verletzte den ihm aus einer Straftat des Beschuldigten erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch (§§ 403 f. StPO) geltend macht, gem. § 406 Abs. 3 S. 1 StPO einem im bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen rechtskräftigen Urteil gleich.278 Jedoch ist der VR am Adhäsionsverfahren nicht beteiligt. Er kann – anders als in einem 107 gegen seinen VN vor dem Zivilgericht geführten Haftungsprozess – das Verfahren weder als Prozessvertreter des Beschuldigten führen, noch hat er die Möglichkeit, zur Wahrung seiner Interessen dem Verfahren als Nebenintervenient beizutreten.279 Berücksichtigt man zudem die unterschiedlichen Verfahrensmaximen in Zivil- und Ermittlungsverfahren (Beibringungsmaxime kontra Amtsermittlungsgrundsatz) und der Doppelstellung des Opfers als Anspruchsteller und Zeuge lässt sich in diesen Verfahren nicht mehr von einer Prozessherrschaft des VR sprechen. Damit fehlt die Grundlage für die Bindungswirkung zu Lasten oder zugunsten des VR oder des VN (vgl. § 106 Rn. 30). Deshalb besteht auch keine Bindungswirkung, wenn im Adhäsionsverfahren Vorsatz verneint und der VN nur wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wird. Die gegenteilige Ansicht des OLG Karlsruhe280 überzeugt nicht. Soweit das OLG Karlsruhe zur Begründung anführt, der VR hätte bei einem Zivilprozess über die Haftungsfrage keinen Vorteil gehabt, weil es dem VR verwehrt gewesen wäre, im Haftpflichtprozess ein vorsätzliches Verhalten des VN geltend zu machen, trifft Letzteres zwar zu. Gleichwohl vermag diese Überlegung keine Bindungswirkung des Adhäsionsurteils zu rechtfertigen. Unzutreffend ist die weitere Feststellung des OLG Karlsruhe, dass die Feststellung einer lediglich fahrlässigen Haftung gegenüber dem Geschädigten im Deckungsverhältnis gegenüber dem VR verbindlich bleibt, wenn ein VN es im zivilprozessualen Haftpflichtprozess versäumt, dem VR die Führung des Prozesses zu überlassen (vgl. § 106 Rn. 31).

IV. Revisibilität Ob Vorsatz vorliegt, ist eine Tatfrage, die das Tatgericht nach § 286 ZPO unter Berücksichtigung 108 des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer gegebenenfalls durchgeführten Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat. An die Feststellungen 277 OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782 = RuS 2006 493, 494 f.; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 63; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 20; vgl. auch OLG Zweibrücken 1.7.2010 – 4 U 7/10, NJWRR 2011 496, 497 zur fehlenden Bindungswirkung der in einem Strafurteil getroffenen Feststellung von Tatsachen für das Zivilgericht. 278 BGH 20.1.2015 – VI ZR 27/14, RuS 2015 262 Rn. 6; BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163 Rn. 8. 279 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164, vgl. auch Schirmer DAR 1988 121, 127. 280 OLG Karlsruhe 31.10.2019 – 9 U 77/17, VersR 2020 472, 474 f. 247

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

des Tatgerichts ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO grundsätzlich gebunden. Die Feststellung, dass der VN den Schaden vorsätzlich herbeiführen wollte, ist vom Revisionsgericht nur daraufhin zu überprüfen, ob der Prozessstoff und die Beweisergebnisse umfassend und widerspruchsfrei gewürdigt und dabei die Denkgesetze sowie Erfahrungssätze beachtet worden sind.281

G. Abdingbarkeit 109 § 103 ist dispositiv (§ 112). Zur Rechtslage in der obligatorischen Haftpflichtversicherung s. Rn. 114 f.

I. Abweichungen zugunsten des VN und/oder mitversicherter Personen 1. Einschluss von Haftpflichtansprüchen wegen vorsätzlich herbeigeführter Schäden 110 Eine Abweichung zugunsten des VN und/oder mitversicherte Personen i. S. v. § 43 ist nur in den zuvor beschriebenen Grenzen zulässig. Die Erweiterung des Haftpflichtversicherungsschutzes auf Freistellung bei Tätern, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben, verstößt gegen §§ 138 Abs. 1, 242 BGB (Rn. 11). Wirksam ist der Verzicht auf die Rückforderung der Rechtsschutzkosten im Fall der Feststellung der vorsätzlichen Schadensherbeiführung und vorsätzlichen oder wissentlichen Pflichtverletzung282 sowie die Erweiterung des Haftpflichtversicherungsschutzes auf Sachverhalte, in denen nicht die VN (oder eine versicherte Person) Täter ist, sondern ihre gesetzlichen Vertreter (z. B. Geschäftsführer) oder Repräsentanten.

2. Einschluss von Geldbußen/-strafen 111 § 103 erfasst nicht die Freistellung von Geldbußen/-strafen, weil diese nicht auf den Ausgleich eines Fremdschadens gerichtet sind.283 Die Versicherung von Geldbußen/-strafen wäre als Eigenschadenversicherung zu qualifizieren,284 die gem. § 138 Abs. 1 BGB unwirksam wäre, weil die Freistellung geeignet ist, den Sanktionszweck der Geldbußen/-strafen durch die mit der Versicherung einhergehende vorherige Zusage der Freistellung in sittenwidriger Weise zu beeinträchtigen.285 Anders liegt der Fall, wenn der VN wegen des durch die Zahlung der Geldbuße/-strafe erlit112 tenen Schadens Organe und/oder Mitarbeiter in Regress nimmt. Hier liegt aus der Sicht des in Anspruch Genommenen ein Fremd(vermögens)schaden der VN vor, deretwegen er haftpflichtig sein kann.286 Soweit der in Anspruch Genommene die zum Bußgeld führende Handlung

281 BGH 3.12.2013 – XI ZR 295/12, NJW 2014 1098 Rn. 26 zu § 826 BGB m. w. N. 282 Vgl. OLG Frankfurt/M. 4.8.2021 – 7 W 13/21, BeckRS 2021 21382 (zum Verzicht auf Rückforderung von Verteidigungskosten). Ruttmann 54 f. Ruttmann 56. Ruttmann 104 f. Bruck/Möller/Gädtke A-7 AVB D&O Rn. 111 ff.; R. Koch VersR 2015 655, 656 ff.; Ruttmann 154 ff.; Fleischer AG 2003 291, 294; ders. BB 2008 1070, 1073; Glöckner/Müller-Tautphaeus AG 2001 344, 345 f.; Michalski/Heidinger/ Leible/Schmidt/Ziemons GmbHG, 3. Aufl. (2017), § 43 Rn. 454 ff; Rehbinder ZHR 148 (1984) 555, 570; Thole ZHR 173 (2009) 504, 533; Werner CCZ 2010 143, 146; Zimmermann WM 2008 433, 436; eingeschränkt Bayer FS K. Schmidt (2009) 85, 96 f.; J. Koch Liber Amicorum Winter (2011) 327, 338 ff.; die Haftung der Organmitglieder für Geldbußen

283 284 285 286

Koch

248

G. Abdingbarkeit

VVG § 103

(=Pflichtverletzung gegenüber dem Unternehmen) nicht mit Schädigungsabsicht begangen hat, bewegt sich der Versicherungsschutz in den Grenzen des § 103.

II. Nachteilige Abweichungen für VN und/oder mitversicherte Personen 1. AGB-rechtlicher Ausgangspunkt Formularmäßige nachteilige Abweichungen von § 103 unterliegen der Einbeziehungs- und In- 113 haltskontrolle. Da die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf vorsätzlich herbeigeführte Schäden nicht nur dem VN, sondern auch dem Geschädigten zugutekommt, weil die bestehende Versicherung oftmals die einzige Aussicht auf tatsächliche Entschädigung bietet, handelt es sich nicht nur um eine Vorschrift, die auf Zweckmäßigkeitserwägungen des Gesetzgebers beruht. Sie lässt sich vielmehr als Ausprägung des Gerechtigkeitsgedankens begreifen. § 103 kommt deshalb Leitbildfunktion zu, so dass formularmäßige Abweichungen zulasten des VN (im Rahmen der Einbeziehungskontrolle) an § 305c Abs. 1 BGB, vor allem aber (im Rahmen der Inhaltskontrolle) an § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu messen sind. Dies gilt nicht nur für Ausschlüsse, die bereits bei (grober) Fahrlässigkeit eingreifen, sondern auch für solche Ausschlüsse, die Vorsatz hinsichtlich des haftungsbegründenden Verhaltens ausreichen lassen.287 Diese Feststellung gilt aber nicht für alle Zweige der Haftpflichtversicherung in gleichem Maße, wie nachstehend deutlich wird.

2. Wissentliche Pflichtverletzung a) Obligatorische Haftpflichtversicherung. Die obligatorische Haftpflichtversicherung dient 114 im besonderen Maße dem Schutz geschädigter Dritter (Vor §§ 100–112 Rn. 34).288 Zu diesem Zweck geben die §§ 113 ff. einen Rahmen vor, der regelmäßig durch spezialgesetzliche Regelungen konkretisiert wird, die Vorgaben an den (Mindest-)Inhalt des Versicherungsschutzes enthalten. Diese Vorgaben betreffen nicht nur die zu versichernden Schäden (Sach-, Personen- oder Vermögensschaden) und den Umfang der Leistungspflicht des VR (Deckungssumme, Ersatzwertregelungen), sondern auch die zulässigen Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag, die an das persönliche Verhalten des VN anknüpfen.289 Soweit die spezialgesetzlichen Regelungen Mindeststandards in Bezug auf subjektive Risikoausschlüsse vorsehen, treten diese als Leitbild an die Stelle von § 103. So liegt der Fall z. B. in der Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, Notare und Wirtschaftsprüfer. § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO, § 19a Abs. 2 Nr. 1 BNotO und § 53 Abs. 3 Nr. 1 WPO bestimmen ausdrücklich, dass die Haftung für Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen werden kann. Gleiche Regelungen gelten ihrer Unternehmen verneinen: LG Saarbrücken 15.9.2020 – 7HK O 6/16, NZKart 2021 64, 65; LAG Düsseldorf 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, VersR 2015 629 zu § 81 GWB i. V. m. § 43 GmbHG bezüglich Bußgeldern in einer Höhe von insgesamt 191 Mio. Euro. Das BAG 29.6.2017 – 8 AZR 189/15, NJW 2018 184 hat das Urteil wegen Zuständigkeitsmängeln aufgehoben, ohne in der Sache zu entscheiden; Dreher FS Konzen (2006) 85, 104 ff.; Bachmann BB 2015 907, 911; Kollmann/Aufdermauer BB 2015 1018; Kolb GWR 2015 169; Labusga VersR 2015 634; Thomas NZG 2015 1409 ff.; Grunewald NZG 2016 1121 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas Bd. 3 D&O-Versicherung, Rn. 802 ff. 287 BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312; BGH 17.6.1998 – IV ZR 163/97, RuS 1998 367, 368; BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, NJW-RR 1991 145, 146; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, VersR 2010 940, 941; OLG Köln 22.9.2008 – I-20 W 43/08, NJW-RR 2009 994; OLG Saarbrücken 12.12.2007 – 5 U 242/06, NJOZ 2008 2882, 2885; OLG Bamberg 8.8.2006 – 5 U 247/04, NZV 2007 237, 238; OLG Karlsruhe 24.3.2005 – 12 U 432/04, NZV 2005 378, 379; OLG Nürnberg 2.12.2004 – 2 U 2712/04, NZV 2005 267, 268; OLG Köln 16.3.1999 – 9 U 99/98, NVersZ 1999 288 zu § 152 a. F. 288 Bruck/Möller/Beckmann § 113 Rn. 15. 289 Langheid/Wandt/Brand Vorbemerkung zu §§ 113 bis 124 Rn 22; Bruck/Möller/Beckmann Vor §§ 113–124 Rn. 34. 249

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

für die obligatorische Haftpflichtversicherung von Patentanwälten,290 Steuerberatern,291 Versicherungs-,292 Finanzanlagen-293 und Immobiliendarlehensvermittlern,294 Schiffbewachungsunternehmen,295 Immobilienmaklern, Darlehensvermittlern, Bauträgern, Baubetreuern und Wohnimmobilienverwaltern296 sowie Rechtsdienstleister i. S. d. RDG.297 Zwar kommt dort noch eine Inhaltskontrolle der Pflichtwidrigkeitsklausel in Betracht, da es sich beim Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung um eine § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO, § 19a Abs. 2 Nr. 1 BNotO und § 53 Abs. 3 Nr. 1 WPO ergänzende Regelung i. S. v. § 307 Abs. 3 S. 1 handelt. Eine unangemessene Benachteiligung i. S. v. §§ 307 Abs. 1 S. 1, 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB scheidet jedoch ebenso aus wie eine Vertragszweckgefährdung i. S. v. § 114 Abs. 2 S. 1. 115 Erlauben die den Inhalt der obligatorischen Haftpflichtversicherung konkretisierenden gesetzlichen Regelungen nicht den Ausschluss der Haftung für Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung, ist die Pflichtwidrigkeitsklausel gem. § 134 BGB unwirksam,298 da die damit einhergehende Einschränkung des Opferschutzes gegen § 114 Abs. 2 S. 1 verstößt.299 Nach § 117 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 beschränken subjektive Risikoausschlüsse die vom VR übernommene Gefahr. Bei formularmäßiger Verwendung ist die Klausel auch gem. §§ 307 Abs. 1 S. 1, 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam.300 Gem. § 306 Abs. 2 BGB tritt an die Stelle der unwirksamen Regelung § 103. So liegt der Fall z. B. in der Berufshaftpflichtversicherung der PartG mbB und der Rechtsanwalts-GmbH. Für die PartG mbB ist in § 51a Abs. 1 S. 2 BRAO geregelt, dass § 51 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 sowie Abs. 3 Nr. 2 bis 5 und Abs. 5 bis 7 BRAO auf die PartG mbB entsprechend anzuwenden sind. § 51a Abs. 1 S. 2 BRAO verweist somit nicht auf § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO. Gleiches gilt für die Rechtsanwalts-GmbH. In § 59j Abs. 1 BRAO wird ebenfalls nicht mehr auf § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO verwiesen.301 Ausweislich der nachstehenden im Auszug wiedergegebenen Gesetzesbegründung zu § 51a BRAO soll hier die Regelung des § 103 gelten:302 „Die in § 51a Abs. 1 S. 2 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vorgeschlagene Verweisung auf § 51 Abs. 3 Nr. 1 soll entfallen. Nach dieser Vorschrift kann der Versicherungsschutz für Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen werden. Infolge der Beschränkung der Haftung bei der Partnerschaftsgesellschaft mbB wären geschädigte Personen dann mit ihren vertraglichen Schadensersatzansprüchen auf das Gesellschaftsvermögen und im Übrigen auf deliktische Ansprüche gegen handelnde Personen angewiesen. Dabei würde eine (rechtliche) Schutzlücke entstehen: Der Versicherungsschutz entfiele bereits dann, wenn ein wissentlicher Pflichtverstoß vorliegt; darauf, ob auch der Schaden vom Vorsatz umfasst war, kommt es nicht an. Eine deliktische Haftung setzte demgegenüber regelmäßig voraus, dass der Vorsatz nicht nur die Handlung, sondern auch den Schaden umfasst. Der Versicherungsschutz könnte also in dieser besonderen Situation entfallen, ohne dass deliktische Ansprüche bestünden, die diesen Ausfall – gemeint ist das Nicht-Bestehen eines nicht auf das Gesellschaftsvermögen begrenzten Schadensersatzanspruchs – kompensieren würden. Um diese Schutzlücke zu schließen, soll die Verweisung auf § 51 Abs. 3 Nr. 1 in § 51a Abs. 1 S. 2 des Gesetzentwurfs

290 291 292 293 294 295 296 297 298

§ 45 Abs. 3 Nr. 1 PAO. § 53a Abs. 1 Nr. 1 DVStB, vgl. auch § 12 Nr. 1 DVLstHV. § 12 Abs. 5 VersVermV. § 9 Abs. 5 FinVermV. § 10 Abs. 5 ImmVermV. § 12 Abs. 3 S. 1 SeeBewachV. § 15 Abs. 5 MaBV. § 5 Abs. 3 Nr. 1 RDV. Prölss/Martin/Klimke § 114 Rn. 4; tendenziell auch Bruck/Möller/Beckmann § 114 Rn. 29, 31; a. A. Dallwig VersR 2014 19, 21 ff.; Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150 ff.; Langheid/Wand/Brand § 114 Rn. 19. 299 A. A. Bruck/Möller/Beckmann § 114 Rn. 41; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 114 Rn. 4; Prölss/ Martin/Klimke § 114 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber § 114 Rn. 10. 300 Zum Nebeneinander von § 134 BGB und § 307 BGB und die Beschränkung der Nichtigkeit gem. § 134 auf die nachteilige Klausel vgl. BGH 28.7.2015 – XI ZR 434/14, NJW 2015 3025 Rn. 26; für Herleitung der Unwirksamkeit aus § 114 Abs. 2 S. 1 Bruck/Möller/Beckmann § 114 Rn. 31. 301 Vgl. Dallwig VersR 2014 19, 24. 302 BTDrucks. 17/13944 S. 15. Koch

250

G. Abdingbarkeit

VVG § 103

der Bundesregierung gestrichen werden. Es gilt dann die allgemeine Regelung des § 103 VVG, nach der der Haftpflichtversicherer erst dann von der Leistungspflicht befreit ist, wenn auch der Schaden vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Die Änderung führt deshalb dazu, dass im Falle eines Leistungsausschlusses des Versicherers die beschriebene Schutzlücke nicht entstehen kann, weil in diesen Fällen stets deliktische Ansprüche gegen schädigende Personen bestehen.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

b) Freiwillige Haftpflichtversicherung aa) Pflichtwidrigkeitsklausel. Außerhalb der obligatorischen Haftpflichtversicherung (z. B. 116 Privat- und Produkthaftpflichtversicherung.303 Umwelthaftpflichtversicherung,304 D&O-Versicherung) ist die Wirksamkeit des Risikoausschlusses der wissentlichen Pflichtverletzung an § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu messen und es gelten die allgemeinen AGB-rechtlichen Grundsätze. Entweder wird die Benachteiligung des VN durch einen anderweitig vereinbarten Vorteil ausgeglichen305 oder es besteht eine besondere Rechtfertigung für die Abweichung.306 Insoweit ist der Hinweis geboten, dass nicht jede Abweichung einer AGB-Klausel von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung zu deren Unwirksamkeit führt. Diese Rechtsfolge tritt vielmehr nur dann ein, wenn die Klausel außerdem den VN entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.307 Grundlage für die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung sind die Inte- 117 ressen aller Beteiligten.308 Bei einer Fremdversicherung ist in erster Linie auf die Interessen der versicherten Person abzustellen, weil dieser alle Forderungsrechte aus der Versicherung zustehen.309 Bei der Interessenabwägung ist zu beachten, dass die Abweichung von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung begründet. Um diese Vermutungsregelung zu widerlegen, bedarf es deshalb eines berechtigten Interesses des Klauselverwenders, dass „das Interesse der Gegenseite an der Einhaltung der durch das Gesetz gezogenen Grenze übersteigt“.310 Der Risikoausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung bietet nach der Rechtsprechung 118 einen solchen angemessenen Ausgleich. Beispielhaft sei das Grundsatzurteil des BGH vom 26.9.1990 zitiert:311

303 A2-2.10.16 AVB PHV, Ziff. 6.2.4 ProdHM/A3-8.1 lit. b) AVB BHV. 304 Z. B. Ziff. 6.10 UmweltHM/A2-2.10.16 AVB BHV; vgl. OLG Karlsruhe 11.10.2019 – 12 W 10/19, RuS 2019 701, 703 f.; R. Johannsen RuS 2000 133, 136.

305 Vgl. BGH 29.11.2002 – V ZR 105/02, BGHZ 153 93, 102 = NJW 2003 888, OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/ 08, VersR 2009 1067, 1068.

306 Vgl. BGH 21.4.2015 – XI ZR 200/14, BGHZ 205 83 Rn. 17 ff. = VersR 2015 1300; BGH 26.5.1999 – VIII ZR 102/98, BGHZ 141 391, 397–399 = NJW 1999 2662; BGH 31.5.1990 – IX ZR257/89, VersR 1990 1124; Erman/Roloff/Looschelders § 307 Rn. 26. 307 Vgl. BGH 28.1.2003 – XI ZR 156/02, NJW 2003 1447, 1448; BGH 7.5.1996 – XI ZR 217/95 NJW 1996 2032, 2033. 308 BGH 28.1.2003 – XI ZR 156/02, NJW 2003 1447, 1448; vgl. auch Langheid/Wandt/Bruns § 307 Rn. 102; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer § 307 Rn. 127; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 246. 309 BGH 23.6.1999 – IV ZR 136/98, VersR 1999 1390, 1391; BGH 16.11.1992 – II ZR 184/91, BGHZ 120 216, 223 = NJW 1993 2442; vgl. auch BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318 Rn. 23; BGH 11.5.2005 – IV ZR 25/04, VersR 2005 976; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer § 307 Rz. 167; Staudinger/Wendland (2019) BGB § 307 Rn. 146; Prölss/ Martin/Armbrüster 1. Einleitung Rz. 113; R. Koch VersR 2020 1284, 1288; Wandt VersR 2020 1438, 1439. 310 BGH 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, NJW 1990 2065, 2066 – zur Verjährungsverlängerung; vgl. auch BGH 28.1.2003 – XI ZR 156/02, NJW 2003 1447, 1448; dagegen reichen im Anwendungsbereich des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB (nachteilige Abweichung von Vorschriften ohne Leitbildcharakter) bereits gleichwertige Interessen des Verwenders aus; vgl. BGH 7.12.2010 – XI ZR 3/10, NJW 2011 1801 Rn. 48; BGH 15.4.2010 – Xa ZR 89/09, NJW 2010 2942 Rn. 18; BGH 27.5.2010 – VII ZR 165/09, NJW 2010 2272 Rn. 23; BGH 23.9.2010 – III ZR 21/10, NJW 2010 3568 Rn. 12. 311 BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, NJW-RR 1991 145, 146 – zur Steuerberaterhaftpflichtversicherung. 251

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

„Die aufgezeigte Regelung weicht auch nicht in einem Maße von dem gesetzlichen Leitbild des § 152 VVG ab, daß dadurch die betroffenen Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt werden (§ 9 AGBG). Dem wesentlichen Gehalt von § 152 VVG bleibt angemessen Rechnung getragen: Das Entfallen des Tatbestandsmerkmals – Voraussehen des schädigenden Erfolges als zumindest möglich und billigende Inkaufnahme seines Eintritts – wird ausgeglichen dadurch, daß der Risikoausschluß nur bei Verstößen greift, die ihrer Art nach schadensgeneigt sind, was dem Versicherungsnehmer bei zutreffender Beurteilung seiner Pflichten nicht verborgen bleibt, und daß diese Verstöße eben wissentlich begangen worden sein müssen. Zu dieser Bewußtseinslage gehört die Erkenntnis, welchem Rechtsgüterschutz die sachgerechte Pflichtenwahrnehmung dienen soll. Der Versicherungsnehmer wird nicht dadurch entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, daß er für die Inanspruchnahme wegen eines Schadens keinen Haftpflichtversicherungsschutz erhält, sofern der Schaden das Endglied einer Kausalkette ist, die mit einer wissentlichen Pflichtverletzung in Gang gesetzt worden ist.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

Gemessen an dieser Begründung des BGH dürften Klauseln, die den Versicherungsschutz für die vorsätzliche Pflichtverletzung ausschließen, einer Inhaltskontrolle nicht standhalten, weil in diesem Fall ein bedingtes Bewusstsein in der Form einer billigenden Inkaufnahme, dass ein Verhalten pflichtwidrig sein könnte, ausreicht (vgl. aber Rn. 121). Der BGH hat die Wirksamkeit der Pflichtwidrigkeitsklausel in seinem Urteil vom 20.6.2001 bekräftigt312 und in späteren Entscheidungen nicht mehr problematisiert.313 Die Instanzgerichte haben sich der rechtlichen Bewertung des BGH ausnahmslos angeschlossen;314 ebenso fast ausnahmslos die Literatur.315

119 bb) Kenntnisklausel (Ziff. 7.2 AHB 2016). Die Kenntnisklausel nach Ziff. 7.2 AHB 2016 (A17.2 AVB BHV, § 4 II Ziff. 1 S. 2 AHB a. F.) lässt sich ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Nachteilsausgleichung rechtfertigen. Diese bestimmt, dass beim Inverkehrbringen von Erzeugnissen oder dem Erbringen von Arbeiten oder sonstigen Leistungen die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit dem Vorsatz gleichsteht. Das bedeutet, dass der schädigende Erfolg selbst nicht mit in den Willen aufgenommen sein muss. Allerdings muss die Mangelhaftigkeit positiv bekannt sein; grob fahrlässige Unkenntnis erfüllt den Ausschlusstatbestand nicht.316 Insofern besteht auch hier das Erfordernis einer wissentlichen Pflichtverletzung des Verkäufers, so dass sich die Kenntnisklausel als Unterfall der Pflichtwidrigkeitsklausel begreifen lässt. 120 Die Kenntnisklausel ist darüber hinaus durch berechtigte Interessen des VR gerechtfertigt, die die Interessen des VN an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Lage übersteigen. Das berechtigte Interesse des VR folgt aus den Beweisschwierigkeiten, die sich namentlich bei dem bestimmungsgemäßen Weiterverkauf einer Ware ergeben können.317 Der VR wird den (naheliegenden) Einwand des VN, er habe wohl die Schädlichkeit gekannt, aber darauf vertraut, dass kein Schaden eintrete, oftmals nicht widerlegen können. Ebenso gewichtig ist der übergeordne312 Vgl. BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312. 313 Vgl. BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 19 ff. 314 Vgl. OLG Frankfurt/M. 15.7.2020 – 7 U 47/19, RuS 2020 634, 635; OLG München 10.2.2016 – 3 U 4332/13, RuS 2016 123, 124; OLG Frankfurt/M. 9.6.2011 – 7 U 127/09, RuS 2011 509, 511; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372; OLG Köln 22.9.2008 – 20 W 43/08, NJW-RR 2009 994; OLG Saarbrücken 12.12.2007 – 5 U 242/06, NJOZ 2008 2882, 2885. 315 Bruck/Möller/Gädtke A-7 AVB D&O Rn. 52 ff.; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 17; Langheid/Rixecker/ Langheid § 103 Rn. 4; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 17; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski VVG § 103 Rn. 13; Kordes RuS 2019 307, 309 ff.; Looschelders VersR 2018 1414, 1415; de Lippe VersR 2021 69, 75; a. A. Dilling VersR 2021 1076, 1078; ders. VersR 2018 332, 333 f. 316 BGH 26.1.1961 – II ZR 218/58, VersR 1961 265, 266; BGH 27.6.1953 – II ZR 176/52, VersR 1953 316, 317; OLG Karlsruhe 20.3.2003 – 12 U 214/02, RuS 2003 282, 283; OLG Stuttgart 5.5.1994 – 7 U 313/93, RuS 1994 451, 452 = VersR 1995 1229; vgl. ÖOGH 24.10.1974 – 7 Ob 152/74, VersR 1976 54, 55; ÖOGH 7.11.1973 – 7 Ob 209/73, VersR 1975 75. 317 OGH für die Britische Zone 10.2.1950 – II ZS 24/49, OGHZ 3 316, 320 f.; Süß VersR 1950 84, 85. Koch

252

G. Abdingbarkeit

VVG § 103

te Gesichtspunkt, dass durch die Haftpflichtversicherung keinerlei Anreize für vorsätzliche Pflichtverletzungen geschaffen werden dürfen (vgl. Rn. 10 f.). Beide Aspekte sind geeignet, in der D&O-Versicherung schon allein Ausschlüsse für 121 (bedingt) vorsätzliche Pflichtverletzungen zu rechtfertigen,318 weil sich hier den versicherten Personen bei wohlkalkulierten Pflichtverletzungen die Chance auf einen Vorteil (z. B. höhere variable Vergütung) bietet. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die D&O-Versicherung von der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung. Einem Rechtsanwalt oder Steuerberater bietet sich nämlich in der Regel keine Chance auf einen (rechtmäßigen) Vorteil, wenn er gegenüber seinem Mandanten vorsätzlich eine Pflichtverletzung begeht. Das Ziel, Organmitgliedern aus Gründen der Verhaltenssteuerung und zur Verminderung des subjektiven Risikos den Einwand abzuschneiden, sie hätten darauf vertraut, keine Pflichtverletzung zu begehen und es würde kein Schaden eintreten, steht nicht nur im Einklang mit den Wertungen des (historischen) Gesetzgebers, sondern – wie die Einführung des obligatorischen Selbstbehalts beschränkt auf die D&O-Versicherung zeigt (§ 93 Abs. 2 S. 3 AktG) – auch mit der rechtspolitischen Entwicklung.

3. Grob fahrlässige Pflichtverletzung/Herbeiführung des Schadens Im Lichte der vom BGH zur Wirksamkeit der Pflichtwidrigkeitsklausel gegebenen Begründung 122 halten Klauseln in der freiwilligen Haftpflichtversicherung, die die Leistungsfreiheit des Haftpflicht-VR auch bei nur grob fahrlässiger Pflichtverletzung/Herbeiführung des Schadens vorsehen, einer Inhaltskontrolle nicht stand.319 Nach Lücke verstößt eine solche Regelung gegen die Leitentscheidung des Reform-Gesetzgebers zur Quotierung des Schadens nach der Schwere der groben Fahrlässigkeit.320

4. Individualisierende Beschreibungen des versicherten Risikos In der freiwilligen Haftpflichtversicherung bleibt dem VR nur die Möglichkeit, sich auf der Ebe- 123 ne der primären oder sekundären Risikoabgrenzung durch individualisierende Beschreibungen des versicherten Risikos zu schützen, die sich freilich an § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB messen lassen müssen. Zu solchen individualisierenden Beschreibungen zählt die Infektionsklausel nach Ziff. 7.18 124 AHB 2016 (A1-7.11 AHB PHV). Danach besteht kein Versicherungsschutz für Haftpflichtansprüche wegen Personenschäden, die aus der Übertragung einer Krankheit des VN resultieren, sowie Sachschäden, die durch Krankheit der dem VN gehörenden, von ihm gehaltenen oder veräußerten Tiere entstanden sind. In beiden Fällen besteht Versicherungsschutz, wenn der VN beweist, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat. Dieser Ausschluss ist nicht an § 103 zu messen.321 Der Sache nach handelt es sich um einen Vollausschluss mit Wiedereinschluss für den Fall des Entlastungsbeweises, den nach allgemeinen Grundsätzen der Begüns-

318 Looschelders VersR 2018 1413, 1416; Dreher VersR 2015 781, 783; Seitz VersR 2007 1476, 1478. 319 A. A. OLG Köln 16.5.1995 – 9 U 61/94, RuS 1995 410; OLG Köln 7.10.2003 – 9 U 63/01, NZV 2004 260; OLG München 10.3.1993 – 7 U 5795/92, VersR 1994 92 = OLGR 1993 126; OLG München 12.12.1990 – 30 U 505/90, zfs 1991 101 f.; OLG Karlsruhe 29.6.1995 – 12 U 186/94, VersR 1995 1306, 1308 (alle für Gütertransporte); offenlassend OLG Saarbrücken 13.7.2005 – 5 U 689/04, VersR 2006 503, 505, das die Wirksamkeit der Klausel allerdings nicht am Maßstab des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, sondern an § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB misst. 320 Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 16. 321 A. A. R. Johannsen RuS 2000 133, 136 zu § 152 a. F. 253

Koch

§ 103 VVG

Herbeiführung des Versicherungsfalles

tigte zu führen hat.322 Es bestehen deshalb auch keine Wirksamkeitsbedenken nach § 309 Nr. 12 BGB.323 125 Als weiteres Beispiel für eine Beschränkung des versicherten Risikos der Haftpflicht aus den „Gefahren des täglichen Lebens“ in der Privathaftpflichtversicherung lässt sich der Ausschluss „ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung“ anführen (Ziff. 1 BBR PHV /A1-7.15 AHB PHV), der insbesondere in den Fällen bedeutsam werden kann, in denen der Nachweis vorsätzlicher Schadensbeifügung misslingt. Vgl. OLG Köln 2.5.1991 – 5 U 157/90, VersR 1991 1283: Weiß der VN, der Alkoholiker ist, dass er nach übermäßigem Alkoholkonsum regelmäßig Straftaten, insbesondere Brandstiftungen, begeht, so stellt die Tatsache, dass er sich in einen Vollrausch versetzt, im Hinblick auf seine Person eine ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung dar.324 126 Schließlich behandelt die Rechtsprechung auch die Erprobungsklausel nach dem Produkthaftungsmodell (Ziff. 6.5.2 ProdHM/A3-8.26 AVB BHV) als individualisierende Beschreibung eines versicherten Wagnisses.325

H. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich 127 Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 103 ist § 152 VersVG, der mit § 152 a. F. identisch ist und den der OGH ebenso wie der BGH zu § 152 a. F. dahin versteht, dass sich der Vorsatz des VN auch auf die Schadensfolgen erstrecken muss.326 In der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung wird regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Ausschlusstatbestand zu verschärfen und die Haftung des VR für wissentlich begangene Pflichtverletzungen auszuschließen.327 In der Betriebshaftpflichtversicherung wird darüber hinaus dem Vorsatz die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten gleichgestellt.328 Die Regeln der Gefahrerhöhung finden neben § 152 VersVG Anwendung.329 128 Zur Privathaftpflichtversicherung sind keine Urteile des OGH mit Bezug zu § 152 VersVG veröffentlicht, was seinen Grund darin hat, dass der OGH die Inanspruchnahme wegen vorsätzlich herbeigeführter Schäden (auch im Rahmen von Notwehrhandlungen) nicht zu den Gefahren des täglichen Lebens zählt, so dass bereits auf der Ebene der primären Risikoabgrenzung kein Versicherungsschutz besteht und sich die Frage der vorsätzlichen Herbeiführung des Schadens nicht mehr stellt.330 So hat der OGH eine Gefahr des täglichen Lebens u. a. dann abgelehnt, 322 OLG Oldenburg 8.3.2000 – 2 U 2/00, NVersZ 2000 535, 536 = VersR 2001 91; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 7 AHB Rn. 155; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider § 24 Rn. 96; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 7 Rn. 440; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski Ziff. 7 AHB Rn. 89. 323 A. A. R. Johannsen RuS 2000 133, 135; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 4 AHB Rn. 97. 324 Zu Einzelheiten und weiteren Beispielen s. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 3 AHB Rn. 39 ff. u. 54 ff. 325 BGH 9.1.1991 – IV ZR 264/89, VersR 1991 414, 416.; s. hierzu Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 6 ProdHM Rn. 23 ff. 326 OGH 16.2.2005 – 7Ob286/04s, ECLI:AT:OGH0002:2005:0070OB00286.04S. 0216.000; OGH 28.6.2000 – 7Ob141/ 00m, ECLI:AT:OGH0002:2000:0070OB00141.00M.0628.000; OGH 23.6.1999 – 7Ob174/99k, ECLI:AT:OGH0002:1999: 0070OB00174.99K.0623.000; OGH 22.11.1995 – 7Ob9/95, ECLI:AT:OGH0002:1995:0070OB0009.95.1122.000; OGH 21.5.1992 7 Ob 6/92, VersR 1993 511. 327 Vgl. Ramharter 5/27 ff.; Fenyves/Schauer/Reisinger § 152 Rn. 36. 328 OGH 22.11.1995 – 7Ob9/95, ECLI:AT:OGH0002:1995:0070OB0009.95.1122.000; OGH 16.2.2005 – 7Ob286/04s, ECLI:AT:OGH0002:2005:0070OB00286.04S. 0216.000. 329 OGH 25.2.1970 – 7Ob29/70, ECLI:AT:OGH0002:1970:0070OB00029.7.0225.000. 330 Krit. R. Koch VbR 2019 171, 173 f. Koch

254

H. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 103

wenn der VN die Schadenszufügung von vornherein plant,331 aktiv in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt wird und einen Unbeteiligten verletzt,332 dem noch am Boden Liegenden einen Fußtritt gegen den Kopf versetzt,333 eine schwere Körperverletzung im Zustand der vollen Berauschung verübt,334 aktiv in eine Handgreiflichkeit einmischt und dabei einem Kontrahenten einen „Schupfer“ versetzt, der weder Abwehrreaktion noch Reflexhandlung oder Schlichtungsversuch war und zu einer schweren Verletzung einer dritten Person führt,335 im Zuge der Abwehr eines tatsächlich oder fahrlässig irrtümlich angenommenen Angriffs seines Vaters aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet oder sich fahrlässig einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient und seinen Vater grob fahrlässig tötet336 oder infolge psychischer Erkrankung eine Messerattacke ausübt.337

II. PEICL Die PEICL enthalten in Art. 14:103 eine Regelung zur vorsätzlichen Herbeiführung des Schadens 129 durch den VN. Entsprechend der Rechtslage nach § 103 ist der VR gem. Abs. 1 Halbs. 1 insoweit von seiner Verpflichtung zur Leistung befreit, als der VN den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Abs. 1 Halbs. 1 wird ergänzt durch Regelungen, die nach deutschem Verständnis zu den Rettungsobliegenheiten zählen. So ist der VR nach Abs. 1 Halbs. 2 im Fall der Nichtbefolgung von spezifischen Anweisungen des VR nach Eintritt des Schadens von seiner Leistungspflicht befreit, als dies leichtfertig und in dem Bewusstsein erfolgt, dass sich der Schaden wahrscheinlich vergrößert. Abs. 2 bestimmt, dass die Schadensherbeiführung auch das Versäumnis der Abwendung oder Minderung des Schadens umfasst. Fehlt es an einer Bestimmung im Versicherungsvertrag, die eine Kürzung der Versicherungsleistung entsprechend der Schwere des Verschuldens vorsieht, hat der VN nach Abs. 3 Anspruch auf die Versicherungsleistung hinsichtlich jedes Schadens, der durch fahrlässige Nichtbefolgung von spezifischen Anweisungen des Versicherers nach Eintritt des Schadens verursacht wurde.

331 332 333 334 335 336 337 255

St. Rspr., vgl. OGH 18.10.2017 – 7 Ob145/17z, VersR 2018 834. OGH – 7 Ob 245/13z, VersR 2014 1355. OGH 29.5.2019 – 7 Ob 86/19a, ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00086.19A.0529.000. OGH 13.10.2016 – 7 Ob189/16v, ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00189.16V.1013.000. OGH 29.3.2017 – 7 Ob18/17y, ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00018.17Y.0329.000. OGH 30.1.2019 – 7 Ob243/18p, ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00243.18P.0130.000. OGH 18.10.2017 – 7 Ob145/17z, ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00145.17Z.1018.000. Koch

§ 104 Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers (1) Der Versicherungsnehmer hat dem Versicherer innerhalb einer Woche die Tatsachen anzuzeigen, die seine Verantwortlichkeit gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnten. Macht der Dritte seinen Anspruch gegenüber dem Versicherungsnehmer geltend, ist der Versicherungsnehmer zur Anzeige innerhalb einer Woche nach der Geltendmachung verpflichtet. (2) Wird gegen den Versicherungsnehmer ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, Prozesskostenhilfe beantragt oder wird ihm gerichtlich der Streit verkündet, hat er dies dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. Dies gilt auch, wenn gegen den Versicherungsnehmer wegen des den Anspruch begründenden Schadensereignisses ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. (3) Zur Wahrung der Fristen nach den Absätzen 1 und 2 genügt die rechtzeitige Absendung der Anzeige. § 30 Abs. 2 ist entsprechend anzuwenden.

Schrifttum Felsch Neuregelung von Obliegenheiten und Gefahrerhöhung, RuS 2007 485; ders. Die neuere Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Haftpflichtversicherung, RuS 2008 265; Franz Das Versicherungsvertragsrecht im neuen Gewand, VersR 2008 298; ders. Die Reform des Versicherungsvertragsrechts – ein großer Wurf? DStR 2008 303; Grote/Schneider VVG 2008: Das neue Versicherungsvertragsrecht, BB 2007 2689; Langheid Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, NJW 2007 3665 und 3745; ders. Tücken in den §§ 100 ff. VVG-RegE, VersR 2007 865; ders. Nach der Reform: Neue Entwicklungen in der Haftpflichtversicherung, VersR 2009 1043; Littbarski Die AHB-Reform von 2004 (Teil 1), PHi 2005 97; ders. Die AHB-Reform von 2004 in Gestalt der Überarbeitung von 2006 (Teil 2), PHi 2006 82; ders. Auswirkungen der VVG-Reform auf die Haftpflichtsparte, PHi 2007 126 und 176; Maier Die Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen nach dem Regierungsentwurf zur VVG-Reform, RuS 2007 89; Marlow Die Verletzung vertraglicher Obliegenheiten nach der VVG-Reform: Alles nichts, oder? VersR 2007 43; Schimikowski Die Rechtsfolgen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung nach dem neuen VVG, VersR 2009 1304; Schirmer Die Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, ZVersWiss Supplement 2006 427; Thalmair Die Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, ZVersWiss Supplement 2006 459.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

II.

Inhalt und Normzweck

2

III.

Rechtsnatur und Abgrenzung

IV.

Besonderheiten in der Pflichthaftpflichtversiche8 rung

IV.

Ermittlungsverfahren (§ 104 Abs. 2 S. 2)

C.

Kenntnis des VN von den anzuzeigenden Um21 ständen

D.

Modalitäten der Anzeigeerstattung

I.

Inhalt der Anzeige

II.

Form der Anzeige

III.

Fristen

IV.

Erklärungsadressat

17

25

5

9

25 27

29

B.

Anzuzeigende Umstände

I.

Tatsachen i. S. d. § 104 Abs. 1 S. 1

II.

Geltendmachung i. S. v. § 104 Abs. 1 S. 2

10

E.

Erlöschen der Anzeigeobliegenheit

III.

Gerichtliche Geltendmachung nach § 104 Abs. 2 14 S. 1

I.

Erfüllung

9

Koch https://doi.org/10.1515/9783110522662-006

30 31

31

256

VVG § 104

A. Einführung

II.

Kenntnis des VR von den anzeigepflichtigen Um32 ständen (§ 104 Abs. 3 S. 2)

III.

Leistungsverweigerung

IV.

Abtretung des Versicherungsanspruches, Anerkenntnis und/oder Befriedigung des Haftpflicht37 anspruches

34

F.

Obliegenheitsbelastete bei Fremdversiche38 rung

G.

Rechtsfolgen bei Verletzung der Anzeigeob39 liegenheiten

I. 1.

40 (Teilweise) Leistungsfreiheit Vorsätzliche Anzeigeobliegenheitsverlet40 zung

2.

Grob fahrlässige Anzeigeobliegenheitsverlet42 zung

II.

Belehrungspflicht des VR?

III.

Verzicht des VR

45

H.

Abdingbarkeit

47

I.

Beweislast

J.

Österreichisches Recht/Principles of Europe50 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

44

49

50 51

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 104 Abs. 1 stimmt mit dem bisherigen § 153 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 a. F. überein. § 104 Abs. 2 ent- 1 spricht sachlich § 153 Abs. 4 a. F. Anstelle des Begriffs „Ereignis“ in § 153 Abs. 4 S. 2 a. F. ist der Begriff „Schadensereignis“ getreten. § 104 Abs. 3 S. 1 entspricht § 153 Abs. 3 a. F. § 153 Abs. 1 S. 1 a. F. wurde durch das Gesetz vom 7.9.19391 geändert. Nach der Fassung vom 20.5.1908 begann die Frist zur Anzeige des Versicherungsfalles mit dem Zeitpunkt, in welchem der Dritte seinen Anspruch gegenüber dem VN geltend machte. Der Gesetzgeber war dabei davon ausgegangen, dass den VR erst die Inanspruchnahme durch den geschädigten Dritten interessiere.2 Aus dieser gesetzlichen Regelung hatte das RG gefolgert, dass nach dem Gesetz in der Haftpflichtversicherung der maßgebende Zeitpunkt für den Versicherungsfall die Inanspruchnahme durch den Dritten sei.3 Durch die Änderung im Jahre 1939 wollte der Gesetzgeber, ohne sich auf einen bestimmten Begriff des Versicherungsfalles festzulegen, dem von den VR vorgetragenen Bedürfnis Rechnung tragen, schon vor der Erhebung von Ansprüchen im Interesse der Schadensverhütung und Schadensminderung von möglichen ersatzpflichtigen Schäden Kenntnis zu erhalten.4 Um jeden Zweifel über die Rechtsfolgen einer Verletzung der in § 153 Abs. 1 a. F. festgelegten Anzeigelast zu beheben, sah § 153 Abs. 1 S. 2 a. F. die entsprechende Anwendung von § 6 Abs. 3 a. F. und § 33 Abs. 2 a. F. auf diese Anzeige vor. § 104 Abs. 3 S. 2 erklärt nur § 30 Abs. 2 für entsprechend anwendbar, welcher sachlich mit § 33 Abs. 2 a. F. übereinstimmt. § 30 Abs. 2 kommt zur Anwendung, wenn – wie üblich5 – vertraglich die Leistungsfreiheit des VR bei Verletzung einer Anzeigepflicht nach § 104 Abs. 1 oder 2 festgelegt ist. Der ursprünglich nur für die Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 a. F. geltende Verweis erstreckt sich nach der Neufassung

1 RGBl. I S. 2203. 2 Motive 208. 3 vgl. nur RG 19.12.1939 – VII 69/39, RGZ 162 238, 241; RG 13.2.1934 – VII 328/33, RGZ 143 377, 380; RG 14.6.1932 – VII 51/32, RGZ 136 370, 373; RG 18.6.1926 – VI 103/26, RGZ 114 117, 119.

4 Motive 639. 5 Vgl. Ziff. 25.1, 26 AHB 2016/B3-3.2.2 lit. a), B3-3.3 AVB BHV/AVB PHV. 257

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

nunmehr ausdrücklich auf alle Anzeigepflichten.6 Auf den klarstellenden Hinweis, dass bei Verletzung vertraglicher Obliegenheiten § 28 entsprechend gilt, hat der Gesetzgeber verzichtet.7

II. Inhalt und Normzweck 2 § 104 trägt den Besonderheiten der Haftpflichtversicherung Rechnung und konkretisiert insoweit die allgemeine Regelung des § 30 Abs. 1. Der wesentliche Unterschied zu § 30 Abs. 1 besteht darin, dass dort die Anzeigeobliegenheit den Eintritt des Versicherungsfalles zur Voraussetzung hat. § 104 Abs. 1 S. 1 sieht vor, dass der VN den VR innerhalb einer Woche die Tatsachen anzuzeigen hat, die seine Verantwortlichkeit gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnten. Betroffen ist der „Bereich vor der Fälligkeit des Deckungsanspruchs“.8 Es steht dem VR insoweit frei, zunächst untätig zu bleiben oder bereits tätig zu werden, um nach Möglichkeit eine Belastung mit späteren Schadensersatzansprüchen schon in diesem frühen Stadium abzuwehren. Einen Anspruch auf solche Abwehrmaßnahmen hat der VN zu diesem Zeitpunkt noch nicht, mögen sie auch sinnvoll sein und in seinem Interesse liegen.9 3 Macht der Dritte später seinen Anspruch gegenüber dem VN (außergerichtlich) geltend, ist der VN nach § 104 Abs. 1 S. 2 zur Anzeige innerhalb einer Woche nach der Geltendmachung verpflichtet. Kommt es zur gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs gegen den VN, beantragt der Dritte Prozesskostenhilfe, verkündet dem VN gerichtlich den Streit oder kommt es wegen des den Anspruch begründenden Schadensereignisses zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den VN, hat der VN dies dem VR jeweils gem. § 104 Abs. 2 unverzüglich anzuzeigen. Dabei genügt nach § 104 Abs. 3 S. 1 zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung der Anzeige. § 104 Abs. 3 S. 2 stellt durch den Verweis auf § 30 Abs. 2 klar, dass die Anzeigepflichtverletzungen in jedem Fall folgenlos bleiben, wenn der VR auf andere Weise von den anzeigepflichtigen Tatsachen rechtzeitig Kenntnis erlangt. 4 Die Anzeigepflichten dienen der frühzeitigen Information des VR über den Sachverhalt, der möglicherweise zu einer Inanspruchnahme des VN durch einen Dritten führt, sowie über alle sonstigen Handlungen des Dritten, die dieser im Rahmen der Anspruchsverfolgung und im Rahmen eines Klagverfahrens ergreift.10 Der VR soll in die Lage versetzt werden, sich mit der Angelegenheit zu befassen und vorsorgliche Maßnahmen – Erhebungen über Ursachen, Verlauf und Ausmaß des Schadens sowie über die Verantwortlichkeit des VN (ggf. durch Einschaltung von Sachverständigen oder Befragung von Zeugen oder Inaugenscheinnahme des Schadensortes) – zu treffen, um einem Haftpflichtanspruch vorbeugend entgegenzutreten oder auf das Verhalten des Dritten Einfluss zu nehmen, bevor sich dieser anwaltlicher Hilfe bedient.11 Die Rechtsprechung hat bei der Bewertung der Relevanz vorsätzlicher Anzeigepflichtverletzungen den Normzweck von § 153 a. F. auch darin gesehen, dem VR die Möglichkeit zu geben, „gegebenenfalls unter Zurückstellung tatsächlicher oder rechtlicher Bedenken zu einer kosten- und zinssparenden, 6 Vgl. Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 6. 7 vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 86. 8 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043, 1044; vgl. auch OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62.

9 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043, 1044; vgl. auch OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62.

10 Vgl. OGH 20.5.2015 – 7Ob72/15m, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00072.15M.0520.000, OGH 5.7.2006 – 7Ob147/ 06z, ECLI:AT:OGH0002:2006:0070OB00148.06Z.0705.000 (jeweils zu § 153 Abs. 4 VersVG).

11 Vgl. BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 413; BGH 4.4.2001 – IV ZR 63/00, RuS 2001 361, 362; BGH 23.11.1967 – II ZR 105/65, VersR 1968 58, 59; OLG Saarbrücken 25.10.2000 – 5 U 296-00/26, BeckRS 2009 19555; OLG Köln 21.4.1998 – 9 U 207/96, RuS 1998 458, 459; OLG Saarbrücken 14.10.1992 – 5 U 12/92, RuS 1993 10, 11; OLG Hamm 8.2.1991 – 20 U 229/90, RuS 1992 118, 119; OLG Düsseldorf 27.9.1988 – 4 U 245/87, RuS 1991 121; OLG Karlsruhe 19.7.1979 – 12 U 78/78, VersR 1980 349; OLG München 30.11.1979 – 19 U 2334/79, VersR 1980 570, 571; LG Düsseldorf 7.1.1993 – 11 O 106/92, zfs 1994 22. Koch

258

A. Einführung

VVG § 104

hier vor allen Dingen vergleichsweisen Regelung zu gelangen“.12 Durch die Neuregelung der Rechtsfolgen bei Obliegenheitsverletzungen ist diese Rechtsprechung obsolet geworden. Da auch vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen den VR nur in dem Umfang leistungsfrei werden lassen, in dem dieser einen Nachteil erleidet, ist der VR nicht mehr berechtigt, die Versicherungsleistung bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigeobliegenheiten allein mit dem Hinweis zu kürzen, ihm sei eine Beschränkung des Umfangs der Haftpflichtschuld durch eine vergleichsweise Regelung nicht mehr möglich gewesen. Bei den Anzeigeobliegenheiten geht es somit vor allem darum, die Kosten des Rechtsschutzes so gering wie möglich zu halten.

III. Rechtsnatur und Abgrenzung Bei den in § 104 statuierten Anzeigepflichten des VN handelt es sich um Obliegenheiten. Aller- 5 dings enthält § 104 ebenso wie § 30 keine Rechtsfolge für den Fall, dass der VN seinen Anzeigepflichten nicht nachkommt. Es handelt sich somit um eine lex imperfecta.13 Die Verletzung der Anzeigeobliegenheiten ist erst dann sanktionsbewehrt, wenn der VR diese zum Inhalt des Vertrages macht und vertragliche Rechtsfolgen – wie z. B. in AHB oder AKB geschehen – für den Fall ihrer Verletzung vereinbart. In diesem Falle gilt uneingeschränkt § 28. Die Obliegenheit zur Anzeige ist insbesondere im Hinblick auf ihren halbzwingenden 6 Charakter (Rn. 47) von der Auskunftsobliegenheit des VN nach § 31 abzugrenzen. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass der VN bei der Auskunftsobliegenheit nicht – wie bei der Anzeigeobliegenheit des § 30 – ungefragt von sich aus sein Wissen dem VR offenbaren muss. Die Auskunftsobliegenheit wird vielmehr nur und erst durch ein entsprechendes Verlangen des VR ausgelöst.14 Auf den ersten Blick scheint daher eine klare Abgrenzung möglich zu sein. Gleichwohl gibt es Randbereiche, bei denen eine Einordnung schwierig ist. Je nachdem, welche Anforderungen man an den Inhalt der Anzeige stellt (hierzu Rn. 25 f.), wird man in der bloßen Aufforderung des VR, die Anzeige zu konkretisieren, noch kein Auskunftsverlangen sehen können.15 Hinzu kommt, dass die Auskunftsobliegenheit gem. § 31 erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalles einsetzt. Soweit der Versicherungsfall nicht zwingend bereits mit der haftungsbegründenden Pflichtverletzung eintritt (wie z. B. in der Privat-/Betriebshaftpflichtversicherung: Schadensereignis, D&O-Versicherung: Anspruchserhebung), hat dies zur Folge, dass der VN nach dem Gesetz zwar zur Anzeige verpflichtet sein kann, dem VR bei dessen Nachfrage auf die Anzeige jedoch bis zum Eintritt des Versicherungsfalles nicht zur Auskunft verpflichtet ist. In der (Formular-)Praxis werden sowohl Anzeige- als auch Auskunftsobliegenheiten nur nach Eintritt des Versicherungsfalles statuiert, so dass sich dieses Problem nicht ergeben kann (vgl. Ziff. 25.1, 25.2 AHB 2016/B3-3.2.2 lit. a) und b) AVB BHV/AVB PHV/AVB D&O).16 Der vom historischen Gesetzgeber für die Anzeigeobliegenheit angeführte, von Rechtspre- 7 chung und Literatur aufgegriffene Gedanke der Schadensminderung und der Verhütung weiterer Schäden lässt die Frage des Verhältnisses zwischen den Anzeigeobliegenheiten und den Rettungsobliegenheiten nach § 82 aufkommen. Zu einer Überschneidung kann es bei der Obliegenheit zur Weisungseinholung und -befolgung (§ 82 Abs. 2 S. 1) kommen; allerdings erst

12 OLG Düsseldorf 27.9.1988 – 4 U 245/87, RuS 1991 121; OLG Karlsruhe 19.7.1979 – 12 U 78/78, VersR 1980 349; OLG München 30.11.1979 – 19 U 2334/79, VersR 1980 570: vgl auch Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 2. 13 BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56 ff.; Langheid/Wandt/Langheid § 104 Rn. 2 f.; Berliner Kommentar/ Baumann § 153 Rn. 4; vgl. zu § 30 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70; Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 8; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 4; a. A. Bruck/Möller/Brömmelmeyer9 § 30 Rn. 6; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Schneider § 24 Rn. 120: Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB. 14 vgl. hierzu BGH 23.11.1967 – II ZR 105/65, VersR 1968 58, 59. 15 Vgl. auch OGH 26.6.1986 – 7Ob26/86, VersR 1987 1255. 16 S. auch Langheid/Wandt/Langheid § 104 Rn. 17. 259

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

nach Eintritt des Versicherungsfalles, da die Obliegenheit zur Schadensabwehr/-minderung nicht vor Eintritt des Versicherungsfalles beginnt.

IV. Besonderheiten in der Pflichthaftpflichtversicherung 8 § 104 gilt grundsätzlich auch in der obligatorischen Haftpflichtversicherung. Besonderheiten ergeben sich hinsichtlich der Verletzungsfolgen aus §§ 6 und 7 KfzPflVV bzw. AKB 2015 E.2.3 und E.2.4. Darüber hinaus treffen den geschädigten Dritten nach § 119 Abs. 1 und Abs. 2 eigene Anzeigeobliegenheiten, deren Verletzungsfolgen sich aus § 120 ergeben (zu den Einzelheiten s. Kommentierung zu § 120).

B. Anzuzeigende Umstände I. Tatsachen i. S. d. § 104 Abs. 1 S. 1 9 § 104 Abs. 1 S. 1 verlangt die Anzeige der Tatsachen, die eine Verantwortlichkeit des VN zur Folge haben können. In der Regierungsbegründung heißt es hierzu ergänzend, „[f]ür den Beginn der Frist nach Satz 1 ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Versicherungsnehmer weiß oder damit rechnet, dass er von einem Dritten wegen der eingetretenen schadensverursachenden Tatsache in Anspruch genommen werden kann“.17 [Hervorhebung durch Verfasser]

Als Tatsache ist somit, ebenso wie bei § 100, das die mögliche Haftung begründende Verhalten des VN anzusehen, d. h. in den Fällen, in denen die Pflichtverletzung (Verstoß) und das darauf folgende Schadensereignis zeitlich auseinanderfallen, die Pflichtverletzung. Soweit der Versicherungsfall bedingungsgemäß nicht bereits im Zeitpunkt der Pflichtverletzung (Verstoßprinzip), sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt (z.B. Schadensereignis oder Anspruchserhebung) eintritt, kann die Anzeigepflicht somit – wie bereits erwähnt (Rn. 6) – schon vor dem Eintritt des Versicherungsfalles entstehen. Dem Informationsinteresse des VR wird insoweit bereits vor der Fälligkeit des Haftpflichtversicherungsanspruchs durch das Gesetz Rechnung getragen.

II. Geltendmachung i. S. v. § 104 Abs. 1 S. 2 10 Durch § 104 Abs. 1 S. 2 wird dem VN eine weitere Anzeigeobliegenheit auferlegt. Er muss binnen einer Woche den VR unterrichten, wenn der Dritte seinen Anspruch ihm gegenüber (außergerichtlich) geltend macht. Hinsichtlich des Begriffs der Geltendmachung kann im Grundsatz auf die Ausführungen zur Fälligkeit des Haftpflichtversicherungsanspruchs nach § 100 verwiesen werden (§ 100 Rn. 25 ff.). Hier wie dort ist erforderlich, dass sich der Dritte dazu entschlossen hat, Schadensersatzansprüche gerade gegen den VN zu erheben, und er diesen Entschluss in einer Art und Weise zu erkennen gegeben hat, die vom VN als ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme verstanden werden kann.18 Allerdings gilt es im Hinblick auf die in § 104 Abs. 1 S. 1 statuierte Anzeigeobliegenheit zu beachten, dass die gesetzlichen Regelungen über die Anzeigeobliegenheit des VN nicht geeignet sind, die für die Fälligkeit nach § 100 relevante Frage zu präjudizieren, was unter einem den Deckungsanspruch begründenden und dessen Verjäh17 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 18 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411 412 = VersR 2004 1043, 1044; BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, BGHZ 155 69, 73 f. = VersR 2003 900, 901; OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62; BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118; BGH 20.1.1966 – II ZR 233/63, VersR 1966 229, 230. Koch

260

B. Anzuzeigende Umstände

VVG § 104

rung in Lauf setzenden ernsthaften Geltendmachen zu verstehen ist.19 Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts, die Erklärung der Aufrechnung oder die Wegnahme eines dem VN gehörenden Gegenstandes wegen eines Schadensersatzanspruchs stehen der Geltendmachung gleich. Ob der VN den geltend gemachten Anspruch für unbegründet hält oder glaubt, nur irrtümlich in Anspruch genommen zu werden, ist unerheblich.20 Die Erklärung des Anspruchsstellers ist an keine bestimmte Form gebunden. Grund- 11 sätzlich reichen mündliche und sogar konkludente Erklärungen aus.21 Die Erklärung muss den Schaden zudem nicht konkret beziffern.22 Das Verlangen nach Zahlung von Schadensersatz oder Anerkennung der Schadensersatzforderung reichen ebenso aus wie das Verlangen nach Abgabe eines auf den Grund des Anspruchs beschränkten Anerkenntnisses der Schadensersatzpflicht.23 Die Aufforderung, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, ist dagegen nicht als ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme vom VN zu verstehen.24 Anders liegt der Fall, wenn der Anspruchsteller den VN unter Androhung der Erhebung einer Feststellungsklage hierzu auffordert und feststeht, dass nur der VN als Anspruchsgegner in Betracht kommt und das Ob und die Höhe des Schadens nur vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängen.25 Gemessen an diesen Maßstäben sind bloße Vorwürfe, Anschuldigungen, Drohungen und Redensarten noch nicht als Inanspruchnahme anzusehen.26 Die Erklärung der Inanspruchnahme muss nicht vom Geschädigten selbst abgegeben 12 werden. Eine Abgabe durch einen hierzu bevollmächtigten Vertreter reicht aus. Bei Angehörigen des Verletzten ist davon auszugehen, dass derartige Erklärungen aufgrund zu vermutender Vollmacht oder Geschäftsführung ohne Auftrag abgegeben werden.27 Erklärungen unbeteiligter Vierter, etwa dem aufnehmenden Polizeibeamten, dass mit der Erhebung von Ansprüchen zu rechnen sei, stellen keine Geltendmachung dar.28 Die Inanspruchnahme des VN ist nicht entbehrlich und eine Geltendmachung ist folglich zu verneinen, wenn der Dritte im Hinblick auf sein persönliches Verhältnis zum VN von dessen Inanspruchnahme absieht.29 Der Anspruch muss gegenüber dem VN oder einer versicherten Person30 geltend ge- 13 macht werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der Geschädigte direkt an den VN wenden muss.31 Voraussetzung für die Geltendmachung ist lediglich, dass dem VN oder seinem Empfangsvertreter – hierzu zählt aufgrund seiner (Regulierungs-)Vollmacht32 auch der VR33 – die anspruchserhebende Erklärung des Dritten i. S. v. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugeht.34 Für den Fall, dass aus einem Schadensereignis mehrere Geschädigte Ersatzansprüche stellen, ist die Geltend19 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043, 1044; BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, BGHZ 155 69, 73 f. = VersR 2003 900, 901. 20 Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 11. 21 BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 57; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. F 36; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 21, jew. m. w. N. zur Rspr. 22 RG 23.10.1936 – VII 67/36, RGZ 152 235, 242; vgl. auch OLG Köln 5.3.1996 – 9 U 172/95, RuS 1998 323; KG 21.2.2003 – 6 U 301/01, VersR 2003 1246, 1247; OLG Düsseldorf 11.4.2003 SP 2004 98; OLG Düsseldorf 16.7.1963 VersR 1964 178, 179. 23 BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118. 24 BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118. 25 OLG Karlsruhe 16.2.2006 – 19 U 110/05, NJOZ 2006 1413, 1414. 26 Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 22; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. F 36. 27 RG 14.1.1938 – VII 151/37, RGZ 156 378, 383; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 9; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 25 Rn. 54. 28 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 6. 29 LG Karlsruhe 25.6.1987 – 9 S 99/87, MDR 1987 850. 30 Hierzu OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62. 31 Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 24. 32 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 5 AHB Rn. 8 ff. 33 Vgl. OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 210/00, NVersZ 2002 135 = VersR 2002 1020. 34 BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 59; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 104 Rn. 3. 261

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

machung für jeden Anspruch eines geschädigten Dritten gesondert festzustellen.35 Gleiches gilt in den Fällen, in denen aus einem Schadensereignis neben der unmittelbar geschädigten Person einem Dritten ein originärer Rückgriffsanspruch gegen den VN erwächst (z. B. aus § 426 Abs. 1 BGB, § 110 SGB VII).

III. Gerichtliche Geltendmachung nach § 104 Abs. 2 S. 1 14 Unverzüglich hat der VN den VR ein weiteres Mal zu unterrichten, wenn gegen ihn ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht wird. Hier kann es sich um eine (Feststellungs- oder Leistungs-)Klage36 oder Widerklage,37 einen Mahnbescheid (§§ 688 ff. ZPO),38 einen Arrest (§§ 916 ff. ZPO) oder ein Verfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) handeln. Auch die Einleitung eines Schiedsgerichtsverfahrens ist anzeigepflichtig.39 Ausdrücklich erwähnt werden daneben vom Gesetz die Streitverkündung (§§ 72 ff. ZPO)40 und das PKHVerfahren.41 Nicht besonders spricht das Gesetz vom selbständigen Beweisverfahren (§§ 485–494a 15 ZPO). Dies fällt nach Auffassung der Literatur aber ebenfalls unter die von § 104 Abs. 2 S. 1 gemeinte gerichtliche Geltendmachung.42 Der BGH hat dagegen im Zusammenhang mit der Fälligkeit des Haftpflichtversicherungsanspruchs festgestellt, dass die Frage, ob das selbstständige Beweisverfahren eine gerichtliche Geltendmachung darstellt, nicht generell beantwortet werden könne, weil die Gründe, aus denen heraus es vom Geschädigten angestrengt werde, unterschiedlich sein könnten. Das selbständige Beweisverfahren sei nur dann als Geltendmachung zu qualifizieren, wenn der Dritte allein den VN für einen eingetretenen Schaden verantwortlich machen will und das selbständige Beweisverfahren lediglich dem Zweck diene, die Schadenshöhe festzustellen.43 Kämen dagegen mehrere Schädiger in Betracht, sei das Schadensbild unklar und wolle der Geschädigte sich mit dem selbständigen Beweisverfahren nur Klarheit darüber verschaffen, welche Schäden eingetreten seien, was zur Schadensentstehung geführt habe und wer jeweils die Verantwortung dafür trage, soll die Einleitung eines Beweisverfahren nicht als ernsthafte Geltendmachung zu qualifizieren sein.44 Dass der Gläubiger erkennbar eine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den VN erwäge oder für möglich erachte, soll für die Fälligkeit des Anspruchs auf Versicherungsleistungen noch nicht ausreichen.45 Selbst wenn man diese Ansicht der Auslegung von § 104 Abs. 2 S. 1 zugrunde legte, wäre im Hinblick darauf, dass das Informationsinteresse des VR unabhängig von der Frage der Fälligkeit ist, wohl eine Obliegenheit zur Anzeige nach § 104 Abs. 1 S. 1 anzunehmen (zur Anzeigefrist Rn. 29).

Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 26. BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043, 1044. KG 28.8.1940 – 24 W 2422/40, JRPV 1940 175, 176. BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043, 1044; LG Dortmund 12.7.2007 – 2 O 80/07, RuS 2007 415, 416. 39 Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 12; Schmalzl/Krause-Allenstein Rn. 384. 40 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043; BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, BGHZ 155 69, 73 f.= VersR 2003 900; vgl. auch OLG Karlsruhe 19.7.1979 – 12 U 78/78, VersR 1980 349. 41 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 9. 42 OLG Köln 9.9.2003 – 9 U 27/03, RuS 2003 501; KG 21.3.2003 – 6 U 301/01, VersR 2003 1246, 1247; OLG Saarbrücken 22.8.1990 – 5 U 21/90, VersR 1991 872, 873; OLG Stuttgart 11.12.1997 – 7 U 5/97, NVersZ 1999 289, 290; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 9. 43 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043. 44 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043. 45 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, RuS 2004 411, 412 = VersR 2004 1043.

35 36 37 38

Koch

262

B. Anzuzeigende Umstände

VVG § 104

Eine Anzeigeobliegenheit nach § 104 Abs. 2 S. 1 ist darüber hinaus anzunehmen bei Gel- 16 tendmachung des Anspruchs im Adhäsionsverfahren (§§ 403, 404 StPO)46 und der Anmeldung von Ansprüchen zur Insolvenztabelle (§ 174 InsO).47 Eine gerichtliche Geltendmachung stellt auch die (Hilfs-)Aufrechnung durch den Dritten im Prozess dar.48

IV. Ermittlungsverfahren (§ 104 Abs. 2 S. 2) Der Begriff des Ermittlungsverfahrens ist i. S. d. Strafverfahrensrechts (§ 160 StPO) zu verste- 17 hen.49 Dies folgt auch aus § 101 Abs. 1 S. 3.50 Es handelt sich um ein vorbereitendes Verfahren; sein Ziel ist die Entschließung der Staatsanwaltschaft ob, inwieweit und nach welcher Strafbestimmung die öffentliche Klage zu erheben oder ob das Verfahren einzustellen ist (§ 170 Abs. 1, 2 StPO).51 Erfasst werden alle Maßnahmen bei Verdacht einer Straftat, die darauf abzielen, den Sachverhalt zu erforschen, um eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen. Wenn der VN polizeilich (durch den Staatsanwalt oder durch den Richter) als Beschuldigter vernommen wird (§ 163c StPO), liegt im strafrechtlichen Sinne ein Ermittlungsverfahren vor. Der VN hat dem VR hierüber Anzeige zu erstatten, um diesem die Gelegenheit zu einer objektiven und umfassenden Orientierung anhand der Strafakte und ggf. (vgl. § 101 Abs. 1 S. 3) auch zur Unterstützung des VN im Strafverfahren zu geben. Ist der VN – entgegen § 163c Abs. 1 StPO – nicht vernommen worden (und hat deshalb keine Kenntnis vom Ermittlungsverfahren erlangt), wird die Anzeigeobliegenheit durch die Zustellung einer Anklageschrift oder eines Strafbefehls (§§ 407 ff. StPO) ausgelöst.52 Nach Sinn und Zweck des § 104 Abs. 2 S. 2 ist es zudem geboten, dass der VN den VR über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens informiert.53 Im Hinblick darauf, dass das Bußgeldverfahren in ein Strafverfahren übergehen kann (§ 81 18 OwiG), im Bußgeldverfahren (§§ 35 ff. OwiG) sinngemäß die Strafprozessordnung gilt (§ 46 Abs. 1 StPO) und die Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten hat (§ 46 Abs. 2 StPO), ist auch das Bußgeldverfahren anzeigepflichtig. Das verwaltungsbehördliche Verwarnungsverfahren (§ 56 OwiG) ist dagegen nach h. M. ebenso wenig anzeigepflichtig54 wie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vor Disziplinargerichten (z. B. §§ 56 ff. BDO).55 Vor der Reform des VVG war streitig, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auch 19 dann eine Anzeigeobliegenheit begründete, wenn zuvor noch kein Anspruch gegen den VN erhoben worden war. Die h.Lit. hielt eine vorherige Anspruchserhebung nicht für erforderlich 46 Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 12; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 26. 47 OLG Köln 16.7.1996 – 9 U 268/95, RuS 1996 432, 433; Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 12; Berliner Kommentar/ Baumann § 153 Rn. 26; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 10.

48 BGH 17.4.1973 – VI ZR 110/72, VersR 1973 746, 747; ÖOGH 18.10.1979 – 7 Ob 45/79, VersR 1981 1064, 1065; Prölss/ Martin/Lücke § 104 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 10; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 26; a. A. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. F 38: Anspruchserhebung i. S. d. § 153 Abs. 2 a. F. = § 104 Abs. 1 S. 2. 49 Vgl. Motive 639: „Schließlich wird klargestellt, daß die Einleitung eines Strafverfahrens immer anzuzeigen ist, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob eine Buße verlangt wird oder nicht“. 50 Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 28. 51 Vgl. BVerfG 2.10.2003 – 2 BvR 660/03, NStZ 2004 447. 52 Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 12; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 28. 53 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 12. 54 Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 14; Langheid/Rixecker/Langheid § 104 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 12; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 30; Späte § 5 Rn. 12. 55 Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 12; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 28; Langheid/Rixecker/Langheid § 153 Rn. 10; Littbarski § 5 AHB Rn. 26; a. A. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. F 40; Späte § 5 Rn. 12. 263

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

und begründete dies überzeugend damit, dass mit der Formulierung „wegen des den Anspruch begründenden Ereignisses“ in § 153 Abs. 4 S. 2 a. F. nichts anderes gemeint sei als in § 153 Abs. 1 S. 1 mit „Tatsachen […], die seine Verantwortlichkeit gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnten“.56 § 104 Abs. 2 S. 2 verwendet indes nicht mehr den Begriff des Ereignisses, sondern den Begriff „Schadensereignis“. Wollte man den Begriff des Schadensereignisses i. S. d. Ziff. 1.1 S. 2, 3 AHB 2016 (A1-3.1 S. 2, 3 AVB PHV/AVB BHV) verstehen, ließe sich die Argumentation der h. Lit. deshalb nicht mehr aufrechterhalten. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist der Begriff des Schadensereignisses „auch hier“, d. h. in § 104 Abs. 2 S. 2, weit auszulegen,57 so dass keine Festlegung auf das Begriffsverständnis nach den AHB beabsichtigt war.58 Da die die Haftung des VN begründende Pflichtverletzung unter den Begriff der Tatsache fällt (Rn. 9), bleibt es deshalb dabei, dass eine vorherige Inanspruchnahme des VN nicht erforderlich ist, um die Anzeigeobliegenheit nach § 104 Abs. 2 S. 2 auszulösen. 20 Ferner ist der Hinweis geboten, dass Verfahren, die sich nicht gegen den VN, sondern gegen einen Mitversicherten richten, nicht von § 104 Abs. 2 S. 2 erfasst werden.59 Dies folgt zwar nicht zwingend aus dem Wortlaut, da bei einer Fremdversicherung die Regeln des VVG, in denen auf den VN Bezug genommen wird, nur dann nicht auch für die versicherte Person gelten, wenn diese Normen Rechte vermitteln, die den Versicherungsvertrag als Ganzes berühren. Dies trifft auf § 104 Abs. 2 S. 2 an sich nicht zu. Nach dem Willen des Gesetzgebers werden jedoch „Verfahren, die sich nicht gegen den Versicherungsnehmer, sondern gegen einen Mitversicherten richten, [.] von der Vorschrift nicht erfasst“.60

C. Kenntnis des VN von den anzuzeigenden Umständen 21 Die den VN nach § 104 treffenden Anzeigeobliegenheiten setzen positive Kenntnis von den Tatsachen voraus, die die Anzeigeobliegenheit begründen. Die Kenntnis zählt somit nicht als subjektives Element zur Schuldseite, sondern zum objektiven Tatbestand. Zwar wird das Erfordernis der Kenntnis nicht ausdrücklich in § 104 genannt. Nach Ansicht des BGH ergibt sich dieses Erfordernis jedoch bereits aus „dem Begriff und dem Wesen der Anzeigepflicht“. Eine Tatsache könne jemand nur anzeigen, wenn er sie kenne.61 Jenseits dieser grundsätzlichen Erwägungen ist die Kenntnis auch deshalb als objektive Voraussetzung zu begreifen, weil sie maßgeblich für den Beginn der Anzeigefristen nach § 104 Abs. 1 und Abs. 2 ist.62 Der Kenntnis des VN steht die Kenntnis seines Repräsentanten, Wissens- oder Wissenserklärungsvertreters – wie auch sonst bei Obliegenheitsverletzungen – gleich. Beweisrechtlich hat diese Verortung zur Konsequenz, dass der VR die Beweislast für die Kenntnis, die eine Anzeigeobliegenheit auslöst, trägt (Rn. 49). 22 Aus Vorstehendem folgt, dass die Obliegenheit nach § 104 Abs. 1 S. 1 erst dann entsteht, wenn der VN um die möglicherweise eine Verantwortlichkeit begründenden Tatsachen und der

Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 153 Rn. 8; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 30; Späte § 5 Rn. 12. BTDrucks. 16/3945 S. 85. Krit. zur Verwendung des Schadensereignisbegriffs Rüffer/Halbach/Schimikowski § 104 Rn. 6. Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 11; Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 16; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 104 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 104 Rn. 7; a. A. zu § 153 Abs. 4 a. F. Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 32. 60 BTDrucks. 16/3945 S. 85. 61 BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 57. 62 Vgl. BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, RuS 2008 336, 337; BGH 16.5.2007 – IV ZR 101/04, VersR 2007 979; BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187, 189; BGH zu § 33 a. F.: BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 58; vgl. auch BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126 f. zur Aufklärungsobliegenheit; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 32; Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 4.

56 57 58 59

Koch

264

D. Modalitäten der Anzeigeerstattung

VVG § 104

sich daraus ergebenden Haftpflicht weiß.63 Er muss sich also seines haftungsbegründenden Verhaltens bewusst (geworden) sein. Ein bloßes Kennenkönnen oder Kennenmüssen genügt nicht.64 Es reicht daher nicht aus, wenn der VN erst bei gehöriger Überlegung oder nach Einholung eines Rechtsrates hätte erkennen können, dass ein Haftpflichtanspruch gegen ihn in Betracht kommt.65 An einer positiven Kenntnis des VN kann es auch fehlen, wenn die Schadensursache noch abgeklärt werden muss.66 Selbst wenn der VN den sich aufdrängenden Schluss auf die naheliegende Schadensursache nicht zieht, ist dies nicht gleichbedeutend mit positiver Kenntnis.67 Der erforderlichen Kenntnis von den möglicherweise eine Verantwortlichkeit begründenden 23 Tatsache ist es jedoch gleichzustellen, wenn sich der VN der Kenntnis arglistig entzieht.68 Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass der VN meint, für den Schaden nicht haftpflichtig zu sein,69 oder annimmt, der Dritte werde den an sich begründeten Anspruch nicht gegen ihn geltend machen.70 Derartige Fehlbeurteilungen der Rechtslage bei Haftpflichtereignissen lassen die Anzeigeobliegenheit nach § 104 Abs. 1 S. 1 grundsätzlich unberührt, sind aber beachtlich für die Feststellung des Verschuldensgrads im Rahmen des § 28. Die Anzeigeobliegenheiten nach § 104 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 entstehen ebenfalls erst 24 nach Kenntniserlangung. Allein der Zugang eines Anspruchsschreibens nach § 130 BGB soll noch keine Kenntnis des VN begründen.71 Entzieht sich der VN arglistig der Kenntnisnahme vom Inhalt des Schreibens, muss er sich freilich so behandeln lassen, als ob er Kenntnis erlangt hat.72

D. Modalitäten der Anzeigeerstattung I. Inhalt der Anzeige Bei den Anzeigeobliegenheiten nach § 104 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 bereitet die Bestimmung des 25 Inhalts der Anzeige keine Schwierigkeiten. Der VN kann sich zunächst auf die Mitteilung/Weiterleitung der (gerichtlichen) Geltendmachung, Streitverkündung, PKH-Antragstellung oder Einleitung eines Ermittlungsverfahrens beschränken und die Nachfragen des VR abwarten.73 Schwieriger ist die Bestimmung vom Inhalt der Anzeige im Rahmen des § 104 Abs. 1 S. 1, soweit noch kein 63 Vgl. BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, RuS 2008 336, 337 m. Anm. v. Rintelen IBR 2008 614; BGH 16.5.2007 – IV ZR 101/04, VersR 2007 979, 980; BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187, 189; BGH 20.11.1970 – IV ZR 55/69, VersR 1971 213; OLG Stuttgart 27.11.2008 – 7 U 89/08, RuS 2009 188, 190: KG 1.2.2005 – 6 U 43/04, RuS 2006 67, 69; OLG Hamm 13.7.1994 – 20 U 55/94, VersR 1995 1476. 64 BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, RuS 2008 336, 337; BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187, 189; BGH 10.6.1970 – IV ZR 1086/68, VersR 1970 1045, 1046; BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 57. 65 Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 4. 66 BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, RuS 2008 336, 337 m. Anm. v. Rintelen IBR 2008 614; KG 1.2.2005 – 6 U 43/04, RuS 2006 67, 69; OLG Köln 8.3.1966 – 9 U 166/65, VersR 1967 443, 444. 67 Vgl. BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, RuS 2008 336, 337 m. Anm. v. Rintelen IBR 2008 614 (zur Leitungswasserversicherung); KG 1.2.2005 – 6 U 43/04, RuS 2006 67, 69. 68 Vgl. BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, NJW 1967 776, 778; BGH 2.11.1961 – II ZR 237/59, NJW 1962 41, 42; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 7; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 25. 69 OLG Düsseldorf 27.9.1988 – 4 U 245/87, RuS 1991 121 = VersR 1990 411 f.; OLG Hamm 8.2.1991 – 20 U 229/90, RuS 1992 118, 119; ÖOGH 25.11.1970 – 7Ob 215/70, VersR 1971 1135 f. 70 OLG Köln 15.2.2005 – 9 U 124/04, VersR 2005 1231 f. 71 Vgl. BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 58. 72 Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 25. 73 BGH 23.11.1967 – II ZR 105/65, VersR 1968 58, 59; weitergehend OLG Köln 21.4.1998 – 9 U 207/96, RuS 1998 458, 459 (zur Erfüllung der Anzeigeobliegenheit nach § 153 Abs. 1 a. F. bedarf es zumindest der Mitteilung des Schadenortes, der Schadenursache sowie der Schilderung über Art und Umfang des Schadens, damit der VR unverzüglich 265

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

Versicherungsfall eingetreten ist. Rechtsprechung und Literatur nehmen zu dieser Konstellation keine Stellung, was daran liegen mag, dass in den Versicherungsbedingungen Anzeigepflichten nur für den Fall des Eintritts des Versicherungsfalles vorgesehen sind (Rn. 6). Soweit der Versicherungsfall bedingungsgemäß nicht bereits im Zeitpunkt der Pflichtverletzung (Verstoßprinzip), sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt (z.B. Schadensereignis oder Anspruchserhebung) eintritt, bleibt die Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 104 Abs. 1 S. 1 ohne Sanktion.74 Im Hinblick auf die erforderliche Kenntnis von den Umständen, die die Anzeigeobliegenhei26 ten begründen, ist zu berücksichtigten, dass die Anzeigefrist für den VN umso später beginnt, je höhere Anforderungen man an den Inhalt der Anzeige nach § 104 Abs. 1 S. 1 stellt. Im Allgemeinen dürfte der VR vor allem an einer frühzeitigen Anzeige interessiert sein, weil ihm dadurch Gelegenheit zur gezielten Nachfrage gegeben wird. Soweit eine Auskunftsobliegenheit des VN mangels Eintritt des Versicherungsfalles (noch) nicht besteht und es auch an einer vertraglichen Obliegenheit zur Auskunft vor Eintritt des Versicherungsfalles fehlt, wird der VR dagegen mehr an einer möglichst umfassenden Information interessiert sein. Letztlich geht es dem VR in diesem Stadium vor allem darum festzustellen, ob ein Versicherungsfall bereits eingetreten ist oder der Eintritt droht. Versetzt die (erste) Anzeige den VR nicht in die Lage, dies zu prüfen, besteht für den VN (noch) im Rahmen des § 104 Abs. 1 S. 1 die Obliegenheit, die Anzeige zu ergänzen.

II. Form der Anzeige 27 § 104 Abs. 1 und Abs. 2 sehen keine bestimmte Form für die Anzeige vor. Demgemäß kann sie schriftlich, in Textform oder (fern-)mündlich erfolgen. Die Vereinbarung einer Schriftform ist nach § 112 unwirksam, weil sie nachteilig für den VN ist. Soweit in der Literatur unter Hinweis auf den Wortlaut des § 104 Abs. 3 S. 1 – „Absendung der Anzeige“ – die gegenteilige Ansicht vertreten wird,75 überzeugt diese Schlussfolgerung nicht.76 § 32 S. 2 ist nicht entsprechend auf die Anzeigen des § 104 Abs. 1 und Abs. 2 anwendbar.77 Davon abgesehen stünden §§ 69 Abs. 1 Nr. 2, 72 der Wirksamkeit entgegen, soweit der VN die Anzeige gegenüber einem Versicherungsvertreter abgeben würde (vgl. Rn. 30).78 Selbst eine Schriftformvereinbarung, die Anzeigen gegenüber Vertretern von dem Schriftformerfordernis ausnähme, ginge ins Leere, weil die Versäumung der fristgemäßen schriftlichen Anzeige bei rechtzeitiger Kenntniserlangung des VR nach den zum Nachteil des VN nicht abdingbaren Vorschriften der §§ 104 Abs. 3 i. V. m. 30 Abs. 2 unschädlich ist.79 28 Zu beachten ist, dass in der Privathaftpflichtversicherung formularmäßige Schriftformabreden in Verträgen, welche nach dem 30.9.2016 geschlossen worden sind, wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 13 lit. a) BGB unwirksam sind. Wollte man entgegen der hier vertretenen Ansicht § 32 S. 2 entsprechend anwenden, stellt sich die Frage, ob dieser Regelungskonflikt nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori zugunsten von § 309 Nr. 13 lit. a) BGB lösen ist80 oder § 32 S. 2

einen Schadenregulierer oder fachkundigen Sachverständigen mit näheren Ermittlungen beauftragen kann); vgl. auch OLG Braunschweig 20.12.1955 – 1 U 154/55, VersR 1956 172 f: Anzeige muss Angaben über die Art und die Schwere des Unfalls enthalten; zustimmend Krebs VersR 1962 13 f. 74 Schramm Anspruchserhebungsprinzip 143 ff. diskutiert eine konkludente Abbedingung zugunsten des VN, derer es jedoch wegen der Rechtsfolgenlosigkeit nicht bedarf. 75 Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 104 Rn. 9. 76 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 18, 33; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 47. 77 A.A. Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 26. 78 Vgl. BTDrucks 16/3945 S. 78: „Eine Beschränkung der Empfangsvollmacht nach § 69 Abs. 1 VVG-E liegt auch in einer Klausel, die für Erklärungen des Versicherungsnehmers gegenüber dem Vertreter die Schriftform oder Textform verlangt.“. 79 Vgl. BGH 9.12.1965 – II ZR 173/63, VersR 1966 153, 154; s. a. OLG Köln 19.8.1997 – 9 U 222/96, VersR 1998 1104, 1105; Hans. OLG Hamburg 30.3.1982 – 7 U 1/82, VersR 1982 1161; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 18. 80 Dafür BeckOGK/Weiler § 309 Nr. 13 Rn. 44; MüKo-BGB/Wurmest § 309 Nr. 13 Rn. 9; Metzen VersR 2019 1526, 1533. Koch

266

E. Erlöschen der Anzeigeobliegenheit

VVG § 104

das Klauselverbot als speziellere Regelung verdrängt.81 Die aktuellen Bedingungswerke sehen keine Schriftform mehr vor (vgl. Ziff. 25.1, 25–3 AHB 2016, B3-3.2.2 lit. b) und lit. d) AVB PHV/AVB BHV).

III. Fristen Die Anzeigen nach § 104 Abs. 1 sind binnen einer Woche ab Kenntniserlangung vom anzei- 29 gepflichtigen Sachverhalt zu erstatten. Für die Fristberechnung sind die §§ 187, 188, 193 BGB maßgeblich.82 Eine Verkürzung dieser Frist ist nach § 112 unwirksam. Für § 104 Abs. 2 ist dagegen eine unverzügliche Meldung vorgesehen. Unverzüglich bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB). Da nur „schuldhaftes Zögern“ schadet, bedeutet „unverzüglich“ nicht etwa sofort.83 Vielmehr hat der VN die Anzeige so rechtzeitig abzugeben, wie ihm dies unter den gegebenen Umständen und unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils an alsbaldiger Aufklärung möglich und zumutbar ist.84 Kein schuldhaftes Zögern liegt vor, wenn der VN vor der Anzeige – in gebotener Eile – zunächst den Rat eines Rechtskundigen einholt. Deshalb wird eine binnen einer Woche erstattete Anzeige im Allgemeinen i. d. S. als unverzüglich vorgenommen anzusehen sein.85 Für die Wahrung der Frist genügt gem. § 104 Abs. 3 S. 1 die Absendung der Anzeige.

IV. Erklärungsadressat Erklärungsempfänger der Anzeigen ist der VR (Hauptverwaltung oder die im Versicherungs- 30 schein oder in dessen Nachträgen als zuständig bezeichnete Geschäftsstelle, vgl. Ziff. 29.1 AHB). Ihm ist nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 der Vermittlungsvertreter gleichgestellt. Eine formularmäßige Beschränkung seiner Empfangsvollmacht ist nach § 72 gegenüber dem VN unwirksam. Ist der den Vertrag vermittelnde Versicherungsmakler befugt, Regulierungen abzulehnen oder durchzuführen, genügt die Anzeige beim Makler.86 Stellt der VR dem VN vertragsgemäß im Haftpflichtprozess einen Anwalt, so sind die Erklärungen des VN gegenüber diesem Anwalt ebenfalls als dem VR zugegangen anzusehen.87 Gleiches gilt, wenn dem Anwalt die Klage, der Antrag auf PKH oder die Streitverkündungsschrift zugestellt wird.

E. Erlöschen der Anzeigeobliegenheit I. Erfüllung Die Anzeigeobliegenheiten nach § 104 Abs. 1 und Abs. 2 erlöschen mit der rechtzeitigen und 31 inhaltlich ordnungsgemäßen Erklärung der Anzeige. Bei mehreren VN genügt die Erfüllung durch einen,88 soweit er die Anzeigen für alle und nicht nur hinsichtlich der eigenen versicher81 82 83 84 85

Dafür Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack § 309 Nr. 13 Rn. 7a; Langheid/Rixecker/Grote § 165 Rn. 9. Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 25; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 48. Vgl. BGH 26.1.1962 – V ZR 168/60, WM 1962 511, 513; RG 22.2.1929 – II 357/28, RGZ 124 115, 118. Vgl. BGH 23.6.1994 – VII ZR 163/93, NJW-RR 1994 1108, 1109. Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 48; Späte § 5 Rn. 9; a. A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 20; Langheid/Rixecker/Langheid § 104 Rn. 16: kürzerer Zeitraum. 86 OLG Frankfurt/M. 9.6.1999 – 7 U 39/98, NVersZ 2000 243, 244. 87 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 25 Rn. 9; anders wohl LG Kleve 10.4.1967 – 2 O 236/66, VersR 1967 649 f. 88 Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 40; Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 87. 267

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

ten Interessen macht.89 Im letztgenannten Fall kann dem VR gegenüber den anderen VN jedoch die Berufung auf die Verletzung der Anzeigeobliegenheit wegen Kenntniserlangung nach § 104 Abs. 3 S. 2 versagt sein (Rn. 32).

II. Kenntnis des VR von den anzeigepflichtigen Umständen (§ 104 Abs. 3 S. 2) 32 Nach § 30 Abs. 2, den § 104 Abs. 3 S. 2 für entsprechend anwendbar erklärt, kann sich der VR auf eine Vereinbarung, nach welcher er im Fall der Verletzung der Anzeigepflicht nicht zur Leistung verpflichtet ist, nicht berufen, wenn er auf andere Weise vom Eintritt des Versicherungsfalles rechtzeitig Kenntnis erlangt hat. R. Johannsen90 hat hieraus – im Anschluss an Möller91 – zu § 33 a. F., der sachlich mit § 30 Abs. 2 übereinstimmt, gefolgert, dass die Anzeigeobliegenheit entfällt, wenn der VR auf andere Weise vom Eintritt des Versicherungsfalles Kenntnis erlangt. Wandt92 und Brömmelmeyer93 vertreten dagegen die Ansicht, dass § 30 Abs. 2 den VN lediglich von den Rechtsfolgen der Verletzung einer bestehenden Anzeigeobliegenheit freistellt. Der Streit ist entgegen anders lautender Stimmen94 durchaus von Bedeutung. 33 Lässt man die Anzeigeobliegenheit bei Kenntnis des VR entfallen, würde selbst der arglistig handelnde VN keine Nachteile erleiden. Dieses Ergebnis stößt angesichts der in § 28 Abs. 3 S. 2 getroffenen grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers über die Sanktionierung von arglistigen Obliegenheitsverletzungen wertungsmäßig auf Bedenken, weil damit die arglistige Verletzung der Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungsfalles gegenüber anderen arglistigen Obliegenheitsverletzungen privilegiert würde, ohne dass es hierfür einen sachlichen Grund gibt. Sieht man § 30 Abs. 2 dagegen als Freistellung von den Rechtsfolgen an, bleibt Raum für eine Reduktion des Anwendungsbereichs dahingehend, dass sich der arglistig handelnde VN nicht auf die anderweitig erlangte Kenntnis des VR berufen kann. Eine solche Reduktion ist dogmatisch zulässig, weil es bei Kenntnis des VR an der Kausalität zwischen Anzeigeobliegenheitsverletzung und Nachteil fehlt95 und § 30 Abs. 2 sich deshalb als spezielle Ausprägung des in § 28 Abs. 3 verankerten Kausalitätsgegenbeweises begreifen lässt, der arglistig handelnden VN jedoch versperrt ist.96 Im Ergebnis sprechen die besseren Argumente gegen ein Entfallen der Anzeigeobliegenheiten aus § 104 Abs. 1 und Abs. 2.

III. Leistungsverweigerung 34 Verweigert der VR seine Leistung endgültig, kann er vom VN die Beachtung der Anzeigeobliegenheiten nicht mehr verlangen, weil der Zweck der Anzeigeobliegenheiten nicht mehr erreicht werden kann.97 Gleiches gilt, wenn sich der VR nach Anzeige des Versicherungsfalles nicht 89 90 91 92 93 94 95

Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 63; Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 40. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. F 30. Bruck/Möller/Möller8 § 33 Anm. 10. Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 41. Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 45. Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 5. Vgl. OLG Frankfurt/M. 24.5.2007 – 3 U 144/06, RuS 2008 66, 67: Eine verspätete Schadensmeldung ist für den VR folgenlos, wenn das (Unfall-)Ereignis unstreitig und hinreichend dokumentiert ist. 96 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 46 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 28. 97 Vgl. BGH 11.12.1991 – IV ZR 238/90, RuS 1992 100; BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107 368, 370 f. = VersR 1989 842 f.; BGH 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981 321, 322; BGH 17.12.1969 – IV ZR 1007/68, VersR 1970 169, 170; BGH 7.11.1966 – II ZR 12/65, VersR 1967 27, 28 f.; BGH 16.5.1966 – II ZR 21/64, VersR 1966 625 f.; BGH 25.4.1960 – II ZR 155/58, VersR 1960 505, 506; BGH 21.5.1959 – II ZR 144/57, VersR 1959 499; OLG Koblenz 12.4.1996 – 10 U 1169/ 95, VersR 1997 1390; LG Dortmund 12.7.2007 – 2 O 80/07, RuS 2007 415, 416. Koch

268

E. Erlöschen der Anzeigeobliegenheit

VVG § 104

rechtzeitig unmissverständlich erklärt, ob er den bedingungsgemäßen Rechtsschutz gewähren will.98 Erst wenn der VR dem VN unmissverständlich zu erkennen gibt, dass er wieder (etwa aufgrund nachträglich bekannt gewordener Umstände) in die Prüfung seiner Leistungspflicht eintreten und zu diesem Zweck die Verhandlungen über die Schadensregulierung erneut aufnehmen will, leben die Anzeigeobliegenheiten wieder auf.99 Gleiches soll für den Fall gelten, dass das Gericht die generelle Leistungsablehnung für ungerechtfertigt erachtet und den Parteien aufgibt, die Leistungsvoraussetzungen im Einzelnen nachzuweisen.100 Das bedeutet, dass der VN die Anzeigen nach § 104 Abs. 1 und 2 ggf. nachholen muss, soweit der VR nicht bereits Kenntnis von den anzeigepflichtigen Umständen hat. Macht der VR von seinem ihm nach § 100 zustehenden Wahlrecht Gebrauch und entscheidet sich für die Anspruchsabwehr, steht die damit einhergehende (vorläufige) Verweigerung der Erfüllung des Freistellungsanspruches einer Leistungsverweigerung nicht gleich. Zu Recht weist Knappmann darauf hin, dass eine Deckungsablehnung nicht als Freibrief 35 verstanden werden kann, dass der VN nunmehr berechtigt sei, falsche Angaben zu machen oder arglistig zu täuschen.101 Insoweit gilt der für das allgemeine Zivilrecht geltende Grundsatz, dass einem Vertragsteil eine eigene Vertragsverletzung um einer Vertragsverletzung des anderen Teiles willen nicht gestattet ist,102 auch für das Versicherungsvertragsrecht. Der VR verliert bei einer Deckungsablehnung nur die besonderen Privilegien des VVG.103 Die Rechte des allgemeinen Zivilrechts, u. a. Schadensersatzansprüche, bleiben unberührt. Erfolgt die Leistungsverweigerung zu Unrecht, ist der VR gegenüber dem VN jedenfalls 36 nicht wegen Verletzung der Anzeigeobliegenheit (teilweise) von seiner Leistungspflicht befreit. Der VR handelt insoweit auf eigenes Risiko. Deckungsablehnungen erfolgen vor allem in den Fällen, in denen der gegen den VN geltend gemachte Anspruch nicht in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fällt. Greift unter Zugrundelegung des Vortrags des Anspruchsstellers ein Ausschlusstatbestand ein, ist der VR allerdings zur Gewährung von Rechtsschutz unter Vorbehalt verpflichtet, wenn der VN diesen Vortrag bestreitet (§ 100 Rn. 43 ff.). Zu einer vollständigen Ablehnung der Deckung wegen Verletzung einer vor oder nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachtenden Obliegenheit dürfte der VR – soweit keine Arglist vorliegt – nur in Ausnahmefällen berechtigt sein. Ist der VR zur teilweisen Leistungskürzung berechtigt, berührt das seine Rechtsschutzverpflichtung nicht und die Anzeigeobliegenheiten des VN bleiben unberührt. Kommt es zur Verurteilung des VN, kann der VR im Umfang seiner teilweisen Leistungsfreiheit Rückforderung der Rechtsschutzkosten verlangen.104

98 Vgl. BGH 16.5.2007 – IV ZR 101/04, VersR 2007 979; BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, RuS 2007 191, 192 = VersR 2007 1116, 1117 f.; BGH 14.2.2007 – IV ZR 54/04, RuS 2007 239, 240 = VersR 2007 1119, 1120; LG Dortmund 12.7.2007 – 2 O 80/07, RuS 2007 415, 416; Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 23. 99 BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107 368, 370 f. = VersR 1989 842 f. (zur Feuer- und Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung); Langheid/Rixecker/Langheid § 104 Rn. 12; Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 21; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 31. 100 BGH 8.7.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991 1129, 1130; OLG Hamm 3.2.1999 – 20 U 181/98, VersR 1999 1405 = NVersZ 2000 100, 101; Langheid/Rixecker/Langheid § 104 Rn. 12; ablehnend Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 21. 101 Knappmann NVersZ 2000 68, 69; Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 56; Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 21; Langheid/ Rixecker/Langheid § 104 Rn. 14; Landheid/Wandt/Langheid § 104 Rn. 36. 102 RG 5.2.1929 – VII 506/28, RGZ 123 238, 241 f.; vgl. auch BGH 26.11.2004 – V ZR 90/04, NJW-RR 2005 743, 745 f.; BGH 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, NJW 1998 976, 977; BGH 28.9.1984 – V ZR 43/83, NJW 1985 266, 267; BGH 13.11 1998 – V ZR 386/97, NJW 1999 352, 353. 103 A.A. Baumgärtel VersR 1992 601; unklar Landheid/Wandt/Langheid § 104 Rn. 37, der sich zwar gegen eine Sanktionsfreiheit des arglistig täuschenden VN ausspricht, jedoch offenlässt, ob die Sanktionsregelungen des VVG gelten/wiederaufleben. 104 Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 24. 269

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

IV. Abtretung des Versicherungsanspruches, Anerkenntnis und/oder Befriedigung des Haftpflichtanspruches 37 Tritt der VN den Deckungsanspruch an den Anspruchsteller ab, wandelt er sich in der Person des Anspruchsstellers in einen Zahlungsanspruch um, der sich gegen den VR richtet (§ 100 Rn. 134 f.). Erfolgt die Abtretung vor der gerichtlichen Inanspruchnahme, erlöschen die Anzeigeobliegenheiten gem. § 104 Abs. 2 S. 1. Letzteres gilt auch für den Fall, dass der VN den Haftpflichtanspruch anerkennt und/oder befriedigt. Ab diesem Zeitpunkt ist dem VR eine Abwehr des Anspruchs gegen den VN nicht mehr möglich.

F. Obliegenheitsbelastete bei Fremdversicherung 38 Unter den Voraussetzungen der § 104 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 sind neben dem VN105 auch mitversicherte Personen gem. § 47 Abs. 1 zur Anzeige verpflichtet, soweit diese in Anspruch genommen werden oder deren Inanspruchnahme droht. Lediglich die Obliegenheit zur Anzeige eines Ermittlungsverfahrens trifft allein den hiervon betroffenen Mitversicherten (Rn. 20). Verletzt die versicherte Person ihre Obliegenheit zur Anzeige, kann dies nur zum Verlust des (Fremd-)Versicherungsschutzes führen. Ein daneben bestehender (Eigen-)Versicherungsschutz des VN (kombinierte Eigen- und Fremdversicherung) bleibt unberührt, soweit es sich bei der versicherten Person nicht um einen Repräsentanten des VN gehandelt hat. Macht nur der betroffene Mitversicherte, nicht aber der VN die nach § 104 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 gebotenen Angaben, führt dies nicht zum Verlust des (Fremd-)Versicherungsschutzes.106 Insoweit ist nach Sinn und Zweck des § 47 Abs. 1 eine Einschränkung der Akzessorietätsregel geboten. Im Übrigen kommt zugunsten des Mitversicherten die Regel des § 30 Abs. 2 zum Tragen. Schließlich fehlt es auch an einem für die Leistungsfreiheit oder -kürzung nach § 28 (abgesehen von den Fällen der Arglist) erforderlichen Nachteil.

G. Rechtsfolgen bei Verletzung der Anzeigeobliegenheiten 39 Gesetzlich ist – wie in § 30 – keine Rechtsfolge vorgesehen. Der VR macht die gesetzlichen Obliegenheiten deshalb zum Inhalt des Vertrages und vereinbart für den Fall der Verletzung vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit gem. § 28 Abs. 2 und Abs. 3.107

I. (Teilweise) Leistungsfreiheit 1. Vorsätzliche Anzeigeobliegenheitsverletzung 40 Gem. § 28 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 ist der VR im Fall vorsätzlicher Anzeigeobliegenheitsverletzung in dem Umfang leistungsfrei, in dem er durch die Verletzung einen Nachteil erleidet. Zur Feststellung der Kausalität ist ein Vergleich zwischen dem hypothetischen Umfang der Leistungspflicht des VR bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Obliegenheit und dem bei Verletzung der Obliegenheit tatsächlich eingetretenen Umfang erforderlich. Der VR bleibt deshalb auch bei verspäteter/berichtigender Anzeige zur vollständigen Leistung verpflichtet,108 wenn ihm noch kein Nachteil erwach105 106 107 108

Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 32; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 14. Bruck/Möller/Brand § 47 Rn. 45; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 19. Vgl. Ziff. 26.2. AHB 2012, AKB 2008 E.6. Vgl. BGH 5.12.2001 – IV ZR 225/00, RuS 2002 51, 52 f.; OLG Stuttgart 22.5.2003 – 7 U 18/03, NJW-RR 2004 328,

329. Koch

270

G. Rechtsfolgen bei Verletzung der Anzeigeobliegenheiten

VVG § 104

sen ist.109 Vorsatz liegt allerdings nur dann vor, wenn der VN die Obliegenheit im Bewusstsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm verletzt. Es genügt deshalb nicht, dass dem VN die Tatsachen, die die Anzeigepflicht begründen, bekannt sind. Vielmehr muss sich der VN auch bewusst sein, dass er aufgrund dieser Tatsachen zu einer Anzeige an den VR verpflichtet ist.110 Rechts- und Tatsachenirrtümer des VN sind grundsätzlich geeignet, den Vorsatz entfallen 41 zu lassen, können aber (grobe) Fahrlässigkeit begründen.111 Tatsachenirrtümer sind vor allem bei den Anzeigeobliegenheiten gem. § 104 Abs. 1 denkbar (z. B. über die Ernstlichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen durch den Dritten, über das Bestehen von Versicherungsschutz für den konkreten Versicherungsfall).112 Im Hinblick darauf, dass die Anzeigeobliegenheiten im Versicherungsvertrag statuiert sind, dürfte ein den Vorsatz ausschließender Rechtsirrtum dagegen nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, etwa weil der VN über die Reichweite der Anzeigeobliegenheit (z. B. bei Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens) oder den Fristbeginn irrt.113 In Zweifelsfällen ist der VN gehalten, sich an den VR zu wenden oder Rechtsrat einzuholen.114 Holt der Auskunft bei einem Rechtsanwalt ein und vertraut auf die Richtigkeit der Auskunft über das Bestehen einer Anzeigeobliegenheit, scheidet Vorsatz aus. Es kommt allenfalls (grobe) Fahrlässigkeit in Betracht (Rn. 43).115 Ein Verschulden der rechtsberatenden Person ist dem VN nicht zurechenbar, da es sich bei dem Rechtsanwalt nicht um einen Repräsentanten des VN handelt.116

2. Grob fahrlässige Anzeigeobliegenheitsverletzung Im Fall der grob fahrlässigen Verletzung der Anzeigeobliegenheit ist der VR je nach Schwere 42 des Verschuldens gem. § 28 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 berechtigt, 0–100 % des erlittenen Nachteils von der Versicherungsleistung in Abzug zu bringen.117 Nur im Fall der arglistigen Obliegenheitsverletzung kommt es nach § 28 Abs. 3 S. 2 nicht darauf an, ob der VR einen Nachteil erleidet.118 Zu einer Erhöhung der Schadenskosten kann es vor allem durch Rechtsanwalts- und Gerichtskosten kommen, die bei sofortiger Anzeige und einer daraufhin erfolgenden Regulierung hätten vermieden werden können. Soweit die Verletzung der Anzeigeobliegenheit im Zusammenhang mit anderen Obliegenheiten begangen wird (z. B. Verletzung der Aufklärungsobliegenheit und/ oder Rettungsobliegenheit), ist der Nachteil für jede Verletzung gesondert zu bestimmen. Beruht der Nachteil auf demselben Kausalitätsbeitrag, ist die Kürzungsquote im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung zu treffen.119 109 Vgl. BGH 5.12.2001 – IV ZR 225/00, RuS 2002 51, 52 f.; OLG Stuttgart 22.5.2003 – 7 U 18/03, NJW-RR 2004 328, 329.

110 BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118; vgl. auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 24. 111 OLG Dresden 22.9.2005 – 4 U 2194/04, BauR 2006 1328 ff.; OLG Celle 1.3.2001 – 13 U 103/00, VersR 2002 602; OLG Frankfurt/M. 22.3.2000 – 7 U 37/99, NVersZ 2000 427, 429; AG Hamburg 2.6.1989 – 4 C 2292/88, NJW-RR 1989 1432, 1433; OLG Hamm 3.11.1972 – 20 U 180/72, VersR 1973 339, 341; OLG Köln 19.12.1985 – 5 U 104/85, VersR 1986 906, 908; LG Berlin 22.5.1984 – 7 O 433/83, VersR 1984 1057, 1058; LG Dortmund 14.7.1983 – 2 O 504/82, VersR 1984 532; AG Aachen 14.5.1981 – 10 C 126/81, VersR 1981 1146; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 164; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 25. 112 Vgl. OLG Frankfurt/M. 28.3.1991 – 16 U 39/90, VersR 1992 604; OLG Hamm 2.12.1960 – 7 U 235/60, VersR 1962 413, 414. 113 BGH 30.3.1967 – II ZR 133/64, VersR 1967 547 f. 114 OLG Nürnberg 1.3.1979 – 8 U 128/77, VersR 1979 561, 562; OLG Saarbrücken 19.11.1974 – 7 U 4/74, VersR 1976 157, 158. 115 BGH 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981 321, 322; OLG Nürnberg 1.3.1979 – 8 U 128/77, zfs 1980 249; vgl. auch BGH 16.5.2007 – IV ZR 101/04, VersR 2007 979. 116 BGH 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981 321, 322; OLG Nürnberg 1.3.1979 – 8 U 128/77, zfs 1980 249. 117 Vgl. hierzu Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 146 ff. 118 Vgl. OLG Saarbrücken 30.4.2008 – 5 U 614/07, RuS 2008 465, 467. 119 Bruck/Möller/R. Koch9 § 82 Rn. 175 ff.; vgl. auch LG Dortmund 15.7.2010 – 2 O 8/10, BeckRS 2010 17305. 271

Koch

§ 104 VVG

43

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

Nach Ansicht des BGH verletzt der VN seine Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungsfalles in der Regel nicht grob fahrlässig, wenn er – trotz entgegenstehenden Wortlauts der Versicherungsbedingungen – dem Rat seines Rechtsanwalts vertraut, ein bestimmtes Ereignis müsse nicht oder nicht in der hierin bestimmten Frist angezeigt werden.120 Dieser Grundsatz bedarf indes der Einschränkung. Er gilt nicht, wenn der Anwalt hierfür keine einleuchtende Erklärung abgibt, diese vielmehr nicht nachvollziehbar und unverständlich ist, so dass sich auch einem in versicherungsrechtlichen Fragen nicht bewanderten VN die Unrichtigkeit dieser Auskunft aufdrängen muss.121 Ist der VN davon ausgegangen, sein Prozessbevollmächtigter werde alles Erforderliche veranlassen, entlastet ihn diese Vorstellung nicht vom Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens. Gleiches gilt, wenn der VN glaubt, eine Anzeige nach Eingang der Anspruchsbegründung reiche aus.122 Durfte der VN in konkreten Fall darauf vertrauen, nicht in Anspruch genommen zu werden, liegt keine grobe Fahrlässigkeit vor. So liegt der Fall, wenn der Geschäftsführer einer GmbH nicht anzeigt, weil er es für ausgeschlossen hält, persönlich in Anspruch genommen zu werden, und diese Auffassung nahe liegt.123 Da die Haftpflichtversicherung auch Schutz gegen unbegründete Ansprüche bietet, ist grobe Fahrlässigkeit allerdings nicht allein deshalb zu verneinen, weil es sich aus Sicht des VN um einen offensichtlich unbegründeten Anspruch handelt und er deshalb von einer Anzeige absieht.124 Grobe Fahrlässigkeit ist bejaht worden, wenn der VN die Anzeige in der Annahme unterlassen hat, wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens ohnehin keinen Versicherungsschutz zu haben.125

II. Belehrungspflicht des VR? 44 Fraglich ist, ob sich der VR nur dann auf die (teilweise) Leistungsfreiheit berufen kann, wenn er den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat. Teile der Literatur zu § 153 a. F. haben sich für eine solche Belehrungspflicht im Hinblick auf die den VN nach der ersten Anzeige zusätzlich treffenden Anzeigeobliegenheiten im Falle gerichtlicher Geltendmachung ausgesprochen.126 Die obergerichtliche Rechtsprechung ist dieser Ansicht jedoch nicht gefolgt.127 Ein solches Belehrungserfordernis als Voraussetzung für die (teilweise) Leistungsfreiheit ist nach § 28 Abs. 4 nur hinsichtlich der Rechtsfolgen wegen der Verletzung von Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten vorgesehen. Zudem heißt es in der Gesetzbegründung ausdrücklich, dass ein solches Erfordernis „nicht für die Anzeigeobliegenheiten nach den §§ 30 und 104 VVG-E oder für Obliegenheiten [gilt], die nach Eintritt des Versicherungsfalles auf Grund des konkreten Ablaufs entstehen und auf die der VR daher nicht im Voraus hinweisen kann“.128 Es besteht deshalb kein Raum für die analoge Anwendung von § 28 Abs. 4 auf die Anzeigeobliegenheit nach § 104.129 Ist der VN seiner Anzeigeobliegenheit nach § 104 Abs. 2 S. 1 nachgekommen und hat der VR einen Rechtsanwalt mit der Führung des Verfahrens beauftragt, bestehen gegenüber dem VR ohne120 BGH 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981 321, 322. 121 OLG Frankfurt/M. 22.5.1992 – 2 U 187/91, OLGR Frankfurt 1993 38, 40; OLG Hamm 15.6.1988 – 20 U 342/87, ZfS 1988 255.

122 OLG Köln 27.6.2006 – 9 U 210/05, VersR 2007 351. 123 OLG Hamm 11.3.1981 – 20 U 272/80, VersR 1981 821 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 26. 124 Vgl. BGH 20.11.1970 – IV ZR 55/69, VersR 1971 213, 214; OLG Saarbrücken 19.11.1974 – 7 U 4/74, VersR 1976 157, 158; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 16; a. A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 26.

125 OLG Frankfurt/M. 28.3.1991 – 16 U 39/90, VersR 1992 604. 126 Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 153 Rn. 11; Berliner Kommentar/Baumann § 153 Rn. 40. 127 Vgl. OLG Saarbrücken 22.8.1990 – 5 U 21/90, RuS 1991 14; OLG Düsseldorf 27.9.1988 – 4 U 245/87, RuS 1991 121 f.; a. A. LG Dortmund 23.3.2006 – 2 O 378/05, NJOZ 2006 2682, 2684. 128 BTDrucks. 16/3945 S. 69. 129 Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 30; Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 20; Langheid/Wandt/ Wandt § 28 Rn. 320 ff. Koch

272

G. Rechtsfolgen bei Verletzung der Anzeigeobliegenheiten

VVG § 104

hin keine Anzeigeobliegenheiten mehr im Hinblick auf Prozesshandlungen des Anspruchsstellers (Rn. 30). Davon abgesehen mag in Ausnahmefällen die Berufung des VR auf die Obliegenheitsverletzung (Einrede) wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unbeachtlich sein.130

III. Verzicht des VR Die Verletzung von Anzeigeobliegenheiten begründet ein Leistungsverweigerungsrecht des 45 VR, welches er im Wege der Einrede geltend machen kann, aber nicht muss.131 Er kann z. B. um den Fortbestand der Geschäftsbeziehung zum VN nicht zu gefährden, auf die Einrede verzichten.132 Hiervon zu unterscheiden ist der Verlust der Einrede kraft objektiven Rechts (§ 242 BGB) aus Gründen des Vertrauensschutzes (venire contra factum proprium).133 Diese Unterscheidung wird in der Rechtsprechungspraxis oftmals nicht getroffen.134 Im Allgemeinen ist ein Verzicht auf Rechte nicht zu vermuten. Bei Fehlen einer ausdrückli- 46 chen Verzichtserklärung bedarf es deshalb eindeutiger Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen des VR.135 Eine unterlassene Beanstandung der Obliegenheitsverletzung reicht allein nicht aus.136 Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die auf einen Verzichtswillen des VR schließen lassen. Darüber hinaus ist für die Annahme eines stillschweigenden Verzichts erforderlich, dass der VR die Verletzung kennt oder wenigstens für möglich hält. Liegen mehrere Anzeigeobliegenheitsverletzungen vor, bezieht sich der Verzicht deshalb nur auf die dem VR bekannten. Bejaht hat die Rechtsprechung einen Verzichtswillen, wenn der VR dem VN in Kenntnis der Obliegenheitsverletzung vorbehaltlos Rechtsschutz gewährt oder Zahlungen137 leistet,138 ausdrücklich die Deckungsübernahme erklärt,139 den VN auffordert, die bislang versäumte Erfüllung einer Obliegenheit nachzuholen,140 die Leistungsfreiheit für den Fall eines erneuten Verstoßes androht,141 das Regulierungsverfahren fortsetzt142 oder sich auf ein Sachverständigenverfahren einlässt.143 130 Vgl. LG Dortmund 23.3.2006 – 2 O 378/05, NJOZ 2006 2682, 2684. 131 Vgl. BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493, 494 = RuS 2005 143 f.; BGH 18.12.1989 – II ZR 34/89, RuS 1991 5, 6; BGH 24.4.1974 – IV ZR 202/72, VersR 1974 689 f. = NJW 1974 1241 f.; OLG Köln 12.4.1994 – 9 U 17/94, VersR 1994 1183, 1184; OLG Hamm 4.12.1992 – 20 U 157/92, RuS 1993 246, 247. 132 Langheid/Wandt/Wandt § 28 Rn. 260. 133 Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 274; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 150. 134 Z. B. KG 26.10.2001 – 6 U 4294/00, NVersZ 2002 229. 135 Vgl. BGH 19.10.2005 – IV ZR 89/05, VersR 2006 57, 58 f. = NJW 2006 298, 299; OLG Stuttgart 19.6.2006 – 7 U 238/05, VersR 2007 391. 136 Vgl. OLG Düsseldorf 11.2.2008 – I-24 U 104/07, VersR 2008 1347 ff. 137 Ausgenommen bei Zahlungen an den Geschädigten im Falle des § 117, vgl. BGH 31.1.1952 – II ZR 259/51, BGHZ 4 369, 380; Hans. OLG Hamburg 1.6.1950 – 2 U 24/50, VersR 1950 132, 133; ÖOGH 12.7.1972 – 7 Ob 165/72, VersR 1973 142, 143. 138 Vgl. BGH 21.3.1963 – II ZR 111/60, VersR 1963 516, 517; BGH 27.6.1953 – II ZR 176/52, VersR 1953 316 ff.; KG 26.10.2001 – 6 U 4294/00, NVersZ 2002 229; s. auch OLG Karlsruhe 17.9.1998 – 12 U 102/98, RuS 1999 17 f. (KfzVersicherung); OLG Hamm 11.5.1988 – 20 U 211/87, RuS 1988 347 (Unfallversicherung); OLG Karlsruhe 21.7.1983 – 12 U 298/82, VersR 1984 635, 636; Hans. OLG Hamburg 25.10.1973 – 3 U 60/73, VersR 1974 463, 464 f. (Sachversicherung). 139 Vgl. BGH 6.10.1982 – IV a ZR 21/81, VersR 1983 30; BGH 16.1.1970 – IV ZR 645/68, VersR 1970 241, 242; OLG Koblenz 20.9.1967 – 1 a U 305/66, VersR 1967 1043. 140 Vgl. OLG Köln 15.4.1997 – 9 U 120/96, VersR 1997 1394; OLG Frankfurt/M. 20.2.1992 – 22 U 136/90, VersR 1992 1458; OLG Karlsruhe 31.12.1986 – 12 U 113/86, RuS 1987 262, 263. 141 OLG Saarbrücken 31.5.2006 – 5 U 165/05 – 14, VersR 2007 1646, 1647. 142 Vgl. OLG Köln 21.5.2007 – 9 U 220/06, VersR 2008 391, 392; OLG Frankfurt/M. 10.12.1998 – 3 U 28/98, NVersZ 1999 230, 231; OLG Karlsruhe 5.6.1997 – 12 U 308/96, VersR 1998 975, 976. 143 OLG Karlsruhe 29.1.2004 – 19 U 175/01, VersR 2005 353, 354; a. A. BGH 22.11.1962 – II ZR 79/60, VersR 1963 79, 81. 273

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

Der Schluss auf einen Verzichtswillen ist dagegen nicht gerechtfertigt, wenn der VR beim VN lediglich nachfragt,144 diesem ein Vergleichsangebot macht145 oder Vergleichsverhandlungen mit dem geschädigten Dritten führt.146 Der VR kann sich auf eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit erstmals in der Berufungsinstanz berufen.147

H. Abdingbarkeit 47 § 104 ist gem. § 112 halbzwingend. Für den VN nachteilige Abweichungen von § 104 entfalten somit keine Wirkung gegenüber dem VN (wegen der Sanktionslosigkeit nach dem Gesetz gilt dies freilich nur, soweit der VR vertragliche Rechtsfolgen für den Fall ihrer Verletzung vereinbart). Schriftformerfordernisse für die Anzeigen nach § 104 Abs. 1 und Abs. 2 gehen deshalb ebenso ins Leere (Rn. 27 f.) wie die Verkürzung der Anzeigefristen. Dagegen ist es zulässig, Leistungsfreiheit für den Fall zu vereinbaren, dass der VN arglistig gehandelt hat, das heißt in betrügerischer Absicht seine Anzeigeobliegenheiten verletzt hat. 48 Abweichungen zugunsten des VN sind zulässig. So müssen beispielsweise Kleinschäden in der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht angezeigt werden, wenn der VN den Schaden selbst reguliert.148 Selbstverständlich ist es darüber hinaus zulässig, nicht alle in § 104 Abs. 1 und Abs. 2 genannten Anzeigeobliegenheiten zum Inhalt des Vertrags zu machen und vertraglich für den Fall der Verletzung vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit gem. § 28 Abs. 2 und Abs. 3 vorzusehen. So liegt der Fall, wenn dem VN in den Versicherungsbedingungen (lediglich) die Anzeige des Versicherungsfalles aufgegeben wird und dieser nicht bereits bei der die Haftpflicht möglicherweise auslösenden Verletzungshandlung eintritt (Verstoß), sondern erst beim Verletzungserfolg (Schadenereignis) oder bei der Geltendmachung des Anspruchs (Anspruchserhebungsprinzip).149 Die Nichtanzeige der Verletzungshandlung bleibt dann ohne Sanktion.150

I. Beweislast 49 Der VR muss die objektiven Voraussetzungen der Obliegenheitsverletzung beweisen.151 Dazu zählt der die Anzeigeobliegenheit auslösende Sachverhalt und der Verstoß gegen die Anzeigeobliegenheit,152 also auch die nicht rechtzeitige Absendung der Anzeige.153 Des Weiteren muss der VR beweisen, dass der VN von den anzeigepflichtigen Umständen Kenntnis hatte. Gelingt dem VR der Beweis, ist es Sache des VN die nach dem Gesetz zugelassene Vermutung grober Fahrlässigkeit in den Versicherungsbedingungen154 zu widerlegen.155 Vorsatz (einschließlich Arglist) hat der VR zu beweisen. Die Beweislast, dass die grob fahrlässige Verletzung oder vorsätzliche 144 145 146 147

OLG Hamm 19.12.1997 – 20 U 158/97, RuS 1998 233, 234. OLG Koblenz 28.1.2000 – 10 U 1035/99, RuS 2000 161, 162. LG Karlsruhe 30.4.1964 – 2 O 268/63, VersR 1964 862, 863 f. Vgl. BGH 19.10.2005 – IV ZR 89/05, VersR 2006 57, 58 f. = NJW 2006 298, 299; OLG Stuttgart 19.6.2006 – 7 U 238/05, VersR 2007 391; OLG Köln 16.4.2002 – 9 U 136/01, VersR 2002 1419; a. A. OLG Düsseldorf 4.8.1992 – 4 U 30/92, VersR 1993 425. 148 E.1.2.2 AKB 2015. 149 Vgl. BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117, 1118. 150 Vgl. Langheid/Wandt/Langheid § 104 Rn. 17; Prölss/Martin/Lücke § 104 Rn. 3. 151 OLG Köln 21.4.1998 – 9 U 207/96, RuS 1998 458 f. 152 Vgl. OLG Hamm 13.7.1994 – 20 U 55/94, VersR 1995 1476. 153 Vgl. BGH 16.5.2007 – IV ZR 101/04, VersR 2007 979; BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 59; Prölss/ Martin/Lücke § 104 Rn. 27; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 104 Rn. 32. 154 Vgl. Nr. 26.2 S. 4 AHB 2016/B3-3.3.3 AVB PHV/AVB BHV. 155 Vgl. auch Hans. OLG Hamburg 23.6.1998 – 9 U 122/96, NVersZ 2000 192, 193. Koch

274

J. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 104

Verletzung der Anzeigeobliegenheit keinen Einfluss auf die Feststellung oder den Umfang der dem VR obliegenden Leistung hatte, trifft den VN. Er kann diesen negativen Beweis in der Weise führen, dass er zunächst die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten ausräumt und dann abwartet, welche Behauptungen der VR über Art und Maß der Kausalität aufstellt, die der VN dann ebenfalls zu widerlegen hat. Der VR muss dazu die konkrete Möglichkeit eines für ihn günstigeren Ergebnisses aufzeigen, indem er z. B. vorträgt, welche Maßnahmen er bei rechtzeitiger Erfüllung der Obliegenheit getroffen und welchen Erfolg er sich davon versprochen hätte.156

J. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 104 ist § 153 VersVG, der mit § 153 a. F. 50 identisch ist. Nimmt man die Rechtsprechung des OGH in den Blick, sind keine Divergenzen zur Auslegung der Anzeigeobliegenheiten i. S. v. § 153 VersVG ersichtlich.157 Aus dem Inhalt der Anzeige gem. § 153 Abs. 1 VersVG muss sich lediglich ergeben, dass ein Versicherungsfall eingetreten ist, durch den der VR nach Auffassung des Anzeigenden leistungspflichtig wird. Als objektiver Verletzungstatbestand kommt deshalb praktisch nur die Nichtanzeige des Versicherungsfalles in Frage.158 Grobe Fahrlässigkeit hat der OGH bejaht, wenn der VN die fristgerechte Anzeige in der Annahme unterlassen hat, weil er meinte, dass es für den Lauf der Frist erst auf die anschließende „eingehende Prüfung“ durch ihn ankomme.159 Eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht durch den VN liegt nach Ansicht des OGH vor, wenn er annimmt, Schadensersatzansprüche gegen ihn seien mangels Sorgfaltsverletzung nicht begründet, nicht aber, wenn er in Kenntnis der Pflicht zur fristgebundenen Anzeige an den VR darüber irrt, ob die ihm zugegangene Erklärung des Dritten schon die Geltendmachung einer Schadensersatzforderung darstellt.160

II. PEICL Die PEICL sehen keine Verpflichtung des VN zur Anzeige des Versicherungsfalles oder seiner 51 gerichtlichen Inanspruchnahme vor. Stattdessen ist gem. Art. 15:102 Abs. 2 S. 1 der VR verpflichtet, den VN einen gegen ihn vom Geschädigten erhobenen Direktanspruch binnen 2 Wochen nach der Inanspruchnahme anzuzeigen. Nach Art. 15:101 Abs. 1 lit. d) hat der Geschädigte in der freiwilligen Haftpflichtversicherung einen Direktanspruch gegen den VR, wenn er einen Personenschaden erlitten hat. Verletzt der VR diese Pflicht, werden nach Art. 15:102 Abs. 2 S. 2 die Rechte des VN durch eine Zahlung an das Opfer oder eine Schuldanerkennung gegenüber dem Opfer nicht berührt. Stellt der VN dem VR nicht binnen eines Monats seit Erhalt der Anzeige die Informationen über das versicherte Ereignis zur Verfügung, gilt dies gem. Art. 15:102 Abs. 3 als Zustimmung des VN zur direkten Regulierung des Anspruches durch den VR. Nach der Intention der Verfasser der PEICL soll dem VN durch die Mitteilung des VR einer- 52 seits Gelegenheit dazu gegeben werden, den Geschädigten selbst zu befriedigen, und anderer156 BGH 4.4.2001 – IV ZR 63/00, RuS 2001 361 f.; BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 327, 336 f.; OLG Düsseldorf 11.4.2000 – 4 U 67/99, RuS 2001 16, 19. 157 S. Fenyves/Schauer/Reisinger § 153 Rn. 8 ff. 158 OGH 17.10.2001 – 7 Ob 236/01h, ECLI:AT:OGH0002:2001:0070OB00236.01H.1017.000. 159 OGH 30.8.2006 – 7Ob183/06x, ECLI:AT:OGH0002:2006:0070OB00183.06X.0830.000. 160 OGH 10.11.1988 – 7Ob37/88 VersR 1989 824. 275

Koch

§ 104 VVG

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

seits der VR die für ihn zur sachgerechten Beurteilung der Berechtigung des Anspruch erforderlichen Informationen vom VN erhalten.161 Aus deutschrechtlicher Sicht verwundert es, dass die Sanktionen für die Verletzung dieser Pflichten sich beschränken auf die Folgen der Regulierung des Anspruchs durch den VR für den VN. Art. 15:102 Abs. 2 und 3 verfolgt somit eine völlig andere Zielsetzung als § 104, weil es nur darum geht, den VN vor den möglichen nachteiligen Folgen einer Regulierung durch den VR zu bewahren.

161 Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), 2nd edition (2016) Art. 15:102 note C4 bis C8. Koch

276

§ 105 Anerkenntnis des Versicherungsnehmers Eine Vereinbarung, nach welcher der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer den Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt, ist unwirksam.

Schrifttum Armbrüster Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; Baumann Die Überwindung des Trennungsprinzips durch das Verbot des Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, VersR 2010 984; Dobmaier Obliegenheiten im Haftpflichtversicherungsfall, AnwBl. 2000 745; Grunwald Leitbilder des VVG in der Großrisikoversicherung, VersR 2020 1423; Fenyves Deutsches und österreichisches Versicherungsvertragsrecht – Gemeinsamkeiten und Unterschiede, ZVersWiss 1997 295; R. Johannsen Die Haftpflichtversicherung des Architekten, ZVersWiss 83 (1994) 449; R. Koch Anmerkung zum Urteil des OLG Frankfurt vom 7.2.2012 (3 U 307/10, VersR 2013, 617) – Zu den Risikoausschlüssen Gefahren eines Dienstes und Ehrenamtes in der Privathaftpflichtversicherung und zur Bindungswirkung eines Anerkenntnisses nach Verweigerung des Deckungsschutzes, VersR 2013 620; ders. Der Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung, RuS 2009 133; ders. VVG-Reform: Zu den Folgen der Untersagung des Anerkenntnis- und Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, FS Gerrit Winter (2007) 345; ders. Schiedsgerichtsvereinbarungen und Haftpflichtversicherungsschutz SchiedsVZ 2007 281; Klimke Auswirkungen des Wegfalls des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes in der Haftpflichtversicherung, RuS 2014 105; Kramer Das Beurteilungsermessen des Betriebshaftpflichtversicherers und die geschäftsschädigende Festlegung auf Abwehrschutz RuS 2008 1; Lange Das Zusammenspiel von Anerkenntnis und Abtretung in der Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, RuS 2007 401; ders. Das Anerkenntnisverbot vor und nach der VVG-Reform, VersR 2006 1313; Langheid Nach der Reform: Neue Entwicklungen in der Haftpflichtversicherung, VersR 2009 1043; ders. Tücken in den §§ 100 ff. VVG-RegE, VersR 2007 865; Münzel Pflichtverletzung gegenüber dem Insolvenzgläubiger durch Feststellung seiner Haftpflichtforderung? NZI 2007 441; Schaible Zur Frage des versicherungsrechtlichen Anerkenntnisverbots, VersR 1977 662; Schimmer Die D&O-Versicherung und §§ 105 und 108 Abs. 2 VVG 2008 – kann die Versicherungsnehmerin geschädigte Dritte sein? VersR 2008 875; Schirmer Die Haftpflichtversicherung nach der VVGReform, ZVersWiss Supplement 2006 427; Thalmair Die Haftpflichtversicherung nach der VVG Reform, ZVersWiss Supplement 2006 459; Thomas Haftpflichtrechtliche Verjährungsverlängerung und D&O-Deckung, AG 2016 473; ders., Zu den Auswirkungen eines Verjährungsverzichts auf die Haftpflichtversicherung, in Koch/Werber/Winter (Hrsg.), Der Forschung – der Lehre – der Bildung – 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e.V. (2016) 495; Thomas/Dreher Die D&O-Versicherung nach der VVG-Novelle 2008, ZGR 2009 31; Voit Abschied vom Befriedigungsverbot in der Haftpflichtversicherung? VersR 1995 993.

Übersicht 1

Einwilligung des VR

1

IV.

Person des Dritten

4

C.

Abdingbarkeit

D.

Österreichisches Recht/Principles of Europe25 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Normzweck

III.

Anwendungsbereich

B.

Befriedigung des Dritten oder Anerkenntnis 13 seines Anspruchs durch den VN

12

I.

Begriff des Anerkenntnisses

II.

Befriedigung

21

III.

A.

14

22 23

25 27

18

277 https://doi.org/10.1515/9783110522662-007

Koch

§ 105 VVG

Anerkenntnis des Versicherungsnehmers

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 105 ist an die Stelle von § 154 Abs. 2 a. F. getreten. Nach § 154 Abs. 2 a. F. ist eine Vereinbarung, nach welcher der VR von der Verpflichtung zur Leistung frei sein soll, wenn ohne seine Einwilligung der VN den Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt, unwirksam, „falls nach den Umständen der VN die Befriedigung oder die Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern konnte“. Mit dieser Vorschrift trug der historische Gesetzgeber der Vertragspraxis Rechnung, die dem VN die Obliegenheit „auferlegte“, den gegnerischen Haftpflichtanspruch nicht ohne Einwilligung des VR anzuerkennen oder zu befriedigen (vgl. auch § 5 Ziff. 5 AHB a. F.).1 Der Zweck dieser Obliegenheit bestand darin, eine Verständigung zwischen dem Geschädigten und dem VN auf Kosten des VR zu verhindern.2 Es bestand die Befürchtung, dass der VN vorschnell handeln könnte, um einer lästigen Auseinandersetzung, der Zuziehung der Polizei oder einer Strafanzeige zu entgehen oder um gute Beziehungen zu dem Dritten nicht zu stören.3 Zudem könne der Dritte im Prozess in die Rolle des Zeugen geraten und versucht sein, wahrheitswidrig zugunsten des VN auszusagen.4 Zugleich sollte die Regulierungsmacht des VR,5 insbesondere das Ermessen des VR zwischen Anspruchsabwehr oder Befriedigung abgesichert werden.6 Der historische Gesetzgeber sah darin ein berechtigtes Anliegen des VR, hielt es jedoch für erforderlich, für gewisse Fälle aus Billigkeitsgründen ein Ausnahmerecht des VN zu schaffen.7 Die Rechtsprechung trug dem Erfordernis der „offenbaren Unbilligkeit“ in der Weise Rech2 nung, dass sie es für die Unwirksamkeit des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes nicht ausreichen ließ, dass der Haftpflichtanspruch offenbar begründet war.8 Die Situation musste vielmehr derart gestaltet sein, dass die Nichtanerkennung des Haftpflichtanspruchs für „jeden anständigen Menschen auf den ersten Blick einen Verstoß gegen die guten Sitten bedeuten würde“.9 Dem VN war es somit im Grundsatz versagt, auch zu Recht bestehende Forderungen anzuerkennen und zu befriedigen. § 154 Abs. 2 a. F. wurde durch Gesetz vom 7.11.1939 geändert. Die ursprüngliche Fassung 3 lautete noch: „auf eine Vereinbarung … kann sich der VR nicht berufen …“; danach wurde bestimmt, dass eine derartige Vereinbarung unwirksam sei.10 Mit der Änderung sollte § 154 Abs. 2 a. F., der zuvor als halbzwingend galt, „schlechthin für zwingend“ erklärt werden.11 1 Vgl. Schirmer ZVersWiss Supplement Jahrestagung 2006 427, 431: „Das vereinbarte Anerkenntnis und Befriedigungsverbot […] zählt zu den Urgesteinen der Haftpflichtversicherung“. 2 Motive 209. 3 Vgl. Voit VersR 1995 993, 997. 4 Vgl. Voit VersR 1995 993, 997. 5 Schirmer ZVersWiss Supplement Jahrestagung 2006 427, 431; Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 20. 6 Vgl. OLG Hamm 13.4.2005 – 20 U 231/04, VersR 2006 829, 829; OLG Saarbrücken 21.1.2004 – 5 U 404/03-40, VersR 2004 901, 903; OLG Karlsruhe 4.3.1982 – 12 U 158/81, VersR 1983 649, 650; Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 20; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. F 91; Späte § 5 Rn. 46. 7 Motive 209. 8 BGH 9.12.1965 – II ZR 173/63, VersR 1966 153, 154 = NJW 1966 657, 658; BGH 1.2.1968 – Il ZR 79/65, VersR 1968 289, 290; BGH 30.10.1984 – IX ZR 6/84, VersR 1985 83, 84; OLG Stuttgart 7.12.1977 – 7 U 116/77, VersR 1978 361, 361 f.; OLG Hamm 3.7.1981 – 20 U 70/81, VersR 1982 642, 642; OLG Karlsruhe 4.3.1982 – 12 U 158/81, VersR 1983 649, 649. 9 BGH 30.10.1984 – IX ZR 6/84, VersR 1985 83, 84; BGH 12.3.1969 – IV ZR 610/68, VersR 1969 405, 405 f.; BGH 1.2.1968 – Il ZR 79/65, VersR 1968 289, 290; OLG Hamm 13.4.2005 – 20 U 231/04, RuS 2005 376, 377 = VersR 2006 829, 829; OLG Karlsruhe 4.3.1982 – 12 U 158/81, VersR 1983 649; OLG Hamm 3.7.1981 – 20 U 70/81, VersR 1982 642, 642; ÖOGH 13.10.1983 – 7 Ob 61/83, VersR 1985 49, 50; ÖOGH 17.3.1977 – 7 Ob 23/77, VersR 1978 165, 166. 10 Motive 639. 11 Motive 639. Koch

278

A. Einführung

VVG § 105

II. Inhalt und Normzweck Nach § 105 ist eine Vereinbarung, nach welcher der VR nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn 4 der VN den geschädigten Dritten ohne seine vorherige Zustimmung befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt, generell unwirksam. Die Norm schränkt somit die Gestaltungsfreiheit bei Haftpflichtversicherungsverträgen ein. Der Umstand, dass der VN selbst begründete Forderungen nicht befriedigen durfte, hat den österreichischen Gesetzgeber bereits dazu veranlasst, mit Wirkung ab 1.1.1995 § 154 Abs. 2 VersVG, der bis dahin mit § 154 Abs. 2 a. F. übereinstimmte, dahingehend zu ändern, dass nur noch Anerkenntnis-, nicht aber Befriedigungsverbote wirksam vertraglich vereinbart werden können.12 In der Regierungsvorlage wurde hierzu folgende Begründung gegeben: „In den Haftpflichtversicherungsbedingungen wird zumeist die Obliegenheit des Versicherungsnehmers festgelegt, ohne Zustimmung des Versicherers keine Zahlungen an den Geschädigten zu leisten und keine Anerkenntnisse abzugeben. Solche Vereinbarungen sind problematisch, weil sie den Versicherungsnehmer daran hindern, auch zu Recht bestehende Forderungen zu erfüllen, also vom Versicherungsnehmer unter Umständen ein rechtswidriges Verhalten verlangen. § 154 Abs. 2 … soll durch die vorgesehene Differenzierung zwischen Befriedigung (Zahlung) und Anerkenntnis verschärft werden, nicht zuletzt, um dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit zu nehmen, mit dem – oft vorgeschobenen – Einwand, er könne wegen des bestehenden Versicherungsverhältnisses nicht zahlen, die Befriedigung des gegnerischen Anspruchs hinauszuschieben. Da die bloße Zahlung durch den Versicherungsnehmer dem Versicherer nicht wirklich nachteilig ist (oftmals erleichtert sie sogar die Abwicklung des Versicherungsfalls), soll die mit der Sanktion der Leistungsfreiheit verbundene Vereinbarung ihrer Unzulässigkeit generell unwirksam sein. Selbst die vorbehaltlose Erfüllung der Ansprüche des geschädigten Dritten bedeutet noch kein (konstitutives) Anerkenntnis dieser Ersatzansprüche. Dem Versicherungsnehmer bleibt stets die Möglichkeit der Rückforderung nach § 1431 ABGB. Bezüglich des (konstitutiven) Anerkenntnisses soll es hingegen bei der bisherigen Rechtslage bleiben. Zwar hat der Versicherer in der Haftpflichtversicherung ohnehin nicht mehr als dasjenige zu zahlen, was der Versicherungsnehmer auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen dem Dritten zu ersetzen hat, ein echtes Anerkenntnis der gegnerischen Forderung schafft aber für den Versicherer eine schwierige Beweislage und soll daher weiterhin dem Versicherungsnehmer untersagt werden dürfen (außer bei,offenbarer Unbilligkeit‘).“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

Ohne auf die in Österreich angestellten Überlegungen einzugehen, ist der deutsche Gesetzgeber 5 noch einen Schritt weiter gegangen und hat nicht nur die Vereinbarung von Leistungsfreiheit im Falle der Befriedigung, sondern auch im Falle des Anerkenntnisses des Haftpflichtanspruches für unwirksam erklärt. § 105 stellt insoweit klar, dass es dem VN freisteht, (auf eigenes Risiko) den Dritten zu befriedigen, ohne hierdurch den Versicherungsschutz zu verlieren.13 Der Abschied vom Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot ist angesichts der Neufassung von § 100 und insbesondere der Untersagung in § 108 Abs. 2, die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Geschädigten formularvertraglich auszuschließen, nur konsequent, da das Abtretungsverbot praktisch mit den gleichen Argumenten gerechtfertigt wurde wie das Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot. § 105 ist das Ergebnis einer Interessenneubewertung, bei der – wie die nachstehend wie- 6 dergegebene Gesetzesbegründung deutlich macht – auch die zuvor genannten Befürchtungen der VR nicht unberücksichtigt geblieben sind:14 „Diese Regelung [§ 154 Abs. 2 a. F.] erscheint auch unter Berücksichtigung der Interessen des Versicherers unangemessen. Der Versicherungsnehmer kann durch Anerkennen oder Befriedigen einen nicht bestehenden

12 ÖBGBl. 1994/509 vom 12.7.1994; vgl. hierzu Fenyves ZVersWiss 1997 295, 321; Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 61; Schirmer ZVersWiss Supplement 2006 427, 431; Langheid/Wandt/Littbarski § 105 Rn. 20 ff.

13 Vgl. OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284 mit Anm. Steinborn jurisPR-VersR 7/2010 Anm. 4. 14 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 86. 279

Koch

§ 105 VVG

Anerkenntnis des Versicherungsnehmers

Anspruch des Dritten nicht zu Lasten des Versicherers begründen und darüber hinaus auch nicht den Versicherungsfall herbeiführen; anderenfalls hätte der Versicherungsnehmer die Befugnis, zu Gunsten des Dritten den Versicherer zu belasten. Sowohl das Anerkenntnis als auch die Befriedigung müssen ohne Einfluss auf den Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer bleiben; verspricht der Versicherungsnehmer dem Dritten mehr als diesem zusteht, geht der Mehrbetrag immer zu Lasten des Versicherungsnehmers. Der Versicherer hat ihn nur von dem Anspruch freizustellen, den der Geschädigte ohne das Anerkenntnis gehabt hätte. Nicht gerechtfertigt ist es, dass der Versicherungsnehmer nach geltendem Recht durch Anerkenntnis oder Befriedigung seinen Befreiungsanspruch auch insoweit verliert, als er ohne sein vielleicht voreiliges Verhalten bestanden hätte. Allerdings liegt es nicht im Interesse des Versicherers, wenn ihm die Abwehr von Ansprüchen des Dritten durch Anerkenntnis oder Befriedigung unmöglich gemacht wird; möglicherweise könnte er diesen durch überlegene Rechtskenntnis zu einem (teilweisen) Verzicht auch dann bewegen, wenn die Ansprüche nach den tatsächlichen Umständen bestehen. Insoweit ist der Versicherer aber nicht schutzwürdig, wenn er gegenüber seinem Vertragspartner alle Einwendungen behält; er versagt ihm dann die Befreiung in dem Umfang, in dem der Versicherungsnehmer mit seinem Anerkenntnis über die wirkliche Anspruchslage hinausgegangen ist. Das Verbot von Anerkenntnis und Befriedigung ist auch aus der Sicht des Versicherers nicht sehr effektiv. Der Versicherungsnehmer ist nicht gehindert, bestimmte Tatsachen dem Geschädigten gegenüber persönlich oder in einer Gerichtsverhandlung einzuräumen; nur den Anspruch darf er nicht anerkennen. Selbst beim betrügerischen Zusammenwirken des Versicherungsnehmers mit dem Dritten ist es ein Leichtes, ein Anerkenntnis zu vermeiden und nur die (falschen) Tatsachen gemeinsam vorzutragen, aus denen sich der Anspruch des angeblich geschädigten Dritten gegen den Versicherungsnehmer und deshalb der entsprechende Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer ergeben soll. Deshalb erklärt § 105 VVG-E eine Klausel für unwirksam, nach welcher der Versicherer bei Anerkenntnis des Anspruchs des Geschädigten oder Befriedigung seitens des Versicherungsnehmers leistungsfrei ist.“

Der Gesetzgeber bewertet das Interesse des VR an der Absicherung seiner Regulierungsmacht somit geringer als das Interesse des VN, eine Auseinandersetzung mit dem Geschädigten über Grund und Höhe des Haftpflichtanspruches zu vermeiden, indem er dessen Anspruch anerkennt und/oder befriedigt. Der Gesetzgeber sieht den VR dadurch als hinreichend geschützt an, dass das Anerkenntnis oder die Befriedigung des Haftpflichtanspruchs ohne Einwilligung oder Mitwirkung des VR keine Bindungswirkung zu seinen Lasten entfaltet.15 Infolge Anerkenntnisses und/oder Befriedigung des Haftpflichtanspruches wandelt sich der 7 Freistellungsanspruch in einen Anspruch des VN auf Zahlung an den geschädigten Dritten (im Fall des Anerkenntnisses) oder an sich selbst (im Falle des Anerkenntnisses und/oder der Befriedigung) um (§ 100 Rn. 136). Bestreitet der VR die Haftung des VN dem Grunde und/oder der Höhe nach, so ist im Fall der Befriedigung durch den VN die Haftung im Rahmen einer Feststellungsklage gegen den VR zu klären, um die Voraussetzungen des § 106 S. 2 zu schaffen. Bestreitet der VR nicht nur die Haftung des VN, sondern auch die Deckung, erfolgt die Klärung der Haftung und der Deckung im Rahmen der Zahlungsklage (vgl. § 108 Rn. 52) Es würde jedoch zu weit gehen, § 105 als Beleg dafür anzusehen, dass das (prozessuale) Trennungsprinzip, das verkürzt besagt, dass Haftpflichtfragen in den Haftpflichtprozess und Deckungsfragen in den Deckungsprozess gehören (Vor §§ 100–112 Rn. 107 ff.), nicht mehr gültig ist. § 105 macht lediglich deutlich, dass das Trennungsprinzip jederzeit um den Preis der Bindungswirkung des Ausgangs des Haftungsprozesses für den Deckungsprozess durchbrochen werden kann. Die vom Gesetzgeber zur Rechtfertigung des Abschieds vom Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot gegebene Begründung, der VN habe gegen den VR ohnehin immer nur Anspruch auf die Leistung, zu der er auch ohne Befriedigung oder Anerkenntnis des Haftpflichtanspruchs berechtigt gewesen wäre, wird in der Kfz-Haftpflichtversicherung im Übrigen durch § 7 S. 2 KfzPflVV Rechnung getragen. Danach ist der VR „hinsichtlich des Mehrbetrages [leistungsfrei], wenn der Versiche-

15 Vgl. auch Bewertung von Langheid/Wandt/Littbarski § 105 Rn. 2; BeckOK VVG/Ruks § 105 Rn. 2; kritisch zur Neukonzeption des § 105 VVG Langheid/Rixecker/Langheid § 105 Rn. 5 ff.; Klimke RuS 2014 105 ff. Koch

280

A. Einführung

VVG § 105

rungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig einen Anspruch ganz oder teilweise unberechtigt anerkennt oder befriedigt […]“. Durch die Begründung des Gesetzgebers wird klargestellt, dass ein rechtsgrundloses Aner- 8 kenntnis/eine rechtsgrundlose Befriedigung keine Leistungspflicht des VR zu begründen vermag, weil der VN stets nur Anspruch auf Freistellung/Zahlung in Höhe der tatsächlich bestehenden Haftpflichtschuld hat. Soweit ein Anerkenntnis/eine Befriedigung dazu führt, dass der Geschädigte mehr erhält, als ihm nach der Sach- und Rechtslage zusteht, hat der VN von vornherein keinen Anspruch auf Freistellung/Zahlung in Höhe des Mehrbetrages. Dieser Befund wirft die Frage auf, ob es angesichts der Ausdehnung des Kausalitätsprinzips auf vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen der Neuregelung in § 105 eigentlich bedurft hätte.16 Schon nach § 28 Abs. 3 S. 1 scheidet eine Leistungsfreiheit des VR aus, wenn und soweit die Verletzung einer vertraglich begründeten Obliegenheit weder für die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich geworden ist. Es besteht deshalb an sich auch kein Grund, dem VR das Recht zu versagen, dem VN unter Verweis auf die Rechtsfolgen des § 28 die Obliegenheit aufzuerlegen, den Haftpflichtanspruch nicht anzuerkennen und/oder zu befriedigen.17 Bestreitet der VR die Haftung des VN dem Grunde und/ oder der Höhe nach, so müsste der VN im Rahmen seiner Deckungsklage den Kausalitätsgegenbeweis führen, d. h. er hätte darzulegen und zu beweisen, dass und in welchem Umfang der Haftpflichtanspruch besteht. Hätte der VN den Haftpflichtanspruch arglistig anerkannt oder arglistig befriedigt, wäre der VR gem. § 28 Abs. 3 S. 2 leistungsfrei, ohne dass es auf die Kausalität ankäme. Eines Rückgriffs auf § 242 BGB bedürfte es nicht.18 Die Ausgestaltung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots als vertragliche Obliegenheit hätte für den VR freilich die nachteilige Konsequenz, dass er bei grob fahrlässigem Verhalten des VN wegen § 28 Abs. 2 S. 2 teilweise zur Leistung verpflichtet wäre, obgleich keine Haftung des VN bestünde. Der in § 28 Abs. 3 S. 2 niedergelegte, für Obliegenheitsverletzungen verallgemeinerungsfähige Grundsatz der vollständigen Leistungsfreiheit des VR bei einer arglistigen Obliegenheitsverletzung rechtfertigt in jedem Fall die Aufnahme einer Vertragsbestimmung, die Leistungsfreiheit für den Fall eines arglistig abgegebenen Anerkenntnisses oder einer arglistig erfolgten Befriedigung des Haftpflichtanspruchs vorsieht (Rn. 24). Bei der Neuregelung des § 105 hatte der Gesetzgeber vornehmlich die Interessen von VN 9 und VR im Blick. Die Schutzbedürftigkeit des geschädigten Dritten, der die Rechtsprechung im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 154 Abs. 2 a. F. noch maßgebliche Bedeutung beigemessen hatte, spielte keine erkennbare Rolle bei seinen Überlegungen, § 154 Abs. 2 zu streichen. Dieser Gesichtspunkt ist insoweit von Bedeutung, als Großrisiken i. S. v. § 210 Abs. 2 betroffen sind. Für derartige Risiken gelten die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG nach § 210 Abs. 1 an sich nicht. Etwas anderes gilt dann, wenn die Beschränkungen dazu dienen, Vereinbarungen zulasten des geschädigten Dritten zu verhindern.19 Da § 105 diesem Zweck nicht dient, bleibt es bei der Anwendung des § 210 Abs. 1. Abweichungen von § 105 bei der Versicherung von Großrisiken sind jedoch Gegenstand der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, da Verträge über solche Risiken nur von den Beschränkungen des VVG befreit sind (Rn. 23).

16 Zur Bedeutung der Relevanz-Rechtsprechung für das Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot s. Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 43; Schirmer ZVersWiss Supplement 2006 427, 433; Thalmair ZVersWiss Supplement 2006 459, 461. 17 A. A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 105 Rn. 4. 18 A. A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 105 Rn. 4; Lange VersR 2006 1313, 1315; vgl. auch BGH 8.7.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991 1129, 1130 f.; BGH 14.10.1987 – IVa ZR 29/86, VersR 1987 1182, 1183; BGH 14.7.1981 – VI ZR 304/ 79, VersR 1981 1158, 1159; OLG Hamm 2.11.1990 – 20 U 78/90, VersR 1991 652, 653. 19 Vgl. Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 8. 281

Koch

§ 105 VVG

Anerkenntnis des Versicherungsnehmers

Die Neuregelung des § 105 ist zu begrüßen. Hierdurch wird ein Wertungswiderspruch beseitigt, der darin bestand, dass einerseits der VR auch vor der Reform des VVG nach § 149 a. F. grundsätzlich verpflichtet war, berechtigte Haftpflichtansprüche zu befriedigen, andererseits der VN berechtigte Ansprüche aber nur befriedigen durfte, wenn die Verweigerung sofortiger Zahlung und Verweisung auf die Schadensregulierung durch den VR für jeden „anständigen“ Menschen auf den ersten Blick einen Verstoß gegen die guten Sitten bedeutete.20 Zudem bedarf es nicht mehr der Abgrenzung zwischen rechtsgeschäftlichem Anerkenntnis und (wahrheitsgemäßen) Äußerungen des VN zum Tatgeschehen.21 Schließlich soll der VN keine Nachteile dadurch erleiden, dass er haftpflichtversichert ist. Solche Nachteile drohen indes, wenn der VN daran gehindert wird, zu Recht bestehende Forderungen anzuerkennen und zu befriedigen und dadurch seine Haftpflichtschuld größer wird. Die in der Literatur geäußerte Befürchtung, der VN könne geneigt sein, „vorschnell oder in Rechtsunkenntnis“ ein Anerkenntnis abzugeben,22 dürfte unbegründet sein. Erstens wird ein VN kaum eine Neigung dazu verspüren, hinsichtlich der Befriedigung des Haftpflichtanspruchs in Vorleistung zu treten. Zweitens ist nicht ersichtlich, warum gerade der Wegfall des Anerkenntnisverbots den VN dazu bewegen sollte, den Haftpflichtanspruch vorschnell oder in Rechtsunkenntnis (der Haftungslage) anzuerkennen. Schließlich bleibt der VN an sein Anerkenntnis auch dann gebunden, wenn es ohne Rechtsgrund erfolgte.23 Soweit Lücke die Neuregelung sogar als eine „erhebliche Verschlechterung“ für den VN 11 angesehen wird, weil dieser nach früherer Rechtslage im Falle der Ablehnung des Versicherungsschutzes durch den VR nicht mehr obliegenheitsgebunden gewesen sei, nunmehr dagegen Deckungsklage erheben müsse,24 sei dahingestellt, ob diese Bewertung in der Allgemeinheit zutrifft. Zwar hat die Rechtsprechung, die unberechtigte Deckungsverweigerung als Verzicht auf die Einhaltung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots angesehen;25 sie hat dem VN die Inanspruchnahme des VR jedoch insoweit versagt als, wenn dieser bei Anerkenntnis oder Befriedigung leichtfertig handelte.26 Selbst wenn man sich Lückes Einschätzung anschlösse, wäre die „erhebliche Verschlechterung“ sachlich gerechtfertigt. Warum soll das vertragswidrige Verhalten des VR dem VN das Recht geben, sich seinerseits vertragswidrig zu verhalten, indem er einen nach materiellem Recht nicht bestehenden Haftpflichtanspruch anerkennt und/oder befriedigt? Der VN ist in einem solchen Fall nicht schutzwürdig, eine Bindungswirkung zulasten des VR ist deshalb ungerechtfertigt.

10

III. Anwendungsbereich 12 Gem. § 209 kommt § 105 in der Seeversicherung nicht zur Anwendung. In der Kfz-Haftpflichtversicherung ist § 7 S. 2 KfzPflVV – soweit er sich auf das Anerkenntnis und die Befriedigung des Haftpflichtanspruchs bezieht – nicht mehr anwendbar, weil das unberechtigte Anerkenntnis und/oder die unberechtigte Befriedigung des Anspruchs nach der Neukonzeption – wie oben

20 BGH 30.10.1984 – IX ZR 6/84, VersR 1985 83, 84; BGH 12.3.1969 – IV ZR 610/68, VersR 1969 405, 406. 21 Zur Erforderlichkeit der Abgrenzung s. Schirmer ZVersWiss Supplement Jahrestagung 2006 426, 432 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 21; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 154 Rn. 11. 22 Thalmair ZVersWiss Supplement Jahrestagung 2006 462; vgl. auch Lange RuS 2007 401, 402. 23 Prölss/Martin/Lücke § 105 Rn. 6. 24 Prölss/Martin/Lücke § 105 Rn. 3. 25 Vgl. OLG Celle 1.3.2001 – 13 U 103/00, VersR 2002 602; OLG Hamm 29.9.1993 – 20 U 96/93, VersR 1994 925; ÖOGH 27.4.1994 – 7 Ob 31/93, VersR 1994 1211; ÖOGH 7.6.1990 – 7 Ob 20/90, VersR 1991 570. 26 Vgl. BGH 15.12.1976 – IV ZR 26/76, VersR 1977 174, 175; OLG Frankfurt/M. 7.2.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 619 m. Anm. R. Koch VersR 2013 620, 623 (Nichtzulassungsbeschwerde durch BGH 5.12.2012 IV ZR 56/12 – unveröffentlicht – zurückgewiesen). Koch

282

B. Befriedigung des Dritten oder Anerkenntnis seines Anspruchs durch den VN

VVG § 105

bereits angemerkt – von vornherein keine Leistungspflicht des VR zu begründen vermag. Wenn aber von vornherein kein Versicherungsanspruch besteht, stellt sich die Frage der Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung nicht.

B. Befriedigung des Dritten oder Anerkenntnis seines Anspruchs durch den VN Zur Feststellung der Reichweite des Verbots bedarf es der Bestimmung der Begriffe „anerken- 13 nen“ und „befriedigen“. Hierzu kann auf die Auslegung von § 154 Abs. 2 a. F. zurückgegriffen werden.27

I. Begriff des Anerkenntnisses Maßgebend für den Begriff des Anerkenntnisses ist aus versicherungsrechtlicher Sicht, ob von 14 dem Dritten gegenüber dem VN unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass ihm aus dem Tatgeschehen gegen den VN ein Anspruch zusteht. Unter den Begriff des Anerkenntnisses fallen sowohl konstitutive (§ 781 BGB) als auch deklaratorische sowie prozessuale (§ 307 ZPO) Anerkenntniserklärungen.28 Während das konstitutive Schuldanerkenntnis einen eigenen, neben die bereits bestehende Haftpflichtschuld tretenden Schuldgrund begründet, beschränkt sich das deklaratorische Schuldanerkenntnis darauf, die bereits bestehende Schuld zu bestätigen. Darüber hinaus hat es einen Ausschluss aller Einwendungen zur Folge, die zum Zeitpunkt der Abgabe bestanden und die der Erklärende kannte oder mit denen er zumindest rechnen musste.29 Dadurch wird das Schuldverhältnis insgesamt oder zumindest in bestimmten Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit entzogen und (insoweit) endgültig festgelegt.30 Nicht unter den Begriff des Anerkenntnisses i. S. v. § 105 fällt ein „tatsächliches“ Aner- 15 kenntnis, das keinen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen des Schuldners verkörpert, sondern vom Schuldner zu dem Zweck abgegeben wird, dem Gläubiger seine Erfüllungsbereitschaft mitzuteilen und ihn dadurch etwa von sofortigen Maßnahmen abzuhalten oder ihm den Beweis zu erleichtern.31 Es handelt sich nach Ansicht des BGH um „als Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst“ zu wertende Bestätigungserklärungen, die im Prozess eine Umkehr der Beweislast bewirken und ein Indiz darstellen, das das Gericht bei seiner Beweiswürdigung verwerten kann.32 Erklärungen, die sich nur auf Tatsachen beziehen (z. B. schriftliche Erklärung des Fahrers an der Unfallstelle), stellen deshalb kein Anerkenntnis dar,33

27 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 105 Rn. 5 misst der Begriffsbestimmung keine praktisch relevante Bedeutung zu; krit. hierzu Langheid/Wandt/Littbarski § 105 Rn. 37. 28 RG 26.7.1935 – VII 17/35, JRPV 1935 262, 264; ÖOGH 11.4.1973 – 7 Ob 51/73, VersR 1974 405, 406, vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski VVG § 105 Rn. 38; Prölss/Martin/Lücke § 105 Rn. 12; Klimke RuS 2014 105 ff.; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 105 Rn. 2. 29 Palandt/Sprau § 781 Rn. 4. 30 BGH 10.1.1984 – VI ZR 64/82, VersR 1984 383, 384; BGH 14.7.1981 – VI ZR 304/79, VersR 1981 1158 ff.; OLG Nürnberg 9.8.2021 – 8 U 1012/21, BeckRS 2021 24810, jeweils m. w. N. 31 BGH 11.11.2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009 580, 581 m. w. N.; Langheid/Wandt/Littbarski § 105 Rn. 38; Langheid/ Rixecker/Langheid § 105 Rn. 10; vgl. auch LG Bonn 22.1.2013 – 10 O 179/12, RuS 2013 493, 494. 32 BGH 11.11.2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009 580, 581 m. w. N. 33 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 9. 283

Koch

§ 105 VVG

Anerkenntnis des Versicherungsnehmers

weil ihnen in der Regel der rechtsgeschäftliche Verpflichtungsgrund fehlt.34 Gleichwohl wäre eine Vereinbarung, der zufolge der VN nicht berechtigt ist, ohne Einwilligung des VR dem Dritten gegenüber Tatsachen zuzugestehen, unwirksam, und zwar nach § 134 BGB (Individualvereinbarung) und § 307 Abs. 1 S. 1 BGB (Formularvertrag).35 16 Die Tragweite eines vom VN abgegebenen Anerkenntnisses ist im Rahmen der Auslegung der im konkreten Einzelfall abgegebenen Willenserklärungen zu ermitteln.36 Eine generelle Vermutung dafür, dass die Parteien einen bestätigenden (deklaratorischen) Schuldanerkenntnisvertrag abschließen wollten, gibt es nicht. Die Annahme eines solchen Vertrages ist nur dann gerechtfertigt, wenn zuvor zwischen den Parteien Streit oder zumindest eine (subjektive) Ungewissheit über das Bestehen der Schuld oder über einzelne rechtlich erhebliche Punkte geherrscht hat.37 Als deklaratorisches Anerkenntnis ist deshalb auch ein Vergleich i. S. d. § 779 BGB zu bewerten, in dem sich der VN verpflichtet, eine dem Grunde und der Höhe nach bestrittene Forderung zu bezahlen.38 Macht der VR eine Regulierungszusage gegenüber dem Geschädigten, ist diese dahingehend zu verstehen, dass der VR seinem VN gegenüber deckungspflichtig sei und in dessen Namen den Haftpflichtanspruch anerkenne.39 Allerdings setzt auch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis einen wirksamen Anerkenntnisvertrag zwischen dem VN und den Geschädigten voraus. Daran fehlt es, wenn der Geschädigte sich mit der Zahlung nicht einverstanden erklärt.40 Die Erteilung eines Reparaturauftrags für eine beschädigte Sache und die Bezahlung der Rechnung stellt nach Ansicht des OLG Hamm ein Anerkenntnis dar.41 In der Insolvenz des VN ist zu beachten, dass das Anerkenntnis des Insolvenzverwalters 17 für die Eintragung der Haftpflichtforderung zur Tabelle nicht ausreicht, weil der Insolvenzverwalter nicht uneingeschränkt alleine über das Vermögen des Insolvenzschuldners verfügen kann. Vielmehr gilt nach § 178 Abs. 1 S. 1 InsO eine Forderung nur insoweit als festgestellt, als gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren nach § 177 InsO ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder als ein

34 Vgl. BGH 14.7.1981 – VI ZR 304/79, VersR 1981 1158, 1160; BGH 10.1.1984 – VI ZR 64/82, VersR 1984 383, 384; BGH 15.12.1976 – IV ZR 26/76, VersR 1977 174 f.; OLG Hamm 31.1.1975 – 20 U 240/74, VersR 1976 139, 141; OLG Düsseldorf 24.11.1964 – 4 U 113/64, VersR 1965 432, 433; vgl. auch OLG Düsseldorf 18.1.1990 – 8 U 79/88, VersR 1992 206; OLG München 24.3.1964 – 5 U 1607/63, VersR 1964 501; OLG Düsseldorf 23.2.1988 – 4 U 192/87, NJW-RR 1989 346, 347; LG Bonn 22.1.2013 – 10 O 179/12, RuS 2013 493, 494. 35 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 105 Rn. 6. 36 Vgl. BGH 24.3.1976 – IV ZR 222/74, BGHZ 66 250, 255 = VersR 1977 471, 472. 37 BGH 10.1.1984 – VI ZR 64/82, VersR 1984 383, 384 = NJW 1984 799 m. w. N.; Langheid/Wandt/Littbarski § 105 Rn. 38. 38 Vgl. BGH 19.9.1963 – III ZR 121/62, NJW 1963 2316, 2317; BAG 11.9.1984 – 3 AZR 184/82, NJW 1985 2661 („vergleichsähnliche[r] Charakter eines schuldbestätigenden Vertrages [rechtfertigt] die Anwendung des § 779 BGB“); s. auch BGH 3.6.2008 – XI ZR 239/07, NJW 2008 3425; BGH 27.1.1988 – IVb ZR 82/86, NJW-RR 1986 963; BGH 10.1.1984 – VI ZR 64/82, VersR 1984 383, 384, BGH 24.3.1976 – IV ZR 222/74, BGHZ 66 250, 255 = VersR 1977 471, 472; OLG Frankfurt/M. 1.6.2017 – 2–24 O 98/16, BeckRS 2018 10738, wo die Ähnlichkeit zwischen dem deklaratorischen Anerkenntnis und dem Vergleich hervorgehoben wird; vgl. auch RG 26.7.1935 – VII 17/35, JRPV 1935 262, 264 zu § 154 Abs. 2 a. F. „Das Verbot… für den VN, den Haftpflichtanspruch ohne vorherige Zustimmung der Versicherungsgesellschaft ganz oder zum Teil oder vergleichsweise anzuerkennen, …“; Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 25; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 36; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 17 (jeder Vergleich enthält zumindest teilweise auch ein Anerkenntnis); für eine analoge Anwendung von § 105 auf den Vergleich BeckOK VVG/Ruks § 105 Rn. 6. 39 BGH 19.11.2008 – IV ZR 293/05, VersR 2009 106, 107; vgl. auch OLG Hamm 9.4.2013 – 24 U 112/12, BeckRS 2013 10194 und KG 11.2.2010 – 12 U 92/09 (zitiert nach juris). 40 OLG Hamm 9.4.2013 – 24 U 112/12, BeckRS 2013 10194. 41 OLG Hamm 13.4.2005 – 20 U 231/04, VersR 2006 829. Koch

284

B. Befriedigung des Dritten oder Anerkenntnis seines Anspruchs durch den VN

VVG § 105

erhobener Widerspruch beseitigt ist.42 Kein Anerkenntnis liegt vor, wenn der VN eine Erledigungserklärung im Haftpflichtprozess abgibt, weil einer solchen Erklärung keine materiellrechtliche Wirkung zukommt.43

II. Befriedigung Unter den Begriff der Befriedigung fällt jede Leistung, die den Haftpflichtanspruch des Dritten 18 ganz oder teilweise erfüllt (§ 362 BGB).44 Hauptfall ist die Zahlung an den geschädigten Dritten. Nach ganz h. M. erfasst § 362 BGB auch die Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung.45 Wird aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil vollstreckt, tritt nach der Rechtsprechung des BGH keine Erfüllung i. S. d. § 362 BGB ein.46 Dasselbe gilt für Leistungen, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel erbracht werden.47 Die Leistung erfolgt in beiden Fällen unter dem Vorbehalt des Rechtskrafteintritts,48 sofern der Schuldner nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt.49 Fraglich ist, ob die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den geschädigten Dritten 19 erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) unter den Begriff der Befriedigung fällt. Dagegen spricht, dass § 108 Abs. 2 eine Sonderregelung bezüglich der Abtretung des Freistellungsanspruchs enthält. Würde man die Abtretung erfüllungshalber als nach § 105 zulässige Befriedigung qualifizieren, hätte dies zur Folge, dass nicht nur formularvertraglich, sondern auch individualvertraglich vereinbarte Abtretungsverbote unwirksam wären. Dagegen spricht zudem, dass die ursprüngliche Schuld durch die zahlungshalber erbrachte Leistung erst erfüllt ist, wenn der Gläubiger aus dieser Leistung Befriedigung erlangt.50 Tritt der VN den Anspruch auf Freistellung an den Dritten an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 1 BGB) ab, liegt eine Befriedigung des Haftpflichtanspruchs vor (§ 106 Rn. 46). Den Tatbestand der Befriedigung erfüllt die Aufrechnung durch den VN,51 nicht dagegen 20 die Hilfsaufrechnung. Soweit der VN sein Einverständnis mit einer Aufrechnung des Geschädigten erteilt, die von diesem gegenüber einer unstreitigen Forderung des VN erklärt wird, liegt ebenfalls eine Befriedigung vor.52 Als Befriedigung ist auch die Inauftraggabe der Reparatur der beschädigten Sache des Dritten auf eigene Rechnung des VN zu sehen.53 42 LG München I 10.3.2016 – 27 O 9065/15, BeckRS 2016 126165; vgl. auch BGH 17.3.2004 – IV ZR 268/03, NZV 2004 353, 354; KG Berlin 18.3.2005 – 6 U 244/04, RuS 2005 502, 503; OLG Köln 20.12.2005 – 9 U 99/05, VersR 2006 1207 f.; OLG Köln 28.10.2005 – 9 U 146/04, RuS 2006 238; OLG Celle 1.3.2001 – 13 U 103/00, VersR 2002 602 f.; OGH 23.1.2013 – 7Ob189/12p, ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00189.12P.0123.000. 43 OLG Saarbrücken 21.1.2004 – 5 U 404/03-40, VersR 2004 901, 904 unter Hinweis auf BGH 21.1.1999 – I ZR 135/ 96, NJW 1999 1337 f.; BGH 28.5.1991 – IX ZR 181/90, NJW 1991 2280, 2281. 44 Langheid/Wandt/Littbarski VVG § 105 Rn. 50; Prölss/Martin/Lücke § 105 Rn. 18; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 105 Rn. 3. 45 BeckOGK/Looschelders § 362 Rn. 130; Staudinger/Olzen (2016), § 362 Rn. 9; MüKo-BGB/Fetzer § 362 Rn. 40; Palandt/Grüneberg § 362 Rn 15; Jauernig/Stürner § 362 Rn. 4; BeckOK BGB/Dennhardt § 362 Rn. 10; Soergel/Schreiber § 362 Rn. 12. 46 BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, NJW 2015 699 Rn. 19; BGH 14.3.2014 – V ZR 115/13, NJW 2014 2199 Rn. 8; BGH 19.1.1983 – VIII ZR 315/81, BGHZ 86 267, 269. 47 BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, NJW 2015 699 Rn. 19; BGH 8. 5. 1985 –  IV a ZR 138/83, BGHZ 94 268, 274; BGH 9.2.2011 – VIII ZR 155/10, NJW 2011, 1135 Rn. 11; BGH 15.3.2012 – IX ZR 35/11, NJW 2012 1717 Rn. 7; BGH 14. 3. 2014 –  V ZR 115/13, NJW 2014 2199 Rn. 8. 48 BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, NJW 2015 699 Rn. 19; BGH 14.3.2014 – V ZR 115/13, NJW 2014 2199 Rn. 8. 49 BGH 19.11.2014 – VIII ZR 191/13, NJW 2015 699 Rn. 19; BGH 14.3.2014 – V ZR 115/13, NJW 2014 2199 Rn. 8. 50 BGH 30.10.1985 – VIII ZR 251/84, NJW 1986 424, 425. 51 Langheid/Wandt/Littbarski VVG § 105 Rn. 51; Langheid/Rixecker/Langheid § 105 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 105 Rn. 3. 52 OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284. 53 OLG Hamm 13.4.2005 – 20 U 231/04, VersR 2006 829. 285

Koch

§ 105 VVG

Anerkenntnis des Versicherungsnehmers

III. Einwilligung des VR 21 Aus § 105 folgt, dass dem VN die Befriedigung oder das Anerkenntnis des Anspruchs des Dritten auch ohne die Einwilligung des VR gestattet ist.54 Die Einwilligung des VR (vgl. § 183 BGB) ist nur insoweit von Bedeutung, als hierdurch eine Bindungswirkung mit den sich aus § 106 ergebenden Rechtsfolgen erzeugt wird. Der VR kann nicht mehr geltend machen, dass der Haftpflichtanspruch nicht oder nicht in Höhe des anerkannten oder befriedigten Teils bestanden hat (§ 106 Rn. 29, 37). Zudem wird der Anspruch auf Freistellung und/oder Zahlung unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 sofort fällig (§ 106 Rn. 43). Darüber hinaus kann die Einwilligung als deklaratorisches Anerkenntnis zu qualifizieren sein mit der Folge, dass der VR sich nicht mehr auf Risikoausschlüsse (vgl. § 103 Rn. 86) oder Obliegenheitsverletzungen des VN berufen kann. Vorstehendes gilt entsprechend, wenn der VR nachträglich zustimmt (vgl. § 184 Abs. 1 BGB).

IV. Person des Dritten 22 Vgl. die Kommentierung zu § 100 Rn. 148 ff.

C. Abdingbarkeit 23 Die Vorschrift ist unabdingbar, obwohl sie in § 112 nicht genannt ist. Die Unabdingbarkeit ist der Vorschrift selbst zu entnehmen.55 Eines Rückgriffs auf § 134 BGB bedarf es nicht.56 Bei Großrisiken greift § 105 zwar nicht ein57 – eine teleologische Reduktion von § 210 Abs. 1 ist nicht geboten, da § 105 nicht dem Schutz des Dritten dient (Rn. 9) –, jedoch scheitert die formularmäßige Abbedingung an § 307 Abs. 2 Nr. 1.58 Selbst wenn man § 105 keine Leitbildfunktion zuweisen wollte, würde eine Abbedingung jedenfalls an § 307 Abs. 1 S. 1 BGB scheitern. Da der VR durch ein (ggf. vergleichsweises) Anerkenntnis oder eine Befriedigung nur insoweit verpflichtet wird, als der Haftpflichtanspruch tatsächlich besteht, hat er kein berechtigtes Interesse an einem Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot.59 In der (Formular-)Vertragspraxis wird dem Verbot des § 105 durch die Formulierung Rechnung getragen, dass Anerkenntnisse und Vergleiche, die vom VN ohne Zustimmung des VR abgegeben oder geschlossen worden sind, den VR nur binden, soweit der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016, A1-4.1 S. 3 AVB PHV/AVB BHV, A-6.1 S. 3 AVB D&O). 24 Zu beachten ist, dass die Freiheit des VN, den Haftpflichtanspruch (vergleichsweise) anzuerkennen oder zu befriedigen, nicht durch versicherungsvertragliche Sanktionen eingeschränkt werden darf. Der VR kann sich deshalb nicht auf den Ausschluss gem. Ziff. 7.3 AHB 2016 berufen, wenn die Verjährungsfrist gem. § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB infolge des Anerkenntnisses neu beginnt.60 Ebenso wenig kann er die Einrede der (teilweisen) Leistungsfreiheit wegen Verletzung der in Ziff. 25.2 S. 1 AHB 2016 (B.3-3.2.1 S. 1 AVB PHV/AVB BHV) statuierten Obliegenheit zur 54 55 56 57

Langheid/Wandt/Littbarski § 105 Rn. 54; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 105 Rn. 4 f. S. a. Begr. BTDrucks. 16/3945 S. 87. A. A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 105 Rn. 4 f.; Langheid/Wandt/Littbarski § 105 Rn. 29. Prölss/Martin/Lücke § 105 Rn. 3; BeckOK VVG/Ruks § 105 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 105 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 105 Rn. 8. 58 Vgl. auch Grunwald VersR 2020 1423, 1427 f.; Langheid/Wandt/Littbarski § 105 Rn. 31. 59 So auch BeckOK VVG/Ruks § 105 Rn. 3; offenlassend Rüffer/Halbach/Schimikowski § 105 Rn. 8. 60 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 AHB Ziff. 7 Rn. 79 f.; ders. FS Winter 345, 356 f., a. A. Thomas AG 2016 473, 481; ders. FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. 501. Koch

286

D. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 105

Schadensabwehr und -minderung geltend machen.61 Ein Anerkenntnis führt deshalb im Ergebnis nur dann gem. Ziff. 26.2 AHB 2016 (B3-3.3.1 AVB PHV/AVB BHV) zur (teilweisen) Leistungsfreiheit, wenn VN und Geschädigter zum Nachteil des VR kollusiv zusammenwirken, um unbegründete Haftpflichtansprüche zu verfolgen. Darin liegt sowohl ein Verstoß gegen das Gebot der Schadensminderung gem. Ziff. 25.2 S. 1 AHB 2016 (B.3-3.2.1 S. 1 AVB PHV/AVB BHV) als auch eine Verletzung der Obliegenheit nach Ziff. 25.2 S. 3 AHB 2016 (B.3-3.2.2 lit. b) AVB PHV/AVB BHV) zur Erstattung wahrer Schadensberichte.62 Zulässig ist eine Vereinbarung, dass bei arglistigem Anerkenntnis und Vergleich oder arglistiger Befriedigung des Haftpflichtanspruchs kein Anspruch auf Freistellung besteht.63

D. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich Gem. § 154 Abs. 2 S. 1 VersVG ist eine vertragliche Vereinbarung unwirksam, der zufolge der 25 VR leistungsfrei ist, wenn der VN den Geschädigten ohne Einwilligung des VR befriedigt. Bezüglich des Anerkenntnisses ist die Vereinbarung der Leistungsfreiheit für den Fall, dass der VN den Anspruch des Dritten anerkennt, nach § 154 Abs. 2 S. 2 VersVG – wie in § 154 Abs. 2 a. F. nur dann wirksam, wenn nach den Umständen der VN die Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern konnte. Nach der Rechtsprechung des OGH betrifft das Anerkenntnisverbot nur das konstitutive, nicht aber das deklarative Anerkenntnis.64 Jedoch ist zu beachten, dass das österreichische konstitutive Anerkenntnis dem deutschen kausalen Anerkenntnis und das österreichische deklarative Anerkenntnis dem tatsächlichen Anerkenntnis entspricht, das keinen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen des Schuldners verkörpert (Rn. 15).65 Im Ergebnis besteht somit kein Unterschied zur Rechtslage in Deutschland. Das Anerkenntnis einer im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderung durch den Insolvenzverwalter fällt ebenfalls in den Anwendungsbereich des § 154 Abs. 2 S. 2 VersVG.66 Versagt der VR zu Unrecht den Versicherungsschutz, begeht der VN keine Obliegenheitsver- 26 letzung, wenn er die Haftpflichtforderung anerkennt, ein Versäumungsurteil gegen sich ergehen lässt oder über sie einen Vergleich abschließt. In einem solchen Fall haftet der VN dem VR gegenüber nur für grobe Fahrlässigkeit der von ihm vorgenommenen Schadensregulierung,67 was auch für die damit verbundenen Kosten gilt.68 Der VR wird nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schadenregulierung zu Lasten des VR leistungsfrei.69

61 R. Koch FS Winter 345, 357. 62 R. Koch FS Winter 345, 359. 63 Vgl. auch Prölss/Martin/Lücke29 § 105 Rn. 30: VR wird nach § 242 BGB leistungsfrei, wenn der VN durch das Anerkenntnis in so grober Weise gegen das Verbot verstößt, dass dadurch das vertragliche Vertrauensverhältnis erschüttert wird. 64 OGH 25.5.2016 – 7 Ob 75/16d, ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00075.16D.0525.000; OGH 2.9.2015 – 7Ob110/15z, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00110.15Z.0902.000. 65 OGH 2.9.2015 – 7Ob110/15z, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00110.15Z.0902.000. 66 OGH 18.2.2015 – 7Ob213/14w, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00213.14W.0218.000; OGH 7Ob189/12p, ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00189.12P.0123.000. 67 OGH 27.4.1994 – 7 Ob31/93, ECLI:AT:OGH0002:1994:0070OB00031.93.0427.000. 68 OGH 27.3.1996 – 7Ob3/96, ECLI:AT:OGH0002:1996:0070OB0003.96.0327.000. 69 OGH 11.9.2008 – 7Ob84/08s, ECLI:AT:OGH0002:2008:0070OB00084.08S. 0911.00; OGH 27.4.1994 – 7 Ob31/93, ECLI:AT:OGH0002:1994:0070OB00031.93.0427.000. 287

Koch

§ 105 VVG

Anerkenntnis des Versicherungsnehmers

II. PEICL 27 Die PEICL enthalten in Art. 14:104 Abs. 1 eine Regelung zur Anerkennung der Haftpflicht, die § 105 entspricht. Danach ist eine Bestimmung im Versicherungsvertrag unwirksam, welche den VR von seinen Pflichten befreit, falls je nach Lage des Falles der VN den Anspruch des Opfers anerkennt oder erfüllt. Aus dem Regelungszusammenhang von Art. 15:102 Abs. 2 S. 1 und S. 2 folgt zudem, dass der VN jedenfalls bei einer direkten Inanspruchnahme des VR berechtigt ist, den Geschädigten selbst zu befriedigen. So verpflichtet Art. 15:102 Abs. 2 S. 1 den VR, den VN einen gegen ihn erhobenen Direktanspruchs binnen 2 Wochen nach der Inanspruchnahme anzuzeigen. Verletzt der VR diese Pflicht, werden nach Art. 15:102 Abs. 2 S. 2 die Rechte des VN durch eine Zahlung an das Opfer oder eine Schuldanerkennung gegenüber dem Opfer nicht berührt. Nach der Intention der Verfasser der PEICL soll dem VN durch die Mitteilung des VR Gelegenheit dazu gegeben werden, den Geschädigten selbst zu befriedigen.70

70 Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), 2nd edition (2016) Art. 15:102 note C4. Koch

288

§ 106 Fälligkeit der Versicherungsleistung Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer innerhalb von zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Anspruch des Dritten mit bindender Wirkung für den Versicherer durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist, vom Anspruch des Dritten freizustellen. Ist der Dritte von dem Versicherungsnehmer mit bindender Wirkung für den Versicherer befriedigt worden, hat der Versicherer die Entschädigung innerhalb von zwei Wochen nach der Befriedigung des Dritten an den Versicherungsnehmer zu zahlen. Kosten, die nach § 101 zu ersetzen sind, hat der Versicherer innerhalb von zwei Wochen nach der Mitteilung der Berechnung zu zahlen.

Schrifttum Armbrüster Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; Baumann Die Überwindung des Trennungsprinzips durch das Verbot des Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung VersR 2010 984; Bomhard Fortbestehen der Deckungspflicht des Versicherers bei Anerkenntnissen des VN in der KFZ-Haftpflichtversicherung? VersR 1961 577; Chab Was darf im Deckungsprozess noch geprüft werden? AnwBl 2015 892; Fiedler Anmerkung zu OLG Düsseldorf, 8.11.2019 – 4 U 182/17, VersR 2020 976; Foerster Das Verhältnis von Strafurteilen zu nachfolgenden Zivilverfahren, JZ 2013 1143; ders. Die versicherungsrechtliche Bindungswirkung, ZVersWiss 2014 351; Gnauck Das Absonderungsrecht nach § 110 VVG (2016); Grau Nur ein im Haftpflichtprozess festgestellter Pflichtverstoß kann im Deckungsprozess Grundlage für einen Risikoausschluss sein, DStR 2019 1486; Grooterhorst/Looman Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs gegen den Versicherer im Rahmen der D&O-Versicherung, NZG 2015 215; Hösker Die Pflichten des Versicherers gegenüber dem VN nach Abtretung des Haftpflichtversicherungsanspruchs an den Geschädigten, VersR 2013 952; Kassing/Richters Der Deckungsanspruch in der Haftpflichtversicherung, VersR 2015 293; Kempa Das Anerkenntnis in der KFZ-Haftpflichtversicherung, VersR 1969 971; Klimke Auswirkungen des Wegfalls des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes in der Haftpflichtversicherung, RuS 2014 105; Knütel Haftpflichtversicherung und selbstständiges Beweisverfahren: Zur Fälligkeit und zum Inhalt des Rechtsschutzanspruchs, VersR 2003 300; R. Koch Anspruch auf die Versicherungsleistung in der D&O-Versicherung in der Doppelinsolvenz von Gesellschaft und (Alleingesellschafter-)Geschäftsführer, VersR 2020 1284; ders. Der Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung, RuS 2009 133; Künnell Die Rechtsnatur des Schuldanerkenntnisses und seine Wirkungen, VersR 1984 706; Lange Wesentlichkeitsausschluss, Bindungs- und Infektionswirkung im D&O-Deckungsprozess, FS Roderich Thümmel (2020) 463; ders. Vernachlässigte Aspekte des Wissentlichkeitsausschlusses in der D&O-Versicherung, VersR 2020 588; ders. Der Direktanspruch gegen den D&O-VR in der Insolvenz des Versicherten, RuS 2019 613; ders. Der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (am Beispiel der D&O-Versicherung), RuS 2011 185; Langheid Nach der Reform: Neue Entwicklungen in der Haftpflichtversicherung, VersR 2009 1043; Mitlehner Haftpflichtanspruch und Absonderungsrecht nach § 110 VVG, ZIP 2012 2003; Mokhtari Der Geschädigte in der Insolvenz des freiwillig Haftpflichtversicherten – Regelungslücken des § 110 VVG, VersR 2014 665; Peters Die Bindungswirkung des Haftpflichtversicherers an die Verurteilung des Versicherungsnehmers im Haftpflichtprozeß (1983); v. Rintelen Die Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des abgetretenen Freistellungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 133; Schlegelmilch Die Bindungswirkung in der Haftpflichtversicherung – Erwiderung auf den Beitrag von Langheid VersR 2009 1043 –, VersR 2009 1467; Schramm/Wolf Abtretung eines Freistellungsanspruchs nach dem neuen Versicherungsvertragsgesetz (VVG), RuS 2009 358; Schreier Zögerliches Regulierungsverhalten von Versicherern – Eine Bestandsaufnahme der Schadensregulierung nach geltendem Recht, VersR 2013 1232; Tehrani Das Wesen der Bindungswirkung im Haftpflichtversicherungsvertrag, VersR 2018 1166; Thole Das Absonderungsrecht aus § 110 VVG – sprachliche Verwirrungen und offene Fragen, NZI 2013 665; Voit Abschied vom Befriedigungsverbot in der Haftpflichtversicherung? VersR 1995 993. S. auch Schrifttumsnachweise bei § 108.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

289 https://doi.org/10.1515/9783110522662-008

II.

Inhalt und Normzweck

III.

Anwendungsbereich

2 6 Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

B.

Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 7 S. 1)

I.

Feststellung des Haftpflichtanspruchs durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Ver8 gleich 8 Rechtskräftiges Urteil 8 a) Begriff 9 b) Zwischenurteile 10 c) Vorläufig vollstreckbare Urteile 12 Anerkenntnis 14 Vergleich

1.

2. 3. II. 1. 2. 3.

15 Bindungswirkung für den VR 16 Begriff der Bindungswirkung 17 Rechtsgrund der Bindungswirkung Folgerungen für die Anwendung und den Um23 fang der Bindung 23 a) Rechtskräftiges Urteil 23 aa) Verfahrensherrschaft des VR 23 (1) Kontradiktorisches Urteil (2) Versäumnisurteil und Vollstre28 ckungsbescheid (3) Anerkenntnisurteil und Prozess29 vergleich (4) Eintragung der Haftpflichtforderung in die Insolvenzta30 belle (5) Urteil im Straf- und Adhäsions31 verfahren bb) Keine Verfahrensherrschaft des 32 VR (1) Eigenmächtige Verfahrensfüh32 rung durch den VN (2) Unberechtigte Deckungsableh34 nung durch VR 35 b) Prozessvergleich c) Außergerichtliche Regulierung durch Aner36 kenntnis oder Vergleich

d)

aa) Rechtslage vor der Reform des 36 VVG bb) Anerkenntnis oder Vergleich durch den VR/mit Zustimmung des 37 VR cc) Anerkenntnis oder Vergleich ohne Zu38 stimmung des VR 38 (1) Grundsatz (2) Unberechtigte Deckungsableh39 nung Feststellung der Haftpflichtforderung zur 41 Insolvenztabelle 42

III. 1. 2.

Frist zur Freistellung 42 Grundsatz 43 Ausnahmen

C.

Fälligkeit des Zahlungsanspruchs (§ 106 44 S. 2)

I.

Befriedigung des Haftpflichtanspruchs durch 45 den VN

II.

Bindungswirkung

III.

Zahlungsfrist

D.

Fälligkeit des Rechtsschutzkostenanspruchs 49 (§ 106 S. 3)

E.

Darlegungs- und Beweislast

F.

Abdingbarkeit

G.

Österreichisches Recht/Principles of Europe52 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

47 48

50

51

52 53

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 106 ist die Nachfolgeregelung zu 154 Abs. 1 a. F. § 106 S. 1 und 2 treten an die Stelle des § 154 Abs. 1 S. 1 a. F., der von der Schaffung des VVG 1908 bis zum Inkrafttreten des VVG 2008 unverändert geblieben war. Der ursprünglichen Fassung lag gedanklich die Vorstellung zugrunde, die auch in § 149 a. F. sprachlich ihren Ausdruck fand, dass der VN den Dritten befriedigt und der VR ihm hierfür Ersatz leistet.1 In der Praxis reguliert der VR den Schaden jedoch unmittelbar

1 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 1. Koch

290

A. Einführung

VVG § 106

gegenüber dem Dritten, was den Gesetzgeber dazu veranlasst hat, § 149 a. F. in § 100 neu zu fassen. Hieran anknüpfend sieht § 106 S. 1 nunmehr vor, dass grundsätzlich der VR und nicht der VN die Entschädigung an den Dritten zu zahlen hat. § 106 S. 2 regelt den Ausnahmefall, dass der VN den Dritten selbst befriedigt. Neu ist die Formulierung „mit bindender Wirkung“. Eine sachliche Änderung gegenüber § 154 Abs. 1 a. F. ist damit jedoch nicht verbunden.2 Nach Langheid entfällt die Bindungswirkung durch die Neufassung von § 106. Diese sei nur durch ein entsprechendes Deckungsanerkenntnis des VR oder durch ein Feststellungsurteil in einem Deckungsprozess gegen den VR zu erzielen.3 Dieser Ansicht ist nicht zu folgen, weil sich die Bindungswirkung nicht aus dem Gesetz, sondern aus der sich aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag ergebenden Verfahrensherrschaft des VR herleitet (Rn. 17 ff.).4 Soweit der VR also die Herrschaft über den Haftpflichtprozess hat, ist er auch an den Ausgang des Verfahrens gebunden.5 § 106 S. 3 stimmt inhaltlich mit § 154 Abs. 1 S. 2 a. F. überein. § 154 Abs. 2 a. F., der durch Gesetz vom 7.11.19396 geändert wurde, ist wegen des Wegfalles des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots nach § 105 gestrichen worden.

II. Inhalt und Normzweck § 106 S. 1 betrifft die Fälligkeit des Versicherungsanspruchs in der Erscheinungsform des in 2 § 100 geregelten Anspruchs auf Freistellung begründeter Ansprüche (Freistellung i. e. S.). Während der einheitliche Versicherungsanspruch auf Prüfung der Haftpflichtfrage, auf Abwehr unbegründeter sowie Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen (Freistellung i. w. S.) zu dem Zeitpunkt entsteht/fällig wird, in dem ein geschädigter Dritter Haftpflichtansprüche gegen den VN geltend macht (§ 100 Rn. 25 ff.), wird der nur auf Freistellung gerichtete Anspruch des VN erst innerhalb von zwei Wochen von dem Zeitpunkt an fällig, zu dem der Haftpflichtanspruch des Dritten mit bindender Wirkung für den VR durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist. § 106 S. 2 bestimmt die Fälligkeit des Zahlungsanspruches des VN für den Fall, dass er den Dritten mit verbindlicher Wirkung für den VR entschädigt. Auch hier gilt eine 2-Wochenfrist. § 106 S. 3 betrifft die Fälligkeit der Kosten der Anspruchsabwehr, deren Erstattung der VN nach § 101 vom VR verlangen kann. Diese Regelung ist auf den Ausnahmefall zugeschnitten, dass der VN hinsichtlich der Kosten für die Prüfung der Haftpflichtfrage sowie der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Anspruchsabwehr in Vorleistung getreten ist.7 Ebenso wie § 154 Abs. 1 a. F. ordnen § 106 S. 1 und 2 die Bindungswirkung des Haftpflichtan- 3 spruchs nicht an, sondern setzen diese vielmehr voraus. Die Rechtsprechung zur Bindungswirkung von Urteilen, Anerkenntnissen und Vergleichen sowie zur Befriedigung des Dritten bleibt insoweit anwendbar (Rn. 23 ff.).8 Die 2-Wochenfrist dient nach den Vorstellungen des Reformge-

2 Zu Recht Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 2; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 27; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Retter § 106 Rn. 12 ff.; Armbrüster RuS 2010 441, 446; Schlegelmilch VersR 2009 1467.

3 Römer/Langheid/Langheid § 106 Rn. 2 u. 4, § 100 Rn. 34 f.; Langheid VersR 2009 1043, 1045 f.; vgl. auch Thume VersR 2010 849, 851 f.

4 LG Bonn 22.1.2013 – 10 O 179/12, RuS 2013 493, 494; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 27; Foerster JZ 2013 1143, 1145 Fn. 29; ders. ZVersWiss 2014 351, 352, 358 f.; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 5 AHB Rn. 69; Armbrüster RuS 2010 441, 445. 5 Harsdorf-Gebhardt RuS 2012 261, 262. 6 RGBl. I S. 2223. 7 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 9. 8 Vgl. auch Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 58; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 24 ff.; Harsdorf-Gebhardt RuS 2012 261, 262; zur Bindungswirkung von Anerkenntnis und Vergleich unter Geltung des § 154 a. F. vgl. Prölss/Martin/ Voit/Knappmann27 § 154 Rn. 22; Römer/Langheid/Langheid2 § 154 Rn. 17 f. 291

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

setzgebers dazu, dem VR die Möglichkeit zu geben, „die Berechtigung des von Dritten geltend gemachten Anspruchs zu prüfen; dies ist vor allem auch wegen des Wegfalles des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots nach § 105 VVG-E notwendig“.9 Der historische Gesetzgeber hatte die 2-Wochenfrist auch im Hinblick auf die Bereitstellung der Zahlungsmittel als erforderlich angesehen.10 Dieser Beweggrund spielt heute jedoch keine Rolle mehr.11 4 Hat der VR den Haftpflichtprozess für den VN geführt, kann ebenfalls ein Bedürfnis zur Prüfung dahingehend bestehen, welche Folgen insbesondere die mit einer solchen Verfahrensbeendigung verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen für den Versicherungsschutz haben. Zu denken ist hierbei an die Fälle, in denen der VR dem VN Abwehrschutz nur unter Vorbehalt gewährt, z. B. weil der vom Dritten geltend gemachte Anspruch möglicherweise nicht in den Bereich des versicherten Risikos fällt oder der vom Dritten behauptete Sachverhalt einen Risikoausschluss erfüllt. Insoweit ist dem VR auch Zeit zur Prüfung einzuräumen, inwieweit Feststellungen des Gerichts im Haftungsprozess überhaupt Bindungswirkung für den Deckungsprozess zukommt, also eine sog. „Voraussetzungsidentität“ besteht (Rn. 23). Bei mehreren Geschädigten (§ 109) und/oder bei Rentenzahlungen (§ 107) kann im Hinblick auf eine mögliche Erschöpfung der Versicherungssumme ebenfalls Prüfungsbedarf bestehen. 5 Keiner Frist zur Prüfung der Haftpflichtfrage bedarf es dagegen für den Fall, dass der VR dem Anerkenntnis oder der Befriedigung des Haftpflichtanspruches durch den VN zugestimmt hat.12 Insoweit ist eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereiches geboten.13 Der auf eine Geldleistung gerichtete Anspruch aus § 106 S. 2 wird in diesem Fall sofort nach § 14 Abs. 1 fällig (Rn. 43). Hat der VN ohne Zustimmung des VR den Anspruch des Geschädigten anerkannt und/oder befriedigt, findet § 106 nur insoweit Anwendung, als im Versicherungsvertrag gleichwohl eine Bindungswirkung vorgesehen ist, was zumindest hinsichtlich des Anerkenntnisses und des Vergleichs regelmäßig der Fall ist (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016/A.1-4.1 S. 3 AVB PHV/AVB BHV, A-6.1. S. 3 AVB D&O).

III. Anwendungsbereich 6 § 106 ist Sonderregelung zu § 14 Abs. 1, der nur auf Geldleistungen Anwendung findet.14 Mit § 106 will der Gesetzgeber der Rechtsnatur des Versicherungsanspruchs und den Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung Rechnung tragen. Keine Anwendung findet § 106 in der obligatorischen Haftpflichtversicherung, soweit der Dritte einen Direktanspruch gegen den VR geltend macht (§ 115 Abs. 1 S. 1), und in der Seeversicherung (§ 209).

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1) 7 Voraussetzung für die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs gegen den VR ist, dass der Haftpflichtanspruch des Dritten mit bindender Wirkung durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist.

9 BTDrucks. 16/3945 S. 86; Hervorhebung durch den Verfasser. 10 Motive 209. 11 A. A. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 124. 12 Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 13; v. Rintelen RuS 2010 133, 137; zur Diskussion um die Einräumung einer 2-wöchigen Regulierungsfrist unter Geltung des § 154 Abs. 1 a. F. Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 4; Prölss/ Martin/Voit/Knappmann27 § 154 Rn. 3. 13 A. A. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 124; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 28. 14 Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 106 Rn. 1. Koch

292

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1)

VVG § 106

I. Feststellung des Haftpflichtanspruchs durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich 1. Rechtskräftiges Urteil a) Begriff. Im Zivilprozessrecht wird zwischen der formellen (äußeren) Rechtskraft (§ 705 ZPO) 8 und der materiellen (inneren) Rechtskraft (§ 322 ZPO) unterschieden. Letztere sichert den inhaltlichen Bestand einer formell endgültigen Entscheidung in der Weise, dass eine einmal getroffene Entscheidung über das konkrete Verfahren hinaus für die Verfahrensbeteiligten verbindlich ist. Materiell rechtskräftig werden Entscheidungen erst mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft.15 Formell rechtskräftig ist ein Urteil, wenn es nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel oder einem Einspruch angefochten werden kann (§ 705 ZPO).16 Im Hinblick darauf, dass materielle und formelle Rechtskraft zeitlich zusammenfallen, ist diese Unterscheidung für die Bestimmung der Fälligkeit des Freistellungsanspruchs ohne Bedeutung. Unter dem Begriff des „rechtskräftigen Urteils“ fallen alle auf Zahlung gerichtete Endurteile und somit auch Versäumnis- und Anerkenntnisurteile sowie im schiedsrichterlichen Verfahren erlassene Schiedssprüche, die nach § 1055 ZPO unter den Parteien die Wirkungen eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils haben.17 Einem rechtskräftigen Urteil i. S. v. § 106 S. 1 gleich steht die Eintragung der Haftpflichtforderung in die Insolvenztabelle (§§ 178 Abs. 3, 201 Abs. 2 InsO)(zur Bindungswirkung einer widerspruchslos eingetragenen Haftpflichtforderung s. Rn. 41)18 oder ein ein in Rechtskraft erwachsenes (klagestattgebendes) Urteil in einem nach § 183 InsO geführten Prüfungsprozess. Die in einem Adhäsionsverfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung über den Antrag, durch den der Verletzte den ihm aus einer Straftat des Beschuldigten erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch (§ 403 f. StPO) geltend macht, steht gem. § 406 Abs. 3 S. 1 StPO einem im bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen rechtskräftigen Urteil gleich (zur Bindungswirkung s. Rn. 31).19

b) Zwischenurteile. Umstritten ist, ob ein rechtskräftiges Zwischenurteil über den Grund 9 i. S. v. § 304 ZPO die Fälligkeit nach § 106 S. 1 auslösen kann. Das OLG Celle hat diese Frage in seiner Entscheidung vom 4.10.1963 ausdrücklich bejaht.20 Der Tatsache, dass in jenem Fall über die Höhe der Entschädigung noch nicht rechtskräftig entschieden war, maß das Gericht keine Bedeutung für die Frage der Fälligkeit nach § 154 a. F. bei.21 Knappmann und Lücke halten zwar grundsätzlich ein Grundurteil nicht für ausreichend, wollen aber eine Ausnahme für den Fall machen, dass die Höhe der Entschädigung unstreitig ist.22 Langheid23 – und ihm folgend Retter24 – wenden hiergegen ein, es könne sich im Hinblick darauf, dass es um Entschädigungsersatz ginge, „begrifflich nur um ein Zahlungsurteil handeln“. Dieser Ansicht ist im Grundsatz zuzustimmen. Da nunmehr ein Vergleich nicht mehr deckungsschädlich ist, sondern als Grundlage für die Entschädigungszahlung des VR in Betracht kommt, dürfte dieser Meinungsstreit in

15 MüKo-ZPO/Gottwald § 322 Rn. 24. 16 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 18; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 106 Rn. 7. 17 R. Koch SchiedsVZ 2007 281, 285; Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 7; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 19; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 106 Rn. 7. 18 OLG Köln 29.1.2008 – 9 U 71/07, BeckRS 2008 22056. 19 BGH 20.1.2015 – VI ZR 27/14, NJW 2015 1252 Rn. 6. 20 OLG Celle 4.10.1963 – 1 W 131/63, NJW 1964 598, 599. 21 OLG Celle 4.10.1963 – 1 W 131/63, NJW 1964 598, 599; so auch, ohne die versicherungsrechtliche Bindung zu problematisieren: BGH 30.10.1970 – IV ZR 1185/68, VersR 1970 1097 f.; BGH 21.3.1963 – II ZR 111/60, VersR 1963 516 (beide Urteile zur Bindungswirkung betreffen die Feststellung der Haftung dem Grunde nach). 22 Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 154 Rn. 2; Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 3. 23 Römer/Langheid/Langheid § 106 Rn. 6. 24 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 3; ebenso Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 15. 293

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

der Praxis jedoch nicht mehr von Bedeutung sein, wenn zwischen den Parteien kein Streit über die Höhe der Entschädigung besteht.

10 c) Vorläufig vollstreckbare Urteile. In der Literatur wird darüber hinaus die Ansicht vertreten, auch ein nur vorläufig vollstreckbares Urteil könne die Fälligkeit auslösen, wenn daraus der Dritte die Vollstreckung betreibe und eine Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung nicht möglich sei.25 Retter hat sich insoweit für eine analoge Anwendung von § 106 S. 1 ausgesprochen.26 Einer Analogie tritt Littbarski unter Hinweis auf den „eindeutigen Gesetzeswortlaut“ und wegen fehlender Regelungslücke entgegen. Die Problematik sei dem Gesetzgeber bekannt gewesen.27 In der Tat ist fraglich, ob die Voraussetzungen für eine Analogie vorliegen. Zunächst einmal ist der Hinweis geboten, dass der VR gem. § 101 Abs. 3 S. 1 zur Sicherheitsleistung verpflichtet ist, wenn dem VN nachgelassen ist, die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung durch Sicherheitsleistung nach §§ 711, 712 Abs. 1, 720a Abs. 3 ZPO abzuwenden. Die Frage der analogen Anwendung des § 106 S. 1 stellt sich somit nur in den Fällen, in denen der VN die Vollstreckung nicht durch Sicherheitsleistung abwenden kann, weil der Geschädigte Sicherheit leistet (§ 709 ZPO), es sich um ein Urteil handelt, das ohne Sicherheitsleistung des Geschädigten vollstreckbar ist (§ 708 Nr. 1 bis 3 ZPO) oder das Urteil unzweifelhaft nicht rechtsmittelfähig ist (§ 713 ZPO). Ohne Sicherheitsleistung sind vollstreckbar Anerkenntnis- und Versäumnisurteile. 11 Da ein Anerkenntnis des VR nach § 14 Abs. 1 (Rn. 43) und ein solches des VN nach § 106 S. 1 fälligkeitsbegründend sein kann, geht es vor allem um den Schutz des VN bei Versäumnisurteilen und in den Fällen, in denen der Geschädigte Sicherheit leistet. In Anbetracht der vertraglichen Risikoverteilung in der Haftpflichtversicherung kann kein Zweifel daran bestehen, dass der VR in all diesen Konstellationen Zahlung (unter Vorbehalt des Rechtskrafteintritts) an den Geschädigten leisten muss, wenn dieser die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil betreibt. Da der VR das Risiko von Fehleinschätzungen in Bezug auf die Un-/Begründetheit des Haftpflichtanspruchs trägt (§ 100 Rn. 112 f.), hat er den VN gem. § 100 von allen Nachteilen freizustellen, die diesem im Zusammenhang mit der erfolglosen Abwehr des Haftpflichtanspruchs entstehen. Rechtstechnisch lässt sich dieses Ergebnis durch eine analoge Anwendung von § 101 Abs. 3 erreichen (§ 101 Rn. 62). Dabei trägt der VR auch das Risiko, dass nach rechtskräftigem Obsiegen vom geschädigten Dritten wegen dessen Vermögenslosigkeit nichts zurückzuerlangen ist.

2. Anerkenntnis 12 Der Begriff des Anerkenntnisses i. S. v. § 106 S. 1 entspricht dem des § 105 und umfasst sowohl das konstitutive (§ 781 BGB) als auch das deklaratorische sowie das prozessuale Anerkenntnis i. S. v. § 307 ZPO (zu näheren Einzelheiten vgl. § 105 Rn. 14 ff.).28 Kein Anerkenntnis i. S. v. § 105 ist das tatsächliche Anerkenntnis. Gleichwohl kann es mittelbar Bindungswirkung entfalten. Dabei ist zwischen inner- und außerprozessualen Tatsachenzugeständnissen zu unterscheiden. In einem Prozess zugestandene Tatsachen entfalten die Wirkung des § 288 ZPO und sind damit – über das rechtskräftige Urteil – für den VR ebenfalls mittelbar bindend.29 Außer25 Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 4; Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 11; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 17; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 106 Rn. 9; offenlassend: BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, NJW-RR 2015 821 Rn. 8. 26 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 4. 27 Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 17. 28 Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 32 ff. 29 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 29; Langheid Liber Amicorum Winter 367, 373. Koch

294

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1)

VVG § 106

prozessualen Tatsachenzugeständnissen (mündliche oder schriftliche Erklärung, z. B. eine Quittung, oder ein Geständnis in einem anderen Rechtsstreit) kommt im Rahmen der Beweiswürdigung dagegen nur indizielle Bedeutung zu.30 Sie stellen lediglich eine Erkenntnisquelle (Hilfstatsache) für die Beweiswürdigung dar, soweit die zugestehende Partei diese nicht ausdrücklich oder schlüssig im Rechtsstreit wiederholt.31 In der Insolvenz des VN ist zu beachten, dass das Anerkenntnis des Insolvenzverwalters 13 für die Eintragung der Haftpflichtforderung zur Tabelle nicht ausreicht, weil der Insolvenzverwalter nicht uneingeschränkt alleine über das Vermögen des Insolvenzschuldners verfügen kann. Vielmehr gilt nach § 178 Abs. 1 S. 1 InsO eine Forderung nur insoweit als festgestellt, als gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren nach § 177 InsO ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder als ein erhobener Widerspruch beseitigt ist.

3. Vergleich Der Begriff des Vergleichs i. S. v. § 106 S. 1 bestimmt sich nach § 779 BGB. Der Vergleich ist da- 14 durch gekennzeichnet, dass die Beteiligten einen Streit oder eine Ungewissheit durch beiderseitiges Nachgeben ausräumen. Ein Nachgeben liegt vor, wenn die Parteien, um zur Einigung zu gelangen, Zugeständnisse machen. Es genügt, wenn das Nachgeben gering ist, z. B. die Fälligkeit der Forderung, die Zinsen oder Kosten betrifft. Überschneidungen mit einem Anerkenntnis sind möglich, weil nach der Rechtsprechung auch ein Anerkenntnis des Schuldners als Nachgeben zu werten sein kann (vgl. § 105 Rn. 16). Im Hinblick auf die Doppelnatur des Prozessvergleichs – als Prozesshandlung führt er zur Prozessbeendigung, als materiell-rechtlicher Vertrag zur Streitbeendigung32 – fällt auch dieser unter den Begriff des Vergleichs i. S. v. § 106 S. 1.33

II. Bindungswirkung für den VR Weitere Voraussetzung für die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs ist, dass der Haftpflichtan- 15 spruch „mit bindender Wirkung“ für den VR festgestellt worden ist.

1. Begriff der Bindungswirkung Die Bindungswirkung bezieht sich auf den Haftungstatbestand. Die Formulierung „mit binden- 16 der Wirkung“ ist dahingehend zu verstehen, dass der VR das rechtskräftige Haftpflichturteil, den zwischen dem VN und dem geschädigten Dritten abgeschlossenen Vergleich sowie ein vom VN abgegebenes Schuldanerkenntnis seiner Entscheidung über den Freistellungsanspruch zugrunde legen muss. Im Gegensatz zur Rechtskraftwirkung erfasst die versicherungsrechtliche Bindungswirkung auch die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen des Haftpflichturteils. Insoweit ist sie weiter als die Rechtskraftwirkung und entspricht im Wesentlichen der Interventionswirkung des § 68 ZPO (Rn. 23). Durch die Bindungswirkung wird verhindert, dass die für die Haftpflicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht relevanten Fragen nochmals 30 BGH 19.12.1984 – IVb ZR 86/82, FamRZ 1985 271, 272 f.; BGH 15.3.2004 – II ZR 136/02, NJW-RR 2004 1001. 31 BGH 19.5.2005 – III ZR 265/04, NJW-RR 2005 1297, 1298; MüKo-ZPO/Prütting § 288 Rn. 38; Musielak/Huber § 288 ZPO Rn. 2.

32 Vgl. BGH 14.5.1987 – III ZR 267/85, NJW 1988 65; BGH 3.12.1980 – VIII ZR 274/79, BGHZ 79 71, 74 = NJW 1981 823; BVerwG 10.3.2010 – 6 C 15/09, NJW 2010 3048.

33 Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 35; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 106 Rn. 4. 295

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

zwischen dem VR und dem VN infrage gestellt werden können.34 Im Deckungsprozess werden nur noch die für die Feststellung des Versicherungsschutzes maßgeblichen Fragen geprüft (Eingreifen von primären und sekundären Risikobegrenzungen wie z. B. Ausschlüsse oder Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung). Soweit die Antwort auf diese Fragen von tatsächlichen Feststellungen des Haftpflichturteils abhängt, bilden diese Feststellungen auch die Grundlage für die Entscheidung im Deckungsprozess (Rn. 23).35 Ist im Haftpflichtprozess eine für den Deckungsanspruch wesentliche Tatfrage offen geblieben, so ist sie im Deckungsprozess zu entscheiden.36 Dem VR bleibt es zudem unbenommen, sich im Deckungsprozess auf eine Kollusion zwischen VN und Drittem zu berufen, wobei ihn hierfür aber die Darlegungs- und Beweislast trifft.37

2. Rechtsgrund der Bindungswirkung 17 Der VR ist nicht Partei des Haftpflichtverhältnisses. Er ist deshalb grundsätzlich auch weder (Prozess-)Partei im Haftpflichtprozess zwischen dem geschädigten Dritten und dem VN noch (Vertrags-)Partei eines Vergleichs oder Schuldbeitretender eines (konstitutiven) Schuldanerkenntnisses, das der VN gegenüber dem Dritten abgegeben hat. Die Bindungswirkung im Verhältnis zwischen VR und VN bedarf deshalb eines besonderen Rechtsgrundes. Vor Inkrafttreten des VVG 1908 entnahm die Rechtsprechung des RG den Grund der Bindung dem Versicherungsvertrag.38 In späteren Entscheidungen wurde die Bindung als „unverrückbare Grundlage“,39 „Regel“40 und als „Grundsatz“41 der Haftpflichtversicherung bezeichnet. Der BGH setzte die Rechtsprechung des RG fort, ohne zunächst Grund und Zweck, Reichweite und Umfang der Bindungswirkung zu untersuchen.42 Dies holte er in seiner Entscheidung vom 19.2.195943 nach: „Das rechtskräftige Haftpflichturteil ist maßgebend, doch folgt dies nicht aus der nur inter partes wirkenden Rechtskraft, sondern aus der Natur des Haftpflichtversicherungsanspruchs. Dieser verpflichtet den VR, den VN von seiner rechtskräftig festgestellten Haftpflichtverbindlichkeiten zu befreien.“

Für die Natur des Haftpflichtversicherungsanspruches, aus der die Bindung folgen soll, verwies er auf §§ 149, 154 Abs. 1 und § 156 Abs. 2 a. F. In seinem Urteil vom 15.12.1976 stellt der BGH nur auf § 154 Abs. 1 und § 156 Abs. 2 a. F. ab.44 In der Literatur ist diese Herleitung insbesondere von Peters abgelehnt worden.45 In seiner 18 umfassenden Untersuchung zeigt er auf, dass die Bindungswirkung nur durch (ergänzende) Auslegung des Leistungsversprechens aus dem Versicherungsvertrag erreicht werden kön34 Vgl. BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 12; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 14; OLG Düsseldorf 30.11.2018 – I-4 U 5/18, VersR 2019 537, 538 f.; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 33; Langheid/ Wandt/Littbarski Vorbem. zu §§ 100 bis 112 Rn. 103; Lange VersR 2020 588, 590; Grau DStR 2019 1486, 1487; Tehrani VersR 2018 1166, 1168 ff. 35 Vgl. BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 11; BGH 8.12.2010 – V ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 13; Lange FS Thümmel 470. 36 Vgl. OLG Brandenburg 29.11.2019 – 7 U 129/18, RuS 2020 154, 156; OLG Rostock 12.2.2018 – 4 U 100/16, VersR 2018 608, 611; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 65; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 71. 37 Vgl. OLG Rostock 12.2.2018 – 4 U 100/16, VersR 2018 608, 611; OLG Celle 30.4.2009 – 8 U 11/09, VersR 2009 1257. 38 Vgl. RG 22.1.1880 – I 870/80, RGZ 3 21, 25 f. 39 RG 18.11.1913 VA 1914 Nr. 803. 40 RG 27.4.1926 – VI 3/26, RGZ 113 286, 290. 41 RG 22.7.1941 – VII 141/40, RGZ 167 243, 246. 42 Vgl. BGH 22.9.1958 – II ZR 87/57 BGHZ 28 137, 139. 43 BGH 19.2.1959 – II ZR 171/57, VersR 1959 256, 257. 44 BGH 15.12.1976 – IV ZR 26/76, VersR 1977 174, 175. 45 Peters 37 ff. Koch

296

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1)

VVG § 106

ne.46 Diese Ansicht ist seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 30.9.199247 ständige Rechtsprechung.48 Sowohl die Entscheidung vom 30.9.1992 als auch die daran anknüpfende Rechtsprechung betrifft zwar nur die Bindungswirkung von Haftpflichtfeststellungen, die in einem Haftungsprozess (durch rechtskräftiges Urteil) getroffen wurden. Soweit Haftpflichtversicherungsverträge keine über § 106 S. 1 und 2 hinausgehenden Regelungen zur Bindungswirkung von Anerkenntnissen und Vergleichen enthalten, sind auch in solchen Fällen Reichweite und Umfang der Bindungswirkung nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung zu bestimmen (Rn. 28). Es kommt somit darauf an, „was redliche und verständige Parteien in Kenntnis der Rege- 19 lungslücke nach dem Vertragszweck und bei sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten“.49 Dabei ist zunächst an den Vertrag selbst anzuknüpfen. Die darin enthaltenen Regelungen und Wertungen, sein Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung.50 Der Zweck der Haftpflichtversicherung besteht darin, dass der VR den VN von den gegen diesen erhobenen Haftpflichtansprüchen Dritter und deren Folgen auf welche Weise auch immer freihält (Vor §§ 100–112 Rn. 1 ff.). Dabei trifft den VR die Last, die Haftpflichtigkeit des VN zu prüfen. Will der VR den Anspruch bestreiten, so muss er alles tun, was zu dessen Abwehr notwendig ist. Er hat notfalls den Haftpflichtprozess gegen den Dritten zu führen, zwar im Namen des VN, aber in eigener Verantwortung, auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko. Stets hat er dabei die Interessen des VN so zu wahren, wie dies ein von diesem beauftragter Anwalt tun würde. Diese dem VR nach dem Versicherungsvertrag eingeräumte Regulierungsbefugnis und Abwehrzuständigkeit wird abgesichert durch Anzeige-, Aufklärungs-, Rettungs- und Weisungsbefolgungsobliegenheiten (Ziff. 25.1 bis 25.4 AHB 2016) sowie die Obliegenheit, dem VR die Führung des Verfahrens zu überlassen (Ziff. 25.5 AHB 2016). Vor der Reform des VVG diente auch das Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot der Sicherung der Verfahrensherrschaft des VR (vgl. § 105 Rn. 1). Aus seiner umfassenden Vertretungsmacht in Verbindung mit einem „Bündel von regulie- 20 rungsbezogenen Obliegenheiten“ ergibt sich – wie Peters zutreffend folgert – zum einen eine für den VR „akzeptable Richtigkeitsgewähr“ der Haftpflichtregulierung.51 Zum anderen ist die Rollenverteilung, die aus der Begrenzung der Regulierungsbefugnis des VN zugunsten des VR folgt, nur dann beiderseits interessengerecht, wenn die im „Verfahren“ getroffenen Feststellun-

46 Peters 50 f. 47 BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 281 = RuS 1992 406, 407: „Die Bindungswirkung und das Trennungsprinzip sind dem im Versicherungsvertrag dem VN gegebenen Leistungsversprechen des Haftpflichtversicherers im Wege der Auslegung zu entnehmen“. 48 Vgl. BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, VersR 2006 106, 107 = RuS 2006 149, 150; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001 1103, 1104 = NVersZ 2001 473, 474; OLG Karlsruhe 31.10.2018 – 9 U 77/17, VersR 2020 472, 474; OLG Rostock 12.2.2018 – 4 U 100/16, VersR 2018 608, 610; OLG Köln 9.1.2018 – 9 U 33/17, BeckRS 2018 43719; OLG Frankfurt/M. 27.3.2014 – 7 U 242/13, NJW-RR 2014 1376, 1377; OLG Saarbrücken 31.10.2007 – 5 U 510/06, BeckRS 2008 06461; KG 24.11.2006 – 6 U 122/06, VersR 2008 211, 212; LG Wiesbaden 19.3.2008 – 1 O 192/07, BeckRS 2010 24681; LG Dortmund 1.6.2006 – 2 O 268/05, NJW-RR 2007 26, 27; zustimmend Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 22; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 67; Langheid/Rixecker/Langheid § 100 Rn. 33; Langheid/Wandt/Littbarski Vorbem. zu §§ 100 bis 112 Rn. 104; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 59; Fiedler Anmerkung zu OLG Düsseldorf, 8.11.2019 – 4 U 182/17, VersR 2020 976, 978; Hagen NVersZ 2001 341, 343; vgl. auch Gottwald/ Adolphsen NZV 1995 129, 130 f.; Fetzer VersR 1999 793, 797; Reiff VersR 1990 117, 120. 49 BGH 24.1.2008 – III ZR 79/07, NJW-RR 2008 562, 563; vgl. auch BGH 13.4.2010 – XI ZR 197/09, NJW 2010 1742, 1743; BGH 11.5.2009 – VII ZR 11/08, NJW 2009 2443, 2446; BGH 4.3.2004 – III ZR 96/03, BGHZ 158 201, 207 = NJW 2004 1590, 1591 f.; BGH 29.4.1982 – III ZR 154/80, BGHZ 84 1, 7 = NJW 1982 2184, 2185; BGH 21.9.1994 – XII ZR 77/ 93, BGHZ 127 138, 142 = NJW 1994 3287; BGH 11.10.2005 – XI ZR 395/04, BGHZ 164 286, 292 = NJW 2006 54, 55; jeweils m. w. N. 50 Vgl. allgemein zur ergänzenden Vertragsauslegung BGH 11.5.2009 – VII ZR 11/08, NJW 2009 2443, 2446. 51 Peters 46 f.; Hagen DNotZ 2000 809, 816; ders. NVersZ 2001 341 f. 297

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

gen zur Haftpflicht für den VR auch im Deckungsverhältnis verbindlich sind.52 Soweit der VR auf die Entscheidungsfindung des Gerichts, die Abgabe eines Anerkenntnisses oder den Abschluss eines Vergleichs Einfluss nehmen kann, widerspräche es daher dem Zweck des Haftpflichtversicherungsvertrages, dem VR zu erlauben, eine Bindung in Abrede zu stellen und dem VN ein doppeltes Prozessrisiko aufzubürden (Fall des venire contra factum proprium, § 242 BGB).53 Fetzer formuliert an anderer Stelle trefflich, „[w]enn der Haftpflichtversicherer für den VN die Abwehrleistung zu erbringen hat und diesen weitgehend von seinen Weisungen abhängig macht, so hat er auch die Verantwortlichkeit für das Ergebnis seiner Leistung zu tragen. Aus der Abwehrzuständigkeit des Versicherers folgt seine Ergebnisverantwortlichkeit“.54 [Hervorhebung durch den Verfasser]

21 Tragender Grund für die Bindungswirkung und maßgeblich für die Bestimmung von Reichweite und Umfang der Bindungswirkung im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung ist somit die Möglichkeit des VR, die ihm eingeräumten Rechte bei dem gerichtlich und außergerichtlich geführten Haftpflichtstreit wahrzunehmen.55 Eine Bindungswirkung besteht deshalb nicht, wenn der VR mangels Kenntnis von dem Anspruch keine Möglichkeit hat, die Berechtigung des Anspruchs zu prüfen und den VN zu unterstützen.56 Soweit es um das Anerkenntnis des VN oder ein vom VN mit dem Geschädigten geschlossenen Vergleich geht, findet dies seinen Ausdruck in den standardmäßig verwendeten Bedingungswerken der Privat- und Betriebshaftpflichtversicherung sowie der D&O-Versicherung. Darin wird die Bindung eines ohne Zustimmung des VR abgegebenen Anerkenntnisses oder geschlossenen Vergleichs davon abhängig macht, dass der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016/A.1-4.1 S. 3 AVB PHV/AVB BHV, A-6.1. S. 3 AVB D&O), was im Zweifel durch einen Prozess des VN gegen den VR auf Freistellung festgestellt wird. 22 Ob der VR von der Möglichkeit Gebrauch macht, seine Rechte wahrzunehmen, ist dagegen ohne Bedeutung. Kommt er seiner Verpflichtung zur Gewährung von Abwehrschutz nicht nach und/oder entscheidet er sich gegen die Übernahme der Prozessführung, z. B. weil er sich nicht als zur Deckung verpflichtet ansieht, ist er grundsätzlich an die Feststellungen im Haftpflichtverhältnis gebunden, ohne dass es darauf ankommt, ob sie durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich getroffen worden sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der VN in zumindest leichtfertiger Weise seine eigenen wohlverstandenen Interessen missachtet, indem er z. B. einen Betrag anerkennt, der grob unbillig ist und den VR insoweit in

52 Peters 45; Hagen DNotZ 2000 809, 816; ders. NVersZ 2001 341 f.; vgl. auch Harsdorf-Gebhardt RuS 2012 261, 262.

53 Vgl. Peters 50 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 189; Reiff VersR 1990 117, 120. 54 Fetzer VersR 1999 792, 797 f. 55 Vgl. BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 16; BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164; BGH 19.3.2003 – IV ZR 233/01, NJW-RR 2003 1572, 1573 = VersR 2003 635, 636; BGH 11.10.1956 – II ZR 137/55, NJW 1956 1796 ff. = VersR 1956 707 f.; BGH 19.2.1959 – II ZR 171/57, VersR 1959 256, 257 f.; OLG Rostock 12.2.2018 – 4 U 100/16, VersR 2018 608, 611; OLG Frankfurt/M. 27.3.2014 – 7 U 242/13, NJW-RR 2014 1376, 1378; OLG Frankfurt/M. 23.4.2010 – 7 U 271/08, RuS 2010 325, 326; OLG Frankfurt/M. 22.10.2009 – 3 U 103/08, BeckRS 2010 224679; OLG Hamm 25.8.1989 – 20 U 98/89, NJW-RR 1990 163. 56 BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 16; vgl. auch Hagen DNotZ 2000 809, 821; a. A. Krämer RuS 2001 177, 180 mit Hinweis auf § 158e a. F. unter Missachtung der dogmatischen Herleitung der Bindungswirkung; nach OLG Frankfurt/M. 27.3.2014 – 7 U 242/13, NJW-RR 2014 1376, 1377 ist § 120 VVG eine „Ausprägung dieser Beschränkung der Bindungswirkung…, weil danach in einem kranken Versicherungsverhältnis der Versicherer, dem der Prozess nicht nach § 119 Abs. 2 VVG angezeigt wurde, nur so haftet, wie er bei rechtzeitiger Anzeige haften würde, also im Deckungsprozess die Unrichtigkeit eines ohne seine Mitwirkung zu Stande gekommenen Haftpflichturteils einwenden kann.“. Koch

298

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1)

VVG § 106

sachlich nicht gerechtfertigter Weise belastet.57 Leichtfertigkeit ist dabei mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen.58 Keine Bindungswirkung besteht bei arglistigem oder sittenwidrigem Verhalten des VN.59

3. Folgerungen für die Anwendung und den Umfang der Bindung a) Rechtskräftiges Urteil aa) Verfahrensherrschaft des VR (1) Kontradiktorisches Urteil. Hat der VR die Verfahrensherrschaft über den Haftpflichtpro- 23 zess innegehabt, ist der VR grundsätzlich an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Haftpflichtgerichts gebunden, die die Haftung des VN im Grunde und der Höhe nach begründen.60 Bindungswirkung in diesem Sinne entfalten auch Urteile, bei denen der VR die Abwehr des Anspruchs (ganz oder teilweise) in die Hand des VN gelegt hat (ohne dass er zugleich die Deckung unberechtigt verweigert hat). Dies gilt auch für Schiedsgerichtsverfahren, soweit dem VR die Mitwirkung am Schiedsgerichtsverfahren entsprechend der Mitwirkung des VR an Verfahren vor staatlichen Gerichten möglich ist.61 Da weder der VN noch der VR Einfluss darauf haben, ob „der Haftpflichtrichter ‚überschießende‘, nicht entscheidungserhebliche Feststellungen trifft oder nicht entscheidungserhebliche Rechtsausführungen macht“, besteht – ebenso wie bei der Nebenintervention –62 Bindungswirkung jedoch nur insoweit, als tatsächliche und/ oder rechtliche Feststellungen zur Haftung getroffen werden, die sich nach dem vom Haftpflichtgericht gewählten rechtlichen Begründungsansatz bei objektiv zutreffender rechtlicher Würdigung als entscheidungserheblich erweisen (Grundsatz der Voraussetzungsidentität).63 Daran fehlt es. wenn das Haftpflichtgericht eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens oder eine wissentliche Pflichtverletzung ausdrücklich verneint und vielmehr eine solche wegen (grob) fahrlässiger Schadensherbeiführung/Pflichtverletzung bejaht, für die Haftung die Schuldform jedoch unerheblich ist und somit bereits Fahrlässigkeit ausreicht64 oder das Haftpflichtge57 Vgl. OLG Nürnberg 9.8.2021 – 8 U 1012/21, BeckRS 2021 24810; OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, BeckRS 2021 21425; OLG Frankfurt/M. 7.12.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 619 (zu § 154 a. F.), mit Anm. R. Koch VersR 2013 620, 623; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 41; Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 6, 10. 58 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 66. 59 Vgl. OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19 BeckRS 2021 21425; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 41; Prölss/ Martin/Lücke § 106 Rn. 6, 10. 60 BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 13; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, RuS 2001 408, 409 = VersR 2001 1103, 1104. 61 Vgl. R. Koch SchiedsVZ 2007 281, 290; wohl Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 59; zögernd Späte/Schimikowski/ Harsdorf-Gebhardt § 5 Rn. 68. 62 Vgl. BGH 18.12.2014 – VII ZR 102/14, NJW 2015 559 Rn. 20 „Die Bindungswirkung einer in einem Rechtsstreit erfolgten Streitverkündung kommt nicht nur dem Entscheidungsausspruch, sondern auch den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen zu, auf denen das Urteil im Vorprozess beruht. Sie greift dagegen nicht für Feststellungen des Erstgerichts, auf denen sein Urteil nicht beruht (sog. überschießende Feststellungen). Dafür kommt es nicht auf eine subjektive Sichtweise des Gerichts, sondern darauf an, worauf die Entscheidung des Erstprozesses objektiv nach zutreffender Rechtsauffassung beruht. Jedoch muss der Empfänger einer Streitverkündung auch damit rechnen, dass sich das Erstgericht für einen Begründungsansatz entscheidet, den er nicht für richtig hält. Dieser Begründungsansatz gibt den Rahmen vor. Eine in diesem Rahmen objektiv notwendige Feststellung wird nicht deshalb überschießend, weil sie sich bei der Wahl eines anderen rechtlichen Ansatzes erübrigt hätte.“. 63 BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, VersR 2011 1003 Rn. 17 und ständig; vgl. BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 11; BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241=VersR 2007 641 Rn. 8; BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, VersR 2006 106; BGH 18.2.2004 – IV ZR 126/02, RuS 2004 232, 233 = VersR 2004 590, vgl. auch; OLG Brandenburg 29.11.2019 – 7 U 129/18, RuS 2020 154, 155; OLG Rostock 31.10.2019 – 9 U 77/17, VersR 2018 608, 610. 64 Vgl. BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 278 = RuS 1992 406; OLG Düsseldorf 28.3.2006 – 4 U 148/05, BeckRS 2009 11965; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 60. 299

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

richt offenlässt, ob Vorsatz vorliegt, weil bereits grobe Fahrlässigkeit genügt.65 Umgekehrt besteht mangels Voraussetzungsidentität allerdings auch keine Bindung zum Nachteil des VN, wenn das Haftpflichtgericht die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens bejaht, obgleich für die Haftung Fahrlässigkeit genügt.66 24 Voraussetzungsidentität zwischen Haftung und Deckung besteht hinsichtlich der Frage, ob dem VN überhaupt eine Pflichtverletzung zur Last zu legen ist, die einen Schadensersatzanspruch und damit einen Haftpflichtfall auslöst.67 Ist im Haftungsprozess festgestellt worden, dass der VN beim Fußballspiel durch ein Foulspiel seinem Gegenspieler Schien- und Wadenbein gebrochen hat, ist diese Feststellung im Deckungsprozess maßgeblich. Behauptet der beim einem Fahrradsturz Geschädigte im Haftpflichtprozess, dass er seine Fußverletzung nicht durch den fahrlässig vom VN verursachten Sturz erlitten hat, sondern durch ein „Herumspringen“ des VN auf dem Fahrrad im Anschluss an den Sturz, und stellt das Haftpflichtgericht fest, dass die Fußverletzung auf den Sturz beruhte, ist das über den Deckungsrechtstreit zu entscheidende Gericht an diese tatsächliche Feststellung ebenso gebunden wie an die Bemessung des Schmerzensgeldes (§ 287 ZPO), die an diese tatsächliche Feststellung anknüpft. 25 Da es im Deckungsprozess nicht mehr möglich, eine andere schadensverursachende Pflichtverletzung des VN zugrunde zu legen als dies im Haftpflichtprozess geschehen ist,68 ist es dem VR im Deckungsprozess verwehrt, sich auf solche Ausschlusstatbestände zu berufen, die bei einer anderen Pflichtverletzung des VN in Betracht kommen, auf welche jedoch die Entscheidung im Haftungsprozess nicht gestützt wurde.69 Bezogen auf das vorstehende Beispiel bedeutet dies, dass ein „Herumspringen“ auf dem Fahrrad nicht Gegenstand des Deckungsprozesses ist und der VR den Einwand eines vorsätzlichen Verhaltens des VN nicht auf einen solchen abweichenden Sachverhalt stützen kann.70 Voraussetzungsidentität besteht, wenn der Haftpflichtrichter bei der Bemessung des 26 Schmerzensgeldes z. B. im Hinblick auf Ausmaß und Schwere der Verletzungen Feststellungen zur Erstreckung des Vorsatzes auf die Schadensfolgen trifft.71 Lässt der Haftpflichtrichter bei der Bemessung des Schmerzensgeldes die Verschuldensform dagegen offen, ist der Vorsatzeinwand des VR im Deckungsprozess zu prüfen.72 Keine Bindung im Deckungsprozess entfalten die rechtliche Einordnung des Haftungstatbestands durch das Haftpflichtgericht, wenn es für die Haftung des VN nicht darauf ankommt, ob die Pflichtverletzung unter das versicherte Risiko fällt Ist im Haftpflichtprozess der Klage aufgrund einer nicht vom Versicherungsschutz erfassten Anspruchsgrundlage stattgegeben worden, kann daher auch im Deckungsprozess geprüft werden, ob daneben eine unter den Versicherungsschutz fallende Anspruchsnorm eingreift (vgl. § 100 Rn. 86).73 So liegt der Fall, wenn ein Notar einen ihm übergebenen Scheck nicht rechtzeitig weiterleitet. Es sind sowohl die Voraussetzungen des §§ 280, 241 Abs. 2 BGB erfüllt, wenn nicht 65 Vgl. OLG Brandenburg 29.11.2019 – 7 U 129/18, RuS 2020 154, 155. 66 Vgl. BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 278 = RuS 1992 406, 407; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 61; a. A. Peters 52 f.

67 OLG Karlsruhe 31.10.2019 – 9 U 77/17, NJW-RR 2020 542, 543. 68 BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 12; BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, RuS 2006 149, 150 = VersR 2006 106; BGH 19.3.2003 – IV ZR 233/01, NJW-RR 2003 1572, 1573 = VersR 2003 635; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/ 00, NVersZ 2001 473, 474 = VersR 2001 1103; vgl. Tehrani VersR 2018 1166, 1169. 69 Vgl. BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181 Rn. 12; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 12; BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, RuS 2006 149, 150 = VersR 2006 106; BGH 19.3.2003 – IV ZR 233/01, NJW-RR 2003 1572, 1573 = VersR 2003 635; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NVersZ 2001 473, 474 = VersR 2001 1103; OLG Hamm 19.8.2019 – I-8 W 6/19, RuS 2019 698, 699; OLG Köln 9.1.2018 – 9 U 33/17, BeckRS 2018 43719; vgl. Tehrani VersR 2018 1166, 1169; a. A. Lange FS Tümmel 472 f. 70 Vgl. OLG Karlsruhe 31.10.2019 – 9 U 77/17, NJW-RR 2020 542, 543. 71 Vgl. BGH 30.9.1992 –IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 278 = RUS 1992 406; OLG Brandenburg 29.11.2019 – 7 U 129/ 18, RuS 2020 154, 155. 72 Vgl. OLG Brandenburg 29.11.2019 – 7 U 129/18, RuS 2020 154, 155. 73 Vgl. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 5 Rn. 71. Koch

300

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1)

VVG § 106

von (versicherter) notarieller Tätigkeit auszugehen ist, als auch diejenigen des § 19 BNotO, wenn (versicherte) Tätigkeit anzunehmen ist, weil der Schädiger in beiden Fällen zur unverzüglichen Weiterleitung verpflichtet gewesen wäre. Verurteilt der Haftpflichtrichter den Notar wegen Verletzung des Treuhandvertrages und nicht wegen einer Amtspflichtverletzung bei Ausübung seiner notariellen Tätigkeit, ist der Richter im Deckungsrechtsstreit mit dem Berufshaftpflichtversicherer des Notars an diese rechtliche Einordnung nicht gebunden.74 Bindungswirkung entfalten auch tatsächliche und rechtliche Feststellungen zur Haftung des 27 VN, wenn es darum geht, ob der VN den Schaden in einer bestimmten, unter einen Ausschluss fallenden Eigenschaft oder Tätigkeit verursacht hat,75 oder wenn es um die Haftung des VN aus dem in Ausschluss bezeichneten Grund (z. B. Sachschäden infolge von Tierkrankheiten gem. Ziff. 7.18 AHB 2016, A1-7.11 AHB BHV/AHB PHV)76 oder zur Qualifikation von Rechtsbeziehungen (Besitzausschluss gem. Ziff. 7.6 AHB 2016, A1-7.5 AHB BHV/AVB PHV)77 geht. Wird der VN in seiner Eigenschaft als Tierhalter auf Schadensersatz in Anspruch genommen und im Haftpflichtprozess festgestellt, dass der VN tatsächlicher Tierhalter i. S. v. § 833 BGB ist, ist das Deckungsgericht an diese Feststellung gebunden.78 Verurteilt das Haftpflichtgericht den VN einer Privathaftpflichtversicherung wegen leicht fahrlässiger Beschädigung gefälligkeitshalber überlassener Sachen zum Schadensersatz, ist das Deckungsgericht an diese Feststellung und Einordnung des Überlassungsverhältnisses gebunden. Zwar kommt es für die Haftung des VN nicht darauf an, ob eines der in Ziff. 7.6 AHB genannten Besitzmittlungsverhältnisse oder ein Gefälligkeitsverhältnis vorliegt.79 Jedoch ist das Bestehen und die Eintrittspflichtigkeit des Haftpflicht-VR Voraussetzung für die Haftung für leichte Fahrlässigkeit im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses (Vor §§ 100–112 Rn. 82 ff.), so dass die Einordnung sowohl für die Haftung als auch im Hinblick auf die Deckung entscheidungserheblich ist. Daneben können tatsächliche und rechtliche Feststellungen entscheidungserheblich für das Eingreifen von Obliegenheitsverletzungen sein, wenngleich auch hier (teilweise) Leistungsfreiheit nur eintritt, wenn der VR sie unter Berufung auf ihren sachlichen Grund gegenüber dem VN geltend macht.80 Die versicherungsrechtliche Würdigung dieser Tatsachen bleibt dem Richter im Deckungsprozess vorbehalten.81

(2) Versäumnisurteil und Vollstreckungsbescheid. Ist der Haftpflichtprozess durch Ver- 28 säumnisurteil entschieden worden, tritt ebenfalls Bindungswirkung ein.82 Hinsichtlich des Umfangs der Bindungswirkung eines Versäumnisurteils greift die Rechtsprechung auf den Tenor des Versäumnisurteils in Verbindung mit dem Klagevorbringen zurück, das nach § 331 Abs. 1 S. 1 ZPO als zugestanden gilt.83 Grundsätzlich kann auch einem Vollstreckungsbescheid Bindungswirkung zukommen.84 74 75 76 77

Vgl. BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203 Rn. 13 ff. Vgl. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt § 5 Rn. 70 mit weiteren Beispielen. Vgl. BGH 30.10.1970 – IV ZR 1185/68, VersR 1970 1097 f. Vgl. OLG Frankfurt/M. 16.4.2008 – 15 U 154/07, RuS 2010 510, 511; BGH 15.10.2010 – IV ZR 113/08, RuS 2010 510, 512. 78 Vgl. BGH 30.10.1970 – IV ZR 1185/68, VersR 1970 1097 f. 79 Vgl. OLG Hamm 12.2.2020 – 20 U 292/19 RuS 2020 499, 500. 80 Vgl. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt § 5 Rn. 73. 81 Vgl. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt § 5 Rn. 73.; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 66; vgl. auch BGH 12.2.1969 – IV ZR 539/68. NJW 1969 928. 82 Vgl. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt § 5 Rn. 68. 83 BGH 31.1.2010 – IV ZR 188/07, BeckRS 2010 02736; BGH 19.3.2003 – IV ZR 233/01, NJW-RR 2003 1572 = VersR 2003 635, 636; OLG Rostock 31.10.2019 – 9 U 77/17, VersR 2018 608, 611; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, VersR 2010 940; OLG Düsseldorf 26.6.2007 – 4 U 64/06, BeckRS 2010 2790; KG 24.11.2006 – 6 U 122/06, VersR 2008 211, 212; OLG Hamm 18.5.1988 – 20 U 353/87, VersR 1988 1172; OLG Koblenz 7.10.1994 – 10 U 189/94, VersR 1995 1298 f.; OLG München 29.3.1999 – 30 U 761/98, RuS 2000 58, 60. 84 Vgl. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt § 5 Rn. 68. 301

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

29 (3) Anerkenntnisurteil und Prozessvergleich. Ist der Haftpflichtprozess durch Anerkenntnisurteil entschieden oder durch Vergleich beendet worden, tritt Bindungswirkung ein, soweit das Anerkenntnis mit Zustimmung des VR abgegeben oder der Vergleich mit Zustimmung des VR geschlossen worden ist. Das Anerkenntnis ist die gegenüber dem Prozessgericht vom Beklagten abgegebene einseitige Erklärung, dass der vom Kläger geltend gemachte prozessuale Anspruch ganz oder zum Teil bestehe.85 Der prozessuale Anspruch wird nach h. M. (sog. zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff)86 durch den vor Gericht gestellten Antrag und den diesem Antrag zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt. Insoweit ist auch beim Anerkenntnisurteil für die Bindungswirkung auf den Tenor und die Klagebehauptungen abzustellen.87 Beim Vergleich muss auf das Parteivorbringen im Haftpflichtprozess zurückgegriffen werden.88

30 (4) Eintragung der Haftpflichtforderung in die Insolvenztabelle. Der VR ist im Falle der Insolvenz seines VN an die Eintragung der Haftpflichtforderung in die Insolvenztabelle gebunden, wenn der VR es trotz Kenntnis von der Anmeldung der Haftpflichtforderung unterlässt, den Insolvenzverwalter anzuweisen, der Feststellung der Forderung zu widersprechen, oder eine rechtskräftige Entscheidung über die Feststellung der Forderung zur Tabelle gem. § 183 Abs. 1 InsO ergeht.89 Die Feststellung der Forderungen zur Insolvenztabelle wirkt nach § 178 Abs. 3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und den Insolvenzgläubigern.90 Für den Schuldner ergibt sich die Rechtskraftwirkung mittelbar aus § 201 Abs. 2 InsO. Nach dieser Vorschrift können Insolvenzgläubiger, deren Forderungen festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden sind, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben, wobei eine nicht bestrittene Forderung einer Forderung gleich steht, bei der ein erhobener Widerspruch beseitigt ist.91

31 (5) Urteil im Straf- und Adhäsionsverfahren. Im Hinblick auf die Herleitung der Bindungswirkung (Rn. 17 ff.) vermag ein strafrichterliches Urteil keine Bindungswirkung im Deckungsprozess zu erzeugen.92 Dies gilt entgegen der Ansicht des OLG Karlsruhe auch für Entscheidungen im Adhäsionsverfahren. Zwar hat die Entscheidung im Adhäsionsverfahren über Schadensersatzund Schmerzensgeldansprüche im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger die gleichen Rechtskraftwirkungen wie ein zivilrechtliches Urteil (§ 406 Abs. 3 S. 1 StPO).93 Jedoch berücksichtigt das OLG Karlsruhe nicht hinreichend, dass der tragender Grund für die Bindungswirkung und maßgeblich für die Bestimmung von Reichweite und Umfang der Bindungswirkung im 85 Vgl. BGH 8.10.1953 – III ZR 206/51, BGHZ 10 333, 335 = NJW 1953 1830; BGH 20.11.1980 – VII ZR 49/80, NJW 1981 686; MüKo-ZPO/Musielak § 307 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold Rn. 1. 86 Vgl. BGH 25.2.1985 – VIII ZR 116/84, BGHZ 94 29, 33; BGH 19.9.1985 – VII ZR 15/85, NJW 1986 1046 f.; BGH 11.12.1986 – IX ZR 165/85, WM 1987 367, 368. 87 Vgl. auch Peters 65. 88 OLG Düsseldorf 30.1.2001 – 4 U 138/00, VersR 2002 748, 749; so auch für das Versäumnisurteil Voit VersR 1988 901. 89 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 11; Mokhtari VersR 2014 665, 668; R. Koch VersR 2020 1284, 1286; Lange RuS 2019 613, 619 ff. (zur fehlenden Bindungswirkung einer Tabelleneintragung). 90 BGH 10.10.2013 − IX ZR 30/12, NZI 2014 73 Rn. 16. 91 BGH 20.2.2018 – II ZR 272/16, NZI 2018 442 Rn. 22; vgl. auch BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 15. 92 OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782 = RuS 2006 493, 494 f.; Späte/Schimikowski/HarsdorfGebhardt § 5 Rn. 68; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 63; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 20; vgl. auch OLG Zweibrücken 1.7.2010 − 4 U 7/10, NJW-RR 2011 496, 497 zur fehlenden Bindungswirkung der in einem Strafurteil getroffenen Feststellung von Tatsachen für das Zivilgericht. 93 BGH 20.1.2015 – VI ZR 27/14, RuS 2015 262 Rn. 6; BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163 Rn. 8. Koch

302

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1)

VVG § 106

Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung die Möglichkeit des VR ist, die ihm eingeräumten Rechte bei dem gerichtlich und außergerichtlich geführten Haftpflichtstreit wahrzunehmen. Der VR kann – anders als in einem gegen seinen VN vor dem Zivilgericht geführten Haftungsprozess – das Adhäsionsverfahren weder als Prozessvertreter des Beschuldigten führen, noch hat er die Möglichkeit, zur Wahrung seiner Interessen dem Verfahren als Nebenintervenient beizutreten.94 Berücksichtigt man zudem die unterschiedlichen Verfahrensmaximen in Zivil- und Ermittlungsverfahren (Beibringungsmaxime kontra Amtsermittlungsgrundsatz) und die Doppelstellung des Opfers als Anspruchsteller und Zeuge lässt sich in diesen Verfahren nicht mehr von einer Prozessherrschaft des VR sprechen. Damit fehlt – selbst bei Vorliegen der Voraussetzungsidentität – die Grundlage für die Bindungswirkung.

bb) Keine Verfahrensherrschaft des VR (1) Eigenmächtige Verfahrensführung durch den VN. Hat der VN den Haftpflichtprozess 32 geführt, ohne den VR darüber zu informieren, entfaltet das rechtskräftige Haftpflichturteil selbst bei Vorliegen von Voraussetzungsidentität keinerlei Bindungswirkung für den VR. Der VN ist deshalb ggf. gezwungen, den VR auf Freistellung in Anspruch zu nehmen und in einem Deckungsprozess darzulegen und zu beweisen, dass der vom Haftpflichtrichter festgestellte Anspruch tatsächlich besteht. Zeigt der VN den Versicherungsfall dem VR erst nach Klageerhebung an, ist der VR insoweit an das Haftpflichturteil gebunden, als er die Möglichkeit gehabt hätte, das Prozessgeschehen zu beeinflussen. Ebenso wie im Falle der Nebenintervention (vgl. § 68 ZPO) ist der VR im Verhältnis zum VN nur soweit an die tatsächlich und rechtlich erheblichen Feststellungen des Haftpflichturteils gebunden ist, wie er durch die Lage des Rechtsstreits zur Zeit der Übernahme der Verfahrensherrschaft oder durch Erklärungen und Handlungen des VN nicht daran gehindert war, Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, und der VN von Angriffs- oder Verteidigungsmitteln, die dem VR unbekannt waren, nicht absichtlich oder durch grobes Verschulden keinen Gebrauch gemacht hat. Von der Bindungswirkung zu unterscheiden ist die Frage, ob der VR durch die Verletzung 33 von Anzeige-, Aufklärungs- und Mitwirkungsobliegenheiten des VN im Rahmen der Anspruchsabwehr von seiner Verpflichtung zur Leistung (teilweise) frei wird.95

(2) Unberechtigte Deckungsablehnung durch VR. Hat der VR den Haftpflichtprozess nicht 34 geführt, weil er – zu Unrecht – der Ansicht war, er sei nicht zur Deckung verpflichtet, ist er dagegen bei Voraussetzungsidentität an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Haftpflichtgerichts gebunden. Der VR soll nämlich keinen Vorteil daraus ziehen, dass er seiner Rechtsschutzverpflichtung96 zu Unrecht nicht nachgekommen ist. Er muss sich so behandeln lassen, als habe er dem VN die Führung des Haftpflichtprozesses gestattet.97 Zu Recht hat der BGH darauf hingewiesen, dass es „für den VN nur schwer durchschaubar [sei], was die Abwehrverpflichtung im Einzelnen bedeutet“.98 Im Hinblick auf die schwierige Lage, in der sich der VN befindet, ist es deshalb gerechtfertigt, auch eine ungeschickte oder nachlässige Prozessführung des VN zulasten des VR unberücksichtigt zu lassen.99 Erst dann, wenn der VN in leichtfertiger Weise seine eigenen wohlverstandenen Interessen missachtet und er es zu einem auch aus seiner Sicht falschen Urteil kommen lässt oder sogar arglistig handelt, ist es

94 95 96 97 98 99 303

BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164, vgl. auch Schirmer DAR 1988 121, 127. Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 5; Peters 54. BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, VersR 2007 1116, 1117. BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 278 = RuS 1992 406, 408. BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, VersR 2007 1116, 1117 = RuS 2007 191. Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 6. Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

gerechtfertigt, eine Bindung abzulehnen (Rn. 22).100 Insoweit gilt die bisherige Rechtsprechung fort.101 Entgegen Retter102 steht dieses Ergebnis nicht im Widerspruch zur Aufhebung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots, weil es hier nicht um die (teilweise) Leistungsfreiheit geht, sondern um die Bindungswirkung des Haftpflichturteils.

35 b) Prozessvergleich. Ist der Haftpflichtprozess durch Vergleich beendet worden, tritt Bindungswirkung ein, soweit der Vergleich mit Zustimmung des VR geschlossen worden ist. Ein ohne Zustimmung des VR geschlossene Vergleich entfaltet bis zur Grenze der Leichtfertigkeit nur Bindungswirkung, wenn der VR seiner Verpflichtung zur Gewährung von Abwehrschutz nicht nachgekommen ist und/oder er sich gegen die Übernahme der Prozessführung entschieden hat. Wie beim Anerkenntnisurteil ist für die Bindungswirkung auf das Parteivorbringen im Haftpflichtprozess zurückzugreifen.103

c) Außergerichtliche Regulierung durch Anerkenntnis oder Vergleich 36 aa) Rechtslage vor der Reform des VVG. Unter Geltung von § 154 Abs. 1 a. F. spielte die Bindungswirkung wegen des formularvertraglichen Anerkenntnis- und Vergleichsverbots vornehmlich bei rechtskräftiger Verurteilung des VN im Haftpflichtprozess keine Rolle. Soweit ersichtlich befasste sich der BGH nur in zwei Fällen mit der Bindungswirkung von außergerichtlichen Anerkenntnissen des VN. In seiner Entscheidung vom 15.12.1976104 bejahte der BGH eine Bindungswirkung für den KVO-Haftpflicht-VR aus § 154 Abs. 1 a. F. Er entnahm dieser Norm, dass der VR nicht nur an eine rechtskräftige gerichtliche Feststellung der Haftpflicht im Haftpflichtprozess, sondern auch an eine Feststellung durch Anerkenntnis oder Vergleich grundsätzlich ohne Rücksicht darauf gebunden sei, ob er daran beteiligt war. Die Besonderheit in diesem Fall bestand darin, dass es an einem vertraglichen Anerkenntnisverbot fehlte. In seiner Entscheidung vom 14.7.1981 sprach sich der BGH trotz vertraglichen Anerkenntnisverbots unter Bezugnahme auf das Urteil vom 15.12.1976 für eine Bindung des VR aus, sofern der VN nicht in Betrugsabsicht gehandelt habe.105 Diese Rechtsprechung ist – abgesehen von den Fällen, in denen der VN das Anerkenntnis zum Zwecke des Versicherungsbetrugs abgegeben hat – mittlerweile infolge des oben dargelegten Rückgriffs auf die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung (Rn. 17 ff.) überholt.

37 bb) Anerkenntnis oder Vergleich durch den VR/mit Zustimmung des VR. Ebenso wie bei der Abgabe von Anerkenntnissen und der Schließung von Vergleichen im Rahmen des Abwehrprozesses hängt die Bindungswirkung bei der außergerichtlichen Regulierung der Haftpflicht durch den VN mittels Anerkenntnis oder Vergleich im Ausgangspunkt davon ab, ob der VR der Regulierung zugestimmt hat. Hat er zugestimmt, ist er gebunden.106 Insoweit ist der Fall nicht

100 OLG Frankfurt/M. 27.3.2014 – 7 U 242/13, NJW-RR 2014 1376, 1377. 101 BGH 15.12.1976 – IV ZR 26/76, VersR 1977 174, 175; OLG Frankfurt/M. 27.3.2014 – 7 U 242/13, NJW-RR 2014 1376, 1378; OLG Frankfurt/M. 7.02.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 619 (zu § 154 a. F.), mit Anmerkung R. Koch VersR 2013 620, 623; OLG Hamm 31.10.1975 – 20 U 92/75, VersR 1976 749, 751. 102 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 25. 103 OLG Düsseldorf 30.1.2001 – 4 U 138/00, VersR 2002 748, 749; so auch für das Versäumnisurteil Voit VersR 1988 901. 104 BGH 15.12.1976 – IV ZR 26/76, VersR 1977 174 ff. 105 BGH 14.7.1981 – VI ZR 304/79, VersR 1981 1158, 1159 = NJW 1982 996, 998. 106 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 20; Lange VersR 2006 1313, 1317. Koch

304

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1)

VVG § 106

anderes zu beurteilen, als ob der VR (im Rahmen seiner Regulierungsvollmacht)107 selbst den Haftpflichtanspruch des geschädigten Dritten anerkennt oder einen Vergleich mit dem Dritten schließt. Allerdings ist die Bindungswirkung noch weitgehender eingeschränkt als beim Anerkenntnisurteil oder Prozessvergleich, weil beim außergerichtlichen Anerkenntnis oder beim Vergleich in der Regel weder der Sachverhalt festgestellt, noch der Haftpflichtanspruch rechtlich qualifiziert wird. Als risikorelevante Feststellungen bleiben nur die Feststellung der Haftpflicht dem Grunde und der Höhe nach.108 Einem Anerkenntnis mit Zustimmung des VR steht es gleich, wenn der VR bei Aufrechnung mit einer bestrittenen Haftpflichtforderung auf den Prozess des VN gegen den Dritten verzichtet (§ 100 Rn. 120, 157).

cc) Anerkenntnis oder Vergleich ohne Zustimmung des VR (1) Grundsatz. Hat der VR die Regulierung abgelehnt, weil er den Haftpflichtanspruch dem 38 Grunde und/oder der Höhe nach für unbegründet und deshalb eine gerichtliche Klärung für geboten hielt, ist er an das Anerkenntnis des VN oder einen Vergleich nur insoweit gebunden, als der Anspruch des Geschädigten auch ohne das Anerkenntnis oder den Vergleich bestanden hätte (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016, A1-4.1 S. 3 AVB BHV/AVB PHV, A.6.1 S. 3 AVB D&O). Der VR soll den VN somit nur in dem Umfang freistellen müssen, in dem der Ersatzanspruch des Dritten nach materieller Rechtslage tatsächlich besteht.109 Gleiches gilt, wenn der VN den Haftpflichtanspruch vorschnell anerkennt, ohne die Entscheidung des VR abzuwarten. Bestreitet der VR die Feststellung der Haftpflicht im Anerkenntnis oder im Vergleich, wird der Haftpflichtanspruch im Deckungsprozess einer vollumfänglichen Überprüfung unterzogen110 und hat der VN zu beweisen, dass der Anspruch des Geschädigten auch ohne das Anerkenntnis oder den Vergleich bestünde. Gleiches gilt nach dem zuvor Gesagten für den Insolvenzverwalter, der in der Insolvenz des VN der Feststellung der Forderung zur Tabelle nicht widerspricht.111

(2) Unberechtigte Deckungsablehnung. Lehnt der VR die Regulierung dagegen ab, weil er 39 sich nicht als zur Deckung verpflichtet ansieht, handelt er auf eigenes Risiko. Eine Bindung des VR an das (konstitutive) Anerkenntnis oder den Vergleich ist zu bejahen, und zwar auch dann, wenn der Dritte mehr erhält, als ihm nach §§ 249 ff. BGB zusteht (soweit der VN nicht leichtfertig handelt, dazu sogleich).112 Insoweit gilt die Rechtslage vor der VVG-Reform fort, nach der ein Anerkenntnis des VN113 oder ein mit dem Geschädigten geschlossener Vergleich114 des VN oder einer versicherten Person115 nach einer unberechtigten Deckungsablehnung grundVgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 5 AHB Rn. 8 ff. Peters 31. BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 12; OLG Nürnberg 9.8.2021 – 8 U 1012/21, BeckRS 2021 24810. Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 21; Landheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 47 f.; Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 10; Armbrüster RuS 2010 441, 447; Franz VersR 2008 298, 308; Lange RuS 2007 401, 402; ders. VersR 2006 1313, 1315; Schirmer ZVersWiss Supplement 2006 427, 434; Thalmair ZVersWiss Supplement 2006 459, 461; Langheid Liber Amicorum Winter 367, 377, der jedoch auch eine bloß eingeschränkte Bindungswirkung in Betracht zieht; R. Koch Liber Amicorum Winter 345, 348, 352. 111 BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 13 und 15. 112 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 28; Lange VersR 2006 1313, 1317; anders aber ders. RuS 2007 401, 402. 113 BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 282 = VersR 1992 1504, 1505; BGH 21.5.1959 – II ZR 144/57, VersR 1959 499 f.; OLG Düsseldorf 30.1.2001 – 4 U 138/00, VersR 2002 748, 749; OLG Hamm 2.11.1990 – 20 U 78/90, VersR 1991 652, 653; OLG Hamm 25.11.1977 – 20 U 133/77, VersR 1978 858 f.; vgl. auch Nachw. auf ältere Rspr. Bruck/ Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 66. 114 OLG Düsseldorf 30.1.2001 – 4 U 138/00, VersR 2002 748, 749; OLG Hamm 29.9.1993 – 20 U 96/93, VersR 1994 925; LG Berlin 12.4.1994 – 7 O 565/93, VersR 1995 330, 331. 115 Hans. OLG Hamburg 3.3.1981 – 12 U 114/80, VersR 1982 458.

107 108 109 110

305

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

sätzlich zur Bindung des VR führt.116 Zu Recht weist Retter darauf hin, dass der vor der Reform des VVG beschrittene Weg, die Bindungswirkung damit zu begründen, dass der VR mit der unberechtigten Deckungsverweigerung konkludent erkläre, auf die Einhaltung von Obliegenheiten und damit eben auf die Einhaltung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots zu verzichten,117 nach Abschaffung des Anerkenntnisverbots nicht mehr gangbar sei.118 Der VR muss sich nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung jedoch so behandeln lassen, als habe er seine Zustimmung zur Abgabe des Anerkenntnisses oder zum Abschluss des Vergleichs erteilt. Lässt der VR dem VN „freie Hand“ oder zögert er eine eigene Entscheidung unangemessen hinaus, ist er so zu behandeln, als habe er seine Zustimmung zur Abgabe des Anerkenntnisses bzw. zum Abschluss des Vergleichs erteilt.119 Etwas anderes gilt wiederum nur dann, wenn der VN in zumindest leichtfertiger Weise seine eigenen wohlverstandenen Interessen missachtet, indem er einen Betrag anerkennt, der grob unbillig ist und den VR insoweit in sachlich nicht gerechtfertigter Weise belastet.120 Bei einem (Teil-)Anerkenntnis dem Grunde nach dürfte das in der Regel zu verneinen sein.121 Leichtfertigkeit liegt dagegen vor, wenn der VN einen um 100 % überhöhten Schmerzensgeldbetrag122 und/oder Kosten der anwaltlichen Vertretung des Geschädigten anerkennt, die über die RVG-Gebührensätze hinausgehen.123 Soweit es in der Gesetzesbegründung zu § 105 heißt: 40 „Der Versicherungsnehmer kann durch Anerkennen oder Befriedigen einen nicht bestehenden Anspruch des Dritten nicht zu Lasten des Versicherers begründen und darüber hinaus auch nicht den Versicherungsfall herbeiführen; anderenfalls hätte der Versicherungsnehmer die Befugnis, zu Gunsten des Dritten den Versicherer zu belasten. Sowohl das Anerkenntnis als auch die Befriedigung müssen ohne Einfluss auf den Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer bleiben; verspricht der Versicherungsnehmer dem Dritten mehr als diesem zusteht, geht der Mehrbetrag immer zu Lasten des Versicherungsnehmers. Der Versicherer hat ihn nur von dem Anspruch freizustellen, den der Geschädigte ohne das Anerkenntnis gehabt hätte … Er versagt ihm dann die Befreiung in dem Umfang, in dem der Versicherungsnehmer mit seinem Anerkenntnis über die wirkliche Anspruchslage hinausgegangen ist.“,

dürften sich diese Ausführungen nur auf den Fall des eigenmächtigen Anerkenntnisses des VN ohne vorherige Deckungsablehnung des VR beziehen.124 Zwar lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen, dass die Beschränkung der Bindungswirkung von Anerkenntnissen und Vergleichen ohne Mitwirkung oder Einflussmöglichkeit des VR „quasi als Ausgleich für den Wegfall des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots“ gedacht war.125 Daraus lässt sich indes nicht der Schluss ziehen, dass in redlicher Absicht abgegebene Anerkenntnisse oder in redlicher Absicht geschlossene Vergleiche nach unrechtmäßigen Deckungsablehnungen des VR ohne Bindungswirkung seien, selbst wenn dies zu einer Besserstellung des Dritten führt. Unab116 Vgl. BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, VersR 2007 1116 Rn. 15; BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276, 282 = VersR 1992 1504 (zur Rechtslage vor der Reform); LG Dortmund 1.8.2013 – 2 S 5/13, RuS 2013 548.

117 OLG Düsseldorf 30.1.2001 – 4 U 138/00, VersR 2002 748, 749. 118 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 28; vgl. auch Lange VersR 2006 1313, 1317. 119 OLG Köln 20.12.2005 – 9 U 99/05, VersR 2006 1207, 1208; OLG Celle 1.3.2001 – 13 U 103/00, VersR 2002 602; so auch Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 12. 120 OLG Frankfurt/M. 7.12.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 619 (zu § 154 a. F.); Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH zurückgewiesen durch Beschl. vom 5.12.2012 IV ZR 56/12 (nicht veröffentlicht); vgl. auch OLG Frankfurt/M. 27.3.2014 – 7 U 242/13, NJW-RR 2014 1376, 1378. 121 R. Koch VersR 2013 620, 623. 122 OLG Frankfurt/M. 7.12.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 619 (zu § 154 a. F.), mit Anmerkung R. Koch VersR 2013 620, 623. 123 OLG Frankfurt/M. 7.12.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 619 (zu § 154 a. F.); Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH zurückgewiesen durch Beschl. vom 5.12.2012 IV ZR 56/12 (nicht veröffentlicht). 124 A. A. Lange RuS 2007 401, 402. 125 Vgl. Schirmer ZVersWiss Supplement 2006 427, 434. Koch

306

B. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (§ 106 S. 1)

VVG § 106

hängig davon ist die Herleitung von Umfang und Reichweite der Bindungswirkung zu beachten. Es wäre mit den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu vereinbaren, den VN – immer vorausgesetzt er handelt redlich – schlechter zu stellen als den sich infolge der Fehlbeurteilung der eigenen Eintrittspflicht vertragswidrig verhaltenden VR.

d) Feststellung der Haftpflichtforderung zur Insolvenztabelle. Hat der VR keine Kenntnis 41 von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN, ist er an eine widerspruchslose Feststellung der Haftpflichtforderung zur Insolvenztabelle nicht gebunden. Ohne Bindungswirkung ist auch die widerspruchslose Feststellung der Haftpflichtforderung durch den Insolvenzverwalter ohne Zustimmung des VR. Eine solche Feststellung ist hinsichtlich der Bindungswirkung wie ein ohne Zustimmung des VR abgegebenes Anerkenntnis zu behandeln.126 Erkennt der Insolvenzverwalter in einem gem. § 240 S. 1 ZPO unterbrochenen Haftpflichtprozess den Anspruch ohne Zustimmung des VR sofort an (§ 86 Abs. 2 InsO) und lässt ein Urteil zu seinen Ungunsten ergehen, tritt für den VR ebenfalls keine Bindungswirkung ein (§ 110 Rn. 31).

III. Frist zur Freistellung 1. Grundsatz Der VR hat den VN binnen zweier Wochen nach Feststellung der Haftpflichtforderung freizu- 42 stellen. Während dieses Zeitraums hat der VR Gelegenheit, die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils zu prüfen.127 Die Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem das Urteil dem vom VR beauftragten Rechtsanwalt zugestellt wird. Hat der VN den Haftpflichtanspruch ohne Zustimmung des VR anerkannt oder sich mit dem Geschädigten verglichen und ist im Versicherungsvertrag eine Bindungswirkung für den Fall vorgesehen, dass der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016/A1-4.1 S. 3 AVB PHV/AVB BHV, A-6.1. S. 3 AVB D&O), dient die Frist der Prüfung, ob der Haftpflichtanspruch dem Grunde und der Höhe nach begründet war (Rn. 3). Die Frist beginnt nach Kenntniserlangung des VR vom Anerkenntnis oder Vergleichsschluss. Kommt der VR zu dem Ergebnis, dass der Anspruch dem Grund und/oder der Höhe nach nicht bestanden hat, und verklagt deshalb der VN den VR auf Freistellung, findet die 2-Wochenfrist nicht erneut nach rechtskräftiger Verurteilung des VR Anwendung.

2. Ausnahmen Soweit der VR (im Rahmen seiner Regulierungsvollmacht)128 selbst den Haftpflichtanspruch 43 des geschädigten Dritten anerkennt oder einen Vergleich mit dem Dritten schließt, bedarf es keiner Frist.129 Gleiches gilt, wenn der VR seine Zustimmung zu einem vom VN abgegebenen Anerkenntnis oder abgeschlossenen Vergleich erteilt hat oder der VR die Deckung ablehnt und der VN daraufhin den Haftpflichtanspruch anerkennt.130 Ebenso wenig bedarf 126 Vgl. BGH 10.3.2021 –IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 13. 127 Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 13; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 29; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 42.

128 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 5 AHB Rn. 8 ff. 129 Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 13. 130 Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 12; Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 7; v. Rintelen RuS 2010 133, 138 unter Hinweis auf RG 13.51938 – III 165/37 –, RGZ 158 113, 116 f.; OLG Stuttgart 29.8.1969 – 2 U 51/69 VersR 1970 170. 307

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

es der 2-Wochenfrist, wenn nach Abtretung des Freistellungsanspruchs im Rahmen eines Deckungsprozesses zwischen dem Dritten und dem VR auch über die Haftung entschieden wird. Der Anwendungsbereich des § 106 S. 1 ist in all diesen Konstellationen insoweit teleologisch zu reduzieren und es gilt § 14 Abs. 1.131 Das bedeutet, dass der VR die Befriedigung des Dritten – soweit die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 vorliegen – sofort bewirken muss.132

C. Fälligkeit des Zahlungsanspruchs (§ 106 S. 2) 44 § 106 S. 2 behandelt den Fall, dass der Dritte von dem VN mit bindender Wirkung für den VR befriedigt worden ist.

I. Befriedigung des Haftpflichtanspruchs durch den VN 45 Unter einer Befriedigung ist jede Leistung des VN an den geschädigten Dritten zur Tilgung der Haftpflichtschuld zu verstehen (§ 362 Abs. 1 BGB); auch die Leistung, die zur Abwendung der Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Titel (vgl. § 105 Rn. 18). Auch die Erfüllungssurrogate (Leistung an Erfüllung statt gem. § 364 Abs. 1 BGB, Aufrechnung gem. § 389 BGB, Hinterlegung gem. § 378 BGB; Erlass gem. § 397 Abs. 1 BGB), nicht hingegen die Aufrechnung mit der bestrittenen Haftpflichtforderung durch den geschädigten Dritten stellen eine Befriedigung dar.133 Soweit der VN sich mit der Aufrechnung einverstanden erklärt, liegt allerdings eine Befriedigung vor.134 In diesem Fall hat der VN einen Zahlungsanspruch gegen den VR (§ 105 Rn. 20). 46 Die Abtretung des Freistellungsanspruchs i. e. S. an den geschädigten Dritten erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) ist keine Befriedigung i. S. v. § 106 S. 2 (§ 105 Rn. 19). Eine solche kann aber in der Erteilung eines Reparaturauftrags für eine beschädigte Sache und der anschließenden Bezahlung der Rechnung bestehen (§ 105 Rn. 20).135 Tritt der VN den Anspruch auf Freistellung an den Dritten an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 1 BGB) ab, liegt eine Befriedigung des Haftpflichtanspruchs vor (§ 105 Rn. 19). Der auf Freistellung gerichtete Anspruch wandelt sich im Zeitpunkt der Abtretung in der Person des Dritten in einen Anspruch auf Zahlung um.

II. Bindungswirkung 47 Hinsichtlich der Bindungswirkung der Befriedigung gelten die gleichen Grundsätze wie beim außergerichtlichen Anerkenntnis oder beim Vergleich. Hier wie dort ist die Bindungswirkung auf die Feststellung der Haftpflicht dem Grunde und der Höhe nach beschränkt. Der VR ist an die Befriedigung der Haftpflichtschuld nur in dem Umfang gebunden, in dem er der Be-

131 Vgl. v. Rintelen RuS 2010 133, 137 f.; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 154 Rn. 3; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 30; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 124; Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 106 Rn. 5 (Fälligkeit folgt aus § 271 BGB). 132 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 106 Rn. 5; a. A. Berliner Kommentar/Baumann § 154 Rn. 4; Lange VersR 2008 713, 717; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 29. 133 OLG Karlsruhe 18.4.1996 VersR 1997 1477, 1480; Prölss/Martin/Lücke § 106 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 36. 134 Vgl. BGH 15.12.1976 – IV ZR 26/76, VersR 1977 174, 175; OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284; OLG Saarbrücken 21.1.2004 – 5 U 404/03-40, VersR 2004 901, 903; OLG Hamm 14.11.1975 – 20 U 126/75, VersR 1978 80, 81; OLG Hamm 31.10.1975 – 20 U 92/75, VersR 1976 749, 750. 135 OLG Hamm 13.4.2005 – 20 U 231/04, VersR 2006 829. Koch

308

D. Fälligkeit des Rechtsschutzkostenanspruchs (§ 106 S. 3)

VVG § 106

friedigung zugestimmt hat. Lehnt er sie ab, weil er die Haftpflichtforderung dem Grund und/ oder der Höhe nach für unbegründet hält und deshalb den Anspruch abwehren will, ist er an eine Zahlung des VN oder ein Erfüllungssurrogat nicht gebunden. Lehnt der VR die Deckung zu Unrecht ab, tritt hingegen grundsätzlich Bindung ein.136 Letzteres gilt selbst dann, wenn die Zahlung die tatsächlich bestehende Haftpflichtforderung übersteigt und der VN nicht leichtfertig gehandelt hat (Rn. 34).137 Allerdings kann es sich bei der (Über-)Zahlung auf eine nicht bestehende Schuld begrifflich nicht um eine Befriedigung handeln, sondern nur um ein (konstitutives) Anerkenntnis, so dass sich die Fälligkeit insoweit nicht nach § 106 S. 2, sondern nach § 106 S. 1 beurteilt.138 Weitergehende Bindungswirkung kommt einer Befriedigung des Dritten nach Feststellung des Haftpflichtanspruchs durch ein (rechtskräftiges oder vorläufig vollstreckbares) Urteil zu.139

III. Zahlungsfrist Der VR hat die Zahlung binnen zwei Wochen nach Eintritt der Bindungswirkung zu bewirken. 48 Auch hier gilt, dass der VR den Anspruch des VN auf Zahlung nach § 14 Abs. 1 sofort zu erfüllen hat, wenn der VN den Dritten befriedigt hat, nachdem der VR zuvor selbst den Haftpflichtanspruch des Dritten oder den Freistellungsanspruch des VN anerkannt hatte, einen Vergleich mit dem Dritten geschlossen oder seine Zustimmung zu einem vom VN abgegebenen Anerkenntnis oder abgeschlossenen Vergleich erteilt hatte. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der VN gezwungen, die Haftpflichtfrage im Rahmen einer Feststellungsklage gegen den VR zu klären, um die Voraussetzungen des § 106 S. 2 zu schaffen. Bestreitet der VR nicht nur die Haftung, sondern auch die Deckung, bestimmt sich die Fälligkeit dagegen nach § 14 Abs. 1, da für die Einräumung einer 2-Wochenfrist zur Prüfung der Berechtigung des von Dritten geltend gemachten Anspruchs kein Bedürfnis mehr besteht. Der VN ist deshalb berechtigt, sofortige Zahlung an sich zu verlangen und notfalls Zahlungsklage gegen den VR zu erheben. In dem Verfahren wird die Haftpflichtfrage als Vorfrage bei der Feststellung geklärt, ob ein Versicherungsfall vorliegt.140 Diese materielle Rechtslage steht im Einklang mit dem Prozessrecht. Bei Ablehnung der Deckung durch den VR fehlt es dem VN nämlich an dem für eine Feststellungsklage erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da er einen zweiten (Deckungs-)Prozess gegen den VR führen muss.141

D. Fälligkeit des Rechtsschutzkostenanspruchs (§ 106 S. 3) Gem. § 106 S. 3 hat der VR die Kosten, die er nach § 101 zu tragen hat, innerhalb von zwei 49 Wochen nach der Mitteilung der Berechnung seitens des VN zu zahlen. Diese Regel ist auf den

136 BGH 21.5.1959 – II ZR 144/57, VersR 1959 499; BGH 20.2.1956 – II ZR 53/55, VersR 1956 186, 187; OLG Karlsruhe 4.10.1984 – 12 U 169/83, VersR 1986 858, 859. Nach OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284, 286 wird die zunächst ohne Bindung für den VR erfolgte Befriedigung nach Überprüfung im Deckungsprozess für ihn bindend und somit auch fälligkeitsauslösend. 137 BGH 15.12.1976 – IV ZR 26/76, VersR 1977 174, 175; OLG Saarbrücken 21.1.2004 – 5 U 404/03-40, VersR 2004 901, 903; OLG Hamm 14.11.1975 – 20 U 126/75, VersR 1978 80, 81. 138 Vgl. auch OLG Hamm 2.11.1990 – 20 U 78/90, VersR 1991 652, 653: „Die Befriedigung […] stellt eine besondere Form des Anerkenntnisses dar“. 139 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 38. 140 Vgl. OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, RuS 2010 284; LG Dortmund 27.1.2011 – 2 O 275/10, BeckRS 2011 03849. 141 Vgl. OLG Celle 19.12.2006 – 16 U 127/06, NJW-RR 2007 676, 677. 309

Koch

§ 106 VVG

Fälligkeit der Versicherungsleistung

(Ausnahme-)Fall zugeschnitten, dass der VN hinsichtlich der gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsschutzkosten in Vorleistung getreten ist. Die Mitteilung der Kostenberechnung löst die 2-Wochenfrist für die Leistung des VR aus. Hiervon unberührt bleibt der Anspruch des VN auf Vorschuss gem. § 101 Abs. 1 S. 3.

E. Darlegungs- und Beweislast 50 Anerkennt oder befriedigt der VN die Haftpflichtforderung oder schließt der VN mit dem Geschädigten ohne vorherige Zustimmung oder gegen den Willen des abwehrbereiten VR einen Vergleich, hat er im Deckungsprozess die den Haftpflichtanspruch begründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Den VR trifft die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der die Haftpflichtforderung betreffenden Einwendungen. Insoweit nimmt der VN dieselbe prozessuale Stellung ein wie der geschädigte Dritte im Haftpflichtprozess und der VR diejenige des sich gegen die Haftpflichtforderung verteidigenden VN.142 Hat der VR den Rechtsschutz mangels Deckung verweigert, greifen die allgemeinen Regeln ein: Der VN muss darlegen und beweisen, dass die Haftpflichtforderung in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fällt, der VR muss darlegen und beweisen, dass ein sekundärer Risikoausschluss eingreift oder eine zur (teilweisen) Leistungsfreiheit berechtigende Obliegenheitsverletzung vorliegt. Gelingt dem VR Letzeres nicht, ist er an das Urteil, das Anerkenntnis, die Befriedigung oder den Vergleich gebunden. Macht der VR geltend, der VR habe in leichtfertiger Weise oder arglistig eine nicht bestehende Haftpflichtforderung durch Anerkenntnis, Vergleich oder Befriedigung festgestellt oder durch Urteil feststellen lassen, trägt er hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

F. Abdingbarkeit 51 Bei § 106 handelt es sich gem. § 112 um eine halbzwingende Vorschrift, von der nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden kann. Im Hinblick auf die Herleitung der Bindungswirkung nach den Grundsätzen der (ergänzenden) Vertragsauslegung halten Formularregelungen, die diese Bindungswirkung beschränken, – auch bei Großrisiken i. S. v. § 210 Abs. 2 – einer Inhaltskontrolle nicht stand (Gefährdung des Vertragszwecks i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Zulässig sind dagegen Klauseln, die eine Bindung nur insoweit vorsehen, wie der Haftpflichtanspruch ohne Anerkenntnis, Befriedigung oder Vergleich bestanden hätte (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016, A1-4.1 S. 3 AVB BHV/AVB PHV, A.6.1 S. 3 AVB D&O). Der Anwendungsbereich dieser Klausel ist jedoch beschränkt auf den Fall, dass der VR nicht zu Unrecht seine Deckung verweigert hat. Darüber hinaus ist es zulässig, Leistungsfreiheit für den Fall zu vereinbaren, dass der VN arglistig, das heißt in betrügerischer Absicht gehandelt hat. Bereits das RG hat hierzu entschieden, dass der VN bei groben Verletzungen tragender Obliegenheiten, durch die das vertragliche Vertrauensverhältnis erschüttert wird, seinen Anspruch nach § 242 BGB ganz oder teilweise verliert, auch wenn eine Verwirkung nicht vertraglich vereinbart wurde.143 Der BGH hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen.144

142 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 106 Rn. 45; Lange VersR 2006 1313, 1318; Mack/Terrahe PHi 2005 28, 29.

143 Vgl. RG 11.2.1938 – VII 165/37, RGZ 157 67, 74 ff.; RG 24.2.1939 – VII 138/38, RGZ 160 3, 6. 144 BGH 14.10.1987 – IVa ZR 29/86, VersR 1987 1182, 1183; vgl. auch BGH 15.12.1976 – IV ZR 26/76, VersR 1977 174, 175 f. Koch

310

G. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 106

G. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 106 ist § 154 Abs. 1 VersVG, der mit § 154 52 Abs. 1 a. F. identisch ist. Es sind nur wenig Urteile des OGH zu dieser Norm veröffentlicht. In seinem Urteil vom 25.1.2017 hat der OGH festgestellt, dass unter einem rechtskräftigen Urteil i. S. d. § 154 Abs 1 VersVG nur ein Zahlungsurteil zu verstehen sei.145 Unter dem Begriff des Anerkenntnisse fällt nur das konstitutive, nicht aber das deklarative Anerkenntnis.146 Jedoch ist zu beachten, dass das österreichische konstitutive Anerkenntnis dem deutschen kausalen Anerkenntnis und das österreichische deklarative Anerkenntnis dem tatsächlichen Anerkenntnis entspricht, das keinen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen des Schuldners verkörpert.147 Im Ergebnis besteht somit kein Unterschied zur Rechtslage in Deutschland. Die Feststellung einer im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderung wirkt ebenso wie ein in Rechtskraft erwachsenes (klagestattgebendes) Urteil in einem nach der Insolvenzordnung geführten Prüfungsprozess fälligkeitsauslösend.148 In Übereinstimmung mit der Rechtslage in Deutschland sieht der OGH eine Aufrechnung seitens des VR ohne Zustimmung des VN nur dann als Befriedigung i. S. d. § 154 Abs 1 VersVG an, wenn die Haftpflichtforderung des Geschädigten bereits durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden war. War eine solche Feststellung noch nicht getroffen, schuldet der VR weiterhin Freistellung und es liegt bei ihm, ob er gegen den Geschädigten allenfalls mit Klage vorgehen will.149

II. PEICL Die PEICL enthalten in Art. 14:104 Regelungen zur Anerkennung der Haftpflicht. Entsprechend 53 § 105 ist gem. Abs. 1 eine Bestimmung im Versicherungsvertrag unwirksam, welche den VR von seinen Pflichten befreit, falls je nach Lage des Falles der VN den Anspruch des Opfers anerkennt oder erfüllt. Abs. 2 betrifft die Bindungswirkung von Vereinbarungen zwischen VN und dem Geschädigten. Sofern der VR nicht zustimmt, ist er an einer solchen Vereinbarung nicht gebunden.

145 OGH 25.1.2017 – 7Ob190/16s, ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00190.16S. 0125.000=VersR 2017 1361. 146 OGH 25.5.2016 – 7 Ob 75/16d, ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00075.16D.0525.000; OGH 2.9.2015 – 7Ob110/ 15z, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00110.15Z.0902.000. 147 OGH 2.9.2015 – 7Ob110/15z, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00110.15Z.0902.000. 148 OGH 18.2.2015 – 7Ob213/14w, ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00213.14W.0218.000; OGH 23.1.2013 – 7Ob189/ 12p, ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00189.12P.0123.000. 149 OGH 14.7.1993 – 7Ob12/93, ECLI:AT:OGH0002:1993:0070OB00012.93.0714.000. 311

Koch

§ 107 Rentenanspruch (1) Ist der Versicherungsnehmer dem Dritten zur Zahlung einer Rente verpflichtet, ist der Versicherer, wenn die Versicherungssumme den Kapitalwert der Rente nicht erreicht, nur zur Zahlung eines verhältnismäßigen Teils der Rente verpflichtet. (2) Hat der Versicherungsnehmer für die von ihm geschuldete Rente dem Dritten kraft Gesetzes Sicherheit zu leisten, erstreckt sich die Verpflichtung des Versicherers auf die Leistung der Sicherheit. Absatz 1 gilt entsprechend.

Schrifttum Car Das Überschreiten der Deckungssumme in der Haftpflichtversicherung (2016); Deichl/Küppersbusch/Schneider Kürzungs- und Verteilungsverfahren nach §§ 155 Abs. 1 und 156 Abs. 3 VVG in der Kfz-Haftpflichtversicherung (1985); Hofmann Zum Begriff der Rente im Sinne des § 155 VVG, Festschrift Stiefel (1987) 349 ff.; Jaeger Kapitalisierung von Renten im Abfindungsvergleich, VersR 2006 597; R. Johannsen Bemerkungen zur Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers in Rentenzahlungsfällen, ZVersWiss 80 (1991) 97; Kornes Kapitalisierung: Flexibler Realzins statt 5 %-Tabellenzins (Teil II), RuS 2004 1; Küppersbusch Das Kürzungs- und Verteilungsverfahren bei Überschreitung der Versicherungssumme in der Haftpflichtversicherung, FS Müller (2009) 65; Langenick Probleme des Verteilungsverfahrens, insbesondere das in § 118 Abs. 1 VVG verborgene Super-Befriedigungsvorrecht, RuS 2011 Sonderheft zu Heft 4, 70; Nehls Anmerkung zum Urteil des BGH vom 8.1.1981, VersR 1981 286; Schantl Probleme bei der Konkurrenz von Kapital- und Rentenzahlungsansprüchen in der Haftpflichtversicherung, MDR 1983 450; Schirmer Einige Bemerkungen zum Entwurf einer Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung, Festschrift für Egon Lorenz (1994) 529; Schlund Juristische Grundlagen der Kapitalisierung von Schadensersatzrenten, VersR 1981 401; Sprung Das Verteilungsverfahren bei Deckungssummenüberschreitung in der Kfz-Haftpflichtversicherung, VersR 1992 657; Wenke Verteilungspläne bei nicht ausreichender Deckungssumme in der Kfz-Haftpflichtversicherung, VersR 1983 900; Hj. Wussow Begriff der Rentenzahlungen und der sonstigen Leistungen bei der Verteilung der Deckungssumme in der Haftpflichtversicherung (§§ 155 Abs. 1 VVG, 3 Abs. 2 AHB, 10 Abs. 7 AKB), WI 1986 146.

Übersicht 1

21

I.

Verhältnismäßige Kürzung der Rente

1

II.

Mehrere Geschädigte

2

III.

Neuberechnung des Kapitalwerts infolge Ände24 rung der vom VN zu zahlenden Rente

IV.

Sicherheitsleistung

D.

Abdingbarkeit

E.

Beweislast und Prozessuales

F.

Österreichisches Recht/Principles of European 35 Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Normzweck

III.

Anwendungsbereich

B.

Voraussetzungen

I. 1. 2.

Verpflichtung zur Rentenzahlung 7 Begriff der Rente Rechtsgrund zur Rentenzahlung

II. 1. 2.

11 Unzureichende Versicherungssumme Bedeutung der Versicherungssumme und des 11 Kapitalwerts 15 Berechnung des Kapitalwerts der Rente

C.

Rechtsfolgen

23

6 29

7 31

7 33

8

35 36

21

Koch https://doi.org/10.1515/9783110522662-009

312

A. Einführung

VVG § 107

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 107 ist die Nachfolgeregelung zu § 155 a. F., der seit Inkrafttreten des VVG 1908 unverändert ge- 1 blieben ist. § 107 Abs. 1 enthält lediglich eine redaktionelle, nicht jedoch inhaltliche Änderung des § 155 Abs. 1 a. F. Anstelle der Formulierung „zur Zahlung eines verhältnismäßigen Teils der Rente verpflichtet“ hätte es im Hinblick auf das Verständnis vom Wesen der Haftpflichtversicherung eigentlich heißen müssen, dass der VN nur Freistellung von einem verhältnismäßigen Teil der geschuldeten Rente verlangen könne.1 § 107 Abs. 2 S. 1 ist identisch mit § 155 Abs. 2 a. F. Neu hinzugekommen ist Abs. 2 S. 2, der klarstellt, dass die Beschränkung nach Abs. 1 auf einen verhältnismäßigen Teil auch für die Sicherheitsleistung gilt.2

II. Inhalt und Normzweck § 107 Abs. 1 sieht ebenso wie § 109 S. 1 ein Kürzungsverfahren und eine Berechnungsmetho- 2 de zur Verteilung eines durch die Beschränkung auf die Versicherungssumme bestehenden Deckungsmangels vor.3 § 107 trägt dem Umstand Rechnung, dass die Leistung, zu welcher der VN dem geschädigten Dritten aus dem Haftpflichtverhältnis verpflichtet ist, nicht nur in der Zahlung einer einmaligen Geldleistung (Kapitalbetrag), sondern auch in der Gewährung einer Geldrente bestehen kann. Für diesen Fall bestimmt § 107 Abs. 1, dass der VR, soweit die Versicherungssumme den Kapitalwert der Rente nicht erreicht, nur zur Zahlung eines verhältnismäßigen Teils der Rente verpflichtet ist. Der VR gewährt somit nicht für die volle Rente Deckung (bis zur Erschöpfung der Versicherungssumme), sondern zahlt einen herabgesetzten Betrag. Den Fehlbetrag muss der VN aus eigenen Mitteln bestreiten. Der VR muss den herabgesetzten Betrag auch dann leisten, wenn die Versicherungssumme 3 erschöpft ist, z. B. weil der Geschädigte die prognostizierte Lebenserwartung überschreitet.4 Das Risiko des VR wird dadurch kompensiert, dass seine Verpflichtung erlischt, wenn der Dritte stirbt, ehe die Rentenleistungen des VR die Versicherungssumme erreicht haben. § 107 Abs. 1 sichert dem Geschädigten somit eine zwar niedrigere, aber gleichbleibende Rente zu und verhindert auf diese Weise, dass ein Fall eintritt, in welchem für die Rente überhaupt keine versicherungsmäßige Deckung mehr besteht.5 Gibt es mehrere geschädigte Dritte, sind in der freiwilligen Haftpflichtversicherung § 109 und in der obligatorischen Haftpflichtversicherung § 118 zusätzlich zu berücksichtigen.6 Der Gesetzgeber hat sich damit für eine Lösung entschieden, bei der der VN von Anfang 4 an an den Schadenszahlungen beteiligt wird.7 Diese Regelung ist für den VN von Vorteil, wenn der geschädigte Dritte überdurchschnittlich lange lebt und die Versicherungssumme bereits erschöpft ist, da auch nach der Erschöpfung der Versicherungssumme der VR ver-

1 Vgl. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V Teilbd. 1 Anm. G 35. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 86; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid § 107 Rn. 1; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 1. 3 Vgl. BGH 10.10.2006 – IV ZR 44/05, RuS 2007 83, 84 f. = VersR 2006 1679; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 10. 4 Vgl. BGH 28.11.1990 – IV ZR 233/89, VersR 1991 172, 173; BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 55 = VersR 1986 392; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 51; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 5; Langheid/ Wandt/Littbarski § 107 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Langheid § 107 Rn. 1. 5 Vgl. BGH 10.10.2006 – IV ZR 44/05, RuS 2007 83, 84. 6 BGH 10.10.2006 – IV ZR 44/05, RuS 2007 83, 85; BGH 28.11.1990 – IV ZR 233/89, VersR 1991 172, 173; OGH 29.6.1960 – 3Ob172/60 VersR 1960 1030, 1031; BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 55 = VersR 1986 392. 7 Motive 210 f.; BGH 30.10.1954 – II ZR 131/53, BGHZ 15 154, 160. 313

Koch

§ 107 VVG

Rentenanspruch

pflichtet bleibt und sich der Anteil des VN an der Rentenleistung nicht erhöht.8 Hierdurch wird vermieden, dass der sorglose VN, der keine Rücklagen gebildet hat, finanziell ruiniert wird.9 Der VR ist nicht berechtigt, vom VN den die Versicherungssumme überschreitenden Betrag zurückzufordern. Als nachteilig für den VN erweist sich § 107 Abs. 1, wenn der Dritte schon wenige Jahre nach dem Rentenbeginn stirbt und die Versicherungssumme noch nicht erschöpft ist. Der VN ist in diesem Fall nicht berechtigt, vom VR die von ihm anteilig geleisteten Zahlungen ersetzt zu verlangen. 5 § 107 Abs. 2 S. 1 bezieht sich auf den Fall, dass der VN für die von ihm geschuldete Rente dem geschädigten Dritten kraft Gesetzes Sicherheit zu leisten hat. Erfasst wird nur die materielle Sicherheitsleistung aufgrund gesetzlicher Vorschriften. Art und Weise der zu erbringenden Sicherheitsleistung regeln die §§ 232 ff. BGB (Rn. 29). Soweit der VR nach § 107 Abs. 1 nur zur Zahlung eines verhältnismäßigen Teils der Rente verpflichtet ist, ist die Beschränkung gemäß § 107 Abs. 2 S. 2 auch für die Verpflichtung des VR zur Sicherheitsleistung maßgebend. Der VR ist somit nicht verpflichtet, für eine jenen Betrag überschreitende Rente Sicherheit zu leisten.10 Die praktische Bedeutung von § 107 Abs. 2 ist gering, da bei einer Leistungspflicht des VR das Bedürfnis zur Sicherheitsleistung in der Regel entfällt (Rn. 30).

III. Anwendungsbereich 6 § 107 findet grundsätzlich auch in der obligatorischen Haftpflichtversicherung Anwendung, wenn der Dritte infolge seines Direktanspruchs unmittelbar gegen den VR vorgeht.11 In der KfzHaftpflichtversicherung wird § 107 Abs. 1 durch § 8 KfzPflVV konkretisiert.12 Keine Anwendung findet § 107 in der Seeversicherung (§ 209).

B. Voraussetzungen I. Verpflichtung zur Rentenzahlung 1. Begriff der Rente 7 Der VN muss dem geschädigten Dritten gegenüber aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen zur Rentenzahlung verpflichtet sein. Besteht keine Rentenforderung, sondern nur ein Kapitalanspruch, so ist § 107 Abs. 1 nicht anwendbar. Für den Begriff der Rente ist wesentlich, dass es sich um eine Zahlung handelt, die für eine gewisse Zeit an genau bestimmten Fälligkeitstagen zu leisten ist und deren Höhe entweder genau feststeht oder sich anhand feststehender Faktoren genau berechnen lässt.13 Die Schadensfolgen müssen sich in dem Sinne konsolidiert haben, dass sie mit einem regelmäßig zu zahlenden Geldbetrag abgegolten werden können.14 Erforderlich ist eine regelmäßig wiederkehrende Leistung i. S. v. § 197 Abs. 2 BGB. Da-

8 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 5; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 7. 9 Vgl. ÖOGH 20.12.2006 – 7 Ob 56/06w, ECLI:AT:OGH0002:2006:0070OB00056.06W.1220.000; ÖOGH 29.6.1960 – 3 Ob 172/60, VersR 1960 1030, 1031; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 8.

10 BTDrucks. 16/3945 S. 86; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 76; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 107 Rn. 4. 11 ÖOGH 20.6.2017 – 2 Ob 142/16w, ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00142.16W.0620.000; Langheid/Wandt/Schneider § 118 Rn. 8. 12 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 § 8 KfzPflVV Rn. 2; Stiefel/Maier/Jahnke § 8 KfzPflVV Rn. 7. 13 LG München 14.3.1961 – 14 T 769/60, NJW 1961 1408, 1409; vgl. auch ÖOGH 20.7.1989 – 7 Ob 26/89, VersR 1990 683. 14 Vgl. ÖOGH 20.7.1989 – 7 Ob 26/89, VersR 1990 683; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 15. Koch

314

B. Voraussetzungen

VVG § 107

bei bezieht sich das Merkmal „regelmäßig“ auf Termine, nicht auf die Höhe der Leistungen.15 Eine Wiederkehr zu demselben Betrag ist deshalb nicht erforderlich.16 Keine Rentenforderung liegt vor, wenn eine Kapitalverpflichtung in Raten oder in Monatsbeträgen bezahlt wird.17 Weder Abschlags- oder Vorschusszahlungen auf einen feststehenden Schadensbetrag noch Zinsen lassen sich als Rentenforderung qualifizieren.18 Keine Rentenforderung liegt vor, wenn ein Anspruch periodisch abgerechnet und dabei stets neu überprüft wird.19 Die bloße Möglichkeit, dass in Zukunft erneut gleichartige Aufwendungen entstehen, reicht nicht aus.20 Bei Renten aufgrund von Aufopferungsansprüchen hat der BGH den Rentencharakter verneint.21 Dagegen ist der in Rentenform zu erfüllende Schmerzensgeldanspruch Rente i. S. v. § 107.22

2. Rechtsgrund zur Rentenzahlung Ob und in welcher Höhe eine Rentenforderung des Dritten vorliegt, beurteilt sich ausschließlich 8 nach dem Haftpflichtverhältnis.23 Weder der geschädigte Dritte noch der VN können somit willkürlich und/oder einseitig bestimmen, ob die Haftpflichtforderung auf Rente oder Kapital gerichtet ist.24 Nach herrschender Meinung in der Literatur sollen VN und geschädigter Dritter jedoch vereinbaren können, dass Schadensersatzansprüche, die nach den gesetzlichen Bestimmungen auf Kapitalleistung gerichtet sind, in Renten umzuwandeln sind, und umgekehrt. Dies solle nur dann nicht möglich sein, wenn es mehrere Geschädigte gebe, weil auf diese Weise die Verteilung der Deckungssumme manipuliert werden könne.25 Freilich wird der Schutz einer Mehrheit von Geschädigten durch § 109 sichergestellt. Entscheidend für die Wirksamkeit einer Parteivereinbarung (in der Regel wird es sich um einen außergerichtlichen Vergleich handeln) ist im Hinblick darauf, dass eine Rentenzahlung nachteilig für den VR sein kann, dass letzterer seine Zustimmung zur Umwandlung der Kapitalleistung in eine Rentenzahlung erteilt. Fehlt es an einer solchen dreiseitigen Vereinbarung, hängt die Verpflichtung des VN zur Rentenzahlung davon ab, dass eine solche durch Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt wird.26 Materieller Schadensersatz wegen Verdienstausfalls, Erwerbsminderung oder vermehr- 9 ter Bedürfnisse (§ 843 Abs. 1 BGB), entzogenen Unterhalts (§ 844 Abs. 2 S. 1 BGB) oder entgangener Dienste (§ 845 S. 1 BGB) ist nach dem gesetzlichen Leitbild grundsätzlich in Rentenform nach Maßgabe der § 843 Abs. 2 bis 4 BGB zu gewähren.27 Auch regelmäßig anfallende

15 BGH 6.4.1981 – II ZR 186/80, BGHZ 80 357 f. = NJW 1981 2563; BGH 23.9.1958 – I ZR 106/57, BGHZ 28 144, 147 = NJW 1959 239, 240; RG 19.2.1937 – VII 211/36, RGZ 153 375, 378; vgl. auch MüKo-BGB/Grothe § 197 Rn. 26.

16 RG 19.1.1916 – I 112/15, RGZ 88 42, 46. 17 BGH 23.9.1958 – I ZR 06/57, BGHZ 28 144, 149 = NJW 1959 239; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 50; vgl. auch ÖOGH 20.6.2017 – 2 Ob 142/16w, ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00142.16W.0620.000 (zu Verdienstentgangsbeträgen, die dem Geschädigten in der Kfz-Haftpflichtversicherung seinem Begehren entsprechend mit Monatsbeträgen zugesprochen wurden). 18 Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 7; Späte § 3 Rn. 75. 19 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 50. 20 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 50. 21 BGH 15.10.1956 – III ZR 226/55, BGHZ 22 43, 50 = VersR 1957 450, 451. 22 BGH 13.3.1959 – VI ZR 72/58, VersR 1959 458, 459 = NJW 1959 1031; Langheid/Rixecker/Langheid § 107 Rn. 8; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 19; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 107 Rn. 2; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 5; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 51. 23 Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 17; Späte AHB § 3 Rn. 75. 24 Wussow AHB § 3 Rn. 22; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 9. 25 So Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 51; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 9; Wussow WJ 1986 146, 147. 26 Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 8; Späte AHB § 3 Rn. 75. 27 Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 18; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 5. 315

Koch

§ 107 VVG

Rentenanspruch

Heilkosten können als Renten anzusehen sein (z. B. regelmäßige Medikamentengewähr).28 Eine Geldrente im Falle der Erwerbsbeeinträchtigung und/oder der Bedürfnisvermehrung sehen auch die meisten Gefährdungshaftungstatbestände vor (§ 8 HPflG, § 13 StVG, § 38 LuftVG, § 9 ProdHaftG, § 89 AMG, § 14 UmweltHG, § 32 Abs. 6 GenTG, § 30 AtG). Abweichend von § 843 Abs. 1 BGB bestimmen diese Sonderregeln zwar, dass nur „für die Zukunft“ auf eine Rentenzahlung erkannt werden kann, und verweisen im Übrigen auf § 843 Abs. 2 bis 4 BGB. Jedoch räumt der BGH in feststehender Rechtsprechung dem Verletzten für die Vergangenheit ein Wahlrecht zwischen Kapital- und Rentenzahlung auf der Grundlage des § 251 BGB ein, da Kapital und Rente lediglich zwei unterschiedliche Arten ein und desselben Schadensersatzanspruchs seien.29 Gesetzessystematisch stellen die vorgenannten Bestimmungen Sonderregelungen auf der Ebene der Haftungsausfüllung gegenüber den in §§ 249, 251 BGB für die Naturalrestitution normierten Grundsätzen dar.30 Schmerzensgeld wird grundsätzlich in Form eines Kapitalbetrages gewährt. Eine Schmer10 zensgeldrente kommt nur dann in Betracht, wenn entweder ungewöhnlich schwere Verletzungen vorliegen, unter denen der Verletzte immer wieder neu leidet, oder besondere, außergewöhnliche Umstände gerade die Rentenform erzwingen.31 Schmerzensgeldrenten sind grundsätzlich ohne Dynamisierung bis zum Lebensende32 oder begrenzt auf einen bestimmten Zeitraum zu zahlen.33 Eine Abänderung (§ 323 ZPO) kommt nur unter besonderen Umständen in Betracht. Erforderlich ist, dass eine ganz erhebliche Steigerung der Lebenshaltungskosten vorliegt und die zugesprochene Rente deshalb nicht mehr als „billiger“ Ausgleich der immateriellen Beeinträchtigungen des Geschädigten angesehen werden kann. Ob dies der Fall ist, lässt sich erst nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob die Zahlung einer erhöhten Rente dem Schädiger billigerweise zugemutet werden kann, etwa weil die Haftungshöchstsumme des VR „erschöpft“ ist.34

II. Unzureichende Versicherungssumme 1. Bedeutung der Versicherungssumme und des Kapitalwerts 11 Der Kapitalwert (auch Barwert genannt) der Rente muss die Versicherungssumme übersteigen, die nach Abzug der Kapitalzahlungen auf Ansprüche, die keine Rentenansprüche sind, verbleibt (vgl. Rn. 22, 26).35 Bleibt der Kapitalwert unterhalb der Versicherungssumme, ist der VR voll leistungspflichtig. Gelten für Sach-, Personen- und Vermögensschäden unterschiedliche Versicherungssummen, ist die Versicherungssumme für jede Schadensart getrennt zu rechnen.36 Soweit die Verpflichtung zur Rentenzahlung aus dem Gesetz folgt, liegt der Haftung stets ein Personenschaden zugrunde, so dass die für Personenschäden vorgesehene Versicherungssumme maßgeblich ist. Schadensersatzansprüche in Rentenform kommen aber auch bei „reinen“ Vermögensschäden vor. Gedacht sei z. B. daran, dass durch fehlerhaftes Verhalten ei28 Stiefel/Maier/Jahnke § 107 Rn. 36; Langheid/Rixecker/Langheid § 107 Rn. 4. 29 BGH 13.7.1972 – III ZR 107/69, BGHZ 59 187, 188 = NJW 1972 1711, 1712; BGH 24.3.1964 – VI ZR 12/63, VersR 1964 777, 778; BGH 17.3.1964 – VI ZR 15/63, VersR 1964 638, 639; BGH 25.2.1958 – VI ZR 44/57, VersR 1958 324, 325; RG 16.12.1937 – VI 126/37, RGZ 156 392, 393; MüKo-BGB/Wagner § 843 Rn. 1. 30 BGH 19.5.1981 – VI ZR 108/79, VersR 1982 238, 239 = RuS 1982 127 zu § 843 BGB. 31 Stiefel/Maier/Jahnke § 107 Rn. 37; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 19; vgl. auch BGH 11.12.1956 – VI ZR 286/ 55, NJW 1957 383. 32 BGH 3.7.1973 – VI ZR 60/72, NJW 1973 1653 = VersR 1973 1067, 1068. 33 BGH 23.11.1965 – VI ZR 151/64, VersR 1966 144, 145. 34 BGH 15.5.2007 – VI ZR 150/06, NJW 2007 2475, 2476 = VersR 2007 961, 962. 35 Vgl. BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, RuS 2007 83, 85 = VersR 2006 1679. 36 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, RuS 2007 83, 85 = VersR 2006 1679, 1680; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 2; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 23. Koch

316

B. Voraussetzungen

VVG § 107

nes Anwalts eine Mandantin ihren Unterhaltsanspruch verliert. Überschneiden sich die Deckungsbereiche zweier, vom VN bei demselben VR abgeschlossenen Versicherungsverträge (z. B. Privathaftpflichtversicherung und Jagdhaftpflichtversicherung) und besteht Versicherungsschutz nach beiden Versicherungsverträgen, so kann der VN nach § 78 analog insgesamt nicht mehr als den Betrag seines Schadens verlangen. Er kann jedoch die Versicherungssummen beider Versicherungen voll ausnutzen.37 Schuldet der VN einem einzelnen Geschädigten sowohl Schadensersatz in Kapital- als auch 12 in Form von Rentenzahlungen, stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Kapitalforderung bei der Berechnung der Versicherungssumme zu berücksichtigen ist. Nach Ziff. 6.7 AHB 2016 (A1-5.7 AHB BHV/AHB PHV) ist die Versicherungssumme um „etwaige[.] sonstige[.] Leistungen“ vorab zu kürzen.38 Bei sonstigen Leistungen kann es sich z. B. um Heilbehandlungskosten, Beerdigungskosten, Schmerzensgeld-Einmalbeträge und (bei Pauschal-Deckungssummen) den Ersatz von Sachschäden handeln. Der Wortlaut von § 107 Abs. 1 gibt keine Antwort auf diese Frage. Die Rechtsprechung hat sich hierzu auch noch nicht ausdrücklich geäußert. Eine Mindermeinung in der Literatur spricht sich aus Gründen der Praktikabilität für einen Vorrang der Rentenforderung aus.39 Indes ist nicht erkennbar, welchen praktischen Nutzen der Vorrang der Renten- vor Kapitalforderung für die Beteiligten haben soll. Unter dem Aspekt der Praktikabilität ließe sich ebenso gut ein Vorrang der Kapital- vor der Rentenforderung vertreten. Für den Anwendungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung statuiert § 8 Abs. 1 S. 1 und 13 Abs. 4 KfzPflVV ausdrücklich einen Vorrang der Kapitalforderungen vor der Rentenforderung. Für einen Vorrang der Kapitalforderung sprechen sowohl die Interessen des geschädigten Dritten als auch die Interessen des VN. Zu berücksichtigen ist, dass es bei Kapitalforderungen um den Ausgleich aktuell erlittener Nachteile geht, während Rentenforderungen zukünftige Nachteile ausgleichen sollen. Der geschädigte Dritte hat im Zweifel ein größeres Interesse daran, dass ihm für aktuell eingetretene Nachteile schnellstmöglich ein Ausgleich gewährt wird, mag dies auch im Ergebnis dazu führen, dass sich der Anteil des VR an der Rente verringert und im Extremfall auf Null absinkt. Billigte man Kapitalforderungen keinen Vorrang zu, hätte der VN diese mit eigenen Mitteln zu befriedigen. Diese Konsequenz läge weder im Interesse des VN noch des geschädigten Dritten. Wäre der VN nämlich zur Befriedigung nicht in der Lage und müsste Insolvenz anmelden, würde der Geschädigte nicht nur hinsichtlich der Kapitalforderung leer ausgehen. Er müsste sich darüber hinaus mit dem Anteil des VR an der Rente zufrieden geben. Für den VN liefe der Vorrang der Rentenforderung darauf hinaus, dass der Zweck des Haftpflichtversicherungsvertrages unterlaufen würde. Die besseren Argumente sprechen deshalb dafür, § 107 Abs. 1 dahingehend auszulegen, dass Kapitalforderungen vorab von der Versicherungssumme in Abzug zu bringen sind.40 Ergänzend sei angemerkt, dass der ÖOGH aus §§ 155, 156 Abs. 3 VersVG einen Vorrang des Kapitalersatzes und Nachrang von Rentenansprüchen herleitet (Rn. 35).41 Bei nachträglich erhobenen oder später entstandenen Kapitalansprüchen des Dritten 14 hat der Vorrang zur Folge, dass der VR diese sofort zu befriedigen hat und insoweit eine Neuberechnung der Rente erforderlich wird. Etwas anderes gilt für den Fall, dass der VR, nachdem er bereits Kapitalzahlungen geleistet hat, dem Geschädigten eine Rentenzahlung verbindlich zu37 BGH 28.11.1990 – IV ZR 233/89, VersR 1991 172, 173. 38 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. AHB Rn. 40 f.; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 55; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 7 ff.

39 Deichl/Küppersbusch/Schneider Rn. 106 f.; Schantl MDR 1982 450, 451; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen AKB § 10 Rn. 141.

40 Ebenso Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 8 f.; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 22 ff.; Car 84; Stiefel/Maier/Jahnke § 107 Rn. 26; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 29; vgl. auch ÖOGH 20.6.2017 – 2Ob142/16w, ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00142.16W.0620.000; ÖOGH 12.1.1984 – 2Ob84/04y, VersR 1984 1201, 1202; ÖOGH 29.11.1983 – 7 Ob 35/83, VersR 1984 1200 f. 41 OGH 24.8.2010 – 2Ob207/09v, ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00207.09V.0824.000. 317

Koch

§ 107 VVG

Rentenanspruch

sagt, die den Kapitalwert der verbliebenen Versicherungssumme voll ausschöpft.42 Hat der VR die rechtzeitige Kürzung der Rente versäumt und dadurch das Ausschöpfen der Versicherungssumme bewirkt, ist er nicht berechtigt, die Rentenzahlungen völlig einzustellen.43 Soweit es um die Befriedigung mehrerer Geschädigter geht, ist das Verteilungsverfahren gemäß § 109 anzuwenden, wonach die Forderungen sämtlicher Geschädigter im Verhältnis zu ihren Beträgen zu kürzen sind (§ 109 Rn. 7 ff.). Die Kosten des Rechtsschutzes bleiben wegen der Regelung des § 101 Abs. 2 S. 1 unberücksichtigt. Dies gilt aufgrund der Bestimmung des § 101 Abs. 2 S. 2 auch für Zinsen, die der VN infolge einer vom VR veranlassten Verzögerung der Befriedigung des Dritten diesem schuldet.44

2. Berechnung des Kapitalwerts der Rente 15 § 107 Abs. 1 lässt offen, wie der Kapitalwert von Renten zu berechnen ist.45 Es handelt sich um eine (versicherungs-) mathematische Frage, die nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen anhand des konkreten Falles und unter Beachtung der sich aus anerkannt zuverlässigen statistischen Unterlagen ergebenden Durchschnittswerte beantwortet werden muss.46 Die Berechnung erfordert deshalb regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens.47 Der Kapitalwert der Rente hängt dabei nicht nur von der Höhe der einzelnen Rentenraten, sondern vor allem auch von der Dauer der Rentenverpflichtung ab. Die (zukünftigen) Rentenraten (einschließlich möglicher Hinterbliebenenrentenzahlungen nach dem Tode des Rentenempfängers) sind – jeweils mit der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens gewichtet und auf den Berechnungszeitpunkt abgezinst – zu addieren.48 Bei der Abzinsung ist, wenn keine abweichende vertragliche Regelung vorliegt, „ein Zinsfuß, der der Effektivverzinsung entspricht, die auf dem Kapitalmarkt für Rentenwerte von vergleichbarer Laufzeit zu erzielen ist“, zugrunde zu legen.49 16 Der Kapitalwert der Rente ist im Übrigen nicht identisch mit dem Betrag der „Abfindung in Kapital“, wie sie etwa nach § 843 Abs. 3 BGB verlangt werden kann.50 Während der Kapitalwert der Rente bei jeder Änderung der Rente neu – allerdings nur mit Wirkung für die Zukunft – zu berechnen ist,51 ist der im Wege der Kapitalisierung ermittelte Abfindungsbetrag endgültig.52 Keine Besonderheiten bestehen hinsichtlich der Berechnung des Kapitalwerts in den Fällen, in denen der VR dem Sozialversicherungsträger eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu erstatten und an den Dritten eine Verdienstausfallrente zu zahlen hat. Da es sich nicht um zwei selbstständige Rentenverpflichtungen handelt, sondern um die Teile des einheitlichen Rentenanspruchs, ist 42 OLG Düsseldorf 26.1.1987 – 1 U 234/85, VersR 1988 485, 486 = NJW-RR 1987 799; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 54; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 21; offenlassend Langheid/Rixecker/Langheid § 107 Rn. 10. 43 BGH 12.6.1980 – IVa ZR 9/80, VersR 1980 817, 818 = NJW 1980 2524, 2525; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 55. 44 Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 28. 45 Vgl. BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, RuS 2007 83, 85 = VersR 2006 1679, 1680; BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 58 = VersR 1986 392, 394; BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, jeweils zu § 155. 46 BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 58 = VersR 1986 392, 394 f.; BGH 12.6.1980 – IVa ZR 9/80, VersR 1980 817, 818 = NJW 1980 2524, 2525; BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 133; Langheid/Rixecker/ Langheid § 107 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 11. 47 Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 11; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 37. 48 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 11. 49 BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 58 = VersR 1986 392, 394; vgl. auch BGH 28.11.1990 – IV ZR 233/89, VersR 1991 172, 173 = NJW-RR 1991 984, 985. 50 Vgl. BGH 8.1.1981 – VI ZR 128/79, BGHZ 79 187, 192 = VersR 1981 283, 284. 51 BGH 12.6.1980 – IVa ZR 9/80, VersR 1980 817, 818 = NJW 1980 2524, 2525; BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 134. 52 Vgl. BGH 8.1.1981 – VI ZR 128/79, BGHZ 79 187, 193 = VersR 1981 283, 284. Koch

318

B. Voraussetzungen

VVG § 107

der Kapitalwert nach dem Gesamtbetrage zu berechnen, der dem Dritten in dem maßgeblichen Zeitpunkt vor dem Anspruchsübergang zustand.53 Zeitlicher Ausgangspunkt für die Berechnung des Kapitalwerts ist die Entstehung des 17 Haftpflichtanspruchs dem Grunde nach54 und nicht etwa der Zeitpunkt der Fälligkeit der ersten Rate.55 Deshalb ist auch für später eintretende Schäden (Erwerbs- und Unterhaltsschaden, vermehrte Bedürfnisse) der Anspruchsentstehungszeitpunkt maßgeblich.56 Die Verpflichtung zur Rentenzahlung endet zu dem im Haftpflichturteil, dem Anerkenntnis oder dem Vergleich festgelegten Zeitpunkt.57 Ist der Zeitpunkt nicht festgelegt und steht die Dauer der Rentenverpflichtung nicht von 18 vornherein fest, weil es z. B. auf die mutmaßliche Lebensdauer des Geschädigten ankommt oder nicht klar ist, wann der Geschädigte wieder einem Erwerb nachgehen kann, „ist sie aufgrund einer im Zeitpunkt ihres Beginns aufzustellenden Prognose unter Berücksichtigung des konkreten Falls und unter Beachtung der sich aus anerkannten statistischen Unterlagen ergebenden Durchschnittswerte zu bemessen“.58 Bei Verdienstausfallrenten kann im Allgemeinen noch von einem Endalter von 65 Jahren bei unselbstständig Tätigen (vgl. § 8 Abs. 3 KfzPflVV) und von 68 Jahren bei Selbständigen ausgegangen werden,59 während bei Waisenrenten frühestes Endalter das vollendete 18. Lebensjahr ist (vgl. § 10 Abs. 7 S. 5 AKB 2006). Ziff. 6.7 AHB 2016 (A1-5.7 AVB BHV/AVB PHV) verweist in diesem Zusammenhang für diejenigen Renten, bei denen die Dauer nicht feststeht, auf die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverordnung (KfzPflVV).60 Nach § 8 Abs. 1 S. 2 KfzPflVV ist „[d]er Rentenwert [.] auf Grund einer von der Versicherungsaufsichtsbehörde entwickelten oder anerkannten Sterbetafel und unter Zugrundelegung des Rechnungszinses, der die tatsächlichen Kapitalmarktzinsen in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt, zu berechnen“.

Bei der Berechnung des Kapitalwerts einer Schadensersatzrente nach § 107 geht es darum, 19 den Geldbetrag zu ermitteln, den der VR verzinslich anlegen müsste, um aus den Zinsund Tilgungsbeträgen die Rentenleistung erbringen zu können.61 Je höher der Zinssatz ist, desto geringer fällt der Kapitalwert aus, was sich im Ergebnis positiv für den VN auswirkt.62 Umgekehrt profitiert der VR von einem niedrigen Zinssatz. Nach der Rechtsprechung ist ein Zinssatz zugrunde zu legen, der der Effektivverzinsung entspricht, die auf dem Kapitalmarkt für Rentenwerte von vergleichbarer Laufzeit erzielt wird.63 Maßgeblich ist der langfristige Durchschnittszinssatz, nicht der Zinssatz im Zeitpunkt des Unfalles.64 Soweit der 53 BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 58 = VersR 1986 392, 393; vgl. auch BGH 28.11.1990 – IV ZR 233/89, VersR 1991 172, 173; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 16. 54 BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 58 = VersR 1986 392, 393; BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 133; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 39; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 107 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Langheid § 107 Rn. 7; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 16; Sprung VersR 1992 657, 660. 55 So aber Deichl/Küppersbusch/Schneider Rn. 64; Stiefel/Hofmann/Hofmann17 § 10 AKB Rn. 121 und 126. 56 Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 12; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 57; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 12; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 17. 57 Vgl. BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 133 f.; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 40; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 13. 58 BGH 12.6.1980 – IVa ZR 9/80, NJW 1980 2524, 2525; BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 133; BGH 27.11.1979 – VI ZR 98/78, VersR 1980 279. 59 BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 134; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 13. 60 Zu Bedenken gegen die Transparenz der Verweisung und die Berechnung der Kapitalwerte s. Langheid/Wandt/ Littbarski § 107 Rn. 48 f. 61 BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 58. 62 BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 134. 63 BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 58. 64 BGH 22.1.1986 – IVa ZR 65/84, BGHZ 97 52, 64 f. 319

Koch

§ 107 VVG

Rentenanspruch

VR sich formularmäßig ein einseitiges Änderungsrecht einräumt, unterliegt der Zinssatz der gerichtlichen Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Es kommt darauf an, ob durch die Herabsetzung des Rechnungszinsfußes die Entschädigungsleistung des VR gegenüber der gesetzlichen Regelung so verkürzt wird, dass k/eine Treu und Glauben widersprechende, unangemessene Benachteiligung des VN anzunehmen ist. Baumann hat sich dafür ausgesprochen, die sich durch die Unwirksamkeit der einschlägigen Klauseln ergebende Vertragslücke durch § 8 Abs. 1 S. 2 KfzPflVV im Wege der Analogie oder der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen.65 Bei Ermittlung des Kapitalwerts von Renten wegen Verdienstausfalls ist eine künftige 20 Erhöhung der Rente zu berücksichtigen, die infolge von Geldentwertung und steigendem Lohnniveau jährlich eintritt, und zwar als sogenannte aufgeschobene Rente.66 Dem Umstand, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der geschädigte Dritte in der Zeit vom ursprünglichen Rentenbeginn bis zum Zeitpunkt der Erhöhung stirbt, ist durch einen versicherungsmathematischen Abschlag Rechnung zu tragen. Führt die bei einer später folgenden Erhöhung der Rentenleistung vorgenommene Neuberechnung des Kapitalwerts zur Feststellung, dass die Versicherungssumme überschritten ist, so wirkt das jeweils nur für die Zukunft.67

C. Rechtsfolgen I. Verhältnismäßige Kürzung der Rente 21 Übersteigt der Kapitalwert der Rente die Versicherungssumme, ist der Anspruch des VN auf Zahlung einer Rente an den geschädigten Dritten nach Maßgabe der nachstehenden Berechnungsformel in dem Verhältnis zu kürzen, in dem der Kapitalwert der Rente die Versicherungssumme übersteigt:68 Rentenforderung x Versicherungssumme Anteil des VR = Kapitalwert der Rente Beispiel: Beträgt bei einer Rente von 1.500 EUR monatlich der Kapitalwert dieser Rente 300.000 EUR und beläuft sich die Versicherungssumme auf 200.000 EUR, so gehen von dieser Rente monatlich 1.000 EUR (= 1.500 x 200.000: 300.000) zulasten des VR und 500 EUR zulasten des VN. 22 Hat der Geschädigte nicht nur Renten-, sondern auch Kapitalzahlungsansprüche, so ist die sofort fällige Kapitalzahlung in voller Höhe zu zahlen und von der Versicherungssumme in Abzug zu bringen. Der hiernach verbleibende Teil der Versicherungssumme ist im Rahmen des § 107 Abs. 1 zur Freistellung von der Rentenzahlungsverpflichtung zu verwenden.69 Insoweit ist die vorstehende Formel wie folgt zu ändern: Rentenforderung x (Versicherungssumme-Kapitalforderungen) Anteil des VR = Kapitalwert der Rente 65 66 67 68

Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 20. BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 134. BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 134; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V Teilbd. 1 Anm. G 36. Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 27; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 7; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 51. 69 Wussow § 3 Rn. 22. Koch

320

C. Rechtsfolgen

VVG § 107

Beispiel: Wie im vorgenannten Beispiel (Rn. 21), jedoch ist der VN zur Zahlung eines Schmerzensgeldes als Einmalbetrag in Höhe von 10.000 EUR verurteilt worden. Wegen des Vorrangs von Kapitalforderungen vor Rentenforderungen ist die Versicherungssumme um diesen Betrag zu kürzen. In diesem Fall gehen von der Rente monatlich 950 EUR (= 1.500 x 190.000: 300.000) zulasten des VR und 550 EUR zulasten des VN.

II. Mehrere Geschädigte Gibt es mehrere Geschädigte, die Kapital- und Rentenzahlungsansprüche geltend machen, sind die 23 Rentenansprüche vorweg zu kapitalisieren, um im Falle der nicht ausreichenden Versicherungssumme die nach § 109 S. 1 gebotene ranggleiche Befriedigung aller Geschädigten sicherzustellen.70

III. Neuberechnung des Kapitalwerts infolge Änderung der vom VN zu zahlenden Rente Ändert sich nachträglich die Höhe der vom VN zu zahlenden Renten, ist eine Neuberechnung des 24 Kapitalwerts der Renten erforderlich. Der Grund für die Rentenänderung ist dabei gleichgültig. Auch wenn der Geschädigte stirbt und an die Stelle der ihm gewährten Rente die Ansprüche der Hinterbliebenen auf Ersatz des entgangenen Unterhalts aus § 844 Abs. 2 BGB (möglicherweise auch aus § 845 BGB) treten, ist eine neue Kapitalisierung oder ein neuer Vergleich mit der verbliebenen Versicherungssumme vorzunehmen. Eine solche Neuberechnung wirkt allerdings nur für die Zukunft.71 Beispiel: Verstirbt in dem zuvor angeführten Beispiel (Rn. 21) der Geschädigte nach dreijährigem Rentenbezug unfallbedingt und ergibt die Berechnung, dass der Kapitalwert der der Witwe dann zugesprochenen Rente nach § 844 Abs. 2 BGB in Höhe von 700 EUR monatlich sich auf 140.000 EUR beläuft, so ist diese mit der (um die Leistungen des VR in Höhe 36.000 EUR (= 36 Monate x 1.000 EUR) an den verstorbenen Ehemann gekürzten) Versicherungssumme von 164.000 EUR (= 200.000 EUR–36.000 EUR) zu vergleichen. Der VR muss die Rente an die Witwe in voller Höhe erbringen. Dem VN steht kein Rückforderungsanspruch in Höhe des von ihm für drei Jahre monatlich aus eigener Tasche erbrachten Anteils von 500 EUR zu. Entsprechendes gilt, wenn von Anfang an mehrere anspruchsberechtigte Rentenemp- 25 fänger vorhanden sind, bei denen der Kapitalwert der gesamten Renten die Versicherungssumme überschreitet. Beträgt also die Versicherungssumme 100.000 EUR und werden drei Rentenansprüche von monatlich 150 EUR für A, 250 EUR für B und 350 EUR für C zuerkannt, so ist für alle drei Renten der Kapitalwert zu ermitteln und die Summe dieser Kapitalwerte mit der Versicherungssumme zu vergleichen. Auch hier treten die Ansprüche der Angehörigen aus § 844 Abs. 2 BGB an die Stelle der Ansprüche des verstorbenen Dritten. Es fragt sich aber, ob eine Neuberechnung unter voller Berücksichtigung des noch nicht verbrauchten Teils der Versicherungssumme selbst dann vorzunehmen ist, wenn einer der geschädigten Dritten ersatzlos wegfällt. Man stelle sich vor, dass C ohne Angehörige ist und bereits nach 3 Jahren stirbt. Mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Haftpflichtversicherung sowohl zugunsten des VN als auch zugunsten der geschädigten Dritten (vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere § 108 Abs. 1 und das in § 109 S. 1 vorgesehene Verteilungsverfahren zugunsten der geschädigten Dritten) ist eine einschränkende Auslegung des § 107 Abs. 1 in dem Sinne vorzuziehen, dass der durch den frühzeitigen Tod des C „freigewordene“ Teil der Versicherungssumme wieder allen anspruchs70 BGH 25.2.1958 – VI ZR 44/57, VersR 1958 324, 325; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 9; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 29; Wussow § 3 Rn. 22. 71 BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132, 134; Küppersbusch FS Müller 75; Wussow § 3 Rn. 22. 321

Koch

§ 107 VVG

Rentenanspruch

berechtigten Dritten zur Verfügung steht. Selbstverständlich kann der VN aber auch hier die bereits aus eigener Tasche für die Vergangenheit zugezahlten Beträge nicht zurückfordern. Insoweit bleibt die Risikoverteilung in Bezug auf die Lebenserwartung des geschädigten Dritten zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages bei dieser Auslegung des § 107 Abs. 1 erhalten. 26 Der vom VR zu leistende Anteil an der Rente verringert sich, wenn der VN während laufender Rentenzahlung eine zuvor nicht berücksichtigte Kapitalforderung zu erfüllen hat. Auch in einem derartigen Fall ist der Kapitalwert der Rente neu zu berechnen. Zu diesem Zweck ist der Kapitalwert der vom VR bereits geleisteten Renten zu bestimmen und vom Kapitalwert, der ursprünglich für sämtliche Rentenzahlungen ermittelt worden ist, in Abzug zu bringen. Von dem sich daraus ergebenden Differenzbetrag ist die nachträglich geltend gemachte Kapitalforderung in voller Höhe abzuziehen. Führt der Abzug zu einem Verbrauch der Versicherungssumme, so besteht eine weitere Deckungspflicht für die Renten nicht. Ist die Versicherungssumme nicht voll verbraucht, bleibt der noch freie Betrag für die Deckung der Renten in der Zukunft. Die nach Berichtigung des Kapitalanspruchs noch zu zahlenden Renten sind erneut zu kapitalisieren und mit der verbleibenden Versicherungssumme zur Errechnung des vom VR zu tragenden Anteils zu vergleichen.72 27 Versäumt der VR eine Kürzung der Rente, ist er nicht berechtigt, Überzahlungen mit künftigen Raten zu verrechnen und weitere Rentenzahlungen einzustellen. Er kann sich insoweit nicht auf eine Erschöpfung der Versicherungssumme berufen.73 Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des § 107 Abs. 1, im Interesse des Geschädigten eine fortlaufende verhältnismäßige Beteiligung des VR an den Rentenleistungen zu gewährleisten. Der VR kann den überschießenden Teil vom VN nur nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Alt. 1 S. 1 BGB) zurückfordern, weil er die Zahlungen zum Zwecke der Erfüllung seiner Verpflichtung aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag gegenüber dem VN geleistet hat.74 Eine Direktkondiktion gegen den Rentenberechtigten scheidet aus.75 28 Nach Ziff. 5.4 AHB 2016 (A1-4.4 AVB BHV/AVB PHV) trifft den VN die Obliegenheit, das (aus dem Haftpflichtverhältnis resultierende) Recht, wegen veränderter Verhältnisse die Aufhebung oder Minderung einer zu zahlenden Rente zu verlangen, von dem VR ausüben zu lassen. Der VR kann für den VN eine Abänderungsklage erheben, wenn die Rentenverpflichtung auf einem Urteil beruht (§ 323 ZPO) oder in einem Prozessvergleich oder einer vollstreckbaren Urkunde festgelegt ist (§ 323 a Abs. 1 ZPO). Hierbei handelt es sich um eine Konkretisierung der ohnehin aus § 82 folgenden Obliegenheit des VN zur Schadensminderung.76 Der VN ist insoweit verpflichtet, dem VR ihm bekannte Umstände mitzuteilen und ihn bei Ausübung der Rechte zu unterstützen. Der VN ist nicht zur Ausforschung des Dritten verpflichtet. Tatsachen, von denen er (zufällig) Kenntnis erhalten hat, hat er jedoch an den VR weiterzugeben.77

IV. Sicherheitsleistung 29 Nach § 107 Abs. 2 S. 1 ist der VR zur Sicherheitsleistung verpflichtet, wenn der VN für die von ihm geschuldete Rente dem Dritten Sicherheit zu leisten hat. Ob, in welcher Art und für welchen Betrag der VN Sicherheit zu leisten hat, bestimmt sich nach den für die Haftpflicht 72 73 74 75

Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 21; Wussow § 3 Rn. 22. BGH 12.6.1980 – IV ZR 9/80, VersR 1980 817, 818. Bruck/Möller/R. Johannsen Bd. V Teilbd. 1 Anm. G 36; a. A. Langheid/Rixecker/Langheid § 107 Rn. 11. A. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 57; offenlassend BGH 12.6.1980 – IV ZR 9/80, VersR 1980 817, 818, wo davon die Rede ist, dass „allenfalls“ aus ungerechtfertigter Bereicherung vorgegangen werden könne; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 31. 76 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 21; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 62; Späte § 5 Rn. 59; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 5 AHB Rn. 76. 77 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 5 AHB Rn. 76. Koch

322

D. Abdingbarkeit

VVG § 107

maßgeblichen Vorschriften. Einschlägig ist § 843 Abs. 2 S. 2 BGB, der nicht nur Anwendung findet bei einer aufgrund §§ 843 Abs. 1, 844 Abs. 2, 845 BGB bestehenden Verpflichtung zur Rentenzahlung, sondern auch für Rentenzahlungspflichten aus den einschlägigen Bestimmungen der Nebengesetze (Rn. 9).78 Gemäß § 843 Abs. 2 S. 2 BGB bestimmt sich das Ob, die Art und Weise und die Höhe der geschuldeten Sicherheit nach den Umständen des Einzelfalls, die das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu würdigen hat.79 Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Gericht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers sowie Höhe und Dauer der Rentenverpflichtung zu berücksichtigen. Die Modalitäten der zu erbringenden Sicherheitsleistung bestimmen sich nach §§ 232 ff. BGB.80 In die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers fließt zu seinen Gunsten 30 auch das Bestehen von Haftpflichtversicherungsschutz ein.81 Dies gilt nicht nur, wenn dem Geschädigten im Rahmen der obligatorischen Haftpflichtversicherung ein Direktanspruch gegen den VR zusteht (z. B. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 PflVG), sondern auch für die freiwillige Haftpflichtversicherung. Dort ist die Befriedigung der Haftpflichtansprüche durch das Veräußerungsverbot gemäß § 108 Abs. 1 und das Recht zur abgesonderten Befriedigung in der Insolvenz des VN nach § 110 gewährleistet.82 Ein Sicherungsbedürfnis des Geschädigten ist deshalb jedenfalls dann zu verneinen, wenn der betreffende Haftpflichtversicherer seinen Sitz innerhalb der Europäischen Union hat. In diesem Falle kann davon ausgegangen werden, dass der VR finanziell in der Lage ist, den VN von Rentenansprüchen des Geschädigten zu befreien.83 Sollte diese Annahme ausnahmsweise nicht zutreffen, kommt § 107 Abs. 2 S. 2 zum Tragen. Der VR ist nur bis zur Höhe der dem Kapitalwert der Rentenverpflichtung entsprechenden Versicherungssumme zur Sicherheitsleistung verpflichtet. Littbarski weist zudem auf das selbstständige Verfahren der Nachforderungsklage zur Sicherheitsleistung gemäß § 324 ZPO sowie die Bestimmungen der § 13 Abs. 3 StVG, § 8 Abs. 3 HaftPflG, § 38 Abs. 3 S. 1 LuftVG und § 30 Abs. 3 AtomG als weitere Möglichkeiten für den Geschädigten hin, eine Sicherheitsleistung vom VN als dem Schädiger zu verlangen.84

D. Abdingbarkeit § 107 zählt nicht zu den (halb-)zwingenden Vorschriften des Haftpflichtversicherungsrechts 31 (§ 112). Wegen § 108 Abs. 1 S. 1 kann der VR jedoch nicht nach Eintritt des Versicherungsfalls (mit Wirkung gegenüber den geschädigten Dritten) mit dem VN vereinbaren, dass in den Fällen, in denen die Versicherungssumme niedriger ist als der Kapitalwert der Rente, die volle Rente nur so lange bezahlt wird, bis die Versicherungssumme erschöpft ist. Eine solche Vereinbarung ist dem Geschädigten gegenüber gem. § 135 BGB unwirksam, da der VR der Verpflichtung enthoben wird, gegebenenfalls über die Versicherungssumme hinaus zu leisten. Hierdurch wird der von § 107 Abs. 1 beabsichtigte Schutz des Dritten unterlaufen. Etwas anders gilt nur dann, wenn der Dritte dieser Berechnungsweise zugestimmt hat.85

78 Vgl. auch Hinweis von Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 67. 79 MüKo-BGB/Wagner § 843 Rn. 24; BeckOK BGB/Spindler, 56. Ed. 1.11.2020, § 843 Rn. 31; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 68; a. A. Palandt/Sprau § 843 Rn. 17; Staudinger/Vieweg (2015) § 843 Rn. 33; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 34; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 107 Rn. 7 (freies Ermessen). 80 Vgl. RG 7.5.1938 – VI 1/38, RGZ 157 348, 351; Staudinger/Vieweg (2015) § 843 Rn. 33; Staudinger/Repgen (2019) Vorbem. §§ 232 ff. Rn. 3. 81 RG 7.5.1938 – VI 1/38, RGZ 157 348, 350 f. 82 Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 70. 83 Vgl. hierzu RG 7.5.1938 – VI 1/38, RGZ 157 348, 350 ff.; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 34; Späte § 3 Rn. 38; MüKo-BGB/Wagner § 843 Rn. 25; Staudinger/Vieweg (2015) § 843 Rn. 33. 84 Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 70 ff. 85 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 19; Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 81 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 24; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 107 Rn. 10. 323

Koch

§ 107 VVG

32

Rentenanspruch

Vor Eintritt des Versicherungsfalls sind VN und VR dagegen nicht daran gehindert zu vereinbaren, dass der VR die Rentenzahlungen in voller Höhe nur bis zur Erschöpfung der Versicherungssumme erbringt. Eine solche Vereinbarung im Haftpflichtversicherungsvertrag stellt keine (vorweggenommene) Verfügung im Sinne des § 108 Abs. 1 S. 1, sondern eine zulässige Bestimmung des Inhalts des Haftpflichtversicherungsanspruchs dar.86 Sie ist nicht anders zu beurteilen als etwa die Absprache über die Höhe der Versicherungssumme selbst. Zudem ist eine solche Absprache auch wertneutral in dem Sinne, dass sie sich – so gut wie unvorhersehbar für alle Beteiligten – sowohl zugunsten als auch zuungunsten des geschädigten Dritten auswirken kann. Zugunsten des Dritten wirkt sie z. B. in den Fällen, in denen der VN vermögenslos ist. Grundsätzlich wirksam sind auch Vereinbarungen, die Berechnungsweisen für den Fall vorsehen, dass neben einer Rentenforderung auch Kapitalforderungen geltend gemacht werden. So können VN und VR vereinbaren, dass Rentenforderungen Vorrang vor Kapitalforderungen haben. Eine solche Abrede ist dagegen unwirksam, wenn eine Mehrheit von anspruchsberechtigten Dritten im Sinne des § 109 S. 1 gegeben ist.87 Die dort zwingend zugunsten der Dritten vorgeschriebene Verteilung kann durch eine Vereinbarung zwischen VR und VN nicht abgeändert werden.

E. Beweislast und Prozessuales 33 Der VR hat die für ihn günstigen Tatsachen, die sein Recht zur Kürzung nach § 107 Abs. 1 begründen (z. B. Erschöpfung der Versicherungssumme) darzulegen und zu beweisen,88 was z. B. durch Vorlage eines kompletten Verteilungsplanes geschehen kann.89 Bei einer auf Feststellung der Deckungspflicht gerichteten Klage des VN kann die sich aus 34 § 107 ergebende Reduzierung der Leistung des VR wegen § 308 ZPO keine Berücksichtigung finden.90 Hat der VR Schadensersatzansprüche mehrerer geschädigter Dritter zu befriedigen und reicht die Versicherungssumme nicht aus, ist sie nach Maßgabe der §§ 107, 109 – auf entsprechendes Vorbringen des VR – grundsätzlich bereits im Erkenntnisverfahren verhältnismäßig zu verteilen.91 Im Übrigen unterliegt das Verteilungsverfahren nach § 107 vollständiger gerichtlicher Kontrolle. Bei etwaigen Bedenken hinsichtlich der Substantiiertheit des dazu erfolgten Vortrages hat nach § 139 ZPO ein gerichtlicher Hinweis zu erfolgen.92

F. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich 35 Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 107 ist § 155 VersVG, der mit § 155 a. F. identisch ist. Nimmt man die Rechtsprechung des OGH in den Blick, sind keine Divergenzen zur Rechtsprechung des BGH zu § 155 a. F und § 107 ersichtlich. Wie bereits ausgeführt (Rn. 13) leitet der OGH aus 86 Wie hier Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 107 Rn. 9; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 155 Rn. 16; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 79 f.; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 71; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 24; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 36. 87 Im Ergebnis ebenso: ÖOGH 29.6.1960 – 3 Ob 172/60, VersR 1960 1030, 1032; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 81; Wussow § 3 Rn. 22; a. A. Wahle VersR 1960 1032. 88 Vgl. BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1680; ÖOGH 29.9.1987 – 2 Ob 46/87, ZVerkR 1988 233 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 33. 89 Vgl. OGH 20.12.2006 – 7 Ob 56/06w, ECLI:AT:OGH0002:2006:0070OB00056.06W.1220.000. 90 BGH 21.3.1963 – II ZR 111/60, VersR 1963 516, 517. 91 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679; BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, BGHZ 84 151, 154; BGH 6.10.1982 – IVa ZR 54/81, VersR 1983 26, 27; BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, VersR 1982 791, 792 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 33. 92 Vgl. BGH 25.6.2002 – X ZR 83/00, NJW 2002 3317, 3320; BGH 24.2.2003 – II ZR 322/00, NJW-RR 2003 742, 743. Koch

324

F. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 107

§§ 155, 156 Abs. 3 VersVG einen Vorrang des Kapitalersatzes und den Nachrang von Rentenansprüchen her.93

II. PEICL Die PEICL enthalten keine Regelung zur Kürzung und Berechnung von Rentenansprüchen, 36 wenn die Versicherungssumme den Kapitalwert der Rente nicht erreicht.

93 OGH 24.8.2010 – 2Ob207/09v, ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00207.09V.0824.000; vgl. auch ÖOGH 20.6.2017 2 Ob 142/16w, ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00142.16W.0620.000;ÖOGH 20.12.2006 – 7 Ob 56/06w, ECLI:AT:OGH 0002:2006:0070OB00056.06W.1220.000; ÖOGH 29.6.1960 – 3 Ob 172/60 VersR 1960 1030, 1031. 325

Koch

§ 108 Verfügung über den Freistellungsanspruch (1) Verfügungen des Versicherungsnehmers über den Freistellungsanspruch gegen den Versicherer sind dem Dritten gegenüber unwirksam. Der rechtsgeschäftlichen Verfügung steht eine Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung gleich. (2) Die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten kann nicht durch Allgemeine Versicherungsbedingungen ausgeschlossen werden.

Schrifttum Andresen/Schaumann Die D&O-Versicherung: Fluch oder Segen für den Insolvenzverwalter? ZInsO 2010 1908; Armbrüster Neues vom BGH zur D&O-Versicherung, NJW 2016 2155; ders. Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; ders. Auswirkungen von Versicherungsschutz auf die Haftung, NJW 2009 187; Bank D&O-Versicherer: Neue Situation durch Subprime-Krise und VVG-Reform, VW 2008 730; Baumann Die Problematik der Abtretbarkeit von Freistellungsansprüchen in der D&O-Versicherung – insbesondere an die geschädigte Versicherungsnehmerin, RuS 2011 229; ders. Die Überwindung des Trennungsprinzips durch das Verbot des Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, VersR 2010 984; ders. Zur Überwindung des „Trennungsprinzips“ im System von Haftpflicht und Haftpflichtversicherung – Die Bedeutung des Abtretungsverbots gem. § 7 Ziff. 3 AHB, Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935 (1999) 13; Baur/Holle Anwendung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG im Direktprozess gegen den D&O-Versicherer, AG 2017 141; Böttcher Direktanspruch gegen den D&O-Versicherer – Neue Spielregeln im Managerhaftungsprozess? NZG 2008 645; Brinkmann Die prozessualen Konsequenzen der Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung, ZIP 2017 301; van Bühren Paradigmenwechsel in der Berufshaftpflichtversicherung, BRAK-Mitt 2012 158; Dreher/Thomas Die D&O-Versicherung nach der VVG-Novelle 2008, ZGR 2009 31; Ebel Zur Abtretbarkeit von Befreiungsansprüchen, JR 1981 485; Ehlers Ausreichender Versicherungsschutz ein Risikofeld der Managerhaftung, VersR 2008 1173; Flach Auswirkungen des neuen Versicherungsvertragsrechts auf die Transportversicherungssparten, TranspR 2008 56; Franz Die Reform des Versicherungsvertragsrechts – ein großer Wurf? DStR 2008 303; Freitag Das Großrisiko in der VVG-Reform, RuS 2008 96; Grote/Schneider VVG 2008: Das neue Versicherungsvertragsrecht, BB 2007 2689; Grooterhorst/Looman Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs gegen den Versicherer im Rahmen der D&O-Versicherung, NZG 2015 215; Grunwald Leitbilder des VVG in der Großrisikoversicherung, VersR 2020 1423; Hagen Anwendung von Trennungsprinzip und Bindungswirkung auf die Vertrauensschadensversicherung bei Notaren, NVersZ 2001 341; ders. Bindungswirkung in der Vertrauensschadenversicherung? – Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der Haftpflichtversicherung, DNotZ 2000 809; Harzenetter Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung nach den BGHUrteilen vom 13.4.2016, NZG 2016 728; Hösker Die Pflichten des Versicherers gegenüber dem VN nach Abtretung des Haftpflichtversicherungsanspruchs an den Geschädigten, VersR 2013 952; Ihlas D&O Directors & Officers Liability 2. Aufl. (2009); Ingwersen Die Stellung des Versicherungsnehmers bei Innenhaftungsfällen in der D&O-Versicherung (2011); R. Johannsen Die Rechtsstellung des geschädigten Dritten in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung, RuS 1997 309; Kammerer-Galahn Compliance – Herausforderung für Unternehmensleiter und deren Rechtsberater, AnwBl 2009 77; Kassing/Richters Der Deckungsanspruch in der Haftpflichtversicherung, VersR 2015 293; Klimke Auswirkungen des Wegfalls des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes in der Haftpflichtversicherung, RuS 2014 105; ders. Vertragliche Abtretungsverbote und Legalzession nach § 67 I 1 VVG, VersR 1999 19; R. Koch Abtretung des Freistellungsanspruchs in D&O-Innenhaftungsfällen, VersR 2016 765; ders. Der Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung, RuS 2009 133; ders. Aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der D&O-Versicherung, WM 2007 2173; ders. VVG-Reform: Zu den Folgen der Untersagung des Anerkenntnis- und Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, FS Winter (2007) 345; Kramer Das Beurteilungsermessen des Betriebshaftpflichtversicherers und die geschäftsschädigende Festlegung auf Abwehrschutz, RuS 2008 1; ders. Prozessuale Besonderheiten des Haftpflicht- und Versicherungsprozesses, RuS 2001 177; Krause-Allenstein Praxisrelevante Änderungen des neuen Versicherungsvertragsgesetzes für das Bauversicherungsrecht, NZBau 2008 81; Lange Der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (am Beispiel der D&O-Versicherung), RuS 2011 185; ders. Die Rechtsstellung des Haftpflichtversicherers nach der Abtretung des Freistellungsanspruchs vom Versicherungsnehmer an den geschädigten Dritten, VersR 2008 713; ders. Die Prozessführungsbefugnis der Versicherungsnehmerin einer D&O-Versicherung, VersR 2007 893; ders. Interaktion zwischen dem Anerkenntnis und der Abtretung eines Versicherungsnehmers in der Haftpflichtversicherung – Reform des VVG, RuS 2007 401; ders. Aufhebung des versicherungsrechtlichen Anerkenntnisverbots nach der VVG-Reform, VersR 2006 1313; Langheid Nach der Reform: Neue Entwicklungen in der Haftpflichtversicherung, VersR 2009 1043; ders. Tücken in den §§ 110 ff. VVGRegE, VersR 2007 865; ders. Nach der Reform: Neue Entwicklungen in der Haftpflichtversicherung, VersR 2009 1043; ders. Ausweg aus der Anerkenntnis- und Abtretungsfalle, FS Winter (2007) 367; Langheid/Müller-Frank Rechtspre-

Koch https://doi.org/10.1515/9783110522662-010

326

Übersicht

VVG § 108

chungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht 2009, NJW 2010 344; Lehmann Aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur D&O-Versicherung und Folgerungen für die Praxis, RuS 2018, 6; Littbarski Auswirkungen der VVGReform auf die Haftpflichtsparte (Teil 2), PHI 2007 176; E. Lorenz Anmerkung zum BGH-Urteil über das Abtretungsverbot in § 7 Ziff. 3 AHB, VersR 1998 1091; Mack/Terrahe Der Abschlussbericht der VVG-Reformkommission: Auswirkungen auf die Haftpflichtversicherung (Teil 1), PHI 2005 28; Peltzer Konstruktions- und Handhabungsschwierigkeiten bei der D&O-Versicherung, NZG 2009 970; Richters/Staudinger D&O-Versicherung: Anforderungen an den Eintritt des Versicherungsfalls nach Abtretung des Freistellungsanspruchs, DB 2013 2725; Schramm Grenzen der Abtretung bei der D&O-Versicherung im Licht des neuen VVG, PHI 2008 24; Schramm/Wolf Das Abtretungsverbot nach der VVG-Reform, RuS 2009 358; Seybold/Wendt Der „Insolvenz“-Senat des BGH und das Trennungsprinzip in der Haftpflichtversicherung, VersR 2011 458; Thume Transportrechtliche Erfahrungen mit dem neuen VVG, TranspR 2012 125; ders. Probleme des Verkehrshaftungsversicherungsrechts nach der VVG-Reform, VersR 2010 849; ders. Der Regress des Verkehrshaftungsversicherers, VersR 2009 722; Schimmer Die D&O-Versicherung und §§ 105 und 108 Abs. 2 VVG 2008 – kann die Versicherungsnehmerin geschädigte Dritte sein? VersR 2008 875; Schlegelmilch Die Bindungswirkung in der Haftpflichtversicherung – Erwiderung auf den Beitrag von Langheid, VersR 2009 1043 –, VersR 2009 1467; Thomas Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern (2010); Thume Probleme des Verkehrshaftungsversicherungsrechts nach der VVG-Reform, VersR 2010 849; Voit Abschied vom Befriedigungsverbot in der Haftpflichtversicherung, VersR 1995 993; von Rintelen Die Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des abgetretenen Freistellungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 133; Werner D&O-Versicherung: Die Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an die Versicherungsnehmerin, ZHW 2017 124; Winter Das Abtretungsverbot in der Berufshaftpflichtversicherung, RuS 2001 133; Wussow Vereinbarkeit des Abtretungsverbots in § 7 Ziff. 3 AHB mit § 9 AGBG, WJ 1998 47.

Übersicht 1

V. 1. 2.

Beginn und Dauer des Verfügungsverbots 23 23 Beginn 28 Dauer

VI.

Prozessuales

C.

Abtretungsklauselverbot (§ 108 30 Abs. 2)

Verfügungsverbot über Freistellungsan11 spruch (§ 108 Abs. 1)

I. 1.

I.

Gegenstand des relativen Verfügungsver11 bots

2.

30 Anwendungsbereich Formularmäßig vereinbartes Abtretungsver30 bot Mittelbare Beschränkungen des Abtretungs33 rechts

II.

Geschädigter als Begünstigter des Verfügungs12 verbots

II.

Gegenstand des Klauselverbots

III. III.

Adressat des Verfügungsverbots

Personelle Reichweite des Abtretungsver36 bots

IV. 1. 2.

16 Begriff der Verfügung i. S. d. § 108 Abs. 1 16 Rechtsgeschäftliche Verfügung Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung 19 und Arrestvollziehung Aufrechnung des VR gegenüber dem Drit21 ten 21 a) Forderungen gegen den VN 22 b) Forderungen gegen den Dritten

D.

Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Frei38 stellungsanspruchs an den Dritten

I.

Rechtsverhältnis zwischen dem geschädigten 39 Dritten und dem VR 39 Anspruch auf Zahlung a) Umwandlung des Freistellungsanspruchs 39 in einen Zahlungsanspruch 40 b) Fälligkeit des Zahlungsanspruchs

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

II.

Inhalt und Normzweck

2

III.

Rechtspolitische Bewertung

IV.

Anwendungsbereich

B.

3.

327

29

5

10

15

1.

34

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

c)

2. 3.

4.

II. 1. 2.

III. 1. 2.

Versicherungsvertragliche Einwendun45 gen 47 d) Verjährung des Zahlungsanspruchs e) Gerichtsstand für Zahlungsklage des Drit48 ten gegen den VR Abtretung des Freistellungsanspruchs nach Fest51 stellung des Haftpflichtanspruchs Rechtslage nach Abtretung des Freistellungsanspruchs vor Feststellung des Haftpflichtan52 spruchs 53 a) Haftung streitig 59 b) Deckung streitig Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im 63 Zahlungsprozess 63 a) Stand der Diskussion 64 b) Stellungnahme 68 Rechtsverhältnis zwischen VR und VN Abweisung der Zahlungsklage mangels Haf68 tung Abweisung der Zahlungsklage mangels De69 ckung a) Verletzung der Obliegenheit zur Schadens70 abwehr/-minderung b) Verletzung der Obliegenheit zur Überlas73 sung der Prozessführung Rechtsverhältnis zwischen VN und geschädig74 tem Dritten Qualifikation des der Abtretung zugrunde lie74 genden Rechtsverhältnisses Rechtsfolgen nach klageweiser Geltendmachung des Zahlungsanspruchs durch den Geschädig76 ten

a) b) c)

77 Obsiegen des Dritten 80 Abweisung der Zahlungsklage Vom Geschädigten zu ergreifende Maßnahmen zum Schutz vor Verjährung des Haft82 pflichtanspruchs 86

IV.

Anzeige der beabsichtigten Abtretung

E.

Abdingbarkeit von § 108

I.

Massenrisiken

II. 1. 2.

89 Großrisiken und laufende Versicherung 89 § 108 Abs. 1 90 § 108 Abs. 2 90 a) Reichweite des § 210 92 b) Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. BGB) 92 aa) Abweichung von § 108 Abs. 2 96 bb) Abweichung von § 398 BGB c) Besonderheiten in der D&O-Versicherung 99 von Innenhaftungsansprüchen

F.

Beweislast

G.

Österreichisches Recht/Principles of Europe101 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

87

87

100

101 104

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 108 ist die Nachfolgeregelung zu 156 Abs. 1 a. F., der durch das Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kfz-Halter und die Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kfz sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 7.11.1939 Eingang in das VVG gefunden hat.1 In der ursprünglichen Fassung von 1908, aus der mit der Änderung im Jahre 1939 § 156 Abs. 2 a. F. wurde, stellte § 156 VVG 1908 nur Voraussetzungen für die Zahlung des VR an den geschädigten Dritten auf. Abweichend vom bisherigen § 156 Abs. 1 a. F., der auf die Entschädigungsforderung aus dem Versicherungsverhältnis abstellt, bezieht sich § 108 Abs. 1 auf den Freistellungsanspruch. Damit will der Gesetzgeber der Neufassung des § 100 Rechnung tragen. § 156 Abs. 2 a. F. ist ersatzlos gestrichen worden, weil diese Vorschrift nach Ansicht des Gesetzgebers im Widerspruch zu § 100 stand.2 Der VR soll also nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr dazu verpflichtet sein, den VN über bevorstehende Zahlungen an den geschädigten Dritten zu benachrichtigen. Dabei hat der 1 RGBl. I S. 2223. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 86. Koch

328

A. Einführung

VVG § 108

Reformgesetzgeber übersehen, dass sich eine solche Benachrichtigungspflicht auch aus § 241 Abs. 2 BGB ergibt (§ 100 Rn. 101), so dass sich die Rechtslage insoweit nicht geändert hat. Eine Neuerung enthält § 108 Abs. 2, wonach die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten nicht mehr durch Allgemeine Versicherungsbedingungen ausgeschlossen werden kann. Entgegenstehende Formularvereinbarungen sind unwirksam.3

II. Inhalt und Normzweck § 108 Abs. 1 enthält eine Verfügungsbeschränkung.4 Danach sind rechtsgeschäftliche Verfügun- 2 gen des VN sowie im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgende vollstreckungsrechtliche Verfügungen über den Freistellungsanspruch gegen den VR dem oder den geschädigten Dritten gegenüber unwirksam. Es handelt sich um ein relatives Verfügungsverbot i. S. v. § 135 Abs. 1 BGB, durch das sichergestellt wird, „dass die Entschädigung unter allen Umständen dem Dritten zugutekommt“.5 Der geschädigte Dritte kann daher den Freistellungsanspruch selbst dann pfänden und sich überweisen lassen, wenn der VN nicht mehr Inhaber dieses Anspruchs ist. Der BGH sieht die Verfügungsbeschränkung als Ausdruck der „Sozialbindung der Haftpflichtversicherung“ an.6 Dieser Schutzzweck gebietet es nicht, Privatversicherer (z. B. Sachversicherer) oder Sozialversicherungsträger vom Anwendungsbereich des § 108 Abs. 1 auszunehmen, auf die die Haftpflichtansprüche des Geschädigten übergegangen sind (§ 86 Abs. 1 S. 1, § 116 Abs. 1 SGB X) oder die einen originären Ersatzanspruch gegen den einen Personenschaden verursachenden Arbeitnehmer gem. § 110 SGB VII haben.7 Sie werden ebenfalls vor nachteiligen Verfügungen des VN geschützt. § 108 Abs. 2 beschränkt in Abweichung von § 399 Alt. 2 BGB die (Formular-)Vertragsge- 3 staltungsfreiheit des VR und ist die Antwort des Gesetzgebers auf die vor der Reform geübte Vertragspraxis, nach der es dem VN untersagt war, Versicherungsansprüche vor ihrer endgültigen Feststellung ohne ausdrückliche Zustimmung des VR zu übertragen (vgl. § 7 Abs. 3 AHB i. d. F. vor der Reform des VVG).8 Hierdurch wollten die VR die – wegen § 399 Alt. 1 BGB9 und § 156 Abs. 1 S. 1 a. F. ohnehin nur an den geschädigten Dritten mögliche – Abtretung des Freistellungsanspruchs verhindern. Sie wollten sich bezüglich dieser Ansprüche nur mit ihrem VN auseinandersetzen müssen, nicht dagegen mit dem geschädigten Dritten, in dessen Hand der Freistellungsanspruch (i. w. S.) sich in einen Zahlungsanspruch umwandelt (§ 100 Rn. 134 f.). Hinter dieser Vertragspraxis stand auch die Befürchtung der VR, dass der VN in einem Prozess des Geschädigten gegen sie nicht mehr als Gegner des Geschädigten agieren, sondern vielmehr dessen Standpunkt einnehmen und als Zeuge zu dessen Gunsten aussagen werde.10 Das Abtretungsverbot sollte nach den Vorstellungen der Versicherungswirtschaft verhindern, dass VN 3 BTDrucks. 16/3945 S. 87. 4 Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 18. 5 Motive S. 639; vgl. Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 15; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 1, 47; Langheid/Rixecker/ Langheid § 108 Rn. 1.

6 BGH 22.7.2009 – IV ZR 265/06, VersR 2009 1485, 1485; BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90, 91; BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, VersR 2001 235, 236; BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223; BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655, 655 f.; OLG Naumburg 25.7.2013 – 2 U 23/13, RuS 2013 431, 433; Langheid/Wandt/ Wandt § 108 Rn. 1. 7 A.A. OGH 26.9.2018 – 7 Ob 105/18v, VersR 2019 842, 843; OGH 10.12.2014 – 7Ob164/14i, ECLI:AT:OGH0002:2014: 0070OB00164.14I.1210.000 (zu §§ 156, 157 VersVG). 8 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 6. 9 Vgl. BGH 12.10.2011 – IV ZR 163/10, RuS 2012 74 Rn. 8 (Abtretung eines Freistellungsanspruchs ist allerdings trotz § 399 Alt. 1 BGB zulässig, wenn sie an den Gläubiger der Forderung, von welcher der VN zu befreien ist, erfolgt). 10 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 4; R. Koch FS Winter 346; Littbarski PHi 2007 176, 178 f.; Thalmair ZVersWiss Supplement 2006 459, 464; Mack/Terrahe PHi 2005 28, 32; Winter RuS 2001 133, 137; Baumann Festgabe Zivilrechtslehrer 34 ff. 329

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

und geschädigter Dritter kollusiv zum Nachteil des VR zusammenwirken.11 Die Rechtsprechung sah diese Bedenken der VR im Grundsatz als berechtigt an und bejahte deshalb die Wirksamkeit des Abtretungsverbots.12 Lediglich in den Fällen, in denen der Dritte einen vollstreckbaren Titel in den Händen hielt, aufgrund dessen er ohne Weiteres in den Freistellungsanspruch des VN hätte vollstrecken können,13 oder der VR die Deckung verweigerte und der VN den Anspruch nicht selbst verfolgen wollte,14 ließen sie die Berufung auf das Abtretungsverbot nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen fehlenden berechtigten Interesses des VR nicht gelten. In der Literatur hat diese Rechtsprechung ganz überwiegend Zustimmung erfahren.15 § 108 Abs. 2 entspricht funktional den Klauselverboten ohne Wertungsmöglichkeit nach 4 § 309 BGB, allerdings ohne Beschränkung auf die Verwendung gegenüber Verbrauchern. An die Stelle der unwirksamen Regelung tritt gem. § 306 Abs. 2 BGB16 die gesetzliche Regelung des § 398 BGB. Es handelt sich mithin bei § 108 Abs. 2 nicht um ein Verbotsgesetz, sondern um eine zur endgültigen Unwirksamkeit führende Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht.17 Das Klauselverbot erfasst auch Formularregelungen, die die Vorausabtretung des Freistellungsanspruchs untersagen, wie sie z. B. im Rahmen der Produkthaftpflichtversicherung denkbar sind.

III. Rechtspolitische Bewertung 5 § 108 Abs. 2 ist – ebenso wie die Abschaffung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots durch § 105 – das Ergebnis einer umfassenden Neubewertung nicht nur der Interessen von VR und VN, sondern auch des geschädigten Dritten. Der Reformgesetzgeber bewertet das Interesse des VN, keinen Rechtsstreit über seine Haftung mit dem Dritten führen zu müssen, höher als die zuvor von der Rechtsprechung zur Rechtfertigung des Abtretungsverbots akzeptierten Beweggründe der VR. Dies macht die nachstehend wiedergegebene Gesetzesbegründung deutlich18: „Nach der neuen Regelung in § 108 Abs. 2 VVG-E ist ein generelles Abtretungsverbot, das sich aus den AVB ergibt, nicht wirksam. Ein Bedürfnis für diese Bestimmung ergibt sich aus der hiervon abweichenden Regelung in § 7 Ziff. 3 AHB. Von der Rechtsprechung ist in zahlreichen Fällen festgestellt worden, dass die Berufung des Versicherers auf das Abtretungsverbot als Verstoß gegen Treu und Glauben zu beurteilen ist, wenn es nicht durch ein berechtigtes Interesse des Versicherers gedeckt ist. Der Versicherungsnehmer kann nämlich ein Inte-

11 Vgl. R. Koch FS Winter 346; Winter RuS 2001 133, 137; Baumann Festgabe Zivilrechtslehrer 34 ff. 12 St. Rspr., vgl. BGH 21.4.2004 – IV ZR 113/03, NJW-RR 2004 1100, 1102; BGH 25.11.1999 – VII ZR 22/99, NJW-RR 2000 1220, 1221; BGH 26.3.1997 – IV ZR 137/96, NJW-RR 1997 919, 920 f. = VersR 1997 1088, 1090 f.; BGH 13.7.1983 – IVa ZR 226/81, VersR 1983 945; BGH 4.5.1983 – IVa ZR 106/81, VersR 1983 823; OLG Köln 13.11.2007 – 9 U 204/06, RuS 2008 239, 241; OLG Karlsruhe 20.3.2003 – 12 U 214/02, NJOZ 2003 1009, 1011; OLG Köln 13.11.2001 – 9 U 14/00, NVersZ 2002 515, 517; OLG Stuttgart 15.7.1999 – 7 U 266/98, NVersZ 2000 95, 96; OLG Düsseldorf 10.9.1996 – 4 U 42/95, RuS 1997 494, 495; s. auch BGH 12.10.2011 – IV ZR 163/10, RuS 2012 74, 75. 13 RG 29.3.1938 JRPV 1938 247, 248; OLG Saarbrücken 8.9.2004 – 5 U 21/04-1, NJOZ 2005 283; OLG Düsseldorf 28.10.1982 – 10 U 49/82, VersR 1983 625, 626; Hans. OLG Hamburg 21.12.1971 – 7 U 51/71, VersR 1972 631. 14 OLG Frankfurt/M. 7.12.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 620; Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH zurückgewiesen durch Beschl. vom 5.12.2012 – IV ZR 56/12 (nicht veröffentlicht). 15 Z. B. Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 AHB § 7 Rn. 8; Littbarski § 7 Rn. 42; Späte § 7 Rn. 17; R. Johannsen RuS 1997 309, 315; krit. Baumann Festgabe Zivilrechtslehrer 30 ff.; Winter RuS 2001 133, 139. 16 Vgl. BGH 16.1.1992 – IX ZR 113/91, NJW 1992 896, 897 (zur Anwendbarkeit des § 6 AGBG a. F., wenn die Unwirksamkeit sich nicht aus dem AGB-Gesetz, sondern aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergibt); OLG Nürnberg 29.1.1986 – 4 U 3370/85, NJW-RR 1986 782, 783 (für den Fall eines Verstoßes gegen §§ 84 ff. HGB); BAG 21.4.2016 – 8 AZR 474/14, NZA 2016 1409 Rn. 42; Palandt/Grüneberg § 306 Rn. 5. 17 Vgl. Palandt/Ellenberger § 134 Rn. 6a. 18 BTDrucks. 16/3945 S. 86. Koch

330

A. Einführung

VVG § 108

resse daran haben, den Geschädigten an den Versicherer zu verweisen, wenn dieser einen Haftpflichtanspruch in Frage stellt, den der Versicherungsnehmer – vielleicht wegen seiner Beziehungen zu dem Geschädigten – nicht einfach zurückweisen möchte. Die neue Regelung entspricht auch den Interessen des Geschädigten. Dieser hat häufig keine Kenntnis vom Innenverhältnis zwischen schädigendem Versicherungsnehmer und dem Haftpflichtversicherer. Nachteile für den Geschädigten können sich in den Fällen ergeben, in denen sich der Versicherungsnehmer nicht um die Angelegenheit kümmert und z. B. den Versicherer pflichtwidrig nicht informiert; auch im Fall der Insolvenz des Versicherungsnehmers ist die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Haftpflichtversicherer erschwert. [Hervorhebung durch den Verfasser]

Im Verhältnis zwischen VR und geschädigtem Dritten misst der Reformgesetzgeber dem Inte- 6 resse des VR, den Dritten auf einen Prozess gegen den VN zu verweisen, in dem die Haftungsfrage geklärt wird, geringere Bedeutung zu als dem Interesse des Dritten, Haftung und Deckung in einem Verfahren, das gegen den VR geführt wird, klären lassen zu können. Aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass es das erklärte Ziel des Gesetzgebers ist, den Geschädigten in die Lage zu versetzen, den VR nach der Abtretung des Freistellungsanspruchs direkt auf Zahlung in Anspruch zu nehmen19: „Die neue Regelung entspricht auch den Interessen des Geschädigten. Dieser hat häufig keine Kenntnis vom Innenverhältnis zwischen schädigendem Versicherungsnehmer und dem Haftpflichtversicherer. Nachteile für den Geschädigten können sich in den Fällen ergeben, in denen sich der Versicherungsnehmer nicht um die Angelegenheit kümmert und z. B. den Versicherer pflichtwidrig nicht informiert; auch im Fall der Insolvenz des Versicherungsnehmers ist die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Haftpflichtversicherer erschwert. § 108 Abs. 2 VVG-E hat zum Ergebnis, dass der schädigende Versicherungsnehmer seinen Befreiungsanspruch gegen den Versicherer an den geschädigten Dritten – und nur an diesen – abtreten kann; dieser wird dadurch in die Lage versetzt, den Versicherer direkt in Anspruch zu nehmen.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

Die Reform-Kommission hatte in ihrem Abschlussbericht dem letzten Satz als Halbsatz noch hinzugefügt: „ohne Abtretung kann er das nur bei der Pflichtversicherung“.20 Für den Fall, dass der VR die Haftpflicht des VN und seine Deckungspflicht bestreitet, bleiben 7 somit sowohl dem VN als auch dem Geschädigten die Führung zweier Prozesse erspart, wenn der VN seinen Freistellungsanspruch an den Geschädigten abtritt und diesen dadurch in die Lage versetzt, den VR unmittelbar auf Zahlung in Anspruch zu nehmen. § 108 Abs. 2 ist weiterer Ausdruck dafür, dass der Gesetzgeber mit der Reform des VVG die Stärkung des Schutzes des geschädigten Dritten in der Haftpflichtversicherung bezweckt und die damit verbundene Abschwächung des (prozessualen) Trennungsprinzips (Vor §§ 100–112 Rn. 107 ff.) bewusst in Kauf nimmt.21 Das Ziel der Verbesserung des Geschädigtenschutzes ist von Bedeutung für die Frage der Anwendung von § 108 Abs. 2 auf die Versicherung von Großrisiken (hierzu später Rn. 90 ff.). Die verfahrensmäßigen Erleichterungen für VN und geschädigten Dritten verschlechtern 8 die Rechtsstellung des VR nicht. Bereits vor der Reform bestand die Gefahr des einvernehmlichen Zusammenwirkens von VN und Geschädigtem bis hin zur Kollusion. So war es dem VN in seiner Rolle als Prozesspartei möglich, durch ein Tatsachenzugeständnis die Wirkung des § 288 ZPO herbeizuführen.22 Eine mit dem Tatsachenzugeständnis vergleichbare Bindungswirkung (im Haftpflichtprozess) kommt der Zeugenaussage des VN (im Deckungsprozess) nicht zu. Insoweit steht der VR sogar besser da als nach früherer Rechtslage, denn „ein vernünftiger Richter wird bei der Würdigung der Bekundungen des VN nicht entscheidend darauf abstellen, ob er als Partei 19 BTDrucks. 16/3945 S. 87. 20 KomE S. 81. 21 Vgl. BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34; OLG Naumburg 27.11.2017 – 1 U 105/17, BeckRS 2017 154403. 22 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 62. 331

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

angehört und erforderlichenfalls vernommen wird oder ob er als Zeuge aussagt“.23 Zudem berücksichtigen die Gerichte bei der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO das starke Eigeninteresse des VN am Ausgang des Rechtsstreits.24 Selbst wenn der VN seinen Freistellungsanspruch nicht nur abgetreten, sondern darüber hinaus den vom Dritten geltend gemachten Haftpflichtanspruch anerkannt haben sollte, drohen dem VR keine Nachteile, da er an das Anerkenntnis nur insoweit gebunden ist, als der Haftpflichtanspruch nach der materiellen Rechtslage tatsächlich besteht (vgl. auch Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016, A1-4.1 S. 3 AVB PHV/AVB BHV, A-6.1 S. 3 AVB D&O).25 Die Abtretung des Freistellungsanspruchs kann sich für den geschädigten Dritten als prob9 lematisch erweisen, wenn Tatsachen sowohl für die Haftung als auch für die Deckung gleichermaßen bedeutsam sind, also Voraussetzungsidentität (§ 106 Rn. 23 ff.) gegeben ist. So liegt der Fall, wenn der Geschädigte Schmerzensgeldansprüche gegen den VN geltend macht und im Hinblick auf die Bedeutung des Verschuldens für die Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs eine vorsätzliche Schadensherbeiführung des VN behauptet. Die Klage des Dritten wäre infolge der Leistungsfreiheit des VR nach § 103 wegen Unschlüssigkeit abzuweisen.26 Deshalb spricht Retter die Empfehlung aus, von einer Abtretung an den geschädigten Dritten abzusehen, wenn die Frage des Verschuldensgrads für den Haftpflichtanspruch des Dritten entscheidend ist.27 Die Abtretung des Freistellungsanspruchs kann aber auch für den VN nachteilig sein, weil der Dritte jedenfalls im Falle einer Abweisung der Klage gegen den VR mangels Deckung vom VN Ersatz der Prozesskosten nach § 670 BGB verlangen kann (Rn. 80).

IV. Anwendungsbereich 10 § 108 gilt nicht – auch nicht analog – in der Seeversicherung (§ 209).28 In der obligatorischen Haftpflichtversicherung greift § 108 grundsätzlich ein.29 Er ist dort jedoch ohne größere praktische Bedeutung, soweit dem Geschädigten unter den Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 S. 1 ein eigener Direktanspruch gegen den VR zusteht.

B. Verfügungsverbot über Freistellungsanspruch (§ 108 Abs. 1) I. Gegenstand des relativen Verfügungsverbots 11 Gegenstand des relativen Verfügungsverbots nach § 108 Abs. 1 ist der Freistellungsanspruch des VN (Eigenversicherung) und/oder der versicherten Personen (Fremdversicherung) gegen den VR i. S. d. § 100. Da die Freistellung auch Kosten und Zinsen umfasst (vgl. § 101 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2), die der VN dem Dritten zu erstatten hat, gilt die Verfügungssperre auch für den auf Freistellung von diesen Positionen gerichteten Anspruch des VN.30 Eigene (Prozess-)Kosten des

23 Vgl. auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 62; Prölss/Martin/Lücke AHB Ziff. 28 Rn. 3; Schirmer ZVersWiss Supplement 2006 427, 436; Winter RuS 2007 133, 138; Baumann Festgabe Zivilrechtslehrer 36 f. 24 Vgl. BGH 14.12.2000 – IX ZR 332/99, NJW 2001 826, 827. 25 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 62. 26 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 63; Langheid VersR 2007 865, 867. 27 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 64. 28 BGH 5.7.1971 – II ZR 271/67, BGHZ 56 339, 345 = VersR 1971 1012, 1014; LG Düsseldorf 15.6.1990 – 39 O 17/90, VersR 1991 298, 299; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 34; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 19. 29 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 18. 30 Vgl. OLG Köln 10.6.2008 – I-9 U 144/07, VersR 2009 391, 394; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 16. Koch

332

B. Verfügungsverbot über Freistellungsanspruch (§ 108 Abs. 1)

VVG § 108

VN bleiben vom Verbot dagegen unberührt.31 Der Anspruch auf Sicherheitsleistung (§§ 101 Abs. 3, 107 Abs. 2) ist dagegen ebenfalls von dem Verfügungsverbot ergriffen.32

II. Geschädigter als Begünstigter des Verfügungsverbots Gem. § 108 Abs. 1 S. 1 sind Verfügungen über den Freistellungsanspruch dem Dritten gegen- 12 über unwirksam. Dritter ist – wie auch sonst in der Haftpflichtversicherung – der Geschädigte, der einen in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallenden Haftpflichtanspruch geltend macht.33 Ist die Haftpflichtversicherung als reine Fremdversicherung ausgestaltet und sind Ansprüche des VN gegen die versicherten Personen versichert, kann auch der VN Dritter sein. So liegt der Fall in der D&O-Versicherung von Innenhaftungsansprüchen (z. B. aus § 93 Abs. 2 AktG).34 Bei mehreren Geschädigten ist jeder von ihnen im Verhältnis zu den anderen Dritter i. S. d. § 108 Abs. 1.35 Überschreiten die Forderungen der Dritten zusammen die Versicherungssumme, hat der VR nach § 109 S. 1 zu verfahren. § 108 Abs. 1 entfaltet in diesem Fall keine Sperrwirkung, wie sich aus § 109 S. 2 ergibt.36 Aus § 109 S. 2 folgt des Weiteren, dass § 108 Abs. 1 anwendbar bleibt, wenn der VR dem einzelnen Dritten mehr gezahlt hat, als ihm nach der Regelung des § 109 S. 1 gebührte.37 Verfügungen zugunsten des geschädigten Dritten fallen grundsätzlich nicht unter das 13 Verbot des § 108 Abs. 1 S. 1.38 Insoweit ist das Verbot des § 108 Abs. 1 S. 1 teleologisch zu reduzieren.39 Für die Abtretung des Freistellungsanspruchs folgt dies aus dem Klauselverbot in § 108 Abs. 2. § 399 Alt. 1 BGB steht der Abtretung an den Geschädigten nicht entgegen. Zwar ist nach der Rechtsprechung ein Befreiungsanspruch (= Freistellungsanspruch i. w. S.) nach § 399 Alt. 1 BGB grundsätzlich nicht abtretbar. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn er an den Gläubiger der Schuld abgetreten, in dessen Person er sich dann in einen Zahlungsanspruch umwandelt.40 Damit stellt sich die Frage, wie mit den Fällen umzugehen ist, in denen der Haftpflichtan- 14 spruch auf den Sozialversicherungsträger übergegangen ist (z. B. §§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 1 SGB X). Da sich der Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger nach der Rechtsprechung bereits im Zeitpunkt des haftungsbegründenden Schadensereignisses vollzieht,41 ist der Geschädigte im Zeitpunkt der Abtretung des Freistellungsanspruchs nur insoweit noch Gläubiger des Haftpflichtanspruchs, als dieser nicht auf den Sozialversicherungsträger übergegangen ist, und nur insoweit ist die Abtretung an den Geschädigten wirksam. Blieb dieser Umstand 31 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 12; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 7. 32 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 88; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 12; a. A. ohne Begründung Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 16; differenzierend K. Sieg Ausstrahlungen 150 (Anspruch auf Sicherheitsleistung zur Vollstreckungsabwendung kommt aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht, Anspruch auf Sicherheitsleistung für Rentenleistung kann Verfügungssperre unterliegen); offen lassend Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 7. 33 Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 7. 34 Vgl. BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 Rn. 27; BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34; R. Koch VersR 2016 765 f.; ders. ZVersWiss 2012 151, 156 f.; Harzenetter NZG 2016 728 f.; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 77; Lange RuS 2011 185, 186 f.; a. A. Armbrüster NJW 2016 2155, 2156; ders. RuS 2010 441, 448 f.; Ihlas D&O 2. Aufl. (2009) 408 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 7; Schimmer VersR 2008 875, 878 f. 35 Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 20; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 18. 36 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 8. 37 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 20. 38 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 18; Späte § 1 Rn. 203; Winter RuS 2001 133, 135. 39 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 57. 40 St. Rspr., vgl. BGH 14.3.1985 – I ZR 168/82, VersR 1985 753, 754; BGH 22.1.1954 – I ZR 34/53, BGHZ 12 136, 141; vgl. auch BGH 12.10.2011 – IV ZR 163/10, RuS 2012 74, 75. 41 Vgl. BGH 2.12.2003 – VI ZR 243/02, VersR 2004 492, 494. 333

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

bei der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Geschädigten unberücksichtigt, ist die Abtretungsvereinbarung dahin gehend auszulegen, dass eine Teilabtretung gewollt war.42

III. Adressat des Verfügungsverbots 15 § 108 Abs. 1 S. 1 erfasst nur Verfügungen, die von dem Verfügungsberechtigten ausgehen. Verfügungsberechtigt über den Freistellungsanspruch ist grundsätzlich der VN. Im Falle einer Insolvenz des VN geht das Recht, über diese Ansprüche zu verfügen, gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter des VN über.43 Kein Adressat des Verfügungsverbots ist der geschädigte Dritte, so dass seine Verfügungen über den Freistellungsanspruch – in Betracht kommt hier nur eine (Voraus-)Abtretung des Freistellungsanspruchs gegen den VR – von § 108 Abs. 1 S. 1 unberührt bleiben. Ist bei der Fremdversicherung ausnahmsweise (vgl. § 44 Abs. 2) die versicherte Person verfügungsberechtigt, gilt auch für sie die Verfügungssperre.44 Diese ergreift nach Sinn und Zweck des § 108 Abs. 1 S. 1 im Übrigen auch Verfügungen der versicherten Person über Ansprüche aus dem zwischen ihr und dem VN bestehenden Innenverhältnis. Als Beispiel hierfür sei der Verzicht der versicherten Person auf Verschaffung des Versicherungsschutzes durch den VN genannt.45

IV. Begriff der Verfügung i. S. d. § 108 Abs. 1 1. Rechtsgeschäftliche Verfügung 16 Unter Verfügung i. S. d. § 108 Abs. 1 S. 1 ist i. S. d. bürgerlichen Rechts jede rechtsgeschäftliche Handlung zu verstehen, die unmittelbar auf Änderung, Übertragung (Abtretung), Belastung oder Vernichtung des Freistellungsanspruchs gerichtet ist.46 Hierzu zählen insbesondere die Entgegennahme der Entschädigung durch den VN (ohne dass der Dritte zuvor befriedigt worden ist),47 die Ermächtigung zur Einziehung, der Erlass, die Abtretung, die Verpfändung oder Stundung der Forderung (einschließlich der Zinsen), die Aufrechnung gegen oder mit der Forderung, die Mahnung, der Vergleich mit dem VR, die Anerkennung von Gegenrechten des VR sowie der Verzicht.48 Eine rückwirkend vereinbarte Herabsetzung der Versicherungssumme fällt ebenso wie eine im Voraus vor Fälligkeit des Deckungsanspruchs getroffene Verfügung unter Abs. 1.49 Nicht unter § 108 Abs. 1 fallen dagegen vor Eintritt des Versicherungsfalles getroffene Verfügungen (Rn. 23 ff.).50 Keine Verfügung liegt vor, wenn der VN im Rahmen der Fremdversiche-

42 I. E. auch Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 140; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 25, der allerdings Teilunwirksamkeit annimmt und § 139 BGB zur Anwendung bringt.

43 BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 11. 44 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 11; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 58; Berliner Kommentar/ Baumann § 156 Rn. 8; Späte § 1 Rn. 205. 45 Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 12. 46 Vgl. BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223 („Der Begriff Verfügung wird hier im üblichen, rechtstechnischen Sinn gebraucht“); ÖOGH 2.9.2005 – 7 Ob 74/05, VersR 2006 1143, 1144; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 17; Späte § 1 Rn. 203. 47 Vgl. BGH 30.10.1954 – II ZR 131/53, BGHZ 15 154, 157; BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655, 656; BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223. 48 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 59; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 9. 49 BGH 21.1.1976 – IV ZR 123/74, VersR 1976 477, 479; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 59; Berliner Kommentar/ Baumann § 156 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 9; Späte § 1 Rn. 203. 50 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 88. Koch

334

B. Verfügungsverbot über Freistellungsanspruch (§ 108 Abs. 1)

VVG § 108

rung seine Befugnis gem. § 45 Abs. 1 über den Freistellungsanspruch zu verfügen, auf den Versicherten als Inhaber des Anspruchs überträgt.51 Handlungen des VN zum Zwecke der Erfüllung von Obliegenheiten sind ebenfalls keine 17 Verfügungen, da sie auf den Erhalt der Versicherungsforderung gerichtet sind. Rein passives Verhalten oder ein solches Verhalten, das als Obliegenheitsverletzung ein Leistungsverweigerungsrecht begründen kann, stellt ebenfalls keine Verfügung dar.52 Bei Obliegenheitsverletzungen fehlt regelmäßig der rechtsgeschäftliche Wille, auf den Bestand des Rechtes verfügend einzuwirken. Sie stellen vielmehr tatsächliches Verhalten dar und können das Erlöschen der Versicherungsforderung nicht bewirken.53 Vielmehr begründen sie nur ein Leistungsverweigerungsrecht des VR, in dessen Belieben es steht, ob er sich darauf beruft.54 Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 156 Abs. 1 S. 1 a. F. kann sich der VR dem Geschädig- 18 ten gegenüber nicht auf Leistungsfreiheit wegen einer Auskunftsobliegenheitsverletzung des VN berufen, wenn die Obliegenheitsverletzung gerade darin besteht, dass die Befriedigung des Dritten wahrheitswidrig behauptet wird.55 Diese Rechtsprechung ist auch nach der Reform des VVG bedeutsam. Zwar stellt sich in einer solchen Konstellation die Frage nach der Kausalität der Obliegenheitsverletzung für den Umfang der Leistungspflicht, da sich dieser nicht erhöht. Jedoch ist der Geschädigte schutzbedürftig, weil eine solche Behauptung in der Regel den Tatbestand der Arglist erfüllen wird und es deshalb für die Leistungsfreiheit auf Kausalität nicht ankommt (vgl. Ziff. 26 S. 6 AHB 2016, B3-3.3.3 S. 3 AVB BHV/AVB PHV). In dieser Konstellation ist dem VR die Berufung auf die Leistungsfreiheit nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausnahmsweise zu versagen.56 Dagegen lässt sich die analoge Anwendung von § 108 Abs. 1 S. 1, die in der Literatur für diesen Fall vorgeschlagen wird,57 mit der Rechtsnatur der Obliegenheit als Einrede nicht in Einklang bringen.

2. Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung und Arrestvollziehung § 108 Abs. 1 S. 2 stellt – ebenso wie § 135 Abs. 1 S. 2 BGB – der rechtsgeschäftlichen Verfügung 19 eine Verfügung gleich, die im Wege der Zwangsvollstreckung (§§ 829, 835 ZPO) oder der Arrestvollziehung (§§ 916 ff. ZPO) erfolgt. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird § 108 Abs. 1 S. 2 durch § 772 ZPO ergänzt.58 Als Folge des Verfügungsverbots kann der Dritte gem. § 772 Abs. 1 S. 2 ZPO nach Maßgabe des § 771 ZPO Drittwiderspruchsklage erheben.59 Bei einem Verstoß gegen § 772 ZPO kann er nach § 766 ZPO mit der Erinnerung vorgehen.60 Darüber hinaus hat der Dritte die Möglichkeit, sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO einzulegen. Rechtshandlungen des VN kann er ggf. nach dem AnfG anfechten.61 Auch der VR kann in seiner Eigenschaft

51 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 75. 52 Vgl. BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223; LG Köln 14.2.2002 – 24 O 215/01, VersR 2003 97, 98; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 64; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 11; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 12. 53 Vgl. BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223. 54 Vgl. BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223; s. a. BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, RuS 2005 143 f. 55 Vgl. BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223. 56 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider § 24 Rn. 150a; Armbrüster RuS 2010 441, 452. Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 19. 57 Für eine analoge Anwendung von § 108 Abs. 1 S. 1. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 65; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 10. 58 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 65; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 9. 59 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 48; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 65; Späte § 1 Rn. 203. 60 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 48. 61 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 65. 335

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

als Drittschuldner Erinnerung nach § 766 ZPO erheben, wenn eine Überweisung des Freistellungsanspruchs entgegen § 772 ZPO erfolgt.62 20 Verfügungen des Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren des VN werden grundsätzlich von § 108 Abs. 1 S. 2 nicht erfasst. Hiergegen bietet § 110 Schutz.63 § 108 Abs. 1 S. 2 ist vor allem von Bedeutung für den Fall, dass die Versicherungssumme überschritten wird. Hier greift § 109 mit seinem Grundsatz der verhältnismäßigen Aufteilung unter den Anspruchsstellern ein. § 108 Abs. 1 S. 2 stellt in diesem Zusammenhang zusätzlich klar, dass § 109 nicht gegenüber Zwangsvollstreckungsakten eines der Dritten zurücktritt. Nicht aber verträgt § 108 Abs. 1 S. 2 eine Auslegung in dem Sinne, dass damit auch eine Pfändung durch Gläubiger des Dritten verhindert wird. Vielmehr ist der in einen Zahlungsanspruch umgewandelte Freistellungsanspruch des Dritten pfändbar.64

3. Aufrechnung des VR gegenüber dem Dritten 21 a) Forderungen gegen den VN. Fraglich ist, ob der VR gegenüber dem geschädigten Dritten mit fälligen (Prämien-)Forderungen, die ihm gegenüber seinem VN zustehen, aufrechnen kann. Hiergegen wurden von der älteren Literatur Bedenken geäußert, weil die Aufrechnung in ihrer Wirkung der Zwangsvollstreckung in den Freistellungsanspruch entspreche. Sie sei deshalb nach dem Rechtsgedanken des § 156 Abs. 1 S. 2 a. F. unzulässig.65 Diese Meinung ist jedoch zu Recht mehrheitlich auf Ablehnung gestoßen.66 Der BGH hat die analoge Anwendung des § 156 Abs. 1 S. 1 a. F. mit Blick auf das Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kfz-Halter und die Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kfz sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 7.11.193967 wegen Fehlens einer gesetzlichen Regelungslücke abgelehnt. Durch diese Neuregelung seien § 35b a. F. und § 158g a. F. eingefügt und § 156 a. F. neu gefasst worden. § 35b a. F. regele die Aufrechnungsmöglichkeit des VR für alle Versicherungszweige. Lediglich für die Pflichtversicherung entfalle sie nach § 158g a. F. (nunmehr § 121). Daraus folgert der BGH, dass § 35b a. F. für die übrige Haftpflichtversicherung gelte.68 Nach dem Schutzgedanken des § 156 Abs. 1 S. 1 a. F. sei eine Aufrechnung mit Forderungen aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag jedoch nur zuzulassen, soweit die Forderungen bis zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls bereits fällig seien:69 „Denn wenn nach § 156 Abs. 1 VVG anerkanntermaßen die Entgegennahme der vom Versicherer gezahlten Versicherungsentschädigung durch den Versicherungsnehmer als Verfügung des Versicherungsnehmers im Verhältnis zum geschädigten Dritten unwirksam ist, …, kann es der Versicherungsnehmer nach dem Zweck der Vorschrift nicht in der Hand haben, durch schlichte Einstellung der Prämienzahlungen nach Eintritt des Schadensfalles den Versicherer zu einer Aufrechnung zu veranlassen und damit mittelbar doch eine ‚Verfügung‘ über den Versicherungsanspruch zu treffen.“70

Diese Rechtsprechung gilt nach der Reform fort.71 Die zeitliche Beschränkung der Abzugsmöglichkeit auf Prämien gem. § 35, die vor dem Versicherungsfall fällig geworden sind, betrifft auch die 62 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 48; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 18; Musielak/Voit/Lackmann ZPO § 766 Rn. 19; ablehnend Hans. OLG Hamburg 15.2.1966 – 6 W 10/66, MDR 1966 515, 516. 63 Vgl. BGH 2.4.2009 – IX ZR 23/08, NJW-RR 2009 964 = VersR 2009 821, 822; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 67; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 10. 64 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. 91; Späte § 1 Rn. 203. 65 Vgl. Müller/Stüler S. 27, 28; früher auch Sieg Ausstrahlungen S. 189 ff. m. w. N. 66 Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 36; Späte § 1 Rn. 208; Wussow § 3 Anm. 6; K. Sieg VersR 1964 693, 695. 67 RGBl. I S. 2223. 68 BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655. 69 BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, VersR 2001 235, 236; BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655, 656. 70 BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655, 656. 71 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 14; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 35. Koch

336

B. Verfügungsverbot über Freistellungsanspruch (§ 108 Abs. 1)

VVG § 108

Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts72 und die Aufrechnung gem. § 406 BGB mit anderen Ansprüchen des VR gegen den VN als solchen aus demselben Vertragsverhältnis.73

b) Forderungen gegen den Dritten. Das relative Verfügungsverbot gem. § 108 Abs. 1 lässt das 22 Recht des VR unberührt, mit eigenen Forderungen aufzurechnen, die ihm gegen den Dritten zustehen. Zu beachten ist jedoch, dass eine Aufrechnungslage nur dann gegeben ist, wenn dem Dritten ein unmittelbarer Zahlungsanspruch gegen den VR – z. B. nach Abtretung des Freistellungsanspruchs – zusteht.74 V. Beginn und Dauer des Verfügungsverbots 1. Beginn Der Wortlaut von § 108 Abs. 1 lässt offen, ab welchem Zeitpunkt das Verfügungsverbot zum 23 Tragen kommt. Die Rechtsprechung hat sich hierzu noch nicht ausdrücklich geäußert. In seinem Urteil vom 21.1.1976 stellt der BGH fest: „[D]ie in dem Verzicht liegende Verfügung über den Deckungsanspruch … [ist] jedoch gemäß § 156 Abs. 1 S. 1 [a. F.] gegenüber dem Geschädigten … unwirksam. Unerheblich ist dabei, dass in dem Zeitpunkt, in dem der Verzicht erklärt wurde, die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen war. Auch eine im Voraus getroffene Verfügung über einen erst künftig fällig werdenden Deckungsanspruch fällt unter den Schutzbereich des § 156 Abs. 1 S. 1 VVG“.75 [Hervorhebung durch den Verfasser]

In seiner Entscheidung vom 8.4.1987 führt der BGH dagegen aus, dass das Verfügungsverbot des § 156 Abs. 1. S. 1 a. F. „erst mit dem Entstehen des Entschädigungsanspruchs zu Gunsten des Dritten zum Tragen [komme]; erst mit dem Schadensereignis ist der Versicherungsanspruch zu Gunsten des Dritten verfangen“.76

Auf den ersten Blick scheinen die Entscheidungen widersprüchlich zu sein, weil in dem Urteil 24 aus dem Jahre 1976 auf die Schadensursache, bei dem späteren Urteil hingegen auf den Schadenseintritt abgestellt wird. Berücksichtigt man jedoch, dass es in dem älteren Urteil um eine Deckung ging, die auf dem Verstoßprinzip beruhte (Architektenhaftpflichtversicherung), lässt sich dieser Widerspruch dahin gehend auflösen, dass der BGH in beiden Fällen das Verfügungsverbot mit dem Eintritt des Versicherungsfalls hat beginnen lassen.77 Dieser Befund steht nicht im Widerspruch zu dem im Rahmen des § 100 gefundenen Ergebnis, demzufolge die Schadensursache den Eintritt des Versicherungsfalls notiert. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt (§ 100 Rn. 14 ff.), ist der Zeitpunkt nur dann maßgeblich, wenn die Parteien des Haftpflichtversicherungsvertrages keinen abweichenden Anknüpfungspunkt vereinbart haben. Zu Recht weist R. Johannsen zudem darauf hin, dass die Unterschiede zwischen dem Deckungssystem nach der Verstoß- und dem nach der Schadensereignistheorie wertneutral sind und sich demgemäß im

72 Vgl. RG 27.5.1938 – VII 16/38, RGZ 158 6, 14 f.; OLG Köln 10.6.2008 – I-9 U 144/07, VersR 2009 391, 394; Prölss/ Martin/Lücke § 108 Rn. 14; Späte § 1 Rn. 208. 73 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 35 f. 74 Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 14; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 37; Späte § 1 Rn. 208. 75 BGH 21.1.1976 – IV ZR 123/74, VersR 1976 477, 479. 76 BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655 f. 77 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 68. 337

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

Einzelfall sowohl zugunsten als auch zulasten des VN (und des geschädigten Dritten) auswirken können.78 25 Auf Verfügungen über den Freistellungsanspruch, die vor Eintritt des Versicherungsfalls getroffen wurden, findet das Verbot in § 108 Abs. 1 S. 1 somit keine Anwendung.79 Sie können gem. § 138 BGB unwirksam sein, zu Schadensersatzansprüchen gem. § 826 BGB oder zur Anfechtung nach §§ 1 und 3 AnfG führen.80 So sind VN und VR z. B. nicht daran gehindert zu vereinbaren, dass der VR die Rentenzahlungen in voller Höhe nur bis zur Erschöpfung der Versicherungssumme erbringt. Eine solche Vereinbarung im Haftpflichtversicherungsvertrag stellt keine vorweggenommene Verfügung im Sinne des § 108 Abs. 1 S. 1, sondern eine zulässige Bestimmung des Inhalts des Haftpflichtversicherungsanspruchs dar.81 Sie ist nicht anders zu beurteilen als etwa die Absprache über die Höhe der Versicherungssumme, einen Selbstbehalt und die Anrechnung von Kosten auf die Versicherungssumme.82 26 Grundsätzlich scheitert auch die Vorausabtretung des Freistellungsanspruchs nicht an § 108 Abs. 1 S. 1. Hierbei dürfte es sich ohnehin nur um ein sehr theoretisches Szenario handeln, weil eine solche Abtretung in Hinblick darauf, dass der VN die Haftpflichtansprüche des Dritten aus dem eigenen Vermögen befriedigen müsste, für ihn selbst dann keinen Sinn macht, wenn es sich um eine Sicherungsabtretung handelt, weil es nur zu einem Gläubigertausch kommt. Die wenigen Situationen, die überhaupt ernsthaft in Betracht kommen, dürften bei der nach § 138 BGB anzustellenden Gesamtwürdigung zur Unwirksamkeit der Vorausabtretung und des ihr zugrundeliegenden Vertrags führen. So liegt der Fall, wenn es sich bei dem VN um eine GmbH handelt, die mögliche Freistellungsansprüche gegen den VR an ihre Gläubiger im Voraus abtritt, um zu verhindern, dass ihre Gesellschafter als Bürgen in Anspruch genommen werden, wenn es zu einem Haftpflichtfall kommt, der die Insolvenz der GmbH zur Folge hat. Sittenwidrig wäre auch eine Vorausabtretung des Freistellungsanspruchs an den Gesellschafter der GmbH. Hier käme vorrangig das Anfechtungsgesetz zum Tragen:83 je nachdem, ob die Vorausabtretung (als Verfügungsgeschäft) auf einem entgeltlichen Vertrag beruht oder nicht, hat der Geschädigte gegen den Gesellschafter Ansprüche gem. § 3 Abs. 1, Abs. 4 AnfG oder § 4 AnfG. 27 R. Johannsen hat sich für eine analoge Anwendung des § 156 Abs. 1 S. 1 a. F. in den Fällen ausgesprochen, in denen Ursache des Schadens und Eintritt des Versicherungsfalls zeitlich auseinanderfallen und VR und VN den „Schwebezustand“ zu ungewöhnlichen Handlungen ausnutzen, die darauf abzielen, den Drittschutz zu verhindern.84 Als Beispiel nennt er die Aufhebung eines Vertrages, die der VR mit dem VN in sicherer Erkenntnis dessen vereinbart, dass in aller Kürze aus der Lieferung fehlerhafter Waren der Eintritt von Schadenereignissen zu erwarten ist. Betroffen von dieser Problematik sind Haftpflichtdeckungen, bei denen der Versicherungsfall durch das Schadenereignis (z. B. Ziff. 1.1 AHB 2016, A1-3.1 AVB BHV/AVB PHV) oder durch die Geltendmachung des Anspruchs („claims made“) ausgelöst wird. Wandt hat sich dieser Ansicht angeschlossen und plädiert für eine analoge Anwendung von § 108 Abs. 1 S. 1 auf solche Rechtsgeschäfte in dem Schwebezeitraum zwischen Verstoß und Schadensereignis, die für den VR erkennbar darauf abzielen, den von § 108 Abs. 1 bezweckten Schutz des Dritten zu unterlaufen („ungewöhnliche Rechtsgeschäfte“).85 Indessen ist fraglich, ob die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von § 108 Abs. 1 vorliegen, handelt es sich bei relativen VeräuBruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 92. A. A. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 73. RG 31.1.1936 – VII 220/35, RGZ 150 181, 183 ff.; RG 29.9.1936 – III 46/36, JW 1936 3531; Späte § 1 Rn. 203. Wie hier Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 107 Rn. 9; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 155 Rn. 16; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 107 Rn. 79 f.; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 71; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 107 Rn. 24; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 36. 82 R. Koch VersR 2016 1405, 1410. 83 Vgl. BGH 23.4.2002 – XI ZR 136/01, BB 2002 1227, 1229. 84 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 92; vorsichtiger Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 10. 85 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 73.

78 79 80 81

Koch

338

C. Abtretungsklauselverbot (§ 108 Abs. 2)

VVG § 108

ßerungsverboten i. S. v. § 135 BGB schließlich um Ausnahmeregelungen, die – wenn überhaupt – nur beschränkt analogiefähig sind. Die von R. Johannsen und Wandt beispielhaft aufgeführten Fälle dürften im Übrigen jeweils die Tatbestände der §§ 138, 826 BGB erfüllen, so dass kein Bedürfnis für eine Erweiterung besteht. Die analoge Anwendung von § 108 Abs. 1 ließe zudem kaum eine Bewertung der Besonderheiten des Einzelfalls zu. Die besseren Argumente sprechen deshalb gegen eine analoge Anwendung von § 108 Abs. 1 S. 1.

2. Dauer Die relative Verfügungssperre nach § 108 Abs. 1 hat Bestand bis zur Befriedigung des geschä- 28 digten Dritten. Weist der VN nach, dass er den Dritten befriedigt hat, so darf der VR an den VN zahlen. Das Erlöschen der Schutzfunktion des § 108 Abs. 1 ist dabei endgültig. Zahlt der Dritte etwa infolge eines Versehens an den VN den geleisteten Betrag zurück, so lebt das Veräußerungsverbot nicht wieder auf. Etwas anderes gilt, wenn der Dritte eine Teilleistung berechtigterweise nach § 266 BGB zurückweist. Der Schutz des § 108 Abs. 1 endet auch dann, wenn die Befriedigung des Dritten durch eine von diesem oder dem VN erklärte Aufrechnung vorgenommen worden ist. Die Parteien des Haftpflichtverhältnisses haben es insoweit nicht in der Hand, durch eine entsprechende Vereinbarung die Sperrwirkung des § 108 Abs. 1 wieder in Kraft treten zu lassen. Schon vor der Befriedigung eines geschädigten Dritten endet der Schutz des § 108 Abs. 1, wenn der Dritte nach Eintritt des Versicherungsfalls auf die Rechte aus dieser Vorschrift verzichtet oder seine Zustimmung zur Verfügung erteilt. Hierfür genügt eine einseitige Willenserklärung gegenüber dem VN nur dann, wenn diese zur Weiterleitung an den VR bestimmt ist und bestimmungsgemäß weitergeleitet wird.

VI. Prozessuales Der VN ist berechtigt, den Freistellungsanspruch gerichtlich geltend zu machen. Dieses Recht 29 wird durch § 108 Abs. 1 S. 1 nicht berührt, weil es sich bei der gerichtlichen Geltendmachung nicht um eine Verfügung handelt. Da der VN jedoch nicht zur Entgegennahme der Entschädigung berechtigt ist, muss er auf Leistung an den geschädigten Dritten klagen. Klagt er auf Zahlung an sich selbst, ist die Klage unbegründet, es sei denn, er hat den Haftpflichtanspruch befriedigt (vgl. § 106 S. 2).86 Auch bei Feststellung des Haftpflichtanspruchs des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich kann der VN, soweit der Dritte nicht bereits durch ihn befriedigt wurde, nur Zahlung an den Dritten, nicht aber an sich selbst verlangen.87

C. Abtretungsklauselverbot (§ 108 Abs. 2) I. Anwendungsbereich 1. Formularmäßig vereinbartes Abtretungsverbot Unter welchen Voraussetzungen ein Abtretungsverbot (§ 399 Alt. 1 BGB) als Allgemeine Versiche- 30 rungsbedingung zu qualifizieren ist, beurteilt sich nach den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften. Gem. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB muss das Abtretungsverbot für eine Vielzahl von Versicherungsverträgen aufgestellt („vorformuliert“) worden sein. Eine „Vielzahl“ liegt in der Regel vor, 86 ÖOGH 11.9.2008 – 7 Ob 84/08s, VersR 2009 854, 856. 87 ÖOGH 11.9.2008 – 7 Ob 84/08s, VersR 2009 854, 856; ÖOGH 22.9.1983 – 7 Ob 39/83, VersR 1984 1195. 339

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

wenn eine Klausel tatsächlich mindestens dreimal verwendet worden ist.88 Dabei kommt es nicht auf die tatsächlich wiederholte Verwendung der Klausel an. Entscheidend ist vielmehr die Mehrfachverwendungsabsicht des Verwenders.89 Will er die Klausel mindestens dreimal verwenden, liegt eine allgemeine Vertragsbedingung bereits bei erstmaliger Anwendung der Klausel vor. 31 Nach Sinn und Zweck des § 108 Abs. 2 richtet sich die Beschränkung des Abtretungsverbots gegen den VR als Verwender. Soweit Maklerbedingungen formularmäßig ein Abtretungsverbot enthalten, greift § 108 Abs. 2 deshalb nicht ein. Es fehlt an der Verwendereigenschaft des VR.90 Fraglich ist, ob § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB (zur einmaligen Verwendung bestimmte Klauseln) Anwendung findet, soweit es sich bei dem VN um einen Verbraucher i. S. v. § 13 BGB handelt. Diese eher theoretisch bedeutsame Frage dürfte zu bejahen sein. Zwar wird in der Gesetzesbegründung nur auf § 305 BGB Bezug genommen.91 Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber das Klauselverbot gem. § 108 Abs. 2 vom Anwendungsbereich des § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB ausnehmen wollte. Insoweit kann § 108 Abs. 2 bereits bei Absicht nur einmaliger Verwendung eingreifen. 32 Ist das Abtretungsverbot das Ergebnis einer Individualvereinbarung i. S. v. §§ 305 Abs. 1 S. 3, 305b BGB, kommt § 108 Abs. 2 nicht zur Anwendung.92 Allerdings kann die Berufung auf ein individuell vereinbartes Abtretungsverbot rechtsmissbräuchlich sein. Insoweit gilt die Rechtsprechung (zum formularmäßigen Abtretungsverbot) vor der Reform des VVG fort. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn das Abtretungsverbot „nicht von einem beachtlichen, im Zweckbereich der Bestimmung liegenden Interesse gedeckt wird“.93 So liegt der Fall, wenn der Dritte einen vollstreckbaren Titel in Händen hält, aufgrund dessen er in den Freistellungsanspruch vollstrecken kann.94 Beruft sich der VR gegenüber einer auf die Abtretung gestützten Klage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug nicht auf das Verbot, ist darin eine konkludente Genehmigung der Abtretung zu sehen.95

2. Mittelbare Beschränkungen des Abtretungsrechts 33 Unwirksam sind gem. § 306a BGB solche Regelungen, mit denen „eine als AGB unwirksame Regelung bei gleicher Interessenlage durch eine andere rechtliche Gestaltung erreicht werden soll, die nur den Sinn haben kann, dem gesetzlichen Verbot zu entgehen“ (Umgehungsverbot).96 Von dem Klauselverbot werden deshalb nicht nur als Abtretungsverbot vorformulierte Regelungen erfasst, sondern auch mittelbar wirkende, den VN von der Abtretung abhaltende formularmäßige Beschränkungen der Leistungspflicht des VR. Hierzu zählen sowohl Ausschlüsse als auch Regelungen, die als vertragliche Obliegenheit ausgestaltet sind und denen der VN im Falle der Abtretung nicht mehr nachkommen könnte. Als mittelbare Beschränkung sind auch Abreden anzusehen, die Beweislastregeln, die den Haftpflichtanspruch betreffen und den Geschädigten begünstigen, für den Fall der Abtretung des Freistellungsanspruchs zum Nachteil des Geschädigten ändern (Rn. 64 ff.). 88 89 90 91 92 93

Vgl. BGH 27.9.2001 – VII ZR 388/00, NJW 2002 138, 139; BAG 23.9.2010 – 8 AZR 897/08, NJW 2011 408. BGH 13.9.2001 – VII ZR 487/99, ZIP 2001 1921 f. Vgl. BGH 22.7.2009 – IV ZR 74/08, VersR 2009 1477, 1478 zu Makler-AGB. BTDrucks. 16/3945 S. 87. Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 87. BGH 13.7.1983 – IVa ZR 226/81, VersR 1983 945; BGH 4.5.1983 – IVa ZR 106/81, VersR 1983 823; BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 327, 329 f. = VersR 1964 709 f.; OLG Köln 13.11.2007 – 9 U 204/06, RuS 2008 239, 240; OLG Saarbrücken 15.9.1999 – 5 U 389/99-28, VersR 2002 351, 352. 94 OLG Saarbrücken 8.9.2004 – 5 U 21/04-1, VersR 2005 394, 395; OLG Düsseldorf 28.10.1982 – 10 U 49/82, VersR 1983 625, 626; Hans. OLG Hamburg 21.12.1971 – 7 U 51/71, VersR 1972 631; vgl. auch Langheid/Rixecker/Langheid § 156 Rn. 7. 95 BGH 25.11.1953 – II ZR 7/53, BGHZ 11 120, 122; OLG Stuttgart 2.8.2005 – 10 U 88/05, VersR 2006 1489, 1490; OLG Köln 17.4.1975 – 1 U 162/74, VersR 1975 1113, 1114. 96 BGH 8.3.2005 – XI ZR 154/04, NJW 2005 1645, 1646; Palandt/Grüneberg § 306a Rn. 2. Koch

340

C. Abtretungsklauselverbot (§ 108 Abs. 2)

VVG § 108

II. Gegenstand des Klauselverbots § 108 Abs. 2 bezieht sich dem Wortlaut nach auf die Abtretung des Freistellungsanspruchs.97 34 Gemeint ist – wie bei § 108 Abs. 1 – der versicherungsrechtliche Freistellungsanspruch i.e.S. des § 100, nicht der bürgerlich-rechtliche Freistellungsanspruch i. w. S., der auch den Rechtsschutzanspruch umfasst.98 Der aus § 100 folgende Anspruch des VN auf Abwehr unbegründeter Haftpflichtansprüche ist aufgrund der Zweckbindung nach § 399 Alt. 1 BGB nicht abtretbar;99 er ist untrennbar mit der Person des VN verbunden. Vereinzelt im Schrifttum geäußerte Zweifel an der isolierten Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs i. e. S.100 sind unbegründet angesichts des relativen Verbots von Verfügungen über den Freistellungsanspruch i. e. S. nach § 108 Abs. 1, wozu auch die Abtretung zu zählen ist.101 Baumann hat darauf hingewiesen, dass bei Zugrundelegung des bürgerlich-rechtlichen weiten Verständnisses die Probleme, die sich aus der Aufspaltung von Freistellungs- und Rechtsschutzkomponente ergeben, vermieden werden könnten.102 Ein solches Begriffsverständnis würde in der Tat helfen, manche sich aus der Aufspaltung ergebenden rechtlichen Verwicklungen zu vermeiden, da sich der so verstandene weite Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch umwandelte und somit auch den Rechtsschutzanspruch zum Erlöschen brächte. Der VR schuldete dem VN dann keinen Rechtsschutz mehr, wenn der Dritte seinen Schadensersatzanspruch gegen den VN nach Abweisung der Klage gegen den VR mangels Haftung weiterverfolgte. Gegen ein weites Begriffsverständnis spricht jedoch, dass dem VN durch den Verlust des Rechtsschutzanspruchs im Falle einer Abtretung letztlich doch Nachteile drohten, was den Zweck konterkarieren würde, den der Gesetzgeber mit der Einführung eines Klauselverbots verfolgt hat.103 Im Übrigen stünde die Annahme eines Freistellungsanspruchs i. w. S. im Widerspruch zu 35 § 100, der zwischen einer Freistellungsverpflichtung im Hinblick auf begründete Ansprüche (Freistellungsanspruch i. e. S.) und einer Abwehrpflicht im Hinblick auf unbegründete Ansprüche unterscheidet.104 Da der Dritte infolge der i. d. R. erfüllungshalber erfolgten Abtretung verpflichtet ist, zunächst den VR auf Zahlung in Anspruch zu nehmen (Rn. 74), droht dem VR auch keine gleichzeitige Inanspruchnahme seitens des VN (auf Rechtsschutz) und des Dritten (auf Zahlung).105 Es besteht deshalb auch keine Gefahr widersprüchlicher Urteile der vom Dritten einerseits und vom VN andererseits angerufenen Gerichte.106 Durch die Aufspaltung kann es deshalb allenfalls zu einer Erhöhung der insgesamt für die Anspruchsabwehr aufzuwendenden Kosten kommen (Rn. 71).

97 Nach Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 106 verbietet es § 108 Abs. 2 nicht, eine Verpfändung des Freistellungsanspruchs an den Dritten auszuschließen. 98 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 24; R. Koch FS Winter 351; a.A. Baumann VersR 2010 984, 985 f.; wohl auch Schramm/Wolf RuS 2009 358 f. 99 Ebenso Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 89; Lange RuS 2011 185, 188; Armbrüster RuS 2010 441, 448; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 23; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 31; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anhang C D&O-Versicherung Rn. 51; Ihlas 405; R. Koch FS Winter 351; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 31; Schirmer ZVersWiss Supplement Jahrestagung 2006 427, 429; Thume VersR 2010 849, 851; Winter RuS 2001 133, 135. 100 Schramm/Wolf RuS 2009 358 f. 101 Zu Recht Armbrüster RuS 2010 441, 448; v. Rintelen RuS 2010 133, 134. 102 Baumann VersR 2010 984, 986. 103 Vgl. auch Lange RuS 2011 185, 188. 104 Baumann VersR 2010 984, 985. 105 Vgl. auch Baumann VersR 2010 984, 985, der es als unzulässige Rechtsausübung ansieht, wenn der VN das ihm verbliebene Abwehrrecht aktiv gegenüber dem VR verfolgt, solange der Dritte berechtigterweise gegen den VR vorgeht; Armbrüster RuS 2010 441, 450. 106 So aber Baumann VersR 2010 984, 989; Lange RuS 2007 401, 405. 341

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

III. Personelle Reichweite des Abtretungsverbots 36 Das Klauselverbot erfasst nur die Untersagung der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den geschädigten Dritten. Im Rahmen einer als Fremdversicherung ausgestalteten Haftpflichtversicherung kann auch der VN geschädigter Dritter sein, wie der BGH zu Recht klargestellt hat (§ 100 Rn. 180).107 Abzulehnen ist die in der Literatur zur D&O-Versicherung vertretene Ansicht, nur „außerhalb des Vertragsverhältnisses stehende Personen“ seien Dritte i. S. v. § 108 Abs. 2, nicht hingegen die geschädigte Gesellschaft in ihrer Eigenschaft als VN.108 Wenn und soweit man der D&O-Versicherung von Innenhaftungsansprüchen den Charakter als Haftpflichtversicherung nicht absprechen will – und dies tun diejenigen nicht, die sich gegen eine Anwendung von § 108 Abs. 2 aussprechen – muss die Gesellschaft als geschädigter Dritter i. S. d. § 100 angesehen werden. Insoweit ist eine einheitliche Bestimmung der Person des Dritten im Recht der Haftpflichtversicherung vom Gesetzgeber gewollt und im Sinne einer widerspruchsfreien Auslegung des VVG geboten.109 37 Unberührt von § 108 Abs. 2 bleiben formularmäßige Abtretungsverbote (vgl. Ziff. 28 S. 1 AHB 2012), die sich auf die Abtretung des Freistellungsanspruchs an einen sonstigen Vierten beziehen.110

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten 38 Das Klauselverbot des § 108 Abs. 2 beschränkt sich unmittelbar darauf, einem formularmäßig vereinbarten Abtretungsverbot die Wirksamkeit zu nehmen. Wie aus der Gesetzesbegründung deutlich wird (Rn. 5 f.), wollte der Gesetzgeber durch die Neuregelung jedoch auch klarstellen, dass Freistellungsansprüche an den geschädigten Dritten grundsätzlich abgetreten werden dürfen, um diesem eine direkte Inanspruchnahme des VR zu ermöglichen. Bei mehreren Geschädigten ist eine Teilabtretung möglich.111 Dies gibt Anlass dazu, die Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs bezogen auf das Verhältnis zwischen VR und VN, VR und geschädigtem Dritten sowie VN und geschädigtem Dritten in den Blick zu nehmen.

I. Rechtsverhältnis zwischen dem geschädigten Dritten und dem VR 1. Anspruch auf Zahlung 39 a) Umwandlung des Freistellungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch. In der Hand des geschädigten Dritten wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch gegen den VR (§ 100 Rn. 134 f.). Erfolgt die Abtretung ausnahmsweise an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 1 BGB), z. B. weil der Geschädigte und der VN für den Fall der erfolglosen Geltendmachung 107 BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 Rn. 27; BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34. 108 Ihlas D&O 2. Aufl. (2009) 408 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 6; Schimmer VersR 2008 875, 878; Armbrüster VersR 2010 441, 448; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 7. 109 R. Koch VersR 2016 765 f.; ders. ZVersWiss 2012 151, 156 f.; Harzenetter NZG 2016 728 f.; Langheid/Wandt/ Wandt § 108 Rn. 77; Lange RuS 2011 185, 186 f.; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 41 ff.; Langheid/Goergen VersPrax 2007 1661, 166. 110 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 16; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 15; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 24. 111 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 140. Koch

342

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

des Zahlungsanspruchs gegen den VR vereinbaren, dass der Geschädigte auf eine Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs verzichtet (§ 397 BGB), erlischt mit der Abtretung erstens der Haftpflichtanspruch und zweitens wandelt sich der Freistellungsanspruch endgültig in einen Zahlungsanspruch in der Person des Dritten um. Regelmäßig erfolgt die Abtretung jedoch nur erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB),112 so dass der Haftpflichtanspruch gegen den VN nicht erlischt, sondern neben den in einen Zahlungsanspruch umgewandelten Freistellungsanspruch gegen den VR tritt, und der Geschädigte verpflichtet ist, zunächst beim VR aus dem Zahlungsanspruch Befriedigung zu suchen (Rn. 74).113 In dieser Konstellation kann es zu einem Wiederaufleben des Freistellungsanspruchs des VN kommen, wenn die Klage gegen den VR aufgrund mangelnder Haftung des VN abgewiesen und der Geschädigte daraufhin den Geschädigten in Anspruch nimmt und obsiegt (zu dieser Konstellation s. Rn. 58).

b) Fälligkeit des Zahlungsanspruchs. Ist der Freistellungsanspruch im Zeitpunkt der Abtre- 40 tung bereits fällig i. S. v. § 106 S. 1, entsteht infolge der Abtretung in der Person des Dritten ein fälliger Zahlungsanspruch.114 Umstritten ist, nach welcher Vorschrift die Fälligkeit des Zahlungsanspruchs des Dritten zu beurteilen ist, wenn der Freistellungsanspruch im Zeitpunkt der Abtretung noch nicht fällig ist. Hierzu werden im Grundsatz drei unterschiedliche Ansichten vertreten. Die eine will § 106 S. 1 auch auf den Freistellungsanspruch anwenden.115 Nach der anderen findet § 14 als allgemeine Regelung für die Fälligkeit von Geldleistungen des VR Anwendung.116 Wandt lehnt die Anwendung von § 14 mit der Begründung ab, der Zahlungsanspruch sei aus dem Freistellungsanspruch hervorgegangen. Zudem regele § 106 S. 1 speziell die Fälligkeit der Leistung des VR in Form der Zahlung an den Dritten. Eine teleologische Reduktion mit Blick auf den Zweck der 2-Wochenfrist lehnt Wandt mit der Begründung ab, diese Frist diene nicht nur der Prüfung der Leistungspflicht, sondern auch der Bereitstellung der zur Erfüllung notwendigen Mittel.117 Eine dritte Ansicht, die von Baumann vertreten wird, spricht sich für eine analoge Anwendung von § 106 S. 1 aus, will aber die 2-wöchige Frist des § 106 S. 1 nach Sinn und Zweck entfallen lassen.118 Er wendet sich gegen die unmittelbare Anwendung von § 14 u. a. mit dem Argument, dass dann auch Abschlagszahlungen nach Maßgabe des § 14 Abs. 2 verlangt werden könnten.119 Unter Umständen komme eine „mittelbare Anwendung“ des § 14 in Betracht.120 Der BGH ist in seinen Urteilen zur Inanspruchnahme des D&O-Versicherers durch die VN in 41 ihrer Eigenschaft als geschädigte Dritte nicht auf die Frage der Fälligkeit des Anspruchs eingegangen,121 was den Schluss darauf erlaubt, dass er den Anspruch als fällig angesehen hat.122 Anderenfalls hätten die Klagen „als zurzeit unbegründet“ abgewiesen werden müssen. Für die Ansicht Wandts scheint auf den ersten Blick zu sprechen, dass der Zahlungsanspruch aus dem Freistel112 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34. 113 Vgl. auch Lehmann RuS 2018 6, 13; zur Diskussion um die dogmatische Verortung des Zahlungsanspruchs s. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 27 ff.; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 119 f.; Langheid/Rixecker/ Langheid § 108 Rn. 23; Langheid VersR 2007 865, 866 f.; ders. VersR 2009 1043, 1044 f.; ders. FS Winter 377 f.; Hösker VersR 2013 952, 954 f.; Grooterhorst/Looman NZG 2015 215, 216 (für die D&O-Versicherung). 114 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 123. 115 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 124; Schramm/Wolf RuS 2009 358, 360. 116 R. Koch RuS 2009 133, 135; Armbrüster RuS 2010 441, 450; v. Rintelen RuS 2010 133, 137; Hösker VersR 2013 952, 955. 117 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 124. 118 Baumann VersR 2010 984, 987. 119 Baumann VersR 2010 984, 987. 120 Baumann VersR 2010 984, 992. 121 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34; vgl. auch BGH 20.4.2016 – IV ZR 531/14, VersR 2016 783, 784. 122 So auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 39; MAH VersR/Sieg § 17 Rn. 191; a. A. Looschelders/ Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anhang C D&O-Versicherung Rn. 55. 343

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

lungsanspruch hervorgeht und insoweit dem VR im Grundsatz alle Einwendungen erhalten bleiben, die gegen den Freistellungsanspruch bestehen (hierzu sogleich Rn. 45 f.). Dagegen wiegt das Argument, § 106 S. 1 regele speziell die Fälligkeit der Leistung des VR in Form der Zahlung an den Dritten, nicht sonderlich schwer, weil die Verpflichtung zur Zahlung an den Dritten aus § 108 Abs. 1 S. 1 folgt.123 Thomas weist zu Recht darauf hin, dass § 106 strukturell das Auseinanderfallen der Gläubigerstellung von Haftpflicht- und Deckungsanspruch voraussetzt.124 Insgesamt sprechen die besseren Argumente gegen eine Anwendung von § 106 S. 1, wenn 42 inzident über die Haftpflicht als Vorfrage im Zahlungsprozess des Dritten befunden wird.125 Für diesen Fall ergibt die Einräumung einer solchen Frist keinen Sinn, weil es erstens an einer Grundlage für die Prüfung der Haftpflichtigkeit des VN – rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis, Vergleich, Befriedigung – und deshalb auch an jeglichem Anknüpfungspunkt für den Beginn der 2-Wochenfrist fehlt, der VR daher zweitens weder irgendeine Bindungswirkung prüfen kann noch drittens für die Bereitstellung der Zahlungsmittel Sorge tragen muss. Die Zahlungsklage des Geschädigten müsste deshalb mangels Fälligkeit – wie zuvor bereits erwähnt – als zurzeit unbegründet abgewiesen werden. Dieser besonderen Situation kann nur durch Anwendung von § 14 Abs. 1 (als im Vergleich zu § 271 BGB sachnähere Regelung) Rechnung getragen werden. Sobald der VR (unter Mitwirkung des VN, vgl. § 31 Abs. 1 S. 1 VVG126) die notwendigen Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung beendet hat, wird der Zahlungsanspruch fällig; er wird spätestens fällig mit dem Zugang der Ablehnung der (Geld-)Leistung oder mit der Ankündigung des Antrags auf Klageabweisung. Eine Klage auf künftige Leistung ist somit nicht notwendig.127 § 14 Abs. 2 findet dagegen auf den Zahlungsanspruch des Dritten keine Anwendung finden.128 Soweit Baumann sich einerseits für eine entsprechende Anwendung von § 106 S. 1 aus43 spricht, andererseits aber die dort vorgesehene 2-Wochenfrist entfallen lassen will, überzeugt dies in dogmatischer Hinsicht nicht. Die Existenz dieser aus der Sicht Baumanns zweckwidrigen Frist spricht gerade gegen eine Vergleichbarkeit des hier in Rede stehenden Zahlungsanspruchs des Geschädigten mit dem Freistellungsanspruch des VN.129 Wenn überhaupt wäre an eine analoge Anwendung von § 14 Abs. 1 zu denken, wenn man – entgegen der hier vertretenen Ansicht – eine direkte Anwendung dieser Norm ablehnt. Raum für die Anwendung von § 106 S. 1 bleibt nur in den Fällen, in denen die Abtretung 44 nach Feststellung der Haftpflichtigkeit des VN mit bindender Wirkung für den VR durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich und vor Ablauf der 2-Wochenfrist erfolgt. Mit der Zahlung an den Dritten erfüllt der VR sowohl seine Freistellungspflicht aus dem Versicherungsvertrag als auch die Haftpflichtschuld des VN gegenüber dem Geschädigten.130

45 c) Versicherungsvertragliche Einwendungen. Abgesehen vom Ermessensrecht gem. § 100 zwischen der Freistellung von begründeten und der Abwehr unbegründeter Haftpflichtansprüche, das infolge der Abtretung erlischt (§ 100 Rn. 134 f.), bleiben dem VR auch nach der Umwandlung des Freistellungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch gegenüber dem Geschädigten

123 124 125 126 127 128 129

Vgl. auch v. Rintelen RuS 2010 133, 137. Thomas 458 f. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 39. Vgl. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 29 ff. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 127; Armbrüster RuS 2010 441, 450; v. Rintelen RuS 2010 133, 137 f. A. A. offenbar Hösker VersR 2013 952, 955. Zu den Voraussetzungen einer Analogie vgl. BGH 17.3.2010 – IV ZR 144/08, FamRZ 2010 892; BGH 15.3.2007 – V ZB 145/06, BGHZ 171 350 Rz. 7; BGH 14.12.2006 – IX ZR 92/05, NJW 2007 992, 993; BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 143 = NJW 1988 2733; BGH 13.3.2003 – I ZR 290/00, NJW 2003 1932, 1933; OLG Oldenburg 18.4.2012 – 5 U 196/11, RuS 2012 329, 330. 130 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 134. Koch

344

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

alle Einwendungen erhalten, die sich aus dem Bereich der primären Risikoabgrenzung (z. B. versichertes Risiko, Versicherungsdauer und -summe) und der sekundären Risikoabgrenzung (Ausschlüsse und Obliegenheiten) ergeben (§ 404 BGB).131 Die Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls müssen nach der Abtretung vom Geschädigten bewiesen werden. Hierzu gehört auch der Beweis, dass der VN dem Geschädigten gegenüber haftpflichtig geworden ist. Es reicht somit – anders als beim Anspruch auf Rechtsschutz, der wegen § 399 Alt. 1 BGB nicht abtretbar ist (Rn. 34) – nicht aus, dass der Geschädigte lediglich Tatsachen behauptet, die in den Schutzbereich der Versicherung fallen (§ 100 Rn. 34 ff.). Der Erhalt der Einwendungen gem. § 404 BGB lässt sich damit rechtfertigen, dass es erstens bei dem Anspruch des VN auf Rechtsschutz und Freistellung nur um unterschiedliche Ausprägungen eines deckungsrechtlich einheitlichen Anspruchs geht und es sich zweitens – wie zuvor angesprochen – bei dem Anspruch auf Zahlung lediglich um eine andere Form des Freistellungsanspruchs handelt. Der Freistellungs-/Zahlungsanspruch teilt somit deckungsrechtlich das Schicksal des Rechtsschutzanspruchs, soweit sich nicht aus dem Versicherungsvertrag etwas anderes ergibt. Unabhängig von etwaigen vertraglichen Regelungen können sich bei Obliegenheitsverletzungen Abweichungen wegen des Kausalitätserfordernisses ergeben. So ist denkbar, dass sich die Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit nur nachteilig auf den Umfang des Rechtsschutzanspruchs auswirkt. Ist die Haftpflichtforderung bereits (teilweise) auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen (z. B. §§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 1 SGB X), kann der geschädigte Dritte, an den der Freistellungsanspruch abgetreten worden ist, nur in dem Umfang Zahlung an sich verlangen, in dem der Anspruch nicht auf den Sozialversicherungsträger übergegangen ist (Rn. 14). Vor den Urteilen des BGH zur Inanspruchnahme des D&O-Versicherers durch die VN in ihrer 46 Eigenschaft als geschädigte Dritte132 haben einige Stimmen in der Literatur aus dem „Erfüllungswahlrecht“ des VR herleiten wollen, der VR könne dem Dritten gem. § 404 BGB entgegenhalten, „dass es zunächst einer endgültigen Klärung der Haftpflichtfrage […] – sei es durch Anerkenntnis, Vergleich oder durch rechtskräftiges Urteil in einem gesonderten Haftpflichtprozess – bedürfe, bevor es im Direktprozess zu einem Zahlungsurteil kommen könne“.133 Ferner folge aus § 111 Abs. 1 S. 2, dass der VN es auf Weisung des VR zum Rechtsstreit kommen lassen müsse.134 Abgesehen davon, dass diese Ansicht nicht mit den gesetzgeberischen Vorstellungen zur Einführung des Klauselverbots nach § 108 Abs. 2 vereinbar ist,135 übersehen die Vertreter dieser Ansicht, dass das nach § 100 dem VR eingeräumte Ermessensrecht mit seiner Verpflichtung gegenüber dem VN zum bzw. mit dem Anspruch des VN auf Rechtsschutz und Freistellung korrespondiert. Der VR als Freistellungsschuldner kann sein Ermessensrecht deshalb nur solange ausüben, wie der VN sowohl Gläubiger des Rechtsschutz- als auch des Freistellungsanspruchs ist. Daran fehlt es nach Abtretung des Freistellungsanspruchs.136 Der VR kann sich vor dem Verlust seines Ermessensrechts nur durch ein individualvertraglich vereinbartes Abtretungsverbot schützen. Im Übrigen lebt das Ermessensrecht wieder auf, wenn der Dritte den infolge der Abtretung in einen Zahlungsanspruch umgewandelten Freistellungsanspruch an den VN rückabtritt (s. Rn. 58). Aus § 111 Abs. 1 S. 2 lässt sich Gegenteiliges nicht herleiten, weil diese Vorschrift nur bedeutsam im Zusammenhang mit einem Kündigungsrecht der Beteiligten nach Eintritt des 131 Vgl. BGH 22.1.1954 – I ZR 34/53, BGHZ 12 136, 141 f. = NJW 1954 795; LG Dortmund 12.7.2007 – 2 O 80/07, RuS 2007 415, 416; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 41; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 26; Langheid/ Rixecker/Langheid § 108 Rn. 17; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 121. 132 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34. 133 Lange RuS 2011 185, 193; ders. VersR 2008 713, 715; vgl. auch Bank VW 2008 730, 733; Halm/Engelbrecht/ Krahe/Halm Kap. 23 Rn. 107; Schramm/Wolf RuS 2009 358, 360; Schramm PHI 2008 24; a. A. Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 26 u. 9. 134 Lange RuS 2011 185, 193 f.; ders. VersR 2008 713, 715. 135 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen § 23 Rn. 32. 136 Vgl. R. Koch RuS 2009 133, 135; ablehnend auch Hösker VersR 2013 952, 954. 345

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

Versicherungsfalls ist (§ 111 Rn. 20).137 Dem VR verbleibt deshalb nur die Möglichkeit, Zahlung an den Dritten mangels Haftung und/oder Deckung zu verweigern. Diese jedermann, der auf Zahlung in Anspruch genommen wird, gegebene Option hat mit dem Ermessensrecht nach § 100 indes nichts gemeinsam.138 Der BGH ist deshalb zu Recht nicht auf den „Einwand des Erfüllungswahlrechts“ eingegangen.139

47 d) Verjährung des Zahlungsanspruchs. Mit der Umwandlung des Freistellungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch beginnt für diese Geldforderung eine neue Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB, soweit der Freistellungsanspruch zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt war (§ 100 Rn. 154).140

48 e) Gerichtsstand für Zahlungsklage des Dritten gegen den VR. Die Abtretung des Freistellungsanspruchs führt nicht dazu, dass der Dritte den VR an seinem Wohnsitz gerichtlich auf Zahlung in Anspruch nehmen kann. Fraglich ist jedoch, ob er den VR gem. § 215 Abs. 1 S. 1 auch am Wohnsitz des VN verklagen kann. Diese Frage ist bislang nicht speziell bezogen auf den Freistellungsanspruch in der Haftpflichtversicherung, sondern nur allgemein für Forderungen aus dem Versicherungsvertrag erörtert worden. Klimke spricht sich gegen eine Anwendung des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG auf einen Zessionar aus, der nur eine einzelne Forderung aus dem Versicherungsvertrag erworben hat, ohne dem VN in dessen Stellung als Vertragspartner nachzufolgen.141 Der Gerichtsstand des § 215 rechtfertige sich nicht mit einer von der Person des Gläubigers unabhängigen Beschaffenheit der Forderung, auf die sich auch ein neuer Gläubiger berufen könne, sondern gerade mit dem (höchstpersönlichen) Interesse des VN an der Durchführung des Rechtsstreits an seinem eigenen jeweiligen Wohnort. Dieser Grund falle mit einem Gläubigerwechsel weg. In Betracht komme daher lediglich eine analoge Anwendung der Norm, wonach der Zessionar am eigenen Wohnort klagen könne. Jedoch sei das Interesse des Zessionars an einem wohnortnahen Prozess im Verhältnis zum VR nicht ebenso schutzwürdig wie das entsprechende Interesse des VN, weil der Zessionar keine mit dem Versicherungsvertrag vergleichbare Sonderbeziehung zum VR habe, die eine prozessuale Besserstellung des neuen Gläubigers im Vergleich zu den §§ 12 ff. ZPO legitimieren könne.142 Brand hebt ergänzend hervor, dass der VR dem Zessionar gegenüber auch nicht zur besonderen Rücksichtnahme verpflichtet sei.143 Die Mehrheit im Schrifttum spricht sich dagegen unter Berufung auf den Wortlaut des § 215 Abs. 1 S. 1 für eine Anwendung auf Klagen des Zessionars aus.144

137 138 139 140

Vgl. Baumann RuS 2011 229, 234. A. A. Armbrüster RuS 2010 441, 449. Vgl. BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395. Vgl. nur BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, BGHZ 155 69, 71 = VersR 2003 900; BGH 12.5.1960 – II ZR 212/58, VersR 1960 554, 555 = NJW 1960 1346; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 55; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reichel § 21 Rn. 84; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider § 24 Rn. 160a; Langheid/ Wandt/Wandt § 108 Rn. 125. 141 Prölss/Martin/Klimke § 215 Rn. 21; Langheid/Rixecker/Rixecker § 215 Rn. 4. 142 Prölss/Martin/Klimke § 215 Rn. 21; vgl. auch Bruck/Möller/Brand § 215 Rn. 19. 143 Bruck/Möller/Brand § 215 Rn. 19. 144 Langheid/Wandt/Looschelders § 215 Rn. 24; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 128a; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 215 Rn. 12; Looschelders/Eichelberg § 215 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Klär § 215 Rn. 8; Looschelders/Heinig JR 2008 265, 268; Fricke VersR 2009 15 f.; zu § 48 a. F. bereits Berliner Kommentar/Gruber § 48 Rn. 4; Bruck/Möller/Möller8 § 48 Anm. 21. Koch

346

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

Die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat sich der Ansicht Klimkes angeschlossen und 49 sich für eine Klage aus abgetretenem Recht für örtlich unzuständig erklärt.145 Ergänzend berufen sich die Gerichte auf die Gesetzesbegründung zu § 215, die allein auf den VN (teilweise sogar nur auf den VN als Verbraucher) abstelle, aber nicht auf einen Dritten als Inhaber von Rechten, die zuvor dem VN zustanden. Der Gesetzgeber habe ausschließlich eine Stärkung des prozessualen Rechtsschutzes des VN in den Blick genommen.146 Die gegen die Anwendung des § 215 Abs. 1 S. 1 auf den Zessionar vorgebrachten Argumente, 50 die im Kern auf eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs hinauslaufen, sind sehr beachtlich und verdienen auch bezogen auf die Abtretung des Freistellungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung Gehör. Da das Wohnsitzgericht des VN und das Wohnsitzgericht des Abtretungsempfängers nicht notwendigerweise örtlich zusammenfallen, würde ein aus Sicht des Abtretungsempfängers wohnortfremdes Gericht völlig zufällig wirken, ohne dass hierfür ein Schutzzweck zugunsten des Abtretungsempfängers erkennbar wird.147 Für eine Reduktion spricht auch, dass der Gesetzgeber § 215 Abs. 1 S. 1 mit Blick auf § 29c ZPO geschaffen hat, der den besonderen Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (nunmehr außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge, § 312b Abs. 1 S. 1 BGB) regelt. Für einige Auslegungsfragen kann daher auf Rechtsprechung und Schrifttum zu § 29c ZPO zurückgegriffen werden.148 Danach gibt § 29c ZPO das Forum für eine bestimmte Person (Verbraucher) und nicht für den Anspruch.149 Insbesondere für den Bereich der (obligatorischen) Haftpflichtversicherung lässt sich noch ein weiteres Argument gegen die Anwendung des § 215 Abs. 1 S. 1 auf den Zessionar anführen. Hierdurch wird vermieden, dass der geschädigte Dritte sich durch die Abtretung – neben dem deliktischen Gerichtsstand (§ 32 ZPO) und dem allgemeinen Gerichtsstand (§ 17 ZPO) – einen weiteren Gerichtsstand für seinen Direktanspruch gegen den VR nach § 115 verschaffen kann, für den § 215 Abs. 1 S. 1. VVG nicht gilt.150

2. Abtretung des Freistellungsanspruchs nach Feststellung des Haftpflichtanspruchs Tritt der VN den Freistellungsanspruch ab, nachdem unter Herrschaft des VR ein Haftungspro- 51 zess durch rechtskräftiges Urteil zum Ende gebracht oder durch den VR oder mit seiner Zustimmung ein Anerkenntnis abgegeben oder ein Vergleich geschlossen worden ist, ist das Trennungsprinzip gewahrt; die dieses Prinzip ergänzende Bindungswirkung in Bezug auf die Haftpflichtigkeit des VN kommt auch dem geschädigten Dritten zugute.151 Der auf Zahlung in Anspruch genommene VR kann diesem gegenüber nicht geltend machen, das Gericht habe die Haftung des VN zu Unrecht bejaht. Unberührt von der gerichtlichen Feststellung der Haftung bleiben Einwendungen des VR hinsichtlich der Deckung, soweit nicht der Grundsatz der Voraussetzungsidentität eingreift (§ 106 Rn. 23). 145 LG Itzehoe 23.12.2015 – 3 O 194/14, VersR 2016 1395 f.; LG Aachen 11.5.2015 – 9 0 464/14, VersR 2016 67, 68; AG Kiel 7.9.2010 – 108 C 320/10, NJW-RR 2011 188, 189; tendenziell auch OLG Hamm 21.10.2013 – 20 W 32/13, VersR 2014 725, 726; vgl. auch LG Halle 15.10.2010 – 5 O 406/10, NJW-RR 2011 114 f. (für den nach § 157 a. F. absonderungsberechtigten Geschädigten). 146 LG Itzehoe 23.12.2015 – 3 O 194/14, VersR 2016 1395, 1396; AG Kiel 7.9.2010 – 108 C 320/10, NJW-RR 2011 188, 189. 147 LG Itzehoe 23.12.2015 – 3 O 194/14, VersR 2016 1395, 1396; AG Kiel 7.9.2010 – 108 C 320/10, NJW-RR 2011 188, 189. 148 Langheid/Wandt/Looschelders § 215 Rn. 4. 149 Vgl. BGH 18.11.2009 u. 10.2.2010 – IV ZR 36/09, VersR 2010 645, 646; OLG München 30.1.2009 – 25 U 3097/07, NJOZ 2009 1210, 1211; LG Aachen 11.5.2015 – 9 0 464/14, VersR 2016 67, 68; Stein/Jonas/Roth § 29c Rn. 1; Musielak/ Heinrich § 29c Rn. 6. 150 Bruck/Möller/Beckmann § 115 Rn. 80; Bruck/Möller/Brand § 215 Rn. 19; Langheid/Wandt/Looschelders § 215 Rn. 37; Schwintowski/Brömmelmeyer/Klär § 215 Rn. 6. 151 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 31; Lange RuS 2007 401, 404; Baumann VersR 2010 984, 989. 347

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

3. Rechtslage nach Abtretung des Freistellungsanspruchs vor Feststellung des Haftpflichtanspruchs 52 Erfolgt die Abtretung erfüllungshalber, ohne dass der Haftpflichtanspruch des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist und bestreitet der VR den Haftpflichtanspruch und/oder den Anspruch auf Versicherungsschutz dem Grunde und/ oder der Höhe nach, sind Haftung (als Vorfrage)152 und/oder Deckung in einem Prozess des geschädigten Dritten gegen den VR zu klären. Hierbei stellen sich schwierige materiellrechtliche und prozessuale Fragen, die nachstehend anhand zweier Beispiele näher beleuchtet werden.

53 a) Haftung streitig. Beispiel: Der VN – ein Zulieferer – wird von seinem Abnehmer wegen eines Produktfehlers (Konstruktionsfehlers) auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Aufgrund der Schilderung des VN gelangt der VR zu dem Ergebnis, dass der VN nicht haftet, weil der Fehler dem Bereich des Entwicklungsrisikos zuzuweisen ist.153 Der VR entscheidet sich daher für Anspruchsabwehr. Der VN möchte den Anspruch seines Abnehmers aus Rücksicht auf die langjährigen Geschäftsbeziehungen jedoch nicht einfach zurückweisen und tritt deshalb seinen Freistellungsanspruch an den geschädigten Dritten ab. Dieser nimmt daraufhin den VR unmittelbar auf Zahlung in Anspruch. Obsiegt der Geschädigte, weil sich im Prozess herausstellt, dass kein Entwicklungsfehler 54 vorliegt, kann er vom VR Zahlung an sich verlangen. Weist das Gericht die Klage des Geschädigten gegen den VR ab, weil es einen Entwicklungsfehler bejaht, entfaltet diese Feststellung nach den allgemeinen gesetzlichen Regeln (§ 325 ZPO) materielle Rechtskraft nur im Verhältnis zwischen dem VR und dem Geschädigten, nicht aber im Verhältnis des Geschädigten zum VN. Eine derartige Rechtskrafterstreckung sieht § 124 Abs. 1 und 3 nur für die obligatorische Haftpflichtversicherung vor.154 Haben der VN und der Geschädigte keine solche Bindungswirkung in dem schuldrechtlichen Vertrag vereinbart, der der Abtretung zugrunde liegt (siehe hierzu unten Rn. 81), ist es deshalb grundsätzlich möglich, dass der Geschädigte noch einen Haftpflichtprozess gegen den VN führt.155 Gleiches gilt, wenn das Gericht zwar eine Haftung bejaht, die Haftpflichtforderung der Höhe jedoch für nicht begründet hält und die Klage deshalb zum Teil abweist.156 Nimmt der Geschädigte deshalb den VN in Anspruch, schuldet der VR dem VN Rechtsschutz, da letzterer nach wie vor Inhaber des – wegen der Zweckbindung an seine Person als Haftpflichtschuldner – nach § 399 Alt. 1 BGB unabtretbaren Anspruchs ist.157 Nach Ansicht einiger Autoren lässt sich dieses für den VR unbefriedigende Ergebnis dadurch vermeiden, dass er im Zahlungsprozess zwischen ihm und dem Geschädigten Widerklage mit dem Antrag erhebt, festzustellen, dass (auch) die Haftpflichtforderung des Geschädigten gegen den VN nicht besteht.158

152 Vgl. BGH 12.3.1975 – IV ZR 102/74, VersR 1975 655, 656 f. 153 Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG; zur deliktischen Produzentenhaftung vgl. MüKo-BGB/Wagner § 823 Rn. 989; BeckOGK/Spindler BGB § 823 Rn. 636.

154 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 139; Lange RuS 2011 185, 196; ders. RuS 2007 401, 404; Prölss/Martin/ Lücke § 108 Rn. 28; Armbrüster RuS 2010 441, 451; Baumann VersR 2010 984, 990; R. Koch FS Winter 351; Thomas 461; Langheid VersR 2007 865, 867 f.; Thume VersR 2010 849, 853; Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen § 23 Rn. 32; a. A. Veith/Gräfe/Schanz § 13 Rn. 21: „Wehrt der VR die Haftung zu Recht ab, bindet das Urteil auch zugunsten des VN“. 155 R. Koch FS Winter 351; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 28; Armbrüster RuS 2010 441, 451; vgl. auch Baumann VersR 2010 984, 990; Langheid VersR 2007 865, 868. 156 Vgl. Baumann VersR 2010 984, 990. 157 A. A. Lange RuS 2011 185, 196; nach Ansicht von Staudinger/Richters DB 2016 2725, 2726 f. und Ramharter Rz. 3/51 Fn. 551 soll der Rechtsschutzanspruch mit der Abtretung des Freistellungsanspruchs erlöschen. 158 Armbrüster RuS 2010 441, 451; Prölss/Martin/Lücke28 § 108 Rn. 28, 30; Baumann VersR 2010 984, 990 f. Koch

348

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

Nach mittlerweile wohl überwiegender Ansicht ist die der Abtretung zugrunde liegende 55 Vereinbarung bei Fehlen einer Regelung im Zweifelsfall dahingehend ergänzend auszulegen, dass die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens der Haftpflichtforderung im Verhältnis zwischen Geschädigtem und VR Rechtskraft auch im Verhältnis von Geschädigtem und VN hat.159 Fraglich ist jedoch, ob die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung vorliegen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Vereinbarung der Parteien eine planwidrige Unvollständigkeit, aufweist. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung vor, „wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dabei kann von einer planwidrigen Regelungslücke nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist.“160

Ob und mit welchem Inhalt die ergänzende Vertragsauslegung zur Verwirklichung des Regelungsplans der Parteien geboten ist, richtet sich danach, „welche Regelung die typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und bestehender AGB-rechtlicher Schranken als redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen die Lückenhaftigkeit des geschlossenen Vertrags bewusst gewesen wäre“.161

Selbst wenn man unterstellt, dass der VN und der Geschädigte sich keine Gedanken darüber gemacht haben, welche Wirkungen die Abweisung der Klage des Geschädigten gegen den VR auf das Verhältnis zwischen ihnen haben soll und deshalb keine Vereinbarung darüber getroffen haben, ist sehr fraglich, ob eine Bindung im Hinblick auf die Feststellungen des Gerichts bezüglich des (Nicht-)Bestehens der Haftung dem berechtigten Interesse des Geschädigten angemessen Rechnung trägt. Dagegen spricht, dass der VN in dem Prozess des Geschädigten gegen den VR die Rolle 56 eines Zeugen einnehmen kann. Dies kann sich für den Geschädigten als nachteilig erweisen, wenn der VR Tatsachen gegen die Haftung des VN vorträgt, die der VN als Zeuge bestätigt. Insoweit sei hier auf die unterschiedliche Bedeutung von Zeugenaussage und Parteianhörung hingewiesen. Zwar ist die Beweisaufnahme nur eine von mehreren Erkenntnisquellen zur Sachverhaltsermittlung; ausdrücklich gebietet § 286 Abs. 1 ZPO eine Entscheidung „unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen“, wozu auch das Vorbringen der Parteien selbst gehört, insbesondere die Anhörung der Parteien nach § 141 ZPO. Das durch förmliche Beweiserhebung gewonnene Ergebnis unterscheidet sich aber von dem Ergebnis der Anhörung der Parteien dadurch, dass das Beweisergebnis bindet, wenn sich nichts Wesentliches dagegen einwenden lässt. Das Ergebnis der Anhörung der Parteien hingegen ist mündlicher Parteivortrag, der bei fortdauerndem Bestreiten der Gegenseite nur dann Entscheidungsgrundlage sein kann, wenn sich nachvollziehbar positiv begründen lässt, dass der Parteivortrag im Gegensatz zum Vorbringen der anderen Seite wahr ist.162 Diese Befürchtungen lassen sich auch nicht durch den Hinweis auf die unterschiedliche Bindung des Gerichts an Zeugenaussagen des VN im Pro159 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 56; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 139; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 13; nunmehr auch Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 28; wohl auch Brinkmann ZIP 2017 301, 305 f. 160 St.Rspr., vgl. nur BGH 17.5.2018 – VII ZR 157/17, NJW 2018 2469 Rn. 23; BGH 20.4.2017 – VII ZR 194/13, NJW 2017 2025 Rn. 25. 161 Vgl. BGH, 3.12.2014 – VIII ZR 370/13, NJW 2015, 1167, Rn. 26 und ständig. 162 Meyke NJW 1989 2032, 2035. 349

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

zess des Geschädigten gegen den VR und Tatsachenzugeständnisse des VN im Haftpflichtprozess ausräumen.163 Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn der VN die Tatsachen bestätigt, die der VR gegen die Haftung vorträgt, würde der VN im nachfolgenden Haftpflichtprozess nicht die vom Geschädigten für seine Haftung vorgetragenen Tatsachen zugestehen. Auch der Hinweis, dass bei der Beweiswürdigung durch den „vernünftigen Richter“ das starke Eigeninteresse des VN am Ausgang des Rechtsstreits zu berücksichtigen sei,164 überzeugt nicht, da ein starkes Eigeninteresse an der Verneinung der Haftung bei bestehendem Versicherungsschutz zu verneinen ist. 57 Hinzukommt, dass bislang nicht geklärt ist, ob die für die Haftung des VN geltende Darlegungs- und Beweislast auch im Prozess des Geschädigten gegen den VR das Maß gibt. So vertreten zahlreiche Autoren aus dem Bereich des Versicherungsrechts und ihnen folgend auch aus dem Bereich des Gesellschaftsrechts die Ansicht, § 93 Abs. 2 S. 2 AktG (analog bei der GmbH) fände keine Anwendung im Prozess der Gesellschaft gegen den D&O-VR.165 Diese Ansicht überzeugt zwar nicht (Rn. 64 ff.). Solange es keine höchstrichterliche Klärung gibt, besteht aber das (Rest-)Risiko für die geschädigte Gesellschaft, dass ihre Klage gegen den VR allein deshalb abgewiesen wird, weil sie im Hinblick auf den inzident zu prüfenden Haftpflichtanspruch als voll beweisbelastete Partei gegen den VR beweisfällig bleibt, während sie den gegen das Organmitglied zu führenden Haftpflichtprozess aufgrund der Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG gewinnen würde. In einer solchen Situation entspricht es nicht dem hypothetischen Willen der geschädigten Gesellschaft, an die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens der Haftpflichtforderung im Verhältnis zum Organmitglied gebunden zu sein.166 Die Problematik mit der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist im Übrigen nicht auf die Organhaftung beschränkt. In der Produkt- und Produzentenhaftung existieren ebenfalls Beweiserleichterungen für den Geschädigten167 und es stellt sich deshalb die Frage, ob die Erleichterungen auch dann gelten, wenn der Geschädigten den VR nach Abtretung des Freistellungsanspruchs auf Zahlung in Anspruch nimmt. Die vorherrschende Meinung verdient deshalb keine Zustimmung. 58 Hat das Gericht die Klage des Geschädigten gegen den VR mangels Haftung des VN abgewiesen und nimmt der Geschädigte nunmehr mit Erfolg den VN auf Zahlung in Anspruch, weil es dessen Parteivortrag unberücksichtigt lässt oder der Geschädigte seinen im Prozess gegen den VR zugrunde gelegten Sachverhaltsvortrag in einem für die Haftung entscheidenden Punkt ändert, kann der VN nur im Falle der Rückübertragung des sich in der Hand des Dritten in einen Zahlungsanspruch umgewandelten Freistellungsanspruchs vom VR Freistellung verlangen. Zur Rückübertragung des Zahlungsanspruchs ist der Dritte auf Verlangen des VN gem. § 667 BGB grundsätzlich verpflichtet, weil die erfüllungshalber vorgenommene Abtretung eine auftragsähnliche Grundlage hat (Rn. 75).168 Dem VN steht hinsichtlich der Erfüllung der Haftpflichtschuld ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB zu, solange nicht die Rückübertragung des Freistellungsanspruchs erfolgt ist.169 Rücküberträgt der Dritte den Zahlungsanspruch an den VN, tritt dieser in seine vorherige Rechtsstellung ein. Der Zahlungsanspruch wandelt sich in der Person des VN zurück in einen Anspruch auf Freistellung, dessen Fälligkeit sich nach § 106 S. 1 bestimmt. Verlangt der VN keine Rückübertragung des Zahlungs163 So aber Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 62. 164 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 62. 165 Vgl. Armbrüster NJW 2016 897, 898; Brinkmann ZIP 2017 301, 306 ff.; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 43; Thomas 461 ff.; Böttcher NZG 2008 645, 648 f.; Ingwersen 96 und 176; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2698 f.; Langheid/ Rixecker/Langheid § 108 Rn. 23; aus dem gesellschaftsrechtlichen Schrifttum BeckOGK/Fleischer AktG § 93 Rn. 280; Kölner Komm AktG/Mertens/Cahn § 93 Rn. 245. 166 Vgl. auch Hinweis auf § 93 AktG von Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 139. 167 Vgl. hierzu BeckOGK/Spindler BGB § 823 Rn. 99 ff.; MüKoBGB/Wagner § 823 Rn. 89. 168 Armbrüster RuS 2010 441, 450; Baumann VersR 2010 984, 989; a. A. Hösker VersR 2013 952, 960. 169 Baumann VersR 2010 984, 989; a. A. Hösker VersR 2013 952, 960. Koch

350

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

anspruchs vom Dritten, kann dieser im Falle der Verurteilung unmittelbar vom VR Zahlung fordern. Die Rechtskraft des ersten Prozesses des Geschädigten gegen den VR steht der erneuten Inanspruchnahme auf Zahlung nicht entgegen, da die Rechtskraft eines die Klage abweisenden Urteils nur den zur Begründung dieser Klage ursprünglich angeführten Sachverhalt ergreift.170

b) Deckung streitig. Beispiel: Wie Beispiel Rn. 53. Auf Grund der Schilderung des VN gelangt 59 der VR jedoch zu dem Ergebnis, dass der VN zwar haftet, er mangels ausreichender Erprobung des Produkts aber nicht zur Deckung verpflichtet ist (vgl. Ziff. 6.2.5 ProdHM, A3-8.26 AVB BHV). Weist das Gericht die Klage des Geschädigten gegen den VR ab, weil der VN zwar wegen 60 eines Konstruktionsfehlers haftet, dem VR jedoch der Nachweis gelingt, dass der VN das fehlerhafte Produkt nicht ausreichend erprobt hat, entfaltet eine dahingehende Feststellung im Urteil auch Rechtskraft im Verhältnis zwischen VN und VR in einem nachfolgenden Haftpflichtprozess des Geschädigten gegen den VN. Der VR ist gegenüber dem VN, der Inhaber des Anspruchs auf Rechtsschutz geblieben ist, nicht mehr zur Anspruchsabwehr verpflichtet. Zwar ist über den Rechtsschutzanspruch im Prozess des Geschädigten gegen den VR nicht entschieden worden. Jedoch kann der Anspruch des VN auf Freistellung und Rechtsschutz deckungsrechtlich nur einheitlich beurteilt werden,171 so dass die Abweisung des Freistellungsanspruchs, der sich infolge der Abtretung in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat, auf den Rechtsschutzanspruch durchschlägt. Es handelt sich um einen Fall der Rechtskrafterstreckung infolge rechtlicher Abhängigkeit.172 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der vom VN im Prozess gegen den VR zugrunde gelegte Sachverhalt sich in einem für die Deckung entscheidenden Punkt ändert. Retter und Armbrüster sehen den VR aus dem Versicherungsvertrag als verpflichtet an, den 61 VN zu informieren, bevor er Deckungseinwendungen im Direktprozess des Geschädigten erhebt, um dem VN die Möglichkeit zu geben, diese Einwände zu entkräften oder als (streitgenössischer) Nebenintervenient (§ 69 ZPO) aufzutreten.173 Im Fall der Verletzung der (nebenvertraglichen) Informationspflicht stehe dem VN ein Schadensersatzanspruch gegen den VR zu, der auf die Gewährung von Deckungsschutz gerichtet sei.174 Dieser Ansicht ist insoweit zuzustimmen, als den VR wegen der zuvor geschilderten rechtlichen Abhängigkeit von Freistellungs- und Rechtsschutzanspruch aus § 241 Abs. 2 BGB die Pflicht trifft, den VN über den Stand des Direktklageverfahrens zu informieren.175 Eine gleichgerichtete Pflicht aus § 666 BGB trifft auch den Geschädigten in seiner Eigenschaft als Zessionar, allerdings erst auf Verlangen des VN.176 Zur Gewährung von Deckung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. § 249 BGB ist der VR dem VN gegenüber jedoch nur verpflichtet, wenn dem VN der Nachweis gelingt, dass die Zahlungsklage des Dritten durch seine Unterstützung erfolgreich gewesen wäre (weil es dem VN gelungen wäre, die Einwände des VR gegen die Deckung zu entkräften).177 170 Vgl. BGH 11.1.2007 – III ZR 294/05, NJW-RR 2007 457, 459; BGH 14.2.2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2006 712, 714 f.

171 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 12, 52; OLG Koblenz 6.4.1979 – 10 U 607/78, VersR 1979 830, 831. 172 Ebenso Baumann VersR 2010 984, 990; Armbrüster RuS 2010 441, 451; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 137; i. E. ebenso Langheid VersR 2007 865, 867; Thume VersR 2010 849, 853; nunmehr auch Lange RuS 2011 185, 197, der sich zuvor gegen eine Bindungswirkung deckungsrechtlicher Feststellungen ausgesprochen hatte (Lange RuS 2007 401, 405); a. A. Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 29 (der sich Langes früherer Ansicht anschließt und auf die Möglichkeit der isolierten Drittwiderklage oder der Streitverkündung gegenüber dem VN verweist); Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 50 (Geltendmachung von Deckungsansprüchen durch den VN nach abgewiesener Direktklage ist rechtsmissbräuchlich i. S. d. § 242 BGB). 173 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 51; Armbrüster RuS 2010 441, 451; so auch die Empfehlung von Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 138. 174 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 51. 175 A. A. Hösker VersR 2013 952, 960. 176 Vgl. allgemein MüKo-BGB/Schäfer § 666 Rn. 22. 177 Vgl. auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 51. 351

Koch

§ 108 VVG

62

Verfügung über den Freistellungsanspruch

Wird die Klage des Dritten – wie im Beispielsfall – aus deckungsrechtlichen Gründen abgewiesen, entfalten etwaige Feststellungen zur Haftpflichtfrage für das Haftpflichtverhältnis zwischen Drittem und VN keine Bindungswirkung.178 Armbrüster hat die Frage aufgeworfen, ob eine Bindungswirkung durch Streitverkündung nach § 72 Abs. 1 ZPO herbeigeführt werden könne.179 Grundsätzlich liegen die Voraussetzungen der Streitverkündung vor (vgl. Rn. 84 f.). Zu beachten ist jedoch, dass Feststellungen des Gerichts, auf denen sein Urteil nicht beruht (sog. überschießende Feststellungen) nicht an der Interventionswirkung gem. § 68 ZPO teilnehmen.180 Hätte das Gericht die Klage auch allein aufgrund der berechtigten Deckungseinwendungen des VR abweisen können, würden Feststellungen über die Haftung des VN nicht von der Interventionswirkung gem. § 68 ZPO erfasst.181

4. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zahlungsprozess 63 a) Stand der Diskussion. Im Anschluss an die Entscheidungen des BGH vom 13.4.2016 zur Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs der Organmitglieder an die geschädigte Gesellschaft in der D&O-Versicherung182 hat sich eine Diskussion darüber entwickelt, ob sich infolge der Abtretung die Verteilung der für die Haftpflichtigkeit der Organmitglieder nach § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG maßgeblichen Darlegungs- und Beweislast nachteilig für die geschädigte Gesellschaft ändert. Nach Befürwortern einer solchen Änderung sollen die besonderen situativen Voraussetzungen im Fall einer Inanspruchnahme des VR durch die Gesellschaft einer (analogen) Anwendung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG entgegenstehen. So wurzele die in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG angeordnete Beweislastumkehr in der besonderen Sach- und Beweisnähe des Organs. Weil das Organ im Zweifel den besseren Zugang zu Beweismitteln habe, die geeignet seien, die Frage der Pflichtwidrigkeit aufzuklären, solle es auch das Risiko der Nichterweislichkeit tragen.183 Das Argument des besseren Zugangs zu Beweismitteln spreche im Verhältnis Gesellschaft/VR gerade dafür, der Gesellschaft die Beweislast aufzubürden, denn der VR habe weder aus eigener Anschauung Kenntnis über die fraglichen Vorgänge noch habe er unmittelbaren Zugang zu den entsprechenden Unterlagen, die sich ja – sofern sie überhaupt existieren – bei der Gesellschaft befänden.184 Die sowohl die Gesellschaft als auch die Organmitglieder treffenden Auskunftsobliegenheiten würden den VR nicht in eine bessere Lage versetzen als die Gesellschaft.185 Deshalb bleibe es bei Anwendung der Rosenbergschen Formel, der zufolge die Gesellschaft die Beweislast für die Pflichtwidrigkeit treffe, denn diese sei Voraussetzung für den Haftpflichtanspruch, der im Direktprozess gegen den VR seinerseits Voraussetzung für die Existenz eines Zahlungsanspruchs gegen den VR sei.186

64 b) Stellungnahme. Diese vornehmlich aus dem Blickwinkel des Gesellschaftsrechts unter Hinweis auf die Besonderheiten des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG entwickelte Begründung vermag nicht zu 178 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 136; Armbrüster RuS 2010 441, 451. 179 Armbrüster RuS 2010 441, 451. 180 Vgl. BGH 27.11.2003 – V ZB 43/03, BGHZ 157 97, 99; BGH 9.11.1982 – VI ZR 293/79, BGHZ 85 252, 257 f. = NJW 1983 820, 821; Musielak/Voit/Weth § 68 Rn. 4. Armbrüster RuS 2010 441, 451; Thume VersR 2010 849, 853. BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 ff.; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 ff. Brinkmann ZIP 2017 301, 307. Brinkmann ZIP 2017 301, 307; Böttcher NZG 2008 645, 649; BeckOGK/Fleischer AktG § 93 Rn. 280; Grooterhorst/ Looman NZG 2015 215, 217; GroßkommAktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 452; Ingwersen 96 u. 176; Kölner Komm AktG/Mertens/Cahn § 93 Rn. 245; Thomas 462; Armbrüster NJW 2016 897, 898; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2698 f.; Thümmel Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 5. Aufl. (2016) Rn 469 a. 185 Brinkmann ZIP 2017 301, 307 f. 186 Vgl. Brinkmann ZIP 2017 301, 307 f.

181 182 183 184

Koch

352

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

überzeugen.187 Abgesehen davon, dass sie die Bedeutung der sowohl die Gesellschaft als auch das Organmitglied treffenden Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit unzureichend würdigt,188 wird dem Schutzzweck von § 108 Abs. 2 nicht Rechnung getragen. Der Gesetzgeber wollte mit dem Abtretungsklauselverbot und der daraus resultierenden Möglichkeit, den Freistellungsanspruch an den Geschädigten abzutreten, damit dieser den VR direkt auf Zahlung in Anspruch nehmen kann, nicht nur den Interessen des VN, sondern auch den des Geschädigten Rechnung tragen.189 Folgte man dem Ansatz der Mehrheitsmeinung, hätte dies zur Konsequenz, dass die Gesellschaft zwei Prozesse führen müsste. Dies wäre prozessökonomisch nicht sinnvoll und führte zu einer beträchtlichen Erhöhung der Anspruchsabwehrkosten. Während die Klage im Direktprozess abgewiesen würde, weil die Gesellschaft im Hinblick auf den inzident zu prüfenden Haftpflichtanspruch als voll beweisbelastete Partei gegen den VR beweisfällig geblieben wäre, würde sie den sodann gegen das Organmitglied zu führenden Haftpflichtprozess aufgrund der Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG gewinnen und der VR schuldete Freistellung. Dieses unsinnige Ergebnis liegt weder im Interesse des Organmitglieds noch dem der Gesellschaft. Es lässt sich nur vermeiden, indem man die in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG statuierte und für die GmbH in entsprechender Anwendung geltende Beweislastregelung auch für den inzident zu prüfenden Haftpflichtanspruch anwendet. Eine interessengerechte Auslegung des § 108 Abs. 2 gebietet deshalb nachgerade, die Beweisregel zu Anwendung zu bringen, die gelten würde, wenn die Gesellschaft das Organ in Anspruch nähme.190 Treffend bemerkt Lehmann, dass „[d]er Vorteil für die Gesellschaft, den VR nach einer Abtretung direkt in Anspruch nehmen zu können, [.] jedenfalls weitgehend dahin [wäre], wenn ein solches Vorgehen mit erheblichen Beweisnachteilen für sie verbunden ist.“191 Sieg weist zu Recht darauf hin, dass die sich aus dem Wegfall der Privilegierung der Gesellschaft bei der Beweislast ergebende Unsicherheit die Gesellschaft davon abhalten werde, auf eine Abtretung des Freistellungsanspruchs hinzuwirken und einen Direktanspruch geltend zu machen.192 Die Änderung der Beweislastregel führt zudem zu Wertungswidersprüchen zur Abtre- 65 tung des Freistellungsanspruchs nach Feststellung des Haftpflichtanspruchs mit bindender Wirkung für den VR durch rechtskräftiges Urteil (vgl. § 106 S. 1). Je nachdem, ob der Freistellungsanspruch vor oder nach der Feststellung abgetreten wird, würde sich die Beweissituation der Gesellschaft verschlechtern oder verbessern, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund besteht. Ein weiterer Wertungswiderspruch tut sich auf, wenn das Organmitglied den Haftpflichtanspruch ohne Zustimmung des VR anerkennt und/oder die Gesellschaft befriedigt. Bestreitet der VR die Haftung, müssen im Fall des Anerkenntnisses die Gesellschaft und/oder im Fall der Befriedigung das Organmitglied im Zahlungsprozess gegen den VR darlegen und beweisen, dass der Anspruch in Höhe des Anerkenntnisses und/oder der erfolgten Zahlung bestand. Dabei gilt selbstverständlich die in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG angeordnete und für die GmbH in entsprechender Anwendung geltende Beweislastumkehr. Schließlich stünde die Änderung der Beweisregel im Widerspruch zum allgemeinen 66 Grundsatz bei Inzidenzprozessen, demzufolge eine für den Ausgang der Klage erhebliche Vorfrage vom angerufenen Gericht selbständig zu prüfen hat, wie die Vorfrage richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre.193 Diese Prüfung hat unter Beachtung der für die Entscheidung der 187 Vgl. Bruck/Möller/Baumann9 Bd. 4 Ziff. 10 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 50. 188 Vgl. auch Lehmann RuS 2018 6, 14; Lange RuS 2019 613, 622. 189 BTDrucks. 16/3945 S. 87; vgl. auch Baur/Holle AG 2017 141, 146 f.; R. Koch VersR 2016 765, 768; vgl. auch Hüffer/Koch/J. Koch AktG § 93 Rn. 58e; Lange RuS 2019 613, 622. 190 Vgl. auch Lehmann RuS 2018 6, 14. 191 Lehmann RuS 2018 6, 14. 192 MAH VersR/Sieg § 17 Rn. 192. 193 BGH 16.6.2005 – IX ZR 27/04, NJW 2005 3071, 3072. Nach Lange lassen sich die Ausführungen des VI. Zivilsenats des BGH zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im (haftungsrechtlichen) Direktprozess gegen einen PflichthaftpflichtVR (BGH 13.12.1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71 339, 345 = NJW 1978 2154) auf den Direktanspruch 353

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

Vorfrage maßgeblichen Beweisregeln zu erfolgen. Im Anwaltsregressprozess hat das Gericht eine hypothetische Betrachtung anzustellen, ob dem Mandanten bei sachgemäßer anwaltlicher Vertretung den Vorprozess gewonnen hätte. Bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern trägt im Rückforderungsprozess nicht der Bürge, sondern der Gläubiger als Rückforderungsgegner die Beweislast für Entstehen und Fälligkeit der verbürgten Hauptforderung.194 Zieht der Gläubiger zu Unrecht eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern, gibt deshalb für Vorfrage, ob das Werk mangelbehaftet ist, die für den Bestand des Gewährleistungsanspruchs bestehende Beweislast des Unternehmers das Maß für die Entscheidung über die Begründetheit des Rückforderungsprozesses. Kommt es im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Sachmängelgewährleistungsrechten des Verbrauchers darauf an, ob die verkaufte Sache bei Gefahrübergang mangelhaft war, findet die in § 477 BGB vorgesehene Beweislastumkehr bei allen Ansprüchen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer Anwendung. Das gilt auch dann, wenn das Bestehen eines Mangels bei Gefahrübergang Vorfrage für andere Ansprüche ist.195 Überträgt man diese Rechtsprechung auf die Situation nach Abtretung des Freistellungsanspruchs, hat das über die Zahlungsklage zu entscheidende Gericht, die Vorfrage, ob das Organmitglied der Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet, inzident und unter Beachtung der Beweislastregelung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG zu prüfen. 67 Vorstehendes gilt entsprechend in anderen Konstellationen in denen hinsichtlich der Haftung Beweiserleichterungen bestehen wie z. B. bei Ansprüchen gegen den Hersteller nach Maßgabe der Produkt- und Produzentenhaftung.196 Besteht ausnahmsweise eine Beweislastumkehr z. B. hinsichtlich des Verschuldens (abweichend von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB) zugunsten des versicherten Schädigers, besteht diese im Direktprozess des Geschädigten gegen den VR zugunsten des VR fort.

II. Rechtsverhältnis zwischen VR und VN 1. Abweisung der Zahlungsklage mangels Haftung 68 Der VR bleibt dem VN nach dem zuvor Gesagten zum Rechtsschutz bei erneuter Inanspruchnahme durch den Dritten verpflichtet (Rn. 53 ff.), soweit dessen Direktklage gegen den VR mangels Haftung des VN abgewiesen worden ist. Soweit der VR seine Prozesskosten nicht vom geschädigten Dritten ersetzt erhält, sind sie als Teil der Rechtsschutzkosten i. S. v. § 101 anzusehen. Ist im Versicherungsvertrag vorgesehen, dass die Rechtsschutzkosten auf die Versicherungssumme angerechnet werden (§ 101 Rn. 77 ff.), verringert sich somit der zur Befriedigung des Haftpflichtanspruchs zur Verfügung stehende Betrag.

2. Abweisung der Zahlungsklage mangels Deckung 69 Wurde die Klage wegen fehlender Deckung abgewiesen, ist der VR wegen der Rechtskrafterstreckung (Rn. 60) nicht mehr zum Rechtsschutz gegenüber dem VN verpflichtet. Solange nicht der gegen den D&O-Versicherer übertragen (Lange RuS 2019 613, 622). Der IV. Zivilsenat hatte festgestellt, dass „die Zusammenfassung des Haftpflicht- und des Deckungsstreits in einem einzigen Verfahren nicht dazu führen [kann], daß dem Geschädigten der Beweis des Haftpflichttatbestandes gegenüber den sonst gültigen Regeln erschwert wird.“ Da es sich bei dem Anspruch aus § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 dogmatisch um einen Fall des gesetzlichen Beitritts des VR zur Haftpflichtschuld des VN handelt (vgl. nur Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 12 Vor §§ 1–16 PflVG Rn. 65), ist die Übertragbarkeit jedoch fraglich (ablehnend: Brinkmann ZIP 2017 301, 306; Thomas 462). 194 BGH 12.7.2001 – IX ZR 380/98, ZIP 2001 1871, 1873. 195 BGH 11.11.2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009 580 Rn. 15. 196 Vgl. hierzu BeckOGK/Spindler BGB § 823 Rn. 99 ff.; MüKoBGB/Wagner § 823 Rn. 89. Koch

354

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

VR die Deckung abgelehnt oder das Gericht die fehlende Deckung festgestellt hat, hat der VN die ihn treffenden Obliegenheiten zu beachten. Die (teilweise) Leistungsfreiheit bei Verletzung von Obliegenheiten, die der VN vor und nach der Abtretung des Freistellungsanspruchs begangen hat, kann der VR dem Dritten gegenüber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung entgegenhalten.197 Bei Obliegenheiten ist jedoch zu beachten, dass das Klauselverbot gem. § 108 Abs. 2 nicht durch mittelbar wirkende, den VN von der Abtretung abhaltende formularmäßige Beschränkungen der Leistungspflicht des VR umgangen werden kann. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist das Klauselverbot auch bei Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Obliegenheiten zu berücksichtigen. Betroffen hiervon sind vornehmlich die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu beachtenden Obliegenheiten.

a) Verletzung der Obliegenheit zur Schadensabwehr/-minderung. Hierzu zählt zunächst 70 die Verpflichtung gem. § 82 (vgl. auch Ziff. 25.2 S. 1 AHB/B3-3.2.1 AHB BHV), den Schaden abzuwehren und zu mindern. Hiergegen verstößt der VN indes nur dann, wenn er den Geschädigten dazu ermuntert, unbegründete Haftpflichtansprüche zu stellen.198 In der Literatur wird darüber hinaus ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht bejaht, wenn der VN den Geschädigten aktiv bei der Durchsetzung der Ansprüche – etwa durch den Entwurf der Klageschrift oder durch die Erledigung prozessualer Aufgaben des Geschädigten – unterstützt.199 Ob diese Ansicht bei begründeten Haftpflichtansprüchen trägt, ist zweifelhaft, kann hier jedoch dahinstehen. Auch wenn die Abtretung des Freistellungsanspruchs erfüllungshalber erfolgt, m. a. W. der geschädigte Dritte vorrangig Befriedigung aus dem Versicherungsanspruch suchen muss (hierzu unten Rn. 74), stellt die Abtretung weder eine Ermunterung dar, unberechtigte Haftpflichtansprüche zu stellen, noch eine aktive Unterstützungshandlung des geschädigten Dritten hinsichtlich der Verfolgung der Haftpflichtansprüche. Unter diesem Gesichtspunkt kommt ein Verlust des Versicherungsschutzes nicht in Betracht.200 Nimmt der Geschädigte den VR vor Abschluss des Haftpflichtprozesses in Anspruch, droht 71 dem VR jedoch eine Erhöhung der Kosten für die Anspruchsabwehr, wenn der Haftpflichtanspruch sich als begründet erweist und kein Deckungsausschluss eingreift. In diesem Fall wäre es ohne die Abtretung zu keinem Deckungsprozess mehr gekommen. Gleichwohl ist eine Verletzung der Obliegenheit zur Schadenminderung abzulehnen, weil eine dahingehende Auslegung des § 82 im Widerspruch zu den Zielen stünde, die der Gesetzgeber mit der Einführung des Klauselverbots verfolgte. Entsprechend einschränkend ist die formularmäßige Obliegenheit zur Schadenminderung auszulegen. In Betracht kommt, die Abtretung des Freistellungsanspruchs während eines laufenden Haftpflichtprozesses als eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nach § 241 Abs. 2 BGB zu qualifizieren, wenn und soweit nur die Haftung streitig ist. Die Pflicht, den Freistellungsanspruch nicht mehr nach Rechtshängigkeit und vor rechtskräftigem Abschluss des Haftpflichtverfahrens an den Geschädigten abzutreten, lässt sich ohne Weiteres unter das Rücksichtnahmegebot subsumieren mit der Folge, dass der VN dem VR nach § 280 BGB zum Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet ist, die beim VR infolge der direkten Inanspruchnahme durch den Geschädigten vor Abschluss des Haftpflichtverfahrens entstehen.201 Tritt der VN der Klage gegen den VR auf Seiten des Geschädigten bei (§ 66 ZPO), ist eine 72 Obliegenheitsverletzung ebenfalls zu verneinen, soweit sich die Unterstützung auf für die Deckung relevante Fragen beschränkt. Dies gilt nicht nur in Bezug auf von der Haftung unabhängige Deckungsausschlüsse (z. B. Tätigkeitsschadenausschluss, Ziff. 7.7 AHB 2016) und angebliche Obliegenheitsverletzungen (z. B. Aufklärungspflichten, Ziff. 25.2 S. 3 AHB 2016, B3-3.2.2 lit. b) 197 198 199 200 201 355

Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 121. Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 25 AHB Rn. 45 f.; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt § 25 Rn. 15. Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 25 AHB Rn. 45 f.; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt § 25 Rn. 15. R. Koch FS Winter 354 f. R. Koch FS Winter 356. Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

AVB BHV/AVB PHV), sondern auch hinsichtlich solcher Fragen, die wegen des Grundsatzes der Voraussetzungsidentität zugleich Gesichtspunkte der Haftung betreffen. Das für eine Nebenintervention i. S. v. § 66 ZPO202 erforderliche rechtliche Interesse des VN am Ausgang des Verfahrens zwischen dem Geschädigten und seinem VR ist wegen der oben aufgezeigten Bindungswirkung der Entscheidung über den Freistellungsanspruch für den Abwehranspruch gegeben (Rn. 60).203 Es handelt sich um eine streitgenössische Nebenintervention i. S. v. § 69 ZPO. Deren Zulässigkeit scheitert nicht daran, dass sich das rechtliche Interesse des Nebenintervenienten nur auf einen Teil der Hauptsache, die Deckung, beschränkt.204

73 b) Verletzung der Obliegenheit zur Überlassung der Prozessführung. Kommt es zum Prozess über den Haftpflichtanspruch, so hat nach Ziff. 25.5 AHB 2016 (B3-3.2.2 lit. e) AVB BHV/ AVB PHV) der VN die Prozessführung dem VR zu überlassen und dem von dem VR bestellten oder bezeichneten Anwalt Vollmacht sowie alle von diesem oder dem VR für nötig erachteten Aufklärungen zu geben.205 Damit stellt sich die Frage, ob die Abtretung des Freistellungsanspruchs während eines laufenden Haftpflichtverfahrens als Obliegenheitsverletzung zu bewerten ist. Da der Anspruch des VN auf Rechtschutz durch die Abtretung des Freistellungsanspruchs – wie zuvor festgestellt – nicht berührt wird, bleibt der VR im Grundsatz zur Prozessführung berechtigt und verpflichtet. Insoweit liegt keine Obliegenheitsverletzung vor. Eine Obliegenheitsverletzung wäre anzunehmen, wenn der VN seinem Anwalt die Prozessvollmacht entzieht oder diesen anweist, von der Vollmacht nur in der Weise Gebrauch zu machen, dass dieser mit dem Geschädigten eine Vereinbarung über das Ruhen des Verfahrens trifft. Daraus resultiert nach Ziff. 26.2 AHB 2016 (B3-3.3.3 AVB BHV/AVB PHV) jedoch keine Leistungsfreiheit, da die Verletzung dieser Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich sein kann und ein solches Verhalten nicht den Tatbestand der Arglist erfüllt.

III. Rechtsverhältnis zwischen VN und geschädigtem Dritten 1. Qualifikation des der Abtretung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses 74 Durch die Abtretung des Freistellungsanspruchs entsteht eine (zusätzliche) vertragliche Beziehung zwischen dem VN und dem geschädigten Dritten. Die Abtretung erfolgt in der Regel erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB).206 Das bedeutet, dass der Geschädigte verpflichtet ist, zunächst beim VR aus dem Freistellungsanspruch Befriedigung zu suchen – notfalls im Klagewege.207 Die von der Literatur aufgeworfene Frage, ob der VN vom VR zugleich Abwehrdeckung verlan-

202 Hierzu Zöller/Althammer § 66 Rn. 8 ff. 203 Vgl. auch OLG Hamm 19.8.2019 – I-8 W 6/19, RuS 2019 698, 699; OLG Hamm 29.4.1996 – 6 U 187/95, NJW-RR 1997 156, 157 (zum rechtlichen Interesse am Beitritt des VR auf Seiten des VN im Haftpflichtprozess wegen der Bindungswirkung des Haftpflichturteils für den Deckungsprozess). 204 Vgl. Zöller/Althammer § 66 Rn. 8. 205 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 25 AHB Rn. 59 ff. 206 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 26; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, AG 2016 395 Rn. 34; BGH 10.3.1993 – XII ZR 253/91, BGHZ 122 46, 52 = NJW 1993 1578, 1579; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 119; Prölss/ Martin/Lücke § 108 Rn. 27; Baumann VersR 2010 984, 989; R. Koch FS Winter 359; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Retter § 108 Rn. 20; Hösker VersR 2013 952, 956. 207 Vgl. BGH 12.7.1984 – VII ZR 268/83, BGHZ 92 123, 127 = NJW 1984 2573, 2574; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Retter § 108 Rn. 44. Koch

356

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

gen kann, wenn der Geschädigte den VR auf Zahlung in Anspruch nimmt, stellt sich somit nicht.208 Das der Abtretung zugrunde liegende Rechtsverhältnis beurteilt sich nach Auftrags- 75 recht.209 Da der Geschädigte berechtigt ist, im Falle einer klageweisen Geltendmachung des Freistellungsanspruchs vom VN gem. § 669 BGB Vorschuss der Prozesskosten zu verlangen, ist er im Grundsatz selbst dann zur Klage verpflichtet, wenn aufgrund von ernsthaften Einwendungen ein rascher Prozesserfolg nicht eindeutig und sicher ist.210 Die Leistung eines solchen Vorschusses begründet keine Verletzung der Obliegenheit des VN zur Schadensminderung.211

2. Rechtsfolgen nach klageweiser Geltendmachung des Zahlungsanspruchs durch den Geschädigten Der VN wird den Freistellungsanspruch vornehmlich in den Fällen abtreten, in denen entweder 76 die Haftung oder die Deckung oder sowohl die Haftung als auch die Deckung streitig sind. Es stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen der Ausgang eines Rechtsstreits zwischen dem geschädigten Dritten und dem VR auf das Rechtsverhältnis zwischen dem VN und dem geschädigten Dritten hat.

a) Obsiegen des Dritten. Ist die Klage des geschädigten Dritten gegen den VR begründet, 77 weil sich im Prozess herausstellt, dass der Haftpflichtanspruch gegen den VN besteht, keine Deckungsausschlüsse eingreifen und der VR auch nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung leistungsfrei ist, kann der Geschädigte vom VR Zahlung an sich verlangen. Nach der Zahlung besteht die Haftpflichtschuld nur noch in Höhe eines vereinbarten Selbstbehalts. Da der VR die Prozesskosten trägt, kann der Geschädigte diese nicht vom VN nach § 670 BGB ersetzt verlangen.212 Weigert sich der VN den verbleibenden Schaden in Höhe des Selbstbehalts zu zahlen, 78 muss der Geschädigte den VN verklagen. Die im Urteil gegen den VR getroffenen Feststellungen zur Haftung des VN entfalten dabei ohne eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem VN und dem Geschädigten keine Bindungswirkung zugunsten des Geschädigten (vgl. Rn. 62).213 Eine Vereinbarung über die Bindungswirkung lässt sich nicht – auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung – allein aus dem der Abtretung zugrunde liegenden Auftrag herleiten. Baumann weist auf die Möglichkeit des Dritten hin, durch Streitverkündung gegenüber dem VN eine Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO herbeizuführen. Denn i. S. v. § 72 Abs. 1 ZPO sei ein Anspruch des geschädigten Dritten gegen den VN auf „Schadloshaltung“, den der Dritte erheben zu können glaubt, zu bejahen, wenn und soweit er den Prozess gegen den VR wegen eines vom VN zu tragenden Selbstbehalts verliert.214 Hat der VN nicht nur den Freistellungsanspruch abgetreten, sondern auch den Haftpflicht- 79 anspruch anerkannt, haftet er dem Geschädigten aus dem Schuldbestätigungsvertrag, so dass es auf die Bindungswirkung der Feststellung zur Haftung nicht ankommt. Entsprechendes gilt, 208 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 116; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 13; Lange RuS 2007 401, 405; Baumann VersR 2010 984, 986; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 27. 209 Vgl. BGH 12.7.1984 – VII ZR 268/83, BGHZ 92 123, 127 = NJW 1984 2573, 2574; Palandt/Grüneberg § 364 Rn. 7; MüKo-BGB/Wenzel4 § 364 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 47; R. Koch FS Winter 360; Baumann VersR 2010 984, 989; Armbrüster RuS 2010 441, 450. 210 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 47; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 119 Fn. 259. 211 Vgl. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. F 79. 212 R. Koch FS Winter 360 f. 213 R. Koch FS Winter 361. 214 Baumann VersR 2010 984, 991. 357

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

wenn der VR wegen einer Obliegenheitsverletzung zur anteiligen Kürzung seiner Leistung berechtigt ist (§ 28 Abs. 2 i. V. m. Ziff. 26.2 AHB 2016, B3-3.3.1 AVB BHV/AVB PHV) und der Geschädigte deshalb den VN in Anspruch nimmt.215

80 b) Abweisung der Zahlungsklage. Wird die Klage des Geschädigten gegen den VR mangels Haftung des VN abgewiesen, gilt hinsichtlich der fehlenden Bindungswirkung zugunsten des VN das zuvor Gesagte (Rn. 78). Der Geschädigte kann den VN deshalb ebenso wie im Fall der Klageabweisung mangels Deckung auf Zahlung in Anspruch nehmen. Zum Ersatz der Kosten des verlorenen Prozesses gegen den VR gem. § 670 BGB ist der VN nach Sinn und Zweck der Abrede, die der Abtretung des Freistellungsanspruches zugrunde liegt, indes nur verpflichtet, wenn die Klage mangels Deckung abgewiesen worden ist.216 Um Folgeprozesse zwischen dem VN und dem Geschädigten aufgrund fehlender Bindungs81 wirkung der Feststellungen zur Haftung im Urteil zwischen dem Geschädigten und dem VR zu vermeiden, ist an die Aufnahme einer § 124 entsprechenden Klausel in die Vereinbarung zu denken, die der Abtretung des Freistellungsanspruches zugrunde liegt. Diese muss eine Bindungswirkung zugunsten des VN vorsehen, soweit durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht.217 Hat der VN nur den Freistellungsanspruch abgetreten, ohne zugleich den Haftpflichtanspruch anzuerkennen, sollte darüber hinaus für den Fall der Klagestattgabe zugunsten des Geschädigten vereinbart werden, dass der VN Feststellungen im Urteil gegen den VR, die Leistungskürzungen wegen grob fahrlässig begangener Obliegenheitsverletzungen betreffen, gegen sich gelten lassen muss. Hinsichtlich der Tragung der Kosten eines Prozesses des Geschädigten gegen den VR sollten zur Klarstellung ebenfalls konkrete Regelungen getroffen werden.218

82 c) Vom Geschädigten zu ergreifende Maßnahmen zum Schutz vor Verjährung des Haftpflichtanspruchs. Mit der Abtretung des Freistellungsanspruchs ist i. d. R. eine Stundung der Haftpflichtforderung verbunden, die entweder mit der Erfüllung (im Fall der Klagestattgabe219) oder dadurch endet, dass der Versuch der anderweitigen Befriedigung misslingt (im Falle der Klageabweisung).220 Das Problem der Verjährung des Haftpflichtanspruchs stellt sich für den Geschädigten dann wegen § 205 BGB nicht.221 Anders liegt der Fall, wenn die Auslegung ergibt, dass ausnahmsweise keine Stundung gewollt ist. Gem. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre. Bei einem durch mehrere Instanzen geführten Prozess gegen den VR droht deshalb die Verjährung des an sich begründeten Haftpflichtanspruchs, wenn nämlich – wie im Beispiel Rn. 53 – die Klage schließlich an der fehlenden Deckung scheitert. In diesem Fall stehen dem Geschädigten als Auftragnehmer gegen den VN als Auftraggeber weder Schadensersatzansprüche auf Gewährleistung noch wegen Verletzung von Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB im Zusammenhang mit der Abtretung des Freistellungsanspruchs zu, da dem Geschädigten der Streit über die Deckung bekannt war.222

215 R. Koch FS Winter 360 f. 216 Vgl. BGH 12.7.1984 – VII ZR 268/83, BGHZ 92 123, 127 = NJW 1984 2573, 2574; R. Koch FS Winter 361; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 47.

217 R. Koch FS Winter 362. 218 R. Koch FS Winter 362; vgl. Abtretungsmuster bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 67. 219 Wendet man Auftragsrecht an, tritt Erfüllung der Haftpflichtforderung durch Aufrechnung (§ 387 BGB) ein, da der VN gegen den Geschädigten einen Anspruch aus § 667 BGB hat.

220 Vgl. BGH 11.1.2007 – IX ZR 31/05, WM 2007 508, 509; BGH 30.10.1985 – VIII ZR 251/84, BGHZ 96 182, 193 zum Wechsel; BGH 11.12.1991 – VIII ZR 4/91, BGHZ 116 278, 282; Palandt/Grüneberg § 364 Rn. 8.

221 Vgl. Palandt/Ellenberger § 205 Rn. 2; Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 205 Rn. 3. 222 R. Koch FS Winter 362. Koch

358

D. Exkurs: Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten

VVG § 108

Bei vorsorglicher Vereinbarung einer Verlängerung der Verjährung (§ 202 BGB) stellt sich 83 zunächst die Frage, ob der Ausschluss gem. Ziff. 7.3 AHB 2016 eingreift.223 Erleichterung könnte ein wegen § 105 deckungsunschädliches Anerkenntnis gem. § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB bringen, soweit es nicht bereits mit der Abtretung ausgesprochen wurde. Kommt es zu Regulierungsverhandlungen zwischen dem Geschädigten und dem VR, kann auch die Hemmungsregelung nach § 203 BGB eingreifen.224 Beginnt die Verjährung des Haftpflichtanspruchs nicht neu und wird sie auch nicht gehemmt, stellt sich die weitere Frage, ob der Geschädigte nach § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB eine Hemmung der Verjährung durch Streitverkündung bewirken kann.225 Voraussetzung der Streitverkündung ist nach dem Wortlaut des § 72 Abs. 1 ZPO, dass die Partei 84 für den Fall des ungünstigen Ausgangs des Vorprozesses einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt. Wird die Klage gegen den VR mangels Deckung abgewiesen, hat der Geschädigte – wie soeben bemerkt – jedoch keine Ansprüche auf Gewährleistung oder Schadloshaltung. Zu den Ansprüchen auf „Schadloshaltung“ gehören jedoch auch diejenigen Schadensersatzansprüche, bei denen der Dritte nicht für den streitbefangenen Anspruch selbst haftet, sondern aus einem selbständigen Grund, sofern nur der Anspruch gegen den Dritten im Falle des Obsiegens der Partei gegenstandslos wird.226 Es sind dies die Ansprüche gegen Dritte, die statt des Beklagten des Vorprozesses als Verursacher desselben Schadens oder als Vertragsgegner in Betracht kommen.227 Ist außer dem Beklagten des Vorprozesses noch ein weiterer Schuldner denkbar, ist eine Streitverkündung nach dem Zweck des § 72 ZPO nur dann unzulässig, wenn Ansprüche nach Lage der Dinge von vornherein sowohl gegenüber dem Beklagten des Vorprozesses als auch gegenüber dem Dritten geltend gemacht werden können, aus der Sicht des Streitverkünders also schon im Zeitpunkt der Streitverkündung eine gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten des Vorprozesses und des Dritten in Betracht kommt.228 Gemessen an diesen Vorgaben dürfte eine Streitverkündung des Geschädigten zulässig sein. 85 Der Anspruch auf Schadensersatz gegen den VN beruht zwar nicht auf dem abgetretenen, streitbefangenen Freistellungsanspruch gegen den VR, sondern auf einem selbständigen Schuldgrund, der Haftpflichtforderung. Bei einer Leistung erfüllungshalber hat der Gläubiger – wie zuvor angemerkt – aufgrund der dieser Leistung zugrunde liegenden Abrede jedoch vorrangig aus dem erfüllungshalber angenommenen Gegenstand Befriedigung zu suchen. Insoweit wird der Haftpflichtanspruch des Geschädigten im Fall seines Obsiegens gegen den VR bis zur Höhe des Selbstbehalts und einer etwa gegebenen Leistungskürzung wegen grobfahrlässiger Obliegenheitsverletzung gegenstandslos. Da der Freistellungsanspruch gegen den VR und der Schadensersatzanspruch gegen den VN nicht von vornherein beiden gegenüber geltend gemacht werden kann, liegen die Voraussetzungen des § 72 ZPO mithin vor.229

IV. Anzeige der beabsichtigten Abtretung Im Hinblick auf die beide Parteien des Versicherungsvertrages treffende Pflicht zur gegenseiti- 86 gen Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) wird man den VN als verpflichtet ansehen müssen, dem 223 R. Koch FS Winter 362. 224 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 43. 225 Vgl. BGH 11.2.2009 – XII ZR 114/06, BGHZ 179, 362 Rn 18; BGH 6.12.2007 – IX ZR 143/06, BGHZ 175 1, 4; jeweils zu § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a. F.: BGH 10.10.1978 – VI ZR 115/77, NJW 1979 264, 265 f.; BGH 10.7.2002 – XII ZR 107/99, NJW 2002 3234, 3236; Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 204 Rn. 75; Palandt/Ellenberger § 204 Rn. 21; Erman/ Schmidt-Räntsch § 204 Rn. 19; BeckOK BGB/Henrich § 204 Rn. 33. 226 OLG Köln 19.12.1990 – 2 U 64/90, NJW-RR 1991 1535; RG 29.11.1930 – V 394/29, RGZ 130 297, 299; Zöller/ Althammer § 72 Rn. 7. 227 OLG Köln 19.12.1990 – 2 U 64/90, NJW-RR 1991 1535; Zöller/Vollkommer § 72 Rn. 7. 228 Vgl. BGH 13.11.1952 – III ZR 72/52, BGHZ 8 72, 80 = NJW 1953 420, 421; BGH 9.10.1975 – VII ZR 130/73, BGHZ 65 127, 131 = NJW 1976 39, 40. 229 R. Koch FS Winter 363 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 43. 359

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

VR eine beabsichtigte Abtretung und/oder ein ins Auge gefasstes Anerkenntnis anzuzeigen, solange nicht der VR die Leistung einer Entschädigung mangels Haftung und/oder Deckung abgelehnt hat. Der VR hat dann die Möglichkeit, Haftung und Deckung unter Berücksichtigung der beabsichtigten Abtretung und/oder des beabsichtigten Anerkenntnisses in angemessener Zeit (erneut) zu prüfen. Es geht hier vor allem darum zu vermeiden, dass der VR unnötige Aufwendungen tätigt. Eine Verletzung dieser Anzeigepflichten befreit den VR freilich nicht (teilweise) von seiner Leistungspflicht, sondern berechtigt ihn nur zum Schadensersatz. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zur Abtretung des Freistellungsanspruchs während eines laufenden Haftpflichtprozesses verwiesen werden (vgl. Rn. 73).230

E. Abdingbarkeit von § 108 I. Massenrisiken 87 § 108 Abs. 1 ist im Hinblick auf den intendierten Schutz des geschädigten Dritten nicht nur halbzwingend i. S. v. § 112, sondern (absolut) zwingend, d. h. er kann auch nicht zugunsten des VN verändert werden (Verbot eines Vertrages zu Lasten Dritter).231 Allerdings kann der Dritte nach Eintritt des Versicherungsfalls auf die Rechte aus § 108 Abs. 1 verzichten oder eine verbotswidrige Verfügung genehmigen.232 Auf einen vor Eintritt des Versicherungsfalls abgegebenen Verzicht findet § 108 Abs. 1 keine Anwendung (Rn. 25). Im Übrigen stünde § 108 Abs. 1 einem Vorausverzicht in den Fällen nicht entgegen, in denen VN und geschädigter Dritter identisch sind (z. B. bei der Innenhaftung im Rahmen einer D&O-Versicherung).233 Bei dem Abtretungsklauselverbot in § 108 Abs. 2 handelt es sich ebenfalls um eine zwingen88 de Norm.234

II. Großrisiken und laufende Versicherung 1. § 108 Abs. 1 89 Nach vorherrschender Ansicht darf auch bei Großrisiken i. S. v. § 210 Abs. 2 und bei laufenden Versicherungen nicht zum Nachteil des Dritten von § 108 Abs. 1 abgewichen werden.235 Schnepp und Wandt weisen zu Recht darauf hin, dass es sich bei § 108 Abs. 1 nicht um eine Beschränkung der Vertragsfreiheit nach dem VVG i. S. v. § 210 Abs. 1, sondern nach allgemeinen Grundsätzen handelt.236 Der VR kann sich im Fall einer von § 108 Abs. 1 abweichenden Regelung im Übrigen auch schon deshalb nicht auf § 210 Abs. 1 berufen, weil § 210 Abs. 1 nach seinem Sinn und Zweck keine Anwendung auf solche Vorschriften des VVG findet, die nicht am Versicherungsvertrag beteiligte Dritte schützen sollen.237

230 R. Koch FS Winter 364. 231 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 80; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 26; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 15; BeckOK VVG/Car § 108 Rn. 18; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 66; a. A. offenbar Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 34. 232 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 82; Prölss/Martin/Lücke § 107 Rn. 19. 233 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 83. 234 BTDrucks. 16/3945 S. 115; vgl. auch Prölss/Martin/Lücke § 112 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 66; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 103. 235 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 80; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 108 Rn. 8; a. A. Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 66. 236 Bruck/Möller/Schnepp § 210 Rn. 14; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 80. 237 So zu Recht Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 8: teleologische Reduktion. Koch

360

E. Abdingbarkeit von § 108

VVG § 108

2. § 108 Abs. 2 a) Reichweite des § 210. Nach überwiegender Auffassung soll die Beschränkung der Ver- 90 tragsfreiheit durch § 108 Abs. 2 bei Großrisiken und laufenden Versicherungen keine Anwendung finden.238 Darüber hinaus soll § 108 Abs. 2 auch nicht als gesetzliches Leitbild im Rahmen der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, die nicht durch § 210 Abs. 1 ausgeschlossen ist, herangezogen werden können. Begründet wird dies damit, dass § 108 Abs. 2 keine über das – gerade von § 210 Abs. 1 erfasste – Verbot eines Abtretungsausschlusses hinausgehende Regelung treffe, die als dispositives Recht auch auf Großrisiken angewendet werden könne.239 Der herrschenden Ansicht ist nicht zu folgen. § 108 Abs. 2 soll nach den Vorstellungen des 91 Gesetzgebers auch den Interessen des Geschädigten dienen (Rn. 5 ff.). Insoweit reiht sich § 108 Abs. 2 VVG in die sonstigen, dem Geschädigtenschutz dienenden Vorschriften wie z. B. §§ 108 Abs. 1, 109, 110 VVG ein. Im Hinblick auf den zuvor aufgezeigten Gesetzeszweck ist deshalb bereits fraglich, ob § 210 Abs. 1 Abweichungen von § 108 Abs. 2 zu rechtfertigen vermag. Bejahte man diese Frage, stellt sich die Folgefrage, ob die Inhaltskontrolle eines formularmäßigen Abtretungsausschlusses am Maßstab des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB oder – weil es an der Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung fehlt – der Auffangregel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu erfolgen hat.

b) Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. BGB) aa) Abweichung von § 108 Abs. 2. Für ein Abstellen auf § 108 Abs. 2 als Leitbild spricht zum 92 einen die Begründung des Gesetzgebers zu § 210, der u. a. unter Hinweis auf § 108 ganz allgemein formuliert, dass Klauseln in den AVB der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterliegen und danach unwirksam sind, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken der Regelungen des VVG nicht zu vereinbaren sind.240 Für den Leitbildcharakter spricht zudem, dass es sich um ein Klauselverbot handelt, das funktional den Klauselverboten nach § 309 BGB entspricht (Rn. 4), die wegen ihrer besonders benachteiligenden Wirkung gegenüber Verbrauchern „ohne Wertungsmöglichkeit“ unwirksam sind241 und im unternehmerischen Verkehr gem. § 310 Abs. 1 S. 2 BGB Leitbildcharakter i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB haben. Der BGH misst den strikten Klauselverboten im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB deshalb Indizwirkung für die Unwirksamkeit der Klausel auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr zu.242 Entsprechendes muss auch für § 108 Abs. 2 gelten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass § 108 Abs. 2 nicht auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Die bisher in allen Sparten der Haftpflichtversicherung geübte Praxis, die Abtretung des 93 Freistellungsanspruchs zu untersagen, war mehrfach Gegenstand der Inhaltskontrolle. Trotz der Abweichung von § 398 BGB lehnte die Rechtsprechung eine unangemessene Benachteiligung des VN im Grundsatz ab. Das Interesse des VR an dem Abtretungsverbot wurde nicht nur als berechtigt bewertet, sondern auch als gegenüber dem Interesse des VN an der Abtretung an den 238 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 111; Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 18; Baumann RuS 2011 229, 233; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 108 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 108 Rn. 11; offenlassend BeckOK VVG/Car § 108 Rn. 19. 239 Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 18; Ingwersen 136 ff.; vgl. auch Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 80; Langheid/ Wandt/Fausten § 17 Rn. 29; Looschelders/Pohlmann/Haehling v. Lanzenauer Anh. C Rn. 56; Böttcher NZG 2008 645, 646; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 48; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2697; Thomas 480 f.; Ihlas 413 f.; Thume VersR 2010 849, 853. 240 BTDrucks. 16/3945 S. 87. 241 MüKo-BGB/Wurmnest § 309 Rn. 2. 242 BGH 19.9.2007 – VIII ZR 141/06, BGHZ 174 1 = NJW 2007 3744, 3775 Rn. 12, m. w. N. 361

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

Geschädigten höherrangig. Dies wurde damit begründet, dass das Verbot erstens verhindere, dass der in Anspruch genommene VR statt von seinem VN von einem anderen Gläubiger in Anspruch genommen werden könne, so dass er also im Schadensfall das Vertragsverhältnis nicht mit einem Dritten abwickeln müsse.243 Zweitens müsse der VR im Falle eines Prozesses nicht hinnehmen, dass sein VN die Stellung eines Zeugen erhalte und der VR dadurch in seiner Beweisführung benachteiligt werde.244 Drittens könne sich der VR nur durch das Abtretungsverbot dagegen wehren, entgegen den Grundsätzen des Trennungsprinzips im Deckungsprozess auch über Fragen verhandeln zu müssen, die ausschließlich die Haftpflichtproblematik, nicht aber Rechtsfragen aus dem Deckungsverhältnis beträfen.245 Das Interesse des Geschädigten blieb – von Ausnahmefällen abgesehen – unberücksichtigt.246 Die Sicherstellung, dass der VR den Schadensfall einzig mit dem VN und nicht mit (einer 94 Vielzahl von) Geschädigten abwickeln muss, beruht ebenso wie die aus dem Trennungsprinzip folgende Bindung des VR an den Ausgang des Haftpflichtprozesses ausschließlich auf Zweckmäßigkeitserwägungen. Lediglich der Gedanke der Beeinträchtigung in der Beweisführung ist nicht (ausschließlich) Zweckmäßigkeitserwägungen geschuldet. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber das formularvertragliche Abtretungsverbot trotz vielfältiger Stimmen in der Literatur, die insbesondere diesen Nachteil immer wieder hervorgehoben haben, untersagt hat, lässt jedoch den Schluss zu, dass er eine mögliche Beeinträchtigung in der Beweisführung ob des verbleibenden Schutzes des VR durch das Prozessrecht ebenso wie die Abwicklung des Schadensfalls mit mehreren Geschädigten nicht als sonderliche Belastung einordnet. Dies gilt auch für den Verlust des Ermessensrechts des VR zwischen Freistellung und Anspruchsabwehr. 95 Mag somit das formularmäßige Abtretungsverbot in erster Linie auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhen, so gilt dies für den durch § 108 Abs. 2 geregelten umgekehrten Fall der Untersagung des Abtretungsverbots nicht. Wie aus der Gesetzesbegründung deutlich wird, will der Gesetzgeber hierdurch einerseits Rücksicht auf das Interesse des VN nehmen, den Geschädigten direkt an den VR verweisen zu können, wenn dieser einen Haftpflichtanspruch infrage stellt, den der VN wegen seiner Beziehungen zu dem Geschädigten nicht zurückweisen möchte (Rn. 5). Andererseits will der Gesetzgeber den Geschädigten vor Nachteilen schützen, die sich u. a. daraus ergeben, dass er keinen Einblick in das Versicherungsverhältnis hat und deshalb den drohenden Verlust des Versicherungsanspruchs nicht verhindern kann (Rn. 6). Diese Erwägungen sind nicht (nur) zweckorientiert, sondern vor allem (auch) von Gerechtigkeitserwägungen geleitet. Es geht dem Gesetzgeber darum, durch § 108 Abs. 2 die Rechtsbeziehungen zwischen dem VN und dem Geschädigten nicht unnötig zu belasten und die Rechtsstellung des Geschädigten gegenüber dem VR zu stärken. Diese Stärkung, die einen Paradigmenwechsel in der freiwilligen Haftpflichtversicherung darstellt, ist im Rahmen der Inhaltskontrolle zwar grundsätzlich unbeachtlich, da diese nicht dem Schutz von Drittinteressen dient, sondern einzig dem Schutz der Interessen des Vertragspartners des Verwenders – hier also des VN.247 Wie aus der Gesetzesbegründung deutlich wird, sieht der Gesetzgeber § 108 Abs. 2 als eine Regelung an, die auch dem Interesse des Geschädigten gerecht wird. Insoweit sieht der Gesetzgeber die Interessen des VN mit denen des Geschädigten in einer Weise als gleichgerichtet an, dass es gerechtfertigt ist, diese bei Würdigung seiner Interessen mitzubeachten,248 zumal die Stärkung der Rechtsstellung 243 Vgl. BGH 21.4.2004 – IV ZR 113/03, NJW-RR 2004 1100, 1102; BGH 26.3.1997 – IV ZR 91/96, RuS 1997 325, 326; BGH 31.10.1990 – IV ZR 24/90, BGHZ 112 387, 388 = NJW 1991 559; BGH 3.12.1987 – VII ZR 374/86, BGHZ 102 293, 300 = NJW 1988 1210; BGH 8.12.1975 – II ZR 64/74, BGHZ 65 364, 365 = NJW 1976 672. 244 Vgl. BGH 21.4.2004 – IV ZR 113/03, NJW-RR 2004 1100, 1102; BGH 26.3.1997 – IV ZR 137/96, RuS 1997 325, 326. 245 OLG Köln 13.11.2007 – 9 U 204/06, RuS 2008 239, 240. 246 Vgl. OLG Stuttgart 15.7.1999 – 7 U 266/98, NVersZ 2000 95, 96; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 7 AHB Rn. 11; zur Interessenlage s. Winter RuS 2001 133, 137 ff. 247 BGH 7.10.1981 – VIII ZR 214/80, NJW 1982 178, 180; OLG Celle 26.4.1995 – 3 U 113/94, NJW 1998 82, 84. 248 Krit. Baumann RuS 2011 229, 234, der sich für den Weg der Einzelfallkorrektur über § 242 BGB ausspricht; vgl. auch Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 142 f.; Bamberger/Roth/H. Schmidt § 307 Rn. 27. Koch

362

E. Abdingbarkeit von § 108

VVG § 108

des Geschädigten auch im Interesse des VN liegt, weil er durch die – erfüllungshalber vorgenommene – Abtretung des Freistellungsanspruchs erreicht, dass es nicht zum Haftpflichtprozess kommt.249 Handelt es sich nach dem zuvor Gesagten bei § 108 Abs. 2 somit nicht nur um eine bloße Zweckmäßigkeitserwägung, indiziert die Abweichung auch deshalb bei Großrisiken eine unangemessene Benachteiligung des VN.250

bb) Abweichung von § 398 BGB. Selbst wenn man mit der herrschenden Ansicht im Rahmen 96 der Inhaltskontrolle nicht auf § 108 Abs. 2, sondern auf § 398 BGB abstellen wollte, sprechen auch in diesem Fall die besseren Argumente dafür, eine unangemessene Benachteiligung des VN zu bejahen. Insoweit ist zu beachten, dass die zu § 108 Abs. 2 zuvor dargestellten gesetzgeberischen Wertungen bei der nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB gebotenen umfassenden Interessenabwägung mit zu berücksichtigen sind.251 Nach der Rechtsprechung ist ein Abtretungsverbot „nur dann nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, wenn ein schützenswertes Interesse des Verwenders an dem Abtretungsverbot nicht besteht oder die berechtigten Belange des Vertragspartners an der freien Abtretbarkeit vertraglicher Ansprüche das entgegenstehende Interesse des Verwenders überwiegen“.252 Mit Rücksicht auf die Wertungen des Gesetzgebers ist nach der VVGReform nur noch das Interesse des VR schutzwürdig, sich nicht mit einem einzelnen ihm unbekannten Dritten oder einer Vielzahl ihm unbekannter Dritter auseinandersetzen zu müssen. Dieser Zweck liegt auch der Regelung des § 44 Abs. 1 zugrunde, ist dem Versicherungsvertragsrecht also nicht fremd.253 Angesichts der Gewichtigkeit der Belange des VN an der Abtretbarkeit muss dieses Interesse des VR jedoch zurücktreten. Soweit man entgegen der hier vertretenen Ansicht Abtretungsverbote bei Großrisiken oder 97 laufenden Risiken für wirksam erachtet, stellt sich zum einen die Frage, ob pauschale Verbote wirksam sind, die keinen Vorbehalt dahingehend enthalten, bei Massenrisiken nicht anwendbar zu sein. Diese Problematik weist Parallelen zu Gerichtsstandsklauseln auf, die nach § 38 Abs. 1 ZPO nur im kaufmännischen Geschäftsverkehr wirksam sind.254 Den dort von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsatz, demzufolge bei der Inhaltskontrolle unterschiedliche gruppentypische Interessen Berücksichtigung finden,255 wird man auch hier gelten lassen müssen. Ein pauschales, nicht zwischen Groß- und Massenrisiken differenzierendes Abtretungsverbot bei der Versicherung von Großrisiken und laufenden Risiken ist somit wirksam, bei der Versicherung von Massenrisiken dagegen unwirksam. Die Voraussetzungen für ein Großrisiko oder eine laufende Versicherung müssen nicht nur im Zeitpunkt der Vereinbarung des Abtretungsverbots/von Vertragsverlängerungen, sondern auch noch im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls vorliegen.256 Zum anderen ist der Hinweis darauf geboten, dass eine Klausel in Großrisikoverträgen und 98 bei laufenden Versicherungen, die vom Abtretungsverbot Freistellungsansprüche nach Fest249 Staudinger/Wendlandr (2019) § 307 Rn. 145 ff.; Bamberger/Roth/H. Schmidt § 307 Rn. 24. 250 Vgl. auch Prölss/Martin/Voit Ziff. 10.2 AVB-AVG Rn. 1; Baumann RuS 2011 229, 233 f.; R. Koch VersR 2016 765, 766 f.

251 Baumann RuS 2011 229, 233 f.; vgl. auch BGH 13.7.2006 – VII ZR 51/05, NJW 2006 3486, 3487. 252 BGH 13.7.2006 – VII ZR 51/05, NJW 2006 3486, 3487; vgl. auch BGH 15.6.1989 – VII ZR 205/88, BGHZ 108 52, 54 f. = NJW 1989 2750, 2751; BGH 30.10.1990 – IX ZR 239/89, NJW-RR 1991 763; BGH 11.3.1997 – X ZR 146/94, NJW 1997 3434, 3436. 253 Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch § 44 Rn. 4; vgl. auch ÖOGH 28.3.2007 VersR 2008 1283, 1284. 254 Vgl. OLG Schleswig 21.6.2006 – 2 W 88/06, NJW 2006 3361 f.; OLG Frankfurt/M. 3.2.1998 – 5 U 267/96, BB 1998 2230, 2231. 255 OLG Frankfurt/M. 3.2.1998 – 5 U 267/96, BB 1998 2230; Ulmer/Brandner/Hensen/H. Schmidt Teil 3 (4) Rn. 5; jew. m. w. N. 256 A. A. Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 111; Prölss/Martin/Voit Ziff. 10.2 AVB-AVG Rn. 1; Dreher/Thomas ZGR 2008 31, 47 f.; Thomas 480: nur Zeitpunkt der Vereinbarung des Abtretungsverbots/von Vertragsverlängerungen. 363

Koch

§ 108 VVG

Verfügung über den Freistellungsanspruch

stellung der Haftpflichtanspruchs mit bindender Wirkung für den VR i. S. v. § 106 S. 1 nicht ausnimmt, den VN unangemessen i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB benachteiligt und deshalb unwirksam ist (zur Rechtslage in Österreich s. Rn. 103).257

99 c) Besonderheiten in der D&O-Versicherung von Innenhaftungsansprüchen. Die Besonderheiten in der D&O-Versicherung von Innenhaftungsansprüchen rechtfertigen keine abweichende Beurteilung im Rahmen der Inhaltskontrolle bei Großrisiken. Hier besteht nicht einmal mehr ein berechtigtes Interesse des VR, zu verhindern, sich im Rahmen der Schadensabwicklung mit Ansprüchen einzelner oder gar einer Vielzahl ihm unbekannter Dritter auseinandersetzen zu müssen, weil es nur die VN (und/oder einen überschaubaren Kreis mitversicherter Tochterunternehmen) als Geschädigten gibt.258 Eine andere Frage ist, ob die VN, die im Rahmen der Innenhaftung sowohl Vertragspartei als auch geschädigte Dritte ist, sich in ihrer Eigenschaft als Vertragspartei den Anspruch auf Freistellung der versicherten Person überhaupt an sich selbst abtreten kann, soweit sie – zwar abweichend von der Vertragspraxis, jedoch in Übereinstimmung mit §§ 44 Abs. 1, 45 Abs. 1 – allein zur Verfügung über den Freistellungsanspruch (im eigenen Namen) und somit auch zur Abtretung berechtigt ist. Nach hier vertretener Ansicht ist die VN dazu nur berechtigt, wenn sie die Abtretung an Erfüllungs Statt vornimmt (hierzu § 100 Rn. 181).

F. Beweislast 100 Hinsichtlich der Beweislast für sämtliche Voraussetzungen von § 108 Abs. 1 gelten die allgemeinen Regeln. Es trägt derjenige die Beweislast, der sich zu seinen Gunsten auf die Rechtsfolge der Vorschrift beruft; in der Regel somit der Dritte.259 Diesen trifft auch im Fall der Abtretung des Freistellungsanspruchs die Beweislast dafür, dass der VN ihm gegenüber haftet und der Haftpflichtanspruch in den Schutzbereich der Haftpflichtversicherung fällt. Für versicherungsrechtliche Einwendungen gegen den Freistellungsanspruch trägt der VR die Beweislast. Beweiserleichterungen hinsichtlich der Haftung gegenüber dem VN kommen dem Dritten auch gegenüber dem VR im Rahmen der Prüfung der Haftpflicht als Vorfrage zugute (Rn. 64 ff.); umgekehrt kommt eine Beweislastumkehr zum Nachteil des Geschädigten dem VR zugute (Rn. 67).

G. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich 101 Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 108 Abs. 1 ist § 156 Abs. 1 VersVG, der mit § 156 Abs. 1 a. F. identisch ist. Unter dem Begriff der Verfügung versteht der OGH jede Handlung, die unmittelbar auf Änderung, Übertragung, Belastung oder Vernichtung der Entschädigungs257 Vgl. OLG Saarbrücken 8.9.2004 – 5 U 21/04–1, VersR 2005 394; Hans. OLG Hamburg 21.12.1971 – 7 U 51/71, VersR 1972 631 (alle unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben unter Hinweis darauf, dass der VN mit der Abtretung freiwillig das gegeben hat, was der Geschädigte durch Pfändung und Überweisung ohne weiteres hätte erlangen können); Baumann FS Zivilrechtslehrer 28 Fn. 94; Winter RuS 2001 133, 136. 258 I.E. wie hier Prölss/Martin/Voit Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 2; a. A. Baumann RuS 2011 229, 233 f.; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2697; Thomas 480 f.; Böttcher NZG 2008 645, 646 Fn. 16; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 48; Looschelders/ Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C Rn. 54; Schramm PHi 2008 24, 25. 259 Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 79. Koch

364

G. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 108

forderung gerichtet ist. Dazu gehört die Entgegennahme der Entschädigung durch den VN. Deshalb ist der VR weder verpflichtet noch berechtigt, zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit an den VN selbst zu zahlen.260 § 108 Abs. 2 hat keine Entsprechung im VersVG. Ähnlich der Praxis in Deutschland vor der 102 Reform des VVG scheitert die Abtretung vor Feststellung der Haftpflichtanspruchs i. S.d § 154 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 VersVG des VN an vertraglich vereinbarten Abtretungsverboten, die von der Rechtsprechung als wirksam angesehen werden.261 § 1396a ABGB, der bestimmt, dass ein Zessionsverbot nur verbindlich ist, wenn es im Einzelnen ausgehandelt worden ist und den Gläubiger unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles nicht gröblich benachteiligt, findet – ebenso wie § 354a HGB – nur auf Geldforderungen Anwendung. Nach Feststellung des Haftpflichtanspruchs ist eine Abtretung des Freistellungsan- 103 spruchs an den Dritten grundsätzlich möglich.262 Die Berufung auf ein etwaig vertraglich vereinbartes Abtretungsverbot ist in diesem Stadium rechtsmissbräuchlich.263

II. PEICL Die PEICL enthalten eine mit § 108 Abs. 1 S. 1 vergleichbare Regelung. Zum Schutz des Geschä- 104 digten bestimmt Art. 14:102, dass seine (Rechts-)Stellung nicht berührt wird, wenn der VN mit dem VR ohne seine schriftliche Zustimmung einen Vergleich hinsichtlich des Versicherungsanspruches aus dem Versicherungsvertrag schließt, sei es durch Vereinbarung, Verzichtserklärung, Zahlung oder eine vergleichbare Handlung. Der Sache nach handelt sich ebenso wie bei § 108 Abs. 1 S. 1 um ein relatives Verfügungsverbot. § 108 Abs. 1 S. 2 hat dagegen keine Entsprechung in den PEICL. Art. 14:105 enthält eine mit § 108 Abs. 2 inhaltsgleiche Regelung, die jedoch nicht auf die 105 Unwirksamkeit formularmäßiger Abtretungsverbote beschränkt ist. Danach ist eine Bestimmung im Versicherungsvertrag, welche dem VN sein Recht entzieht, seinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag abzutreten, unwirksam.

260 OGH 30.3.2011 – 7 Ob 241/10g, ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00241.10G.0330.000. 261 Vgl. OGH 17.4.2002 – 7 Ob 284/01t, ECLI:AT:OGH0002:2002:0070OB00284.01T.0417.000; Fenyves/Schauer/Reisinger § 149 Rn. 40; Ramharter Rz. 3/41.

262 Vgl. Hinweis von Ramharter Rz. 3/40 Fn. 515 auf OGH 18.2.2015 – 7 Ob 213/14w, ECLI:AT:OGH0002:2015: 0070OB00213.14W.0218.000, wo die Feststellung durch ein rechtkräftiges Urteil in einem nach § 110 KO a. F. (nunmehr IO) geführten Prüfungsprozess erfolgt war und die Abtretung durch den Masseverwalter erfolgte). 263 Vgl. i. E. OGH 23.10.1996 – 7 Ob 2263/96m, ECLI:AT:OGH0002:1996:0070OB02263.96M.1023.000; Ramharter Rz. 3/40. 365

Koch

§ 109 Mehrere Geschädigte Ist der Versicherungsnehmer gegenüber mehreren Dritten verantwortlich und übersteigen deren Ansprüche die Versicherungssumme, hat der Versicherer diese Ansprüche nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu erfüllen. Ist hierbei die Versicherungssumme erschöpft, kann sich ein bei der Verteilung nicht berücksichtigter Dritter nachträglich auf § 108 Abs. 1 nicht berufen, wenn der Versicherer mit der Geltendmachung dieser Ansprüche nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste.

Schrifttum Armbrüster Interessenkonflikte in der D&O-Versicherung, NJW 2016 897; ders. Verteilung nicht ausreichender Versicherungssummen in D&O-Innenhaftungsfällen, VersR 2014 1; Car Das Überschreiten der Deckungssumme in der Haftpflichtversicherung (2016); Deichl/Küppersbusch/Schneider Kürzungs- und Verteilungsverfahren nach §§ 155 Abs. 1 und 156 Abs. 3 VVG in der Kfz-Haftpflichtversicherung (1985); Deinhardt Der Schutz des Verkehrsopfers bei Erschöpfung der Versicherungssumme, VersR 1980 412; Fenyves Die rechtliche Behandlung von Serienschäden in der Haftpflichtversicherung (1988); Grooterhorst/Looman Kostentragung des Versicherers bei (teilweiser) Erschöpfung der Versicherungssumme in der D&O-Versicherung, RuS 2014 157; Hemeling Neuere Entwicklungen in der D&O-Versicherung, in Krieger/Lutter/Schmidt (Hrsg), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag (2013) 491; Hessert Sozialversicherung und Schadensregulierung – Befriedigungsvorrechte nach § 116 SGB X und das Verteilungsverfahren nach § 156 Abs 3 VVG, VersR 1997 39; Ch. Huber Probleme der über die Versicherungssumme hinausgehenden Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers gem. § 156 Abs 3 VVG, VersR 1986 851; R. Koch Eintrittspflicht der Exzedentenversicherer in der Haftpflichtversicherung, VersR 2021 879; ders. Wechselseitige Rücksichtnahmepflichten der Versicherer in der Exzedentenversicherung, in: Schütze/Klötzel/Gebauer (Hrsg.), FS für Roderich C. Thümmel zum 65. Geburtstag (2020) 421; ders. Verteilung nicht ausreichender Versicherungssumme in D&O-Innenhaftungsfällen, VersR 2016 1469; ders. Das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer, Versicherungsnehmer und versicherten Personen in Innenhaftungsfällen der D&O-Versicherung, ZVersWiss 2012 151; Knöfel Strukturprobleme der D&O-Exzedentenversicherung, ZIP 2018 1814; Konradi Das Kürzungs- und Verteilungsverfahren gemäß §§ 155, 156 Abs. 3 VVG a. F. bzw. § 109 VVG, VersR 2009 321; Lange Die verbrauchte Versicherungssumme in der D&O-Versicherung, VersR 2014 1413; Langenick Probleme des Verteilungsverfahrens, insbesondere das in § 118 Abs. 1 VVG verborgene Super-Befriedigungsvorrecht, RuS-Beil. 2011 70; Peppersack Die Problematik unzureichender Versicherungssummen in der D&O-Versicherung – Modelle und Lösungsansätze, RuS 2018 117; ders. Das Kürzungsund Verteilungsverfahren in der D&O-Versicherung – Auswirkungen unzureichender Deckungssummen und deren Lösungsmöglichkeiten (2017); Plagemann/Schafhausen Teilungsabkommen mit Sozialversicherungsträgern und ihre Auswirkung auf Dritte, NZV 1991 49; Prelinger Teilungsabkommen in der Regulierungspraxis zwischen SVT und Haftpflichtversicherern, VersR 2021 12; Ramharter D&O-Versicherung (2018); Reichert/Suchy Die Two-Tier Trigger Policy – Marketinginstrument oder zukunftsweisendes D&O-Versicherungskonzept? NZG 2017 88; Schaloske Exzedentenversicherung – Rechtsfragen in der Schadenspraxis, in: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (Hrsg.): Verlässlichkeit, Verantwortung, Vertrauen: FS für Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth (2020) 315; Schultheiß Das Verteilungsverfahren nach § 109 VVG in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, VersR 2016 497; Sprung Das Verteilungsverfahren bei Deckungssummenüberschreitung in der Kfz-Haftpflichtversicherung, VersR 1992 657; Thürmann Einige Gedanken zu Layerdeckungen in der Betriebshaftpflichtversicherung, in: Koch/ Werber/Winter (Hrsg.) Der Forschung – der Lehre – der Bildung, 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e. V. (2016) 505; Weidner/Schuster Quotelung von Entschädigungsleistungen bei grober Fahrlässigkeit des VN in der Sachversicherung nach neuem VVG, RuS 2007 363; Wenke Verteilungspläne bei nicht ausreichender Deckungssumme in der Kfz-Haftpflichtversicherung, VersR 1983 900.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

Koch https://doi.org/10.1515/9783110522662-011

II.

Inhalt und Normzweck

III.

Anwendungsbereich

2 5

366

A. Einführung

6

B.

Tatbestandsvoraussetzungen

I.

Verantwortlichkeit gegenüber mehreren geschä6 digten Dritten

II. 1.

7 Unzureichende Versicherungssumme Ermittlung der zur Verfügung stehenden Versi7 cherungssumme Feststellung der Höhe der Haftpflichtansprü11 che Verteilung der Rechtsschutzkosten auf die Versi13 cherungssumme bei Kostenanrechnung 14 a) Die Ansicht Langes 17 b) Stellungnahme

1.

2.

2. 3.

Beurteilungszeitpunkt

C.

Rechtsfolgen bei unzureichender Versiche27 rungssumme

I. 1. 2.

27 Verhältnismäßige Befriedigung 27 Ein Versicherungsfall 30 Mehrere Versicherungsfälle

II.

Besonderheiten bei der Beteiligung regressnehmender Privatversicherer und Sozialversiche34 rungsträger 34 Überblick a) Vollständiger Ausgleich des Scha34 dens b) Unvollständiger Ausgleich des Scha35 dens 37 Beispiele zu § 86 Abs. 1 S. 1 41 Beispiele zu § 116 SGB X Abfindungsvergleich zwischen Sozialversiche47 rungsträger und VR Teilungsabkommen zwischen Sozialversiche48 rungsträger und VR

2. 3. 4. 5.

III.

IV.

2.

25

III.

1.

V. 1.

Bei der Verteilung nicht berücksichtigte Dritte 50 (§ 109 S. 2)

VVG § 109

55 Bereicherungsansprüche des VR 55 a) Gegenüber VN b) Gegenüber bevorzugt befriedigten Drit56 ten Bereicherungsansprüche des benachteiligten 59 Dritten 60 Prozessuales Inanspruchnahme des VR nach Pfändung und Überweisung des Freistellungsan60 spruchs Rechtsbehelfe bei Überpfändung der Haftpflicht62 versicherungsforderung 62 a) Rechtsbehelfe des VR b) Rechtsbehelfe des geschädigten Drit63 ten

D.

Entsprechende Anwendung des § 109 bei einer Mehrzahl von versicherten Schädi64 gern?

I.

Beispiele

II.

Analoge Anwendung von § 109

III.

Anwendung des Inhalts von § 109 als Ergebnis 70 ergänzender Vertragsauslegung

E.

Bedeutung von § 109 in der Exzedentenversi74 cherung

F.

Beweislast

G.

Abdingbarkeit

H.

Österreichisches Recht/Principles of Europe79 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

65 69

77 78

79 80

Ausgleich einer Überzahlung i. S. d. § 109 55

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 109 ist die Nachfolgeregelung zu § 156 Abs. 3 a. F., der durch Gesetz vom 7.11.19391 eingefügt wur- 1 de.2 § 109 S. 1 gibt – sprachlich anders gefasst – § 156 Abs. 3 S. 1 a. F. wieder. Während § 156 Abs. 3 1 RGBl. I S. 2223. 2 Motive 637 ff. 367

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

S. 2 a. F. darauf abstellte, ob der VR im Falle der Erschöpfung der Deckungssumme „mit der Geltendmachung dieser Ansprüche entschuldbarerweise nicht gerechnet hat“, kommt es nach § 109 S. 2 darauf an, ob „der Versicherer mit der Geltendmachung dieser Ansprüche nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste“. Da die Änderungen in § 109 nach den Vorstellungen des Gesetzgebers rein redaktioneller Natur sind,3 gilt die Rechtsprechung und Literatur zu § 156 Abs. 3 a. F. fort. Der VR hat somit auch nach der Reform nicht jede Fahrlässigkeit zu vertreten. Er hat vielmehr nur die Sorgfalt zu beobachten, „die unter den Umständen des besonderen Falles von einem vernünftigen und praktischen Versicherer verlangt und angewendet wird“.4

II. Inhalt und Normzweck 2 § 109 betrifft die Situation, dass es in einem Schadensfall mehrere Geschädigte gibt, deren Haftpflichtforderungen zusammengenommen die zur Verfügung stehende Versicherungssumme übersteigen. Hier gilt nicht der sonst im Zwangsvollstreckungsrecht geltende Grundsatz der Priorität, demzufolge das durch eine frühere Pfändung begründete Pfandrecht demjenigen vorgeht, das durch eine spätere Pfändung begründet wird (vgl. § 804 Abs. 3 ZPO).5 Vielmehr ist in solchen Fällen nach § 109 S. 1 die Versicherungssumme nach dem Verhältnis der beteiligten Haftpflichtforderungen nach Maßgabe eines vom VR zu erstellenden Verteilungsplans zu verteilen.6 § 109 S. 1 stellt sich insoweit ebenso wie § 107 als eine Berechnungsmethode zur Verteilung eines durch die Beschränkung auf die Versicherungssumme vorhersehbaren Deckungsmangels dar.7 3 R. Johannsen hat zu Recht zur Vorgängerregelung des § 156 Abs. 3 a. F. darauf hingewiesen, dass die praktische Handhabung dieser Vorschrift zu Schwierigkeiten führen kann.8 Zwar ist der VN nach Eintritt des Versicherungsfalls zur Auskunft verpflichtet (§ 31 VVG i. V. m. Ziff. 25.2 S. 2 u. 3 AHB/B3-3.2.2 lit. b) AVB BHV/AVB PHV). Hierdurch wird der VR in die Lage versetzt, sich ein erstes Bild von der Zahl der Geschädigten und der Schwere der eingetretenen Schäden zu machen. Bei mehreren Geschädigten wird der VR die Höhe der Schadensersatzansprüche der Einzelnen sowie insgesamt gleichwohl nicht vollends überblicken und den auf die einzelne Forderung entfallenden Anteil deshalb oftmals nur schätzen können.9 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Schadensentwicklung nicht abgeschlossen ist. Neuberechnungen können deshalb erforderlich werden10 und der VR läuft hier Gefahr, in Kontroversen verwickelt zu werden. Er trägt das Risiko der Fehlverteilung.11 § 109 S. 1 weist gewisse Parallelen zu § 1991 Abs. 4 BGB auf.12 Trotz dieser Schwierigkeiten hat der Gesetzgeber inhaltlich an der früheren Regelung festgehalten.13 4 § 109 S. 2 dient dem Schutz des VR, wenn Dritte nach Erschöpfung der Versicherungssumme nachträglich Ansprüche geltend machen, mit denen der VR nicht gerechnet hat und auch nicht

3 4 5 6

Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 87: „Die Vorschrift stimmt sachlich mit § 156 Abs. 3 VVG überein“. Motive 639; RG 25.10.1938 – VII 75/38, RGZ 158 284, 288 (grundsätzlich zum Begriff „entschuldbar“). BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679; BGH 26.6.1985 – IVa ZR 264/83, VersR 1985 1054, 1055. Vgl. Langenick RuS-Beil. 2011 70, 71; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 1; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 1. 7 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1680 = RuS 2007 83, 85. 8 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 94; vgl. auch Langenick RuS-Beil. 2011 70; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 47; vgl. Späte § 1 Rn. 213; Sprung VersR 1992 657, 659; Wenke VersR 1983 900 ff.; Deinhart VersR 1980 412, 414. 9 Vgl. BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1680 = RuS 2007 83, 85. 10 Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 2; Wenke VersR 1983 900 ff. 11 Ch. Huber VersR 1986 851, 852. 12 Vgl. K. Sieg Ausstrahlungen 174. 13 Krit. Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 12; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 1. Koch

368

B. Tatbestandsvoraussetzungen

VVG § 109

rechnen musste. In diesem Fall müssen die zu spät kommenden Dritten die Zahlungen, die der VR an andere Dritte geleistet hat, gegen sich gelten lassen.14

III. Anwendungsbereich § 109 wird in der obligatorischen Haftpflichtversicherung durch die Neuregelung des § 118 ver- 5 drängt,15 die auf den Status als Direktgeschädigter (§ 118 Abs. 1 Nr. 1, 2) oder Drittleistungsträger (§ 118 Abs. 1 Nr. 3 bis 5) abstellt.16

B. Tatbestandsvoraussetzungen I. Verantwortlichkeit gegenüber mehreren geschädigten Dritten Der VN muss gegenüber mehreren geschädigten Dritten haftpflichtig sein. Dritter i. S. d. § 109 6 ist – wie auch sonst im Haftpflichtversicherungsrecht – in der Eigenversicherung jede nicht mit dem VN und in der Fremdversicherung jede nicht mit der versicherten Person identische (natürliche oder juristische) Person, die gegen den VN oder die versicherte Person Schadensersatzansprüche erhebt (§ 100 Rn. 148 ff.). Zu Dritten zählen auch die nach §§ 844, 845 BGB Berechtigten sowie all diejenigen, die den Schadensersatzanspruch derivativ (durch Abtretung nach § 398 BGB oder kraft Gesetzes nach § 86 Abs. 1 S. 1 (z. B. Kasko-VR),17 § 116 SGB X oder § 268 Abs. 3 BGB) oder originär (z. B. nach § 110 SGB VII oder nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB) erworben haben (zu den Besonderheiten bei der Beteiligung regressnehmender Privat- und Sozialversicherer s. Rn. 34 ff.).18

II. Unzureichende Versicherungssumme 1. Ermittlung der zur Verfügung stehenden Versicherungssumme Die Haftpflichtansprüche der Geschädigten müssen die Versicherungssumme übersteigen. Ne- 7 ben den durch Vergleich, Urteil oder Anerkenntnis festgestellten Forderungen sind auch die noch nicht festgestellten, jedoch beim VR geltend gemachten Gläubiger zu berücksichtigen und schließlich jene, mit deren Geltendmachung der VR bei entsprechender Sorgfalt rechnen muss.19 Letzteres folgt aus § 109 S. 2. Dabei muss der VR nicht alle theoretisch denkbaren Ansprüche in Betracht ziehen, sondern nur die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass weitere, bisher noch nicht berück-

14 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 8; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 47; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider § 24 Rn. 156.

15 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Schwartze § 118 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber § 118 Rn. 2; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen § 118 Rn. 1; Späte/Schimikowski/v. Rintelen AHB § 1 Rn. 386; Langenick RuS-Beil. 2011 70; a. A. Prölss/Martin/Knappmann § 118 Rn. 1, der innerhalb der nach § 118 Abs. 1 vorgesehenen Rangordnung § 109 anwenden will. 16 Vgl. Stiefel/Maier/Jahnke § 118 Rn. 16. 17 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1679 = RuS 2007 83, 84; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 3; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 17; Hessert VersR 1997 39 ff.; K. Sieg Ausstrahlungen 174. 18 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 17; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 3; BeckOK VVG/Car § 109 Rn. 1. 19 Vgl. zur Parallelregelung des § 156 Abs. 3 VersVG ÖOGH 27.11.2013 – 2 Ob 59/13k, ECLI:AT:OGH0002:2013:0020O B00059.13K.1127.000; ÖOGH 29.9.1987 – 2 Ob 46/87, ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00046.87.0929.000. 369

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

sichtigte Forderungen auftreten werden. Die bloß abstrakte Möglichkeit einer solchen später entstehenden Forderung rechtfertigt nicht die Verringerung des Deckungskapitals.20 8 Die Höhe der Versicherungssumme bestimmt sich nach den zwischen dem VN und dem VR getroffenen Vereinbarungen. Die Verteilungsquote ergibt sich aus dem Verhältnis von der Summe aller Forderungen der Gläubiger zu der Versicherungssumme: Versicherungssumme Verteilungsquote = Gesamtheit der geltend gemachten Forderungen Kosten sind bei der Ermittlung der zur Verfügung stehenden Versicherungssumme nicht zu berücksichtigen, da sie nicht Bestandteil der Versicherungssumme sind. Dies folgt aus § 101 Abs. 2 S. 1, der vorsieht, dass der VR die Kosten des Rechtsstreits, soweit er auf seine Veranlassung geführt wird, auch insoweit zu ersetzen hat, als sie zusammen mit den Aufwendungen des VR zur Freistellung des VN die Versicherungssumme übersteigen.21 Etwas anderes gilt, wenn Kostenanrechnung vereinbart wird (zu Einzelheiten bei Vereinbarung von Kostenanrechnung vgl. Rn. 13 ff.). 9 In der Regel wird eine Höchstersatzleistung für alle Versicherungsfälle des Versicherungsjahres vereinbart, die ein Vielfaches der für den einzelnen Versicherungsfall zur Verfügung stehenden Versicherungssumme sein kann (vgl. Ziff. 6.2 AHB, A1-5.2 AVB BHV/AVB PHV), aber nicht sein muss (z. B. bei Vereinbarung „je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen“). Die zur Verfügung stehende Versicherungssumme wird darüber hinaus durch Serienschadensklauseln begrenzt, die üblicherweise Eingang in die Haftpflichtversicherung finden und einzelne Versicherungsfälle, die zeitlich und sachlich zusammenhängen (vgl. Ziff. 6.3 AHB, A1-5.3 AVB BHV/AVB PHV), fiktiv zu einem Versicherungsfall verklammern. Diese Verklammerung hat zur Folge, dass die für den einzelnen Versicherungsfall vorgesehene Versicherungssumme ungeachtet der Zahl der tatsächlich eingetretenen Versicherungsfälle nur einmal zur Verfügung steht. Dem Zweck der Haftungsbegrenzung des VR dienen auch Kostenanrechnungsklauseln. 10 Sind für Personen-, Sach- und Vermögensschäden unterschiedliche Versicherungssummen vereinbart, ist das Übersteigen der Haftpflichtansprüche für jede Schadensart gesondert festzustellen.22 Ist dasselbe Risiko mehrfach versichert, sind die Versicherungssummen zu addieren,23 ohne dass es darauf ankommt, ob das Risiko bei demselben oder auch einem anderen VR durch unterschiedliche Verträge (z. B. Privathaftpflicht- und Jagdhaftpflichtversicherung) versichert ist.24 Keine Addition der Versicherungssummen findet statt, wenn VN und Mitversicherte aus einem Vertrag in Anspruch genommen werden (vgl. Ziff. 6.1 AHB, A1-5.1 AVB BHV/AVB PHV).

2. Feststellung der Höhe der Haftpflichtansprüche 11 Fällige Haftpflichtansprüche sind mit dem Nominalbetrag anzusetzen. Kosten bleiben – wie ausgeführt – unberücksichtigt, soweit nicht Kostenanrechnung vereinbart ist.25 Außer Ansatz 20 Vgl. ÖOGH 27.11.2013 – 2 Ob 59/13k, ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00059.13K.1127.000. 21 Lange VersR 2014 1413, 1423; Ramharter Rz. 6/79. 22 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1680 = RuS 2007 83, 85; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 109 Rn. 5; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 53. 23 BGH 28.11.1990 – IV ZR 233/89, VersR 1991 172, 173; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 6. 24 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 7. 25 Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 7; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 22; a. A. Lange VersR 2014 1413, 1423. Koch

370

B. Tatbestandsvoraussetzungen

VVG § 109

bleiben auch Ansprüche auf Zinsen gem. § 101 Abs. 2 S. 2.26 Stehen die einzelnen Forderungen ihrem Umfang nach genau fest, so lässt sich die Höhe der einzelnen Anteile leicht rechnerisch ermitteln. Es ist weiter nichts zu tun, als das Verhältnis der Höhe der Gesamtforderungen zur Versicherungssumme zu ermitteln. Beläuft sich die Versicherungssumme z. B. auf 10 Mio. Euro und betragen die Gesamtforderungen 20 Mio. Euro, so besteht ein Verhältnis von 1:2. Dies bedeutet, dass die Einzelforderungen, die die Gesamtsumme von 20 Mio. Euro ausmachen, nur je zur Hälfte zu berücksichtigen sind. Für Forderungen, die noch nicht (gerichtlich) geltend gemacht worden sind, mit deren 12 Geltendmachung aber zu rechnen ist, ist ein Schätzbetrag anzusetzen, dessen Höhe sich nach dem höchsten ernsthaft in Betracht kommenden Betrag richtet.27 Gleiches gilt, wenn die Eintrittspflicht des VR zwar dem Grunde, nicht aber der Höhe nach feststeht. Sind die Forderungen noch nicht durch Vergleich, Anerkenntnis oder Urteil i. S. v. § 106 S. 1 festgestellt, so hat der VR diese durch Bildung einer Rückstellung in angemessener Höhe zu berücksichtigen.28 Sind die Forderungen gerichtlich geltend gemacht worden, ist der vom Gericht festgestellte Streitwert maßgeblich. Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen wie z. B. Renten oder Unterhaltsleistungen sind i. H.d. Kapitalwerts zu berücksichtigen.29 Ausgleichsansprüche gegen weitere Schädiger oder VR (Mehrfachversicherung) sind mit ihrem feststehenden oder zu schätzenden Betrag vom Gesamtbetrag der Forderung abzuziehen und erhöhen somit den Betrag, der zwischen den Geschädigten zu verteilen ist.30 Beispiel: Im Rahmen einer Produkthaftpflichtversicherung beläuft sich die Versicherungssumme (je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen) auf 15 Mio. EUR. Aufgrund eines Produktfehlers machen A, B und C Ansprüche wegen Personenschäden in Höhe von 15, 10 und 5 Mio. EUR geltend. Hält der VR den Anspruch des Geschädigten C nach Prüfung der Sach- und Rechtslage für unbegründet, ist er wegen § 109 S. 2 VVG berechtigt, bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung Rückstellungen in der für das Verteilungsverfahren maßgeblichen Höhe zu bilden. Anspruchssteller

Forderung gegen VN

Versicherungssumme

Verteilungsquote

A B C

15 Mio. 10 Mio. 5 Mio.

15 Mio. 15 Mio. 15 Mio.

7,5 Mio. 5 Mio. 2,5 Mio.

Gesamt

30 Mio.

15 Mio.

15 Mio.

= Versicherungssumme = 15 Mio. Gesamtforderung 30 Mio.



Erweist sich der Haftpflichtanspruch des C später als unbegründet, findet eine Neuberechnung/verteilung statt.

26 Lange VersR 2014 1413, 1423. 27 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 6; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 22; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 53; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 5; Grooterhorst/Looman RuS 2014 157, 162. 28 Vgl. Langenick RuS-Beil. 2011 70 f.; Langheid/Wandt/Ihlas Kap. 320 Rn. 544; Späte/Schimikowski/v. Rintelen AHB § 1 Rn. 387. 29 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679 = RuS 2007 83, 84; BGH 6.10.1982 – IVa ZR 54/81, VersR 1983 26, 27; BGH 28.11.1979 – IV ZR 83/78, VersR 1980 132 f. mit Berichtigung VersR 1980 279; BGH 12.6.1980 – IVa ZR 9/ 80, VersR 1980 817, 818; ÖOGH 24.6.1976 – 2 Ob 108/76, ZVR 1976 353, 354; vgl. auch Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 6; Späte/Schimikowski/v. Rintelen AHB § 1 Rn. 387; Langenick RuS-Beil. 2011 70, 71; Hessert VersR 1997 39, 42. 30 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 6; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 25; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Retter § 109 Rn. 8; Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 5; BeckOK VVG/Car § 109 Rn. 7; Deichl/Küppersbusch/ Schneider Vor § 155 Rn. 73. 371

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

Anspruchssteller

Forderung gegen VN

Versicherungssumme

Verteilungsquote

A B C

15 Mio. 10 Mio. 0 Mio.

15 Mio. 15 Mio. 15 Mio.

9 Mio. 6 Mio. 0 Mio.

Gesamt

25 Mio.

15 Mio.

15 Mio.

= Versicherungssumme Gesamtforderung

= 15 Mio. = 3/5 25 Mio.

3. Verteilung der Rechtsschutzkosten auf die Versicherungssumme bei Kostenanrechnung 13 In der Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung (beschränkt auf Auslandsschäden), in der D&O-Versicherung und in der Cyberversicherung ist eine Anrechnung der Kosten auf die Versicherungssumme vorgesehen (vgl. Ziff. 7.7.3 BBR BHV, A1-6.8.2 und A3-6.8.2 AVB BHV; A-6.4 S. 2 AVB D&O, A3-6.3 AVB Cyber). Die aktuell vom GDV empfohlene Kostenanrechnungsklausel lautet regelmäßig wie folgt (vgl. Ziff. 7.7.3 BBR BHV, A1-6.8.2 und A3-6.8.2 AVB BHV): „Aufwendungen des Versicherers für Kosten der gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr der von einem Dritten geltend gemachten Ansprüche, insbesondere Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten, werden […] als Leistungen auf die Versicherungssumme angerechnet.“

Diese Regelung dient ebenso wie Serienschadensklauseln, die mehrere Versicherungsfälle zu einem einzigen Versicherungsfall zusammenfassen, der Begrenzung der Haftung des VR (Rn. 9). Ihre Anwendung kann dazu führen, dass eine Versicherungssumme, die an sich zur Befriedigung aller Haftpflichtansprüche ausreicht, die gegen den VN erhoben werden, unzureichend wird (zur Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel § 101 Rn. 77 ff.). In einem solchen Fall ist klären, wie die Rechtsschutzkosten auf die von einer Mehrzahl von Geschädigten erhobenen Haftpflichtansprüche aufzuteilen sind. Die Frage stellt sich auch dann, wenn die erhobenen Haftpflichtansprüche bereits für sich genommen die Versicherungssumme überschreiten.

14 a) Die Ansicht Langes. Die Verteilung der Rechtsschutzkosten ist in der Literatur bislang ausschließlich von Lange in Bezug auf die D&O-Versicherung näher erörtert worden. Er unterscheidet zwischen einem und mehreren Versicherungsfällen. Liegt nur ein Versicherungsfall vor, habe der VR zunächst die Kosten des Rechtsschutzes aus der Versicherungssumme zu entnehmen. Den Rest der Versicherungssumme habe der VR nach Maßgabe des § 109 S. 1 VVG quotal zur Freistellung zu verwenden.31 Steht ein VN in mehreren Versicherungsfällen mehreren Anspruchstellern gegenüber, habe der VR in jedem Versicherungsfall den für Rechtsschutz erforderlichen Teil der Versicherungssumme zugunsten des VN plausibel zu schätzen und (sowohl für Rechtsschutz als auch für Freistellung) entsprechende Versicherungssummenanteile zu bilden. Insoweit gelte das Prioritätsprinzip. Den Rest der Versicherungssumme habe er nach Maßgabe des § 109 S. 1 VVG quotal zur Freistellung zu verwenden.32 15 Nach Langes Ansicht hat der VR die Versicherungssumme (sowohl für Rechtsschutz als auch für Freistellung) in der Reihenfolge der Versicherungsfälle vorzunehmen. Ist sie verplant, dürfe der VR für später eintretende Versicherungsfälle grundsätzlich keine Leistung aus der Versicherungssumme mehr erbringen. Für die weitere Abwicklung müsse sich der VR zunächst an die von ihm gebildeten (plausiblen) Anteile halten. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass der VR für Rechtsschutz oder Freistellung eines Versicherten zu viel kalkuliert habe, müsse er 31 Lange VersR 2014 1413, 1423. 32 Lange VersR 2014 1413, 1423. Koch

372

B. Tatbestandsvoraussetzungen

VVG § 109

die freiwerdende Versicherungssumme unter Beachtung des Prioritätsprinzips zugunsten des oder der nachfolgenden Geschädigten verteilen.33 Eine analoge Anwendung des § 109 S. 1 lehnt Lange mit der Begründung ab, dass diese 16 Vorschrift nur die Interessen der Geschädigten regele und nicht erkennen lasse, wie ein Widerstreit zwischen dem Rechtsschutzinteresse eines Versicherten und dem Erfüllungsinteresse mehrerer Geschädigter gelöst werden könnte.34

b) Stellungnahme. Die Begründung Langes greift zu kurz, weil er nur die Kosten in den Blick 17 nimmt, die dem VN oder den versicherten Personen durch ihre Inanspruchnahme entstehen. Zunächst ist zu konstatieren, dass der Wortlaut des § 109 keine Antwort auf die Frage gibt, wie die Rechtsschutzkosten auf die von einer Mehrzahl von Geschädigten erhobenen Haftpflichtansprüche aufzuteilen sind. Die Frage hat sich für den Gesetzgeber angesichts der Regelung des § 101 Abs. 2 S. 1 nicht gestellt, weil sich daraus ergibt, dass die Kosten bei einem auf Veranlassung des VR geführten Rechtsstreit nicht auf die Versicherungssumme angerechnet werden. Zu beachten ist, dass die Kosten des Rechtsstreits nicht nur die Kosten des VN, sondern auch die Kosten der Geschädigten umfassen (vgl. § 101 Rn. 20, 28). Die Kosten erhöhen als haftungsausfüllend zurechenbare Folge einer Pflichtverletzung des VN den Gesamtschaden für jeden einzelnen Gläubiger (materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch, vgl. § 101 Rn. 5, 29).35 Durch die Kostenanrechnung sind die Geschädigten hinsichtlich des Ersatzes ihres Schadens in Form der Rechtsschutzkosten dem gleichen Risiko der Erschöpfung der Versicherungssumme ausgesetzt wie hinsichtlich des Schadens, des sie unmittelbar durch die Pflichtverletzung des VN erlitten haben. Insoweit ist nach dem Zweck des § 109 – wenn man nicht bereits eine unmittelbare Anwendung für zulässig erachtet – zumindest eine analoge Anwendung auf die Rechtsschutzkosten der Geschädigten geboten.36 Dass die Durchsetzung des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs eingeschränkt ist, soweit die geltend gemachten Kosten mit denjenigen Kosten identisch sind, die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können oder geltend gemacht worden sind, ist für die Frage der (analogen) Anwendung von § 109 unbeachtlich. Diese Einschränkung dient nach der Rechtsprechung nur dazu, Unterschiede zwischen einer auf gleichem Sachverhalt beruhenden Entscheidung über den materiell-rechtlichen Anspruch einerseits und den prozessualen Kostenerstattungsanspruch andererseits zu vermeiden.37 Der VR hat somit bei Kostenanrechnung die nach § 101 Abs. 1 S. 1 gebotenen Kosten der Geschädigten anteilig (proportional) in die Verteilung der Haftpflichtansprüche einzubeziehen. Nichts anderes kann dann für die Verteilung der Kosten des VN gelten, wenn und soweit 18 der Deckungsmangel durch die Anrechnung seiner Kosten erst geschaffen oder bei nicht ausreichender Versicherungssumme für alle Haftpflichtansprüche der verschiedenen Geschädigten weiter verschärft wird. Auch insoweit ist eine analoge Anwendung von § 109 geboten. Wollte man hier den von Lange vorgeschlagenen Weg beschreiten und eine Verteilung der Kosten des VN nach dem Grundsatz der Priorität vornehmen, wäre nicht auszuschließen, dass einzelne Geschädigte sowohl hinsichtlich des Ersatzes ihres unmittelbaren Schadens als auch hinsichtlich des Ersatzes der Kosten leer ausgingen. So verstanden griffe die Kostenanrechnungsklausel in die Verteilung der Versicherungssumme gem. § 109 ein und wäre gem. 134 BGB unwirksam, da § 109 eine zwingende Vorschrift ist (Rn. 78). Für den VR bedeutet das, dass er die nach § 101 Abs. 1 S. 1 gebotenen Rechtsschutzkosten ebenso wie die jeweiligen Haftpflichtansprüche zu schätzen und anteilig (proportional) auf die verschiedenen Geschädigten aufzuteilen hat. Er hat für jeden Anspruch(ssteller) einen (vorläufigen nur internen Planungszwecken dienenden) 33 34 35 36 37 373

Lange VersR 2014 1413, 1417. Lange VersR 2014 1413, 1423. Vgl. MüKo-ZPO/Scholz Vorbemerkung zu § 91 Rn. 19. Vgl. nur BGH 29.4.2010 – I ZR 3/09, GRUR 2010 1107 Rn. 24 ff. (zur Analogiefähigkeit von § 89b HGB). BGH 10.10.2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018 402 Rn. 18. Koch

§ 109 VVG

19

20

21

22

Mehrere Geschädigte

„Topf“ zu bilden, aus dem sowohl die Zahlungen auf die Haftpflichtansprüche als auch auf die Rechtsschutzkosten der Geschädigten und des VN geleistet werden. Erweisen sich Haftpflichtansprüche als unbegründet oder die in Ansatz gebrachten Rechtsschutzkosten als zu niedrig, hat der VR eine Neuberechnung und -verteilung vorzunehmen (s. Beispiel Rn. 23). Die proportionale Verteilung der Rechtsschutzkosten entspricht nicht nur dem Interesse der Geschädigten, sondern auch dem Interesse von VN und VR. Sie wäre deshalb als Ergebnis ergänzender Vertragsauslegung vorzunehmen, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht eine (analoge) Anwendung des § 109 verneinte. Eine planwidrige Regelungslücke wäre zu bejahen, da die Kostenanrechnungsklausel weder den Fall behandelt, dass durch die Anrechnung der Kosten die Versicherungssumme nicht mehr ausreicht, alle Haftpflichtgläubiger zu befriedigen, noch den Fall, dass die Versicherungssumme von vornherein, d. h. auch ohne Anrechnung der Kosten, nicht ausreicht. Der Regelungsgehalt der Klausel beschränkt sich insoweit darauf, § 101 Abs. 2 S. 1 abzubedingen. Eine auf die Fälligkeit des Anspruchs auf Anspruchsabwehr nach dem Prinzip „first come first serve“ vorzunehmende Allokation der Rechtsschutzkosten, die zugunsten später geltend gemachter Ansprüche anderer Geschädigter erst dann geändert werden kann, wenn die Versicherungssummenanteile, die sowohl für Rechtsschutz als auch für Freistellung fest verplant worden sind, wieder frei werden, ist keine angemessene und den Interessen des VN gerecht werdende Lösung. Insbesondere in den Fällen, in denen die erhobenen Haftpflichtansprüche die Versicherungssumme übersteigen, will der VN, dass der VR ihn gegenüber allen Anspruchsstellern bei der Organisation der Anspruchsabwehr unterstützt und deshalb die Versicherungssumme nicht für die Freistellung früher erhobener Ansprüche verbindlich festlegt. Ihm hilft es nicht (mehr), wenn sich zeitlich früher erhobene Ansprüche als (teilweise) unbegründet erweisen und deshalb eine Neuverteilung der Versicherungssumme unter Einschluss der zeitlich später gegen ihn erhobenen Ansprüche erfolgt. Eine Verteilung der Rechtsschutzkosten des VN nach dem Grundsatz der Priorität kann sich auch für den VR als nachteilig erweisen, weil im Fall der Nichtgewährung von Rechtsschutz der VN Obliegenheiten nicht mehr zu beachten hat. Schließt der VN in der Zwischenzeit mit dem Geschädigten einen Vergleich ab oder gibt ein Anerkenntnis ab, droht dem VR zudem Streit mit dem VN über die Begründetheit des Haftpflichtanspruchs. Die proportionale Verteilung der Rechtsschutzkosten entspricht somit sowohl dem Interesse des VN und des VR, weil hierdurch sichergestellt ist, dass der VN zumindest anteilig in den Genuss der Rechtsschutzgewährung durch den VR kommt und der VR die Kontrolle über den Haftpflichtstreit behält. Zur Berechnung der Rückstellungen für die Kosten der Abwehr und des zur Tilgung der Haftpflichtverbindlichkeit zur Verfügung stehenden Restbetrags ist zunächst die Verteilungsquote zu ermitteln. Zu diesem Zweck sind in einem ersten Schritt die Summen aller erhobenen Haftpflichtansprüche und aller nach § 101 Abs. 2 S. 1 gebotenen Rechtsschutzkosten zu addieren und ins Verhältnis zur Versicherungssumme zu stellen. Mit Hilfe der Verteilungsquote ist im zweiten Schritt für jeden Anspruch die für die Tilgung der Haftpflichtverbindlichkeit und für die Kosten zur Verfügung stehende Versicherungssumme in Ansatz zu bringen. Im dritten Schritt sind die Kosten für den VN und den Geschädigten proportional aufzuteilen. Zur Illustration der proportionalen Verteilung der Versicherungssumme auf die Haftpflichtansprüche der Geschädigten und die Rechtsschutzkosten der Geschädigten und des VN sollen folgende Beispiele dienen. Beispiel 1: A, B und C nehmen den VN einer Betriebshaftpflichtversicherung wegen eines US-Schadens (Kostenanrechnung vereinbart) auf Schadensersatz in Höhe von 5, 10 und 15 Mio.  EUR in Anspruch. Die Versicherungssumme (je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen) beträgt 15 Mio. UR.

Koch

374

Versicherungssumme

15 Mio.

15 Mio.

15 Mio.

Anspruchssteller

A

375

B

C 15 Mio.

10 Mio.

5 Mio.

Forderunggegen VN

C: Anwalt: 363.931,21 Gericht: 429.247,00

Gesamt: 1.117.336,24

auf Kosten: 519.312,42

auf Forderung: 6.971.658,12

368.651,16 entfallen auf C

519.312,42: 1.117.336,24 = 0,46

102.293,99 entfallen auf VN

VN: Anwalt: 220.092,53

352.227,92: 757.842,49 = 0,46 249.933,93 entfallen auf B

auf Kosten: 352.227,92

B: Anwalt: 247.102,96 Gericht: 290.647,00

Gesamt: 757.842,49

auf Forderung: 4.647.772,08

53.926,72 entfallen auf VN

VN: Anwalt 116.027,03

185.143,42: 398.348,74 = 0,46 131.216,70 entfallen auf A

auf Kosten: 185.143,42

Auf Forderung: 2.323.886,04

Ermittlung der Verteilungsquote Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 15 Mio.: für Kosten des Anspruchsstellers 32.273.527,47 = 0,46 und VN

A: Anwalt: 130.274,71 Gericht: 152.047,00

Gesamt: 398.348,74

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von Anspruchssteller und VN, 2 Instanzen nach RVG und GKG)

B. Tatbestandsvoraussetzungen

VVG § 109

Koch

Versicherungssumme

15 Mio.

Anspruchssteller

Gesamt

Koch 30 Mio.

Forderunggegen VN

2.273.527,47

VN: Anwalt: 324.158,03

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von Anspruchssteller und VN, 2 Instanzen nach RVG und GKG) 150.661,26 entfallen auf VN

Ermittlung der Verteilungsquote für Kosten des Anspruchsstellers und VN

15 Mio. – 13.943.316,24 auf die Forderung – 749.801,79 auf Rechtsschutzkosten A, B und C – 306.881,97 auf Abwehrkosten VN

Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 15 Mio.: 32.273.527,47 = 0,46

§ 109 VVG Mehrere Geschädigte

376

B. Tatbestandsvoraussetzungen

VVG § 109

Die Kosten der Anspruchsabwehr (vorsorglich berechnet für zwei Instanzen nach RVG und GKG) in Höhe von insgesamt 2.273.527,47 Mio. EUR werden den Haftpflichtansprüchen in Höhe von insgesamt 30 Mio. EUR hinzugerechnet. Zugunsten der Anspruchsteller werden die Geschäfts-, Verfahrens- und Terminsgebühr sowie die Gerichtskosten in Ansatz gebracht. Zugunsten des VN werden nur die Verfahrens- und Terminsgebühr berechnet. Die Verteilungsquote beträgt 0,46. Auf die Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber A entfallen 2.323.886,04 EUR auf die Forderung und 185.143,42 EUR auf die Kosten. Letztere sind zwischen VN und A aufzuteilen: Auf A entfallen 131.216,70 EUR und auf die Kosten des VN 53.926,72 EUR. Auf die Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber B entfallen 4.647.772,08 EUR auf die Forderung und 352.227,92 EUR auf die Kosten. Letztere sind zwischen VN und B aufzuteilen: Auf B entfallen 249.933,93 EUR und auf die Kosten des VN 102.293,99 EUR. Auf die Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber C entfallen 6.971.658,12 EUR auf die Forderung und 519.312,42 EUR auf die Kosten. Letztere sind zwischen VN und C aufzuteilen: Auf C entfallen 368.651,16 EUR und auf die Kosten des VN 150.661,26 EUR. Sollte der VN in einem oder allen Verfahren unterliegen und keine Rechtsmittel eingelegt werden, reduzieren sich die Abwehrkosten entsprechend und eine Neuverteilung der Versicherungssumme auf die Forderungen und die Kosten ist vorzunehmen. Beispiel 2: Wie Beispiel 1, nur erweist sich der Anspruch des A gegen den VN als unbegrün- 23 det. Anspruchssteller

Versicherungssumme

Forderung gegen VN

A

15 Mio.

5 Mio.

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von Anspruchssteller und VN, 2 Instanzen nach RVG und GKG)

Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 15 Mio.: 32.027.225,73 = 0,47

Ermittlung der Verteilungsquote für Kosten des Anspruchsstellers und VN

Auf Forderung: 0 Gesamt: 116.027,03

auf Kosten: 54.341,43

185.143,42 398.348,74=0,46

A: Anwalt 130.274,71 Gericht 152.047,00

131.216,70 entfallen auf A

VN: 54.341,43 Anwalt: 116.027,03

53.926,72 entfallen auf VN

B

15 Mio.

10 Mio.

757.842,49

C

15 Mio.

15 Mio.

1.117.336,24

Gesamt

15 Mio.

30 Mio.

2.027.225,73

Da der VR nur die dem VN entstandenen Kosten (anteilig) erstattet und keine Anrechnung auf die Rechtsschutzkosten des A und dessen Haftpflichtforderung erfolgt, ist eine Neuberechnung und Neuverteilung des für den Anspruch des A reservierten Teils für dessen Rechtschutzkosten und die Haftpflichtverbindlichkeit auf die Ansprüche von B und C gegen den VN erforderlich. Der Neuberechnung ist die infolge des Verbrauchs für die Abwehrkosten des VN um 54.341,43 EUR reduzierte Versicherungssumme zugrunde zu legen (15 Mio./.54.341,43 = 14.945.658,57 EUR).

377

Koch

Koch

14.945.658,57

14.945.658,57

14.945.658,57

C

Gesamt

Versicherungssumme

B

A

Anspruchssteller

25 Mio.

15 Mio.

10 Mio.

Forderung gegen VN

1.875.178,73

14.945.658,57 – 13.902.845,75 auf die Forderung – 740.147,56 auf Rechtsschutzkosten B und C – 302.665,26 auf Abwehrkosten VN

180.268,76 entfallen auf VN

VN: Anwalt: 324.158,03

621.366,13: 1.117.336,24 = 0,46 441.097,37 entfallen auf C

auf Kosten: 621.366,13

C: Anwalt: 363.931,21 Gericht: 429.247,00

Gesamt: 1.117.336,24

auf Forderung: 8.341.707,45

122.396,50 entfallen auf VN

VN: Anwalt: 220.092,53

421.446,69: 757.842,49 = 0,56

Ermittlung der Verteilungsquote für Kosten des Anspruchsstellers und VN

299.050,19 entfallen auf B

auf Kosten: 421.446,69

auf Forderung: 5.561.138,30

Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 14.945.658,57: 26.875.178,73 = 0,56

B: Anwalt: 247.102,96 Gericht: 290.647,00

Gesamt: 757.842,49

Abwehrkosten (Anwaltsund Gerichtskosten von Anspruchssteller und VN, 2 Instanzen nach RVG und GKG)

§ 109 VVG Mehrere Geschädigte

378

B. Tatbestandsvoraussetzungen

VVG § 109

Gelingt es dem VR, die Kosten des A im Wege des Regresses gem. § 86 Abs. 1 S. 1 erfolgreich geltend zu machen, wäre eine erneute Berechnung erforderlich, da die Versicherungssumme auf 15 Mio. EUR wiederaufgefüllt werden müsste. Anspruchssteller

Versicherungssumme

Forderung gegen VN

15 Mio

10 Mio.

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von Anspruchssteller und VN, 2 Instanzen nach RVG und GKG)

Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 15 Mio.: 26.875.178,73 = 0,56

Ermittlung der Verteilungsquote für Kosten des Anspruchsstellers und VN

A B

auf Forderung: 5.581.358,23 Gesamt: 757.842,49

C

15 Mio.

15 Mio.

300.137,51 entfallen auf B

VN: Anwalt: 220.092,53

122.841,52 entfallen auf VN

15 Mio.

25 Mio.

422.979,04: 757.842,49 = 0,56

B: Anwalt: 247.102,96 Gericht: 290.647,00

auf Forderung: 8.372.037,35 Gesamt: 1.117.336,24

Gesamt

auf Kosten: 422.979,04

auf Kosten: 623.625,38

623.625,38: 1.117.336,24 = 0,46

C: Anwalt: 363.931,21 Gericht: 429.247,00

442.701,17 entfallen auf C

VN: Anwalt: 324.158,03

180.924,21 entfallen auf VN

1.875.178,73

15 Mio. – 13.953.395,58 auf die Forderung – 742.838,68 auf Rechtsschutzkosten B und C – 303.765,73 auf Abwehrkosten VN

Beispiel 3: A, B und C nehmen den VN einer Betriebshaftpflichtversicherung wegen eines US- 24 Schadens auf Schadensersatz in Höhe von 1, 4 und 10 Mio. EUR in Anspruch. Die Versicherungssumme (je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen) beläuft sich auf 15 Mio. EUR. Hier kommt es erst aufgrund des Kostenanrechnungsklausel zu einem Verbrauch der Versicherungssumme, weil die Haftpflichtansprüche von A, B und C zusammen mit den Abwehrkosten die Versicherungssumme überschreiten.

379

Koch

Koch

15 Mio.

15 Mio.

15 Mio.

A

B

C

10 Mio.

4 Mio.

1 Mio.

Versicherungssumme Forderung gegen VN

Anspruchssteller

C: Anwalt: 130.928,01 Gericht: 124.563,00

Gesamt: 359.210,59

auf Kosten: 346.135,47

auf Forderung: 9.636.004,11

246.095,84 entfallen auf C

346.135,47: 359.210,59 = 0,96

43.278,74 entfallen auf B

VN: Anwalt: 44.913,58

149.170,44: 154.805,29 = 0,96 105.891,70 entfallen auf B

auf Kosten: 149.170,44

B: Anwalt: 56,608,71 Gericht: 53.382,00

Gesamt: 154.805,29

auf Forderung: 3.854.401,64

14.898,30 entfallen auf VN

VN: Anwalt 15.461,08

50.687,93: 52.602,64 = 0,96

Ermittlung der Verteilungsquote für Kosten des Anspruchsstellers und VN

35.789,60 entfallen auf A

auf Kosten: 50.687,93

Auf Forderung: 963.600,41

Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 15 Mio.: 15.566.618,52 = 0,96

A: Anwalt: 19.498,56 Gericht: 17.643,00

Gesamt: 52.602,64

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von Anspruchssteller und VN, 1. Instanz nach RVG und GKG)

§ 109 VVG Mehrere Geschädigte

380

381

15 Mio.

Gesamt

15 Mio.

Versicherungssumme Forderung gegen VN

Anspruchssteller

566.618,52

VN: Anwalt: 103.818,58

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von Anspruchssteller und VN, 1. Instanz nach RVG und GKG)

15 Mio. – 14.454.006,16 auf die Forderung – 387.777,14 auf Rechtsschutzkosten A, B und C – 158.216,67 auf Abwehrkosten VN

100.039,63 entfallen auf VN

Ermittlung der Verteilungsquote Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 15 Mio.: für Kosten des Anspruchsstellers 15.566.618,52 = 0,96 und VN

B. Tatbestandsvoraussetzungen

VVG § 109

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

Die Kosten der Anspruchsabwehr (vorsorglich berechnet für eine Instanz nach RVG und GKG) in Höhe von insgesamt 566.618,52 EUR werden den Haftpflichtansprüchen in Höhe von insgesamt 15 Mio. EUR hinzugerechnet. Zugunsten der Anspruchsteller werden die Geschäfts-, Verfahrens- und Terminsgebühr sowie die Gerichtskosten in Ansatz gebracht. Zugunsten des VN werden nur die Verfahrens- und Terminsgebühr berechnet. Die Verteilungsquote beträgt 0,96. Auf die Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber A entfallen 963.600,41 EUR auf die Forderung und 50.687,93 EUR auf die Kosten. Letztere sind zwischen VN und A aufzuteilen: Auf A entfallen 35.789,60 EUR und auf die Kosten des VN 14.898,30 EUR. Auf die Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber B entfallen 3.854.401,64 EUR auf die Forderung und 149.170,44 EUR auf die Kosten. Letztere sind zwischen VN und B aufzuteilen: Auf B entfallen 105.891,70 EUR und auf die Kosten des VN 43.278,74 EUR. Auf die Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber C entfallen 9.636.004,11 EUR auf die Forderung und 346.135,47 EUR auf die Kosten. Letztere sind zwischen VN und C aufzuteilen: Auf C entfallen 246.095,84 EUR und auf die Kosten des VN 100.039,63 EUR.

III. Beurteilungszeitpunkt 25 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung, ob die Versicherungssumme ausreicht, um die Haftpflichtansprüche mehrerer geschädigter Dritter zu befriedigen, ist nach verbreiteter Ansicht in der Literatur der (jeweilige) Zeitpunkt, zu dem der VR die Forderungen der Dritten befriedigt38 oder zu befriedigen hat.39 Einige Autoren sprechen sich dafür aus, auf den der Leistung vorgelagerten Zeitraum der Prüfung der Ersatzansprüche durch den VR abzustellen.40 Dieser Zeitraum ist indessen zu unbestimmt. Entscheidend kann nur der Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen des VR sein. Die Ermittlungen sind abgeschlossen, wenn der VR auf der Basis der ihm von dem VN erteilten Informationen sowie der ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen sich ein Bild über die Zahl der Geschädigten machen konnte, diese mit der Zahl der Anspruchsteller abgeglichen und die Berechtigung der gegen den VN (bereits) geltend gemachten Haftpflichtansprüche nach Grund und Höhe geprüft und bewertet hat. Wenn und soweit Kostenanrechnung vereinbart worden ist, sind nach hier vertretener Ansicht in die Beurteilung auch die Kosten der Anspruchsabwehr einzubeziehen. 26 Ergeben die Ermittlungen, dass die Gesamtsumme der Haftpflichtansprüche, die bereits geltend gemacht worden sind und/oder mit denen noch zu rechnen ist, die Versicherungssumme nicht übersteigt, greift § 109 S. 1 nicht ein und jede einzelne Haftpflichtforderung ist in voller Höhe zu befriedigen.41 Ändert sich der Gesamtbetrag aller Haftpflichtansprüche nachträglich, ist die Quotelung neu zu berechnen und entsprechend anzupassen.42 Solche Änderungen können sich z. B. daraus ergeben, dass die Schadensentwicklung einen unerwarteten Verlauf nimmt, der VN sich mit einzelnen Geschädigten vergleicht oder die Ansprüche Einzelner sich im Haftpflichtprozess als unbegründet erweisen. Soweit die nachträglichen Änderungen dazu führen, dass die Versicherungssumme ausreicht, findet § 109 keine Anwendung.43

38 Vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 109 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 8; vormals Prölss/Martin/Lücke29 § 109 Rn. 8. 39 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 10. 40 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 29 f.; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 109 Rn. 5; vgl. Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 8; BeckOK VVG/Car § 109 Rn. 12; Schultheiß VersR 2016 497, 500. 41 Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 8; Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 8. 42 Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 8. 43 Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 8; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 31; Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 8. Koch

382

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme I. Verhältnismäßige Befriedigung 1. Ein Versicherungsfall Reicht die Versicherungssumme zum vorgenannten Zeitpunkt nicht aus, um alle aus einem Ver- 27 sicherungsfall resultierenden Haftpflichtansprüche zu befriedigen, hat der VR einen Verteilungsplan zu erstellen. Bei der Erstellung des Plans muss der VR nicht nur die Haftpflichtansprüche berücksichtigen, die mit bindender Wirkung i. S. d. § 106 S. 1 festgestellt wurden, sondern auch erst in Zukunft fällig werdende Ansprüche, die noch nicht geltend gemacht wurden, mit deren Geltendmachung aber zu rechnen ist. Deshalb hat der VR, der vom Geschädigten gerichtlich direkt, z. B. nach Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs oder nach dessen Abtretung, in Anspruch genommen wird, § 109 bereits im Erkenntnisverfahren und nicht erst im Vollstreckungsverfahren zu beachten.44 Kommt der VR nach Abschluss der Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass die Gesamtsumme der 28 Haftpflichtansprüche, die bereits geltend gemacht worden sind und/oder mit denen noch zu rechnen ist, die Versicherungssumme (höchstwahrscheinlich) überschreiten wird, ist er hinsichtlich der von ihm für begründet erachteten Haftpflichtansprüche nur zur quotalen Befriedigung und hinsichtlich der drohenden bislang noch nicht geltend gemachten und/oder der von ihm für unbegründet befundenen Ansprüche zur Bildung einer Rückstellung berechtigt. Die Bildung einer Rückstellung für drohende und/oder vom VR für unbegründet erachtete Ansprüche verstößt nicht gegen § 108 Abs. 1 S. 1, weil die Rückstellung im Fall der erfolgreichen Anspruchsabwehr oder der Nichtgeltendmachung der Haftpflichtansprüche aufgelöst und auf die berechtigten Anspruchssteller (neu) verteilt wird (Nachzahlungen). Bei Kostenanrechnungsvereinbarung kann auch die Änderung (Erhöhung/Reduktion) der Rechtsschutzkosten zu einer Neuberechnung und -verteilung führen. Sollten die Ansprüche bereits durch den VN befriedigt worden sein, erfolgt die Zahlung 29 gem. § 106 S. 2 an den VN. Drohen Haftpflichtansprüche, die bei erfolgreicher Geltendmachung zu einer Überschreitung der Versicherungssumme führten, ist es dem VR mit Blick auf § 109 S. 2 nicht zuzumuten, auf eine Bildung von Rückstellungen zu verzichten und die drohenden Ansprüche bei der Verteilung auf die berechtigten Ansprüche somit unberücksichtigt zu lassen. Sollten sich die (drohenden) Ansprüche später als begründet erweisen, trüge der VR das Insolvenzrisiko des (gegenüber den befriedigten Geschädigten ohne Rechtsgrund von einer Verbindlichkeit befreiten) VN, wenn dieser die bereicherungsrechtliche Ansprüche des VR nicht erfüllen könnte (zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung im Fall des § 109 S. 2 s. Rn. 55 ff.)

2. Mehrere Versicherungsfälle Fraglich ist, ob die Verteilungsgrundsätze nach § 109 S. 1 auch dann gelten, wenn es um Scha- 30 densersatzforderungen aus mehreren Versicherungsfällen geht, die innerhalb einer Versicherungsperiode und möglicherweise zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten und deren Gesamthöhe die für die Periode zur Verfügung stehende Versicherungssumme übersteigt. Beispiel: Der VN führt in einem Versicherungsjahr drei Versicherungsfälle herbei, die jeweils Sachschäden bei unterschiedlichen Personen zur Folge haben. A erleidet einen Sachschaden über 3 Mio. EUR, B einen über 2 Mio. EUR und C über 1 Mio. EUR. Die Versicherungssumme (je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen) beträgt 3 Mio. EUR. Bei Anwendung des § 109 S. 1 (Verteilungsquote 1/2) erhielte A 1,5 Mio. EUR, B 1,0 Mio. EUR und C 0,5 Mio. EUR. 44 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1680 = RuS 2007 83, 85; vgl. auch BGH 6.10.1982 – IVa ZR 54/ 81, VersR 1983 26, 27; BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, BGHZ 84 151, 154 ff. = VersR 1982 791; Langheid/Wandt/ Littbarski § 109 Rn. 50; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 24. 383

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

Anspruchssteller

Forderung gegen VN

Versicherungssumme (je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen)

Verteilungsquote: 1/2

A B C

3 Mio. 2 Mio. 1 Mio.

3 Mio. 3 Mio. 3 Mio.

1,5 Mio. 1 Mio. 0,5 Mio.

Gesamt

6 Mio.

3 Mio.

3 Mio.

31 Der historische Gesetzgeber hatte bei Schaffung von § 156 Abs. 3 a. F. „den Ausgleich der Interessen mehrerer durch einen Haftpflichtversicherungsfall geschädigter Personen“ im Auge.45 Dieses Verständnis liegt offenbar auch der Rechtsprechung zugrunde. So stellt der BGH in seinem Urteil vom 10.10.2006 fest, ein VR, „der aus demselben Schadensereignis mehreren ‚Dritten‘ verantwortlich ist, darf deshalb nicht den Gläubiger, der als erster seinen Anspruch geltend macht, zu Lasten der später kommenden ‚Dritten‘ voll befriedigen, wenn die Versicherungssumme nicht zur Befriedigung aller Direktansprüche ausreicht“.46 [Hervorhebung durch den Verfasser]

In seiner Entscheidung vom 26.6.1985 formuliert der BGH, dass § 156 Abs. 3 S. 1 a. F. „für den Fall, daß die Forderungen anläßlich eines Versicherungsfalles die Versicherungssumme übersteigen, alle Ansprüche einer ihrem Wertverhältnis entsprechenden Kürzung unterliegen“.47 [Hervorhebung durch den Verfasser]

Die Kommentarliteratur zum VVG behandelt zumeist nur die Konstellation, dass die Haftpflichtansprüche aus einem Schadensfall die Versicherungssumme übersteigen.48 In der obligatorischen Haftpflichtversicherung stellt der Reformgesetzgeber bei der Verteilung innerhalb der nach § 118 Abs. 1 vorgesehenen Rangordnung auf „dasselbe Schadensereignis“ ab. Soweit ersichtlich kommen nur Diller, Lange und Schulze Schwienhorst auf die Verteilung der zur Verfügung stehenden Jahreshöchstersatzleistung bei mehreren Schadensfällen zu sprechen. Diller wendet § 109 an, ohne den Anwendungsbereich zu problematisieren.49 Schulze Schwienhorst lehnt die Anwendung unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung ab.50 Lange bejaht sie unter Hinweis auf den Wortlaut und den Zweck von § 109.51 32 Der Wortlaut von § 109 S. 1 steht einer Anwendung der Verteilungsgrundsätze auf mehrere Versicherungsfälle in der Tat nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist nur Voraussetzung, dass der VN gegenüber mehreren Dritten verantwortlich ist und deren Ansprüche die Versicherungssumme übersteigen. Vergegenwärtigt man sich den zuvor angesprochenen Zweck des § 109 S. 1, so kann es für die Verteilung der Versicherungssumme weder darauf ankommen, zu welchem Zeitpunkt der Schaden bei mehreren Geschädigten eingetreten oder die Ursache gesetzt worden ist, noch wann die Geschädigten ihre Ansprüche gegen den VN geltend gemacht haben, die Freistellungsansprüche des VN entstanden sind, ein später geschädigter Dritter vor dem früher geschädigten Dritten in der Lage ist, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, oder den im ordentlichen Verfahren klagenden früheren Geschädigten durch einen Arrest zuvorkommt. Entscheidend ist, dass es mehrere Geschädigte gibt, deren Ansprüche die innerhalb der Versicherungs45 46 47 48 49 50 51

Motive S. 639 (Hervorhebung durch Verfasser). BGH 10.10.2006 – VI ZR 203/80, VersR 2006 1679 = RuS 2007 83, 84. BGH 26.6.1985 – IVa ZR 264/8, VersR 1985 1054, 1055 = RuS 1985 272, 273. Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 1; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 18. Diller AVB-RWS Teil 2 A Rn. 10. Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 109 Rn. 2. Lange VersR 2016 1413, 1425.

Koch

384

VVG § 109

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

periode zur Verfügung stehende Versicherungssumme übersteigen.52 Wie die nachstehenden Beispiele zeigen, kommt den Parteivereinbarungen über die Versicherungssumme maßgebliche Bedeutung zu. Beispiele: 1) Der VN führt in einer Versicherungsperiode zwei Versicherungsfälle herbei, die jeweils Sachschäden bei unterschiedlichen Personen zur Folge haben. A erleidet einen Schaden über 3 Mio. EUR, B einen über 6 Mio. EUR. Die Höchstsumme für jeden Versicherungsfall beträgt 3 Mio. EUR, die Jahreshöchstersatzleistung für alle Versicherungsfälle zusammengenommen 6 Mio. EUR. Hier beträgt die Verteilungsquote gem. § 109 S. 1 2/3 (6 Mio. EUR:9 Mio. EUR). A erhält 2 Mio., B erhält 4 Mio. EUR. Da die Höchstsumme je Versicherungsfall jedoch auf 3 Mio. EUR beschränkt ist, erhalten beide nur 3 Mio. EUR. Anspruchssteller

Forderung gegen VN

Versicherungssumme (je Verteilungsquote 2/3 Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen)

Verteilung unter Berücksichtigung der Beschränkung

A B

3 Mio. 6 Mio.

3 Mio. 3 Mio.

2 Mio. 4 Mio.

3 Mio. 3 Mio.

Gesamt

9 Mio.

6 Mio.

6 Mio.

6 Mio.

2) Wie zuvor, jedoch gibt es infolge eines weiteren Versicherungsfalls den Geschädigten C, dessen Schaden sich ebenfalls auf 3 Mio. EUR beläuft. Die Verteilungsquote beträgt 1/2 (6 Mio. EUR: 12 Mio. EUR). Hier erhalten A und C nach § 109 S. 1 jeweils 1,5 Mio. EUR und B 3 Mio. EUR. Anspruchssteller

Forderung gegen VN

Versicherungssumme (je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen)

Verteilungsquote ½

A B C

3 Mio. 6 Mio. 3 Mio.

3 Mio. 3 Mio. 3 Mio.

1,5 Mio. 3 Mio. 1,5 Mio.

Gesamt

12 Mio.

6 Mio.

6 Mio.

Von Bedeutung für das Verteilungsverfahren sind auch die oben angesprochenen Serienscha- 33 densklauseln (Rn. 9). Läge ein Serienschaden vor, hieße das für das Beispiel 1), dass A 1 Mio. EUR und B 2 Mio. EUR erhielte (Verteilungsquote: 3 Mio. EUR: 9 Mio. EUR=1/3) und für das Beispiel 2), dass A und C jeweils 0,75 Mio. EUR erhielten, während B 1,5 Mio. EUR bekäme (Verteilungsquote: 3 Mio. EUR: 12 Mio. EUR = 1/4).

II. Besonderheiten bei der Beteiligung regressnehmender Privatversicherer und Sozialversicherungsträger 1. Überblick a) Vollständiger Ausgleich des Schadens. Erhält ein Geschädigter wegen des erlittenen 34 Schadens vollständigen Ausgleich durch Sozialleistungen von Sozialversicherungsträgern oder Versicherungsleistungen von einem Privatversicherer gehen seine Schadensersatzansprüche gegen den VN nach § 116 Abs. 1 SGB X und § 86 Abs. 1 S. 1 auf diese über und diese nehmen an

52 Vgl. Ramharter Rz. 6/75; Lange § 15 Rn 47; ders. VersR 2014 1413, 1425. 385

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

Stelle des Geschädigten am Verteilungsverfahren nach § 109 S. 1 teil. Es sind keine Besonderheiten zu beachten.

35 b) Unvollständiger Ausgleich des Schadens. Gleichen die Sozial- oder Versicherungsleistungen den Schaden eines Geschädigten nur teilweise aus, nehmen die Sozialversicherungsträger oder Privatversicherer dagegen nur im Rang nach dem Geschädigten am Verteilungsverfahren teil. D. h. dass sie nur anstelle des oder neben dem Geschädigten am Verteilungsverfahren teilnehmen, soweit dieser die Versicherungsleistungen des Haftpflichtversicherers des Schädigers nicht benötigt, um seinen Restschaden auszugleichen. Insoweit kommt auch hier das Quoten- und Befriedigungsvorrecht des Geschädigten zur Anwendung,53 das für Sozialleistungen in § 116 Abs. 2 und 4 SGB X normiert worden ist und für Versicherungsleistungen aus der sog. Differenztheorie54 und § 86 Abs. 1 S. 255 folgt. § 116 Abs. 2 SGB X betrifft den Fall, dass der Anspruch des Geschädigten auf Ersatz eines Schadens durch Gesetz der Höhe nach begrenzt ist, und ermöglicht dem Geschädigten, sich für den von den Sozialleistungen nicht gedeckten Schaden aus dem Ersatzanspruch vorrangig zu befriedigen.56 Wird der Anspruch auf Schadensersatz durch ein mitwirkendes Verschulden oder eine mitwirkende Verantwortlichkeit des Geschädigten begrenzt, geht auf den Sozialversicherungsträger nach § 116 Abs. 3 S. 1 SGB X der Anteil über, welcher dem Vomhundertsatz entspricht, für den der Schädiger ersatzpflichtig ist. 36 § 116 Abs. 4 SGB X statuiert ein Befriedigungsvorrecht des Geschädigten bei der Durchsetzung seiner Ansprüche auf Ersatz eines Schadens vor dem übergegangenen Anspruch des Sozialversicherungsträgers z. B. im Fall der Insolvenz des Schädigers.57 Im Unterschied zu § 86 Abs. 1 S. 2 VVG erfasst das Befriedigungsvorrecht gegenüber dem Sozialversicherungsträger alle Ersatzansprüche, nicht nur die kongruenten.58 Im Übrigen besteht das Befriedigungs- und Quotenvorrecht nur im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und seinen Sozialversicherungsträgern oder Privatversicherern, nicht aber gegenüber weiteren Direktgeschädigten (und deren Sozialversicherungsträgern oder Privatversicherern).59 Zum besseren Verständnis der Verteilungsgrundsätze bei Beteiligung regressnehmender Privat- und Sozialversicherer dienen die nachfolgenden Beispiele zu § 86 Abs. 1 S. 1 VVG und zur § 116 Abs. 2 und 4 SGB X.

2. Beispiele zu § 86 Abs. 1 S. 1 37 Beispiel 1: Durch einen vom VN verursachten Gebäudegroßbrand werden 160 Wohnräume verwüstet. Die Schadensersatzansprüche der Mieter für die Wiederbeschaffung der Einrichtungsgegenstände in den Wohnräumen belaufen sich auf jeweils 100.000 EUR. Der Gesamtschaden beträgt somit 16 Mio. EUR. Die Versicherungssumme beträgt 2 Mio. EUR.

53 Vgl. Bruck/Möller/Voit § 86 Rn. 112 ff., 136 ff. 54 Vgl. BGH 4.4.1967 – VI ZR 179/65, VersR 1967 674; BGH 17.3.1954 – VI ZR 162/52, VersR 1954 211; BGH 17.3.1954 – VI ZR 162/52, BGHZ 13 28, 30. 55 Vgl. OLG Celle 1.4.2019 – 1 U 62/18, BeckRS 2019 39475; Bruck/Möller/Voit § 86 Rn. 136; Langheid/Rixecker/Langheid § 86 Rn. 33. 56 Vgl. KassKomm/Kater, 111. EL September 2020, SGB X § 116 Rn. 213. 57 Vgl. OLG Köln 8.11.2016 – 9 U 55/16, VersR 2017 341, 346; BeckOK SozR/v. Koppenfels-Spies SGB X § 116 Rn. 38. 58 Vgl. BGH 8.4.1997 – VI ZR 112/96, NJW 1997 1785 ff.; OLG Köln 8.11.2016 – 9 U 55/16, VersR 2017 341, 344; KassKomm/Kater, 111. EL September 2020, SGB X § 116 Rn. 217 und 232; BeckOK SozR/v. Koppenfels-Spies SGB X § 116 Rn. 15. 59 BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, VersR 1982 791, 793; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 19. Koch

386

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

Die Verteilungsquote nach § 109 S. 1 beträgt 1/8 (2 Mio. EUR zu 16 Mio. EUR). Somit entfallen auf die Schadensersatzansprüche der Wohnraummieter jeweils 12.500 EUR. Ersetzt der Hausratversicherer des Mieters A z. B. aufgrund eines Selbstbehalts oder einer Unterversicherung nicht 100.000 EUR (Neuwertversicherung), sondern nur 87.500 EUR, zahlt der Haftpflicht-VR des VN die Differenz zum tatsächlich eingetretenen Schaden in Höhe von 12.500 EUR (= 100.000 EUR – 87.500 EUR) an den quotenbevorrechtigten A. Dessen Hausratsversicherer geht leer aus. 38 Beispiel 2: Wie Beispiel 1. Der Hausratsversicherer erstattet jedoch A 95.000 EUR. Die Verteilungsquote bleibt unverändert. Der quotenbevorrechtigte A erhält vom Haftpflicht-VR des VN die Differenz zum tatsächlich eingetretenen Schaden in Höhe von 5.000 (= 100.000 EUR – 95.000 EUR). Der nach dem Verteilungsverfahren verbleibende Betrag über 7.500 EUR steht seinem Hausratversicherer zu, der sich hinsichtlich des dann noch verbleibenden Betrags über 87.500 EUR an den VN halten muss.60 Geschädigter

Forderung gegen VN

Verteilungsquo- Leistung des te gem. § 109 HausratsVR S. 1 = 1/8

Quoten- und Befriedigungsvorrecht des Geschädigten

Restbetrag für HausratsVR

Nicht von der HaftpflichtVR gedeckte Restforderung

A A

100.000 100.000

12.500 12.500

12.500 5.000

0 7.500

87.500 87.500

87.500 95.000

Beispiel 3: Durch den vom VN verursachten Gebäudegroßbrand werden nicht nur 160 Wohnräu- 39 me, sondern auch ein Geschäftsraum verwüstet. Die Schadensersatzansprüche der Mieter für die Wiederbeschaffung der Einrichtungsgegenstände in den Wohnräumen belaufen sich auf jeweils 100.000 EUR. Die Schadensersatzansprüche des Betriebsinhabers B belaufen sich auf 4 Mio. EUR. Davon entfallen jeweils 2 Mio. EUR auf die Neuerrichtung des Betriebsgebäudes und den Ertragsausfall. Der Gesamtschaden beträgt somit 20 Mio. EUR. Der Betriebsinhaber hat eine Feuerversicherung mit einem Selbstbehalt über 100.000 EUR abgeschlossen. Infolge des höheren Gesamtschadens verändert sich die Verteilungsquote. Sie beläuft sich nach § 109 S. 1 auf 10 % (2 Mio. EUR zu 20 Mio. EUR). Somit entfällt auf den Schadensersatzanspruch des Betriebsinhabers 400.000 EUR, der im Hinblick auf sein Quoten- und Befriedigungsvorrecht auf den Sachschaden (200.000 EUR) und den Ertragsausfall infolge Betriebsunterbrechung (200.000 EUR) aufzuteilen ist. Auf die Schadensersatzansprüche der Wohnraummieter entfallen jeweils 10.000 EUR. Bringt der Feuerversicherer des Betriebsinhabers den Selbstbehalt über 100.000 EUR 40 von der Schadenssumme in Abzug, erhält der quotenbevorrechtigte Betriebsinhaber vom Haftpflicht-VR des VN die Differenz zum tatsächlich eingetretenen Sachschaden in Höhe von 100.000 EUR (= 2 Mio. EUR – 1,9 Mio. EUR). Der nach dem Verteilungsverfahren verbleibende Betrag über 100.000 EUR steht seinem Feuerversicherer zu, der sich hinsichtlich des dann noch verbleibenden Betrags über 1,8 Mio. EUR an den VN halten muss. Die Ansprüche des Betriebsinhabers wegen des nicht versicherten Betriebsunterbrechungsschadens über 2 Mio. EUR gehen mangels Kongruenz nicht auf den Feuerversicherer über. Sie verbleiben beim Betriebsinhaber, der in Höhe von 200.000 EUR vom Haftpflicht-VR des VN befriedigt wird und sich hinsichtlich des verbleibenden Betriebsunterbrechungsschadens über 1,8 Mio. EUR an den VN halten muss.

60 Vgl. BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, VersR 1982 791, 793; Hessert VersR 1997 39 ff.; Sprung VersR 1992 657, 661. 387

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

Geschädigter

Forderung gegen VN

Verteilungsquote gem. § 109 S. 1 =1/10

Leistung des FeuerVR

Quoten- und Befriedigungsvorrecht des Geschädigten

Restbetrag für FeuerVR

Nicht von der HaftpflichtVR gedeckte Restforderung

B

2 Mio. Sachschaden 2 Mio. BU-Schaden

200.000

1,9 Mio.

100.000

100.000

1,8 Mio.

200.000

0

0

0

1,8 Mio.

3. Beispiele zu § 116 SGB X 41 Beipiel 1: Durch einen vom VN verursachten Fahrradunfall erleiden die gesetzlich krankenversicherten A, B und C schwere Verletzungen, die längere Krankenhausaufenthalte erforderlich machen. Die Schadensersatzansprüche für die Heilbehandlung belaufen sich auf jeweils 450.000 EUR, das Schmerzensgeld beläuft sich auf jeweils 50.000 EUR. Die Versicherungssumme beträgt 1 Mio. EUR. Alle Ansprüche zusammengenommen belaufen sich somit auf 1,5 Mio. EUR. Die Versicherungssumme beträgt 1 Mio. EUR. Die Verteilungsquote nach § 109 S. 1 beläuft sich auf 1/3. Somit entfallen auf jeden Geschädigten 0,33 Mio. EUR. Die gesetzlich Krankenversicherung (GKV) erstattet den Geschädigten nur die Kosten der Heilbehandlung, nicht hingegen das Schmerzensgeld. Da das Befriedigungsvorrecht gem. § 116 Abs. 4 SGB X alle Ersatzansprüche der Geschädigten erfasst, nicht nur die kongruenten, wenn der haftpflichtige VN die Ansprüche nicht befriedigen kann, erhalten A, B und C vom Haftpflicht-VR die Differenz zum tatsächlich eingetretenen Schaden (Schmerzensgeld) in Höhe von 50.000 (500.000 EUR – 450.000 EUR). Der nach dem Verteilungsverfahren verbleibende Betrag über jeweils 283.000 EUR steht der GKV zu.

Koch

388

Forderung gegen VN

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

1,5 Mio.

Geschädigte

A

389

B

C

Gesamt

0,45 Mio. 0

0,45 Mio. 0

0,45 Mio. 0

Leistungen der GKV

1 Mio.

0,33 Mio.

0,33 Mio.

0,33 Mio.

Verteilungsquote gem. § 109 S. 1 = 1/3

0,05 Mio.

0,05 Mio.

0,05 Mio.

Befriedigungsvorrecht des Geschädigten, § 116 Abs. 4 SGB X

0,28 Mio.

0,28 Mio.

0,28 Mio.

Restbetrag für GKV

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

42 Beispiel 2: Wie Beispiel 1, jedoch ist A privat krankenversichert. Da die private Krankenversicherung (PKV) ebenfalls nur die Kosten der Heilbehandlung trägt und das Befriedigungsvorrecht gem. § 86 Abs. 1 S. 2 – abweichend von § 116 Abs. 4 SGB X – nur die kongruenten Ersatzansprüche erfasst, ist A hinsichtlich des Schmerzensgelds nicht quoten- und auch nicht befriedigungsbevorrechtigt. Die ursprüngliche Forderung des A über 500.000 EUR spaltet sich in zwei selbständige Forderungen auf. Hinsichtlich des Anspruchs auf Ersatz der Kosten der Heilbehandlung (450.000 EUR) tritt die PKV gem. § 86 Abs. 1 S. 1 an die Stelle des A, der Gläubiger des Anspruchs auf Ersatz des Schmerzensgeldes (50.000 EUR) bleibt. Beide sind in Bezug auf den nach dem Verteilungsplan auf A entfallenden Anteil an der Versicherungssumme in Höhe von 333.333 EUR konkurrierende Teilgläubiger.

Koch

390

Forderung gegen VN

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

1,5 Mio.

Geschädigte

A

391

B

C

Gesamt

0,45 Mio. 0

0,45 Mio. 0

0,45 Mio. 0

Leistungen der PKV/GKV

1 Mio.

0,33 Mio.

0,33 Mio.

0,33 Mio.

Verteilungsquote gem. § 109 S. 1 =1/3

0,05 Mio.

0,05 Mio.

Befriedigungsvorrecht des Geschädigten, § 116 Abs. 4 SGB X 0 Mio. 0 Mio.

0,28 Mio.

0,28 Mio.

0,33 Mio. 0

Befriedigungsvorrecht Restbetrag für Restbetrag für des Geschädigten, GKV PKV § 86 Abs. 1 S. 2

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

43 A könnte sich den Anspruch des VN auf Freistellung in Höhe des Schmerzensgeldanspruchs i. H. v. 50.000 EUR entweder abtreten lassen oder nach rechtskräftiger Feststellung des Schmerzensgeldanspruchs sich dessen Freistellungsanspruch pfänden und überweisen lassen. In diesem Fall verblieben für die PKV noch 283.333 EUR. Den gleichen Weg könnte auch die PKV beschreiten. Leistete der Haftpflicht-VR Zahlung an die PKV in Höhe von 333.333 EUR, wäre er von seiner Zahlungspflicht vollständig befreit und sein VN schuldete der PKV noch weitere 117.000 EUR. Dem A stünde der Freistellungsanspruch des VN nicht mehr als Vollstreckungsobjekt zur Verfügung. Diese Situation ist nicht anders zu beurteilen als die Ausgangssituation, die zur Anwendung des § 109 geführt hat. Hier wie dort gibt es mehrere Geschädigte, deren Haftpflichtforderungen zusammengenommen die zur Verfügung stehende Versicherungssumme übersteigen. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass es nicht mehr um die Verteilung der Gesamtversicherungssumme auf alle Geschädigten geht, sondern um die Verteilung des auf einen Geschädigten entfallenden Anteils zwischen dem Geschädigten und dessen regressnehmendem Privatversicherer. Deshalb ist § 109 S. 1 erneut, und zwar im Wege der Analogie, zur Anwendung zu bringen und der auf A entfallende Teil der Versicherungssumme proportional aufzuteilen. Setzt man die auf den Anspruch des A nach dem Verteilungsplan entfallende Versicherungssumme über 333.333 EUR ins Verhältnis zu der Gesamtforderung in Höhe von 500.000 EUR, beläuft sich die Verteilungsquote auf 2/3, sodass auf den Schmerzensgeldanspruch des A 33.333 EUR und auf den Anspruch der PKV aus übergegangenem Recht 300.000 EUR entfielen. 44 Beispiel 3: Wie Beispiel 1, jedoch ist der Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch wegen Mitverschuldens das A um 20 % zu kürzen. In diesem Fall beläuft sich der Anspruch des A auf Ersatz der Heilbehandlungskosten auf 360.000, der Anspruch auf Schmerzensgeld auf 40.000 EUR und der Gesamtanspruch auf 400.000 EUR. Die Gesamtsumme der Schadens- und Schmerzensgeldansprüche von A, B und C reduziert sich auf 1,4 Mio. EUR. Die Verteilungsquote gem. § 109 S. 1 beläuft sich auf 0,714 (= 1 : 1,4), so dass auf den Anspruch des A 285.714 EUR und auf die Ansprüche von B und C jeweils 357.142 EUR entfallen. Nach § 116 Abs. 3 S. 1 SGB X geht auf die GKV gem. § 116 Abs. 3 S. 1 SGB X nur der um den Mitverschuldensanteil gekürzte Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten über, der sich auf 360.000 EUR beläuft (= 80 % von 450.000 EUR). Von dem auf die Ansprüche des A entfallenden Betrag über 285.714 EUR sind 40.000 EUR auf den Schmerzensgeldanspruch des A und 245.000 EUR auf die GKV zu verteilen.

Koch

392

Forderunggegen VN

Heilbehandlung 0,36 Mio. Schmerzensgeld 0.04 Mio.

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

1,4 Mio.

Geschädigte

A (20 % MitV)

B

393

C

Gesamt

0,45 Mio. 0

0,45 Mio. 0

Leistung der GKV, § 116 Abs. 1 S. 1 (100 % von 450.000) 0,36 Mio. 0

1 Mio.

0,357 Mio.

0,357 Mio.

0,285 Mio.

Leistung der GKV, § 116 Verteilungsquote gem. Abs. 3 S. 1 SGB X (80 % von § 109 S. 1 (1 Mio.: 450.000) 1,4 Mio. = 0,714)

0,05 Mio.

0,05 Mio.

0,04 Mio.

Befriedigungsvorrecht des Geschädigten, § 116 Abs. 4 SGB X

0,307 Mio.

0,307 Mio.

0,245 Mio.

Restbetrag für GKV

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

45 Beispiel 4: Wie Beispiel 3, jedoch ist der Anspruch des A auf Ersatz der Heilbehandlungskosten durch Gesetz auf 250.000 EUR beschränkt. Ist der Anspruch auf Ersatz eines Schadens durch ein mitwirkendes Verschulden und der Ersatzanspruch durch Gesetz der Höhe nach begrenzt (§ 116 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB X), ist zunächst gem. § 116 Abs. 3 S. 1 SGB X eine Aufteilung der auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen und der dem Geschädigten verbleibenden Ansprüche ohne Berücksichtigung der Haftungshöchstgrenze vorzunehmen. Überschreitet der um den Mitverschuldensanteil des Geschädigten gekürzte Gesamtschadensanspruch die gesetzliche Haftungshöchstsumme, ist das Ergebnis der Aufteilung zwischen Sozialversicherungsträger und Geschädigtem der Haftungshöchstgrenze anteilig anzupassen, um die Unterdeckung proportional auf Sozialversicherungsträger und Geschädigten zu verteilen.61 Auf diese Weise kommt es zwischen ihnen zu einer verhältnismäßigen Verteilung des gekürzten Ersatzanspruchs. Soweit dem Geschädigten ein Befriedigungsvorrecht aus § 116 Abs. 4 SGB X zusteht, kommt es erst nach Durchführung des Verteilungsverfahrens zum Zuge.62 46 Vorliegend ist der Anspruch des A auf Ersatz der Heilbehandlungskosten durch Gesetz auf 250.000 EUR beschränkt, so dass der auf 400.000 EUR gekürzte Schadensersatzanspruch des A diese Grenze überschreitet. Deshalb ist von der gesetzlichen Grenze der Mitverschuldensanteil in Höhe von 50.000 EUR in Abzug zu bringen (= 20 % von 250.000 EUR), so dass nur 200.000 EUR auf die GKV übergehen. Die Gesamtsumme aller Schadens- und Schmerzensgeldansprüche reduziert sich auf 1,29 Mio. EUR. Die Verteilungsquote gem. § 109 S. 1 beläuft sich auf 0,775 ( = 1 : 1,29), so dass auf den Anspruch des A 166.666 EUR und auf die Ansprüche von B und C jeweils 416.666 EUR entfallen. Von dem auf A entfallenden Betrag sind 40.000 EUR auf den Schmerzensgeldanspruch des A und 184.000 EUR auf den Anspruch der GKV zu verteilen.

61 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1680 = RuS 2007 83, 84; BGH 21.11.2000 – VI ZR 120/99 BGHZ 146 84, 88 ff. = RuS 2001 151 (zu § 156 Abs. 3 a. F.). 62 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1680 = RuS 2007 83, 84 (zu § 156 Abs. 3 a. F.). Koch

394

Forderung gegen VN

Heilbehandlung0,25 Mio. Schmerzensgeld 0.04 Mio.

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

Heilbehandlung 0,45 Mio. Schmerzensgeld 0,05 Mio.

1,29 Mio.

Geschädigte

A (20 % MitV)

B

395

C

Gesamt

0,45 Mio. 0

0,45 Mio. 0

Leistung der GKV, § 116 Abs. 1 S. 1 (100 % von 450.000) 0,2 Mio. 0

Leistung der GKV, § 116 Abs. 3 S. 1 SGB X (80 % von 250.000)

1 Mio.

0,387 Mio.*

0,387 Mio.*

0,224 Mio.*

Verteilungsquote gem. § 109 S. 1 (1 Mio.: 1,29 Mio. = 0,775)

0,05 Mio.

0,05 Mio.

0,04 Mio.

Befriedigungsvorrecht des Geschädigten, § 116 Abs. 4 SGB X

0,337 Mio.

0,337 Mio.

0,184 Mio.

Restbetrag für GKV

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

4. Abfindungsvergleich zwischen Sozialversicherungsträger und VR 47 Schließt ein Sozialversicherungsträger mit dem VR einen Abfindungsvergleich über die auf ihn übergegangenen Schadensersatzforderungen gegen den VN, so betrifft das nach dem Urteil des BGH vom 4.3.1986 in der Regel nur den Anteil, der ihm im Innenverhältnis zu einem als Gesamtgläubiger konkurrierenden weiteren Sozialversicherungsträger zusteht. Es bleibt somit dabei, dass der konkurrierende Sozialversicherungsträger vom VR aus übergegangenem Recht nur noch das verlangen kann, was ihm im Innenverhältnis zum anderen Sozialversicherungsträger zusteht (eingeschränkte Gesamtwirkung des Abfindungsvergleichs).63

5. Teilungsabkommen zwischen Sozialversicherungsträger und VR 48 Wird der VR vom Sozialversicherungsträger aus einem zwischen ihm und dem Sozialversicherungsträger abgeschlossenen Teilungsabkommen (hierzu Vor §§ 100–112 Rn. 137 ff.) in Anspruch genommen, ist der Anwendungsbereich von § 109 an sich nicht berührt. Der BGH hat die Grundsätze des § 156 Abs. 3 a. F. jedoch entsprechend angewendet.64 In dem Urteil vom 26.6.1985 ging es um die Typhuserkrankungen von mehr als 400 Personen, die wahrscheinlich durch den Verzehr verseuchten Kartoffelsalats hervorgerufen wurden.65 Die Versicherungssumme belief sich auf 1 Mio. DM für Personenschäden. Dieser Summe standen nach dem Vortrag des VR Haftpflichtansprüche in Höhe von 3.152.000 DM gegenüber, ferner noch nicht angemeldete Regressforderungen weiterer Sozialversicherungsträger. In den Teilungsabkommen war der Fall einer Erschöpfung der Versicherungssumme durch eine Vielzahl von Ansprüchen nicht geregelt. 49 Nach Ansicht des BGH gilt die Versicherungssumme im Verhältnis der Abkommenspartner als erschöpft, wenn die Ansprüche der Gläubiger, mit denen kein Teilungsabkommen besteht, nach Sach- und Rechtslage in der jeweils berechtigten Höhe und die Ansprüche auf die Schadenteilungsquote aus Teilungsabkommen zusammen die Versicherungssumme übersteigen. Alle Ansprüche, die sich berechtigterweise gegen den Schädiger richten und alle Forderungen, die ihre Grundlage in Teilungsabkommen haben, seien somit zusammenzurechnen und – gegebenenfalls – zueinander ins Verhältnis zu setzen. Die Kürzung der Ansprüche aus Teilungsabkommen erfolge dann nach Maßgabe von § 156 Abs. 3 a. F., wobei wiederum alle berücksichtigten Forderungen zueinander ins Verhältnis zu setzen seien. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass die Haftpflichtansprüche von Gläubigern keine Kürzung erführen im Hinblick auf Forderungen, die ihre Grundlage allein in Teilungsabkommen haben. Für den VR hat dieses Verfahren zur Folge, dass er ggf. zwei Berechnungen nach § 109 S. 1 vorzunehmen hat. Unterliegt der Schadensersatzanspruch bei der Berechnung gegenüber den Teilungsabkommensgläubigern rechnerisch einer stärkeren Kürzung, als der VR gegenüber dem Ersatzberechtigten bzw. dem VN nach § 109 S. 1 geltend machen kann, ist eine Mehrleistung des VR über die Versicherungssumme bis annähernd zum Doppelten der Versicherungssumme möglich. Diese Folge, so der BGH, sei dem VR zuzumuten und halte sich im Rahmen seiner vertraglich übernommenen Leistungspflichten. Die tatsächliche Ausweitung der Leistungsobergrenze stelle den angemessenen Ausgleich dafür dar, dass die Sozialversicherungsträger mit ihren rein vertraglichen Ansprüchen auf die vereinbarte Quote der Gefahr von Kürzungen nach § 153 Abs. 3 a. F. unterlägen.66

63 64 65 66

BGH 4.3.1986 – VI ZR 234/84, RuS 1986 182, 183 f. BGH 26.6.1985 – IVa ZR 264/83, VersR 1985 1054, 1055 f.; BGH 6.10.1982 – IVa ZR 54/81, VersR 1983 26, 27. BGH 26.6.1985 – IVa ZR 264/83, VersR 1985 1054. BGH 26.6.1985 – IVa ZR 264/83, VersR 1985 1054, 1055.

Koch

396

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

III. Bei der Verteilung nicht berücksichtigte Dritte (§ 109 S. 2) Nach § 109 S. 2 bleibt die Verpflichtung des VR aus dem Versicherungsvertrag im Verhältnis zu 50 einem nach der gesetzlichen Verteilungsregel zunächst nicht berücksichtigten Dritten auch über die Versicherungssumme hinaus bestehen, wenn er nicht dartut und beweist,67 dass er mit der Geltendmachung weiterer Haftpflichtansprüche nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste. In diesem Fall ist es dem zu spät kommenden Dritten verwehrt, sich auf die relative Unwirksamkeit der Verfügungen über die Entschädigungsforderung nach § 108 Abs. 1 S. 1 zu berufen. Für das Verschulden seiner Hilfspersonen hat der VR dabei in entsprechender Anwendung des § 278 BGB einzutreten.68 Eine Exkulpation ist also insoweit nicht möglich. Zu beachten ist, dass durch § 109 S. 2 nicht das Trennungsprinzip der Haftpflichtversicherung durchbrochen wird. Vielmehr kann der Dritte auch in diesem Falle den VR erst als Rechtsnachfolger des VN, d. h. nach Abtretung oder Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs mit Erfolg unmittelbar in Anspruch nehmen. Zu spät im Sinne des § 109 S. 2 kommt im Übrigen auch ein Dritter, der einen geltend gemachten Anspruch nachträglich erhöht.69 Ob der VR mit einer später geltend gemachten Haftpflichtforderung rechnen musste, ist 51 eine Frage des Einzelfalls. Leicht fahrlässige Fehleinschätzungen schaden dem VR jedenfalls nicht. Dies folgt nicht unbedingt aus dem Wortlaut des § 109 S. 2 („nicht rechnen musste“). Jedoch wollte der historische Gesetzgeber mit der Formulierung in § 156 Abs. 3 S. 2 a. F., wonach es darauf ankommt, ob der VR im Falle der Erschöpfung der Deckungssumme „mit der Geltendmachung dieser Ansprüche in entschuldbarerweise nicht gerechnet hat“, zum Ausdruck bringen, dass der VR nicht jede Fahrlässigkeit zu vertreten hat. Wörtlich heißt es in der amtlichen Begründung zu § 156 Abs. 3 S. 2 a. F.: „In Anlehnung an die Entscheidung des Reichsgerichts vom 25. Oktober 1938 […] hat der VR nicht jede Fahrlässigkeit zu vertreten. Er hat vielmehr nur die Sorgfalt zu beobachten, die unter den Umständen des besonderen Falles von einem vernünftigen und praktischen VR verlangt und angewendet wird. Demnach darf der VR insbesondere auch auf das Interesse der ihm rechtzeitig bekannt gewordenen Geschädigten an alsbaldiger Befriedigung ihrer Ansprüche Rücksicht nehmen.“70

Das RG hatte in der Entscheidung, auf die der Gesetzgeber Bezug genommen hat, zu einer Oblie- 52 genheitsklausel, die § 156 Abs. 3 S. 2 a. F. entsprach, Folgendes ausgeführt: „Der Unterschied von den gesetzlichen und – diesen entsprechend – sonst auch in den Bedingungen der Beklagten gewählten Begriffsbestimmungen: ‚unverschuldet‘ (§ 6 Abs. 1 VVG), weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruhend‘ (§ 6 Abs. 2 VVG – § 6 AVB), ‚Vorsatz‘, ‚Fahrlässigkeit‘, ‚Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt‘ (§ 276 BGB) beruht aber nicht […] auf der Betonung der subjektiven Seite, ähnlich wie im Strafrecht, so daß eine sonst,unentschuldbare‘ Fahrlässigkeit ‚entschuldbar‘ würde um deswillen, weil gerade von dem Täter nach seiner besonderen Persönlichkeit die Aufwendung der sonst erforderlichen oder auch nur üblichen Sorgfalt nicht zu verlangen sei; er beruht vielmehr auf der stärkeren Betonung des Verkehrsüblichen, also des Maßes von Sorgfalt, das nach der Lebenserfahrung unter den gegebenen Umständen von vernünftigen, praktischen Leuten angewendet zu werden pflegt und das man demgemäß von solchen verlangt. Damit ist ein gewisser, der Erfahrung des täglichen Lebens entnommener Gegensatz zum Ausdruck gebracht zu dem objektiv-abstrakten Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 BGB), auf dem sich die sonst kraft Gesetzes oder kraft Vertrages anzuwendenden Begriffe von Verschulden und Fahrlässigkeit aufbauen. So

67 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 46; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 109 Rn. 9; Schultheiß VersR 2016 497, 501 (zur Darlegungs- und Beweislast).

68 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 45; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 59. 69 Vgl. Motive S. 639. 70 Motive 639 (Hervorhebung durch den Verfasser). 397

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

gesehen kann also, vom abstrakten Standpunkt der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt aus, immerhin ein gewisses Verschulden anzunehmen sein, und gleichwohl kann der Täter […] ‚entschuldbar‘ handeln.“71

Da der Gesetzgeber ausweislich der Regierungsbegründung zu § 109 lediglich eine redaktionelle, nicht jedoch eine inhaltliche Änderung des § 156 Abs. 3 S. 2 a. F. gewollt hat, sind diese Grundsätze bei der Auslegung von § 109 S. 2 zu berücksichtigen. 53 Die Verpflichtung des VR zur anteilsmäßigen Befriedigung der Dritten beginnt in dem Augenblick, in dem vom Standpunkt eines objektiv wägenden Betrachters der VR nach dem ihm bis dahin vom VN und von den Dritten und auch aus sonstigen Quellen zugegangenen Informationen mit einer Überschreitung der Versicherungssumme rechnen musste.72 Den VR trifft hierbei keine Erkundigungspflicht, ob Dritte möglicherweise existieren und Ansprüche geltend machen könnten.73 Hat der VR bis zu diesem Zeitpunkt schon mehr an einen Dritten geleistet, als diesem bei endgültiger Berücksichtigung aller Forderungen zustehen würde, so verbleibt es im Verhältnis zum VR dabei. Dieser Zeitpunkt ist nicht identisch mit dem für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 109 S. 1 maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (vgl. Rn. 25), sondern liegt danach. R. Johannsen hat als Faustregel vorgeschlagen, für die Frage der Vorhersehbarkeit auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Schadenszahlungen insgesamt die erste Hälfte der Versicherungssumme übersteigen. Ein für § 156 Abs. 3 S. 2 a. F. relevantes Verschulden könne dem VR nur dann vorgeworfen werden, wenn die Anzeichen für ein Überschreiten der Versicherungssumme zu diesem Zeitpunkte bereits unübersehbar gewesen seien. Bei Zahlungen aus dem Bereich der zweiten Hälfte der Versicherungssumme sei ein schärferer Maßstab an das Verschulden anzulegen.74 Unabhängig davon, ob man dieser Faustregel folgt, ist ein Verschulden i. S. d. § 109 S. 2 jedenfalls stets dann zu bejahen, wenn im Zeitpunkt der (jeweiligen) Auszahlung die Addition der ziffernmäßig geltend gemachten Ansprüche ohne Weiteres das Überschreiten der Versicherungssumme ergibt. Ansonsten dürfen im Hinblick auf den Normzweck des § 109 S. 2 keine übertrieben starken Anforderungen an den VR gestellt werden.75 Eine zu zögerliche Befriedigung der Haftpflichtansprüche liegt weder im Interesse des VN noch im Interesse der Geschädigten. Nach herrschender Ansicht greift § 109 S. 2 erst dann ein, wenn die Versicherungssumme 54 voll erschöpft ist. Sei dies nicht der Fall und melde sich nachträglich noch ein weiterer Dritter, so soll der Dritte ohne Rücksicht auf ein Verschulden des VR so zu behandeln sein, als ob er sich rechtzeitig gemeldet hätte. Die Quoten seien daher gem. § 109 S. 1 neu zu berechnen.76 Diese Ansicht vermag indes nicht zu überzeugen. Zwar stellt § 109 S. 2 darauf ab, ob die „Versicherungssumme erschöpft“ ist und nimmt auf eine bereits erfolgte Verteilung Bezug („ein bei der Verteilung nicht berücksichtigter Dritter“). Diese Formulierung kann aber nicht dahingehend verstanden werden, dass dem VR eine Berufung auf § 109 S. 2 genommen werden soll, wenn die Versicherungssumme noch nicht vollständig verbraucht ist. Eine solche Auslegung liefe darauf hinaus, dass der VR stets bis zum vollständigen Verbrauch der Versicherungssumme die sich aus der Neuberechnung der Quoten resultierenden Risiken bei Rückforderung von Überzahlungen zu tragen hätte, ohne dass es auf ein Verschulden seinerseits ankäme.77 § 109 S. 2 ist somit dahingehend auszulegen, dass sich der verspätet kommende Dritte nach Sinn und

71 72 73 74 75 76

RG 25.10.1938 – VII 75/38, RGZ 158 284, 288. Vgl. Ch. Huber VersR 1986 851, 852 f. Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 10; Schultheiß VersR 2016 497, 500. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 98. Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 12; Ch. Huber VersR 1986 851, 852 f. Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 12; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 43; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 16; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 109 Rn. 9. 77 Ch. Huber VersR 1986 851, 852; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 59; vgl. auch Schultheiß VersR 2016 497, 500. Koch

398

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

Zweck des § 109 mit dem noch offenen Betrag der Deckungssumme zufrieden geben muss,78 soweit nicht für den VR bei früheren Zahlungen erkennbar gewesen ist, dass die Versicherungssumme nicht zur Befriedigung aller Haftpflichtansprüche ausreichen würde.

IV. Ausgleich einer Überzahlung i. S. d. § 109 1. Bereicherungsansprüche des VR a) Gegenüber VN. Wie bereits ausgeführt, bleibt der VR einem nachträglich kommenden Drit- 55 ten gegenüber im Rahmen des § 109 zur Leistung verpflichtet, wenn er nicht dartun und beweisen kann, dass er entschuldbarerweise mit der Geltendmachung der Ansprüche dieses Dritten nicht mehr habe rechnen können. Der VR muss die Quoten nach Maßgabe des § 109 S. 1 neu berechnen. Nimmt der Dritte den VR (nach Abtretung oder Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs) in Höhe des auf ihn entfallenden Anteils an der Versicherungssumme in Anspruch, ist der VR berechtigt, zuvor geleistete Überzahlungen vom VN nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB heraus zu verlangen. Wenn der VR nämlich mehr leistet, als dem VN an Befreiung gebührt, so ist der VN ungerechtfertigt bereichert, weil er von seiner Haftpflichtschuld teilweise ohne Rechtsgrund befreit wurde (Fall des fehlenden Rechtsgrundes im Versicherungsverhältnis, vgl. § 100 Rn. 187).79 b) Gegenüber bevorzugt befriedigten Dritten. Fraglich ist, ob der VR von dem bevorzugt 56 befriedigten Dritten die Überzahlung nach Bereicherungsrecht zurückverlangen kann. Diese Frage ist zu bejahen, wenn die Haftpflichtforderung des bevorzugt befriedigten Dritte nicht besteht. In diesem Fall hat der VR einen Anspruch gegen den Dritten gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Fall des fehlenden Rechtsgrundes im Valutaverhältnis, § 100 Rn. 183 ff.). Besteht die Forderung des Geschädigten, ist die Zubilligung eines bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs problematisch. Da im Hinblick auf die im Valutaverhältnis grundsätzlich bestehende (Haftpflicht-)Forderung im Verhältnis des VN zum geschädigten Dritten keine Überzahlung vorliegt, scheidet ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen den Dritten an sich aus. v. Rintelen vertritt dagegen unter Hinweis auf das Urteil des BGH vom 13.6.200280 die An- 57 sicht, dass der VR im Verteilungsverfahren „zahlt wie ein Drittschuldner“. Der VR habe deshalb grundsätzlich Direktansprüche gegen den Vollstreckungsgläubiger, wenn er an einen nachrangigen Gläubiger zahlt.81 Der BGH hat in jener Entscheidung für den Fall, dass der Drittschuldner i. S. v. § 840 ZPO bei mehrfacher Forderungspfändung irrtümlich an einen nachrangigen Vollstreckungsgläubiger zahlt und deshalb nochmals an den vorrangigen Gläubiger zahlen muss, festgestellt, dass der Drittschuldner den an den nachrangigen Gläubiger bezahlten Betrag von diesem zurückverlangen könne und sich nicht an den Vollstreckungsschuldner halten müsse. Es könne grundsätzlich nicht angenommen werden, dass der Drittschuldner mit der Zahlung an einen Vollstreckungsgläubiger lediglich den Zweck verfolge, seine Verbindlichkeit gegenüber dem Vollstreckungsschuldner zu erfüllen. Sein Interesse sei vielmehr in der Regel darauf gerichtet, mit der Zahlung an den Pfändungsgläubiger auch jeder weiteren Inanspruchnahme durch andere Vollstreckungsgläubiger zu entgehen. Er verfolge deshalb mit der Zahlung auch den Zweck, das jeweilige Einziehungsrecht des Vollstreckungsgläubigers zum Erlöschen zu bringen. 78 Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 60; Ch. Huber VersR 1986 851, 853; Deichl/Küppersbusch/Schneider Rn. 79; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 43; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 109 Rn. 9. 79 Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 61; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 13; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 48; K. Sieg Ausstrahlungen 217. 80 BGH 13.6.2002 – IX ZR 242/01, NJW 2002 2871. 81 Späte/Schimikowski/v. Rintelen AHB § 1 Rn. 391. 399

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

Im Verteilungsverfahren gem. § 109 gibt es jedoch unter den Geschädigten keine nachrangigen Gläubiger, weshalb das Urteil des BGH nicht einschlägig ist und deshalb die Begründung von v. Rinteln ins Leere geht. 58 Gleichwohl lässt sich der vom BGH betonte Gesichtspunkt, dass der Drittschuldner mit seiner Zahlung nicht nur den Zweck verfolgt, seine Pflicht gegenüber dem Vollstreckungsschuldner zu erfüllen, sondern auch dazu dient, das jeweilige Einziehungsrecht des Vollstreckungsgläubigers zum Erlöschen zu bringen, auch für die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung gegenüber dem im Verteilungsverfahren zu Unrecht bevorzugten Geschädigten fruchtbar machen. Schließlich kommt der VR bei der Verteilung der nicht ausreichenden Versicherungssumme auch seiner aus § 109 S. 1 resultierenden gesetzlichen Verpflichtung gegenüber einer Mehrzahl von Geschädigten nach. Mit der Auszahlung der vom VR berechneten Teilbeträge erfüllt der VR somit nicht nur seine Verbindlichkeit gegenüber dem VN, sondern auch seine Verpflichtung gegenüber jedem einzelnen Geschädigten. Deshalb steht eine Rückforderung nach Bereicherungsrecht, und zwar nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, in den Fällen, in denen der VR einen entsprechenden Vorbehalt geäußert oder dem Geschädigten – ohne einen entsprechenden Vorbehalt – die Grundlage der Berechnung nach § 109 S. 1 mitgeteilt hat, im Einklang mit der Rechtsprechung zum Bereicherungsausgleich in Mehrpersonenverhältnissen, der zufolge stets die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, zu denen insbesondere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der Risikoverteilung zählen.82

2. Bereicherungsansprüche des benachteiligten Dritten 59 Der im Sinne des § 109 zu kurz gekommene Dritte hat keinerlei Ansprüche gegen denjenigen Geschädigten, der zu viel erhalten hat. Allein in Betracht kommende Bereicherungsansprüche wegen Nichtleistungskondiktion scheiden aus, da es an einer Leistungsbeziehung zwischen den Geschädigten fehlt. Für eine entsprechende Anwendung von § 816 Abs. 2 BGB besteht auch unter Billigkeitsgesichtspunkten kein Raum, da der Geschädigte, der zu viel erhalten hat, das Zuviel durch Leistung des VR erlangt hat und § 816 Abs. 2 einen Fall der Nichtleistungskondiktion regelt.83

V. Prozessuales 1. Inanspruchnahme des VR nach Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs 60 Das Verteilungsverfahren nach § 109 lässt den Haftpflichtanspruch des geschädigten Dritten unberührt. Dieser kann nach rechtskräftigem Abschluss eines Haftpflichtprozesses den Freistellungsanspruch des VN gegen den VR pfänden und sich überweisen lassen. Nimmt der Dritte den VR auf Grund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses auf Zahlung der titulierten Haftpflichtforderung in Anspruch, ist § 109 – wie zuvor ausgeführt (Rn. 27) – bereits im Prozess und nicht erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen.84 Der Dritte kann somit gegen82 Vgl. nur BGH 23.10.2003 – IX ZR 270/02, NJW 2004 1169; BGH 10.3.1993 – XII ZR 253/91, BGHZ 122 46, 51 = RuS 1993 239; BGH 2.11.1988 – IVb ZR 102/87, BGHZ 105 365, 369 = NJW 1989 900, m. w. N.

83 I. Erg. auch Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 22; Langheid/ Wandt/Littbarski § 109 Rn. 49; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 58; Späte § 1 Rn. 214; K. Sieg Ausstrahlungen 181 f.; a. A. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 101. 84 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679, 1680; BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, BGHZ 84 151, 154 = NJW 1982 2321, 2322 f.; BGH 6.10.1982 – IVa ZR 54/81, VersR 1983 26, 27; ÖOGH 2.6.1977 – 2 Ob 273/76, ZVR 1978 282, 283. Koch

400

C. Rechtsfolgen bei unzureichender Versicherungssumme

VVG § 109

über dem VR nur anteilig seine Haftpflichtforderung durchsetzen. Im Übrigen ist seine Klage als zurzeit unbegründet abzuweisen. Erhöht sich später die Quote, muss der Dritte erneut klagen.85 Im Hinblick auf das damit einhergehende Risiko, die durch die teilweise Klageabweisung entstandenen Kosten selbst tragen zu müssen, sprechen sich Teile des Schrifttums dafür aus, dem Dritten die Erhebung einer Feststellungsklage zu gestatten.86 Littbarski lehnt diese Ansicht unter Hinweis auf den Vorrang der Leistungsklage gegenüber der Feststellungsklage und unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit ab. Wegen der Schwierigkeiten bei der Quotenneuberechnung drohe eine weitere gerichtliche Auseinandersetzung.87 Diese Kritikpunkte haben durchaus ihre Berechtigung. Bei drohender Verjährung steht dem Dritten die Klage auf Feststellung, dass der VR Deckungsschutz zu gewähren habe, aber in jedem Fall zu, solange er nicht durch Anzeige der Inanspruchnahme die Hemmung der Verjährung erreichen kann (vgl. § 100 Rn. 161). Ansonsten bleibt dem Dritten jedoch nur der Weg, die Leistungsklage entweder auf den Betrag zu beschränken, der der anteiligen Berechnung durch den VR entspricht, oder Klage auf einen höheren Betrag zu erheben.88 Die Berücksichtigung der drohenden Erschöpfung der Versicherungssumme im Erkenntnis- 61 verfahren hat zur Folge, dass ein VR, der sich im Erkenntnisverfahren nicht auf eine Summenbeschränkung gem. § 109 S. 1 berufen hat, dies später durch eine Zwangsvollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO nur erreichen kann, wenn nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung neue Gründe für eine solche Verteilung entstanden sind. Andererseits ist der Dritte, wenn später eintretende Tatsachen eine bessere Berechnung zu seinen Gunsten ergeben, nicht durch Rechtskraftgrundsätze gehindert, eine erneute Klage zu erheben.89

2. Rechtsbehelfe bei Überpfändung der Haftpflichtversicherungsforderung a) Rechtsbehelfe des VR. Der VR kann einer Pfändung durch den geschädigten Dritten, die 62 über den Umfang des diesem nach § 109 gebührenden Anteils hinausgeht, theoretisch durch eine Erinnerung nach § 766 ZPO entgegentreten. Mit Rücksicht auf die komplizierte Materie und die umfangreiche Darlegungspflicht des VR empfiehlt sich allerdings in der Praxis ein derartiges Vorgehen nicht. Die zweckmäßigste Abwicklung dürfte vielmehr darin liegen, dass der nach Meinung des VR dem pfändenden Dritten zustehende Teil gezahlt und im Übrigen Klage anheim gestellt wird. Als gänzlich ausgeschlossen erscheint nach dem Wesen des Erinnerungsverfahrens z. B. die Prüfung der Frage, ob strittige Forderungen anderer Dritter berechtigt sein könnten und welche Rückstellungen dafür zu bilden sind, oder gar der Frage, ob der VR durch die entschuldbare Annahme, dass weitere Ansprüche nicht erhoben würden, frei geworden ist oder nicht. b) Rechtsbehelfe des geschädigten Dritten. Die gleichen Bedenken bestehen gegen ein 63 Vorgehen eines der geschädigten Dritten im Wege des Erinnerungsverfahrens nach § 766 ZPO. Zur Wahrung seiner Rechte im Sinne des § 109 steht dem beteiligten Dritten aber ein Klagerecht gem. § 772 ZPO zu.90 Das für eine Widerspruchsklage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis kann 85 Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 24; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 50. 86 Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 16, der einen vorsorglichen Hilfs-Zahlungsantrag empfiehlt; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 24; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 63; krit. Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 16. 87 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 52; Langheid/Rixecker/Langheid § 109 Rn. 16. 88 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 52. 89 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V Halbbd. 1 Anm. B 13. 90 K. Sieg Ausstrahlungen 177 f. 401

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

nicht mit dem Hinweis verneint werden, der VR werde die Rechte des Dritten in dem anschließenden Leistungsstreit schon ordnungsgemäß wahrnehmen.91

D. Entsprechende Anwendung des § 109 bei einer Mehrzahl von versicherten Schädigern? 64 Fraglich ist, ob der in § 109 zum Ausdruck kommende Grundsatz der gleichmäßigen Verteilung zwischen den Geschädigten entsprechende Anwendung findet, wenn eine Mehrzahl von versicherten Schädigern von ein und demselben Geschädigten in einer Höhe auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, die die Versicherungssumme übersteigt. Die Frage stellt sich auch bei einer gesamtschuldnerischen Haftung der Schädiger, wenn Kostenanrechnung vereinbart ist und die Rechtsschutzkosten zusammen mit der Haftpflichtforderung die Versicherung übersteigen. Zur Illustration der Problematik sollen die nachstehenden Beispiele dienen.

I. Beispiele 65 Beispiele: 1) Privathaftpflichtversicherung: Bei einer Geburtstagsparty geraten die VN A und ihr mitversicherter Ehemann B aneinander und beschädigen dabei versehentlich teure Gemälde der Gastgeberin. Der Schaden an dem von A beschädigten Gemälde beträgt 1 Mio. EUR. Der Schaden an dem von B beschädigten Bild beträgt ebenfalls 1 Mio. EUR. Die (Jahres-)Versicherungssumme/Höchstsumme für jeden Versicherungsfall und für alle während einer Versicherungsperiode eingetretenen Versicherungsfälle zusammen beläuft sich für Sachschäden auf 1 Mio. EUR. Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage kommt der VR zu dem Ergebnis, dass alle Ansprüche begründet sind. 2) D&O-Versicherung: Geschäftsführer A vergibt ohne ausreichende Sicherheit ein Firmendarlehen, das vom Schuldner nicht bedient wird (Schaden: 6 Mio. EUR), sein Mitgeschäftsführer B erwirbt infolge fehlerhafter Due-Diligence-Prüfung ein verlustbringendes Unternehmen (Schaden: 12 Mio. EUR) und sein Mitgeschäftsführer C lässt ein fehlerhaftes Wertpapierprospekt erstellen (Schaden: 18 Mio. EUR). Die (Jahres-)Versicherungssumme/Höchstsumme für jeden Versicherungsfall und für alle während einer Versicherungsperiode eingetretenen Versicherungsfälle zusammen beträgt 18 Mio. EUR. Die Gesellschaft nimmt A, B und C auf Schadensersatz in Anspruch. Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage kommt der VR zu dem Ergebnis, dass alle Ansprüche begründet sind. 3) Wie Beispiel 2. Die Rechtsschutzkosten (eine Instanz nach RVG und GKG bemessen) für die gerichtliche Inanspruchnahme des A belaufen sich auf 222.940,39 EUR, die des B auf 427.345,69 EUR und die des C auf 631.750,99 EUR. Kostenanrechnung ist vereinbart. 4) D&O-Versicherung: A, B und C haften der Gesellschafter gesamtschuldnerisch für einen Schaden in Höhe von 18 Mio. EUR (6 Mio. EUR pro rata). A, B und C haben in Abstimmung mit dem VR verschiedene Rechtsanwälte beauftragt und Stundensätze vereinbart. Die Kosten für A betragen 0,8 Mio. EUR, für B 1 Mio. EUR und für C 1,2 Mio. EUR. Die Kosten des RA des VN betragen nach Stundensätzen ebenfalls 1,2 Mio. EUR. Hinzu kommen die Gerichtskosten in Höhe von 219.603,00 EUR (73.201,00 EUR pro rata) für eine Instanz. Kostenanrechnung ist vereinbart. Die Versicherungssumme beträgt 18 Mio. EUR. 66 In den Beispielsfällen 1) und 2) stellt sich für die Versicherten bei Fehlen einer Abrede im Versicherungsvertrag die Frage, ob sie einen Anspruch gegen den VR haben bzw. eine damit korrespondierende Pflicht des VR besteht, dass dieser die Versicherungssumme anteilig zur Tilgung 91 K. Sieg Ausstrahlungen 178. Koch

402

VVG § 109

D. Entsprechende Anwendung des § 109

ihrer Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber dem Geschädigten verwendet. Die Frage wäre zu bejahen, wenn § 109 entsprechende Anwendung fände. In diesem Fall wäre der VR im Beispiel 1 im Innenverhältnis gegenüber A und B verpflichtet, sie jeweils in Höhe von 500.000 EUR von ihren Haftpflichtverbindlichkeiten freizustellen (Verteilungsquote: 1 Mio. EUR Versicherungssumme: 2 Mio. EUR Haftpflichtverbindlichkeiten = 50 %) und hätte bei der Zahlung an die Geschädigten entsprechende Tilgungserklärungen abzugeben. Schädiger

Forderung der Geschädigten

Versicherungssumme (je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen)

Verteilungsquote: 1/2

A B

1 Mio. 1 Mio.

1 Mio. 1 Mio.

0,5 Mio. 0,5 Mio.

Gesamt

2 Mio.

1 Mio.

1 Mio.

Im Beispiel 2 wäre der VR gegenüber A, B und C verpflichtet, sie in Höhe von 3, 6 und 9 Mio. EUR von ihren Haftpflichtverbindlichkeiten gegenüber der VN freizustellen (Verteilungsquote: 18 Mio. EUR Versicherungssumme: 36 Mio. EUR Haftpflichtverbindlichkeiten = 50 %). Schädiger

Forderung gegen der Geschädigten

Versicherungssumme (je Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen)

Verteilungsquote: 1/2

A B C

6 Mio. 12 Mio. 18 Mio.

18 Mio. 18 Mio. 18 Mio.

3 Mio. 6 Mio. 9 Mio.

Gesamt

36 Mio.

18 Mio.

18 Mio.

Im Beispiel 3) wären die Kosten der Abwehr den Haftpflichtverbindlichkeiten hinzuzurechnen, 67 so dass sich die Verteilungsquote auf 0,48 ändert. Von den danach auf die einzelnen Schädiger entfallenden Summen sind die zunächst die Kosten in Abzug zu bringen und der verbleibende Rest auf die Forderung anzurechnen.

403

Koch

Koch

18 Mio.

6 Mio.

12 Mio.

18 Mio.

36 Mio.

A

B

C

Gesamt

18 Mio.

18 Mio.

18 Mio.

Versicherungssumme

Forderung der VN gegen

18 Mio. – 17.381.024,51 EUR auf die Forderung – 439.163,01 EUR auf Rechtsschutzkosten VN – 179.812,48 EUR auf Abwehrkosten A, B u. C

88.043,86 entfallen auf C

1.282.037,07

C: Anwalt: 182.358,58

305.013,32: 631.750,99 = 0,46 216.969,46 entfallen auf VN

auf Kosten: 305.013,32

VN: Anwalt: 229.789,41 Gericht: 219.603,00

Gesamt: 631.750,99

auf Forderung: 8.690.512,25

59.604,16 entfallen auf B

B: Anwalt: 123.453,58

206.325,16: 427.345,69 = 0,48 145.721,00 entfallen auf VN

auf Kosten: 206.325,16

VN: Anwalt: 155.569,11 Gericht: 148.323,00

Gesamt: 427.345,69

auf Forderung: 5.793.674,84

31.164,46 entfallen auf A

A: Anwalt: 64.548,58

107.637,01: 222.940,39 = 0,48 76.472,55 entfallen auf VN

auf Kosten: 107.637,01

Auf Forderung: 2.896.837,42

Ermittlung der Verteilungsquote Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 18 Mio.: für Kosten des Anspruchsstellers 37.282.037,07 = 0,48 und VN

VN: Anwalt: 81.348,81 Gericht: 77.043,00

Gesamt: 222.940,39

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von VN und Schädiger, eine Instanz nach RVG und GKG)

§ 109 VVG Mehrere Geschädigte

404

D. Entsprechende Anwendung des § 109

VVG § 109

Im Beispiel 4) reicht die Versicherungssumme für die Tilgung der Haftpflichtverbindlichkeit der ge- 68 samtschuldnerisch im Innenverhältnis zu gleichen Teilen haftenden Versicherten A, B und C gegenüber der VN aus. Infolge der Anrechnung der Kosten in Höhe von insgesamt 4.419.603,00 EUR, ist die Versicherungssumme jedoch anteilig auf die Kosten und die Haftpflichtverbindlichkeit zu verteilen. Wendet man § 109 entsprechend an, wäre die verbleibende Haftpflichtverbindlichkeit zwischen der VN und A, B und C so zu verteilen, dass 14.451.638,61 EUR auf die Haftpflichtverbindlichkeit entfallen, so dass A, B und C gegenüber der VN gesamtschuldnerisch noch in Höhe von 3.548.361,39 EUR hafteten. Auf die Anwalts- und Gerichtskosten der VN in Höhe von insgesamt 1.419.603,00 EUR entfallen 1.139.754,96 EUR, so dass A, B und C gegenüber der VN gesamtschuldnerisch in Höhe von 279.848,04 EUR hafteten. A müsste seine eigenen Rechtsschutzkosten in Höhe von 157.704,95 EUR, B in Höhe von 197.131,19 EUR und C in Höhe von 236.557,52 EUR selbst zahlen.

405

Koch

Koch

18 Mio.

6 Mio. pro rata

6 Mio. pro rata

6 Mio. pro rata

A

B

C

18 Mio.

18 Mio.

Versicherungssumme

Forderung der VN gegen

VN: Anwalt: 0,4 Mio. Gericht: 73.201,00

Gesamt: 1.673.201,00

auf Kosten: 1.343.360,90

auf Forderung: 4.817.212,87

379.918,32 entfallen auf VN

1.343.360,90: 1.673.201,00=0,80

802.868,81 entfallen auf B

B: Anwalt: 1 Mio.

1.182.787,13: 1.473.201,00=0,80 379.918,32 entfallen auf VN

auf Kosten: 1.182.787,13

VN: Anwalt: 400.000 Gericht: 73.201,00

Gesamt: 1.473.201,00

auf Forderung: 4.817.212,87

642.295,05 entfallen auf A

A: Anwalt: 800.000

1.022.213,37: 1.273.201,00 = 0,80 379.918,32 entfallen auf VN

auf Kosten: 1.022.213,37

Auf Forderung: 4.817.212,87

Ermittlung der Verteilungsquote Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 18 Mio.: für Kosten des Anspruchsstellers 22.419.603,00=0,80 und VN

VN: Anwalt: 400.000 Gericht: 73.201,00

Gesamt: 1.273.201,00

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von VN (pro rata) und Schädiger für eine Instanz nach RVG und GKG)

§ 109 VVG Mehrere Geschädigte

406

407

18 Mio.

Gesamt

18 Mio.

Versicherungssumme

Forderung der VN gegen

4.419.603,00

C: Anwalt: 1,2 Mio.

Abwehrkosten (Anwalts- und Gerichtskosten von VN (pro rata) und Schädiger für eine Instanz nach RVG und GKG) 963.442,58 entfallen auf C

Ermittlung der Verteilungsquote für Kosten des Anspruchsstellers und VN

18 Mio. – 14.451.638,61 EUR auf die Forderung – 1.139.754,96 EUR auf Rechtsschutzkosten VN – 2.408.606,43 EUR auf Abwehrkosten A, B u. C

Ermittlung der Verteilungsquote für Forderung und Kosten 18 Mio.: 22.419.603,00=0,80

D. Entsprechende Anwendung des § 109

VVG § 109

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

II. Analoge Anwendung von § 109 69 Ob § 109 VVG analog für die hier in Rede stehenden Konstellationen herangezogen werden kann, scheint auf den ersten Blick fraglich, weil diese Vorschrift dem sozialen Gedanken der Haftpflichtversicherung Rechnung tragen will. Das Risiko der Erschöpfung der Versicherungssumme soll mehreren, durch einen Haftpflichtfall geschädigten Personen gleichmäßig aufgebürdet werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers dient die Verteilungsregelung aber auch der Beschleunigung der Auszahlung der Versicherungssumme an die Geschädigten. Ausdrücklich heißt es in der Begründung des § 156 Abs. 3 a. F., der Vorgängerregelung zu § 109 VVG, dass „eine Hinterlegung durch den Versicherer möglichst vermieden werden [muss]“. Genau diese droht zumindest dann, wenn der Geschädigte Ansprüche gegen den VN und die versicherte Person oder gegen mehrere versicherte Personen gleichzeitig erhebt und diese ihrerseits Ansprüche gegen den VR auf Freistellung geltend machen. Die sich aus der fehlenden gesetzlichen Regelung über die Verteilung ergebende Unsicherheit ist als in der Person des Gläubigers liegender Grund i. S. v. § 372 S. 2 Alt. 1 BGB anzusehen (rechtliches Hindernis, vgl. auch § 117 Abs. 2 S. 3 ZVG).92 Eine analoge Anwendung des § 109 VVG ist deshalb durchaus in Betracht zu ziehen.93

III. Anwendung des Inhalts von § 109 als Ergebnis ergänzender Vertragsauslegung 70 Anderenfalls müsste die Regelungslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung des Versicherungsvertrages mit dem Inhalt des § 109 VVG geschlossen werden, weil nur sowohl eine proportionale Verteilung der zur Verfügung stehende Versicherungssumme i. S. v. § 109 S. 1 als auch die Regelung zur Verteilung auf zunächst nicht berücksichtigte Dritte, wie sie in § 109 S. 2 vorgesehen ist, den Interessen von VR, VN, die in der D&O-Innenhaftungsfällen zugleich geschädigte Dritte ist, und den versicherten Personen angemessen Rechnung trägt.94 Letzteres ist bei einer Verteilung nach Köpfen95 oder gar nach Belieben des VR (bei gleichzeitiger Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen mehrere nicht als Gesamtschuldner haftende Organmitglieder)96 sowie einer Verteilung nach der Priorität des Eintritts des Versicherungsfalls (bei zeitlich nachfolgender Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen)97 nicht der Fall. 71 Die versicherten Schädiger wollen einen Verteilungsmaßstab, der ihr Insolvenzrisiko so niedrig wie möglich hält. In der D&O-Versicherung besteht in dieser Hinsicht ein Gleichlauf mit den Interessen der geschädigten VN, die ihr Ausfallrisiko hinsichtlich des Teils der Haftpflichtschuld, den die versicherten Schädiger aus ihrem eigenen Vermögen aufbringen müssen, so gering wie möglich halten will. Je höher die Schadensersatzforderung der VN ist, desto wahrscheinlicher ist, dass das Organmitglied den Anspruch nicht befriedigen kann. Beiden Zielen wird nur die proportionale Verteilung der Versicherungssumme gerecht. 72 Eine ins Belieben des VR gestellte Verteilung trägt weder den Interessen der versicherten Schädiger noch denen des VR angemessen Rechnung. Für den VR ist wichtig, dass er sich an einem festen Maßstab orientieren kann. Für die Versicherten bedeutet eine ins Belieben des 92 Hierzu R. Koch ZVersWiss 2012 151, 167. 93 Ablehnend Armbrüster VersR 2014 1, 3; Lange VersR 2014 1413, 1418; Peppersack RuS 2018 117, 118. 94 Bruck/Möller/Baumann9 Bd. 4 Nr. 4 AVB-AVG Rn. 29; Grooterhorst/Loomann RuS 2014 157, 160 ff.; van Bühren/ Lenz § 25 Rn. 123; Hemeling FS Hoffmann-Becking 501 f.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz D&O-Versicherung (2016) Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 54; R. Koch VersR 2016 1469 ff.; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 123. 95 Dafür Armbrüster VersR 2014 1, 6 f.; Peppersack RuS 2018 117, 122 f.; ders. Kürzungs- und Verteilungsverfahren 244 ff. 96 Vgl. Lange VersR 2014 1413, 1422; Peppersack RuS 2018 117, 121. 97 Lange VersR 2014 1413, 1421 f.; Armbrüster VersR 2014 1, 5 f.; Peppersack, Kürzungs- und Verteilungsverfahren 251 ff. Koch

408

E. Bedeutung von § 109 in der Exzedentenversicherung

VVG § 109

VR gestellte Verteilung Rechtsunsicherheit. Die Verteilung nach der Priorität des Eintritts des Versicherungsfalls trägt ebenfalls den Interessen der versicherten Schädiger und denen des VR nicht angemessen Rechnung. Um die Kontrolle über die Rechtsstreitigkeiten sicherzustellen, wäre der VR faktisch gezwungen, vorsorglich allen in Anspruch genommenen Versicherten und somit auch denen Rechtsschutz zu gewähren, die im Fall der Begründetheit der Haftpflichtansprüche gegen die früher in Anspruch genommen Versicherten wegen des damit einhergehenden Verbrauchs der Versicherungssumme keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen hätten. Gewährte er keinen Rechtsschutz, hätten die betroffenen Versicherten keine Obliegenheiten zu beachten. Sollten sich die Ansprüche der Geschädigten gegen die zeitlich früher in Anspruch genommenen versicherten Schädiger als (teilweise) unbegründet erweisen und sollte deshalb eine Neuverteilung der Versicherungssumme unter Einschluss der zeitlich später in Anspruch genommenen versicherten Schädiger erfolgen, bestünde für den VR das Risiko, dass es zur Deckungsstreitigkeiten mit den Versicherten kommt, wenn diese in der Zwischenzeit einen Vergleich geschlossen oder ein Anerkenntnis abgegeben hätten. Speziell für die auf dem Claims-Made-Prinzip basierende D&O-Versicherung sprechen 73 noch weitere Argumente für die Anwendung des Proportionalitätsprinzips.98 So würden unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe bei gleichzeitiger oder zeitlich nachfolgender Inanspruchnahme für die geschädigte VN im Rahmen der Innenhaftung die Option eröffnen, sich einen Maßstab auszusuchen, indem sie trotz vorhandener Möglichkeit von einer gleichzeitigen Inanspruchnahme aller Organmitglieder absieht und die Organmitglieder nacheinander in Anspruch nimmt. Dabei wird sich die VN vornehmlich von ihren eigenen Interessen leiten lassen, die – wie am Beispiel einer ins Belieben des VR gestellten Verteilung oder bei Anwendung des Prioritätsprinzips – nicht deckungsgleich mit denen der Organmitglieder oder des VR sein müssen. Deren Interesse ist auf eine einheitliche Verteilung ausgerichtet, wie sie durch das Proportionalitätsprinzip sichergestellt wird. Die Anwendung unterschiedlicher Verteilungsmaßstäbe dürfte auch an Praktikabilitätsgrenzen stoßen, wenn zwei oder mehr Organmitglieder gleichzeitig und andere später in Anspruch genommen werden. In diesem Fall müsste das Kopf- mit dem Prioritätsprinzip verbunden werden, was die Abwicklung verkomplizierte. Schließlich stellt nur das Proportionalitätsprinzip eine einheitliche Verteilung sicher, wenn nicht nur Innen- sondern auch Außenhaftungsansprüche gegen alle oder einzelne Organmitglieder geltend gemacht werden, die sich unstreitig nach § 109 VVG bestimmen. Das u. a. von Armbrüster gegen das Proportionalitätsprinzip und für eine Verteilung nach Köpfen angeführte Argument, dass derjenige von ihm am meisten profitiert, der den größten Schaden bzw. Abwehraufwand verursacht hat,99 trifft zwar zu, wie die obigen Beispiele belegen. Wie Ramharter zutreffend bemerkt, entspricht es dem Versicherungsgedanken aber grundsätzlich eher, dass jener, der größeren Bedarf hat, vorbehaltlich einer anderslautenden Vereinbarung auch verhältnismäßig mehr erhalten soll.100

E. Bedeutung von § 109 in der Exzedentenversicherung In der Exzedentenversicherung führt die Anwendung von § 109 unabhängig davon, ob Summen- 74 differenz- oder Summenausschöpfungsdeckung vereinbart worden ist, zu einer Eintrittspflicht des (nächsthöheren) Exzedenten.101 Beispiel: Im Rahmen eines Produkthaftpflicht-Exzedentenversicherungsprogramms in Höhe von insgesamt 40 Mio. EUR beläuft sich die Versicherungssumme des Grund-VR auf 20 Mio. EUR je Versicherungsfall und je Versicherungsperiode. Darauf folgt der Exzedent in Höhe von ebenfalls 20 Mio. EUR im Anschluss an die 20 Mio. EUR der Grundversicherung 98 Umfassend und mit zahlreichen Berechnungsbeispielen vgl. R. Koch VersR 2016 1469 ff. 99 Armbrüster VersR 2014 1, 6; dieses Argument aufgreifend Peppersack RuS 2018 117, 123. 100 Ramharter Rz. 6/82; kritisch auch van Bühren/Lenz § 25 Rn. 123. 101 Vgl. auch Schaloske 318; R. Koch ZVersWiss 2012 151, 167. 409

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

Gesamtversicherungssumme in Mio. 40

20

10 6,66

Geschädigte A, B, C je 10 Mio., Exzedent: Grund-VR/ 20 Mio. xs. 20 Exzedent stellen Mio. VN von Ansprüchen von A/B frei, Rückstellung für Ansprüche C

Neuverteilung nach erfolgreicher Abwehr Anspruch C

GrundVR: 20 Mio.

A

B

C

A

B

C

l

A

B t= Versicherungsperiode

(20 Mio. EUR xs. 20 Mio. EUR). Durch dasselbe Schadenereignis werden A, B und C verletzt, die jeweils Ansprüche in Höhe von 10 Mio. EUR gegen die VN geltend machen. Da die Ansprüche der Geschädigten die Grundversicherungssumme übersteigen, hat der Grund-VR diese Ansprüche gem. § 109 S. 1 VVG aufzuteilen.102 Die Verteilungsquote beträgt 2/3 (= 20 Mio. EUR: 30 Mio. EUR). Somit entfallen auf jeden Geschädigten 6,66 Mio. EUR. Hier hat der Exzedent die VN von den verbleibenden Haftpflichtansprüchen von A, B und C in Höhe von jeweils 3,33 Mio. EUR freizustellen. 75 Zu beachten ist, dass der Grund-VR und der Exzedent selbständig die Begründetheit der Haftpflichtansprüche prüfen und jeder für sich selbst eine Entscheidung über Abwehr oder Befriedigung dieses Anspruchs trifft.103 Da jedem Haftpflicht-VR bei der Prüfung der Haftpflicht der VN ein begrenzter Beurteilungsspielraum zusteht (§ 100 Rn. 109), müssen diese Entscheidungen nicht einheitlich ausfallen. Es kann durchaus sein, dass der Grund-VR sich für Anspruchsabwehr und der Exzedent sich für die Befriedigung der Haftpflichtansprüche der Geschädigten entscheidet. Gelingt dem Grund-VR die Abwehr des Anspruchs im Haftpflichtprozess in toto, kann der Exzedent von den Geschädigten die geleisteten Zahlungen gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern (Fall des fehlenden Rechtsgrundes im Haftpflichtverhältnis, vgl. § 100 Rn. 183 ff.). Gelingt dem Grund-VR die Abwehr nur teilweise, kommt es für die Rückforderung dem Grund und der Höhe nach darauf an, ob und inwieweit der rechtskräftig festgestellte Haftpflichtanspruch noch immer über die Grundversicherungssumme hinausgeht. 76 Hält der Grund-VR den Anspruch des Geschädigten C für unbegründet, ist er wegen § 109 S. 2 VVG berechtigt, bis zur abschließenden Klärung Rückstellungen in der für das Verteilungsverfahren maßgeblichen Höhe zu bilden, so dass der Exzedent vorläufig eintrittspflichtig bleibt. Erweist sich der Haftpflichtanspruch des C als unbegründet, findet eine Neuverteilung statt (s. nachstehende Abbildung). Da die Grundversicherungssumme in Höhe von 20 Mio. EUR nunmehr ausreicht, die Ansprüche der Geschädigten A und B zu befriedigen, ist der Exzedent gegenüber der VN nicht mehr eintrittspflichtig. Hat er die Ansprüche von A und B bereits in Höhe von jeweils 3,33 Mio. EUR befriedigt, hat der Exzedent die VN in dieser Höhe ohne Rechtsgrund von der Haftpflichtschuld gegenüber A und B befreit und kann insoweit gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1 102 Vgl. R. Koch VersR 2021 879, 880; Thürmann 508; Knöfel ZIP 2018 1814, 1816 f. 103 Vgl. R. Koch VersR 2021 879, 880; ders. FS Thümmel 425. Koch

410

H. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 109

Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB Rückzahlung von der VN verlangen (Rn. 55). Die VN kann ihrerseits gem. § 100 vom Grund-VR Auflösung der Rückstellung und Auszahlung an den Exzedenten verlangen.

F. Beweislast Der VR hat die Voraussetzungen für ein Verteilungsverfahren gem. § 109 S. 1 darzulegen und zu 77 beweisen.104 Er muss darlegen und beweisen, z. B. durch Vorlage eines Verteilungsplans, welche Ansprüche (außer dem mit der vorliegenden Klage geltend gemachten) und in welcher Höhe gegen ihn erhoben werden.105 Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er mit der nachträglichen Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen i. S. d. § 109 S. 2 nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste, liegt ebenfalls beim VR.106

G. Abdingbarkeit Im Hinblick auf den drittschützenden Charakter von § 109 ist diese Vorschrift nicht abding- 78 bar.107 Kein Fall der Abbedingung von § 109 liegt vor, wenn mehrere Versicherungsfälle zu einem Serienschaden zusammengefasst werden, so dass nur die „je Versicherungsfall“ zu zahlende Versicherungssumme zur Verfügung steht (Rn. 9). Eine Abweichung liegt auch dann nicht vor, wenn die Parteien abweichend von § 101 Abs. 2 S. 1 Kostenanrechnung vereinbart haben, da im Hinblick auf den Ersatz der Rechtsschutzkosten der Geschädigten § 109 Anwendung findet (Rn. 17 ff.).

H. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 109 ist § 156 Abs. 3 VersVG, der wortgleich 79 mit § 156 Abs. 3 a. F. ist. Nimmt man die österreichische Rechtsprechung und Literatur in den Blick, lassen sich im Vergleich zur deutschen Rechtsprechung keine wesentlichen Unterschiede bei der Rechtsanwendung feststellen. Der VR, der sich auf eine gegenüber dem Klageanspruch nicht zureichende Deckungssumme beruft, hat diesen Einwand zu konkretisieren und Beweise anzubieten, was durch Vorlage eines Verteilungsplans geschehen kann. Der VR muss behaupten und beweisen, welche Ansprüche außer den in der Klage geltend gemachten in welcher Höhe gegen ihn erhoben wurden.108 Er hat selbst eine Aufteilung vorzunehmen und ist nicht berechtigt, die Fülle der Arbeit und das Risiko, die ihm diese Gesetzesstelle aufbürdet, auf andere

104 Rüffer/Halbach/Schimikowski § 109 Rn. 2; Konradi VersR 2009 321, 323. 105 Vgl. OGH 27.11.2013 – 2 Ob 59/13k, ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00059.13K.1127.000. 106 Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 46; Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 16; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 59; Späte/Schimikowski/v. Rintelen AHB § 1 Rn. 391. 107 Prölss/Martin/Lücke § 109 Rn. 22; Langheid/Rixecker/Langheid VVG § 109 Rn. 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 109 Rn. 25; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 109 Rn. 14; Langheid/Wandt/Littbarski § 109 Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 109 Rn. 10. 108 OGH 27.11.2013 – 2 Ob 59/13k, ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00059.13K.1127.000; OGH 20.12.2006 – 7 Ob 56/ 06w ECLI:AT:OGH0002:2006:0070OB00056.06W.1220.000. 411

Koch

§ 109 VVG

Mehrere Geschädigte

abzuwälzen.109 Bei der Verteilung sind nicht alle „mutmaßlichen“ Gläubiger zu berücksichtigen, sondern neben den durch Vergleich, Urteil oder Anerkenntnis festgestellten Forderungen die – wenn auch noch nicht festgestellten, so doch – bisher beim VR geltend gemachten und schließlich jene, mit deren Geltendmachung der VR bei entsprechender Sorgfalt rechnen muss.110 Es sind daher nur die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Forderungen, nicht aber alle theoretisch denkbaren in Betracht zu ziehen. Besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass weitere, bisher noch nicht berücksichtigte Forderungen auftreten werden, rechtfertigt die bloß abstrakte Möglichkeit einer solchen später entstehenden Forderung nicht die Verringerung des Deckungskapitals.111

II. PEICL 80 Art. 14:108 enthält eine mit § 109 inhaltsgleiche Regelung. Abs. 1 bestimmt, dass die Zahlungen des VR proportional herabzusetzen sind, wenn der Gesamtbetrag der mehreren Opfern zustehenden Zahlungen die Versicherungssumme übersteigt. Nach Abs. 2 haftet ein VR, welcher, ohne von der Existenz weiterer Opfer zu wissen, gutgläubig Versicherungsleistungen an die ihm bekannten Opfer ausbezahlt hat, den weiteren Opfern bis zum (Rest-)Betrag der Versicherungssumme. Die PEICL-Projektgruppe bezeichnet das Prioritätsprinzip ebenso wie eine Verteilung nach Belieben des VR oder des VN als „unfair“.112

109 OGH 27.11.2013 – 2 Ob 59/13k, ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00059.13K.1127.000; OGH 20.12.2006 – 7 Ob 56/ 06w ECLI:AT:OGH0002:2006:0070OB00056.06W.1220.000. 110 OGH 27.11.2013 – 2 Ob 59/13k, ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00059.13K.1127.000; OGH 29.9.1987 – 2 Ob 46/87 ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00046.87.0929.000. 111 OGH 27.11.2013 – 2 Ob 59/13k, ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00059.13K.1127.000. 112 Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), 2nd edition (2016) Art. 14:108 note C2, 3. Koch

412

§ 110 Insolvenz des Versicherungsnehmers Ist über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der Dritte wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen.

Schrifttum Bohlken Die Rechte der Versicherungsnehmer sowie am Versicherungsverhältnis beteiligter Dritter im Konkurs des Versicherers (1965); Gnauck Das Absonderungsrecht nach § 110 VVG (2016); Häsemeyer Die Gleichbehandlung der Konkursgläubiger, KTS 1982 507; Helberg Haftpflichtversicherung unbeschränkter Erbenhaftung, VersR 1950 28 f.; Hermreck Der Befreiungsanspruch in der Insolvenz, NJW-Spezial 2010 213; R. Koch Anspruch auf die Versicherungsleistung in der D&O-Versicherung in der Doppelinsolvenz von Gesellschaft und (Alleingesellschafter-)Geschäftsführer, VersR 2020 1284; Lange Der Direktanspruch gegen den D&O-VR in der Insolvenz des Versicherten, RuS 2019 613; ders. Die D&O-Versicherung in der Insolvenz der Versicherungsnehmerin (Zweiter Teil), RuS 2014 261; Mitlehner Haftpflichtanspruch und Absonderungsrecht nach § 110 VVG, ZIP 2012 2003; Mokhtari Der Geschädigte in der Insolvenz des freiwillig Haftpflichtversicherten – Regelungslücken des § 110 VVG, VersR 2014 665; Münzel Pflichtverletzung gegenüber dem Insolvenzgläubiger durch Feststellung seiner Haftpflichtforderung? NZI 2007 441; Pick Haftpflichtversicherung unbeschränkter Erbenhaftung, VersR 1950 28; K. Sieg Abwicklung von Schäden im Konkurs des Haftpflichtversicherers, VersR 1964 692; ders. Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung (1952); Seybold/Wendt Der „Insolvenz“-Senat des BGH und das Trennungsprinzip in der Haftpflichtversicherung, VersR 2011 458; Thole Das Absonderungsrecht aus § 110 VVG – sprachliche Verwirrungen und offene Fragen, NZI 2013 665; ders. Zivilprozessuale Probleme des Absonderungsrechts aus § 110 VVG n. F. in der Insolvenz des Versicherungsnehmers, NZI 2011 41; Thume Entschädigungsansprüche bei Insolvenz des haftpflichtversicherten Schädigers, VersR 2006 1318.

Übersicht A.

Einführung

1 2.

I.

Entstehungsgeschichte

1

II.

Inhalt und Normzweck

2

III.

Anwendungsbereich

B.

Eröffnung des Insolvenzverfahrens

I.

Eigenversicherung

II.

Fremdversicherung

C.

I.

3.

1. 2. 3. II. 1.

4 5

21 b) Feststellungsklage Klage des Geschädigten gegen den Insolvenzver22 walter 22 a) Feststellungsklage 24 b) Zahlungsklage 25 Klage des Geschädigten gegen den VN a) Zahlungsklage nach Aufhebung oder Ein25 stellung des Insolvenzverfahrens b) Duldungsklage nach Freigabe des Freistel26 lungsanspruchs

5 D.

Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf an27 hängige Haftpflichtprozesse

Realisierung des Absonderungsrechts 11

I.

Unterbrechung und Fortsetzung des Haftungs27 prozesses

Durchsetzung des Absonderungsrechts durch 11 den Geschädigten 11 Insolvenzrechtliche Einordnung 12 Einziehungsrecht des Geschädigten 15 Fälligkeit des Freistellungsanspruchs

II.

Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwal33 ters

III.

Rechtskraftwirkungen

IV.

Klauselumschreibung zugunsten des Haftpflicht35 gläubigers nach § 727 ZPO?

8

20 Prozessuale Fragen Klage des Geschädigten gegen den VR 20 a) Einziehungs-/Zahlungsklage

413 https://doi.org/10.1515/9783110522662-012

34

20

Koch

§ 110 VVG

Insolvenz des Versicherungsnehmers

E.

Exkurs: Rechtsstellung des geschädigten Drit36 ten in der Insolvenz des VR

I.

Grundsatz

36

II.

Ausnahme

39

III.

Durchbrechung des Trennungsprinzips

IV.

Leistungspflicht des Entschädigungsfonds in der Insolvenz eines Kfz-Haftpflichtversiche41 rers

40

42

F.

Abdingbarkeit

G.

Beweislast

H.

Österreichisches Recht/Principles of Europe44 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

43

44 48

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 110 ist die Nachfolgeregelung zu 157 a. F., der abgesehen von einer redaktionellen Änderung, die der Insolvenzrechtsreform geschuldet war,1 seit Inkrafttreten des VVG 1908 unverändert geblieben ist. § 110 bringt keine inhaltliche Änderung mit sich.2 Lediglich die Terminologie ist an § 100 angepasst, indem der Begriff „Entschädigungsforderung“ durch den Begriff „Freistellungsanspruch“ ersetzt wird.

II. Inhalt und Normzweck 2 § 110 gibt dem Geschädigten das Recht, in der Insolvenz des VN wegen des ihm gegen den VN zustehenden Haftpflichtanspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des VN zu verlangen. Der Anspruch als solcher fällt zwar in die Insolvenzmasse (§ 35 InsO), ist jedoch mit dem Absonderungsrecht des geschädigten Dritten belastet.3 Nach der Rechtsprechung erlangt der Geschädigte in der Insolvenz des VN ein gesetzliches Pfandrecht i. S. v. § 50 Abs. 1 InsO am Freistellungsanspruch, das durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN aufschiebend bedingt ist und auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens wirksam bleibt.4 Nach Teilen der insolvenzrechtlichen Literatur hat der Haftpflichtgläubiger kein gesetzliches Pfandrecht, sondern nur ein gesetzliches Absonderungsrecht „wie ein Pfandgläubiger“.5 § 110 tritt an die Stelle des in § 108 Abs. 1 statuierten relativen Veräußerungsverbots, das wegen § 80 Abs. 2 S. 1 InsO in der Insolvenz des VN keine Wirkung entfaltet.6 § 110 findet keine Anwendung, wenn der VN den Anspruch auf Freistellung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Geschädigten abgetreten hat. Mangels Gläubigerbenachteiligung unterliegt die Abtretung nicht der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO).

1 BGBl. 1994 I S. 2866. 2 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 4. 3 Uhlenbruck/Brinkmann § 51 Rn. 63; Gottwald/Gottwald Insolvenzrechtshandbuch § 42 Rn. 68; MüKo-InsO/Ganter § 51 Rn. 237; Schnepp NZI 2013 887, 888.

4 BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 12; BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 497 Rn. 8; BGH 2.4.2009 – IX ZR 23/08, VersR 2009 821 Rn. 7, 822 = NJW-RR 2009 964; BGH 28.3.1996 – IX ZR 77/95, VersR 1997 61, 62; OLG Köln 1.6.2016 – 19 U 26/16, BeckRS 2016 117595; zustimmend MüKo-InsO/Ganter § 50 Rn. 115; Thole NZI 2013 665, 666; Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 3. 5 Mitlehner ZIP 2013 2003, 2004; Jaeger/Henckel Vor §§ 49–52 Rn. 20; Gottwald/Adolphsen Insolvenzrechtshandbuch § 42 Rn. 67. 6 BGH 2.4.2009 – IX ZR 23/08, VersR 2009 821 Rn. 7 = NJW-RR 2009 964; vgl. auch Gnauck 16 f. Koch

414

A. Einführung

VVG § 110

Mit der Privilegierung des Haftpflichtgläubigers wollte der historische Gesetzgeber sicher- 3 stellen, dass die Versicherungsleistung dem geschädigten Dritten und nicht den Gläubigern des VN zugute kommt.7 Ohne § 110 hätte der geschädigte Dritte wie jeder andere Gläubiger des VN als Insolvenzschuldner seine Ansprüche gegen die Insolvenzmasse geltend zu machen. Trotz der besonderen Zweckbestimmung der Entschädigungsleistung würde der Geschädigte mit seiner Ersatzforderung nur anteilig befriedigt werden, da das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO eingreift.8§ 110 trägt deshalb ebenso wie § 108 Abs. 1 der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung zugunsten des Dritten und damit dem Opferschutz Rechnung.9 Dieser Schutzzweck gebietet es nicht, Privatversicherer (z. B. Sachversicherer)10 oder Sozialversicherungsträger vom Anwendungsbereich des § 110 auszunehmen, auf die die Haftpflichtansprüche des Geschädigten übergegangen sind (§ 86 Abs. 1 S. 1, § 116 Abs. 1 SGB X) oder die einen eigenen Ersatzanspruch gegen den einen Personenschaden verursachenden Arbeitnehmer gem. § 110 SGB VII haben.11 Im Übrigen entfällt die Schutzbedürftigkeit des Geschädigten nicht dadurch, dass er wegen eines vom Insolvenzverwalter verursachten Schadens einen Anspruch gegen die Masse gem. §§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 31 BGB12 und/oder gegen den Insolvenzverwalter nach § 60 InsO hat. Die Masse kann verarmen und hinsichtlich einer bestehende Haftpflichtversicherung des Insolvenzverwalters kann ein Leistungsausschluss eingreifen.13

III. Anwendungsbereich § 110 findet keine Anwendung in der Seeversicherung (vgl. § 209).14 Eine analoge Anwendung 4 von § 110 scheitert einerseits am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und andererseits an der nicht vergleichbaren Interessenlage.15 Da es üblich ist, dass alle von den Gefahren der Seeschifffahrt bedrohten Unternehmer sich gegen diese Gefahren versichern, ist der Geschädigte nicht schutzbedürftig.16 Einer Analogie steht auch der in §§ 49 ff. InsO niedergelegte Grundsatz der Spezialität und Publizität der Absonderungsrechte entgegen.17 § 110 findet auch keine analoge Anwendung in der Rechtsschutzversicherung.18 Im Hinblick auf den Direktanspruch des Dritten gegen den VR ist § 110 in der Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

7 Motive 211 f.; kritisch Häsemeyer KTS 1982 507, 535; ders. Insolvenzrecht Rn. 18.22 (freiwillig begründete Haftpflichtversicherungen ohne sozialschützenden Charakter garantierten keine Schadensdeckung; zudem stammten die Prämienzahlungen aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners). 8 Vgl. BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/1, NJW-RR 2015 821 Rn. 12; LG Nürnberg-Fürth 21.12.2006 – 3 HK O 12165/05, ZIP 2007 1022, 1023; vgl. auch Gnauck 17 f. 9 Vgl. BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, NJW 2017 2466 Rn. 24; BGH 14.4.2016 – IX ZR 161/15, NZI 2016 580 Rn. 10; BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/1, NJW-RR 2015 821 Rn. 12; OGH 26.9.2018 – 7 Ob 105/18v, VersR 2019 842, 843; Langheid/ Wandt/Littbarski § 110 Rn. 5 f.; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 110 Rn. 1; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 1. 10 Vgl. OLG Köln 1.6.2016 – 19 U 26/16, BeckRS 2016 117595; a. A. ÖOGH 26.9.2018 – 7 Ob 105/18v, VersR 2019 842, 843; ÖOGH 10.12.2014 – 7 Ob 164/14i, ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00164.14I.1210.000. 11 Vgl. ÖOGH 26.9.2018 – 7 Ob 105/18v, VersR 2019 842, 843; ÖOGH 10.12.2014 – 7 Ob 164/14i, ECLI: AT:OGH0002:2014:0070OB00164.14I.1210.000 (zur Parallelvorschrift des § 334 österreichischen ASVG). 12 Vgl. BGH 26.4.2018 – IX ZR 238/17, NJW 2018 2125 Rn. 34; BGH 1.12.2005 – IX ZR 115/01, NJW-RR 2006 694 Rn. 16. 13 A. A. Gnauck 49 f. 14 LG Düsseldorf 15.6.1990 – 39 O 17/90, VersR 1991 298, 299. 15 Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 8. 16 LG Düsseldorf 15.6.1990 – 39 O 17/90, VersR 1991 298, 299; vgl. auch BGH 5.7.1971 – II ZR 176/68, BGHZ 56 339, 348 = VersR 1977 1031, 1083 zur Frage der analogen Anwendung des § 156 a. F. 17 LG Düsseldorf 15.6.1990 – 39 O 17/90, VersR 1991 298, 299; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 25. 18 Prölss/Martin/Piontek § 17 ARB Rn. 57; Harbauer/Cornelius-Winkler § 17 ARB 2000 Rn. 158; Langheid/Wandt/ Obarowski Kap. 600 Rn. 431; Kurzka VersR 1980 12, 13 f.; ÖOGH 10.9.2014 – 7 Ob 133/14f, VersR 2015 778, 779. 415

Koch

§ 110 VVG

Insolvenz des Versicherungsnehmers

i. V. m. § 1 PflVG) und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ohne Bedeutung.19

B. Eröffnung des Insolvenzverfahrens I. Eigenversicherung 5 Der Anspruch des Geschädigten auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch – unter Einschluss des Kostenerstattungsanspruchs (vgl. § 101) – des VN gegen den VR setzt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN voraus. Die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die inhaltlichen Anforderungen an einen Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts ergeben sich aus §§ 11 ff. InsO. Ist die Stunde der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht im Eröffnungsbeschluss enthalten, gilt nach § 27 Abs. 3 InsO als Zeitpunkt der Eröffnung die Mittagsstunde des Tages, an dem der Beschluss erlassen worden ist. Ob der Haftpflichtanspruch zu diesem Zeitpunkt bereits i. S. d. § 106 S. 1 mit bindender Wirkung für den VR festgestellt worden ist, ist für die Entstehung des Absonderungsrechts unerheblich, weil die Haftpflichtforderung als bedingter Anspruch schon vor Verfahrenseröffnung bestand.20 Da dieser Anspruch nur durch das Schadensereignis der Masse zufällt, entspricht es der Billigkeit, ihn bei Insolvenzeröffnung bereits mit dem Absonderungsrecht des geschützten Dritten belastet anzusehen.21 § 110 findet deshalb auch Anwendung auf Versicherungsfälle, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sind; § 91 InsO steht nicht entgegen.22 6 Das Absonderungsrecht wird durch einen Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO) nicht in seinem Bestand nachteilig berührt. Der geschädigte Dritte muss also nicht befürchten, dass seine Haftpflichtforderung gekürzt wird und der Freistellungsanspruch gegen den VR deshalb geringer ausfällt. Insoweit gilt die Rechtsprechung zu den Auswirkungen des Zwangsvergleichs auf das Absonderungsrecht fort, der durch das Rechtsinstitut des Insolvenzplans ersetzt worden ist.23 Nach dieser Rechtsprechung ist durch § 157 a. F. eine „eigenartige, den sachlichen Rechten angehörige Verknüpfung zwischen dem Schadensersatzanspruch und der Versicherungsforderung herbeigeführt worden, die ihrem Wesen nach durch die Aufhebung des Konkursverfahrens nicht wieder beseitigt werden kann“.24 Nur wenn es zum Ausfall bei der Befriedigung aus der Forderung gegen den VR kommt, ist der Dritte auf die Quote des Insolvenzplanes beschränkt.25 Nach

19 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 11; Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 11; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 26. 20 Vgl. BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, NJW-RR 2015 821 Rn. 8; Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 3; Langheid/Rixecker/ Langheid § 110 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 110 Rn. 4; Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 19; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 110 Rn. 7; Thole NZI 2013 665, 667. 21 Uhlenbruck/Brinkmann § 51 Rn. 63; MüKo-InsO/Ganter § 50 Rn. 236; Nerlich/Römermann/Andres § 51 Rn. 18; Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 19; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 4; Gnauck 38. 22 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 18 f. (unter Hinweis auf den Schutzzweck des § 110); MüKo-InsO/Ganter InsO § 51 Rn. 237; Uhlenbruck/Brinkmann § 51 Rn. 63; Gottwald/Adolphsen Insolvenzrechtshandbuch § 42 Rn. 68; Jaeger/Henckel Vor §§ 49–52 Rn. 23; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 110 Rn. 7; Schnepp NZI 2013 887, 888; Thole NZI 2013 665, 667; Mitlehner ZIP 2012 2003, 2005; K. Sieg 207; Gnauck 34. 23 BTDrucks. 12/2443 S. 90; Uhlenbruck/Brinkmann § 51 Rn. 63; Gottwald/Adolphsen Insolvenzrechtshandbuch § 42 Rn. 68; Hermreck NJW-Spezial 2010 213, 214. 24 RG 12.12.1931 – IX 310/31, RGZ 135 295, 298; vgl. auch BGH 2.4.2009 – IX ZR 23/08, VersR 2009 821, 822 = NJWRR 2009 964; BGH 28.3.1996 – IX ZR 77/95, VersR 1997 61, 62; BGH 13.7.1956 – VI ZR 223/54, VersR 1956 625, 626; vgl. OLG Nürnberg 21.6.2012 – 5 W 1109/12, VersR 2013 711, 712. 25 Vgl. BGH 13.7.1956 – VI ZR 223/54, VersR 1956 625, 626; RG 12.12.1931 – IX 310/31, RGZ 135 295, 298; Prölss/ Martin/Lücke § 110 Rn. 9; Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 19. Koch

416

B. Eröffnung des Insolvenzverfahrens

VVG § 110

§ 223 Abs. 2 InsO können im gestaltenden Teil des Insolvenzplans Einschränkungen für absonderungsberechtigte Gläubiger vorgesehen werden.26 Das Absonderungsrecht besteht auch fort, wenn der Insolvenzverwalter den Freistellungs- 7 anspruch freigibt (Rn. 26)27 oder dem VN Restschuldbefreiung erteilt wird (§ 301 Abs. 2 S. 1 InsO).28 Dagegen geht das Absonderungsrecht im Falle der Einstellung des Insolvenzverfahrens wegen Massearmut (§ 207) oder wegen Wegfalls des Eröffnungsgrunds (§ 212 InsO) unter.29 In diesen Konstellationen bedarf der Dritte wegen § 108 Abs. 1 keines Schutzes mehr durch die Annahme des Bestehens eines Absonderungsrechts. Etwas anderes gilt für den Fall, dass dem Dritten zur Zeit der Beendigung des Insolvenzverfahrens bereits die rechtskräftige Feststellung einer Forderung gelungen ist. Dann bleibt es trotz der Beendigung des Insolvenzverfahrens dabei, dass der VR ohne vorherige Pfändung und Überweisung verklagt werden kann (Rn. 20).30

II. Fremdversicherung Bei der Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff.) greift § 110 nur dann ein, wenn über das 8 Vermögen der versicherten Person das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.31 Dies folgt daraus, dass allein die versicherte Person Anspruch auf die Versicherungsleistung hat (vgl. § 45 Abs. 1) und im Rahmen einer Fremdversicherung bei Normen des VVG, die den Anspruch auf die Versicherungsleistung betreffen, an die Stelle des im Gesetz genannten VN die versicherte Person tritt.32 § 110 VVG ist deshalb wie folgt zu lesen: „Ist über das Vermögen der versicherten Person das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der Dritte wegen des ihm gegen die versicherte Person zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch der versicherten Person verlangen.“33 Im Fall der Insolvenz des VN gehört der Freistellungsanspruch nicht zur Insolvenzmasse des VN, sondern der der versicherten Person. Diese hat ein Recht auf Aussonderung bzw. Ersatzaussonderung gemäß §§ 47, 48 InsO.34 Vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Versicherungsvertrag (Rn. 10) ist bei der 9 Realisierung des Absonderungsrechts zu berücksichtigen, dass die (formelle) Verfügungsbefugnis über diesen Anspruch dem VN zusteht. Da der Dritte keine weiterreichende Rechtsstellung als die versicherte Person haben kann, bedeutet dies für ihn, dass er auch nach Feststellung seiner Haftpflichtforderung i. S. d. § 106 Abs. 1 zunächst keine unmittelbare Klage gegen den VR erheben kann, weil dieses Klagerecht eben dem VN zusteht. Der VN kann allerdings durch einseitige Erklärung gegenüber dem VR auf sein Recht zur Verfügung über die Forderungsrechte aus § 45 Abs. 1 zugunsten der versicherten Person verzichten35 oder seine Zustimmung nach

26 Uhlenbruck/Brinkmann § 51 Rn. 63; MüKo-InsO/Ganter § 223 Rn. 1 und § 51 Rn. 239; Gnauck 161 f. 27 BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 497 Rn. 11; BGH 2.4.2009 – IX ZR 23/08, VersR 2009 821, 822 = NJWRR 2009 964; BGH 28.3.1996 – IX ZR 77/95, VersR 1997 61, 62; Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 5; zu Einzelheiten Gnauck 142 ff. 28 Vgl. auch Uhlenbruck/Sternal § 301 Rn. 2. 29 K. Sieg Ausstrahlungen 208; Bruck/Möller/R. Johannsen Anm. B 107; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 17. 30 Bruck/Möller/R. Johannsen Anm. B 107; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 17. 31 Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 110 Rn. 5; Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 110 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 110 Rn. 2; analoge Anwendung offenlassend OLG Düsseldorf 26.6.2020 – I-4 U 134/18, VersR 2020 1307, 1309 (krit. R. Koch VersR 2020 1284, 1285 f.). 32 Vgl. Bruck/Möller/Brand § 44 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Rixecker § 44 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 3 f.; Lange RuS 2014 261, 265. 33 R. Koch VersR 2020 1284, 1286. 34 BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 11. 35 OLG Frankfurt/M. 7.12.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 618, mit Anmerkung R. Koch VersR 2013 620 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch § 45 Rn. 13. 417

Koch

§ 110 VVG

Insolvenz des Versicherungsnehmers

§ 44 Abs. 2 erteilen, indem er z. B. sein Einverständnis mit der unmittelbaren Klage erklärt.36 Notfalls muss der Geschädigte den Anspruch des Versicherten auf Einwilligung in die Auszahlung gegenüber dem VN erfolgreich (ggf. im Wege der Klage) durchsetzen.37 Dazu muss er diesen Anspruch des Versicherten gesondert pfänden und sich überweisen lassen.38 Ist in den AVB das Verfügungsrecht dem VN ausschließlich zugewiesen, kann der VN ohne Zustimmung des VR nicht auf die Verfügungsbefugnis zugunsten des Versicherten verzichten.39 Versagt der VR die Zustimmung oder lehnt er die Deckung ab und gibt der VN zu erkennen, dass er seinerseits die Ansprüche des Versicherten nicht selbst weiterverfolgen will, ist der Versicherte nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) berechtigt, seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag selbst gegenüber dem VR geltend zu machen.40 Ist die versicherte Person zur Geltendmachung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag 10 berechtigt, kann der Geschädigte sein Absonderungsrecht ohne die vorstehend beschriebenen Hürden realisieren. So liegt der Fall in der D&O-Versicherung.41

C. Realisierung des Absonderungsrechts I. Durchsetzung des Absonderungsrechts durch den Geschädigten 1. Insolvenzrechtliche Einordnung 11 Das VVG enthält keine Regelungen für die Geltendmachung des Absonderungsrechts des geschädigten Dritten. Nach der Insolvenzordnung ist der Geschädigte zur Geltendmachung berufen. Gem. § 50 Abs. 1 InsO richtet sich die abgesonderte Befriedigung der Pfandgläubiger nach den §§ 166 ff. InsO. Danach sind Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen, zwar grundsätzlich vom Insolvenzverwalter zu realisieren und der Erlös ist an den Absonderungsberechtigten auszukehren. Das Verwertungsvorrecht des Verwalters gilt allerdings nur für Forderungen, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat (§ 166 Abs. 2 InsO).42 Es ist zwar möglich, dass der VN (vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) seinen Freistellungsanspruch gegen den VR an den geschädigten Dritten abtritt. Eine solche Abtretung erfolgt jedoch i.d.R nicht zur Sicherung des Haftpflichtanspruchs, sondern als Leistung erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) (§ 108 Rn. 39, 74). Ist der Insolvenzverwalter somit nicht zur Verwertung des Freistellungsanspruchs berechtigt, bleibt nach § 173 Abs. 1 InsO das Selbstverwertungsrecht des geschädigten Dritten unberührt.43 Nur wenn der Dritte untätig bleibt, kann der Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht nach Fristsetzung durch das Insolvenzgericht an sich ziehen (§ 173 Abs. 2 InsO).44 Macht der Dritte von seinem Einziehungsrecht Gebrauch und verlangt vom VR Zahlung, fallen keine Feststellungs- und Verwertungskostenbeiträge nach §§ 170, 171 InsO an.45

36 Vgl. OLG Hamm 19.4.1996 – 20 U 284/95, NZV 1996 412. 37 Vgl. OGH 18.2.1970 – 7 Ob 23/70, VersR 1971 140; ÖOGH 1.3.1960 – 3 U 307/10, VersR 1960 454, 455 f. 38 OLG München 29.3.1999 – 30 U 761/98, RuS 2000 58, 59; OLG Düsseldorf 29.10.1996 – 4 U 197/95, VersR 1997 1475; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch § 44 Rn. 11. 39 BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 327, 329 = NJW 1964 1899; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 14. 40 Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 24; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch § 45 Rn. 13; s. a. R. Koch VersR 2013 620, 621 f. 41 Vgl. Lange RuS 2019 613, 614. 42 Vgl. hierzu Thole NZI 2011 41, 44; Lange RuS 2019 613, 615. 43 BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 497 Rn. 10. 44 Mitlehner ZIP 2012 2003, 2004. 45 Uhlenbruck/Brinkmann § 173 Rn. 4; Thume VersR 2006 1317, 1321 f.; übersehen von BGH 28.2.2007 – IV ZR 320/ 04, NZI 2007 410, 411 = NJW-RR 2007 993, 994. Koch

418

C. Realisierung des Absonderungsrechts

VVG § 110

2. Einziehungsrecht des Geschädigten Nach der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung erlangt der geschädigte Dritte ein gesetzliches 12 Pfandrecht am Freistellungsanspruch (Rn. 2), das ihn dazu berechtigt, die Forderung des VN gegen dessen VR unmittelbar einzuziehen, ohne dass es einer Pfändung und Überweisung (§§ 829, 835 ZPO) oder einer Abtretung (§ 398 BGB) des Freistellungsanspruchs bedarf.46 Während die ältere Rechtsprechung47 und die ihr folgende Literatur diese Berechtigung aus einer entsprechenden Anwendung von § 1282 BGB herleiten, wendet der IX. Zivilsenat des BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung die pfandrechtlichen Vorschriften zu Recht direkt an.48 Grundsätzlich richtet sich die Geltendmachung gesetzlicher Pfandrechte an Rechten nach 13 §§ 1273 ff. BGB, da § 1273 Abs. 2 BGB auch § 1257 BGB für anwendbar erklärt.49 § 1282 Abs. 1 BGB findet zwar nur auf Geldforderungen Anwendung. Jedoch sind Geldforderungen nicht nur solche, die von vornherein auf Geld gerichtet sind, sondern auch solche, die aufgrund späterer Ereignisse zu Geldforderungen werden,50 wie sich nicht zuletzt aus § 1228 Abs. 2 ergibt, der Voraussetzung für das Einziehungsrecht nach § 1282 Abs. 1 BGB ist. Nach § 1228 Abs. 2 S. 2 BGB tritt bei Forderungen, die keine Geldforderung sind, neben die Fälligkeit als weitere Voraussetzung hinzu, dass sie zunächst in eine Geldforderung übergegangen sind. So liegt der Fall, wenn der Insolvenzverwalter den Freistellungsanspruch an den geschädigten Dritten abtreten würde. Im Hinblick darauf, dass es nach allgemeiner Ansicht einer Pfändung und Überweisung oder einer Abtretung des Freistellungsanspruchs nicht (mehr) bedarf, ist es aber auch ohne Abtretung gerechtfertigt, den Freistellungsanspruch wie eine Geldforderung zu behandeln und § 1282 Abs. 1 BGB direkt anzuwenden. Da der geschädigte Dritte durch § 110 keine weitergehende Rechtsstellung als der VN er- 14 langt, kann der VR ihm gegenüber alle Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag geltend machen (§ 1275 BGB).51 Dagegen kann sich der VR gegenüber dem Geschädigten nicht darauf berufen, dass die Erben des VN nur beschränkt auf den Wert des Nachlasses hafteten.52

3. Fälligkeit des Freistellungsanspruchs Voraussetzung für das Einziehungsrecht nach § 1282 Abs. 1 BGB ist, dass der Freistellungsan- 15 spruch gemäß § 1228 Abs. 2 S. 1 BGB fällig ist. Gem. § 106 S. 1 ist der Freistellungsanspruch innerhalb von zwei Wochen von dem Zeitpunkt an fällig, zu dem der Anspruch des Dritten mit bindender Wirkung für den VR durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist. Dem rechtskräftigen Urteil gleich steht die rechtskräftige Entscheidung über die Feststellung der Forderung zur Tabelle gem. § 183 Abs. 1 InsO.53 Fehlt es an der Bindungswirkung, weil der VN (vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) oder der Insolvenzverwalter (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens) den Haftpflichtanspruch ohne Zustimmung des 46 BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 497 Rn. 10. 47 Vgl. BGH 13.10.1954 – VI ZR 49/54, VersR 1954 578, 579; RG 21.6.1918 – VII 140/18, RGZ 93 209, 212; OLG Hamm 5.10.2012 – 20 U 55/10, RuS 2013 68; OLG Köln 29.1.2008 – 9 U 71/07, BeckRS 2008 22056. 48 BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 12; BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 497 Rn. 10; vgl. auch Thole NZI 2013 665, 666 (Einordnung als oder wie ein Pfandrecht hat regelmäßig keine praktische Bedeutung). 49 Vgl. Staudinger/Wiegand (2019) § 1273 Rn. 3; Erman/J. Schmidt § 1273 Rn. 2, 7; BeckOGK/Leinenweber BGB § 1273 Rn. 10; BeckOK BGB/Schärtl § 1273 Rn. 6; übersehen von Gnauck 54 f. 50 MüKo-BGB/Damrau § 1279 Rn. 3. 51 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 26; Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Retter § 110 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid § 110 Rn. 2; Lange RuS 2019 613, 623. 52 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 10; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 15; Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 27; Gnauck 188. 53 Vgl. OLG Nürnberg 21.6.2012 – 5 W 1109/12, VersR 2013 711, 712; OLG Hamm 23.4.2012 – 18 U 236/10, BeckRS 2014 22634; LG Arnsberg 2.12.2010 – 8 O 167/09, RuS 2011 156, 157; Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 5; Langheid/ 419

Koch

§ 110 VVG

Insolvenz des Versicherungsnehmers

VR anerkannt, widerspruchslos zur Tabelle festgestellt oder sich mit dem Geschädigten verglichen hat, bestimmt sich die Fälligkeit ebenfalls nach § 106 S. 1, wenn – wie im Regelfall – im Versicherungsvertrag eine Bindungswirkung für den Fall vorgesehen, dass der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016/A1-4.1 S. 3 AVB PHV/AVB BHV, A-6.1. S. 3 AVB D&O) (§ 106 Rn. 5).54 Bestreitet der VR den Grund und/oder die Höhe des Haftpflichtanspruchs, sind diese beiden Aspekte bei der Realisierung des Absonderungsrechts als Vorfrage zu klären. Soweit der VR (im Rahmen seiner Regulierungsvollmacht) selbst den Haftpflichtanspruch des geschädigten Dritten anerkennt, einen Vergleich mit dem Dritten schließt oder der VR die Deckung ablehnt und der VN daraufhin den Haftpflichtanspruch anerkennt, bestimmt sich die Fälligkeit nach § 14 Abs. 1. Schließlich bestimmt sich die Fälligkeit nach § 14 Abs. 1, wenn der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Freistellungsanspruch an den Geschädigten abtritt. 16 Statt einer Einziehung kann der Geschädigte den Freistellungsanspruch auf dem Wege der Zwangsvollstreckung §§ 1282 Abs. 2, 1277 BGB verwerten. Erforderlich hierfür ist ein dinglicher Titel auf Duldung der Zwangsvollstreckung oder auf Gestattung der Befriedigung aus dem verpfändeten Recht.55 Diese Möglichkeit besteht für den Geschädigten jedoch wegen § 89 Abs. 1 InsO nur unter der Voraussetzung, dass der Insolvenzverwalter den Freistellungsanspruch freigibt.56 Unter Geltung des § 157 a. F. war nach allgemeiner Ansicht Voraussetzung für einen unmit17 telbaren Zahlungsanspruch gegen den VR, dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gem. § 154 Abs. 1 S. 1 a. F. festgestellt worden war, weil § 157 a. F. dem Geschädigten keine weitergehende Rechtsstellung als dem VN gewährte.57 Bloße Fälligkeit des Freistellungsanspruchs, wie sie nach §§ 1282 Abs. 1, 1228 Abs. 2 BGB ausreicht, genügte also nicht. Nach der Rechtsprechung bedurfte es entweder eines Anerkenntnisses des Insolvenzverwalters oder einer rechtskräftigen Feststellung zur Tabelle (vgl. § 178 Abs. 1 und 3 InsO).58 Als Alternative hierzu bot es sich für den Geschädigten an, ohne den Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren den Insolvenzverwalter unmittelbar auf Zahlung – beschränkt auf die Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den VR – in Anspruch zu nehmen (Rn. 24).59 Sowohl im Fall eines Anerkenntnisses als auch im Fall der widerspruchslosen Feststellung 18 der Haftpflichtforderung zur Tabelle durch den Insolvenzverwalter musste der Geschädigte damit rechnen, leer auszugehen, soweit das Anerkenntnis/die widerspruchslose Feststellung der Wandt/Littbarski § 110 Rn. 24 f.; Langheid/Rixecker/Langheid § 110 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 110 Rn. 13; Thole NZI 2011 41 f.; a. A. Lange RuS 2019 613, 617 (Feststellung zur Tabelle entfaltet weder unter dem Gesichtspunkt der Rechtskraft noch unter irgendeinem anderen Gesichtspunkt präjudizierende Wirkung für den VR). 54 BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, BeckRS 2021 5162 Rn. 13. 55 BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 16; BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 497 Rn. 10. 56 BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 16; Lange RuS 2019 613, 614 f. 57 BGH 17.3.2004 – IV ZR 268/03, RuS 2004 281, 282; BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223; BGH 9.1.1991 – IV ZR 264/89, VersR 1991 414, 415; BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655, 656; BGH 13.10.1954 – VI ZR 49/54, VersR 1954 578, 579; OLG Nürnberg 12.12.2007 – 12 U 195/07, VersR 2008 813, 814; KG 17.1.2006 – 17.1.2006, VersR 2007 349, 350; OLG Köln 20.12.2005 – 9 U 99/05, VersR 2006 1207, 1208; OLG Köln 28.10.2005 – 9 U 146/04, RuS 2006 238; OLG Dresden 22.9.2005 – 4 U 2194/04, BauR 2006 1328, 1332; OLG Celle 1.3.2001 – 13 U 103/00, VersR 2002 602; KG 18.3.2005 – 6 U 244/04, NJOZ 2005 4643, 4644; vgl. LG Schweinfurt 11.3.2010 – 21 O 475/08, VersR 2010 1304, 1305; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 5; Thole NZI 2011 41, 42; Mokhtari VersR 2014 665, 666. 58 Vgl. BGH 17.3.2004 – IV ZR 268/03, RuS 2004 281, 282; OLG Köln 20.12.2005 – 9 U 99/05, VersR 2006 1207, 1208; OLG Nürnberg 21.6.2012 – 5 W 1109/12, VersR 2013 711, 712; OLG Brandenburg 14.12.2011 – 4 U 19/10, RuS 2012 98; OLG Dresden 22.9.2005 – 4 U 2194/04, BauR 2006 1328, 1332; OLG Celle 1.3.2001 – 13 U 103/00, VersR 2002 602. 59 Vor Inkrafttreten von § 87 InsO konnte der Geschädigte auch auf die Teilnahme am Konkursverfahren ganz verzichten und den Schädiger als Insolvenzschuldner weiterhin direkt verklagen, vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 30; Thume VersR 2006 1318, 1321. Koch

420

C. Realisierung des Absonderungsrechts

VVG § 110

Haftpflichtforderung im Deckungsverhältnis eine zur Leistungsfreiheit des VR führende Obliegenheitsverletzung darstellte.60 Das insolvenzrechtliche Schrifttum übte hieran wegen der besonderen Stellung des Insolvenzverwalters vereinzelt Kritik. Dieser handele bei der Forderungsprüfung in einer ihm durch den gesetzlichen Zweck der Gesamtvollstreckung zugewiesenen neutralen Rolle.61 Die Feststellung zur Tabelle durch den Insolvenzverwalter könne daher nicht mit einem Anerkenntnis durch den Schuldner gleichgesetzt werden. Sie ersetze auch nicht das Anerkenntnis des Schuldners, sondern die streitige Titulierung gegen den Schuldner.62 Um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden und eine zusätzliche Belastung der Insol- 19 venzmasse mit dem Risiko einer Haftung nach § 60 InsO zu vermeiden, widersprachen die Insolvenzverwalter in der Praxis der Haftpflichtforderung.63 Der geschädigte Dritte hatte dann zur Klärung der Haftpflichtforderung die Wahl, entweder den insolvenzrechtlichen Weg (weiter) zu gehen und Klage auf Feststellung zur Tabelle64 zu erheben oder ohne den Umweg über den Prüfungstermin gleich im Wege der Zahlungsklage gegen den Insolvenzverwalter vorzugehen (Rn. 24). Erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens gegen den Insolvenzverwalter, in dem die Haftpflichtforderung dem Grunde und der Höhe nach festgestellt wurde, konnte der Geschädigte vom VR Zahlung an sich verlangen.65 Nach der Untersagung des Anerkenntnisverbots (§ 105) hat der Insolvenzverwalter zwar nicht mehr zu befürchten, aufgrund der ohne Abstimmung mit dem VR vorgenommenen widerspruchslosen Feststellung der Forderung zur Tabelle den Versicherungsschutz zu verlieren. Als nachteilig für die Masse und deshalb haftungsrisikoerhöhend für ihn kann sich jedoch erweisen, dass der VR an die Forderungsfeststellung nicht gebunden ist (§ 106 Rn. 41).

II. Prozessuale Fragen 1. Klage des Geschädigten gegen den VR a) Einziehungs-/Zahlungsklage. Ist der Freistellungsanspruch des Geschädigten gemäß 20 § 1228 Abs. 2 BGB fällig (Rn. 15), erwirbt er ein Einziehungsrecht und kann den VR direkt auf Zahlung der Entschädigung in Anspruch nehmen. Soweit die Voraussetzungen des § 106 S. 1 nicht vorliegen, ist der Bestand des Haftpflichtanspruchs als Vorfrage zu klären.66 Da der geschädigte Dritte ein eigenes materiell-rechtliches Einziehungsrecht nach § 1282 BGB geltend macht (Prozessstandschaft),67 hat er gegen den VR im eigenen Namen zu klagen. Zuständig ist das Gericht am Sitz des VR (§ 17 ZPO) oder am Sitz einer Niederlassung des VR (§ 21 ZPO), nicht jedoch am Wohnort des VN. Die Zuständigkeitsregelung des § 215 Abs. 1 S. 1 greift nur im Verhältnis zwischen VN und VR ein (vgl. auch § 108 Rn. 48 ff.).68 Ebenso wenig kann der Geschädigte den VR an seinem eigenen Wohnort in Anspruch nehmen. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift besteht kein Raum.69

60 Vgl. BGH 17.3.2004 – IV ZR 268/03, RuS 2004 281, 282; BGH 18.12.1980 – IVa ZR 51/80, VersR 1981 328 f.; BGH 12.2.1969 – IV ZR 539/68, NJW 1969 928 = VersR 1969 413, 414; OLG Celle 1.3.2001 – 13 U 103/00, VersR 2002 602 f.; Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 8; Bruck/Möller/R. Johannsen Anm. B 103; K. Sieg Ausstrahlungen 90. 61 Münzel NZI 2007 441, 444. 62 Münzel NZI 2007 441, 444. 63 Vgl. Münzel NZI 2007 441, 443. 64 Vgl. Mitlehner ZIP 2012 2003, 2004. 65 Vgl. BGH 25.4.1989 – VI ZR 146/88, VersR 1989 730, 731; BGH 13.7.1956 – VI ZR 223/54, VersR 1956 625, 626. 66 Lange RuS 2019 613, 620; Mokhtari VersR 2014 665, 666; Thole NZI 2013 665, 667. 67 MüKo-BGB/Damrau § 1282 Rn. 14; BeckOGK/Henn BGB § 1282 Rn. 15. 68 Prölss/Martin/Klimke § 215 Rn. 21 f. 69 LG Halle 15.10.2010 – 5 O 406/10, NJW-RR 2011 114; Bruck/Möller/Brand § 215 Rn. 19. 421

Koch

§ 110 VVG

Insolvenz des Versicherungsnehmers

21 b) Feststellungsklage. Besteht Gefahr, dass dem Geschädigten der Freistellungsanspruch als Befriedigungsobjekt verloren geht,70 kann er – wie auch außerhalb der Insolvenz des VN – eine auf Feststellung des Versicherungsschutzes gerichtete Klage gegen den VR erheben (§ 100 Rn. 168). Eine Gefährdung des Freistellungsanspruchs ist insbesondere dann zu besorgen, wenn weder der VN noch der Insolvenzverwalter die für die Geltendmachung des Versicherungsanspruchs erforderlichen Maßnahmen ergreifen und die Verjährung droht.71 Darüber hinaus kann der Geschädigte Auskunft über den Inhalt des Haftpflichtversicherungsvertrages vom VR verlangen.72

2. Klage des Geschädigten gegen den Insolvenzverwalter 22 a) Feststellungsklage. Will der Geschädigte die Haftung des VN i. S.d § 106 S. 1 feststellen lassen, muss er sich über Bestand und Umfang seiner Forderung mit dem Insolvenzverwalter auseinandersetzen, der seinerseits durch die Prozessführung nicht belastet wird, da diese vertragsseitig dem VR obliegt.73 Dabei kann sich der Dritte – wie zuvor ausgeführt – des insolvenzrechtlichen Prüfungsverfahrens bedienen und bei Widerspruch gegen die Anmeldung der Haftpflichtforderung Feststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter gem § 179 Abs. 1 InsO erheben. Gleiches gilt, wenn mehrere verschiedenartige Forderungen zur Tabelle angemeldet sind und der Insolvenzverwalter nur einen Teilbetrag anerkennt, der sich nicht eindeutig einer gedeckten Forderung zuordnen lässt.74 23 Steht dem Dritten ein Rentenanspruch (§ 843 BGB) zu, wandelt sich dieser nach der Feststellung zur Tabelle in eine Kapitalforderung um (§§ 41, 45, 46 InsO).75 Die Änderungen der Haftpflichtforderung durch das Insolvenzrecht treffen somit auch den VR, der dem Geschädigten nicht mehr Zahlung einer Rente, sondern eines Kapitalbetrags schuldet. Soweit in der Literatur unter Hinweis auf das Urteil des RG vom 21.6.1918 gefolgert wird, dass sich eine Rentenforderung des Geschädigten in der Insolvenz des VN grundsätzlich in eine Kapitalforderung umwandle,76 trägt die Entscheidung diese Folgerung nicht. Baumann77 weist zu Recht darauf hin, dass nach Ansicht des RG die Vorschriften der Konkursordnung „nicht ohne weiteres Anwendung finden“.78 Das RG hat eine Umwandlung nur im Hinblick darauf für zulässig erachtet, „dass die Feststellung zur Konkurstabelle hinsichtlich ihrer Bedeutung und Wirkung einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht“ und deshalb gerechtfertigt sei.79 Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass der VR selbst zur Rentenzahlung verurteilt wird (auf Klage des Dritten nach Pfändung und Überweisung oder nach Abtretung) oder er sich selbst durch Vergleich zur Rentenzahlung verpflichtet.80 Diese Konstellationen betreffen nämlich nicht die Haftungs-, sondern die Deckungsebene. 70 BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, NVersZ 2001 132, 133 = VersR 2001 90; KG 17.1.2006 – 6 U 275/04, VersR 2007 349, 350; OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 210/00, RuS 2002 106, 107 = VersR 2002 1020. 71 BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, NVersZ 2001 132, 133 = VersR 2001 90, 91; KG 17.1.2006 – 6 U 275/04, VersR 2007 349, 350; vgl. auch OLG Celle 5.7.2012 – 8 U 28/12, VersR 2013 150, 151 = RuS 2013 127. 72 OLG Celle 5.7.2012 – 8 U 28/12, VersR 2013 750, 751 = RuS 2013 127; OLG Düsseldorf 26.6.2001 – 4 U 210/00, VersR 2002 1020 = RuS 2002 106, 107; Langheid/Rixecker/Langheid § 110 Rn. 4; datenschutzrechtliche Bedenken äußert Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 40. 73 Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 5 AHB Rn. 39 ff. 74 Vgl. BGH 9.1.1991 – IV ZR 264/89, VersR 1991 414, 415; Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 37; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 110 Rn. 13. 75 RG 21.6.1918 – VII 140/18, RGZ 93 209, 213; MüKo-InsO/Ganter § 51 Rn. 239. 76 Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 8; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 110 Rn. 3. 77 Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 13. 78 RG 21.6.1918 – VII 140/18, RGZ 93 209, 213. 79 RG 21.6.1918 – VII 140/18, RGZ 93 209, 213. 80 Prölss/Martin/Lücke § 110 Rn. 8; Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 32. Koch

422

C. Realisierung des Absonderungsrechts

VVG § 110

b) Zahlungsklage. Daneben kann der Geschädigte sein Recht auf abgesonderte Befriedigung 24 aus der Versicherungsforderung ohne den Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren durch unmittelbare (Absonderungs-)Klage auf Zahlung gegen den Insolvenzverwalter – beschränkt auf Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den VR – geltend machen.81 Die Befugnis des Dritten, den Anspruch gegen den VR nach § 110 einzuziehen, lässt die Passivlegitimation des Insolvenzverwalters für den Haftpflichtprozess also unberührt.82 Ihm wird keine andere Rechtsstellung zuerkannt als dem Gemeinschuldner.83 Ist die so beschränkte Zahlungsklage begründet, ist damit zugleich die Haftpflichtforderung i. S. d. § 106 S. 1 mit bindender Wirkung für den VR festgestellt, da das Gericht das Bestehen der Haftpflichtforderung vollständig prüfen und klären muss.84 Gibt der Insolvenzverwalter den Freistellungsanspruch an den VN frei, ist er für eine Absonderungsklage nicht mehr passiv legitimiert. Der Geschädigte muss sich dann an den VN halten (Rn. 26).85 3. Klage des Geschädigten gegen den VN a) Zahlungsklage nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens. Über- 25 steigt die Haftpflichtforderung die Versicherungssumme, nimmt der geschädigte Dritte hinsichtlich des die Versicherungssumme übersteigenden Betrags nach § 52 S. 2 InsO als Insolvenzgläubiger am Insolvenzverfahren teil.86 Wegen der restlichen Haftpflichtforderung kann er den VN gemäß § 87 InsO ausschließlich nach den Vorschriften der InsO in Anspruch nehmen. Das bedeutet, dass der Dritte den VN nur in Höhe des Ausfalls mit der restlichen Haftpflichtforderung und erst nach Aufhebung oder Einstellung des Verfahrens (wieder) in Anspruch nehmen kann (§§ 201 Abs. 1, 215 InsO).87 Wird das Insolvenzverfahren wegen Massearmut (§ 207 InsO) oder wegen Wegfalls des Eröffnungsgrunds (§ 212 InsO) eingestellt, bevor die Haftpflichtforderung zur Tabelle festgestellt worden ist, kann der Dritte den Haftpflichtanspruch in voller Höhe gegen den VN gerichtlich geltend machen. b) Duldungsklage nach Freigabe des Freistellungsanspruchs. Gibt der Insolvenzverwal- 26 ter den Freistellungsanspruch an den VN frei, besteht das gesetzliche Pfandrecht des Geschädigten an dieser Forderung fort.88 Passiv legitimiert ist nun wegen der Freigabe nicht mehr der

81 BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 12; BGH 18.7.2013 – IX ZR 311/12, NZI 2013 886 Rn. 13; BGH 25.4.1989 – VI ZR 146/88, VersR 1989 730, 731; BGH 30.6.1964 – VI ZR 108/63, VersR 1964 966 f.; BGH 13.7.1956 – VI ZR 223/54, VersR 1956 625, 626; OLG Dresden 5.8.2021 – 10 U 1729/19, RuS 2021 595, 586; OLG Brandenburg 23.4.2019 – 6 U 95/17, BeckRS 2019 9089; OLG Schleswig 7.11.2018 – 12 U 3/17, BeckRS 2018 46778; OLG Brandenburg 29.3.2017 – 7 U 57/14, BeckRS 2017 106314; OLG Hamm 23.4.2013 − I-18 U 236/10, RdTW 2014 478, 481; OLG Nürnberg 12.12.2007 – 12 U 195/07, VersR 2008 813, 814; Hans. OLG Hamburg 31.10.1996 – 6 U 63/96, OLGR 1997 53, 55; LG Koblenz 30.6.2011 – 16 O 518/10, RuS 2012 447, 448; LG Köln 5.5.2014 – 20 O 690/03, VersR 2004 1128, 1129; Lange RuS 2019 613, 614; Mokhtari VersR 2014 665, 667; Thole NZI 2011 41, 42; a.A. LG Arnsberg 2.12.2010 – 8 O 167/09, RuS 2011 156, 157; Mitlehner ZIP 2012 2003, 2005. 82 BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222 f.; BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655 f.; BGH 30.6.1964 – VI ZR 108/63, VersR 1964 966, 967. 83 Vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 9. 84 Vgl. BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 12; BGH 2.4.2009 – IX ZR 23/08, VersR 2009 821 Rn. 9 = NJW-RR 2009 964; Lange RuS 2019 613, 614; Thole NZI 2013 665, 667; Schnepp NZI 2013 887, 888; a. A. LG Arnsberg 2.12.2010 – 8 O 167/09, RuS 2011 156, 157. 85 Lange RuS 2019 613, 614; Mokhtari VersR 2014 665, 669. 86 MüKo-InsO/Ganter § 51 Rn. 238a. 87 BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, BeckRS 2021 5162, Rn. 15. 88 Vgl. BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 12; BGH 2.4.2009 – IX ZR 23/08, VersR 2009 821 Rn. 4. 423

Koch

§ 110 VVG

Insolvenz des Versicherungsnehmers

Insolvenzverwalter, sondern der VN.89 Die Verwertung des Pfandrechts erfolgt nach den für dieses Recht geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Der Geschädigte ist somit nach § 1282 Abs. 2, 1277 BGB berechtigt, den VN auf Duldung der Zwangsvollstreckung oder auf Gestattung der Befriedigung aus dem Pfandrecht in Anspruch zu nehmen.90 Obsiegt der Geschädigte rechtskräftig gegen den VN, kann er den Freistellungsanspruch gem. § 1282 Abs. 1 BGB beim VR einziehen. Da in diesem Verfahren – wie bei der Geltendmachung des Absonderungsrechts gegenüber dem Insolvenzverwalter – das Bestehen der Haftpflichtforderung mit bindender Wirkung i. S. d. § 106 S. 1 VVG gegenüber dem VR geklärt wird, ist der Freistellungsanspruch fällig, so dass die Voraussetzungen des § 1228 Abs. 2 BGB vorliegen.91

D. Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf anhängige Haftpflichtprozesse I. Unterbrechung und Fortsetzung des Haftungsprozesses 27 Ist zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ein vom Geschädigten angestrengter Rechtsstreit über die Haftpflichtforderung anhängig, wird der Prozess gem. § 240 S. 1 ZPO für die Dauer des Insolvenzverfahrens unterbrochen. Er wird nach § 86 Abs. 1 Nr.2 InsO fortgesetzt, wenn entweder der Insolvenzverwalter oder der Geschädigte ihn wieder aufnehmen.92 Bestreitet der Insolvenzverwalter das Recht des Geschädigten zur Leistung bzw. zur abgesonderten Befriedigung oder nimmt er seinerseits den Deckungsanspruch für die Masse in Anspruch, kann der Geschädigte seinen Antrag auf Feststellung dahingehend umstellen, dass er zur abgesonderten Befriedigung – beschränkt auf Leistung aus der Versicherungsforderung – berechtigt ist.93 Will der Geschädigte den Insolvenzverwalter auf Zahlung aus der Entschädigungsforderung gegen den VR in Anspruch nehmen (Rn. 24), ist er hierzu nach § 264 Nr. 2 ZPO berechtigt, da er ausschließlich das Absonderungsrecht geltend macht und nicht seinen persönlichen Zahlungsanspruch.94 Die rechtliche Identität des erhobenen Anspruchs bleibt gewahrt, da der Geschädigte sein Begehren nach wie vor auf dieselbe Forderung stützt, der aufgrund gesetzlicher Anordnung im Insolvenzfall Absonderungskraft zukommt.95 Das gilt auch im Verfahren dritter Instanz.96 28 Das Recht zur (Wieder-)Aufnahme des Passivprozesses schließt die Aufnahme wegen entstandener Kosten ein, soweit diese durch das Recht gesichert sind, das dem Gläubiger abgesonderte Befriedigung gewährt.97 So liegt der Fall in der Haftpflichtversicherung, da der VR gem. § 100 in gleicher Weise wie für die Hauptforderung auch für den Kostenerstattungsanspruch des Dritten einstehen muss (§ 101 Rn. 22). Zu beachten ist, dass der Geschädigte mit der beschränkten Zahlungsklage gegen den Insol29 venzverwalter noch keine rechtskräftige Feststellung seiner Forderung i. S. d. § 178 Abs. 3 InsO erreicht. Dies folgt daraus, dass anderenfalls konkurrierende Gläubiger um ihr Widerspruchsrecht nach §§ 178 Abs. 1, 179 InsO beraubt würden.98 Außerdem greift § 52 S. 2 InsO ein. Danach 89 90 91 92

Vgl. BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 12; BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 497 Rn. 11. Vgl. BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, NJW-RR 2016 1065 Rn. 12; BGH 25.9.2014 – IX ZB 117/12, VersR 2015 497 Rn. 10. Lange RuS 2019 613, 614; Mokhtari VersR 2014 665, 669. Vgl. BGH 28.7.2016 – III ZR 70/16, BeckRS 2016 15487 Rn. 4; BGH 18.7.2013 – IX ZR 311/12, NZI 2013 886 Rn. 13; Thole NZI 2011 41, 42; Schnepp NZI 2013 887, 886. 93 Vgl. BGH 8.4.2021 – III ZR 62/20, VersR 2021 1160 Rn. 41 (zu § 157 a. F.). 94 Ausführlich Thole NZI 2011 41, 43. 95 Vgl. BGH 8.4.2021 – III ZR 62/20, VersR 2021 1160 Rn. 41 (zu § 157 a. F.); BGH 7.4.2016 – IX ZR 216/14, VersR 2016 913 Rn. 12; BGH 18.7.2013 – IX ZR 311/12, NZI 2013 886 Rn. 13; Thole NZI 2011 41, 42. 96 Vgl. BGH 8.4.2021 – III ZR 62/20, VersR 2021 1160 Rn. 41 (zu § 157 a. F.); BGH 28.7.2016 – III ZR 70/16, WM 2016 1747 Rn. 4 für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren; BGH 16.12.2003 – VI ZR 103/03, VersR 2004 381 [insoweit in BGHZ 157 213 nicht abgedr.] für das Revisionsverfahren). 97 Vgl. BGH 18.7.2013 – IX ZR 311/12, NZI 2013 886 Rn. 15; MüKo-InsO/Schumacher § 86 Rn. 25. 98 Thole NZI 2011 41, 43. Koch

424

D. Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf anhängige Haftpflichtprozesse

VVG § 110

sind die absonderungsberechtigten Gläubiger (im Verteilungsverfahren, vgl. § 190 InsO) nur in Höhe des bei der abgesonderten Befriedigung erlittenen Ausfalls berechtigt.99 Ein Ausfall kann daraus resultieren, dass die Versicherungssumme – wie zuvor angemerkt – nicht ausreicht, ein Selbstbehalt zum Tragen kommt oder der VR wegen einer Obliegenheitsverletzung des VN teilweise leistungsfrei ist. Nimmt der Geschädigte den Rechtsstreit auf, endet die Unterbrechung und der Insolvenz- 30 verwalter muss sich bis zur mündlichen Verhandlung entscheiden, ob er den Prozess fortsetzt, den Anspruch sofort anerkennt oder den abzusondernden Gegenstand sofort freigibt.100 In der Praxis hat der Verwalter oftmals kein Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits, weil eine Masseanreicherung nicht bewirkt werden kann; er wird sich deshalb regelmäßig für die Freigabe des Freistellungsanspruches entscheiden.101 Die Freigabe bewirkt, dass der Insolvenzschuldner (VN) seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Freistellungsanspruches zurückerhält, und hat den Wegfall der Passivlegitimation des Insolvenzverwalters zur Folge, und zwar auch soweit der Geschädigte auf Zahlung beschränkt auf Leistung aus der Versicherung klagt. Der Geschädigte muss seine Klage im Wege des Parteiwechsels gegen den VN selbst umstellen.102 Die Prozessführungsbefugnis fällt an den VN zurück.103 Erklärt der Insolvenzverwalter die Freigabe nicht sofort nach Verfahrensaufnahme, ist umstritten, ob die Prozessführungsbefugnis an den VN zurückfällt104 oder in entsprechender Anwendung von § 265 Abs. 2 ZPO beim Insolvenzverwalter verbleibt.105 Unterbleibt die Freigabe, führt der VR im Rahmen seiner Verfahrensherrschaft den Prozess 31 für den Insolvenzverwalter weiter, der die den VN treffenden Obliegenheiten zu beachten hat. Erkennt der Insolvenzverwalter den Anspruch ohne Zustimmung des VR sofort an (§ 86 Abs. 2 InsO) und lässt ein Urteil zu seinen Ungunsten ergehen, tritt für den VR eine Bindungswirkung i. S. v. § 106 nur insoweit ein, als im Versicherungsvertrag eine Bindungswirkung vorgesehen ist (vgl. Ziff. 5.1 S. 3 AHB 2016/A.1-4.1 S. 3 AVB PHV/AVB BHV, A-6.1. S. 3 AVB D&O)(vgl. auch § 106 Rn. 5). Soweit der VR dem Insolvenzverwalter die Prozessführung überlässt, kann er als Streithel- 32 fer dem Prozess auf Seiten des Insolvenzverwalters beitreten. Dabei gilt es die Beschränkungen des Prozessrechts zu beachten. Ein Beitritt als Streithelfer ist nur möglich, solange sich der VR bei der Prozessführung nicht in Widerspruch zu den Handlungen des Insolvenzverwalters oder des VN setzt (vgl. § 67 Halbs. 2 ZPO).106

II. Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters Wie zuvor ausgeführt, ist der Freistellungsanspruch nicht vom Insolvenzverwalter zu realisie- 33 ren, sondern vom absonderungsberechtigten geschädigten Dritten (Rn. 20 ff.). Die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters gegen den VR bleibt jedoch unberührt. Er kann Feststellungsklage erheben oder auf Leistung an den Geschädigten klagen. Eine entsprechende Klage wird der Insolvenzverwalter freilich nur dann erheben, wenn hierdurch ausnahmsweise eine Masseanreicherung erreicht werden kann, oder um die Passivmasse zu verringern.107 99 Vgl. Mitlehner ZIP 2012 2003, 2004; MüKo-InsO/Ganter § 51 Rn. 238a. 100 MüKo-InsO/Schumacher § 86 Rn. 21; Mitlehner ZIP 2012 2003, 2005. 101 Vgl. BGH 28.7.2016 – III ZR 70/16, BeckRS 2016 15487 Rn. 2; BGH 2.4.2009 – IX ZR 23/08, VersR 2009 821 Rn. 2. 102 Thole NZI 2011 41, 43. 103 Vgl. BGH 28.7.2016 – III ZR 70/16, BeckRS 2016 15487 Rn. 6. 104 So BGH 19.12.1966 – VIII ZR 110/64, BGHZ 46 249, 250 ff. 105 MüKo-InsO/Schumacher § 86 Rn. 26, 27; Jaeger/Windel § 86 Rn. 23; Uhlenbruck/Mock § 86 Rn. 22; offenlassend BGH 28.7.2016 – III ZR 70/16, BeckRS 2016 15487 Rn. 6. 106 Vgl. Thole NZI 2011 41, 43; vgl. OLG Nürnberg 21.6.2012 – 5 W 1109/12, VersR 2013 711, 712. 107 Vgl. Thole NZI 2011 41, 44 f. 425

Koch

§ 110 VVG

Insolvenz des Versicherungsnehmers

III. Rechtskraftwirkungen 34 Klagen der Insolvenzverwalter oder (vorinsolvenzlich) der VN gegen den VR, hat ein den Versicherungsschutz bejahendes Feststellungsurteil keine Rechtskraftwirkung für den geschädigten Dritten.108 Der VR ist somit grundsätzlich nicht gehindert, die Deckung gegenüber dem Dritten zu verweigern. Dieser muss deshalb notfalls gegen den VR vorgehen und auf Leistung an sich klagen.109 Umgekehrt kann sich der VR nicht auf das seine Verpflichtung verneinende Urteil berufen, wenn der Dritte gleichwohl noch Deckungsklage erheben will.110

IV. Klauselumschreibung zugunsten des Haftpflichtgläubigers nach § 727 ZPO? 35 Ungeklärt ist die Frage, ob der geschädigte Dritte kraft seines Absonderungsrechts aus einem obsiegenden Leistungsurteil, das der VN noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Insolvenzverwalter gegen den VR erstritten hat, selbst vollstrecken kann oder es gem. § 727 ZPO der Umschreibung der Vollstreckungsklausel oder der Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel gem. § 731 ZPO bedarf. Im Anwendungsbereich des § 1282 BGB wird diese Frage unterschiedlich beantwortet.111 Zur versicherungsrechtlichen Problematik haben sich Thole und Gnauck für den Weg über die Klauselumschreibung ausgesprochen.112

E. Exkurs: Rechtsstellung des geschädigten Dritten in der Insolvenz des VR I. Grundsatz 36 Auch in der Insolvenz des VR kann der geschädigte Dritte ihn grundsätzlich nicht unmittelbar in Anspruch nehmen. Ein unmittelbares Vorgehen gegen den VR ist erst möglich, wenn der geschädigte Dritte Rechtsnachfolger des VN geworden ist. Dies setzt regelmäßig eine Feststellung der Haftpflichtforderung und einen daran anschließenden Übertragungsakt (Pfändung und Überweisung oder Abtretung) bezüglich des Freistellungsanspruchs voraus. Einen großen wirtschaftlichen Vorteil werden der VN und der geschädigte Dritte von diesem Vorgehen allerdings in der Regel nicht haben, da die Hauptmasse der Schulden eines VR aus solchen gegenüber seinen VN bestehen wird.113 37 Ist der geschädigte Dritte noch nicht Rechtsnachfolger des VN geworden, so ist grundsätzlich nur dieser zur Anmeldung im Insolvenzverfahren befugt. Dabei ist zu beachten, dass der Freistellungsanspruch vom VN in der Insolvenz nur als (geschätzter) Zahlungsanspruch angemeldet werden kann.114 Doch bleibt auch hier die Verfügungssperre nach § 108 Abs. 1 erhalten, so dass der VN nicht etwa vor Eintritt der Rechtsnachfolge Zahlung an sich verlangen kann.115 Bezüglich der dem VN vom VR im Rahmen der Rechtsschutzfunktion der Haftpflichtversicherung zu ersetzenden eigenen Abwehrkosten greift § 108 Abs. 1 nicht ein. Dieser Anspruch auf Rechtsschutz fällt im Übrigen nicht etwa im Ganzen mit der Insolvenzeröffnung weg, vielmehr

108 109 110 111 112 113 114 115 Koch

Vgl. Gnauck 230 f. Vgl. Gnauck 231. Vgl. Thole NZI 2011 41, 45. MüKo-BGB/Damrau § 1282 Rn. 14 m. w. N. Vgl. Thole NZI 2011 41, 45 f.; Gnauck 231 ff. K. Sieg VersR 1964 693. Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 20. Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 24; Bohlken 169. 426

E. Exkurs: Rechtsstellung des geschädigten Dritten in der Insolvenz des VR

VVG § 110

ist er bezüglich der künftig entstehenden Kosten ebenfalls in Geld abzuschätzen und als Zahlungsanspruch zur Insolvenztabelle anzumelden.116 Während dem geschädigten Dritten in der freiwilligen Haftpflichtversicherung nur die Rolle 38 eines Insolvenzgläubigers i. S. v. § 38 InsO zukommt, ist der geschädigte Dritte in der obligatorischen Haftpflichtversicherung nach § 315 Abs. 1 VAG zur vorrangigen Befriedigung aus den Werten des Sicherungsvermögens nach § 126 VAG berechtigt. Dieses Vorrecht ähnelt dem Recht auf vorrangige Befriedigung aus § 32 DepotG.117 Hier wie dort werden alle vorrangigen Forderungen aus einem Sondervermögen beglichen. Für Ansprüche von Kfz-Unfallopfern s. auch Rn. 41.

II. Ausnahme Bleibt der VN untätig, ist der geschädigte Dritte ausnahmsweise zur Anmeldung der Freistel- 39 lungsforderung berechtigt. Umstritten ist, ob der Dritte die Anmeldung im eigenen Namen oder im Namen des VN vornehmen darf. Eine ältere Literaturmeinung hat ein eigenes Anmelderecht mit der Begründung bejaht, der Dritte sei als Anwartschaftsberechtigter i. S. d. § 67 KO anzusehen.118 Diese Begründung lässt sich nach der ersatzlosen Streichung des § 67 KO nicht mehr aufrechterhalten. Da der geschädigte Dritte durch die Untätigkeit des VN keinen Rechtsnachteil erleiden darf, ist er berechtigt, die Haftpflichtforderung im Namen des säumigen VN anzumelden. Die Legitimation zu einem solchen Vorgehen ergibt sich aus der gesetzlichen Schutzregelung in § 108 Abs. 1. Wollte der Insolvenzverwalter die Anmeldung wegen Fehlens einer formellen Vollmacht zurückweisen, so würde dies mit Rücksicht auf den vom Gesetz gewollten Schutz des geschädigten Dritten einen Rechtsmissbrauch darstellen.119

III. Durchbrechung des Trennungsprinzips Erfolgt die Feststellung der Haftpflichtforderung ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters, 40 so stellt sich auch hier die Frage nach der Bindungswirkung. Die Situation ähnelt derjenigen, die bei einer unberechtigten Deckungsverweigerung durch den VR gegeben ist. Der vom VR im Stich gelassene VN (und in seiner Rechtsnachfolge der geschädigte Dritte) darf grundsätzlich nicht der Gefahr einer überflüssigen doppelten Prüfung der Haftpflichtfrage ausgesetzt werden. Es erscheint deshalb als sachgerecht, eine Bindung des Insolvenzverwalters anzunehmen. Das Gesagte gilt aber grundsätzlich dann nicht, wenn der Insolvenzverwalter sich zur Weitergewährung von Rechtsschutz bereit erklärt hatte, da in diesem Fall die durch die gerichtliche oder außergerichtliche Regulierung entstehenden Kosten ungeschmälert aus der Insolvenzmasse zu bezahlen sind. Auch hier ist aber auf alle Umstände des Einzelfalles abzustellen.

IV. Leistungspflicht des Entschädigungsfonds in der Insolvenz eines KfzHaftpflichtversicherers Wird über das Vermögen eines leistungspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherers das Insolvenz- 41 verfahren eröffnet, kann derjenige, der einen Personen- oder Sachschaden erlitten hat, seine Ersatzansprüche nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 PflVG gegen den „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ geltend machen. Die Leistungspflicht des Entschädigungsfonds besteht jedoch nur insoweit, als der Geschädigte nicht von einem anderen Scha116 117 118 119 427

Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 20; K. Sieg VersR 1964 693, 694. Uhlenbruck/Brinkmann § 51 Rn. 66a; MüKo-InsO/Ganter § 51 Rn. 240b. Bohlken 171. Vgl. auch Berliner Kommentar/Baumann § 157 Rn. 21. Koch

§ 110 VVG

Insolvenz des Versicherungsnehmers

densversicherer als dem insolventen Haftpflichtversicherer Ersatz seines Schadens zu erlangen vermag (§ 12 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 PflVG).

F. Abdingbarkeit 42 § 110 dient dem Schutz des geschädigten Dritten und ist deshalb – auch im Bereich der Großrisiken – nicht abdingbar.120

G. Beweislast 43 Der geschädigte Dritte hat im Prozess gegen den VR den Bestand und die Fälligkeit der Haftpflichtforderung gegen den VN zu beweisen, soweit nicht die Voraussetzungen des § 106 S. 1 vorliegen. Darüber hinaus ist der Dritten hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für den Freistellungsanspruchs (primäre Risikoabgrenzung) darlegungs- und beweisbelastet. Den VR trifft die Beweislast für Ausschlüsse und Obliegenheitsverletzungen (sekundäre Risikoabgrenzung).

H. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich 44 Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 110 ist § 157 VersVG, der mit § 157 a. F. identisch ist. Nach der Rechtsprechung des OGH ist der nach § 67 VersVG beim Schädiger (VN der Haftpflichtversicherung) regressnehmende Sach-VR nicht geschädigter Dritter i. S. d. § 157 VersVG, weil er nicht in den Opferschutz der Haftpflichtversicherung einbezogen sei.121 Dagegen sei der Sozialversicherungsträger, der den Schädiger nach dem mit § 110 Abs. 1 SGB VII vergleichbaren § 334 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) in Anspruch nehme und damit einen eigenständigen Rückgriffsanspruch geltend mache, in Bezug auf die Haftpflichtversicherung geschädigter Dritter i. S. d. § 157 VersVG.122 Diese Differenzierung überzeugt nicht, da sowohl der Sach-VR als auch der Sozialversicherungsträger nur mittelbar Geschädigte sind und in beiden Fällen der Opferschutzgedanke zurücktritt. 45 Im Gegensatz zur Rechtslage in Deutschland ist der Geschädigte nicht berechtigt, den VR direkt in Anspruch zu nehmen, weil das österreichische Recht keine dem § 1282 BGB vergleichbare Regelung kennt. Der über einen Leistungstitel verfügende Geschädigte muss also auch in einem solchen Fall wie außerhalb des Konkurses sich die Haftpflichtforderung überweisen lassen.123

120 Vgl. Motive 65; Langheid/Wandt/Littbarski § 110 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Langheid § 110 Rn. 5; Prölss/Martin/ Lücke § 110 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 110 Rn. 6. 121 OGH 26.9.2018 – 7 Ob 105/18v, VersR 2019 842, 843; OGH 10.12.2014 – 7 Ob 164/14i, ECLI:AT:OGH0002: 2014:0070OB00164.14I.1210.000. 122 OGH 31.10.2018 – 7 Ob 8/18d, ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00008.18D.1031.000; OGH 26.9.2018 – 7 Ob 105/ 18v, VersR 2019 842, 843. 123 Vgl. OGH 8.3.2006 – 7 Ob 29/06z, ECLI:AT:OGH0002:2006:0070OB00029.06Z.0308.000; OGH 20.3.1963 – 3 Ob 42/63, VersR 1965 168 mit Anm. Wahle; Fenyves/Schauer/Reisinger § 157 Rn. 1. Koch

428

H. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 110

In seinem Urteil vom 10.9.2014 hat der OGH klargestellt, dass eine analoge Anwendung des 46 in § 157 VersVG für die Haftpflichtversicherung geregelten Absonderungsrechts auf die Rechtsschutzversicherung nicht in Betracht komme.124 § 157 VersVG findet auch im Ausgleichsverfahren entsprechend Anwendung, das dem Ver- 47 gleichsverfahren der deutschen Vergleichsordnung entspricht, welche durch Art. 2 Nr 1 EGInsO mit Wirkung zum 1.1.1999 aufgehoben125 und durch das den grundsätzlich gleichen Zielen (Sanierung eines schuldnerischen Betriebes durch Zusammenwirken mit den Gläubigern, um so das wirtschaftliche Fortbestehen zu sichern) dienende Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO ersetzt worden ist.126

II. PEICL Die PEICL enthalten keine Regelung zur Rechtsstellung des geschädigten Dritten in der Insol- 48 venz des VN.

124 OGH 10.9.2014 – 7 Ob 133/14f, VersR 2015 778, 779. 125 BGBl. 1994 I S. 2911. 126 OGH 23.6.1999 – 7 Ob 144/99y, ECLI:AT:OGH0002:1999:0070OB00144.99Y.0623.000. 429

Koch

§ 111 Kündigung nach Versicherungsfall (1) Hat der Versicherer nach dem Eintritt des Versicherungsfalles den Anspruch des Versicherungsnehmers auf Freistellung anerkannt oder zu Unrecht abgelehnt, kann jede Vertragspartei das Versicherungsverhältnis kündigen. Dies gilt auch, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch des Dritten kommen zu lassen. (2) Die Kündigung ist nur innerhalb eines Monats seit der Anerkennung oder Ablehnung des Freistellungsanspruchs oder seit der Rechtskraft des im Rechtsstreit mit dem Dritten ergangenen Urteils zulässig. § 92 Abs. 2 Satz 2 und 3 ist anzuwenden.

Schrifttum Armbrüster Beratungspflichten des Versicherers nach § 6 VVG n. F.: Grundlagen, Reichweite, Rechtsfolgen, ZVersWiss 2008 425; Bauer Rechtsentwicklung bei den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung bis Anfang 2006, NJW 2006 1484; Baumann Die Problematik der Abtretbarkeit von Freistellungsansprüchen in der D&O-Versicherung – insbesondere an die geschädigte Versicherungsnehmerin – Zugleich Grundsatzbetrachtungen zu § 108 Abs. 2 VVG –, RuS 2011 229; Brams Zurückweisungspflicht des Versicherers auf ihm zugegangene unwirksame Kündigungen des Versicherungsnehmers – dargestellt anhand von §§ 13 MBKK 76, 17 MBKK 94, 178h VVG, VersR 1997 1308; Ebnet Die Kündigung von Versicherungsverträgen, NJW 2006 1697; Filthaut Zahlungen des Haftpflichtversicherers „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“, VersR 1997 525; Fricke Kündigungsrecht im Versicherungsfall für alle Schadenversicherungszweige? VersR 2000 16; Heimbücher Außerordentliches Kündigungsrecht nach Deckungsverweigerung in der Haftpflicht-Versicherung? VW 1990 1140; Jenssen Der Ereignisbegriff in der Pflichtversicherung – eine kritische Würdigung der neueren Entwicklung, ZVersWiss 1987 425; Kagelmacher Die Schadensfallkündigung im Versicherungsvertragsrecht, ohne Jahresangabe; Kramer Das Beurteilungsermessen des Betriebshaftpflichtversicherers und die geschäftsschädigende Festlegung auf Abwehrschutz, RuS 2008 1; Lange Die Rechtsstellung des Haftpflichtversicherers nach der Abtretung des Freistellungsanspruchs vom Versicherungsnehmer an den geschädigten Dritten, VersR 2008 713; ders. Das Anerkenntnisverbot vor und nach der VVG-Reform, VersR 2006 1313; Leverenz Zurückweisung unwirksamer Kündigungen des VN durch den Versicherer, VersR 1999 525; Präve Das neue VVG und das AGB-Recht, VW 2009 98; ders. Zum Für und Wider einer gesetzlichen Fixierung außerordentlicher Kündigungsrechte, VersR 1993 265; ders. Das außerordentliche Kündigungsrecht in der Rechtsschutzversicherung, ZfV 1991 611; Rogler Pflicht des Versicherers zur Zurückweisung unwirksamer Kündigungen? – Zugleich Anmerkung zu Bundessozialgericht, Urteil vom 29. November 2006 – B 12 P 1/05, RuS 2007 140; Schmalzl/Krause-Allenstein Berufshaftpflichtversicherung des Architekten und Bauunternehmers, 2. Aufl. (2006); Stelzer Das Kündigungsrecht im Schadenfall nach § 4 AKB und § 9 AHB, VersR 1963 113; Stöbener Informations- und Beratungspflichten des Versicherers nach der VVG-Reform, ZVersWiss 2007 465; Thume Entschädigungsansprüche bei Insolvenz des haftpflichtversicherten Schädigers, VersR 2006 1318; Wriede Wirksamkeit der unwirksamen Kündigung des Versicherungsnehmers? VersR 1965 9.

Übersicht III.

1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

1.

II.

Inhalt und Normzweck

2

2.

III.

Anwendungsbereich

B.

Kündigungsvoraussetzungen

7

I.

Eintritt des Versicherungsfalles

7

II.

Anerkennung des Freistellungsanspruchs durch 10 den VR

Unberechtigte Ablehnung des Freistellungsanspruchs 15 Bedeutung der Fälligkeit des Freistellungsan16 spruchs Unrechtmäßige Verweigerung des Rechtsschut19 zes

6

Koch https://doi.org/10.1515/9783110522662-013

20

IV.

Weisung des VR

V.

Verhältnis der einzelnen Kündigungsgründe zu21 einander

C.

Kündigungserklärungsfrist

22

430

VVG § 111

A. Einführung

I.

Beginn der Frist

II.

Behandlung nicht fristgerechter Kündigungser24 klärungen Besonderheiten des Versicherungsvertrags24 rechts Rechtsfolgen bei unterbliebener Zurückweisung 29 Rechtsfolgen nach Zurückweisung der nicht 34 fristgerechten Schadenskündigung

1. 2. 3.

22

3. 4.

D.

Kündigungserklärung

35

I.

Kündigungsberechtigte

35

II.

Erklärungsempfänger

III.

Form

IV.

Inhalt der Kündigung

V. 1. 2.

Wirksamkeitszeitpunkt der Kündigung 41 Kündigung durch VR 43 Kündigung durch VN

44 Doppelkündigung Wirkung der Kündigung 45 a) Prämie b) Versicherungsschutz

45 46

E.

Außerordentliche Kündigung aus sonstigem 47 wichtigen Grund

F.

Beweislast

G.

Abdingbarkeit

I.

Grundsätze

II.

AHB

III.

AVB Vermögen

H.

Österreichisches Recht/Principles of Europe55 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

48 50 50

53

37 54

38 39 40

55 56

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 111 ist die Nachfolgeregelung zu § 158 a. F., der seit Inkrafttreten des VVG keine Änderungen er- 1 fahren hat. § 111 Abs. 1 entspricht § 158 Abs. 1 a. F. Lediglich der Wortlaut ist an § 100 angepasst, indem die Formulierung „Verpflichtung zur Leistung der Entschädigung“ durch die Formulierung „Anspruch des Versicherungsnehmers auf Freistellung“ ersetzt worden ist. Ferner ist die Formulierung „zu Unrecht abgelehnt“ an die Stelle der Formulierung „Leistung der fälligen Entscheidung verweigert“ getreten. Der Gesetzgeber wollte hierdurch klarstellen, dass der VN bei Leistungsverweigerung des VR zur Kündigung nur berechtigt ist, wenn ihm ein Freistellungsanspruch rechtlich zusteht.1 Die Kündigungserklärungsfrist des § 111 Abs. 2 S. 1 entspricht dem bisherigen § 158 Abs. 2 S. 1 a. F. Hinsichtlich des Wirksamkeitszeitpunkts der Kündigung tritt an die Stelle des § 158 Abs. 2 S. 2 a. F. die Verweisung auf die Parallelregelung zur Kündigung im Versicherungsfall in der Sachversicherung gem. § 92 Abs. 2 S. 2 und 3. Der bisherige § 156 Abs. 3 a. F., dem noch der Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie zugrunde lag, ist nach Aufgabe dieses Grundsatzes entfallen. Der Prämienanspruch bestimmt sich nunmehr nach § 39 Abs. 1 S. 1.

II. Inhalt und Normzweck § 111 regelt das Kündigungsrecht der am Versicherungsvertrag beteiligten Parteien nach Eintritt 2 des Versicherungsfalles. Der Sache nach handelt es sich um ein befristetes außerordentliches Kündigungsrecht. Die Einräumung einer solchen Kündigungsmöglichkeit im Versicherungsfall ist nicht auf die Haftpflichtversicherung beschränkt, sondern ein der gesamten Schadensversicherung eigenes Prinzip (vgl. § 92). Daran hat sich auch nach der Reform des VVG nichts 1 BTDrucks. 17/3945 S. 87. 431

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

geändert.2 Zu beachten ist, dass das Kündigungsrecht nicht an den Eintritt des Versicherungsfalles anknüpft, sondern an spätere Vorgänge, aus denen sich ergibt, dass die Verhandlungen über den Haftpflichtanspruch zu einem gewissen Abschluss gelangt sind. Das Gesetz trägt damit dem Umstand Rechnung, dass es in der Haftpflichtversicherung keinen einheitlichen Versicherungsfallbegriff gibt und sich die Haftung nicht selten einer unmittelbaren zweifelsfreien Feststellung entzieht.3 Demgemäß bestimmt § 111 Abs. 1 S. 1, dass jede Vertragspartei berechtigt ist, das Versicherungsverhältnis zu kündigen, wenn nach dem Eintritt des Versicherungsfalles der VR den Anspruch des VN auf Freistellung anerkennt oder zu Unrecht ablehnt. Das Gleiche gilt nach § 111 Abs. 1 S. 2, wenn der VR dem VN die Weisung erteilt, es über den Anspruch des Dritten zum Rechtsstreit kommen zu lassen. Alle in § 111 Abs. 1 genannten Kündigungsgründe knüpfen somit an Verhaltensweisen des VR an.4 Die Vorschrift des § 111 Abs. 2 S. 1 über die zeitliche Beschränkung der Ausübung des Kündigungsrechts entspricht im Wesentlichen der in diesem Punkt für die Sachversicherung in § 92 Abs. 2 S. 1 getroffenen Regelung. Deshalb hat sich der Reformgesetzgeber hinsichtlich des Wirksamkeitszeitpunkts der Kündigung mit einer Verweisung auf § 92 Abs. 2 S. 2 und 3 begnügt.5 Es bleibt somit bei der versicherungsvertraglichen Besonderheit, dass die Schadensfallkündigung nicht fristlos wirkt, also keine sofortige Wirkung entfaltet. 3 Im Hinblick darauf, dass der VR bereits im Falle der Gefahrerhöhung zur außerordentlichen Kündigung berechtigt ist, ist es nur folgerichtig, ihm ein solches Recht einzuräumen, wenn es zum Eintritt des Versicherungsfalles kommt, als dessen Folge er den VN von der Haftpflichtforderung des Geschädigten freistellt. In dem einen wie dem anderen Fall hat der VR eine Neubewertung des versicherten Risikos vorzunehmen und es muss ihm die Möglichkeit zur Vertragsbeendigung gegeben werden, wenn er zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu den bisherigen Konditionen nicht mehr risikoadäquat ist. Auf der anderen Seite besteht ein Bedürfnis des VN, nicht zu lange im Ungewissen darüber zu sein, ob das Vertragsverhältnis fortdauern wird oder nicht. Diesen Bedürfnissen trägt die Kündigungserklärungsfrist von einem Monat (§ 111 Abs. 2 S. 1) Rechnung. Der VN wird dadurch geschützt, dass die Kündigung erst nach Ablauf eines Monats ab Zugang der Kündigungserklärung den Versicherungsvertrag beendet (§ 111 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 92 Abs. 2 S. 2). Der VN hat somit genügend Zeit, sich anderweitig Versicherungsschutz zu beschaffen. 4 Der Grund, weshalb dem VN ein Sonderkündigungsrecht auch für den Fall der Anerkennung des Freistellungsanspruchs eingeräumt wird, ist darin zu sehen, dass das Regulierungsverhalten des VR nicht immer den Vorstellungen des VN entspricht (z. B. weil ihm falsche Angaben oder sogar Arglist unterstellt werden, es (deshalb) zu einer verzögerten Abwicklung kommt). Das Sonderkündigungsrecht lässt sich somit als eine Art Ausgleich dafür begreifen, dass der VR die Regulierungshoheit innehat und der VN das Ergebnis einer Schadensbearbeitung durch den VR hinnehmen muss.6 Diese Gesichtspunkte spielen auch eine Rolle, wenn sich der VR entschließt, den Haftpflichtanspruch abzuwehren und dem VN deshalb in Ausübung seiner Verfahrenshoheit die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch des Dritten kommen zu lassen. Die Entscheidung, den Anspruch abzuwehren, scheint als solche auf den ersten Blick zwar kaum geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen VR und VN zu beeinträchtigen. Jedoch werden VR und VN hinsichtlich der Begründetheit des Haftpflichtanspruchs nicht immer einer Meinung sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn zwischen dem VN und dem geschädigten Dritten persönliche und/oder wirtschaftliche Beziehungen bestehen. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass der Gesetzgeber die Einführung des § 108 Abs. 2 u. a. damit gerechtfertigt hat, dass der VN ein Interesse daran haben könne, „den Geschädigten an den Versicherer zu verweisen, wenn dieser einen Haftpflichtanspruch infrage stellt, den der Versicherungsnehmer – vielleicht wegen seiner Beziehun2 3 4 5 6

A. A. Präve VW 2009 98, 102 (wegen der Beschränkung auf die Sach- und Haftpflichtversicherung). Vgl. Motive 212. Vgl. auch Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 5; BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 111 Rn. 3. Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 87. BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 3; Späte § 9 Rn. 12; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V1 Anm. D 28.

Koch

432

B. Kündigungsvoraussetzungen

VVG § 111

gen zum Geschädigten – nicht einfach zurückweisen möchte“.7 Im Übrigen kann auch die Art und Weise der Verfahrensführung beim VN Anlass zu Irritationen geben. Die zu Unrecht erfolgte Ablehnung des Freistellungsanspruchs stellt ebenfalls eine schwere Belastung des Vertrauensverhältnisses dar, die eine beiderseitige Kündigung ohne Weiteres rechtfertigt.8 Dagegen berechtigt die zu Recht erfolgte Ablehnung zu keiner Kündigung. Der VN mag zwar auch in diesem Fall enttäuscht und das Vertrauensverhältnis mit dem VR gestört sein. Ein rechtmäßiges Verhalten einer Vertragspartei rechtfertigt jedoch – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung (vgl. § 9 Ziff. 2.1 AVB Vermögen, Rn. 54) – nicht die außerordentliche Kündigung des Vertrages.9 Entgegen einer vereinzelt vertretenen Ansicht in der Literatur begründet § 111 Abs. 1 S. 2 im 5 Übrigen kein Weisungsrecht des VR gegenüber dem VN;10 ebenso wenig wie § 101 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1. § 111 Abs. 1 S. 2 setzt vielmehr den Bestand eines (gesetzlichen oder vertraglichen) Weisungsrechts des VR voraus. Das VVG enthält nur wenige Bestimmungen, die ein solches Recht vorsehen. Im Rahmen der Obliegenheit zur Abwendung und Minderung des Schadens hat der VR nach § 82 Abs. 2 das Recht, dem VN Weisungen zu erteilen. § 82 Abs. 2 gibt dem VR jedoch nicht das Recht, den VN anzuweisen, den Haftpflichtanspruch zurückzuweisen und es auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen. Weisungsrechte des VR finden sich vornehmlich in den Bedingungswerken der unterschiedlichen Haftpflichtversicherungszweige.11 Solche Weisungsrechte des VR werden jedoch durch die neu geschaffenen und zwingend ausgestalteten rechtsgeschäftlichen Handlungsfreiheiten des VN beschränkt.12 Mit der Untersagung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots (§ 105) sowie der Einführung des Abtretungsklauselverbots (§ 108 Abs. 2) hat der Gesetzgeber zahlreiche Einbruchstellen geschaffen, die geeignet sind, einerseits die Rechtfertigung von Sonderkündigungsrechten – Ausgleich für die Regulierungs- und Verfahrenshoheit des VR – infrage zu stellen, andererseits das Vertrauensverhältnis zwischen VR und VN zu belasten. Angesichts der nunmehr für den VN bestehenden Handlungsoptionen nach Eintritt eines Versicherungsfalles wäre zu überlegen gewesen, ein Sonderkündigungsrecht nicht mehr nur an Verhaltensweisen des VR zu knüpfen, sondern auch für die Fälle vorzusehen, in denen der VN den Haftpflichtanspruch anerkennt und/oder befriedigt oder den Freistellungsanspruch an den geschädigten Dritten abtritt.

III. Anwendungsbereich § 111 findet keine Anwendung in der Seeversicherung (§ 209).

6

B. Kündigungsvoraussetzungen I. Eintritt des Versicherungsfalles § 111 Abs. 1 knüpft in allen drei Kündigungsalternativen an den Eintritt eines Versicherungsfalles 7 an, der je nach Haftpflichtversicherungssparte unterschiedliche vertragliche Ausprägungen erfährt (§ 100 Rn. 7 ff.). Soweit die Parteien den Versicherungsfall nicht (wirksam) definiert haben (z. B. weil die AVB nicht Vertragsbestandteil geworden sind), begründet die Rechts-/Pflichtverletzung 7 BTDrucks. 16/3045 S. 87. 8 Vgl. OLG Düsseldorf 21.12.2000 – 4 U 222/99, RuS 2001 453, 454 = NVersZ 2001 571, 572. 9 Vgl. auch Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 1, der darauf hinweist, dass durch § 111 auch der Erschleichung von Kündigungsrechten vorgebeugt werden soll.

10 So aber Lange RuS 2011 185, 193; ders. VersR 2008 713, 715. 11 Vgl. OLG Celle 25.9.2003 – 8 U 251/02, RuS 2004 14, 16 zu Architektenhaftpflichtversicherung; vgl. auch Bruck/ Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 25.2. AHB. 12 Vgl. Baumann RuS 2011 229, 235. 433

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

den Versicherungsfall (Verstoßprinzip) (§ 100 Rn. 17 ff.). Weiterhin ist Voraussetzung, dass der geschädigte Dritte den Haftpflichtanspruch geltend macht, da alle Alternativen eine Anspruchserhebung voraussetzen.13 Der geltend gemachte Haftpflichtanspruch muss in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallen (§ 100 Rn. 34 ff.). Anderenfalls fehlt es bereits am Eintritt eines Versicherungsfalles.14 Dementsprechend sieht § 111 kein Kündigungsrecht vor, wenn der VR zu Recht die Freistellung des VN abgelehnt hat. Bei der Bestimmung des Schutzbereiches sind somit grundsätzlich auch Risikoausschlüsse bedeutsam.15 Zu beachten ist jedoch, dass der Eintritt des Versicherungsfalles vertraglicherseits stets an objektive Voraussetzungen anknüpft (z. B. Schadensereignis, Pflichtverletzung, Anspruchserhebung). Das bedeutet, dass ein Versicherungsfall, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, auch bei Eingreifen subjektiver Risikoausschlüsse wie z. B. die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens oder die wissentliche Pflichtverletzung vorliegt (§ 100 Rn. 41).16 Ebenso wenig berührt die vollständige Leistungsfreiheit des VR wegen Obliegenheitsverletzungen oder wegen Prämienzahlungsverzugs das Kündigungsrecht.17 Ist die Haftpflichtversicherung teils für eigene, teils (oder ausschließlich) für fremde Rech8 nung genommen worden, genügt es, dass für die versicherte Person der Versicherungsfall eingetreten ist.18 Das Gleiche gilt, wenn mehrere Risiken des VN in einem einheitlichen Vertrag zusammengefasst sind (z. B. Betriebshaftpflichtversicherung, die eine Privathaftpflichtversicherung zugunsten der Inhaber beinhaltet). Hier bezieht sich demgemäß das Kündigungsrecht (anders als in § 29) auf den gesamten Vertrag, also nicht etwa nur auf denjenigen Teil des Risikos, dem der betreffende Versicherungsfall zuzuordnen ist.19 In der Literatur wird diskutiert, ob das Sonderkündigungsrecht nach § 111 Abs. 1 besteht, 9 wenn der Haftpflichtanspruch unter dem vereinbarten Selbstbehalt liegt. Wussow hat hierzu unter Bezugnahme auf die AHB a. F. die Ansicht vertreten, dass in einer solchen Konstellation „kein Versicherungsfall im Sinne der AHB“ vorliege.20 Diese Ansicht vermag selbst auf der Grundlage der AHB a. F. nicht zu überzeugen, da der VR danach nicht einmal die Abwehr unberechtigter Haftpflichtansprüche schuldete, die unterhalb des Selbstbehalts liegen. Hierzu war er jedoch bereits nach § 3 III Ziff. 2 Abs. 2 AHB a. F. verpflichtet, da sich die Begrenzung auf die Freistellung, d. h. die Zahlung an den Geschädigten bezogen hat.21 Ziff. 6.4 S. 2 AHB stellt ausdrücklich fest, dass der VR in jedem Fall zur Anspruchsabwehr verpflichtet ist. Im Übrigen ist es mehr oder weniger dem Zufall überlassen, ob Haftpflichtansprüche die Selbstbehaltsgrenze unter- oder überschreiten. Deshalb können auch Haftpflichtansprüche, die unterhalb des Selbstbehalts liegen, durchaus sowohl zu einer Neubewertung des versicherten Risikos auf Seiten des VR als auch zu einer (Neu-)Bewertung des Regulierungsverhaltens auf Seiten des VN Anlass geben (vorausgesetzt, der VN zeigt den Versicherungsfall an). Nach Sinn und Zweck des § 111 Abs. 1 wäre eine Ausdehnung des Sonderkündigungsrechts auf solche Fälle deshalb nicht unvertretbar.22 Zu beachten ist jedoch, dass das Kündigungsrecht nach § 111 Abs. 1 S. 1 an die 13 Vgl. BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 5; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 7. 14 Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 3; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 10; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 8; Späte § 9 Rn. 14. 15 A. A. BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 6 f. (nur primäre Risikoabgrenzung ist von Bedeutung). 16 Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 6; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Retter § 111 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 111 Rn. 4; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 8. 17 Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 6; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Retter § 111 Rn. 2; a. A. Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 3 (bezüglich der Verletzung von Obliegenheiten). 18 Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 3; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 11 u. 78; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 9. 19 Stelzer VersR 1963 113, 114 f.; a. A. Wussow § 9 Anm. 12. 20 Wussow § 9 Anm. 8; vgl. auch Kuwert Rn. 9021. 21 Vgl. auch Späte § 3 Rn. 61. 22 Dafür Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 6; differenzierend Bruck/ Möller/K. Johannsen § 92 Rn. 5 (zur Sachversicherung). Koch

434

B. Kündigungsvoraussetzungen

VVG § 111

Anerkennung und unberechtigte Ablehnung des Freistellungsanspruchs und damit an den Bestand des Haftpflichtanspruchs anknüpft. Soweit der geltend gemachte Haftpflichtanspruch unterhalb des Selbstbehalts liegt, stellt sich für den VR die Frage nach der Anerkennung oder unberechtigten Ablehnung des Freistellungsanspruchs von vornherein nicht. In dieser Konstellation kommt nur das Kündigungsrecht nach § 111 Abs. 1 S. 2 in Betracht, wenn der VR die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch des Dritten kommen zu lassen, wofür für ihn – vorbehaltlich anderer Vereinbarung – freilich kein Anlass besteht.23

II. Anerkennung des Freistellungsanspruchs durch den VR Unter einem Anerkenntnis i. S. d. § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 ist zum einen eine förmliche Erklärung 10 des VR gegenüber dem VN des Inhalts zu verstehen, dass nach seiner Auffassung der Freistellungsanspruch des VN bestehe, wobei es sich regelmäßig – abgesehen von Kostenzahlungen – darum handeln wird, dass der VR die gegnerische Haftpflichtforderung als berechtigt anerkennt. Erfasst werden zum anderen alle die Fälle, in denen der VR – ohne irgendein Anerkenntnis im förmlichen Sinne abzugeben – aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung oder eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs zahlt.24 Es sind aber natürlich auch Fälle denkbar, in denen entsprechend der gesetzlichen Vorstellung tatsächlich nur ein verbales Anerkenntnis gegenüber dem VN gegeben ist, etwa bei eindeutigen Erklärungen nach § 101 Abs. 3 S. 3. Das Kündigungsrecht in der hier erörterten Alternative hat somit nicht die vorherige Feststellung der Haftpflichtforderung i. S. d. § 106 Abs. 1 S. 1 zur Voraussetzung. Tilgt der VR die gegnerische Haftpflichtforderung durch Erklärung der Aufrechnung, 11 liegt darin ein Anerkenntnis,25 durch das das Kündigungsrecht ausgelöst wird. Leistet der VR nur einen Teilbetrag auf die gegnerische Haftpflichtforderung, so entsteht bereits dadurch das Kündigungsrecht. Hat sich der Freistellungsanspruch des VN infolge Anerkenntnisses und/oder Befriedigung des Haftpflichtanspruchs und/oder der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den geschädigten Dritten in einen Zahlungsanspruch umgewandelt, stehen Zahlungen des VR an den VN oder den Dritten einem Anerkenntnis des Freistellungsanspruchs gleich.26 Kein Anerkenntnis liegt vor, wenn der VR zwecks Prüfung seiner Einstandspflicht ein 12 Sachverständigengutachten in Auftrag gibt.27 Führt der VR trotz Zweifeln an seiner Leistungspflicht den Haftpflichtprozess (z. B. weil eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens im Raum steht), liegt darin ebenfalls kein Anerkenntnis des Freistellungsanspruchs.28 Nicht gefolgt werden kann der früher vertretenen Ansicht, die sich für eine Erstreckung des § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 auf die Abwehr unberechtigter Ansprüche mit der Begründung ausgesprochen hat, es sei ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers anzunehmen.29 Für die Annahme eines solchen Versehens gibt es keinen Anhaltspunkt. Ein Kündigungsrecht im Fall der Anspruchsabwehr besteht nur unter den Voraussetzungen des § 111 Abs. 1 S. 2, wenn der VR in Ausübung seiner Verfah23 BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 8; vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 111 Rn. 7; offenlassend Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 9. 24 OLG Celle 25.9.2003 – 8 U 251/02, RuS 2004 14, 17; OLG Schleswig 24.1.1967 – 1 U 75/66, VersR 1968 487, 488; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 10; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 5; Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 7; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 13. 25 Vgl. BGH 8.6.1989 – X ZR 50/88, NJW 1989 2469, 2470; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 111 Rn. 4. 26 BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 10. 27 OLG Celle 25.9.2003 – 8 U 251/02, RuS 2004 14, 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 5; Langheid/ Wandt/Littbarski § 111 Rn. 16; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 11. 28 BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 11; Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 5; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 16. 29 Rüffer/Halbach/Schimikowski2 § 111 Rn. 5. 435

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

renshoheit (vgl. Ziff. 5.2 AHB 2016/B3-3.2 AVB BHV/PHV) die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch des Dritten kommen zu lassen.30 13 Die Verurteilung des VR im Deckungsprozess steht nach h. M. im Hinblick auf den Zweck des § 111 dem Anerkenntnis gleich.31 Näher liegt es jedoch, darin einen Fall der unberechtigten Ablehnung des Freistellungsanspruchs § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 zu sehen. Nicht zu folgen ist dagegen der von Retter und Langheid vertretenen Ansicht, der zufolge die rechtskräftige Entscheidung eines Haftpflichtprozesses dem Anerkenntnis ebenfalls gleichstehe.32 Eine solche Gleichsetzung ist vom Zweck des § 111 nicht geboten und stünde im Widerspruch zu § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, wonach ein Kündigungsrecht nur bei zu Unrecht erfolgter Ablehnung der Freistellung besteht. Daran fehlt es, wenn der Haftpflichtanspruch zwar rechtskräftig festgestellt wird, der VR die Deckung jedoch wegen Eingreifens eines Ausschlusses zu Recht verweigert. 14 Fraglich ist, ob Zahlungen, die der VR als „Kulanzzahlung“ und/oder mit der Einschränkung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ erbringt, als Anerkenntnis i. S. v. § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 zu qualifizieren sind. Da das Sonderkündigungsrecht den Eintritt eines Versicherungsfalles zur Voraussetzung hat, ist diese Frage zu verneinen, wenn der VR trotz eindeutig fehlender Haftung („aus Pflege der Kundenbeziehung“) in aufsichtsrechtlich unzulässiger Weise erbringt.33 Desgleichen ist die Frage zu verneinen, wenn Deckung eindeutig nicht gegeben ist.34 Lassen sich Haftung und Deckung nicht eindeutig feststellen, steht die Zahlung aufgrund eines Vergleichs mit dem geschädigten Dritten/VN sowohl im Haftungs- als auch im Deckungsverhältnis einem Anerkenntnis nach Eintritt des Versicherungsfalles gleich.35 Erweiterungen des Versicherungsschutzes aus Anlass eines nicht versicherten Schadensfalles berechtigen nicht zur außerordentlichen Kündigung (VR übernimmt z. B. einen nicht gedeckten Mietsachschaden unter der Voraussetzung, dass solche Schäden zukünftig versichert sind).36

III. Unberechtigte Ablehnung des Freistellungsanspruchs 15 Nach § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 besteht ferner ein Kündigungsrecht, wenn der VR den Freistellungsanspruch des VN „zu Unrecht“ ablehnt. Ein Kündigungsrecht ist somit nicht gegeben, wenn zwischen VR und VN Streit über den Umfang des Versicherungsschutzes besteht und der Standpunkt des VR sich erst später aufgrund einer rechtskräftigen Abweisung der Deckungsklage als richtig erweist.37 In diesem Fall hat der VR den Freistellungsanspruch des VN nämlich nicht „zu Unrecht“ abgelehnt. Es versteht sich von selbst, dass es keinen Kündigungsgrund darstellt,

30 Rüffer/Halbach/Schimikowski § 111 Rn. 7. 31 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 5; Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 7; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 14; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 11.

32 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 7; wie hier Langheid/ Wandt/Littbarski § 111 Rn. 14; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 11. 33 Vgl. BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 11; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB Ziff. 19 Rn. 14; Bruck/ Möller/K. Johannsen/R. Koch § 92 Rn. 7; vgl. auch LG Hagen 28.10.1982 – 16 O 280/82, VersR 1983 1147 (Kulanzzahlung ist keine Schadensersatzzahlung aufgrund eines Versicherungsfalles). 34 Vgl. ÖOGH 9.7.2008 – 7 Ob 83/08, VersR 2009 1292 (Zahlung des Rechtsschutz-VR von an sich nicht gedeckten Vertretungskosten); Späte § 9 Rn. 19 (VR übernimmt einen nicht gedeckten Mietsachschaden unter der Voraussetzung, dass der VN eine Anschlussvereinbarung für solche künftigen Fälle trifft); BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 11; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB Ziff. 19 Rn. 14. 35 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 4; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 14; Späte/Schimikowski/HarsdorfGebhardt AHB Ziff. 19 Rn. 10. 36 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB Ziff. 19 Rn. 14 („Vertragsmodernisierung“). 37 Vgl. auch Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 8; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 8; Rüffer/ Halbach/Schimikowski § 111 Rn. 4. Koch

436

B. Kündigungsvoraussetzungen

VVG § 111

wenn der VR den Versicherungsschutz – sei es wegen einer Obliegenheitsverletzung, sei es wegen des Eingreifens einer Ausschlussbestimmung – zu Recht verweigert.38

1. Bedeutung der Fälligkeit des Freistellungsanspruchs Vor der Reform des VVG wurde zu § 158 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 a. F. im Schrifttum mehrheitlich die 16 Ansicht vertreten, Voraussetzung für die Kündigung sei Zahlungsfälligkeit i. S. d. § 154 Abs. 1 a. F., also nicht die viel früher eintretende Fälligkeit des einheitlichen Haftpflichtversicherungsschutzanspruchs.39 Dementsprechend wurde ein Sonderkündigungsrecht gem. § 158 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 a. F. wegen Verweigerung der Deckung vor Fälligkeit verneint.40 R. Johannsen hat sich dafür ausgesprochen, die Deckungsablehnung „in krassen Fällen als positive Vertragsverletzung zu qualifizieren, die außerhalb des § 158 a. F. ebenfalls zur außerordentlichen Kündigung legitimiert“.41 Dieser Ansicht sind Voit/Knappmann mit der Begründung entgegengetreten, das Sonderkündigungsrecht müsse einer möglichen Störung des Vertrauensverhältnisses Rechnung tragen. Dem widerspreche es, wenn das Kündigungsrecht dem VN im Falle der (berechtigten oder unberechtigten) Verweigerung des Deckungsschutzes versagt werde. Eine derartige Regelung fordere Prämienprozesse heraus und belaste diese mit schwierigen Rechtsfragen und Beweisaufnahmen. Die Wirksamkeit der Kündigung dürfe deshalb nicht von der Berechtigung der Leistungsverweigerung abhängen.42 Dieser Argumentation hat der Reformgesetzgeber den Boden entzogen, indem er das Kündigungsrecht davon abhängig gemacht hat, dass der VR die Freistellung zu Unrecht ablehnt.43 Lücke will dem VN nur noch ein außerordentliches Kündigungsrecht vor Fälligkeit des Freistellungsanspruchs einräumen, wenn der VR diesen Anspruch ernsthaft und endgültig abgelehnt hat. Der Versuch des VR, sich der Rechtsschutzverpflichtung des § 100 zu entziehen, reiche hierfür nicht aus.44 Lücke nähert sich somit der Ansicht R. Johannsens an, wenngleich auch mit dem wesentlichen Unterschied, dass das Kündigungsrecht nach § 111 Abs. 1 S. 1 nicht von einem Verschulden des VR abhängig ist. Überwiegend wird in der Literatur jedoch die Ansicht vertreten, dem VN stehe das Kündigungsrecht im Fall der unberechtigten Leistungsverweigerung stets und unabhängig vom Eintritt der Fälligkeit des Freistellungsanspruchs zu. Dies wird u. a. mit der Änderung des Wortlauts des § 111 begründet. Danach komme es nur noch darauf an, ob der VR die Freistellung zu Unrecht abgelehnt habe.45 Die Frage der unberechtigten Ablehnung des Freistellungsanspruchs lässt sich von der Fällig- 17 keit dieses Anspruchs indes nicht vollends trennen, weil der Begriff der Fälligkeit den Zeitpunkt markiert, von dem an der Gläubiger die Leistung fordern kann.46 Solange der Haftpflichtanspruch nicht rechtskräftig und mit bindender Wirkung für den VR festgestellt worden ist und damit Fälligkeit i. S. v. § 106 S. 1 erlangt, ist der VN nicht berechtigt, Freistellung vom VR zu verlangen. Der VR handelt deshalb nicht unrechtmäßig, wenn er den Anspruch auf Freistellung bei ungewisser

38 LG Kleve 10.3.1967 – 2 O 236/66, VersR 1967 649, 650; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 12; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 8; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 18; Heimbücher VW 1990 1140, 1141; BTDrucks. 16/3945 S. 87. 39 Späte § 9 Rn. 21; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 15. 40 Vgl. LG Kleve 10.3.1967 – 2 O 236/66, VersR 1967 649, 650; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 17 f.; Römer/ Langheid/Langheid2 § 158 Rn. 6. 41 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. D 18. 42 Prölss/Martin/Voit/Knappmann § 158 Rn. 3. 43 Vgl. BT-Ducks. 16/3945 S. 87. 44 Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 6. 45 Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 111 Rn. 5; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 24. 46 BGH 1.2.2007 – III ZR 159/06, BGHZ 171 33, 37 = VersR 2007 806; MüKo-BGB/Krüger § 271 Rn. 2; Palandt/Grüneberg § 271 Rn. 1. 437

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

Sachlage wegen fehlender Fälligkeit ablehnt.47 Dies gilt auch dann, wenn der VN den Haftpflichtanspruch anerkannt und/oder befriedigt und/oder den Freistellungsanspruch an den Dritten abgetreten hat, so dass sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat, dessen Fälligkeit sich nach § 14 Abs. 1 beurteilt (§ 108 Rn. 40 ff.). Anders liegt der Fall, wenn der Haftpflichtanspruch rechtskräftig und mit bindender Wirkung für den VR festgestellt worden ist. Dann handelt der VR unrechtmäßig, wenn er den fälligen Freistellungsanspruch wegen fehlender Haftung oder Bindung ablehnt. Hat sich der VR seiner Rechtsschutzverpflichtung zu Unrecht entzogen, ist er nicht dazu berechtigt, den Freistellungsanspruch unter Hinweis auf die fehlende Bindungswirkung des rechtskräftigen Haftpflichturteils abzulehnen. 18 Stützt der VR seine Ablehnung nicht auf die fehlende Haftpflichtigkeit des VN oder die fehlende Bindungswirkung eines rechtskräftigen Haftpflichturteils, sondern darauf, dass der Freistellungsanspruch nicht entstanden (weil z. B. ein Ausschluss eingreift) oder aus anderen, nicht fälligkeitsbezogenen Gründen nicht durchsetzbar sei (Einrede der Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung), lässt sich die Un-/Rechtmäßigkeit der Ablehnung erst in einem Deckungsprozess klären,48 soweit nicht ausnahmsweise ein Fall der Voraussetzungsidentität gegeben ist (§ 106 Rn. 23 ff.). Auf die fehlende Fälligkeit des Freistellungsanspruchs zur Beurteilung der Un-/Rechtmäßigkeit der Ablehnung kann es in diesen Fällen nicht ankommen. Verweigert der Vermögensschadenhaftpflicht-VR z. B. die Freistellung wegen wissentlicher Pflichtverletzung oder arglistiger Obliegenheitsverletzung und wird er vom Gericht des Deckungsprozesses eines Besseren belehrt, hat der VR die Freistellung zu Unrecht verweigert. Die anlässlich der Ablehnung erklärte Kündigung des VN ist wirksam.49 Dies gilt auch dann, wenn sich die Verweigerung des VR nur auf einen Teil des Freistellungsanspruchs bezieht, der Freistellungsanspruch also nicht in Gänze zu Unrecht abgelehnt wird (etwa weil der Haftpflichtanspruch nicht vollständig vom versicherten Risiko umfasst wird oder der VR wegen einer Obliegenheitsverletzung nur teilweise leistungsfrei ist).50 Stellt man mit der h. M. die Verurteilung des VR im Deckungsprozess dem Anerkenntnis gleich (Rn. 13), ist eine weitere Kündigungsmöglichkeit nach § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 gegeben, die Bedeutung für den Fall erlangt, dass die früher ausgesprochene Kündigung unwirksam ist (z. B. weil nicht fristgerecht erfolgt). Bestätigt das Gericht die Ansicht des VR, hatte der VN keinen Freistellungsanspruch gegen den VR und die Kündigungserklärung ist unwirksam.

2. Unrechtmäßige Verweigerung des Rechtsschutzes 19 Dieser Befund wirft die Frage auf, ob eine vom VN bereits anlässlich der unrechtmäßigen Verweigerung des Rechtsschutzes ausgesprochene Kündigung auf den Zeitpunkt der Erklärung zurückwirkt. Aus dem Wortlaut von § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 lässt sich ein Kündigungsrecht wegen Rechtsschutzgewährung/-verweigerung nicht herleiten, da dort nur die Rede vom Freistellungsanspruch ist. Da Rechtsschutz- und Freistellungsanspruch Teile eines einheitlichen Anspruchs des VN aus dem Versicherungsvertrag sind und deshalb Einwendungen, die im Versicherungsverhältnis begründet sind, sich nicht nur gegen den Freistellungsanspruch, sondern auch gegen den Rechtsschutzanspruch richten, ist die Einräumung eines Sonderkündigungsrechts mit entsprechender Rückwirkung in analoger Anwendung von § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 in Erwägung zu ziehen. Das Risiko einer unberechtigten Ablehnung des Versicherungsschutzes wegen im Versicherungsverhältnis begründeter Einwendungen trägt allein der VR, weshalb es unbillig wäre, dem VN in einem solchen Fall ein Kündigungsrecht nur nach allgemeinen schuldrechtli47 BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 13; Prölss/Martin/Lücke VVG § 111 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 6; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 20; vgl. auch LG Wiesbaden 12.5.1964 – 1 S 18/64, VersR 1965 1065 f. (Rechtsschutzversicherung). 48 Späte § 9 Rn. 22. 49 Vgl. Wussow § 9 Anm. 11. 50 Vgl. Wussow § 9 Anm. 11. Koch

438

B. Kündigungsvoraussetzungen

VVG § 111

chen Grundsätzen wegen einer schwerwiegenden Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zuzubilligen. Insoweit kommen hier ähnliche Argumente zum Tragen, wie sie zur Begründung der Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils im Haftpflichtprozess bemüht werden, wenn der VR sich zu Unrecht seiner Rechtsschutzverpflichtung entzogen hat.

IV. Weisung des VR Nach § 111 Abs. 1 S. 2 sind beide Vertragsparteien berechtigt, das Versicherungsverhältnis zu 20 kündigen, wenn der VR dem VN die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch des Dritten kommen zu lassen. Diesem Kündigungsgrund kommt in der Praxis wenig Bedeutung zu, weil diese Alternative des Sonderkündigungsrechts nicht bereits mit Weisung vor Prozessbeginn, sondern erst mit Rechtskraft des Haftpflichturteils entsteht (Rn. 22).51 Zum gleichen Zeitpunkt trifft der VR aber in aller Regel auch die Entscheidung, ob er an den Dritten aufgrund dieses Urteils zahlen will (was regelmäßig die Anerkennung der Leistungspflicht gegenüber dem VN darstellt) oder ob er gegenüber dem VN die Freistellung verweigert. Dem VN steht deshalb oftmals nahezu zeitgleich einer der beiden in § 111 Abs. 1 S. 1 aufgeführten Kündigungsgründe zur Verfügung. Eigenständige Bedeutung erlangt die Kündigungsalternative des § 111 Abs. 1 S. 2 in den Fällen, in denen die Klage des Dritten abgewiesen worden ist oder der VR den Freistellungsanspruch nicht wegen fehlender Fälligkeit, sondern mangels Entstehung ablehnt. Zu denken ist hier an den Fall, in dem Anhaltspunkte für das Vorliegen eines (subjektiven) Risikoausschlusses bestehen und der VR Rechtsschutz nur unter dem Vorbehalt gewährt, die Deckung je nach Ausgang des Haftpflichtprozesses abzulehnen.

V. Verhältnis der einzelnen Kündigungsgründe zueinander Nach dem Gesetz können alle zuvor behandelten Kündigungsgründe neben- und nacheinan- 21 der gegeben sein, so dass die Parteien berechtigt sind, zu verschiedenen Zeitpunkten aus Anlass eines Versicherungsfalles zu kündigen (zu den Auswirkungen, wenn beide Parteien kündigen s. Rn. 44). Für die Kündigungsalternativen des § 111 Abs. 1 S. 1 gilt dies allerdings nur, soweit teilweise die Forderung des Dritten erfüllt und teilweise die Leistung der Entschädigung verweigert wird.52 Im Übrigen steht jedes Kündigungsrecht nur einmal zur Verfügung. Verschiedene zeitlich aufeinanderfolgende Zahlungen des VR an denselben geschädigten Dritten lösen also nicht jedes Mal wieder ein neues Kündigungsrecht gem. § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 aus. Dies wird man nach der Interessenlage aber schon nicht mehr für mehrere Zahlungen an verschiedene geschädigte Dritte annehmen können, soweit diese Anspruchsstellermehrheit nicht allein infolge eines abgeleiteten Rechtserwerbs gegeben ist. Für Zahlungen an originär aus dem Versicherungsfall eines Dritten Anspruchsberechtigte (z. B. nach § 844 Abs. 2, § 845 BGB) wird dagegen wieder ein gesondertes Kündigungsrecht anzunehmen sein. Demgemäß besteht nach dem Sinn der Regelung auch dann ein Kündigungsrecht, wenn in einem Falle der Schädigung mehrerer Personen mehrere Rechtsstreitigkeiten wegen der Haftpflichtansprüche verschiedener geschädigter Dritter durchgeführt werden. Dies gilt aber nur für Klagen verschiedener geschädigter Dritter, nicht aber für den Fall, dass ein Geschädigter seine Haftpflichtansprüche in mehreren Teilprozessen geltend macht.

51 Vgl. Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 10; Berliner Kommentar/ Baumann § 158 Rn. 28; a. A. BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 14. 52 Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 24. 439

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

C. Kündigungserklärungsfrist I. Beginn der Frist 22 Nach § 111 Abs. 2 S. 1 ist eine Kündigung nur innerhalb eines Monats seit der Anerkennung oder Ablehnung des Freistellungsanspruchs oder der Rechtskraft des im Rechtsstreit mit dem Dritten ergangenen Urteils zulässig. Gemeint ist hiermit, dass die Kündigungserklärung binnen Monatsfrist der jeweils anderen Partei zugegangen sein muss (Rn. 40 ff.). Besondere Bedeutung gewinnt § 111 Abs. 2 S. 1 für die Kündigung i. S. v. § 111 Abs. 1 S. 2, die aus Anlass eines auf Weisung des VR geführten Rechtsstreits ausgesprochen werden kann. § 111 Abs. 1 S. 2 wäre bei isolierter Betrachtung, also ohne die ergänzende Bestimmung des § 111 Abs. 2 S. 1, dahingehend zu verstehen, dass das Kündigungsrecht bereits mit der Weisung des VR entsteht. Einer solchen Auslegung tritt § 111 Abs. 2 S. 1 dadurch entgegen, dass er die Kündigung aus Anlass eines Rechtsstreits nur für die Zeit nach der Rechtskraft vorsieht. Dabei genügt es, dass ein Teilurteil i. S. v. § 301 ZPO rechtskräftig wird, nicht aber, dass ein Grundurteil i. S. d. § 304 ZPO nicht mehr anfechtbar ist.53 Ein Vergleich steht ebenso wie die Klagerücknahme einem rechtskräftigem Urteil gleich.54 23 Regelmäßig wird der VN erst durch den VR, der den Haftpflichtprozess im Namen des VN führt, über die Erledigung des Schadensfalls nach dem Ausgang des Haftungsprozesses unterrichtet. Deshalb ist bei der Kündigungsvariante des § 111 Abs. 1 S. 2 hinsichtlich des Fristbeginns nicht auf den objektiv bestimmbaren Zeitpunkt der Rechtskraft abzustellen, sondern auf den Zugang der Mitteilung des VR über die Rechtskraft des Haftpflichturteils, über den Vergleich oder die Klagerücknahme beim VN.55 Hat der VN bereits zuvor von dritter Seite Mitteilung erhalten, beginnt die Frist von diesem Zeitpunkt an. Auf die Kenntnis des VN kommt es auch bei der Kündigungsvariante des Anerkenntnisses bzw. der Zahlung nach § 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 an.56 Im Fall von Teilzahlungen beginnt die Monatsfrist mit Kenntnis von der ersten Entschädigungszahlung des VR.57 Lehnt der VR die Deckung zu Unrecht ab, beginnt die Frist für diese Kündigungsvariante (§ 111 Abs. 1 S. 1 Alt. 2) zu dem Zeitpunkt, zu dem der VN Kenntnis von der Unrechtmäßigkeit erlangt (Rechtskraft der Deckungsklage).

II. Behandlung nicht fristgerechter Kündigungserklärungen 1. Besonderheiten des Versicherungsvertragsrechts 24 Nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen ist die nicht fristgerecht ausgesprochene (außerordentliche) Kündigung unwirksam und es stellt sich die Frage, ob die Erklärung gem. § 133 BGB dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Kündigung zum nächstmöglichen Termin gelten soll. Sofern auf einen solchen Willen nach dem objektiven Bedeutungsgehalt der nicht fristgerecht ausgesprochenen Kündigung nicht geschlossen werden kann, stellt sich die Folgefrage nach der Umdeutung (§ 140 BGB).58 Von diesen Grundsätzen (teilweise) abweichend hat die instanzgerichtliche Rechtsprechung vor der Reform des Versicherungsvertragsrechts eine Verpflichtung des VR angenommen, der unwirksamen Kündigung des VN unverzüglich zu wider53 Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 9; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 16; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 10; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 28. 54 Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 9; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 16. 55 Vgl. BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 13. 56 BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 16; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 7.0. 57 Vgl. ÖOGH 8.2.1995 – 7 Ob 1042/94, ECLI:AT:OGH0002:1995:RS 008060. 58 Auslegung geht der Umdeutung vor, vgl. BAG 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, NJW 2006 2284, 2286 – Kündigungserklärung; BGH 6.12.2000 – XII ZR 219/98, NJW 2001 1217, 1218 – Prozesserklärung; noch ohne Festlegung einer Reihenfolge: BGH 12.1.1981 – VIII ZR 332/79, NJW 1981 976, 977; BAG 18.4.1985 – 2 AZR 197/84, NZA 1986 229, 230. Koch

440

C. Kündigungserklärungsfrist

VVG § 111

sprechen und den VN über den Unwirksamkeitsgrund aufzuklären. Erfolgt eine solche Zurückweisung nicht, dann ist die Kündigung als wirksam zu behandeln. Die dogmatische Begründung für diese Ansicht liegt im Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dem im Versicherungsverhältnis besondere Bedeutung zukommt.59 Der BGH hat sich bisher nur zweimal zur Frage einer Zurückweisungspflicht bei unwirksa- 25 mer Kündigung in der Haftpflichtversicherung geäußert. In beiden Fällen ging es jedoch nicht um die Frage, ob sich der VR gegenüber dem VN auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen kann, sondern darum, ob er sich auf die Wirksamkeit berufen kann, weil es nach der Kündigungserklärung zu Schäden kam. Diese umgekehrte Interessenlage sei am Urteil des IVa. Senats vom 1.7.1987 illustriert:60 In jener Entscheidung stritten die Parteien darüber, ob Vollkasko-Versicherungsschutz für einen Schadensfall bestand, der nach einer vom VN verspätet erklärten ordentlichen Kündigung eingetreten war. In der Kündigungserklärung hatte der VN den VR um eine neue (Teilkasko-)Versicherungsofferte gebeten. Der VR, der hierauf nicht geantwortet hatte, stellte sich auf den Standpunkt, das Vollkasko-Versicherungsverhältnis sei aufgrund der unwidersprochen gebliebenen Kündigung zeitlich vor Eintritt des Schadens beendet worden. Der BGH stellte hierzu fest, dass weder ein Aufhebungsvertrag zustande gekommen sei, da es an einer Annahmeerklärung des VR nach § 151 S. 1 BGB fehle, noch die verspätete Kündigung durch den VN wirksam sei, weil der VR sie nicht zurückgewiesen habe. Dieses Ergebnis werde auch nicht dadurch infrage gestellt, „daß vielfach angenommen wird, ein Versicherer sei gehalten, eine vom Versicherungsnehmer erklärte verspätete Kündigung ausdrücklich zurückzuweisen … Auch wenn den Versicherer nach Treu und Glauben in bestimmten Fällen eine solche Hinweispflicht trifft, ergibt sich daraus nichts für die Entbehrlichkeit einer Annahmeerklärung. Die Beklagte kann nicht aus einem – etwaigen – treuwidrigen eigenen Verhalten, nämlich dem Unterlassen einer ausdrücklichen Zurückweisung der verspäteten Kündigung, Rechte für sich herleiten. Der Einwand der Revision, die Beklagte werde dann in ihrer Entschließungsfreiheit unangemessen eingeschränkt, trifft nicht zu. Es steht dem Versicherer stets frei, auf eine verspätete oder sonst ungültige Kündigung zu antworten und nach seiner freien Entschließung zu reagieren. Es entspricht sogar der Sorgfalt eines ordentlichen Versicherungskaufmanns, die durch eine verspätete Kündigung des Versicherungsnehmers entstandene Rechtsunklarheit durch eine ausdrückliche Antwort zu beseitigen.“61

Derselbe Senat des BGH hat in seinem Urteil vom 26.10.1988 ausgesprochen, dass eine unwirksame (ordentliche) Kündigung des Versicherungsvertrages durch den VN nicht dadurch geheilt werden könne, dass der VR die Kündigung nicht zurückweise.62 Der IV. Zivilsenat des BGH hat sich unter Berufung auf § 242 BGB dieser Rechtsauffassung für den Bereich der Transportversicherung63 und der privaten Krankenversicherung angeschlossen.64 Die Behandlung der nicht fristgerechten Kündigung nach Eintritt eines Versicherungsfalles 26 macht deutlich, dass sich „im Versicherungsrecht das Interesse der Parteien am Fortbestand einerseits und andererseits an der Auflösung des Versicherungsvertrages von heute auf morgen umkehren [kann]“.65 Solange der Versicherungsfall nicht eintritt, hat der VR ein Interesse an dem Fortbestand des Vertrages, weil der VN nur dann zur Prämienzahlung verpflichtet ist. Es ist deshalb verständlich, dass er zunächst auf der Unwirksamkeit der Kündigung besteht. In dem Moment, in dem der Versicherungsfall eintritt, kehrt sich das Interesse jedoch um. Nun59 OLG Karlsruhe 18.10.2001 – 12 U 161/01, VersR 2002 1497; OLG Koblenz 14.8.1998 – 10 U 1273/97, RuS 1998 397, 398; OLG Düsseldorf 27.7.1954 – 4 U 126/54, VersR 1954 587, 588; OLG Hamm 29.6.1977 – 20 U 11/77, VersR 1977 999, 1000; LG Köln 25.10.1989 – 24 O 153/88, RuS 1991 243; AG Köln 28.10.1980 – 135 C 266/80, VersR 1981 227. 60 BGH 1.7.1987 – IV a ZR 63/86, VersR 1987 923, 924 = RuS 1987 271. 61 BGH 1.7.1987 – IV a ZR 63/86, VersR 1987 923, 924 = RuS 1987 271. 62 BGH 26.10.1988 – IVa ZR 140/87, RuS 1989 69, 70. 63 BGH 5.6.2013 – IV ZR 277/12, RuS 2013 424. 64 BGH 14.1.2015 – IV ZR 43/14, RuS 2015 140 Rn. 11. 65 Treffend LG Köln 25.10.1989 – 24 O 153/88, RuS 1991 243. 441

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

mehr besteht ein Interesse des VR an dem Nichtbestand des Vertrages, um nicht für den Schaden eintreten zu müssen. Er wird sich auf die Wirksamkeit der Kündigung berufen, eventuell sogar eine an sich unwirksame Kündigung anerkennen.66 Zu Recht weist das LG Köln darauf hin, dass sich die Ungewissheit über die Wirksamkeit einer von dem VN ausgesprochenen Kündigung nicht mit dieser jederzeit möglichen Umkehrung der gegenseitigen Interessenlage am Fortbestand des Vertrages vertrage, und folgert daraus, dass der VR als die in versicherungsrechtlichen Fragen rechtskundigere Partei einer unwirksamen Kündigung zu widersprechen habe.67 Dies gilt insbesondere für die hier relevante Schadenskündigung. Man stelle sich z. B. vor, dass der VN in Verkennung der Rechtslage die Kündigung eines Vertrages mit dreijähriger Laufzeit bereits bei Beginn eines Haftpflichtprozesses ausspricht. Hier bestünde die Möglichkeit, dass der VR den Ausgang des Haftpflichtprozesses abwartet und je nachdem, ob ein weiterer Versicherungsfall noch vor Abschluss des Prozesses eintritt oder nicht, sich in Verfolgung seines Interesses auf die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der Kündigung beruft.68 Nach der Reform des VVG leitet ein Teil der Literatur die Zurückweisungs- und Aufklärungs27 pflicht aus der Beratungspflicht des VR während der Dauer des Versicherungsverhältnisses gem. § 6 Abs. 4 S. 1 her.69 Dieser Ansicht ist der BGH in seinem Urteil vom 14.1.2015 nicht gefolgt70 und hat sich der mehrheitlich im Schrifttum vertretenen Ansicht angeschlossen, die die Zurückweisung- und Aufklärungspflicht weiterhin aus § 242 BGB herleitet.71 Dieser Auffassung liegt ein zu enges, vornehmlich produktbezogenes Verständnis des Begriffs der Beratung zugrunde. Die Verpflichtung zur Beratung während der Dauer des Versicherungsverhältnisses geht jedoch darüber hinaus und betrifft z. B. auch Fragen im Zusammenhang mit der Schadensregulierung und Vertragsfortsetzung. Sie erstreckt sich daher auch auf die Beseitigung ungeklärter Vertragsstatusfragen im Falle nicht fristgerechter Schadenskündigung.72 Zu Recht hat das BSG vor der Reform des VVG die Pflicht oder Obliegenheit des VR zur ausdrücklichen Zurückweisung einer unwirksamen Kündigung „als besondere Ausprägung der Hinweis- und Beratungspflicht aus dem Versicherungsvertrag“ charakterisiert und sich dafür ausgesprochen, auf die unterbliebene Zurückweisung der nicht fristgerechten Kündigung nach schadensersatzrechtlichen Maßstäben zu reagieren.73 Die Ansicht des BGH und des ihm folgenden Schrifttums lässt sich zudem nicht in Einklang mit § 1a VVG bringen, der mit Wirkung vom 23.2.2018 durch das IDD-Umsetzungsgesetz Eingang in das VVG gefunden hat.74 Eines durch § 6 nicht ausgeschlossenen Rückgriffs auf § 242 BGB bedarf es nur bei Großrisiken und bei maklerbetreuten Verträgen.75 Leitet man die Pflicht zur Zurückweisung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben her, 28 entfällt diese Pflicht des VR, wenn der VN die Unwirksamkeit der Kündigung positiv kennt, da der VN dann nicht schutzwürdig ist.76 Qualifiziert man die Pflicht hingegen als Bestandteil der Beratungspflicht nach § 6 Abs. 4 oder als Nebenpflicht i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB, fehlt es in diesem Fall an

66 67 68 69

LG Köln 25.10.1989 – 24 O 153/88, RuS 1991 243. LG Köln 25.10.1989 – 24 O 153/88, RuS 1991 243. Vgl. LG Köln 25.10.1989 – 24 O 153/88, RuS 1991 243. BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 17; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 124; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Ebers § 11 Rn. 36; Langheid/Rixecker/Rixecker § 11 VVG Rn. 11; Stiefel/Maier/Stadler Anm. G. 2 Rn. 17; Bruck/Möller/ Leverenz9 AUB 2008 Ziff. 10 Rn. 74; offenlassend Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 9. 70 BGH 14.1.2015 – IV ZR 43/14, RuS 2015 140 Rn. 11. 71 Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 57 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 111 Rn. 12; vgl. auch Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 44;; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 70; Prölss/Martin/Armbrüster Vor § 11 Rn. 29; Langheid/Wandt/Staudinger § 92 Rn. 18. 72 Stiefel/Maier/Stadler Anm. G. 2 Rn. 18; vgl. auch BSG 29.11.2006 – B 12 P 1/05 R, RuS 2007 144, 145; Rogler RuS 2007 140, 141. 73 BSG 29.11.2006 – B 12 P 1/05 R, RuS 2007 144, 145 f. 74 BGBl. 2018 I S. 2789. 75 Armbrüster ZVersWiss 2008 425, 427; Stöbener ZVersWiss 2007 465, 479. 76 Vgl. OLG Koblenz 14.8.1998 – 10 U 1273/97, VersR 1999 875, 876. Koch

442

C. Kündigungserklärungsfrist

VVG § 111

der Pflichtverletzung, weil ein Anlass zur Beratung objektiv nicht besteht.77 Grob fahrlässige Unkenntnis des VN lässt die Pflicht zur Zurückweisung allerdings nicht entfallen.78 Hier kommt allenfalls eine Anspruchskürzung nach § 254 BGB in Betracht.79 Soweit der VN von einem Makler betreut wird, ist zu hinterfragen, ob sich der VN hinsichtlich der Voraussetzungen der Schadenskündigung nicht die Kenntnis des mit der Betreuung des Versicherungsvertrages beauftragten Maklers nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss.80 Lehnt man die Zurechnung ab, stellt sich die Folgefrage nach dem Verschulden des VR, durfte der VR nach den Vorstellungen des Gesetzgebers „im Fall der Einschaltung eines Versicherungsmaklers doch davon ausgehen, dass dieser seine ihm gegenüber dem Versicherungsnehmer obliegende Frage- und Beratungspflicht erfüllt“.81

2. Rechtsfolgen bei unterbliebener Zurückweisung Bejaht man mit der hier vertretenen Ansicht eine Verletzung des § 6 Abs. 4 S. 1, macht sich der VR 29 nach § 6 Abs. 5 schadensersatzpflichtig, wenn er die nicht fristgerechte Schadenskündigung nicht unverzüglich zurückweist.82 Unverzüglich ist i. S. d. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB zu verstehen. Die Zurückweisung muss nicht sofort, aber ohne schuldhaftes Zögern erfolgen, d. h. innerhalb einer angemessenen Prüfungsfrist.83 Diese lässt sich nicht einheitlich bestimmen und hängt bei der Schadenskündigung auch davon ab, welche Kündigungsvariante einschlägig ist. Die von den Gerichten ausgeurteilte Bandbreite für die dem VR im Ergebnis zur Verfügung stehende Prüfungsfrist reicht von „sofort“ bis zu einer Reaktionsdauer von sechs Wochen.84 Hat der VR den Freistellungsanspruch anerkannt, ist die Zeitspanne für die Zurückweisung kürzer zu bemessen als im Weisungsfalle, weil die Feststellung der Rechtskraft des Haftpflichturteils zusätzlich Zeit in Anspruch nehmen kann. Erfolgt die Kündigung wegen zu Unrecht abgelehnter Deckung, dürfte die Zeitspanne nicht länger als beim Anerkenntnis sein, weil der Ablehnung bereits eine Prüfung des VR vorausgegangen ist. War für den VR aus der Kündigungserklärung der Kündigungsgrund nicht ersichtlich und muss der VR deshalb Nachforschungen anstellen, verlängert sich die Frist.85 Wie bei Verletzung sonstiger Beratungspflichten streitet für den VN die Vermutung aufklä- 30 rungsrichtigen Verhaltens auch bei fehlender oder nicht rechtzeitiger Zurückweisung einer Kündigung des VN durch den VR.86 Es ist daher zu fragen, wie der VN sich vernünftigerweise verhalten hätte, wenn der VR seine Kündigung unter Benennung der Unwirksamkeitsgründe als unwirksam zurückgewiesen hätte. Dabei kann nach der Lebenserfahrung bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden, dass der VN eine Schadenskündigung, die er vor Anerkennung oder Ablehnung des Freistellungsanspruchs oder vor Rechtskraft des in dem Rechtsstreit mit dem Dritten ergangenen Urteils und damit verfrüht ausgesprochen hat, nach Anerkennung oder Ablehnung des Freistellungsanspruchs oder nach Rechtskraft des Haftpflichturteils fristgemäß wiederholt hätte. 77 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 6 Rn. 53, 116; Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 160, 309; nach Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 44 fehlt es am Verschulden. 78 OLG Karlsruhe 18.10.2001 – 12 U 161/01, RuS 2002 75, 76; Leverenz VersR 1999 527 ff.; Rogler RuS 2007 140, 141; a. A. LG Köln 25.10.1989 – 24 O 153/88, RuS 1991 243 f.; AG Berlin-Neukölln 28.9.1999 – 12 C 13/99, VersR 2000 877, 878. 79 Leverenz VersR 1999 525, 531 f. 80 Vgl. Hans. OLG Bremen 18.11.2008 – 3 U 14/08, VersR 2009 776, 777. 81 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 82 BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 36. 83 Vgl. Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 283; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 126; Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 67. 84 Vgl. Nachweise bei Bruck/Möller/Leverenz AUB 2008 Ziff. 10 Rn. 76; Leverenz VersR 1999 525, 532. 85 Vgl. AG Hamburg 3.11.1993 – 12 C 820/93, VersR 1994 665. 86 Vgl. BGH 3.2.2011 – IV ZR 171/09, RuS 2011 250, 251; BSG 29.11.2006 – B 12 P 1/05 R, RuS 2007 144, 146; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 37; Bruck/Möller/Leverenz AUB 2008 Ziff. 10 Rn. 111; Rogler RuS 2007 140, 143; allgemein BGH 5.2.2009 – IX ZR 6/06, NJW 2009 1591, 1592; BGH 20.3.2008 – IX ZR 104/05, NJW 2008 2647, 2648. 443

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

Dementsprechend kann der VN vom VR die Rückzahlung bereits geleisteter Prämien für den Zeitraum nach fiktiver fristgemäßer Wiederholungskündigung verlangen. Die Vermutung der Wiederholungskündigung gilt hingegen dann nicht, wenn zwischenzeitlich ein neuer Versicherungsfall eingetreten ist, für den bei fristgemäßer Wiederholungskündigung keine Deckung bestünde. 31 Auch bei verspäteter Schadenskündigung greift die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ein. Um zu ermitteln, wie sich der VN vernünftigerweise verhalten hätte, ist hier zu fragen, zu welchem Zeitpunkt der VN den Vertrag bei rechtzeitiger Zurückweisung (ordentlich) hätte kündigen können. Sodann ist zu ermitteln, ob und in welcher Höhe der VN Prämien erspart hätte. Hierzu folgendes Beispiel: Der VN kündigt den Versicherungsvertrag am 1.6.2019 wegen zu Unrecht erfolgter Ablehnung des Freistellungsanspruchs zum 1.1.2020. Dabei übersieht er, dass die Versicherungsperiode bereits am 31.12.2019 endet. Ein unverzüglicher Hinweis des VR unterbleibt. Hier greift die Vermutung ein, dass der VN die Kündigung wiederholt und zum 31.12.2019 ausgesprochen hätte, wenn der VR die Kündigung unverzüglich unter Hinweis auf die Verspätung zurückgewiesen hätte. Der VN ist somit nicht verpflichtet, die Prämien für eine weitere einjährige Versicherungsperiode bis zum 31.12.2020 zu zahlen und kann Rückzahlung der bereits für diesen Zeitraum geleisteten Prämien verlangen. 32 Unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung zu § 242 BGB müsste der VR in einem Prämienstreit die nicht fristgerechte Schadenskündigung als wirksam gegen sich gelten lassen, wenn er ihr nicht unverzüglich widerspricht. Umgekehrt bliebe dem VR, der vom VN im Falle eines der nicht fristgerechten Schadenskündigung nachfolgenden Schadenseintritts in Anspruch genommen wird, die Berufung auf die Wirksamkeit der Kündigung versagt, weil er aus seinem treuwidrigen eigenen Verhalten keine Rechte für sich herleiten kann. Der Weg über Treu und Glauben erweist sich gegenüber der Beurteilung nach schadensersatzrechtlichen Maßstäben für den VN somit insgesamt als vorteilhafter. Er hat jedoch erhebliche dogmatische Schwächen und ist deshalb abzulehnen. Zu Recht stellt das BSG in seinem Urteil vom 29.11.2006 auf den Zweck von Hinweispflichten ab, um sodann festzustellen, dass eine etwa bestehende Pflicht des VR zur Zurückweisung unwirksamer Kündigungen und zum Hinweis des VN auf die Rechtslage nur dem Zweck diene, „den VN über seine wahren Rechte ins Bild zu setzen und ihm Klarheit über den Fortbestand des Vertrages zu geben. Dagegen zielt eine derartige Rechtspflicht von vorn herein nicht darauf, dem VN neue Möglichkeiten der Vertragsbeendigung zu eröffnen, die ihm nach Gesetz und Vertrag nicht zustehen.“87

Letzteres wäre jedoch der Fall, wenn man jede Kündigung bei Verletzung der Zurückweisungs- und Hinweispflicht als wirksam behandelte, da der VN die Möglichkeit hätte, „nach Belieben Kündigungsgründe zu erfinden, die bei fehlerhafter Reaktion des VR ein Eigenleben gewännen“.88 33 Die nicht rechtzeitige Zurückweisung lässt sich entgegen der Ansicht des ÖOGH auch nicht als Zustimmung zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses oder als Verzicht auf die Geltendmachung der aus der Verspätung oder der Unwirksamkeit einer Kündigung abgeleiteten Rechtsfolgen ansehen (Rn. 55). Für die Zustimmung fehlt es an der dafür erforderliche Annahmeerklärung durch den VR. Eine Annahme nach § 151 S. 1 BGB ist im Versicherungsgewerbe nicht verkehrsüblich89 und würde zudem irgendeine äußere Kundgebung des Annahmewillens voraussetzen.90 Eine Annahmeerklärung darf auch nicht daraus gefolgert werden, dass der VR die Kündigung pflichtwidrig nicht zurückgewiesen hat.91 Ein Verzicht durch Schweigen kommt 87 BSG 29.11.2006 – B 12 P 1/05 R, RuS 2007 144, 146. 88 BSG 29.11.2006 – B 12 P 1/05 R, RuS 2007 144, 146. 89 BGH 1.7.1987 – IV a ZR 63/86, VersR 1987 923, 924 = RuS 1987 271, 272; BGH 26.10.1988 – IV a ZR 140/87, RuS 1989 69, 70; OLG Koblenz 9.3.1951 – 2 U 82/50, VersR 1951 164; Hans. OLG Hamburg 1.12.1950 – 1 U 169/50, VersR 1951 53; LG Bremen 1.12.1999 – 4 S 278/99, VersR 2000 305, 306; Leverenz VersR 1999 525, 534. 90 RG 24.6.1927 – Rep. (VII) VI. 121/27, RGZ 117 312, 315. 91 BGH 1.7.1987 – IV a ZR 63/86, VersR 1987 923, 924 = RuS 1987 271, 272; BGH 26.10.1988 – IV a ZR 140/87, RuS 1989 69, 70; LG Bremen 1.12.1999 VersR 2000 305, 306. Koch

444

D. Kündigungserklärung

VVG § 111

im Hinblick auf den damit einhergehenden Verlust von Prämienansprüchen nicht in Betracht.92 Im Ergebnis sprechen deshalb die besseren Argumente dafür, auf die unterbliebene Zurückweisung der nicht fristgerechten Kündigung mit dem BSG nach den unter Rn. 29–31 dargestellten schadensersatzrechtlichen Maßstäben zu reagieren.93

3. Rechtsfolgen nach Zurückweisung der nicht fristgerechten Schadenskündigung Hat der VR die unwirksame (verfrühte oder verspätete) Kündigung des VN als unwirksam zu- 34 rückgewiesen, stellt sich die Frage, ob die Erklärung gem. § 133 BGB dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Kündigung zum nächstmöglichen Termin gelten soll, und falls nicht, ob eine Umdeutung (§ 140 BGB) möglich ist. Diese Frage ist zu verneinen. Infolge der Zurückweisung der Kündigung ist eine Zäsur eingetreten, die verlässliche Rückschlüsse auf den mutmaßlichen Willen des VN nicht zulässt.94 Etwas anderes mag für den wohl eher seltenen Fall gelten, dass der VN ausdrücklich erklärt, er wisse zwar, dass der Kündigungsgrund noch nicht vorliege, wolle aber schon jetzt zum nächsten zulässigen Termin nach Eintritt einer der drei Schadenskündigungsalternativen kündigen. Entgegen R. Johannsen liegt keine unzulässige Bedingung vor,95 weil der VR nicht in eine ungewisse Lage versetzt wird.96

D. Kündigungserklärung I. Kündigungsberechtigte Zur Schadensfallkündigung sind nur VR und VN in ihrer Eigenschaft als Vertragsparteien 35 berechtigt, nicht hingegen versicherte Personen im Rahmen der Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung. Handelt es sich bei dem VN um eine juristische Person ist die Kündigung vom Organ abzugeben. Die Kündigung kann auch durch einen rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten erklärt werden (§ 164 Abs. 1 BGB), was bei einer Kündigung durch den VR die Regel ist. Auch gesetzliche Verwalter (Insolvenz-, Nachlass-, Zwangsverwalter, Testamentsvollstrecker) können im Schadensfall kündigen.97 Ferner steht dem Erwerber des haftpflichtversicherten Unternehmens ein Schadenskündigungsrecht zu.98 Entsprechendes gilt für den Erben und sonstige Gesamtrechtsnachfolger des VN, nicht aber für den Zessionar, Pfandgläubiger oder Pfändungspfandgläubiger.99 Der geschädigte Dritte, an den der VN den Freistellungsanspruch abgetreten hat, ist somit nicht zur Schadensfallkündigung berechtigt. Bei der Mitversicherung hat jeder beteiligte VR für seinen Anteil (selbständiger Vertrag) das Kündigungsrecht, soweit nicht kraft der Führungsklausel der führende Versicherer für die anderen Beteiligten die Kündigung aussprechen darf. Bei einer Mehrzahl von VN können diese ein einheitliches Versicherungsverhältnis nur gemeinschaftlich und dann mit Wirkung für und gegen alle kündigen.100

92 Vgl. Staudinger/Rieble § 97 Rn. 114. 93 Vgl. auch Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 11 Rn. 44 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 32; Leverenz VersR 1999 525, 530 f. 94 I.E. Looschelders/Pohlmann/C. Schneider § 11 Rn. 77; a. A. OLG Düsseldorf 21.12.2000 – 4 U 222/99, RuS 2001 453, 454. 95 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V1 Anm. D 33; vgl. auch LG Bielefeld 29.9.1965 – 1 S 172/65, VersR 1967 27. 96 BGH 21.3.1986 – V ZR 23/85, NJW 1986 2245, 2246. 97 Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 11 Rn. 32; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 83. 98 Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 84. 99 A. A. Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 78. 100 Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 11 Rn. 233; Langheid/Wandt/Staudinger § 92 Rn. 5; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 77. 445

Koch

§ 111 VVG

36

Kündigung nach Versicherungsfall

Ein zum Abschluss von Versicherungsverträgen bevollmächtigter Versicherungsvertreter (§ 71) ist zur Abgabe von Kündigungserklärungen des VR berechtigt. Der Versicherungsmakler ist zur Schadenskündigung nur aufgrund besonderer Vollmacht berechtigt, da die vertragstypischen Pflichten des Versicherungsmaklers (Betreuung, Verwaltung und Vermittlung) das Recht zur Abgabe von Kündigungserklärungen des VN nicht einschließen.101

II. Erklärungsempfänger 37 Erklärungsempfänger der Kündigung sind grundsätzlich nur die Vertragsparteien sowie die ihnen gleichstehenden gesetzlichen Vertreter. Gleichzustellen sind Empfangsbevollmächtigte (§ 164 Abs. 3 BGB), zu denen gem. § 69 Abs. 1 Nr. 2 Versicherungsvertreter zählen.102 Diesen muss die Erklärung nach § 130 BGB zugehen. Erklärungsadressaten sind daneben Insolvenz- und Zwangsverwalter sowie bei der Kündigung durch den VR nach dem Tod des VN dessen Erben, der Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter. Sind bei einem einheitlichen Versicherungsvertrag mehrere VN beteiligt, so muss die Kündigung jedem von ihnen zugehen, sofern nicht einer empfangsbevollmächtigt ist.103 Bei der (offenen) Mitversicherung ist jeder beteiligte VR empfangsberechtigt, soweit nicht in einer Führungsklausel vereinbart ist, dass die gegenüber dem führenden VR ausgesprochene Kündigung unmittelbar auch gegenüber den anderen Beteiligten wirkt.104 Nur aufgrund entsprechender Vereinbarung sind empfangsberechtigt Versicherungsmakler, Zessionare, Pfand- oder Pfändungspfandgläubiger sowie versicherte Personen im Rahmen der Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung (auch wenn sie im Besitz des Versicherungsscheins sind).

III. Form 38 Ein Formerfordernis für Schadensfallkündigungen stellt das Gesetz nicht auf. In älteren Bedingungswerken ist noch regelmäßig Schriftform (§§ 127 Abs. 1, 126 BGB) vorgesehen. Nach den neueren AVB genügt Textform (vgl. Ziff. 19.1 AHB/B2-2.1 S. 2 AVB BHV/AVB PHV). Hintergrund dieser Änderung ist das Inkrafttreten von § 309 Nr. 13 lit. b) BGB, der es dem Verwender verbietet, bei Vertragsverhältnissen, die nach dem 30.9.2016 entstanden sind (Art. 229 § 37 EGBGB) und nicht nur durch notarielle Beurkundung formwirksam geschlossen werden können, eine strengere Form als die Textform des § 126b BGB vorzuschreiben. Für vor diesem Datum abgeschlossene Verträge durfte keine strengere Form als Schriftform, z. B. eingeschriebener Brief vereinbart werden, soweit es sich bei dem VN nicht um einen Unternehmer i. S. v. § 14 handelt.105 Das nunmehr in § 309 Nr. 13 lit. b) BGB enthaltene Klauselverbot gilt ebenfalls nicht, wenn der VN ein Unternehmer ist.106

IV. Inhalt der Kündigung 39 An den Inhalt der Schadensfallkündigung sind keine großen Anforderungen zu stellen. Es genügt die Bezeichnung als Kündigung im Schadensfall. Einer weiteren Begründung der Kündi101 102 103 104 105 106

OLG Hamm 27.9.1991 – 20 U 130/91, RuS 1992 143, 144; Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 11 Rn. 34. Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 11 Rn. 36; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 86. Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 11 Rn. 36; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 86. Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 11 Rn. 38; Langheid/Wandt/Fausten § 11 Rn. 89. Vgl. Palandt/Grüneberg74 § 309 Rn. 114; Ulmer/Brandner/Hensen/Hensen § 309 Rn. 12. Vgl. MüKo-BGB/Wurmnest § 309 Nr. 13 Rn. 11; Erman/Roloff/Looschelders § 309 Rn. 159; Staudinger/CoesterWaltjen § 309 Nr. 13 Rn. 11; BeckOK BGB/Becker § 309 Nr. 13 Rn. 15; Palandt/Grüneberg § 309 Rn. 114; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack § 309 Rn. 12: a. A. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann § 309 Rn. 71. Koch

446

D. Kündigungserklärung

VVG § 111

gung bedarf es nicht.107 Bei Unklarheiten ist der VR zur Nachfrage und gegebenenfalls Aufklärung verpflichtet (vgl. Rn. 27). Stützt der VR seine Kündigung auf einen anderen unter eine konkrete Kündigungsvorschrift fallenden Grund (z. B. Zahlungsverzug mit Folgeprämie, § 38 Abs. 3), so ist dies regelmäßig dahingehend auszulegen, dass er nur unter deren Voraussetzungen kündigen will.108 Eine Umdeutung in eine Kündigung nach § 111 scheidet aus.109

V. Wirksamkeitszeitpunkt der Kündigung Bei der Kündigung im Schadensfall ist zu unterscheiden zwischen der (ersten) Monatsfrist 40 i. S. v. § 111 Abs. 2 S. 1, innerhalb derer die Kündigungserklärung der anderen Vertragspartei zugehen muss (Kündigungserklärungsfrist), und der (zweiten) Frist i. S. v. § 111 Abs. 2 S. 2 zwischen dem Zugang der Kündigungserklärung und dem Eintritt der Kündigungswirkung (Wirksamkeitszeitpunkt der Kündigung, d. h. Vertragsende). Nach § 111 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 92 Abs. 2 S. 2 und 3 gelten hinsichtlich des Wirksamkeitszeitpunkts der Kündigung für den VR und den VN unterschiedliche Regelungen.

1. Kündigung durch VR Kündigt der VR innerhalb der (ersten) Monatsfrist seit der Anerkennung oder Ablehnung des Frei- 41 stellungsanspruchs oder der Rechtskraft des Haftpflichturteils, endet der Vertrag nach Ablauf der (zweiten) Monatsfrist, die mit dem Zugang der Kündigungserklärung beim VN beginnt (§ 111 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 92 Abs. 2 S. 2). Bei der (zweiten) Monatsfrist für den VR handelt es sich um eine Mindestfrist, die dem Schutz des VN dient. Er soll sich in Ruhe einen neuen VR suchen können, bevor der Vertrag endet.110 Kündigt der VR mit einer kürzeren Frist, ist ein solcher Kündigungsausspruch unwirksam und es stellt sich auch hier die Frage, ob die Erklärung gem. § 133 BGB dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Kündigung fristgerecht gelten soll, und falls nicht, ob sie in ein Angebot auf vorzeitige Beendigung des Versicherungsvertrages umgedeutet werden kann (§ 140 BGB). Da es sich bei der Kündigung um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, kommt es für die Auslegung darauf an, wie sie der VN nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste. Im Hinblick darauf, dass die zweite Monatsfrist für eine Kündigung außerordentlicher Art ungewöhnlich ist – regeltypisch wäre es, eine Kündigung mit sofortiger Wirkung vorzusehen, dürfte sich einem durchschnittlichen VN die Bedeutung der zweiten Monatsfrist nicht erschließen und eine Auslegung, dass die Kündigung zum Ablauf dieser zweiten Frist erfolgen soll, scheitern. Eine Umdeutung in ein Angebot auf vorzeitige Beendigung des Versicherungsvertrages kommt dann ebenfalls nicht in Betracht. Bestimmt der VR einen späteren Wirksamkeitszeitpunkt, bestehen hiergegen nach dem 42 Zweck der Vorschrift keine Bedenken.111 Armbrüster vertritt dagegen die Ansicht, von Abs. 2 S. 2 abweichende Fristbestimmungen des VR seien nichtig. Er begründet dies damit, dass § 92 Abs. 2 S. 2 im Gegensatz zu Abs. 2 S. 3 keinen „spätesten Zeitpunkt“ nenne und deshalb nur 107 Vgl. Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 92 Rn. 9; Prölss/Martin/Armbrüster § 92 Rn. 9; Langheid/Wandt/Staudinger § 92 Rn. 20. 108 Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 50; Prölss/Martin/Armbrüster § 92 Rn. 9; Langheid/Wandt/Staudinger § 92 Rn. 20. 109 Vgl. OLG Hamm 11.11.1998 – 20 U 49/98, VersR 1999 1265, 1266; Prölss/Martin/Armbrüster § 92 Rn. 9; Langheid/ Wandt/Staudinger § 92 Rn. 20. 110 Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 92 Rn. 9. 111 BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 18; Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 92 Rn. 19; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 31; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 111 Rn. 12 f.; Langheid/Rixecker/Langheid § 111 Rn. 12; a. A. Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 74 ff. 447

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

ein beliebiges Verlängerungsrecht des VR in Betracht komme, was für den VN unzumutbar wäre.112 Dagegen ließe sich einwenden, dass ein wie auch immer geartetes Verlängerungsrecht durch die Dauer des Versicherungsvertrages begrenzt wird und der VN die Dauer durch Kündigung (§ 11) selbst bestimmen kann. Gibt der VR in der Kündigungserklärung den Wirksamkeitszeitpunkt an und besteht insoweit für den VN keine Ungewissheit hinsichtlich des Vertragsendes, ist eine unzumutbare Belastung für den VN nicht erkennbar und eine von Abs. 2 S. 2 abweichende Fristbestimmung wirksam. Bestimmt der VR in der Kündigungserklärung hingegen keinen Zeitpunkt, so gilt die Mindestfrist, d. h. der Vertrag endet einen Monat nach dem Zugang der Kündigungserklärung beim VN.

2. Kündigung durch VN 43 Für Kündigungen seitens des VN sieht das Gesetz keine (zweite) Monatsfrist vor. Vielmehr kann der VN gemäß § 111 Abs. 2 S. 2 den Wirksamkeitszeitpunkt, in den Grenzen des § 92 Abs. 2 S. 3 selbst bestimmen. Spätester Wirksamkeitszeitpunkt ist das Ende des laufenden Versicherungsjahres. Bestimmt der VN keinen Zeitpunkt, kommt es auf seinen mutmaßlichen Willen an. Dabei kommt dem Umstand, ob und zu welchem Zeitpunkt der VN einen neuen Vertrag geschlossen hat, maßgebliche Bedeutung zu. Zu kurz greift deshalb die Ansicht, die Kündigungserklärung sei nach § 133 BGB so zu verstehen, dass der VN den Versicherungsvertrag sofort, das heißt mit Zugang der Kündigungserklärung beenden will.113 Ein dahingehender Wille des VN wäre nur anzunehmen, wenn er zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits einen neuen Vertrag (mit einem anderen VR) abgeschlossen hätte.114 Im Hinblick darauf, dass der VR Aufklärung schuldet (Rn. 27), wird man ihn als verpflichtet ansehen müssen, Rücksprache mit dem VN zu halten und diesen aufzufordern, ein Vertragsende festzulegen. Kommt der VN dieser Aufforderung nicht nach, ist die Kündigung nach § 139 BGB insgesamt nichtig. Die Auslegung, dass die Kündigung zum Schluss der Versicherungsperiode wirken soll, dürfte nach Änderung der Vorschrift über die Prämienzahlung keine tragfähige Grundlage mehr haben.115

3. Doppelkündigung 44 Kündigen in zulässiger Weise sowohl der VN als auch der VR, so geht diejenige Kündigung vor, die den Vertrag früher beendet.116

4. Wirkung der Kündigung 45 a) Prämie. Für den Fall der Kündigung bestimmt sich das „Prämienschicksal“ nach § 39 Abs. 1. Fällt der Wirksamkeitszeitpunkt nicht zufälligerweise mit dem Ablauf der Versicherungsperiode zusammen, ist der VR dem VN gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zur anteiligen Prämienrückzahlung verpflichtet.117 112 113 114 115 116

Prölss/Martin/Armbrüster § 92 Rn. 11. Vgl. Langheid/Wandt/Staudinger § 92 Rn. 23; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hammel § 92 Rn. 25. Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 92 Rn. 21. Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 92 Rn. 21. BGH 19.1.1956 – II ZR 103/54, VersR 1956 121 f.; BeckOK VVG/Gädtke/Car § 111 Rn. 18; Prölss/Martin/Lücke § 111 Rn. 10; Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 77; Prölss/Martin/Armbrüster § 92 Rn. 15; a. A. Langheid/Wandt/Faust § 11 Rn. 151: Maßgeblich für den Zeitpunkt des Eintritts der Kündigungswirkung ist die zuerst zugehende Kündigungserklärung. 117 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 111 Rn. 15; Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 92 Rn. 23. Koch

448

F. Beweislast

VVG § 111

b) Versicherungsschutz. Für Versicherungsfälle, die nach Vertragsbeendigung eintreten, 46 besteht kein Versicherungsschutz. Liegt der Definition des Versicherungsfalles nicht das Verstoßprinzip, sondern das Schadensereignis-, Manifestations- oder Anspruchserhebungsprinzip („claims made“) zugrunde, besteht somit für den VR die Möglichkeit, sich bei zu erwartenden weiteren Schäden, die auf gleichen oder sogar derselben Ursache/Pflichtverletzung oder auf der Lieferung von Waren mit gleichen Mängeln beruhen (sog. Serienschäden, vgl. Ziff. 6.3 AHB 2016 (A1-5.3 AVB BHV/AVB PHV), „heraus zu kündigen“. In diesem Fall besteht für die „Spätschäden“ der Serie, die nach der Beendigung des Versicherungsvertrages eintreten, kein Versicherungsschutz mehr.118 Das Herauskündigen aus der Serie ist von Teilen der Literatur als rechtsmissbräuchlich angesehen worden.119 Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Ausübung des gesetzlich eingeräumten Schadensfallkündigungsrechts als rechtsmissbräuchlich zu bewerten ist. Weder hat der VR treuwidrig eine Rechtslage herbeigeführt, noch setzt er sich zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch.120 Hinzu kommt, dass der VN mit dem VR vorbeugend eine Vereinbarung treffen kann, die eine Zusammenziehung des Serienschadens zu einem Versicherungsfall vorsieht und es ausreichen lässt, dass der erste Schaden während der Wirksamkeit der Versicherung eingetreten ist (sog. alternative Serienschadenklausel).121

E. Außerordentliche Kündigung aus sonstigem wichtigen Grund § 111 Abs. 1 behandelt nur das Recht zur Kündigung im Schadensfall. Das Recht zur Kündigung 47 beider Vertragsparteien aus sonstigem wichtigen Grund gem. § 314 BGB bleibt unberührt.122 Als wichtiger Grund zur Kündigung für den VR werden betrügerische Machenschaften des VN123 oder unwahre Behauptungen des VN über das „Geschäftsgebaren“ des VR genannt.124 Für den VN wird als wichtiger Kündigungsgrund eine grob fehlerhafte oder anhaltend verzögernde Bearbeitung des Versicherungsfalles aufgeführt,125 woraus unter Umständen auch Schadensersatzansprüche gem. §§ 280 ff. BGB resultieren können.126

F. Beweislast Das Vorliegen der Kündigungsvoraussetzungen hat nach allgemeinen Beweisregeln diejenige 48 Vertragspartei darzulegen und zu beweisen, die sich auf die Kündigung beruft. Ist die Kündigung des VN verfristet und verlangt er gleichwohl Prämienrückerstattung im Wege des Schadensersatzes, so trifft ihn die Beweislast, dass der VR seiner Verpflichtung zur Zurückweisung und Aufklärung nicht unverzüglich nachgekommen ist und ihm deshalb ein zu ersetzender

118 Nickel VW 2009 691. 119 Prölss/Martin/Lücke AVB Verm § 9 Rn. 5; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 AHB § 9 Rn. 3; Berliner Kommentar/ Baumann § 158 Rn. 11 f.

120 A. A. Prölss/Martin/Lücke AVB Verm § 9 Rn. 7. 121 VerBAV 1987 3, 5; Bruck/Möller/R. Koch9 Bd. 4 Ziff. 6 AHB Rn. 11; Prölss/Martin/Voit ProdHaftpfl. Nr. 8 Rn. 5; Grote VersR 1995 508, 514; Thürmann NVersZ 1999 145, 149. 122 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 28; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 25; Langheid/Wandt/ Fausten § 11 Rn. 49 ff. 123 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 29; Berliner Kommentar/Baumann § 158 Rn. 26; Schmalzl/Krause-Allenstein Rn. 331. 124 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 28; Schmalzl/Krause-Allenstein Rn. 331. 125 Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 30. 126 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 111 Rn. 30; Schmalzl/Krause-Allenstein Rn. 331. 449

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

Schaden in Form zu viel gezahlter Prämien entstanden ist.127 Die mit einem derartigen Negativbeweis der behaupteten Pflichtverletzung verbundenen Schwierigkeiten für den VN führen zu einer erhöhten Substantiierungslast des VR.128 Dies folgt aus den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast, wonach dem Gegner der primär darlegungspflichtigen Partei ausnahmsweise nähere Angaben zumutbar sind, wenn er im Gegensatz zu der außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden darlegungs- und beweisbelasteten Partei die wesentlichen Tatsachen kennt.129 Vom VR ist deshalb zu verlangen, dass er darlegt und durch Vorlage einer Kopie glaubhaft macht, dass ein solches Zurückweisungsschreiben verfasst und abgeschickt wurde.130 Gelingt dem VR die Substantiierung, bestreitet der VN jedoch den Erhalt des Zurückwei49 sungsschreibens, stellt sich die Frage, wer die Beweislast für den Zugang trägt. Teilweise wird die Ansicht vertreten, die bloße Absendung des Schreibens reiche zum Beweis des Zugangs nicht aus.131 Die Gegenauffassung lässt es genügen, dass der VR das Schreiben verfasst und abgesandt hat.132 Für den Ausschluss widersprüchlichen Verhaltens komme es nämlich nicht darauf an, dass dem VN ein Widerspruch des VR gegen seine Kündigung zugegangen ist, sondern allein darauf, dass der Wille der zuständigen Organe des VR durchgängig auf eine Zurückweisung der Kündigungserklärung gerichtet gewesen ist.133 Diese Begründung steht im gewissen Widerspruch zu den zu § 130 BGB entwickelten Beweislastregeln, die besagen, dass der Absender den Zugang einer Willenserklärung beweisen muss.134 Letztlich kann dieser Streit offenbleiben. Soweit der VR ein Zurückweisungsschreiben verfasst und an den VN versandt hat, dürfte es jedenfalls an einem Verschulden fehlen, ein Schadensersatzanspruch mithin nicht bestehen.135

G. Abdingbarkeit I. Grundsätze 50 § 111 ist dispositiv. Formularvertragliche Abreden sind an §§ 307 ff. BGB zu messen. Der völlige Ausschluss ist nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.136 Ob Änderungen des § 111 wirksam sind, hängt davon ab, inwieweit der Ausgestaltung des Rechts zur Kündigung im Schadensfall Leitbildfunktion i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zukommt. Aufschluss hierüber gibt das Urteil des 127 A. A. AG Delmenhorst 30.11.2001 – 5 C 6264/01, zfs 2003 31 und AG Jever 10.1.2001 – 5 C 788/01, zfs 2003 31 (VR muss beweisen, dass er einen Hinweis auf die Unwirksamkeit einer Kündigung eines Gebäudeversicherungsvertrages abgesandt hat). 128 Ebnet NJW 2006 1697, 1699; Leverenz VersR 1999 525, 534. 129 BGH 14.6.2005 – VI ZR 179/04, BGHZ 163 209, 214; BGH 19.4.1999 – II ZR 331–97, NJW-RR 1999 1152, 1153; BGH 7.12.1998 – II ZR 266/97, BGHZ 140 156, 158; OLG Saarbrücken 26.5.2011 – 8 U 519/09, BeckRS 2011 14914; Zöller/ Greger § 138 Rn. 8b, Vor § 284 Rn. 34. 130 Leverenz VersR 1999 525, 534; Ebnet NJW 2006 1697, 1699; Brams VersR 1998 1308, 1309. 131 OLG Karlsruhe 18.10.2001 – 12 U 161/01, VersR 2002 1497; AG Berlin-Neukölln 28.9.1999 – 12 C 13/99, VersR 2000 877; AG Gießen 30.6.1988 – 46 C 2639/87 –, VerBAV 1989 93, 94. 132 AG Frankfurt a. M. 24.2.1998 – 32 C 2101/97-40, VersR 1999 1007; AG Delmenhorst 30.11.2001 – 5 C 6264/01, zfs 2003 31 und AG Jever 10.1.2001 – 5 C 788/01, zfs 2003 31; so auch Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 11 Rn. 58; Ebnet NJW 2006 1697, 1699; Jonczak VersR 2000 306, 307; Leverenz VersR 1999 525, 534. 133 Leverenz VersR 1999 525, 534. 134 Z. B. BGH 13.5.1987 – VIII ZR 137/86, NJW 1987 2235, 2236 – Mängelanzeige; BGH 18.1.1978 – IV ZR 204/75, BGHZ 70 232, 234 = NJW 1978 886 – kfm. Bestätigungsschreiben. 135 Vgl. OLG Hamm 16.9.1992 – 20 U 138/92, VersR 1993 300, 301 (VN ist in der Regel als entschuldigt anzusehen, wenn er zumindest die Absendung des Schreibens beweisen kann); Bruck/Möller/Leverenz9 AUB 2008 Ziff. 11 Rn. 111. 136 OLG Düsseldorf 5.5.1988 – 6 U 194/87, NJW-RR 1988 1051, 1052; AG Siegburg 7.1.1987 – 4 C 769/86, VersR 1987 1111 = NJW-RR 1987 612 (Feuerversicherung). Koch

450

G. Abdingbarkeit

VVG § 111

BGH vom 27.3.1991, in dem es um eine Kündigungsklausel in der Rechtsschutzversicherung ging.137 Nach dieser Klausel – konkret ging es um § 19 ARB 75 – sollte der VN nicht kündigen können, wenn der VR nach Eintritt eines Versicherungsfalles Leistungen erbracht hatte. Der VN sollte – außer im Fall der Leistungsablehnung – nur kündigen können, wenn bei Streit über die Notwendigkeit der Wahrnehmung rechtlicher Interessen des VN der für den VN tätige, von ihm eingeschaltete Rechtsanwalt die Notwendigkeit entgegen der Ansicht des VR oder des von diesem eingeschalteten Rechtsanwalts bejahte. Der VR konnte dagegen kündigen, wenn er mindestens für zwei in einem Kalenderjahr eingetretene Versicherungsfälle seine Leistungspflicht bejaht, nicht aber, wenn er Leistungen abgelehnt hatte. Da die gesetzlichen Bestimmungen zur Rechtsschutzversicherung keine Regelung zur Schadensfallkündigung vorsahen, stellte sich im Rahmen der Inhaltskontrolle die Frage, ob die Wirksamkeit der Klausel an §§ 96, 113, 158 a. F. oder an den damals von der Rechtsprechung für Dauerschuldverhältnisse allgemein entwickelten Grundsätzen zu messen war, welche nunmehr Eingang in § 314 BGB gefunden haben. Der BGH ließ diese Frage offen, weil die Kündigungsregelung unabhängig davon, ob man §§ 96, 113, 158 a. F. oder die für Dauerschuldverhältnisse allgemein entwickelten Grundsätze als Leitbild heranziehe, den VN entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Nach Ansicht des BGH138 gehört es „zum Wesenskern eines verschuldensunabhängigen Kündigungsrechts, daß es den Vertragsparteien in gleicher Weise zusteht. Deshalb kann seine wirksame Einschränkung grundsätzlich nicht in Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu Lasten des Versicherungsnehmers erfolgen … Ungleiche, vom Vertragsgegner gar steuerbare Kündigungsmöglichkeiten sind mit dem gesetzgeberischen Prinzip, wie es in den §§ 96, 113, 158 VVG ausgeformt worden ist, nicht vereinbar und demnach einer Regelung zu Lasten der Versicherungsnehmer in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht zugänglich. Die Versicherungsnehmer würden hierdurch in nicht hinnehmbarer Weise benachteiligt“. [Hervorhebung durch den Verfasser]

Unwirksam ist danach eine einseitige, nur den VR begünstigende Verlängerung der Kündi- 51 gungserklärungsfrist. Eine Verkürzung der Kündigungserklärungsfrist ist, selbst wenn sie beiderseitig gilt, nichtig.139 Unwirksam sind ferner Beschränkungen des Bestimmungsrechts des VN für die Kündigungswirkung (§ 92 Abs. 2 S. 3). Eine Verlängerung der Wirkungsfrist für Kündigungen des VR zugunsten des VR ist dagegen zulässig, da der VN es in der Hand hat, den Vertrag ggf. früher zu beenden. Nicht zu beanstanden ist die Klausel, dass die Kündigung in der Erklärungsfrist zugegangen sein muss, weil sie nur das Gesetz (§ 130 BGB) konkretisiert.140 Ein Schriftformerfordernis für die Kündigung ist nur noch für die vor 30.9.2016 abgeschlossenen Versicherungsverträge mit Verbraucher-VN wirksam (Rn. 38). Im Hinblick auf die Herleitung der Zurückweisungs- und Aufklärungspflicht dürfte es 52 sich um eine Kardinalpflicht i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB handeln. Sowohl eine Beschränkung des Umfangs der Zurückweisungs- und Aufklärungspflicht als auch der Haftung im Falle der Verletzung sind deshalb nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Ein formularvertraglich vereinbarter Verzicht ist auch mit wesentlichen Grundgedanken des § 6 Abs. 4 S. 2 nicht vereinbar und deshalb nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.141

137 138 139 140

BGH 27.3.1991 – IV ZR 130/90, VersR 1991 580, 582 = RuS 1991 200. BGH 27.3.1991 – IV ZR 130/90, VersR 1991 580, 582 = RuS 1991 200. Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 92 Rn. 21. Prölss/Martin/Armbrüster § 92 Rn. 21; Langheid/Rixecker/Langheid § 96 Rn. 9; a. A. Berliner Kommentar/Dörner/Staudinger § 96 Rn. 23; Langheid/Wandt/Staudinger § 96 Rn. 28. 141 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 51; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 53; Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 295; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 44. 451

Koch

§ 111 VVG

Kündigung nach Versicherungsfall

II. AHB 53 Ziff. 19.1 AHB 2016 (B2-2.1 AVB BHV/AVB PHV) weicht von § 111 insoweit ab, als dass das Versicherungsverhältnis gekündigt werden kann, wenn dem VN die Klage gerichtlich zugestellt wird (§§ 261, 253 Abs. 1 ZPO). Ziff. 19.1 AHB 2016 stellt somit auf einen anderen Zeitpunkt als § 111 Abs. 1 S. 2 ab, wonach die Anweisung des VR, es auf einen Rechtsstreit mit dem Dritten ankommen zu lassen, maßgeblich ist. Da Ziff. 19.1 AHB 2016 die Beschränkung darauf, dass nur ein auf Weisung des VR geführter Rechtsstreit zur Kündigung berechtigt, nicht enthält, berechtigt hier auch die – seltene – Durchführung eines Haftungsprozesses auf Veranlassung des VN beide Parteien zur Kündigung. Erhebt der geschädigte Dritte lediglich eine Feststellungsklage, so genügt auch dies für ein Kündigungsrecht.142

III. AVB Vermögen 54 Nach § 9 Ziff. 2.1 AVB-Vermögen143 kann das Versicherungsverhältnis gekündigt werden, wenn eine Zahlung aufgrund eines Versicherungsfalles geleistet oder der Haftpflichtanspruch rechtshängig geworden oder der VN mit einem von ihm geltend gemachten Versicherungsanspruch rechtskräftig abgewiesen ist. Die AVB-Vermögen berechtigen also nicht nur bei der Erhebung einer Klage zur Kündigung, sondern auch im Falle der Zustellung eines Mahnbescheids (ungeachtet dessen, dass gem. § 696 Abs. 3 ZPO nach Erhebung eines Widerspruchs die Wirkungen der Rechtshängigkeit nur dann eintreten, wenn alsbald ein Termin anberaumt wird).144 Durch ein Prozesskostenhilfeverfahren wird der Haftpflichtanspruch noch nicht rechtshängig gemacht.145 Hingegen lösen ein Arrestprozess oder ein Verfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung das Kündigungsrecht aus. Des Weiteren berechtigt § 9 Ziff. 2.1 AVB-Vermögen beide Parteien für den Fall, dass die Deckungsklage rechtskräftig abgewiesen wird, der VR somit zu Recht die Deckung verweigert hat, zur Kündigung. Ein Kündigungsrecht bei zu Unrecht erfolgter Ablehnung des Freistellungsanspruches besteht nicht. Entgegen Lücke zieht das aber nicht die Unwirksamkeit von § 9 Ziff. 2.1 AVB Vermögen nach sich,146 weil in diesem Fall der VR zur Leistung (Zahlung) verpflichtet und der VN unter diesem Gesichtspunkt zur Kündigung berechtigt ist.

H. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich 55 Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 111 ist § 158 VersVG, der wortgleich mit § 158 Abs. 1 und 2 a. F. ist. Nimmt man die österreichische Rechtsprechung und Literatur in den Blick, lassen sich nur kleine Unterschiede in der Rechtsanwendung feststellen. Der OGH hat mehrfach ausdrücklich eine Verpflichtung des VR zur Zurückweisung unwirksamer Kündigun-

142 Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt AHB § 19 Rn. 15; zu Einzelheiten s. Bruck/Möller/R. Koch Bd. 4 Ziff. 19 AHB Rn. 2 ff. Vgl. § 1 S. 1 AVB Vermögen, abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke Kap. 250. Prölss/Martin/Lücke AVB Verm § 9 Rn. 5. Prölss/Martin/Lücke AVB Verm § 9 Rn. 5. Prölss/Martin/Lücke AVB Verm § 9 Rn. 8.

143 144 145 146

Koch

452

H. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 111

gen jeder Art unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben anerkannt.147 Die Klärung der Vertragslage sei bei einer unklaren oder rechtlich mangelhaften Kündigung sowohl für den Fall des Eintritts des Versicherungsfalles als auch im umgekehrten Fall dringend geboten. Deshalb müsse der VR eine Klärung unverzüglich einleiten.148 Die nicht rechtzeitige Zurückweisung „einer – aus welchen Gründen immer – unwirksamen Kündigung ist als Zustimmung zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses oder als Verzicht auf die Geltendmachung der aus der Verspätung oder der Unwirksamkeit einer Kündigung abgeleiteten Rechtsfolgen anzusehen“.149 Im Gegensatz zu den vorbezeichneten Urteilen des BGH wendet der OGH diesen Grundsatz auch zuungunsten des VN an, wenn der Schadensfall nach der Kündigung eintritt.150

II. PEICL Die PEICL sehen kein Sonderkündigungsrecht der Parteien nach Eintritt des Versicherungsfalles 56 vor, sondern stellen in ihrem allgemeinen Teil, der für alle Versicherungszweige gilt, in Art. 2:604 Abs. 1 lediglich die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Kündigungsregelung auf. Die Beschränkung in Art. 2:604 Abs. 2 darauf, dass nicht nur die das Kündigungsrecht gewährende Regelung, sondern auch die Ausübung des Rechts angemessen sein müssen, ist dem deutschen Recht in Bezug auf die Schadensfallkündigung nicht bekannt. Abs. 3 räumt den Parteien ein im Vergleich zu § 111 um einen Monat längeres Recht zur Kündigung ein. Abs. 4 lässt dagegen im Fall der Kündigung durch den VR den Versicherungsschutz nicht erst nach einem Monat, sondern bereits nach 2 Wochen enden und ordnet diese Rechtsfolge auch im Fall der Kündigung durch den VN an.

147 Vgl. ÖOGH 30.3.2011 – 7 Ob 255/10s, ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00255.10S. 0330.000; ÖOGH 17.5.2001 – 7 Ob 97/01t, ECLI:AT:OGH0002:2001:0070OB00097.01T.0517.000; ÖOGH RIS-Justiz RS 0013443; ÖOGH 8.3.1990 – 7 Ob 10/90, VersR 1991 367, 368; ÖOGH 1.9.1983 – 7 Ob 2/83, VersR 1984 1208; ÖOGH 7.7.1983 – 7 Ob 63 & 64/82, VersR 1985 175, 176. 148 ÖOGH 1.9.1983 – 7 Ob 2/83, VersR 1984 1208; ÖOGH 7.7.1983 VersR 1985 175, 176. 149 ÖOGH 8.3.1990 – 7 Ob 10/90, VersR 1991 367, 368. 150 Vgl. ÖOGH 8.3.1990 – 7 Ob 10/90, VersR 1991 367, 368. 453

Koch

§ 112 Abweichende Vereinbarungen Von den §§ 104 und 106 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Schrifttum Baumann Zur unmittelbaren Schadensersatzpflicht des Haftpflichtversicherers gegenüber dem Dritten – Folgerungen aus dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz –, VersR 2004 944; Gebauer Grenzen der Ausgestaltung weicher Tarifmerkmale, NVersZ 2000 7; Klimke Die halbzwingenden Vorschriften des VVG (2003); Kretschmar Die zeitliche Abgrenzung des Versicherungsschutzes in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung unter besonderer Berücksichtigung des AGB-Gesetzes und internationaler Deckungskonzepte (2002); ders. Reichweite und Wirksamkeit von Führungsklauseln in der D&O-Versicherung, VersR 2008 33; Langheid Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, NJW 2007 3665 und 3745; Präve Das neue Versicherungsvertragsgesetz, VersR 2007 1046; Schirmer Allgemeine Versicherungsbedingungen im Spannungsfeld zwischen Aufsicht und AGB-Gesetz, ZVersWiss 75 (1986) 509; ders. Die Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, ZVersWiss Supplement 2006 427; Schmalzl/Krause-Allenstein Berufshaftpflichtversicherung des Architekten und des Bauunternehmers 2. Auflage (2006); Schwintowski Lücken im Deckungsumfang der Allgemeinen Haftpflichtversicherung, VuR 1998 35; ders. Neuerungen im Versicherungsvertragsrecht, ZRP 2006 139; Staudinger/Richters D&O-Versicherung: Anforderungen an den Eintritt des Versicherungsfalls nach Abtretung des Freistellungsanspruchs, DB 2013 2725; Thalmair Die Haftpflichtversicherung nach der VVG-Reform, ZVersWiss Supplement 2006 459; Werber Halbzwingende Vorschriften des neuen VVG und Inhaltskontrolle, VersR 2010 1253; Graf v. Westphalen Änderungsbedarf in der Haftpflichtversicherung (AHB) aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, NVersZ 2002 241.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

II.

Inhalt und Normzweck

2

III.

Anwendungsbereich

B.

Für den VN nachteilige Abweichung von 4 §§ 104 und 106

I.

Ermittlung des Inhalts der Vereinbarung

II.

Abweichende Vereinbarung und einseitiger Ver6 zicht

III.

Rechtsfolgen

I.

Unwirksamkeit der abweichenden Vereinba9 rung

II.

Großrisiken und laufende Versicherun11 gen

D.

Beweislast

E.

Abdingbarkeit

F.

Österreichisches Recht/Principles of Europe14 an Insurance Contract Law (PEICL)

I.

Österreich

II.

PEICL

3

Nachteilskompensation?

8

9

C.

12 13

5

14 15

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 112 ist die Nachfolgeregelung zu § 158a a. F., der durch Gesetz vom 7.11.19391 Eingang in das VVG gefunden hatte. Während § 158a a. F. bestimmte, dass sich der VR auf eine für den VN 1 RGBl. I S. 2223. Koch https://doi.org/10.1515/9783110522662-014

454

B. Für den VN nachteilige Abweichung von §§ 104 und 106

VVG § 112

nachteilige Abweichung „nicht berufen kann“, heißt es nunmehr, dass von den in § 112 genannten Normen zum Nachteil des VN „nicht abgewichen werden kann“. Eine Begründung für diese abweichende Formulierung findet sich in den Gesetzesmaterialien nicht. In der Gesetzesbegründung findet sich nur der Hinweis darauf, dass die von § 112 „erfassten Vorschriften auch nach geltendem Recht halbzwingend [sind]“.2

II. Inhalt und Normzweck § 112 fasst die halbzwingenden Bestimmungen des Haftpflichtversicherungsrechts zusammen 2 und dient insoweit der Klarstellung. Der VR kann weder formular- noch individualvertragliche Vereinbarungen treffen, die für den VN nachteilig von den Vorschriften über die Anzeigepflichten des VN (§ 104) und die Fälligkeit der Versicherungsleistung (§ 106) abweichen. § 112 schränkt somit die Vertragsfreiheit des VR ein, um besonders wichtig erachtete Interessen des VN – über die Inhaltskontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen hinaus – zu schützen.3 Von den vorgenannten halbzwingenden Vorschriften abzugrenzen sind die zwingenden Vorschriften,4 die – soweit sie dem Schutz des geschädigten Dritten dienen – weder zugunsten noch zuungunsten des VN abgeändert werden können. Zu den zwingenden Vorschriften des Haftpflichtversicherungsrechts zählen im Hinblick auf die darin vorgesehenen Rechtsfolgenanordnungen §§ 105 und 108 (vgl. § 105 Rn. 22 f.; § 108 Rn. 87 ff.).5 Nach ihrem Sinn und Zweck sind auch §§ 109 und 110 zwingend (vgl. § 109 Rn. 78; § 110 Rn. 42).6 Abdingbar – in den Grenzen der §§ 307 ff. BGB – sind §§ 100 bis 103, 107 und 111.

III. Anwendungsbereich § 112 findet keine Anwendung in der Seeversicherung (§ 209).

3

B. Für den VN nachteilige Abweichung von §§ 104 und 106 Ob eine für den VN nachteilige Abweichung vorliegt, ist durch eine Gegenüberstellung der 4 Vereinbarung und §§ 104 und 106 festzustellen. Im Versicherungsfalle ist zu fragen, ob der VN auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften besser stünde als unter Zugrundelegung der Abweichung. Was den personellen Schutzbereich von §§ 104 und 106 angeht, so sind nicht nur die Belange des VN, sondern auch die Belange versicherter Personen im Rahmen der Fremdversicherung eigenständig, d. h. nicht nur über den VN, geschützt.7

2 BTDrucks. 17/3945 S. 87. 3 Vgl. BGH 1.12.2004 – IV ZR 291/03, RuS 2006 142, 143; BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 112 Rn. 3. 4 Zur Unterscheidung der Normtypen des VVG s. Bruck/Möller/K. Johannsen/R. Koch § 18 Rn. 2 ff.; Bruck/Möller/ Brömmelmeyer9 § 32 Rn. 5 ff.; Bruck/Möller/Schnepp9 § 87 Rn. 8 ff.; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 1 f.

5 Vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 112 Rn. 7 ff.; Langheid/Rixecker/Langheid § 112 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 112 Rn. 1; BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 112 Rn. 4.

6 Vgl. auch Langheid/Wandt/Littbarski § 112 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Langheid § 112 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 112 Rn. 1; BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 112 Rn. 4. 7 Vgl. BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 112 Rn. 6; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 11; a. A. Klimke 41. 455

Koch

§ 112 VVG

Abweichende Vereinbarungen

I. Ermittlung des Inhalts der Vereinbarung 5 Bei der Ermittlung des Inhalts der Vereinbarung gelten die allgemeinen Auslegungsregeln. Für die Auslegung einer Formularklausel kommt es somit „auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an, die sich am Wortlaut der Klausel und deren Sinn und Zweck orientieren“.8 Maßgebend ist der durchschnittliche VN, der zum Adressatenkreis der jeweiligen Versicherungsbedingungen gehört.9 Die Auslegung einer Individualvereinbarung richtet sich nach §§ 133, 157 BGB.10

II. Abweichende Vereinbarung und einseitiger Verzicht 6 Für den VN nachteilig sind Abweichungen, welche die nach § 104 vorgesehenen Anzeigeobliegenheiten des VN verschärfen, indem sie z. B. Anzeigefristen verkürzen, für die Anzeige besondere Formerfordernisse vorsehen oder für die Fristwahrung auf den Zugang der Anzeige abstellen. Von § 106 weichen Vereinbarungen zuungunsten des VN ab, welche die Fälligkeit der Versicherungsleistung hinausschieben oder von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen. Eine nachteilige Abweichung liegt auch vor, wenn die Verteilung der Beweislast zulasten des VN geändert wird11 oder die Anwendung der gesetzlichen Vorschrift durch eine vertragliche Regelung umgangen wird.12 Mit Blick auf den Schutzzweck von halbzwingenden Vorschriften können auch einseiti7 ge Willenserklärungen des VN, insbesondere Verzichtserklärungen, von § 112 erfasst werden, die im Zusammenhang mit Anzeigepflichten oder der Fälligkeit der Versicherungsleistung abgegeben werden.13 Der Verzicht auf halbzwingend geschützte Rechtspositionen im Rahmen eines (Prozess-)Vergleichs ist jedoch zulässig, selbst wenn er zum Nachteil des VN erfolgt.14

III. Nachteilskompensation? 8 Nach allgemeiner Ansicht können nachteilige Abweichungen – ähnlich wie im Rahmen der Inhaltskontrolle nach den § 307 BGB – durch für den VN vorteilhafte Regelungen ausgeglichen werden.15 Umstritten ist, ob die Prüfung der Vor- und Nachteile bei formularmäßigen Abwei-

8 BGH 18.6.2008 – IV ZR 87/07, VersR 2008 1107 = RuS 2008 381 f.; und ständig vgl. z. B. BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123 83, 85 = VersR 1993 957, 958; BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969, 970 = RuS 2000 480, 481. 9 BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969 = RuS 2000 480 f. 10 Vgl. BGH 17.1.2007 – VIII ZR 135/04, VersR 2007 799, 800 = NJW-RR 2007 705, 706; BGH 14.6.2006 – IV ZR 55/ 05, VersR 2006 1248, 1249 f. = NJW-RR 2006 1324, 1326; BGH 25.6.2002 – XI ZR 239/01, VersR 2003 1178, 1179 = NJW-RR 2002 1344 f.; BGH 2.7.1992 – I ZR 181/90, VersR 1992 1395, 1396 = NJW-RR 1992 1386, 1387; BGH 12.6.1985 – IVa ZR 261/83, VersR 1985 979, 980 = RuS 1985 228, 229. 11 Bruck/Möller/Brömmelmeyer9 § 32 Rn. 5; Klimke 39. 12 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 9. 13 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 7. 14 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 6. 15 Vgl. Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 18 Rn. 8; Bruck/Möller/Brömmelmeyer9 § 32 Rn. 8; Bruck/Möller/ Schnepp9 § 87 Rn. 13; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 12 ff. Koch

456

C. Rechtsfolgen

VVG § 112

chungen individuell-konkret16 oder generell-abstrakt17 zu erfolgen hat und wie eng der Bezug der vorteilhaften Regelung zur Abweichung sein muss. Dabei geht es um die Frage, ob die gegeneinander abzuwägenden Vor- und Nachteile aus der Regelung des gleichen rechtlichen Tatbestandes folgen müssen („enge Kompensationstheorie“) oder ob es ausreicht, dass Vor- und Nachteile als Inhalt einer einheitlichen vertraglichen Regelung aufeinander bezogen sind, auch wenn sie aus dem Regelungsbereich unterschiedlicher halbzwingender Vorschriften folgen („weite Kompensationstheorie“).18 Bezogen auf die in § 112 genannten Regelungen bedarf dieser Streit keiner Entscheidung, weil Kompensationsmodelle, die ausnahmsweise zur Zulässigkeit einer ansonsten nachteiligen Abweichung führen, weder bei der Fälligkeit der Versicherungsleistung noch – im Hinblick auf die Rechtsfolgen im Verletzungsfalle – bei den Anzeigeobliegenheiten ersichtlich sind.

C. Rechtsfolgen I. Unwirksamkeit der abweichenden Vereinbarung Vereinbarungen, durch die von den in § 112 genannten Normen zum Nachteil des VN abgewi- 9 chen wird, sind unwirksam. Zwar ergibt sich diese Rechtsfolge weder explizit aus dem Wortlaut des § 112 noch aus den Gesetzesmaterialien. Zu Recht weist Wandt darauf hin, dass sich aufgrund der Gesetzesbegründungen zu den Halbzwingend-Anordnungsvorschriften (vgl. §§ 18, 32, 42, 52 Abs. 5, 87, 129, 171, 191 und 208) „weder sicher darauf schließen [lässt], dass der Gesetzgeber die unterschiedlichen Formulierungen mit Bedacht gewählt hätte, noch darauf, dass er mit der veränderten Formulierung von der Rechtsfolge des VVG a. F. abweichen wollte“.19 Jedoch indiziert der Ausschluss des rechtlichen Könnens die Unwirksamkeit einer abweichenden Vereinbarung.20 Im Übrigen sprechen für die Unwirksamkeit einer abweichenden Vereinbarung gesetzessystematische Überlegungen. Zum einen wird die Formulierung des Nicht-abweichenKönnens i. S. d. Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen verwendet in § 651y BGB,21 § 451h Abs. 1 HGB22 und § 255 Abs. 3 InsO.23, 24 Zum anderen wird die von §§ 312k, 487, 511, 655e, 675e BGB verwendete Formulierung des Nicht-abweichen-Dürfens, die eine Abschwächung gegenüber dem Nicht-abweichen-Können bedeutet,25 ebenfalls i. S. d. Unwirksamkeit einer abweichenden Vereinbarung verstanden.26

16 Bruck/Möller/Schnepp9 § 87 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 18 Rn. 4. 17 H. M., vgl. OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06-81, VersR 2008 621, 622; OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/ 06, VersR 2008 383, 384; OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62; OLG Hamm 24.9.1999 – 20 W 10/99, NVersZ 2000 517, 518; OLG Hamm 28.1.1992 – 20 U 305/91, NJW-RR 1992 1058; BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 112 Rn. 5; Bruck/Möller/Brömmelmeyer9 § 32 Rn. 10; Bruck/Möller/K. Johannsen/Koch § 18 Rn. 4. 18 Vgl. Gebauer NVersZ 2000 7, 12 f.; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 14. 19 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 18. 20 BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 112 Rn. 7; Langheid/Wandt/Bruns § 307 BGB Rn. 127; Bruck/Möller/K. Johannsen/ R. Koch § 18 Rn. 5; Bruck/Möller/Brömmelmeyer9 § 32 Rn. 22; Bruck/Möller/Schnepp9 § 87 Rn. 16; Langheid/Wandt/ Wandt § 32 Rn. 18. 21 MüKo-BGB/Tonner § 651y Rn. 1. 22 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Heublein § 451h Rn. 3; Oetker/Paschke § 451h Rn. 1. 23 MüKo-InsO/Huber § 255 Rn. 38 f. 24 Nach Ansicht des BGH 31.3.2010 – I ZR 34/08, NJW 2011 76 Rn. 25, 1118 begründet auch die Formulierung des „Nicht-berufen-Könnens“ nach § 475 Abs. 1 BGB a. F. die Unwirksamkeit einer von den gesetzlichen Gewährleistungsvorschriften abweichenden Vereinbarung. 25 Vgl. MüKo-BGB/Wendehorst § 312k Rn. 9; MüKo-BGB/Franzen § 487 Rn. 6; MüKo-BGB/Schürnbrand § 511 Rn. 6; Staudinger/Herresthal (2020) § 655e Rn. 4. 26 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 18. 457

Koch

§ 112 VVG

10

Abweichende Vereinbarungen

Die Unwirksamkeit wirkt ipso iure, d. h. sie ist von Amts wegen zu beachten, ohne dass es einer irgendwie gearteten Geltendmachung durch den VN bedarf. Die Unwirksamkeit ist nach Sinn und Zweck des § 112 auf die abweichenden Vereinbarungen beschränkt. Eines Rückgriffs auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§§ 139, 306 BGB) bedarf es weder bei Formular- noch bei Individualvereinbarungen.27 Gleichwohl unterliegen für den VN nachteilige Formularabweichungen auch der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB und sind an der halbzwingenden Norm zu messen.28 Dies hat zur Folge, dass eine Überprüfung im Verbandsprozess (§ 1 UKlaG) möglich ist29 und das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion übermäßiger Klauseln zur Anwendung kommt.30 Eine Abweichung von einer halbzwingenden Vorschrift zum Nachteil des VN begründet stets eine unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

II. Großrisiken und laufende Versicherungen 11 Die Beschränkungen des § 112 gelten nicht bei der Versicherung von Großrisiken i. S. v. § 210 Abs. 2 und laufenden Versicherungen (§ 53). Das bedeutet jedoch nicht, dass die in § 112 genannten Vorschriften keine Anwendung finden. Ebenso wie § 187 a. F. erklärt § 210 Abs. 1 nicht die zwingenden Vorschriften selbst für unanwendbar, sondern nur die Beschränkung der Vertragsfreiheit.31 §§ 104 und 106 bleiben deshalb als dispositives Recht anwendbar, solange sie von den Parteien nicht abbedungen werden. Formularmäßige Abweichungen unterliegen der Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB,32 individualvertragliche Abweichungen den allgemeinen Schutzregeln des BGB (z. B. §§ 138, 826 BGB).

D. Beweislast 12 Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast folgt allgemeinen Regeln. Beruft sich der VN auf die Unwirksamkeit einer Klausel, trägt er die Beweislast für die tatsächlichen Umstände, die die Unwirksamkeit begründen.33

E. Abdingbarkeit 13 § 112 ist selbst als halbzwingende Norm zu qualifizieren. Von ihr kann zum Vorteil des VN abgewichen werden, z. B. indem die Parteien die dispositiven Regelungen des Haftpflichtversicherungsrechts (§§ 100 bis 103, 107 und 111) für halbzwingend erklären.34 27 Teilweise a. A. Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 25: Halbzwingend-Anordnungsvorschriften des VVG sind lex specialis und verdrängen § 139 BGB nur dann, wenn es sich bei der abweichenden Vereinbarung um eine AVBRegelung handelt. 28 Vgl. BGH 18.3.2009 – IV ZR 298/06, RuS 2009 242, 243; BGH 2.3.1994 – IV ZR 109/93, RuS 1994 190, 191 = VersR 1994 549; BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, RuS 2008 25, 26 f. = VersR 2007 1690. 29 Vgl. Langheid/Wandt/Bruns § 307 BGB Rn. 135. 30 BGH 23.9.2010 – III ZR 246/09, NJW 2011 139, 141; BGH 19.11.2009 – III ZR 108/08, BGHZ 183 220, 225 f. = NJW 2010 1277, 1278; BGH 16.1.2003 – IX ZR 171/00, BGHZ 153 293, 300 = NJW 2003 1521, 1523 jew. m. w. N. 31 BGH 3.6.1992 – IV ZR 127/91, BGHZ 118 275, 278 f. = RuS 1992 395, 396. 32 Vgl. BGH 1.12.2004 – IV ZR 291/03, RuS 2006 142, 143; BGH 3.6.1992 – IV ZR 127/91, BGHZ 118 275, 280 = RuS 1992 395 f.; BGH 9.5.1984 – IVa ZR 176/82, VersR 1984 830, 832; OLG Frankfurt/M. 15.7.2020 – 7 U 47/19, RuS 2020 634, 635; vgl. auch Berliner Kommentar/Baumann § 158a Rn. 6 ff. 33 BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 112 Rn. 10. 34 Vgl. Langheid/Wandt/Littbarski § 112 Rn. 5; BeckOK VVG/Gädtke/Car VVG § 112 Rn. 10; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 46. Koch

458

F. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

VVG § 112

F. Österreichisches Recht/Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) I. Österreich Die Parallelvorschrift im österreichischen Recht zu § 112 ist § 158a VersVG, dessen Absatz 1 14 wortgleich mit § 158a a. F. ist. In § 158a Abs. 2 VersVG ist bestimmt, dass von § 158 VersVG (Kündigung im Fall des Eintritts des Versicherungsfalles) durch Vereinbarung nur in der Weise abgewichen werden darf, dass das Kündigungsrecht für beide Teile gleich ist.

II. PEICL Art. 1:103 Abs. 1 enthält einen Katalog von Vorschriften, die unabdingbar sind. Vorschriften zur 15 Haftpflichtversicherung sind in diesem Katalog nicht enthalten. Art. 1:103 Abs. 2 bestimmt, dass von allen anderen, nicht im Katalog enthaltenen Bestimmungen der Vertrag abweichen kann, solange sich diese Abweichung nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten auswirkt. Insoweit sind alle Vorschriften der PEICL halbzwingend. Etwas anderes gilt für Großrisiken. Bei Verträgen über Großrisiken sind nach Art. 1:103 Abs. 3 S. 1 Abweichungen zum Vorteil jeder Partei zulässig.

459

Koch

Abschnitt 2 Pflichtversicherung Vorbemerkungen zu den §§ 113–124 Schrifttum Armbrüster Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung RuS 2010 441; ders. Weiterbildungspflicht und Pflicht-Haftpflichtversicherung für Wohnungsimmobilienverwalter, ZWE 2018 15; Bangert Der Direktanspruch im deutschen und englischen Haftpflichtversicherungsrecht (2018); Barner Die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (1991); Bernau Versicherungspflicht für das Schadensrisiko Kind? VersR 2005 1346; Boettge Versicherungsrechtliche Probleme der Straßengüterkabotage, VersR 2011 21; Büchner Zur Theorie der obligatorischen Haftpflichtversicherung (1970); Bunte Versicherungspflicht, in: Bunte, Lexikon des Rechts Versicherungsrecht (1998) 238; Dallwig Deckungsbegrenzungen in der Pflichtversicherung (2011); Deiters Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch privatrechtliche Pflichtversicherungen, Festschrift R. Schmidt (1976) 379; Drasdo Gewerberechtliche Neuregelungen für Makler und Wohnimmobilienverwalter, NVwZ 2018 31; Franck Richtlinienkonforme Auslegung der Vorschriften über die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Pflichtversicherung, VersR 2013 13; Freise Versicherungspflicht der Eisenbahnen, VersR 2019 1259; Hedderich Pflichtversicherung (2011); Hersch/Hersch Die Haftpflichtversicherung der Heilberufe als Pflichthaftpflichtversicherung, RuS 2016 541; Hinteregger Die Pflichthaftpflichtversicherung aus zivilrechtlicher Sicht, VersRdsch 2005 44; Hohlbein Nicht vollstreckbares Schmerzensgeld – eine Gerechtigkeitslücke, VersR 2020 1162; Keppel Die Pflichthaftpflichtversicherung nach der VVG-Reform (2010); R. Koch Pflichtversicherung, in: Basedow/Hopt/Zimmermann, Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. II (2009) 1160; Krause-Allenstein Praxisrelevante Änderungen des Versicherungsvertragsgesetzes für das Bauversicherungsrecht, NZBau 2008 81; Looschelders Grundfragen der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung und der Vertrauensschadenversicherung im Spiegel der neueren Rechtsprechung, VersR 2021 337; Micha Der Direktanspruch im europäischen Internationalen Recht (2010); J. Müller Brauchen wir eine Pflichtversicherung für Insolvenzverwalter? AnwBl. 2008 536; v. Puskás Pflichtversicherung, in: HdV (1988) 513; Reiff Sinn und Bedeutung von Pflichthaftpflichtversicherungen, TranspR 2006 15; M. Roth Verpflichtende Elementarschadenversicherung – Ausländische Vorbilder und Zulässigkeit einer deutschen Regelung, NJW 2021 2999; W.-H. Roth Verfassungsrecht, Wettbewerbsrecht, Europarecht, in: Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens, Band 30, Pflichtversicherung – Segnung oder Sündenfall – (2005) 141; Rubin Der Begriff der Pflichtversicherung, VersRdsch 2007 21; Sarna Anwendbarkeit der VVG-Pflichtversicherungsvorschriften auf die Probandenversicherung? PaPfleReQ 2010 56; Schimikowski Gefahren der Gentechnik – Haftung und Deckungsvorsorge, ZfV 1991 414; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. (2015), § 24 Rn. 161 ff.; Schwab 50 Jahre Direktanspruch in Deutschland – offene Rechtsfragen, DAR 2015 270; Schwintowski Pflichtversicherungen aus der Sicht der Verbraucher, in: Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens, Band 30, Pflichtversicherung – Segnung oder Sündenfall (2005) 47; ders. Plädoyer für mehr Pflicht-Haftpflicht-Versicherungen, VuR 2013 52; Sieg Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung (1952); Thees Zur Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter, ZVersWiss 1940, 11; von der Schulenburg, Pflichtversicherung – ein historischer Rückblick, in: Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens, Band 30, Pflichtversicherung – Segnung oder Sündenfall (2005) 13; Wilke Versicherungsschutz für private Halter und Steuerer von Drohnen im Rahmen einer Privathaftpflichtversicherung, DAR 2018 288; Wilke/Schimikowski Drohnen und Privathaftpflichtversicherung, RuS 2019 490.

Übersicht 1

A.

Systematik und Entwicklung

I.

Behandlung von Pflichtversicherungen im VVG 2 1908 3

II.

Entwicklung von Pflichtversicherungen

B.

Überblick über den Inhalt der §§ 113–124 und 7 Vergleich zum früheren VVG

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522662-015

C.

Zweck und Legitimation von Pflichthaft15 pflichtversicherungen

I.

Grundsätzliches

II.

Rechtliche Zulässigkeitsaspekte

III.

Ökonomische Aspekte

15 25

32

460

A. Systematik und Entwicklung

VVG Vor §§ 113–124

D.

Zweck der besonderen Regelungen über die 33 Pflichthaftpflichtversicherung

II.

Diskutierte Pflichthaftpflichtversicherungen/ 40 Entwicklungen aus jüngerer Zeit

E.

Pflichthaftpflichtversicherungen und Haf36 tungsrecht

G.

Übergangsrecht

H.

Abdingbarkeit und Rechtswahl

F.

Anwendungsbereich

I.

Pflichthaftpflichtversicherungen

51 52

37 38

A. Systematik und Entwicklung Teil 2 des VVG (§§ 100 bis 208) regelt „einzelne Versicherungszweige“, wobei zu Beginn in Kapi- 1 tel 1 (§§ 100 bis 124) die Vorschriften zur „Haftpflichtversicherung“ zu finden sind. Dieses Kapitel zur Haftpflichtversicherung untergliedert sich wiederum in zwei Abschnitte: Abschnitt 1 (§§ 100 bis 112) enthält „allgemeine Vorschriften“; in Abschnitt 2 (§§ 113 bis 124) finden sich ausweislich der amtlichen Überschrift besondere Regelungen zur „Pflichtversicherung“ (zum Begriff unter Rn. 7).

I. Behandlung von Pflichtversicherungen im VVG 1908 Besondere Regelungen zur Pflichtversicherung fanden sich noch nicht im VVG 1908. Vielmehr 2 wurden solche Regelungen erst im Zuge der Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter eingeführt, welche mit Gesetz vom 7.11.19391 vorgeschrieben wurde. Zugleich wurden in den §§ 158b ff. VVG a. F. allgemeine Regelungen über Pflichtversicherungen erlassen. Demgemäß fanden die §§ 158b ff. VVG a. F. vor allem auf die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Anwendung. Als im Jahre 1965 das Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (PflVG) neugefasst wurde,2 erhielt wiederum § 3 PflVG in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ausdrückliche Sonderregelungen insbesondere gegenüber §§ 158c ff. VVG a. F. (zum Vergleich dieser vor der VVG-Reform 2008 geltenden früheren Regelungen zum aktuellen VVG vgl. unter Rn. 7 ff.).

II. Entwicklung von Pflichtversicherungen Obgleich das VVG 1908 keine besonderen Regelungen zur Pflichtversicherung enthielt (siehe 3 Rn. 2), reichen Anfänge von Pflichtversicherungen3 bis in das 16. Jahrhundert zurück. Angefangen von Brandgilden4 entwickelten sich insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert Feuerkassen, Feuer-

1 Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag v. 7.11.1939, RGBl. I 2223; dazu etwa Barner Die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (1991). 2 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter v. 5.4.1965, BGBl. I 213. 3 Nach der Begriffsbestimmung des heute geltenden § 113 Abs. 1 sind mit Pflichtversicherungen Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht, gemeint (dazu noch Rn. 7); die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst auf Pflichtversicherungen aller Art. 4 Zu noch früheren Sippen und Nachbarschaften Bruck/Möller/Sieg/Johannsen8 Bd. III Feuerversicherung Anm. A 50; P. Koch Geschichte der Versicherungswirtschaft in Deutschland (2012) 15, 26 ff. 461

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

Vorbemerkungen

sozietäten und Brandversicherungsanstalten.5 Als Anfänge moderner Feuerversicherung werden etwa die Brandgilde 1537 in Süderau, ab 1591 die Hamburger Feuerkontrakte und die 1676 gegründete Hamburger „General Feuer Cassa“ genannt.6 Letztere gilt als erste größere Versicherungseinrichtung der deutschen Geschichte.7 Indes basierten diese Entwicklungen noch auf freiwilliger Basis. Erst ab Beginn des 18. Jahrhunderts entwickelten sich mit der Berliner Feuersozietät und folgenden Gebäude-Feuerversicherungsanstalten Versicherungen auf der Grundlage eines Versicherungszwanges.8 Bis Ende des 18. Jahrhunderts existierte in jeder deutschen Stadt eine eigene öffentlich-rechtliche Gebäude-Feuerversicherungsanstalt.9 Andere Pflichtversicherungen betrafen gegen Ende des 19. Jahrhunderts etwa staatliche Schlachtviehversicherungsanstalten.10 Im vergangenen Jahrhundert nahmen die Pflichthaftpflichtversicherungen eine enorme 4 Entwicklung und bilden heute den Schwerpunkt der Pflichtversicherungen,11 was letztlich auch durch die besonderen Vorschriften der §§ 113 bis 124 für Pflichthaftpflichtversicherungen zum Ausdruck kommt. Während die Hamburgische Pflichtversicherung von 1837 für Auswanderungs-Expedien5 ten12 noch als legislatorischer Exot13 bezeichnet wurde, erlangten die Luftfahrthaftpflichtversicherung aus dem Jahre 1922 und auch die Jagdhaftpflichtversicherung aus dem Jahre 1934 bereits größere Bedeutung.14 Ungeachtet der bereits 1909 eingeführten Gefährdungshaftung für den Betrieb von Kraftfahrzeugen15 wurde eine entsprechende Versicherungspflicht erst 1939 mit dem Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter erlassen (Fn. 1). Mit der Einführung der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung einher ging der Erlass von besonderen Vorschriften über die Pflichtversicherung in den §§ 158b ff. VVG a. F., die im Zuge der VVG-Reform 2008 durch die §§ 113–124 ersetzt worden sind. 6 Auch vor Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter im Jahre 1939 bestand bereits die Möglichkeit, Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen abzuschließen. Ursprünglich aus den USA stammend, gelangte diese Versicherung über England auch nach Deutschland. Entsprechende Versicherungen wurden ab 1899 angeboten, etwa durch den Allgemeinen Deutschen Versicherungs-Verein in Stuttgart.16

B. Überblick über den Inhalt der §§ 113–124 und Vergleich zum früheren VVG 7 Wenn auch Abschnitt 2 und damit die §§ 113–124 sowie auch § 113 mit der Überschrift „Pflichtversicherung“ bezeichnet sind, beziehen sich die Vorschriften des Abschnitts 2 ausweislich der Regelung des § 113 Abs. 1 auf Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung 5 Hedderich Pflichtversicherung 13 ff.; v. Puskáz in: HdV 513; vgl. auch P. Koch Geschichte der Versicherungswirtschaft in Deutschland (2012) 5, wonach solche Brandgilden als Ursprung des Versicherungszweiges nach dem Gegenseitigkeitsprinzip gelten. 6 Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 6 f.; Hedderich Pflichtversicherung 13 f. 7 Hedderich Pflichtversicherung 13; Kummle Versicherungspflicht, Versicherungsmonopol und Versicherungsverhältnis in der Gebäudeversicherung (1989) 5 f.; Seydel Die öffentlich-rechtlichen Gebäudeversicherungsanstalten (1991) 3 f. 8 Hedderich Pflichtversicherung 14 f. m. w. N. 9 Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 7; vgl. auch Hedderich Pflichtversicherung 15 jeweils m. w. N. 10 v. Puskáz in: HdV 513. 11 v. Puskáz in: HdV 513. 12 Vgl. Späte 1. Aufl. 1993 AHB Vorbem. Rn. 8; Langheid/Wandt/Littbarski2 Vorbem. §§ 100–112 Rn. 6; Looschelders/ Pohlmann/Schwienhorst3 Vorbem. §§ 100 Rn. 2. 13 Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 10. 14 Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 11; v. Puskáz in: HdV 513. 15 Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen v. 3.5.1909, RGBl. I 437. 16 Vgl. zum Vorstehenden Barner 9; ebenfalls zur Entwicklung der Haftpflichtversicherung Bruck/Möller/R. Koch10 Vorbem. vor §§ 100–112 Rn. 28 ff. Beckmann

462

B. Überblick und Vergleich mit VVG a.F.

VVG Vor §§ 113–124

durch Rechtsvorschrift besteht. Für solche Pflichthaftpflichtversicherungen gelten die in Rede stehenden Sondervorschriften der §§ 113–124. Die Legaldefinition in § 113 Abs. 1 wird indes als misslungen bezeichnet. Dies hängt damit zusammen, dass es Pflichtversicherungen nicht nur im Bereich der Haftpflichtversicherung, sondern beispielsweise auch im Bereich der privaten Krankenversicherung, der privaten Pflegeversicherung oder der privaten Unfallversicherung gibt.17 Auf diese Pflichtversicherungen finden die §§ 113–124 keine Anwendung, da es sich nicht um Haftpflichtversicherungen handelt. Auch § 9 Abs. 4 Nr. 4 VAG verwendet den Begriff der Pflichtversicherung in einem über § 113 Abs. 1 hinausgehenden Sinn.18 Indes ließe sich der Klammerzusatz in § 113 Abs. 1 Satz 1 („Pflichtversicherung“) nur auf einen Teil des Relativsatzes („zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht (Pflichtversicherung)“) und nicht auf den vorstehenden Begriff „Haftpflichtversicherung“ beziehen. Bei dieser Lesart wäre nach der Legaldefinition des § 113 Abs. 1 eine Pflichtversicherung eine Versicherung, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht.19 Allerdings verwendet das Gesetz im gesamten 2. Abschnitt den Begriff „Pflichtversicherung“, obgleich dieser Abschnitt nur Pflichthaftpflichtversicherungen erfasst. Ferner bezieht sich der Relativsatz durch die Verwendung des Relativpronomens auch auf die Haftpflichtversicherung. Man wird letztlich sagen können, dass § 113 Abs. 1 klarstellt, was vom Gesetzgeber mit Pflichtversicherung im 2. Abschnitt gemeint ist. Trotz der Aufforderung, klarstellend stets von Pflichthaftpflichtversicherung20 zu sprechen, ist daher davon auszugehen, dass statt von Pflichthaftpflichtversicherung im Zusammenhang mit den §§ 113–124 auch nur von Pflichtversicherung die Rede ist und die Begriffe Pflichthaftpflichtversicherung und Pflichtversicherung jedenfalls in diesem Zusammenhang synonym gebraucht werden. Wie schon eingangs erwähnt (oben Rn. 2) fanden sich vor der VVG-Reform 2008 besondere 8 Vorschriften für Pflichthaftversicherungen im früheren VVG in den §§ 158b–158k VVG a. F. und für die Kfz-Haftpflichtversicherung insbesondere in § 3 PflVG a. F. Mit der VVG-Reform im Jahr 2008 wurde dann ein eigener Abschnitt für Pflichthaftpflichtversicherungen in den §§ 113–124 im VVG geschaffen; wesentliche Inhalte des § 3 PflVG wurden mit in die §§ 113–124 übernommen, auch wenn sich in § 3 PflVG weiterhin Sonderbestimmungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung finden. Eine wesentliche Änderung besteht insbesondere darin, dass der Direktanspruch des geschädigten Dritten gegen den HaftpflichtVR, der vor der VVG-Reform speziell für die Kfz-Haftpflichtversicherung in § 3 Nr. 1 PflVG a. F. geregelt war, nun in § 115 normiert ist und mit den Nr. 1 und 2 des 1. Absatzes einen im Vergleich zu § 3 Nr. 1 PflVG a. F. erweiterten Anwendungsbereich erhalten hat (vgl. noch Rn. 11). Im Zuge der Reform 2008 hat der Gesetzgeber die § 158b Abs. 1 VVG entlehnte Legaldefiniti- 9 on der Pflicht(haftpflicht)versicherung (siehe dazu Rn. 7) in § 113 Abs. 1 um die zuvor nicht ausdrücklich im VVG vorzufindende Regelung, wonach eine Pflichthaftpflichtversicherung mit einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen abzuschließen ist, ergänzt. Für die Kfz-Haftpflichtversicherung fand sich eine entsprechende Regelung bereits früher in § 5 Abs. 1 PflVG und ist dort auch weiterhin verortet. Von der zuvor genannten Weiterung abgesehen entspricht § 113 im Wesentlichen der Rechtslage vor der VVG-Reform 2008. So war eine dem § 113 Abs. 2 entsprechende Vorschrift früher in § 158b Abs. 2 VVG a. F. vorhanden; § 113 Abs. 3 fand eine Entsprechung in § 158k VVG a. F. § 114 Abs. 1 regelt die Höhe der Mindestversicherungssumme bei einer Pflichthaftpflicht- 10 versicherung für den Fall, dass eine solche Mindestversicherungssumme nicht in einer anderen Rechtsvorschrift vorgegeben ist. Vielfach finden sich solche vorrangigen Sondervorschriften. Dies gilt insbesondere für die Mindestversicherungssumme in der Kfz-Haftpflichtversicherung gem. Anlage zu § 4 Abs. 2 PflVG oder für die Berufshaftpflichtversicherung für Versicherungsver17 18 19 20 463

Vgl. Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 1; Wandt6 Rn. 1099. Wandt6 Rn. 1099. Vgl. zu diesem Begriffsverständnis Wandt6 Rn. 1099. Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 1; Wandt6 Rn. 1099. Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

Vorbemerkungen

mittler gem. § 12 Abs. 2 VersVermV. In § 114 Abs. 2 findet sich eine Regelung zum Vertragsinhalt von Pflichthaftpflichtversicherungen, insbesondere inwieweit im Versicherungsvertrag Inhalt und Umfang der Pflichtversicherung bestimmt werden kann, sowie zu den Wirkungen eines Selbstbehalts gegenüber geschädigten Dritten. Eine dem § 114 entsprechende Regelung fand sich im früheren VVG nicht. 11 Gleichfalls im Zuge der VVG-Reform 2008 fand der in § 115 geregelte Direktanspruch (Rn. 8) des geschädigten Dritten gegen den HaftpflichtVR Eingang in das VVG. Eine entsprechende Regelung fand sich vor der VVG-Reform für die Kfz-Haftpflichtversicherung in § 3 Nr. 1 PflVG a. F. Gerade der 2008 neu geregelte Direktanspruch stand während der Arbeiten um die VVG-Reform in einer rechtspolitischen Diskussion. So hatte sich zunächst die VVG-Kommission für einen Direktanspruch in allen Pflichthaftpflichtversicherungen ausgesprochen.21 Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass sich der Direktanspruch gegen den VR in der Kfz-Haftpflichtversicherung bewährt habe. Er erleichtere dem Geschädigten die Realisierung von Ersatzansprüchen. Außerdem stelle die Einführung des Direktanspruchs bei allen Pflichtversicherungen einen vorweggenommenen Beitrag zur Harmonisierung in der EU dar, weil andere Mitgliedstaaten den Direktanspruch zum Teil schon vor langer Zeit eingeführt hätten und darauf kaum wieder verzichten würden. Demgegenüber wurde gegen einen allgemeinen Direktanspruch insbesondere ins Feld geführt, dass dessen Einführung zu erheblichen Prämiensteigerungen im Bereich der Pflichtversicherung führen werde.22 Im Gesetzgebungsverfahren folgte man zunächst dem Kommissionsentwurf und stellte insbesondere ebenfalls darauf ab, dass sich der Direktanspruch in der Kfz-Haftpflichtversicherung bewährt habe und generell für alle Pflichtversicherungen eingeführt werden solle.23 Im Rechtsausschuss des Bundestages konnte sich dieser Standpunkt indes nicht durchsetzen. Nach dessen Auffassung sollte der Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung auf die unter Verbraucherschutzgesichtspunkten wesentlichen Problembereiche zurückgeführt werden, namentlich bei Insolvenz des VN oder bei unbekanntem Aufenthaltsort des VN.24 Diese Haltung des Rechtsausschusses setzte sich letztendlich durch. Es bleibt weiter abzuwarten, ob es sich bei diesem begrenzten Anwendungsfeld des Direktanspruches um eine dauerhafte Lösung handelt oder die Anwendung des Direktanspruches zumindest auch auf andere sensible Gebiete – etwa die Arzthaftpflicht – ausgedehnt werden wird.25 Die Kfz-Haftpflichtversicherung hat zweifelsohne besondere Bedeutung und der hier vorzufindende Direktanspruch gegen den VR hat sich nach wohl ganz überwiegender Ansicht bewährt. Für die Einführung einer Pflichtversicherung bedarf es einer grundsätzlichen Legitimation (vgl. noch Rn. 15 ff.); besteht gerechtfertigter Anlass für eine Pflichtversicherung, so erscheint es naheliegend, solche Pflichtversicherungen nach möglichst einheitlichen Rahmenbedingungen zu regeln. Hierin liegt auch ein Zweck der §§ 113 ff. Der genannte ursprüngliche Vorschlag der Reformkommission im Hinblick auf einen einheitlichen Direktanspruch war deshalb durchaus nachvollziehbar und ist zu Recht auf Zustimmung gestoßen (dazu noch § 115 Rn. 2),26 so dass weiterhin die unterstützenswerte Forderung der „Korrektur der bedauerlichen Rückführung des gesetzlichen Direktanspruchs auf die ‚unter Verbraucherschutzgesichtspunkten we-

21 Vgl. § 116 KomE, dazu dort S. 82 f. 22 Stellungnahme des GDV vom 7.6.2004 zum Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts S. 71 f. (abrufbar unter http://www.hzv-uhh.de/bereiche/versicherungsrecht/vvg-reform.html [Abrufdatum 15.3.2013]); vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 33 Fn. 172; vgl. dazu auch § 115 Rn. 2. 23 RegE, BTDrucks. 16/3945 S. 88 f. 24 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BTDrucks. 16/5862 S. 38, 99. 25 Dafür etwa Schwab DAR 2015 570, 576; kritisch gegenüber dem eingeschränkten Anwendungsbereich auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 8. 26 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 162; R. Koch RuS 2009 133, 134 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 115 Rn. 5 ff. Beckmann

464

C. Zweck und Legitimation von Pflichthaftpflichtversicherungen

VVG Vor §§ 113–124

sentlichen Problembereiche‘ im Zuge der VVG Reform 2008“ und eine Erstreckung auf sämtliche Pflichthaftpflichtversicherungen erhoben wird.27 Da sich der Direktanspruch nunmehr nicht mehr alleine auf die Kfz-Haftpflichtversicherung 12 bezieht, sondern jetzt auch auf die weiteren Fälle des § 115 Abs. 1 Nr. 2 (Insolvenz des VN)28 und Nr. 3 (unbekannter Aufenthalt des VN), wurden einzelne bisher in § 3 PflVG vorzufindende Regelungen in das VVG 2008 übernommen.29 Daher wurden auch weitere Vorschriften im Zusammenhang mit dem Direktanspruch gem. § 3 Nr. 1 PflVG a. F. in den neuen Abschnitt über die Pflichtversicherung in das VVG 2008 aufgenommen. So entspricht die Vorschrift des § 116 dem früheren § 3 Nr. 9, Nr. 10 Satz 2 Nr. 11 PflVG a. F. § 120 entspricht § 158e Abs. 1 VVG a. F. i. V. m. § 3 Nr. 7 Satz 2 PflVG a. F. Des Weiteren ist § 124 Abs. 1 an die Stelle des früheren § 3 Nr. 8 PflVfG a. F. und § 124 Abs. 2 an die Stelle des früheren § 3 Nr. 10 Satz 1 PflVG a. F. getreten.30 § 117 fasst weitgehend §§ 158c, 158f VVG a. F. sowie § 3 Nr. 4–6 PflVG a. F. zusammen. § 119 13 entspricht im Wesentlichen dem § 158d VVG a. F. und nimmt zugleich § 3 Nr. 7 PflVG a. F. inhaltlich mit auf.31 § 121 stimmt mit § 158g VVG a. F. überein. § 122 ist an die Stelle des früheren § 158h VVG a. F. getreten. Und § 123 Abs. 1 bis 3 entsprechen sachlich den Regelungen des früheren § 158i VVG a. F.; 2008 neu eingeführt wurde die Regelung des § 123 Abs. 4. Eine weitere 2008 neu eingeführte Vorschrift stellt auch § 118 dar, der im Falle des Übersteigens der Versicherungssumme eine bestimmte Rangfolge vorschreibt (vgl. im Einzelnen die jeweiligen Kommentierungen). Noch kurz vor Inkrafttreten der VVG-Reform am 1.1.2008 mussten die mit dem Gesetz zur 14 Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.200732 verabschiedeten Fassungen der §§ 114, 117, 119 und 124 geändert werden. Nachdem im Gesetzgebungsverfahren der ursprünglich geplante allgemeine Direktanspruch für alle Pflichthaftpflichtversicherungen doch noch auf die Fälle insbesondere des § 115 Abs. 1 Nr. 2 und 3 eingeschränkt wurde (vgl. zuvor Rn. 11), fanden sich noch zunächst unberücksichtigte Unstimmigkeiten zu §§ 114, 117, 119, 124, die sich auf einen allgemeinen Direktanspruch bezogen. Dies wurde durch Gesetz vom 10.12.200733 und noch vor Inkrafttreten der VVG-Reform „in bemerkenswerter Schnelligkeit“34 korrigiert. Seither ist der Gesetzgeber im Bereich der Pflichthaftpflichtversicherung im Rahmen von §§ 113 bis 124 nicht mehr tätig geworden.

C. Zweck und Legitimation von Pflichthaftpflichtversicherungen I. Grundsätzliches Pflichtversicherungen, insbesondere die in diesem Abschnitt in Rede stehenden Pflichthaft- 15 pflichtversicherungen, verfolgen verschiedene Zwecke. Primär dienen solche Versicherungen dem Schutz geschädigter Dritter (Opferschutz), insbesondere wenn der Schädiger wirtschaftlich nicht in der Lage ist, eine ihn treffende Schadenshaftung auszugleichen. Hierin liegt der Hauptgrund für Pflichthaftpflichtversicherungen.35 Sie sind deshalb im Schrifttum auch als „Da27 Bangert Der Direktanspruch im deutschen und englischen Haftpflichtversicherungsrecht 457. 28 Präzise stellt § 115 Abs. 1 Nr. 2 auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse oder die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ab. Diese Tatbestandsvarianten sind also nicht identisch mit dem Fall der Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz im materiellen Sinn); vgl. auch Kommentierung zu § 115 Rn. 28 ff. 29 Langheid/Rixecker/Langheid6 Vor § 113 Rn. 5. 30 Vgl. zum Vorstehenden auch Langheid/Rixecker/Langheid6 Vor § 113 Rn. 5. 31 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 90. 32 BGBl. I S. 2631. 33 BGBl. I 2833, 2834 f. 34 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 4. 35 KomE S. 82; Hinteregger VersRdsch 2005 44, 45 f. 465

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

16

17

18

19

20

Vorbemerkungen

seinsvorsorge“ eingeordnet worden.36 Damit kommt Pflichthaftpflichtversicherungen schon unter diesem Schutzzweck auch eine soziale Funktion zu.37 Pflichthaftpflichtversicherungen bezwecken zudem den Schutz des VN, der durch eine entsprechende Versicherung eine ausreichende Vorsorge für sich und Mitversicherte erhält.38 Eine solche Vorsorge kann im Einzelfall für den VN eminent wichtig sein, insbesondere wenn eine Schadensersatzpflicht seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigen würde. Insbesondere die Regelungen gem. § 123 bezwecken zudem speziell auch den Schutz mitversicherter Personen.39 Pflichthaftpflichtversicherungen kommen schließlich auch dem Staat zugute, der im Falle anderer Schutzmechanismen unter Umständen eigene kostenträchtige Einrichtungen schaffen oder für Schäden letztlich ggf. mittelbar einstehen müsste. Auch die Versicherungswirtschaft profitiert letztlich von der Existenz von Privathaftpflichtversicherungen, die grundsätzlich eine gesicherte Geschäftssparte mit sich bringt.40 Neben diesen allgemeinen Erwägungen zum Zweck von Pflichthaftpflichtversicherungen finden sich im Schrifttum Versuche, Gründe für die Legitimation solcher Versicherungen zu benennen.41 Ausgangspunkt einer Pflichthaftpflichtversicherung sind die entsprechenden Tatbestände des Haftungsrechts. Insoweit hat insbesondere Sieg den Ansatz entwickelt, dass nicht jede Haftung einen Versicherungszwang auslösen könne; vielmehr bedürfe es einer qualifizierten Haftung.42 Nach diesem Standpunkt liegt eine solche qualifizierte Haftung im Falle der Gefährdungshaftung vor. Nur in diesen Fällen sei eine Pflichthaftpflichtversicherung gerechtfertigt. Dieser Standpunkt hat sich indes im Schrifttum und letztlich auch beim Gesetzgeber nicht durchgesetzt.43 Dies zeigt sich bereits daran, dass zahlreiche Pflichthaftpflichtversicherungen auch außerhalb einer Gefährdungshaftung angeordnet sind. Dies gilt etwa für die Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder Versicherungsvermittler. Nach wohl h. A. ist deshalb auf verschiedene Umstände abzustellen, aus denen Argumente für die Legitimation einer Pflichthaftpflichtversicherung hergeleitet werden können.44 Die Existenz einer Gefährdungshaftung ist – wie gesehen – zwar nicht allein entscheidend für die Rechtfertigung einer Pflichthaftpflichtversicherung, gleichwohl lässt sich der Existenz einer Gefährdungshaftung ein Indiz für die Angemessenheit einer Pflichtversicherung entnehmen.45 Gerade Tatbestände der Berufshaftung stellen – wie schon erwähnt – keine Gefährdungshaftung dar. Gleichwohl finden sich in diesem Bereich zahlreiche Pflichthaftpflichtversicherungen (für Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Versicherungsvermittler). Durch die entsprechenden Pflichthaftpflichtversicherungen soll sichergestellt werden, dass das 36 Büchner Zur Theorie der obligatorischen Haftpflichtversicherungen 36 m. w. N.; Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 5. 37 Deiters FS Reimer Schmidt 379, 380. 38 Deiters FS Reimer Schmidt 379; Büchner Zur Theorie der obligatorischen Haftpflichtversicherungen 35; Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 5. 39 Vgl. BTDrucks. 11/6342 S. 36 zur Vorgängervorschrift des § 158i VVG a. F.: „Nebenzweck ist die soziale Risikoabsicherung des Versicherten, insbesondere desjenigen Mitversicherten bei der Versicherung für fremde Rechnung, der auf die Erfüllung der dem Versicherungsnehmer obliegenden Pflichten keinen Einfluss nehmen kann.“; vgl. auch § 123 Rn. 5 f. 40 Vgl. zum Vorstehenden Deiters FS Reimer Schmidt 379, 380; zum Schutzzweck der Regelungen der §§ 113 ff. vgl. auch Rn. 27 ff. 41 Dazu insbesondere Reiff TranspR 2006 15, 19 ff.; Deiters FS Reimer Schmidt 379, 393 f.; Büchner Zur Theorie der obligatorischen Haftpflichtversicherungen 37 ff.; Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4; zur Frage nach verfassungsrechtlichen Anforderungen vgl. auch noch Rn. 25 ff. 42 Sieg Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung 269; vgl. auch Reiff TranspR 2006 15, 19 f. 43 Vgl. etwa Reiff TranspR 2006 15, 20; Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4. 44 Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4. 45 Reiff TranspR 2006 15, 20. Beckmann

466

C. Zweck und Legitimation von Pflichthaftpflichtversicherungen

VVG Vor §§ 113–124

Ansehen dieses Berufsstandes nicht dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird, dass mögliche Schadensersatzansprüche der Mandanten und Kunden nicht durchgesetzt werden können.46 Darüber hinaus lässt sich sagen, dass es sich hierbei um Berufe mit umfangreicher Beratungstätigkeit handelt; hieraus folgt auch die Schutzbedürftigkeit der auf korrekte Beratung angewiesenen Mandanten bzw. Kunden. Allgemein lässt sich als wichtiges Kriterium für die Rechtfertigung einer Pflichthaftpflichtversicherung die Schutzbedürftigkeit der möglichen Geschädigten nennen.47 Je höher die Risiken potenzieller Geschädigter sind, desto eher bedarf es auch eines entsprechenden Schutzes durch eine Pflichthaftpflichtversicherung. Dies gilt beispielsweise für die Kfz-Haftpflichtversicherung, aber auch für die Pflichtversicherung für Luftfahrzeug-Halter nach § 43 Abs. 2 LuftVG. Insbesondere der Ausgleich für körperliche und gesundheitliche Beeinträchtigungen spielt in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. Ganz allgemein wird als weiterer Umstand für die Rechtfertigung von Pflichtversicherungen die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Daseinsvorsorge genannt.48 Als Beispiel wird auf den Entschädigungsfonds nach § 12 PflVG hingewiesen.49 Teilweise wird auch die Anzahl der freiwilligen Versicherungen als Indizwirkung angesehen. So nennt Reiff als Beispiel, dass im Jahre 1937, also zwei Jahre vor Einführung der entsprechenden Versicherungspflicht (vgl. oben Rn. 2), schon 74,5 % aller Halter von Pkw und Omnibussen freiwillig haftpflichtversichert gewesen seien.50 Nach a.A. lässt sich hieraus kein Schluss ziehen, da es dem Gesetzgeber freigestellt ist, bei einer hohen Versicherungsquote entweder eine Pflichthaftpflichtversicherung einzuführen oder andererseits auf das Funktionieren des Versicherungsmarktes zu vertrauen.51 Letztlich können die im Schrifttum diskutierten Kriterien, die eine Pflichthaftpflichtversicherung rechtfertigen, abschließend kaum benannt werden. Teilweise wird kritisiert, dass ein konsistentes „System der Pflichthaftpflichtversicherungen“ nicht erkennbar sei.52 Die unterschiedlichen Arten der Pflichthaftpflichtversicherungen zeigen, dass insoweit unterschiedliche Hintergründe solche obligatorischen Haftpflichtversicherungen rechtfertigen. Dies zeigt sich bereits daran, dass nicht alle Gefährdungshaftungstatbestände mit einer Pflichthaftpflichtversicherung „abgesichert“ sind; andererseits sind auch vom Verschulden abhängige Haftungstatbestände von einer Pflichthaftpflichtversicherung flankiert. Vor diesem Hintergrund ist es deshalb schwierig, eine Pflichthaftpflichtversicherung juristisch nicht als gerechtfertigt anzusehen (vgl. noch sogleich Rn. 25 ff.). Im Schrifttum wird namentlich die Rechtfertigung der Pflichthaftpflichtversicherung des § 7a GüKG hinterfragt. So sei zweifelhaft, ob es tatsächlich einen hinreichenden Grund dafür gibt, den Frachtführer nach § 7a GüKG einer Pflichthaftpflichtversicherung zu unterwerfen.53

21

22

23

24

II. Rechtliche Zulässigkeitsaspekte Die im Schrifttum genannten Kriterien können wichtige Anhaltspunkte für die Beantwortung 25 der Frage sein, ob eine Pflichthaftpflichtversicherung im Einzelfall in Betracht kommt. Die 46 47 48 49 50

Reiff TranspR 2006 15, 20; Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4 m. w. N. Vgl. Reiff TranspR 2006 15, 20; Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4. Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4. Reiff TranspR 2006 15, 20; Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4. Reiff TranspR 2006 15, 20 unter Hinweis auf Büchner Zur Theorie der obligatorischen Haftpflichtversicherungen

40.

51 Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4; wiederum zur Frage der Versicherungspflicht § 7a GüKG bei „Kleiner Kabotage“ Boettge VersR 2011 21, 22 f.

52 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 2; Hersch/Hersch RuS 2016 541, 542. 53 Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 4 am Ende unter Hinweis auf Reiff TranspR 2006 15, 21. 467

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

Vorbemerkungen

rechtliche Zulässigkeit von Pflichtversicherungen ist indes letztlich eine verfassungsrechtliche Frage.54 Eine Pflichthaftpflichtversicherung kann sowohl Grundrechte des Versicherungspflichtigen als auch solche der VR berühren.55 Auf Seiten des VN können dabei insbesondere die in Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 GG, Art. 9 Abs. 1 GG enthaltenen Freiheitsgrundrechte sowie Art. 3 Abs. 1 GG als Gleichheitsgrundrecht betroffen sein. 26 Durch eine Pflichtversicherung liegt eine tatbestandsmäßige Einschränkung der Vertragsund der Dispositionsfreiheit vor.56 Die Vertragsfreiheit umfasst dabei die Vertragsabschlussfreiheit, die Kontrahentenwahlfreiheit, die Inhalts- und Gestaltungsfreiheit sowie die Vertragsänderungs- und Beendigungsfreiheit, wobei die negative Komponente jeweils ebenfalls geschützt wird.57 Abschlussfreiheit und Inhaltsfreiheit (Gestaltungsfreiheit) werden durch eine Pflichtversicherung in besonderem Maße berührt. Die Abschlussfreiheit ist bereits dadurch betroffen, dass bei der Pflichtversicherung eine Verpflichtung zum Vertragsabschluss besteht. Auch die Inhaltsfreiheit wird durch eine Pflichtversicherung tangiert, weil jedenfalls Mindestinhalte und Mindestversicherungssummen für solche Versicherungen vorgegeben werden. Welches Grundrecht letztlich die Vertragsfreiheit schützt, wird in der verfassungsrechtlichen Literatur kontrovers diskutiert. Die vorherrschende Ansicht geht entsprechend dem Grundsatz der Spezialität und der Einordnung des Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht58 davon aus, dass die Vertragsfreiheit von dem Grundrecht geschützt wird, dessen Schutzbereich die Tätigkeit unterfällt, bezüglich derer die Vertragsfreiheit beeinträchtigt wird.59 27 Die Vertragsfreiheit kann also nach der vorherrschenden Ansicht der Berufsfreiheit des Art. 12 GG unterfallen, soweit es um den Abschluss von Verträgen geht, die der Berufswahl oder Berufsausübung dienen.60 Dementsprechend berühren Pflichtversicherungen, die unmittelbar an die Ausübung eines bestimmten Berufes oder an Tätigkeiten anknüpfen oder die mit der Ausübung eines bestimmten Berufs typischerweise verbunden sind, die Berufsfreiheit. Deutlich wird dies insbesondere in Fällen, bei denen die Ausübung des Berufs der behördlichen Genehmigung oder Zulassung bedarf und die Erteilung der entsprechenden Erlaubnis vom Nachweis des Abschlusses einer Pflichtversicherung abhängt. Derartige Regelungen sind auch nach einem restriktiven Eingriffsverständnis im Rahmen des Art. 12 GG als Eingriffe in die Berufsfreiheit einzuordnen.61 Gerade in den zuletzt genannten Fällen, in denen die Ausübung des Berufs bzw. schon die erstmalige Aufnahme der beruflichen Tätigkeit vom Nachweis einer Pflichtversicherung abhängt, stellt sich die Frage, ob im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG bereits die Berufswahlfreiheit betroffen ist oder die Verpflichtung zum Abschluss einer Versicherung lediglich als Berufsausübungsregelung i. S. d. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen ist. Die Berufswahlfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG wird insbesondere durch subjektive oder objektive Berufszulassungsregelungen berührt, die bei einer Anordnung einer Pflichtversicherung im Regelfall nicht vorliegen. Subjektive Berufszulassungsregelungen knüpfen an persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten an. Eine derartige Anknüpfung ist beim Abschluss einer Pflichtversicherung, die grundsätzlich von jedem unabhängig vom Vorliegen bestimmter Eigenschaften abgeschlossen werden kann, nicht gegeben. Gerade weil aber ein Abschluss einer Pflichtversicherung nicht an bestimmte Eigenschaften anknüpft, ist auch die Erfüllung der Versicherungspflicht durch Abschluss der Versicherung von jedem beeinflussbar, so dass die Anordnung einer Pflichtversicherung nicht als objektive Berufszulassungsvoraus54 55 56 57 58 59

Vgl. Hufen Staatsrecht II Grundrechte 9. Aufl. (2021) § 14 Rn. 34. Umfassend zu ggf. tangierten Grundrechten Hedderich Pflichtversicherung 144 ff. Hufen Staatsrecht II Grundrechte 9. Aufl. (2021) § 14 Rn. 34. Hedderich Pflichtversicherung 153. Hufen Staatsrecht II Grundrechte 9. Aufl. (2021) § 14 Rn. 3. BVerfG 12.11.1958 – 2 BvL 4/56, BVerfGE 8 274, 328; BVerfG 4.6.1985 – 1 BvL 12/84, BVerfGE 70 115, 123; Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung (2021) Art. 2 Abs. 1 Rn. 103 m. w. N.; a. A. insbesondere Mannsen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck GG 7. Aufl. (2018) Art. 12 Abs. 1 Rn. 70. 60 Hedderich Pflichtversicherung 152. 61 Hedderich Pflichtversicherung 147. Beckmann

468

C. Zweck und Legitimation von Pflichthaftpflichtversicherungen

VVG Vor §§ 113–124

setzung eingeordnet werden kann, da eine objektive Berufszulassungsvoraussetzung vom Einzelnen gerade nicht beeinflussbar ist. Jedenfalls solange Pflichtversicherungen, insbesondere wegen der Höhe der Prämien, keine prohibitive Wirkung im Hinblick auf die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit entfalten, dürften diese daher lediglich als Berufsausübungsregelungen einzuordnen sein, die bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden können.62 Zu messen sein kann die Anordnung einer Pflichtversicherung auch an der verfassungs- 28 rechtlichen Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Eröffnet ist der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG dabei nicht per se durch die mit der Versicherungspflicht einhergehende Verpflichtung zur Zahlung von Prämien, denn die Zahlungen erfolgen nicht (analog) Steuern an hoheitliche Stellen, sondern an die VR als (ggf. öffentlich-rechtlich organisiertes) Privatrechtssubjekte. Der Bestand des Vermögens wird durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ohnehin nicht geschützt – insoweit ist der Eingriff lediglich als Eingriff in die Vertragsautonomie zu werten, die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird. Einfallstor für die Anwendbarkeit von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG kann jedoch die Anordnung einer Versicherungspflicht sein, die an den Besitz oder die Verwendung einer Sache anknüpft. Die Anordnung einer entsprechenden an Besitz/Nutzung gekoppelten Versicherungspflicht ist aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers in diesem Bereich und der Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG als Inhalts- und Schrankenbestimmung weiträumig zulässig. Grenzen werden hier vor allem durch den stets zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesetzt.63 Als Freiheitsgrundrecht betroffen sein kann schließlich auch die von Art. 9 Abs. 1 GG ge- 29 schützte (negative) Vereinigungsfreiheit, wobei dies sich auf Fälle beschränkt, in welchen die Pflichtversicherung mit einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit abgeschlossen wird. Ob Art. 9 Abs. 1 GG in diesem Fall tatsächlich tangiert ist, hängt auch davon ab, ob man mit der Trennungstheorie den Versicherungsvertrag als privatrechtliches Schuldverhältnis neben der Mitgliedschaft ansieht oder nach der Mitgliedschaftstheorie eine untrennbare Verbindung von Mitgliedschaft und Versicherungsverhältnis annimmt. Aufgrund der bestehenden Verhältnisse am Versicherungsmarkt wird jedoch kaum jemals die faktische Verpflichtung bestehen, ein Versicherungsverhältnis mit einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit begründen zu müssen. Es scheint daher vorzugswürdig, die entsprechenden Einschränkungen vorrangig an der Privatautonomie und Art. 2 Abs. 1 GG zu messen.64 Die Anordnung einer Pflichtversicherung kann, wie gezeigt, insbesondere auch unter dem 30 Aspekt der Vertragsfreiheit, verschiedene Grundrechte berühren, wobei Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG unter dem Aspekt der Vertragsfreiheit jeweils eine besondere Bedeutung zukommen dürfte. Gerade die beiden zuletzt angesprochenen Grundrechte des Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG unterliegen dabei einem einfachen Gesetzesvorbehalt; Eingriffe können also, wie es in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG heißt „durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes“ erfolgen. Ein Eingriff ist indes nur gerechtfertigt, wenn das einschränkende Gesetz materiellen Anforderungen genügt, insbesondere verhältnismäßig ist (dazu im Anschluss an die formelle Rechtmäßigkeit) und in formeller Hinsicht die Gesetzgebungskompetenz65 ebenso wie der Vorbehalt des Gesetzes gewahrt sind. Vor allem der letztgenannte Punkt kann sich als problematisch erweisen, wenn die Pflichtversicherung nicht in einem formellen Gesetz, sondern in einer Verordnung oder in einer Satzung einer berufsständischen Kammer angeordnet wird. Letztlich geht es hierbei um die Frage, welche Entscheidungen der Gesetzgeber im Hinblick auf die Pflichtversicherung selbst treffen muss und welche er der Exekutive vorbehalten darf. Für die Frage einer in einer Rechtsverordnung vorgesehenen Anordnung einer Pflichtversicherung kann hier unmittelbar Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG herangezogen werden. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hat das zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigende (Bundes-)Gesetz Inhalt, 62 63 64 65 469

Hedderich Pflichtversicherung 147. Dazu näher Hedderich Pflichtversicherung 148 ff. Dazu näher Hedderich Pflichtversicherung 154 ff. Dazu näher Hedderich Pflichtversicherung 234 ff. Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

Vorbemerkungen

Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zu benennen. Daraus ergibt sich, dass das formelle Gesetz die Frage der Einführung einer Pflichtversicherung als Gegenstand der Verordnung hinreichend deutlich benennen muss, ebenso wie es festlegen muss, welchem Schutzzweck die Pflichtversicherung dienen soll.66 Lediglich die genauere inhaltliche Ausgestaltung kann der parlamentarische Gesetzgeber dem Verordnungsgeber überlassen, jedenfalls soweit hierdurch lediglich der Anpassung an geänderte Verhältnisse Rechnung getragen wird. Bei der Anordnung einer Pflichtversicherung in einer (berufsständischen) Satzung ist Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, der schon seinem Wortlaut nach nur Rechtsverordnungen aber keine Satzungen erfasst, jedoch nicht einschlägig und kann auch nicht entsprechend herangezogen werden.67 Jedoch wird man bei Satzungen aufgrund der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG zu weitgehend ähnlichen Ergebnissen gelangen. Die Wesentlichkeitsheorie besagt, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen selbst regeln muss, wobei wesentlich als grundrechtswesentlich zu verstehen ist. Das BVerfG hat klargestellt, dass Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften nicht ohne gesetzliche Grundlage in die Grundrechte der Mitglieder eingreifen können.68 Hieraus ergibt sich letztlich, dass die Selbstverwaltungskompetenz keine Befugnis zum Eingriff in Grundrechte gibt. Diese Befugnis bleibt, abgesehen von weniger gravierenden Berufsausübungsregelungen, dem Gesetzgeber vorbehalten.69 Insbesondere die Intensität des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG bei Anordnung einer Pflichtversicherung in der Satzung einer berufsständischen Kammer und die erforderliche Abwägung dieses Grundrechtseingriffs mit Gemeinwohlinteressen in Gestalt der Interessen der potentiell Geschädigten dürften als für die Grundrechtsausübung wesentliche Fragen einzuordnen sein, deren Beantwortung dem demokratisch unmittelbar legitimierten Gesetzgeber vorbehalten bleiben muss. Auch bei einer Regelung in einer berufsständischen Satzung spricht daher viel dafür, dass die Entscheidung über das Ob einer Pflichtversicherung dem Gesetzgeber selbst vorbehalten bleiben muss und eine Pflichtversicherung ohne eine solche Entscheidung nicht durch eine berufsständische Satzung eingeführt werden kann.70 Ohne dass in diesem Rahmen weitere verfassungsrechtliche Fragen vertieft behandelt wer31 den sollen,71 hat der Gesetzgeber bei Einführung einer Pflichtversicherung insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.72 Insbesondere bedarf es einer entsprechenden Erforderlichkeit und Angemessenheit.73 Jedenfalls hat sich der Gesetzgeber im Hinblick auf die Einführung von Pflichtversicherungen an den formellen und materiellen verfassungsrechtlichen Grenzen zu orientieren, die letztlich durch das Bundesverfassungsgericht konkretisiert werden würden. Soweit hierzu bisher Stellungnahmen ergangen sind, werden trotz der Berührung insbesondere des verfassungsrechtlich geschützten Grundsatzes der Vertragsfreiheit offenbar wenig verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Einführung von Pflichtversicherungen durch den Parlamentsgesetzgeber gesehen. So findet sich beispielsweise im Schrifttum die Ansicht, „dass die Grundrechtsschranken für den Gesetzgeber hinsichtlich der Einführung und Ausgestaltung einer Pflichtversicherung eher locker gestrickt sind“.74

66 Hedderich Pflichtversicherung 238. 67 Vgl. BVerfG 2.5.1961 – 1 BvR 203/53, BVerfGE 12 319, 325; v. Münch/Kunig/Wallrabenstein GG 7. Aufl. (2021) Art. 80 Rn. 32; v. Mangoldt/Klein/Starck/Brenner7 Art. 80 Rn. 21; Hedderich Pflichtversicherung 238 ff. 68 BVerfG 9.5.1972 – 1 BvR 518/62, 1 BvR 308/64, BVerfGE 33 125, 158. 69 Hufen Staatsrecht II Grundrechte 8. Aufl. (2020) § 9 Rn. 5. 70 Hedderich Pflichtversicherung 244; dazu auch § 113 Rn. 13 f. 71 Vertiefend insbesondere Hedderich Pflichtversicherung 144 ff. 72 Vgl. etwa auch Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 16; Hedderich Pflichtversicherung 157 f. 73 Vgl. BTDrucks. 13/9558 S. 14, VersR 1998, 695; vgl. auch v. Puskás in: HdV 513, 514. 74 W.-H. Roth in: Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens, 141, 149. Beckmann

470

D. Regelungszweck des §§ 113 ff.

VVG Vor §§ 113–124

III. Ökonomische Aspekte Pflichtversicherungen sind in der Vergangenheit auch schon aus der Sichtweise der ökonomi- 32 schen Analyse des Rechts beleuchtet worden. Maßstab der Beurteilung nach dieser Sichtweise ist dabei im Wesentlichen die ökonomische Effizienz einer Regelung.75 Teilweise ist argumentiert worden, dass bei Nichtbestehen einer Versicherungspflicht potenzielle Opfer eigene Versicherungen gegen Schädigungen abschließen würden, bei denen der Verursacher – aus welchen Gründen auch immer – nicht für den Schaden aufkommt. Es sei wahrscheinlich, dass für dieses Risiko Versicherungsmärkte entstehen würden. Dies wäre ggf. effizienter als die Durchsetzung der allgemeinen Versicherungspflicht.76 Indes ist zu beachten, dass es im wichtigen Bereich der Kfz-Haftpflicht, also im Bereich einer Gefährdungshaftung, ohnehin einen Ausnahmefall darstellt, dass der Verursacher nicht für den Schaden aufzukommen hat. Vor diesem Hintergrund erscheint bereits der Ansatz dieser Ansicht nicht vom typischen Fall einer Pflichthaftpflichtversicherung auszugehen. Andere Stimmen erachten es jedenfalls durchaus für möglich, dass insbesondere eine Kfz-Haftpflichtversicherung auch unter Beachtung ökonomischer Gesichtspunkte gerechtfertigt ist.77 Danach sei eine Pflichtversicherung nur dann in Betracht zu ziehen, wenn die Prämiengestaltung das Schädigungspotenzial des versicherten potenziellen Schädigers im Wesentlichen zutreffend abbildet. Die Prämienhöhe müsste also dem erwartbaren Schaden im Wesentlichen entsprechen. In weiteren Untersuchungen ist man durchaus zu dem Ergebnis gelangt, dass jedenfalls unter bestimmten Bedingungen bzw. zur Erzielung von Verhaltensweisen Pflichtversicherungen unter ökonomischen Aspekten sinnvoll sein können.78 Auch wenn es für die ökonomische Analyse des Rechts vielleicht nicht unbedingt ein entscheidendes Argument ist, ist gleichwohl zu beachten, dass sich einzelne Pflichtversicherungen, insbesondere die Kfz-Haftpflichtversicherung – auch international – als praxistauglich und stabil gezeigt haben. Nichtsdestotrotz ist es sicherlich nicht auszuschließen, dass andere Systeme effizienter wirken könnten. Bewährte Aspekte des geltenden Systems der Pflichthaftpflichtversicherungen wie etwa rechtspraktische und sozialstaatliche Tauglichkeit sowie Beständigkeit wären auch in alternativen Systemen zu beachten.79

D. Zweck der besonderen Regelungen über die Pflichthaftpflichtversicherung Die §§ 113 ff. bilden die Rahmenbedingungen für Pflichthaftpflichtversicherungen. Sie verfolgen 33 den Zweck, einer einmal geschaffenen Pflichthaftpflichtversicherung auch die erforderliche Wirkung zu verleihen. Könnte eine Pflichthaftpflichtversicherung ohne jeden Mindeststandard abgeschlossen werden, so würde der an sich verfolgte Zweck der entsprechenden Versicherung möglicherweise nicht erreicht werden. Vielfach finden sich Rahmenbedingungen, etwa zur Höhe der Mindestversicherungssumme, 34 in den jeweiligen Rechtsvorschriften, die die entsprechende Pflichthaftpflichtversicherung anordnen. Dies gilt z. B. für die Mindestversicherungssumme gem. § 12 Abs. 2 VersVermV, wonach die Mindestversicherungssumme 1.276.000 Euro für jeden Versicherungsfall und 1.919.000 Euro für alle Versicherungsfälle eines Jahres beträgt. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die 75 Vgl. etwa Magnus in: Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens, Band 30, Pflichtversicherung – Segnung oder Sündenfall – (2005) 101, 104; Schäfer/Ott Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts 6. Aufl. (2020) Einl. XI. 76 von der Schulenburg in: Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens, Band 30, Pflichtversicherung – Segnung oder Sündenfall – (2005) 1328; kritisch Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 8; Bitz/ Domsch/Ewert/Wagner Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre 5. Aufl. (2004), S. 102 ff. 77 Vgl. insbesondere Magnus (a. a. O. Fn.75) 101, 109 ff. (insbesondere 118 f.). 78 Hinteregger VersRdsch 2004 44, 46 ff. 79 Vgl. auch Magnus (a. a. O. Fn. 75) 101, 119. 471

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

Vorbemerkungen

Mindestversicherungssummen in der Kfz-Haftpflichtversicherung gem. Anlage zu § 4 Abs. 2 PflVG. Enthält eine spezielle Vorschrift z. B. keine Angaben zur Mindestversicherungssumme, greift § 114 Abs. 1 als Auffangtatbestand ein, wonach die Mindestversicherungssumme 250.000 Euro je Versicherungsfall und eine Million Euro für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres beträgt. Allerdings stellt § 114 Abs. 1 keine allgemeine Mindestversicherungssumme für Pflicht(haftpflicht)versicherungen auf; vorrangig zu beachten sind auch spezialgesetzlich definierte Mindestversicherungssummen, die unter den in § 114 genannten Beträgen liegen können (siehe dazu auch die Kommentierung von § 114 Rn. 6, 8). 35 Insbesondere dienen die Vorschriften über die Pflichthaftpflichtversicherung dem Schutz des geschädigten Dritten, allgemein also dem Opferschutz. Dies gilt etwa für §§ 115, 117, 121. Die Vorschrift des § 118 bezweckt den Schutz einzelner Gruppen von Geschädigten.80 § 116 regelt demgegenüber das Innenverhältnis der Gesamtschuldner, insbesondere zwischen VR und ersatzpflichtigem VN. Es finden sich aber auch Vorschriften, die dem Interesse des VR dienen, namentlich die §§ 119 f. (vgl. zum jeweiligen Schutzzweck die Kommentierungen der entsprechenden Vorschriften).

E. Pflichthaftpflichtversicherungen und Haftungsrecht 36 Wie bereits im Rahmen der Vorbemerkungen zu §§ 100–112 zum Ausdruck gebracht bestehen verschiedene Interdependenzen zwischen Haftungsrecht und Haftpflichtversicherung (vgl. umfassend Vorbem. zu §§ 100–112 Rn. 70 ff.). Besondere Bedeutung haben Pflichthaftpflichtversicherungen insbesondere im Rahmen der Billigkeitshaftung gem. § 829 BGB.81 Während nach der Rechtsprechung des BGH freiwilligen Haftpflichtversicherungen im Rahmen von § 829 BGB lediglich anspruchserhöhende Bedeutung zukommt,82 legt die Rechtsprechung das Vorliegen einer Pflichthaftpflichtversicherung bei der Billigkeitshaftung des § 829 BGB als anspruchsbegründende Tatsache aus.83 So hat der BGH im Hinblick auf die Kfz-Haftpflichtversicherung argumentiert, die besondere Zweckbestimmung der Pflichtversicherung im Kraftfahrzeugverkehr rechtfertige es, dem Geschädigten auch im Rahmen des § 829 BGB einen bestehenden Versicherungsschutz des Schädigers schon für die Beurteilung des „Ob“ des Anspruchs zugute kommen zu lassen. Dem stehe nicht entgegen, dass damit das Trennungsprinzip, wonach die Eintrittspflicht des VR dem Anspruch folgt und nicht umgekehrt, durchbrochen werde. Für den besonderen Anspruch des § 829 BGB müsse sich der auf den Opferschutz gerichtete Zweck der KfzHaftpflichtversicherung gegenüber diesem Prinzip durchsetzen.84 Indes begründet nach dieser Rechtsprechung die Existenz der Kfz-Pflichtversicherung allein noch nicht einen Billigkeitsanspruch aus § 829 BGB. Vielmehr muss nach dem Standpunkt des BGH bedacht werden, dass die verschuldensunabhängige Haftung aus § 829 BGB im deliktischen Haftungssystem des BGB eine Ausnahme bilde. Deswegen sei, entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift, ein Schadensersatzanspruch aus § 829 BGB nicht schon dann zu gewähren, wenn die Billigkeit es erlaubt, sondern nur dann, wenn die gesamten Umstände des Falles eine Haftung des schuldlosen Schädigers aus Billigkeitsgründen geradezu erfordern.85 Dieses Vorgehen des BGH ist in der Literatur teilweise kritisiert worden.86 So wird zum einen vertreten, dass sich das Bestehen einer Haftpflichtversicherung weder über Grund noch über Höhe anspruchsbegründend auswirken dürfe. So 80 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 2. 81 Vgl. auch Bruck/Möller/R. Koch10 Vor § 100 ff. Rn. 72 ff.; grds. auch Staudinger/Oechsler (2018) § 829 Rn. 45 ff. 82 BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 190 = VersR 1995 96, 97 (juris Rn. 19) unter Hinweis auf BGH 18.12.1979 – VI ZR 27/78, BGHZ 76 279, 283. 83 BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 190 f. = VersR 1995 96, 97 f. (juris Rn. 19 f.). 84 Zum Vorstehenden BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 192 = VersR 1995 96, 98 (juris Rn. 22). 85 Zum Vorstehenden BGH 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127 186, 192 = VersR 1995 96, 98 (juris Rn. 23). 86 Kritisch etwa Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 7. Beckmann

472

F. Anwendungsbereich

VVG Vor §§ 113–124

argumentiert Oechsler, der Standpunkt des BGH beinhalte mehr als nur eine Durchbrechung des Trennungsprinzips, er führe sogar zu einer Änderung des vom VR übernommenen Risikos.87 Nach anderer Ansicht wird sehr wohl die Berücksichtigung von (Pflicht-)Haftpflichtversicherungen befürwortet.88 Ohne diese materiell-rechtliche Frage an dieser Stelle abschließend zu bewerten, erscheint es trotz der im Schrifttum genannten, teils schon beachtlichen Gegenargumente richtig, im Rahmen des Haftungsrechts, insbesondere der Billigkeitshaftung gem. § 829 BGB das Bestehen jedenfalls von Pflichthaftpflichtversicherungen zu berücksichtigen. Diese dienen zunächst dem Opferschutz; geht es um eine Ersatzpflicht aus Billigkeitsgründen, ist es schwer nachvollziehbar, das Bestehen einer (Pflicht-)Haftpflichtversicherung gänzlich auszublenden. Deshalb ist die genannte BGH-Rechtsprechung nachvollziehbar und grundsätzlich zu befürworten. Die Grenze dürfte aber in der Tat erreicht sein, wenn sich hierdurch das vom VR übernommene Risiko verändert.

F. Anwendungsbereich Ausweislich der Überschrift zum Abschnitt 2 und der Legaldefinition des § 113 Abs. 1 gelten die 37 §§ 113 ff. für Pflichthaftpflichtversicherungen (vgl. oben Rn. 7 ff.). §§ 113 ff. gelten also für Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht (vgl. dazu sogleich Rn. 38 f. sowie § 113 Rn. 12 ff.). § 113 Abs. 3 stellt klar, dass die §§ 113 ff. auch insoweit anzuwenden sind, als der Versicherungsvertrag eine über die vorgeschriebenen Mindestanforderungen hinausgehende Deckung gewährt.

I. Pflichthaftpflichtversicherungen In den vergangenen Jahrzehnten hat sich eine große Anzahl von Pflichthaftpflichtversicherun- 38 gen entwickelt.89 Es geht um Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht. Dabei kommen Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder sowie Satzungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften (dazu § 113 Rn. 13) und EU-Richtlinien, die materiellen Gesetzen gleichstehen, in Betracht.90 In aller Regel lässt sich klar feststellen, ob eine entsprechende Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht. Im Einzelfall kann diese Feststellung gleichwohl Schwierigkeiten bereiten (vgl. zum Begriff Rechtsvorschrift die Kommentierung bei § 113 Rn. 12 ff.). Die praktisch wichtigste Pflichthaftpflichtversicherung dürfte die Kfz-Haftpflichtversiche- 39 rung darstellen; die Verpflichtung zum Abschluss ergibt sich aus § 1 PflVG. Als praxisrelevante Pflichthaftpflichtversicherungen lassen sich auch die Berufshaftpflichtversicherungen zahlreicher freier Berufe einordnen91 etwa: Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte (§ 51 BRAO), für Steuerberater (§ 67 StBerG). Auch im Bereich der Gewerbetreibenden gibt es entsprechende als Pflichthaftpflichtversicherung ausgestaltete Berufshaftpflichtversicherungen, etwa für Versicherungsvermittler (§ 34d Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 GewO iVm § 12 Abs. 2 VersVermV). Indes sind dies nur Beispiele für eine hohe Anzahl bestehender Pflichthaftpflichtversicherungen. Da auch zahlreiche Gesetze der Bundesländer Pflichthaftpflichtversicherungen anordnen, ist es

87 88 89 90

Staudinger/Oechsler (2018) § 829 Rn. 47, 52. Wolf VersR 1998 812; Knütel JR 1980 462. E. Lorenz spricht von einer „Unzahl“ vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 104. BTDrucks. 16/3945 S. 87; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 5; Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 113 Rn. 1. Z. B. zur Versicherungspflicht von Eisenbahnunternehmen aufgrund der Richtlinie 2012/34/EU vom 21.11.2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums vgl. Freise VersR 2019 1259. 91 Siehe hierzu auch Armbrüster ZWE 2018 105 ff.; Lehmann RuS 2016 1 ff. 473

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

Vorbemerkungen

nicht einfach, sich einen Überblick über sämtliche Pflichthaftpflichtversicherungen zu verschaffen. Eine Übersicht findet sich im Anhang zu diesen Vorbemerkungen (S. 478 ff.).

II. Diskutierte Pflichthaftpflichtversicherungen/Entwicklungen aus jüngerer Zeit 40 Es überrascht nicht, dass angesichts der Etablierung zahlreicher Pflichthaftpflichtversicherungen auch über die Einführung neuer obligatorischer Haftpflichtversicherungen immer wieder diskutiert wird. In Anlehnung an die Versicherungspflicht für Rechtsanwälte und Steuerberater hat man in der Vergangenheit auch über eine Pflichtversicherung für Insolvenzverwalter nachgedacht.92 Schließlich ist auch eine obligatorische Haftpflichtversicherung für Kinder immer wieder Gegenstand der Diskussion.93 In der Debatte stand des Weiteren die Einführung einer Pflichthaftpflichtversicherung für 41 Hundehalter, insbesondere für Halter von sogenannten Kampfhunden.94 Hierbei ist zu beachten, dass in den meisten Bundesländern ohnehin Vorschriften existieren, die entsprechende Haftpflichtversicherungen anordnen; in aller Regel beziehen sich diese auf eine Versicherungspflicht für gefährliche Hunde (vgl. die Übersicht über Haftpflichtversicherungen im Anhang zu diesen Vorbemerkungen, S. 493 f.). Auch die EU-weite Einführung einer verbindlichen Haftpflichtversicherung für AKW-Be42 treiber wurde in der Vergangenheit vorgeschlagen.95 Unabhängig von diesem Vorschlag ergeben sich die Rahmenbedingungen für Atomschäden nach geltender Rechtslage ohnehin aus einem Nebeneinander von nationalem und internationalem Recht. Nach dem AtomG, das gem. § 25 Abs. 1 AtomG auf das Pariser Atomhaftungs-Übereinkommen (PÜ)96 verweist, haften deutsche AKW-Betreiber nach geltendem Recht der Höhe nach unbegrenzt (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 AtomG); dies gilt auch nach der geordneten Beendigung der Kernenergie gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AtomG. Nach Art. 10 lit. a PÜ ist der Inhaber einer Kernanlage zur Deckung der im PÜ vorgesehenen Haftung gehalten, eine Versicherung oder eine sonstige finanzielle Sicherheit in der gem. Art. 7 PÜ festgesetzten Höhe einzugehen und aufrechtzuerhalten; vgl. zur Deckungsvorsorge im Falle der summenmäßig unbegrenzten Haftung Art. 10 lit. b PÜ i. d. F. von 2004. Wiederum gem. § 4a, § 13 Abs. 3 Satz 2, § 34 Abs. 1 Satz 2 AtomG sind die finanziellen Risiken durch eine Deckungsvorsorge im Rahmen einer Höchstgrenze von 2,5 Mrd. Euro abzusichern; diese Verpflichtung zur Deckungsvorsorge wird durch die Atomrechtliche Deckungsvorsorge-Verordnung (AtDeckV)97 näher ausgeführt. Praktisch geschieht dies derzeit in Höhe von 256 Mio Euro durch eine Haftpflichtversicherung durch die Deutsche Kernreaktor-Versicherungsgemeinschaft GbR (DKVG) – den sog. Atompool;98 darüber hinaus wird das Risiko neben der Versicherungslösung durch eine Solidarvereinbarung von AKW-Betreibern getragen.99 Soweit Schäden von der Deckungsvorsorge nicht geckt sind, sieht § 34 Abs. 1 AtomG einen Freistellungsanspruch des Staates bis zu 2,5 Mrd. Euro vor.

92 93 94 95 96

Müller AnwBl. 2008 536. Vgl. dazu etwa Bernau VersR 2005 1346 ff.; Looschelders VersR 1999 141. Vgl. BTDrucks. 13/9558 S. 14, VersR 1998, 695. Vgl. VW 2012 1459. Gesetz zu den Pariser und Brüsseler Atomhaftungs-Übereinkommen vom 8.7.1975 (BGBl. 1975 II S. 957), zuletzt geändert durch Art. 30 des Gesetzes vom 9.9.2001 (BGBl. I S. 2331). 97 Atomrechtliche Deckungsvorsorge-Verordnung vom 25.1.1977 (BGBl. I S. 220), zuletzt geändert durch Art. 13 der Verordnung vom 29.11.2018 (BGBl. I S. 2034). 98 Friedrich VW 2011 555; dazu auch v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 451, Stichwort: Kernenergie. 99 Vgl. BeckOGK/Fontana (Stand: 1.6.2021) § 25 AtomG Rn. 391. Beckmann

474

F. Anwendungsbereich

VVG Vor §§ 113–124

Diskutiert wird auch,100 ob durch das am 19.7.2013 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung 43 einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer101 eine weitere Pflichthaftpflichtversicherung i. S. d. § 113 Abs. 1 eingeführt wurde. Das mit der Einführung der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung verfolgte Ziel des Gesetzgebers war es, die Attraktivität der Partnerschaftsgesellschaft als Rechtsform im Vergleich zur Limited Liability Partnership (LLP) zu erhöhen. Dazu soll bei der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung eine gegenüber § 8 Abs. 2 PartGG weitergehende Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen ermöglicht und dadurch ein Anreiz zur Wahl der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung als Rechtsform geschaffen werden.102 Voraussetzung für eine solche Haftungsbeschränkung ist nach § 8 Abs. 4 PartGG eine den Anforderungen des § 51a BRAO entsprechende Berufshaftpflicht. § 8 Abs. 4 PartGG wurde in der aktuellen Fassung erst auf Empfehlung des Rechtsausschusses eingefügt.103 Zu § 8 Abs. 4 PartGG in der Fassung des Regierungsentwurfs lässt sich dem Regierungsentwurf noch entnehmen, dass es sich bei der in § 8 Abs. 4 PartGG erwähnten Berufshaftpflichtversicherung um eine freiwillige Versicherung wegen fehlerhafter Berufsausübung, nicht um eine Pflichtversicherung, handeln soll.104 Ist die Berufshaftpflicht aber lediglich als freiwillige Versicherung ausgestaltet, findet insbesondere § 117, der grundsätzlich nur auf Pflichtversicherungen i. S. d. § 113 Abs. 1 anwendbar ist, auf die Berufshaftpflichtversicherung mit beschränkter Berufshaftung keine Anwendung. § 117 schützt geschädigte Dritte in Fällen der Leistungsfreiheit des VR (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 117). Von besonderer Relevanz können hier Fälle der nachträglichen Leistungsfreiheit des VR sein, weil der VN im Prämienverzug ist oder eine Obliegenheit verletzt hat. § 8 PartGG in der Fassung des Regierungsentwurfs sah für diese Fälle keinen Schutz des geschädigten Dritten durch einen Verweis auf Vorschriften der Pflichtversicherung, insbesondere auf § 117 vor. Diese Schutzlücke besteht in der aktuellen Fassung des § 8 Abs. 4 PartGG nicht mehr, da nach § 8 Abs. 4 Satz 2 PartGG für die Berufshaftpflichtversicherung i. S. d. § 8 Abs. 4 PartGG die versicherungsvertraglichen Regelungen der § 113 Abs. 3 und die §§ 114 bis 124 entsprechend gelten. Der Frage, ob es sich bei der Berufshaftpflichtversicherung i. S. d. aktuellen Fassung des § 8 Abs. 4 PartGG um eine „echte“ Pflichtversicherung i. S. d. § 113 Abs. 1 handelt105 oder nicht,106 dürfte aufgrund des umfassenden Verweises auf die §§ 114 bis 124 in § 8 Abs. 4 Satz 2 PartGG eher theoretische Bedeutung zukommen. Gegen eine Einordnung als Pflichtversicherung i. S. d. § 113 Abs. 1 dürfte aber, neben der fehlenden Verweisung auf § 113 Abs. 1 und der nur entsprechenden Anwendung der §§ 114 bis 124, insbesondere die ausdrückliche Bezeichnung des § 8 Abs. 4 Satz 2 PartGG als Rechtsfolgenverweisung in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses sprechen.107 Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine Einordnung der Berufshaftpflichtversicherung als Pflichtversicherung auch nicht zwingend aus dem Wortlaut beispielsweise des § 51a BRAO oder vergleichbarer Vorschriften (§ 45a PAO, § 67 StBerG, § 54 WiPrO). Die jeweiligen Regelungen dürften im Kontext mit § 8 Abs. 4 PartGG zu sehen sein. Die Regierungsbegründung und der Rechtsausschuss sind nach dem oben zu § 8 Abs. 4 PartGG Gesagten aber davon ausgegangen, dass die Berufshaftpflicht keine Pflichtversi-

100 Vgl. einerseits Römermann, Die PartG mbB – eine neue attraktive Rechtsform für Freiberufler, NJW 2013 2305, 2309; andererseits Ruppert, Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung – Ende gut, alles gut? DStR 2013 1623, 1625. 101 BGBl. I 2386. 102 BTDrucks. 17/10487 S. 1 und S. 14. 103 Vgl. zum Gesetzgebungsverfahren Römermann NJW 2013 2305 f. 104 BTDrucks. 17/10487 S. 14. 105 Zumindest in diese Richtung Römermann NJW 2013 2305, 2309, nach dem die Versicherung als Pflichtversicherung im Sinne des VVG ausgestaltet worden sein soll. 106 So auf der Grundlage des Gesetzesentwurfs Ruppert DStR 2013 1623, 1625. 107 BTDrucks. 17/13944 S. 20. 475

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

Vorbemerkungen

cherung, sondern eine freiwillige Versicherung darstellt bzw. § 8 Abs. 4 PartGG eine Rechtsfolgenverweisung und keine Rechtsgrundverweisung enthält, mithin für eine entsprechende Anwendung der §§ 114 bis 124 gerade keine Pflichtversicherung vorliegen muss. Dies ist bei der Auslegung des § 51a BRAO und vergleichbarer Vorschriften zu berücksichtigen und spricht gegen eine Einordnung der Berufshaftpflichtversicherung i. S. d. § 8 Abs. 4 PartGG als Pflichthaftpflichtversicherung. Gleichwohl gelten – wie schon erwähnt – gem. § 8 Abs. 4 Satz 2 PartGG für diese Berufshaftpflichtversicherungen § 113 Abs. 3 und die §§ 114 bis 124 entsprechend. 44 Durch das Gesetz zur Einführung einer Berufszugangsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Wohnimmobilienverwalter108 neu eingeführt wurde eine – mit der Erlaubnispflicht einhergehende – Pflichtversicherung für Wohnimmobilienverwalter.109 Nicht Gesetz geworden ist hingegen die noch im Regierungsentwurf110 des Gesetzes zur 45 Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte111 in § 46a BRAO-E enthaltene Pflichtversicherung für Syndikusrechtsanwälte. Begründet wurde dies damit, dass Syndizi im Gegensatz zu sonstigen Anwälten letztlich nur ihren Arbeitgeber berieten und sich die Haftung eines Syndicus insoweit nach den allgemeinen Regeln des Zivil- und Arbeitsrechts richte, wobei insbesondere die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung unberührt blieben.112 In der Diskussion befindet sich auch der Einsatz von Drohnen.113 Auf tatsächlicher Ebene 46 ist die Schwierigkeit der Einordnung der Benutzung entsprechender unbemannter Luftfahrzeuge vor allem dadurch geprägt, dass die technische Entwicklung auf diesem Gebiet in den letzten Jahren rasante Fortschritte gemacht hat, durch welche das Anwendungsfeld entsprechender Drohnen von militärischen Einsätzen in Kriegsgebieten einerseits bis zum funkgesteuerten Kinderspielzeug andererseits reicht. Im Zuge dieses rasanten technischen Fortschritts hat sich auch die Verfügbarkeit bzw. die Erschwinglichkeit entsprechender Drohnen für Privatpersonen erheblich verändert, so dass diese heute auch zahlreich im privaten Umfeld – etwa zur Erstellung von Filmaufnahmen aus der Luft – verwendet werden. Der Gesetzgeber hat das Tempo des technischen Fortschrittes jedoch im Bereich der Drohnen bislang nicht aufgegriffen. Versicherungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für den Einsatz von Drohnen ist die Vorschrift des § 43 Abs. 2 LuftVG, wonach der Halter eines Luftfahrzeugs zum Abschluss einer entsprechenden Haftpflichtversicherung verpflichtet ist. Zwar unterscheidet das Gesetz zwischen privat genutzten Drohnen, die als Flugmodelle und damit Luftfahrzeuge (§§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 LuftVG, 1 Abs. 1 LuftVZO) eingeordnet werden und, gewerblich genutzten Drohen, die unbemannte Luftfahrtsysteme und damit Luftfahrzeuge (§ 1 Abs. 2 Satz 3 LuftVG) sind.114 In beiden Fällen ist allerdings die Einordnung als Luftfahrzeug zu bejahen, so dass grundsätzlich eine Pflicht zum Abschluss einer entsprechenden Haftpflichtversicherung nach § 43 Abs. 2 LuftVG besteht. Dem Grunde nach ist, aufgrund der durchaus erheblichen Gefahrenlage die mit dem Betrieb einer Drohne auch im Privatbereich einhergeht (etwa im Falle des Absturzes mit Personenschaden), eine solche Versicherungspflicht aus Opferschutzgründen zu befürworten. Befremdlich wirkt es allerdings, dass es derzeit keine Bagatellgrenze für solche Drohnen gibt, von denen aufgrund ihrer Gesamtbeschaffenheit keine spezifischen Gefahren ausgehen – etwa das bereits genannte funkgesteuerte Kinderspielzeug.115 Hier mag man de lege lata über eine teleologische Reduktion des § 43 Abs. 2 LuftVG nachdenken, wünschenswert wäre jedoch eine vom Gesetzgeber zweifelsfrei festgelegte Bagatellgrenze de lege ferenda.116 108 109 110 111 112 113 114 115 116

Gesetz v. 17.10.2017 BGBl. I 3562. Vgl. dazu Armbrüster ZWE 2018 105, 109 ff.; Drasdo NVwZ 2018, 31. BTDrucks. 18/5201 S. 1, 35. Gesetz vom 21.12.2015 BGBl. I 2517. BTDrucks. 18/6915 S. 1, 23. Wilke/Schimikowski RuS 2019 490; Wilke DAR 2018 288. Wilke/Schimikowski RuS 2019 490. Wilke/Schimikowski RuS 2019 490, 493. Wilke/Schimikowski RuS 2019 490, 493 f.

Beckmann

476

F. Anwendungsbereich

VVG Vor §§ 113–124

Bedenkenswert ist nach wie vor die Diskussion um die Einführung einer allgemeinen Pri- 47 vathaftpflichtversicherung als Pflichtversicherung.117 Zwar wird hiergegen vorgebracht, dass dies zu einer Institutionalisierung der Acht- bzw. Sorglosigkeit der Bevölkerung führen könne (sog. „Moral Hazard“-Bedenken) und eine marktdurchdringende Erfassung aller Risiken mangels Zulassung des Risikos kaum machbar sei. Hinsichtlich des „Moral Hazard“ ist insoweit zu entgegnen, dass die entsprechenden Bedenken letztlich generell bei Bestehen einer Versicherung ins Feld geführt werden können. Hier kann beispielsweise mit einer risikogerechten Anpassung der Prämien durchaus wirksam Einfluss durch die VR genommen werden. Gegen die mangelnde Umsetzbarkeit aufgrund der fehlenden Eingrenzbarkeit aller Risiken lässt sich ins Feld führen, dass praktisch bereits freiwillige Vermögenshaftpflichtversicherungen bestehen, die in der Lage sind, die entsprechenden Risiken bedarfsgerecht abzufragen und in Prämien zu übertragen. Für die Einführung einer Privathaftpflichtversicherung als Pflichtversicherung lässt sich insbesondere der Opferschutz anführen. Hohlbein stellt hierbei auf das Beispiel der gestiegenen Schmerzensgeldansprüche ab, bei deren Durchsetzung der Geschädigte – abseits der bestehenden Pflichthaftpflichtversicherungen – oftmals tatsächlich chancenlos ist oder umgangssprachlich „Pech gehabt“118 sagen muss. Rein tatsächlich bzw. prozessual stellt sich darüber hinaus derzeit das nicht unerhebliche 48 Problem, dass der geschädigte Dritte überhaupt einmal Kenntnis vom Bestehen einer entsprechenden (freiwilligen) Haftpflichtversicherung haben muss. Aber auch wenn – wie im Falle der Pflichthaftpflichtversicherung – dem Grunde nach Kenntnis vom Vorhandensein eines entsprechenden Versicherungsverhältnisses besteht, so stellt sich die weitergehende Frage, wer VR ist und welchen Bedingungen das Versicherungsverhältnis unterliegt. Faktisch ist hier derzeit bei fehlender Mitwirkung des VN eine Auskunftsklage zu erheben, mit den damit einhergehenden Kostenrisiken. Bedenkenswert erscheint insoweit der Vorschlag der Einrichtung eines entsprechenden Haftpflichtregisters analog dem „Zentralruf der Autoversicherer“.119 In Zeiten der SARS-Cov2- bzw. „Corona“-Pandemie ist die Frage nach einer Pandemie- 49 pflichtversicherung Gegenstand entsprechender Diskussionen geworden.120 Bei einer solchen Versicherung handelt es sich allerdings nicht um eine Unterform der Haftpflichtversicherung, sondern eine eigene Art von Versicherung mit Nähe zur Betriebsunterbrechungsversicherung. Es handelt sich jedoch gerade nicht unmittelbar um eine (reine) Betriebsunterbrechungsversicherung, da existenzgefährdende Umsatzeinbußen auch dann eintreten können, wenn der Betrieb nicht von Zwangsschließungen betroffen ist, aber der entsprechende Markt pandemiebedingt gänzlich zum Erliegen kommt.121 Aufgrund der Tatsache, dass auch zukünftig mit pandemiebedingten Umsatzeinbußen gerechnet werden muss, muss auf politischer Ebene eine grundsätzliche Entscheidung darüber getroffen werden, ob der Staat auch in zukünftigen Pandemien die Wirtschaft uneingeschränkt mit staatlichen Hilfen stützt. Alternativ ist ein Appell auf eine eigenverantwortliche Absicherung der Unternehmen oder in vermittelnder Weise eine Pflichtversicherung – ggf. mit staatlicher Unterstützung – denkbar. Die Wirtschaft hat sich insoweit zwiegespalten gezeigt: Während die Versicherungswirtschaft die Einführung einer Pandemiepflichtversicherung befürwortet, wird diese von Unternehmerverbänden abgelehnt.122 117 Hierzu ausführlich Hohlbein VersR 2020 1162 ff. 118 Hohlbein VersR 2020 1162, 1163; vgl. auch Schwintowski VuR 2013 52. 119 Siehe hierzu Bangert Der Direktanspruch im deutschen und englischen Haftpflichtversicherungsrecht 393 ff., 454 ff.

120 Zur Diskussion auf dem 38. Münsterischen Versicherungstag 2020 Scheiper VersR 2021 158, 160 f. 121 Jensen nennt etwa das Beispiel des geöffneten Messestandbauers, dessen Umsatz einbricht, da Messen nicht stattfinden dürfen; zitiert nach Scheiper VersR 2021 158, 161 (vgl. Fn. 120).

122 Vgl. etwa Versicherungsbote v. 22.3.2021, https://www.versicherungsbote.de/id/4901438/Corona-Unternehmererteilen-Pandemie-Pflichtversicherung-Absage; Wirtschaftswoche v. 19.3.2021, https://www.wiwo.de/unternehmen/ versicherer/versicherung-gegen-pandemien-hilft-keinem-mittelstaendler-sondern-nur-der-versicherungswirtschaft/ 27019596.html; Versicherungswirtschaft heute v. 15.12.2010, https://versicherungswirtschaft-heute.de/politik-undregulierung/2020-12-15/versicherer-fordern-pflichtversicherung-fuer-pandemien/ (Abrufdatum jeweils: 19.6.2021). 477

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

50

Vorbemerkungen

Infolge extremer Wetterereignisse – insbesondere Starkregen und Fluten – stellt sich für Betroffene und auch für die Allgemeinheit zunehmend die Frage nach (staatlicher) Unterstützung für Geschädigte. In diesem Zuge wird auch die Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden diskutiert bzw. befürwortet.123 Wie auch für die gleichfalls diskutierte Einführung einer Pandemiepflichtversicherung (dazu oben Rn. 49) gilt hier ebenfalls, dass insoweit nicht eine Haftpflichtpflichtversicherung im Raum steht, sondern in diesem Falle eine (unselbständige) erweiterte Naturgefahrenversicherung (Elementarschadenversicherung), die (nur) als Zusatz zur Wohngebäude- oder Hausratversicherung abgeschlossen werden kann. Zwar sind nach Angaben des GDV nahezu alle Gebäude in der Bundesrepublik gegen durch Hagel und Sturm verursachte Schäden abgesichert, jedoch lediglich ca. 46 % gegen Starkregen und Hochwasser.124 Die Verbraucherzentrale Sachsen hat zum Ausdruck gebracht, dass ein flächendeckender Versicherungsschutz gegen diese Gefahren auf freiwilliger Grundlage nicht erreicht werden könne.125 Auslöser für entsprechende Diskussionen war wiederum die durch Starkregen herbeigeführte Flutkatastrophe im Juli 2021 insbesondere im Ahrtal und Teilen von NRW. Bestrebungen in Richtung der Einführung einer entsprechenden Pflichtversicherung gab es jedoch bereits 2002 nach der Elbflut126 und auch nach dem Hochwasser 2013 kam es zu einer entsprechenden Diskussion.127 Eine Einführung ist trotz mehrerer Versuche bisher stets gescheitert, wobei als Grund hierfür zweierlei angegeben wird: Zunächst soll die Frage der Finanzierbarkeit von entsprechenden Versicherungen und Rück-Versicherungen zweifelhaft sein; weiterhin sollen auch verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Gründe der Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden entgegenstehen.128 In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Stellungnahme der Versicherungswirtschaft ambivalent: Einerseits wird die Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht mit Hinweis auf die Autonomie des Einzelnen abgelehnt; zudem könne eine Pflichtversicherung „am Ende nicht die Kosten der fehlenden Klimafolgenanpassung schultern“.129 In Bezug auf eine Versicherbarkeit zeigen sich hingegen sowohl VR130 als auch Rückversicherer131 jedenfalls hinsichtlich „99 % der Objekte“ offen; lediglich ein angemessener Selbstbehalt wird gefordert um keine Anreize zum Bau an überflutungsgefährdeten 123 Siehe etwa Forderung der Verbraucherzentrale Sachsen unter https://www.verbraucherzentrale-sachsen.de/ verbraucherzentrale/elementarschadenversicherung-versicherungsschutz-fuer-jedes-wohngebaeude-54068 (Abrufdatum: 6.8.2021); Langheid/Wandt/Günther2 Bd. 3, Elementarschadenversicherung Rn. 15; Schilbach (Pflicht-)Versicherung für Naturkatastrophen?, NJW-aktuell 2021 Heft 33, 14. Dazu auch M. Roth Verpflichtende Elementarschadenversicherung – Ausländische Vorbilder und Zulässigkeit einer deutschen Regelung, NJW 2021 2999 (nach Manuskriptfertigstellung erschienen). 124 URL: https://www.gdv.de/de/medien/aktuell/versicherungsschaeden-durch-flutkatastrophe-bei-rund-siebenmilliarden-euro-69800 (Abrufdatum: 15.9.2021). 125 Vgl. Redaktion beck-aktuell v. 3.11.2014, becklink 1035437 (Abrufdatum: 15.9.2021). 126 Knopp VersR 2012 154 mwN. 127 Vgl. etwa BTDrucks. 18/687 (kleine Anfrage) und 18/852 (Antwort der Bundesregierung). 128 Siehe etwa Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages aus 2009, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/494534/0fd3691cf25a389ac575cc030f0e1504/WD-7-001-09-pdf-data. pdf sowie aus 2016, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/438742/86023ebf7b16419830c44231814 af8a6/wd-7-103-16-pdf-data.pdf (Abrufdatum jeweils am 15.9.2021). 129 URL: https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/versicherer/ueberschwemmungen-versicherungsbranche-lehnt-pflichtversicherung-gegen-elementarschaeden-ab/27438680.html?ticket=ST-2145872-Sem 2oe9exbOQutzllyzb-ap3 (Abrufdatum: 15.9.2021); vgl. auch Schilbach (Pflicht-)Versicherung für Naturkatastrophen?, NJW-aktuell 2021 Heft 33, 14. 130 Vgl. Stellungnahmen im Deutschlandfunk URL: https://www.deutschlandfunk.de/flutschaeden-deutsche-versicherer-pflichtversicherung.694.de.html?dram:article_id=500711 und bei der Tagesschau URL: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/elementarschaeden-pflichtbversicherung-flutkatastrophe-101.html (Abrufdatum: jeweils 15.9.2021). 131 Stellungnahme der Munich-RE auf Spiegel.de; abrufbar unter https://www.spiegel.de/wirtschaft/munich-rejoachim-wenning-offen-fuer-pflichtversicherung-gegen-hochwasser-a-8dc8555d-ac2f-4ea8-bed1-9be1fe52ced2 (Abrufdatum: 15.9.2021). Beckmann

478

H. Abdingbarkeit und Rechtswahl

VVG Vor §§ 113–124

Standorten zu schaffen. Aus rechtlicher Sicht ist es zutreffend, dass eine Pflichtversicherung verfassungsrechtlich in die (negative) Vertragsfreiheit des Einzelnen eingreift. Allerdings wird dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährt und vor dem Hintergrund der zwar seltenen, dann aber existenzgefährdenden bzw. existenzvernichtenden Folgen eines entsprechenden Schadenseintritts, scheint eine Rechtfertigung eines solchen Grundrechtseingriffes jedenfalls nicht ausgeschlossen (zur Frage der Einschränkung von Grundrechten durch Pflichtversicherungen auch oben Rn. 25 ff.). Weiter wird auf die unterschiedlich großen Risiken der von einer Pflichtversicherung betroffenen Gebäudeeigentümer hingewiesen.132 Zudem werden letztlich auch europarechtliche Bedenken in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit erhoben. So kommt der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu folgendem Ergebnis: „Auf Ebene der Rechtfertigung eines solchen Eingriffs in die genannten Grundfreiheiten liegt der wesentliche Unterschied zwischen der in einigen Mitgliedstaaten durchaus üblichen KfzHaftpflichtversicherung und der hier erörterten Pflichtversicherung darin, dass erstere zum Schutz geschädigter Dritter, mithin der Allgemeinheit bestimmt ist, während eine Elementarschadensversicherung dem Schutz betroffener Grundeigentümer sowie dem der Staatsfinanzen dienen würde. Letzteres ist jedoch kein hinreichender Grund, um eine Beschränkung europäischer Grundfreiheiten zu rechtfertigen.“133 Unabhängig von der unpräzisen Einschätzung zur Verbreitung der Kfz-Haftpflichtversicherung in den Mitgliedstaaten, sei hierzu angemerkt, dass sich mit dieser Überlegung letztlich nahezu ausschließlich Pflicht(haftpflicht)versicherungen im Sinne der §§ 113–124 europarechtlich rechtfertigen ließen, da nur bei diesen auch der Schutz Dritter unmittelbar im Vordergrund steht. Bedenkenswert erscheint insoweit eine Analogie zu der Interessenlage etwa bei der Kranken- und Pflegepflichtversicherung, bei welcher letztlich auch die (wirtschaftliche) Existenz des VN und die Allgemeinheit bzw. die Staatsfinanzen Schutzgut sind. Vor diesem Hintergrund lassen sich gute Gründe dafür ins Feld führen, dass sich ein Eingriff in die Grundfreiheiten rechtfertigen lässt.

G. Übergangsrecht Im Hinblick auf die §§ 113–124 gelten die allgemeinen Übergangsvorschriften. Insoweit finden 51 sich keine Besonderheiten für den Abschnitt über die Pflichtversicherung. Zu den allgemeinen Übergangsregelungen vgl. Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. A Rn. 79 ff.

H. Abdingbarkeit und Rechtswahl Wie schon im früheren VVG sind die besonderen Vorschriften über die Pflichtversicherung gem. 52 §§ 113–124 nicht abdingbar. Wie sich schon aus der Gesetzesbegründung ergibt, folgt dies aus der Rechtsnatur dieser Vorschriften und bedarf wie schon im früheren Recht keiner ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung.134 Nach Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO kann ein Mitgliedstaat vorschreiben, dass auf den Versicherungsvertrag das Recht des Mitgliedstaates anzuwenden ist, der die Versicherungspflicht vorschreibt, wodurch eine Umgehung zwingender Vorschriften verhindert und ein Gleichlauf von Versicherungspflicht und dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht erreicht werden kann. Mit dieser Regelung verfolgt der europäische Gesetzgeber das Ziel, öffentlich-rechtlichen Vorgaben sowie dem Gemeinwohlinteresse an effektivem Deckungsschutz

132 Schilbach (Pflicht-)Versicherung für Naturkatastrophen?, NJW-aktuell 2021 Heft 33, 14. 133 URL: https://www.bundestag.de/resource/blob/438742/86023ebf7b16419830c44231814af8a6/wd-7-103-16-pdfdata.pdf, dort S. 6 Ziffer 2.2 (Abrufdatum: 15.9.2021). 134 BTDrucks. 16/3945 S. 87. 479

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

Vorbemerkungen

zu entsprechen und die in Mitgliedstaaten angeordnete Versicherungspflicht zu respektieren.135 Es handelt sich bei Art. 7 Abs. 4 Rom I-VO mithin um eine Ermächtigungsnorm, die die Möglichkeit eines Rückgriffs auf das nationale Kollisionsrecht eröffnet.136 Diese Möglichkeit hat Deutschland in Art. 46d Abs. 2 EGBGB genutzt und geregelt, dass ein über eine Pflichtversicherung abgeschlossener Vertrag deutschem Recht unterliegt, wenn die gesetzliche Pflicht zu seinem Abschluss auf deutschem Recht beruht. Eine anderweitige Rechtswahl ist unzulässig. Aus Art. 46d Abs. 1 EGBGB ergibt sich für den umgekehrten Fall, dass wenn das Recht eines anderen Mitgliedstaats der EU oder des EWR eine Pflichtversicherung vorsieht, dieser nach Art 46c Abs. 1 EGBGB dem Recht dieses Staates unterliegt, vorausgesetzt dieser Staat schreibt zwingend die Anwendung eigenen Rechts vor. Deckt der Vertrag mehrere Risiken, für die in verschiedenen Mitgliedstaaten jeweils eine gesetzliche Versicherungspflicht besteht, dann ist der Vertrag im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 4 lit. a Rom I-VO gem. Art. 7 Abs. 5 Rom I-VO als aus mehreren Verträgen bestehend anzusehen. Das bedeutet, dass der Vertrag nach Art. 7 Abs. 4 Rom I-VO für jedes Teilrisiko die Anforderungen des jeweils anordnenden Mitgliedstaates erfüllen muss.137 Zu einer Vertragsspaltung nach Art. 7 Abs. 5 Rom I-VO kann es auch kommen, wenn das Gerichtsland ebenfalls von der Ermächtigung des Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO Gebrauch gemacht hat und beide Mitgliedstaaten für die verschiedenen Einzelrisiken jeweils eine Versicherungspflicht vorsehen.138 Fraglich ist indes, welche Regelungen eingreifen, wenn mehrere Mitgliedstaaten für das gleiche Risiko unterschiedlich ausgestaltete Versicherungspflichten vorschreiben. Denkbar wäre es, die verschiedenen Rechtsordnungen kumulativ anzuwenden, so dass der VN den in den verschiedenen Rechtsordnungen enthaltenen Versicherungspflichten genügen muss. Dies dürfte den VN allerdings nicht nur unverhältnismäßig belasten, sondern ihn im Falle divergierender Anforderungen vor kaum lösbare Probleme stellen. Vorzugswürdig erscheint es deshalb, das Recht des Staates anzuwenden, der die engste Verbindung zum Versicherungsvertrag aufweist. Nur dieser Staat darf damit dann auch nach Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO die Anwendbarkeit seines Rechts auf den Vertrag vorschreiben.139

135 Perner IPRax 2009 218, 222. 136 Ferrari/Kieninger/Mankowski/Staudinger Internationales Vertragsrecht 3. Aufl. (2018) VO (EG) 593/2008 (Rom I-VO) Art. 7 Rn. 52.

137 Langheid/Wandt/Looschelders2 Internationales Versicherungsvertragsrecht Rn. 111. 138 Ferrari/Kieninger/Mankowski/Staudinger Internationales Vertragsrecht 3. Aufl. (2018) VO (EG) 593/2008 (Rom I-VO) Art. 7 Rn. 53; Langheid/Wandt/Looschelders2 Internationales Versicherungsvertragsrecht Rn. 117.

139 Langheid/Wandt/Looschelders2 Internationales Versicherungsvertragsrecht Rn. 118; Ferrari/Kieninger/Mankowski/Staudinger Internationales Vertragsrecht 3. Aufl. (2018) VO (EG) 593/2008 (Rom I-VO) Art. 7 Rn. 54. Beckmann

480

Anhang zu den Vorbemerkungen zu den §§ 113–124 Übersicht A.

Übersicht über Pflichtversicherungen, insbesondere Pflichthaftpflichtversicherun1 gen

B.

Pflichthaftpflichtversicherungen des Bun2 des

C.

Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer (geordnet nach Tätigkeitsberei21 chen) Architekten, Ingenieure, Prüf-, Zertifizierungs21 und Überwachungsstellen Betrieb von privaten Eisenbahnen, Bergbahnen 38 und Seilbahnen, Schleppliften etc.

I. II.

51 Elektrofischerei 60 Hebammen 76 Heilberufe Hundehalter-Haftpflichtversicherung, sowohl für nicht gefährliche als auch für gefährliche 93 Hunde VII. Jäger, Jägerprüfung, Falknerprüfung, Anerken108 nung von Jagdhunden 124 VIII. Sachverständige i. S. v. § 36 Abs. 1 GewO IX. Vormals: Sachverständige, Sachverständigenorganisationen (Umgang mit wassergefährdenden 140 Stoffen) 141 X. Sonstiges III. IV. V. VI.

A. Übersicht über Pflichtversicherungen, insbesondere Pflichthaftpflichtversicherungen Die folgende Übersicht1 enthält vorrangig Pflichthaftpflichtversicherungen (zum Begriff Vorbem. 1 zu den §§ 113–124 Rn. 7 ff.), erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wegen ihrer sachlichen Nähe finden sich auch Pflichtversicherungen, die andere Risiken decken. Zudem finden sich in dieser Übersicht Bestimmungen, nach denen der Normadressat die Wahl insbesondere zwischen einer Versicherung oder einer anderen Form einer Sicherheitsleistung hat (dazu § 113 Rn. 15). Des Weiteren finden sich auch Regelungen, bei denen der Abschluss einer Versicherung in das Ermessen einer Behörde gestellt wird (dazu § 113 Rn. 12). Ebenfalls aus Gründen des Sachzusammenhangs mit aufgeführt sind Versicherungen, bei denen die gesetzliche Pflicht zum Abschluss mittlerweile entfallen ist. Auch aufgeführt sind Versicherungen die lediglich abgeschlossen werden sollen (zur Einordnung dieser Versicherungen und der durch Kammervorschriften verpflichtend vorgesehenen Versicherungen als Pflichtversicherungen § 113 Rn. 14). In aller Regel sind zuvor genannte Besonderheiten besonders gekennzeichnet. Versicherungspflichten im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung, bei der es sich um eine öffentlich-rechtliche Versicherung handelt, sind in dieser Übersicht zu privatrechtlichen Pflichthaftpflichtversicherungen nicht enthalten.

B. Pflichthaftpflichtversicherungen des Bundes • •

Abfalltransport: § 7 Abs. 2 Nr. 1 lit. e) der Verordnung zur Beförderungserlaubnis, Beförde- 2 rungserlaubnisverordnung, BefErlV (BGBl. I 1996, 1411) i. d. F. v. 24.2.2012. Abfallverbringung: Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 vom 14.6.2006 über die Verbringung von Abfällen i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verord-

1 Vergleichbare Übersichten finden sich unter anderem bei Prölss/Martin/Armbrüster31 1. Einleitung Buchst. F (Rn. 322 ff.); Langheid/Wandt/Brand2 Vor §§ 113–124 Rn. 19 ff.; Website der BaFin, https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_zulassung_eu_pflichtvers_kurzf.html (Kurzfassung; zuletzt abgerufen am 30.9.2021) sowie auch BTDrucks. 16/4973 S. 12 ff.; BTDrucks. 16/5497 S. 6 ff. 481 https://doi.org/10.1515/9783110522662-016

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

• •

• • 3 •

• •

• •



4 • •

5 •



Anhang

nung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2006 über die Verbringung von Abfällen und des Basler Übereinkommens vom 22.3.1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung, Abfallverbringungsgesetz, AbfVerbrG (BGBl. I 2007, 1462) i. d. F. v. 19.7.2007, Besonderheit: Sicherheitsleistungen oder Abschluss einer Versicherung zur Abdeckung von Transportkosten, Kosten der Verwertung oder Beseitigung, einschließlich aller erforderlichen vorläufigen Verfahren und Lagerkosten für 90 Tage. Abfall-Entsorgungsfachbetriebe: siehe Entsorgungsfachbetriebe. Anbieter von Lehrgängen zur Vermittlung der Fachkunde für den Umgang und Verkehr mit explosionsgefährlichen Stoffen: § 33 Abs. 2 Nr. 4 der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz, 1. SprengV (BGBl. I 1991, 169) i. d. F. v. 17.7.2009. Anlageberater: siehe Makler. Arzneimittelhersteller: siehe pharmazeutische Unternehmer. Bahnbetrieb von privaten Eisenbahnen, Bergbahnen und Schleppliften; Verpflichtung zur Versicherung und Deckung der durch den Betrieb einer Eisenbahn verursachten Personen- und Sachschäden: §§ 14 ff. AEG (für nichtöffentliche Eisenbahnen) des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, AEG (BGBl. I 1993, 2378, 2396 [1994 I 2439]) i. d. F. v. 29.8.2016; für Halter von Eisenbahnfahrzeugen, die mit diesen selbstständig und nichtselbstständig am Eisenbahnbetrieb teilnehmen: § 31 AEG (i. d. F. v. 29.8.2016) i. V. m. §§ 14 ff. AEG (i. d. F. v. 29.8.2016). Hintergrund dieser Versicherungspflicht ist Art. 22 der Richtlinie 2012/34/EU vom 21.11.2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums. Bauträger und Baubetreuer: siehe Makler. Betreiber einer gentechnischen Anlage, in der gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufen 2 bis 4 durchgeführt werden sollen, oder der Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen vornimmt: § 36 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik, Gentechnikgesetz, GenTG (BGBl. I 1993, 2066) i. d. F. v. 19.6.2020 Besonderheit: Haftpflichtversicherungspflicht oder Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung; Verordnungsermächtigung gem. § 36 Abs. 1 GenTG, Verordnung bisher nicht in Kraft getreten. Betreuungsvereine: § 1908f Abs. 1 Nr. 1 BGB (i. d. F. v. 28.3.2013). Bewachungsgewerbe: §§ 34a Abs. 1 S. 3 Nr. 4, 34a Abs. 2 Nr. 4c GewO (BGBl. I 1999, 202) i. d. F. v. 29.11.2018 i. V. m. §§ 14 f. der Verordnung über das Bewachungsgewerbe, Bewachungsverordnung, BewachV (BGBl. I 2019, 692) i. d. F. v. 3.5.2019. Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen: §§ 3, 8 i. V. m. der Anlage 3 Ziff. 2 B Abs. 6 der Verordnung über Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen, Bodenabfertigungsdienst-Verordnung, BADV (BGBl. I 1997, 2885) i. d. F. v. 10.12.1997. De-Mail-Diensteanbieter: siehe Zertifizierungsdiensteanbieter. Deponien: § 18 Abs. 2 der Verordnung über Deponien und Langzeitlager, Deponieverordnung, DepV (BGBl. I 2009, 900) i. d. F. v. 30.6.2020, Besonderheit: verschiedene Arten von Sicherheitsleistungen des Deponiebetreibers, u. a. auch in Form einer „gleichwertigen Sicherheit“: § 18 Abs. 2 Nr. 3 DepV. Eichwesen, Haftung des Trägers einer staatlich anerkannten Prüfstelle für die Eichung von Messgeräten für Elektrizität, Gas, Wasser oder Wärme: § 40 Abs. 3 S. 2 des Mess- und Eichgesetzes, MessEG (BGBl. I 2013, 2722) i. d. F. v. 25.7.2013 i. V. m. § 44 der Mess- und Eichverordnung, MessEV (BGBl. I 2014, 2010) i. d. F. v. 11.12.2014. Entsorgungsfachbetriebe; Nachweis eines „ausreichenden“ Versicherungsschutzes: § 6 S. 1 der Verordnung über Entsorgungsfachbetriebe, Entsorgungsfachbetriebeverordnung, EfbV (BGBl. I 1996, 1421) i. d. F. v. 2.12.2016 – bei Betrieben, die Abfälle lagern, behandeln, verwerten oder beseitigen (S. 3 Nr. 1): mindestens eine Umwelthaftpflichtversicherung und eine Betriebshaftpflichtversicherung

Beckmann

482

B. Pflichthaftpflichtversicherungen des Bundes

VVG Vor §§ 113–124

– •

• • • •

• •





• • •





483

bei Betrieben, die Abfälle einsammeln oder befördern (S. 3 Nr. 2): Kraftfahrzeug- und Umwelthaftpflichtversicherung. Gefahrgutbeförderung: § 3 Abs. 1 S. 4 des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter, 6 Gefahrgutbeförderungsgesetzes, GGBefG (BGBl. I 2009, 1774, 3975) i. d. F. v. 31.8.2015, Besonderheit: Verordnungsermächtigung gem. § 3 Abs. 1 GGBefG, Verordnung bisher nicht in Kraft getreten. Gentechnische Anlage: siehe Betreiber einer gentechnischen Anlage. Gewerblicher Güterkraftverkehr, Haftung wegen Güter- und Verspätungsschäden: § 7a Abs. 1 des Güterkraftverkehrsgesetzes, GüKG (BGBl. I 1998, 1485) i. d. F. v. 22.11.2011. Jäger, Jagdhaftpflichtversicherung: § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 des Bundesjagdgesetzes, BJagdG 7 (BGBl. I 1976, 2849) i. d. F. v. 9.12.2010. Kfz-Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge: § 1 des Gesetzes über die Haft- 8 pflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger, AuslPflVG (BGBl. I 1956, 667 [1957, 368]) i. d. F. v. 5.4.1965. Kfz-Halter-Haftpflichtversicherung: § 1 des Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter, Pflichtversicherungsgesetz, PflVG (BGBl. I 1965, 213) i. d. F. v. 5.4.1965. Kfz-Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge der Bauart „Segway Personal Transporter“: § 2 Abs. 1 Nr. 2 Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung, eKFV (BGBl. I 2019, 756) i. d. F. v. 15.6.2019 i. V. m. § 29a der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr, Fahrzeug-Zulassungsverordnung, FZV (BGBl. I, 2011, 139) i. d. F. v. 11.2.2011. Klinische Versuchsteilnehmer (Tötung, Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung eines Menschen bei der Durchführung der klinischen Prüfung eines Arzneimittels oder eines Medizinproduktes): § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln, Arzneimittelgesetz, AMG (BGBl. I 2005, 3394) i. d. F. v. 20.11.2019 bzw. mit Medizinprodukten gemäß § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 9, Abs. 3 des Gesetzes über Medizinprodukte, Medizinproduktegesetz, MPG (BGBl. I 2002, 3146) i. d. F. v. 20.11.2019. Konformitätsbewertungsstellen nach § 21 Abs. 2 des Gesetzes über die elektronische Verträglichkeit von Betriebsmitteln, EMVG (BGBl. I 2016, 2879) i. d. F. v. 14.12.2016 i. V. m. § 5 Abs. 10 der Konformitätsbewertungsstellen-Anerkennungs-Verordnung, AnerkV (BGBl. I 2016, 77) i. d. F. v. 11.1.2016. Konformitätsbewertungsstellen nach der Schiffsausrüstungsverordnung SchAusrV: § 3 Abs. 2 Nr. 3 SchAusrV (BGBl. I 2008, 1913) i. d. F. v. 3.3.2020. Konformitätsbewertungsstelle: siehe notifizierte Konformitätsbewertungsstelle. Kraftfahrzeugwerkstätten zur Durchführung von Sicherheitsprüfungen und/oder Untersuchungen der Abgase sowie Schulung der verantwortlichen Personen und Fachkräfte: Anlage VIIIc (Anlage VIII Nummer 3.1.1.1 und 3.2) Ziff. 2.9 StVZO (BGBl. I 2012, 679) i. d. F. v. 22.10.2014. Kraftfahrzeugwerkstätten zur Durchführung von Gassystemeinbauprüfungen oder von wiederkehrenden und sonstigen Gasanlagenprüfungen sowie Schulung der verantwortlichen Personen und Fachkräfte: Anlage XVIIa (zu § 41a Absatz 7 und Anlage VIII Nummer 3.1.1.2) Ziff. 2.8 StVZO. Vormals: Krankenpflegeschüler und Lernschwestern: frühere Versicherungspflicht der Träger der Schule gem. § 8 Abs. 3 der Ersten Verordnung über die berufsmäßige Ausübung der Krankenpflege und die Errichtung von Krankenpflegeschulen, Krankenpflegeverordnung, KrPflV (RGBl. I 1938, 1310) i. d. F. v. 1.1.1964 und § 9 Abs. 3 der Ersten Verordnung über die berufsmäßige Ausübung der Säuglings- und Kinderpflege und die Errichtung von Säuglings- und Kinderpflegeschulen, Säuglings- und Kinderpflegeverordnung, SuKPflV (RGBl. I 1939, 2239) i. d. F. v. 1.1.1964, Besonderheit: mittlerweile aufgehoben (§ 8 KrPflV aufgehoben durch Art. 13 des Gesetzes über die weitere Bereinigung von Bundesrecht v. 8.12.2010 [BGBl. I 1864], wodurch zugleich die KrPflV insgesamt aufgelöst wurde; SuKPflV aufgehoben durch Art. 23 des Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht v. 14.8.2006 [BGBl. I 1869]).

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

9 •





10 •

11 • •

12 •



13 •



• • •

Anhang

Lohnsteuerhilfevereine: § 25 Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes, StBerG (BGBl. I 1975, 273) i. d. F. v. 12.12.2019; § 9 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über die Lohnsteuerhilfevereine, DVLStHV (BGBl. I 1975, 1906) i. d. F. v. 22.6.2011. Luftfrachtführer, Luftfahrzeughalter, Luftverkehrsunternehmen (Zulassung eines Luftfahrzeuges zum Verkehr): §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 32 Abs. 1 S. 1 Nr. 12, 43 Abs. 2, 50 Abs. 1 des Luftverkehrsgesetzes LuftVG, (BGBl. I 2007, 698) i. d. F. v. 10.5.2007 i. V. m. §§ 102 ff. der Luftverkehrszulassungs-Ordnung, LuftVZO (BGBl. I 2008, 1229) i. d. F. v. 10.7.2008. Luftfrachtführer (Haftung für Güterschäden): § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Durchführung des Übereinkommens vom 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr und zur Durchführung der Versicherungspflicht zur Deckung der Haftung für Güterschäden nach der Verordnung (EG) Nr. 785/2004, Montrealer-Übereinkommen-Durchführungsgesetz, MontÜG (BGBl. I 2004, 550, 1027) i. d. F. v. 6.4.2004, Art. 50 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, Montrealer Übereinkommen (BGBl. II 2004, 458), § 44 Nr. 4 LuftVG (i. d. F. v. 24.8.2009), § 104 LuftVZO (i. d. F. v. 15.2.2013). Makler, Anlageberater, Bauträger, Baubetreuer: § 34c Abs. 1, 3 S. 1 Nr. 1 GewO (i. d. F. v. 22.11.2019) i. V. m. § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehensvermittler, Bauträger und Baubetreuer, Makler- und Bauträgerverordnung, MaBV (BGBl. I 1990, 2479) i. d. F. v. 2.5.2012, Besonderheit: Sicherheitsleistung oder Abschluss entsprechender Versicherung. Notare und Notarkammern: §§ 19a Abs. 1 S. 1, 67 Abs. 3 Nr. 3 der Bundesnotarordnung, BNotO (BGBl. I 1961, 97) i. d. F. v. 24.2.1961. Notifizierte Konformitätsbewertungsstellen nach § 12 des Gesetzes über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt, Produktsicherheitsgesetz, ProdSG (BGBl. I 2011, 2179 [2012 I 131]) i. d. F. v. 8.11.2011, GS-Stellen nach § 23 ProdSG i. V. m. § 13 Abs. 8 ProdSG (i. d. F. v. 8.11.2011); siehe auch Überwachungsstellen überwachungsbedürftiger Anlagen. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige: § 36 Abs. 3 Nr. 3 lit. b) GewO (i. d. F. v. 19.6.2020); Verordnungsermächtigung für Landesregierungen, Besonderheit: „Kann“-Regelung; vgl. im Übrigen Regelungen der Bundesländer unter Rn. 124 ff. Ölschadenhaftpflicht im Seeverkehr: § 2 des Gesetzes über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe, Ölschadengesetz, ÖlSG (BGBl. I 1988, 1770) i. d. F. v. 18.7.2016, Besonderheit: Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit. Patentanwälte: § 45 der Patentanwaltsordnung, PAO (BGBl. I 1966, 557) i. d. F. v. 7.9.1966; Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Abs. 4 PartGG: § 45a PAO (i. d. F. v. 12.5.2017) zur rechtlichen Einordnung der Berufshaftpflichtversicherung bei Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Abs. 4 des Gesetzes über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe, PartGG (BGBl. I 1994, 1744) i. d. F. v. 15.7.2013 siehe Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 43. Pharmazeutische Unternehmer: § 94 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 i. V. m. § 88 S. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln, Arzneimittelgesetz, AMG (BGBl. I 2005, 3394) i. d. F. v. 19.10.2012, Besonderheit: Haftpflichtversicherung oder Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung. Probandenversicherung: siehe klinische Versuchsteilnehmer. Produktsicherheit: siehe notifizierte Konformitätsbewertungsstelle nach dem Produktsicherheitsgesetz. Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen: § 7 Abs. 1 der Verordnung über das Inverkehrbringen von Heizkesseln und Geräten nach dem Bauproduktengesetz, BauPGHeizkesselV (BGBl. I 1998, 796) i. d. F. v. 5.12.2012. Vormals: Prüfingenieure für Bautechnik: § 15 Abs. 2 Nr. 7 der Anordnung über Bauvorlagen, bautechnische Prüfungen und Überwachung, BauVorl-/BauPrüf-/ÜbAO (GBl. DDR I Nr. 57, 1400 i. d. F. v. 13.8.1990); insgesamt für die beigetretenen Länder fortgeltendes Recht der ehem. Deutschen Demokratischen Repub-

Beckmann

484

B. Pflichthaftpflichtversicherungen des Bundes



• •





• •





485

VVG Vor §§ 113–124

lik gem. Art. 3 Nr. 32 lit. a) der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31.8.1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag (BGBl. II 1990, 1239) i. d. F. v. 18.9.1990 nach Maßgabe des Art. 9 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, Einigungsvertrag (BGBl. II 1990, 889) i. d. F. v. 31.8.1990 i. V. m. Art. 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 31.8.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der Vereinbarung vom 18.9.1990, Einigungsvertragsgesetz (BGBl. II 1990, 885) i. d. F. v. 23.9.1990; Besonderheit: inzwischen im Wesentlichen durch Ländergesetze ersetzt (vgl. Langheid/Wandt/ Brandt Vorbem. zu §§ 113–124 Rn. 19 unter Nr. 32), vgl. zu Ländergesetzen noch unter Rn. 21 ff. Rechtsanwälte: § 51 BRAO (BGBl. I 1959, 565) i. d. F. v. 12.5.2017; § 7 des Gesetzes über die Tätig- 14 keit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland, EuRAG (BGBl. I 2000, 182, 1349) i. d. F. v. 12.5.2017; Rechtsanwaltsgesellschaften: § 59j BRAO (i. d. F. v. 12.5.2017); Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Abs. 4 PartGG: § 51a BRAO (i. d. F. v. 15.7.2013) zur rechtlichen Einordnung der Berufshaftpflichtversicherung bei Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Abs. 4 des Gesetzes über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe, PartGG (BGBl. I 1994, 1744) i. d. F. v. 15.7.2013 siehe Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 43. Reiseveranstalter: § 651r Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB (i. d. F. v. 17.7.2017), Besonderheit: Sicherung des Insolvenzausfallrisikos durch Versicherung oder Zahlungsversprechen eines Kreditinstituts. Sachverständige für den Bau, die Instandhaltung, den Betrieb und den Verkehr von Eisen- 15 bahnen: § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 lit. c) des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, AEG (i. d. F. v. 16.3.2020), Besonderheit: Verordnungsermächtigung (eine aufgrund des § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 lit. c) AEG erlassene Verordnung ist laut Auskunft des BMVBS bisher weder existent noch geplant). Sachverständige, Sachverständigenorganisationen (Umgang mit wassergefährdenden Stoffen): § 23 Abs. 1 Nr. 5-8, 10,11, Abs. 2 i. V. m. § 62 Abs. 4, 63 Abs. 2 S. 2 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts, Wasserhaushaltsgesetz (BGBl. I 2009, 2585) i. d. F. v. 31.7.2009 i. V. m.§ 52 Abs. 3 Nr. 6 der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, AwSV (BGBl. I 2017, S. 905) i. d. F. v. 18.4.2017. Schaustellergeschäfte (unterhaltende Tätigkeiten als Schausteller oder nach Schaustellerart): § 55f GewO (i. d. F. v. 31.8.2015) i. V. m. § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Haftpflichtversicherung für Schausteller, Schaustellerhaftpflichtverordnung, SchauHV (BGBl. I 1984, 1598) i. d. F. v. 10.11.2001; versicherungspflichtig sind nach § 1 Abs. 2 SchauHV: Schaustellergeschäfte mit Personenbeförderung oder -bewegung; Schießgeschäfte; Schaufahren mit Kraftfahrzeugen, Steilwandbahnen; Zirkusse; Schaustellungen von gefährlichen Tieren; Reitbetriebe. Schießstättenbetreiber: § 27 Abs. 1 WaffG (BGBl. I 2002, 3970) i. d. F. v. 19.6.2020. Schiffverkehrs-Gefahrenabwehrstellen nach dem SOLAS-Übereinkommen und dem ISPSCode: § 3 Abs. 2 Nr. 5 d) der Verordnung zur Eigensicherung von Seeschiffen zur Abwehr äußerer Gefahren, See-Eigensicherungsverordnung, SeeEigensichV (BGBl. I 2005, 2787) i. d. F. v. 19.9.2005. Schusswaffen und Munition durch Brauchtumsschützen, Führen von Waffen und Schießen zur Brauchtumspflege: § 16 Abs. 3 S. 2 Nr. 4. i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 5 WaffG (i. d. F. v. 11.10.2002); siehe auch unter Waffenschein. Sportboote; Anforderungen an Fahrzeuge, die mit Charterbescheinigung geführt werden dürfen: Anlage 6 (zu § 9 Abs. 2 Nr. 2) Ziff. 1. der Verordnung über die gewerbsmäßige Vermietung von Sportbooten sowie deren Benutzung auf den Binnenschifffahrtsstraßen, BinBeckmann

Vor §§ 113–124 VVG

• •



16 • 17 •



18 •



• 19 • •

Anhang

nenschifffahrt-Sportbootvermietungsverordnung, BinSch-SportbootVermV (BGBl. I 2000, 572) i. d. F. v. 21.4.2009. Stellen zur Überwachung überwachungsbedürftiger Anlagen im Sinne des § 2 Nr. 30 ProdSG: § 37 Abs. 5 S. 2 Nr. 4 ProdSG (i. d. F. v. 8.11.2011). Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Steuerberatungsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Abs. 4 PartGG: § 67 StBerG (i. d. F. v. 15.7.2013); § 51 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften, DVStB (BGBl. I 1979, 1922) i. d. F. v. 15.7.2013; zur rechtlichen Einordnung der Berufshaftpflichtversicherung bei Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Abs. 4 PartGG siehe Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 43. Strahlenschutz: Genehmigungsbedürftige Tätigkeiten nach § 12 Abs. 1 Nr. 1–3 StrlSchG und die Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlung am Menschen in der medizinischen Forschung gem. §§ 13 Abs. 2, 35 des Gesetzes zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen, Strahlenschutzgesetz, StrlSchG (BGBl. I 2017, 1966) i. d. F. v. 27.6.2017; Beförderung, Aufbewahrung, Bearbeitung, Verarbeitung und sonstige Verwendung von Kernbrennstoffen sowie Betrieb entsprechender Anlagen gem. §§ 4 Abs. 2 Nr. 4, 6 Abs. 2 Nr. 3, 7 Abs. 2 Nr. 4, 9 Abs. 2 Nr. 4, 13 Abs. 1, 2 des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren, Atomgesetz, AtG (BGBl. I 1985, 1565) i. d. F. v. 15.7.1985 i. V. m. §§ 1, 2 der Verordnung über die Deckungsvorsorge nach dem AtomG, Atomrechtliche Deckungsvorsorge-Verordnung, AtDeckV (BGBl. I 1977, 220) i. d. F. v. 25.1.1977; eine obligatorische Deckungsvorsorge sieht auch Art. 10 lit. a des Pariser Atomhaftungs-Übereinkommens (PÜ) vor (dazu auch Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 42). Träger des Entwicklungshilfedienstes zugunsten der Entwicklungshelfer: § 6 des Entwicklungshelfer-Gesetzes, EhfG (BGBl. I 1969, 549) i. d. F. v. 29.6.1976. Überwachungsorganisationen zur Durchführung von Hauptuntersuchungen, Abgasuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen: Anlage VIIIb (Anlage VIII Nummer 3.1 und 3.2) Ziff. 2.6 StVZO (i. d. F. v. 17.6.2016). Überwachungsstellen überwachungsbedürftiger Anlagen gem. § 37 ProdSG: § 37 Abs. 5 S. 2 Nr. 4 des Gesetzes über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt, Produktsicherheitsgesetz, ProdSG (BGBl. I 2011, 2178, 2179) i. d. F. v. 8.11.2011. Versicherungsvermittler und -berater: § 34d Abs. 5 S. 1 Nr. 3 Gewerbeordnung, GewO (BGBl. I 1999, 202) i. d. F. v. 17.3.2009 i. V. m. §§ 11 ff. der Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung, Versicherungsvermittlungsverordnung, VersVermV (BGBl. I 2018, 2483) i. d. F. v. 17.12.2018. Vertrauensdiensteanbieter (auch andere Form der Sicherheitsleistung zulässig): Art. 24 Abs. 2 lit. c) der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 Über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt i. V. m. §§ 10, 20 Abs. 2 Nr. 3 des Vertrauensdienstegesetzes, VDG (BGBl. I 2017, 2745) i. d. F. v. 18.7.2017 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Verordnung zu Vertrauensdiensten, Vertrauensdiensteverordnung, VDV (BGBl. I 2019, 114) i. d. F. v. 15.2.2019. In diesem Zusammenhang: De-Mail-Diensteanbieter (Akkreditierung): § 18 Abs. 3 Nr. 2 lit. a) des De-Mail-Gesetzes (BGBl. I 2011, 666) i. d. F. v. 22.11.2019. Waffenschein- oder Schießerlaubnisbewerber: § 4 Abs. 1 Nr. 5 WaffG (i. d. F. v. 17.2.2020). Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Abs. 4 PartGG: § 54 des Gesetzes über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftsprüferordnung (BGBl. I 1975, 2803) i. d. F. v. 31.3.2016, zur rechtlichen Einordnung der Berufshaftpflichtversicherung bei Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Abs. 4 PartGG siehe Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 43.

Beckmann

486

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer



VVG Vor §§ 113–124

Zwangsverwalter: § 1 Abs. 4 der Zwangsverwalterverordnung, ZwVwV (BGBl. I 2003, 2804) 20 i. d. F. v. 19.12.2003.

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer (geordnet nach Tätigkeitsbereichen) I. Architekten, Ingenieure, Prüf-, Zertifizierungs- und Überwachungsstellen Berufsgesellschaften als Partnerschaftsgesellschaften i. S. d. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe, Partnerschaftsgesellschaftsgesetz, (PartGG, BGBl. I 1994, 1744) i. d. F. v. 25.7.1994 (Gesellschaften, in denen sich Angehörige Freier Berufe zur Ausübung ihrer Berufe zusammenschließen) nach § 8 Abs. 3 PartGG (i. d. F. v. 15.7.2013) und als Kapitalgesellschaften sowie Prüfingenieure, Prüfsachverständige und bauvorlageberechtigte Entwurfsverfasser: • Baden-Württemberg: Berufsgesellschaften gem. § 8 Abs. 3 PartGG i. V. m. § 2a Abs. 3 S. 1 des Architektengesetzes Baden-Württemberg (ArchG BW i. d. F. v. 28.3.2011); Bausachverständige (Prüfingenieure für Bautechnik) gem. § 73 Abs. 7 Nr. 2 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO i. d. F. v. 5.3.2010) i. V. m. § 1 Abs. 10 der Verordnung des Umweltministeriums über die bautechnische Prüfung baulicher Anlagen, Bauprüfverordnung (BauPrüfVO i. d. F. v. 10.5.2010); beratende Ingenieure und deren Berufsgesellschaften gem. § 17 Abs. 2 Nr. 5 des Gesetzes über die Errichtung einer Ingenieurkammer und über die Berufsordnung der Beratenden Ingenieure in Baden-Württemberg, Ingenieurkammergesetz (i. d. F. v. 28.3.2011); Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 10 der Verordnung des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz über die Bestellung und Amtsausübung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (ÖbVI-BO i. d. F. v. 8.6.2013). • Bayern: Architekten- und Ingenieursgesellschaften sowie Mitglieder der entsprechenden Kammer gem. Art. 8 Abs. 3 Nr. 2, Art. 24 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 des Gesetzes über die Bayerische Architektenkammer und die Bayerische Ingenieurekammer-Bau, Baukammerngesetz (BauKaG i. d. F. v. 9.5.2007); Prüfingenieure und Prüfsachverständige für Bautechnik gem. Art. 80 Abs. 5 Nr. 4 der Bayerischen Bauordnung (BayBO i. d. F. v. 14.8.2007) i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 4 der Verordnung über die Prüfingenieure, Prüfämter und Prüfsachverständigen im Bauwesen (PrüfVBau i. d. F. v. 29.11.2007). • Berlin: Berufsgesellschaften und selbständig tätige Ingenieure gem. §§ 19, 33 Abs. 3, 40 Abs. 1 Nr. 2, 53 Abs. 2 Nr. 7 des Berliner Architekten- und Baukammergesetzes (ABKG i. d. F. v. 6.7.2006) und § 10 Abs. 1 der Berufsordnung der Baukammer Berlin (v. 21.5.2012); Prüfingenieure und Prüfsachverständige gem. § 84 Abs. 2 der Bauordnung für Berlin (BauO Bln i. d. F. v. 29.5.2005) i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 5 der Bautechnischen Prüfungsverordnung (BauPrüfV i. d. F. v. 12.2.2010); Bauaufsicht für fliegende Bauten (TÜV Rheinland Industrie Service GmbH – Regionalbereich Berlin) gem. § 84 Abs. 8 BauO Bln i. V. m. § 1 Abs. 6 der Verordnung über die Übertragung von bauaufsichtlichen Aufgaben für Fliegende Bauten (FlBauÜV i. d. F. v. 12.2.2010); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Fragen des Bauwesens, Städtebaus und Berufswesens gem. § 15 Abs. 1 der Sachverständigenordnung der Architektenkammer Berlin (i. d. F. v. 13.12.2018); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 3 Abs. 7, 8 Nr. 2 bis 4 des Gesetzes über das Vermessungswesen in Berlin (VermGBln i. d. F. v. 9.1.1996) i. V. m. § 17 der Verordnung über den Beruf des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs, ÖbVI-Berufsordnung (ÖbVI-BO i. d. F. v. 31.3.1987). • Brandenburg: Berufsgesellschaften (Architekt) gem. § 10 Abs. 1 des Brandenburgischen Architektengesetzes (BbgArchG i. d. F. v. 11.6.2016); Ingenieursgesellschaften (Partnerschaften) gem. § 10 Abs. 1 des Brandenburgischen Ingenieurgesetzes (BbgIngG i. d. F. v. 487

Beckmann

21

22

23

24

25

Vor §§ 113–124 VVG

26 •

27 •

28 •

Anhang

25.1.2016); Ingenieurkammermitglieder gem. § 25 Abs. 2 Nr. 2 BbgIngG (i. d. F. v. 25.1.2016); Prüfingenieure für Bautechnik gem. § 86 Abs. 2 BbgBO i. d. F. v. 15.11.2018 i. V. m. § 5 Abs. 2 der Verordnung über die Anerkennung von Prüfingenieuren und über die bautechnischen Prüfungen im Land Brandenburg, Brandenburgische Bautechnische Prüfungsverordnung (BbgBauPrüfV i. d. F. v. 10.9.2008); Bauaufsicht für fliegende Bauten (TÜV Rheinland Industrie Service GmbH – Regionalbereich Berlin) gem. § 86 Abs. 3, Abs. 4 BbgBO i. d. F. v. 15.11.2018 i. V. m. § 20 Abs. 6 BbgBauPrüfV (i. d. F. v. 10.9.2008); Prüfsachverständige für Bautechnik gem. § 86 Abs. 2 BbgBO i. d. F. v. 15.11.2018 i. V. m. § 3 Abs. 6 der Verordnung über die im Land Brandenburg bauaufsichtlich anerkannten Prüfsachverständigen, Brandenburgische Prüfsachverständigenverordnung (BbgPrüfSV i. d. F. v. 5.11.2009); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für das Ingenieurwesen gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Brandenburgischen Ingenieurkammer (v. 26.11.2010); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für das Bauwesen gem. § 15 Abs. 1 der Sachverständigenordnung der Brandenburgischen Architektenkammer (v. 21.4.2012), Besonderheit: „Soll“-Regelung; öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 8 Abs. 3 des Gesetzes über die öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure im Land Brandenburg,, Brandenburgisches ÖbVI-Gesetz (BbgÖbVIG i. d. F. v. 28.11.2016). Bremen: Architektenkammermitglieder gem. § 13 Abs. 2 Nr. 5 und Berufsgesellschaften (Partnerschaften und Kapitalgesellschaften) gem. § 4 Abs. 4 des Bremischen Architektengesetzes (BremArchG i. d. F. v. 25.2.2003); Ingenieurkammermitglieder gem. § 25 Abs. 2 Nr. 5 des Bremischen Ingenieurgesetzes (BremIngG i. d. F. v. 25.2.2003); Zusammenschluss Beratender Ingenieure gem. § 6 Abs. 2 Nr. 7 BremIngG (i. d. F. v. 25.2.2003); Sachverständige für energiesparendes Bauen gem. § 14 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 lit. e) des bremischen Klimaschutz- und Energiegesetzes (BremKEG i. d. F. v. 24.3.2015) i. V. m. § 10 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der Energieeinsparverordnung und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes im Land Bremen (EnEV/EEWärmeGV i. d. F. v. 10.12.2015); Prüfingenieure und Prüfsachverständige gem. § 84 Abs. 4 Nr. 4 der Bremischen Landesbauordnung (i. d. F. v. 4.9.2018) i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 4 der Bremischen Verordnung über die Prüfingenieure und Prüfsachverständigen (BremPPV i. d. F. v. 7.1.2016); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 14 Abs. 4 des Bremischen Gesetzes über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (BremÖbVIG i. d. F. v. 24.11.2009). Hamburg: Architektenkammermitglieder und außerordentliche Mitglieder gem. § 19 Abs. 2 Nr. 5 und Berufsgesellschaften (Partnerschaften und Kapitalgesellschaften) gem. § 10 Abs. 3 des Hamburgischen Architektengesetzes (HmbArchtG i. d. F. v. 11.4.2006); Prüfingenieure und Prüfsachverständige für Bautechnik gem. § 81 Abs. 8 Nr. 5 der Hamburgischen Bauordnung (HBauO i. d. F. v. 14.12.2005) i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 5 der Verordnung über Prüfingenieurinnen und Prüfingenieure, Prüfsachverständige und Technische Prüfungen, Prüfverordnung (PVO i. d. F. v. 14.2.2006); Ingenieurgesellschaften (Partnerschaften und Kapitalgesellschaften) gem. § 6a Abs. 3 S. 1 des Hamburgischen Gesetzes über das Ingenieurwesen (HmbIngG i. d. F. v. 10.12.1996); Ingenieurkammermitglieder, beratende und auswärtig beratende Ingenieure gem. § 17 Abs. 2 Nr. 5 HmbIngG (i. d. F. v. 10.12.1996); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Architektenleistungen gem. § 2 Abs. 2 S. 1 Buchstabe h) der Ordnung der Hamburgischen Architektenkammer über die öffentliche Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen (Sachverständigenordnung v. 12.1.1977); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 12 Abs. 4 der Verordnung über öffentlich bestellte Vermessungsingenieurinnen und -ingenieure (ÖbVI-VO i. d. F. v. 11.10.1995). Hessen: Architekten und Stadtplaner gem. § 17 Abs. 1 S. 2 Nr. 8, §§ 4 Abs. 6 Nr. 5, 15 Abs. 1 Nr. 6, Berufsgesellschaften gem. § 6 Abs. 4 und auswärtige Berufsangehörige und Berufsgesellschaften gem. §§ 7 Abs. 2 Nr. 5, 17 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 des Hessischen Architekten- und Stadtplanergesetzes (HASG i. d. F. v. 30.11.2015); bauvorlageberechtigte Entwurfsverfasser gem. § 67 Abs. 5 der Hessischen Bauordnung (HBO i. d. F. v. 28.5.2018); Prüfberechtigte und

Beckmann

488

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer







489

VVG Vor §§ 113–124

Prüfsachverständige gem. § 5 Abs. 2 der Hessischen Verordnung über Prüfberechtigte und Prüfsachverständige nach der Hessischen Bauordnung, Hessische Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung (HPPVO i. d. F. v. 18.12.2006); privatrechtlich organisierte Prüfämter (Standsicherheit) gem. § 14 Abs. 2 S. 3 HPPVO (i. d. F. v. 18.12.2006); Nachweisberechtigte für bautechnische Nachweise gem. § 89 Abs. 4 S. 2 Nr. 9, Abs. 8 Nr. 2 HBO (i. d. F. v. 28.5.2018) i. V. m. § 6 Abs. 3 der Verordnung über Nachweisberechtigte für bautechnische Nachweise nach der Hessischen Bauordnung, Nachweisberechtigten-Verordnung (NBVO i. d. F. v. 3.12.2002); beratende Ingenieure gem. §§ 5 Abs. 1 Nr. 6, 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 und solche in einer Ingenieursgesellschaft als Partnerschaftsgesellschaft gem. §§ 15 Abs. 3, 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 des hessischen Ingenieur- und Ingenieurkammergesetzes (HIngG i. d. F. v. 30.11.2015) i. V. m. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Ingenieurkammer Hessen (v. 12.11.2010); bauvorlageberechtigte Ingenieurinnen und Ingenieure gem. §§ 10 Abs. 1 Nr. 5, 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HIngG (i. d. F. v. 30.11.2015); Stadtplaner gem. §§ 8 Abs. 1 Nr. 6, 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HIngG (i. d. F. v. 30.11.2015); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Fragen des Bauwesens, Städtebaus und Berufswesens gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen (v. 25.8.2009); öffentlich bestellte und vereidigte Vermessungsingenieure gem. § 5 Abs. 3 des Hessischen Gesetzes über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und Vermessungsingenieure (HÖbVIngG i. d. F. v. 6.10.2010). Mecklenburg-Vorpommern: Architekten und Ingenieure gem. §§ 29 Abs. 1 Nr. 3, 30 des 29 Gesetzes zur Neufassung des Architekten- und Ingenieurrechts des Landes MecklenburgVorpommern, Architekten- und Ingenieurgesetz (ArchIngG M-V i. d. F. v. 18.11.2009); Berufsgesellschaften gem. § 13 Abs. 2 ArchIngG M-V (i. d. F. v. 18.11.2009); Bauaufsicht für fliegende Bauten (Prüfstelle) gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 der Verordnung zur Übertragung von bauaufsichtlichen Aufgaben für Fliegende Bauten (ÜVO-FlBau M-V i. d. F. v. 22.4.2005); Prüfingenieure und Prüfsachverständige gem. § 85 Abs. 4 Nr. 3 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V i. d. F. v. 15.10.2015) i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 4 der Verordnung über die Prüfingenieure und Prüfsachverständigen, Prüfingenieure- und Prüfsachverständigenverordnung (PPVO M-V i. d. F. v. 10.7.2006); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Ingenieurwesens gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigensatzung der Ingenieurkammer Mecklenburg-Vorpommern (v. 17.11.2018); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Berufsordnung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure im Land Mecklenburg-Vorpommern (BO-ÖbVI M-V i. d. F. v. 2.6.1994). Niedersachsen: Bauvorlageberechtigte Entwurfsverfasser von genehmigungsfreien Baumaß- 30 nahmen i. S. d. § 62 Abs. 1 gem. § 62 Abs. 4 S. 1 der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO i. d. F. v. 3.4.2012); freischaffende Architekten gem. §§ 37 Abs. 2 Nr. 4, 23, 5 und Berufsgesellschaften gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Niedersächsischen Architektengesetzes (NArchtG i. d. F. v. 25.9.2017); Prüfingenieure für Baustatik gem. § 3 Abs. 3 Nr. 6 der Verordnung über die bautechnische Prüfung von Baumaßnahmen, Bautechnische Prüfungsverordnung (BauPrüfVO i. d. F. v. 24.7.1987); Ingenieure gem. § 40 Abs. 2 Nr. 4, beratende Ingenieure gem. § 11 Abs. 1 und Berufsgesellschaften gem. § 17 Abs. 3 des Niedersächsischen Ingenieurgesetzes (NIngG i. d. F. v. 25.9.2017); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Architekten- und Bauwesens gem. §§ 3 Abs. 2 Buchstabe h), 15 Abs. 2 S. 1 der Sachverständigenordnung der Architektenkammer Niedersachsen (v. 26.5.2004); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Ingenieurwesens gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung (SVO) der Ingenieurkammer Niedersachsen (v. 11.12.2018); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 7 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über Öffentlich bestellte Vermessungsingenieurinnen und Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure (NÖbVIG i. d. F. v. 1.7.2020). Nordrhein-Westfalen: Architekten gem. § 22 Abs. 2 Nr. 5, Berufsgesellschaften gem. § 8 31 Abs. 2, 3 oder auswärtige Gesellschaften gem. § 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 des Gesetzes über den Schutz der Berufsbezeichnungen „Architekt“, „Architektin“, „Stadtplaner“ und „StadtplaBeckmann

Vor §§ 113–124 VVG

32 •

33 •

Anhang

nerin“ sowie über die Architektenkammer, über den Schutz der Berufsbezeichnung „Beratender Ingenieur“ und „Beratende Ingenieurin“ sowie über die Ingenieurkammer-Bau, Baukammerngesetz (BauKaG NRW i. d. F. v. 16.12.2003) i. V. m. §§ 19, 20 der Verordnung zur Durchführung des Baukammerngesetzes (DVO BauKaG NRW i. d. F. v. 23.10.2004); Ingenieure gem. § 46 Abs. 2 Nr. 5 BauKaG NRW (i. d. F. v. 23.10.2004) i. V. m. § 19 DVO BauKaG NRW (i. d. F. v. 23.10.2004) und Berufsgesellschaften beratender Ingenieure gem. § 33 Abs. 2 oder auswärtige Gesellschaften gem. § 34 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauKaG NRW (i. d. F. v. 16.12.2003) i. V. m. §§ 19, 20 DVO BauKaG NRW; staatlich anerkannte Sachverständige gem. § 6 Abs. 1 der Verordnung über staatlich anerkannte Sachverständige nach der Landesbauordnung (SV-VO i. d. F. v. 29.4.2000) i. V. m. §§ 21, 19 DVO BauKaG NRW; öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Bauwesens gem. § 14 Nr. 2 der Sachverständigenordnung der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (v. 24.10.2015); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Ingenieurwesens gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen (SVO IK-Bau NRW v. 9.11.2010) i. V. m. § 19 Abs. 2 und 4 DVO BauKaG NRW (i. d. F. v. 30.6.2009); Prüfingenieure für Bautechnik gem. § 87 Abs. 6 Nr. 2 Bauordnung für das Land NRW (BauO NRW i. d. F. v. 21.7.2018) i. V. m. § 24 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung über bautechnische Prüfungen (BauPrüfVO i. d. F. v. 6.12.1995); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 1 Abs. 4 des Gesetzes über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und -ingenieure in Nordrhein-Westfalen (ÖbVIG NRW i. d. F. v. 1.4.2014) i. V. m. § 5 der Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und -ingenieure in Nordrhein-Westfalen (DVOzÖbVIG NRW i. d. F. v. 9.9.2014). Rheinland-Pfalz: Prüfingenieure für Baustatik gem. §§ 59 Abs. 3, 66 Abs. 5, 87 Abs. 4 Nr. 3 lit. b), Abs. 5 der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (LBauO i. d. F. v. 24.11.1998) i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 9 der Landesverordnung über Prüfingenieurinnen und Prüfingenieure für Baustatik (PrüfIngBaustatikVO i. d. F. v. 11.12.2007); Prüfsachverständige für Standsicherheit gem. § 3 Abs. 1 Nr. 9 der Landesverordnung über Prüfsachverständige für Standsicherheit (PrüfSStBauVO i. d. F. v. 24.9.2007); Architektenkammermitglieder gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 und Berufsgesellschaften gem. § 8 Abs. 1, Abs. 2 (Kapitalgesellschaften), § 9 Abs. 3 (Partnerschaften) und für auswärtige Berufsgesellschaften § 10 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 des Rheinland-Pfälzischen Architektengesetzes (ArchG i. d. F. v. 16.12.2005) i. V. m. der Landesverordnung zur Durchführung des Architektengesetzes (v. 9.2.2009); Ingenieurkammermitglieder gem. § 36 Abs. 2 Nr. 5, beratende Ingenieure gem. § 12 Abs. 2 Nr. 5, Gesellschaften beratender Ingenieure gem. § 9 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 und auswärtige Kapitalgesellschaften gem. § 11 Abs. 4 Nr. 3 des Landesgesetzes zum Schutz der Berufsbezeichnungen im Ingenieurwesen und über die Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz (IngKaG i. d. F. v. 9.3.2011); Sachverständige für baulichen Brandschutz gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 der Landesverordnung über Sachverständige für baulichen Brandschutz (i. d. F. v. 25.3.1997); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet der Architektur gem. § 2 Abs. 1 Buchstabe h) der Ordnung der rheinland-pfälzischen Architektenkammer über die öffentliche Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen (v. 25.11.2013); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet der technischen Ausrüstung von Gebäuden und baulichen Anlagen, des Bauingenieurwesens, der Baugrund- und Bodenmechanik, der Bauphysik, des Vermessungs- und des Kraftfahrzeugwesens gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz (v. 8.4.2014); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 2a Abs. 5 des Landesgesetzes über das amtliche Vermessungswesen (LGVerm i. d. F. v. 20.12.2000) i. V. m. § 19 der Landesverordnung über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (ÖbVIVO i. d. F. v. 22.6.2005). Saarland: Prüfberechtigte und Prüfsachverständige gem. § 5 Abs. 1 S. 4 der Verordnung über die Prüfberechtigten und Prüfsachverständigen nach der Landesbauordnung, Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung (PPVO i. d. F. v. 26.1.2011); Architektenund Ingenieurkammermitglieder gem. § 47 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, Architektengesellschaften gem.

Beckmann

490

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer







491

VVG Vor §§ 113–124

§ 7 Abs. 3 und auswärtige Berufsgesellschaften gem. § 8 S. 3 Nr. 2, beratende Ingenieure gem. § 23 Abs. 1 Nr. 4, (beratende) Ingenieursgesellschaften gem. § 27 Abs. 2 und auswärtige Gesellschaften gem. § 28 S. 3 Nr. 2 des Saarländischen Architekten- und Ingenieurkammergesetzes (SAIG i. d. F. v. 13.6.2016) i. V. m. der Verordnung zur Durchführung des Saarländischen Architekten- und Ingenieurkammergesetzes (DVSAIG v. 7.4.2020); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Architekten- und Bauwesens gem. § 2 Abs. 1 Buchstabe g) der Ordnung über die Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen der Architektenkammer des Saarlandes (v. 26.11.2004); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Ingenieurwesens gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Ingenieurkammer des Saarlandes (v. 14.6.2005); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 26 Abs. 5 des Saarländischen Gesetzes über die Landesvermessung und das Liegenschaftskataster, Saarländisches Vermessungs- und Katastergesetz (SVermKatG i. d. F. v. 16.10.1997). Sachsen: Architekten und Stadtplaner i. S. d. §§ 1, 5 gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2, Berufsgesellschaften 34 gem. § 9 Abs. 3 Nr. 2 des Sächsischen Architektengesetzes (SächsArchG i. d. F. v. 7.3.2017); bauvorlageberechtigte Entwurfsverfasser i. S. d. § 65 und qualifizierte Tragwerksplaner i. S. d. § 66 Abs. 2 der Sächsischen Bauordnung (SächsBO i. d. F. v. 11.5.2016) gem. § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die Errichtung einer Ingenieurkammer und zum Schutz der Berufsbezeichnung „Beratender Ingenieur“ im Freistaat Sachsen, Sächsisches Ingenieurkammergesetz (SächsIngKG i. d. F. v. 19.10.1993); Prüfingenieure und Prüfsachverständige für Bautechnik gem. § 88 Abs. 4 Nr. 4 der Sächsischen Bauordnung (SächsBO i. d. F. v. 11.5.2016) i. V. m. § 18 Abs. 1 S. 4 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zur Durchführung der Sächsischen Bauordnung, Durchführungsverordnung zur SächsBO (DVOSächsBO i. d. F. v. 2.9.2004); von der Ingenieurkammer Sachsen ernannte Sachverständige für Sachgebiete des Ingenieurwesens gem. § 16 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Ingenieurkammer Sachsen (v. 9.10.2014); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. §§ 23 Abs. 3, 29 Abs. 1 Nr. 10 lit. e) des Gesetzes über das amtliche Vermessungswesen und das Liegenschaftskataster im Freistaat Sachsen, Sächsisches Vermessungs- und Katastergesetz (SächsVermKatG i. d. F. v. 29.1.2008) i. V. m. § 9 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure im Freistaat Sachsen, Sächsische Verordnung über Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure (SächsÖbVVO i. d. F. v. 3.3.2009); von einer IHK in Sachsen im Einvernehmen mit der Architektenkammer Sachsen und der Ingenieurkammer Sachsen ernannte Sachverständige für Sachgebiete des Bauwesens, des Städtebaus und der Architektur gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnungen der IHK Chemnitz und IHK Dresden, Besonderheit: „Soll“-Regelung. Sachsen-Anhalt: Architektenkammermitglieder i. S. d. § 14 und auswärtige Dienstleister i. S. d. 35 § 11 gem. § 16 Abs. 2 Nr. 3 und Gesellschaften und auswärtige Gesellschaften gem. § 16 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 2 Nr. 3 des Architektengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (ArchtG-LSA i. d. F. v. 28.4.1998); Prüfingenieure und Prüfsachverständige für Bautechnik gem. § 84 Abs. 2 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt (BauO LSA i. d. F. v. 10.9.2013) i. V. m. § 5 Abs. 3 der Verordnung über Prüfingenieure und Prüfsachverständige (PPVO i. d. F. v. 25.11.2014); Ingenieurkammermitglieder gem. § 33 Abs. 2 Nr. 4 des Ingenieurgesetzes Sachsen-Anhalt (IngG LSA i. d. F. v. 22.1.2009); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Architekten- und Bauwesens gem. §§ 15 Abs. 2, 22 Abs. 4 der Sachverständigenbestellungsordnung der Architektenkammer Sachsen-Anhalt; öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Ingenieurwesens gem. § 13 der Sachverständigenordnung der Ingenieurkammer Sachsen-Anhalt (v. 6.11.2015); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 8 Abs. 4 des Gesetzes über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure im Land Sachsen-Anhalt (ÖbVermIngG LSA i. d. F. v. 22.5.1992). Schleswig-Holstein: Architekten, Stadtplaner, beratende Ingenieure, sonstige in die Listen 36 nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und 7 eingetragene Personen gem. § 3 Abs. 1 Nr. 10, Berufsgesellschaften gem. § 10 Abs. 2 des Gesetzes über die Führung der Berufsbezeichnungen ArchitekBeckmann

Vor §§ 113–124 VVG

37 •

Anhang

tin oder Architekt, Stadtplanerin oder Stadtplaner und Beratende Ingenieurin oder Beratender Ingenieur sowie über die Errichtung einer Architekten- und Ingenieurkammer, Architekten- und Ingenieurkammergesetz (ArchIngKG i. d. F. v. 9.8.2001); Bauvorlageberechtigte Entwurfsverfasser gem. § 65 Abs. 6 S. 1 der Landesbauordnung für das Land SchleswigHolstein (LBO i. d. F. v. 22.1.2009); Prüfingenieure für Standsicherheit sowie Prüfsachverständige gem. § 83 Abs. 2 LBO i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 5 der Landesverordnung über die Prüfingenieurinnen oder Prüfingenieure für Standsicherheit sowie Prüfsachverständigen (PPVO i. d. F. v. 12.11.2018); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet des Architekten- und Bauwesens sowie des Ingenieurwesens gem. § 14 Abs. 1 der Sachverständigenordnung der Architekten- und Ingenieurkammer Schleswig-Holstein (v. 4.6.2012); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 10 des Gesetzes über die Berufsordnung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (BerufsO-ÖbVI i. d. F. v. 26.7.2004) i. V. m. § 6 der Landesverordnung über die Bestellung und die Berufsausübung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (ÖbVIVO i. d. F. v. 14.10.2011). Thüringen: Prüfingenieure und Prüfsachverständige für Bautechnik gem. § 87 Abs. 2 der Thüringer Bauordnung (ThürBO i. d. F. v. 13.3.2014) i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 4 der Thüringer Verordnung über die Prüfingenieure und Prüfsachverständigen (ThürPPVO i. d. F. v. 22.2.2018); selbstständige Architekten, beratende Ingenieure, bauvorlageberechtigte Ingenieure, Stadtplaner und Berufsgesellschaften gem. § 33 Abs. 1 S. 1 und auswärtige Gesellschaften gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 des Thüringer Gesetzes über die Architektenkammer, die Ingenieurkammer und den Schutz von Berufsbezeichnungen, Thüringer Architekten- und Ingenieurkammergesetz (ThürAIKG i. d. F. v. 14.12.2016); öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 9 Abs. 1 des Thüringer Gesetzes über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (ThürGÖbVI i. d. F. v. 22.3.2005) i. V. m. § 5 der Verordnung zur Durchführung des Thüringer Gesetzes über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (ThürGÖbVIDVO i. d. F. v. 4.8.2005).

II. Betrieb von privaten Eisenbahnen, Bergbahnen und Seilbahnen, Schleppliften etc. 38 •

39 •

40 • 41 •

42 •

43 •

Baden-Württemberg: Seilbahnunternehmer gem. § 17 S. 1 des Gesetzes über Seilbahnen, Schleppaufzüge und Vergnügungsbahnen in Baden-Württemberg, Landesseilbahngesetz (LSeilbG i. d. F. v. 20.11.2003); Eisenbahnen gem. § 11 Abs. 2 Nr. 3 Landeseisenbahngesetz (LEisenbG i. d. F. v. 8.6.1995). Bayern: Seilbahnunternehmen gem. Art. 21 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der nichtbundeseigenen Eisenbahnen und der Seilbahnen in Bayern, Bayerisches Eisenbahn- und Seilbahngesetz (BayESG i. d. F. v. 9.8.2003) i. V. m. § 8 der Verordnung zur Durchführung des Bayerischen Eisenbahn- und Seilbahngesetzes, Seilbahnverordnung (SeilbV i. d. F. v. 15.6.2011); anerkannte sachverständige Stellen für Seilbahnen gem. § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SeilbV. Berlin: Seilbahnunternehmer gem. § 15 S. 1 des Gesetzes über Seilbahnen, Landesseilbahngesetz (LSeilbG i. d. F. v. 9.3.2004). Bremen: Seilbahnunternehmen gem. § 14 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über Seilbahnen für den Personenverkehr im Lande Bremen, Bremisches Seilbahngesetz (BremSeilbG i. d. F. v. 12.10.2004). Hamburg: Seilbahnen gem. § 3 Abs. 3 Nr. 4 des Hamburgischen Seilbahngesetzes (i. d. F. v. 18.2.2004); Konformitätsbewertungsstellen für Sicherheitsbauteile und Teilsysteme von Seilbahnen gem. § 18 Abs. 2 und Abs. 3 des Hamburgischen Seilbahngesetzes (i. d. F. v. 18.2.2004). Hessen: Eisenbahnen gem. § 6 Abs. 2 S. 1 des Hessischen Eisenbahngesetzes (HEisenbG i. d. F. v. 6.9.2019); Seilbahnunternehmen gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Seilbahngesetzes (HSeilbG i. d. F. v. 6.9.2019).

Beckmann

492

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer





• •







VVG Vor §§ 113–124

Mecklenburg-Vorpommern: Seilbahnunternehmen gem. § 9 Abs. 1 des Gesetzes über Seilbahnen im Land Mecklenburg-Vorpommern, Landesseilbahngesetz (LSeilbG M-V i. d. F. v. 20.7.2004). Niedersachsen: Eisenbahninfrastrukturunternehmen gem. § 7 S. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über Eisenbahnen und Seilbahnen (NESG i. d. F. v. 22.10.2014); Seilbahnbetreiber nach § 19 S. 1 NESG (i. d. F. v. 22.10.2014). Nordrhein-Westfalen: Seilbahnunternehmer gem. § 12 S. 1 des Gesetzes über die Seilbahnen in Nordrhein-Westfalen (SeilbG NRW i. d. F. v. 16.12.2003). Rheinland-Pfalz: Seilbahnunternehmen gem. § 11 Abs. 1 S. 1 des Landesseilbahngesetzes (i. d. F. v. 15.10.2004); Unternehmer gem. § 33 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über Eisenbahnen und Bergbahnen, Landeseisenbahngesetz (LEisenbG i. d. F. v. 18.12.2001) i. V. m. der Landesverordnung über die Mindestversicherungssummen nach dem Landeseisenbahngesetz (LEisenbGMindVVO i. d. F. v. 30.6.1975). Sachsen: Eisenbahnen gem. § 10 Abs. 2 Nr. 3 des Eisenbahngesetzes für den Freistaat Sachsen, Landeseisenbahngesetz (LEisenbG i. d. F. v. 12.3.1998); Seilbahnunternehmer gem. § 12 S. 1 des Gesetzes über Seilbahnen im Freistaat Sachsen, Landesseilbahngesetz (LSeilbG i. d. F. v. 24.2.2016). Schleswig-Holstein: Eisenbahnen gem. § 12 Abs. 2 Nr. 3 des Eisenbahngesetzes für das Land Schleswig-Holstein, Landeseisenbahngesetz (LEisenbG i. d. F. v. 23.5.2003); Seilbahnunternehmer gem. § 11 S. 1 des Gesetzes über Seilbahnen für den Personenverkehr, Landesseilbahngesetz (LSeilbG i. d. F. v. 27.5.2004). Thüringen: Bergbahnunternehmen gem. § 14 Abs. 1 S. 1 des Thüringer Bergbahngesetzes (ThürBBahnG i. d. F. v. 18.12.2018).

44

45

46 47

48

49

50

III. Elektrofischerei •

• •

• •



• • •

493

Baden-Württemberg: Elektrofischerei gem. § 6 Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum zur Durchführung des Fischereigesetzes für Baden-Württemberg, Landesfischereiverordnung (LFischVO i. d. F. v. 9.2.2010). Bayern: Elektrofischerei gem. § 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Fischereigesetzes (AVBayFiG i. d. F. v. 1.11.2014). Bremen: Elektrofischerei gem. § 21 Abs. 3 S. 3 des Bremischen Fischereigesetzes (BremFiG i. d. F. v. 17.9.1991) i. V. m. § 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 der Bremischen Binnenfischereiverordnung (i. d. F. v. 30.9.2011). Hamburg: Elektrofischerei gem. § 16 S. 2 Nr. 2 des Hamburgischen Fischerei – und Angelgesetzes (i. d. F. v. 28.5.2019). Hessen: Elektrofischerei gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung über die gute fachliche Praxis in der Fischerei und den Schutz der Fische, Hessische Fischereiverordnung (HFischV i. d. F. v. 17.12.2008). Niedersachsen: Elektrofischerei gem. § 44 Abs. 3 des Niedersächsischen Fischereigesetzes (Nds. FischG i. d. F. v. 5.11.2004) i. V. m. § 10 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 der Verordnung über die Fischerei in Binnengewässern, Binnenfischereiordnung (i. d. F. v. 31.10.2001), vgl. auch § 7 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 der Niedersächsischen Küstenfischereiordnung (NKüFischO i. d. F. v. 3.3.2006). Rheinland-Pfalz: Elektrofischerei gem. § 13 Abs. 2 Nr. 3 der Landesverordnung zur Durchführung des Landesfischereigesetzes, Landesfischereiordnung (i. d. F. v. 14.10.1985). Saarland: Elektrofischerei gem. § 41 Abs. 2 Nr. 3 der Verordnung zur Durchführung des Saarländischen Fischereigesetzes, Landesfischereiordnung (LFO i. d. F. v. 5.2.2020). Thüringen: Elektrofischerei gem. § 18 Abs. 2 Nr. 3 der Thüringer Fischereiverordnung (ThürFischVO i. d. F. v. 18.2.2003).

Beckmann

51

52 53

54 55

56

57 58 59

Vor §§ 113–124 VVG

Anhang

IV. Hebammen 60 •

61 • 62 • 63 •

64 •

65 •

66 • 67 •

68 • 69 •

70 •

71 •

72 •

73 • 74 •

75 •

Baden-Württemberg: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 8 Abs. 1 Nr. 4 der Verordnung des Sozialministeriums über die Berufspflichten der Hebammen und Entbindungspfleger, Hebammenberufsordnung (HebBO i. d. F. v. 2.12.2016). Bayern: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 8 Abs. 1 Nr. 3 der Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (BayHebBO i. d. F. v. 28.5.2013). Berlin: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 7 Nr. 2 der Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebBO i. d. F. v. 9.11.2010). Brandenburg: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 10 Nr. 1 der Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger im Land Brandenburg (HebBOBbg i. d. F. v. 8.11.1995). Bremen: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 der Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger im Lande Bremen (i. d. F. v. 11.5.2012). Hamburg: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 8 Abs. 1 Nr. 2 der Berufsordnung für die hamburgischen Hebammen und Entbindungspfleger, HebammenBerufsordnung (i. d. F. v. 25.4.2017). Hessen: selbständig tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 2 Abs. 8 der Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebBO i. d. F. v. 12.6.2018). Mecklenburg-Vorpommern: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 der Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebBO i. d. F. v. 14.12.1992). Niedersachsen: freiberuflich tätige Hebammen gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über die Ausübung des Hebammenberufs (NHebG i. d. F. v. 17.12.2019). Nordrhein-Westfalen: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 8 Nr. 2 der Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebBO NRW i. d. F. v. 6.6.2017). Rheinland-Pfalz: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 7 Nr. 1 der Landesverordnung über die Berufspflichten und die Berufsausübung der Hebammen und Entbindungspfleger, Hebammenberufsordnung (i. d. F. v. 14.3.1995). Saarland: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 8 Abs. 4 Nr. 5 der Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger, Hebammenberufsverordnung (HebBVO i. d. F. v. 8.3.2005). Sachsen: freiberuflich tätige Hebammen gem. § 9 Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausübung des Berufes der Hebamme und des Entbindungspflegers, Sächsisches Hebammengesetz (SächsHebG i. d. F. v. 2.4.2014). Sachsen-Anhalt: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 3 Abs. 2 der Hebammen-Berufsverordnung (i. d. F. v. 17.8.2009). Schleswig-Holstein: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 8 Abs. 1 Nr. 8 der Landesverordnung über die Berufspflichten der Hebammen und Entbindungspfleger, Hebammenberufsverordnung (HebBVO i. d. F. v. 26.11.2020). Thüringen: freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 der Thüringer Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (i. d. F. v. 24.11.1998).

V. Heilberufe 76 Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichentherapeuten usw. werden aufgrund der einheitlichen Ermächtigungsgrundlage der heilberuflichen Ländergesetze zusammen aufgelistet. Hierbei handelt es sich nicht stets um eine Haftpflichtversi-

Beckmann

494

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer

VVG Vor §§ 113–124

cherung. Der Vollständigkeit halber sind jedoch nicht nur Pflichthaftpflichtversicherungen aufgeführt (vgl. auch § 113 Rn. 13). • Baden-Württemberg: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten sowie die Ethikkommission der Landesärztekammer gem. §§ 5 Abs. 4, 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Berufsrecht und die Kammern der Heilberufe, Heilberufe-Kammergesetz (HBKG i. d. F. v. 16.3.1995) i. V. m. den Berufsordnungen der Kammern (z. B. § 21 Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg). • Bayern: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichentherapeuten gem. Art. 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Art. 46 Abs. 1 S. 1, Art. 51 Abs. 1 S. 1. Art. 59 Abs. 1 S. 1, Art. 65 S. 1 des Gesetzes über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Heilberufe-Kammergesetz (HKaG i. d. F. v. 6.2.2002) i. V. m. den Berufsordnungen der berufsständigen Vertretungen (z. B. § 21 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns i. d. F. v. 1.1.2019). • Berlin: Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichentherapeuten gem. § 27 Abs. 1 Nr. 7 des Gesetzes über die Kammern und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Berliner Heilberufekammergesetz (BInHKG i. d. F. v. 2.11.2019) i. V. m. den Berufsordnungen (z. B. § 21 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin [i. d. F. v. 26.11.2014], § 1 Abs. 11 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Berlin [i. d. F. v. 30.1.1997]). • Brandenburg: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie die Ethikkommission der Länderärztekammer gem. §§ 7 Abs. 3 S. 1, 31 Abs. 1 Nr. 4 des Brandenburgischen Heilberufsgesetzes (HeilBerG i. d. F. v. 28.4.2003) i. V. m. den Berufsordnungen. • Bremen: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichentherapeuten gem. §§ 28 Nr. 4, 29 Abs. 1 S. 1, 30 Abs. 1 Nr. 17 des Gesetzes über die Berufsvertretung, die Berufsausübung, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Tierärzte und Apotheker, Heilberufsgesetz (HeilBerG i. d. F. v. 15.4.2005) i. V. m. den Berufsordnungen der Kammern. • Hamburg: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichentherapeuten und deren Berufsgesellschaften sowie die Ethik-Kommissionen der Ärztekammer Hamburg und der Psychotherapeutenkammer Hamburg gem. §§ 9 Abs. 7 Nr. 11, 27 Abs. 3 S. 2 Nr. 5, Abs. 4, 28 Abs. 1 S. 1 des Hamburgischen Kammergesetzes für die Heilberufe (HmbKGH i. d. F. v. 14.12.2005) i. V. m. den Berufsordnungen bzw. Satzungen. • Hessen: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gem. § 25 Nr. 17 des Gesetzes über die Berufsvertretungen, die Berufsausübung, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufsgesetz i. d. F. v. 7.2.2003) i. V. m. den Berufsordnungen der Kammern. • Mecklenburg-Vorpommern: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apothekeninhaber und deren Berufsgesellschaften, Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gem. §§ 7 Abs. 1 Nr. 8, 32 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 S. 1 und 2, 33 Abs. 2 Nr. 8 des Heilberufsgesetzes (HeilBerG i. d. F. v. 22.1.1993) i. V. m. den Berufsordnungen. • Niedersachsen: Ärzte, Zahnärzte, niedergelassene Tierärzte, selbständig tätige Apotheker, Psychotherapeuten sowie deren Berufsgesellschaften gem. §§ 32 Abs. 2 Nr. 7, 33 Abs. 1 Nr. 4 des Kammergesetzes für die Heilberufe (HKG i. d. F. v. 8.12.2000) i. V. m. den Berufsordnungen. • Nordrhein-Westfalen: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker, deren Berufsgesellschaften sowie die Ethikkommissionen der Ärztekammern gem. §§ 7 Abs. 6, 30 Nr. 4, 31 S. 1 des Heilberufsgesetzes (HeilBerG i. d. F. v. 9.5.2000) i. V. m. den Berufsordnungen der Kammern.

495

Beckmann

77

78

79

80

81

82

83

84

85

86

Vor §§ 113–124 VVG

87 •

88 •

89 •

90 •

91 •

92 •

Anhang

Rheinland-Pfalz: Ärzte, Zahnärzte, psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Tierärzte gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 des Heilberufsgesetzes (HeilBG i. d. F. v. 19.12.2014) i. V. m. den Berufsordnungen der Kammern. Saarland: Ärzte und deren Berufsgesellschaften, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, psychologische Psychotherapeuten sowie die Ethikkommission der Ärztekammer gem. §§ 5 Abs. 1 S. 2, 17 Abs. 2 Nr. 17 des Gesetzes Nr. 1405 über die öffentliche Berufsvertretung, die Berufspflichten, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte/Ärztinnen, Zahnärzte/Zahnärztinnen, Tierärzte/Tierärztinnen und Apotheker/Apothekerinnen im Saarland, saarländisches Heilberufekammergesetz (SHKG i. d. F. v. 30.1.2018) i. V. m. den Berufsordnungen der Kammern. Sachsen: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie Apotheker, die Ethikkommissionen der Landesärztekammer, der Universität Leipzig und der Technischen Universität Dresden sowie Arztpraxen oder Apotheken in der Rechtsform einer juristischen Person des privaten Rechts gem. §§ 5a Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4, 16 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 und 2, 17 Abs. 1 Nr. 9 des Gesetzes über Berufsausübung, Berufsvertretungen und Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten im Freistaat Sachsen, Sächsisches Heilberufekammergesetz (SächsHKaG i. d. F. v. 24.5.1994) i. V. m. den Berufsordnungen. Sachsen-Anhalt: Ärzte, Ärztegesellschaften, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gem. § 19 Abs. 2 Nr. 4 des Gesetzes über die Kammern für Heilberufe Sachsen-Anhalt (KGHB-LSA i. d. F. v. 13.7.1994) i. V. m. den Berufsordnungen der Kammern. Schleswig-Holstein: Ärzte, Ärztegesellschaften, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten sowie die Ethikkommission der Ärztekammer gem. §§ 6 Abs. 5, 30 Nr. 6 des Gesetzes über die Kammern und die Berufsgerichtsbarkeit für die Heilberufe, Heilberufekammergesetz (HBKG i. d. F. v. 29.2.1996) i. V. m. den Berufsordnungen bzw. Satzungen der Kammern. Thüringen: Ärzte, Ärztegesellschaften, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gem. §§ 22, 23 Nr. 16 des Thüringer Heilberufegesetzes (ThürHeilBG i. d. F. v. 29.1.2002) i. V. m. den Berufsordnungen der Kammern.

VI. Hundehalter-Haftpflichtversicherung, sowohl für nicht gefährliche als auch für gefährliche Hunde 93 •

94 •

95 • 96 •

Baden-Württemberg: § 3 Abs. 2 S. 6 der Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz über das Halten gefährlicher Hunde (i. d. F. v. 3.8.2000), Besonderheit: Die Erlaubnis für das Halten von Kampfhunden ist in der Regel vom Nachweis des Bestehens einer besonderen Haftpflichtversicherung abhängig zu machen. Bayern: Art. 37 Abs. 2 S. 2 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG i. d. F. v. 24.4.2001), Besonderheit: Die Erlaubnis für das Halten gefährlicher Tiere kann vom Nachweis des Bestehens einer besonderen Haftpflichtversicherung abhängig gemacht werden. Berlin: § 14 Abs. 1 des Gesetzes über das Halten und Führen von Hunden in Berlin (HundeG i. d. F. v. 7.7.2016). Brandenburg: § 17 Abs. 5, § 25a Abs. 4, 5 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden, Ordnungsbehördengesetz (OBG i. d. F. v. 21.8.1996) i. V. m. § 1 Abs. 4 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über das Halten und Führen von Hunden, Hundehalterverordnung (HundehV i. d. F. v. 16.6.2004).

Beckmann

496

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer

• •



• •

• •

• • • •

VVG Vor §§ 113–124

Bremen: § 1 Abs. 6 S. 2 des Gesetzes über das Halten von Hunden (i. d. F. v. 2.10.2001). Hamburg: § 12 des Hamburgischen Gesetzes über das Halten und Führen von Hunden, Hundegesetz (HundeG i. d. F. v. 26.1.2006); für die in einem Tierheim gehaltenen Hunde kann gem. § 12 Abs. 3 HundeG (i. d. F. v. 26.1.2006) i. V. m. § 14 der Verordnung zur Durchführung des Hundegesetzes, Durchführungsverordnung zum Hundegesetz (HundeGDVO i. d. F. v. 21.3.2006) bei Vorliegen einer Pauschal-Haftpflichtversicherung für alle Hunde eine Ausnahme von der Haftpflichtversicherungspflicht des § 12 Abs. 1 HundeG (i. d. F. v. 26.1.2006) gewährt werden. Hessen: § 71a Abs. 2 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG i. d. F. v. 14.1.2005) i. V. m. § 1 Abs. 3, §§ 2, 3 der Gefahrenabwehrverordnung über das Halten und Führen von Hunden (HundeVO i. d. F. v. 22.1.2003). Niedersachsen: Haftpflichtversicherung für Hunde älter als sechs Monate gem. § 5 des Niedersächsischen Gesetzes über das Halten von Hunden (NHundG i. d. F. v. 26.5.2011). Nordrhein-Westfalen: gefährliche Hunde gem. § 5 Abs. 5, §§ 3, 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, große Hunde gem. § 11 Abs. 2 des Hundegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen, Landeshundegesetz (LHundG NRW i. d. F. v. 18.12.2002). Rheinland-Pfalz: gefährliche Hunde gem. § 4 Abs. 2, § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 des Landesgesetzes über gefährliche Hunde (LHundG i. d. F. v. 22.12.2004). Saarland: gefährliche (erlaubnispflichtige) Hunde gem. § 59a Abs. 2 des Saarländischen Polizeigesetzes (SPolG i. d. F. v. 26.3.2001) i. V. m. § 2 Abs. 2, 3 Nr. 4, § 1 der Polizeiverordnung über den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden im Saarland (i. d. F. v. 9.12.2003). Sachsen: gefährliche Hunde gem. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 1 des Gesetzes zum Schutze der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden (GefHundG i. d. F. v. 24.8.2000). Sachsen-Anhalt: gefährliche Hunde gem. § 2 Abs. 3, §§ 3, 6 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren (i. d. F. v. 23.1.2009). Schleswig-Holstein: gefährliche Hunde gem. § 10 Abs. 1 Nr. 3, §§ 7, 6 des Gesetzes über das Halten von Hunden (HundeG i. d. F. v. 26.6.2015). Thüringen: Haftpflicht für alle Hunde gem. § 2 Abs. 5, insbesondere für gefährliche Hunde gem. §§ 10 Abs. 1, 4 Abs. 1 Nr. 3 des Thüringer Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren (i. d. F. v. 22.6.2011).

97 98

99

100 101

102 103

104 105 106 107

VII. Jäger, Jägerprüfung, Falknerprüfung, Anerkennung von Jagdhunden Vgl. jedoch v. a. bzgl. Erteilung des Jagdscheins und Mindestsummen der Haftpflichtversicherung § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BJagdG. • Baden-Württemberg: Anmeldung zur Jägerprüfung gem. § 3 Abs. 3 der Verordnung des Ministeriums für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz über die Jägerprüfung, Jägerprüfungsordnung (JprO i. d. F. v. 31.1.2018). • Bayern: Jagdscheinbewerber und Jagdscheininhaber gem. Art. 28 Abs. 3 des Bayerischen Jagdgesetzes (BayJG i. d. F. v. 1.1.1983). • Berlin: Zulassung zur Jägerprüfung (Nachweis einer Jagdhaftpflichtversicherung für die Jagdwaffenprüfung) gem. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 der Verordnung über die Jäger- und Falknerprüfung, Jäger- und Falknerprüfungsordnung (i. d. F. v. 5.5.2002); Jagdscheininhaber gem. § 20 Abs. 1 Landesjagdgesetz Berlin (LJagdG Bln i. d. F. v. 25.9.2006). • Brandenburg: Zulassung zur Jägerprüfung gem. § 2 Abs. 5 S. 3 der Verordnung über die Jägerprüfung, Jägerprüfungsordnung (JPO i. d. F. v. 28.2.2007); Falknerprüfung gem. § 3 Abs. 8 der Verordnung über die Falknerprüfung, Falknerprüfungsordnung (FPO i. d. F. v. 14.10.2005). • Bremen: Zulassung zur Jägerprüfung (Haftpflichtversicherung für den Waffengebrauch) gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 der Bremischen Verordnung über die Jäger- und Falknerprüfung (JuFPrüfV i. d. F. v. 13.10.1998); Jagdscheinbewerber sowie Eigentümer und Nutzungsberechtigte 497

Beckmann

108 109

110 111

112

113

Vor §§ 113–124 VVG

114 •

115 •

116 •

117 • 118 •

119 • 120 •

121 • 122 •

123 •

Anhang

befriedeter Bezirke bei der Wildkaninchen-Jagd mit Schusswaffen gem. Art. 7 Abs. 3, Art. 19 Abs. 2 S. 2 des Bremischen Landesjagdgesetzes (LJagdG i. d. F. v. 26.10.1981). Hamburg: Jäger gem. § 15 Abs. 1 des Hamburgischen Jagdgesetzes (i. d. F. v. 22.5.1978); Jägerprüfung (Versicherung der Prüfungsteilnehmer durch die Landesjägerschaft) gem. § 3 Abs. 6 S. 1 der Verordnung über die Jägerprüfung (i. d. F. v. 13.11.1979), Besonderheit: Abschluss einer Gemeinschaftsversicherung möglich. Hessen: Zulassung zur Jägerprüfung (Jungjäger- Haftpflichtversicherung bis zum Ende der Prüfung) gem. § 5 Abs. 2 Nr. 4 der Prüfungsordnung für Jägerinnen und Jäger, Jägerprüfungsordnung (i. d. F. v. 6.12.2004). Mecklenburg-Vorpommern: Zulassung zur Jägerprüfung gem. § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 der Verordnung über die Prüfung zur Erlangung des ersten Jagdscheines des Landes MecklenburgVorpommern, Jägerprüfungsverordnung (JägerPVO M-V i. d. F. v. 23.5.2016); Jagdscheinbewerber und -inhaber gem. § 15 Abs. 1 S. 3 des Jagdgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LJagdG M-V i. d. F. v. 22.5.2000). Niedersachsen: Zulassung zur Jägerprüfung gem. § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Jäger- und die Falknerprüfung (i. d. F. v. 30.8.2005). Nordrhein-Westfalen: Jägerprüfung (Versicherung der Prüfungsteilnehmer durch die untere Jagdbehörde) gem. § 3 Abs. 6 und Falknerprüfung (Versicherung der Prüfungsteilnehmer durch die obere Jagdbehörde) gem. § 14 Abs. 7 der Verordnung zur Durchführung des Landesjagdgesetzes, Landesjagdgesetzdurchführungsverordnung (DVO LJG-NRW i. d. F. v. 31.3.2010); Jagdscheininhaber sowie auf befriedeten Bezirken oder Grünflächen, die zu keinem Jagdbezirk gehören, jagende Grundstückseigentümer und Nutzungsberechtigte sowie deren Beauftragte gem. §§ 4 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2, 18 des Landesjagdgesetzes Nordrhein-Westfalen (LJGNRW i. d. F. v. 7.12.1994). Rheinland-Pfalz: Für die Dauer der jagdlichen Ausbildung und der Jägerprüfung gem. § 23 Abs. 4 der Landesjagdverordnung (LJVO i. d. F. v. 25.7.2013). Saarland: Lehrgangsteilnehmer der Jägerprüfung gem. § 16 Abs. 7, Versicherung von Prüfungsleiter, Richter und Ersatzrichter der Brauchbarkeitsprüfung von Jagdhunden durch die Vereinigung der Jäger des Saarlandes gem. § 53 Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des Saarländischen Jagdgesetzes (DV-SJG i. d. F. v. 27.1.2000); Eigentümer und Nutzungsberechtigte von befriedeten Bezirken, die bei genehmigten Jagdhandlungen eine Erlaubnis für den Schusswaffengebrauch erhalten möchten gem. § 4 Abs. 4 und Abs. 5 des Gesetzes Nr. 1407 zur Erhaltung und jagdlichen Nutzung des Wildes, Saarländisches Jagdgesetz (SJG i. d. F. v. 27.5.1998). Sachsen-Anhalt: Zulassung zur Jägerprüfung gem. § 5 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des Landesjagdgesetzes für Sachsen-Anhalt (LJagdG-DVO i. d. F. v. 25.7.2005). Schleswig-Holstein: Zulassung zur Jägerprüfung gem. § 3 Abs. 3 Nr. 2 der Landesverordnung über die Prüfung zum Erwerb des ersten Jagdscheines, Jägerprüfungsverordnung (i. d. F. v. 5.3.2012); Jagdscheinbewerber gem. § 15 Abs. 1 S. 3 des Jagdgesetzes des Landes Schleswig-Holstein, Landesjagdgesetz (LJagdG i. d. F. v. 13.10.1999). Thüringen: Zulassung zur Jägerprüfung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) cc) der Thüringer Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Jäger, Falkner und Jadgaufseher/ Thüringer Ausbildungsund Prüfungsordnung Jagd (ThürAPOJ i. d. F. v. 6.12.2016) Jäger, Jagdpächter, Jagdveranstalter, Jagdhundehalter, Forstbedienstete, Berufsjäger oder Jagdaufseher gem. § 26 Abs. 3 des Thüringer Jagdgesetzes (ThJG i. d. F. v. 28.6.2006) i. V. m. § 9 der Verordnung zur Ausführung des Thüringer Jagdgesetzes (ThJGAVO i. d. F. v. 7.4.2006); Anerkennung von Jagdhunden als Schweißhunde durch die untere Jagdbehörde gem. § 25 Nr. 4 der ThJGAVO (i. d. F. v. 7.4.2006).

Beckmann

498

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer

VVG Vor §§ 113–124

VIII. Sachverständige i. S. v. § 36 Abs. 1 GewO •





















499

Baden-Württemberg: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues z. B. gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung IHK Region Stuttgart (v. 5.7.2016), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Bayern: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Landund Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues z. B. gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung IHK Region Schwaben (v. 26.4.2016), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Berlin: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung IHK Berlin (v. 8.1.2016), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Brandenburg: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens z. B. gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der IHK Cottbus (v. 3.12.2015), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Bremen: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Landund Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnungen der Handelskammer Bremen (v. 29.2.2016) und der IHK Bremerhaven (v. 29.2.2016), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Hamburg: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Landund Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Handelskammer Hamburg (v. 2.8.2012), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Hessen: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft, der Hochsee- und Küstenfischerei, der Land- und Forstwirtschaft sowie auf dem Gebiet der Industrie, des Handels, des Immobilienwesens, des Bank- und Börsenwesens, des Versicherungswesens, der Energiewirtschaft oder des Verkehrswesens z. B. gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung IHK Frankfurt am Main (v. 27.6.2012), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Mecklenburg-Vorpommern: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Industrie, des Handels, der Dienstleistungen, des Immobilienund Bauwesens, des Versicherungswesens, der Energiewirtschaft oder des Verkehrswesens z. B. gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung IHK zu Rostock (v. 19.4.2010), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Niedersachsen: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues z. B. gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der IHK Hannover (v. 3.9.2012), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Nordrhein-Westfalen: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues z. B. gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der IHK Nord Westfalen (v. 24.11.2015), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Rheinland-Pfalz: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet der Industrie, des Handels, des Immobilienwesens, des Banken- und Börsenwesens, des VersiBeckmann

124

125

126

127

128

129

130

131

132

133

134

Vor §§ 113–124 VVG

135 •

136 •

137 •

138 •

139 •

Anhang

cherungswesens, der Energiewirtschaft und des Verkehrswesens, aber auch auf dem Gebiet der technischen Ausrüstung von Gebäuden und baulichen Anlagen, des Bauingenieurwesens, der Bau- und Bodenmechanik, der Bauphysik, des Vermessungs- und des Kraftfahrzeugwesens z. B. gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung IHK Koblenz (v. 27.6.2016), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Saarland: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Landund Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der IHK des Saarlandes (v. 14.6.2012), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Sachsen: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Landund Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues z. B. gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der IHK Dresden (v. 2.12.2015), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Sachsen-Anhalt: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues z. B. gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der IHK Halle-Dessau (v. 1.7.2016), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Schleswig-Holstein: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues z. B. gem. § 14 Nr. 2 der Sachverständigenordnung der IHK zu Kiel (v. 9.3.2010), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Thüringen: Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens z. B. gem. § 15 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der IHK Erfurt (v. 10.12.2015), Besonderheit: „Soll“-Regelung.

IX. Vormals: Sachverständige, Sachverständigenorganisationen (Umgang mit wassergefährdenden Stoffen) 140 i. S. d. Anlagenverordnungen (VAwS) der Länder, abgelöst durch die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV i. d. F. v. 18.4.2017), vgl. bereits Rn. 15.

X. Sonstiges 141 •

Baden-Württemberg: Anerkennung von Sachverständigen und Untersuchungsstellen für Bodenschutz und Altlasten gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3, § 13 Abs. 3 der Verordnung des Umweltministeriums über Sachverständige und Untersuchungsstellen für Bodenschutz und Altlasten (BodSchASUVO i. d. F. v. 13.4.2011); die Gemeinden für ehrenamtlich tätige Angehörige der Gemeindefeuerwehr gem. § 16 Abs. 6 des Feuerwehrgesetzes (FwG i. d. F. v. 2.3.2010); Vormals: Schulung und Prüfung von amtlichen Fachassistenten für die Überwachung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum über die Schulung und Prüfung von amtlichen Fachassistenten für die Überwachung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs, Schulungs- und Prüfungsordnung für amtliche Fachassistenten (SPrOaFA i. d. F. v. 31.8.2007); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 der Verordnung der Landesregierung über die Anerkennung der Angebote zur Unterstützung im Alltag nach § 45a Abs. 3 SGB XI, zur Förderung ehrenamtlicher Strukturen und Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte nach § 45c Abs. 7

Beckmann

500

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer







501

VVG Vor §§ 113–124

SGB XI sowie über die Förderung der Selbsthilfe nach § 45d SGB XI (Unterstützungsangebote-Verordnung – UstA-VO i. d. F. v. 17.1.2017). Bayern: Schulträger gem. Art. 89 Abs. 1 S. 3 Nr. 8 des Bayerischen Gesetzes über das Erzie- 142 hungs- und Unterrichtswesen (BayEUG i. d. F. v. 31.5.2000) i. V. m. einzelnen Schulordnungen: während eines Betriebspraktikums gem. § 21 Abs. 1 S. 2 Schulordnung für schulartübergreifende Regelungen an Schulen in Bayern (Bayerische Schulordnung – BaySchO i. d. F. v. 1.6.2016; s. a. § 13 VSO-F; für staatliche Fachschulen für Agrarwirtschaft (Beitragspflicht der Studierenden) gem. § 38 Abs. 2 S. 3 der Fachschulordnung Agrarwirtschaft (FSO Agrar); ebenso staatliche Technikerschulen gem. § 44 Abs. 2 S. 3 der Schulordnung für die Staatlichen Technikerschulen für Agrarwirtschaft sowie für Waldwirtschaft (AgrTechSchulO i. d. F. v. 31.5.2001); Schulträger der Berufsfachschulen für Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie, Massage und Orthoptik gem. § 65 der Schulordnung für die Berufsfachschulen für Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie, Massage und Orthoptik, Berufsfachschulordnung nichtärztliche Heilberufe (BFSO HeilB i. d. F. v. 27.7.1995); Tätigkeit einer Schülerfirma gem. § 21 Abs. 1 S. 2 Schulordnung für schulartübergreifende Regelungen an Schulen in Bayern (Bayrische Schulordnung – BaySchO i. d. F. v. 1.6.2016); Sachverständige und Untersuchungsstellen für den Bodenschutz und die Altlastenbehandlung gem. Art. 6 Abs. 1 des Bayerischen Bodenschutzgesetzes (BayBodSchG) i. V. m. §§ 7 Abs. 2 Nr. 3, 14 Abs. 3 S. 1 der Verordnung über Sachverständige und Untersuchungsstellen für den Bodenschutz und die Altlastenbehandlung in Bayern (VSU Boden und Altlasten i. d. F. v. 3.12.2001); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 82 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG i. d. F. v. 2.12.2008); Ausbildungsstätten für staatlich geprüfte agrartechnische Assistenten gem. § 12 Abs. 2 der Lehrgangsordnung für staatlich geprüfte agrartechnische Assistentinnen und Assistenten (i. d. F. v. 10.2.1999), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Berlin: Sachverständige und Untersuchungsstellen i. S. d. § 18 BBodSchG gem. §§ 13 Abs. 2, 143 19 Abs. 3 der Verordnung über Sachverständige und Untersuchungsstellen im Sinne von § 18 des Bundes-Bodenschutzgesetzes (Bln BodSUV i. d. F. v. 12.9.2006); auf einem Friedhof tätige Gewerbetreibende gem. § 6 Abs. 2 S. 4 der Verordnung über die Verwaltung und Benutzung der landeseigenen Friedhöfe Berlins, Friedhofsordnung (i. d. F. v. 19.11.1997); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 3 Abs. 3 Nr. 7 der Verordnung zur Anerkennung und Förderung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag (PuVO i. d. F. v. 28.6.2016); Sportvereine und Betriebssportgemeinschaften als Nutzer von öffentlichen Sportanlagen gem. Nr. 14 der Ausführungsvorschriften über die Nutzung öffentlicher Sportanlagen Berlins und Verpachtung landeseigener Grundstücke an Sportorganisationen (Sportanlagen-Nutzungsvorschriften, SPAN). Brandenburg: Vermietung von Sportbooten gem. § 8 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung zum Füh- 144 ren von Charterbooten ohne Fahrerlaubnis auf ausgewählten schiffbaren Gewässern des Landes Brandenburg (LChartbootV i. d. F. v. 19.5.2004); Anerkennung von Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gem. § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die Anerkennung von Gütestellen im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung im Land Brandenburg, Brandenburgisches Gütestellengesetz (BbgGüteStG i. d. F. v. 5.10.2000); öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaus gem. § 8 Abs. 3 der Verordnung über die Voraussetzungen für die Bestellung sowie über die Befugnisse und Verpflichtungen der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaus, Sachverständigenordnung (SVO v. 20.1.2001); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 3 Nr. 3 der Verordnung über die Anerkennung von niedrigschwelligen Betreuungs – und Entlastungsangeboten nach § 45b Abs. 4 des Elften Buches Sozialgesetzbuch, (Angebotsanerkennungsverordnung – NBEA – AnerkV i. d. F. v. 4.1.2016).

Beckmann

Vor §§ 113–124 VVG

145 •

146 •

147 •

Anhang

Bremen: Sachverständige für Bodenschutz und Altlasten gem. § 4 Abs. 3 der Verordnung über Sachverständige für Bodenschutz und Altlasten (i. d. F. v. 13.3.2003); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 3 Abs. 4 Nr. 6 der Verordnung zur Anerkennung und Förderung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag nach § 45a, der Weiterentwicklung der Versorgungstrukturen und des Ehrenamtes nach § 45c sowie der Selbsthilfe nach § 45d des Elften Buches Sozialgesetzbuch für das Land Bremen (i. d. F. v. 12.3.2019); Vormals: Übertragungsstelle zur Durchführung der Milchquotenregelung gem. Art. 5 Abs. 5 des Staatsvertrages zwischen den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Freie Hansestadt Bremen und Freie und Hansestadt Hamburg über die Durchführung des Übertragungsstellenverfahrens für Milchquoten (i. d. F. v. 14.7.2009); freiberuflich tätige professionell Pflegende gem. § 8 Nr. 7 der Berufsordnung für die staatlich anerkannten Pflegeberufe (i. d. F. v. 4.2.2011); Seeschiffsassistenzschleppunternehmer gem. § 4 Abs. 4 Nr. 4 der Verordnung zur Durchführung der Seeschiffsassistenz in den Bremischen Häfen, Bremische Seeschiffsassistenzverordnung (i. d. F. v. 4.9.2002) und Vertäudienstleistungsunternehmer gem. § 4 Abs. 3 Nr. 4 der Verordnung über das Vertäuen von Fahrzeugen in den Bremischen Häfen, Bremische Vertäuverordnung (i. d. F. v. 27.6.2001); Träger von betreuten Jugendwohneinrichtungen zugunsten ihrer Mitarbeiter und den betreuten Minderjährigen gem. Nr. 7 Spiegelstrich 7 der Richtlinien für den Betrieb von Einrichtungen und zur Wahrnehmung der Aufgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und sonstigen betreuten Wohnformen gemäß §§ 45 bis 48a SGB VIII im Lande Bremen (i. d. F. v. 4.11.2008); Nutzer der Sporthallen der Stadt Bremerhaven gem. § 6 der Bedingungen für die Überlassung von Sporthallen der Stadt Bremerhaven (i. d. F. v.19.7.2006) zum 31.10.2012 außer Kraft getreten. Hamburg: Sachverständige und Untersuchungsstellen i. S. d. § 18 BBodSchG gem. §§ 3 Abs. 3, 11 Abs. 1 Nr. 7 der Hamburgischen Verordnung über Sachverständige und Untersuchungsstellen nach § 18 des Bundes-Bodenschutzgesetzes (HmbVSU i. d. F. v. 28.10.2003); selbstständig tätige Pflegefachkräfte gem. § 9 Nr. 3 der Berufsordnung für Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger sowie Altenpflegerinnen und Altenpfleger, Pflegefachkräfte-Berufsordnung (i. d. F. v. 29.9.2009); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 4 Abs. 1 Nr. 9 Hamburgische Verordnung über die Anerkennung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag und deren Förderung sowie über die Förderung von Modellprojekten ehrenamtlicher Strukturen und der Selbsthilfe nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Hamburgische Pflege-Engagement Verordnung – HmbPEVO i. d. F. v. 31.1.2017) Wattwagenunternehmer gem. § 8 Abs. 3 der Hamburgischen Wattwagenverordnung (i. d. F. v. 23.8.2005); Barkassen- und Fahrgastschiffbetriebsunternehmer gem. § 2 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung über entgeltliche Personenbeförderung (i. d. F. v. 17.3.1987), Besonderheit: lediglich „Kann“-Regelung; Beamte der Freien und Hansestadt Hamburg und der landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, soweit ihnen eine Nebentätigkeit unter Inanspruchnahme von Einrichtungen, Personal und Material des Dienstherrn im ärztlichen und zahnärztlichen Bereich eines Krankenhauses oder der für das Gesundheitswesen zuständigen Behörde genehmigt wurde gem. § 5 Abs. 5 der Verordnung über die Inanspruchnahme von Einrichtungen, Personal und Material des Dienstherrn sowie über das hierfür zu entrichtende Entgelt bei Nebentätigkeiten der hamburgischen Beamtinnen und Beamten, Inanspruchnahme- und Entgeltverordnung (IEVO i. d. F. v. 6.12.2011). Hessen: Sachverständige gem. § 14 der Verordnung über die öffentliche Bestellung von Sachverständigen auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft, des Garten- und Weinbaus sowie der Fischerei (i. d. F. v. 29.9.2014); Sachverständige für Bodenschutz und Altlasten i. S. d. § 18 BBodSchG gem. § 3 Abs. 3 der Hessischen Verordnung über Sachverständige für Bodenschutz und Altlasten nach § 18 des Bundes-Bodenschutzgesetzes (i. d. F. v. 27.9.2006); Anerkennung von Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gem. § 10 Abs. 1 des Gesetzes

Beckmann

502

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer









503

VVG Vor §§ 113–124

zur Regelung der außergerichtlichen Streitschlichtung (i. d. F. v. 6.2.2001); Schüler gem. § 150 des Hessischen Schulgesetzes (HSchG i. d. F. v. 1.8.2017), Besonderheit: soweit nicht auf andere Weise ein Versicherungsschutz oder ein versicherungsähnlicher Schutz gewährt wird. Mecklenburg-Vorpommern: technische Überwachungsorganisation i. S. d. § 24c Abs. 1 GewO i. d. F. v. 1.1.1987 gem. § 6 Abs. 13 S. 3 der Verordnung über die Organisation der technischen Überwachung im Land Mecklenburg-Vorpommern (i. d. F. v. 1.6.1992); Vormals: öffentlich bestellte und vereidigte Asbest-Sachverständige gem. § 12 der Verordnung über die Voraussetzungen sowie über die Befugnisse und Verpflichtungen der öffentlich bestellten und vereidigten Asbest-Sachverständigen, Verordnung zur Asbest-Sachverständigen-VO (i. d. F. v. 18.6.1993) zum 31.12.2012 außer Kraft getreten; Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 der Landesverordnung über Angebote zur Unterstützung im Alltag, ehrenamtliche Strukturen und Selbsthilfe sowie Modellvorhaben zur Erprobung neuer Versorgungskonzepte und Versorgungsstrukturen (Unterstützungsangebotelandesverordnung – UntAngLVO M-V i. d. F. v. 16.12.2010); Ethik-Kommissionen der medizinischen Fakultäten der Universitäten Greifswald und Rostock gem. § 16a Abs. 6 des Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst im Land Mecklenburg-Vorpommern, Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG M-V i. d. F. v. 16.5.2018); Sachverständige im Bergwesen gem. § 16 Abs. 2 der Verordnung über die Bestellung von Sachverständigen im Bergwesen, Bergwesensachverständigenverordnung (BergwesSachvVo M-V i. d. F. v. 25.4.2014), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Niedersachsen: Sachverständige für Bodenschutz und Altlasten i. S. d. § 18 BBodSchG gem. § 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Verordnung über Sachverständige und Untersuchungsstellen für Bodenschutz und Altlasten (NBodSUVO i. d. F. v. 29.4.2010); Veranstaltungen mit Kraftfahrzeugen in der freien Natur gem. § 1 Abs. 3 der Verordnung über die Genehmigungspflicht für Veranstaltungen mit Kraftfahrzeugen in der freien Natur und Landschaft (i. d. F. v. 23.1.1990); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 der Verordnung über die Anerkennung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuchs (AnerkVO SGB XI i. d. F. v. 21.9.2017); Beamte, die im Rahmen einer genehmigten Nebentätigkeit Einrichtungen, Personal oder Material des ärztlichen oder zahnärztlichen Bereiches des Dienstherrn in Anspruch nehmen gem. § 11 Abs. 5 der Niedersächsischen Nebentätigkeitsverordnung (NNVO i. d. F. v. 6.4.2009). Nordrhein-Westfalen: Anerkennung von Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gem. § 48 Abs. 1 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen, Justizgesetz Nordrhein-Westfalen (JustG NRW i. d. F. v. 26.1.2010); Kontrollstellen als Produktzertifizierungsstellen gem. § 1 Abs. 3 S. 2 der Verordnung zur Zulassung privater Kontrollstellen zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen und garantiert traditionellen Spezialitäten für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel im Land Nordrhein-Westfalen, Kontrollstellen-Zulassungsverordnung NRW (KtrSTZulVO i. d. F. v. 23.5.2014); Sachverständige für Bodenschutz und Altlasten i. S. d. § 18 BBodSchG gem. § 7 Abs. 2 und Untersuchungsstellen gem. § 15 Abs. 2 der Verordnung über Sachverständige und Untersuchungsstellen für Bodenschutz und Altlasten (SU-BodAV NRW i. d. F. v. 23.6.2002); Öffentlich und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft, des Garten- und Weinbaues, der Fischerei und des Umweltschutzes gem. § 14 Abs. 2 der Sachverständigenordnung der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen über die öffentliche Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen (i. d. F. v. 7.12.2018), Besonderheit: „Soll“-Regelung. Rheinland-Pfalz: Schulträger zur Durchführung von Praktika für die Schülerinnen und Schüler gem. § 5 Abs. 5 Landesverordnung über die Fachoberschule (FOSchulV RP 2011 i. d. F. v. 26.5.2011); Anerkennung von Sachverständigen für Erd- und Grundbau gem. § 2 Abs. 1 Nr. 7 der Landesverordnung über Sachverständige für Erd- und Grundbau (SEGBauVO i. d. F. v. 8.12.2009); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Beckmann

148

149

150

151

Vor §§ 113–124 VVG

152 •

153 •

154 •

155 •

Anhang

Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Landesverordnung über die Anerkennung von niedrigschwelligen Betreuungsangeboten nach § 45b des Elften Buches Sozialgesetzbuch (i. d. F. v. 10.12.2002); Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft, der Fischerei sowie des Garten- und Weinbaus gem. § 14 Abs. 2 der Satzung der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz über die öffentliche Bestellung von Sachverständigen der Land- und Forstwirtschaft, der Fischerei sowie des Garten- und Weinbaus (Sachverständigensatzung i. d. F. v. 5.12.2012), Besonderheit: „Soll“Regelung. Saarland: Anerkennung von Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO soweit die Gütestelle nicht von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Anstalt getragen wird gem. § 37g Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Ausführung bundesrechtlicher Justizgesetze (AGJusG i. d. F. v. 18.11.2010); selbständig tätige Pflegefachkräfte gem. § 7 Abs. 1 der Berufsordnung für Pflegefachkräfte im Saarland (PflegekrBerufsO SL i. d. F. v. 28.11.2007); Sachverständige für Bodenschutz und Altlasten i. S. d. § 18 BBodSchG gem. § 7 Abs. 5 und Untersuchungsstellen gem. § 14 Abs. 3 der Verordnung über Sachverständige und Untersuchungsstellen für den Bodenschutz und die Altlastenbehandlung im Saarland (VSU Boden und Altlasten i. d. F. v. 2.12.2002). Sachsen: Vormals: Sachverständige auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft sowie des Garten- und Weinbaus gem. § 4 Abs. 6 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die öffentliche Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen auf dem Gebiet der Landund Forstwirtschaft sowie des Garten- und Weinbaus, Sächsische Landwirtschaftssachverständigenverordnung (SächsLandwSachVO i. d. F. v. 29.10.2001) zum 31.12.2012 außer Kraft getreten; private Kontrollstellen nach dem Öko-Landbaugesetz gem. § 2 Abs. 1 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft zur Beleihung privater Kontrollstellen nach dem Öko-Landbaugesetz (SächsÖBelVO i. d. F. v. 7.12.2010); Anerkennung von Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gem. § 59 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Schiedsstellen in den Gemeinden des Freistaates Sachsen und über die Anerkennung von Gütestellen im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung, Sächsisches Schiedsund Gütestellengesetz (SächsSchiedsGütStG i. d. F. v. 15.11.2017); Berufsschüler während des Betriebspraktikums gem. § 12 Abs. 5 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über die Berufsschule im Freistaat Sachsen, Schulordnung Berufsschule (BSO i. d. F. v. 24.7.2018); Staatlich anerkannte Sachverständige des Bergwesens gem. III Nr. 3 der Richtlinie des Sächsischen Oberbergamtes zur Anerkennung von Sachverständigen (Sachverständigenrichtlinie i. d. F. v. 24.1.2019). Sachsen-Anhalt: Sachverständige auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues sowie der Fischerei gem. § 10 Abs. 5 S. 1, für Zusammenschlüsse gem. § 14 Abs. 3 der Verordnung über die öffentliche Bestellung von landwirtschaftlichen Sachverständigen (LwSV VO i. d. F. v. 14.10.1997); Anerkennung von Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gem. § 41 Abs. 1 S. 1 des Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetzes (SchStG i. d. F. v. 15.1.2010); Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote i. S. d. § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI gem. § 4 Abs. 1 Nr. 3 Pflege-Betreuungs-Verordnung (PflBetrVO i. d. F. v. 13.2.2017); Berufsfachschüler während der praktischen Ausbildung innerhalb der EU gem. Abschnitt E Nr. 1.8.3 sowie Abschnitt F Nr. 1.6.3 des Runderlasses (RdErl.) des Kultusministeriums (MK) vom 14.10.2004 – 3-80006/11, Ergänzende Bestimmungen zur Verordnung über Berufsbildende Schulen. Schleswig-Holstein: private Kontrollstellen nach dem Öko-Landbaugesetz gem. § 2 Abs. 2 Nr. 3 der Landesverordnung zur Übertragung von Aufgaben nach dem Öko-Landbaugesetz auf Kontrollstellen, Ökokontrollstellenverordnung (ÖKontrollstVO i. d. F. v. 14.3.2003); Untersuchungsstellen für Bodenschutz und Altlasten i. S. d. § 18 BBodSchG gem. § 4 Abs. 1 Nr. 7 der Landesverordnung zur Anerkennung und Überwachung von Untersuchungsstellen für Bodenschutz und Altlasten nach § 18 BBodSchG (UStellBodSchAltLV SH 2014 i. d. F. v. 16.7.2014); Schausteller i. S. v. §§ 1 und 2 der Verordnung über die Haftpflichtversicherung für Schaustel-

Beckmann

504

C. Pflichthaftpflichtversicherungen der Bundesländer



505

VVG Vor §§ 113–124

ler, Schaustellerhaftpflichtverordnung (SchauHV i. d. F. v. 17.12.1984) gem. Nr. 4.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für den Vollzug des Titels III der Gewerbeordnung (ReisegewVwV) – Erlass des Ministeriums für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr vom 1. September 2009 (Aktenzeichen VII 632 – 612.130.1). Thüringen: Sachverständige auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des 156 Gartenbaus und des Fischereiwesens gem. § 3 Abs. 3 Nr. 4 der Thüringer Verordnung über die öffentliche Bestellung von Sachverständigen im Bereich der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Gartenbaus und des Fischereiwesens, Thüringer Landwirtschaftssachverständigenverordnung (ThürLWSachVO i. d. F. v. 30.7.2014); Binnenschifffahrtsunternehmen gem. § 4 Abs. 1 Nr. 8 der Thüringer Verordnung zur Regelung der Schiff- und Floßfahrt (ThürSchiffFloßVO i. d. F. v. 15.4.2019); Professoren des Universitätsklinikums Jena bei privatärztlicher Nebentätigkeit gem. § 27 Abs. 6 S. 6 der Thüringer Verordnung über die Nebentätigkeit des beamteten wissenschaftlichen, ärztlichen und künstlerischen Personals an den staatlichen Hochschulen, Thüringer Hochschulnebentätigkeitsverordnung (ThürHNVO i. d. F. v. 15.3.2010), Besonderheit: sofern nicht bereits durch die vom Klinikum abgeschlossene Berufshaftpflichtversicherung Versicherungsschutz besteht und dies vom Universitätsklinikum Jena schriftlich bestätigt wurde; Vormals: Kinder-Tagespflegepersonen gem. § 8 Abs. 4 S. 3 des Thüringer Gesetzes über die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege als Ausführungsgesetz zum Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe –, Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetz (ThürKitaG i. d. F. v. 16.12.2005), Besonderheit: „Soll“-Regelung.

Beckmann

§ 113 Pflichtversicherung (1) Eine Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht (Pflichtversicherung), ist mit einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen abzuschließen. (2) Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer unter Angabe der Versicherungssumme zu bescheinigen, dass eine der zu bezeichnenden Rechtsvorschrift entsprechende Pflichtversicherung besteht. (3) Die Vorschriften dieses Abschnittes sind auch insoweit anzuwenden, als der Versicherungsvertrag eine über die vorgeschriebenen Mindestanforderungen hinausgehende Deckung gewährt.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

IV.

Übergangsrecht

B.

Tatbestand und Rechtsfolgen

I.

Begriff der Pflichthaftpflichtversicherung und Kreis der Pflichthaftpflichtversicherer, 11 Abs. 1 11 Pflichthaftpflichtversicherung

1.

1

12 19

2. 3. 4. 5.

Verpflichtung durch Rechtsvorschrift Kreis der Pflichthaftpflichtversicherer 21 Verstoß gegen Abs. 1, 2. Halbs. Kontrahierungszwang des Versicherers

II.

Bestätigung des Versicherungsverhältnisses, 23 Abs. 2

III.

Geltung der §§ 113–124 auf über die Mindestanforderungen hinausgehende Versicherungen, 27 Abs. 3

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

22

6

9 10 11

30 31

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 113 Abs. 1 stimmt im Wesentlichen mit der früheren bis 31.12.2007 geltenden Regelung des § 158b Abs. 1 VVG a. F. überein,1 auch wenn der Wortlaut Änderungen unterzogen wurde. In der früheren Fassung war die Rede von einer „gesetzlichen Verpflichtung“; nun heißt es: „Verpflichtung durch Rechtsvorschrift“. Diese Änderung im Wortlaut soll lediglich klarstellende Bedeutung haben; eine inhaltliche Änderung soll damit nicht beabsichtigt gewesen sein.2 In der Gesetzesbegründung wird dies zwar ausdrücklich nicht gesagt.3 Es ließe sich daher durchaus der Standpunkt vertreten, dass der Begriff „gesetzliche Verpflichtung“ enger ist als die Formulierung „Verpflichtung durch Rechtsvorschrift“. Das könnte mit einer Interpretation des Begriffes „gesetzliche Verpflichtung“ im Sinne einer Verpflichtung gerade durch formelles Gesetz4 unter Ausschluss einer Verpflichtung Zu den Übergangsvorschriften vgl. Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. A Rn. 73 ff. Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 2. Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 87. Darunter ist jede Rechtsvorschrift, die von den verfassungsrechtlich damit betrauten Staatsorganen in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren (für Bundesgesetze in der Regel im Verfahren gem. Art. 76 ff GG) erlassen wird, zu verstehen, vgl. Staudinger/Merten (Stand: 2018) EGBGB Art. 2 Rn. 2.

1 2 3 4

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522662-017

506

A. Einführung

VVG § 113

durch lediglich materielles Gesetz5 begründet werden. Jedoch wurde bereits die frühere Fassung des § 158b VVG a. F., die auf eine „gesetzliche Verpflichtung“ abstellte, nicht nur auf Gesetze im formellen Sinne beschränkt, sondern es für ausreichend erachtet, dass die Verpflichtung „durch Gesetz im formellen Sinne (oder eine – ihm gleichstehende – Rechtsverordnung) begründet sein“ muss.6 Ausreichend war deshalb auch nach früherer Rechtslage ein materielles Gesetz.7 Legt man § 158b VVG a. F. mit der wohl h. A. in diesem Sinne aus, so ist mit der Regelung des § 113 Abs. 1 in der Tat keine inhaltliche Veränderung verbunden.8 Ein inhaltlicher Unterschied zur Vorgängervorschrift des § 158b VVG Abs. 1 a. F. liegt indes darin, dass nach § 113 Abs. 1 die entsprechende Pflichthaftpflichtversicherung „mit einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten VU abzuschließen“ ist. Vor der VVG-Reform 2008 gab es eine entsprechende Vorschrift lediglich für die Kfz-Haftpflichtversicherung gem. § 5 Abs. 1 PflVG (so auch weiterhin dort geregelt). Nach der VVG-Reform 2008 gilt dieses Erfordernis nun für sämtliche Pflichthaftpflichtversicherungen (dazu noch Rn. 6, 19 ff.). Die Vorgängervorschrift des § 158b VVG a. F. wurde in das frühere VVG durch Art. 3 Nr. 10 des Gesetzes vom 7.11.1939 eingeführt.9 Ursprünglich umfasste diese frühere Fassung des § 158b VVG a. F. nur einen Satz.10 Im Jahre 1990 wurde ein weiterer Absatz an § 158b VVG a. F. angehängt,11 worin eine Verpflichtung des VR gegenüber dem VN zur Aushändigung einer Bescheinigung über das Bestehen der Haftpflichtversicherung geregelt war (nun geregelt in § 113 Abs. 2). Wie zuvor festgestellt stimmt § 113 Abs. 2 also inhaltlich mit der früheren Fassung des § 158b Abs. 2 VVG a. F. überein.12 Diese Vorgängerfassung enthielt in Satz 2 noch eine Klarstellung, dass die vom VR zu erteilende Bescheinigung mit dem Versicherungsschein verbunden werden kann. Auf diese Klarstellung hat der Gesetzgeber im VVG 2008 verzichtet, da sich dies von selbst verstehe.13 Die Vorgängerregelung des § 158b Abs. 2 wurde 1990 in das Gesetz aufgenommen.14 Die Vorschrift des § 113 Abs. 3 wiederum entspricht wörtlich der früheren Vorschrift des § 158k VVG a. F. Die Vorgängervorschrift des § 158k VVG a. F. wurde im Jahre 1965 in das frühere VVG aufgenommen.15

2

3

4

5

II. Inhalt und Zweck der Regelung § 113 Abs. 1 enthält zunächst eine Legaldefinition der Pflichtversicherung i. S. d. §§ 113 ff.16 Nach 6 dieser Legaldefinition handelt es sich um eine Pflichtversicherung i. S. d. §§ 113 ff. (hier auch als 5 Darunter ist jede Rechtsregel mit Außenwirkung (ohne Rücksicht auf Erzeugungsverfahren oder Form) zu verstehen, die verbindliche Vorschriften für das Verhalten von Menschen aufstellt, vgl. Staudinger/Merten (Stand: 2018) EGBGB Art. 2 Rn. 2. 6 So etwa Prölss/Martin/Knappmann27 § 158b Rn. 1. 7 Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 1: (förmliches) Gesetz oder Rechtsverordnung bzw. Satzung (Gesetz im materiellen Sinne). 8 Vgl. auch die Formulierung in der Gesetzesbegründung (BTDrucks. 16/3945 S. 8: „Die Verpflichtung kann sich nicht nur aus einem Gesetz im formellen Sinn, sondern auch aus einer Rechtsverordnung, der Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder einer EU-Verordnung ergeben.“ Vgl. zu den Anforderungen an eine Satzung einer berufsständischen Kammer Rn. 13 f. 9 RGBl. 1939 I S. 2223, 2226 f. 10 „Für eine Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss eine gesetzliche Verpflichtung besteht (Pflichtversicherung), gelten die besonderen Vorschriften der §§ 158c–158h.“. 11 Gesetz v. 28.6.1990 BGBl. I 1249, 1257. 12 BTDrucks. 16/3945 S. 87. 13 BTDrucks. 16/3945 S. 87. 14 Vgl. Gesetz v. 28.6.1990 BGBl. I 1249, 1257 (vgl. zuvor Rn. 3). 15 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter v. 5.4.1965, BGBl. I 213, 220. 16 So etwa BTDrucks. 16/3945 S. 87. 507

Beckmann

§ 113 VVG

Pflichtversicherung

Pflichthaftpflichtversicherung bezeichnet) bei Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht (näher zu dieser Legaldefinition Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 7). Durch die gesetzliche Beschreibung der Pflichtversicherung wird zugleich der Anwendungsbereich der §§ 113–124 auf solche Pflichthaftpflichtversicherungen beschränkt. Darüber hinaus enthält § 113 Abs. 1 die Aussage, dass eine Pflichthaftpflichtversicherung i. d. S. mit einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten VU abzuschließen ist. Dieser Regelungsgehalt des § 113 Abs. 1, 2. Halbs. fand sich im früheren VVG vor der VVG-Reform 2008 noch nicht. Lediglich für die Kfz-Haftpflichtversicherung fand und findet sich auch heute noch eine entsprechende Regelung in § 5 Abs. 1 PflVG. Der Gesetzgeber hat diese für das VVG 2008 neue Regelung im Wesentlichen unter zwei Aspekten begründet: Hintergrund ist zum einen der Umstand, dass § 9 Abs. 4 Nr. 4 VAG (zuvor geregelt in § 5 Abs. 5 Nr. 1 VAG a. F.) anordnet, dass VR, die Pflichtversicherungen betreiben wollen, mit dem Geschäftsplan bei der Aufsichtsbehörde die AVB einzureichen haben. Eine entsprechende Pflicht zur Vorlage ergibt sich für VR mit Sitz in einem anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, die Pflichtversicherungen betreiben, aus § 61 Abs. 4 VAG (zuvor § 110a Abs. 2b VAG a. F.). Der Sinn dieser Vorlagepflicht aufgrund des VAG liegt darin, dass die Stellen, die über die Einhaltung der Versicherungspflicht zu wachen haben, die Versicherungsbedingungen bei der Aufsichtsbehörde abrufen können.17 Zum anderen ist Hintergrund für die Regelung des § 113 Abs. 1, 2. Halbs. der Umstand, dass Art. 46d Abs. 2 EGBGB (zuvor Art. 46c Abs. 2 EGBGB a. F. [bis 30.6.2018], davor geregelt in Art. 12 Abs. 2 EGVVG a. F. [bis 16.12.2009]) bestimmt, dass ein über eine Pflichtversicherung abgeschlossener Vertrag deutschem Recht unterliegt, wenn die gesetzliche Verpflichtung zu seinem Abschluss auf deutschem Recht beruht. Aus diesen Gründen hat es der Gesetzgeber für folgerichtig erachtet, dass ein Vertrag über eine Pflichtversicherung nur bei einem im Inland zum Betrieb einer solchen Versicherung befugten VU abgeschlossen werden könne.18 Im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt sind neben den in Deutschland zugelassenen VU im Rahmen des EU-weiten Versicherungsbinnenmarkts auch solche mit Sitz in einem anderen Mitglied- oder Vertragsstaat (vgl. § 61 Abs. 1 und die dort geregelten Maßgaben). VR aus einem Staat außerhalb der EU oder des EWR bedürfen zum Geschäftsbetrieb in Deutschland der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde gem. §§ 67 ff. VAG. 7 Gem. § 113 Abs. 2 ist der VR verpflichtet, eine Bescheinigung über den Abschluss der Pflichthaftpflichtversicherung auszustellen (früher geregelt in § 158b Abs. 2 a. F. [vgl. bereits Rn. 3 f.]). Diese Vorschrift bezweckt den Schutz des VN. Dieser kann mit der entsprechenden Bescheinigung den Nachweis führen, dass ein entsprechender Versicherungsvertrag abgeschlossen ist. 8 Die Vorschrift des § 113 Abs. 3 erweitert den Anwendungsbereich des Abschnitts über die Pflicht(haftpflicht)versicherung auch insoweit, als der Versicherungsvertrag eine Deckung gewährt, die über die Mindestanforderungen hinausgeht (früher geregelt in § 158k a. F. [vgl. bereits Rn. 5]). Der Sinn dieser Vorschrift liegt darin, dass auf diese Weise eine Aufspaltung des Versicherungsvertrages in einen Teil, zu dessen Abschluss eine Verpflichtung besteht, und in einen „freien Teil“ vermieden wird.19 Andernfalls wären die Sonderregelungen der Pflichthaftpflichtversicherung insoweit nicht anwendbar, als es sich um den „freien Teil“ des Versicherungsvertrages handelt.20

III. Anwendungsbereich 9 Der Anwendungsbereich des § 113 ergibt sich aus der Überschrift des Abschnitts 2 „Pflichtversicherung“ im Zusammenhang mit der Legaldefinition der Pflichtversicherung nach § 113 Abs. 1. Hieraus folgt, dass die Vorschrift des § 113 – ebenso wie die weiteren Vorschriften der §§ 114– 17 BTDrucks. 16/3945 S. 87; BT-Drucks. 12/6959 S. 50 (zu § 5 Abs. 5 Nr. 1 VAG a. F.); Schwintowski/Brömmelmeyer/ Huber3 § 113 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 10. 18 BTDrucks. 16/3945 S. 87. 19 BGH 18.12.1973 – VI ZR 25/72, VersR 1974 254, 255 (juris Rn. 14); Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 2; Berliner Kommentar/Hübsch § 158k Rn. 2; BTDrucks. 4/2252 S. 32. 20 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 2. Beckmann

508

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 113

124 – auf Pflichthaftpflichtversicherungen anzuwenden sind, also auf Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht (vgl. auch Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 7) § 113 Abs. 3 wiederum stellt klar, dass die Vorschriften dieses Abschnitts auch insoweit anzuwenden sind, als der Versicherungsvertrag eine über die vorgeschriebenen Mindestanforderungen hinausgehende Deckung gewährt. In aller Regel lässt sich ohne Schwierigkeiten feststellen, ob eine Versicherung als Pflichthaftpflichtversicherung einzuordnen und damit der Anwendungsbereich der §§ 113–124 eröffnet ist. In Ausnahmefällen ist es indes nicht immer eindeutig, ob eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift gegeben ist (dazu sogleich § 113 Rn. 12 ff.). Schließlich ist es auch möglich, dass die Vorschriften über die Pflichthaftpflichtversicherung durch Gesetz für anwendbar erklärt werden. Dies erfolgt etwa durch den am 19.7.2013 in Kraft getretenen § 8 Abs. 4 S. 2 PartGG,21 der § 113 Abs. 3 und die §§ 114 bis 124 hinsichtlich der Berufshaftpflichtversicherung i. S. d. § 8 Abs. 4 PartGG für entsprechend anwendbar erklärt. Für die Anwendbarkeit des § 113 Abs. 3 und der §§ 114 bis 124 kommt es in diesem Fall daher aufgrund des Rechtsfolgenverweises in § 8 Abs. 4 PartGG nicht darauf an, ob Berufshaftpflichtversicherungen i. S. d. § 8 Abs. 4 PartGG als Pflichthaftpflichtversicherungen i. S. d. § 113 Abs. 1 einzuordnen sind (vgl. zu dieser Diskussion Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 43). Damit wird der Anwendungsbereich des § 113 Abs. 3 und der §§ 114 bis 124 in diesem Fall auf die von § 8 Abs. 4 PartGG erfassten Haftpflichtversicherungen erstreckt.

IV. Übergangsrecht Wie bereits erwähnt (Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 50) gelten die allgemeinen Vorschriften über 10 den Übergang zwischen dem früheren VVG und dem seit dem 1.1.2008 geltenden VVG.22 Insoweit gelten sie für die Pflichthaftpflichtversicherung und die Vorschriften des Abschnitts 2 der §§ 113–124.

B. Tatbestand und Rechtsfolgen I. Begriff der Pflichthaftpflichtversicherung und Kreis der Pflichthaftpflichtversicherer, Abs. 1 1. Pflichthaftpflichtversicherung § 113 Abs. 1 enthält eine Legaldefinition der Pflichtversicherung. Begrifflich nicht ganz gelungen 11 ist allerdings die Bezeichnung als „Pflichtversicherung“.23 Da hiermit Haftpflichtversicherungen gemeint sind, zu deren Abschluss eine Verpflichtung besteht, geht es letztlich aber um Pflichthaftpflichtversicherungen (vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 7). § 113 Abs. 1 und damit der gesamte Abschnitt der §§ 113–124 beziehen sich ausweislich des Wortlauts des Absatzes 1 auf Haftpflichtversicherungen, sodass obligatorische Versicherungen, die keine Haftpflichtversicherung darstellen, von diesem Abschnitt nicht erfasst werden.24 Für das Einordnen einer Versicherung als Haftpflichtversicherung gelten die allgemeinen Erwägungen zur Haftpflichtversicherung (vgl. Vorbem. zu §§ 100–112 Rn. 1 ff.). Der Anwendungsbereich der §§ 113–124 bezieht sich wiederum auf Pflichthaftpflichtversicherungen, also auf Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht. 21 Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer v. 15.7.2013, BGBl I 2386. 22 Vgl. dazu Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. A Rn. 79 ff. 23 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 3. 24 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 2; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 3. 509

Beckmann

§ 113 VVG

Pflichtversicherung

2. Verpflichtung durch Rechtsvorschrift 12 Eine Pflichthaftpflichtversicherung liegt vor, wenn zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht. Rechtsvorschriften i. d. S. sind insbesondere formelle Gesetze, unabhängig davon, ob es sich um ein Bundesgesetz oder um ein Landesgesetz handelt. Rechtsvorschriften i. S. d. § 113 Abs. 1 sind darüber hinaus auch Rechtsverordnungen, Satzungen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder EU-Verordnungen.25 Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die entsprechenden gesetzlichen Regelungen eine Pflichtversicherung anordnen.26 Stellt ein Gesetz die Anordnung des Abschlusses einer Haftpflichtversicherung in das Ermessen einer Behörde, so liegt hierin keine durch Gesetz angeordnete Pflichtversicherung. Als Beispiel sei hier die Regelung des § 63 Abs. 2 der Eichordnung genannt: „Die zuständige Behörde kann von dem Träger der Prüfstelle den Abschluss einer nach Art und Höhe ausreichenden Haftpflichtversicherung und den Nachweis ihres Bestehens verlangen.“ Das der Behörde eingeräumte Ermessen führt dazu, dass die Behörde den Abschluss einer Haftpflichtversicherung verlangen kann, aber nicht verlangen muss (deshalb in diesem Zusammenhang auch als „Kann“-Regelungen bezeichnet). Gegen die Einordnung dieser „Kann“-Regelungen als gesetzliche Anordnung einer Pflichtversicherung lässt sich argumentieren, dass nach dem Willen des Gesetzgebers in diesen Fällen auch Konstellationen denkbar sind, in denen die Behörde eben nicht den Abschluss einer Haftpflichtversicherung verlangt. Bei Anwendung der „Kann“-Regelungen sind einerseits Konstellationen denkbar, in denen der Abschluss einer Versicherung von der Behörde verlangt wird, andererseits Konstellationen, in denen der Abschluss nicht verlangt wird, sowie Konstellationen, in denen der VN freiwillig (ohne Verlangen und u. U. auch ohne Kenntnis der Behörde) eine Versicherung abschließt oder eine Versicherung bereits freiwillig vor dem Verlangen der Behörde abgeschlossen hat. Auf freiwillige Versicherungen finden die §§ 113 ff. aber keine Anwendung. Insbesondere die letzte Konstellation der freiwilligen Versicherungen soll daher gegen eine Einordnung der „Kann“-Regelungen als durch Gesetz angeordnete Pflichtversicherungen sprechen.27 Umstritten ist die Einordnung einer Pflichthaftpflichtversicherung, wenn die behördliche Genehmigung die Auflage, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, zwingend enthält, wie z. B. bei § 42 Abs. 2 Nr. 9 LuftVZO. Indes besteht bei einem solchen Fall auch eine Verpflichtung zum Abschluss der Haftpflichtversicherung durch Rechtsvorschrift, auch wenn dies letztlich erst durch die behördliche Genehmigung ausgesprochen wird.28 13 Eine Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung aufgrund einer Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft reicht als Verpflichtung durch Rechtsvorschrift grundsätzlich aus.29 Ordnet die Satzung einer berufsständischen Kammer eine Versicherungspflicht an, so ist zu unterscheiden. Findet sich eine spezielle bundes- oder landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die es der berufsständischen Kammer gestattet, eine solche Versicherungspflicht in der Satzung anzuordnen, wird man bei Aufnahme einer solchen Verpflichtung in die Satzung eine Verpflichtung zum Abschluss durch Rechtsvorschrift annehmen können (vgl. Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 38).30 Die allgemeine Verleihung der Satzungsautonomie zur Regelung der berufsständischen

25 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 87; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 113 Rn. 6.

26 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 2. 27 So Dallwig 247 ff.; im Ergebnis ebenso Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 2. 28 Ebenso Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 2; Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 34; a. A. Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 7. 29 Prölss/Martin/Klimke31 § 113 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 5; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 6; BTDrucks. 16/3945 S. 87. 30 Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. A Rn. 188; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 7; Hersch/Hersch RuS 2016 541, 544; wohl auch Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 4. Beckmann

510

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 113

Pflichten allein lässt sich hingegen nicht als Verpflichtung durch Rechtsvorschrift einordnen.31 Die Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung berührt die im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit (vgl. Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 26), sodass es hierfür einer gesetzlichen Grundlage bedarf.32 Eine Norm ohne spezielle bundes- oder landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage zur Anordnung der Haftpflichtversicherung ist deshalb verfassungsrechtlich zumindest problematisch. Hält man deshalb in diesem Fall die Satzung der berufsständischen Kammer für nicht ausreichend, so lässt sich das Bestehen einer Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung durch Gesetzesvorschrift wohl nicht annehmen.33 Ein praktisches Beispiel für die gesamte Bandbreite der vorgenannten Möglichkeiten der Anordnung der Pflichtversicherung im Zusammenspiel von Gesetzgeber und Kammern der freien Berufe findet sich im Bereich der Heilberufe.34 Deren Versicherungspflicht ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. Eine Reihe von Bundesländern sieht eine Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung unmittelbar in den entsprechenden Kammergesetzen vor;35 andere Bundesländer haben eine konkrete Ermächtigung im Rahmen des jeweiligen Kammergesetzes als „Kann-Vorschrift“ 36 zur Festlegung einer Versicherungspflicht in den jeweiligen Satzungsvorschriften.37 Speziell in Baden-Württemberg ordnet das Heilberufe-Kammergesetz an, dass die Berufsordnung vorzusehen hat, dass die Kammermitglieder zum Abschluss einer ausreichenden Haftpflichtversicherung zur Deckung von sich aus der Berufsta¨tigkeit ergebenden Haftpflichtanspru ¨ chen verpflichtet sind;38 eine solche Verpflichtung findet sich in der entsprechenden Berufsordnung.39 Betreffend Berlin galt bis 1.11.2018 die zumindest als problematisch zu bezeichnende Rechtslage, nach der die Versicherungspflicht lediglich als Satzungsvorschrift40 aufgrund einer allgemeinen Ermächtigung zur Aufnahme sonstiger, für die Berufsausübung geltender Rechtsvorschriften beruhte.41/42 Die Frage nach der Einordnung als Pflichthaftpflichtversicherung stellt sich auch bei den 14 entsprechenden Vorgaben der Satzungen der Industrie- und Handelskammern (IHK) bzgl. der Bestellung sowie über die Befugnisse und Verpflichtungen der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen.43 Diese Satzungen gehen auf die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung des § 36 Abs. 4 GewO zurück und konnten erlassen werden, da keine Landesregierung von ihrer Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung nach § 36 Abs. 3 GewO Gebrauch gemacht hat. Inhaltlich sprechen die Vorschriften der § 15 Abs. 2 der jeweiligen Satzungen davon, dass der Sachverständige eine Haftpflichtversicherung in angemessener Höhe abschließen „soll“.44 Hinsichtlich dieser konkreten Vorschriften lässt sich allerdings mit Blick auf die systematische Stel-

31 Vgl. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 7; offengelassen durch OLG Nürnberg 21.6.2012 – 5 W 1109/12, VersR 2013 711, 712 f. (juris Rn. 17 f.). 32 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 7. 33 Ebenso Hersch/Hersch RuS 2016 541, 544, die für eine einheitliche Regelung der Haftpflichtversicherung der Angehörigen der Heilberufe in allen Bundesländern plädieren. 34 Dazu Hersch/Hersch RuS 2016 541, 543 ff. 35 So etwa Art. 18 Abs. 1 Nr. 4 Bayerisches Heilberufe-Kammergesetz i. d. F. v. 6.2.2002, GVBl. 2002 S. 42. 36 Z. B. § 17 Abs. 2 Nr. 17 Saarländisches Heilberufe-Kammergesetz i. d. F. v. 11.3.1998, Amtsbl. 1998 S. 338. 37 Vgl. § 21 Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte des Saarlandes i. d. F. v. 10.4.2019, Saarländisches Ärzteblatt 10/2019 S. 13. 38 § 31 Abs. 2 Satz 1 des Heilberufe-Kammergesetzes Baden-Württemberg i. d. F. v. 16.3.1995, GBl. 1995 S. 313. 39 § 21 Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg i. d. F. v. 21.6.2016, ÄBW 2016 S. 506. 40 § 21 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin i. d. F. v. 26.11.2014, ABl. 2014 S. 2341. 41 § 4 a Abs. 4 Nr. 3 Berliner Kammergesetz a. F., jetzt ausdrücklich normiert in § 27 Abs. 1 Nr. 7 Berliner Heilberufekammergesetz i. d. F. v. 2.11.2018, GVBl. 2018 S. 622. 42 Siehe zum Vorstehenden und dazu insgesamt Hersch/Hersch RuS 2016 541, 543 ff. 43 Ebenfalls in der Übersicht im Anhang zu den Vorbem. zu den §§ 113–124 aufgeführt. 44 Diese Ordnungen gehen auf ein Muster des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zurück; vgl. Muster – Sachverständigenordnung des DIHK (neu gefasst aufgrund des Beschlusses des Arbeitskreises Sachver511

Beckmann

§ 113 VVG

Pflichtversicherung

lung unter „III. Pflichten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen“45 sowie dem Schuldnerschutz argumentieren, dass es Sachverständigen letztlich nicht „freigestellt“ ist, eine solche Versicherung abzuschließen. Auch der Umstand, dass solche Satzungen in der Regel ausdrücklich auf § 36 Abs. 3 und 4 GewO Bezug nehmen, spricht dafür, eine Verpflichtung anzunehmen. 15 Wiederum eine andere Situation liegt vor, wenn eine gesetzliche Regelung dem Betroffenen eine Wahlmöglichkeit zwischen einer Haftpflichtversicherung oder einer Form der Sicherheitsleistung gewährt. Nach wohl überwiegender Meinung wird in diesem Falle keine Versicherungspflicht i. S. d. § 113 Abs. 1 angenommen.46 Eine solche Verpflichtung zur Deckungsvorsorge mit Wahlmöglichkeit findet sich z. B. in § 94 Abs. 1 AMG. Danach muss der pharmazeutische Unternehmer dafür Sorge treffen, dass er seinen gesetzlichen Verpflichtungen zum Ersatz von Schäden nachkommen kann; diese Deckungsvorsorge kann durch eine Haftpflichtversicherung oder durch eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung eines Kreditinstituts erbracht werden (vgl. näher § 94 Abs. 1 Satz 3 AMG). Entscheidet sich der pharmazeutische Unternehmer für den Abschluss einer Haftpflichtversicherung, so ordnet § 94 Abs. 2 AMG ausdrücklich an, dass in diesem Falle § 113 Abs. 3 und die §§ 114–124 Anwendung finden. Eine entsprechende Regelung fand sich früher auch in § 43 Abs. 1 LuftVG (in der bis 29.4.2005 geltenden Fassung). Auch in diesem Fall galten gem. § 43 Abs. 1 Satz 3 LuftVG (in der bis 29.4.2005 geltenden Fassung) die besonderen Vorschriften über die Pflichtversicherung. Mittlerweile gilt diese Möglichkeit der alternativen Deckungsvorsorge nicht mehr (vgl. § 43 Abs. 2 LuftVG in der seit 24.8.2009 geltenden Fassung). Die Frage der Anwendung der §§ 113–124 stellt sich insbesondere dann, wenn es an einer Regelung fehlt, die die Anwendung dieser versicherungsvertragsgesetzlichen Vorschriften ausdrücklich anordnet. Dies ist etwa im Rahmen der Deckungsvorsorge gem. § 19 Abs. 2 UmweltHG der Fall. Danach kann die Deckungsvorsorge erbracht werden durch eine Haftpflichtversicherung bei einem im Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Geschäftsbetrieb befugten VU oder durch eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung des Bundes oder eines Landes oder durch eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung eines im Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstitutes, wenn gewährleistet ist, dass sie einer Haftpflichtversicherung vergleichbare Sicherheiten bietet. § 19 UmweltHG enthält keine Regelung, wonach im Falle der Erbringung der Deckungsvorsorge durch eine Haftpflichtversicherung die Vorschriften über die Pflichtversicherung gem. §§ 113–124 zur Anwendung gelangen. Eine Nichtanwendung der Regelung über die Pflichtversicherung würde indes dazu führen, dass die Haftpflichtversicherung noch nicht einmal eine Mindestversicherungssumme aufweisen müsste. Der Gesetzgeber geht offenbar auch davon aus, dass im Falle einer solchen „mittelbaren Pflicht“ zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung die Vorschriften über Pflichthaftpflichtversicherungen gem. §§ 113 ff. zur Anwendung kommen. Dies gilt jedenfalls i. R. d. UmweltHG. Das UmweltHG geht gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 UmweltHG ohne Weiteres von der Geltung des § 117 Abs. 2 aus. Hierdurch kommt zum Ausdruck, dass die Regelungen über die Pflichthaftpflichtversicherung zur Anwendung gelangen sollen.47 Gem. § 2 Abs. 1 PflVG sind bestimmte juristische Personen der öffentlichen Hand von der 16 Pflicht zum Abschluss einer Kfz-Haftpflichtversicherung befreit. Gleichwohl können sie eine entsprechende Haftpflichtversicherung abschließen (vgl. § 2 Abs. 2 PflVG). Auch in diesem

ständigenwesen vom 30.11.2009, in der Fassung vom 26.3.2012) abgedruckt bei Landmann/Rohmer GewO (II) 63. Erg. 2013, Nr. 276 (Ergänzende Vorschriften). 45 So die Sachverständigenordnungen der IHK Region Stuttgart, Schwaben, Berlin, Cottbus, Bremerhaven, Hamburg, Frankfurt a. M., Rostock, Nord Westfalen, Koblenz, Dresden, Halle-Dessau, Kiel, Erfurt. 46 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 5; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 9; Berliner Kommentar/ Hübsch § 158b Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 113 Rn. 5. 47 Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 6; ebenso Wagner VersR 1991 249, 255; von Bar AcP (81) 1981 289, 314. Beckmann

512

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 113

Fall sprechen Schutzzweckgesichtspunkte dafür, §§ 113–124 auf eine entsprechende Haftpflichtversicherung anzuwenden.48 Zwar kann sich auch aus einem Vertrag eine Verpflichtung zum Abschluss einer Versiche- 17 rung ergeben.49 Indes reicht eine vertragliche Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung für die Anwendung der §§ 113–124 hingegen nicht aus, da es an einer Verpflichtung durch Rechtsvorschrift fehlt. Dies gilt unabhängig davon, ob die vertragliche Verpflichtung durch Individualvereinbarung oder durch AGB (z. B. gem. § 28 ADSp 2017) erfolgt.50 Gesetze, die eine obligatorische Haftpflichtversicherung anordnen, sind grundsätzlich auch 18 als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB einzuordnen, da sie in erster Linie dem Schutz geschädigter Dritter dienen.51 Das ist beispielsweise für § 1 PflVG durch die Rechtsprechung ausdrücklich entschieden.52

3. Kreis der Pflichthaftpflichtversicherer Gem. § 113 Abs. 1 ist die entsprechende Pflichthaftpflichtversicherung „mit einem im Inland zum 19 Geschäftsbetrieb befugten VU abzuschließen“. Vor der VVG-Reform 2008 gab es eine entsprechende Vorschrift lediglich für die Kfz-Haftpflichtversicherung gem. § 5 Abs. 1 PflVG. Nach der VVG-Reform 2008 gilt diese Regelung nun für sämtliche Pflichthaftpflichtversicherungen.53 Welche VU im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt sind regelt das Versicherungsaufsichts- 20 recht.54 Gem. § 8 Abs. 1 VAG bedürfen VU zum Geschäftsbetrieb der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde. Damit gehören VU mit Sitz im Inland, die über eine entsprechende Erlaubnis nach § 8 ff. VAG verfügen, zum Kreis der Pflichthaftpflichtversicherer gem. § 113 Abs. 1. Aufgrund des sog. Single-License-Prinzips sind auch VU mit Sitz in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat zum Geschäftsbetrieb im Inland befugt, vgl. § 61 Abs. 1 VAG. Dabei sind die formalen Voraussetzungen von § 110a Abs. 2 bis 4 VAG zu beachten. Neben den allgemeinen Voraussetzungen nach § 61 Abs. 2 und 3 VAG ist zu berücksichtigen, dass gem. dessen Abs. 4 das Unternehmen der Bundesanstalt die AVB einzureichen hat. Inhaltlich stellt dies aber keinen Unterschied zu VU mit Sitz im Inland (und daher auch keine europarechtlich unzulässige Diskriminierung) dar, da diese gem. § 9 Abs. 4 Nr. 5 VAG ebenfalls die Versicherungsbedingungen der BaFin vorzulegen haben. Auch außerhalb des EWR ansässige VU können grundsätzlich Pflichthaftpflichtversicherungen im Inland anbieten, soweit diese gem. § 67 Abs. 1 VAG über eine entsprechende Erlaubnis durch die deutsche Aufsichtsbehörde verfügen.

4. Verstoß gegen Abs. 1, 2. Halbs. Gem. § 113 Abs. 1 ist eine Pflichthaftpflichtversicherung mit einem im Inland zum Geschäftsbe- 21 trieb befugten VU abzuschließen (vgl. zuvor Rn. 19 f.). Wird ein Pflichtversicherungsvertrag mit einem Unternehmen abgeschlossen, das nicht im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt ist, so

48 Ebenso Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 8, Prölss/Martin/Klimke31 § 113 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Huber3 § 113 Rn. 4; a. A. Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 10; vgl. noch Rn. 29.

49 Dazu Beckmann Vertragliche Pflichten zur Sicherstellung von Versicherungsschutz, FS 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg, 2016, 65. 50 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 7; Prölss/Martin/Klimke31 § 113 Rn. 2. 51 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 9; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 11. 52 OLG Düsseldorf v. 12.7.1971 – 12 W 134/70, VersR 1973 374. 53 Zur Begründung vgl. bereits oben Rn. 6. 54 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 14. 513

Beckmann

§ 113 VVG

Pflichtversicherung

berührt dies die zivilrechtliche Wirksamkeit des entsprechenden Vertrages nicht.55 Insbesondere kann der VN die vertraglich geschuldete Leistung geltend machen. Zu Recht hat man sich im Schrifttum darüber hinaus dafür ausgesprochen, dass die §§ 113–124 auf ein solches Vertragsverhältnis grundsätzlich Anwendung finden.56 Dies gilt insbesondere für die Regelungen dieses Abschnittes, die dem Schutz des VN dienen. Auch wird man annehmen können, dass der geschädigte Dritte gegen das ohne erforderliche Zulassung auftretende VU einen Direktanspruch unter den Voraussetzungen des § 115 hat.57 Des Weiteren unterliegt das nicht zugelassene VU gem. § 1 VAG der Versicherungsaufsicht,58 die entsprechend gegen diese Unternehmen vorgehen kann. Zu beachten ist hierbei, dass die jeweiligen Vorschriften, welche die entsprechende Pflichthaftpflichtversicherung anordnen, besondere Rechtsfolgen beinhalten können.59 Insbesondere sind gesonderte Rechtsfolgen denkbar, für den Fall, dass die vorgeschriebene Versicherungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt wird.60

5. Kontrahierungszwang des Versicherers 22 Auch wenn der Gesetzgeber vielfach eine Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung durch Rechtsvorschrift vorsieht (vgl. die Übersicht im Anhang zu den Vorbem. zu den §§ 113– 124), so wird diese gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung nicht zugleich mit entsprechenden Regelungen über einen Kontrahierungszwang flankiert.61 Lediglich im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung findet sich in § 5 Abs. 2 PflVG ein grundsätzlicher Kontrahierungszwang. Indes finden sich in § 5 Abs. 4 PflVG Einschränkungen dieses Kontrahierungszwanges, wenn dem VR letztlich nicht zugemutet werden kann, einen entsprechenden Vertrag mit dem Versicherungsinteressenten zu schließen. Auch wenn sich außerhalb der Kfz-Haftpflichtversicherung ein solcher Kontrahierungszwang grundsätzlich nicht ergibt, so handelt es sich gleichwohl nicht um die gleiche Situation wie bei einem rein optionalen Vertragsschluss, für den keine gesetzliche Abschlussverpflichtung besteht. Für den Adressaten, der einen entsprechenden Pflichthaftpflichtversicherungsvertrag abschließen muss, besteht letztlich eine Abschlusspflicht. Solange ein entsprechender Versicherungsmarkt existiert, dürften sich hieraus grundsätzlich keine rechtlichen Probleme ergeben.

II. Bestätigung des Versicherungsverhältnisses, Abs. 2 23 Gem. § 113 Abs. 2 hat der VR dem VN unter Angabe der Versicherungssumme zu bescheinigen, dass eine den zu bezeichnenden Rechtsvorschriften entsprechende Pflichtversicherung besteht. Vielfach muss der Adressat einer gesetzlichen Pflichthaftpflichtversicherung den Abschluss eines entsprechenden Versicherungsvertrages, insbesondere gegenüber einer Behörde oder einer anderen Stelle nachweisen. So muss beispielsweise ein Versicherungsvermittler gem. § 34d Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 GewO den Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung gegenüber der zuständigen Industrie- und Handelskammer erbringen. Demgemäß ist es nahe liegend, dass der entsprechende HaftpflichtVR dem VN eine entsprechende Bescheinigung auszuhändigen hat. 55 H. M., vgl. Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 12; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 5; Prölss/Martin/Klimke31 § 113 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 113 Rn. 3. 56 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 12; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 15; Prölss/Martin/Klimke31 § 113 Rn. 6. 57 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 15. 58 BVerwG 19.5.1987 – 1 A 88/83, VersR 1987 701, 703 (juris Rn. 45). 59 Vgl. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 12; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 15. 60 Vgl. Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 5 PflVG Rn. 3. 61 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 113 Rn. 6; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 16. Beckmann

514

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 113

§ 113 beschreibt den notwendigen Inhalt einer entsprechenden Bescheinigung. Danach ist 24 in der Bescheinigung zum einen die Versicherungssumme anzugeben, zum anderen ist die gesetzliche Grundlage aufzunehmen, aus der sich die Pflichthaftpflichtversicherung ergibt.62 Es ist möglich, die Bestätigung nach § 113 Abs. 2 mit dem Versicherungsschein nach § 3 in einem Dokument zusammenzufassen.63 Die frühere Fassung des § 158b Abs. 2 Satz 2 VVG a. F. hat dies noch ausdrücklich bestimmt. Das geltende VVG enthält eine solche Regelung nicht mehr. Gleichwohl geht die ganz überwiegende Meinung davon aus, dass sich durch die Neufassung des VVG an dieser Möglichkeit nichts ändern sollte (vgl. bereits oben Rn. 4).64 Wird von einer Zusammenfassung der Bestätigung nach § 113 Abs. 2 und dem Versicherungsschein nach § 3 in einer Urkunde Gebrauch gemacht, wird die Widerrufsfrist des § 8 Abs. 1 nicht berührt, wenn die Anforderungen des § 113 Abs. 2 nicht erfüllt sind.65 § 113 Abs. 2 enthält keine Regelung über die Form der entsprechenden Bescheinigung. Teil- 25 weise wird insoweit eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 1 vorgeschlagen.66 Danach ist der Versicherungsschein grundsätzlich in Textform (§ 126b BGB) auszustellen; darüber hinaus kann der VN gem. § 3 Abs. 1 eine Übermittlung des Versicherungsscheins als Urkunde verlangen. Nimmt man an, dass die Versicherungsbestätigung gem. § 113 Abs. 2 und der Versicherungsschein in einem Dokument zusammengefasst werden können, so ist es konsequent, die Formerfordernisse des Versicherungsscheins auf die Versicherungsbestätigung nach § 113 Abs. 2 zumindest analog anzuwenden. Dies gilt letztlich auch für weitere Regelungen über formale Anforderungen an den Versicherungsschein (keine Anwendung findet hingegen § 5). Umstritten ist die Frage, ob sich § 113 Abs. 2 auf die Fälligkeit der Prämie auswirken kann. 26 Teilweise wird der Standpunkt vertreten, die Fälligkeit der Prämie gem. § 33 Abs. 1 könne erst eintreten, sofern der Versicherungsschein und die Versicherungsbestätigung nach § 113 Abs. 2 inhaltlich vollständig und korrekt übermittelt worden seien. Bis zur Übermittlung habe der VN ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB.67 Ein solches Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB wird nach anderer Ansicht abgelehnt; weitergehend sei die Prämie gem. § 33 Abs. 1 überhaupt erst fällig, wenn sowohl der Versicherungsschein als auch die Versicherungsbescheinigung inhaltlich vollständig und korrekt übermittelt worden seien.68 Indes stellt § 33 Abs. 1 alleine auf den Zugang des Versicherungsscheines ab; die Bescheinigung nach § 113 Abs. 2 ist keine Voraussetzung des § 33 Abs. 1. Deshalb wird man nicht annehmen können, dass bei noch nicht erfolgter Übersendung der Bestätigung nach § 113 Abs. 2 noch keine Fälligkeit eingetreten sei. Gleichwohl besteht die Möglichkeit für den VN, sich auf das allgemeine Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB zu berufen.69

III. Geltung der §§ 113–124 auf über die Mindestanforderungen hinausgehende Versicherungen, Abs. 3 Gem. § 113 Abs. 3 sind die Vorschriften dieses Abschnitts, mithin die §§ 113–124, auch insoweit 27 anzuwenden, als der Versicherungsvertrag eine über die vorgeschriebenen Mindestanforderun-

62 Vgl. auch BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 113 Rn. 10. 63 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 13; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 20; Prölss/Martin/Klimke31 § 113 Rn. 8. 64 So auch Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 20. 65 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 13; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 23. 66 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 21. 67 So etwa Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 14. 68 So Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 24. 69 So wie schon erwähnt Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 14; zu den Wirkungen des Zurückbehaltungsrechts etwa juris PK-BGB/Kerwer9 § 273 Rn. 27. 515

Beckmann

§ 113 VVG

Pflichtversicherung

gen hinausgehende Deckung gewährt.70 § 113 Abs. 3 stimmt mit dem früheren § 158k a. F. überein.71 Der Zweck der Vorschrift besteht darin, eine Aufspaltung des Versicherungsverhältnisses zu vermeiden; der gesamte Vertrag, also auch der Teil, der über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgeht, soll den Vorschriften über die Pflichthaftpflichtversicherung unterliegen.72 Nach der Gesetzesbegründung zum VVG 2008 betrifft die Vorschrift insbesondere die Fälle, in denen eine die Mindestversicherungssumme übersteigende Versicherungssumme vereinbart, der Kreis der mitversicherten Personen über die zwingenden Vorgaben hinaus erweitert oder eine räumliche Erweiterung des Versicherungsschutzes vorgenommen wird.73 Danach soll die in § 117 Abs. 3 vorgesehene Begrenzung der Eintrittspflicht des gegenüber dem VN leistungsfreien VR auf die vorgeschriebene Mindestversicherungssumme keine Ausnahme von dieser Vorschrift darstellen, sondern den Grundsatz des einheitlichen Vertragsverhältnisses bestätigen.74 Gleichwohl steht § 113 Abs. 3 nicht einer Vereinbarung der Parteien entgegen, wonach zwei 28 getrennte Versicherungsverträge vereinbart werden, namentlich ein Versicherungsvertrag mit dem gesetzlichen Mindestschutz und daneben ein weiterer Versicherungsvertrag mit darüber hinaus gehenden Deckungserweiterungen.75 Lässt sich eine solche vertragliche Vereinbarung bejahen, so gilt für den Vertrag mit dem zwingenden Mindestschutz der Abschnitt über die Pflichthaftpflichtversicherung gem. §§ 113–124, während über den gesonderten Versicherungsvertrag, der Deckungserweiterungen enthält, die allgemeinen Regelungen über die Haftpflichtversicherung zur Anwendung kommen. Möglicherweise kann der VN durch eine solche vertragliche Konstruktion eine günstigere Prämie erreichen.76 29 Nach überwiegender, aber umstrittener Meinung findet § 113 Abs. 3 analoge Anwendung auf Verträge, die grundsätzlich zwar als Pflichthaftpflichtversicherungen einzuordnen sind, aber von nicht der Versicherungspflicht unterliegenden VN abgeschlossen werden. Dies gilt insbesondere für Kfz-Haftpflichtversicherungsverträge durch Halter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1–5 PflVG. Gem. § 2 Abs. 1 sind diese grundsätzlich nicht zum Abschluss einer Kfz-Haftpflichtversicherung verpflichtet. Gleichwohl wendet die wohl h. M. § 113 Abs. 3 auf solche Versicherungsverträge an.77 Begründet werden kann dies in erster Linie mit der Schutzbedürftigkeit des geschädigten Dritten, dem man auch in diesen Konstellationen einen Direktanspruch zubilligen möchte. Billigt man aber dem Dritten diesen Direktanspruch nach bzw. analog § 115 zu, so ist es nur folgerichtig auch die übrigen Vorschriften des hiesigen Abschnittes zur Anwendung gelangen zu lassen, da nur so sichergestellt werden kann, dass das kohärente System der §§ 113–124 nicht durchbrochen wird und nicht etwa Direktansprüche ohne Obliegenheiten des begünstigten Dritten begründet werden (§§ 119-120) oder die Regressansprüche des VU unklar blieben (§ 118).78

70 BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 113 Rn. 11. 71 BTDrucks. 16/3945 S. 87. 72 Vgl. BGH 18.12.1973 – VI ZR 25/72, VersR 1974 254, 255 (juris Rn. 14); unter Hinweis auf die Begründung BTDrucks. IV/252 S. 32.

73 BTDrucks. 16/3945 S. 87 f. 74 BTDrucks. 16/3945 S. 88; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 17; Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 27; Prölss/Martin/Klimke31 § 113 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 113 Rn. 8; Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 113 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 113 Rn. 12. 75 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 28; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 7; Looschelders/ Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 16; Freise VersR 2019 1259, 1268. 76 Vgl. Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 28; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 113 Rn. 7. 77 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 30; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 18; Prölss/Martin/Klimke31 § 113 Rn. 9; a. A. Berliner Kommentar/Hübsch § 158k Rn. 1. 78 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 24. Beckmann

516

D. Beweislast

VVG § 113

C. Abdingbarkeit Auch wenn dies ausdrücklich im Gesetz nicht verankert ist, sind die Vorschriften dieses Ab- 30 schnitts (§§ 113–124) nicht zulasten des VN, der mitversicherten Person bzw. des geschädigten Dritten abdingbar (vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 52).79

D. Beweislast Im Rahmen von § 113 Abs. 1 kann sich beispielsweise die Frage stellen, ob es sich bei dem ent- 31 sprechenden VR um ein im Inland zum Geschäft befugtes VU handelt. Hierbei ist sorgsam abzugrenzen, ob die sich stellende Frage eine dem Beweis zugänglichen Tatsachenfrage oder eine reine Rechtsfrage darstellt. Nur soweit ungeklärte Tatsachen im Raum stehen, wird man im Verhältnis zwischen VU und VN die entsprechende Darlegungs- und Beweislast dem VU auferlegen können, da dieser Nachweis für das VU in zumutbarer Weise deutlich einfacher erfolgen kann als für einen VN. Im Rahmen von § 113 Abs. 2 obliegt dem VU die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es eine dem § 113 Abs. 2 ordnungsgemäße Bescheinigung ausgestellt hat. Bei der Anwendung des § 113 Abs. 3 kann sich die Frage stellen, ob ein einheitlicher Versicherungsvertrag vorliegt (auf den dann der gesamte Abschnitt der §§ 113–124 Anwendung findet) oder ob nach dem Parteiwillen zwei getrennte Versicherungsverträge vorliegen (vgl. zu dieser Möglichkeit Rn. 28). Insoweit trifft im Hinblick auf die hiermit zusammenhängenden Tatsachenfragen denjenigen die Darlegungs- und Beweislast, der eine Abweichung von § 113 Abs. 3, mithin zwei getrennte Versicherungsverträge vorträgt.

79 Langheid/Wandt/Brand2 § 113 Rn. 31; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 113 Rn. 19; a. A. Berliner Kommentar/Hübsch § 158b Rn. 10. 517

Beckmann

§ 114 Umfang des Versicherungsschutzes (1) Die Mindestversicherungssumme beträgt bei einer Pflichtversicherung, soweit durch Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist, 250.000 Euro je Versicherungsfall und eine Million Euro für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres. (2) Der Versicherungsvertrag kann Inhalt und Umfang der Pflichtversicherung näher bestimmen, soweit dadurch die Erreichung des jeweiligen Zwecks der Pflichtversicherung nicht gefährdet wird und durch Rechtsvorschrift nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Ein Selbstbehalt des Versicherungsnehmers kann dem Dritten nicht entgegengehalten und gegenüber einer mitversicherten Person nicht geltend gemacht werden.

Schrifttum Armbrüster/Dallwig Die Rechtsfolgen übermäßiger Deckungsbegrenzungen in der Pflichtversicherung, VersR 2009 150; Dallwig Deckungsbegrenzungen in der Pflichtversicherung 2011; ders. Deckungsbegrenzungen in Pflichtversicherungen – Die Bedeutung des § 114 VVG 2008 für Verträge über Pflichthaftpflichtversicherungen, ZVersWiss 2009 47; Franz/Spielmann Die Zukunft von Selbstbehalten bei Pflichtversicherungen aus versicherungssteuerlicher Sicht, VersR 2012 960; Schirmer/Höhne Die Zulässigkeit von Selbstbehalten in der KH-Versicherung, DAR 1999 433; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Anwendungsbereich

C.

Tatbestand und Rechtsfolgen

I. 1. 2. 3.

7 Mindestversicherungssumme, Abs. 1 7 Regelungsgehalt 8 Subsidiarität des § 114 Abs. 1 Vertraglich, insbesondere durch AVB vereinbar11 te Versicherungssummen Aufteilung der vorgegebenen Mindestversiche13 rungssumme Mindestversicherungssumme und Haftungs14 höchstgrenze

4. 5.

II. 1.

2.

Schranken der Inhaltsfreiheit, Abs. 2 Satz 1, 19 2. Halbs. 20 a) Abweichende Rechtsvorschriften 23 b) Zweck der Pflichtversicherung c) Rechtsfolgen bei Verstoß gegen eine 26 Schranke aa) Rechtsfolgen anordnende 27 Norm 32 bb) Umfang der Unwirksamkeit cc) Weitere mögliche Rechtsfol34 gen 35 d) Diskutierte Einzelfälle 36 aa) Serienschadensklauseln 40 bb) Nachhaftungsbegrenzung 41 cc) Pflichtwidrigkeitsklauseln

III. 1. 2. 3. 4.

42 Selbstbehalte, Abs. 2 Satz 2 42 Begriff 43 Regelungsgehalt 44 Grenzen Beschränkung von Selbstbehalten auf das In45 nenverhältnis, Satz 2

D.

Beweislast und Abdingbarkeit

1 3

6 7

Inhaltsfreiheit und deren Schranken, Abs. 2 16 Satz 1 16 Inhaltsfreiheit

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522662-018

49

518

A. Einführung

VVG § 114

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift des § 114 Abs. 1 ist eine Neuerung des VVG 2008 und hatte zuvor keine Entspre- 1 chung im früheren VVG. Lediglich in anderem Zusammenhang nahm das frühere VVG Bezug auf die Mindestversicherungssumme; namentlich bei Leistungsfreiheit des VR gegenüber dem VN und Aufrechterhaltung der Leistungsverpflichtung des VR gegenüber dem geschädigten Dritten gem. § 158c Abs. 1 VVG a. F. (heute geregelt in § 117 Abs. 1) ordnete § 158c Abs. 3 VVG a. F. an, dass der VR nur im Rahmen der „amtlich festgelegten Mindestversicherungssummen“ haftet.1 Mindestversicherungssummen für die Pflichthaftpflichtversicherung stellte das frühere VVG hingegen nicht auf. Vielfach finden sich in den Rechtsvorschriften, die eine Haftpflichtversicherung anordnen, Regelungen über eine Mindestversicherungssumme. Allerdings ist das nicht stets der Fall. Deshalb erachtete es der Reformgesetzgeber zu Recht für angezeigt, eine (subsidiär) geltende Regelung über eine Mindestversicherungssumme in das VVG 2008 aufzunehmen. Da es sich mithin nur um eine Auffangregelung handelt, stellt § 114 Abs. 1 keine absolute Untergrenze für die Mindestversicherungssumme auf, sondern es können in den entsprechenden Rechtsvorschriften auch von § 114 Abs. 1 nach unten abweichende, niedrigere Summen wirksam festgesetzt werden. Auch eine dem § 114 Abs. 2 entsprechende Regelung fand sich im früheren VVG vor der 2 VVG-Reform 2008 nicht. Selbst der ursprüngliche Entwurf der Reformkommission enthielt in der entsprechenden Vorschrift des § 115 VVG-E lediglich die Regelung des heutigen § 114 Abs. 1. Die Regelung des § 114 Abs. 2 über den möglichen Inhalt des entsprechenden Versicherungsvertrages wurde dagegen erst mit dem Referentenentwurf des BMJ vom 13.3.2006 als § 115 Abs. 2 VVG-E in die Reform aufgenommen.2 Die mit der VVG-Reform 2008 bereits verabschiedete Fassung des § 114 Abs. 23 wiederum wurde noch kurz vor Inkrafttreten der VVG-Reform geändert. Da die endgültige Fassung des VVG 2008 keinen allgemeinen Direktanspruch des Dritten mehr enthielt, musste der bereits zuvor verabschiedete Wortlaut des § 114 Abs. 2 Satz 2 („Anspruch des Dritten nach § 115 Abs. 1 in Verbindung mit § 117 Abs. 1“) noch in die heute geltende Fassung gebracht werden.4 Wäre dies nicht geschehen, hätte sich der Dritte auch dann einen Selbstbehalt entgegenhalten lassen müssen, wenn ihm kein Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 zugestanden hätte; dies war jedoch vom Gesetzgeber nicht intendiert.5

II. Inhalt und Zweck der Regelung Zu Recht äußerte die VVG-Reformkommission und dem folgend auch der Reformgesetzgeber, 3 dass es an sich Sache des die Versicherungspflicht anordnenden Gesetzgebers sei, eine Mindestversicherungssumme zu bestimmen. Auch wenn dies vielfach der Fall ist, zeigte sich der Reformgesetzgeber in den Beratungen unzufrieden mit der Tatsache, dass – als Folge der Deregulierung des Marktes – die Bestimmung einer Mindestversicherungssumme gleichwohl weitgehend den AVB überlassen wurde und daher nicht mehr von einem homogenen Versicherungsschutz ausgegangen werden konnte.6 Aufgrund der Tatsache, dass im Rahmen der Pflichthaftpflichtversiche1 Dazu Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 26 ff. Eine dem § 158c Abs. 3 VVG a. F. entsprechende Vorschrift findet sich im geltenden VVG in § 117 Abs. 3 Satz 1.

2 Referentenentwurf S. 62, abrufbar unter http://www.gesmat.bundesgerichtshof.de/gesetzesmaterialien/16_wp/ versvertrg/refe_13_3_06.pdf (Abrufdatum: 14.7.2021). Fassung VVG-Reform 2008 BGBl. 2007 I 2631, 2650. BGBl. I 2007 2833, 2834; vgl. auch BTDrucks. 16/6627 S. 2. BTDrucks. 16/6627 S. 6 f. KomE S. 81 f.; BTDrucks. 16/3945 S. 88.

3 4 5 6

519

Beckmann

§ 114 VVG

Umfang des Versicherungsschutzes

rung vielfach die Regulierung von Personenschäden vorzunehmen ist, wurde deshalb durch die Vorschrift des § 114 Abs. 1 ein subsidiärer Mindeststandard auch für Konstellationen normiert, in welchen die entsprechenden Rechtsvorschriften bislang keine Aussagen zur Mindestversicherungssumme trafen (zur Subsidiarität auch oben Rn. 1 und unten Rn. 6, 8). Der Zweck der Versicherungspflicht – die insbesondere im Drittopferschutz besteht –7 sei nämlich insgesamt nur dann gewährleistet, wenn auch sichergestellt ist, dass mit dieser ein zuverlässiger Schutz bei Insolvenz des Schädigers einhergehe. 4 Während die Normierung der Mindestversicherungssumme auf A 250.000 pro Schadensfall im Interesse des geschädigten Dritten, aber auch des VN erfolgt, bezweckt die Festlegung der Mindestsumme von einer Million Euro pro Jahr auch den Schutz des VR. Der Betrag von einer Million Euro stellt insoweit klar, dass kein unbegrenztes Eintreten des VR verlangt werden kann, und beschreibt somit eine Obergrenze bzw. Deckelung der Kosten. 5 Die Regelung des Abs. 2 wiederum enthält Bestimmungen über den möglichen Inhalt des Vertragsverhältnisses zwischen VR und VN (Deckungsverhältnis). Der Norm kommt dabei prinzipiell klarstellender Charakter zu, insofern sie Risikoausschlüsse und Selbstbehalt im Rahmen des Deckungsverhältnisses grundsätzlich gesetzlich legitimiert, was sich auch auf den Prüfungsmaßstab von AVB auswirkt. Andererseits zeigt das Gesetz auch Grenzen auf. Die Gestaltungsfreiheit findet gem. § 114 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. zum einen ihre Grenze, wenn durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist und zum anderen, wenn durch den Vertragsinhalt die Erreichung des jeweiligen Zwecks der Pflichtversicherung gefährdet ist. Zudem kann gem. § 114 Abs. 2 Satz 2 ein Selbstbehalt des VN dem Dritten nicht entgegengehalten und gegenüber einer mitversicherten Person nicht geltend gemacht werden.

B. Anwendungsbereich 6 Die in § 114 Abs. 1 festgelegten Mindestversicherungssummen beziehen sich auf sämtliche Pflichthaftpflichtversicherungen, unabhängig davon, ob Bundes-, Landes- oder EU-Recht die Pflicht zur Versicherung bestimmen.8 Die Vorschrift ist dabei subsidiär und nur anwendbar, soweit sich in Spezialgesetzen keine vorrangigen Regelungen finden.9 Derartige spezialgesetzliche Normen müssen sich dabei nicht auf ein Abweichen nach oben beschränken, sondern können durchaus auch eine geringere Mindestversicherungssumme bestimmen, so dass § 114 Abs. 1 keine absoluten Untergrenzen normiert.10

C. Tatbestand und Rechtsfolgen I. Mindestversicherungssumme, Abs. 1 1. Regelungsgehalt 7 Zum einen regelt § 114 Abs. 1 die Mindestversicherungssumme je Versicherungsfall, die bei A 250.000 liegt. Zum anderen beträgt die Mindestversicherungssumme eine Million Euro für alle 7 BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 114 Rn. 1; vgl. insgesamt zum Zweck von Pflichthaftpflichtversicherungen Vorbem. zu den §§ 113–114 Rn. 15 ff. 8 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 5; zu Rechtsvorschriften, die eine Pflichthaftpflichtversicherung anordnen können, vgl. § 113 Rn. 12 ff. 9 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 165; Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 1. 10 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 2; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 2; a.A. Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 114 Rn. 1; vgl. noch Rn. 8. Beckmann

520

C. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 114

Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres. Beide in § 114 Abs. 1 genannten Mindestversicherungssummen sind voneinander unabhängig.11

2. Subsidiarität des § 114 Abs. 1 Die Subsidiarität des § 114 Abs. 1 ergibt sich ausdrücklich aus dem Wortlaut („soweit durch 8 Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist“). Durch Rechtsvorschrift vorgegebene Mindestversicherungssummen haben deshalb Vorrang vor der Anwendung des § 114 Abs. 1. Solche vorrangigen Regelungen können höhere, aber auch niedrigere Mindestversicherungssummen vorsehen (vgl. bereits Rn. 1, 6). Nach oben abweichende Mindestsummen finden sich etwa aus der Anlage zu § 4 Abs. 2 PflVG für die Kfz-Haftpflichtversicherung. Umgekehrt können durch Rechtsvorschrift auch niedrigere Mindestversicherungssummen vorgegeben werden; diese haben dann gleichfalls Vorrang vor § 114 Abs. 1.12 Solche sind insbesondere denkbar, wenn lediglich geringere Vermögensschäden drohen. Ein Beispiel hierfür stellt die Vorgabe der Anlage zu § 4 Abs. 2 PflVG dar, wonach für reine Vermögensschäden eine Mindestversicherungssumme von A 50.000 angeordnet ist. Im Rahmen der Diskussion um die VVG-Reform ist deshalb auch vorgeschlagen worden, die Regelung der Mindestversicherungssumme auf Personen- und Sachschäden zu begrenzen.13 Dem ist der Gesetzgeber indes nicht gefolgt. Enthalten Rechtsvorschriften für Pflichthaftpflichtversicherungen hingegen keine Vorga- 9 ben zu Mindestversicherungssummen, greift § 114 Abs. 1 ein. Ebenfalls findet § 114 Abs. 1 Anwendung, wenn gesetzliche Vorgaben nicht hinreichend bestimmt sind. Im Schrifttum wird als Beispiel für eine nicht hinreichende Bestimmung § 25 Abs. 2 Satz 1 StBerG aufgeführt,14 wo es heißt, [dass die] „Die Lohnsteuerhilfevereine […] gegen die sich aus der Hilfeleistung in Steuersachen im Rahmen der Befugnis nach § 4 Nr. 11 ergebenden Haftpflichtgefahren angemessen versichert sein [müssen].“ Die Stimmen in der Literatur, die eine Anwendung des § 114 Abs. 1 auf diese Sachverhalte aufgrund der überdimensionierten Haftungssumme kritisieren, mögen zutreffend sein,15 de lege lata muss dies jedoch hingenommen werden.16 Insoweit bedürfte es eines Tätigwerdens des Gesetzgebers im Rahmen des § 25 Abs. 2 StBerG.17 § 114 Abs. 1 greift des Weiteren ein, wenn eine spezielle Vorschrift z. B. lediglich die Min- 10 destversicherungssumme je Versicherungsfall vorschreibt, indes keine Regelung zur Mindestversicherungssumme für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres enthält. Insoweit kommt dann § 114 Abs. 1 zur Anwendung.18 Dabei ist zu beachten, dass § 114 Abs. 1 keine allgemeine Regelung enthält, wonach die Mindestversicherungssumme für alle Versicherungsfälle eines Jahres das Vierfache der Mindestversicherungssumme pro Schadensfall betragen muss. Soweit etwa spezialgesetzlich lediglich die Mindestversicherungssumme pro Schadensfall mit einer Mio. Euro bemessen ist und zur Mindestversicherungssumme pro Jahr keine Aussage getroffen wird, erhöht sich die Mindestversicherungssumme pro Jahr mithin nicht, sondern es verbleibt bei dem von § 114 Abs. 1 als Jahresmindestversicherungssumme festgelegten Betrag von einer Millionen Euro.19

11 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 6. 12 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 2; vgl. bereits oben Rn. 6. 13 Stellungnahme des GDV zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 13.3.2006, S. 49. 14 Vgl. Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 9: Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 2. 15 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 3. 16 Armbrüster ZWE 2018 105, 113. 17 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 3. 18 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 4. 19 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 6. 521

Beckmann

§ 114 VVG

Umfang des Versicherungsschutzes

3. Vertraglich, insbesondere durch AVB vereinbarte Versicherungssummen 11 Vertraglich, insbesondere durch AVB vereinbarte Versicherungssummen müssen den gesetzlich vorgegebenen Mindestversicherungssummen entsprechen; dies gilt unabhängig davon, ob die Mindestversicherungssummen durch spezielle Rechtsvorschriften oder subsidiär durch § 114 Abs. 1 vorgegeben sind. Gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG ist § 114 Abs. 1 nach dem 31.12.2008 auch auf Altverträge anwendbar. Soweit in diesen Fällen die gesetzlichen Mindestsummen nicht erreicht werden, sind die §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 306 Abs. 2 BGB mit der Maßgabe anwendbar, dass § 114 Abs. 1 an deren Stelle tritt.20 Im Übrigen haben vertragliche Regelungen nur dann einen vollständigen, die Anwendung 12 des § 114 Abs. 1 entbehrlich machenden Regelungsgehalt, wenn sie kumulativ sowohl für den einzelnen Versicherungsfall als auch für das Versicherungsjahr den Mindestsummen des § 114 Abs. 1 entsprechen. Enthält der Vertrag nur eine Regelung hinsichtlich des einzelnen Haftungsfalls oder der Jahreshöchstleistung, so ist § 114 Abs. 1 ergänzend für den in der vertraglichen Bestimmung jeweils nicht geregelten Fall heranzuziehen. Andererseits bestätigt der Gesetzgeber durch die Einführung einer Mindestversicherungssumme pro Versicherungsjahr, dass es dem VR grundsätzlich erlaubt ist, die jährliche Haftungssumme vertraglich zu bestimmen bzw. zu begrenzen.21

4. Aufteilung der vorgegebenen Mindestversicherungssumme 13 Keine Regelung beinhaltet § 114 Abs. 1 bzgl. der Aufteilung der jährlichen Mindestversicherungssumme auf einzelne Schadenspositionen (Personen-, Sach- oder Vermögensschäden). Dementsprechend ist grundsätzlich eine vertraglich vereinbarte Verteilung möglich, soweit die Gesamtsumme von einer Million Euro erreicht wird.22 Gleichwohl bleibt § 307 BGB als AGBrechtlicher Maßstab für eine angemessene Verteilung anwendbar.

5. Mindestversicherungssumme und Haftungshöchstgrenze 14 Grundsätzlich lässt sich zwischen der Mindestversicherungssumme, wie sie in § 114 Abs. 1 vorgesehen ist, und einer Haftungshöchstsumme, wie man sie insbesondere im Rahmen der Gefährdungshaftung kennt (z. B. § 12 StVG), unterscheiden. Dies lässt sich aus dem Trennungsprinzip ableiten.23 Eine Haftungshöchstsumme (Höchstbetrag, Beschränkung der Haftungshöhe) beschränkt die Haftung des Schädigers gegenüber dem Geschädigten. Hintergrund einer Haftungshöchstsumme im Rahmen einer Gefährdungshaftung ist, dass der Schädiger dann nicht über Gebühr belastet werden soll, wenn er schuldlos handelt und ihm einzig der Betrieb einer (prinzipiell geduldeten) Gefahrenquelle vorgeworfen werden kann. Die Mindestversicherungssumme begrenzt demgegenüber die Leistungspflicht des VR gegenüber dem VN bzw. Mitversicherten.24 Der Sinn besteht auch darin, ein Risiko überhaupt versicherbar zu machen.25 Haftungshöchstbetrag und Mindestversicherungssumme wirken jeweils unabhängig voneinander. Übersteigt die Haftung die Mindestversicherungssumme kann der geschädigte Dritte – soLangheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 5. Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 6. Dallwig ZVersWiss 2009 49 f.; mit Beispiel Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 7. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 4; zum Trennungsprinzip Bruck/Möller/R. Koch10 Vorbem. zu §§ 100–112 Rn. 106 ff. 24 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 3. 25 Betr. die Mindestversicherungssumme i. H. v. einer Million Euro für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 4; BTDrucks. 16/3945 S. 88.

20 21 22 23

Beckmann

522

C. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 114

weit wirtschaftlich noch durchsetzbar – den Teil des Anspruchs, der wegen der betraglichen Begrenzung der Einstandspflicht des VR von diesem nicht geschuldet ist, gegen den persönlich haftenden Ersatzpflichtigen durchsetzen. Greift indes eine Haftungsbeschränkung ein, nützt dem Geschädigten eine darüber hinausgehende Mindestversicherungssumme nichts.26 In diesem Zusammenhang hat der EuGH den Standpunkt vertreten, dass eine Haftungsbe- 15 schränkung (also die Haftungshöchstgrenze des Haftungstatbestandes) auch in Fällen der Gefährdungshaftung nicht hinter den Mindestversicherungssummen zurückbleiben dürfe, da der überschießende Teil der Mindestversicherungssumme in diesen Fällen praktisch leer liefe.27 In der Literatur ist diese Sichtweise auf Kritik gestoßen. Dem Standpunkt des EuGH wird entgegengehalten, selbst wenn der Haftungshöchstbetrag der Gefährdungshaftung unter der Mindestversicherungssumme bliebe, käme der Haftungshöchstbetrag im Rahmen einer Verschuldenshaftung noch zum Tragen.28 Der deutsche Gesetzgeber ist jedenfalls den Vorgaben des EuGH gefolgt und hat dementsprechend die Haftungshöchstgrenzen im Rahmen der Gefährdungshaftung den (europarechtlich) vorgegebenen Mindestversicherungssummen in der Kfz-Haftpflichtversicherung angepasst.29

II. Inhaltsfreiheit und deren Schranken, Abs. 2 Satz 1 1. Inhaltsfreiheit Vorgaben für die Gestaltung eines Pflichthaftpflichtversicherungsvertrages können sich aus den 16 Rechtsvorschriften ergeben, die die Versicherungspflicht anordnen.30 Dies gilt beispielsweise für die Mindestversicherungssumme. Andererseits enthalten die eine Versicherungspflicht anordnenden Rechtsvorschriften vielfach keine oder zumindest keine abschließenden Bestimmungen, insbesondere über die Zulässigkeit einer Deckungsbegrenzung oder der Vereinbarung eines Selbstbehaltes.31 Insoweit greift § 114 Abs. 2 Satz 1 ein und bringt zum Ausdruck, dass auch der Versicherungsvertrag prinzipiell der Vertragsfreiheit unterliegt und damit durch die Parteien – in der Regel durch die AVB des VR – ausgestaltet werden kann.32 Gleichzeitig benennt § 114 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. jedoch auch mit abweichenden gesetzlichen Regelungen und dem Zweck der Pflichtversicherung zwei relevante Schranken, die die Vertragsfreiheit eingrenzen. Im Kommissionsentwurf fand sich eine dem § 114 Abs. 2 entsprechende Vorschrift noch nicht.33 Die praktische Bedeutung der Vertragsfreiheit im Rahmen der Pflichthaftpflichtversiche- 17 rung besteht in erster Linie darin, dass der VR seine Einstandspflicht in gewissen Fällen begrenzen kann. Ein solches Interesse hat der Gesetzgeber grundsätzlich anerkannt, als durch solche Deckungsbegrenzungen das Risiko für den VR tragbar wird und Rückversicherungsschutz erlangt werden kann.34 Andererseits stellt der Gesetzgeber auch klar, dass Begrenzungen der Deckung nicht dazu führen dürfen, dass der mit der Einführung einer Pflichtversicherung verfolgte Zweck, der zumindest auch in der Sicherung der Interessen der Geschädigten liegt, nicht mehr

26 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 4. 27 EuGH 24.7.2003 – C-166/03, ABl. EG Nr. C 226/2 („Viegas/Companhia de Seguros Zurich SA“); bereits zuvor EuGH 14.9.2000 – C-348/98, NVZ 2001 122, 124. 28 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 5; umfassend Bollweg NZV 2007 599, 600 f. 29 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 5. 30 § 114 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. stellt klar, dass solche Rechtsvorschriften grundsätzlich einzuhalten sind. 31 BTDrucks. 16/3945 S. 88. 32 Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 114 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 4. 33 KomE S. 240; vgl. bereits oben Rn. 2. 34 BTDrucks. 16/3945 S. 88. 523

Beckmann

§ 114 VVG

Umfang des Versicherungsschutzes

erreicht werden würde. Dies könne nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung des maßgeblichen Sinnes und Zwecks der jeweiligen Pflichtversicherung beurteilt werden.35 18 Auch wenn diese Frage gesetzlich noch nicht geregelt war, fanden sich bereits vor der VVG-Reform vertragliche Einschränkungen in Pflichthaftpflichtversicherungen.36 Dies habe auch der Genehmigungspraxis des früheren BAV entsprochen.37 Vor diesem Hintergrund ist durch die Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 1 keine Neuerung eingetreten, vielmehr ist eine Klarstellung erfolgt. Als neuer Regelungsgehalt lässt sich aber einordnen, dass die Gestaltungsfreiheit gem. § 114 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. Einschränkungen unterworfen ist. Zwar war schon vor der VVG-Reform anerkannt, dass im Bereich der Pflichtversicherung die abgeschlossenen Verträge dem Zweck des Versicherungsgebots entsprechen müssen.38 Indes konnte diese Prüfung grundsätzlich nur im Rahmen der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle erfolgen; nunmehr enthält das Gesetz mit § 114 Abs. 1 Satz 2 zumindest zusätzliche Prüfungsmaßstäbe.

2. Schranken der Inhaltsfreiheit, Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. 19 Die grundsätzliche Geltung der Gestaltungsfreiheit auch im Rahmen der Pflichthaftpflichtversicherungen wird in § 114 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. durch zwei Beschränkungen begrenzt: Die privatautonomen Bestimmungen dürfen weder gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die ausdrücklich etwas anderes bestimmen (Rn. 20 ff.), noch den jeweiligen Zweck der Pflichtversicherung gefährden (Rn. 23 ff.).

20 a) Abweichende Rechtsvorschriften. Weder AVB noch individualvertraglich ausgehandelte Klauseln dürfen in Widerspruch zu ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen stehen. Aus dem Zweck der Vorschrift ist jedoch zu folgern, dass ein Abweichen zugunsten des VN durchaus zulässig ist. Allgemein ist allerdings festzustellen, dass gesetzliche Regelungen hinsichtlich Risikobeschränkung, vertraglicher Obliegenheiten und Selbstbehalten äußerst selten sind, und daher eine Prüfung der Schranken sich regelmäßig auf den Zweck der Pflichtversicherung konzentriert.39 Beispiele für ausdrückliche Rechtsvorschriften i. S. d. § 114 Abs. 2 Satz 1 sind etwa § 114 Abs. 1 (Mindestversicherungssumme); § 114 Abs. 2 Satz 2 (Außenwirkung eines Selbstbehalts); § 51 Abs. 1 Satz 2 BRAO (Haftungsausschluss für Erfüllungsgehilfen); § 19a BNotO (Höhe eines Selbstbehalts). Da § 114 Abs. 2 Satz 1 jedoch von „Rechtsvorschriften“ und nicht von „Gesetzen“ spricht, sind z. B. auch die Vorschriften der Verordnung über den Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (KfzPflVV) als Rechtsvorschriften i. S. d. Abs. 2 Satz 1 aufzufassen.40 Der Begriff „Rechtsvorschrift“ i. S. d. § 114 Abs. 2 Satz 1 ist also so zu verstehen wie im Rahmen von § 113 Abs. 1 (siehe dazu auch die dortige Kommentierung Rn. 12 ff.). § 114 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. stellt darauf ab, dass durch Rechtsvorschrift nicht ausdrück21 lich etwas anderes bestimmt ist. Diese Formulierung („ausdrücklich“) schränkt die Wirkung dieser Regelung ein, so dass jedenfalls nicht mittelbar auf den Zweck der entsprechenden

35 BTDrucks. 16/3945 S. 88. 36 Stellungnahme des GDV zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 13.3.2006, S. 51; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 5. 37 Stellungnahme des GDV zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 13.3.2006, S. 51. 38 OLG Frankfurt 14.7.2010 – 4 U 22/10, RuS 2011 17, 19 (juris Rn. 38) unter Hinweis auf Prölss/Martin/Prölss26 Vorbem. IV Rn. 7. 39 Fenyves VersRdsch 2005 70, 73; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 4. 40 A. A. wohl Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 114 Rn. 2; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 13, die die entsprechenden Regelungen der KfzPflVV nur im Rahmen der Zweckprüfung berücksichtigen wollen. Beckmann

524

C. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 114

Rechtsvorschrift abgestellt werden kann. Indes kann bereits im Rahmen der ersten Einschränkung des § 114 Abs. 2 Satz 1 zumindest der jeweilige Zweck der Pflichtversicherung herangezogen werden (dazu sogleich Rn. 23). Im Rahmen dieser Einschränkung der Gestaltungsfreiheit kommt es auf eine AGB-rechtliche 22 Inhaltskontrolle letztlich nicht an. Eine entsprechende Unzulässigkeit einer vertraglichen Gestaltung ergibt sich unmittelbar aus § 114 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. i. V. m. der entsprechenden Rechtsvorschrift, deren Vorgabe nicht eingehalten wird. Zu den Rechtsfolgen vgl. im Übrigen Rn. 26 ff.

b) Zweck der Pflichtversicherung. Der Überprüfung der Vertragsklauseln anhand des Zwecks 23 der jeweiligen Pflichtversicherung dürfte praktisch eine größere Bedeutung zukommen als dem Kriterium der abweichenden Rechtsvorschriften. Zugleich ist diese Einschränkung der Gestaltungsfreiheit aufgrund der generalklauselartigen Formulierung mit einer größeren Rechtsunsicherheit verbunden. Der Zweck ist dabei für jede Pflichtversicherung separat festzustellen.41 Dies folgt bereits 24 aus dem Wortlaut der Vorschrift („Erreichung des jeweiligen Zwecks der Pflichtversicherung“). Zu beachten ist daher bei sämtlichen Pflichtversicherungen, dass die Interessen des geschädigten Dritten, aber auch von Mitversicherten (vgl. etwa § 2 Abs. 2 KfzPflVV), angemessen Berücksichtigung finden und nicht lediglich auf die Interessen des VN abgestellt wird.42 Andererseits darf auch nicht ausschließlich auf die Interessen des Geschädigten abgestellt werden, da zahlreiche Pflichtversicherungen zumindest auch dem Schutz des VN dienen.43 Im Einzelfall kann es mitunter nicht einfach sein, festzustellen, ob eine Vertragsgestaltung die Erreichung des jeweiligen Zwecks der Pflichtversicherung gefährdet oder nicht. Die Formulierung in § 114 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. („soweit dadurch die Erreichung des jewei- 25 ligen Zwecks der Pflichtversicherung nicht gefährdet wird“) erinnert zumindest teilweise an den Prüfungsmaßstab des § 307 Abs. 2 BGB („wenn eine Bestimmung (1.) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder (2.) wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist“). Indes sind die Prüfungsmaßstäbe nicht identisch. Soweit – wie im Regelfall – der Inhalt des Versicherungsvertrages durch AVB bestimmt ist, haben sich die AVB sowohl an § 114 Abs. 2 als auch an § 307 BGB zu orientieren.44 Im Schrifttum wird teilweise der Standpunkt vertreten, dass ein Unterschied darin bestehe, dass § 307 BGB sich lediglich auf den Schutz des Vertragspartners beziehe.45 Nach h. M. ist für die Inhaltskontrolle von AGB in der Tat grundsätzlich auf die schutzwürdigen Interessen der Vertragsparteien abzustellen.46 Indes werden in besonderen Konstellationen auch Interessen von Dritten geschützt, die Rechte aus dem Vertrag herleiten können oder durch diesen unmittelbar betroffen sind.47 Da Pflichtversicherungen gerade Drittinteressen schützen, wird man deshalb annehmen können, dass solche Drittinteressen ohnehin im Rahmen einer Inhaltskontrolle

41 BTDrucks. 16/3945 S. 88; Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 114 Rn. 3. 42 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 14; Prölss/Martin/Klimke31 Vor § 113 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 7; a.A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 5. 43 Prölss/Martin/Klimke31 Vor § 113 Rn. 2; vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 15 ff. 44 Wohl auch Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150, 151, die den selbständigen Prüfungsmaßstab sowohl von § 307 BGB wie auch von § 114 Abs. 2 Satz 1 herausstellen. 45 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 17; dem zustimmend Langheid/Rixecker/Langheid6 § 113 Rn. 8; wohl auch Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 7. 46 MüKoBGB/Wurmnest8 § 307 Rn. 52. 47 MüKoBGB/Wurmnest8 § 307 Rn. 52; Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 93; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 133. 525

Beckmann

§ 114 VVG

Umfang des Versicherungsschutzes

gem. § 307 BGB Berücksichtigung zu finden haben. Insofern ergibt sich aus § 114 Abs. 2 Satz 1 nicht unbedingt ein Unterschied.48

26 c) Rechtsfolgen bei Verstoß gegen eine Schranke. Es stellt sich zum einen die Frage nach den grundsätzlichen Rechtsfolgen, wenn eine versicherungsvertragliche Bestimmung den Zweck der Pflichtversicherung gefährdet oder gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, insbesondere aus welcher Norm sich eine Rechtsfolge überhaupt ergibt (dazu aa) unter Rn. 27 ff.). Darüber hinaus ist zu klären, in welchem Umfang eine mögliche Unwirksamkeit einer entsprechenden Bestimmung anzunehmen ist (dazu bb) unter Rn. 32 f.).

27 aa) Rechtsfolgen anordnende Norm. § 114 Abs. 2 Satz 1 enthält jedenfalls keine ausdrückliche Rechtsfolgenanordnung für den Fall eines Verstoßes gegen eine der beiden Schranken der Inhaltsfreiheit. Vielfach wird im Schrifttum über die Heranziehung anderer Rechtsfolgen anordnender Regelungen diskutiert, insbesondere des § 134 BGB und des § 307 BGB (vgl. noch Rn. 29 ff.).49 Der Gesetzgeber hat sich nicht ausdrücklich zu Rechtsfolgen geäußert. Im Rahmen eines 28 Änderungsvorschlages des Bundesrates50 zu § 114 Abs. 2 Satz 1 äußerte die Bundesregierung lediglich, es sei selbstverständlich, dass die vertragliche Vereinbarung nicht ausdrücklich vom Normgeber zugelassener Deckungsausschlüsse, die die Erreichung des jeweiligen Zwecks einer Pflichtversicherung gefährdeten, zur Folge hätte, dass der VN seiner Versicherungspflicht nicht nachkomme; es bestehe kein den rechtlichen Vorgaben entsprechender Versicherungsschutz (soweit nicht die vereinbarten Risikoausschlüsse schon wegen Verstoßes gegen § 307 ff. BGB unwirksam seien).51 Offenbar ist die Bundesregierung in dieser Stellungnahme davon ausgegangen, dass eine nur gegen die Schranken des § 114 Abs. 2 Satz 1 und nicht gegen § 307 BGB verstoßende Vereinbarung nicht schon allein wegen des Verstoßes gegen § 114 Abs. 2 Satz 1 unwirksam ist. Einem von der Bundesregierung erörterten Verstoß gegen §§ 307 ff. BGB wegen zweckgefährdender Deckungsausschlüsse kommt nämlich nur dann eigenständige Bedeutung zu, wenn die entsprechenden Vereinbarungen nicht schon allein wegen des Verstoßes gegen § 114 Abs. 2 Satz 1 ohnehin ipso iure unwirksam sind. Wären derartige Vereinbarungen nach der Auffassung der Bundesregierung aber schon unmittelbar nach § 114 Abs. 2 Satz 1 unwirksam, bestünde aufgrund der Unwirksamkeit dieser Vereinbarungen ausreichender Versicherungsschutz und eine Unwirksamkeit der vereinbarten Risikoausschlüsse wegen Verstoßes gegen §§ 307 ff. BGB bedürfte in der Stellungnahme der Bundesregierung keiner Erörterung. Im Einklang damit steht es, dass die Bundesregierung offenbar davon ausgeht, dass ein den rechtlichen Vorgaben entsprechender Versicherungsschutz nur besteht, wenn zweckgefährdende Vereinbarungen gegen § 114 Abs. 2 Satz 1 und zugleich gegen die §§ 307 ff. BGB verstoßen, wobei sich die Unwirksamkeit zweckgefährdender Vereinbarungen (nur) aus dem Verstoß gegen §§ 307 ff. BGB ergeben soll.52 Da sich der Gesetzgeber indes nicht ausdrücklich mit den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Beschränkungen des § 114 Abs. 2 Satz 1 beschäftigt hat, erscheint zumindest zweifelhaft, ob sich diese Stellungnahme der Bundesregierung als abschließende Wertung heranziehen lässt und welche Bedeutung einer solchen Wertung im Rahmen A. A. Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 17; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 113 Rn. 8. Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 4. BTDrucks. 16/3945 S. 127. BTDrucks. 16/3945 S. 132; ähnlich BTDrucks. 16/5497 S. 2 („Soweit trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung Ausschlüsse vereinbart worden sind, kommt der Verpflichtete der ihm auferlegten Verpflichtung, sich zu versichern, nicht ausreichend nach, es sei denn, die Erreichung des jeweiligen Zwecks der Pflichtversicherung – Schutz der Geschädigten – wird nicht gefährdet.“). 52 In diesem Sinne ausdrücklich auch Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150, 153.

48 49 50 51

Beckmann

526

C. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 114

der Gesetzesauslegung zukommt.53 Im Schrifttum wird wohl ganz überwiegend der Standpunkt vertreten, aus § 114 Abs. 2 Satz 1 selbst ergebe sich keine Rechtsfolge.54 Deswegen wird im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Schranken des § 114 Abs. 2 Satz 1 die Anwendbarkeit anderer Regelungen diskutiert. Die offenbar überwiegende Meinung lehnt dabei die Anwendbarkeit des § 134 BGB und da- 29 mit die Einordnung des § 114 Abs. 2 Satz 1 als Verbotsgesetz ab.55 Ein solches Verbotsgesetz liegt vor, wenn das betreffende Gesetz den Inhalt oder die Vornahme eines Rechtsgeschäfts untersagt, d. h. also das Rechtsgeschäft als solches missbilligt wird.56 Entscheidend ist, ob das Gesetz sich nicht nur gegen den Abschluss des Rechtsgeschäfts wendet, sondern sich auch gegen seinen wirtschaftlichen Erfolg richtet.57 Gegen die Einordnung des § 114 Abs. 2 Satz 1 als Verbotsgesetz wird argumentiert, genüge der vereinbarte Deckungsumfang nicht den gesetzlichen Vorgaben, so habe der Vertrag keineswegs einen wirtschaftlich missbilligten Erfolg zur Folge. Vielmehr erreiche er den Erfolg, den er angesichts der Versicherungspflicht anstrebt, lediglich nur teilweise. Der Erfolg sei damit nicht i. S. v. § 134 BGB verboten. Es sei nämlich nicht Zweck der Pflichtversicherungsregeln, den Abschluss von Verträgen mit eingeschränktem Deckungsumfang zu unterbinden. Zudem könne durch Abschluss eines weiteren Haftpflichtversicherungsvertrages die Deckungslücke noch geschlossen werden.58 Weiter wird daraus gefolgert, es sei nicht verboten, einen Haftpflichtversicherungsvertrag abzuschließen, der den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt; es sei lediglich unzweckmäßig, dies zu tun bzw. ist die abgeschlossene Versicherung zur Erfüllung der gesetzlichen Versicherungspflicht untauglich.59 Letzteres hat der BGH im Hinblick auf die Beschränkung des Deckungsumfangs, die von den gesetzlichen Vorgaben abweicht, angenommen und in dieser Konstellation unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ausführungen bei Armbrüster/Dallwig eine wesentliche, den Vertragszweck gefährdende Beschränkung gesehen.60 Aus einem Verstoß gegen die Schranken des § 114 Abs. 2 Satz 1 lediglich Untauglichkeit herzuleiten, erscheint indes zweifelhaft. Denn das Gesetz missbilligt Bestimmungen in Versicherungsverträgen, die den Schranken des § 114 Abs. 2 Satz 1 nicht entsprechen. Die wohl überwiegende Ansicht befürwortet eine Anwendung des § 307 BGB und schließt 30 hieraus die Unwirksamkeit einer gegen die Beschränkungen des § 114 Abs. 2 Satz 1 verstoßenden Vertragsbestimmung.61 Dies überrascht auf den ersten Blick, da § 307 BGB grundsätzlich den Schutz des Vertragspartners des Klauselverwenders bezweckt (vgl. bereits oben Rn. 25), während eine Pflichtversicherung primär den Schutz Dritter verfolgt. Andererseits ist denkbar, dass auch über § 307 BGB Drittschutzinteressen Berücksichtigung finden können (vgl. bereits gleichfalls oben Rn. 25). So hat der BGH für die Notarvertrauensschadenversicherung ausdrücklich festgestellt, dass auf die Interessen der Geschädigten abzustellen sei, weil die Notarkammer zum Abschluss der Vertrauensschadenversicherung nach § 67 Abs. 3 Nr. 3 BNotO verpflichtet ist.62 Nach dem Standpunkt von Armbrüster/Dallwig folgt die Unwirksamkeit über § 307 BGB indes nicht auf 53 Ebenso Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150, 153; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 18. 54 Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 18; Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 4. 55 Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150; Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 114 Rn. 2; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 19.

56 Staudinger/Sack/Seibl (2017) § 134 BGB Rn. 30; Schulze/Dörner10 § 134 BGB Rn. 4; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/ Wendtland4 § 134 BGB Rn. 10. 57 BGH 17.6.2004 – III ZR 271/03, BGHZ 159 334, 340 = VersR 2004 1029, 1030 (juris Rn. 31); Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150. 58 Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150; dem folgend Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 19. 59 Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 114 Rn. 15; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 19. 60 BGH 20.7.2011 – IV ZR 75/09, VersR 2011 1261, 1263 (Rn. 29); BGH 20.7.2011 – IV ZR 291/10, VersR 2011 1392, 1396 (Rn. 47); Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150, 151 f. 61 Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150, 151 f.; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 20; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 166a; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 8; Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 6. 62 BGH 20.7.2011 – IV ZR 75/09, VersR 2011 1261, 1263 (Rn. 29); BGH 20.7.2011 – IV ZR 291/10, VersR 2011 1392, 1396 (Rn. 47). 527

Beckmann

§ 114 VVG

Umfang des Versicherungsschutzes

der Grundlage eines solchen Drittschutzes, sondern wegen unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners, namentlich des VN: Da jede Beschränkung des Deckungsumfangs, die von den gesetzlichen Vorgaben abweicht, dazu führe, dass der VN seiner öffentlich-rechtlichen Versicherungspflicht nicht genüge, sei es für den Inhalt eines Pflichtversicherungsvertrags stets wesentlich, dass das Risiko mindestens insoweit vom VR übernommen werde, wie dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Stelle sich heraus, dass die Versicherungsbescheinigung inhaltlich falsch war, weil der Vertrag nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, so könne die Behörde, soweit eine Ermächtigungsgrundlage existiert, die ausgeübte Tätigkeit untersagen. Diese drohende Untersagung sei ein erheblicher Nachteil für den VN.63 In der Tat kann eine unzutreffende Versicherungsbescheinigung für den VN mit öffentlich-rechtlichen Nachteilen verbunden sein. Indes geht es im Rahmen der Beschränkungen von § 114 Abs. 2 Satz 1 primär um den Schutz Dritter, nicht um den Schutz des VN. Ein Weiteres kommt hinzu: Eine Unwirksamkeitsanordnung kann über § 307 BGB ohnehin nur für AVB begründet werden, die zugegebenermaßen im Massengeschäft auch dominieren. Indes bleibt dennoch fraglich, ob eine allein auf §§ 307 ff. gestützte Rechtsfolge bei zweckgefährdenden Beschränkungen der Problematik im Hinblick auf immerhin denkbare Individualvereinbarungen gerecht wird. Im Rahmen von § 114 Abs. 2 Satz 1 erscheint es, auch, um Umgehungen schon im Ansatz zu vermeiden, naheliegend, AVB und Individualvereinbarungen den gleichen Rechtsfolgen unterzuordnen. Dies ermöglicht eine allein auf einen Verstoß gegen § 307 BGB gestützte Unwirksamkeit aber nicht. 31 Diese Feststellung scheint wiederum, trotz aller Bedenken, für eine Anwendung von § 134 BGB (vgl. bereits oben Rn. 29) zu sprechen. Indes ist, soweit ersichtlich, bisher die Möglichkeit außer Acht gelassen worden, aus § 114 Abs. 2 Satz 1 selbst eine Rechtsfolgenanordnung abzuleiten. Wie schon festgestellt (oben Rn. 27), enthält § 114 Abs. 2 Satz 1 zwar keine ausdrücklich angeordnete Rechtsfolge in dem Sinne, dass expressis verbis eine entsprechende Bestimmung unwirksam ist. Allerdings ergibt sich unmittelbar aus dieser Vorschrift, dass das Gesetz Bestimmungen missbilligt, soweit dadurch die Erreichung des jeweiligen Zwecks der Pflichtversicherung gefährdet wird und durch Rechtsvorschrift nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Solche Inhalte kann der Versicherungsvertrag nicht „bestimmen“; sie sind unzulässig und verstoßen gegen § 114 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. Von solchen Bestimmungen des Versicherungsvertrages kann keine Wirkung ausgehen. Nach dem Sinn des § 114 Abs. 2 Satz 1 sind solche Vertragsbestimmungen unwirksam.64 Einer Heranziehung insbesondere des § 307 BGB, die Zweifelsfragen hinterlässt (oben Rn. 30), bedarf es also nicht.

32 bb) Umfang der Unwirksamkeit. Zunächst stellt sich die Frage, ob sich eine unwirksame Vertragsbestimmung auf den Gesamtvertrag auswirkt. Nimmt man eine Unwirksamkeitsfolge über § 307 BGB an (vgl. oben Rn. 30), beschränkt sich die Unwirksamkeit gem. § 306 Abs. 1 BGB grundsätzlich auf die konkrete Vertragsbestimmung. Nach der hier vertretenen Auffassung bedarf es indes nicht der Heranziehung des § 307 BGB (vgl. oben Rn. 31). Vielmehr lässt sich auch die Beantwortung der Frage nach dem Umfang der Unwirksamkeit (Teilunwirksamkeit der gesetzwidrigen Vertragsbestimmung oder Gesamtunwirksamkeit des Vertrages) wiederum dem § 114 Abs. 2 Satz 1 selbst entnehmen. Bereits aus dem Wortlaut („soweit“) folgt, dass sich Einschränkungen dieser Vorschrift allein auf die jeweils gesetzeswidrigen Vertragsbestimmungen beziehen. Der Vertrag im Übrigen bleibt demgemäß wirksam. Eine andere Betrachtung würde zudem mit dem Zweck der Regelung kaum in Einklang zu bringen sein. 33 Umstritten ist des Weiteren, welche Regelung an die Stelle der unwirksamen Vertragsgestaltung tritt. Die Ansicht, die § 307 BGB zur Anwendung kommen lässt (vgl. oben Rn. 30), gelangt zu einer ergänzenden Vertragsauslegung. Es fehle eine dispositive Regelung gem. § 306 63 Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150, 152; ähnlich Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 20. 64 Ähnlich jedenfalls im Ergebnis (Unwirksamkeit der Vertragsbestimmung) Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 5 sowie Langheid/Rixecker/Langheid6 § 114 Rn. 8. Beckmann

528

C. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 114

Abs. 2 BGB. Deshalb müsse im Wege ergänzender Vertragsauslegung ermittelt werden, welche Vereinbarung die Parteien getroffen hätten.65 Neben den hiermit verbundenen Rechtsunsicherheiten lässt sich dem indes entgegenhalten, dass eine solche Lösung häufig im Ergebnis auf eine bedenkliche geltungserhaltende Reduktion hinaus liefe.66 Der VR hätte kein großes Risiko, problematische Bestimmungen in den Vertrag aufzunehmen. Deshalb erscheint es zutreffend, gegen § 114 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. verstoßende Bestimmungen ersatzlos zu streichen.67 An ihre Stelle kann nur eine vorhandene gesetzliche Regelung treten.

cc) Weitere mögliche Rechtsfolgen. Aufsichtsrechtlich lässt sich ein Verstoß gegen § 114 34 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. als Missstand i. S. d. § 298 Abs. 1 Satz 2 VAG einordnen, mit der Konsequenz, dass die Aufsichtsbehörde die hieraus möglichen Aufsichtsmittel ergreifen kann.68 Ebenso kommen wettbewerbsrechtliche Ansprüche eines anderen Versicherungsunternehmens in Betracht.

d) Diskutierte Einzelfälle. Im Schrifttum werden verschiedene Einschränkungen des Versi- 35 cherungsschutzes im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit § 114 Abs. 2 Satz 1 diskutiert. Dazu gehören insbesondere Serienschadensklauseln, eine Begrenzung der Nachhaftung und Pflichtwidrigkeitsklauseln, auf die im Folgenden eingegangen wird.

aa) Serienschadensklauseln. In Haftpflichtversicherungen sind sog. Serienschadensklauseln 36 derart verbreitet, dass man sie als üblich bezeichnen kann. Inhaltlich handelt es sich bei Serienschadensklauseln um Vorschriften, die im Wege einer vertraglichen Fiktion mehrere eigentlich getrennte Schadensfälle zu einem einheitlichen Schadensfall zusammenfassen.69 Konkret geht es hierbei regelmäßig um die Zusammenfassung mehrerer Schadensereignisse, die auf einer einzigen Pflichtverletzung beruhen oder mehrerer Pflichtverletzungen, die demselben Sachverhalt zuzuordnen sind und miteinander in rechtlichem, wirtschaftlichem oder zeitlichem Zusammenhang stehen. Serienschadensklauseln bezwecken daher stets die Zusammenfassung mehrerer Haftpflichtereignisse mit dem Ziel, dass die Versicherungssumme für die zusammengefassten Verstöße nur einmal zur Verfügung steht.70 Mit Blick auf den VN kann eine Serienschadensklausel zwar im Einzelfall vorteilhaft sein, wenn ein Selbstbehalt bei Annahme eines Serienschadens nur einmal zum Tragen kommt. Überwiegend sind entsprechende Klauseln sowohl aus Sicht des VN als auch des betroffenen Dritten freilich problematisch, da die Versicherungssumme durch die Zusammenfassung mehrerer Schadensfälle in bedeutsamer Weise beschränkt und somit letztlich der Versicherungsschutz erheblich eingeschränkt wird. Serienschadensklauseln finden sich etwa in Ziff. 6.3 AHB 2012,71 Ziff. 11.2 Satz 4 USV 2008 Nr. 8.3 ProdHaftPfl,72 § 3 III 2.1 AVB-RSW,73 Ziff. A-6.6 AVB D&O.74

65 Armbrüster/Dallwig VersR 2009 150, 151 f.; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 21; Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 114 Rn. 2. 66 So wohl auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 14. 67 Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 8. 68 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 114 Rn. 11 ff. 69 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 15. 70 Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen3 § 26 Rn. 219; Bruck/Möller/R. Koch10 Vorbem. zu §§ 100–112 Rn. 61. 71 Dazu Bruck/Möller/R. Koch9 AHB 2012 Ziff. 6 Rn. 8 ff. 72 Abgedruckt bei Prölss/Martin/Voit28 Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie und Handelsbetrieben (Produkthaftpflicht-Modell). 73 Abgedruckt bei Diller AVB-RSW. 74 Abgedruckt bei Bruck/Möller/Armbrüster10 S. 840 (in diesem Band). 529

Beckmann

§ 114 VVG

Umfang des Versicherungsschutzes

Zur Zulässigkeit von Serienschadensklauseln in der Pflichthaftpflichtversicherung werden unterschiedliche Positionen vertreten. So werden sie unter Berücksichtigung des Opferschutzes für nicht akzeptabel erachtet, so dass eine solche Regelung nur im Innen-, nicht aber im Außenverhältnis wirksam sei.75 Andere Ansichten sehen den Zweck der Pflichthaftpflichtversicherung durch eine Serienschadensklausel nur ausnahmsweise als gefährdet an:76 Kritisch zu sehen seien in der Pflichthaftpflichtversicherung Serienschadensklauseln, die auf dem Schadensereignisprinzip beruhten (also bei Zusammenfassung mehrerer Schadensereignisse zu einem Versicherungsfall). Hier sei der VR durch die nach § 114 Abs. 1 mögliche Höchstsumme hinreichend geschützt. Problematisch seien auch spät- und massenschadengeeignete Produkthaftpflichtrisiken, z. B. nach §§ 88, 94 AMG. Hingegen seien Serienschadensklauseln, die auf dem Verstoßprinzip beruhten (d. h. mehrfaches gleichartiges Verhalten zu einem Verstoß und damit zu einem Versicherungsfall zusammenfassen) weniger problematisch zu sehen.77 38 Stellungnahme: Einzelne Rechtsvorschriften zu Pflichthaftpflichtversicherungen ermöglichen die Verwendung von Serienschadensklauseln. Genannt seien etwa § 51 Abs. 2, 2. Halbs. BRAO;78 § 19a Abs. 3 Satz 4 BNotO79 bzw. § 53 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB).80 In solchen Fällen stellen sich aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Möglichkeit, entsprechende Vereinbarungen zu treffen, keine Wirksamkeitsbedenken. 39 Weichen entsprechende Serienschadenklauseln von solchen gesetzlichen Vorgaben ab oder fehlen sogar entsprechende gesetzliche Vorgaben, wie sie in § 51 Abs. 2, 2. Halbs. BRAO, § 19a Abs. 3 Satz 4 BNotO oder § 53 Abs. 3 DVStB zu finden sind, ist im Einzelfall insbesondere zu untersuchen, ob durch eine entsprechende Serienschadensklausel die Wirkung der jeweiligen Mindestversicherungssummen eingeschränkt wird; lässt sich dies bejahen, ist damit zugleich die Erreichung des jeweiligen Zwecks der Pflichtversicherung gefährdet. Die Zulässigkeitsgrenze dürfte in der Pflichthaftpflichtversicherung jedenfalls dann überschritten sein, wenn die Mindestversicherungssumme gegenüber verschiedenen Geschädigten durch eine Serienschadensklausel zusammengefasst wird.81 Dies würde dem Sinn der Mindestversicherungssumme widersprechen. 37

40 bb) Nachhaftungsbegrenzung. Eine spezielle Form des Risikoausschlusses stellen Nachhaftungsbegrenzungen dar. Durch sie will der VR – unabhängig vom Zeitpunkt des Verstoßes durch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 6; Fenyves VersRdsch 2005 70, 76. Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 15; wohl auch Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 3. Zum Vorstehenden Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 15. § 51 Abs. 2 BRAO lautet: „Der Versicherungsvertrag hat Versicherungsschutz für jede einzelne Pflichtverletzung zu gewähren, die gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts gegen den Rechtsanwalt zur Folge haben könnte; dabei kann vereinbart werden, dass sämtliche Pflichtverletzungen bei Erledigung eines einheitlichen Auftrags, mögen diese auf dem Verhalten des Rechtsanwalts oder einer von ihm herangezogenen Hilfsperson beruhen, als ein Versicherungsfall gelten.“. 79 § 19a Abs. 3 Satz 4 BNotO lautet: „Im Versicherungsvertrag kann vereinbart werden, dass sämtliche Pflichtverletzungen bei der Erledigung eines einheitlichen Amtsgeschäftes, mögen diese auf dem Verhalten des Notars oder einer von ihm herangezogenen Hilfsperson beruhen, als ein Versicherungsfall gelten.“. 80 § 53 Abs. 3 DVStB lautet: „Der Versicherungsvertrag kann vorsehen, dass die Versicherungssumme den Höchstbetrag der dem Versicherer in jedem einzelnen Schadenfall obliegenden Leistung darstellt, und zwar mit der Maßgabe, dass nur eine einmalige Leistung der Versicherungssumme in Frage kommt, gegenüber mehreren entschädigungspflichtigen Personen, auf welche sich der Versicherungsschutz erstreckt, bezüglich eines aus mehreren Verstößen stammenden einheitlichen Schadens, bezüglich sämtlicher Folgen eines Verstoßes. Dabei gilt mehrfaches, auf gleicher oder gleichartiger Fehlerquelle beruhendes Tun oder Unterlassen als einheitlicher Verstoß, wenn die betreffenden Angelegenheiten miteinander in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. In diesem Fall kann die Leistung des Versicherers auf das Fünffache der Mindestversicherungssumme begrenzt werden“. 81 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 15; differenzierend Dallwig 247 ff.

75 76 77 78

Beckmann

530

C. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 114

den VN oder der Realisierung des Schadens beim Dritten – die Haftung für Schäden ausschließen, die erst zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Vertragsende entdeckt werden. Insbesondere in Bereichen, bei denen typischerweise mit Spätschäden zu rechnen ist, erscheinen solche Nachhaftungsbegrenzungen problematisch. Insoweit sind im Schrifttum auch unter AGB-rechtlichen Aspekten Bedenken erhoben worden.82 Indes bestehen gegenüber Nachhaftungsbegrenzungen darüber hinaus Bedenken auch im Hinblick auf § 114. Hierin kann durchaus eine Gefährdung des Zwecks der Pflichtversicherung zu sehen sein.83

cc) Pflichtwidrigkeitsklauseln. Pflichtwidrigkeitsklauseln bestimmen, dass kein Versiche- 41 rungsschutz besteht bei „Ansprüchen wegen Schadensverursachung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung“.84 Es handelt sich dabei nach h.M. um einen subjektiven Risikoausschluss und nicht um eine verdeckte Obliegenheit.85 Auch wenn solche Klauseln eine erhebliche Verschärfung des gem. § 103 bestehenden Vorsatzausschlusses darstellen,86 sieht die wohl überwiegende Meinung auch im Bereich der Pflichthaftpflichtversicherung keine durchgreifenden Bedenken.87 Hierfür lässt sich anführen, dass sich entsprechende Regelungen vielfach auch ausdrücklich im Gesetz finden.88 III. Selbstbehalte, Abs. 2 Satz 2 1. Begriff Ist ein Selbstbehalt vereinbart, so liegt bei Schadenseintritt zwar ein Versicherungsfall vor, der VN 42 verpflichtet sich jedoch, einen gewissen Anteil des Schadens selbst zu regulieren. Selbstbehalte können sowohl als Abzugs-Franchise (klassisches Beispiel: Vollkasko mit 500 A Selbstbehalt) oder auch als fixe Quote (50 % der entstandenen Kosten) vereinbart werden. Aus Gründen der Kosteneinsparung hat sich zudem teilweise die Integral-Franchise eingebürgert, bei welcher der VR erst ab einer gewissen Schadenshöhe eintrittspflichtig ist, dann aber den kompletten Schaden reguliert.

2. Regelungsgehalt Vor der VVG-Reform wurde die Frage nach der Zulässigkeit von Selbstbehalten im Bereich der 43 Pflichtversicherung unterschiedlich beurteilt.89 Nunmehr ergibt sich aus § 114 Abs. 2 Satz 2, dass grundsätzlich auch in der Pflichthaftpflichtversicherung ein Selbstbehalt möglich ist. Die Rege82 Zur Nachhaftung von fünf Jahren in einer Architekten-Haftpflichtversicherung Beckmann/Matusche-Beckmann/ von Rintelen3 § 26 Rn. 215; kritisch auch Schimikowski jurisPR-VersR 5/2009 Anm. 5; a. A. OLG Stuttgart 27.11.2008 – 7 U 89/08, VersR 2009 669, 671 (juris Rn. 25 ff.). 83 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 15; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 7; Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 26 Rn. 215; kritisch auch Schimikowski jurisPR-VersR 5/2009 Anm. 5; differenzierend wiederum Dallwig S. 311 ff., 334; jedenfalls wenn das Verstoßprinzip gesetzlich angeordnet ist Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 3. 84 Dallwig S. 335; Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 26 Rn. 312. 85 BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001 1103, 1104 (juris Rn. 13); Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 26 Rn. 241, 312; Bruck/Müller/Gädtke10 AVB D&O A-7 Ausschlüsse Rn. 36; kritisch Schimikowski6 Rn. 179, 272. 86 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 26 Rn. 241. 87 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 16; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 4; Berliner Kommentar/Baumann § 152 VVG Rn. 33 f.; teilweise kritisch Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 26 Rn. 246. 88 So etwa § 19a Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 67 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 BNotO; § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO; § 53a Abs. 1 Nr. 1 DVStB. 89 Vgl. Prölss/Martin/Knappmann27 § 4 KfzPflVV Rn. 11. 531

Beckmann

§ 114 VVG

Umfang des Versicherungsschutzes

lung ordnet allerdings an, dass ein solcher Selbstbehalt dem Dritten nicht entgegengehalten und gegenüber einer mitversicherten Person nicht geltend gemacht werden kann (dazu noch Rn. 46 ff.). Nach allgemeiner Ansicht gestattet § 114 Abs. 2 Satz 1 dem Grunde nach also die Einbindung von Selbstbehalten in den Versicherungsvertrag.90

3. Grenzen 44 Auch für Selbstbehalte gelten die Grenzen gem. Abs. 2 Satz 1. Mithin können sie vereinbart werden, soweit dadurch die Erreichung des jeweiligen Zwecks der Pflichtversicherung nicht gefährdet wird und durch Rechtsvorschrift nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Diskutiert wird eine Zweckgefährdung in der Literatur insbesondere hinsichtlich der Höhe eines Selbstbehalts. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Tatsache, dass die Pflichtversicherung gerade nicht nur den Schutz des Dritten bezweckt, sondern zumindest auch im Interesse des VN steht. Entsprechend finden sich teilweise ausdrückliche Begrenzungen der Selbstbeteiligung im Gesetz. Soweit es keine derartigen Regelungen gibt, ist eine Zweckgefährdung jedenfalls nicht zu befürchten, solange ein Selbstbehalt in einer Höhe von 500 bis 1.000 E vereinbart wird.91 Ein Selbstbehalt in dieser Höhe entlastet die Verwaltung der Versicherung bei Geltendmachung geringer Schäden und sorgt für eine Vergünstigung der Versicherungsprämien zugunsten des VN. Obwohl es jedoch keine allgemeine Höchstgrenze für einen Selbstbehalt bei Pflichtversicherungen gibt, wird teilweise vertreten, dass ein solcher jedenfalls nicht über einen Betrag von 5.000 A festgelegt werden sollte, soweit Privatpersonen am Versicherungsverhältnis beteiligt sind.92 Indes erscheint es schwierig, eine solche feste Grenze ohne entsprechende gesetzliche Regelung zu bestimmen. Letztlich bedarf es einer Entscheidung im Einzelfall, ob ein Selbstbehalt mit dem jeweiligen Zweck der Pflichtversicherung zu vereinbaren ist. Eine weitere Grenze kann sich aus § 307 BGB ergeben.93

4. Beschränkung von Selbstbehalten auf das Innenverhältnis, Satz 2 45 Aus § 114 Abs. 2 Satz 2 ergibt sich, dass ein vereinbarter Selbstbehalt nur im Innenverhältnis Wirksamkeit entfaltet.94 Nach allgemeiner Ansicht beinhaltet die Regelung dabei primär eine Klarstellung hinsichtlich der generellen Vereinbarkeit eines Selbstbehaltes,95 dessen Wirksamkeit nach alter Rechtslage durchaus umstritten war.96 Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift kann ein Selbstbehalt dem Dritten nicht 46 entgegengehalten werden, so dass eine entsprechende Ausgleichszahlung im Innenverhältnis zwischen VN und VR zu erfolgen hat. Zahlungen zur Erfüllung eines Selbstbehaltes dienen allerdings nicht dazu, Versicherungsschutz zu erlangen, so dass § 3 Abs. 1 VerStG nicht einschlägig ist und entsprechende Gelder nicht der Versicherungssteuer unterliegen.97 Im Hinblick auf die Reichweite der Regelung des Abs. 2 Satz 2 ist festzustellen, dass sie sämtliche Forderungen des Dritten umfasst. So kann der Selbstbehalt auch nicht gegen Direktansprüche aus § 115 90 Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 114 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 10; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 8. 91 Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 8. 92 Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 9. 93 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 114 Rn. 7. 94 BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 114 Rn. 3. 95 Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 114 Rn. 3; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 24; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 8. 96 Zum früheren Meinungsstand Streit Prölss/Martin/Knappmann27 § 4 KfzPflVV Rn. 11. 97 Heitmann/Mühlhausen VersR 2009 874 ff.; BFH 16.12.2009 – II R 44/07, DStR 2010 441, 443 (juris Rn. 17). Beckmann

532

D. Beweislast und Abdingbarkeit

VVG § 114

Abs. 1 geltend gemacht werden und zwar auch dann nicht, wenn das Versicherungsverhältnis gestört ist oder die Leistungen über den gesetzlichen Mindestumfang hinausgehen.98 Gleiches gilt auch, soweit sich der Geschädigte im Wege der Zwangsvollstreckung den Anspruch des VN gegen den VR verschafft.99 Im Ergebnis führt die Vorschrift des § 114 Abs. 2 Satz 2 daher dazu, dass das Risiko einer Insolvenz des VN vollumfänglich auf den VR übergeht.100 Ausdrücklich folgt aus § 114 Abs. 2 Satz 2 auch, dass ein Selbstbehalt nicht gegenüber einer 47 mitversicherten Person geltend gemacht werden kann. Der VN (als Kfz-Halter und Arbeitgeber) kann den Selbstbehalt auch nicht durch AGB im Rahmen eines Arbeitsvertrages auf die mitversicherte Person (Fahrer und Arbeitnehmer) abwälzen.101 Die Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 2 enthält keine Subsidiaritätsklausel, so dass davon 48 auszugehen ist, dass die Vorschrift auch spezialgesetzlichen Normen102 über einen Selbstbehalt vorgeht.103 Die nach der alten Rechtslage offene Frage, ob derartige Normen es erlauben, den Selbstbehalt auch dem Dritten entgegenzuhalten – so mitunter auf Grundlage des § 158c Abs. 3 VVG a. F. angenommen –, hat sich somit mit Einführung des § 114 VVG 2008 erledigt.104

D. Beweislast und Abdingbarkeit In Bezug auf Risikoausschlüsse ist festzuhalten, dass der VR das Vorliegen der entsprechenden 49 Voraussetzungen zu beweisen hat.105 Im Übrigen gilt, dass die Norm des § 114 sowohl für den VN als auch für den Mitversicher- 50 ten zwingend ist und vertraglich nicht abbedungen werden kann.106

98 Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 10; Feyock/Jacobsen/Lemor/Feyock3 § 114 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/ Schwartze3 § 114 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 8. 99 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 11. 100 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 114 Rn. 11; Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 26; Prölss/Martin/Klimke31 § 114 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 114 Rn. 8. 101 BAG 13.12.2012 – 8 AZR 432/11, ZTR 2013 273, 274 (juris Rn. 21). 102 Etwa § 51 Abs. 4 BRAO; § 19a Abs. 4 BNotO. 103 Vgl. auch Dallwig ZVersWiss 2009 54 f. 104 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 28. 105 Wandt6 Rn. 945. 106 Langheid/Wandt/Brand2 § 114 Rn. 30. 533

Beckmann

§ 115 Direktanspruch (1) Der Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, 1. wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder 2. wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist oder 3. wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist. Der Anspruch besteht im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen des § 117 Abs. 1 bis 4. Der Versicherer hat den Schadensersatz in Geld zu leisten. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherungsnehmer haften als Gesamtschuldner. (2) Der Anspruch nach Absatz 1 unterliegt der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer beginnt; sie endet jedoch spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an. Ist der Anspruch des Dritten bei dem Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung des Anspruchs gegen den Versicherer wirken auch gegenüber dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer und umgekehrt.

Schrifttum Abram Der Direktanspruch des Geschädigten gegen den Pflicht-Haftpflichtversicherer seines Schädigers außerhalb des PflVG – „Steine statt Brot“? VP 2008 77; Armbrüster Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; Bangert Der Direktanspruch im deutschen und englischen Haftpflichtversicherungsrecht (2018); Baumann Grundzüge zum Regress des Kraftverkehrs-Haftpflichtversicherers, ZVersWiss 1970 193; ders. Zur unmittelbaren Schadensersatzpflicht des Haftpflichtversicherers gegenüber dem Dritten, Folgerungen aus dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, VersR 2004 944; ders. Die Überwindung des Trennungsprinzips durch das Verbot des Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, VersR 2010 984; ders. Die „Pflicht“ des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers gegenüber dem geschädigten Dritten zur unverzüglichen Schadenbearbeitung, RuS 2013 469; Bihler Zur Frage der Verjährung des Regressanspruchs des Kraftfahrthaftpflichtversicherers, ZfS 2008 94; Dahns Die kleine BRAO-Reform – Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft, NJW 2007 1553; Drong-Wilmers Zum Haftungsprivileg bei Personenschäden infolge eines Verkehrsunfalls auf Werksgelände, VersR 2001 721; Gergen Der Direktanspruch des Geschädigten gegen den Kfz-Versicherer nach Art. L 124–3 und L 112–6 des französischen Versicherungsgesetzbuchs (Code des Assurances) über Art. 40 Abs. 4 EGBGB, VersR 2005 620; Heidl Der Direktanspruch in der Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Steuerberater, ZfV 2011 162; R. Johannsen Regressanspruch des Haftpflichtversicherers wegen eines durch einen führerscheinlosen Angehörigen des VN verursachten Unfallschadens, NZV 1989 69; R. Koch Der Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung, RuS 2009 133; O. Lange Die Rechtsstellung des Haftpflichtversicherers nach der Abtretung des Freistellungsanspruchs vom Versicherungsnehmer an den geschädigten Dritten, VersR 2008 713; Langheid Zum Direktanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer bei Schädigung durch einen mitversicherten Dritten, RuS 1985 158; Lemcke Der Direktanspruch gegen den KH-Versicherer, alte Probleme in neuem Gewand, Festschrift Wälder (2009) 179; Littbarski Auswirkungen der VVG-Reform auf die Haftpflichtsparte (Teil 1), Phi 2007 126; ders. Auswirkungen der VVG-Reform auf die Haftpflichtsparte (Teil 2), Phi 2007 176; Matlach Rechtskrafterstreckung und Verjährung nach § 3 Nr 8, Nr 3 S 2 Hs 2 Pflichtversicherungsgesetz (PflVG) – Regressprobleme bei sog „Altfällen“ der Sozialversicherungsträger, ZfS 2005 533; Micha Der Direktanspruch im europäischen Internationalen Recht (2010); Müller-Stüler Der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (1966); Rischar Steht das Familienprivileg zur Disposition der Rechtsprechung? VersR 1998 27; Schirmer Das „kranke“ Versicherungsverhältnis zwischen KH-Versicherer und Versicherungsnehmer, VersR 1987 19; Stobbe Mandant und

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522662-019

534

A. Einführung

VVG § 115

Haftpflichtversicherer – ein schwieriges Verhältnis, Lücken im Pflichtversicherungsrecht der VVG-Reform, AnwBl. 2007 853; Thume Probleme des Verkehrshaftungsversicherungsrechts nach der VVG-Reform, VersR 2010 849; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 1

a)

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III. 1. 2.

11 Anwendungsbereich 11 Sachlicher Anwendungsbereich 14 Persönlicher Anwendungsbereich 14 a) Dritter i. S. d. § 115 17 b) Geltung auch für Mitversicherte 18 Zeitlicher Anwendungsbereich

3.

3.

Akzessorietät des Direktanspruchs/Begrenzung durch den Schadensersatzan40 spruch b) Begrenzung der Leistungspflicht gem. 41 Abs. 1 Satz 2 48 Gesamtschuldner, Abs. 1 Satz 4

III.

Wirkung der Leistung des Versicherers

IV. 1.

56 Verjährung, Abs. 2 Verjährungsfrist/Verjährungsbeginn, Abs. 2 58 Satz 1 und 2 Höchstfrist: 10 Jahre, Abs. 2 Satz 2, 61 2. Halbs. 64 Hemmung der Verjährung, Abs. 2 Satz 3 67 a) Hemmungsbeginn 70 b) Hemmungsende Ausnahmen aufgrund von Treu und Glau74 ben Wirkung und Drittwirkung im Rahmen der Ver77 jährung, Abs. 2 Satz 4

1 6

2. IV.

Möglichkeiten des geschädigten Dritten bei 19 nicht bestehendem Direktanspruch

3.

20

B.

Tatbestand und Rechtsfolgen

I.

Voraussetzungen des Direktanspruchs, 20 Abs. 1 20 Bestehen eines Versicherungsvertrages 22 Dritter i. S. d. § 115 Schadensersatzanspruch des Dritten gegen den 23 ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer Anwendungsfälle des Direktanspruchs, Abs. 1 28 Satz 1 Nr. 1–3 a) Pflichtversicherung nach dem PflVG, 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) Insolvenz des VN, Abs. 1 Satz 1 32 Nr. 2 c) Unbekannter Aufenthalt des VN, Abs. 1 35 Satz 1 Nr. 3 d) Maßgeblicher Zeitpunkt im Hinblick auf 36 die Tatbestände der Nr. 2 und 3 37 e) Kombinierte Versicherungen

4.

1. 2. 3. 4.

5.

Inhalt und Umfang des Direktanspruchs Schadensersatz in Geld, Abs. 1 Satz 3 Umfang der Leistungspflicht, Abs. 1 40 Satz 2

Prozessuales und sonstige Aspekte

I.

Gerichtsstand

II.

Beweislast

III.

Passivlegitimation

IV.

Regulierungsfrist/ Prüffrist des Versiche92 rers

V.

Gründe der Begrenzung des Schadensersatzan93 spruchs Maßgeblicher Zeitpunkt der Schadensberech94 nung 95 Schadensminderungsobliegenheit

38 38

82

C.

1. II. 1. 2.

55

2.

82 87 89

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Der seit der VVG-Reform 2008 nunmehr in § 115 geregelte – unter bestimmten Voraussetzungen 1 bestehende – Direktanspruch des Geschädigten gegen den VR des Schädigers hatte im VVG 535

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

1908 keine Entsprechung. Vor der VVG-Reform fand sich ein solcher Direktanspruch für die KfzHaftpflichtversicherung in § 3 PflVG a. F. Die Regelung des § 3 PflVG a. F. ging wiederum zurück auf Art. 6 Abs. 1 Anlage 1 des Straßburger Übereinkommens vom 20.5.1959,1 in welchem erstmals, mit Blick auf die Schutzwürdigkeit des Geschädigten, die Notwendigkeit einer Pflichtversicherung mit Direktanspruch zum Ausdruck kam. Knapp sechs Jahre später, am 1.10.1965 trat in Umsetzung des Straßburger Übereinkommens mit der Vorschrift des § 3 Nr. 1 PflVG a. F. der erste Direktanspruch im deutschen Haftpflichtversicherungsrecht in Kraft und löste den bis dato geltenden Grundsatz, dass eine Schadensregulierung prinzipiell über die Inanspruchnahme des Schädigers zu erfolgen habe, ab.2 Europarechtlich untermauert wird dieser Direktanspruch im Rahmen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zudem durch die 4. und 5. KH-Richtlinie.3 Die Regelung des § 3 PflVG a. F. unterlag zwar im Laufe der Zeit gewissen Modifikationen, die durch die Harmonisierung des Rechts der Kfz-Haftpflichtversicherung in den Mitgliedstaaten der EG bedingt waren,4 blieb jedoch in der Fassung vom 26.11.2001 bis zum 31.11.2007 in Kraft. 2 Im Rahmen der VVG-Reform 2008 war ursprünglich geplant, nach dem Vorbild des Direktanspruchs in der Kfz-Haftpflichtversicherung einen Direktanspruch generell für alle Pflichtversicherungen einzuführen.5 Ein solcher allgemeiner Direktanspruch wurde sogar als Herzstück der Reform angesehen.6 Die Entscheidung zur Einführung eines solchen allgemeinen Direktanspruchs entsprang den positiven Erfahrungen mit der Norm des § 3 PflVG a. F. und dem Bestreben, das Verfahren für Geschädigte über den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung hinaus allgemein, entgegen der bis dahin ernüchternden Praxis, zu vereinfachen.7 Entsprechend enthielt bereits der Kommissionsentwurf auch mit der Regelung des § 16 VVG-E ursprünglich einen derartigen allgemeinen Direktanspruch. Der allgemeine Direktanspruch traf jedoch insbesondere von Seiten der Versicherungswirtschaft auf Kritik. Neben erheblichen praktischen Problemen wurden höhere Versicherungsbeiträge für möglich erachtet und auf bedeutsame Mehrkosten im Rahmen der Verwaltung von Schadensfällen hingewiesen.8 Weiterhin wurde für den Fall der Einführung eines allgemeinen Direktanspruchs die Einrichtung einer allgemeinen Auskunftstelle über bestehende Pflichtversicherungen moniert, die mit erheblichen Kosten für den Steuerzahler verbunden sei.9 Trotz dieser Kritik fand sich ein genereller Direktanspruch noch im Regierungsentwurf zum VVG10 und wurde auch im Rahmen des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung sogar als einer der zen1 Europäisches Übereinkommen über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 20.4.1959, BGBl. 1965 II 281.

2 Bruck/Möller/R. Koch9 Vor §§ 1–16 PflVG Rn. 10, 62. 3 Art. 3 der Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.5.2000 („4. KH-Richtlinie“), ABl. EG L 181 v. 20.7.2000, S. 65; Art. 4d der Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.5.2005 („5. KH-Richtlinie“), ABl. EG L 149 v. 11.6.2005, S. 14. Beide wurden mit Wirkung zum 27.10.2009 zusammengefasst durch Richtlinie 2009/103/EG über die Kfz-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht v. 16.9.2009, ABl. EU L 263 v. 7.10.2009, S. 11. 4 BTDrucks. 14/8770 S. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz3 § 1 Rn. 20. 5 BTDrucks. 16/3945 S. 50 und S. 88; vgl. auch schon Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 11 ff. 6 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 1; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 5 f.; ebenso z. B. befürwortet im Rahmen einer Stellungnahme des Deutschen Richterbundes vom 15.5.2006 (8/06), vgl. https://www.drb.de/ positionen/stellungnahmen/stellungnahme/?tx_news_pi1 %5Bnews%5D=610&cHash= 0457927c52cea90aba09a50eb272423c, unter „B. V. Pflichtversicherung“ (Abrufdatum 30.9.2021). 7 KomE S. 83 mit zusätzlichem Hinweis auf die Harmonisierung des europäischen Rechts. 8 Stellungnahme des GDV vom 7.6.2004 zum Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, S. 71 ff. (https://www.jura.uni-hamburg.de/media/einrichtungen/sem-versicherungsrecht/gesetzesaenderungen/gdv-stellungnahme-zum-abschlussbericht-2004-06-07.pdf [Abrufdatum 30.9.2021]). 9 Stellungnahme des GDV vom 7.6.2004 zum Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, S. 71 f. (Fundstelle vgl. Fn. 8). 10 Vgl. § 115 Abs. 1 VVG-E, BTDrucks. 16/3945 S. 25: „Der Dritte kann im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen des § 117 Abs. 1 bis 4 seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen. Der Versicherer hat den Schadensersatz in Geld zu leisten. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherungsnehmer haften als Gesamtschuldner.“. Beckmann

536

A. Einführung

VVG § 115

tralen Punkte der Reform eingeordnet.11 Der Direktanspruch habe sich in der Kfz-Haftpflichtversicherung bewährt und solle auch außerhalb der Kfz-Haftpflichtversicherung die Rechtsstellung des Geschädigten deutlich verbessern, da dieser einen zusätzlichen und stets solventen Schuldner erhalte.12 Im Rechtsausschuss des Bundestags wendete sich indes das Blatt: Ein allgemeiner Direktanspruch in der Pflichthaftpflichtversicherung wurde nicht aufrecht erhalten; die Regelung wurde in ihre jetzt geltende Fassung gebracht.13 So wurde der Direktanspruch gegen den VR auf zwei wesentliche Fälle (neben der bereits bestehenden Kfz-Haftpflichtversicherung nach dem Pflichtversicherungsgesetz) „zurückgeführt“, nämlich einerseits auf den Fall, dass über das Vermögen des VN das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde, andererseits auf den Fall, dass der Aufenthaltsort des VN unbekannt ist. Damit sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers alle „unter Verbraucherschutzgesichtspunkten wesentlichen Problembereiche“ erfasst worden sein.14 Der Direktanspruch werde unter anderem auf Ausnahmefälle begrenzt, um einen Anstieg der Beitragssätze zu vermeiden.15 Die im Schrifttum insoweit erhobene Kritik ist nicht ungerechtfertigt. So hat Schneider zu Recht auf die Fragwürdigkeit dieser Argumentation hingewiesen; so sei die Existenz eines Direktanspruchs gewiss nicht geeignet, die Zahl begründeter Schadensersatzansprüche zu erhöhen und hierdurch zusätzliche Ausgaben der VR zu generieren. Denn auch bei unmittelbarer Inanspruchnahme durch den Geschädigten hafte der VR dem Dritten gegenüber nur im Rahmen der übernommenen Gefahr.16 Durch diese gegenüber dem ursprünglichen Gesetzesentwurf erfolgte Änderung mussten 3 noch vor Inkrafttreten des VVG 2008 auch die Vorschriften der §§ 114, 117, 119, 124, welche sich ursprünglich auf einen allgemeinen Direktanspruch bezogen, geändert und angepasst werden.17 Zutreffend ist die Aussage, dass auch die derzeitige Regelung des § 115 für die Geschädigten 4 eine bedeutsame Verbesserung im Vergleich zur früheren Rechtslage darstellt; die Einführung eines allgemeinen Direktanspruchs wäre jedoch dennoch im Interesse einer schnelleren und effektiveren Abwicklung von Schadensfällen für die Betroffenen wünschenswert gewesen.18 Begründet wird die Auswahl der nunmehr durch einen zusätzlichen Direktanspruch abgesicherten Fälle nicht ganz unzutreffend damit, dass die in § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 genannten Konstellationen „unter Verbraucherschutzgesichtspunkten die wesentlichen Problembereiche“ seien.19 Wie schon an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht, gibt es indes sicherlich gute Gründe für eine einheitliche Behandlung in der Pflichthaftpflichtversicherung (vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 11) und es bleibt abzuwarten, ob es sich um eine dauerhafte Lösung handelt. Die Ausgestaltung des § 115 Abs. 1 entspricht weitgehend der Vorschrift des § 3 Nr. 1–3 5 PflVG a. F., so dass prinzipiell ein Rückgriff auf die hierzu ergangene Rechtsprechung und Literatur möglich ist.20 Soweit die Verjährungsregelung des Abs. 2 im Wortlaut gegenüber § 3 Nr. 3 PflVG a. F. geringfügig geändert wurde, ist dies auf eine Anpassung an § 15 zurückzuführen.21

11 BTDrucks. 16/3945 S. 47, 50. 12 BTDrucks. 16/3945 S. 88. 13 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BTDrucks. 16/5862 S. 38. 14 BTDrucks. 16/5862 S. 1 und S. 99. 15 BTDrucks. 16/5862 S. 95. 16 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 5. 17 Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften, BGBl. I 2007 S. 2833; vgl. dazu Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 162; Baumann NJW 2007 Heft 46, Editorial; Zypries NJW 2007 Heft 50, Editorial. 18 In diese Richtung auch Abram VP 2008 77 ff.; Meixner/Steinbeck § 3 Rn. 25 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Schimikowski4 § 115 Rn. 1, 8. 19 BTDrucks. 16/5862 S. 99. Vgl. auch Wandt6 Rn. 1114; Littbarski Phi 2007 185. 20 Prölss/Martin/Klimke29 § 115 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski2 § 115 Rn. 2. 21 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 21. 537

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

II. Inhalt und Zweck der Regelung 6 § 115 Abs. 1 regelt einen Direktanspruch des Dritten gegen den VR im Rahmen einer Pflichthaftpflichtversicherung. Der Anwendungsbereich ist dabei – entgegen des ursprünglichen Vorschlags (oben Rn. 2 ff.) – begrenzt auf die in § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 genannten Fälle, namentlich das Vorliegen einer Kfz-Haftpflichtversicherung nach dem PflVG, den Fall, dass über das Vermögen des VN das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde (nachfolgend auch zusammenfassend als Insolvenz des VN bezeichnet), und den Fall des unbekannten Aufenthalts des VN.22 Der Zweck der Regelung und damit insbesondere des Direktanspruchs geht zurück auf den 7 Gedanken, dass eine Pflichtversicherung immer zumindest auch den Schutz des Geschädigten bezweckt, während andere Versicherungen in der Regel lediglich deshalb abgeschlossen werden, um das eigene Vermögen gegen Schadensersatzansprüche abzusichern.23 Für den Bereich der Pflichtversicherung soll daher im Interesse des Dritten die Schadensregulierung durch einen Direktanspruch gegen den VR die Rechtslage für den geschädigten Dritten verbessert,24 insbesondere die Durchsetzung vereinfacht werden.25 Zweifelsohne steht dem geschädigten Dritten damit ein wirtschaftlich grundsätzlich starker Schuldner gegenüber. Letztlich beschränkt sich die Vorschrift des § 115 dabei auf die „unter Verbraucherschutzgesichtspunkten […] wesentlichen Problembereiche“26 (vgl. bereits oben Rn. 2 ff.). Im Schrifttum wird der Direktanspruch als gesetzlich begründeter Schadensersatzanspruch 8 eigener Art bezeichnet.27 Indes erscheint es fraglich, ob es sich um einen eigenständigen Schadensersatzanspruch handelt.28 Zwar hat die Rechtsprechung wiederholt den (noch aus § 3 PflVG a. F. resultierenden) Direktanspruch als deliktsrechtlichen Anspruch eingeordnet. Jedoch ging es dabei primär um die Frage, ob der Direktanspruch versicherungsvertraglich oder deliktisch einzuordnen ist.29 Aus der deliktsrechtlichen Einordnung durch den BGH in dieser Entscheidung lässt sich aber nicht schließen, dass es sich um einen originären Schadensersatzanspruch handelt. Der BGH selbst spricht lediglich von einem quasideliktischen Anspruch.30 Zudem ging es in dieser Entscheidung primär um die Frage nach dem anwendbaren Recht, deren Beantwortung davon abhing, ob der (gegen einen ausländischen VR) geltend gemachte Direktanspruch als Vertragsanspruch oder als deliktischer Anspruch einzuordnen ist. Die durch den BGH vorgenommene Einordnung als quasideliktischer Anspruch führt indes nicht dazu, dass es sich um einen selbständigen Schadensersatzanspruch handelt. Dogmatisch handelt es sich vielmehr um einen gesetzlich angeordneten Schuldbeitritt.31 Rechtsfolge eines gesetzlich angeordneten 22 Vgl. OLG Bremen 2.8.2011 – 3 AR 6/11, VersR 2012 171, 172 (juris Rn. 5), das klarstellt, dass § 115 sich nur auf Pflichthaftpflichtversicherungen bezieht; vgl. noch Rn. 11.

23 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 1. 24 BGH 10.6.1986 – VI ZR 113/85, VersR 1986 1010 (juris Rn. 8). 25 BGH 7.11.1978 – VI ZR 86/77, BGH NJW 1979 271, 272 (juris Rn. 10); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 2; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 3; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Huber3 § 115 Rn. 1. 26 BTDrucks. 16/5862 S. 99. 27 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 176; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 1. 28 Vgl. auch BGH 5.12.1978 – VI ZR 233/77, VersR 1979 256, 257 f. (juris Rn. 10); OLG Koblenz 21.6.1999 – 12 U 679/98, VersR 2000 1436 (juris Rn. 27), wo jeweils darauf hingewiesen wird, dass der Direktanspruch „keine selbstständige Bedeutung“ hat, sondern wie ein akzessorisches Recht der Sicherung der Forderung des Verletzten dient und insoweit vom Bestand des Haftpflichtanspruchs abhängig ist. 29 BGH 23.11.1971 – VI ZR 97/70, BGHZ 57 265, 270 = NJW 1972 387, 388 (juris Rn. 20). 30 BGH 23.11.1971 – VI ZR 97/70, BGHZ 57 265, 270 = NJW 1972 387, 388 (juris Rn. 20). 31 So ausdrücklich auch BGH 23.11.1971 – VI ZR 97/70, BGHZ 57 265, 269 = NJW 1972 387, 388 (juris Rn. 20); BGH 23.7.2019 – VI ZR 337/18, VersR 2019 1359, 1361 Rn. 20; OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1492; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 10; letztlich auch Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 1; Looschelders/ Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 3. Beckmann

538

A. Einführung

VVG § 115

Schuldbeitritts ist, dass der Hinzutretende und der ursprüngliche Schuldner nunmehr Gesamtschuldner sind.32 Diese Rechtsfolge ordnet § 115 Abs. 1 Satz 4 ausdrücklich an. Der geschädigte Dritte hat damit ein Wahlrecht, gegen wen er vorgeht.33 Gerichtet ist der Direktanspruch gegen den VR aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts des 9 § 115 Abs. 1 Satz 3 nicht auf Naturalrestitution i. S. d. § 249 Abs. 1 BGB, sondern auf Schadensersatz in Geld. § 115 Abs. 2 wiederum regelt die Verjährung des Direktanspruchs, welche grundsätzlich 10 an die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den VN gebunden ist. Im Einzelfall kann jedoch durch die Höchstfrist des Satzes 2 durchaus ein Unterschied zwischen den Ansprüchen gegen den VN bzw. gegen den VR bestehen, so dass eine Überweisung des Anspruchs des VN gegen den VR im Wege der Zwangsvollstreckung sinnvoll werden kann.34

III. Anwendungsbereich 1. Sachlicher Anwendungsbereich Sachlich beschränkt ist der Direktanspruch aufgrund seiner systematischen Stellung zunächst 11 auf Pflichthaftpflichtversicherungen, während er auf freiwillige Haftpflichtversicherungen i. S. d. §§ 100 ff. gerade keine Anwendung findet.35 Also gilt der Direktanspruch nicht für alle Haftpflichtversicherungen. Im Gesetzgebungsverfahren war zunächst geplant, den Direktanspruch auf alle Pflichthaftpflichtversicherungen auszudehnen; diesen Vorschlag hat der Gesetzgeber letztlich aber nicht verwirklicht, vielmehr wurde der Direktanspruch auf die in § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr 1–3 genannten Fälle beschränkt (vgl. zur Entwicklung oben Rn. 2 ff.). Innerhalb der Pflichthaftpflichtversicherungen wird also durch Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 der Direktanspruch von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht. Erforderlich ist daher, dass es sich entweder um eine Versicherung handelt, die aufgrund einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht abgeschlossen wurde (Nr. 1), dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen des VN eröffnet, der Eröffnungsantrag mangels Masse abgelehnt oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde (Nr. 2) oder dass der Aufenthalt des VN unbekannt ist (Nr. 3). Eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz be- 12 stehenden Versicherungspflicht besteht gem. § 1 PflVG in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Dieser für den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung geltende Direktanspruch galt bereits vor der VVG-Reform 2008 und war in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung des § 3 Nr. 1 PflVG a. F. normiert. Für alle übrigen Pflichthaftpflichtversicherungen gilt hingegen, dass das Bestehen eines Direktanspruchs vom Vorliegen der Voraussetzungen der Nr. 2 oder der Nr. 3 abhängig ist.36 Soweit eine Versicherung von einem nach § 2 Abs. 1 Nr. 1–5 PflVG von der Versicherungspflicht befreiten Fahrzeughalter unterhalten wird, besteht der Direktanspruch unter den Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 (es besteht in diesem Falle gerade keine Versicherungspflicht).37 Zu den Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Nr. 1–3 im Einzelnen vgl. noch Rn. 20 ff. 32 OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1492; Staudinger/Looschelders (2017) § 421 Rn. 56. 33 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 115 Rn. 8; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 2. 34 Dazu BGH 9.1.2007 – VI ZR 139/06, VersR 2007 371, 372 (Rn. 23); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 3; Langheid/Wandt/Brandt2 § 121 Rn. 2. 35 BGH 29.11.2016 – VI ZR 606/15, VersR 2017 296, 297 f. (Rn. 10); OLG Düsseldorf 18.12.2013 − I-18 U 126/13, TranspR 2014 246, 247 (juris Rn. 34); OLG Bremen 2.8.2011 − 3 AR 6/11, VersR 2012 171, 172 (juris Rn. 4).; Looschelders/ Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 1; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 7. 36 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 176. 37 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 7; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 7. 539

Beckmann

§ 115 VVG

13

Direktanspruch

Der Direktanspruch besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das Versicherungsverhältnis intakt oder gestört ist (zu diesen Begriffen Rn. 42); im gestörten Versicherungsverhältnis besteht die Leistungspflicht des VR gegenüber dem Dritten jedoch nur im von § 117 Abs. 1– 4 bestimmten Umfang.38

2. Persönlicher Anwendungsbereich 14 a) Dritter i. S. d. § 115. Der persönliche Anwendungsbereich des Direktanspruchs erfasst Dritte i. S. d. § 115. Dritter kann dabei grundsätzlich jeder sein, der einen Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen VN hat, soweit der Anspruch vom Schutzzweck der Pflichtversicherung gedeckt ist.39 Häufigster Fall des Dritten ist die Person des Geschädigten, auch als Dritter im engeren Sinne bezeichnet.40 Hierzu zählen insbesondere Insassen des Fahrzeugs, Radfahrer, Fußgänger und andere motorisierte Fahrzeugteilnehmer.41 Geschädigter und damit Dritter i. d. S. kann grundsätzlich auch die öffentliche Hand sein, wenn ihr gegen einen haftpflichtversicherten Schädiger ein privatrechtlich begründeter Schadensersatzanspruch zusteht.42 Dies gilt auch, soweit der Staat Straßen- oder Grundstückseigentümer ist; diese sind nicht per se als Dritte ausgeschlossen.43 Nach allgemeiner Ansicht ist es möglich, dass auch der VN selbst Dritter ist, etwa wenn ein mitversicherter Fahrer einen Kfz-Unfall verursacht und dabei der VN geschädigt wird.44 Erforderlich ist dabei, dass es sich um ein intaktes Versicherungsverhältnis handelt45 und dass vertraglich keine (vollständige) Kürzung ausgehandelt ist (vgl. etwa A.1.5.6 AKB 2008).46 Grundsätzlich hat der BGH sogar den verletzten KFZ-Dieb als Dritten i. S. d. § 115 eingeordnet – in einem solchen Fall jedoch einen Direktanspruch nach § 242 BGB abgelehnt.47 Auch Rechtsnachfolger (z. B. die Erben gem. § 1922 BGB) können generell Dritte sein.48 15 Dies gilt auch, soweit Erbe und Schädiger dieselbe Person sind und im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch im Haftpflichtverhältnis Konfusion eingetreten ist.49 Denkbar ist auch eine

38 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 21. 39 OLG Düsseldorf 18.12.2013 − I-18 U 126/13, TranspR 2014 246, 247 (juris Rn. 35); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 9; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 2. 40 Stiefel/Maier/Maier/Stiefel19 § 115 VVG Rn. 16. 41 OLG Oldenburg 16.1.2013 – 4 U 40/11 (juris Rn. 13). 42 OLG Oldenburg 16.1.2013 – 4 U 40/11 (juris Rn. 13); vgl. auch BGH 28.9.2011 – IV ZR 294/10, VersR 2011 1509, 1510 (Rn. 15) (wo es indes primär darum ging, ob Ansprüche aus §§ 683 Satz 1, 670 BGB vom Kfz-Haftpflichtversicherungsschutz erfasst sein können); a. A. Schwab DAR 2010 587, 588; Halm/Kreuter/Schwab/Schwab2, AKB (2015) § 115 Rn. 75 ff. 43 OLG Zweibrücken 13.8.2014 – 1 U 71/12, VersR 2015 723, 724 (juris Rn. 25). 44 BGH 25.6.2008 – IV ZR 313/06, VersR 2008 1202, 1203 Rn. 9; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 12; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 6; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 7; Kröger RuS 2013 119, 120. 45 BGH 10.6.1986 – VI ZR 113/85, VersR 1986 1010 (juris Rn. 6); Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 12; zum Begriff „gesundes Versicherungsverhältnis“ vgl. Rn. 43. 46 BGH 25.6.2008 – IV ZR 313/06, VersR 2008 1202, 1203 Rn. 10; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 3; Langheid/ Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 7; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 10. 47 BGH 27.2.2018 – VI ZR 109/17, VersR 2018 624, 625 f. (Rn. 18 ff.) 48 BGH 13.7.1993 – VI ZR 278/92, VersR 1993 1092, 1093 (juris Rn. 12); BGH 3.5.1977 – VI ZR 50/76, BGHZ 69 153, 156 f. = VersR 1977 960, 961 (juris Rn. 11); BGH 23.9.1965 – II ZR 144/63, BGHZ 44 166, 167 = VersR 1965 1167 (juris Rn. 4); BGH 8.10.1952 – II ZR 309/51, BGHZ 7 244, 246 (juris Rn. 4); Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 11; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 9. 49 OLG Hamm 16.6.1994 – 6 U 227/93, VersR 1995 454, 455 (juris Rn. 23); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 9. Unter Konfusion versteht man, wenn Forderung und Verbindlichkeit in derselben Person sich vereinigen, vgl. Staudinger/Olzen (2016) Einleitung zu §§ 362 ff. Rn. 25. Beckmann

540

A. Einführung

VVG § 115

Rechtsnachfolge eines SachVR im Rahmen des § 86.50 Entsprechend der Norm des § 116 SGB X51 kann auch der Sozialversicherungsträger Dritter i. S. d. § 115 sein.52 Kein unmittelbarer Fall der Rechtsnachfolge, sondern ein originärer Rückgriffsanspruch ergibt sich überdies für den Sozialversicherer aus § 110 SGB VII; dies steht aber der Anwendung des § 115, der die Direktklage gewährt, nicht entgegen.53 Eine Rechtsstellung als Dritter ist dagegen in Konstellationen zu verneinen, in denen Ge- 16 schädigter und Schädiger von vorneherein dieselbe Person sind (Personenidentität zwischen Schädiger und Geschädigtem);54 diese Konstellation unterscheidet sich von dem Fall der Rechtsnachfolge (vgl. vorstehende Rn. 15). Ebenfalls keine Einordnung als Dritter i. S. d. § 115 liegt vor im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch eines Schädigers gegenüber dem VR eines Mitschädigers.55 Soweit die Schädiger dem Geschädigten als Gesamtschuldner haften, ist eine Inanspruchnahme eines Schädigers über die interne Haftungsquote hinaus nicht vom Schutzzweck des PflVG gedeckt.56 Auch ein Mitversicherter ist hinsichtlich eines Ausgleichsanspruchs oder eines Freistellungsanspruchs gegen den VN (z. B. der Arbeitgeber) gegenüber dem VR nicht Dritter.57 Prinzipiell Dritter sein kann zwar demgegenüber ein Mitversicherter in Fällen, in denen er Fahrer des unfallverursachenden Kfz ist.58 Ein Direktanspruch steht ihm jedoch dann dennoch nicht zu, wenn er dem VR im Innenverhältnis Regress schuldet. Dem steht dann nämlich regelmäßig die Dolo-agit-Einrede entgegen,59 wobei Regressbeschränkungen zugunsten des Anspruchstellers zu berücksichtigen sind.60

b) Geltung auch für Mitversicherte. § 115 geht von einem Schadensersatzanspruch des ge- 17 schädigten Dritten gegen den ersatzpflichtigen VN aus; in diesem Falle steht dem Dritten unter den Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 ein Direktanspruch auch gegen den VR des VN zu. Indes kommt als Schädiger nicht nur der VN in Betracht, sondern auch mitversicherte Personen. Für den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung ist dies unbestritten, was auch in der Gesetzesbegründung Ausdruck gefunden hat.61 Vor diesem Hintergrund findet § 115 auch Anwendung, wenn ein Schadensersatzanspruch eines geschädigten Dritten gegen eine mitversicherte Person im Raum steht.62 Dies hat der BGH – noch für das frühere Recht betr. § 3 Nr. 9 PflVG a. F. – grundsätzlich festgestellt und den allgemeinen Grundsatz formuliert, dass – abgesehen von der Prämienzahlungsverpflichtung – bei Vorliegen einer Versicherung für fremde Rechnung die Bestimmungen des VVG, des Pflichtversicherungsgesetzes und der AKB so auszulegen sind, dass 50 OLG Nürnberg 25.8.2008 – 4 U 1393/08, VersR 2009 65, 66 (juris Rn. 17); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 9. 51 Zur Neufassung des Angehörigenprivilegs in § 116 SGB X: Zwickel MDR 2021 329. 52 BGH 3.6.1970 – IV ZR 181/69, VersR 1970 755, 756 (juris Rn. 16); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 9; Stiefel/ Maier/Jahnke19 § 115 VVG Rn. 19. 53 BGH 21.12.1971 – VI ZR 137/70, VersR 1972 271, 273 (juris Rn. 26); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 9. 54 OLG Nürnberg 9.2.2004 – 8 U 2772/03, VersR 2004 905, 905 f.; OLG Hamm 25.6.1996 – 27 U 68/96, VersR 1997 303 (juris Rn. 8); LG Berlin 8.3.2012 – 41 O 254/11, RuS 2013 119 (juris Rn. 16) (mit zustimmender Anm. Kröger); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 11; Stiefel/Maier/Jahnke19 § 115 VVG Rn. 25. 55 OLG München 12.1.2018 – 10 U 1742/17, RuS 2018 275 (juris Rn. 11). 56 BGH 27.7.2010 – VI ZB 49/08, VersR 2010 1360 (Rn. 9); BGH 1.7.2008 – VI ZR 188/07, BGHZ 177 141, 145 = VersR 2008 1273, 1274 (Rn. 11); Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 12; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 5; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 11. 57 Vgl. BGH 20.1.1971 – IV ZR 42/69, BGHZ 55 281, 287 = VersR 1971 429, 430 (juris Rn. 14); OLG Hamm 17.12.1986 – 13 U 105/86, VersR 1987 604, 605; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 11; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 5. 58 BGH 13.7.1993 – VI ZR 278/92, VersR 1993 1092, 1094 (juris Rn. 25). 59 BGH 10.6.1986 – VI ZR 113/85, VersR 1986 1010, 1011 (juris Rn. 11). 60 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 6; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 3. 61 BTDrucks. 16/3945 S. 89. 62 BTDrucks. 16/3945 S. 89; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 115 Rn. 15; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 12; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 11. 541

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

überall dort, wo vom Versicherungsnehmer die Rede ist, der Versicherte ebenso gemeint ist.63 Insbesondere kommt vor diesem Hintergrund auch ein Direktanspruch des VN gegen Kfz-Haftpflichtversicherer in Betracht, etwa wenn der mitversicherte Fahrer den Kfz-Halter (VN) geschädigt hat; in diesem Falle kann dem Kfz-Halter (VN) gegen den Fahrer (mitversicherte Person) ein Schadensersatzanspruch insbesondere aus § 18 StVG zustehen, der wiederum vom Kfz-Versicherungsschutz erfasst ist, so dass dem geschädigten Kfz-Halter (VN) gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer ein Direktanspruch zusteht.64

3. Zeitlicher Anwendungsbereich 18 Im Hinblick auf die zeitliche Anwendung des § 115 gelten die allgemeinen Regeln zum Inkrafttreten des VVG 2008.65 Das VVG 2008 gilt gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 3 ReformG prinzipiell für Verträge, die ab dem 1.1.2008 abgeschlossen wurden. Für Altverträge, die bis zum 31.12.2007 zustande gekommen sind, gilt grundsätzlich das VVG 2008 gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG ab dem 1.1.2009. Indes ist gem. Art. 1 Abs. 2 EGVVG auf Altverträge das frühere VVG anzuwenden, wenn ein Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist. Für diese Fälle ist eine Gesetzeslücke erkennbar: Da auch das PflVG mit Wirkung zum 1.1.2008 geändert worden ist (insbesondere der Direktanspruch nunmehr nicht mehr im PflVG, sondern im VVG geregelt ist), ließe sich für Altverträge und Eintreten des Versicherungsfalles im Jahre 2008 argumentieren, dass für Geschädigte de lege lata kein Direktanspruch besteht. Vor dem Hintergrund der Neuregelung des § 115 VVG sowie dem Straßburger Übereinkommen müsste dies indes als gesetzgeberisches Versehen bewertet werden.66 Deshalb wird teilweise vertreten, dass die §§ 115, 117 und 124 VVG 2008 auch auf diese Fälle anwendbar seien.67 Nach anderer Ansicht lässt sich Art. 1 Abs. 2 EGVVG dahingehend erweiternd auslegen, dass neben dem früheren VVG auch das PflVG in seiner alten Fassung für diese Übergangsfälle Anwendung findet.68 Eine Anwendung des § 115 auf sonstige Altfälle kommt nicht in Betracht.69

IV. Möglichkeiten des geschädigten Dritten bei nicht bestehendem Direktanspruch 19 Dem geschädigten Dritten steht ein Direktanspruch gegen den HaftpflichtVR nur in den in § 115 Abs. 1 aufgeführten Fällen zu (dazu sogleich Rn. 20 ff.). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor – was außerhalb der Kfz-Haftpflichtversicherung vielfach der Fall ist –, so gelten die für die freiwillige Haftpflichtversicherung geltenden Grundsätze. Kommt es nicht zu einer „freiwilligen“ Zahlung durch den HaftpflichtVR und tritt der VN seinen gegen den HaftpflichtVR gerichteten Freistellungsanspruch auch nicht an den geschädigten Dritten ab,70 so muss der geschädigte Dritte – nach Erlangung eines gegen den VN bzw. gegen die mitversicherte Person gerichteten Vollstreckungstitels – im Wege der Einzelzwangsvollstreckung gegen den VN vorgehen. Im Rahmen derer kann der geschädigte Dritte den Freistellungsanspruch des VN gegen

63 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 145 f. = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 12) unter Hinweis auf Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 66. 64 BGH 10.6.1986 – VI ZR 113/85, VersR 1986 1010 (juris Rn. 8); BGH 25.6.2008 – IV ZR 313/06, VersR 2008 1202, 1203 (Rn. 9); Kröger RuS 2013 119, 120; vgl. bereits oben Rn. 14. 65 Dazu etwa Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. A Rn. 73 ff; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 1a Rn. 42 ff. 66 In diese Richtung auch LG Saarbrücken 23.4.2009 – 14 O 476/08 (juris Rn. 6 ff.); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 8; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 2. 67 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 2. 68 LG Karlsruhe 23.1.2009 – 3 O 172/08, VersR 2009 1397 (juris Rn. 35). 69 OLG Koblenz 22.8.2016 – 5 U 564/16, VersR 2018 91 (juris Rn. 14). 70 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch10 Vorbem. zu §§ 100–112 Rn. 36. Beckmann

542

A. Einführung

VVG § 115

den HaftpflichtVR pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen; durch den Pfändungsund Überweisungsbeschluss wandelt sich der Freistellungsanspruch des VN gegen den HaftpflichtVR in einen Zahlungsanspruch um.71 In der Pflichthaftpflichtversicherung besteht gem. § 117 Abs. 1 die Besonderheit, dass dem geschädigten Dritten diese Möglichkeit auch dann offen steht, wenn der HaftpflichtVR im Innenverhältnis gegenüber dem VN bzw. gegenüber der mitversicherten Person leistungsfrei geworden ist; unter den Voraussetzungen des § 117 Abs. 2 besteht diese Möglichkeit auch dann, wenn gar kein Versicherungsverhältnis bestand bzw. dieses vor Eintritt des Versicherungsfalles bereits beendet war (vgl. im Einzelnen Kommentierung zu § 117). Außerhalb von Pflichthaftpflichtversicherungen, insbesondere im Bereich von freiwilligen Haftpflichtversicherungen, hat der geschädigte Dritte also auch die Möglichkeit, den Deckungsanspruch des VN gegen seinen VR zu pfänden und sich überweisen zu lassen. Indes kann der VR Einwendungen aus dem Versicherungsverhältnis auch dem Dritten gem. §§ 404, 412 BGB entgegenhalten.72 Durch § 117 Abs. 1 kommt damit ein wesentlicher Unterschied zwischen freiwilligen Haftpflichtversicherungen und Pflichthaftpflichtversicherungen zum Ausdruck. Oftmals besteht indes die Gefahr, dass das Erwirken eines Titels gegen den VN im Haftungsprozess so langwierig ist, dass der Deckungsanspruch des VN gegen dessen VR wegen Untätigbleibens des VN etwa aufgrund einer Verjährung gefährdet ist. In dieser Konstellation ist der VN nach der Rechtsprechung des BGH unabhängig von § 115 und einer Abtretung/Überweisung vorbehaltlich eines entsprechenden Feststellungsinteresses i. S. d. § 256 ZPO befugt, auf Feststellung zu klagen, dass der VR gegenüber dem VN und Schädiger aus dem Schadensereignis zur Gewährung vertraglichen Versicherungsschutzes verpflichtet ist. Ein solches aus der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung folgendes Feststellungsinteresse soll etwa dann bestehen, wenn der VR auf Anfrage des Geschädigten, ob Versicherungsschutz bestehe, keine oder keine eindeutige Antwort gibt oder die Antwort verweigert und wegen der Untätigkeit des VN die Gefahr besteht, dass dem Haftpflichtgläubiger der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt verloren geht.73 Gerade in diesen Konstellationen zeigt sich die Zweckmäßigkeit einer im Rahmen der Reform zunächst erwogenen, später aber verworfenen zentralen Auskunftsstelle (siehe auch oben Rn. 2). Tatsächlich muss der Geschädigte in entsprechenden Konstellationen nämlich überhaupt erst einmal Kenntnis vom richtigen VR erlangen. Liegt kein Fall einer Pflichthaftpflichtversicherung vor, besteht die zusätzliche Unsicherheit, ob überhaupt eine Haftpflichtversicherung begründet wurde (und ob im Innenverhältnis ggf. eine Leistungsfreiheit des VR besteht, die sich der Dritte abseits des § 117 entgegen halten lassen muss). Letztlich bleibt dem Dritten bei verweigerter Auskunftserteilung nur eine auf § 242 BGB zu stützende Auskunftsklage gegen den VN – mit entsprechendem Kostenrisiko. Noch schwieriger gestaltet sich die Lage bei unbekanntem Aufenthalt des VN. Dann gibt § 115 Abs. 1 Nr. 2 dem Dritten zwar einen Direktanspruch gegen den VR – der richtige VR als Anspruchsgegner ist in diesen Konstellationen freilich nur schwer zu ermitteln; die vorgenannte Auskunftsklage als Mittel zur Aufklärung ist in dieser Konstellation bei unbekanntem Aufenthalt des VN jedenfalls untauglich. Die Sozialbindung der Haftpflichtversicherung habe ihren Niederschlag in §§ 156, 157 VVG a. F. gefunden. Auch die § 108 Abs. 1 und § 110 zeigten aber, dass der Wille des Gesetzgebers dahin gehe, den Dritten zu schützen. Die Versicherungsleistung solle dem geschädigten Dritten zugutekommen. Mit dieser materiell-rechtlichen Entscheidung müsse korrespondieren, dass im Fall der Untätigkeit des VN der geschädigte Dritte selbst gegen den VR, den durch die Untätigkeit des VN zu privilegieren kein Anlasse bestehe, gerichtlich vorgehen kann.74

71 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch10 § 108 Rn. 39. 72 Vgl. etwa OLG Hamm 4.7.2008 – 20 U 190/07 (juris Rn. 35 f.) mit Anm. jurisPR-VersR 11/2008 Anm. 2; zur Anwendbarkeit des § 412 BGB auf die gerichtliche Überweisung MüKoBGB/Roth/Kieninger8 § 412 Rn. 22. 73 BGH 22.7.2009 – IV ZR 265/06, VersR 2009 1485 (Rn. 2); BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001 90, 91 (juris Rn. 10); OLG Celle 5.7.2012 – 8 U 28/12, VersR 2013 750 (juris Rn. 31). 74 OLG Celle 5.7.2012 – 8 U 28/12, VersR 2013 750 (juris Rn. 31). 543

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

B. Tatbestand und Rechtsfolgen I. Voraussetzungen des Direktanspruchs, Abs. 1 1. Bestehen eines Versicherungsvertrages 20 § 115 Abs. 1 ermöglicht einem geschädigten Dritten, neben dem eigentlichen Schädiger (ersatzpflichtiger VN) zusätzlich auch dessen HaftpflichtVR in Anspruch zu nehmen. Damit setzt § 115 Abs. 1 ein Versicherungsverhältnis zwischen ersatzpflichtigem VN und VR voraus. Ein solches Versicherungsverhältnis muss jedenfalls zum Zeitpunkt des Schadenseintritts bestanden haben. Wie sich aus § 117 ergibt, muss der VR aber nicht unbedingt gegenüber dem VN einstandspflichtig sein („gestörtes“ Versicherungsverhältnis). Besteht kein Versicherungsvertrag oder ist dieser bereits beendet, so kommt ebenfalls eine Haftung des VR unter den Voraussetzungen von § 117 Abs. 2 in Betracht (vgl. Kommentierung dort). Für die Kfz-Haftpflichtversicherung ist zu beachten, dass bei Nichtbestehen des an sich obligatorischen Versicherungsschutzes gem. § 12 Abs. 1 Nr. 2 PflVG aber ein Ersatzanspruch gegen den „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ (Entschädigungsfonds) in Betracht kommt. 21 Im Schrifttum findet sich der nicht näher begründete Standpunkt, auch der Anschein eines Versicherungsverhältnisses sei ausreichend.75 Diese Ansicht erscheint indes in dieser pauschalen Formulierung zweifelhaft. Bestand keine entsprechende Haftpflichtversicherung des Schädigers, kommt – über die Fälle des § 117 Abs. 2 hinaus (vgl. bereits Rn. 20) – auch kein gesetzlicher Schuldbeitritt eines VR in Betracht. Dies zeigt etwa auch die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 2 PflVG, nach der der Geschädigte Ersatzansprüche gegen den „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ (Entschädigungsfonds) geltend machen kann, wenn die aufgrund eines Gesetzes erforderliche Haftpflichtversicherung zugunsten des Halters, des Eigentümers und des Fahrers des Fahrzeugs nicht besteht. In diesem Falle kommt ein Direktanspruch gegen einen VR nicht in Betracht. Die genannte Auffassung, wonach der Anschein eines Versicherungsverhältnisses ausreichend ist, lässt sich deshalb wohl dahingehend verstehen, dass damit § 117 Abs. 2, 1. Var. (Nichtbestehen des Versicherungsvertrages) gemeint ist oder dass sich über Rechtsscheingrundsätze das Zustandekommen eines Versicherungsvertrages begründen lässt. Hält man Letzteres für möglich, ist aber gerade vom Bestehen eines Versicherungsvertrages auszugehen.

2. Dritter i. S. d. § 115 22 Der Anspruchsteller muss Dritter i. S. d. § 115 sein. Dritter ist danach grundsätzlich jeder, dem der VN oder der Versicherte haftpflichtig ist.76 Zur Frage, wer als Dritter in diesem Sinne in Betracht kommt vgl. bereits oben Rn. 14 ff.

3. Schadensersatzanspruch des Dritten gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer 23 Unter den weiteren Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 kann der geschädigte Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den VR geltend machen. Über diese Vorschrift erhält der geschädigte Dritte einen weiteren Schuldner, namentlich den HaftpflichtVR des ersatzpflichtigen VN. Es handelt sich um einen Fall eines gesetzlichen Schuldbeitritts (siehe bereits oben Rn. 8). § 115 Abs. 1 setzt damit einen Schadensersatzanspruch eines Dritten gegen den ersatz75 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 15. 76 BGH 20.10.1971 – IV ZR 57/70, VersR 1971 1161, 1162 (juris Rn. 15). Beckmann

544

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

pflichtigen VN bzw. gegen einen Mitversicherten voraus.77 So hat der BGH dementsprechend formuliert: „Die Entstehung dieses Direktanspruches ist (…) abhängig von der Begründung des Haftpflichtanspruches gegen den Versicherten.“78 Der Direktanspruch ist demnach akzessorisch.79 Die Versicherung folgt der Haftung.80 Ein Direktanspruch scheidet aus, wenn der Schadenseintritt kollusiv herbeigeführt oder durch den Geschädigten derart provoziert wurde, dass von einem die Rechtswidrigkeit ausschließenden Einverständnis des Geschädigten in die Rechtsgutverletzung auszugehen ist und aus diesem Grund bereits kein Anspruch des Geschädigten gegen den VN besteht.81 Zu der speziellen Frage, ob ein VN als allein verantwortlicher Fahrzeugführer auf Ersatz seines durch den Tod seiner mitfahrenden Ehefrau entstandenen Vermögensschadens gegen den HaftpflichtVR vorgehen kann, hat der EuGH entschieden, dass dies eine Frage des nationalen Haftungsrechts sei, die durch die KH-Richtlinie nicht geregelt bzw. überlagert sei.82 Für das deutsche Recht bedeutet dies, dass aufgrund der Akzessorietät des Direktanspruchs regelmäßig kein Anspruch des VN gegen den VR besteht. Aus § 844 Abs. 2 BGB, der zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem unterhaltsberechtigten Dritten unterscheidet, ergibt sich, dass Schädiger und Geschädigter nicht identisch sein dürfen.83 Selbst wenn man dies anders sehen würde, läge jedoch Konfusion vor, da der VN gleichzeitig einerseits als Hinterbliebener Inhaber der Forderung und andererseits als Verursacher Schuldner wäre. Mit Blick auf eine Konfusion wird zwar das (Fort-)Bestehen der Forderung für möglich erachtet, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse gegeben ist.84 Indes ist zu Recht für die vorliegende Konstellation geäußert worden, dass die Fiktion eines Schadensersatzanspruchs des unterhaltsberechtigten Schädigers gegen sich selbst dem hinter dem Grundsatz der Akzessorietät stehenden Zweck der Pflicht-Haftpflichtversicherung, den Ersatzpflichtigen vor Haftpflichtansprüchen zu schützen und die Durchsetzbarkeit solcher Ansprüche im Interesse des Geschädigten sicherzustellen, widerspräche.85 Das Gesetz spricht im Rahmen von § 115 Abs. 1 vom Anspruch des Dritten auf Schadensersatz und dem (ersatzpflichtigen) VN. Damit geht das Gesetz von einer Eigenversicherung des VN aus. Gleichwohl gilt § 115 aber auch dann, wenn sich der Anspruch gegen eine mitversicherte Person richtet.86 Bei Übergang des Schadensersatzanspruchs auf einen neuen Gläubiger geht auch der Direktanspruch gegen den VR – nach der Rechtsprechung – entsprechend § 401 BGB auf den

77 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 115 Rn. 15; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 12; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 11; zur Einordnung eines Aufwendungsersatzanspruchs gem. §§ 683 Satz 1, 670 BGB als Schadensersatzanspruch i. S. d. A 1.1.1 AKB 2008, wenn sie schadensersatzrechtlichen Charakter haben vgl. BGH 28.9.2011 – IV ZR 294/10, VersR 2011 1509, 1510 (Rn. 10 ff.) 78 BGH 5.12.1978 – VI ZR 233/77, VersR 1979 256, 257 f. (juris Rn. 10); vgl auch BGH 23.7.2019 – VI ZR 337/18, VersR 2019 1359 (Rn. 7), wonach die Unfallbeteiligung eines bei dem VR nach § 1 PflVG haftpflichtversicherten Kfz notwendige Voraussetzung für den gegen den VR geltend gemachten Direktanspruch ist. 79 BGH 5.12.1978 – VI ZR 233/77, VersR 1979 256, 257 f. (juris Rn. 10); BGH 23.7.2019 – VI ZR 337/18, VersR 2019 1359, 1361 (Rn. 20); OLG Stuttgart 9.6.2005 – 13 U 21/04, NZV 2006 213, 214; OLG Koblenz 21.6.1999 – 12 U 679/98, VersR 2000 1436 (juris Rn. 26); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 115 Rn. 15; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 12. 80 OLG Koblenz 21.6.1999 – 12 U 679/98, VersR 2000 1436 (juris Rn. 26). 81 OLG München 8.9.2017 – 10 U 4665/16 (juris Rn. 7); BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 11. 82 EuGH 7.9.2017 – C-506/16 – (juris Rn. 29), mit zustimmender Anmerkung Looschelders GRP 2018 299; zugrunde lag ein Vorabentscheidungsersuchen eines portugiesischen Gerichts. 83 Looschelders GRP 2018 299, 301. 84 MüKoBGB/Fetzer8 Vor § 362 Rn. 4. 85 Looschelders GRP 2018 299, 301. 86 BGH 21.12.1971 – VI ZR 137/70, VersR 1972 271, 272 f. (juris Rn. 25); LG Münster 29.3.2019 – 16 O 213/17, RuS 2018 392, 393 (juris Rn. 35); BTDrucks 16/3945 S. 89; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 15; vgl. bereits oben Rn. 17. 545

Beckmann

24

25

26

27

§ 115 VVG

Direktanspruch

neuen Gläubiger über (vgl. bereits zum Dritten in diesem Sinne Rn. 14 ff.).87 Wenn der Schadensersatzanspruch hingegen nicht übergeht, kann der Direktanspruch grundsätzlich auch nicht folgen. Für das frühere VVG hat die Rechtsprechung im Falle des Eingreifens der Übergangssperre aufgrund des Angehörigenprivilegs gem. § 67 Abs. 2 VVG a. F. einen Übergang des Direktanspruchs abgelehnt.88

4. Anwendungsfälle des Direktanspruchs, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 28 Aus der systematischen Stellung des § 115 im Abschnitt 2 über die Pflichtversicherung ergibt sich, dass der Direktanspruch aus § 115 sich ohnehin auf Pflichthaftpflichtversicherungen beschränkt (vgl. bereits Rn. 11 f.). Entgegen des ursprünglichen Vorhabens im Rahmen der VVGReform 2008 hat sich der Gesetzgeber gegen einen allgemeinen Direktanspruch für die Pflichthaftpflichtversicherung entschieden (vgl. bereits oben Rn. 2 ff.). Neben der bereits erwähnten (Rn. 11) Begrenzung auf Pflichthaftpflichtversicherungen beschränkt die Vorschrift des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 das Bestehen eines Direktanspruchs auf drei abschließend aufgezählte Konstellationen89: das Bestehen einer Pflichthaftpflichtversicherung nach dem PflVG, Insolvenz des VN oder bei unbekanntem Aufenthalt des VN. So kann sich allein wegen des Todes des VN weder unmittelbar noch analog die Passivlegitimation des VR ergeben.90 Vor der VVGReform ergab sich der Direktanspruch im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherungen aus § 3 Nr. 1 PflVG a. F. Mit der VVG-Reform neu eingeführt sind hingegen die Fälle der Insolvenz des VN und des unbekannten Aufenthalts des VN. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so bleibt dem Geschädigten nur, gegen den VN einen Vollstreckungstitel zu erwirken und sich im Wege der Zwangsvollstreckung den Anspruch des VN gegen den VR überweisen zu lassen.91 Nachdem § 108 Abs. 2 nunmehr das standardmäßige Abtretungsverbot des Freistellungsanspruchs an den Dritten durch AVB untersagt, besteht nach neuer Rechtslage zudem die Möglichkeit, dass der Dritte sich den entsprechenden Anspruch vom VN abtreten lässt.92

29 a) Pflichtversicherung nach dem PflVG, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. Soweit eine Haftpflichtversicherung nach dem PflVG besteht, ist der Direktanspruch ohne weitere Voraussetzungen eröffnet, soweit der VR aus diesem Versicherungsverhältnis deckungspflichtig ist.93 Das Bestehen der Versicherungspflicht nach PflVG setzt zwar gemäß § 1 PflVG die Verwendung des Fahrzeugs auf öffentlichen Wegen oder Plätzen voraus. Darin ist jedoch – entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht94 – keine Voraussetzung für den Direktanspruch zu sehen.95 Eine solche Voraussetzung sieht § 2 Abs. 1 KfzPflVV nicht vor; vielmehr ergibt sich aus § 2 Abs. 1 KfzPflVV, dass die Deckungspflicht des VR und damit auch der Direktanspruch des Geschädigten insoweit auch auf nicht öffentlichen Wegen oder Plätzen besteht. Diesem Ergebnis widerspricht auch nicht der 87 BGH 5.12.1978 – VI ZR 233/77, VersR 1979 256, 257 f. (juris Rn. 10); OLG Koblenz 21.6.1999 – 12 U 679/98, VersR 2000 1436 (juris Rn. 26); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 12. 88 OLG Stuttgart 9.6.2006 – 13 U 21/04, NZV 2006 213 f. 89 Abram VP 2008 77; R. Koch RuS 2009 133; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 14; vgl. OLG Frankfurt/M. 27.4.2018 – 8 W 19/18, VersR 2018 810, 811 (juris Rn. 21) betr. Berufshaftpflichtversicherung eines Rechtsanwaltes. 90 OLG Frankfurt/M. 27.4.2018 – 8 W 19/18, VersR 2018 810, 811 (juris Rn. 19). 91 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 1; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 5. 92 Baumann VersR 2010 988; Thume VersR 2010 849, 850; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 14; Stiefel/Maier/ Jahnke19 § 115 Rn. 122. 93 BGH 20.10.2020 – VI ZR 158/19, VersR 2021 60, 62 (Rn. 17). 94 Stiefel/Maier/Jahnke19 § 115 Rn. 91; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 9; Burmann/Jahnke DAR 2016 313, 318; Schwab DAR 2014 196, 197. 95 BGH 20.10.2020 – VI ZR 158/19, VersR 2021 60, 62 (Rn. 17); OLG Köln 6.4.2017 – 3 U 111/15, RuS 2018 320, 322 (juris Rn. 32). Beckmann

546

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

von § 3 Nr. 1 PflVG a. F. divergierende Wortlaut des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. § 3 Abs. 1 Nr. 1 PflVG – als Vorgängervorschrift des heutigen § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – knüpfte den Direktanspruch allein an den versicherungsvertraglichen Deckungsrahmen aus der Kfz-Haftpflichtversicherung;96 der Gesetzgeber bezweckte mit der Einführung von § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 keine inhaltliche Änderung des Direktanspruchs.97 Zu Recht hat der BGH auch darauf hingewiesen,98 dass Art. 3 Abs. 1 RL 2009/10399 nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Verwendung eines Fahrzeugs“ im Sinne dieser Bestimmung nicht auf Situationen der Verwendung im Straßenverkehr, d. h. im Verkehr auf öffentlichen Straßen, beschränkt ist und jede Verwendung eines Fahrzeugs umfasst, die dessen gewöhnlicher Funktion entspricht.100 Für alle übrigen Pflichthaftpflichtversicherungen gilt, dass die Voraussetzungen des § 115 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 vorliegen müssen. Inhaltlich entspricht Nr. 1 dabei – wie bereits erwähnt – der bisherigen Rechtslage nach § 3 Nr. 1 PflVG a. F. und normiert einen Direktanspruch im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung.101 Dieser Direktanspruch wurde aufgrund des Straßburger Abkommens eingeführt und später durch weitere europarechtliche Vorgaben, namentlich der 4. und 5. KH-Richtlinie untermauert102 (vgl. bereits oben Rn. 1). Entscheidend ist, dass dieser Direktanspruch im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung – wie erwähnt – nicht von weiteren besonderen Voraussetzungen abhängt. Im Rahmen der VVG-Reform wurde die Bedeutung dieses Direktanspruchs noch einmal ausdrücklich herausgestellt. So heißt es übereinstimmend, dass sich dieser Direktanspruch bewährt habe.103 Ein Direktanspruch nach § 115 besteht auch im Falle eines Verkehrsunfalls im Inland, welcher durch ein im europäischen Ausland zugelassenes KfZ verursacht wird. Passivlegitimiert ist insoweit das Deutsche Büro Grüne Karte e. V., welches gem. §§ 2 Abs. 1 lit. b), 6 des Gesetzes über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (AuslPflVG)104 iVm § 115 VVG neben dem ausländischen Versicherer die Pflichten eines Haftpflichtversicherers übernimmt.105 § 3a Abs. 1 Nr. 1 PflVG normiert Verpflichtungen des VR gegenüber dem Geschädigten, die 31 bei der Schadensbearbeitung einzuhalten sind.106

b) Insolvenz des VN, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Ein Direktanspruch des Dritten besteht auch im 32 Zusammenhang mit der Insolvenz des VN, namentlich bei folgenden drei Varianten des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2: die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Var. 1), die Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse (Var. 2) und die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (Var. 3). Die mit der VVG-Reform 2008 aufgenommene Regelung des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 hatte im früheren VVG 1908 keine Entsprechung; inhaltlich wurde sie jedoch zumindest teilweise über

96 97 98 99

BGH 20.10.2020 – VI ZR 158/19, VersR 2021 60, 62 (Rn. 17). BTDrucks. 16/5862 S 99; BGH 20.10.2020 – VI ZR 158/19, VersR 2021 60, 62 (Rn. 17). BGH 20.10.2020 – VI ZR 158/19, VersR 2021 60, 62 (Rn. 17). RL 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl. EG 2009 L 263/11. 100 EuGH 20.6.2019 – C-100/18, VersR 2019 1008, 1011 (Rn. 35). 101 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 4; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 15; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 13. 102 Siehe Fn. 3. 103 Vgl. etwa Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrecht, KomE S. 83; BTDrucks 16/3945 S. 50. 104 Gesetz über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger vom 24.7.1956, zuletzt geändert durch Art. 496 der Zehnten Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31.8.2015, BGBl I S. 1474. 105 LG Stuttgart 17.6.2015 – 13 S 105/14, NJW-RR 2015 1436 (juris Rn. 8); BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 4. 106 Vgl. dazu im Einzelnen Bruck/Möller/R. Koch9 § 3a PflVG. 547

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

eine analoge Anwendung des § 1282 BGB in Fällen der Insolvenz des VN hergeleitet.107 Die Vorschrift soll für den Fall der Insolvenz des VN dafür sorgen, dass der Dritte zunächst einen leistungsfähigen Schuldner hat und sich weiterhin nicht mit dem Insolvenzverwalter auseinandersetzen muss, sondern seine Ansprüche unmittelbar an den VR herantragen kann.108 Obgleich die Vorschrift vom Wortlaut auf die Person des VN abstellt, greift sie auch ein, wenn die Voraussetzungen bei der mitversicherten Person erfüllt werden.109 Das Vorliegen der in Rede stehenden Tatbestände richtet sich nach den allgemeinen insol33 venzrechtlichen Bestimmungen (§§ 27, 26, 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO); es kommt auf die entsprechenden Entscheidungen des Insolvenzgerichts an.110 Demnach nicht ausreichend ist das bloße Vorliegen eines Eröffnungsgrundes i. S. d. §§ 16 bis 19 InsO.111 Unterschiedlich diskutiert wird indes die Frage, ob § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 vom Sinn und 34 Zweck her auch auf Fälle anzuwenden ist, in denen die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen zwar nicht vorliegen, sich der VN allerdings faktisch in Zahlungsschwierigkeiten befindet oder faktisch zahlungsunfähig ist. Für eine Analogiefähigkeit wird insoweit insbesondere das Interesse des Dritten,112 dagegen der prinzipiell eindeutige Wortlaut der Norm vorgebracht.113 So lässt sich sagen, dass Var. 1 (Eröffnung des Insolvenzverfahrens) und Var. 3 (Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters) kaum analogiefähig sein dürften. Am ehesten kommt Var. 2 (Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse) für eine Analogiefähigkeit in Betracht. Soweit der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit des VN gem. § 17 InsO vorliegt, ließe sich auf den ersten Blick argumentieren, dass es Förmelei sei, wenn das Vorliegen einer der Tatbestände des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 abgewartet würde. Hierfür spricht auch, dass es dem Dritten nicht unbedingt zugemutet werden kann, einen Insolvenzantrag nach § 14 InsO zu stellen, da nicht hinreichend geklärt ist, ob der Gläubiger/Antragsteller bei Abweisung der Insolvenz mangels Masse die entstandenen Verfahrenskosten tragen muss.114 Richtigerweise sollte ein Abweisen mangels Masse jedoch als vollständiges Obsiegen des Gläubigers gesehen werden, mit der Folge, dass der Schuldner die Verfahrenskosten zu tragen hat115 (indes bleibt der Gläubiger Zweitkostenschuldner im Hinblick auf einige der Kosten).116 Die gerichtliche Entscheidung bietet auch ein klares Abgrenzungskriterium und ist somit der Rechtssicherheit zuträglich.117 Vor diesem Hintergrund lässt sich durchaus argumentieren, dass der Gläubiger durch Stellen eines Insolvenzantrages die Möglichkeit hat, eine Situation des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 herzustellen und es deshalb einer Analogie nicht bedarf. Im Zusammenhang mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 darf das Urteil des OLG Köln vom 11.5.2021,118 dem praktische Bedeutung zukommt, nicht unerwähnt bleiben. Danach muss die Voraussetzung nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen oder jedenfalls während des Rechtsstreits eintreten. Das Gericht geht davon aus, dass anspruchsbegründend i. S. v. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 nur solche Abweisungsentscheidungen des Insolvenzgerichts sind, denen eine – zumindest noch irgendwie geartete – rechtliche Wirkung zukomme. Eine andere Betrachtung überspanne die Zielsetzung des Gesetzgebers, dem geschädigten Dritten einen verhandlungs- und zahlungsbereiten, 107 BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223 (juris Rn. 12, 19); KG 17.1.2006– 6 U 275/04, VersR 2007 349, 350 (juris Rn. 18); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 10. 108 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 14; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 16. 109 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 16. 110 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 16. 111 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 10; Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 115 Rn. 6. 112 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 177; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 16. 113 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 12; Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 115 Rn. 6; Armbrüster RuS 2010 453 f. 114 Für eine Kostentragung durch den Antragsteller OLG Köln 14.4.2000– 2 W 65/00, NZI 2000 374 (juris Rn. 16); LG Münster 6.1.2000 – 5 T 1201/99, NZI 2000 383. 115 LG Berlin 1.3.2001 – 86 T 875/99, ZInsO 2001 269; LG München I 26.10.2001– 14 T 18429/01, ZInsO 2002 42. 116 Uhlenbruck InsO 15. Aufl. 2019 § 26 Rn. 38 ff. 117 Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 115 Rn. 6. 118 OLG Köln 11.5.2021 – 9 U 145/20, RuS 2021 511. Beckmann

548

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

weitgehend insolvenzsicheren, Schuldner an die Hand zu geben.119 Die Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse entfalte eine zeitlich befristete rechtliche Nachwirkung. Diese sah das Gericht bei der Abweisung des Insolvenzantrags vom 13.12.2012 und der Klageerhebung im Dezember 2018 (wegen einer etwaigen Pflichtverletzung eines im Jahre 2010 geschlossenen Architektenvertrags) indes als nicht gegeben an. In der Literatur ist dies jedenfalls im Ergebnis auf Zustimmung gestoßen.120 Es komme – anders als das Gericht meint – aber nicht entscheidend darauf an, ob die Abweisung der Insolvenzeröffnung mangels Masse nachträglich noch eine rechtliche Wirkung entfalte; vielmehr scheitere der Direktanspruch daran, dass der Schadensersatzanspruch des Dritten zeitgleich mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 bestehen müsse.121 Dieser Argumentation ist für den hier entschiedenen Fall indes entgegenzuhalten, dass eine etwaige Schadensersatzpflicht der VN im Zeitpunkt der Abweisung des Eröffungsantrags zumindest dem Grunde nach offenbar bereits bestand. Auch wenn der Direktanspruch akzessorisch ist,122 steht dies allein einer zeitlichen Nachwirkung der Ablehnungsentscheidung nicht entgegen. Wenn kurz nach Ablehnung des Eröffnungsantrags der Haftpflichtanspruch entsteht, kann zweifelsohne der Sinn des Direktanspruchs von § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 eingreifen. Es ist deshalb auch der Begründung des OLG Köln zuzustimmen und eine Nachwirkung der Ablehnungsentscheidung anzunehmen. Mehr Schwierigkeiten bereitet die Festellung, bis zu welchem Zeitpunkt eine Nachwirkung der Ablehnungsentscheidung angenommen werden kann. Eine Nachwirkung endet jedenfalls dann, wenn der Zweck des Direktanspruchs gegen den VR nicht mehr besteht. Im Hinblick auf die Dauer der Nachwirkung zieht das Gericht eine Parallele zu der in § 882e Abs. 1 ZPO zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung und nimmt damit grundsätzlich einen Nachwirkungszeitraum von drei Jahren an, betont jedoch zu Recht gleichzeitig, dass von einer starren Dreiajhresfrist mit anspruchsvernichtender Wirkung nicht ausgegangen werden könne.123 Um dieser damit letztlich verbleibenden Unsicherheit entgegenzuwirken, erscheint eine Orientierung an der Frist dergestalt möglich, dem VR mit deren Ablauf, entgegen der grundsätzlichen Beweislastverteilung,124 den Beweis aufzubürden, dass die Umstände, die den Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 rechtfertigen, nicht mehr vorliegen. Je länger die Dreijahresfrist abgelaufen ist, desto mehr könnten die Anforderungen an eine solche Beweislast gesenkt werden. Auf diese Weise käme der Dreijahresfrist Bedeutung zu, ohne dabei die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls außer Acht lassen zu müssen (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt auch Rn. 36).

c) Unbekannter Aufenthalt des VN, Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. Ein Direktanspruch steht dem Ge- 35 schädigten nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 schließlich auch dann zu, wenn der Aufenthaltsort des VN unbekannt ist. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte in Gesetz und Gesetzesbegründung ist, aufgrund der Einheit der Rechtsordnung, davon auszugehen, dass sich die Unkenntnis hinsichtlich des Aufenthaltsortes des VN weitgehend analog § 185 ZPO bestimmt.125 Nicht ausreichend ist daher, dass der Aufenthaltsort dem Dritten subjektiv unbekannt ist, vielmehr muss der Aufenthaltsort des VN allgemein bzw. objektiv unbekannt sein. Dem steht nicht entgegen, wenn der Aufenthaltsort einzelnen Personen bekannt ist.126 Vom Geschädigten sind gewisse Nachforschungen zu erwarten, etwa eine Nachfrage beim zuständigen Einwohnermelde119 120 121 122 123 124 125

OLG Köln 11.5.2021 – 9 U 145/20, RuS 2021 511, 512 (juris Rn. 22 f.). Schimikowski jurisPR-VersR 9/2021 Anm. 5; Fortmann RuS 2021 513. Fortmann RuS 2021 513. Schimikowski jurisPR-VersR 9/2021 Anm. 5; vgl. auch oben Rn. 23. OLG Köln 11.5.2021 – 9 U 145/20, RuS 2021 511, 512 f. (juris Rn. 27). Vgl. Rn. 87 f. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 11; Marlow/Spuhl4 Rn. 638; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 17; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 13. 126 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 17 m. w. N. 549

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

und Postamt.127 Anders als im Rahmen des § 185 ZPO, der aufgrund seiner weitreichenden Konsequenzen für den Betroffenen auch eine Nachforschungspflicht am letzten bekannten Aufenthaltsort des Untergetauchten mit sich bringt, können vergleichbare Anstrengungen im Rahmen des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 nicht verlangt werden. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bezweckt nämlich nicht den Schutz des VN, sondern den Schutz des Geschädigten.128

36 d) Maßgeblicher Zeitpunkt im Hinblick auf die Tatbestände der Nr. 2 und 3. Insbesondere im Rahmen der Tatbestände der Nr. 2 und 3 ist fraglich, zu welchem Zeitpunkt die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen müssen. So ist es generell ohne weiteres möglich, dass während eines laufenden Gerichtsverfahrens ein Insolvenzverfahren abgeschlossen wird bzw. ein Aufenthaltsort des VN wieder bekannt wird. Folgt man den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen, so entfiele in einem solchen Falle die Passivlegitimation des VR und dem Dritten bliebe in diesen Fällen nichts anderes übrig, als die Klage auf den VN zu erweitern und gegenüber dem VR für erledigt zu erklären.129 Insbesondere im Hinblick auf die Alternative der Nr. 3 scheint ein solches Ergebnis für den Dritten jedoch unbefriedigend. Armbrüster vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, bei § 115 handele es sich um eine verfahrensrechtliche Ermächtigung zur Geltendmachung eines fremden Anspruchs. Auch dies spreche dafür, für die Voraussetzungen des Direktanspruchs allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen.130 Auch wenn die wohl überwiegende Meinung § 115 Abs. 1 als einen gesetzlichen Schuldbeitritt ansieht (siehe oben Rn. 8), erscheint das Ergebnis dieser Sichtweise vorzugswürdig. Die Vorschrift schützt den geschädigten Dritten; es wäre für ihn eine kaum zumutbare Unsicherheit, wenn im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 tatsächlich auf den Zeitpunkt des Endes der mündlichen Verhandlung abgestellt würde.131 Folgerichtig ist es ausreichend, wenn die Voraussetzungen jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorgelegen haben.132 Unschädlich ist es auch, wenn die Voraussetzungen zu einem Zeitpunkt nach Klageerhebung eingetreten sind – allerdings besteht in diesen Fällen für den VR die Möglichkeit des sofortigen Anerkenntnisses mit der Kostenfolge des § 93 ZPO.133

37 e) Kombinierte Versicherungen. Ist eine Pflichthaftpflichtversicherung mit einer freiwilligen Haftpflichtversicherung kombiniert, so findet der Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 allein auf die Pflichthaftpflichtversicherung Anwendung. So hat das OLG Düsseldorf eine Erstreckung des Direktanspruches insoweit abgelehnt, als neben der Pflichthaftpflichtversicherung eine weitere Versicherung abgeschlossen wurde, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausging (konkret ging es um ein Nebeneinander von Versicherungsschutz nach § 7a GüKG als auch im Rahmen eines CMR-Vertrages, wobei beide in einem einheitlichen Versicherungsvertrag eingeräumt wurden). Begründet wird dies damit, dass der Gesetzgeber „außerhalb der Pflichtversicherung keinen Anlass sah, einen Direktanspruch des Geschädigten zu statuieren, weil eine nicht obligatorische Haftpflichtversicherung vom VN ausschließlich deshalb abgeschlossen wird, um sein eigenes Vermögen für den Fall zu schützen, dass Schadensersatzansprüche an ihn gerichtet werden.“134 Derartige Fragen stellen sich insbesondere, wenn der VN den eigentlichen Kernbereich der pflicht127 128 129 130 131 132

BGH 14.2.2003 – IXa ZB 56/03, NJW 2003 1530, 1530 f. (Rn. 6). Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 17. In diesem Sinne Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 11. Armbrüster RuS 2010 441, 454. Armbrüster RuS 2010 441, 454; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 18. BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 21; Schneider RuS 2015 477, 482; Prölss/Martin/Knappmann31 § 115 Rn. 14; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 18. 133 BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 21. 134 OLG Düsseldorf 18.12.2013 − I-18 U 126/13, RdTW 2016 97 (juris Rn. 34 ff.). Beckmann

550

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

versicherten Tätigkeit überschreitet und ggf. weitere Versicherungen abschließt (so z. B. der Rechtsanwalt, der als Insolvenzverwalter tätitg wird).135 In derartigen Fällen ist stets anhand des konkreten Einzelfalls zu prüfen, ob es sich um unselbstständige Ergänzungen der bestehenden Pflichtversicherung oder um eine eigenständige Haftpflichtversicherung handelt.

II. Inhalt und Umfang des Direktanspruchs 1. Schadensersatz in Geld, Abs. 1 Satz 3 § 115 Abs. 1 Satz 3, der inhaltlich der Norm des § 3 Nr. 1 Satz 2 PflVG a. F. entspricht,136 ordnet 38 an, dass der VR einen bestehenden Direktanspruch in Geld zu erfüllen hat. Die Vorschrift modifiziert insoweit die allgemeine schadensrechtliche Regelung des § 249 Abs. 1 BGB, wonach der Geschädigte prinzipiell Naturalrestitution verlangen kann.137 Der Anspruch des Geschädigten aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen, wird durch diese Regelung nicht verkürzt.138 Dem Dritten ist es mithin möglich, im Rahmen einer Kfz-Haftpflichtversicherung vollen Ersatz seines Schadens gegen Herausgabe des beschädigten Kfz zu verlangen.139 Die Regelung des § 115 Abs. 1 Satz 3 bezieht sich ausschließlich auf den Direktanspruch 39 des Dritten gegen den VR. Im Verhältnis zum VN ist es ihm hingegen unbenommen, Naturalrestitution i. S. d. § 249 Abs. 1 BGB zu fordern.140 Eine Besonderheit ergibt sich insoweit bei Fahrzeughaltern, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 1–5 PflVG von der Versicherungspflicht befreit sind. Soweit diese als Schädiger und nicht als sog. „Quasi-Versicherer“ i. S. d. § 2 Abs. 2 PflVG in Anspruch genommen werden, besteht auch hier die Möglichkeit, Naturalrestitution zu fordern.141

2. Umfang der Leistungspflicht, Abs. 1 Satz 2 a) Akzessorietät des Direktanspruchs/Begrenzung durch den Schadensersatzan- 40 spruch. Unabhängig von der Regelung des § 115 Abs. 1 Satz 2 ist der Direktanspruch gegen den VR – wie bereits an anderer Stelle zum Ausdruck gekommen – akzessorisch und hängt vom Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gegen den VN bzw. gegen die versicherte Person ab (vgl. bereits oben Rn. 23). Besteht ein solcher nicht, kann der Geschädigte auch keinen Direktanspruch gegenüber dem VR geltend machen. Auch der Umfang des Direktanspruchs gegen den VR hängt vom Umfang des Schadensersatzanspruchs gegen den VN bzw. gegen die versicherte Person ab; der Direktanspruch kann nicht über den Schadensersatzanspruch hinausgehen.142 Der Höhe nach ist der Direktanspruch durch die Höhe des Anspruchs gegen den VN also begrenzt.143 Insbesondere kann der VR sich auf sämtliche Einreden und Einwendungen berufen,

135 Zum Kernbereich der versicherten rechtsanwaltlichen Tätigkeit („Klassische Tätigkeit“) BGH 18.3.2020 – IV ZR 43/19, NJW 2020 2962.

136 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 16. 137 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 19. 138 BGH 14.6.1983 – VI ZR 213/81, VersR 1983 758, 759 (juris Rn. 14) (noch betr. § 3 Nr. 1 Satz 2 PflVG a. F. und § 249 Satz 2 BGB in der bis 31.7.2002 geltenden Fassung).

139 BGH 14.6.1983 – VI ZR 213/81, VersR 1983 758, 759 (juris Rn. 14); Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 16; Langheid/ Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 19.

140 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 20; dem zustimmend BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 23. 141 OLG Koblenz 23.12.1991 – 12 U 1301/90 (juris, Orientierungssatz); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 20. 142 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 21; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 12. 143 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 12. 551

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

die dem VN gegen den Geschädigten zustehen;144 zu etwaigen Gründen der Begrenzung des Schadensersatzanspruchs des geschädigten Dritten vgl. noch Rn. 41 ff.).

41 b) Begrenzung der Leistungspflicht gem. Abs. 1 Satz 2. Umgekehrt kann der Direktanspruch vom Umfang hinter dem Schadensersatzanspruch zurückbleiben.145 Dies ergibt sich aus § 115 Abs. 1 Satz 2; diese Regelung übernimmt damit inhaltlich und auch nahezu wörtlich die Vorschrift der § 3 Nr. 1 und Nr. 3 PflVG a. F.146 Gem. § 115 Abs. 1 Satz 2 besteht der Anspruch im Rahmen der Leistungspflicht des VR aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen des § 117 Abs. 1 bis 4. § 115 Abs. 1 Satz 2 unterscheidet zwei Fälle. Im ersten Fall besteht eine Leistungspflicht des 42 VR gegenüber dem VN; man spricht vom „gesunden“ Versicherungsverhältnis.147 In diesem Falle besteht der Direktanspruch des Dritten im Rahmen der Leistungspflicht des VR gegenüber dem VN, d. h. der Direktanspruch des geschädigten Dritten gegen den VR wird begrenzt durch die Leistungspflicht des VR gegenüber dem VN, insbesondere durch die Versicherungssumme (§ 115 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt.; dazu sogleich Rn. 43). Im zweiten Fall des § 115 Abs. 1 Satz 2 („soweit eine Leistungspflicht nicht besteht“) besteht keine bzw. nur eine eingeschränkte Leistungspflicht des VR gegenüber dem VN (z. B. infolge einer Obliegenheitsverletzung durch den VN); man spricht vom „kranken“ bzw. „gestörten“ Versicherungsverhältnis.148 In diesem Falle besteht gleichwohl ein Anspruch des Dritten gegen den VR und zwar im Rahmen des § 117 Abs. 1–4 (vgl. § 115 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt.; dazu unter Rn. 44); im Rahmen der Haftung des VR gem. § 117 Abs. 1, 2 ist zu beachten, dass der VR den VN unter Umständen auf andere Ersatzmöglichkeiten verweisen kann und deshalb eine Haftung des VR ausscheidet (vgl. § 117 Abs. 3, 4 und Kommentierung zu § 117). 43 Gem. § 115 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. haftet der VR gegenüber dem Dritten „im Rahmen der Leistungspflicht des VR aus dem Versicherungsverhältnis“ gegenüber dem VN. Durch diese Bezugnahme auf den versicherungsvertraglichen Deckungsrahmen soll verhindert werden, dass der (selbst nicht schadensersatzpflichtige) VR mit einer Leistungspflicht belastet wird, die den Rahmen des versicherungsvertraglich übernommenen Risikos überschreitet.149 Insbesondere ist es damit möglich, dass der Direktanspruch seiner Höhe nach hinter dem gegen den VN gerichteten Schadensersatzanspruch zurückbleibt.150 Zu beachten ist hierbei, ob die den Schadensersatz begründende Pflichtverletzung durch den VN überhaupt vom versicherten Bereich erfasst wird; dies kann insbesondere fraglich sein, wenn eine Tätigkeit nicht mehr dem Kernbereich der versicherten Tätigkeit unterfällt. Ist der versicherte Kernbereich nicht tangiert, besteht bereits dem Grunde nach kein Anspruch gegen den VR151 (vgl. sogleich noch Rn. 45). Die Höhe, in welcher der VR einzutreten hat, bestimmt sich dabei anhand des zwischen ihm und dem VN bestehenden Versicherungsvertrages.152 Soweit die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestversicherungssummen eingehalten sind, steht es den Parteien nämlich grundsätzlich frei, eine Obergrenze – sowohl für den einzelnen Haftungsfall, als auch für das entsprechende Versicherungsjahr – zu vereinbaren; eine solche vereinbarte Versicherungssumme findet sich in aller Regel auch. Weichen die Beträge hierbei jedoch nach oben von den gesetzlichen Mindestsummen ab, so kann OLG Celle 25.9.2018 – 14 W 34/18, RuS 2019 544 (juris Rn. 4); Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 9. Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 21; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 13. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 7. Vgl. etwa Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 21. Vgl. etwa Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 21. BGH 16.9.1986 – VI ZR 151/85, VersR 1986 1231, 1233 (juris Rn. 30); BGH 19.9.1989 – VI ZR 301/88, VersR 1989 1187 (juris Rn. 6). 150 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 21; Prölss/Martin/Knappmann28 § 115 Rn. 21; Stiefel/Maier/Jahnke19 § 115 Rn. 146. 151 Vgl. etwa zum Fall der Anlageberatung durch einen Versicherungsvermittler OLG Köln 24.7.2015 – 20 U 44/15, VersR 2016 322. 152 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 7.

144 145 146 147 148 149

Beckmann

552

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

sich der VR im Außenverhältnis auch nicht auf eine Begrenzung durch die Mindestversicherungssummen berufen;153 vielmehr gilt auch im Außenverhältnis gegenüber dem Dritten die vertraglich vereinbarte Deckungssumme. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 115 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt („im Rahmen der Leistungspflicht des VR aus dem Versicherungsverhältnis“); aber auch § 113 Abs. 3 lässt sich hierfür ins Feld führen. Dem Grunde nach besteht ein Direktanspruch auch dann, wenn das Versicherungsverhält- 44 nis zwischen VN und VR gestört ist („krankes“ oder „gestörtes“ Versicherungsverhältnis); hiermit ist gemeint, dass der VR im Innenverhältnis nicht zur Leistung an den VN verpflichtet ist. In diesem Falle richtet sich die Haftung des VR nach § 115 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. i. V. m. § 117 Abs. 1–4. Dabei geht es insbesondere um Fälle, in denen der VR im Innenverhältnis aufgrund einer Obliegenheitsverletzung (teilweise) leistungsfrei ist. Im Vergleich zur Haftung des VR beim „intakten“ Versicherungsverhältnis gem. § 115 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. ist diese Haftung des VR beim „gestörten“ Versicherungsverhältnis nach § 115 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. i. V. m. § 117 Abs. 1–4 eingeschränkt. So ist der VR in diesen Fällen gem. § 117 Abs. 3 Satz 1 lediglich im Rahmen der gesetzlichen Mindestversicherungssummen verpflichtet. Zudem wird der Geschädigte in diesen Fällen gem. § 117 Abs. 3 Satz 2 zunächst auf andere Ersatzmöglichkeiten verwiesen (sog. „Verweisungsprivileg“);154 vgl. im Übrigen die Kommentierung zu § 117. Ein Direktanspruch – sei es unmittelbar über § 115 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt., sei es über § 115 45 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. i. V. m. § 117 Abs. 1–4 – besteht – wie schon zum Ausdruck gebracht (Rn. 43) – ohnehin nur dann, wenn der VR im Versicherungsvertrag eine entsprechende Deckung zugesagt hat.155 Dies folgt zum einen aus § 115 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. („im Rahmen der Leistungspflicht des VR“), aber auch beim Direktanspruch im Rahmen eines „gestörten“ Versicherungsverhältnis gem. § 115 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. i. V. m. § 117 haftet der VR „nur im Rahmen … der von ihm übernommenen Gefahr“ (§ 117 Abs. 3). Das bedeutet, dass der Direktanspruch (sei es unmittelbar im Rahmen von § 115, sei es über § 117) solche Schadensersatzansprüche des Dritten nicht erfasst, die von vorneherein nicht zum versicherten Risiko gehören und von denen der VR den VN schon nicht bei „einem intakten“/ „gesunden“ Versicherungsverhältnis freistellen müsste.156 Bereits dem Grunde nach besteht keine Einstandspflicht für den VR bei Eingreifen von Risikoausschlüssen. Soweit Risikoausschlüsse eingreifen, liegt von vorneherein kein versichertes Risiko vor.157 Bei Eingreifen eines gesetzlichen oder vertraglichen bzw. eines objektiven wie eines subjektiven Risikoausschlusses kommt ein Direktanspruch demnach von vorneherein nicht in Betracht. Besondere Bedeutung hat dies insbesondere im Hinblick auf die Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher und widerrechtlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles gem. § 103, bei dem es sich um einen subjektiven Risikoausschluss handelt.158 In diesem Falle besteht demnach kein Direktanspruch, weder unmittelbar gem. § 115 Abs. 1 noch über § 117. Für die Kfz-Haftpflichtversicherung ist indes zu beachten, dass gem. § 12 Abs. 1 Nr. 3 PflVG ein Ersatzanspruch gegen den „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ (Entschädigungsfonds) in Betracht kommt. Nach heute h. M. handelt es sich auch bei der sog. Pflichtwidrigkeitsklausel, die sich in Berufshaftpflichtversicherungen findet, um einen vertraglichen subjektiven Risikoausschluss, dessen Eingreifen einem Direktanspruch damit entgegensteht.159 Im Rahmen von vertraglichen Risikoausschlüssen ist im Einzelfall eine Abgrenzung zu Obliegenheiten vorzunehmen. Risikoausschlüsse schlagen auf das Außenverhältnis durch; 153 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 21; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 10. 154 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 21. 155 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 115 Rn. 25; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 22; BeckOK-VVG/ Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 24. 156 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 22. 157 Bruck/Möller/Heiss10 § 28 Rn. 20; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 13 f. 158 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 15; Bruck/Möller/R. Koch10 § 103 Rn. 13 m. w. N. 159 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 22; zweifelnd Schimikowski2 Versicherungsvertragsrecht Rn. 272; zur Pflichtwidrigkeitsklausel insbesondere Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 26 Rn. 241 ff., 312 ff. 553

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

bei Verletzung einer Obliegenheit liegt lediglich ein „gestörtes“ Versicherungsverhältnis mit der Folge vor, dass ein Direktanspruch in den Grenzen des § 117 grundsätzlich besteht.160 Es versteht sich, dass die geschilderten Rechtsfolgen nur eintreten können, wenn der entsprechende (vertragliche) Risikoausschluss auch wirksam ist, insbesondere einer AGB-Kontrolle standhält. 46 Besteht aufgrund eines wirksamen Risikoausschlusses kein Direktanspruch, so kann sich der Geschädigte nur an den VN halten; auch § 117 Abs. 1 greift nicht zugunsten des Geschädigten ein (vgl. § 117 Rn. 12). Gleiches gilt selbstverständlich, wenn überhaupt kein Versicherungsschutz besteht (vgl. bereits oben Rn. 45). Für die Kfz-Haftpflichtversicherung ist zu beachten, dass insbesondere bei Eingreifen des Risikoausschlusses gem. § 103 bzw. bei Nichtbestehen des an sich obligatorischen Versicherungsschutzes gem. § 12 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Nr. 2 PflVG aber ein Ersatzanspruch gegen den „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ (Entschädigungsfonds) in Betracht kommt. 47 Wie ausgeführt besteht ein Direktanspruch nur dann, wenn eine entsprechende Leistungspflicht des VR aus dem Versicherungsverhältnis besteht. Darüber hinausgehend hat die Rechtsprechung unter Geltung der früheren Rechtslage dem bei einem Verkehrsunfall Geschädigten auch dann einen Direktanspruch nach § 3 Nr. 1 PflVG a. F. gegen den HaftpflichtVR des Schädigers zugestanden, wenn zwischen letzterem und seinem VR zwar keine Vereinbarung über einen Versicherungsschutz auch für den konkreten Unfallort getroffen worden ist, der Versicherer insoweit aber wegen fehlerhafter oder pflichtwidrig unterlassener Aufklärung gegenüber seinem Versicherungsnehmer eine Einstandspflicht aus gewohnheitsrechtlicher Vertrauenshaftung,161 culpa in contrahendo oder positiver Vertragsverletzung hat.162 Aufgrund der Tatsache, dass sich insbesondere ein möglicher Schadensersatzanspruch nach der VVG-Reform nun aus § 6 Abs. 5 ergeben kann, dürfte sich an dieser Rechtslage nichts geändert haben. Auch in diesem Falle wird man eine Leistungspflicht des VR „aus dem Versicherungsverhältnis“ annehmen können.163 Selbst wenn man den Anspruch aus § 6 Abs. 5 als einen gesetzlichen Schadensersatzanspruch ansieht, lässt er sich auch dem Versicherungsverhältnis zuordnen. Darüber hinaus lässt sich kaum annehmen, dass durch Einführung des § 6 Abs. 5 die Rechtslage des VN verschlechtert werden sollte. Vor diesem Hintergrund lässt sich die zu § 3 Nr. 1 PflVG a. F. ergangene Rechtsprechung auf § 115 Abs. 1 übertragen.

3. Gesamtschuldner, Abs. 1 Satz 4 48 § 115 Abs. 1 Satz 4 bestimmt, dass VN und VR dem Dritten als Gesamtschuldner haften. Über den Wortlaut hinaus gilt diese Regelung des § 115 auch im Hinblick auf eine mitversicherte Person.164 Das Gesamtschuldverhältnis bezieht sich auf den Umfang, in dem der VR gem. § 115 Abs. 1 Satz 2 gegenüber dem geschädigten Dritten haftet. Dabei ist unerheblich, ob der VR unmittelbar gem. § 115 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. oder gem. § 115 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. i. V. m. § 117 Abs. 1– 4 haftet (dazu oben Rn. 42). Über den Umfang der sich hieraus ergebenden Haftung des VR hinaus kann dementsprechend kein Gesamtschuldverhältnis bestehen. 160 Zur Abgrenzung zwischen Risikoausschluss und Obliegenheit Bruck/Möller/Heiss10 § 28 Rn. 20 ff.; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 13 ff.; Wandt6 Rn. 570 ff. 161 Auch als Erfüllungshaftung bezeichnet (vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Rixecker3 § 18a Rn. 63); unterschiedlich wird die Fortgeltung der Vertrauens- bzw. Erfüllungshaftung nach der VVG-Reform beurteilt (gegen Fortgeltung Rixecker a. a. O.; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 6 Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff3 § 5 Rn. 157 ff.; a. A. OLG Frankfurt 19.5.2011 – 7 U 67/08, VersR 2012 342, 343 (juris Rn. 39); ebenso auch Bruck/Möller/Schwintowski10 § 6 Rn. 9 ff. 162 BGH 4.7.1989 – VI ZR 217/88, BGHZ 108 200, 206 = VersR 1989 948, 949 (juris Rn. 14). 163 Wohl auch Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 23. 164 Saarländisches OLG 14.11.2001– 5 U 267/01, VersR 2002 1415 (juris Rn. 9 noch zu § 3 Nr. 2 PflVG a. F.); Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 18; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 24; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 16. Beckmann

554

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

Grundsätzlich finden auf das Gesamtschuldverhältnis zwischen VN und VR die allgemeinen Vorschriften der §§ 421 ff. BGB Anwendung.165 Diese werden jedoch durch einzelne Regelungen in den §§ 113 ff. modifiziert. So finden sich in § 115 selbst vorrangige Regelungen: § 115 Abs. 1 Satz 3 bestimmt, dass der VR Schadensersatz nur in Geld zu leisten hat. § 115 Abs. 2 enthält eine spezielle Regelung hinsichtlich der Verjährung. Des Weiteren enthält § 116 Abs. 1 eine vorrangige Regelung hinsichtlich § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB für den Innenausgleich. § 124 wiederum normiert entgegen § 425 Abs. 2 BGB eine Drittwirkung bestimmter rechtskräftiger Entscheidungen.166 Nicht ganz einheitlich beurteilt wird die Reichweite eines Verzichts des Dritten gegenüber dem VN. Gem. § 423 BGB wirkt ein zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarter Erlass auch für die übrigen Schuldner, wenn die Vertragschließenden das ganze Schuldverhältnis aufheben wollten. Letzteres wird man bei Bestehen eines Direktanspruchs gegen einen HaftpflichtVR vielfach wohl nicht annehmen können.167 Aufgrund der Akzessorietät des Direktanspruchs (dazu oben Rn. 23, 40) geht die wohl h. M. indes davon aus, dass ein Verzicht auch auf den Direktanspruch durchschlägt.168 Etwas anderes kann aber durchaus gelten, wenn der Dritte nur insoweit auf seinen Anspruch verzichtet, als kein Versicherungsschutz des VN besteht und diese Beschränkung des Verzichts objektiv erkennbar ist.169 Liegt ein Fall der Mehrfachversicherung vor, so z. B. wenn ein VN zwei Berufshaftpflichtversicherungen abgeschlossen hat, so haften beide VR gegenüber dem Dritten als Gesamtschuldner. Das Innenverhältnis zwischen den VR bestimmt sich hingegen nach § 78, soweit beide Versicherungsverhältnisse „intakt“ sind.170 Handelt es sich um „gestörte“ Versicherungsverhältnisse und steht eine Haftung nach § 115 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. i. V. m. § 117 Abs. 1–4 im Raum, ist die Vorschrift des § 78 analog anzuwenden;171 im Hinblick auf in diesem Falle bestehende Ausgleichsansprüche gegenüber dem VN findet die Vorschrift des § 116 Abs. 1 Satz 2 Anwendung, wobei die beiden VR gem. § 428 BGB Gesamtgläubiger sind.172 Ist nur eines von beiden Versicherungsverhältnissen gestört, so ist der VR, dessen Vertragsverhältnis intakt ist, im Innenverhältnis allein einstandspflichtig.173 Problematisch ist die Stellung als Gesamtschuldner im Außenverhältnis bei mehreren Schädigern, insbesondere wenn ein Schädiger haftpflichtversichert ist, der andere Schädiger hingegen nicht. Zwischen dem haftpflichtversicherten Schädiger und seinem HaftpflichtVR besteht gem. § 115 Abs. 1 Satz 4 eine Gesamtschuldnerschaft. Andere Haftpflichtige außerhalb des Versicherungsverhältnisses nehmen an diesem Gesamtschuldverhältnis jedoch nicht teil.174 Dies wird aus der mangelnden Gleichstufigkeit der entsprechenden Verpflichtungen geschlossen.175 Eine andere Situation ist indes gegeben, wenn z. B. beide Schädiger haftpflichtversichert sind. In diesen Fällen besteht zwischen den beteiligten Haftpflichtversicherern ein Gesamt165 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 180; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 17; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 25; Prölss/Martin/Knappmann31 § 115 Rn. 19; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 16. 166 Zum Vorstehenden vgl. auch Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 25. 167 Ebenso Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 26. 168 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 17; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 26; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 20; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 20. 169 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 20; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 20. 170 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 22; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 18. 171 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 22; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 18. 172 RG 4.4.1927 – IV 608/26, RGZ 117 5; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 22; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 18. 173 Mit Beispiel Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 22. 174 Vgl. BGH 5.2.1992 – IV ZR 340/90, BGHZ 117 151, 158 = VersR 1992 485, 486 f. (juris Rn. 27); BGH 28.11.2006 – VI ZR 136/05, VersR 2007 198, 199 Rn. 16; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 24; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 18; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 18; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 27; a.A. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 19. 175 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 18. 555

Beckmann

49

50

51

52

53

§ 115 VVG

Direktanspruch

schuldverhältnis, so dass Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis entstehen können;176das Innenverhältnis richtet sich nach dem Maß der jeweiligen Verantwortlichkeit der VN.177 In entsprechenden Konstellationen kann sich die Problematik stellen, dass die Haftung eines Schädigers gegenüber dem Verletzten beschränkt oder ausgeschlossen ist (z. B. § 105 SGB X). Ob in diesen Fällen nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld eine Kürzung des Direktanspruchs gegen den VR zu erfolgen hat, wird unterschiedlich beurteilt, aber überwiegend bejaht.178 Diskutiert wird im Schrifttum darüber, ob die Stellung von VN und VR als Gesamtschuldner 54 zu einer Aufhebung bzw. Durchbrechung des Trennungsprinzips führe. Dies wird insoweit bejaht, als in dem Rechtsstreit des Geschädigten gegen den VR über den Haftpflichtanspruch gegen den VN und/oder einen Mitversicherten und gleichzeitig über die Einstandspflicht des HaftpflichtVR (aber nur im Verhältnis zum Geschädigten) und deren Grenzen entschieden werde.179 Dem wird entgegengehalten, die Gesamtschuldnerschaft beziehe sich nur auf die deliktsrechtlichen Ansprüche des geschädigten Dritten, ohne dass hier gleichzeitig auch das Innenverhältnis zwischen VN bzw. Versichertem und HaftpflichtVR entschieden werde.180 Der erstgenannten Auffassung ist zuzugeben, dass es für die Einstandspflicht des VR gegenüber dem Geschädigten (z. B. im Hinblick auf die Anspruchshöhe im Falle des Eingreifens des § 117 Abs. 1–4; dazu oben Rn. 44 f.) sehr wohl auf das Versicherungsverhältnis zwischen VR und VN ankommt. Allerdings erscheint es in der Tat diskussionswürdig, hierin eine Aufhebung des Trennungsprinzips zu erblicken (zum Begriff vgl. Vorbemerkung zu §§ 100–112 Rn. 106 ff.).

III. Wirkung der Leistung des Versicherers 55 Leistet der VR an den Dritten Schadensersatz aufgrund eines Direktanspruchs, so erfüllt er hiermit vielfältige Verpflichtungen. Neben seiner eigenen Leistungspflicht aus § 115 erfüllt er auch die Leistungspflicht des VN/Versicherten gegenüber dem Dritten.181 Soweit es sich um ein intaktes Versicherungsverhältnis handelt, stellt eine Zahlung durch den VR auch eine Erfüllung seiner Pflicht aus dem Versicherungsverhältnis gegenüber dem VN dar.182 Mit Leistung gehen dabei etwaige Ersatzansprüche des VN gegen sonstige Beteiligte gem. § 86 auf den VR über.183 Daneben steht dem VR auch gem. § 111 ein Kündigungsanspruch zu. Für den Fall eines gestörten Versicherungsverhältnisses bestimmen sich die Rechtsfolgen für den VR hingegen aus § 116.

IV. Verjährung, Abs. 2 56 In § 115 Abs. 2 finden sich Regelungen zur Verjährung des Direktanspruchs des geschädigten Dritten gegen den VR. Auf den versicherungsrechtlichen Deckungsanspruch des VN gegen den VR finden die Regelungen des § 115 Abs. 2 ebenso wenig Anwendung wie auf den materiellen Schadensersatzanspruch des geschädigten Dritten gegen den VN. Lediglich die Regelung des

176 BGH 17.10.2017 – VI ZR 423/16, VersR 2018 120, 121 (Rn. 10); BGH 13.6.1978 – VI ZR 166/76, VersR 1978 843, 844 f. (juris Rn. 32); OLG Hamm 24.11.2008 – 6 U 105/08, VersR 2009 652, 653 (zumindest analoge Anwendung der Regeln über den Gesamtschuldnerausgleich, juris Rn. 23); Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 21; Langheid/Rixecker/ Langheid6 § 115 Rn. 18; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 24. 177 OLG Hamm 24.11.2008 – 6 U 105/08, VersR 2009 652, 653 (juris Rn. 24); OLG München 15.12.1999 – 7 U 4486/ 99, VersR 2002 1289 (juris Rn. 4 f.); Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 21; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 24. 178 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 20a m. w. N. 179 Prölss/Martin/Knappmann28 § 115 Rn. 11. 180 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 17. 181 BGH 17.10.2017 – VI ZR 423/16, VersR 2018 120, 125 (Rn. 36); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 20. 182 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 23; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 20. 183 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 23; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 20. Beckmann

556

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

§ 115 Abs. 2 Satz 4 zur Hemmung, Ablaufhemmung bzw. zum Neubeginn der Verjährung kann sich auf den materiellen Schadensersatzanspruch auswirken.184 Vor der VVG-Reform fand sich eine dem § 115 Abs. 2 entsprechende Regelung in § 3 Nr. 3 57 PflVG a. F. Die neue Regelung in § 115 Abs. 2 unterscheidet sich gegenüber der Vorgängerregelung dadurch, dass Satz 3 auf den Zugang der Entscheidung des VR in Textform abstellt; nach § 3 Nr. 3 PflVG kam es auf schriftliche Entscheidung des VR an.185

1. Verjährungsfrist/Verjährungsbeginn, Abs. 2 Satz 1 und 2 § 115 Abs. 2 Satz 1 stellt klar, dass der Direktanspruch nach Abs. 1 der gleichen Verjährung wie 58 der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen VN186 unterliegt. Bedingt durch die Akzessorietät187 zwischen dem Anspruch gegen den VN und dem Direktanspruch gegen den VR bzw. aufgrund der Rechtsnatur des Direktanspruchs als gesetzlichem Schuldbeitritt188 besteht damit prinzipiell ein Gleichlauf der Verjährung beider Ansprüche. In der Regel ergibt sich der Haftpflichtanspruch des geschädigten Dritten gegen den VN 59 aus unerlaubter Handlung bzw. Gefährdungshaftung. In diesen Fällen beträgt die regelmäßige Verjährung gem. § 195 BGB bzw. § 14 StVG grundsätzlich drei Jahre. Gem. § 115 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbs. ist auch der Fristbeginn zwischen Direktanspruch und Haft- 60 pflichtanspruch des Dritten gegen den VN einheitlich zu bestimmen. Gem. § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist daher grundsätzlich mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Ausreichend ist dabei die generelle Kenntnisnahme des Schadens; eine exakte Erfassung von Schadenshöhe und -umfang ist hingegen nicht erforderlich.189 Hinsichtlich der Person des Schuldners sind dem Dritten auch gewisse Nachforschungslasten aufzuerlegen. Unterlässt er es beispielsweise sich bei der Zulassungsstelle über die Identität des VN zu erkundigen oder über die im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherungen eingerichtete zentrale Auskunftstelle den VR des Schädigers zu ermitteln, so ist ohne weiteres grobe Fahrlässigkeit des Geschädigten anzunehmen.190

2. Höchstfrist: 10 Jahre, Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. Abweichend von den allgemeinen Verjährungsregeln des BGB enthält § 115 Abs. 2 Satz 2 eine 61 Spezialregelung zu § 199 Abs. 2–4 BGB. Gem. § 115 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. verjähren die Ansprüche spätestens in zehn Jahren nach Eintritt des Schadens. Ausweislich der Gesetzesbegründung bezieht sich die Formulierung „Eintritt des Schadens“ auf die Offenbarung des Schadens und nicht auf das ursächliche Ereignis, welches zum Schadenseintritt führte.191 Durch diese Klarstellung des Gesetzeswortlautes sollte erreicht werden, dass der Anspruch bei Entdeckung des Schadens nicht bereits verjährt ist.192 Weiterhin handelt es sich bei Abs. 2 Satz 3 nicht um eine

184 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 27. 185 Zum Vorstehenden Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 21. 186 Dem steht wiederum die versicherte Person gleich; vgl. BGH 21.12.1971 – VI ZR 137/70, VersR 1972 271, 273 (juris Rn. 26); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 28 m. w. N.

187 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 21; vgl. auch oben Rn. 23, 40; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 29. 188 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 28; vgl. auch oben Rn. 8. 189 BGH 3.6.1997 – VI ZR 71/96, VersR 1997 1111 (juris Rn. 12). 190 Bruck/Möller/Beckmann10 § 119 Rn. 9. 191 BTDrucks. 16/5862 S. 99. 192 BTDrucks. 16/5862 S. 99. 557

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

absolute Höchstfrist; insbesondere kann sie durch Ablaufhemmung, aber auch durch Verjährungsneubeginn verlängert werden.193 62 Gleichwohl kann es also dazu kommen, dass der Direktanspruch gegen den VR gem. § 115 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. verjährt ist, während der materielle Schadensersatz insbesondere wegen § 199 Abs. 2 BGB (dreißigjährige Verjährung) noch nicht verjährt ist. Indes ist Vorsicht geboten, wenn der Dritte gleichwohl VN und VR verklagt. Denn im Falle der Abweisung der Klage gegen den VR wegen Verjährung gem. § 115 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. bewirkt die Rechtskrafterstreckung gem. § 124 zugleich, dass auch die Schadensersatzklage gegen den VN abzuweisen ist.194 Ist der Direktanspruch gem. § 115 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. verjährt, so kann sich gleichwohl 63 eine Möglichkeit ergeben, dass der geschädigte Dritte noch (mittelbar) gegen den VR vorgehen kann. Nach erfolgreicher Klage gegen den VN (soweit noch nicht verjährt), kann der Dritte sich den versicherungsvertraglichen Deckungsanspruch des VN gegen den VR im Wege der Zwangsvollstreckung pfänden und überweisen lassen; dies setzt indes voraus, dass dieser Deckungsanspruch noch nicht verjährt ist.195

3. Hemmung der Verjährung, Abs. 2 Satz 3 64 In Abs. 2 Satz 3 findet sich schließlich eine Regelung bzgl. der Verjährungshemmung. Die Vorschrift ist dabei zwar lex specialis zu § 15.196 Sie verdrängt jedoch nicht die allgemeinen Regeln der §§ 203 ff. BGB, sondern tritt vielmehr neben diese. Der Zweck des Abs. 2 Satz 3 besteht darin, zu verhindern, dass der VR durch ein Hinauszö65 gern von Verhandlungen mit dem Geschädigten den Eintritt der Verjährung bewirken kann.197 Im Gegensatz zu den allgemeinen Regelungen des BGB ist dabei kein aktives Verhandeln erforderlich. Ist ein Schaden beim VR angemeldet, so beginnt die Verjährungshemmung unabhängig davon, ob er (unmittelbar) auf die Anmeldung reagiert oder nicht.198 Die Wirkung des Abs. 2 Satz 3 soll nur bei der erstmaligen Schadensanzeige beim VR eintre66 ten; für spätere erneute Verhandlungen kann er hingegen nicht herangezogen werden. Da die Vorschrift die allgemeinen Regelungen des BGB nicht verdrängt, sondern neben diese tritt, kann bei späteren Verhandlungen die Vorschrift des § 203 BGB eingreifen.199

67 a) Hemmungsbeginn. Voraussetzung für den Hemmungsbeginn ist, dass die Ansprüche des Geschädigten beim VR angemeldet werden. Nicht ausreichend ist hingegen eine Mitteilung an den Schädiger; die Anzeige muss an den VR gerichtet sein.200 Unerheblich ist dabei grundsätzlich, wer die entsprechende Anmeldung beim VR tätigt.201 Da den VN jedoch aus § 104 Abs. 1 selbst die Pflicht zur Schadensanmeldung bei seinem VR trifft, genügt eine solche Mitteilung

193 OLG Düsseldorf 17.4.1989 – 1 U 110/88, RuS 1990 225 (juris Rn. 25 f.); Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 18; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 29; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 24. 194 BGH 24.6.2003 – VI ZR 256/02, VersR 2003 1121, 1122 (juris Rn. 7); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 30; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 25. 195 BGH 9.1.2007 – VI ZR 139/06, VersR 2007 371, 372 (Rn. 23); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 30; Prölss/ Martin/Klimke31 § 115 Rn. 26; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 24 f. 196 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 23; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 32; Stiefel/Maier/Jahnke19 § 115 Rn. 297. 197 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 35. 198 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 35. 199 BGH 5.11.2002 – VI ZR 416/01, BGHZ 152 298, 300 = VersR 2003 99, 100 (juris Rn. 9 ff.); Langheid/Wandt/ Schneider2 § 115 Rn. 39. 200 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 33. 201 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 30; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 27. Beckmann

558

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

regelmäßig nicht.202 Etwas anderes kann sich lediglich dann ergeben, wenn der VN eine Erklärung des Geschädigten an den VR weiterleitet.203 Der VN lässt sich insoweit als Erklärungsbote des geschädigten Dritten ansehen; leitet der VN die Anspruchsanmeldung indes nicht an den VR weiter, so geht dies zulasten des Geschädigten.204 In formaler Hinsicht stellt das Gesetz keine Anforderungen an die Anzeige des Geschädig- 68 ten, insbesondere ist das Erfordernis der Textform für die Entscheidung des VR nicht auf die Mitteilung des Geschädigten übertragbar. Es genügt daher prinzipiell eine mündliche Anzeige beim VR.205 Die Einhaltung einer bestimmten Frist ist auch nicht durch § 115 Abs. 2 vorgeschrieben. Es bleibt mithin für die Hemmung der Verjährung ohne Bedeutung, ob der Geschädigte seine Obliegenheit aus § 119 fristgerecht erfüllt hat.206 Inhaltlich sind ebenfalls keine zu hohen Anforderungen an die Anzeige des Geschädigten zu 69 stellen.207 So genügt es, wenn der Geschädigte den VR über ein konkretes Unfallereignis informiert und eine ungefähre Höhe der Schäden mitteilt. Soweit die Angaben des Dritten zu ungenau sind, ist dies unschädlich, da dem VR zugemutet wird, Einzelheiten durch Rückfrage beim Geschädigten zu ermitteln.208 Nicht erforderlich ist weiterhin, dass der Dritte die Ansprüche bereits der Höhe nach beziffern kann; ausreichend ist vielmehr ein Geltendmachen dem Grunde nach.209 Auf der anderen Seite ist es jedoch nicht ausreichend, wenn der Geschädigte den VR lediglich um die Übermittlung eines Schadensanzeigeformulares bittet.210 Wird die Anmeldung allerdings ausdrücklich auf bestimmte Ansprüche beschränkt, so gilt die Hemmung auch nicht allumfassend, sondern nur für die explizit benannten Ansprüche.211

b) Hemmungsende. Gem. § 115 Abs. 2 Satz 3 kann der VR die Hemmung der Verjährung grund- 70 sätzlich durch eine Entscheidung beenden und den normalen Verjährungsablauf wieder herstellen. Anders als die hemmungsauslösende Anzeige des Geschädigten ist die Entscheidung des VR nicht formlos möglich. In Abänderung zu § 3 Nr. 3 PflVG a. F. erfordert § 115 Abs. 2 Satz 3 jedoch nicht mehr Schriftform, sondern lediglich Textform i. S. d. § 126b BGB. Diese ist z. B. nicht gewahrt, soweit der VR dem Geschädigten die Entscheidung formlos mitteilt und der Geschädigte oder sein Vertreter die formlose Entscheidung schriftlich bestätigt.212 Nicht ausreichend ist zudem eine einfache, kommentarlose Überweisung eines Teilbetrages an den Dritten.213 Trifft der VR überhaupt keine Regulierungsentscheidung, so tritt Verjährung auch dann nicht ein, wenn die Verhandlungen seit Jahren ruhen.214 202 OLG München 16.9.1974 – 84 U 783/74, VersR 1975 510, 511; AG Burgwedel 8.4.2004 – 75 C 90/03, ZfS 2004 366 (juris Rn. 18) m. Anm. Rixecker; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 27; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 30. 203 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 27; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 33. 204 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 27. 205 BGH 2.3.1982 – VI ZR 245/79, BGHZ 83 162, 165 = VersR 1982 546, 547 (juris Rn. 18); BGH 12.6.1979 – VI ZR 192/ 78, BGHZ 74 393, 395 = VersR 1979 915 (juris Rn. 8); a. A. wohl Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 33 (Textform). 206 BGH 23.3.1982 – VI ZR 144/80, VersR 1982 651 (juris Rn. 9); BGH 19.11.1974 – VI ZR 205/73, VersR 1975 279 (juris Rn. 11). 207 BGH 7.4.1987 – VI ZR 55/86, VersR 1987 937 (juris Rn. 11). 208 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 27; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 28. 209 Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 28; a. A. LG Koblenz 28.3.1977 – 8 O 281/76, VersR 1978 474, 475 (juris Rn. 43). 210 AG Berlin-Charlottenburg 20.1.1975 – 19 C 229/74, RuS 1975 251, 251 f. 211 OLG München 27.7. 2018 – 10 U 3487/17, RuS 2018 679, 680 (juris Rn. 37 ff.); OLG Köln 10.7. 2014 – 19 U 19/14, RuS 2015 371 (juris Rn. 4). 212 BGH 18.2.1997 – VI ZR 356/95, VersR 1997 637 (juris Rn. 7); Langheid/Rixecker/Langheid6 § 115 Rn. 25. 213 BGH 28.1.1992 – VI ZR 114/91, VersR 1992 604, 605 (juris Rn. 13); BGH 17.1.1978 – VI ZR 116/76, VersR 1978 423, 423 f. (juris Rn. 12); OLG München 24.7.2015 – 10 U 4220/14 (juris Rn. 35); OLG Naumburg 8.11.2007– 1 U 81/07, VersR 2008 775 (juris Rn. 5); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 36. 214 OLG Oldenburg 22.3.2017 – 3 U 74/16, VersR 2018 25, 26 f. (juris Rn. 90 ff.). 559

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

Inhaltlich ist eine eindeutige Entscheidung des VR erforderlich. Aus der Entscheidung des VR muss eindeutig der Entschluss hervorgehen, sich zu den angemeldeten Ansprüchen erschöpfend und endgültig zu erklären.215 Während es im Hinblick auf eine solche Eindeutigkeit in der Praxis kaum Probleme bei vollständigen Ablehnungen gibt, kann die Eindeutigkeit bei (teilweisem) Anerkenntnis durch den VR Probleme bereiten.216 Insoweit gilt der Grundsatz, dass ein teilweises Anerkenntnis nur dann hinreichend bestimmt ist, wenn die übrigen Ansprüche unzweideutig abgelehnt werden.217 Entsprechend wurde in der Rechtsprechung entschieden, dass eine vorläufige Abrechnung,218 ein Abrechnungsschreiben, welches einzelne Schadenspositionen nach unten korrigiert,219 und ein Teilvergleich, der zu zukünftigen Schäden keine Stellung bezieht220 oder diese ausklammert,221 keine hinreichende Bestimmtheit aufweisen und die Hemmung der Verjährung daher nicht beenden. Zu berücksichtigen ist bei der Frage, ob eine hinreichend konkrete Entscheidung vorliegt, auch immer, wie detailliert die Anmeldung des Schadens durch den Geschädigten war.222 Verbleiben dementsprechend Zweifel bzgl. Inhalt und Reichweite der Entscheidung des VR, fehlt es an einer die Verjährungshemmung beendenden Entscheidung.223 Ausreichend konkret soll insoweit die Erklärung des VR sein, zukünftige Ansprüche mit einer bestimmten Haftungsquote zu regulieren.224 Auf der anderen Seite ist nicht erforderlich, dass die Entscheidung bereits die Höhe der 72 Anerkennung jeder einzelnen Schadensposition enthält.225 Soweit eine Anerkenntnis der genannten Schadensposition dem Grunde nach erfolgt und bei entsprechenden Nachweisen auch die Regulierung weiterer Schäden in Aussicht gestellt wird, ist dies prinzipiell ausreichend.226 Die Hemmung der Verjährung wird darüber hinaus auch ohne schriftliche Entscheidung des VR durch einen Abfindungsvergleich zwischen VR und Drittem beendet.227 Dies gilt auch insoweit, als ursprünglich von der Anmeldung erfasste Schadenspositionen vom Vergleich nicht umfasst sind, jedoch eindeutig zum Ausdruck kommt, dass die Schadensregulierung für den VR mit dem Vergleich vollständig abgeschlossen ist.228 Generell gilt, dass nicht nur eine ablehnende, sondern auch eine bejahende Entscheidung die Hemmung der Verjährung beendet.229 73 Verweigert der Geschädigte seine Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts oder reagiert er auf Nachfragen des VR nicht, endet die Hemmung der Verjährung nicht automatisch zu einem Zeitpunkt, zu dem unter normalen Umständen mit einer Antwort des Dritten zu rechnen wäre.230 Allerdings kann der VR die Hemmung dergestalt beenden, dass er eine Entscheidung er71

215 BGH 25.4.2017 – VI ZR 386/16, VersR 2017 903, 904 (Rn. 9); vgl. auch BGH 14.3.2017 – VI ZR 226/16, VersR 2017 816, 817 (Rn. 15). 216 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 36. 217 BGH 25.4.2017 – VI ZR 386/16, VersR 2017 903, 904 (Rn. 9); Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 31. 218 OLG Frankfurt/M. 5.6.1998 – 24 U 161/96, RuS 1999 13 (juris Rn. 33). 219 BGH 5.12.1995– VI ZR 50/95, VersR 1996 370 f. (juris Rn. 11). 220 BGH 14.3.2017 – VI ZR 226/16, VersR 2017 816, 817 Rn. 12 f.; OLG Hamm 25.6.2001 – 13 U 32/01, VersR 2002 563, 564 (juris Rn. 31 ff.). 221 OLG Hamm 9.11.1994 – 33 U 114/94, VersR 1996 79. 222 BGH 30.4.1991 – VI ZR 229/90, BGHZ 114 229, 303 f. = VersR 1991 878, 879 (juris Rn. 28); BGH 28.1.1992 – VI ZR 114/91, VersR 1992 604, 605 (juris Rn. 11); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 29. 223 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 29. 224 OLG Dresden 21.12.2017 – 7 U 1290/17, juris Rn. 7 ff. 225 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 29; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 36. 226 BGH 30.4.1991 – VI ZR 229/90, BGHZ 114 299, 303 f. = VersR 1991 878, 879 (juris Rn. 28). 227 BGH 8.12.1998 – VI ZR 318/97, VersR 1999 382, 384 (juris Rn. 29); OLG Hamm 14.9.1998 – 6 U 48/98, ZfS 1999 14 (juris Rn. 13). 228 BGH 29.1.2002 – VI ZR 230/01, VersR 2002 474, 475 (juris Rn. 20 ff.); OLG Karlsruhe 9.6.2004 – 10 U 236/03, VersR 2006 251, 253 (juris Rn. 27); OLG Rostock 22.10.2010 – 5 U 225/09, RuS 2011 490 (juris Rn. 26). 229 BGH 30.4.1991 – VI ZR 229/90, BGHZ 114 229, 301 ff. = VersR 1991 878, 878 f. (juris Rn. 13 ff.); BGH 5.12.1995 – VI ZR 50/95, VersR 1996 369, 370 (juris Rn. 12); OLG Rostock 9.8.2001 – 1 U 219/99, VersR 2003 363 (juris Rn. 25 f.); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 29. 230 BGH 14.12.1976 – VI ZR 1/76, VersR 1977 335, 336 (juris Rn. 9). Beckmann

560

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 115

lässt, dass aufgrund des derzeitigen Kenntnisstandes eine Anerkennung nicht erfolgen kann.231 Darüber hinaus soll die Hemmung auch dann enden, wenn der Geschädigte anderthalb Jahre lang keine Reaktion auf die Aufforderung des VR zur Einreichung von Unterlagen gezeigt hat.232

4. Ausnahmen aufgrund von Treu und Glauben Abweichungen von den zuvor beschriebenen Grundsätzen können sich sowohl für den VR als 74 auch für den Geschädigten aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben. So besteht für den Fall, dass sich ein VR unzutreffend als zuständig erklärt und seinen 75 Irrtum nachträglich entdeckt, die Pflicht, den Geschädigten auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Versäumt der Geschädigte aufgrund eines entsprechenden Versäumnisses seitens des VR die Einhaltung der Verjährungsfrist gegenüber dem richtigen VR, besteht ein Schadensersatzanspruch des Dritten gegen den VR, der den Dritten nicht korrekt informiert hat.233 Andererseits kann sich ein Geschädigter nicht auf eine fortdauernde Hemmung der Verjäh- 76 rung berufen, wenn er dem VR eindeutig zu verstehen gegeben hat, dass er weitere Ansprüche gegen ihn und den VN nicht verfolge und der VR aufgrund dessen keine Entscheidung i. S.d § 115 Abs. 2 Satz 3 vorgenommen hat.234 Nicht ausreichend ist in diesen Fällen jedoch ein schlichtes Zuwarten des Geschädigten; der Verzicht auf Geltendmachung weiterer Ansprüche muss sich vielmehr zweifelsfrei ermitteln lassen.235

5. Wirkung und Drittwirkung im Rahmen der Verjährung, Abs. 2 Satz 4 Unmittelbar betrifft die Norm des § 115 Abs. 2 lediglich den Direktanspruch des Dritten gegen 77 den VR. Keine direkte Auswirkung kommt der Vorschrift des § 115 Abs. 2 hingegen für den Haftpflichtanspruch des Dritten gegen den VN zu.236 Allerdings schlagen Verjährungshemmung und Neubeginn gem. § 115 Abs. 2 Satz 4 wechselseitig durch. Nach dieser Regelung wirken die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung des Anspruchs gegen den VR auch gegenüber dem ersatzpflichtigen VN und umgekehrt. Das bedeutet z. B., dass die Hemmung der Verjährung des Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 2 Satz 3 sich zugleich auf den Schadensersatzanspruch des geschädigten Dritten gegen den VN auswirkt.237 Umgekehrt bewirkt eine Hemmung der Verjährung des Schadensersatzanspruchs des geschädigten Dritten gegen den VN gem. § 204 BGB zugleich eine Hemmung der Verjährung des Direktanspruchs des geschädigten Dritten gegen den VR.238 Diese Wechselwirkung besteht dabei ungeachtet der Tatsache, ob der Geschädigte sich in sei- 78 ner Anmeldung auf die Gesamtschuldnerschaft zwischen VN und VR berufen hat oder nicht.239

231 BGH 14.12.1976 – VI ZR 1/76, VersR 1977 335, 336 f. (juris Rn. 14); OLG Karlsruhe 23.1.1987 – 14 U 184/85, VersR 1988 351, 352. 232 OLG Frankfurt/M. 14.4.2004 – 2 U 142/03, ZfS 2004 461 (juris Rn. 11 f.). 233 BGH 11.6.1996 – VI ZR 265/96, VersR 1996 1113 (juris Rn. 13 f.); Littbarski EWiR 1996 829. 234 OLG Naumburg 8.11.2007 – 1 U 81/07, VersR 2008 775 (juris Rn. 7); OLG Düsseldorf 17.4.1989 – 1 U 110/88, RuS 1990 225 (juris Rn. 33); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 31; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 35. 235 OLG Düsseldorf 17.4.1989 – 1 U 110/88, RuS 1990 225 (juris Rn. 32). 236 BGH 9.1.2007 – VI ZR 139/06, VersR 2007 371 (Rn. 15); Lemcke RuS 2007 126; Müller/Matlach, ZfS 2007 366. 237 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 41. 238 BGH 25.11.1986 – VI ZR 148/86, VersR 1987 561, 562 f. (juris Rn. 6 ff.); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 33. 239 OLG Hamm 10.9.2001 – 13 U 30/00, VersR 2002 564, 565 (juris Rn. 28); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 33. 561

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

Unerheblich ist zudem, ob es sich bei dem Versicherungsverhältnis zwischen VN und VR um ein intaktes oder gestörtes Verhältnis handelt.240 79 Wurde die Anmeldung nicht ausdrücklich auf einen bestimmten Teilschaden begrenzt,241 hemmt die Anmeldung die Verjährung hinsichtlich des kompletten Schadens.242 Insbesondere wirkt eine Anmeldung von Sachschäden auch für Personenschäden.243 In Hinblick auf die Höhe des gehemmten Anspruchs wird durch eine eingeschränkte Haftung 80 des VR keine Grenze gesetzt. So wirkt eine Schadensanzeige beim VR auch verjährungshemmend hinsichtlich des überschießenden Teils, für den nur der VN, nicht jedoch der VR einzustehen hat.244 Zu beachten ist auch, dass ein Anerkenntnis in Form einer Zahlung des VR an den Geschädigten einen Verjährungsneubeginn auch hinsichtlich eines überschießenden Teils auslöst.245 Drittwirkung kommt der Hemmung darüber hinaus auch dann zu, wenn der Sozialversiche81 rungsträger einen Rückgriffsanspruch gem. § 110 SGB VII gegenüber dem VR geltend macht.246 Hinsichtlich des Deckungsverhältnisses gilt etwas anderes. Wie der gesamte Abs. 2 bezieht sich auch die Spezialregelung bzgl. der Hemmung nicht auf das Deckungsverhältnis, so dass für dieses § 15 gilt. Auch im Übrigen richtet sich die Verjährung des Deckungsverhältnisses nicht nach § 115 Abs. 2,247 sondern nach Abschaffung des § 12 VVG a. F. nach den allgemeinen Regelungen der §§ 194 ff. BGB.248

C. Prozessuales und sonstige Aspekte I. Gerichtsstand 82 Grundsätzlich gelten auch für den Direktanspruch die allgemeinen Regelungen der ZPO, so dass eine Klage am allgemeinen Gerichtsstand des VR gem. §§ 12, 17 ZPO ohne weiteres möglich ist.249 Der Direktanspruch des Dritten gegen den VR beruht auf einem gesetzlichen Schuldbeitritt, 83 der nicht als eigenständiger Schadensersatzanspruch einzuordnen ist (vgl. oben Rn. 8). Insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach dem Gerichtsstand hat die Rechtsprechung diesen Anspruch nicht als versicherungsvertraglichen eingeordnet, sondern als einen deliktsrechtlich geprägten Anspruch angesehen mit der Folge, dass auch der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gem. § 32 ZPO grundsätzlich eröffnet ist.250 Wie im Schrifttum ausgeführt wird, dürfte 240 BGH 6.12.1983 – VI ZR 212/81, VersR 1984 227 f. (juris Rn. 3 ff.). 241 BGH 7.4.1987 – VI ZR 55/86, VersR 1987 937, 938 (juris Rn. 12); BGH 25.6.1985 – VI ZR 60/84, VersR 1985 1141 (juris Rn. 8 ff.); BGH 20.4.1982 – VI ZR 311/79, VersR 1982 674, 675 (juris Rn. 13 ff.); OLG München 28.11.1995 – 5 U 4769/95, RuS 1997 48 f.; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 27. 242 BGH 29.1.2002 – VI ZR 230/01, VersR 2002 474, 475 (juris Rn. 24); BGH 23.3.1982 – VI ZR 144/80, VersR 1982 651 (juris Rn. 8); BGH 7.12.1976 – VI ZR 7/75, VersR 1977 282, 284 (juris Rn. 31); OLG München 28.11.1995 – 5 U 4769/ 95, RuS 1997 48; OLG München 6.10.2000 – 21 U 3623/00, VersR 2001 230, 231 (juris Rn. 42); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 27. 243 OLG München 6.10.2000 – 21 U 3623/00, VersR 2001 230, 231 (juris Rn. 45); Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 19. 244 BGH 2.3.1982 – VI ZR 245/79, BGHZ 83 162, 166 = VersR 1982 546, 547 (juris Rn. 20); BGH 4.10.1983 – VI ZR 194/81, VersR 1984 136, 137 (juris Rn. 14); Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 38. 245 BGH 11.10.2006 – IV ZR 329/05, BGHZ 169 232, 235 ff. = VersR 2006 1676, 1676 f. Rn. 11 ff.; BGH 7.10.2003 – VI ZR 392/02, VersR 2003 1547, 1548 (juris Rn. 23). 246 Zu § 640 RVO BGH 21.12.1971 – VI ZR 137/70, VersR 1972 271; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 41. 247 BGH 7.12.1976 – VI ZR 7/75, BGHZ 67 372 = VersR 1977 282, 284 (juris Rn. 30); BGH 25.11.1986 – VI ZR 148/86, VersR 1987 561, 562 (juris Rn. 11). 248 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 22. 249 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 43; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 41. 250 BGH 20.1.1983 – I ARZ 682/82, VersR 1983 586 (juris Rn. 4); BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 41; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 45. Beckmann

562

C. Prozessuales und sonstige Aspekte

VVG § 115

der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung dabei in der Praxis meist der einzige sein, an dem VR und VN gemeinsam verklagt werden können.251 Besteht ausnahmsweise kein gemeinsamer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, ermöglicht § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ein gemeinsames Verklagen von VN und VR an einem einheitlichen Gerichtsstand.252 Besteht ein ausreichender Zusammenhang zu einer bestimmten Niederlassung des VR, so 84 kann eine Klage auch gem. § 21 ZPO am besonderen Gerichtsstand der Niederlassung eingereicht werden.253 Eine ausreichende Beziehung zwischen einer Niederlassung und dem Dritten besteht dabei noch nicht dadurch, dass der Versicherungsvertrag zwischen VN und VR in einer bestimmten Filiale abgeschlossen wurde bzw. verwaltet wird. Erforderlich ist vielmehr, dass die Bearbeitung des konkreten Schadensfalles in der betreffenden Niederlassung erfolgt.254 Dabei genügt es nicht, dass eine Bearbeitung potentiell in der Niederlassung erfolgen könnte, ausschlaggebend ist die tatsächliche Situation.255 Eine Regulierung über einen Versicherungsagenten begründet keine Niederlassung des VR, so dass § 21 ZPO auf diese Fälle ebenfalls keine Anwendung findet. Keine Anwendung auf den Direktanspruch findet die Vorschrift des § 215,256 da es sich nicht 85 um eine Klage aus dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung handelt. Darüber hinaus ist es dem Dritten nicht möglich, sich auf dem § 215 vergleichbare vertragliche Regelungen zu berufen, denn der Geschädigte ist gerade auch im Rahmen des Direktanspruchs nicht in das Vertragsverhältnis zwischen VN und VR eingebunden.257 Der EuGH hat in einer Entscheidung klargestellt, dass der Geschädigte aufgrund der Vor- 86 schriften der Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 b EuGVO a. F. (jetzt neugefasst in Art. 13 Abs. 2, Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVO) berechtigt ist, einen in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässigen VR auch an seinem Wohnsitz zu verklagen, soweit ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den VR nach dem anwendbaren Recht besteht.258 Dies führt dazu, dass etwa im Fall eines Autounfalls im Ausland ggf. eine Klage im Inland möglich ist,259 auch wenn dies gleichfalls mit praktischen Schwierigkeiten verbunden sein kann.260 Zu beachten ist in diesen Konstellationen, ob ein Prozess gegen den VN (Schädiger), der seinen Wohnsitz nicht in Deutschland hat, in Deutschland möglich ist; bei einem Unfall im Ausland und einem ausländischen VN ist dies regelmäßig zu verneinen, so dass es zu einem Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit der Klage gegen den VR und den VN kommen kann.261

II. Beweislast Aufgrund der Akzessorietät von Direktanspruch und Anspruch gegen den VN muss der Dritte 87 zunächst alle Umstände beweisen, die für das Bestehen des Haftpflichtanspruchs gegen den

251 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 45; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 40. 252 BGH 3.3.1983 – I ARZ 682/82, VersR 1983 586 (juris Rn. 3 f.); BayObLG 22.3.1988 – AR 1 Z 12/88, VersR 1988 642 (juris Rn. 5 ff.); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 45; Prölss/Martin/Klimke31 § 115 Rn. 40. 253 BGH 10.7.1975 – II ZR 56/74, NJW 1975 2142 (juris Rn. 8 ff.). 254 LG Dortmund 14.6.2007 – 4 S 59/06, VersR 2007 1674 f. (juris Rn. 14); Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 44. 255 LG Dortmund 14.6.2007 – 4 S 59/06, VersR 2007 1674 f. (juris Rn. 14). 256 Armbrüster RuS 2010 441, 456; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 116 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/ Schwartze3 § 115 Rn. 8; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 46; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 115 Rn. 13; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 41. 257 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 46; Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 6. 258 EuGH 13.12.2007 – C-463/06, VersR 2008 111, 112 = NJW 2008 819, 821 Rn. 31 mit zustimmender Anm. Leible NJW 2008 821; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 42. 259 Vgl. auch Stiefel/Maier/Riedmayer19 AuslUnf Rn. 174 ff.; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 47. 260 Vgl. Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 47; Stiefel/Maier/Riedmeyer19 AuslUnf Rn. 174 ff.; siehe auch Rn. 92. 261 BGH 24.2.2015 – VI ZR 279/14, VersR 2016 271, 272 Rn. 14. 563

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

VN erforderlich sind.262 Soweit in diesem Zusammenhang die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 BGB im Verhältnis zum VN gilt, ist diese auch im Rahmen des Direktanspruchs zu beachten.263 Weiterhin obliegt dem Geschädigten der Nachweis, dass die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 erfüllt sind.264 Beruft sich der VN oder VR auf Verjährung der Ansprüche, so hat dieser die zur Verjährung führenden Tatsachen zu beweisen. Soweit der Geschädigte hiergegen einwendet, aufgrund einer Hemmung der Verjährung bestehe der Anspruch weiterhin fort, so ist es an ihm, die für den Eintritt der Hemmung ursächlichen Tatsachen zu belegen.265 Bisher wurde in Schrifttum und instanzgerichtlicher Rechtsprechung die Ansicht vertreten, 88 dass ein Gleichlauf der Darlegungslast von VR und VN bestehe, so dass dem VR die Möglichkeit des Bestreitens mit Nichtwissen gem. § 138 Abs. 4 ZPO verwehrt sei.266 Dem VR sei es, wenn er direkt verklagt wird, nicht gestattet, die Unfalldarstellung des Geschädigten mit dem eigenen Nichtwissen zu bestreiten; vielmehr sei er als Gesamtschuldner aus dem Haftpflichtverhältnis zur Darlegung verpflichtet wie der Versicherte selbst.267 Dieser Ansicht ist der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahre 2019 indes nicht gefolgt.268 Diese Frage wird – so auch in dem vom BGH entschiedenen Fall – insbesondere in Fallkonstellationen relevant, in denen Ummeldungen von verkauften und übergebenen Fahrzeugen nicht unmittelbar erfolgen und sich der haftende Erwerber nach Veräußerung des Kfz nicht ermitteln lässt. Aus dem Gesamtschuldverhältnis zwischen VR und Schädiger (§ 115 Abs. 1 Satz 4, § 116 VVG, § 421 BGB) ergebe sich kein Gleichlauf der Darlegungspflichten des VR und des Versicherten, § 425 Abs. 1 BGB. Den vom Geschädigten verklagten HaftpflichtVR treffe zwar die Pflicht, sich bei seinem VN und etwaigen unfallbeteiligten Mitversicherten (etwa dem Fahrzeugführer) zu erkundigen, ob der Vortrag des Geschädigten zum Unfallgeschehen zutrifft, bevor er sich zum klägerischen Vorbringen einlässt. Wolle er sich mit Nichtwissen erklären, müsse er hinreichende Gründe dafür darlegen, warum er sich auf der Grundlage der erteilten Auskünfte nicht dazu einlassen kann, ob das Vorbringen des Geschädigten zutrifft.269 Erteilt der VN dem VR trotz pflichtgemäßer Erkundigung keine Auskunft, so kann sich der VR nach dieser Rechtsprechung gegenüber dem Dritten auch dann zulässig auf ein Bestreiten mit Nichtwissen berufen, wenn dies dem VN gem. § 138 Abs. 4 ZPO nicht möglich wäre.

III. Passivlegitimation 89 Passivlegitimiert im Rahmen des Anspruchs aus § 115 ist der VR des ersatzpflichtigen VN. Es besteht jedoch keine Pflicht des Dritten, sich an den VR zu halten,270 vielmehr kann er wahlweise auch gegen den VN oder gegen VN/VR gemeinsam vorgehen.271 Werden ersatzpflichti262 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 34; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 40; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 49.

263 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 49; dem zustimmend BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 115 Rn. 40.

264 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 34; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 49. 265 BGH 10.4.2008 – VII ZR 58/07, BGHZ 176 128, 131 = VersR 2008 1075 (Rn. 14); BGH 23.1.2007 – XI ZR 44/06, BGHZ 171 1, 11 = VersR 2007 1090, 1092 f. (Rn. 32).

266 Vgl. OLG Frankfurt 27.2.1974 – 19 U 214/73, NJW 1974 1473 („echte Darlegungslast“); OLG München 17.12.2010 – 10 U 3010/10, BeckRS 2011 98 (juris Rn. 12); Stiefel/Maier/Jahnke19 § 115 Rn. 141. 267 Stiefel/Maier/Jahnke19 § 115 Rn. 141. 268 BGH 23.7.2019 – VI ZR 337/18, VersR 2019 1359, 1360 (Rn. 12); befürwortend Steinborn jurisPR-VersR 9/2019 Anm. 1. 269 BGH 23.7.2019 – VI ZR 337/18, VersR 2019 1359, 1361 (Rn. 17 ff.). 270 BGH 3.5.1977 – VI ZR 50/76, BGHZ 69 153, 158 = VersR 1977 960, 961 (juris Rn. 13); OLG Hamburg 21.12.1971 – 7 U 51/71, VersR 1972 631; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 2; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 3. 271 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 2. Beckmann

564

C. Prozessuales und sonstige Aspekte

VVG § 115

ger VN und VR gemeinsam verklagt, so handelt es sich um einfache Streitgenossen. Besteht der Verdacht der Unfallmanipulation, so ist es dem VR dabei erlaubt, sowohl als Streitgenosse als auch als Streithelfer seine eigenen Interessen zu verfolgen.272 Soweit dem Geschädigten der VR nicht bekannt ist, steht dem Dritten ein gerichtlich durchsetzbarer Auskunftsanspruch gegen den VN zu;273 aufgrund von § 2 Abs. 1 Nr. 11 der Dienstleistungs-InformationspflichtenVerordnung274 besteht für Personen, die Dienstleistungen erbringen (Dienstleistungserbringer), ohnehin die Pflicht, einem Dienstleistungsempfänger vor Abschluss eines schriftlichen Vertrages oder, sofern kein schriftlicher Vertrag geschlossen wird, vor Erbringung der Dienstleistung u. a. über das Bestehen einer Berufshaftpflichtversicherung, insbesondere über den Namen und die Anschrift des VR zu informieren. Unterschiedlich beurteilt hat die Rechtsprechung, ob eine entsprechende Auskunftspflicht insbesondere auch die Rechtsanwaltskammer trifft, mithin ob diese einem Dritten zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Auskunft über die Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts zu erteilen hat. Gem. § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO erteilt die Rechtsanwaltskammer Dritten zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf Antrag Auskunft über den Namen und die Adresse des BerufshaftpflichtVR des Rechtsanwalts sowie die Versicherungsnummer, soweit der Rechtsanwalt kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft hat. Gleichwohl ist vertreten worden, eine Auskunftspflicht bestehe nur in Fällen, in denen dem Dritten nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 ein Direktanspruch gegen den VR zustehe, weil der Rechtsanwalt insolvent oder sein Aufenthalt unbekannt ist.275 Insbesondere im Hinblick darauf, dass sich die vom VG Hamburg angenommene Einschränkung nicht aus § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO ergibt, hat der BGH demgegenüber zu Recht diese Einschränkung abgelehnt und eine Auskunftsverpflichtung der Rechtsanwaltskammer – unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. 3 – angenommen.276 Zu beachten ist des Weiteren, dass der Dritte vom VR keine Prozesskosten als Schadensersatz ersetzt verlangen kann, soweit er zuerst erfolglos den VN verklagt hat.277 Nach richtiger, aber umstrittener Ansicht entfällt die Passivlegitimation des VR auch nicht, 90 soweit während des Prozesses die Voraussetzungen der § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 wegfallen; entscheidend ist einzig, ob sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung bestanden haben oder nachträglich eingetreten sind (vgl. bereits oben Rn. 36). Ein weiteres Problem im Rahmen der Passivlegitimation ergibt sich in Fällen, in denen die 91 zehnjährige Höchstgrenze des § 115 Abs. 2 Satz 2 dafür sorgt, dass der Direktanspruch des Geschädigten gegen den VR verjährt ist, während der deliktische Anspruch gegen den Schädiger/VN noch durchsetzbar ist.278 Auch bei Vermögenslosigkeit des VN kann es in diesen Fällen sinnvoll sein, diesen zu verklagen und sich den ebenfalls nicht der Verjährung des § 115 Abs. 2 unterworfenen – Deckungsanspruch des VN gegen den VR überweisen zu lassen (vgl. bereits oben Rn. 63). Keinesfalls darf in diesen Fällen jedoch die Klage (auch) gegen den VR gerichtet sein, da dies zu einer Abweisung der Klage führt und sich die Rechtskraft dieser Abweisung

272 BGH 29.11.2011 – VI ZR 201/10, VersR 2012 434 (Leitsatz). 273 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 5. 274 Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer v. 12.3.2010, BGBl. I 267 (erlassen in Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376 v. 27.12.2006, S. 36). 275 VG Hamburg 10.9.2010 – 15 K 1352/10, DStRE 2011 596 (juris Rn. 31) (mit ablehnenden Anm. Dahns NJW-Spezial 2011 382 f. und Huff BRAK-Mitt. 2011 56); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 5 a. E. 276 BGH 22.10.2012 – AnwZ (Brfg) 60/11, NJW 2013 234, 235 (Rn. 5 ff.). 277 BGH 3.5.1977 – VI ZR 50/76, BGHZ 69 153, 155 f. = VersR 1977 960, 960 f. (juris Rn. 8 ff.); Feyock/Jacobsen/ Lemor/Jacobsen3 § 115 Rn. 13. 278 BGH 9.1.2007 – VI ZR 139/06, VersR 2007 371 (Rn. 17 ff.). 565

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

gem. § 124 Abs. 1 auch auf den Anspruch gegen den VN auswirkt.279 Richtigerweise darf daher in entsprechenden Sachverhalten ausschließlich der VN Klagegegner sein.280

IV. Regulierungsfrist/ Prüffrist des Versicherers 92 Im Vorfeld einer möglichen Klage gegen den VR aus dem Direktanspruch stellt sich die Frage, welcher Zeitraum dem VR zuzubilligen ist, bevor er sich mit der Leistung in Verzug befindet oder jedenfalls Anlass zur Klage gegeben hat (Regulierungsfrist/ Prüffrist). Wird eine Klage vor Ablauf dieser Frist erhoben, so besteht für den Kläger latent die Gefahr des sofortigen Anerkenntnisses mit der Kostenfolge des § 93 ZPO. Die Regulierungsfrist beginnt regelmäßig mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens, wobei dessen notwendiger Inhalt stets anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu ermitteln ist.281 Auch hinsichtlich der Länge der Frist ist eine starre Obergrenze abzulehnen und auf die jeweiligen individuellen Umstände des Einzelfalls abzustellen.282 Es lassen sich – ortsbezogen – jedoch zumindest gewisse Anhaltspunkte für eine absolute Höchstfrist gewinnen: Vertreten werden eine zweiwöchige,283 dreiwöchige,284 vierwöchige,285 vier- bis sechswöchige286 und zweimonatige Frist (bei Auslandsbezug).287 Liegen keine herausragenden Besonderheiten vor, kann davon ausgegangen werden, dass die Frist maximal vier Wochen beträgt.288 Vgl. in diesem Zusammenhang für die Kfz-Haftpflichtversicherung auch die spezielle Regelung des § 3a PflVG.

V. Gründe der Begrenzung des Schadensersatzanspruchs 93 Wie oben dargelegt (Rn. 40) ist der Direktanspruch gegen den VR akzessorisch und hängt vom Bestehen eines Schadensersatzanspruchs des geschädigten Dritten gegen den VN bzw. gegen die versicherte Person ab. In jüngerer Zeit hat sich die Rechtsprechung in Fällen, in denen der geschädigte Dritte den VR direkt in Anspruch genommen hat, mit dem Umfang des Schadensersatzanspruchs des geschädigten Dritten beschäftigt. In der Praxis spielt der Umfang des Schadensersatzanspruchs eine wesentliche Rolle; insoweit können neben anderen Aspekten insbesondere der maßgebliche Zeitpunkt der Schadensberechnung (dazu Rn. 94) und ein etwaiges Mitverschulden des Geschädigten (dazu Rn. 95 ff.) Bedeutung erlangen.

279 BGH 24.6.2003 – VI ZR 256/02, VersR 2003 1121, 1122 (juris Rn. 7 ff.); OLG Hamm 6.5.2002 – 13 U 223/01, VersR 2003 56 (Leitsatz); Matlach ZfS 2005 533; vgl. auch oben Rn. 62 f. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 115 Rn. 25; Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 30. OLG Saarbrücken 10.11.2017 – 4 W 16/17, VersR 2018 733, 734 (juris Rn. 12, 16). OLG Frankfurt/M. 6.2.2018 – 22 W 2/18, VersR 2018 928, 929 (juris Rn. 18). OLG Saarbrücken 27.2.2007 – 4 U 470/06, MDR 2007 1190 (juris Rn. 45); AG Erlangen 30.3.2005 – 1 C 1787/04, DAR 2005 690. 284 OLG Düsseldorf 27.6. 2007 – 1 W 23/07, DAR 2007 611 (juris Rn. 3). 285 KG 30.6. 2008 – 22 U 13/08, NJW 2008 2656 (juris Rn. 85); OLG München 29.7. 2010 – 10 W 1789/10, DAR 2010 644 (juris Rn. 6); LG München I 21.10.1971 – 9 O 371/71, VersR 1973 871, 872. 286 OLG Stuttgart 26.4.2010 – 3 W 15/10, VersR 2010 1306 (juris Rn. 16 „Mindestfrist von 4 Wochen“); OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 218/09, VersR 2010 1074 (juris Rn. 46 „Untergrenze 4 Wochen“); 18.9.2013 – 3 W 46/13, DAR 2013 708 (juris Rn. 2 – Verzug bei 6 Wochen nicht dadurch ausgeschlossen, dass noch keine Einsicht in Ermittlungsakte gewährt werden konnte); OLG Koblenz 20.4.2011 – 12 W 195/11 (juris Rn. 4); OLG Köln vom 31.1.2012 – 24 W 69/11 (juris Rn. 3); OLG Frankfurt/M. 2.12.2014 – 7 W 64/14, VersR 2015 1373; OLG Dresden 29.6.2009 – 7 U 499/09 (juris Rn. 15). 287 LG Berlin 6.1.2016 – 44 O 133/15, DAR 2016 655 (juris Rn. 5). 288 OLG Frankfurt/M. 6.2.2018 – 22 W 2/18, VersR 2018 928, 929 (juris Rn. 25), siehe auch Fn. 282.

280 281 282 283

Beckmann

566

C. Prozessuales und sonstige Aspekte

VVG § 115

1. Maßgeblicher Zeitpunkt der Schadensberechnung In einer jüngeren Entscheidung hatte der BGH darüber zu entscheiden, welcher Zeitpunkt für 94 die Bemessung des Schadensersatzanspruchs bei der fiktiven Schadensberechnung maßgeblich ist. Grundsätzlich ist der Zeitpunkt des Schadenseintritts (Unfall) kein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Berechnung des entstandenen Schadens.289 Vielmehr ist der materiell-rechtlich maßgebliche Zeitpunkt für die Bemessung des Schadensersatzanspruchs in Geld – im Rahmen der Grenzen des Verjährungsrechts – der Zeitpunkt, in welchem dem Geschädigten das volle wirtschaftliche Äquivalent für das beschädigte Recht zufließt, also der Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung.290 Entscheidet sich der Geschädigte zur Abrechnung des Schadens aufgrund einer tatsächlich bereits vorgenommenen Reparatur, so ist der Schaden stets nach den Umständen desjenigen Zeitpunkts zu bemessen, in dem der Zustand hergestellt wird, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde.291 Ergeben sich hingegen Preisänderungen nach Erfüllung der Ersatzpflicht, so ist dies auch dann ohne Bedeutung, wenn das gerichtliche Verfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist.292 Wird der Schaden aufgrund fiktiver Reparaturkosten berechnet, ist in der Regel der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung der entsprechenden Kosten das Ende der letzten mündlichen Verhandlung (einer Tatsacheninstanz); Preissteigerungen ggf. bis zur letzten mündlichen Verhandlung gehen dann zu Lasten des Schädigers.293

2. Schadensminderungsobliegenheit Grundsätzlich besteht auch im Rahmen des Direktanspruchs die aus § 254 Abs. 2 Satz 1 letzter 95 Halbs. BGB ausfließende allgemeine Obliegenheit des Geschädigten, den entstandenen Schaden möglichst gering zu halten.294 Wird diese Obliegenheit schuldhaft verletzt, so ist der Anspruch des Geschädigten entsprechend zu kürzen. Maßstab ist insoweit ein Verschulden gegen sich selbst in der Form, dass der Geschädigte wider Treu und Glauben Maßnahmen unterlassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an der Stelle des Geschädigten zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde.295 Bei der Ermittlung, ob ein derartiges Verschulden gegen sich selbst vorliegt, sind Grundsatzentscheidungen, die der Gesetzgeber an anderer Stelle getroffen hat, zu berücksichtigen.296 Zu einer Anspruchskürzung führt es beispielweise, wenn vermeidbare Kosten für die An- 96 mietung eines Mietwagens entstehen, da der Reparaturauftrag betreffend das beschädigte Fahrzeug schuldhaft zu spät erteilt wird.297 Hierbei verbietet sich jedoch eine allgemeine, von den Umständen des konkreten Einzelfalls losgelöste Betrachtung. So besteht insbesondere keine allgemeine Obliegenheit stets möglichst zeitnah nach dem schädigenden Ereignis Maßnahmen der Schadensbeseitigung kurzfristig einzuleiten bzw. vorzufinanzieren.298 Weiterhin ist im Falle einer fiktiven Schadensabrechnung eine Verweisung des Geschädigten auf eine günstigere Repa289 BGH 18.2.2020 – VI ZR 115/19, VersR 2020 776, 777 (Rn. 15). 290 BGH 18.2.2020 – VI ZR 115/19, VersR 2020 776 f. (Rn. 11); BGH 17.10.2006 – VI ZR 249/05, BGHZ 169 263, 269 = VersR 2007 82, 83 f. (Rn. 16). 291 So bereits BGH 11.1.1951 – III ZR 83/50, BGHZ 1 34, 40 (juris Rn. 9); BGH 18.2.2020 – VI ZR 115/19, VersR 2020 776, 777 (Rn. 13). 292 BGH 18.2.2020 – VI ZR 115/19, VersR 2020 776, 777 (Rn. 12). 293 BGH 18.2.2020 – VI ZR 115/19, VersR 2020 776, 777 (Rn. 13). 294 BGH 17.11.2020 – VI ZR 569/19, VersR 2021 386, 387 (Rn. 6) betreffend Schadensereignis durch Verkehrsunfall. 295 BGH 17.11.2020 – VI ZR 569/19, VersR 2021 386, 387 (Rn. 7). 296 BGH 18.2.2020 – VI ZR 115/19, VersR 2020 776, 777 f. (Rn. 16); BGH 17.11.2020 – VI ZR 569/19, VersR 2021 386, 387 (Rn. 7). 297 BGH 24.6.1986 – VI ZR 222/85, VersR 1986 1208 (juris Rn. 10). 298 BGH 18.2.2020 – VI ZR 115/19, VersR 2020 776, 777 (Rn. 15). 567

Beckmann

§ 115 VVG

Direktanspruch

raturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt zulässig.299 97 Kein zur Anspruchskürzung führendes Verschulden gegen sich selbst liegt indes vor, wenn der Geschädigte es unterlässt, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten; begründet werden kann dies damit, dass die Kasko-Versicherung nicht den Zweck verfolgt, den Schädiger zu entlasten und eine Schadensmeldung wegen der damit einhergehenden Risikorückstufung nicht zumutbar ist.300 Nicht zu beanstanden ist auch dem Grunde nach, wenn bei Beschädigung eines Luxusfahrzeuges ein Ersatzfahrzeug aus der Klasse des beschädigten Fahrzeugs oder einer ähnlichen bzw. vergleichbaren Klasse angemietet wird, selbst wenn dies im Vergleich zur Anmietung eines zur Wiederherstellung der Mobilität genügenden Fahrzeuges oder der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln/Taxi zu bedeutsamen Mehrkosten führt.301 Dies hat das Gericht damit begründet, dass gerade bei Betrieb entsprechender Luxusfahrzeuge nicht (alleine) die Mobilität im Vordergrund steht und die Solidargemeinschaft hierdurch nicht über Gebühr belastet wird, da die Halter von Luxusfahrzeugen auch regelmäßig selbst entsprechend hohe Versicherungsprämien zahlen.

299 BGH 18.2.2020 – VI ZR 115/19, VersR 2020 776 (Rn. 8). 300 BGH 17.11.2020 – VI ZR 569/19, VersR 2021 386, 387 (Rn. 9 ff.). 301 KG 11.7.2019 – 22 U 160/17, VersR 2020 46 (juris Rn. 10 ff). Beckmann

568

§ 116 Gesamtschuldner (1)

1

Im Verhältnis der Gesamtschuldner nach § 115 Abs. 1 Satz 4 zueinander ist der Versicherer allein verpflichtet, soweit er dem Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsverhältnis zur Leistung verpflichtet ist. 2Soweit eine solche Verpflichtung nicht besteht, ist in ihrem Verhältnis zueinander der Versicherungsnehmer allein verpflichtet. 3Der Versicherer kann Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte. (2) Die Verjährung der sich aus Absatz 1 ergebenden Ansprüche beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch des Dritten erfüllt wird.

Schrifttum Heintzmann Zur Verjährung des Rückgriffsanspruchs des Versicherers nach § 3 Nr. 9, 11 PflVG, VersR 1980 593; Höld Der Regress des Kfz-Haftpflichtversicherers, VersR 2012 284; E. Lorenz Zur entsprechenden Anwendung der Regreßsperre des § 67 Abs. 2 VVG auf die gesamtschuldnerischen Ausgleichsansprüche des Kfz-Haftpflichtversicherers gegen den nicht deckungsberechtigten Versicherten (Fahrer), VersR 1991 505; Schirmer Das „kranke“ Versicherungsverhältnis zwischen KH-Versicherer und Versicherungsnehmer, VersR 1987 19; ders. Regreß des KH-Versicherers gegen den führerscheinlosen Sohn des Versicherungsnehmers, DAR 1989 14; Wagner Regressansprüche des Kfz-Haftpflichtversicherers, NJ 2011 45; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 1

b)

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand und Rechtsfolgen

I.

Innenverhältnis der Gesamtschuldner, § 116 5 Abs. 1 Alleinige Verpflichtung des VR/„intaktes“ Innen6 verhältnis, Abs. 1 Satz 1 Alleinige Verpflichtung des VN/„gestörtes“ In8 nenverhältnis, Abs. 1 Satz 2 a) Leistungsfreiheit des Haftpflichtversiche9 rers

1. 2.

1

c) 2

d) e)

5

f) g)

3

Bestehen eines Schadensersatzanspruches 11 des Geschädigten Schadensregulierung, Aufrechnungsmög12 lichkeit 13 Haftung bei mehreren Beteiligten Anwendbarkeit des Regressprivilegs bei häuslicher Gemeinschaft gem. § 86 18 Abs. 3? 25 Alternative Anspruchsgrundlagen 26 Irrtümliche Regulierung

II.

Aufwendungsersatz, Abs. 1 Satz 3

III.

Verjährung, Abs. 2

C.

Abdingbarkeit

D.

Prozessuales

28

32 35 36

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 116 ist eine im Rahmen der VVG-Reform 2008 neu ins Normengefüge des VVG aufgenommene 1 Vorschrift. Sie entspricht jedoch in weiten Teilen § 3 Nr. 9, 11 PflVG a. F.1 Bislang war ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den VR nur im Rahmen von Kfz-Haftpflichtversicherungen 1 So auch BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 116 Rn. 1. 569 https://doi.org/10.1515/9783110522662-020

Beckmann

§ 116 VVG

Gesamtschuldner

gem. § 3 Nr. 1 PflVG a. F. vorgesehen. Mit der VVG-Reform 2008 wurde die Möglichkeit eines Direktanspruchs des Geschädigten gegen den VR in § 115 Abs. 1 erweitert. Über den in Kfz-Haftpflichtversicherungen seit 1965 bestehenden Direktanspruch hinaus wurde ein solcher Direktanspruch zusätzlich für die Fälle eingeführt, bei denen die Realisierung des Anspruchs gegen den VN nicht oder nur unter großem Aufwand gelingt (z. B. Unkenntnis des Aufenthaltsortes und Insolvenz des VN; vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 115). Da sich somit der Direktanspruch nicht mehr nur auf das PflVG bezieht, war auch eine Übertragung der Regelung bzgl. des Gesamtschuldverhältnisses von VN und VR in das VVG notwendig geworden. Eine solche Regelung enthält nunmehr § 116 ganz allgemein für alle Direktansprüche. In Bezug auf die Vorgängerregelung des § 3 Nr. 9 PflVG a. F. ergeben sich aus inhaltlicher Sicht keine Änderungen. Lediglich die Verjährung der Ansprüche aus dem Gesamtschuldverhältnis wurde verändert. Während § 3 Nr. 11 PflVG a. F. noch vorsah, dass die Ansprüche nach zwei Jahren verjähren, wird in § 116 nunmehr nur noch der Beginn der Verjährung geregelt. Die Dauer der Verjährungsfrist selbst ergibt sich nun aus den allgemeinen Vorschriften der §§ 194 ff. BGB.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 Soweit dem Geschädigten gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 ein Direktanspruch gegen den VR zusteht, haften VN und VR gesamtschuldnerisch; dies folgt unmittelbar aus § 115 Abs. 1 Satz 4. Für das Gesamtschuldverhältnis zwischen VR und VN gelten damit grundsätzlich die bürgerlich-rechtlichen Regelungen gem. §§ 421 ff. BGB über die Gesamtschuld. In § 116 finden sich vorrangige Sonderregeln, insbesondere im Hinblick auf das Innenverhältnis zwischen VR und VN bzw. versicherter Person (zur versicherten Person sogleich Rn. 4); § 116 ist daher eine andere Bestimmung i. S. d. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB.2 Begleicht einer der Gesamtschuldner (in der Regel der VR) gegenüber dem geschädigten Dritten den Anspruch, erfüllt er gem. § 422 Abs. 1 BGB zugleich die Verbindlichkeit des anderen Gesamtschuldners. Im Rahmen des § 116, der also das Innenverhältnis der Gesamtschuldner regelt, kommt es maßgeblich darauf an, ob das bestehende Versicherungsverhältnis noch intakt („gesundes“ Versicherungsverhältnis) ist, oder ob Leistungshindernisse bestehen („gestörtes“ Versicherungsverhältnis); vgl. noch Rn. 6 ff. In dogmatischer Hinsicht hat das Kammergericht festgestellt, dass es sich bei Regressansprüchen des VR gegen den VN, die auf §§ 426 BGB, 115 Abs. 1 Satz 4, 116 Abs. 1 VVG beruhen, nicht um solche aus dem Versicherungsvertrag, sondern um gesetzliche Ansprüche mit Nähe zum Deliktsrecht handelt (siehe auch unten Rn. 37).3

III. Anwendungsbereich 3 Eine gesamtschuldnerische Haftung von VN und VR existiert nur dann, wenn dem Geschädigten von Gesetzes wegen ein Direktanspruch gegen den VR zusteht. Andernfalls haftet nur der VN, der seinerseits einen Freistellungsanspruch gegen den VR hat. § 116 ist dann nicht einschlägig. Auch wenn in § 115 lediglich vom ersatzpflichtigen VN die Rede ist, bezieht sich die Vor4 schrift auch auf mitversicherte Personen (vgl. § 115 Rn. 17); soweit sich also eine mitversicherte Person gegenüber einem geschädigten Dritten haftbar gemacht hat, entsteht demzufolge auch ein Gesamtschuldverhältnis zwischen der mitversicherten Person und dem VR, auf das wiederum § 116 Anwendung findet.4 Dies hat der BGH – noch für das frühere Recht betr. § 3 Nr. 9 PflVG a. F. – grundsätzlich festgestellt und den allgemeinen Grundsatz formuliert, dass – abgesehen 2 OLG Hamm 14.3.2017 – 24 U 46/16, VersR 2018 44, 46 (juris Rn. 41). 3 KG 15.4.2019 – 2 AR 9/19, VersR 2019 775, 776 (juris Rn. 8). 4 OLG Hamm 14.3.2017 – 24 U 46/16, VersR 2018 44, 46 (juris Rn. 41); Langheid/Rixecker/Langheid6 § 116 Rn. 5; OLG Koblenz 9.1.2006 – 12 U 622/04, NJOZ 2006 1140, 1142 (juris Rn. 24). Beckmann

570

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 116

von der Prämienzahlungsverpflichtung – bei Vorliegen einer Versicherung für fremde Rechnung die Bestimmungen des VVG, des Pflichtversicherungsgesetzes und der AKB so auszulegen sind, dass überall dort, wo vom Versicherungsnehmer die Rede ist, der Versicherte ebenso gemeint ist.5

B. Tatbestand und Rechtsfolgen I. Innenverhältnis der Gesamtschuldner, § 116 Abs. 1 § 116 Abs. 1 regelt das Verhältnis der Gesamtschuldner untereinander. Da VR und VN in den 5 Fällen des § 115 Abs. 1 gesamtschuldnerisch haften, gelten grundsätzlich die §§ 421 ff. BGB. Sie sind jedoch subsidiär, soweit § 116 Abs. 1 hiervon abweichende Regelungen schafft. Bei Vorliegen einer Gesamtschuldnerschaft kann der Geschädigte den bestehenden Anspruch gem. § 421 BGB von jedem Gesamtschuldner in voller Höhe verlangen. Leistet ein Gesamtschuldner auf die Forderung des Geschädigten, so begleicht er zugleich die Verbindlichkeit der anderen Gesamtschuldner gegenüber dem Geschädigten, § 422 Abs. 1 BGB. Gesteht das Gesetz dem Geschädigten einen Direktanspruch gegen den VR zu, so kann er Schadensersatz also entweder vom VR oder vom VN (bzw. der mitversicherten Person) verlangen. Hiervon zu unterscheiden ist der Ausgleich im Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern: Nach § 426 Abs. 1, 1. Halbs. BGB wären beide Parteien im Innenverhältnis grundsätzlich zu gleichen Teilen verpflichtet. Begleicht der VR die Forderung gegenüber dem Geschädigten, so könnte er hiernach grundsätzlich Ausgleich vom VN verlangen. Eine solche Rechtsfolge würde den Sinn der Haftpflichtversicherung insoweit vereiteln, als sie auch dem Schutz des VN dient (siehe zur Rechtfertigung der Pflichthaftpflichtversicherung auch Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 15 ff.), weil den HaftpflichtVR die Pflicht zur vollen Übernahme des entstandenen Schadens treffen soll. Daher verdrängt § 116 die Regelung des § 426 BGB als lex specialis, soweit sich ihr Regelungsgehalt überschneidet.6

1. Alleinige Verpflichtung des VR/„intaktes“ Innenverhältnis, Abs. 1 Satz 1 Satz 1 dieser Vorschrift regelt den Grundfall des Versicherungsverhältnisses. Ist der VR dem VN 6 gegenüber aus dem Versicherungsverhältnis zur Leistung verpflichtet, so muss er für den entstandenen Schaden gegenüber dem VN alleine haften. Man spricht in diesem Zusammenhang vom „intakten“ bzw. „gesunden“ Versicherungsverhältnis zwischen VN und VR.7 Eine Rückgriffmöglichkeit des VR gegen den VN im Innenverhältnis besteht also gerade nicht. Dem Sinn und Zweck nach ist bei intakten Innenverhältnissen einzig der VR verpflichtet. Erbringt der VR seine Pflicht aus dem Versicherungsverhältnis und begleicht den Schaden beim Dritten, so wird sowohl der VR als auch der VN von seiner Haftung frei (vgl. bereits oben Rn. 5). Gegebenenfalls bestehende Ausgleichsansprüche des VN gegen andere Personen gehen gem. § 86 Abs. 1 zugleich auf den VR über.8 Des Weiteren steht dem VR ein Kündigungsrecht gem. § 111 zu.9 Es ist umgekehrt auch möglich, dass der ersatzpflichtige VN den Schaden bereits gegenüber 7 dem Dritten beglichen hat. Nach früherer Rechtslage war der VR unter grundsätzlicher Geltung

5 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 145 f. = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 12) unter Hinweis auf Bruck/ Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 66.

6 Vgl. BGH 20.1.1971 – IV ZR 42/69, BGHZ 55 281, 287 = VersR 1971 429, 430 (juris Rn. 14); Staudinger/Halm/Wendt/ Dallwig2 § 116 Rn. 1.

7 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 116 Rn. 4; Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 6. 8 Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 2; Gleiches gilt für den mitversicherten Fahrer, vgl. Schirmer VersR 1987 19. 9 Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 2. 571

Beckmann

§ 116 VVG

Gesamtschuldner

des Anerkennungs- und Befriedigungsverbots gem. § 154 Abs. 2 VVG a. F. von der Leistung frei.10 Nach dem VVG 2008 ist die Vereinbarung eines solchen Anerkennungs- und Befriedigungsverbots indes gem. § 105 unwirksam. Konsequenz ist, dass der VN berechtigt ist, seine Schadensersatzpflicht gegenüber dem geschädigten Dritten zu erfüllen. Es wird deshalb erwartet, dass diese Fallkonstellation in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird.11 Bei einem intakten Versicherungsverhältnis besteht im Falle der Erfüllung des versicherten Haftpflichtanspruchs durch den VN gegenüber dem geschädigten Dritten ein Ausgleichsanspruch des VN gegen den VR. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 426 Abs. 1 BGB i. V. m. § 116 Abs. 1 Satz 1 sowie aus § 426 Abs. 2 BGB aufgrund eines gesetzlichen Forderungsüberganges.12 Darüber hinaus lässt sich der Anspruch aber ohnehin direkt aus dem Versicherungsverhältnis herleiten;13 der ursprüngliche Freistellungsanspruch wandelt sich in einen Zahlungsanspruch um.14 Dieser Anspruch besteht in voller Schadenshöhe, soweit Versicherungsschutz in dieser Höhe besteht. Der VN hat allerdings ggf. zu beweisen, dass der Schadensersatzanspruch auch wirklich in entsprechender Höhe bestand.15

2. Alleinige Verpflichtung des VN/„gestörtes“ Innenverhältnis, Abs. 1 Satz 2 8 Im Gegensatz dazu regelt § 116 Abs. 1 Satz 2 die Fälle, in denen der VR im Innenverhältnis zum VN gerade nicht zur Leistung verpflichtet ist, § 117 jedoch vorschreibt, dass sich die Leistungsfreiheit im Innenverhältnis nicht auf das Verhältnis zum Dritten (Geschädigten) auswirkt. Man spricht vom „gestörten“ bzw. „kranken“ Versicherungsverhältnis.16 Im Außenverhältnis muss der VR zwar den Schaden des Dritten begleichen, er kann jedoch im Innenverhältnis vom VN den gesamten Schaden ersetzt verlangen. § 116 Abs. 1 Satz 2 bildet die Anspruchsgrundlage für den Regress des VR gegen den VN im Innenverhältnis. Anders als in § 426 Abs. 1 BGB findet jedoch kein anteiliger Ausgleich statt. Vielmehr steht eine alleinige Haftung des VN im Raum; gem. § 116 Abs. 1 Satz 2 ist der VN „allein verpflichtet“. Neben den Anspruch aus § 116 Abs. 1 Satz 2 tritt darüber hinaus noch der Anspruch des Geschädigten gegen den VN, der gem. § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB auf den VR übergeht. Handelt es sich lediglich um eine teilweise Leistungsfreiheit des VR im Innenverhältnis, so hat der VR gegenüber dem VN auch nur einen anteiligen Regressanspruch.17 Wie sonst steht auch bei dieser Konstellation eine mitversicherte Person dem VN gleich.18

9 a) Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers. Erste Voraussetzung für einen Rückgriffsanspruch des HaftpflichtVR nach § 116 Abs. 1 Satz 2 ist, dass dieser im Verhältnis zum VN von seiner Leistungspflicht frei ist. Für das Erlöschen der Leistungspflicht aus dem Versicherungsverhältnis kommen verschiedene Fallkonstellationen in Betracht. Zum einen kann der VN gegen eine Obliegenheit (schuldhaft) verstoßen haben, z. B. gem. § 19 Abs. 2 i. V. m. §§ 21 Abs. 2, § 26 Abs. 1, § 28 Abs. 2, § 82 Abs. 3. Insoweit stellt etwa eine Unfallflucht regelmäßig eine zur Leis-

Dazu Bruck/Möller/R. Koch10 § 105 Rn. 1 f. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 2. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 116 Rn. 2; Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 6. Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 2. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 116 Rn. 2. Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 2. Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 116 Rn. 5; Langheid/Wandt/ Schneider2 § 116 Rn. 7. 17 OLG Saarbrücken 30.10.2014 – 4 U 165/13, RuS 2015 340 (juris Rn. 116); Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 116 Rn. 3. 18 BGH 20.1.1971 – IV ZR 42/69, BGHZ 55 281, 283 f. = VersR 1971 429, 430 (für mitversicherten Fahrer) (juris Rn. 8); Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 7; vgl. allgemein bereits oben Rn. 4.

10 11 12 13 14 15 16

Beckmann

572

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 116

tungsfreiheit führende Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des § 28 Abs. 2 dar.19 Zum anderen kann ein Verstoß des VN gegen eine vertragliche Pflicht des VN vorliegen; häufig sind hierbei insbesondere Konstellationen zu nennen, bei denen sich der VN im Prämienzahlungsverzug befindet, §§ 37 f. Auch eine relative Fahruntüchtigkeit kann über D2.1 AKB 2015 eine anteilige Leistungsfreiheit mit der Folge des § 116 Abs. 2 Satz 1 begründen.20 Praxisrelevante und erheblich wirkende Besonderheiten gelten für die Kfz-Haftpflichtversiche- 10 rung. So ist die Leistungsfreiheit des VR bei bestimmten Obliegenheitsverletzungen des VN gem. § 5 Abs. 3 KfzPflVV auf maximal 5.000,–A beschränkt (§ 5 KfzPflVV erfasst die dort in Abs. 1 genannten vertraglichen Obliegenheiten sowie Fälle der Gefahrerhöhung; vgl. § 5 Abs. 3 KfzPflVV). § 6 KfzPflVV wiederum sieht für die dort genannten Obliegenheiten eine grundsätzliche Beschränkung der Leistungsfreiheit auf maximal 2.500,– A vor.

b) Bestehen eines Schadensersatzanspruches des Geschädigten. Rückgriff beim VN 11 nehmen kann der VR nur dann, wenn auch tatsächlich ein Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den VN bzw. gegen einen Mitversicherten bestand. Hat der VR einen vermeintlichen Schaden ausgeglichen, obwohl dieser z. B. nicht dem VN zugerechnet werden kann, so muss sich der VR über allgemeine zivilrechtliche Ansprüche, insbesondere über Bereicherungsansprüche an den Geschädigten halten. Voraussetzung für einen Rückgriffsanspruch des VR aufgrund § 116 Abs. 1 Satz 2 ist deshalb, dass der Geschädigte tatsächlich Ansprüche gegen den VN hatte. Hierfür ist der VR darlegungs- und beweispflichtig; etwas anderes gilt indes, wenn Bindungswirkung gem. § 124 Abs. 2 eingetreten ist.21 Steht beispielsweise eine Kfz-Haftpflicht im Raum, ist insbesondere zu untersuchen, ob der VN den Schaden verursacht hat und, wenn er es nicht selbst war, ob ihm zumindest die Haltereigenschaft (§ 7 StVG) zuzusprechen ist. War der VN etwa weder Fahrer noch Halter des Pkw, der einen Schaden verursacht hat, so kommt auch kein Rückgriffsanspruch gegen ihn in Betracht.22 c) Schadensregulierung, Aufrechnungsmöglichkeit. Umstritten ist, inwieweit eine Pflicht 12 des HaftpflichtVR besteht, noch vor der endgültigen Regulierung des Schadens zunächst den VN zu kontaktieren, um diesem die Möglichkeit zur Aufrechnung gegenüber dem Geschädigten zu geben. Derartige Konstellationen sind vor allem im Rahmen von Verkehrsunfällen von Bedeutung, da hier nicht selten eine Teilschuld besteht, aus der die Beteiligten gegenseitig Ansprüche herleiten können. Eine Rückfragepflicht wird neuerdings – zumindest für das gestörte Deckungsverhältnis – bejaht.23 Als Begründung wird angeführt, dass so der VN das Risiko vermeiden könne, später mit seiner Forderung gegen den Dritten auszufallen. Zudem sei die Sachlage vergleichbar mit der eines Bürgen, der auch nicht leisten müsse, solange eine Aufrechnung möglich ist (§ 770 Abs. 2 BGB). Zwar ist es dem VR generell anzuraten, den VN bei der Schadensregulierung mit einzubinden, da sich im Falle der Aufrechnung auch seine Schadensersatzpflicht reduziert und somit sein Ausfallrisiko gegenüber dem VN gemindert wird. Ob man indes eine Rückfragepflicht des VR annehmen kann, erscheint zumindest diskussionswürdig.24

19 20 21 22 23 24

LG Düsseldorf 29.1.2015 – 9 S 27/14, VersR 2016 917 (juris Rn. 28). LG Aurich 20.12.2016 – 5 S 155/16, VersR 2017 1137, 1138 (juris Rn. 11). Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 9; dazu Kommentierung zu § 124. OLG Schleswig 18.12.1996 – 9 U 5/96, NZV 1997 442 (juris Rn. 4). Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 9; ebenso Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 6. Gegen Rückfragepflicht Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 116 Rn. 6; für Entscheidung im Einzelfall Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 10.

573

Beckmann

§ 116 VVG

Gesamtschuldner

13 d) Haftung bei mehreren Beteiligten. Auch im Rahmen von § 116 ist lediglich die Rede vom (ersatzpflichtigen) VN. Gleichwohl gelten die Regelungen des § 116, insbesondere mit den in Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 geregelten Konsequenzen, auch im Hinblick auf eine mitversicherte Person (vgl. bereits oben Rn. 4). Unabhängig von diesem grundsätzlichen Befund ist es zudem möglich, dass VN und mitversicherte Person (insbesondere Halter und Fahrer eines Kfz) gegenüber dem geschädigten Dritten schadensersatzpflichtig sind. In diesem Falle entsteht unter den beteiligten Schuldnern (VR, VN und mitversicherte Person) ein Gesamtschuldverhältnis,25 allerdings nicht zu Schädigern, die außerhalb dieses Versicherungsverhältnisses stehen.26 Keine besonderen Probleme entstehen dabei grundsätzlich etwa bei Leistungspflicht des VR gegenüber VN und mitversicherter Person, wenn der VR also sowohl gegenüber dem VN (z. B. Halter) als auch gegenüber einer mitversicherten Person (z. B. Fahrer) zur Leistung verpflichtet ist; bei dieser Konstellation trägt der VR im Innenverhältnis gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 allein den Schaden.27 14 Denkbar ist des Weiteren die umgekehrte Konstellation, dass der VR sowohl gegenüber dem VN wie auch der mitversicherten Person leistungsfrei ist. Insoweit ist zunächst § 123 zu beachten. Dieser regelt die Konstellation bei einer Versicherung für fremde Rechnung, bei der der Versicherte dem VN gegenüber nicht zur Leistung verpflichtet ist; die gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit kann der VR dem Versicherten nur entgegenhalten, wenn die der Leistungsfreiheit zugrunde liegenden Umstände in der Person des Versicherten vorliegen oder wenn diese Umstände dem Versicherten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt waren (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 123). Ergibt sich – unter Beachtung von § 123 –, dass der VR sowohl gegenüber dem VN wie auch gegenüber dem Versicherten leistungsfrei ist, so ist etwa der VR – nach Erfüllung gegenüber dem geschädigten Dritten – gem. § 116 Abs. 1 Satz 2 berechtigt, sowohl den VN wie auch die mitversicherte Person auf Ausgleich in Anspruch zu nehmen.28 Allerdings haftet jeder Gesamtschuldner nur in Höhe der Quote, die sich aus § 254 BGB ergibt;29 der leistungsfreie VR, der gegenüber dem Geschädigten erfüllt hat, kann also von der jeweiligen Person nur den Teil des Schadens verlangen, der ihrer Verantwortlichkeit am Schaden entspricht, § 254 BGB30 (quotale Inanspruchnahme der übrigen Gesamtschuldner). 15 Ist der VR hingegen nur gegenüber dem VN (z. B. Halter), nicht jedoch gegenüber der mitversicherten Person (z. B. Fahrer) deckungspflichtig (teilweise Leistungsfreiheit), so ist zunächst zu klären, in welchem Umfang (§ 254 BGB) VN und mitversicherte Person zum Schaden beigetragen haben. Der VR hat nur die Quote zu übernehmen, die auf den VN entfällt; im Übrigen kann der VR bei der mitversicherten Person entsprechend deren Quote gem. § 116 Abs. 1 Satz 2 Rückgriff nehmen.31 Gegenüber dem VN scheidet ein Rückgriff aufgrund bestehender Deckungspflicht aus. Ist z. B. der Fahrer eines Kfz alkoholisiert und verursacht so einen Unfall, so haften dem Geschädigten gegenüber sowohl Halter (§ 7 StVG) als auch Fahrer (§ 18 StVG; § 823 Abs. 1 BGB). Dem Halter gegenüber muss der VR leisten, dem Fahrer gegenüber ist er aufgrund dessen Alkoholisierung leistungsfrei. Im Innenverhältnis zwischen Halter und Fahrer müsste 25 BGH 28.11.2006 – VI ZR 136/05, NJW 2007 1208, 1209 = VersR 2007 198, 199 (Rn. 16); OLG Celle 9.9.2004 – 5 U 67/04, VersR 2005 681; OLG Koblenz 9.1.2006 – 12 U 622/04, NJOZ 2006 1140, 1142 (juris Rn. 24); Langheid/Wandt/ Schneider2 § 116 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 10. 26 Nachweise in vorstehender Fn. 25. 27 OLG Koblenz 9.1.2006 – 12 U 622/04, NJOZ 2006 1140, 1142 = OLGR Koblenz 2006 429 (juris Rn. 24). 28 BGH 20.1.1971 – IV ZR 42/69, BGHZ 55 281, 284 ff. = NJW 1971 937, 938 (unter III.); Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 116 Rn. 5. 29 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 145 f. = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 12); Langheid/Wandt/ Schneider2 § 116 Rn. 11; wohl auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 12; a. A. Prölss JZ 1989 149 f. 30 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 145 f. = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 12); OLG Celle 9.9.2004 – 5 U 67/04, VersR 2005 681, 682; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 12; R. Johannsen NZV 1989 69. 31 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 145 f. = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 12); instruktiv OLG Koblenz 9.1.2006 – 12 U 622/04, OLGR Koblenz 2006 429 (juris Rn. 24) = NJOZ 2006 1140, 1142; OLG Celle 26.7.2012 – 8 W 39/12, ZfS 2012 571 (juris Rn. 4); Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 11. Beckmann

574

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 116

der Halter grundsätzlich nur seine Betriebsgefahr tragen, die jedoch hinter dem Fehlverhalten des Fahrers in einem solchen Fall zurücktritt. Der Fahrer ist somit voll regresspflichtig und hat den gesamten Schaden zu ersetzen.32 Anders wäre nur zu entscheiden, sofern der Halter trotz Kenntnis von der Alkoholisierung die Fahrt dennoch genehmigt hatte. Vergleichbare Konstellationen können sich ergeben, wenn z. B. eine Autofahrt gegen den Willen des Halters erfolgt; zumeist trägt der Fahrer die volle Verantwortung für den Schaden.33 Das ist etwa der Fall, wenn der Fahrer den PKW gestohlen hat. Auch hier ist er dem VR zum Ersatz des gesamten Betrages verpflichtet, sofern dem Halter seinerseits kein Verschulden zur Last gelegt werden kann, § 7 Abs. 3 Satz 1 StVG.34 Im Rahmen des Rückgriffs durch den VR gegen eine mitversicherte Person ist es ausnahms- 16 weise denkbar, dass der Mitversicherte dem VR einen eigenen Anspruch entgegenhalten kann, insbesondere wenn der Mitversicherte zugleich Dritter i. S. d. § 115 Abs. 1 ist und ihm damit ein eigener Direktanspruch gegen den VR zusteht.35 Denkbar ist auch das Eintreten mehrerer VR. So hatte der BGH über das Eingreifen einer 17 Doppelversicherung eines Gespanns aus einem Kraftfahrzeug und einem versicherungspflichtigen Anhänger zu entscheiden. Dabei ist der BGH zu dem Ergebnis gekommen, dass im Regelfall nach einem durch das Gespann verursachten Schaden der HaftpflichtVR des Kraftfahrzeugs und der des Anhängers den Schaden im Innenverhältnis je zur Hälfte zu tragen haben.36

e) Anwendbarkeit des Regressprivilegs bei häuslicher Gemeinschaft gem. § 86 Abs. 3? 18 Vor allem in den 1980er und 1990er Jahren stand die Frage in der Diskussion, ob durch eine analoge Anwendung des Haftungsprivilegs zugunsten von in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen gem. § 67 Abs. 2 VVG a. F. (seit der VVG-Reform 2008 § 86 Abs. 3) der Regressanspruch des VR ausgeschlossen sein kann. Nach § 86 Abs. 3 kann ein VR, nachdem er den Schaden beim Dritten reguliert hat, nicht den ihm im Wege der Legalzession zustehenden Anspruch seines VN gegenüber einem Dritten geltend machen, wenn dieser in häuslicher Lebensgemeinschaft mit dem VN lebt. Die Vorschrift bezweckt, den Gemeinschaftsfrieden zu erhalten, der gestört würde, wenn die Streitigkeiten über die Verantwortung der Schadenszufügung innerhalb der bestehenden häuslichen Gemeinschaft ausgetragen werden sollten.37 Erwogen wurde die Geltung dieses Regressprivilegs auch im Rahmen der Abwicklung einer 19 Kfz-Haftpflichtversicherung. Beispiel: Ein im Hause des VN lebender Familienangehöriger, der keinen Führerschein besitzt, entwendet ohne Kenntnis und Willen des VN ein haftpflichtversichertes Kfz.38 Es ereignet sich ein vom Familienangehörigen verursachter Unfall. Lässt sich dem VN kein Versäumnis vorwerfen, kann dieser als Halter gem. § 7 Abs. 3 StVG vom Geschädigten 32 OLG Celle 9.9.2004 – 5 U 67/04, VersR 2005 681, 682. 33 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 146 f. = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 13); OLG Koblenz 9.1.2006 – 12 U 622/04, OLGR Koblenz 2006 429 (juris Rn. 24) = NJOZ 2006 1140, 1142; R. Johannsen NZV 1989 69.

34 BGH 28.11.2006 – VI ZR 136/05, VersR 2007 198, 199 (Rn. 12). 35 Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 5; Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 116 Rn. 5; zum Dritten i. S. d. § 115 Abs. 1 vgl. auch Kommentierung zu § 115 Rn. 14 ff. 36 BGH 27.10.2010 – IV ZR 279/08, BGHZ 187 211, 213 ff. = VersR 2011 105 (Rn. 9, 22 ff.); dazu Matusche-Beckmann LMK 2011 320471. 37 Langheid/Wandt/Möller/Segger2 § 86 Rn. 179; vgl. auch Bruck/Möller/Voit9 § 86 Rn. 162; vgl. noch zu § 67 Abs. 2 VVG a. F. BGH 1.12.1987 – VI ZR 50/87, BGHZ 102 257, 259 f. = VersR 1988 253 f. (juris Rn. 13), wonach die Vorschrift bezweckt, im Interesse des häuslichen Familienfriedens zu verhindern, „dass Streitigkeiten über die Verantwortung von Schadenszufügungen gegen Familienangehörige ausgetragen werden; gleichzeitig will es vermeiden, dass der Versicherte durch den Rückgriff mittelbar selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Familienangehörige, die in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, bilden meist eine wirtschaftliche Einheit, so dass bei Durchführung des Rückgriffs der Geschädigte im praktischen Ergebnis das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen wieder herausgeben müsste“. 38 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 13. 575

Beckmann

§ 116 VVG

Gesamtschuldner

nicht in Anspruch genommen werden. Der VR ist nunmehr jedoch nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 einem Direktanspruch des Geschädigten ausgesetzt. Gegenüber dem Familienangehörigen als Fahrer des Kfz ist er jedoch unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 4 KfzPflVV i. V. m. D.1.3 AKB 2008 (Führerscheinklausel) im Innenverhältnis leistungsfrei. Für solche und ähnliche Konstellationen ist der Standpunkt vertreten worden, dass ein Regressanspruch des VR gegen Familienangehörige aufgrund des Angehörigenprivilegs gem. § 67 Abs. 2 VVG a. F. (heute § 86 Abs. 3) ausscheide.39 Der BGH und die heute wohl herrschende Ansicht haben indes bereits schon die Anwen20 dung des § 67 Abs. 2 VVG a. F. abgelehnt;40 auch im Hinblick auf die Anwendung der Nachfolgeregelung des § 86 Abs. 3 hat sich hieran nichts geändert.41 In der Tat kommt eine direkte Anwendung des § 86 Abs. 3 nicht in Betracht. Aufgrund des Direktanspruchs des Geschädigten gegen den VR, haftet dieser als Gesamtschuldner selbst und erfüllt mit der Begleichung des Schadens eine eigene Verbindlichkeit. Er erwirbt folglich den Anspruch gegen den Unfallverursacher nicht nach § 86 Abs. 1, sondern nach § 426 Abs. 2 BGB.42 Eine analoge Anwendung der Vorgängervorschrift des § 67 Abs. 2 VVG a. F. hatte der BGH mangels Vorliegens der eine Analogie begründenden Voraussetzungen abgelehnt. So hat der BGH ausgeführt, dass die Rechtslage bei § 67 Abs. 2 VVG a. F. (heute § 86 Abs. 3) und der hier in Rede stehenden Situation keineswegs identisch sei. Voraussetzung für den Forderungsübergang nach § 67 Abs. 1 VVG a. F. (heute § 86 Abs. 1) sei zunächst einmal, dass der VR gegenüber dem VN (vermeintlich) leistungspflichtig ist und ihn von einer Schadensersatzpflicht befreien will und muss.43 Im hier beschriebenen Fall hingegen existiert jedoch keine Schadensersatzverpflichtung des VN. Der VR ist zwar im Außenverhältnis vorläufig deckungspflichtig, im Innenverhältnis zum Fahrer hingegen nicht. Eine analoge Anwendung des Regressprivilegs gem. § 67 Abs. 2 VVG a. F. würde jedoch dazu führen, dass den VR letztlich doch eine endgültige Deckungspflicht trifft. Der VR wäre gezwungen, ein bestimmtes Risiko – Schadenverursachung durch einen führerscheinlosen Fahrer – unter bestimmten Voraussetzungen zu decken, obwohl er dieses Risiko erkennbar nicht übernehmen wollte und obwohl auch der Gesetzgeber ihm dieses Risiko nicht zumuten will. Daher scheide eine analoge Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG a. F. folgerichtig aus.44 Für diesen Standpunkt spielt sicherlich auch eine Rolle, dass der Rückgriff des VR gegen die mitversicherte Person auf (seinerzeit) 5.000,– DM beschränkt war.45 In der heute gem. § 5 Abs. 3 KfzPflVV geltenden Beschränkung auf 5.000,– A liegt sicherlich ein Grund, einen Rückgriff weiterhin zuzulassen. 21 Im Rahmen der VVG-Reform 2008 wurde diese Frage der Anwendung des Privilegs nach § 86 Abs. 3 im Rahmen des Rückgriffs des Pflichthaftpflichtversicherers gegen eine mitversicherte Person nicht ausdrücklich diskutiert. Gleichwohl spricht die Tatsache, dass der Gesetzgeber 39 OLG Hamm 16.9.1987 – 20 W 36/87, NJW-RR 1988 93 f.; LG Münster 19.4.1989 – 9 S 35/89, VersR 1990 151, 152; Prölss JZ 1989 148; E. Lorenz VersR 1991 505; Schirmer VersR 1987 19. 40 BGH 18.1.1984 – IVa ZR 73/82, VersR 1984 327 (juris Rn. 12); BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 143 ff. = VersR 1988 1062, 1063 (juris Rn. 7 ff.); OLG Celle 9.9.2004 – 5 U 67/04, VersR 2005 681 f.; OLG Hamm 1.2.2006 – 20 U 212/05, VersR 2006 965 (juris Rn. 9); LG Bielefeld 18.3.1998 – 22 (2) S 507/97, VersR 1999 1274; instruktiv zum Angehörigenprivileg OLG Stuttgart 9.6.2005 – 13 U 21/04, NZV 2006 213, 214; R. Johannsen NZV 1989 69, 70. 41 Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 12; Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Heß/Höke3 § 29 Rn. 342; in eine andere Richtung tendierend hingegen Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 19. 42 BGH 18.1.1984 – IVa ZR 73/82, VersR 1984 327 (juris Rn. 12 f.); OLG Celle 9.9.2004 – 5 U 67/04, VersR 2005 681 f. 43 Vgl. zur Zahlung des VR ohne Rechtspflicht oder rechtsgrundlos erbrachte Leistung Bruck/Möller/Voit9 § 86 Rn. 104 ff. 44 Zum Vorstehenden insbesondere BGH 13.7.1988 –IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 143 f. = VersR 1988 1062, 1063 (juris Rn. 8 f.). 45 Aufgrund der gegenüber dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen abgegebenen geschäftsplanmäßigen Erklärung (VerBAV 1975 157); BGH 13.7.1988– IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 150 = VersR 1988 1062, 1065 (juris Rn. 22); vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 15; heute ergibt sich diese Beschränkung aus § 5 Abs. 3 KfzPflVV. Beckmann

576

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 116

im Rahmen der VVG-Reform 2008 keine vom geschilderten Standpunkt der h. M. abweichende Regelung getroffen hat, für eine Fortgeltung dieser Rechtslage. Hierfür spricht des Weiteren, dass der persönliche Anwendungsbereich des § 86 Abs. 3 im Vergleich zu § 67 Abs. 2 VVG a. F. erweitert wurde.46 An diesem Ergebnis hat der BGH47 auch für den Fall festgehalten, dass im Unterschied zur 22 oben geschilderten Konstellation (Rn. 19) auch dem VN als Halter ein Vorwurf gemacht werden kann, z. B. wenn der Halter die Fahrt eines alkoholisierten Mitbewohners schuldhaft ermöglicht hat. Die Besonderheit ist hierbei, dass auch der versicherte Halter gegenüber dem Haftpflichtgläubiger schadensersatzpflichtig ist und er damit Gesamtschuldner neben Fahrer und VR ist. Im Innenausgleich zwischen Halter und Fahrer wäre jedoch nach wohl allgemeiner Auffassung (vgl. bereits oben Rn. 15) eine vollständige Einstandspflicht des Fahrers gegeben, weil das schuldhafte Ermöglichen der Fahrt hinter der Fahrt unter Alkoholeinfluss völlig zurücktritt. Insofern stünde dem Halter lediglich ein Befreiungsanspruch gegen den Fahrer zu.48 Es stellt sich die Frage, welche rechtlichen Auswirkungen es hat, wenn der VR nunmehr an den Haftpflichtgläubiger leistet. Nach Ansicht der Rechtsprechung beinhaltet die Leistung lediglich die Tilgungsbestimmung hinsichtlich der eigenen Verbindlichkeit des HaftpflichtVR. Dieser leiste nicht für den Halter oder gar für den Fahrer.49 Folgerichtig wird auch der Befreiungsanspruch des Halters gegen den Fahrer gegenstandslos, weil fortan keine Inanspruchnahme durch den Haftpflichtgläubiger mehr droht. Der BGH hat deshalb eine Anwendung des § 67 Abs. 1 VVG a. F. (seit der VVG-Reform 2008 § 86 Abs. 1) abgelehnt, da kein Anspruch mehr besteht, der übergehen könne. Nach einer Gegenansicht stellt indes die Zahlung des VR an den Gläubiger gleichfalls eine Leistung an den Halter dar.50 Unter dieser Prämisse wäre eine Anwendbarkeit des Regressprivilegs gegeben, da der Anspruch des VN gegen den Fahrer auf den VR kraft Gesetzes übergehen könnte.51 Zur Begründung wird angeführt, dass sich durch die Einführung des Direktanspruches gegen den HaftpflichtVR nur die Position des Geschädigten verbessern sollte, die des Mitversicherten sollte aber nicht verschlechtert werden.52 Zuvor war jedoch ein Übergang der Ausgleichsansprüche auf den VR nach § 67 VVG a. F. (heute § 86) möglich. Das ist für sich gesehen durchaus einleuchtend, führt jedoch auch zu einem Wertungswiderspruch. Ist dem Halter als VN kein Vorwurf zu machen, verbleibt es bei einer vollen Haftung des Fahrers, da § 67 VVG a. F. (heute § 86) nicht anwendbar wäre (ein Anspruch des Geschädigten, der auf den VR übergehen könnte, besteht nicht). Ist dem Halter als VN dagegen sehr wohl ein Vorwurf zu machen, so würde der Fahrer gerade nicht haften; ein Schadensersatzanspruch des Geschädigten könnte kraft Gesetzes auf den VR übergehen, so dass der Weg zum Regressprivileg frei wäre. Das Eingreifen des Regressprivilegs würde folglich davon abhängen, ob der Halter schuldhaft gehandelt hat.53 Dieses Ergebnis ist gewiss nicht tragfähig. Von daher erscheint es nachvollziehbar, die Zahlung des VR an den Gläubiger nur als eige- 23 ne Leistung anzusehen, zumal sich vor allem aus Sicht eines objektiven Empfängers die Zahlung auch nur als eine solche darstellt. Damit ist auch für den Fall, dass dem Halter ein schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden kann, die Anwendung des § 86 ausgeschlossen. Wie schon oben (Rn. 20) zum Ausdruck gebracht, bleibt darauf hinzuweisen, dass der Re- 24 gress im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung beim Fahrer gem. § 5 Abs. 3 KfzPflVV i. V. m.

Dazu Beckmann/Matusche-Beckmann/Hormuth3 § 22 Rn. 115. Zum Nachstehenden BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 147 f. = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 14 ff.). BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 147 = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 16). BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 147 = VersR 1988 1062, 1064 (juris Rn. 16); OLG Celle 9.9.2004 – 5 U 67/04, VersR 2005 681. 50 Lorenz VersR 1991 505; Schirmer DAR 1989 14, 16. 51 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 17. 52 Schirmer DAR 1989 14, 16; zustimmend Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 19. 53 Vgl. auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 17.

46 47 48 49

577

Beckmann

§ 116 VVG

Gesamtschuldner

D 3.3 AKB 2008 ohnehin auf 5.000,– A beschränkt ist. Aufgrund dieser Wirkung sieht auch die Gegenansicht die Entscheidung des BGH als ein praktikables Ergebnis an.54

25 f) Alternative Anspruchsgrundlagen. § 116 Abs. 1 Satz 2 stellt eine abschließende Regelung im Hinblick auf den Regress der Gesamtschuldner dar. Ist der VR gegenüber dem VN oder dem Mitversicherten leistungsfrei, kann er auch nur über diese Vorschrift bei der jeweiligen Person Regress nehmen.55 § 116 Abs. 1 Satz 2 ist daher lex specialis zu den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) und denen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB).56

26 g) Irrtümliche Regulierung. Sofern der VR den Schaden reguliert hat, obwohl er auch gegenüber dem Geschädigten nicht zur Leistung verpflichtet war – etwa weil er sich über seine Leistungspflicht oder sonstige Umstände bzgl. des jeweiligen Versicherungsverhältnisses geirrt hat, oder weil er sich auf das Verweisungsprivileg des § 117 Abs. 3 Satz 2 berufen kann –, ist er berechtigt, vom Leistungsempfänger den Betrag über § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückzufordern.57 § 116 Abs. 1 Satz 2 ist in diesem Fall überhaupt nicht einschlägig, weil aufgrund der Leistungsfreiheit des VR keine Gesamtschuld existiert. Gegenüber wem nunmehr aber ein Bereicherungsanspruch besteht, hängt letztlich vom konkreten Einzelfall ab. Bestand etwa in Wirklichkeit kein Versicherungsverhältnis zum Zeitpunkt des Schadensfalles, so kann der VR beim vermeintlichen VN den geleisteten Betrag zurückfordern, den der VR zuvor an den Geschädigten geleistet hatte. Der vermeintliche VN ist durch die Zahlung des VR an den Geschädigten (§ 267 BGB) von einer Verbindlichkeit befreit worden ohne Bestehen eines Rechtsgrundes.58 Gleiches gilt, wenn ein KH-Versicherer meint, verpflichtet zu sein, obwohl der Schaden in Wirklichkeit bei einer Berufshaftpflichtversicherung hätte reguliert werden müssen.59 Bestand z. B. gar kein Haftpflichtanspruch gegen den Dritten und hat der VR fälschlich 27 gleichwohl an den Dritten geleistet, steht ihm gegen den Dritten ein Bereicherungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zu.60 Ein Bereicherungsanspruch gegen den Geschädigten soll auch dann bestehen, wenn der VR den Schaden reguliert, obwohl er aufgrund von § 117 Abs. 3 Satz 2 auch im Außenverhältnis nicht zur Leistung verpflichtet war.61 Das ist indes nicht unumstritten. Zum Teil wird hier für ein Wahlrecht des VR hinsichtlich der Inanspruchnahme des VN oder des Geschädigten plädiert.62 Richtigerweise scheidet jedoch ein Bereicherungsanspruch gegen den Geschädigten aus. Mit der Zahlung an den Geschädigten leistet der VR sowohl aufgrund vermeintlich eigener Verbindlichkeit, als auch aufgrund des Versicherungsverhältnisses. Er zahlt damit sowohl auf die vermeintlich eigene, als auch als Dritter auf fremde Schuld, § 267 BGB. Im Moment der irrtümlichen Regulierung musste der VR zwangsläufig davon ausgehen, dass seine Zahlung eben auch die Forderung gegen den VN zum Erlöschen bringt. Er leistet an den Geschädigten ja gerade im Glauben darauf, dass ein solches Gesamtschuldverhältnis be54 R. Johannsen NZV 1989 69, 70. 55 A. A. wohl OLG Frankfurt/M. 7.11.2017 – 3 U 66/17 (juris Rn. 19): § 116 Abs. 1 S. 3 VVG. 56 BGH 24.10.2007 – IV ZR 30/06, VersR 2008 343 (Rn. 9); OLG Karlsruhe 16.2.1978 – 12 U 167/77, VersR 1979 77, 78; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 23. 57 Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 116 Rn. 6. 58 OLG Nürnberg 5.11.1992 – 8 U 3084/91, NZV 1993 273. 59 BGH 5.3.1964 – II ZR 220/62, VersR 1964 474. 60 LG Saarbrücken 12.10.2012 – 13 S 100/12, ZfS 2013 80. Hier stand neben der Teilzahlung i. H. v. 50 % des Schadens durch den VR an den Dritten zugleich eine Erklärung des VR im Raum, man gehe von einer Mithaftung von 50 % aus; das Gericht sah hierin indes kein der Rückforderung entgegenstehendes deklaratorisches Schuldanerkenntnis (juris Rn. 16). 61 OLG Hamm 17.6.1993 – 27 U 62/93, NVZ 1993 470 (juris Rn. 9); so auch Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 8. 62 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 23. Beckmann

578

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 116

steht. Der Dritte ist insofern nach Zahlung nicht mehr bereichert, weil ihm kein Schadensersatzanspruch mehr gegen den Schädiger zusteht.63

II. Aufwendungsersatz, Abs. 1 Satz 3 Dem HaftpflichtVR steht des Weiteren das Recht zu, neben dem eigentlichen Ausgleichsanspruch im Gesamtschuldverhältnis auch einen Aufwendungsersatzanspruch geltend zu machen. § 116 Abs. 1 Satz 3 bezieht sich nur auf den voranstehenden Satz 2, nicht hingegen auf Satz 1.64 § 116 Abs. 1 Satz 3 entspricht wortgleich § 3 Nr. 10 Satz 2 PflVG a. F. Begrifflich ist hier deutlich gegenüber der Entschädigungsleistung an den Haftpflichtgläubiger zu trennen. Diese kann der HaftpflichtVR einzig über § 116 Abs. 1 Satz 2 geltend machen. Der Begriff der Aufwendungen umfasst vielmehr darüber hinausgehende Kosten des VR, die gerade nicht in einer Entschädigungsleistung an den Geschädigten beinhaltet sind.65 Ersatzfähig sind unter anderem Gutachterkosten, Kosten für behördliche Auskünfte und Akteneinsicht. Ebenso sind Porto-, Versand-, und Telefonkosten Aufwendungen. Denkbar sind auch Fahrt- und Reisekosten, um die örtliche Gegebenheit zu untersuchen oder mit Beteiligten zu sprechen. Weiter sind Anwaltskosten und Gerichtskosten grundsätzlich mitumfasst.66 Eine Einschränkung hatte der BGH nur gemacht, wenn der VR als Streitverkündeter einem Prozess gegen den VN beitritt. Hier waren die Anwaltskosten des VR nicht ersatzfähig.67 Im gleichen Urteil wurde ansonsten Aufwendungsersatz wegen einer Bürgschaftsprovision zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zugesprochen. Allgemeine Personalkosten können nicht als Aufwendungen geltend gemacht werden.68 Diese Kosten hätte der VR ohnehin zu tragen. Sie fallen nicht für den konkreten Einzelfall an. Als Einschränkung enthält Satz 3 den Nachtrag, dass nur Aufwendungen ersetzt werden können, die der VR den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Damit soll einer zu kostspieligen Schadensaufklärung und Regulierung entgegengewirkt werden. Die Erforderlichkeit ist jedoch grundsätzlich aus Sicht des VR zu betrachten. Schon häufig wurde ihm bei der Schadensregulierung ein erweiterter Ermessensspielraum zugestanden.69 Insofern kann nur ein Vergleich mit einer anderen Handlungsalternative zu einer Unangemessenheit führen, wenn diese deutlich günstiger oder einfacher gewesen wäre, etwa wenn ein Angestellter des VR extra eine weite Fahrt zu einem Beteiligten auf sich nimmt anstatt ihn anzurufen und dieses Gespräch auch einfach am Telefon hätte stattfinden können. Der VR hat dem Schuldner auch weiterhin Auskunft über die getätigten Aufwendungen zu erteilen. Der VR handelt bei der Schadensregulierung ganz ähnlich einem Geschäftsbesorger, so dass § 666 BGB zur Anwendung kommt.70 Der VR müsste dem VN demnach eine exakte Auflistung seiner Aufwendungen unter Beifügung von Belegen zukommen lassen. Die Anwendung des § 666 BGB auf das Rechtsverhältnis zwischen VN und VR mag zunächst überraschen. Schließlich ist nach vorherrschender Ansicht der Versicherungsvertrag selbst nicht als Unterfall 63 Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 116 Rn. 6. 64 Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 10; Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 15; Halm/Kreuter/Schwab2 AKB (2015) § 116 Rn. 56. 65 OLG Köln 29.5.1996 – 27 U 6/96, VersR 1997 225, 227 (juris Rn. 21); missverständlich insoweit BGH 18.1.1984 – IVa ZR 73/82, VersR 1984 327 (juris Rn. 11); Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 70. 66 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 70; Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 10. 67 BGH 24.3.1976 – IV ZR 8/75, VersR 1976 480, 482 (juris 2. Orientierungssatz). 68 KG 18.2.2019 – 22 U 138/17, VersR 2019 748, 750 (juris Rn. 43); Bruck/Möller/R. Johannsen8 Anm. Bd. V/1 B 70; Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 33. 69 Vgl. OLG Hamm 31.8.2005 – 20 W 28/05, NJW 2005 3077, 3078 (juris Rn. 2); OLG Koblenz 28.11.1978 – 10 U 243/ 77, VersR 1979 342. 70 BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181 (juris Rn. 19); OLG Hamm 28.11.1986 – 20 W 57/86, VersR 1987 352; Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 13; zustimmend Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 10; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 33. 579

Beckmann

28

29 30

31

§ 116 VVG

Gesamtschuldner

des Geschäftsbesorgungsvertrages einzuordnen,71 so dass § 666 BGB nicht schon über die Verweisung in § 675 Abs. 1 BGB zur Anwendung kommt. Dem VR wird jedoch im Versicherungsvertrag regelmäßig eine Regulierungsvollmacht eingeräumt. Von besonderer praktischer Relevanz dürfte dabei die in 5.2 Satz 1 AHB 2012 oder in A.1.1.4. AKB 2008 (entspricht § 10 Abs. 5 AKB a. F.) vorgesehene Regulierungsvollmacht sein. Im Zusammenhang mit dieser Regulierungsvollmacht hat der BGH in einem Urteil vom 27.5.195772 entschieden, dass dieser Regulierungsvollmacht eine durch den Versicherungsvertrag begründete Geschäftsbesorgungsbefugnis eigener Art zugrunde liegt. Dies soll nach der Rechtsprechung des BGH bei notleidendem Versicherungsverhältnis gelten, woraus sich für den VN das Recht ergeben soll, von dem VR gemäß §§ 675, 666 BGB Auskunft und Rechenschaft zu verlangen.73 In einer späteren Entscheidung hat der BGH74 indes im Hinblick auf die Regulierungsvollmacht entschieden, dass bei Bestehen eines Direktanspruchs in den Fällen, in denen der VR leistungsfrei ist, er nur noch zur Erfüllung des gegen ihn selbst gerichteten Direktanspruchs, nicht mehr zur Befriedigung des Haftpflichtanspruchs gegen den VN verpflichtet sei. Der VR habe daher – anders als nach § 158c Abs. 1 VVG a. F. – keine Veranlassung, den gegen den Versicherten selbst gerichteten Haftpflichtanspruch abzuwehren oder zu regulieren. Solange aber kein zwingender Grund dafür bestehe, dass der VR den Versicherten bei fehlender Leistungspflicht vertrete, müsse der allgemeine Grundsatz zur Anwendung kommen, dass die Regulierungsvollmacht nicht weiter reiche als die Regulierungspflicht. Auswirkungen dieser Rechtsprechungsänderung auf das Innenverhältnis hat der BGH in dieser Entscheidung nicht angesprochen und werden soweit ersichtlich auch nicht diskutiert. Ungeachtet der Frage, inwiefern der BGH an dem Grundsatz, dass die Regulierungsvollmacht nicht weiter reicht als die Regulierungspflicht überhaupt noch festhält und diesen Grundsatz nicht schon in seiner Entscheidung vom 19.11.200875 aufgegeben hat,76 dürfte weiterhin, entsprechend dem Grundsatz, dass sich der Wegfall des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses auf die Vollmacht auswirkt und nicht umgekehrt (vgl. § 168 BGB), davon auszugehen sein, dass ein Auskunftsanspruch nach §§ 675, 666 BGB wenigstens in entsprechender Anwendung auch bei notleidendendem Versicherungsverhältnis besteht.77

III. Verjährung, Abs. 2 32 Die Verjährungsfrist hat sich im Vergleich zur Vorgängerregelung nach § 3 Nr. 11 PflVG a. F. verändert. Bis dato betrug sie zwei Jahre. Nunmehr gilt auch bzgl. der Ansprüche aus §§ 115 Abs. 1 Satz 3, 116 die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren nach §§ 195, 199 BGB. Die Frist beginnt nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Für das Entstehen des Regressanspruchs ist die Zahlung des VR an den Geschädigten notwendig. In diesem Moment entsteht erst der Anspruch nach § 116 Abs. 1 Satz 2. Hat der VR gegenüber dem Geschädigten aufgerechnet oder umgekehrt, so ist der Zugang der Aufrechnungserklärung für das Entstehen des Regressanspruchs maßgeblich.78 Erbringt der VR Teilzahlungen an den Geschädigten, so ist der Beginn der Verjährung für jede Zahlung gesondert zu betrach-

71 Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 82 m. w. N.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 1 Rn. 73; a. A. insbesondere Schünemann JZ 1995 430 ff. BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, NJW 1957 1230, 1231 (juris Rn. 17). BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181 (juris Rn. 19). BGH 3.6.1987 – IVa ZR 292/85, BGHZ 101 276, 282 = VersR 1987 924, 925 f. (juris Rn. 17) (auch zum Folgenden). BGH 19.11.2008 – IV ZR 293/05, VersR 2009 106, 107 (Rn. 9). So Prölss/Martin/Lücke31 AHB 2008 Ziff. 5 Rn. 11. Stiefel/Maier/Jahnke19 § 116 Rn. 76, § 124 Rn. 64; Prölss/Martin/Lücke31 AHB 2008 Ziff. 5 Rn. 22; Langheid/ Wandt/Büsken2 AllgHaftPflV Rn. 114. 78 Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 12.

72 73 74 75 76 77

Beckmann

580

D. Prozessuales

VVG § 116

ten.79 Bereits mit erfolgter erster Teilzahlung entsteht auch ein Regressanspruch, so dass nach dem eindeutigen Wortlaut auch dieser Zeitpunkt für die Verjährung maßgeblich sein muss. Dadurch resultiert jedoch das Problem, dass die Geltendmachung der einzelnen Forderungen zur rechten Zeit erschwert wird. Für den VR besteht hier zum einen die Möglichkeit, zunächst im Wege der Feststellungsklage die generelle Regresspflicht des VN für künftige Forderungen feststellen zu lassen.80 Vorzugswürdig ist es jedoch, den VN auf Befreiung von den Forderungen des Haftpflichtgläubigers zu verklagen.81 § 116 Abs. 2 umfasst sämtliche Ansprüche aus § 116 Abs. 1. Sowohl der Regressanspruch 33 des VR, als auch der Anspruch auf Aufwendungsersatz verjährt nach drei Jahren.82 Dies gilt gleichermaßen für den Anspruch des VN aus dem intakten Versicherungsverhältnis nach § 116 Abs. 1 Satz 1. Problematisch ist die Verjährungsfrage vor allem, wenn Deckungs- und Haftungsprozesse 34 zeitlich zusammentreffen. Zunächst einmal verhindert natürlich der Haftungsprozess nicht die Verjährung des Regressanspruchs, da es sich um völlig verschiedene Ansprüche handelt. Reguliert der VR den Schaden beim Haftpflichtgläubiger, so entsteht sein Regressanspruch gegen den VN. Läuft dazu parallel ein Deckungsprozess, bei dem der VN mittels Feststellungsklage bzw. negativer Feststellungsklage die Leistungspflicht des VR feststellen lassen will, so hat auch dies keinen Einfluss auf den Lauf der Verjährung. Selbst für den Fall, dass der VN unterliegt und das Gericht die fehlende Deckung feststellt, kann sich der VN dennoch gegenüber einem nunmehr (möglicherweise) verjährten Regressanspruch auf Verjährung berufen, ohne gegen Treu und Glauben zu verstoßen.83 Insofern kann nur die Widerklage des VR gegen den VN auf Ersatz der geleisteten Zahlungen die Verjährung verhindern.84

C. Abdingbarkeit Die Regelungen über die Pflichthaftpflichtversicherungen und damit auch die des § 116 sind 35 nicht abdingbar (vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 52). Besonderheiten sind zusätzlich im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung zu beachten. Hier sind insbesondere die Vorgaben der KfzPflVV einzuhalten, an denen sich die entsprechenden AKB zu orientieren haben.

D. Prozessuales Für den Regressanspruch des VR gegen den VN oder den Mitversicherten muss der VR darlegen, 36 dass er nicht mehr zur Leistung verpflichtet ist und den Anspruch des Haftpflichtgläubigers befriedigt hat.85 Hierzu gehört etwa im Fall der Leistungsfreiheit wegen Prämienverzuges, dass der VR die Beweislast dafür trägt, dass dem VN eine qualifizierte, den Anforderungen des § 38 Abs. 1 VVG genügende Mahnung mindestens 2 Wochen vor Zahlung des VR zugegangen ist.86 Soweit er Aufwendungen ersetzt verlangt, muss er weiterhin darlegen, welche Aufwendungen

79 OLG Hamm 18.4.1980 – 20 U 302/79, VersR 1981 645; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 69; Heintzmann VersR 1980 593, 594 f.; Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 116 Rn. 8; a. A. LG Verden 17.2.1978 – 6 (7) S 106/77, VersR 1978 657 (juris Rn. 13). 80 Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 12. 81 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 69; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 116 Rn. 9. 82 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 36. 83 BGH 27.10.1971 – IV ZR 182/69, VersR 1972 62, 63 (juris Rn. 10 ff.); Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 19; Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 15. 84 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 116 Rn. 38; Langheid/Wandt/Schneider2 § 116 Rn. 19. 85 LG Düsseldorf 13.7.2017 – 9 S 37/16, RuS 2018 190. 86 OLG Frankfurt/M. 7.11.2017 – 3 U 66/17 (juris Rn. 19). 581

Beckmann

§ 116 VVG

Gesamtschuldner

in welcher Höhe getätigt wurden. Der VN kann insoweit nur entgegnen, dass diese den Umständen nach nicht erforderlich waren, wozu der VN auch selbst die Beweislast trägt. Die Verjährungseinrede nach § 116 Abs. 2 muss der VN erheben und beweisen.87 Der VR hat dabei über den Zeitpunkt der Zahlung an den Haftpflichtgläubiger zu informieren. 37 Da es sich bei Ansprüchen aus §§ 426 BGB, 115 Abs. 1 Satz 4, 116 Abs. 1 VVG um gesetzliche Ansprüche mit Nähe zum Deliktsrecht und nicht um Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag handelt, hat das Kammergericht eine funktionelle Sonderzuständigkeit gem. § 119a Abs. 1 Nr. 4 GVG abgelehnt.88

87 OLG Hamm 24.8.1994 – 20 U 7/94, VersR 1995 1509; Prölss/Martin/Klimke31 § 116 Rn. 16. 88 KG 15.4.2019 – 2 AR 9/19, VersR 2019 775, 776 (juris Rn. 9). Beckmann

582

§ 117 Leistungspflicht gegenüber Dritten (1) Ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei, so bleibt gleichwohl seine Verpflichtung in Ansehung des Dritten bestehen. (2) 1Ein Umstand, der das Nichtbestehen oder die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zur Folge hat, wirkt in Ansehung des Dritten erst mit dem Ablauf eines Monats, nachdem der Versicherer diesen Umstand der hierfür zuständigen Stelle angezeigt hat. 2Dies gilt auch, wenn das Versicherungsverhältnis durch Zeitablauf endet. 3Der Lauf der Frist beginnt nicht vor Beendigung des Versicherungsverhältnisses. 4Ein in den Sätzen 1 und 2 bezeichneter Umstand kann dem Dritten auch dann entgegengehalten werden, wenn vor dem Zeitpunkt des Schadensereignisses der hierfür zuständigen Stelle die Bestätigung einer entsprechend den Rechtsvorschriften abgeschlossenen neuen Versicherung zugegangen ist. 5Die vorstehenden Vorschriften dieses Absatzes gelten nicht, wenn eine zur Entgegennahme der Anzeige nach Satz 1 zuständige Stelle nicht bestimmt ist. (3) 1In den Fällen der Absätze 1 und 2 ist der Versicherer nur im Rahmen der vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme und der von ihm übernommenen Gefahr zur Leistung verpflichtet. 2Er ist leistungsfrei, soweit der Dritte Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer oder von einem Sozialversicherungsträger erlangen kann. (4) 1Trifft die Leistungspflicht des Versicherers nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit einer Ersatzpflicht auf Grund fahrlässiger Amtspflichtverletzung zusammen, wird die Ersatzpflicht nach § 839 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Verhältnis zum Versicherer nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen für die Leistungspflicht des Versicherers vorliegen. 2Satz 1 gilt nicht, wenn der Beamte nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs persönlich haftet. (5) 1Soweit der Versicherer den Dritten nach den Absätzen 1 bis 4 befriedigt und ein Fall des § 116 nicht vorliegt, geht die Forderung des Dritten gegen den Versicherungsnehmer auf ihn über. 2Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Dritten geltend gemacht werden. (6) 1Wird über das Vermögen des Versicherers das Insolvenzverfahren eröffnet, endet das Versicherungsverhältnis abweichend von § 16 erst mit dem Ablauf eines Monats, nachdem der Insolvenzverwalter diesen Umstand der hierfür zuständigen Stelle angezeigt hat; bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es der Insolvenzmasse gegenüber wirksam. 2Ist eine zur Entgegennahme der Anzeige nach Satz 1 zuständige Stelle nicht bestimmt, endet das Versicherungsverhältnis einen Monat nach der Benachrichtigung des Versicherungsnehmers von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; die Benachrichtigung bedarf der Textform.

Schrifttum Chab Der Schadenfall in der Anwaltshaftung nach der VVG-Reform, AnwBl. 2008 63; Denck Der Beitragsrückgriff nach § 119 SGB X und die subsidiäre Haftung des Haftpflichtversicherers nach § 158c Abs. 4 VVG, VersR 1984 602; ders. Das Befriedigungsvorrecht nach § 116 Abs. 4 SGB X bei unzureichender Versicherungssumme, VersR 1987 629; Franck Richtlinienkonforme Auslegung der Vorschriften über die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Pflichtversicherung, VersR 2014 13; Heitmann Risikoausschluss der Vorsatztat gem. § 152 VVG in der KfzHaftpflichtversicherung, VersR 1997 941; Heß/Burmann Deckungsprobleme in der KH-Versicherung bei Unfall durch fahruntüchtige Fahrer, NJW-Spezial 2006 15; E. Hofmann Unfälle mit nicht versicherten Kraftfahrzeugen, NZV 1991 409; Huber Der Ersatzanspruch des Regressgläubigers für im Vorprozess getätigte Aufwendungen, unter besonderer Berücksichtigung des kranken Deckungsverhältnisses in der Kfz-Haftpflichtversicherung, ZVerkR 1986 33; Hübner/ Lew/Schneider Das „kranke“ Versicherungsverhältnis im Haftpflichtprozess, RuS 2002 89; R. Johannsen Rechtsfragen zur Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter, insbesondere zu § 158c und f VVG, VersArch 1956 279; Kornas

583 https://doi.org/10.1515/9783110522662-021

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

Der Regress des Kfz-Haftpflichtversicherers – Unfallflucht, NJW-Spezial 2013 9; Langheid Der Versicherungsnehmer als Dritter gem. § 3 Nr. 1 PflVG, VersR 1986 15; E. Lorenz Zur entsprechenden Anwendung der Regresssperre des § 67 Abs. 2 auf die gesamtschuldnerischen Ausgleichsansprüche des Kfz-Haftpflichtversicherers gegen den nicht deckungsberechtigten Versicherten (Fahrer), VersR 1991 505; Malchow Die rechtliche Stellung des geschädigten Dritten im Falle des § 158c VVG (1955); Micha Der Direktanspruch im europäischen Internationalen Recht (2010); Palmer Ist der KH-Versicherer bei vorsätzlicher Drittschädigung durch den Schwarzfahrer nach § 3 Nr. 1 PflVG zur Leistung verpflichtet?, VersR 1984 817; Prölss Zur Wirksamkeit von Subsidiaritätsklauseln in Schadensversicherungsverträgen, VersR 1977 367; Rebler Die Außerbetriebsetzung von Fahrzeugen bei fehlendem Versicherungsschutz, VD 2010 9; Rischar Zur Haftung und Deckung bei vorsätzlich herbeigeführten KH-Schäden, VersR 1984 1025; Schirmer Das „kranke“ Versicherungsverhältnis zwischen KH-Versicherer und Versicherungsnehmer, VersR 1986 825; Schmalzl Der Rückgriff des Kfz-Haftpflichtversicherers gemäß § 158f VVG und die Einwendungen der Versicherten, VersR 1965 932; Schneider Abrechnung bei Inanspruchnahme des Kaskoversicherers aufgrund des Verweisungsprivilegs nach § 117 Abs. 3 S. 2 VVG (§ 158c Abs. 4 VVG a. F.), DAR-Extra 2008 743; Skauradszun Schadensfälle mit nicht pflichtversicherten Kfz, VersR 2009 330; Steffen Probleme der Rechtsprechung mit dem Verweisungsprivileg des Kfz-Haftpflichtversicherers bei „krankem“ Deckungsverhältnis aus § 158c Abs. 4 VVG, VersR 1986 101; ders. Der SVT-Regreß bei „kranker“ KH-Versicherung, VersR 1987 529; Stobbe Mandant und Haftpflichtversicherer – ein schwieriges Verhältnis – Lücken im Pflichtversicherungsrecht der VVG-Reform, AnwBl. 2007 853; Unberath Die Leistungsfreiheit des Versicherers – Auswirkungen der Neuregelung auf die Kraftfahrtversicherung, NZV 2008 537; Venzmer Haftpflichtverhältnis und Anspruch des Versicherers nach § 158f VVG, VersR 1955 472; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 5.

1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand und Rechtsfolgen

I. 1.

8 Fiktion der Leistungspflicht, Abs. 1 Leistungsfreiheit insbesondere aufgrund Oblie8 genheitsverletzung, Pflichtverletzung etc. 11 Verjährung des Deckungsanspruchs Risikoausschlüsse, Grenzen des Versicherungs12 schutzes 14 Versicherung für fremde Rechnung 16 Rechtsfolgen von Abs. 1

1

6. 3

4. 5. II. 1. 2.

3. 4.

„Dritter“ i. S. d. § 117 Abs. 1 und Abs. 2

IV.

Haftungsbegrenzung des Versicherers, Abs. 3 40 Satz 1 Mindestversicherungssumme, Abs. 3 Satz 1, 41 1. Alt. 43 a) Teilweise Leistungsfreiheit 45 b) Mehrere Geschädigte c) Teilweiser Ausgleich durch einen Sozialver46 sicherungsträger Haftung im Rahmen der vom Versicherer über49 nommenen Gefahr, Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. 49 a) Grundsätzliches b) Besonderheiten in der Kfz-Haftpflichtversi51 cherung

7

Fiktion des bestehenden Versicherungsverhält20 nisses, sog. Nachhaftung, Abs. 2 Nichtbestehen des Versicherungsverhältnisses 21 (1. Var.) Beendigung des Versicherungsverhältnisses und 23 Zeitablauf (2. und 3. Var.) 23 a) Beendigung 24 b) Zeitablauf Anzeige gegenüber der zuständigen 25 Stelle 29 Rechtsfolgen des Abs. 2

Beckmann

35

III. 6

1.

2. 3.

Nachhaftung bei Insolvenz des Haftpflichtversi32 cherers, Abs. 6 Amtshaftung der zuständigen Behörde bei 34 nicht-(rechtzeitigem) Einschreiten

2.

V. 1. 2. 3. 4. 5.

Verweisungsprivileg des Haftpflichtversicherers, 56 Abs. 3 Satz 2 60 Anderer Schadensversicherer 64 Möglichkeit anderweitigen Ersatzes Doppelversicherung bzw. Zusammentreffen meh68 rerer Haftpflichtversicherungen Sozialversicherungsträger i. S. d. Abs. 3 Satz 2, 72 2. Alt Keine analoge Anwendung des Abs. 3 Satz 2 auf 75 sonstige Ausgleichsmöglichkeiten

584

A. Einführung

6. 7.

Subsidiaritätsklauseln 76 Kein Verweisungsprivileg nach § 3 Satz 1 PflVG in 78 der Kfz-Haftpflichtversicherung

VI.

Amtshaftung nach Abs. 4

6. 7.

80

VII. Regressanspruch des Haftpflichtversicherers gegen Versicherungsnehmer bzw. Mitversicherten, 84 Abs. 5 1. Vorliegen der Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 86 bzw. Abs. 2 88 2. Rechtsfolgen 3. Höhe der übergegangenen Forderung/Einwen89 dungen des Versicherungsnehmers 90 a) Bindung an Haftpflichturteile b) Bindung an Vergleich und Anerkenntnis/Re91 gulierungsvollmacht c) Einwände aus dem Versicherungsverhältnis 92 zum Versicherer 4. Die übergegangene Forderung/Wirkungen des 95 Übergangs 5. Verhältnis von Abs. 5 zu sonstigen Ansprü97 chen

8. 9. 10.

VVG § 117

Aufwendungsersatz/eigene Kosten des Versiche98 rers 99 Beteiligung mehrerer Personen a) Leistungsfreiheit gegenüber Versicherungs100 nehmer und Mitversichertem b) Leistungsfreiheit nur gegenüber Versichertem, nicht gegenüber Versicherungsneh101 mer c) Leistungsfreiheit nur gegenüber dem Versi104 cherungsnehmer 105 Rückgriff gegen Mitschädiger Irrtümliche Leistung aufgrund § 117 Abs. 1 bzw. 107 Abs. 2 108 Befriedigungsvorrecht nach Abs. 5 Satz 2

VIII. Verjährung C.

Abdingbarkeit

D.

Prozessuales

109 111 112

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Der heutige § 117 stellt seit der VVG-Reform 2008 in weiten Teilen eine Zusammenführung der 1 früheren Vorschriften von § 158c und § 158f VVG a. F. sowie von § 3 Nr. 4 bis 6 PflVG a. F. dar. Im Zuge der Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter zum 7.11.1939 wurden gleichsam im VVG allgemeine Regelungen über Pflichtversicherungen integriert, namentlich die §§ 158b ff. VVG a. F.1 Maßgebliche Bedeutung hatten die §§ 158b ff. VVG a. F. ursprünglich in erster Linie für die Kfz-Haftpflichtversicherung. Ihr Anwendungsbereich wurde indes durch die Neufassung des PflVG im Jahre 19652 deutlich zurückgedrängt, da die Vorschrift des § 3 PflVG a. F. für die Kfz-Haftpflichtversicherung Sonderregelungen enthielt. Durch diese Sonderregeln gem. § 3 PflVG a. F. war § 158c VVG a. F. in erster Linie nur noch für alle sonst bestehenden Pflichtversicherungen von Bedeutung; eine Einschränkung war nur in Bezug auf § 3 Nr. 6 PflVG a. F. gegeben, der wieder auf § 158c VVG a. F. zurückverwies. § 158c VVG a. F. selbst wurde im Jahre 1965 einmal einer geringfügigen Änderung unterzogen: § 158c Abs. 4 VVG a. F. wurde sprachlich modifiziert, Abs. 2 Satz 4 sowie Abs. 5 wurden neu eingeführt. Das Vorhaben des Gesetzgebers aus dem Jahre 1981, mit der Einführung eines StaatshaftungsG u. a. den § 158c Abs. 5 VVG a. F. aufzuheben, blieb erfolglos, da das BVerfG das Gesetz für verfassungswidrig erklärte.3 Der heutige § 117 in der Fassung vom 10.12.2007, in Kraft seit dem 1.1.2008, übernimmt in weiten Teilen das Konzept des § 158c VVG a. F.4 Als Neuerung enthält § 117 seit der VVG-Reform 2008 zunächst Abs. 2 Satz 4, wonach dem Dritten auch die Tatsache entgegen gehalten werden kann, dass der zuständigen Stelle eine neue Versicherung entsprechend den Rechtsvorschriften angezeigt wurde. Abs. 4 wurde sprachlich leicht modifiziert und nimmt damit eine BGH-Entscheidung auf, wonach die Bestimmung nur das Innenverhält1 2 3 4

RGBl. I 2223; vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 2. BGBl. I 213. BVerfG 19.10.1982 – 2 BvF 1/81, BVerfGE 61 149 = NJW 1983 25. BGBl. I 2833.

585

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

nis zwischen VR und öffentlicher Hand betrifft.5 Darüber hinaus übernimmt Abs. 5 weitestgehend die Regelung des § 158f VVG a. F. und regelt den Forderungsübergang auf den VR, soweit er den Dritten befriedigt und kein Fall des § 116 vorliegt. Abs. 6 stellt gegenüber der Rechtslage vor der VVG-Reform 2008 wiederum eine neue Regelung dar. Er bezieht sich auf Fälle der Insolvenz des VR. Im Übrigen wurde die Vorschrift nur strukturell oder sprachlich modifiziert. Aufgrund der gleichzeitigen Neuordnung des PflVG ist darüber hinaus der Anwendungsbereich des § 117 deutlich größer, als er zuvor bei § 158c VVG a. F. war. Das PflVG enthält nunmehr kaum noch abweichende Regelungen, so dass § 117 auch für Kfz-Haftpflichtversicherungen eine zentrale Rolle spielt. 2 Noch kurz vor Inkrafttreten der VVG-Reform am 1.1.2008 musste die mit dem Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.20076 verabschiedete Fassung des § 117 geändert werden. Nachdem im Gesetzgebungsverfahren der ursprünglich geplante allgemeine Direktanspruch für alle Pflichthaftpflichtversicherungen doch noch auf die Fälle insbesondere des § 115 Abs. 1 Nr. 2 und 3 eingeschränkt wurde,7 fanden sich noch unberücksichtigte Unstimmigkeiten zu §§ 114, 117, 119, 124, die sich zunächst noch auf einen allgemeinen Direktanspruch bezogen. Dies wurde indes durch Gesetz vom 10.12.20078 und noch vor Inkrafttreten der VVGReform „in bemerkenswerter Schnelligkeit“9 korrigiert.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 Primär dienen Pflichthaftpflichtversicherungen dem Schutz geschädigter Dritter (Opferschutz), insbesondere wenn der Schädiger wirtschaftlich nicht in der Lage ist, eine ihn treffende Schadenshaftung auszugleichen.10 § 117 ist eine Vorschrift, die den Zweck verfolgt, den Dritten ausreichend zu schützen11 und zwar für den Fall, dass der HaftpflichtVR gegenüber dem VN leistungsfrei ist. Dem Regelungsgehalt nach umfasst sie in erster Linie die Rechtsbeziehungen zwischen Geschädigtem und HaftpflichtVR. Mitunter kann es vorkommen, dass das Versicherungsverhältnis zwischen VR und VN in der Weise gestört ist, dass der VR gegenüber dem VN grundsätzlich nicht mehr zur Erbringung seiner vertraglichen Leistung verpflichtet ist, sog. „gestörtes“ bzw. „krankes“ Versicherungsverhältnis. Im Rahmen einer bloßen freiwilligen Haftpflichtversicherung kann der VR auch im Regelfall dem geschädigten Dritten eine gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit entgegenhalten; da der VN gegenüber seinem VR keinen Deckungsanspruch hat, kann der Geschädigte keinen entsprechenden Anspruch beim VN pfänden und überweisen lassen. Er ist in der Konsequenz darauf angewiesen, dass der Schädiger wirtschaftlich selbst in der Lage ist, den Schaden des Dritten auszugleichen. Bei Pflichthaftpflichtversicherungen wird eine solche Situation durch § 117 gerade vermieden. Der VR kann im Rahmen von Pflichthaftpflichtversicherungen – unter den Voraussetzungen des § 117 – dem Dritten eine etwaige gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit gerade nicht entgegenhalten. Die gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit schlägt im Verhältnis zum geschädigten Dritten nicht durch. Durch § 117 Abs. 1 und Abs. 2 wird insoweit der Deckungsanspruch des VR gegenüber seinem VN fingiert, so dass der VR trotz grundsätzlich bestehender Leistungsfreiheit dennoch an den Dritten leisten muss.12 5 BGH 28.10.1982 – III ZR 206/80, BGHZ 85 225, 229 = VersR 1983 84, 85 (juris Rn. 12); RegE BTDrucks. 16/3945 S. 89. 6 BGBl. I S. 2631. 7 Dazu bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 11 ff. sowie § 115 Rn. 2. 8 BGBl. I 2833, 2834 f. 9 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 4. 10 BTDrucks. 16/3945 S. 50; vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 15 ff. 11 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 1; Berliner Kommentar/ Beckmann § 158c Rn. 2. 12 BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 320 (juris Rn. 23). Beckmann

586

A. Einführung

VVG § 117

Der Gesetzgeber sieht für den Bereich der Pflichthaftpflichtversicherungen den Dritten zu 4 Recht als besonders schützenswert an. Da der Dritte auf die meisten Bereiche des Versicherungsverhältnisses zwischen VN und VR keine Einwirkungsmöglichkeiten hat und auch nicht erkennen kann, inwieweit dieses noch intakt ist, muss er vor störenden Handlungsweisen des VN geschützt werden, die zum Erlöschen bzw. Nichtbestehen des Deckungsanspruchs führen. Abs. 1 behandelt daher Fälle, in denen der VN vertragliche Pflichten oder Obliegenheiten verletzt, während Abs. 2 auf das Erlöschen des Versicherungsverhältnisses anspielt und den VR dazu drängt, das Erlöschen alsbald der für die Versicherungspflicht „zuständigen Stelle“ (Rn. 25) zu melden. Andernfalls kann er sich nicht auf das beendete Versicherungsverhältnis berufen. Die Rechtsnatur des § 117 Abs. 1 und Abs. 2 ist seit langem Bestandteil dogmatischer Dis- 5 kussionen. Die Ausführungen reichten von der Einordnung als Bürgschaft, über eine Fremdgeschäftsführung bis zu einem Legalschuldverhältnis bzw. einem gesetzlichen Schuldverhältnis.13 Zum Teil wird es auch als „Einwendungsausschluss“ oder Entziehungssperre deklariert.14 Der BGH und die heute ganz überwiegende Literatur ordnet § 117 Abs. 1 und Abs. 2 als gesetzliche Fiktion ein.15 Die rechtsdogmatische Einordnung stellt vornehmlich eine rechtstheoretische Frage dar und ist praktisch nicht von Bedeutung. Letztlich ist es entscheidend, dass der VR den Einwand der Leistungsfreiheit weder einer möglichen Pfändung des fingierten Deckungsanspruchs noch einem Direktanspruch entgegenhalten kann. Die Vorschrift fingiert das gestörte bzw. erloschene Versicherungsverhältnis als (weiter-)bestehend, soweit es für die Befriedigung des Geschädigten notwendig ist. Die Fiktion wirkt jedoch ausschließlich im Verhältnis zwischen VR und Geschädigtem. Der VN selbst kann aus dem Versicherungsverhältnis keine Ansprüche mehr geltend machen. Insbesondere hat er auch weiterhin keinen Befreiungsanspruch.

III. Anwendungsbereich § 117 ist anwendbar für alle Pflichthaftpflichtversicherungen, also für alle durch formelles Ge- 6 setz, RVO, Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder durch EU-Verordnungen vorgeschriebenen Haftpflichtversicherungen.16 Zu nennen ist hierbei in erster Linie die Kfz-Haftpflichtversicherung gem. § 1 PflVG. Im Vergleich zu der alten Rechtslage hat § 117 nunmehr größere Bedeutung für diese als zuvor § 158c VVG a. F. Weiterhin sind Pflichtversicherungen auch für spezielle Berufszweige vorgesehen. Zu nennen sind insbesondere die gesetzliche Verpflichtung für Rechtsanwälte (§ 51 BRAO), Wirtschaftsprüfer (§ 54 WiPrO), Steuerberater (§ 67 StBerG), Notare (§ 19a BNotO), Jäger (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 BJagdG), Versicherungsvermittler (§ 34d Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 GewO i. V. m. §§ 11 f. VersVermV), Versicherungsberater (§ 34d Abs. 2, Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 GewO i. V. m. §§ 11 f. VersVermV), Schausteller (§§ 55 Abs. 1 Nr. 2, 55f GewO) und viele mehr. Aus jüngerer Zeit hinzu gekommen ist durch das Gesetz zur Einführung einer Berufszugangsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Wohnimmobilienverwalter17 eine – mit der Erlaubnispflicht einhergehende – Pflichtversicherung für Wohnimmobilienverwalter.18 Vgl. im Einzelnen Anhang zu den Vorbem. zu den §§ 113–124 (Seite 478 ff.). 13 Ausführlich hierzu Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 10; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 5; BGH 23.10.1958 – II ZR 54/57, BGHZ 28 244, 248 = NJW 1959 39, 40 (juris Rn. 7).

14 Wandt6 Versicherungsrecht Rn. 1106. 15 BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 320 (juris Rn. 21); BGH 17.10.1957 – II ZR 161/56, BGHZ 25 330, 333 ff. (juris Rn. 6); BGH 15.3.1983 – VI ZR 187/81, BGHZ 87 121, 124 = VersR 1983 688, 690 (juris Rn. 22); Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 5; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 10; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 7; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 1. 16 Zum Begriff der Pflichthaftpflichtversicherung vgl. Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 7. 17 Gesetz v. 17.10.2017 BGBl. I 3562. 18 Vgl. dazu Armbrüster ZWE 2018 105, 109 ff.; Drasdo NVwZ 2018, 31. 587

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

B. Tatbestand und Rechtsfolgen 7 § 117 enthält wie die Vorgängerregelung des § 158c VVG a. F. zwei grundlegende Tatbestände, durch die die zuvor erloschene Deckungspflicht des VR im Verhältnis zum VN gegenüber dem Dritten fingiert wird. Hat ein Umstand bzw. ein Verhalten des VN dazu geführt, dass der VR von seiner vertraglichen Leistungspflicht frei wird, so kann er dies dennoch nicht dem Dritten entgegenhalten, Abs. 1. Gleichsam ist das Erlöschen bzw. die Beendigung des Versicherungsverhältnisses im Verhältnis zum Dritten unbeachtlich, solange der VR diesen Umstand nicht gegenüber der zuständigen Stelle angezeigt hat und eine Frist von einem Monat abgelaufen ist, Abs. 2. Der mit der VVG-Reform 2008 neu geschaffene Abs. 6 stellt hierzu eine Ergänzung dar. Für den Fall, dass der VR insolvent wird, gilt das Versicherungsverhältnis erst einen Monat nach erfolgter Anzeige der Insolvenzeröffnung bei der zuständigen Stelle als beendet.

I. Fiktion der Leistungspflicht, Abs. 1 1. Leistungsfreiheit insbesondere aufgrund Obliegenheitsverletzung, Pflichtverletzung etc. 8 § 117 Abs. 1 setzt voraus, dass der VR von der Verpflichtung zur Leistung dem VN gegenüber ganz oder teilweise frei ist. Unter Leistungsfreiheit versteht man im Allgemeinen Konstellationen, in denen ursprünglich eine Leistungspflicht des VR aufgrund eines Versicherungsverhältnisses bestand, diese jedoch nachträglich wieder entfallen ist. Um somit überhaupt von Leistungsfreiheit sprechen zu können, ist zunächst ein wirksamer Versicherungsvertrag über eine Haftpflichtversicherung zwischen VR und VN notwendig.19 Mangelt es an einem wirksamen Versicherungsvertrag (z. B. Nichtigkeit gem. §§ 105, 142 i. V. m. 119, 123 BGB), so ist nicht Abs. 1, sondern Abs. 2 einschlägig. Gem. Abs. 3 ist der VR „nur im Rahmen der vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme und der von ihm übernommenen Gefahr“ zur Leistung verpflichtet; insbesondere aus dem zweiten Tatbestandsmerkmal folgt, dass sich die Haftung gegenüber dem geschädigten Dritten auf die vom VR übernommene Gefahr beschränkt. Dem geschädigten Dritten stehen demnach keine Ansprüche gegen den HaftpflichtVR zu, wenn von vorneherein kein Versicherungsschutz bestand; Risikoausschlüsse und Risikobegrenzungen werden deshalb von § 117 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 nicht erfasst (im Einzelnen noch Rn. 12 f.). 9 Liegt ein wirksames Versicherungsverhältnis vor, so ist weiter zu fragen, inwiefern eine grundsätzlich bestehende Leistungspflicht fortgefallen ist. Zu einem Wegfall der Leistungspflicht können mannigfaltige Umstände, Handlungen und Gegebenheiten führen. Zuvörderst kommen Obliegenheitsverletzungen des VN in Betracht.20 Sowohl das Gesetz als auch die jeweiligen Verträge (unter Berücksichtigung von § 28) bürden dem VN gewisse Obliegenheiten auf, deren Nichtbeachtung zum Wegfall der Deckung führen kann. Man unterscheidet insofern insbesondere zwischen solchen vor Eintritt des Versicherungsfalles und solchen, denen der VN nach dem Eintritt des Versicherungsfalles nachzukommen hat. Die wichtigsten Fälle, die zur Leistungsfreiheit führen können, sind etwa die Verletzung 10 der Anzeigeobliegenheit bzgl. der bekannten Gefahrumstände (§§ 19 Abs. 1, 21 Abs. 2) oder die Gefahrerhöhung (§§ 26 Abs. 1, 23). Ebenso wird von Abs. 1 die Leistungsfreiheit wegen Verzugs mit der Erst- oder Folgeprämie erfasst (§§ 37, 38). Weiterhin kommt die Verletzung der Rettungsobliegenheit in Betracht (§§ 82, 137).21 Wie bereits zum Ausdruck gebracht (Rn. 9), greift Abs. 1 auch im Falle einer Leistungsfreiheit des VR aufgrund Verletzung einer vertraglich

19 BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 10. 20 Saarländisches OLG 4.4.2013 – 4 U 31/12 (juris Rn. 24); BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 11. 21 Vgl. zur Leistungsfreiheit des Versicherers (Kfz) Unberath NZV 2008 537. Beckmann

588

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

begründeten Obliegenheitsverletzung ein.22 Im Zuge der Reform sind die Leistungsfreiheit wegen Verstoßes gegen das Vergleichs- und Anerkenntnisverbot nach § 105 (§ 154 Abs. 2 VVG a. F.) sowie die Leistungsfreiheit aufgrund des Verstreichens der Klagefrist (§ 12 Abs. 3 VVG a. F.) weggefallen. Nach früherem Recht waren auch sie taugliche Anwendungsbereiche der Vorgängervorschrift des § 158c VVG a. F.23

2. Verjährung des Deckungsanspruchs Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, inwieweit auch die Verjährung des Deckungsan- 11 spruchs im Innenverhältnis einen Unterfall von Abs. 1 darstellen kann. Vom Wortlaut her betrachtet, stellt die Verjährung keinen Fall der Leistungsfreiheit im eigentlichen Sinne dar. Leistungsfreiheit meint vielmehr die Verletzung versicherungsspezifischer Regelungen. Daher stehen auch einige Stimmen der Anwendung auf den § 117 Abs. 1 ablehnend gegenüber.24 Der Dritte habe es zudem auch mittels Feststellungsklage auf Bestehen der Leistungspflicht selbst in der Hand, die Verjährung zu hemmen. Der BGH vertritt jedoch in ständiger Rechtsprechung mit der heute überwiegenden Ansicht zutreffend eine analoge Anwendung des § 117 Abs. 1 auf die Fälle der Verjährung.25 So beginnt die Verjährung des fingierten Anspruchs für den Geschädigten erst ab dem Zeitpunkt, zu dem er diesen Anspruch geltend machen kann, also erst ab dem rechtskräftigen Urteil gegen den VN.26 Bei einem „intakten“ Versicherungsverhältnis wäre die Anspruchsberechtigung indes schon früher zu bejahen. Ob jedoch ein „intaktes“ oder „gestörtes“ Versicherungsverhältnis vorliegt, ist mitunter schwer zu beurteilen. Daher ist eine analoge Anwendung geboten.

3. Risikoausschlüsse, Grenzen des Versicherungsschutzes Bereits aus dem Wortlaut des § 117 Abs. 1 („Leistungsfreiheit“), insbesondere aber aus dem Zu- 12 sammenspiel mit Abs. 3 („im Rahmen […] der von ihm übernommenen Gefahr“) kommt zum Ausdruck, dass eine zuvor prinzipiell bestandene Leistungspflicht nachträglich entfallen sein muss (vgl. bereits oben Rn. 8). Es muss somit zumindest ursprünglich einmal Versicherungsschutz in Bezug auf ein gewisses Risiko bestanden haben. Gerade dies ist bei sog. Risikoausschlüssen nicht der Fall. Durch sie wird durch Gesetz oder im Vertrag ein bestimmtes Risiko von Anfang an vom Versicherungsschutz ausgenommen. Der Dritte kann sich, soweit der VR aufgrund eines solchen Risikoausschlusses nicht leisten muss, nicht auf § 117 Abs. 1 berufen.27 Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Er soll nicht bessergestellt werden, als er stünde, wenn das Versicherungsverhältnis zwischen VN und VR intakt wäre, sondern nur 22 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 5; Berliner Kommentar/ Beckmann § 158c Rn. 9.

23 Vgl. hierzu noch BGH 19.12.1966 – IVa ZR 292/85, BGHZ 101 276 = VersR 1967 149; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 10. 24 OLG Celle 14.7.1954 – 1 U 34/54, VersR 1954 427, 428; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 8; R. Johannsen VersArch 1956 279, 283 f.; zweifelnd auch Schirmer VersR 1986 825. 25 BGH 19.3.2003 – IV ZR 233/01, VersR 2003 635, 637 (juris Rn. 18); BGH 20.1.1971 – IV ZR 1134/68, VersR 1971 333, 334 (juris Rn. 12); OLG München 12.3.1959 – 1 U 1545/58, VersR 1959 607, 608; ebenso Beckmann/MatuscheBeckmann/Schneider3 § 24 Rn. 169; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 9; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 18; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 10; kritisch Langheid/ Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 56. 26 BGH 15.2.1968 – II ZR 101/65, VersR 1968 361, 363 (juris Rn. 23); BGH 27.11.1968 – IV ZR 501/68, VersR 1969 127, 128. 27 Zustimmend OLG Celle 2.10.2019 – 8 U 107/19, GI aktuell 2019 172, 174 (juris Rn. 43); OLG Saarbrücken 20.10.2016 – 4 U 104/15, NJW-RR 2017 350, 354 (juris Rn. 67); Looschelders VersR 2021 337, 338. 589

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

gleich gut.28 Aber auch in diesem Fall hätte der VN gerade keinen Deckungsanspruch und der Dritte somit auch keinen ggf. pfändbaren Anspruch bzw. keinen Direktanspruch. Die Einschätzung, ob tatsächlich ein Risikoausschluss vorliegt oder nicht, ist nicht immer einfach zu treffen; Abgrenzungsschwierigkeiten können sich insbesondere zu Obliegenheiten ergeben.29 13 Als subjektiver Risikoausschluss ist nach ganz überwiegender Meinung die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles gem. § 103 einzuordnen.30 Der VR muss allerdings beweisen, dass die Voraussetzungen des § 103 gegeben sind.31 Da die Vorschriften der Haftpflichtversicherung gleichsam für die Pflichthaftpflichtversicherungen gelten, kommt in diesen Fällen § 117 Abs. 1 somit nicht zur Anwendung32 (vgl. hierzu noch Rn. 49). Dies wurde im Rahmen der VVG-Reform als nicht ganz unproblematisch erachtet; so hieß es im Zwischenbericht der VVG-Reformkommission: „Im Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherungen kollidiert § 152 VVG jedoch mit den durch die gesetzliche Regelung geschützten Interessen der Geschädigten: Obwohl hier der Opferschutz besonders im Vordergrund steht, ist gerade für den extremsten Fall der Schadenzufügung, der rechtswidrigen Vorsatztat, keine Versicherungsdeckung sichergestellt.“33 Gleichwohl sprach sich die VVG-Reformkommission insoweit nicht für eine Änderung der Vorgängervorschrift des § 158c VVG a. F. (heute § 117), sondern für eine Berücksichtigung der hiermit zusammenhängenden Probleme in Einzelfallregelungen aus; als Beispiele nannte die VVG-Reformkommission die Regelung im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung mit der Einschaltung der Verkehrsopferhilfe bzw. für die Fälle der Berufshaftung die Regelung für Notare (§ 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO i. V. m. § 67 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BNotO);34 vgl. zu den Besonderheiten der Kfz-Haftpflichtversicherung noch Rn. 51 ff.

4. Versicherung für fremde Rechnung 14 Bei Versicherungen für fremde Rechnung existiert neben dem VN noch zumindest ein weiterer (Mit-)Versicherter. Auch der Mitversicherte hat den jeweiligen Obliegenheiten nachzukommen.35 Tut er dies nicht, so kann auch sein Verhalten zur Leistungsfreiheit des VR ihm gegenüber führen. Es ist insoweit allgemein anerkannt, dass bei Versicherungen für fremde Rechnung der Gesetzestext dahingehend auszulegen ist, dass bei Bezugnahme auf den „VN“ ebenso der Versi-

28 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 10. 29 Vgl. Bruck/Möller/Heiss10 § 28 Rn. 20 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 13 ff.; Wandt6 Rn. 572 ff.; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 44 ff. 30 BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239, 240 (juris Rn. 17); OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491; OLG Brandenburg 16.12.2014 – 12 U 65/12, VersR 2016 671; OLG Nürnberg. 2.8.2013 – 5 U 562/13, RuS 2015 542; OLG Düsseldorf 28.2.2003 – 14 U 167/02, I-14 U 167/02, VersR 2003 1248 (juris Rn. 6); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 7; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 11; Looschelders VersR 2021 337, 338; Palmer VersR 1984 817, 818; Rischar VersR 1984 1025; a.A. Franck VersR 2014 13; OLG Frankfurt 23.5.1996 – 12 U 125/95, VersR 1997 224 f. (juris Rn. 4) (ablehnend wiederum Langheid VersR 1997 348 f.; Lemcke RuS 1996 483 f.; Lorenz VersR 1997 349 f.). 31 OLG Nürnberg 2.8.2013 – 5 U 562/13, RuS 2015 542 f. (juris Rn. 31); OLG Köln 24.4.2002 – 2 U 127/01, SP 2002 301 f. (juris Rn. 32). 32 BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239, 240 (juris Rn. 16 f.); OLG München 19.1.1990 – 10 U 5353/89, VersR 1990 484; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 11; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 21 f.; Langheid/Rixecker/ Langheid6 § 117 Rn. 7; a. A. OLG Frankfurt 23.5.1996 –12 U 125/95, VersR 1997 224 f. (juris Rn. 5). 33 Zwischenbericht der VVG-Reformkommission v. 30.5.2002, S. 88. 34 Zwischenbericht der VVG-Reformkommission v. 30.5.2002, S. 89. 35 BGH 28.11.1957 – II ZR 325/56, BGHZ 26 133, 139 = VersR 1957 814, 815 (juris Rn. 9); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 12; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 12 m. w. N. Beckmann

590

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

cherte selbst mitumfasst ist.36 Bei derartigen Versicherungen ist zwischen den einzelnen Beteiligten zu differenzieren. Als Beispiel lässt sich die Kfz-Haftpflichtversicherung anführen. Hierbei fallen VN (Halter) und mitversicherter Fahrer häufig auseinander. Hat sich ein Schaden ereignet, so ist zu klären, gegen wen der beiden der Dritte überhaupt Ansprüche geltend machen kann. Danach stellt sich ggf. die Frage, wem gegenüber der VR von seiner Leistung frei ist. So kann etwa der VN als Halter seinen Versicherungsschutz verlieren, wenn er dem Fahrer ein nicht verkehrstaugliches Fahrzeug übergibt. Sofern der Fahrer aber hiervon nichts wusste, bleibt sein Versicherungsschutz unberührt. Umgekehrt kann es ebenso sein, dass der VN weiterhin Deckungsschutz genießt, obwohl der Fahrer seinerseits den Unfall in Folge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit verursacht hat und somit keinen Versicherungsschutz genießt. Unbeschadet von § 123 führt also das Fehlverhalten des einen nicht unbedingt zum Verlust des Versicherungsschutzes des anderen.37 § 117 Abs. 1 fingiert bei Versicherungen für fremde Rechnung nur die Leistungspflicht in 15 dem Verhältnis, in dem sie zuvor erloschen ist. Besteht also eine Haftpflicht des Mitversicherten gegenüber einem Dritten (z. B. wegen eines Verkehrsunfalls), ist indes insoweit Leistungsfreiheit des VR eingetreten, so fingiert § 117 Abs. 1 gleichwohl die Leistungspflicht des VR gegenüber dem Mitversicherten; allerdings greifen die Beschränkungen nach § 117 Abs. 3 und Abs. 4 ein. Das daneben bestehende Versicherungsverhältnis kann dagegen intakt sein (vgl. vorstehende Rn. 14); aufgrund dieses intakten Versicherungsverhältnisses ist der VR dem geschädigten Dritten gegenüber zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, ohne dass etwa § 117 Abs. 3 und Abs. 4 eingreifen können. Zu beachten bleibt § 123 (vgl. dortige Kommentierung). Zudem kann der VR ggf. nach § 116 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 117 Abs. 5 Satz 1 bei demjenigen Regress nehmen, gegenüber dem er leistungsfrei war.

5. Rechtsfolgen von Abs. 1 Ist der Tatbestand des § 117 Abs. 1 erfüllt, so schreibt das Gesetz vor, dass die Verpflichtung des 16 VR zur Leistung „in Ansehung des Dritten bestehen bleibt“.38 Aufgrund des ausschließlichen Verweises auf den „Dritten“ ist somit von der Rechtsfolgenseite her zu unterscheiden. Nur im Außenverhältnis zum geschädigten Dritten fingiert das Gesetz das Bestehen des Deckungsanspruchs des VN gegenüber seinem VR. Steht dem Dritten ein Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 gegen den VR zu, so kann dieser gem. § 115 Abs. 1 Satz 2 die Leistungsfreiheit nur in den Grenzen des § 117 Abs. 1 bis 4 entgegenhalten. Besteht – außerhalb der Kfz-Haftpflichtversicherung im Regelfall – kein Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 Satz 1, so wird durch § 117 Abs. 1 nicht etwa ein Direktanspruch des Dritten begründet.39 Vielmehr muss der Geschädigte gegen den VN vorgehen und sich den fingierten Deckungsanspruch pfänden und überweisen lassen,40 wozu ein Vollstreckungstitel notwendig ist. Daneben ist es möglich und in einigen Fällen auch geboten, gegen den VR eine Klage auf Feststellung des Bestehens des Versicherungsanspruchs zu erheben, um u. a. die Verjährung dieses Anspruchs zu hemmen.41

36 BGH 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105 140, 145 = VersR 1988 1062, 1064 m. w. N. (juris Rn. 12); BGH 28.11.1957 – II ZR 325/56, VersR 1957 814, 815 (juris Rn. 8); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 12; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 9. 37 BGH 14.9.2005 – IV ZR 216/04, VersR 2005 1720, 1721 (juris Rn. 11); OLG Schleswig 15.11.1994 – 9 U 85/93, VersR 1995 827 (juris Rn. 18); OLG Hamm 28.9.1992 – 6 U 45/92, NZV 1993 68, 70; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 12; vgl. auch Kommentierung zu § 116 Rn. 15. 38 Zur Rechtsnatur siehe Rn. 5. 39 Marlow/Spuhl4 Rn. 642; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 4; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 13. 40 BGH 8.10.1952 – II ZR 309/51, BGHZ 7 244, 246 f. (juris Rn. 8 f.); Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 13. 41 BGH 20.1.1971 – IV ZR 1134/68, VersR 1971 333, 333 f. (juris Rn. 10); Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 13. 591

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

§ 117 Abs. 1 bewirkt letztlich nichts anderes, als dass der Dritte in die Situation gerückt wird, in der er stünde, wenn das Versicherungsverhältnis zwischen VN und VR „intakt wäre“. Gegenüber dem Dritten wird das Versicherungsverhältnis somit als bestehend fingiert. Zu beachten sind aber die Einschränkungen gem. Abs. 3 und Abs. 4. 18 Die Bindungswirkung einer Entscheidung im Haftpflichtprozess zwischen geschädigtem Dritten und VN entfaltete auch Wirkung im Rahmen der Vorgängervorschrift des § 158c VVG a. F.42 Indes wird die Bindungswirkung nach der VVG-Reform grundsätzlich in Frage gestellt. Ausgangspunkt der Diskussion ist die sprachliche Umformulierung des § 106 Satz 1. Während § 154 VVG a. F. bestimmte, dass der Freistellungsanspruch binnen zwei Wochen fällig werde, nachdem „der Anspruch des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden“ sei, enthält § 106 Satz 1 nunmehr noch den Zusatz, dass der VR den VN innerhalb von zwei Wochen von dem Zeitpunkt an freizustellen hat, zu dem der Anspruch mit „bindender Wirkung“ für den VR durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist. Aus dieser Formulierung wird zum Teil gefolgert, dass die Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses für das Deckungsverhältnis entfalle, was auch für die Konstellationen aus § 117 gelten müsse.43 Dem ist nicht zuzustimmen. Eine solch grundlegende Änderung lässt sich zum einen der Gesetzesbegründung nicht entnehmen, zum anderen zeigt auch die Vertragsauslegung im Zusammenhang mit dem Leistungsversprechen des VR, dass weiterhin an der Bindungswirkung festgehalten werden soll.44 Es bleibt also festzuhalten, dass eine Entscheidung im Haftpflichtprozess zwischen geschädigtem Drittem und VN Bindungswirkung für § 117 Abs. 1 entfaltet.45 An dem Rechtsverhältnis zwischen VR und VN ändert sich durch § 117 Abs. 1 nichts.46 Der 19 VN hat keinen Deckungsanspruch und kann einen solchen folglich auch nicht geltend machen.47 Wird er vom geschädigten Dritten verklagt, hat er keinen Rechtsschutzanspruch gegen den VR. Andererseits kann der VR vom VN nicht eine Mitwirkungspflicht bei der Regulierung und Prozessführung erzwingen. Zweifelsohne sollte der VN jedoch ein großes Interesse daran haben, den VR dabei zu unterstützen, ist er es doch letzten Endes, der den Schaden zu tragen hat, § 117 Abs. 5 Satz 1 bzw. § 116 Abs. 1 Satz 2. 17

II. Fiktion des bestehenden Versicherungsverhältnisses, sog. Nachhaftung, Abs. 2 20 In Abgrenzung zu Abs. 1 umfasst Abs. 2 sämtliche Fälle, in denen das Versicherungsverhältnis zwischen VN und VR nicht (mehr) besteht. § 117 enthält vier Tatbestandsvarianten der Nachhaftung. In Abs. 2 Satz 1 spricht das Gesetz zunächst vom „Nichtbestehen“ des Versicherungsverhältnisses (1. Var.), sowie in der 2. Var. von der „Beendigung“ des Versicherungsverhältnisses. Die 3. Var. zur Erfüllung des Tatbestandes ist in Abs. 2 Satz 2 genannt, sofern das Versicherungsverhältnis durch „Zeitablauf“ endet. Im Vergleich zur Vorgängervorschrift des § 158c VVG a. F. mit der VVG-Reform 2008 neu geschaffen wurde Abs. 6, der eine besondere Regelung gegenüber § 16 für den Fall einer Insolvenz des VR darstellt (4. Var.; dazu Rn. 32 f.). Diese vier möglichen Varianten können jeweils die identische Rechtsfolge hervorrufen, nämlich 42 BGH 18.12.1970 – IV ZR 46/69, VersR 1971 238 (juris Rn. 8); BGH 19.2.1959 – II ZR 171/57, VersR 1959 256, 257; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 14. 43 Langheid/Rixecker/Langheid3 § 117 Rn. 13; Langheid VersR 2009 1043, 1045 f.; a. A. Armbrüster RuS 2010 441, 445; Langheid/Wandt/Littbarski2 § 106 Rn. 27. 44 Armbrüster RuS 2010 441, 446; Schlegelmilch VersR 2009 1467; Marlow/Spuhl4 Rn. 621; im Ergebnis auch Bruck/ Möller/R. Koch10 § 106 Rn. 1. 45 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 55 f.; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 42; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Huber3 § 117 Rn. 8. 46 Vgl. Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 15. 47 OGH 26.6.2019 – 7 Ob 228/18 g, VersR 2020 715, 716. Beckmann

592

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

dass sich der VR nicht sofort nach dem Nichtbestehen des Versicherungsverhältnisses auf die Beendigung berufen kann, sondern erst nach Ablauf der gesetzlich bestimmten Frist. Man spricht deshalb von der Nachhaftung des VR. Da alle Varianten auf dieselbe Rechtsfolge hin abzielen, ist die nicht immer eindeutige Unterscheidung zwischen den drei Varianten des Abs. 2 praktisch nicht von allzu großer Relevanz.

1. Nichtbestehen des Versicherungsverhältnisses (1. Var.) Soweit das Gesetz vom Nichtbestehen des Versicherungsverhältnisses spricht, sind davon vor 21 allem die Fälle umfasst, in denen es bereits an einem wirksamen Vertragsschluss mangelt. So kann etwa der Vertrag wegen Geschäftsunfähigkeit oder Minderjährigkeit gemäß den §§ 104 ff. BGB unwirksam sein.48 Soweit sich die Parteien unbewusst nicht über die essentialia negotii geeinigt haben, ist ebenfalls kein Vertrag zustande gekommen. Gleiches gilt für einen versteckten Dissens (§ 155 BGB). Auch eine Anfechtung eines an sich geschlossenen Vertrages führt aufgrund der ex tunc Wirkung zu einem Nichtbestehen des Versicherungsverhältnisses (§§ 142, 119 ff. BGB).49 Es kommt für die Anwendung von Var. 1 entscheidend darauf an, dass zumindest eine Vertragspartei vom Vertragsschluss ausgeht und sich der „äußere Anschein bzw. Tatbestand“ eines Versicherungsverhältnisses aufzeigt.50 Dabei kommt es für die Frage, ob der äußere Anschein über das Vorliegen eines wirksamen Versicherungsverhältnisses besteht, auf die Sicht der Behörde an, der gegenüber das Bestehen des Versicherungsverhältnisses zu erklären ist.51 So genügt etwa eine vorläufige Deckungszusage auch dann den Anforderungen des § 117 Abs. 2, wenn sie einem Minderjährigen gegenüber erteilt wurde und der zugrunde liegende zunächst schwebend unwirksame Vertrag nicht genehmigt wird.52 Mit Aushändigung der Versicherungsbestätigung an die Behörde besteht für diese der äußere Schein einer vorläufigen Deckung. Keine Anwendung findet § 117 Abs. 2 dagegen, wenn es bereits am Rechtsschein eines wirk- 22 samen Versicherungsverhältnisses fehlt.53 Relativ eindeutig und praktisch wohl auch wenig problematisch sind die Fälle, in denen ein Antrag des VN abgelehnt wird und somit auch kein äußerer Anschein bestehen kann.54 Soweit sich die Parteien über wesentliche Punkte des Vertrages noch nicht geeinigt haben und sich dessen bewusst sind (offener Dissens, § 154 BGB), wird wohl auch nur in den seltensten Fällen ein ausreichendes Schreiben o. Ä. seitens des VR vorliegen, um den äußeren Anschein zu begründen. Sollte es jedoch wider Erwarten dem VN doch gelingen, die Behörde von einem bestehenden Versicherungsschutz zu überzeugen, wäre § 117 Abs. 2 einschlägig. Entsprechendes muss gelten, sofern die Parteien den Versicherungsschutz von einem Ereignis abhängig machen und dies im Folgenden nicht eintritt;55 sofern die Behörde über diese Bedingung nicht informiert wird und von einem bestehenden Schutz ausgeht, ist § 117 Abs. 2 gleichfalls einschlägig. Weiterhin wird auch vertreten, dass § 117 Abs. 2 nicht anzuwenden sei, wenn der VR dem VN zwar eine Versicherungsbestätigung aushändigt, beiden Par-

48 BGH 2.10.2002 – IV ZR 309/01, VersR 2002 1501 f. (juris Rn. 10). 49 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 44; ders. VersArch 1956 279, 284; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 15; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 16. 50 Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 18; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 13; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 8. 51 Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 18; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 81; Dallwig Deckungsbegrenzungen in der Pflichtversicherung, 141. 52 BGH 2.10.2002 – IV ZR 309/01, VersR 2002 1501 f. (juris Rn. 10). 53 Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 8. 54 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 16; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 8; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 18. 55 KG Berlin 2.11.1970 – 1087/70, VersR 1971 613 (kein Eingreifen der Vorgängervorschrift). 593

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

teien aber zugleich bewusst sei, dass noch kein Versicherungsschutz bestünde.56 Auch das kann nur gelten, soweit die Behörde nicht aufgrund der Versicherungsbestätigung von einem bestehenden Versicherungsschutz ausgeht.57 Ratio legis des § 117 Abs. 2 ist der Schutz Dritter, die mit der versicherungspflichtigen Tätigkeit in Kontakt kommen. Ist dieser Schutz gefährdet, weil kein Versicherungsschutz besteht, so greift die zuständige Behörde ein und unterbindet die versicherungspflichtige Tätigkeit. Sofern aber ihr gegenüber der Anschein erweckt wird, dass ein entsprechender Versicherungsschutz besteht, kann sie mangels Kenntnis von anderweitigen Tatsachen nicht einschreiten. Der Dritte muss in diesen Fällen über § 117 Abs. 2 geschützt werden. Dem VR ist daher anzuraten, – sobald er erkennt, dass die Behörde von bestehender Deckung ausgeht –, diese unverzüglich über den nicht bestehenden Vertrag zu informieren.58

2. Beendigung des Versicherungsverhältnisses und Zeitablauf (2. und 3. Var.) 23 a) Beendigung. Die Beendigung eines Versicherungsverhältnisses i. S. d. § 117 Abs. 2 Satz 1, 2. Var. erfordert, dass ursprünglich einmal ein gültiger Versicherungsvertrag bestanden hat, dieser nunmehr aber beseitigt wurde. Darunter fällt insbesondere die Kündigung des Versicherungsvertrages wegen Verletzung von vertraglichen Pflichten.59 Ebenso können die Parteien den Versicherungsvertrag auch einvernehmlich aufheben.60 Das versicherte Interesse kann nachträglich entfallen, § 80. Daneben ist auch der Rücktritt vom Vertrag als Beendigung einzuordnen, z. B. §§ 19 Abs. 2, 37 Abs. 1. Auch der Widerruf nach § 8 kann als Beendigung einzuordnen sein, sofern der Versicherungsschutz bereits vor Ende der Widerrufsfrist begonnen hatte (§ 9 Satz 1).61 Die Einordnung als Beendigung bzw. als Nichtbestehen (zur 1. Var. oben Rn. 21 f.) ist umstritten, hat jedoch wie bereits anfangs erwähnt keine praktische Bedeutung, da beide die Rechtsfolge des § 117 Abs. 2 nach sich ziehen.

24 b) Zeitablauf. § 117 Abs. 2 Satz 2 ist der erste von zwei Sondertatbeständen für den Fall der Beendigung des Versicherungsverhältnisses. Die Vorschrift umfasst Versicherungsverhältnisse, die alleine durch Zeitablauf enden und erstreckt den Geltungsbereich von Satz 1 auch auf diese. Der mit der VVG-Reform 2008 neu geschaffene Abs. 6 stellt eine abweichende Sonderregelung zu § 16 dar und bestimmt, dass bei Insolvenz des VR das Versicherungsverhältnis erst einen Monat nach Anzeige der Insolvenz bei der zuständigen Behörde durch den Insolvenzverwalter endet (dazu Rn. 32 f.). Die Nachhaftung nach Abs. 2 ist grundsätzlich nicht an eine bestimmte Laufzeit des abgeschlossenen Vertrages gekoppelt; so ist eine Nachhaftung auch bei lediglich für fünf Tagen verausgabten Kurzzeit-Kennzeichen uneingeschränkt zu bejahen.62

56 57 58 59

OLG Nürnberg 10.1.1961– VersR 1961 603, 605; R. Johannsen VersArch 1956 279, 285 f. In diese Richtung auch BGH 17.1.1973 – IV ZR 166/71, VersR 1973 265, 266. Zum Vorstehenden Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 18. Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 17; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 17; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 19. 60 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 17; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 6; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 19. 61 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 83; Langheid/Rixecker/ Langheid6 § 117 Rn. 17. 62 OLG Frankfurt/M. 26.9.2018 – 13 U 43/17, VersR 2018 1440 f. (juris Rn. 19 ff.); zustimmend Wenker jurisPR-VerkR 3/2019 Anm. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 117 Rn. 7. Beckmann

594

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

3. Anzeige gegenüber der zuständigen Stelle Der VR kann seine Nachhaftung nur zeitlich begrenzen, in dem er der zuständigen Stelle das 25 Nichtbestehen oder die Beendigung anzeigt. Sollte keine Behörde zur Entgegennahme bestimmt sein, so gilt § 117 Abs. 2 schon nicht, vgl. § 117 Abs. 2 Satz 5. Die zuständige Behörde ist jedoch regelmäßig in dem Gesetz genannt, das den Abschluss einer Haftpflichtversicherung vorschreibt (z. B. § 25 Abs. 1 FZV für Kfz-Haftpflichtversicherung die Zulassungsbehörden [§ 29c StVZO a. F.], § 19a Abs. 5 BNotO für Notare die Landesjustizverwaltung, § 51 Abs. 7 BRAO für Rechtsanwälte die Rechtsanwaltskammer, § 67 StBerG für Steuerberater die Steuerberaterkammer). § 117 Abs. 1 bleibt von § 117 Abs. 2 Satz 5 unberührt und gilt auch, sofern keine Stelle zur Entgegennahme festgelegt wurde.63 Durch Anzeige über das Nichtbestehen oder die Beendigung des Versicherungsverhältnisses 26 bei der zuständigen Stelle kann der VR seine Nachhaftung auf einen Monat begrenzen. Für den Fristbeginn ist der Zugang der Mitteilung bei der zuständigen Stelle maßgebend.64 Die Fristberechnung erfolgt nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Dagegen findet § 193 BGB keine Anwendung.65 Die Anzeige bedarf keiner Form, sondern kann sowohl mündlich, schriftlich, als auch mittels Datenträger erfolgen66 (bei Kfz-HaftpflichtV gilt § 25 Abs. 1 FZV). Hinsichtlich des Inhalts muss sie so bestimmt sein, dass die Behörde das zugrunde liegende Versicherungsverhältnis erkennen kann und keine Zweifel offenbleiben.67 Eine eindeutige Zuordnung muss möglich sein. So wurde eine ordnungsgemäße Anzeige verneint, als es bei einem HaftpflichtVR zu einer Rechtsnachfolge kam und dieser Rechtsnachfolger dies nicht in der Anzeige kundgetan hat, so dass letztlich beim Sachbearbeiter erhebliche Unsicherheiten auftauchten.68 Die Behörde trifft in diesem Moment keine besondere Aufklärungspflicht, sondern kann die Anzeige zurücksenden. Ist die Anzeige missverständlich und beruht die Unrichtigkeit auf einer vorangegangenen Sorgfaltspflichtverletzung der Behörde, so muss die Anzeige als ordnungsgemäß gelten.69 Der VR trägt für den Zugang die Beweislast.70 Bei der Kfz-Haftpflichtversicherung wird dem VR der Beweis gut gelingen, da die zuständige Stelle dem VR das Datum der Anzeige (elektronisch) mitzuteilen hat, §§ 25 Abs. 2, 24 Abs. 2 FZV.71 Eine andere Frage betrifft die Beweislast für die Tatsachen, die die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zur Folge haben; diese Beweislast trägt der VR. Nur wenn es zur tatsächlichen Beendigung gekommen ist, kann die Anzeige bei der zuständigen Behörde die Nachhaftung materiell-rechtlich begrenzen. Die Behörde selbst überprüft nicht die Richtigkeit der Anzeige.72 Wie sich aus § 117 Abs. 2 Satz 3 ergibt, kann die Nachhaftungsfrist frühestens mit Beendi- 27 gung des Versicherungsverhältnisses erfolgen. Der VR kann also die Monatsfrist nicht dadurch aushebeln, dass er die Beendigung des Versicherungsverhältnisses schon einen Monat vor der eigentlichen Beendigung anzeigt. Der Sinn und Zweck der Monatsfrist ist es, dass die Behörde in diesem Zeitraum die versicherungspflichtige Tätigkeit unterbinden kann, so dass Dritte hinreichend geschützt werden. Im Schrifttum wird die Frage, ob die Anzeige der Behörde 63 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 24; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 21. 64 OLG Celle 14.7.1954 – 1 U 34/54, VersR 1954 427 f.; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 20; Berliner Kommentar/ Beckmann § 158c Rn. 21.

65 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 20; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 9. 66 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 20; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 21. 67 OLG Köln 14.10.1998 – 13 U 98/98, VersR 1999 1357: „sowohl formell ordnungsgemäß als auch sachlich zutreffend“ (juris Rn. 2). 68 OLG Nürnberg 13.8.1998 – 2 U 785/98, VersR 1999 1273 (juris Rn. 8). 69 BGH 13.2.1974 – IV ZR 186/72, VersR 1974 458 f. (juris Rn. 13); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 20; zweifelnd Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 12. 70 OLG Celle 14.7.1954 – 1 U 34/54, VersR 1954 427; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 46; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 21. 71 Skauradszun VersR 2009 330. 72 BVerwG 22.10.1992 – 3 C 2/90, NJW 1993 1217, 1218 (juris Rn. 17); OVG Saarlouis 3.2.2009 – 1 B 10/09 (juris Rn. 3 ff.). 595

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

auch schon vor Beendigung des Versicherungsvertrages zugehen darf, unterschiedlich beantwortet.73 Es erscheint indes eine unnötige Förmelei, die Zulassungsbehörden zu verpflichten, Anzeigen, die vor dem Tag eingehen, der als Tag der Beendigung des Versicherungsverhältnisses angegeben ist, zurückzuweisen. Im Falle schon vor Vertragsbeendigung erfolgter Anzeige ist es ausreichend, die Frist dann mit dem Vertragsende beginnen zu lassen.74 28 Nach § 117 Abs. 2 Satz 4 wird die Nachhaftung des VR sofort dadurch beendet, dass der Behörde die Bestätigung über eine neue Versicherung zugeht, die das gleiche Risiko abdeckt. Es bedarf dann keiner Anzeige durch den alten HaftpflichtVR mehr.

4. Rechtsfolgen des Abs. 2 29 Soweit die Voraussetzungen des Abs. 2 erfüllt sind, trifft den VR die sog. Nachhaftung. Obgleich das Versicherungsverhältnis nicht mehr besteht, wird der Versicherungsschutz dennoch in Ansehung des Dritten als bestehend fingiert. Die Nachhaftung endet im Regelfall erst einen Monat nach ordnungsgemäßer Anzeige bei der zuständigen Stelle. Da die Monatsfrist erst mit Zugang der Anzeige bei der jeweiligen Stelle beginnt, kann der VR sich solange nicht gegenüber dem Dritten auf das Nichtbestehen bzw. die Beendigung des Versicherungsverhältnisses berufen, solange er nicht die Anzeige getätigt hat und ein Monat verstrichen ist. Zur Vorgängervorschrift wurde vorgeschlagen, § 158c Abs. 2 VVG a. F. in den Fällen teleolo30 gisch zu reduzieren, in denen die Behörde zwar innerhalb der Monatsfrist gegenüber dem versicherungslosen VN tätig werde und seine Tätigkeit unterbinde, dieser jedoch dennoch diese fortsetze und nach dem Tätigwerden der Behörde, aber vor Ablauf der Monatsfrist einen Dritten schädige. Argumentiert wurde insoweit mit dem Zweck der Vorschrift, der durch das Tätigwerden der Behörde erreicht sei.75 Angesichts des eindeutigen Wortlauts und auch im Sinne der Rechtssicherheit ist diesem Vorschlag indes nicht zu folgen.76 § 117 Abs. 2 ist kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB.77 Der Geschädigte kann nur seine 31 Rechte aus §§ 115 ff. wahrnehmen. Er kann dem VR im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB gerade nicht vorhalten, dass dieser die Beendigung bzw. das Nichtbestehen nicht (rechtzeitig) angezeigt hat. Zum einen besteht zumeist keine allgemeine „Pflicht“ zur Anzeige, so heißt es in § 25 Abs. 1 Satz 1 FZV, dass der VR zur Beendigung seiner Haftung der zuständigen Zulassungsbehörde Anzeige erstatten kann (Ausnahme: § 51 Abs. 6 BRAO, § 19a Abs. 3 Satz 3 BNotO).78 Die Anzeige selbst liegt vielmehr im Interesse des VR, der dadurch seine Haftung zeitlich begrenzen kann. Überdies dient bereits die Fiktion des Deckungsanspruchs gegenüber dem Dritten seinem Schutze, so dass der Anzeige darüber hinaus keine weitere schützende Eigenschaft beizumessen ist.79

5. Nachhaftung bei Insolvenz des Haftpflichtversicherers, Abs. 6 32 Der mit der VVG-Reform 2008 neu geschaffene Abs. 6 ist der Nachhaftung nach Abs. 2 nachgebildet. Die Vorschrift regelt den bisher freilich seltenen Fall der Insolvenz des VR. Abs. 6 ist lex Bejahend Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 10; a. A. Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 117 Rn. 9. Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 10. R. Johannsen VersArch 1956 279, 290. BGH 1.12.1960 – II ZR 158/58, BGHZ 33 318, 319 = VersR 1961 20 (juris Rn. 3); Schirmer VersR 1986 825, 826; Hübner/Lew Schneider RuS 2002 89, 92; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 23. 77 OLG Frankfurt/M. 18.5.1954 – 5 U 34/54, VersR 1954 351; Skaraudszun VersR 2009 330; Schirmer VersR 1986 825, 829; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 24. 78 Dallwig Deckungsbegrenzungen in der Pflichtversicherung, S. 180. 79 Ablehnend wohl auch BGH 4.4.1978 – VI ZR 238/76, VersR 1978 609 f. (juris Rn. 9 f.); OLG Köln 14.1.1982 – 14 U 69/80, VersR 1983 721, 722; Schirmer VersR 1986 830.

73 74 75 76

Beckmann

596

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

specialis zu § 16. Während nach § 16 das Versicherungsverhältnis zwischen VR und VN einen Monat nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens des VR endet, bestimmt Abs. 6, dass das Versicherungsverhältnis einer PflichtV erst einen Monat nach Anzeige der Eröffnung durch den Insolvenzverwalter bei der zuständigen Stelle endet. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt das Versicherungsverhältnis gegenüber der Insolvenzmasse wirksam. Tritt während der Monatsfrist ein Versicherungsfall ein, so ist die Entschädigungsforderung Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Ist ein Versicherungsfall dagegen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten und noch nicht reguliert, ist der Entschädigungsanspruch des VN Insolvenzforderung.80 Der VR hat gegenüber dem VN bis zum Ende der in Abs. 6 genannten Monatsfrist auch noch einen Anspruch auf Zahlung der Prämie.81 Die Benachrichtigung nach Abs. 6 Satz 1 hat an die der in Abs. 2 entsprechenden Stelle zu 33 erfolgen. Ist keine Stelle zur Entgegennahme der Anzeige durch den Insolvenzverwalter vorgesehen, so endet das Versicherungsverhältnis gem. Abs. 6 Satz 2 mit der Anzeige des Erlöschens in Textform (§ 126b BGB) gegenüber dem VN. Die Regelung des Abs. 6 dient einerseits dem Opferschutz und soll andererseits ermöglichen, dass die für die Überwachung der Versicherungspflicht zuständige Stelle in angemessener Zeit die sich aus der Beendigung des Versicherungsverhältnisses ergebenden Konsequenzen ziehen kann.82

6. Amtshaftung der zuständigen Behörde bei nicht-(rechtzeitigem) Einschreiten Geht die zuständige Behörde nach Zugang der Anzeige durch den VR nicht unverzüglich gegen 34 den nunmehr „Versicherungslosen“ vor, so kann hierin eine Amtspflichtverletzung i. S. v. § 839 BGB liegen.83 Im Bereich der Kfz-Versicherung ist in § 25 Abs. 4 Satz 1 FZV eine ausdrückliche Pflicht zum Tätigwerden bestimmt, deren Schutzrichtung auch auf potentielle Verkehrsopfer abzielt.84 So kommt insbesondere ein hierauf begründeter Schadensersatzanspruch zugunsten des geschädigten Dritten in Betracht, wenn diesem infolge der Amtspflichtverletzung keine Ansprüche gegen den HaftpflichtVR zustehen, im Hinblick auf die Schadenshöhe allerdings in den Grenzen von § 117 Abs. 3 und Abs. 4.85 Wird die zuständige Behörde nicht innerhalb der einmonatigen Nachhaftungsfrist tätig und entzieht die Erlaubnis zur Ausübung der versicherungspflichtigen Tätigkeit, so besteht der Anscheinsbeweis, dass sie ihre Amtspflicht verletzt hat. In Betracht kommt auch ein entsprechender Schadensersatzanspruch des HaftpflichtVR, der dem geschädigten Dritten im Rahmen der Nachhaftung gem. § 117 Abs. 2 ersatzpflichtig ist, gegen die Behörde wegen Amtspflichtverletzung.86

III. „Dritter“ i. S. d. § 117 Abs. 1 und Abs. 2 Das Gesetz lässt die Verpflichtung des VR in Ansehung des „Dritten“ bestehen. Wer als Dritter 35 in diesem Sinne einzuordnen ist, ergibt sich aus dem Normzusammenhang. Zunächst einmal ist – wie bei § 115 Abs. 1 – mit dem Dritten der Geschädigte gemeint, der durch die versicherungspflichtige Handlung/Tätigkeit des VN geschädigt wurde und dem deshalb ein Schadenser80 Bruck/Möller/K. Johannsen/R. Koch10 § 16 Rn. 14; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 53. 81 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 66; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 54; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 96. 82 BTDrucks. 16/3945 S. 89. 83 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 23; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 16. 84 BGH 15.1.1987 – III ZR 17/85, BGHZ 99 326, 328 = VersR 1987 761 (juris Rn. 11). 85 BGH 17.5.1990 – III ZR 191/88, BGHZ 111 272 = VersR 1991 73, 74 (juris Rn. 9 ff.) (betr. § 29c StVZO); Prölss/Martin/ Klimke31 § 117 Rn. 16. 86 Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 16; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 23. 597

Beckmann

§ 117 VVG

36

37

38

39

Leistungspflicht gegenüber Dritten

satzanspruch gegen den VN zusteht. Dieser Anspruch wäre im Regelfall von der Pflichthaftpflichtversicherung umfasst, ist aber aufgrund von Umständen, die zu einer „Leistungsfreiheit“ führen (oben Rn. 8 ff., 20 ff.), ausnahmsweise nicht mehr abgedeckt. Gleichwohl wird der Geschädigte in den Fällen von § 117 Abs. 1 und Abs. 2 als schützenswert erachtet. Auch der Rechtsnachfolger des Geschädigten kann grundsätzlich Dritter sein.87 In Betracht kommt zum einen der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger nach § 1922 BGB. Ebenso kann eine Rechtsnachfolge durch Abtretung des Anspruchs, Pfändung und Überweisung gegen den Geschädigten, sowie durch sonstige gesetzliche Vorschriften eintreten.88 Kein tauglicher Dritter i. S. d. § 117 ist jedoch ein anderer Schadensversicherer oder ein Sozialversicherungsträger. Das ergibt sich bereits aus Abs. 3 Satz 2, der bestimmt, dass der VR nicht leisten muss, sofern ein derartiges Haftungssubjekt zur Verfügung steht.89 Im Unterschied dazu können Sozialhilfeträger sehr wohl Rechtsnachfolger und daher Dritter sein (vgl. hierzu Rn. 72 ff.). Sogar der VN selbst kann in gewissen Fällen Dritter sein, wenn ihm ein Schaden von einem Mitversicherten zugefügt wurde und sein eigenes Versicherungsverhältnis zum VR nicht gestört ist.90 Soweit dem VR allerdings im Innenverhältnis Gegenansprüche zustehen, kann dem Anspruch des VN gegen den VR der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegengehalten werden.91 Der ausgleichsberechtigte Mitschädiger ist kein Dritter im Sinne dieser Vorschrift. Die die frühere Rechtslage betreffende Rechtsprechung hat darauf abgestellt, das Pflichtversicherungsgesetz diene, insbesondere durch Gewährung des Direktanspruchs, dem Schutz von Unfallopfern, die den Risiken des Kraftfahrzeugverkehrs ausgesetzt seien; hingegen diene die Direkthaftung des Versicherers nicht dem Schutz des Schädigers.92 Diese Aspekte lassen sich auf die heute geltende Rechtslage übertragen.93

IV. Haftungsbegrenzung des Versicherers, Abs. 3 Satz 1 40 Erhebliche Bedeutung kommt im Rahmen des § 117 der Bestimmung von Abs. 3 zu. Diese Regelung bestimmt den Umfang der Leistungspflicht des VR in den Fällen von Abs. 1 und Abs. 2. Da der VR im Rahmen des § 117 Abs. 1 und Abs. 2 haftet, obwohl er im Verhältnis zum VN von der Leistung befreit ist, kommt ihm das Gesetz zumindest in Abs. 3 insoweit entgegen, als es den Haftungsumfang konkretisiert und begrenzt und somit seine Belastung abmildert. Der VR haftet danach lediglich bis zur vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme und im Rahmen der von ihm übernommenen Gefahr. Damit bewirkt § 117 Abs. 3 einen wesentlichen Unterschied zwischen einem „intakten“ Versicherungsverhältnis, wo der Umfang der Leistungspflicht primär vom Inhalt des Versicherungsverhältnisses bestimmt wird, und einem „gestörten“ 87 BGH 8.10.1952 – II ZR 309/51, BGHZ 7 244, 247 (juris Rn. 9); BGH 17.5.1956 – II ZR 96/55, BGHZ 20 371, 376 ff. (juris Rn. 8); BGH 17.10.1957 – II ZR 161/56, BGHZ 25 330, 337 ff. (juris Rn. 6); BGH 23.9.1965 – II ZR 144/63, BGHZ 44 166, 167 = NJW 1965 2343 (juris Rn. 4); KG Berlin 2.3.1978 – 12 U 2934/77, VersR 1978 435, 436 (juris Rn. 22); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 11; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 7. 88 BGH 17.10.1957 – II ZR 161/56, BGHZ 25 330, 332 (juris Rn. 6). 89 So schon BGH 8.10.1952 – II ZR 309/51, BGHZ 7 244, 247, obwohl damals der heutige Abs. 3 Satz 2 nicht existierte; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 11. 90 BGH 10.6.1986 – VI ZR 113/85, VersR 1986 1010 (juris Rn. 8); vorangehend OLG Köln 13.3.1985 – 13 U 203/84, VersR 1985 488, 489; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 18; ausführlich zum Streitstand Langheid VersR 1986 15. 91 BGH 10.6.1986 – VI ZR 113/85, VersR 1986 1010, 1011 (juris Rn. 11); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 11. 92 Vgl. BGH 1.7.2008 – VI ZR 188/07, BGHZ 177 141, 144 f. = VersR 2008 1273, 1274 (Rn. 10 f.); OLG Hamm 14.6.1968 – 9 U 217/67, VersR 1969 508, 509; KG Berlin 2.3.1978 – 12 U 2934/77, VersR 1978 435, 436 (juris Rn. 22); OLG Zweibrücken 13.12.1985 – 1 U 105/83, VersR 1987 656, 657; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 25. 93 Im Ergebnis ebenso Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 11. Beckmann

598

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

Versicherungsverhältnis nach Abs. 1 und Abs. 2, in dem sich der Umfang der Leistungspflicht des VR eben nach Abs. 3 richtet. Hinzu tritt die Haftungssubsidiarität gem. Abs. 3 Satz 2 (dazu Rn. 56 ff.).

1. Mindestversicherungssumme, Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. In vielen Fällen sehen die Versicherungsverträge eine höhere Deckungssumme vor, als sie ge- 41 setzlich vorgeschrieben ist (vgl. auch § 114 Rn. 16 f.). Je nach Art der Tätigkeit ist dies für den VN auch sinnvoll, da mitunter auch höhere Schäden eintreten können. Der VR haftet mit der vertraglich vereinbarten – über die gesetzliche Mindestversicherungssumme hinausgehenden – Versicherungssumme indes nur bei einem „intakten“/„gesunden“ Versicherungsverhältnis. In den Fällen von Abs. 1 und Abs. 2 – also bei einem „gestörten“ Versicherungsverhältnis – ist der VR hingegen lediglich im Rahmen der (gesetzlich) vorgeschriebenen Mindestversicherungssummen verpflichtet, § 117 Abs. 3 Satz 1. Mit dieser Differenz aus gesetzlich festgelegter Mindestversicherungssumme und vertraglich zugesicherter Deckungssumme kann sich der VR gem. § 117 Abs. 3 Satz 1 auch gegenüber Dritten stets auf die Leistungsfreiheit berufen. Das ist auch angemessen, da Dritte von Gesetzes wegen lediglich in Höhe der jeweiligen Mindestversicherungssumme geschützt sind. Einen Auffangtatbestand für die Frage der Mindestversicherungssumme stellt § 114 dar.94 42 Dort ist eine Mindestversicherungssumme von A 250.000 je Fall bzw. A 1 Mio. für ein gesamtes Versicherungsjahr festgesetzt. Die Vorschrift tritt allerdings zurück, soweit durch spezialgesetzliche Vorschriften höhere oder niedrigere Summen festgelegt sind. So wird für den wohl wichtigsten Bereich der Pflichtversicherungen, nämlich die Kfz-Haftpflichtversicherung, die Mindestsumme durch die Anlage zu § 4 PflVG festgelegt. Danach haftet der VR für Personenschäden bis zu einer Höhe von A 7,5 Mio., für Sachschäden bis zu A 1,22 Mio. und für reine Vermögensschäden bis zu A 50.000.

a) Teilweise Leistungsfreiheit. Häufig ist der HaftpflichtVR nicht vollständig befreit, sondern 43 es besteht gegenüber dem VN lediglich teilweise Leistungsfreiheit. Als markantes Beispiel dienen hierzu etwa §§ 5, 6 KfzPflVV. So findet z. B. gem. § 5 Abs. 3 KfzPflVV eine Begrenzung der Leistungsfreiheit hinsichtlich aufgelisteter Obliegenheitsverletzungen auf maximal A 5.000 statt. Liegt ein solcher Fall vor, ist die Haftung des VR nicht auf die vorgeschriebene Mindestversicherungssumme als Obergrenze beschränkt; vielmehr haftet in einem solchen Fall der VR dem geschädigten Dritten in demselben Umfang, wie er seinem VN gegenüber verpflichtet ist, nämlich in Höhe der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme abzüglich des Betrages hinsichtlich dem der VR dem VN den Deckungsschutz z. B. nach § 5 Abs. 3 KfzPflVV versagen kann.95 Eine andere Frage ist, ob derartige Höchstbeträge (wie etwa gem. § 5 Abs. 3 KfzPflVV) bei mehreren Verstößen gegen verschiedene Obliegenheiten zu addieren sind. Diese Frage stellt sich z. B., wenn ein VN trotz übermäßigen Alkoholgenusses (D.3.3 AKB 2008) seinen Pkw führt und einen Unfall verschuldet und anschließend noch Fahrerflucht begeht (E.6.3 AKB 2008). Die Rechtsprechung hat beide Beträge addiert, als eine Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalles und eine weitere Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles im Raum standen.96 Bei mehreren Obliegenheitsverletzungen nach Eintritt des 94 BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 27. 95 BGH 15.3.1983 – VI ZR 187/81, BGHZ 87 121, 123 = VersR 1983 688, 689 (juris Rn. 21); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 29. 96 BGH 14.9.2005 – IV ZR 216/04, VersR 2005 1720, 1721 (juris Rn. 8); OLG Düsseldorf 31.10.2003 – 4 U 71/03, I-4 U 71/03, VersR 2004 1129, 1130 (juris Rn. 13); Prölss/Martin/Klimke31 § 5 KfzPflVV Rn. 17; a. A. OLG Nürnberg 27.7.2000 – 8 U 1411/00, VersR 2001 231, 232 (juris Rn. 20); Hübner/Lew Schneider RuS 2002 89, 96. 599

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

Versicherungsfalles soll es nach im Schrifttum vertretener Auffassung nicht zu einer Addition entsprechender Beträge kommen.97 In dem vom BGH entschiedenen Fall lässt sich eine Zäsur zwischen den beiden Obliegenheitsverletzungen bejahen (vor Eintritt bzw. nach Eintritt des Versicherungsfalles), die eine Addition der entsprechenden Beträge gerechtfertigt erscheinen lässt. Entsprechend hat auch das OLG Frankfurt/M. eine Addition bei Obliegenheitsverletzungen vor und nach Versicherungsfall bejaht.98 Deshalb kommt eine solche Addition auch nur in Betracht, wenn sich die in Rede stehenden Obliegenheitsverletzungen (z. B. zeitlich) trennen lassen. Ist dies nicht möglich, ist eine Addition abzulehnen. 44 Ist der VR lediglich teilweise von der Leistungspflicht frei, so ist es möglich, dass die Beschränkung auf die Mindestversicherungssumme gem. § 117 Abs. 3 Satz 1 nicht zur Anwendung kommt. Das ist dann der Fall, wenn die vertraglich vereinbarte Versicherungssumme abzüglich der Höhe der Leistungsfreiheit immer noch höher ist als die gesetzlich festgelegte Mindestversicherungssumme. Ist etwa die vertraglich vereinbarte Versicherungssumme auf einen Betrag von A 1 Mio. festgesetzt und der VR aber nur in Höhe von A 50.000 gegenüber dem VN von der Leistung frei, so bleibt der Versicherungsschutz in Höhe von A 950.000 erhalten, soweit der gesetzlich vorgeschriebene Mindestschutz (z. B. gem. § 114 Abs. 1 A 250.000) nicht unterschritten wird.99 Eine Beschränkung auf die Mindestversicherungssumme findet deshalb nicht statt, weil § 117 Abs. 3 Satz 1 dem Schutz des Dritten dient, dieser jedoch bei Anwendung der Norm schlechter stünde, als bei Nichtanwendung. Es bedarf in diesen Fällen auch keines Schutzes, da der Dritte bereits durch den bestehenden Versicherungsschutz hinreichende Befriedigungsmöglichkeiten hat. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb man die Haftung des VR im Umfang gegenüber dem Dritten stärker beschränken sollte, als gegenüber dem VN.100 Allerdings finden sich mittlerweile AVB, die für derartige Fälle den Versicherungsschutz auf die gesetzlich festgelegte Mindestversicherungssumme reduzieren (vgl. z. B. D.3.3 oder E.6.7 AKB 2008). Die Wirksamkeit einer solchen Klausel wird jedoch mit Blick auf §§ 28, 32 angezweifelt, da Obliegenheitsverletzungen in § 28 abschließend geregelt seien und hiervon nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden dürfe.101

45 b) Mehrere Geschädigte. Nicht selten wird nicht bloß eine Person durch ein Schadensereignis in Mitleidenschaft gezogen. Sind mehrere Geschädigte vorhanden und wird die Versicherungssumme insgesamt nicht erreicht, so erhält jeder Geschädigte seinen vollen Schaden ersetzt. Wird jedoch die Mindestversicherungssumme überschritten, so gilt zunächst die mit der VVG-Reform eingeführte Regelung des § 118 und die hierin bestimmte Rangfolge. Indes ist es auch unter Anwendung des § 118 möglich, dass die Versicherungssumme nicht ausreicht, um die Ansprüche gleichrangig Geschädigter zu erfüllen. Nach früherer Rechtslage vor der VVGReform fand eine identische Verteilung wie bei einem intakten Versicherungsverhältnis statt, §§ 109, 108 (§ 156 Abs. 3 i. V. m. § 155 VVG a. F.).102 Diese Handhabung wird durch § 118 Abs. 1 bestätigt („bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beiträge“). Es erfolgt also eine Befriedigung nach den jeweiligen Quoten. Der VR hat ihre Beträge in ein Verhältnis zu setzen und sie

97 Prölss/Martin/Klimke31 § 5 KfzPflVV Rn. 17; a. A. wohl Stiefel/Maier19 § 5 KfzPflVV Rn. 46 sowie § 116 Rn. 59. 98 OLG Frankfurt/M. 27.12.2017 – 10 U 218/16, VersR 2018 477 (juris Rn. 14). 99 Vgl. BGH 15.3.1983 – VI ZR 187/81, BGHZ 87 121, 122 = VersR 1983 688, 689 (juris Rn. 13); Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 19; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 26; Burmann NJW-Spezial 2006 15; Langheid/Wandt/ Schneider2 § 117 Rn. 29; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 16; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 28. 100 Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 28. 101 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 29; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 18 mit Verweis auf D.3 AKB 2008 Rn. 26; a. A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 26; Burmann NJW-Spezial 2006 15. 102 BGH 30.4.1975 – IV ZR 190/73, VersR 1975 558, 559 (juris Rn. 12) (zu § 3 Nr. 1 PflVG a. F.); Berliner Kommentar/ Beckmann § 158c Rn. 30. Beckmann

600

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

im Hinblick auf die Versicherungssumme zu berichtigen (vgl. im Einzelnen Kommentierung zu § 118).

c) Teilweiser Ausgleich durch einen Sozialversicherungsträger. Noch komplexer gestaltet 46 sich die Rechtslage, sofern im Rahmen derartiger Fälle noch andere Schadensversicherer oder aber insbesondere Sozialversicherungsträger (SVT) beteiligt sind. Gleicht etwa ein SVT einen Teil des Schadens aus, kann der Geschädigte den übrigen Teil (häufig sind das Nichtvermögensschäden)103 gegen den an sich leistungsfreien HaftpflichtVR des Schädigers geltend machen. Solange der Gesamtschaden nicht die Mindestversicherungssumme erreicht, wird der Geschädigte voll befriedigt. Sobald der Gesamtschaden diese Summe übersteigt (wenn also die Summe des Schadensbetrags, den der SVT übernimmt, sowie des weiteren Schadens, den der SVT nicht trägt, die Mindestversicherungssumme übersteigt), stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Abs. 3 Satz 1 und Satz 2. Nach Abs. 3 Satz 2 ist der VR leistungsfrei, soweit der Dritte Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer oder von einem SVT erlangen kann (vgl. noch Rn. 56 ff.). Als Beispiel sei genannt, dass die Mindestversicherungssumme auf A 300.000 festgesetzt ist, der Schaden aber A 360.000 beträgt und der SVT davon A 270.000 ersetzt; dann steht immer noch eine Regulierung zugunsten des Geschädigten i. H. v. A 90.000 aus. Es stellt sich dann aber die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der VR haftet. Aus Abs. 3 Satz 2 ergibt sich, dass der HaftpflichtVR nur subsidiär haftet. Soweit der Geschädigte seinen Schaden anderweitig ersetzt verlangen kann, ist der HaftpflichtVR leistungsfrei. Man könnte den Standpunkt vertreten, dass die Zahlung des SVT nicht auf die Mindestversicherungssumme anzurechnen sei. Dann könnte die Zahlung des SVT dem VR nicht zum Vorteil gereichen und seine Haftung einschränken.104 Resultat dieser Ansicht wäre, dass der HaftpflichtVR im oben genannten Beispiel dem Geschädigten die restlichen A 90.000 ersetzen müsste. Demgegenüber ist es auch denkbar, dass die Zahlung des SVT voll auf die Mindestversicherungssumme angerechnet wird; dies würde indes dazu führen, dass der HaftpflichtVR lediglich noch A 30.000 ersetzen müsste.105 Der BGH ist – noch zur Zeit der Geltung des § 1542 RVO – einer vermittelnden Ansicht 47 gefolgt106 und hat argumentiert, soweit überhaupt keine Anrechnung der Zahlung des SVT auf die Mindestversicherungssumme stattfände, würde das zu dem Ergebnis führen, dass der Geschädigte bei gestörtem Versicherungsverhältnis besser stünde, als bei intaktem Versicherungsverhältnis mit der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme. Der Geschädigte sei so zu stellen, wie er stünde, wenn das Versicherungsverhältnis mit der Mindestversicherungssumme intakt wäre. Ist der HaftpflichtVR gegenüber seinem VN zur Leistung verpflichtet und übersteigt der Schaden die Versicherungssumme, so fände das Verteilungsverfahren nach §§ 155, 156 VVG a. F. (heute §§ 108, 109) statt, an dem sowohl der Geschädigte mit seinem restlichen Anspruch, als auch der SVT mit den auf ihn übergegangen Forderungen (damals § 1542 RVO) gegen den Schädiger zu beteiligen sind. Gleiches müsse auch bei einem gestörten Versicherungsverhältnis gelten. Geschädigter und SVT seien als gleichberechtigte Anspruchsinhaber anzusehen. Das hat zur Folge, dass der nicht beglichene Schaden des Geschädigten und der in Wirklichkeit ausgeschlossene Rückgriffsanspruch des SVT zusammenzurechnen und dann im Verhältnis des Gesamtbetrages zu der Mindestversicherungssumme zu kürzen sind.107 Im Beispielsfall hieße das, dass der nicht ersetzte Schaden des Geschädigten i. H. v. A 90.000 lediglich 25 % des Gesamtschadens ausmacht und daher ein Anspruch gegen den HaftpflichtVR auf A 25.000 resultiert.108 103 104 105 106 107 108 601

Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 31. So das Berufungsgericht als Vorinstanz zu BGH 30.4.1975 – IV ZR 190/73, VersR 1975 558. Beispiel nach Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 31. BGH 30.4.1975 – IV ZR 190/73, VersR 1975 558, 559 f. (juris Rn. 12 f.); so bereits Preußner ZfV 1967 526. Dem folgend Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 48; dagegen Ritze NJW 1975 2284. Vgl. zum Vorstehenden Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 32. Beckmann

§ 117 VVG

48

Leistungspflicht gegenüber Dritten

Schon nach der im Jahre 1983 erfolgten Ablösung des § 1542 RVO durch § 116 SGB X war indes fraglich, ob die Entscheidung so noch Bestand haben würde.109 So beinhaltet § 116 Abs. 4 SGB X ein umfassendes Befriedigungsvorrecht des Geschädigten gegenüber dem SVT.110 In seiner Begründung hatte der BGH ausgeführt, dass es entscheidend sei, dass der Geschädigte nicht bessergestellt werden dürfe, als bei einem intakten Versicherungsverhältnis mit der gesetzlichen Mindestversicherungssumme (vgl. oben Rn. 47). Aufgrund von § 116 Abs. 4 SGB X nimmt der SVT aber nicht mehr als Gleichberechtigter am Verteilungsverfahren teil, sondern muss dem Geschädigten vorzugsweise Befriedigung gewähren. Diese vorzugsweise Befriedigung ist dabei nicht bloß auf kongruente (deckungsgleiche),111 sondern vielmehr umfassend auf alle Ansprüche ausgerichtet. Diese bereits vor der VVG-Reform vertretene Sichtweise112 wird nach der VVG-Reform zudem durch § 118 gestützt, der dem Geschädigten zumindest für Personenschäden ein Befriedigungsvorrecht einräumt.113 Auch im Rahmen eines „gestörten“ Versicherungsverhältnisses ist deshalb das Befriedigungsvorrecht des Geschädigten gegenüber dem SVT ausschlaggebend.114

2. Haftung im Rahmen der vom Versicherer übernommenen Gefahr, Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. 49 a) Grundsätzliches. Dass der HaftpflichtVR nur im Rahmen der vertraglich übernommenen Gefahr haftet, hat letztlich nur klarstellenden Charakter.115 Es ist naheliegend, dass die Leistungspflicht des HaftpflichtVR bei gestörtem Versicherungsverhältnis nicht weitergehen kann, als bei intaktem Versicherungsverhältnis.116 Wurden insofern Leistungsbeschränkungen und Leistungsausschlüsse im Vertrag vereinbart, so kann dies auch dem Dritten gegenüber eingewandt werden. Sind bestimmte Risiken von Anfang an nicht übernommen oder finden sich Risikoausschlüsse, so ist § 117 überhaupt nicht einschlägig (vgl. bereits oben Rn. 12 f.). Die Einstandspflicht des VR reicht nicht weiter, als es auch bei einem „gesunden“ Versicherungsverhältnis der Fall wäre.117 So stellt insbesondere der Risikoausschluss bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles gem. § 103 einen praxisrelevanten gesetzlichen Risikoausschluss dar; dieser Risikoausschluss gilt grundsätzlich auch für den Direktanspruch in der Pflichtversicherung 118 (vgl. indes zur Kfz-Haftpflichtversicherung noch Rn. 51 ff.). Auch in der Regierungsbegründung zu § 117 Abs. 3 Satz 1 wird ausgeführt, dass Risikoausschlüsse „grundsätzlich dem Anspruch des Dritten entgegengehalten werden können, da die Leistungspflicht des Versicherers nicht weiter gehen kann als bei einem

109 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 48 plädierte für ein Fortbestehen der Rechtsprechung. 110 Denck VersR 1987 629; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 56; vgl. auch Hessert VersR 1997 39, 41. 111 Gem. § 116 Abs. 1 SGB X gehen Schadensersatzansprüche vom Geschädigten auf den SVT nur insoweit über, als sie mit einer Sozialleistung deckungsgleich sind; zum Begriff etwa Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Waltermann Sozialrecht 6. Aufl. 2019 § 116 SGB X Rn. 13; Küppersbusch VersR 1983 193. 112 Vgl. bereits umfassend Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 33 m. w. N. 113 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 16; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 42; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 56. 114 So schon Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 33; ebenso auch nach der VVG-Reform Schwintowski/ Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 56; wohl auch Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 42; Looschelders/Pohlmann/ Schwartze3 § 117 Rn. 16; a. A. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 26. 115 Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 34. 116 OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1494 (juris Rn. 55). 117 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 10; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011 203, 205 (Rn. 27) betr. § 158c Abs. 1 VVG a. F. 118 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164 (Rn. 16); vgl. bereits BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239, 240 (juris Rn. 16 ff.); BGH 30.9.1980 – VI ZR 38/79, VersR 1981 40 (juris Rn. 8) noch § 152 a. F. betreffend; OLG Saarbrücken 4.4.2013 – 4 U 31/12 – 9, RuS 2013 485, 486 (juris Rn. 24); Bruck/Möller/R. Koch10 § 103 Rn. 14; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 32; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 30. Beckmann

602

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

ordnungsgemäßen Versicherungsverhältnis“.119 Daneben können auch vertragliche Risikoausschlüsse der Anwendbarkeit des § 117 entgegenstehen.120 Ein zulässiger Risikoausschluss ist jedenfalls nach h. M. auch im Falle des Ausschlusses wegen „wissentlicher Pflichtverletzung“ anzunehmen,121 jedenfalls dann, wenn der Gesetzgeber in einschlägigen Berufsordnungen selbst von der Zulässigkeit entsprechender Ausschlüsse ausgeht, so etwa im Falle von § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO oder § 19a Abs. 2 Nr. 1 BNotO.122 Wie oben dargelegt (Rn. 9) wirkt sich § 117 Abs. 1 zugunsten des geschädigten Dritten insbe- 50 sondere bei Obliegenheitsverletzungen des VN aus. Hat der VN eine Obliegenheit verletzt und ist der VR deshalb leistungsfrei, begründet § 117 Abs. 1 gleichwohl eine Einstandspflicht des VR gegenüber dem geschädigten Dritten (oben Rn. 7, 16 ff.). Sind bestimmte Risiken von Anfang an nicht übernommen oder finden sich Risikoausschlüsse, so ist § 117 indes nicht einschlägig (vorstehend Rn. 49). Vor diesem Hintergrund spielt die Abgrenzung zwischen Risikoausschluss und insbesondere „verhüllten Obliegenheiten“ – die letztlich vertragliche Obliegenheiten sind –,123 deren Verletzung lediglich zur Leistungsfreiheit im Innenverhältnis führt, eine gewichtige Rolle. Risikoausschlüsse liegen allgemein dann vor, wenn das versicherte Risiko objektiv begrenzt ist und die Leistungspflicht des VR nicht vom Verhalten des VN abhängig ist. Sie beschreiben damit einen vertraglichen Zustand.124 Im Gegensatz dazu knüpfen Obliegenheiten, die zu einer nachträglichen Leistungsfreiheit im Innenverhältnis führen, an das Verhalten des VN an.125 Die Abgrenzung ist damit auch für § 117 von großer Bedeutung. Es versteht sich, dass ein vertraglicher Risikoausschluss nur Wirkung entfalten kann, wenn er rechtswirksam vereinbart ist, insbesondere mit den AGB-rechtlichen Vorgaben der §§ 305 ff., §§ 307 ff. BGB in Einklang steht. Sind bei Vereinbarung vertraglicher Obliegenheiten die Grenzen des § 28 VVG überschritten, so ist die vereinbarte Klausel insgesamt unwirksam und entfällt ersatzlos; relevant ist dies insbesondere bei den vorgenannten „verhüllten Obliegenheiten“, die im Gewand von Risikoausschlüssen daherkommen.126 Ist eine Vertragsbestimmung als „verhüllte Obliegenheit“ einzuordnen, ist die Wirksamkeit der Bestimmung für die Einstandspflicht des VR gegenüber dem VN relevant; wegen § 117 Abs. 1 kommt es im Verhältnis zwischen dem VR und dem geschädigten Dritten indes nicht auf die Frage nach der Wirksamkeit der „verhüllten Obliegenheit“ an, da sich eine etwaige Verletzung einer Obliegenheit durch den VN nicht auf das Verhältnis zwischen VR und geschädigtem Dritten auswirkt.

b) Besonderheiten in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Wie zum Ausdruck gebracht, gilt 51 die Leistungsfreiheit des Versicherers gem. § 117 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. im Fall vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls gem. § 103 grundsätzlich auch für den Direktanspruch in der Pflichtversicherung (Rn. 49). Dies wird im Schrifttum ohne Weiteres auch für die Kfz-Haftpflichtversicherung angenommen.127 Indes ist im Rahmen der Kfz-Haftpflichtversicherung zu hinterfragen, ob eine solche Geltung mit der RL 2009/103/EG über die Kfz-Haftpflichtversicherung128 119 BTDrucks. 16/3945 S. 89; zum entsprechenden Standpunkt der VVG-Reformkommission vgl. bereits Rn. 13. 120 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 32. 121 OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1494 (juris Rn. 55); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 32; zweifelnd zur Einordnung als Risikoausschluss Schimikowski6 Rn. 272; zur Pflichtwidrigkeitsklausel insbesondere Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 26 Rn. 241 ff., 312 ff.; Looschelders VersR 2021 337, 338. 122 Siehe dazu auch Looschelders VersR 2021 337, 338. 123 Dazu Bruck/Möller/Heiss10 § 28 Rn. 21; Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C Rn. 293; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 15, 15a jeweils m. w. N.; Wandt VersR 2015 265. 124 Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 22 ff. 125 Zu dieser Abgrenzung etwa Bruck/Möller/Heiss10 § 28 Rn. 20 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 12 ff. jeweils m. w. N. 126 Wandt VersR 2015 265; a. A. OLG Naumburg 28.3.2014 – 10 U 5/13 (Hs), VersR 2015 102, 106 (juris Rn. 60 f.). 127 Vgl. etwa Stiefel/Maier/Jahnke19 § 117 Rn. 73; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 32. 128 Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über die KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl. 2009 Nr. L 263/11. 603

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

vereinbar ist. Zwar hat der BGH den Ausschluss der Leistungspflicht des Kfz-Haftpflichtversicherers für vorsätzliche Schadenszufügung im Straßenverkehr nicht in Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben angesehen. Zur Begründung hat der BGH zum einen – im Hinblick auf das Europäische Übereinkommen über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 20.4.1959 (Straßburger Abkommen)129 – darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik Deutschland von der in Anhang II Nr. 3 zu diesem Übereinkommen vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat,130 die von einem Versicherten vorsätzlich verursachten Schäden von der Versicherung auszuschließen.131 Zum anderen äußerte der BGH, die in der Folgezeit von dem Rat der Europäischen Gemeinschaften erlassenen Richtlinien betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kfz-Haftpflichtversicherung132 gingen, obwohl sie sich teilweise eingehend mit dem Deckungsumfang der Versicherung sowie möglichen Risikoausschlüssen befassten, auf den Tatbestand der Vorsatztat nicht ausdrücklich ein. Allein der Umstand, dass es ausweislich der Präambeln dieser Richtlinien ihr Anliegen ist, den Deckungsumfang der Kfz-Haftpflichtversicherung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Interesse der Unfallopfer möglichst umfassend auszugestalten und Ausschlussklauseln mit Wirkung gegenüber Geschädigten nur in geringem Maße zuzulassen, führe nicht zur Unwirksamkeit des von der Bundesrepublik Deutschland zuvor in zulässiger Weise erklärten Ausschlusses des Versicherungsschutzes für von einem Versicherten vorsätzlich verursachte Schäden; nichts anderes gelte für den Ausschluss der Leistungspflicht des Versicherers im Falle des Direktanspruchs des Geschädigten in der Kfz-Haftpflichtversicherung.133 Im Schrifttum wird diese Sichtweise indes vor dem Hintergrund insbesondere der Ruiz52 Bernáldez-Entscheidung des EuGH vom 28.3.1996 zunehmend hinterfragt. In dieser Entscheidung hat der EuGH festgestellt, dass „ein Pflichtversicherungsvertrag … bezüglich der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht vorsehen darf, dass der Versicherer in bestimmten Fällen, insbesondere im Fall der Trunkenheit des Fahrers, nicht verpflichtet ist, Ersatz für Personen- und Sachschäden zu leisten, die Dritten durch das versicherte Fahrzeug entstanden sind. Dagegen darf der Pflichtversicherungsvertrag in derartigen Fällen vorsehen, dass dem Versicherer ein Regressanspruch gegen den Versicherten zusteht.“134 Zwar enthalten die damals geltenden KfzHaftpflicht-Richtlinien ebenso wie die heute geltende RL 2009/103/EG über die Kfz-Haftpflichtversicherung ausdrücklich bestimmte Deckungsausschlüsse, die der Geschädigte sich nicht entgegenhalten lassen muss (vgl. Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 84/5/EWG mit Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 90/232/EWG; heute geregelt in Art. 13 Abs. 1 RL 2009/103/EG); die Trunkenheit des Fahrers findet sich dabei aber ebenso wenig wie die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls. Vor diesem Hintergrund hat Looschelders angenommen, dass sich die Überlegungen des EuGH zur Trunkenheit des Fahrers auf die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls übertragen ließen;135 deshalb hat Looschelders die vom Gesetzgeber beibehaltene Drittwir-

129 BGBl. I 1965 II 282, 293. 130 Vgl. Art. 2 des Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20.4.1959 über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 1.4.1965, BGBl II 281.

131 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164 (Rn. 17); vgl. ebenso bereits OLG Koblenz 12.8.2002 – 12 U 823/01, ZfS 2003 68; Looschelders/Michael, in: Enzyklopädie des Europarechts, Bd. 5 (hrsg. v. Ruffert), 2013, § 11 Europäisches Versicherungsrecht Rn. 237; Looschelders VersR 2003 1, 3; Heitmann VersR 1997 941, 942. 132 Erste KH-Richtlinie 72/166/EWG v. 24.4.1972, ABl EG 1972 Nr. L 103/1; Zweite KH-Richtlinie 84/5/EWG v. 30.12.1983, ABl EG 1984 Nr. L 8/17; Dritte KH-Richtlinie 90/232/EWG v. 14.5.1990, ABl EG 1990 Nr. L 129/33; Vierte KH-Richtlinie 2000/26/EG v. 16.5.2000, ABl EG 2000 Nr. L 181/65; Fünfte KH-Richtlinie 2005/14/EG v. 11.5.2005, ABl EU 2005 Nr. L 149/14. 133 Zum Vorstehenden BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164 f. (Rn. 16). 134 EuGH 28.3.1996 – C-129/94, EuZW 1996 735, 736 (Rn. 24). 135 Looschelders VersR 2008 1, 3. Beckmann

604

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

kung des subjektiven Risikoausschlusses als richtlinienwidrig erachtet.136 In der Ruiz-Bernáldez-Entscheidung hat der EuGH auch festgestellt, dass Art. 3 Abs. 1 der RL 72/166/EWG (Erste KH-Richtlinie; übereinstimmend mit der heute geltenden RL 2009/103/EG) einer Regelung entgegensteht, nach der sich der VR auf Rechtsvorschriften oder Vertragsklauseln berufen kann, um Dritten, die Opfer eines durch das versicherte Fahrzeug verursachten Unfalls sind, eine Entschädigung zu verweigern.137 Unter anderem hieraus wird im Schrifttum geschlossen, dass die Geltendmachung von Einwendungen des VR gegenüber dem Geschädigten nur zulässig sei, wenn eine Ausschlussklausel hierfür ausdrücklich in der Richtlinie vorgesehen sei.138 Auch aus weiteren Entscheidungen des EuGH, insbesondere aus den Entscheidungen Candolin,139 Farrel140 und Churchill141 ließe sich folgern, dass die in der KH-Richtlinie genannten Ausschlussgründe als abschließend zu betrachten seien, so dass die aktuelle deutsche Rechtslage bei einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles nicht mit der RL 2009/103/EG vereinbar sei.142 Im Schrifttum hat dieser Standpunkt zunehmend Zustimmung erfahren.143 Die geäußerten Zweifel an der Richtlinienkonformität sind ernst zu nehmen. Insbesonde- 53 re der Vergleich mit einem vom EuGH in der Ruiz-Bernáldez-Entscheidung144 entschiedenen Fall zur Trunkenheitsfahrt und einem vorsätzlichen Verhalten lassen mit Blick auf den Schutzzweck der Richtlinie und im Lichte der Entscheidung des EuGH in der Tat Zweifel an einer Vereinbarkeit der Leistungsfreiheit des VR gegenüber dem Geschädigten bei vorsätzlichem Verhalten des VN mit den Vorgaben der Kfz-Haftpflicht-Richtlinie. Insbesondere ist auch zweifelhaft, ob der Anspruch des Geschädigten in den Vorsatzfällen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PflVG gegen den Entschädigungsfonds einer Richtlinienwidrigkeit entgegenstehen kann.145 Da die aktuelle Rechtslage aus dem oben genannten Grund – wie dargelegt (Rn. 51) – indes 54 mit dem Übereinkommen über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 20.4.1959 (Straßburger Abkommen) vereinbar ist, spricht Koch zu Recht das Verhältnis zwischen diesem Übereinkommen und der RL 2009/103/EG über die Kfz-Haftpflichtversicherung an. Danach stellt sich die Frage nach einer Richtlinienwidrigkeit dann nicht, wenn man – über eine analoge Anwendung von Art. 351 AEUV – Vorrang des Straßburger Abkommens vor der RL 2009/103/EG über die Kfz-Haftpflichtversicherung annehmen könnte; auf diesbezügliche Ausführungen in diesem Band wird verwiesen.146 Erachtet man den Ausschluss der Leistungspflicht des Kfz-Haftpflichtversicherers gegen- 55 über dem Geschädigten bei vorsätzlicher Schadenszufügung im Straßenverkehr durch den VN aus den vorgenannten Gründen für richtlinienwidrig, so werden hieraus unterschiedliche 136 Looschelders VersR 2008 1, 3; Franck VersR 2014 13, 16; vgl. auch Looschelders/Michael, in: Enzyklopädie des Europarechts, Bd. 5 (hrsg. v. Ruffert), 2013, § 11 Europäisches Versicherungsrecht Rn. 237 „zweifelhaft“; Looschelders VersR 2015 1491, 1493; Prölss/Martin/Knappmann28 § 117 Rn. 24 („bedenklich“); kritisch bereits Heitmann VersR 1997 941, 942 (in Frage stellend, „ob die derzeitige deutsche Rechtslage mit Buchstaben und Geist dieser europarechtlichen Vorgaben im Einklang steht“). 137 EuGH 28.3.1996 – C-129/94, EuZW 1996 735, 736 (Rn. 20); bestätigt durch EuGH 30.6.2005 – C-537/03 (Candolin), EuZW 2005 593 (Rn. 18); EuGH 1.12.2011 – C-442/10 (Churchill), juris = BeckRS 2011 81768 (Rn. 33). 138 Franck VersR 2014 13, 16; Lenzing, in: Europäisches Versicherungsvertragsrecht (hrsg. v. Basedow/Fock), 2002, S. 205 f.; Micha Direktanspruch 71 ff. 139 EuGH 30.6.2005 – C-537/03 (Candolin), EuZW 2005 593 (Rn. 18 ff.). 140 EuGH 19.4.2007 – C-356/05 (Farrel), EuZW 2007 337, 338 (Rn. 27, 28). 141 EuGH 1.12.2011 – C-442/10 (Churchill), juris = BeckRS 2011 81768 (Rn. 33, 38). 142 Franck VersR 2014 13, 16 f. 143 Bruck/Möller/R. Koch10 § 103 Rn. 16 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 12. 144 EuGH 28.3.1996 – C-129/94, EuZW 1996 735. 145 Dazu Bruck/Möller/R. Koch10 § 103 Rn. 15 („kein gleichwertiger Ersatz“); Franck VersR 2014 13, 16 f.; vgl. auch Looschelders/Michael, in: Enzyklopädie des Europarechts, Bd. 5 (hrsg. v. Ruffert), 2013, § 11 Europäisches Versicherungsrecht Rn. 237; Looschelders GPR 2007 273, 275 („keine gleichwertige Alternative“); Heitmann VersR 1997 941, 942 („unvollkommene, lückenhafte Auffanglösung“). 146 Bruck/Möller/R. Koch10 § 103 Rn. 16 ff. 605

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

Rechtsfolgen gezogen: Während Looschelders eine richtlinienkonforme Auslegung an der klaren gesetzgeberischen Entscheidung scheitern lässt,147 erachtet Koch eine richtlinienkonforme Auslegung der §§ 115 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. dergestalt für möglich, dass der Ausschluss gem. § 103 VVG in der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht gegenüber Geschädigten wirkt.148 Für letztere Ansicht lässt sich neben dem relativ offenen Wortlaut von § 117 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. anführen, dass es in der Regierungsbegründung zu § 117 Abs. 3 Satz 1 heißt, dass Risikoausschlüsse „grundsätzlich dem Anspruch des Dritten entgegengehalten werden können“;149 mithin besteht auch im Hinblick auf den Gesetzeszweck Spielraum.150

V. Verweisungsprivileg des Haftpflichtversicherers, Abs. 3 Satz 2 56 Die Vorschrift des § 117 Abs. 3 Satz 2 stellt den im Innenverhältnis leistungsfreien HaftpflichtVR auch gegenüber dem Geschädigten von seiner nach Abs. 1 und 2 fortbestehenden Eintrittspflicht frei, soweit dieser in der Lage ist, Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer oder Sozialversicherungsträger (SVT) zu erlangen.151 Nach § 117 Abs. 3 Satz 2 muss der HaftpflichtVR bei Leistungsfreiheit dann nicht dem Begehren des Geschädigten nachkommen, wenn und soweit dieser die Möglichkeit hat, von einem anderen Schadensversicherer oder SVT Ersatz seines Schadens zu erlangen. Durch dieses Verweisungsprivileg kommt der subsidiäre Charakter der Einstandspflicht des HaftpflichtVR zum Ausdruck.152 Eine zu beachtende Sonderregelung enthält § 3 Satz 1 PflVG (vgl. Rn. 78 f.). 57 Abs. 3 Satz 2 schließt eine Haftung des HaftpflichtVR zum einen gegenüber dem Geschädigten aus. Zum anderen aber wird gleichzeitig auch der Regress des anderen SchadensVR bzw. SVT gegen den HaftpflichtVR ausgeschlossen, der im Wege der Legalzession Ansprüche des Geschädigten erwirbt.153 Bevor der leistungsfreie HaftpflichtVR dem Anspruch des Dritten nachkommt, wird er deshalb zuvorderst nachprüfen, inwieweit der Dritte von anderen VR oder SVT Ersatz erlangen kann. Erst wenn kein anderer Ausgleichspflichtiger i. S. d. § 117 Abs. 3 Satz 2 vorhanden ist, ist § 117 Abs. 1 bzw. Abs. 2 einschlägig. 58 § 117 Abs. 3 Satz 2 verfolgt den Zweck, dass der Geschädigte des Schutzes der Abs. 1 und 2 nicht bedarf, sofern sein Schaden von einem anderen SchadensVR oder SVT ausgeglichen wird. Der HaftpflichtVR soll nicht belastet werden, wenn von anderer Seite aufgrund eines wirksamen Rechtsverhältnisses eine Verpflichtung zur Deckung des Schadens besteht.154 Es würde den leistungsfreien HaftpflichtVR über Gebühr belasten, wenn er – trotz seiner Leistungsfreiheit und obwohl der Dritte abgesichert ist – dennoch haften müsste, zumal der andere SchadensVR bzw. SVT ohnehin aufgrund eines intakten Rechtsverhältnisses zur Leistung verpflichtet wäre. Der allgemeine Schutzzweck des § 117, dass der geschädigte Dritte im Bereich der Pflichthaftpflichtversicherungen nach Möglichkeit nicht ohne entsprechende Absicherung im Haftungsfall dasteht, wird durch Abs. 3 Satz 2 somit gerade nicht vereitelt. 59 Die Eintrittspflicht eines anderen SchadensVR bzw. SVT muss der nach Abs. 1 bzw. Abs. 2 in Anspruch genommene HaftpflichtVR darlegen und beweisen.155 147 148 149 150 151 152 153 154 155

Looschelders VersR 2008 1, 3. Bruck/Möller/R. Koch10 § 103 Rn. 18; ebenso mit näherer Begründung Franck VersR 2014 13, 16 f. BTDrucks. 16/3945 S. 89. Vgl. auch Franck VersR 2014 13, 16 f. Saarländisches OLG 4.4.2013 – 4 U 31/12 (juris Rn. 24). Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 34. BGH 2.10.2002 – IV ZR 309/01, VersR 2002 1501, 1502 (juris Rn. 14); Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 28. BGH 2.10.2002 – IV ZR 309/01, VersR 2002 1501, 1502 (juris Rn. 13). BGH 28.10.1982 – III ZR 206/80, BGHZ 85 225, 228 = VersR 1983 84 f. (juris Rn. 8); BGH 4.4.1978 – VI ZR 238/ 76, VersR 1978 609, 611 (juris Rn. 20); OLG Koblenz 11.7.2005 – 12 U 1602/03, VersR 2006 110 (juris Rn. 9); Schirmer VersR 1986 825, 831; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 59; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 48; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 60. Beckmann

606

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

1. Anderer Schadensversicherer Vom Begriff des „anderen Schadensversicherers“ sind solche Institutionen umfasst, die eine 60 Schadensregulierung vornehmen und für den Schaden des Dritten aufkommen müssen. Typischerweise fallen hierunter andere HaftpflichtVR des VN (im Falle einer Doppelversicherung) oder auch der Haftpflichtversicherungsschutz eines Mitschädigers.156 Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine Pflichthaftpflichtversicherung oder eine freiwillige Haftpflichtversicherung handelt.157 Es ist auch nicht erforderlich, dass es sich um einen HaftpflichtVR handelt. Vielmehr kommt auch ein Sachversicherer des Geschädigten in Betracht (z. B. Kaskoversicherung).158 Ebenso stellen Transportversicherungen eine solche Möglichkeit dar.159 Auch Rechtsschutzversicherungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen.160 In den Kreis der anderen SchadensVR können auch Krankenversicherungen und Unfallversicherungen fallen, jedoch mit der Einschränkung, dass es sich nicht um eine Summenversicherung, sondern um eine Schadensversicherung handelt.161 Summenversicherungen sind grundsätzlich nicht unter den Begriff der „anderen Schadensversicherer“ zu subsumieren. Der Grund hierfür liegt darin, dass bei derartigen Versicherungen die Leistung des VR nicht an dem entstandenen Schaden bemessen wird, sondern aus der jeweiligen Versicherungssumme und den daraus resultierenden Teilbeträgen herrührt.162 Es ist auch generell irrelevant, wer die Summenversicherung abgeschlossen hat. Somit scheiden solche Versicherungsleistungen aus dem Anwendungsbereich des Abs. 4 aus, die einzig eine im Vorhinein schon bekannte Summe auszahlen, die nicht auf den jeweiligen Schaden bezogen ist. Insofern sind Lebensversicherungen, Unfallversicherungen und Krankenhaustagegeldversicherungen keine anderen Schadensversicherungen, soweit sie eine bestimmte Summe erbringen.163 Abgelehnt wurde das Verweisungsprivileg des Abs. 4 vom BGH auch für ein bei einer Zusatzversorgungskasse bestehendes Pensionsversicherungsverhältnis.164 Teilweise wird vertreten, dass die Unterscheidung zwischen Schadens- und Summenversicherungen dann nicht gerechtfertigt sei, wenn z. B. eine Krankentagegeldversicherung den Verdienstausfall des Geschädigten übernehme. Mit Verweis auf die Anzeigepflicht des VN aus § 4 Abs. 3 MB/KT 2009 bzgl. einer nicht nur vorübergehenden Minderung des Nettoeinkommens ließen sich Elemente der Schadensversicherung herleiten.165 Wenn der Schädiger gegenüber dem Geschädigten befugt ist, eine Anrechnung der Leis- 61 tung aus einer bestehenden Summenversicherung auf gegen ihn gerichtete Schadensersatzansprüche zu verlangen,166 so bewirkt die Anrechnung insoweit die Tilgung der Haftpflichtschuld. 156 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 30. 157 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 38. 158 Saarländisches OLG 4.4.2013 – 4 U 31/12 (juris Rn. 24); Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 30; Schneider DAR-Extra 2008 743.

159 BGH 4.4.1978 – VI ZR 238/76, VersR 1978 609, 611; OLG Koblenz 11.7.2005 – 12 U 1602/03, VersR 2006 110 (juris Rn. 13). 160 LG Saarbrücken 14.8.1975 – 2 S 216/74, VersR 1976 83 (juris Rn. 19); Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 39; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 39. 161 BGH 12.12.1975 – IV ZR 211/74, VersR 1976 235, 236 (juris Rn. 10); OLG Köln 18.8.2015 – 9 U 120/14, VersR 2016 1435, 1439 (juris Rn. 58); OLG Hamm 14.6.1968 – 9 U 217/67, VersR 1969 508, 509; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 40; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 39. 162 BGH 15.2.1968 – II ZR 101/65, VersR 1968 361, 362 (juris Rn. 13); BGH 26.9.1979 – IV ZR 94/78, VersR 1979 1120, 1121 (juris Rn. 18); Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 53; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 40; anders noch BGH 17.10.1957 – II ZR 161/56, BGHZ 25 322 = VersR 1957 731. 163 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 30; vgl. aber noch unten Rn. 61. 164 BGH 26.9.1979 – IV ZR 94/78, VersR 1979 1120, 1121 (juris Rn. 18); kritisch Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 53. 165 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 31; a. A. Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 25. 166 Vgl. etwa BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 260, 266 (juris Rn. 15); Palandt/Grüneberg80 Vorbem. v. § 249 Rn. 84. 607

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

Dies ist wie eine Zahlung des Geschädigten selbst zu behandeln. Der HaftpflichtVR ist berechtigt, sich hierauf zu berufen.167 62 Der HaftpflichtVR kann den Geschädigten ebenfalls nicht auf sog. Eigenversicherer verweisen, soweit sie nicht von der Pflichtversicherung befreit sind.168 Eigenversicherer sind regelmäßig firmeneigene VU, die zur Absicherung von firmeneigenen Risiken dienen. Gleiches gilt auch dann, wenn sie sich im Ausland befinden. Manche Rechtsträger, insbesondere Bund, Länder und größere Gemeinden sind nach § 2 Abs. 1 PflVG von der Abschlusspflicht einer Haftpflichtversicherung ausgenommen. In derartigen Fällen kann der HaftpflichtVR den Geschädigten sehr wohl an diese Rechtsträger selbst verweisen, da sie nach § 2 Abs. 2 PflVG einem anderen HaftpflichtVR gleichzustellen sind.169 Teilweise wird eine Analogie zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 PflVG erwogen.170 Zur Begründung 63 wird angeführt, dass es aus Wertungsgesichtspunkten gerechtfertigt sei, für bestimmte Transportmittel (für die Straßenbahnen besteht z. B. keine Versicherungspflicht) deren Eigenversicherer wie einen anderen HaftpflichtVR i. S. d. § 2 Abs. 2 PflVG zu behandeln. Dieser Ansicht ist entgegenzutreten. Zwar mag es rechtspolitisch richtig sein, auch für derartige Transportmittel eine derartige Versicherungspflicht aufzubürden. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 PflVG ist jedoch aufgrund des eindeutigen Wortlauts nicht analogiefähig. Es obliegt dem Gesetzgeber, derartige versicherungsspezifische Fragen zu regeln.

2. Möglichkeit anderweitigen Ersatzes 64 Die Einstandspflicht des VR entfällt gem. § 117 Abs. 3 Satz 2, „soweit der Dritte Ersatz seines Schadens von dem anderen VR oder Sozialversicherungsträger erlangen kann“. Es kommt mithin nicht darauf an, dass er tatsächlich den Schaden ersetzt bekommen hat. Vielmehr ist die faktisch bestehende Möglichkeit der Erlangung von Schadensersatz maßgeblich.171 Das hat zur Folge, dass der HaftpflichtVR auch dann noch die Einrede des Abs. 3 Satz 2 erheben kann, wenn der Geschädigte z. B. seinen Anspruch beim anderen SchadensVR nicht rechtzeitig angemeldet hat und sein Versicherungsschutz deshalb verloren geht.172 In diesem Fall lebt die Haftung des HaftpflichtVR nach Abs. 1 bzw. Abs. 2 nicht wieder auf. Er bleibt vielmehr endgültig leistungsfrei. Gleiches gilt auch dann, wenn der Geschädigte bewusst darauf verzichtet, seinen eigenen VR in Anspruch zu nehmen, um einer möglichen Prämienerhöhung oder gar Kündigung zu entgehen.173 Dabei unterliegt der Geschädigte vielfach ohnehin einem Trugschluss, da zum einen die Inanspruchnahme des eigenen VR in einem derartigen Fall regelmäßig nicht zu einer Hochstufung in der Versicherungsprämie führt, und zum anderen, weil eine etwaige erhöhte Versicherungsprämie vom HaftpflichtVR ausgeglichen werden muss. Insofern greift das Haftungsprivileg des Abs. 3 Satz 2 nämlich gerade nicht.174 Der Geschädigte sollte den Schaden also stets auch seinem VR anzeigen, selbst wenn er davon ausgeht, dass er diesen nicht in Anspruch nehmen muss. Der HaftpflichtVR wird jedoch nicht zwangsläufig von der gesamten Leistungspflicht frei, wenn ein anderer SchadensVR eintritt. Wenn also beispielsweise ein KaskoVR des 167 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 53; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 41. 168 BGH 20.1.1971 – IV ZR 1134/68, VersR 1971 333, 334; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 25; Berliner Kommentar/ Beckmann § 158c Rn. 42. 169 Näheres hierzu OLG Zweibrücken 13.12.1985 – 1 U 105/83, VersR 1987 656; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 39. 170 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 39 ff. 171 Saarländisches OLG 4.4.2013– 4 U 31/12 (juris Rn. 24); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 35. 172 BGH 18.12.1970 – IV ZR 46/69, VersR 1971 238 (juris Rn. 10). 173 BGH 18.12.1970 – IV ZR 46/69, VersR 1971 238 (juris Rn. 10); Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 56; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 27; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 43. 174 BGH 18.12.1970 – IV ZR 46/69, VersR 1971 238, 239 (juris Rn. 14); Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 27; Schirmer VersR 1986 825. Beckmann

608

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

Geschädigten für den Schaden eintritt, so deckt diese Kaskoversicherung auch nur gewisse Teile des entstandenen Schadens ab. Den Restbetrag muss der HaftpflichtVR tragen. Der Geschädigte muss somit ggf. erst seine Kaskoversicherung in Anspruch nehmen und im Anschluss den HaftpflichtVR.175 Diese Ausführungen gelten jedoch dann nicht, wenn der andere Schadensversicherer etwa 65 aufgrund eines Risikoausschlusses oder eigener Leistungsfreiheit selbst nicht haftet. In diesen Fällen greift die Verweisung des Abs. 3 Satz 2 nicht und es bleibt bei einer Haftung des HaftpflichtVR nach Abs. 1 oder Abs. 2. Bei Leistungsfreiheit beider beteiligten (Haftpflicht-)VR kann nicht der eine an den anderen 66 verweisen. Abs. 2 Satz 3 ist dahin zu verstehen, dass der in Anspruch genommene Versicherer nur dann nicht haftet, wenn und soweit der Geschädigte in der Lage ist, Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer aufgrund eines wirksamen Versicherungsverhältnisses zu erlangen.176 Es ist grundsätzlich für den Verweis auf Abs. 3 Satz 2 nicht von Bedeutung, ob der Geschä- 67 digte sich bei der Verfolgung seiner Ersatzansprüche an einen anderen SchadensVR oder SVT halten muss, der im Ausland seinen Sitz hat. Das gilt insbesondere solange sich der andere VR im EU-Ausland befindet.177 Alleine sprachliche Hürden sind nicht ausreichend.178 Hier ist die gerichtliche Geltendmachung und Zwangsvollstreckung ohne größere Probleme möglich. Das gilt umso mehr, wenn eine Klage im Inland möglich ist. Die Anwendung des Abs. 3 Satz 2 kommt nur dann nicht in Betracht, wenn dem Geschädigten die Geltendmachung nur unter besonderen Verzögerungen und Erschwerungen möglich wäre.179 Der BGH verweist insofern auf die parallele Interessenlage bei § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB mit den identischen Kriterien.180

3. Doppelversicherung bzw. Zusammentreffen mehrerer Haftpflichtversicherungen Da unter anderen SchadensVR i. S. d. Abs. 3 Satz 2 auch andere HaftpflichtVR des Schädigers 68 oder auch eines Mitschädigers verstanden werden, kann es zu dem Sonderfall kommen, dass bei einem Schadensereignis mehrere HaftpflichtVR zugleich dem Geschädigten gegenüber eintrittspflichtig sind. Ist auch nur einer der vorhandenen HaftpflichtVR leistungspflichtig, so greift der Verweis des Abs. 3 Satz 2. Alle leistungsfreien VR können sich auf diesen Verweis berufen. Es spielt dabei weder eine Rolle, ob der Geschädigte gegen diesen auch im Wege der Direktklage vorgehen kann, noch dass es sich bei dem HaftpflichtVR um eine Pflichtversicherung handelt. Denkbar ist etwa, dass ein Schädiger zwei Haftpflichtversicherungen abgeschlossen hat, oder dass zwei oder mehrere Schädiger jeweils über eine Haftpflichtversicherung verfügen. Soweit zumindest ein VR leistungspflichtig ist, ist der Geschädigte auch hinreichend geschützt, soweit er von diesem den Schaden ersetzt verlangen kann.181 Schwieriger wird es, wenn der leistungspflichtige VR nicht den gesamten Schaden ab- 69 decken kann. In diesem Fall haftet der leistungsfreie HaftpflichtVR für den darüberhinausgehenden Schaden bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme dann, wenn zwei HaftpflichtVR zweier oder mehrerer Schädiger zur Verfügung stehen. Unterhält dagegen nur ein Schädiger zwei Haftpflichtversicherungen, wovon ein Versicherungsverhältnis intakt und das andere ge175 Zur Gebührenabrechnung des Rechtsanwalts in derartigen Fällen Schneider DAR-Extra 2008 743. 176 OLG Schleswig 14.6.1990 – 7 U 5/87, RuS 1991 160, 161. 177 OLG Koblenz 11.7.2005 – 12 U 1602/03, VersR 2006 110 (juris Rn. 13) (spanische Transportversicherung); OLG München 24.2.1995 – 10 U 4079/93, NJW-RR 1996 1179 (juris Rn. 7). 178 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 54. 179 BGH 4.4.1978 – VI ZR 238/76, VersR 1978 609, 611 (juris Rn. 19). 180 Vgl. hierzu BGH 26.4.1976 – III ZR 26/74, VersR 1976 1034. 181 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 55; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 43; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 24. 609

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

stört ist und überschreitet die Schadenshöhe die Versicherungssumme, so haftet der im Innenverhältnis leistungsfreie VR nicht, wenn die zur Verfügung stehende Versicherungssumme zumindest so hoch ist wie die vorgeschriebene Mindestversicherungssumme. Zur Begründung ist anzuführen, dass es für den Geschädigten ausreicht, wenn ihm ein VR in Höhe der gesetzlich festgelegten Mindestversicherungssumme zur Verfügung steht. Alleine dies entspricht dem Zweck des § 117.182 Die gegenteilige Auffassung, die auch den leistungsfreien VR in Anspruch nehmen möchte, selbst wenn der leistungspflichtige VR den Schaden bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme abdeckt, beruft sich auf den mutmaßlichen Willen des Geschädigten. Dieser bevorzuge möglicherweise einen PflichthaftpflichtVR als Anspruchsgegner, statt eines vielleicht nur freiwilligen HaftpflichtVR, etwa um den Anspruchsvorrang des § 118 zu erlangen.183 Die Ansicht überzeugt indes nicht. Der Wille des Geschädigten ist nicht maßgeblich. Zwar mag es zutreffen, dass er besser stünde, sofern ihm beide VR haften würden. Das ist aber nicht die Intention des § 117. Dieser zielt einzig darauf ab, dass der Geschädigte bei einem gestörten Deckungsverhältnis zumindest Ersatz seines Schadens bis zur Mindestversicherungssumme erhält. Soweit dies durch einen anderen HaftpflichtVR möglich ist, muss das Verweisungsprivileg des Abs. 3 Satz 2 eingreifen. 70 Ein – wenn auch seltener – Ausnahmefall kann sich weiterhin ergeben, wenn der Schädiger zwei Haftpflichtversicherungen unterhält, von denen beide Versicherungsverhältnisse nicht „intakt“ sind. Mithin wären hier also beide HaftpflichtVR im Innenverhältnis grundsätzlich von der Leistung frei. In diesem Fall findet eine Anwendung der Regeln über die Doppelversicherung gem. § 78 statt.184 Diese Vorschrift sieht eine gesamtschuldnerische Haftung der VR vor. Eine Differenzierung zwischen den Tatbeständen der Leistungsfreiheit, die zu einer anderen Verteilung führen könnte, findet nicht statt, da diese gleichwertig nebeneinander stehen und keine Differenzierung zulassen.185 Die Haftung der VR wird auch hier auf die Mindestversicherungssumme begrenzt gemäß Abs. 3 Satz 1. Das Verhältnis der haftenden VR zueinander bestimmt sich nach § 78 Abs. 2. Nach erfolgter Regulierung gegenüber dem Geschädigten hat dieser im Rahmen des gesamtschuldnerischen Innenausgleichs zu dem anderen HaftpflichtVR den entsprechenden Teil des Anspruchs gegen den VN nach § 117 Abs. 5 Satz 1 an den anderen HaftpflichtVR abzutreten.186 71 Zuletzt ist es denkbar, dass zwei oder mehrere Schädiger für einen Schaden verantwortlich sind und jeder der HaftpflichtVR im Innenverhältnis zu diesen leistungsfrei ist. § 78 ist dann nicht einschlägig, zumal die VR unterschiedliche Risiken (§ 78 setzt eine Versicherung gegen dieselbe Gefahr voraus) abdecken. Der Geschädigte kann somit gegen beide HaftpflichtVR vorgehen und hat folglich zweimal einen Haftungsfonds in Höhe der Mindestversicherungssumme zur Verfügung.187

4. Sozialversicherungsträger i. S. d. Abs. 3 Satz 2, 2. Alt 72 Als weitere mögliche Haftungssubjekte, auf das der leistungsfreie HaftpflichtVR verweisen kann, kommen gem. Abs. 3 Satz 2, 2. Alt. Sozialversicherungsträger in Betracht. Ob eine Institu182 Hierzu ausführlich Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 55; ebenso Hübner/Lew Schneider RuS 2002 89, 93. 183 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 58. 184 OLG München 12.3.1959 – 1 U 1545/58, VersR 1959 607, 608; R. Johannsen VersArch 1956 279, 320 f.; Langheid/ Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 43; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 35; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 46. 185 So aber Reichert-Facilides VersR 1955 65 f.; dagegen Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 55; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 46. 186 Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 28. 187 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 55; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 47. Beckmann

610

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

tion als SVT in diesem Sinne einzustufen ist, hängt davon ab, ob dieser gegenüber dem Geschädigten eine Sozialversicherungsleistung erbringt. Maßgeblich ist demnach, dass sich die Leistung des SVT als Gegenleistung zu den Beiträgen der Versicherungspflichtigen darstellt. Insoweit spielt es keine Rolle, ob die Versicherungsleistung staatlich bezuschusst wird oder zeitlich begrenzt ist.188 Die Vorschrift umfasst daher in jedem Fall alle inländischen und ausländischen gesetzlichen Unfall-, Kranken-, und Rentenversicherungen.189 Darüber hinaus ist auch die Zahlung des Arbeitslosengeldes I durch die Bundesagentur für Arbeit als Versicherungsleistung zu werten, da der Versicherte diese Leistung aufgrund seiner Zahlung in die Arbeitslosenversicherung erhält.190 Dazu zählen im Übrigen auch Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen, um den Geschädigten wieder in einen arbeitsfähigen Zustand zu versetzen.191 Im Umkehrschluss erfüllen Leistungen aufgrund des Arbeitslosengeldes II (früher Sozialhil- 73 feleistungen) gerade nicht die Kriterien des Abs. 3 Satz 2. Die Zahlungen erfolgen hier nicht aufgrund eines Gegenseitigkeitsverhältnisses, sondern einzig aufgrund der staatlichen Fürsorgepflicht.192 Ebenfalls nicht von Abs. 3 Satz 2 umfasst sind Lohnfortzahlungen eines Arbeitgebers, 74 wenn sein Arbeitnehmer geschädigt wurde, da es auch hier an dem erforderlichen Versicherungsverhältnis mangelt.193 Für Leistungen eines öffentlichen Dienstherrn an seinen geschädigten Beamten gilt entsprechendes.194 Umstritten ist, inwieweit das Verweisungsprivileg des Abs. 3 Satz 2 im Rahmen des Beitragsregresses des SVT nach § 119 SGB X eingreift. Beim Beitragsregress zieht der SVT die Rentenbeiträge für den Geschädigten ein, die dieser aufgrund der verminderten Erwerbsfähigkeit nunmehr nicht mehr selbst erbringen, sondern als Schadensersatz vom Schädiger verlangen kann. Der SVT erbringt somit keine eigene Versicherungsleistung, worin ja gerade der Unterschied zu § 116 SGB X liegt. Da Abs. 3 Satz 2 somit nicht einschlägig ist, kann der SVT beim leistungsfreien HaftpflichtVR regressieren.195

5. Keine analoge Anwendung des Abs. 3 Satz 2 auf sonstige Ausgleichsmöglichkeiten Die Vorschrift des Abs. 3 Satz 2 ist zwingendes Recht und das Ausmaß des Regelungsgehaltes 75 weitestgehend eindeutig. Eine Anwendung auf Fälle, in denen der Geschädigte sonstige als die benannten Schuldner zur Befriedigung in Anspruch nehmen kann, ist nicht zulässig. Es kommen nur die aufgeführten SchadensVR und SVT in Betracht.196

Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 43. Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 30; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 32. BGH 17.10.2017 – VI ZR 477/16, VersR 2018 57 (Rn. 11). OLG Frankfurt/M. 30.11.1989 – 1 U 175/88, VersR 1991 686, 687; OLG München 25.7.1986 – 10 U 2275/86, VersR 1988 29 f. 192 OLG Braunschweig 20.5.1966 – 3 U 13/66, VersR 1966 969; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 52; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 32; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 40. 193 OLG Köln 13.3.1985 – 13 U 203/84, VersR 1985 488, 489; AG Nürnberg 9.5.1972 – 3 C 392/71, VersR 1973 516, 517; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 52; Denck VersR 1980 9 ff.; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 51. 194 Steffen VersR 1986 101, 102; Schirmer VersR 1986 825, 831. 195 Küppersbusch VersR 1983 193, 211; Denck VersR 1984 602; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 40; Prölss/ Martin/Klimke31 § 117 Rn. 31; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 51; a. A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 45; die Vorschrift des § 119 SGB X wird teilweise für verfassungswidrig gehalten, vgl. Einem VersR 1987 138; Stelzer VersR 1986 632. 196 BGH 17.10.1957– II ZR 161/56, BGHZ 25 322, 324 (juris Rn. 6); Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 52; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 32.

188 189 190 191

611

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

6. Subsidiaritätsklauseln 76 Mitunter sehen Versicherungsverträge von SchadensVR in ihren AVB vor, dass ihre Einstandspflicht für die Fälle ausgeschlossen ist, in denen der VN (bezogen auf § 117 also der geschädigte Dritte) von einem anderen, insbesondere von einem anderen VR Ersatz seines entstandenen Schadens verlangen kann. So könnte beispielsweise ein UnfallVR seine Haftung gegenüber seinem VN ausschließen für den Fall, dass dieser beim Schädiger Schadensersatzansprüche geltend machen bzw. durchsetzen kann. Bei derartigen Klauseln spricht man von Subsidiaritätsklauseln. Ihr Verhältnis zu Abs. 3 Satz 2 ist bis heute nicht vollständig geklärt. Zunächst einmal unterscheidet man zwischen einfachen und qualifizierten Klauseln. Während die einfachen Klauseln die Haftung generell ausschließen, unabhängig davon, dass der VN als Geschädigter Ersatz tatsächlich erlangt, ist es bei den qualifizierten Klauseln kennzeichnend, dass die tatsächliche Erlangung von Schadensersatz betont wird. Weiter kann man danach differenzieren, ob derartige Klauseln nur auf die Entschädigungsmöglichkeit gegenüber jeglichen Dritten oder aber nur gegenüber VR abzielen. Subsidiaritätsklauseln dürfen die Regelung des Abs. 3 Satz 2 nicht ausschließen. Darüber ist man sich allgemein einig.197 Die Vorschrift ist zwingendes Recht und folglich nicht abdingbar. Würde also eine derartige Klausel dazu führen, dass der im Innenverhältnis leistungsfreie HaftpflichtVR sich nicht auf Abs. 3 Satz 2 berufen könnte, wäre die Klausel unwirksam.198 Die Unwirksamkeit ergibt sich zwar nicht aus § 134 BGB, da § 117 Abs. 3 Satz 2 gerade kein Gesetz darstellt, dessen Sinn und Zweck die zivilrechtliche Unwirksamkeit derartiger Klauseln ist. Auch ein Verstoß gegen § 138 BGB kann nicht bejaht werden, da in einer solchen Klausel kein Sittenverstoß liegt, sondern diese lediglich eine Abweichung von gesetzlichen Regelungen darstellt. Richtigerweise handelt es sich bei der Kollision dieser Klausel mit § 117 Abs. 3 Satz 2 um einen Vertrag zu Lasten Dritter ohne deren Zustimmung, wodurch sie in diesen Fällen unwirksam ist. Dem Gesetz liegt eine eindeutige Risikoverteilung zugrunde, die vorsieht, dass in Fällen des § 117 der leistungsfreie HaftpflichtVR dann nicht haftet, wenn gleichzeitig ein „intaktes“ Versicherungsverhältnis vorliegt, aufgrund dessen ein anderer VR zur Leistung verpflichtet wäre. Diese Wertung kann nicht umgangen werden.199 77 Es ist damit nicht möglich und zulässig, die Wirkungen des § 117 Abs. 3 Satz 2 durch eine Subsidiaritätsklausel auszuschalten. Dies gilt insbesondere, wenn eine solche Klausel hierauf abzielt. Soweit eine Subsidiaritätsklausel einen generellen Risikoausschluss für Fälle enthält, bei denen der VN als Geschädigter von irgendeinem beliebigen Dritten Ersatz seines Schadens erlangen kann, hat der BGH die Klausel für wirksam erachtet.200 Problematisch ist jedoch, dass eine derart allgemein gehaltene Klausel vom Wortlaut her eben Abs. 3 Satz 2 ausschaltet. In diesen Fällen ist die Klausel einschränkend auszulegen mit dem Inhalt, dass Abs. 3 Satz 2 hiervon nicht erfasst ist.201 Eine solche Auslegung erscheint indes dann problematisch, wenn es sich – wie im Regelfall – um eine AVB handelt. Um einen Verstoß gegen AGB-Recht zu vermeiden, ist es empfehlenswert, entsprechende Klauseln so zu formulieren, dass sie nicht in Widerspruch zu § 117 Abs. 3 Satz 2 stehen.202

197 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 58; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 29; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 36; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 41; Hübner/Lew Schneider RuS 2002 89, 93; Prölss VersR 1977 367. 198 In einer früheren Entscheidung ist das LG Saarbrücken (14.8.1975 – 2 S 216/74, VersR 1976 83) trotz Verstoßes gegen § 117 Abs. 3 Satz 2 nicht zur Unwirksamkeit gelangt und hat zur Begründung ausgeführt, dass die Klauseln durch die BAV genehmigt worden seien. Die Entscheidung ist zu Recht auf Kritik gestoßen, vgl. etwa Bruck/Möller/ R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 58. 199 Zum Vorstehenden auch Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 48. 200 BGH 12.12.1975 – IV ZR 211/74, VersR 1976 235, 237 (juris Rn. 24) mit Anm. Prölss VersR 1977 367. 201 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 58; Schirmer VersR 1986 825; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 21. 202 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 58. Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 49. Beckmann

612

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

7. Kein Verweisungsprivileg nach § 3 Satz 1 PflVG in der Kfz-Haftpflichtversicherung § 3 Satz 1 PflVG enthält eine Sonderregel und erklärt das Verweisungsprivileg gem. § 117 Abs. 3 78 Satz 2 in den dort genannten Fällen für unanwendbar. § 3 Satz 1 PflVG greift bei Leistungsfreiheit des HaftpflichtVR ein, wenn das Fahrzeug den Bau- und Betriebsvorschriften der StVZO nicht entsprach oder von einem unberechtigten Fahrer oder von einem Fahrer ohne die vorgeschriebene Fahrerlaubnis geführt wurde. Alle diese Fälle werden von § 117 Abs. 1 erfasst, indes mit der Besonderheit, dass § 3 Satz 1 PflVG das Verweisungsprivileg des Abs. 3 Satz 2 auf andere Schadensversicherer und SVT für unanwendbar erklärt. Der im Innenverhältnis leistungsfreie HaftpflichtVR haftet dem Geschädigten somit auch dann, wenn ein anderer Schadensversicherer zur Leistung verpflichtet wäre. Der Geschädigte hat dann ein Wahlrecht, an welchen VR er sich halten will.203 Kommt aber eine weitere Obliegenheitsverletzung des VN hinzu, die nicht in den Katalog 79 des § 3 Satz 1 PflVG fällt, so kann sich der HaftpflichtVR wieder auf das Verweisungsprivileg des Abs. 3 Satz 2 berufen. Ansonsten stünde der HaftpflichtVR schlechter, als er stünde, wenn der VN nur eine nicht von § 3 PflVG umfasste Obliegenheitsverletzung begangen hätte.204 Für derartige Obliegenheitsverletzungen gelten jedoch ohnehin §§ 5, 6 KfzPflVV, wonach der HaftpflichtVR nur bis zu einer Höhe von max. A 5.000 leistungsfrei wird.

VI. Amtshaftung nach Abs. 4 § 117 Abs. 4, dessen Vorgängerregelung des § 158c Abs. 5 VVG a. F. im Jahre 1965 eingeführt 80 wurde, regelt das Verhältnis von Ansprüchen aus fahrlässiger Amtspflichtverletzung nach § 839 Abs. 1 BGB und der Leistungspflicht des HaftpflichtVR nach Abs. 1 und Abs. 2. Die Vorschrift ist insoweit spezieller gegenüber § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie wurde im Zuge der VVGReform zur Klarlegung abgeändert. Der Wortlaut stellt nunmehr ausdrücklich klar, dass „die Ersatzpflicht nach § 839 BGB im Verhältnis zum VR nicht dadurch ausgeschlossen wird“. Der zur Vorgängervorschrift bestehende Meinungsstreit, inwieweit die Vorschrift das Außenverhältnis zum Geschädigten oder nur das Innenverhältnis zwischen Staat und VR betrifft, ist damit obsolet.205 Der Gesetzgeber schließt sich ausweislich der Gesetzesbegründung der zuvor vom BGH vertretenen Ansicht an.206 Daraus folgt, dass die öffentliche Hand dem Geschädigten sehr wohl das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB entgegenhalten kann. Der im Innenverhältnis leistungsfreie HaftpflichtVR haftet demzufolge nach Abs. 1 oder Abs. 2 und kann nicht nach Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 auf die öffentliche Hand verweisen, sondern haftet dem Geschädigten vielmehr selbst. Es verbleibt aber nicht dauerhaft dabei, dass der HaftpflichtVR den Schaden zu tragen hat. Vielmehr kann er im Folgenden beim Fiskus Regress nehmen.207 In einigen anerkannten Fällen findet die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB 81 keine sachliche Rechtfertigung. Der BGH hat bereits des Öfteren klargestellt, dass die haftungsrechtliche Bevorzugung des Staates in gewissen Bereichen keine Anwendung findet. Die Vorschrift diene dazu, die Entschlusskraft des Beamten zu stärken, indem man ihn von einer drohenden Haftung befreit. Dieser Beweggrund ist etwa dann nicht einschlägig, wenn der Beamte wie ein gewöhnlicher Bürger mit dem Dienstwagen am Straßenverkehr teilnimmt. Das Verwei203 Prölss/Martin/Klimke31 § 3 PflVG Rn. 1. 204 BGH 2.10.2002 – IV ZR 309/01, VersR 2002 1501, 1502 (juris Rn. 15); OLG Stuttgart 15.11.2000 – 3 U 23/00, NVersZ 2001 428 (juris Rn. 35); Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 117 Rn. 22.

205 Vgl. hierzu noch Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 54 m. w. N. 206 BTDrucks. 16/3945 S. 89 mit Verweis auf die maßgebliche BGH-Entscheidung 28.10.1982 – III ZR 206/80, BGHZ 85, 225 = VersR 1983, 84. 207 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 46; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 25. 613

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

sungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB wird dann durch das Prinzip der Gleichstellung der Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr überlagert.208 § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB wird insoweit teleologisch reduziert. Der öffentliche Rechtsträger kann sich dann nicht auf das Verweisungsprivileg berufen und wird behandelt wie jeder andere Ersatzpflichtige. Führt etwa ein Polizeibeamter einen Streifenwagen im Straßenverkehr und verursacht er zusammen mit einem Zweitschädiger einen Unfall, so haftet nur der öffentliche Rechtsträger, wenn der HaftpflichtVR des Zweitschädigers im Innenverhältnis leistungsfrei ist, § 117 Abs. 3 Satz 2. Das Prinzip der Gleichbehandlung im Straßenverkehr gilt nicht, sofern der Beamte Sonderrechte nach § 35 StVO wahrnimmt.209 § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB findet des Weiteren keine Anwendung, sofern öffentlich-rechtliche 82 Straßenverkehrssicherungspflichten verletzt werden.210 Diskutiert wird ansonsten, inwieweit entsprechendes gilt, wenn die Zulassungsbehörde es während der einmonatigen Nachhaftungsfrist des Abs. 2 schuldhaft versäumt, den Fahrzeugschein einzuziehen und das Kennzeichen des haftpflichtlosen Fahrzeugs zu entstempeln.211 Haftet der Beamte persönlich, weil die öffentliche Hand die Haftung nicht nach Art. 34 GG 83 übernimmt, so verbleibt es gem. § 117 Abs. 4 Satz 2 beim Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der fahrlässig handelnde Beamte kann den Geschädigten mit seinen Schadensersatzansprüchen auf die anderweitige Ersatzmöglichkeit verweisen.212

VII. Regressanspruch des Haftpflichtversicherers gegen Versicherungsnehmer bzw. Mitversicherten, Abs. 5 84 Begleicht der HaftpflichtVR gem. § 117 Abs. 1 bis Abs. 4 Schadensersatzansprüche des geschädigten Dritten, so geht der Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den VN bzw. den Mitversicherten213 gem. Abs. 5 im Wege der Legalzession (gesetzlicher Forderungsübergang; cessio legis) auf den HaftpflichtVR über. Der VN bzw. der Mitversicherte wird also durch die Zahlung des VR an den Geschädigten nicht befreit.214 Abs. 5 übernimmt damit in weiten Teilen den § 158f VVG a. F. Die Regelung des Abs. 5 findet indes nur Anwendung, wenn dem Geschädigten gegenüber 85 dem VR kein Direktanspruch zusteht. In diesen Fällen ist nämlich der Regressanspruch des HaftpflichtVR nach § 116 Abs. 1 Satz 2 spezieller.215 Abs. 5 gilt somit nicht bei Vorliegen einer Kfz-Haftpflichtversicherung und in sonstigen Fällen eines Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 1, sondern nur für alle übrigen Pflichthaftpflichtversicherungen.

208 BGH 30.10.1980 – III ZR 132/79, VersR 1981 134 (juris Rn. 11); BGH 22.5.1980 – III ZR 121/79, VersR 1980 939 (juris Rn. 2); BGH 15.3.1979 – III ZR 140/77, VersR 1979 547, 548 (juris Rn. 23); BGH 28.9.1978– III ZR 203/74, VersR 1979 348 (juris Rn. 14); BGH 27.1.1977 – III ZR 173/74, BGHZ 68 217, 220 = VersR 1977 541, 542 (juris Rn. 19). 209 BGH 28.10.1982 – III ZR 206/80, BGHZ 85 225, 228 = VersR 1983 84, 85 (juris Rn. 9): Verfolgung eines Autodiebes mit einem Streifenwagen. 210 BGH 29.11.1979 – III ZR 154/78, VersR 1980 282, 283 (juris Rn. 12). 211 Bejahend Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 70; ablehnend BGH 2.7.1981 – III ZR 63/80, VersR 1981 1154, 1155 f. (juris Rn. 30). 212 Hübner/Lew Schneider RuS 2002 89, 93; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 47; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 40. 213 § 117 Abs. 5 greift auch im Hinblick auf einen mitversicherten Schädiger (Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 60); zu berücksichtigen bleibt § 123. Dazu auch Rn. 99 ff. 214 BGH 28.11.1957 – II ZR 325/56, BGHZ 26 133, 137 ff. (juris Rn. 7 ff.).; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 27. 215 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 117 Rn. 26; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 49. Beckmann

614

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

1. Vorliegen der Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Voraussetzung für den Übergang des Anspruchs ist zunächst, dass der VR gegenüber dem Ge- 86 schädigten objektiv leistungspflichtig war und subjektiv aufgrund des § 117 Abs. 1 bis Abs. 4 an den Geschädigten geleistet hat.216 Abs. 5 ist daher nicht einschlägig, wenn überhaupt kein Haftpflichtanspruch des Geschädigten gegen den VN bestand.217 Der VR ist gem. § 117 Abs. 1 bis 4 auch dann nicht leistungspflichtig (so dass ein Forderungsübergang nach Abs. 5 ausscheidet), wenn der nach dem Vertrag versicherte Risikobereich den eingetretenen Schaden gar nicht umfasst;218 das ist z. B. auch der Fall, wenn ein Risikoausschluss (vertraglich oder gesetzlich) eingreift (vgl. bereits oben Rn. 12 f.). Gleiches gilt, sofern die Mindestversicherungssumme bereits voll ausgeschöpft war219 und er über diese Grenze hinaus bezahlt hat.220 Des Weiteren besteht kein Regressanspruch nach § 117 Abs. 5, wenn der HaftpflichtVR den Geschädigten auf einen anderen Schadensversicherer oder SVT hätte verweisen können.221 Die gleiche Wirkung kann darüber hinaus eintreten, wenn der Dritte eine Obliegenheit gem. § 119 verletzt hat und infolgedessen die Leistungspflicht des HaftpflichtVR gem. § 120 beschränkt ist.222 Fehlt es also an einer Leistungspflicht des HaftpflichtVR gem. § 117 Abs. 1 bis 4, so kommt 87 es auch nicht zu einem gesetzlichen Forderungsübergang gem. Abs. 5. Hat der VR gleichwohl den Schaden des geschädigten Dritten beglichen, kommt ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch des VR in Betracht (dazu noch Rn. 107).

2. Rechtsfolgen Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor und gleicht der HaftpflichtVR den Schaden des Drit- 88 ten aus, so bewirkt Abs. 5 Satz 1 den Übergang der Schadensersatzforderung des Dritten gegen den VN auf den HaftpflichtVR. Der Forderungsübergang findet im Zeitpunkt statt, indem der HaftpflichtVR an den Dritten aufgrund der Verpflichtung des Abs. 1 und Abs. 2 leistet. Die Forderung geht in dem Umfang über, in dem der HaftpflichtVR auch tatsächlich die Forderung des Dritten beglichen hat; dies folgt aus Abs. 5 Satz 1 („soweit“; zur Höhe vgl. noch sogleich Rn. 89 ff.). Für den Übergang spielt es keine Rolle, ob die Zahlung an den Dritten oder seinen Rechtsnachfolger erfolgte.223 Der HaftpflichtVR kann somit vom VN Zahlung in Höhe der an den Geschädigten erbrachten Leistungen verlangen und ggf. im Wege der Leistungsklage geltend machen. Soweit er auch künftig noch Leistungen an den Dritten erbringen muss, lässt sich eine solche Klage unter Umständen mit einer Feststellungsklage auf Bestehen der Erstattungspflicht verknüpfen.224 Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, regelt Abs. 5 den Regress abschließend. Andere Regressnormen, etwa aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus ungerechtfertigter Bereicherung, kommen daneben nicht zur Anwendung.225

216 BGH 13.2.1958 – II ZR 317/56, VersR 1958 173, 174; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 40; Langheid/Rixecker/ Langheid6 § 117 Rn. 43; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 51; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 28; a. A. Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 8 bzgl. der subjektiven Komponente. 217 OLG Schleswig 18.12.1996 – 9 U 5/96, NZV 1997 442 (juris Rn. 4); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 51 f. 218 BGH 24.3.1976 – IV ZR 8/75, VersR 1976 480, 481; Langheid/Wandt/ Schneider2 § 117 Rn. 52. 219 Schmalzl VersR 1965 932, 933; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 52. 220 BGH 28.11.1957 – II ZR 325/56, BGHZ 26 133, 140 f. (juris Rn. 11); OLG Köln 29.5.1996 – 27 U 6/96, VersR 1997 225, 227 (juris Rn. 17); Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 40. 221 BGH 28.11.1957 – II ZR 325/56, BGHZ 26 133, 140 f. (juris Rn. 10 f.); OLG Köln 29.5.1996 – 27 U 6/96, VersR 1997 225, 226 (juris Rn. 10); Schmalzl VersR 1965 932, 933; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 52. 222 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 52. 223 OLG Frankfurt 25.4.1969 – 3 U 180/68, VersR 1970 266. 224 BGH 28.6.1965 – II ZR 31/63, VersR 1965 846, 848 (juris Rn. 20). 225 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 50; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 27. 615

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

3. Höhe der übergegangenen Forderung/Einwendungen des Versicherungsnehmers 89 Wie sich aus dem Wortlaut des Abs. 5 Satz 1 ergibt, erfolgt der Übergang der Forderung im Umfang der Leistung.226 Die Leistung des HaftpflichtVR bestimmt sich in der Regel durch den unstreitigen oder durch Anerkenntnis, Vergleich oder Urteil festgestellten Haftpflichtanspruch des Dritten.227

90 a) Bindung an Haftpflichturteile. Ein aus einem Prozess zwischen dem Geschädigten und dem VN hervorgegangenes Haftpflichturteil ist für den Umfang des auf den HaftpflichtVR übergegangenen Anspruchs gegen seinen VN bindend.228 Dies hat zur Folge, dass der VN gegenüber dem Regress nehmenden HaftpflichtVR keine Einwendungen aus dem Haftpflichtverhältnis entgegenhalten kann.229

91 b) Bindung an Vergleich und Anerkenntnis/Regulierungsvollmacht. Auch einen vom HaftpflichtVR und dem geschädigten Dritten abgeschlossenen Vergleich bzw. ein Anerkenntnis des HaftpflichtVR muss der VN gegen sich gelten lassen.230 Der HaftpflichtVR hat gem. Ziff. 5.2 AHB 2012 entsprechende Regulierungsvollmacht und zwar auch bei einem „gestörten“ Versicherungsverhältnis.231 Die Regulierungsvollmacht erlischt auch dann nicht, wenn das Versicherungsverhältnis zwar bereits beendet ist, jedoch noch die Möglichkeit einer Nachhaftung nach Abs. 2 bzw. Abs. 6 besteht.232 Da § 117 Abs. 5 bei Direktansprüchen gegen den VR keine Anwendung findet (siehe Rn. 85), ist die Frage nach dem Erlöschen der Regulierungsvollmacht für diese Fälle irrelevant.233 Im Hinblick auf mitversicherte Personen geht die h. M. von einer Vertretungsmacht kraft Gesetzes aus.234 Gleichwohl kommt eine Pflichtverletzung durch den HaftpflichtVR in Betracht, wenn er seine Pflichten aus dem der Vollmacht zugrunde liegenden Innenverhältnis verletzt hat (vgl. noch Rn. 93).235

92 c) Einwände aus dem Versicherungsverhältnis zum Versicherer. Unbenommen bleibt es dem VN jedoch, Einwendungen aus dem Versicherungsverhältnis selbst zu erheben. So ist es 226 Vgl. vorstehende Rn. 88; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 41. 227 Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 11; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 42; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 55; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 30. 228 BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 322 (juris Rn. 23) („wenn […] der Versicherungsvertrag als solcher gültig ist“); Hübner/Lew Schneider RuS 2002 89, 93 f.; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 42; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 56; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 12. 229 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 56; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 42. 230 BGH 23.10.1958 – II ZR 54/57, BGHZ 28 244, 246 ff. (juris Rn. 5 ff.); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 13; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 42; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 30; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 55. 231 Vgl. BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 317 ff. (juris Rn. 17 f.); BGH 8.11.1962 – II ZR 53/60, VersR 1963 33, 34 (Rn. 11); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 13. 232 BGH 15.6.1967 – II ZR 177/65, VersR 1967 942 (juris Rn. 9); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 30; wohl auch Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 55. 233 Vgl. hierzu BGH 3.6.1987 – IVa ZR 292/85, BGHZ 101 276, 283 = VersR 1987 924, 925 f. (juris Rn. 17); Langheid/ Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 55; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 42; insofern obsolet Schwintowski/Brömmelmeyer/ Huber3 § 117 Rn. 103. 234 BGH 23.10.1958 – II ZR 54/57, BGHZ 28 244, 246 = VersR 1958, 830 (juris Rn. 5); BGH 12.3.1959 – II ZR 130/57, VersR 1959 329, 330; BGH 3.6.1987 – IVa ZR 292/85, BGHZ 101 276, 284 = VersR 1987 924, 926 (juris Rn. 20); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 13; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 55; Prölss/Martin/Knappmann31 § 117 Rn. 43. 235 Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 16; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 57. Beckmann

616

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

ohne Weiteres möglich, dass er die Leistungsfreiheit des VR bestreitet. Ebenso kann er den Einwand erheben, dass zumindest in „Ansehung des Dritten“ nach § 117 keine Leistungsverpflichtung bestand (z. B. wegen Ausschlussgründen nach Abs. 3).236 So wäre die Darlegung über das Vorliegen des Verweisungsprivilegs,237 das beschränkte Haften auf die vertraglich übernommene Gefahr und die begrenzte Haftung auf die Mindestversicherungssumme238 erheblich. Weiterhin kann der VN entgegnen, dass der VR bei der Schadensregulierung seine vertrag- 93 lichen Pflichten schuldhaft verletzt hat;239 dies lässt sich insbesondere damit begründen, die Vorgehensweise des VR sei nicht als aus seiner Sicht „zweckmäßig“ gem. Ziff. 5.2 AHB 2012 anzusehen.240 Dem VN kann hieraus ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB zustehen, den er dem VR entgegenhalten kann. In diesem Fall besteht die Möglichkeit der Aufrechnung, §§ 387 ff. BGB. Einem Schadensersatzanspruch des VN kann entgegenstehen, dass der HaftpflichtVR die Rechtslage zwar objektiv falsch beurteilt, aber schuldlos einem Irrtum bei den Vergleichsverhandlungen unterliegt; insofern kann es an dem für eine Haftung nach § 280 BGB notwendigen Verschulden fehlen. Ein Rückgriff des VR gegen den VN gem. § 117 Abs. 5 ist dann wieder möglich.241 Unter Umständen kann sich ein etwaiger Schadensersatzanspruch des VN gegen den VR aufgrund von Mitverschulden gem. § 254 BGB mindern.242 Schließlich kann sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben, dass sich der 94 HaftpflichtVR mit einer Erstattung der gem. Abs. 5 auf ihn übergegangenen Forderung in angemessenen Raten begnügen muss.243

4. Die übergegangene Forderung/Wirkungen des Übergangs Da es sich um einen gesetzlichen Forderungsübergang handelt (oben Rn. 84), finden die 95 §§ 401 ff. BGB gemäß § 412 BGB Anwendung. Gleichwohl gehen etwaige Sicherheiten trotz der Regelung des § 401 BGB nicht unbedingt auf den HaftpflichtVR über; sie verbleiben bei dem Dritten, wenn diesem noch weitere zu sichernde Forderungen gegen den VN zustehen. Dies wird dem Rechtsgedanken des § 117 Abs. 5 Satz 2 entnommen.244 Sofern es sich bei der Forderung – wie vielfach – um eine solche aufgrund unerlaubter Handlung handelt, besteht für den HaftpflichtVR die Möglichkeit, den besonderen Gerichtsstand nach § 32 ZPO in Anspruch zu nehmen.245 Die übergegangene Forderung verjährt nach den allgemeinen Regeln. Das Berufen des VN 96 auf die Verjährung ist auch dann kein Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn der Deckungsprozess zuvor negativ für ihn ausgegangen ist.246

BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 320 (juris Rn. 21); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 56. OLG Köln 14.10.1969 – 3 U 19/69, VersR 1970 49, 50. Schmalzl VersR 1965 932, 933. BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 320 (juris Rn. 21); BGH 23.10.1958 – II ZR 54/57, BGHZ 28 244, 251 (juris Rn. 10); LG Nürnberg-Fürth 16.2.1966 – 8 O 170/64, VersR 1966 1126, 1127 f.; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 44. 240 Vgl. Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 16. 241 BGH 8.11.1962 – II ZR 53/60, VersR 1963 33, 35 (juris Rn. 12); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 16. 242 OLG Hamm 13.5.1958 – 7 U 9/58, VersR 1958 670 f.; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 57. 243 BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 323 (juris Rn. 24); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 16; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 57. 244 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 58; im Ergebnis ebenso Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 51. 245 OLG München 28.10.1966 – 10 U 1667/66, VersR 1967 144; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 21. 246 BGH 27.10.1971 – IV ZR 182/69, VersR 1972 62, 63 (juris Rn. 10 ff.).

236 237 238 239

617

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

5. Verhältnis von Abs. 5 zu sonstigen Ansprüchen 97 Soweit der Schadensersatzanspruch im Wege der Legalzession gem. Abs. 5 auf den HaftpflichtVR übergegangen ist, geht dieser anderen Ansprüchen vor. Insbesondere bestehen daneben dann keine Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag.247 Denkbar ist aber eine Erstattung von eigenen Kosten des HaftpflichtVR, die nicht von dem übergegangenen Schadensersatzanspruch erfasst sind, aufgrund allgemeiner Anspruchsgrundlagen (vgl. sogleich Rn. 98).

6. Aufwendungsersatz/eigene Kosten des Versicherers 98 Da von der Legalzession nach § 117 Abs. 5 nur der Schadensersatzanspruch des geschädigten Dritten gegen den VN umfasst wird, unterfallen dieser nicht die vom HaftpflichtVR getätigten Aufwendungen. Da das Versicherungsverhältnis aber ungeachtet der Leistungsfreiheit weiter fortbesteht, kann der VR diese nach §§ 675, 670 BGB gegenüber dem VN bzw. Mitversicherten geltend machen, da die Geschäftsführungsbefugnis nicht erloschen ist.248 Unter derartige Aufwendungen fallen etwa Regulierungs- und Anwaltskosten, Sachverständigen-, Prozess-, und Ermittlungskosten.249 Der Ersatz der Anwaltskosten wurde dann versagt, wenn der VR im Rahmen eines Gerichtsprozesses zwischen Geschädigtem und VN als Streithelfer beitrat und hierbei einen eigenen Anwalt bestellte.250 Für Aufwendungen, die der VR getätigt hat, obwohl im Innenverhältnis keine Leistungspflicht bestand, kommen dagegen Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht.251

7. Beteiligung mehrerer Personen 99 § 117 Abs. 5 gelangt gleichfalls bei Vorliegen einer Versicherung für fremde Rechnung zur Anwendung und gilt auch für mitversicherte Personen.252 Das bedeutet, dass grundsätzlich der Schadensersatzanspruch des Dritten gegen den mitversicherten Schädiger gem. Abs. 5 auf den HaftpflichtVR übergeht, wenn der HaftpflichtVR gegenüber dem mitversicherten Schädiger leistungsfrei ist und der HaftpflichtVR gem. Abs. 1, 2 den Geschädigten befriedigt hat.253 Sieht das Versicherungsverhältnis vor, dass der VR nicht nur gegenüber dem VN, sondern auch gegenüber anderen Mitversicherten zur Leistung verpflichtet sein soll, so lässt sich im Falle des § 117 weiter differenzieren, wem gegenüber im Einzelfall Leistungsfreiheit bestand.

100 a) Leistungsfreiheit gegenüber Versicherungsnehmer und Mitversichertem. Ist der HaftpflichtVR sowohl gegenüber dem VN als auch gegenüber dem Mitversicherten von seiner Leistungspflicht frei, so bewirkt eine Leistung nach § 117 Abs. 1 bzw. Abs. 2 den Übergang des

247 OLG Frankfurt 25.4.1969 – 3 U 180/68, VersR 1970 266, 267; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 39; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 50. 248 Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 26; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 54. 249 BGH 24.3.1976 – IV ZR 8/75, VersR 1976 480, 481 f.; BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 324 (juris Rn. 26); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 25. 250 BGH 24.3.1976 – IV ZR 8/75, VersR 1976 480, 482; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 26. 251 BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 324 f. (juris Rn. 26); Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 54; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 100. 252 Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 29; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 60; Looschelders/Pohlmann/ Schwartze3 § 117 Rn. 32; vgl. bereits oben Rn. 84. 253 Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 60. Beckmann

618

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

Schadensersatzanspruchs des Dritten gegen beide Parteien auf den VR nach Abs. 5. Im Zweifelsfall ist davon auszugehen, dass der VR für beide Parteien leisten wollte.254 Das gilt indes nur, wenn der VR nicht durch ausdrückliche oder konkludente Erklärung deutlich macht, nur für einen der beiden leisten zu wollen, was regelmäßig nicht der Fall sein wird. Hafteten der VN und der Versicherte dem Dritten zuvor als Gesamtschuldner, so bewirkt die Leistung des VR einen Anspruchsübergang nach Abs. 5, wodurch die beiden Parteien im Folgenden auch dem VR als Gesamtschuldner haften.255 Ob zwischen dem VN und dem Mitversicherten Ausgleichsansprüche aus dem Gesamtschuldverhältnis bestehen, ist für den Anspruch des VR unerheblich, weil keiner der beiden dem VR diese Einwendung entgegenhalten kann.256

b) Leistungsfreiheit nur gegenüber Versichertem, nicht gegenüber Versicherungsneh- 101 mer. Besteht Leistungsfreiheit nicht gegenüber dem VN, wohl aber gegenüber dem Versicherten, so ist auch hier davon auszugehen, dass der VR die Leistung an den Dritten im Zweifel für beide Parteien erbringt.257 Vorbehaltlich des § 123 geht der Schadensersatzanspruch des geschädigten Dritten gegen die mitversicherte Person gem. Abs. 5 auf den HaftpflichtVR über.258 Nach dem Standpunkt des BGH ist es dafür ebenfalls gleichgültig, ob die Leistungsfreiheit im Zeitpunkt der Leistung bereits feststand. Abzustellen sei nur auf die objektive Rechtslage.259 Bei Leistungsfreiheit gegenüber mehreren Versicherten haften diese als Gesamtschuldner.260 Wenn dem Versicherten gegenüber dem VN Ausgleichsansprüche aus dem Versicherungsfall zustehen sollten, so kann der Versicherte diese auch dem VR entgegenhalten. Das folgt daraus, dass der VR – bei der hier in Rede stehenden Konstellation – gegenüber dem VN leistungspflichtig ist und sich diese Leistungspflicht auch auf Ausgleichsansprüche erstreckt.261 Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob für die hier beschriebene Konstellation, 102 dass der VR für beide Parteien an den Geschädigten zahlt (oben Rn. 101), neben dem Anspruchsübergang nach Abs. 5 auch der gesamtschuldnerische Innenausgleichsanspruch vom VN gegen den Versicherten nach § 426 Abs. 1 BGB über § 86 Abs. 1 mitübergeht. Das wird zum Teil verneint, ist aber richtigerweise zu bejahen, da beide Vorschriften sich nicht gegenseitig ausschließen.262 Sollte tatsächlich einmal die Situation auftreten, dass der VR aufgrund seiner Leistungs- 103 pflicht gegenüber dem VN nur für diesen an den Dritten leistet, so hat dies zur Folge, dass damit auch der Schadensersatzanspruch gegen den Versicherten erlischt, soweit er deckungsgleich

254 BGH 3.12.1962 – II ZR 47/60, VersR 1963 134 (juris Rn. 14); R. Johannsen VersArch 1956 281, 355; Schmalzl VersR 1965 932, 934; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 36. 255 BGH 3.12.1964 – II ZR 172/62, VersR 1965 130; BAG 6.7.1964 – 1 AZR 17/64, NJW 1964 2445, 2446 (juris Rn. 12); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 36; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 60; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 49; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 32. 256 Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 36; a. A. OLG München 14.8.1956 – 5 U 2064/55, VersR 1957 89, 90. 257 BGH 3.12.1962 – II ZR 47/60, VersR 1963 134, 135; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 32; Prölss/Martin/ Klimke31 § 117 Rn. 48; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 60. 258 BGH 3.12.1962 – II ZR 47/60, VersR 1963 134, 135; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 60; Prölss/Martin/ Klimke31 § 117 Rn. 48. 259 BGH 3.12.1962 – II ZR 47/60, VersR 1963 134, 135; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 51. 260 BGH 3.12.1964 – II ZR 172/62, VersR 1965 130; Schmalzl VersR 1965 932, 935; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 60. 261 OLG Frankfurt 25.4.1969 – 3 U 180/68, VersR 1970 266, 267; BGH 3.12.1962 – II ZR 47/60, VersR 1963 134, 135; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 32. 262 BGH 3.12.1964 – II ZR 172/62, VersR 1965 130, 131; OLG Frankfurt 25.4.1969 – 3 U 180/68, VersR 1970 266, 267; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 34 m. w. N.; R. Johannsen VersArch 1956 281, 356; a. A. LG Stuttgart 8.12.1955 – 7 O 171/55, VersR 1956 792, 793; Lorenz VersR 1991 505; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 50; Langheid/ Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 61. 619

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

ist. Der VR steht somit schlechter, da er nur noch über § 86 Abs. 1 den Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 erwirbt.263

104 c) Leistungsfreiheit nur gegenüber dem Versicherungsnehmer. Sofern der VR den Anspruch des Dritten gegenüber dem VN ausgleicht, obwohl er gegenüber dem VN nicht zur Leistung verpflichtet war, so scheidet ein Regressanspruch nach Abs. 5 jedenfalls dann aus, wenn er zumindest für den Versicherten einzustehen hatte.264

8. Rückgriff gegen Mitschädiger 105 Über § 117 Abs. 5 kann der VR nicht gegen eine außerhalb des Versicherungsverhältnisses stehende Person Rückgriff nehmen. Soweit die Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 bzw. Abs. 2 erfüllt sind, kommt § 86 daneben ebenfalls nicht zur Anwendung, da die Leistung des VR auf § 117 beruht und nicht auf dem Versicherungsverhältnis.265 Der über § 117 Abs. 5 in Anspruch genommene VN kann jedoch die Ansprüche gegen den Mitschädiger an den VR abtreten, um unter Umständen auf diese Weise einen Teil seiner Schuld gegenüber dem VR begleichen zu können. Daneben besteht weiterhin die Möglichkeit, dass der VR gegen den VN vollstreckt und sich auf diesem Wege die Forderung gegen den Mitschädiger pfänden und überweisen lässt.266 Sonstige Ansprüche gegen den Mitschädiger – etwa nach GoA oder ungerechtfertigter Bereicherung – bestehen nicht.267 Ist § 117 Abs. 5 nicht einschlägig, so gehen die Ausgleichsansprüche des VN gegen den Mit106 schädiger nach § 86 Abs. 1 über, soweit der VR den Schadensersatzanspruch des Geschädigten befriedigt hat.268

9. Irrtümliche Leistung aufgrund § 117 Abs. 1 bzw. Abs. 2 107 Ging der VR bei bestehender Leistungsfreiheit gegenüber dem VN irrtümlich vom Vorliegen der Voraussetzungen von § 117 Abs. 1 bzw. Abs. 2 aus und leistet daraufhin an den Geschädigten, so ist § 117 Abs. 5 nicht einschlägig (vgl. Rn. 87). Wenn dadurch der VN von einer Schadensersatzpflicht befreit wurde (§ 267 BGB), kann der HaftpflichtVR gegen den VN nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung vorgehen, § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.269 Ein Regressverzicht gegenüber dem VN kann anzunehmen sein, wenn der VR trotz Kenntnis seiner Leistungsfreiheit

263 OLG Hamm 6.3.1970 – 20 U 226/69, VersR 1970 708 f.; BGH 3.12.1962 – II ZR 47/60, NJW 1963 487, 489 (juris Rn. 16); OLG München 29.10.1958 – 7 U 1392/58, VersR 1959 129; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 35 m. w. N.

264 BGH 8.11.1962 – II ZR 53/60, VersR 1963 33, 35 (juris Rn. 7); BGH 15.6.1967 – II ZR 177/65, VersR 1967 942, 943 (juris Rn. 12); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 37.

265 Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 40; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 61; anders ist dies, wenn der VR gegenüber dem VN einstandspflichtig ist, dann gehen Ansprüche des VN gegen einen weiteren Schädiger gem. § 86 über (Schneider a. a. O.). 266 BGH 23.5.1960 – II ZR 132/58, BGHZ 32 331, 337 (juris Rn. 8); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 40; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 61; a. A. Wahle VersRdsch 1960 45 ff. 267 BGH 23.5.1960 – II ZR 132/58, BGHZ 32 331, 337 f. (juris Rn. 8 f.); Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 40; a. A. Prölss/Martin/Knappmann27 § 158f Rn. 21 bzgl. § 812 BGB. 268 Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 45; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 48. 269 BGH 24.3.1976 – IV ZR 8/75, VersR 1976 480, 481; BGH 5.3.1964 – II ZR 220/62, VersR 1964 474; OLG Köln 29.5.1996 – 27 U 6/96, VersR 1997 225, 227 (juris Rn. 23); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 28; Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 44; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 53; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 40; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 117 Rn. 49. Beckmann

620

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 117

an den Dritten zahlt.270 Der Bereicherungsanspruch verjährt dabei in der gleichen Zeit, wie der zuvor bestehende Schadensersatzanspruch des Dritten.271 Entsprechendes gilt letztlich für den Mitversicherten.

10. Befriedigungsvorrecht nach Abs. 5 Satz 2 Nach Abs. 5 Satz 2 kann der Forderungsübergang nicht zum Nachteil des Dritten geltend ge- 108 macht werden. Die Vorschrift normiert ein Befriedigungsvorrecht des Dritten für den Fall, dass sein Schaden höher ist, als die erbrachte Leistung des VR. Ist der Schaden beispielsweise höher als die Mindestversicherungssumme, so kann der VR erst dann gegen seinen VN oder Mitversicherten vorgehen, wenn der Dritte seinen Schaden bei diesen voll ersetzt bekommen hat. Die Vorschrift verfolgt einen dem § 86 Abs. 1 Satz 2 vergleichbaren Zweck. Im Hinblick auf bestehende Sicherheiten kann die Vorschrift gleichfalls angewandt werden (vgl. bereits Rn. 95).

VIII. Verjährung Im Hinblick auf Verjährungsfragen im Zusammenhang mit § 117 geht es zum einen darum, ob 109 § 117 Abs. 1 Anwendung findet, wenn der (an sich bestehende) Deckungsanspruch des VN gegen den HaftpflichtVR verjährt ist (dazu bereits Rn. 11). Hiervon zu trennen ist die Frage, innerhalb welcher Zeit der Dritte im Rahmen des § 117 Abs. 1 bzw. 2 gegen den HaftpflichtVR vorgehen kann. Dabei ist es zum einen möglich, dass dem Dritten gem. § 115 i. V. m. § 117 Abs. 1, 2 ein Direktanspruch zusteht; zu der Verjährung des Direktanspruchs vgl. § 115 Rn. 56 ff. Zum anderen ist es denkbar, dass dem Dritten gerade kein Direktanspruch zusteht, sondern der Dritte den über § 117 Abs. 1 bzw. 2 fingierten Deckungsanspruch des VN gegen den HaftpflichtVR im Wege der Zwangsvollstreckung pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen muss (vgl. oben Rn. 16). Für diese Konstellation gilt Folgendes: Der durch § 117 Abs. 1 bzw. 2 fingierte Versicherungsanspruch wird für den geschädigten Dritten erst durch die Pfändung und Überweisung zu einem durchsetzbaren Zahlungsanspruch, der der Verjährung unterliegt.272 Für die Verjährung gelten die allgemeinen Verjährungsregeln und damit § 199 Abs. 1 BGB.273 Im Rahmen der Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB ist aber zu beachten, dass – wie soeben ausgeführt – der für den geschädigten Dritten über § 117 Abs. 1 bzw. 2 fingierte Anspruch des VN gegen den HaftpflichtVR erst geltend gemacht werden kann, wenn der Dritte diesen Anspruch gepfändet und überwiesen erhalten hat.274 Hieraus folgt, dass die Verjährungsfrist gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Dritte aufgrund eines vollstreckbaren Titels gegen den VN dessen fingierten Versicherungsanspruch pfänden und sich hat überweisen lassen. Zur früheren Rechtslage hat der BGH die Verjährung bereits mit dem Schluss des Jahres beginnen lassen, in dem der Dritte einen Vollstreckungstitel gegen den VN hatte erstreiten können.275 Indes ist dem

270 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 43; Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 40; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 53; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 28. 271 OLG Köln 29.5.1996 – 27 U 6/96, VersR 1997 225, 227 (juris Rn. 24). 272 BGH 15.2.1968 – II ZR 101/65, VersR 1968 361, 362 (juris Rn. 21); Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 58; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 36; a. A. offenbar Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 56, wonach ein „kranker“ Deckungsanspruch wie ein bestehender Deckungsanspruch verjährt. 273 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 36. 274 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 36; Berliner Kommentar/Beckmann § 158c Rn. 58. 275 Vgl. BGH 15.2.1968 – II ZR 101/65, VersR 1968 361, 362 f. (juris Rn. 20 ff.); später offen lassend BGH 27.11.1968 – IV ZR 501/68, VersR 1969 127, 128; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 36. 621

Beckmann

§ 117 VVG

Leistungspflicht gegenüber Dritten

Dritten zuzugestehen, dass er jedenfalls die für das Haftpflichtverhältnis geltende Verjährung ausschöpfen kann.276 110 Der Regressanspruch des HaftpflichtVR gegenüber dem VN bzw. Versicherten nach § 117 Abs. 5 verjährt zur gleichen Zeit wie der zugrunde liegende Schadensersatzanspruch des Geschädigten.277 Es handelt sich hierbei gerade nicht um einen versicherungsvertraglichen Anspruch. Dauert ein zwischen VN und VR geführter Deckungsprozess so lange an, dass der Regressanspruch nach Abs. 5 währenddessen verjährt, so kann sich der VN ohne Verstoß gegen Treu und Glauben auf die Verjährung berufen.278 Der VR muss legitime Mittel ergreifen, um die Verjährung zu hemmen (Widerklage, Abrede, usw.).

C. Abdingbarkeit 111 Die Vorschrift des § 117 ist zwingendes Recht zugunsten des geschädigten Dritten, des VN und des (Mit-)Versicherten (vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 52). Soweit die Vorschrift darüber hinaus auch den Schutz des HaftpflichtVR bezweckt, ist auch dies zwingend (vgl. den Fall der Subsidiaritätsklauseln). Der Norm liegt eine ausgewogene Risikoverteilung zugrunde, die nicht durch vertragliche Abreden geändert werden kann. Einer besonderen Klarstellung der Unabdingbarkeit bedurfte es daher nicht.279

D. Prozessuales 112 Im Verhältnis zwischen Drittem und VR ist es für die Haftung des VR zunächst einmal unerheblich, ob der VR gegenüber seinem VN leistungspflichtig ist oder nicht, vgl. § 117 Abs. 1 und Abs. 2. Hat der Geschädigte gegen den Schädiger einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlangt oder geht er – in den Fällen des § 115 Abs. 1 – im Wege der Direktklage gegen den HaftpflichtVR vor, so hat der Geschädigte die Umstände zu beweisen, die auch der VN im Deckungsprozess beweisen müsste.280 Im Rahmen von Pflichthaftpflichtversicherungen kann sich der VR gegenüber dem geschädigten Dritten zunächst nicht auf die im Innenverhältnis gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit berufen. Durch den Beweis der die Leistungsfreiheit begründenden Umstände ist ihm allerdings die Möglichkeit eröffnet, die Einwendungen des § 117 (insbesondere gem. Abs. 3 und 4) auch dem Dritten gegenüber zu erheben. Daher muss er die Umstände beweisen, die zu seiner Leistungsfreiheit führen (siehe hierzu Rn. 8 ff.). 113 Behauptet der VR im Folgenden, dass der Versicherungsfall zu einer Zeit eingetreten ist, zu der die Nachhaftungsfrist des Abs. 2 bzw. Abs. 6 bereits verstrichen war, so muss er den Zugang der Anzeige bei der zuständigen Behörde nachweisen, sowie im Streitfall auch den Zeitpunkt.281 Beides sollte wenig Probleme bereiten, da die Behörde zumeist zur Rückmeldung an den VR gesetzlich verpflichtet ist, vgl. z. B. §§ 25 Abs. 2, 24 Abs. 2 FZG.282 Ist keine zuständige Stelle vorhanden, so genügt ein Verweis hierauf. Zu beachten ist, dass der VR gleichzeitig auch den Zugang einer Kündigung bzw. einer Rücktrittserklärung nachweisen muss, wenn er die Beendigung des Versicherungsverhältnisses nach Abs. 2 behauptet, denn ohne wirksame Kündi-

Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 117 Rn. 36; kritisch Langheid/Rixecker/Langheid6 § 117 Rn. 56. Prölss/Martin/Klimke31 § 117 Rn. 46; Hübner/Lew Schneider RuS 2002 89, 94. BGH 27.10.1971 – IV ZR 182/69, VersR 1972 62, 63 (juris Rn. 10 ff.). BTDrucks. 16/3945 S. 87. BGH 16.9.1986 – VI ZR 159/85, VersR 1987 37, 39 (juris Rn. 29); Baumgärtel/Prölss § 158c Rn. 3 m. w. N.; Langheid/Rixecker/Langheid/Langheid6 § 117 Rn. 37; Römer/Langheid/Langheid2 § 158c Rn. 31. 281 OLG Celle 14.7.1954 – 1 U 34/54, VersR 1954 427; Baumgärtel/Prölss § 158c Rn. 2 m. w. N. 282 Skauradszun VersR 2009 330.

276 277 278 279 280

Beckmann

622

D. Prozessuales

VVG § 117

gung kann die Nachhaftungsfrist materiell-rechtlich überhaupt nicht anlaufen. Der Beweis des Zugangs beim VN kann sich in der Praxis ggf. als schwierig gestalten.283 Hat der VR letztere Punkte bewiesen und ist nur noch streitig, ob der Versicherungsfall im 114 Zeitraum der Nachhaftung stattgefunden hat, so muss der Dritte beweisen, dass der Eintritt innerhalb der Nachhaftungsfrist erfolgt ist.284 Für den Fall der Insolvenz nach Abs. 6 gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend. Auch hier muss der Insolvenzverwalter die Anzeige und den Zeitpunkt bei der zuständigen Stelle beweisen. Ist keine zuständige Stelle vorhanden, muss er ansonsten beweisen, dass er die Beendigung des Versicherungsverhältnisses dem VN in Schriftform mitgeteilt hat. Nach Abs. 3 steht dem Dritten kein fingierter Deckungsanspruch zu, wenn der entstandene 115 Schaden nicht im Rahmen des vom VR übernommenen Risikos liegt. Der Dritte trägt insoweit die gleiche Beweislast wie zuvor der VN. Er muss ebenso darlegen und beweisen, dass der entstandene Schaden vom bestehenden Versicherungsverhältnis abgedeckt wäre. Dies gilt nur dann nicht, wenn der VR einwendet, er müsse aufgrund eines bestehenden Risikoausschlusses nicht haften. Dass ein Risikoausschluss für eben dieses Ereignis besteht, muss der VR selbst darlegen und beweisen.285 Den Einwand, dass der Geschädigte bei einem anderen SchadensVR oder SVT Ersatz sei- 116 nes Schadens verlangen kann nach Abs. 3 Satz 2 muss wiederum der VR darlegen und beweisen.286

283 Allgemein aus neuerer Zeit Mrosk Der Nachweis des Zugangs von Willenserklärungen im Rechtsverkehr, NJW 2013 1481.

284 Baumgärtel/Prölss § 158c Rn. 2. 285 Baumgärtel/Prölss § 158c Rn. 5 m. w. N. 286 BGH 4.4.1978 – VI ZR 238/76, VersR 1978 609, 611 (juris Rn. 20); BGH 28.10.82 – III ZR 206/80, VersR 1983 84 (juris Rn. 7); OLG Koblenz 11.7.05 – 12 U 1602/03, VersR 2006 110 (juris Rn. 9). 623

Beckmann

§ 118 Rangfolge mehrerer Ansprüche (1) Übersteigen die Ansprüche auf Entschädigung, die auf Grund desselben Schadensereignisses zu leisten ist, die Versicherungssumme, wird die Versicherungssumme nach folgender Rangfolge, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge, an die Ersatzberechtigten ausgezahlt: 1. für Ansprüche wegen Personenschäden, soweit die Geschädigten nicht vom Schädiger, von einem anderen Versicherer als dessen Haftpflichtversicherer, einem Sozialversicherungsträger oder einem sonstigen Dritten Ersatz ihrer Schäden erlangen können; 2. für Ansprüche wegen sonstiger Schäden natürlicher und juristischer Personen des Privatrechts, soweit die Geschädigten nicht vom Schädiger, einem anderen Versicherer als dessen Haftpflichtversicherer oder einem Dritten Ersatz ihrer Schäden erlangen können; 3. für Ansprüche, die nach Privatrecht auf Versicherer oder sonstige Dritte wegen Personen- und sonstiger Schäden übergegangen sind; 4. für Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind; 5. für alle sonstigen Ansprüche. (2) Ist die Versicherungssumme unter Berücksichtigung nachrangiger Ansprüche erschöpft, kann sich ein vorrangig zu befriedigender Anspruchsberechtigter, der bei der Verteilung nicht berücksichtigt worden ist, nachträglich auf Absatz 1 nicht berufen, wenn der Versicherer mit der Geltendmachung dieses Anspruchs nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste.

Schrifttum Denck Das Befriedigungsvorrecht nach § 116 IV SGB X bei unzureichender Versicherungssumme, VersR 1987 629; Deinhardt Der Schutz des Verkehrsopfers bei Erschöpfung der Versicherungssumme, VersR 1980 412; Hessert Sozialversicherung und Schadensregulierung – Befriedigungsvorrechte nach § 116 SGB X und das Verteilungsverfahren nach § 156 III VVG, VersR 1997 39; Huber Probleme der über die Versicherungssumme hinausgehenden Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers gem. § 156 III VVG, VersR 1986 851; Konradi Das Kürzungs- und Verteilungsverfahren gem. §§ 155, 156 Abs. 3 VVG a. F. bzw. § 109 VVG, VersR 2009 321; Küppersbusch Die Ablösung der §§ 1542, 1543 RVO durch die §§ 116 bis 119 SGB X, VersR 1983 193; Langenick Probleme des Verteilungsverfahrens, insbesondere das in § 118 Abs. 1 VVG verborgene Super-Befriedigungsvorrecht, Sonderheft zu RuS 4/2011 70; Sieg Zur Auslegung des Teilungsabkommens und des § 156 III VVG, SGb 1983 151; Sprung Das Verteilungsverfahren bei Deckungsüberschreitung in der Kfz-Haftpflichtversicherung, VersR 1992 657; Wenke Verteilungspläne bei nicht ausreichender Deckungssumme in der Kfz-Haftpflichtversicherung, VersR 1983 900; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte und Normzweck

II.

Anwendungsbereich und Rahmenbedingun4 gen

II.

Die jeweiligen Ansprüche im Verteilungsplan 18

III.

Rangfolge, Abs. 1 Nr. 1–4

IV.

Verhältnismäßige Teilung bei gleichem 28 Rang

V.

Haftungssubsidiarität – Verweis auf andere Ersatzmöglichkeiten i.R.v. Abs. 1 Nr. 1 und 30 Nr. 2

1 21

9

B.

Tatbestand und Rechtsfolgen

I.

Übersteigen der Versicherungssumme, 9 Abs. 1

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522662-022

624

A. Einführung

1. 2. 3. VI. 1. 2.

Vorrangige Ersatzmöglichkeiten gem. Abs. 1 31 Nr. 1 bzw. Nr. 2 35 Anforderungen 39 Maßgeblicher Zeitpunkt 40 Nachträgliche Änderungen Geringere Ansprüche als zuvor kalku40 liert Nachträglich geltend gemachte Ansprüche, 41 Abs. 2 a) Haftpflichtversicherer hat nicht mit Anspruch gerechnet und musste es auch 44 nicht

b)

VVG § 118

Haftpflichtversicherer hat mit dem Anspruch gerechnet oder musste damit rech48 nen

C.

Abdingbarkeit

D.

Prozessuales

E.

Übergangsrecht

51 52 54

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte und Normzweck § 118 regelt die Rangfolge für den Fall, dass die Versicherungssumme eines Pflichthaftpflichtver- 1 sicherungsvertrages nicht ausreicht, um sämtliche Ansprüche zu begleichen, die aus einem zuvor eingetretenen Schadensereignis resultieren. Die Vorschrift ist im Rahmen der VVG-Reform 2008 neu in das Gesetz aufgenommen worden; die VVG-Reformkommission hatte bereits für die Pflichthaftpflichtversicherung eine eigene Regelung vorgeschlagen, die der heutigen Fassung des § 118 entspricht.1 Eine Vorschrift mit entsprechendem Regelungsgehalt speziell für die Pflichthaftpflichtversicherung existierte zuvor noch nicht. Für die freiwillige Haftpflichtversicherung fand sich das in § 156 Abs. 3 VVG a. F.2 (vgl. heute § 109) geregelte Verteilungsverfahren, das auf die Pflichthaftpflichtversicherung angewandt werden konnte. Das nun für die Pflichthaftpflichtversicherung in § 118 geregelte Verteilungsverfahren weicht hiervon indes ab und hat Vorrang vor dem für die freiwillige Haftpflichtversicherung geltenden § 109. Während das für die freiwillige Haftpflichtversicherung vorgesehene Verteilungsverfahren 2 gem. § 109 (früher § 156 Abs. 3 VVG a. F.) eine verhältnismäßige Teilung der Deckungssumme unter den einzelnen Geschädigten vorsieht (sog. Paritätsprinzip),3 rückt § 118 hiervon nun für die Pflichthaftpflichtversicherung deutlich ab.4 Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung dieser Vorschrift von dem Gedanken leiten lassen, „anderweitig nicht abgesicherten Individualansprüchen der Geschädigten einen Vorrang insbesondere vor öffentlichen Ersatzansprüchen einzuräumen“5 (sog. Rangfolgeprinzip). § 118 bezweckt für bestimmte Geschädigte damit ein Befriedigungsvorrecht. Privilegierungen bestimmter Gläubiger finden sich auch anderenorts, etwa in § 86 Abs. 1 Satz 2 oder in § 268 Abs. 3 Satz 2 BGB, § 426 Abs. 2 Satz 2 BGB oder in § 774 Abs. 1 Satz 2 BGB, die dem Prinzip des Vorrangs des unmittelbar Geschädigten bzw. ursprünglichen Gläubigers vor dem Regressgläubiger folgen;6 indes verankert § 118 nicht nur dieses Prinzip, sondern auch andere Kriterien (vgl. noch Rn. 21 ff.). Im Schrifttum wird teilweise kritisiert, dass die Neuregelung nur für die Pflichthaftpflichtversicherung eingeführt worden ist, nicht 1 Abschlussbericht, KomE S. 242, 372. 2 Zur Entwicklung des § 156 Abs. 3 VVG a. F. vgl. etwa Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 45. 3 Bereits das in § 156 Abs. 3 VVG a. F. (heute § 109) geregelte Paritätsprinzip weicht bewusst von dem in der Einzelzwangsvollstreckung geltenden Prioritätsprinzip ab; vgl. Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 45. Gleiches gilt für das in § 118 geregelte Verteilungsverfahren. 4 Vgl. Langenick Sonderheft zu RuS 4/2011 70, 77, wonach die bisherige Rechtslage zugunsten des Opferschutzes „faktisch ‚auf den Kopf gestellt‘“ worden ist. 5 BTDrucks. 16/3945 S. 90; vgl. bereits Abschlussbericht, KomE S. 372. 6 Vgl. Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 2. 625

Beckmann

§ 118 VVG

Rangfolge mehrerer Ansprüche

aber in die freiwillige Haftpflichtversicherung Eingang gefunden hat.7 Der Grund für die Beschränkung auf die Pflichthaftpflichtversicherung durch den Gesetzgeber liegt offenbar darin, dass sich in diesem Bereich die gravierendsten Großschäden ereignen können.8 3 Die vom Gesetzgeber durch Abs. 1 Nr. 1 bis 5 festgelegte Rangfolge9 ist ebenso auf Kritik gestoßen wie die Regelung über die anderweitige Ersatzmöglichkeit im Rahmen von Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2.10 Die Kritik mag gerechtfertigt sein, indes handelt es sich vor allem um rechtspolitische Fragen, wenn es etwa darum geht, welche Gläubiger vorrangig zu befriedigen sind. Hierüber lässt sich sicherlich diskutieren. Ob man dabei zu einem eindeutigen Ergebnis gelangen kann, erscheint aber zweifelhaft. Herauszustellen bleibt deshalb primär, dass die Neuregelung (im Gegensatz zur früheren Anwendung der Regelung über die freiwillige Haftpflichtversicherung gem. § 156 Abs. 3 VVG a. F. [heute § 109]) begrüßenswert ist.11 Soweit offene Fragen bei der Handhabung der Norm entstehen, bleibt ohnehin die grundsätzlich bestehende Möglichkeit, Konkretisierungen und Lösungen durch Rechtsprechung und Schrifttum zu entwickeln.

II. Anwendungsbereich und Rahmenbedingungen 4 Aus der systematischen Stellung ergibt sich, dass § 118 auf Pflichthaftpflichtversicherungen Anwendung findet. § 118 verdrängt in seinem Anwendungsbereich insbesondere die Vorschrift des § 109 und ist insoweit lex specialis.12 § 109 hingegen hat im Rahmen von Pflichthaftpflichtversicherungen zwar grundsätzlich keine Bedeutung; soweit indes einzelne Tatbestandsmerkmale und Grundsätze übereinstimmen, lassen sich zu § 109 bzw. § 156 Abs. 2 VVG a. F. ergangene Erkenntnisse auf § 118 übertragen. Insoweit kann insbesondere auf Entscheidungen, die zu diesen Vorschriften ergangen sind, auch im Rahmen von § 118 zurückgegriffen werden. Im Übrigen baut § 118 – wie auch die weiteren Vorschriften des Abschnitts über die Pflicht5 versicherung – auf den allgemeinen Regelungen der freiwilligen Haftpflichtversicherung gem. §§ 100 ff. auf. So gelten insbesondere § 101 Abs. 2 und § 107 Abs. 1 gleichsam auch für die Pflichthaftpflichtversicherung.13 Speziell für die Kfz-Haftpflichtversicherung ist darüber hinaus insbesondere § 8 KfzPflVV zu beachten. Nach § 101 Abs. 2 dürfen Kosten eines auf Veranlassung des VR geführten Rechtsstreits und Kosten einer Strafverfolgung nicht in die Versicherungssumme mit eingerechnet werden. § 107 Abs. 1 bestimmt, dass bei nicht ausreichend hohem Kapitalwert einer Rente, diese nur verhältnismäßig ausbezahlt wird. Dem ähnelnd regelt auch § 8 KfzPflVV die Berechnung der zu zahlenden Rente an den Geschädigten bei nicht ausreichender Versicherungssumme. 6 Keine Rolle spielt § 118 in einem möglicherweise zeitlich vorgehenden Haftpflichtprozess zwischen geschädigtem Dritten und VN bzw. versicherter Person; für die Haftpflichtfrage ist § 118 also ohne Bedeutung.14 Für die Rangfolge nach § 118 spielt es keine Rolle, ob dem Geschädigten ein Direktan7 spruch nach § 115 gegen den HaftpflichtVR zusteht, ob er aus vom VN abgetretenem Recht oder mittels Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vorgeht.15 Für die Anwendung des § 118 7 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 5; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 2. 8 Langenick Sonderheft zu RuS 4/2011 70, 77. 9 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 24. 10 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 8. 11 Vgl. etwa Langenick Sonderheft zu RuS 4/2011 70, 77. 12 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 118 Rn. 1; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 2; Langenick RuS Beilage 2011 70.

13 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 8. 14 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 3; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 13; Landheid/Wandt/Littbarski2 § 109 Rn. 50.

15 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 118 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 1; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 5; dazu Kommentierung zu § 115 Rn. 19. Beckmann

626

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 118

kommt es auch nicht darauf an, ob eine Haftung des VR im Rahmen von § 117 im Raum steht. Geht der Dritte – sei es im Wege der Direktklage, sei es nach Abtretung oder aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses – gegen den HaftpflichtVR prozessual vor, so ist § 118 bereits im Erkenntnisverfahren, nicht erst im Rahmen einer etwaigen Zwangsvollstreckung zu berücksichtigen.16 Kommt es gem. § 304 ZPO zu einem Zwischenurteil, so findet § 118 nicht im Verfahren über den Anspruchsgrund, sondern erst im Verfahren über die Anspruchshöhe Berücksichtigung.17 § 118 statuiert bei nicht ausreichender Versicherungssumme eine besondere Regulierungs- 8 pflicht des VR, aufgrund derer er zur Prüfung, Koordinierung und jeweiligen Berechnung der Ansprüche der Geschädigten herangezogen wird. Dieser Pflicht kann er sich nicht entziehen, insbesondere nicht durch Hinterlegung der Versicherungssumme nach § 372 BGB bzw. § 853 ZPO.18

B. Tatbestand und Rechtsfolgen I. Übersteigen der Versicherungssumme, Abs. 1 In Anbetracht der Tatsache, dass die vorgeschriebenen Mindestversicherungssummen in der Pflichthaftpflichtversicherung bereits relativ hoch angesetzt sind, regelt § 118 Abs. 1 den eher seltenen, aber insbesondere bei erheblichen Großschäden durchaus möglichen Fall, dass die zur Verfügung stehende Versicherungssumme nicht ausreicht, um alle Ansprüche aus dem Schadensereignis abzudecken. Die Vorschrift sieht vor, dass bestimmte Ansprüche als schutzwürdiger anzusehen sind und daher im Range höher stehen als andere Ansprüche. Das kann im gegebenen Fall dazu führen, dass manche Ansprüche voll, zum Teil oder aber überhaupt nicht mehr befriedigt werden. Dabei nimmt die Wahrscheinlichkeit, als Geschädigter volle Befriedigung zu erlangen, naturgemäß ab, je niedriger die Schutzbedürftigkeit des Anspruchs durch § 118 angesehen wird. Wesentliche Tatbestandsvoraussetzung ist zunächst, dass die Ansprüche auf Entschädigung, die aufgrund desselben Schadensereignisses zu leisten sind, die Versicherungssumme übersteigen. Die Tatbestandsvoraussetzung des Übersteigens der Versicherungssumme entspricht der Vorschrift des § 109 (vor der VVG-Reform 2008 § 156 Abs. 3 VVG a. F.), so dass die hierzu gewonnenen Erkenntnisse auch im Rahmen von § 118 herangezogen werden können.19 Für § 118 Abs. 1 kommt es auf die gesetzliche bzw. gegebenenfalls vertraglich zugesicherte Versicherungssumme an.20 Ob die Versicherungssumme überstiegen wird, ist anhand der Summe aller Forderungen zu ermitteln. Es ist dabei nicht von Belang, ob die Forderungen bereits rechtskräftig festgestellt, anerkannt oder durch Vergleich festgestellt wurden.21 Gleiches gilt für die Fälligkeit der geltend gemachten Ansprüche.22

16 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 3; vgl. BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, BGHZ 84 151, 154 ff. = VersR 1982 791, 793 (juris Rn. 20 ff.); OLG München 27.3.2003 – 1 U 4449/02, VersR 2005 89, 90 (juris Rn. 41 ff.). 17 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 3; vgl. OLG München 27.3.2003 – 1 U 4449/02, VersR 2005 89, 90 (juris Rn. 42). 18 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 3; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 3. 19 Vgl. bereits oben Rn. 1 ff.; damit kann insoweit auch auf die Kommentierung bei Bruck/Möller/R. Koch10 zu § 109 Bezug genommen werden. 20 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 10. 21 Vgl. BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, BGHZ 84 151, 152 ff. = VersR 1982 791, 792 f. (juris Rn. 19 ff.); Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Schimikowski4 § 118 Rn. 5. 22 Vgl. BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1679 (Rn. 7). 627

Beckmann

9

10

11 12

§ 118 VVG

Rangfolge mehrerer Ansprüche

Die Berechtigung einer geltend gemachten Forderung ist aber ohne Zweifel zunächst zu prüfen. Gerade darin liegt unter Umständen eine Schwierigkeit für den VR. Zum einen kann es Unsicherheiten im Hinblick auf die Höhe der geltend gemachten Forderungen geben, teilweise sind sie insgesamt unberechtigt und andere sind wiederum bislang nur dem Grunde nach festgestellt, in der Höhe aber noch unbekannt (zur Behandlung von Rentenansprüchen vgl. noch Rn. 19). Der VR ist jedoch im Regelfall daran interessiert, den Verwaltungsaufwand gering zu halten.23 Um eine zügige Abwicklung zu erreichen, muss er daher unter Umständen einzelne Schadenspositionen schätzen und auch alle dem Grunde nach berechtigten Forderungen miteinkalkulieren, unabhängig davon, ob sie schon angemeldet wurden. Der Maßstab ergibt sich dabei aus § 118 Abs. 2. Danach kann sich ein im Verteilungsverfahren nicht berücksichtigter Anspruchsinhaber nicht mehr auf Abs. 1 berufen, wenn der VR mit der Geltendmachung dieses Anspruchs nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste. Muss der VR also mit bestimmten Forderungen bzw. mit bestimmten Schadenshöhen rechnen,24 so hat er diese bei der Feststellung der Forderungen zu berücksichtigen und ggf. Rückstellungen zu bilden.25 Ergibt sich nach Durchführung der Verteilung, dass der VR mit einer nicht berücksichtigten Forderung hätte rechnen müssen, so ist die Forderung nachträglich in das Verteilungsverfahren einzubeziehen und dementsprechend durch den VR auszugleichen (vgl. noch Rn. 48). 14 Bei den Forderungen bleiben Zinsen außen vor, soweit sie nicht auf die Deckungssumme angerechnet werden.26 Von der Summe der zu erwartenden Forderungen sind noch Ausgleichsansprüche des HaftpflichtVR gegen andere SchadensVR und sonstige Schädiger abzuziehen.27 Die Berechnung, ob die Versicherungssumme überschritten wird, gestaltet sich grundsätz15 lich einfacher, wenn eine pauschale Versicherungssumme zur Verfügung steht; in diesem Falle kann die Ermittlung für alle Schadensarten (Personenschaden, Sachschaden, Vermögensschaden) einheitlich erfolgen.28 Etwas diffiziler wird es, wenn die Versicherungssumme nach Anspruchskategorien unterscheidet, etwa in der Kfz-Haftpflichtversicherung nach Personenund Sachschäden. Dann ist zunächst für jede einzelne Schadensart zu errechnen, inwieweit die jeweilige Versicherungssumme überschritten wird.29 Als maßgeblichen Zeitpunkt für die Frage, ob die Versicherungssumme überstiegen wird, 16 wird vielfach auf die Auszahlung der Versicherungssumme entsprechend der Verteilung abgestellt.30 Indes muss der VR ein Kürzungs- und Verteilungsverfahren durchführen, sobald er erkennt, dass die Versicherungssumme nicht ausreichen wird.31 Deshalb kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem der VR die zu berücksichtigenden Forderungen festgestellt hat, um den Kürzungs- und Verteilungsplan durchzuführen.32 13

23 24 25 26

Vgl. hierzu auch Sprung VersR 1992 657. Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 4. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. IV Anm. B 96. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 109 Rn. 8; Bruck/Möller/R. Koch10 § 109 Rn. 11; vgl. § 101 Abs. 2 Satz 2 und die dortige Kommentierung S. 140, 152. 27 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 118 Rn. 5; Bruck/Möller/R. Koch10 § 109 Rn. 12. 28 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 4; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 14. 29 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 118 Rn. 3 mit Verweis auf § 109 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 118 Rn. 5. 30 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 5; Prölss/Martin/Lücke29 § 109 Rn. 8, wobei in der neuesten Auflage (Prölss/Martin/Lücke31 § 109 Rn. 8) auf den Zeitpunkt der Erkennbarkeit einer drohenden Überschreitung der Deckungssumme abgestellt wird; a. A. Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 15. 31 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 118 Rn. 6. 32 Bruck/Möller/R. Koch10 § 109 Rn. 25; Langheid/Wandt/Littbarski2 § 109 Rn. 30; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst2 § 109 Rn. 5. Beckmann

628

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 118

Die Anzahl der beteiligten Personen ist für die Durchführung des Kürzungs- und Vertei- 17 lungsverfahrens unbeachtlich. Selbst wenn nur eine Person geschädigt wurde und daneben ein SVT Regressansprüche geltend macht, wird die geschädigte Person vorrangig befriedigt.33

II. Die jeweiligen Ansprüche im Verteilungsplan Im Verteilungsplan des VR müssen alle Forderungen erfasst werden, die bereits festgestellt sind 18 oder nur dem Grunde nach festgestellt sind; zudem sind die Forderungen zu berücksichtigen, die möglicherweise bestehen und vielleicht noch nicht angemeldet sind, aber mit denen der VR rechnen muss (oben Rn. 13). Die Erstellung erfordert daher eine gewisse Prognose des VR. Bereits festgestellte (insbesondere rechtskräftig oder infolge Anerkenntnis oder Vergleich festgestellte) Ansprüche können einfach erfasst werden und werden mit dem Nominalbetrag angesetzt.34 Insbesondere bei erst dem Grunde nach feststehenden Ansprüchen, bei denen die Schadenshöhe noch nicht eindeutig feststeht, bedarf es einer Schätzung durch den VR. Im Schrifttum wird insoweit unterschiedlich beurteilt, welche Anforderungen an eine solche Schätzung zu stellen sind. Vielfach wird darauf abgestellt, dass der VR im Regelfall den höchsten ernsthaft in Betracht kommenden Betrag anzusetzen habe.35 Demgegenüber wird vertreten, der VR habe die Entwicklung zugrunde zu legen, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge am wahrscheinlichsten sei.36 Im Rahmen dieser Diskussion lässt sich wiederum der durch § 118 Abs. 2 zum Ausdruck kommende Maßstab heranziehen. Zu berücksichtigen ist das, womit der VR rechnen muss.37 Dieser Maßstab spricht jedenfalls für vorsichtige Schätzungen des VR, die im Einzelfall über den gewöhnlichen Verlauf hinausgehen können. Hieraus folgt nicht zwingend der Ansatz von „Mondrenten“.38 Wenn dem Geschädigten in den Folgejahren wiederkehrende Leistungen, insbesondere (Er- 19 werbsunfähigen-)Rente zu zahlen sind, sind diese Ansprüche zu kapitalisieren.39 Für Rentenzahlungen ist somit ihr Kapitalwert maßgeblich.40 Bei der Errechnung des Kapitalwertes kann es mitunter erforderlich werden, dass im Rahmen einer jährlichen Überprüfung der Kapitalwert an Inflation, Teilhabe am Wirtschaftswachstum, Erhöhung der Pflegekosten und Ähnliches angepasst wird, weil derartige Erwägungen nur schwerlich im Vorhinein zu schätzen sind.41 Sofern es sich jedoch um Schmerzensgeldrenten handelt, ist der BGH im Hinblick auf eine Anpassung der Rente eher restriktiv. So bedarf es für eine Abänderung der Rente einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse i. S. v. § 323 ZPO, die jedenfalls dann noch nicht erreicht ist, wenn die Steigerung des Lebenshaltungsindexes unter 25 % liegt.42 Probleme im Zusammenhang mit Rentenzahlungen bestehen aber vor allem in Bezug auf die erwartete Dauer. Gerade bei lebenslang zu zahlenden Renten muss der VR eine ungefähre Lebensdauer des Geschädigten schätzen. Das 33 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. BGH 30.4.1975 – IV ZR 190/73, VersR 1975 558, 560 (juris Rn. 17). Prölss/Martin/Lücke31 § 109 Rn. 6; zu Zinsen vgl. bereits Rn. 14. Wenke VersR 1983 900; Bruck/Möller/R. Koch10 § 109 Rn. 12. Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 52. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 4. Langheid/Wandt/Brand3 § 118 Rn. 12. Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 52. Vgl. BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1680 (Rn. 13); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 4; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 11; Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 52; Bruck/Möller/R. Koch10 § 109 Rn. 12; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 118 Rn. 2; zur Berechnung des Kapitalwertes vgl. etwa Bruck/Möller/R. Koch10 § 107 Rn. 15 ff.; Langheid/Wandt/Littbarski2 § 109 Rn. 53, § 107 Rn. 31 ff.; Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 15 ff. 41 Wenke VersR 1983 900, 901; Sprung VersR 1992 657, 659; BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, BGHZ 84 151, 157 = VersR 1982 791, 793 (juris Rn. 27); wohl auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 47 f. a. A. Langheid/ Wandt/Brand2 § 118 Rn. 13. 42 BGH 15.5.2007 – VI ZR 150/06, VersR 2007 962 (Rn. 11), s. a. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 117 Rn. 49. 629

Beckmann

§ 118 VVG

Rangfolge mehrerer Ansprüche

ist insoweit ein zweischneidiges Schwert, als dass der VR das Risiko trägt, dass die tatsächliche Dauer die geschätzte Dauer überschreitet und er somit das Risiko trägt, letztlich doch über die Versicherungssumme hinaus bezahlen zu müssen.43 Auf der anderen Seite führt es aber auch zu einem Wegfall der Rentenzahlungspflicht, wenn das Ende vor dem angenommenen Zeitpunkt eintritt.44 20 Ansprüche, die noch nicht geltend gemacht wurden, mit denen aber wohl noch zu rechnen ist, müssen angemessen berücksichtigt werden.45 Das begründet keineswegs eine Nachforschungspflicht oder gar eine Hinweispflicht des VR. Soweit aber derartige Ansprüche bekannt sind oder sich aufdrängen, muss der VR hierfür Rückstellungen bilden.46

III. Rangfolge, Abs. 1 Nr. 1–4 21 Die Rangfolge des § 118 gewährt bestimmten Geschädigten ein Befriedigungsvorrecht. Zunächst genießen auf der ersten Rangebene gem. Abs. 1 Nr. 1 Personenschäden Vorrang vor den übrigen Schadensersatzansprüchen. Personenschäden haben damit grundsätzlich einen Vorrang etwa vor Sachschäden oder Vermögensschäden. Vielfach handelt es sich bei den dann in Rede stehenden Personenschäden um Schmerzensgeldansprüche. Denn aufgrund der Einschränkung im Rahmen von Abs. 1 Nr. 1 („soweit die Geschädigten nicht vom Schädiger, von einem anderen VR als HaftpflichtVR, einem SVT oder einem sonstigen Dritten Ersatz ihrer Schäden erlangen können“; dazu noch Rn. 30 ff.) werden vielfach Personenschäden nicht vom Rang gem. Abs. 1 Nr. 1 erfasst. Andererseits wird es durchaus auch Konstellationen geben, in denen ein SVT eben nicht vorhanden ist bzw. gar nicht alle Kosten übernimmt, so dass Heilungskosten durchaus vom Rang gem. Abs. 1 Nr. 1 erfasst sein können.47 Unter dem Begriff „Personenschäden“ sind Schäden zu verstehen, die durch den Tod, die Verletzung oder Gesundheitsschädigung eines Menschen entstanden sind.48 Erfasst sind (Folge-)Schäden materieller und immaterieller Art, also Heilungskosten, Erwerbsausfallschaden etc., Schmerzensgeld.49 Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob Ehrverletzungen und Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Personenschaden i. S. v. § 118 Abs. 1 Nr. 1 anzusehen sind. Soweit hiermit nicht Verletzungen, Gesundheitsschäden oder deren Folgeerscheinungen verbunden sind, wird dies teilweise abgelehnt.50 Schon die hiermit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten sprechen indes für die Gegenauffassung, die Ehrverletzungen und Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter Abs. 1 Nr. 1 subsumiert.51 Es erscheint schwer begründbar, gerade Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht als Personenschaden einzuordnen. Anspruchsinhaber von Ansprüchen i. S. d. Abs. 1 Nr. 1 können nur natürliche Personen sein, da nur sie einen Personenschaden erleiden können. Zu der bereits erwähnten Einschränkung des Abs. 1 Nr. 1, wonach sich Geschädigte nicht auf diesen Rang berufen können, soweit ihnen Ansprüche gegen bestimmte Dritte zustehen, vgl. noch Rn. 30 ff. 22 Auf der zweiten Ebene stehen gem. Abs. 1 Nr. 2 sonstige Ansprüche, die aus Vermögensund Sachschäden resultieren. Nach dem Wortlaut können Anspruchsinhaber nach Nr. 2 sowohl

43 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1680 (Rn. 11) („Rentenzahlungen können grds. nicht dazu führen, dass die Versicherungssumme erschöpft wird“); Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 13.

44 BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1680 (Rn. 13); Berliner Kommentar/Baumann § 155 Rn. 4; Langheid/ Wandt/Brand2 § 118 Rn. 13. 45 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 109 Rn. 4; Prölss/Martin/Lücke31 § 109 Rn. 6. 46 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 43. 47 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 10. 48 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 25; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 7. 49 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 25; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 7. 50 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 25. 51 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 12. Beckmann

630

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 118

natürliche, als auch juristische Personen des Privatrechts sein. Eine analoge Anwendung auf juristische Personen des öffentlichen Rechts kommt richtigerweise nicht in Betracht.52 Der Wille des Gesetzgebers, Individualansprüchen Vorrang vor sämtlichen öffentlichen Ersatzansprüchen zu gewähren, kommt durch die Vorschrift zum Ausdruck. Das lässt keinen Raum für eine Analogie, mag man auch über die Sinnhaftigkeit streiten. Auch Abs. 1 Nr. 2 enthält die gleiche Einschränkung wie Nr. 1 („soweit die Geschädigten nicht vom Schädiger, von einem anderen VR als HaftpflichtVR, einem SVT oder einem sonstigen Dritten Ersatz ihrer Schäden erlangen können“; dazu noch Rn. 30 ff.). Die dritte Rangebene gem. Abs. 1 Nr. 3 erfasst Ansprüche, die nach Privatrecht auf VR oder sonstige Dritte wegen Personen- und sonstiger Schäden übergegangen sind. Gemeint sind zum einen private VR, auf die der Schadensersatzanspruch des geschädigten Dritten gem. § 86 oder im Wege einer Abtretung übergegangen ist; in Frage kommen insbesondere KrankenVR, SachVR, KaskoVR etc. Als private Dritte sind insbesondere Arbeitgeber zu nennen, die etwa Schadensersatzansprüche im Wege einer Legalzession gem. § 6 des Entgeltfortzahlungsgesetzes erworben haben. Die vierte Rangebene erfasst Ansprüche, die auf SVT übergegangen sind. Hierzu zählen vor allem Ansprüche, die im Wege der Legalzession nach § 116 SGB X übergehen. Zuletzt sind alle sonstigen Ansprüche zu befriedigen, die nicht schon unter die Nr. 1–4 fallen. Unter Nr. 5 sind insbesondere Ersatzansprüche der öffentlichen Hand zu subsumieren. Berechnungsbeispiele finden sich bei Langenick Sonderheft zu RuS 4/2011 70, 75 f.

23

24

25 26 27

IV. Verhältnismäßige Teilung bei gleichem Rang Sind mehrere Geschädigte vorhanden, die Ansprüche vom gleichen Rang geltend machen und 28 reicht hierfür die Versicherungssumme nicht aus, so erfolgt gem. § 118 Abs. 1 eine Auszahlung „nach dem Verhältnis ihrer Beiträge“. Sind etwa mehrere Personen durch einen Unfall verletzt worden und übersteigen bereits deren Ansprüche die Versicherungssumme, so bleibt das weitere Rangfolgeprinzip (Rn. 21 ff.) außer Betracht. Vielmehr muss der VR alle Ansprüche dieser Geschädigten zusammenrechnen und in das Verhältnis zur Versicherungssumme setzen. In diesem Fall ist die Rechtslage damit identisch zu § 109 (vor der VVG-Reform § 156 Abs. 3 VVG a. F.) und es kommt zu einer gleichmäßigen Befriedigung der entsprechenden Ansprüche; es gelten die Ausführungen in der Kommentierung des § 109. Auch in diesem Falle gilt damit nicht das Prioritätsprinzip. Meldet sich nach Auszahlung an die bisher bekannten Gläubiger ein weiterer, bisher unbe- 29 kannter Gläubiger, so richtet sich die Frage, ob dieser noch zu berücksichtigen ist, nicht unmittelbar nach Abs. 2; diese Regelung kann insoweit indes entsprechend angewandt werden (vgl. noch Rn. 43); es kommt also darauf an, ob der VR mit der Geltendmachung dieses Anspruchs gerechnet hat oder rechnen musste53 (zu weiteren Fallkonstellationen im Rahmen von Abs. 2 vgl. im Übrigen Rn. 41 ff.).

V. Haftungssubsidiarität – Verweis auf andere Ersatzmöglichkeiten i.R.v. Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 § 118 enthält Verweise auf andere Haftungssubjekte als Befriedigungsmöglichkeit für den Ge- 30 schädigten. Sowohl in Abs. 1 Nr. 1 als auch in Abs. 1 Nr. 2 findet sich die Einschränkung, dass den Geschädigten dieses Ranges nur insoweit ein Befriedigungsvorrecht zusteht, als sie nicht 52 So Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 13 f.; a. A. zu Recht Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 28; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 7. 53 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 6. 631

Beckmann

§ 118 VVG

Rangfolge mehrerer Ansprüche

von dem Schädiger, von einem anderen VR als dessen HaftpflichtVR, einem Sozialversicherungsträger (nur Nr. 1) oder einem (sonstigen) Dritten Ersatz ihrer Schäden verlangen können. Im Hinblick auf den Verweis auf einen anderen VR und auf einen SVT ähnelt diese Einschränkung dem Verweisungsprivileg aus § 117 Abs. 3 Satz 2.

1. Vorrangige Ersatzmöglichkeiten gem. Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 31 Die erste der vier Verweisungsalternativen bezieht sich auf eine mögliche Ersatzpflicht des Schädigers selbst. Denkbar wäre somit, dass der Geschädigte erst ausloten muss, ob er beim Schädiger Ersatz seines Schadens erlangen kann. Ob der Schädiger überhaupt als vorrangiger Ersatzpflichtiger in Betracht kommt, ist allerdings umstritten. Nach dem Standpunkt von Huber kann es gar nicht auf die Ersatzpflicht des Schädigers ankommen, da für diesen ja gerade der PflichthaftpflichtVR einstehen müsse, weshalb nur der Mitschädiger gemeint sein könne.54 Dagegen wird eingewandt, dass der Schädiger immer für überschießende Beträge haftbar bleibe, solange und soweit die Leistungspflicht des VR nicht ausreicht.55 Des Weiteren ist es möglich, dass der HaftpflichtVR gegenüber dem VN leistungsfrei ist und als VR gegenüber dem geschädigten Dritten im Rahmen von § 117 haftet; auch für diesen Fall gilt § 118 (oben Rn. 7). Auch dieser Aspekt spricht dafür, dass eine (vorrangige) Haftung des Schädigers im Rahmen des Befriedigungsvorranges gem. § 118 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 eine Rolle spielt. Hinzu kommt, dass die in Rede stehende Einschränkung nach Nr. 1 und Nr. 2 im Falle einer anderweitigen Befriedigungsmöglichkeit zugunsten des Geschädigten nur dann eingreift, wenn eine solche auch realisierbar ist56 (vgl. noch Rn. 37). Gleichwohl ist die Kritik57 an dieser Regelung nachvollziehbar; ihre Wirkung lässt sich indes aus dem zuletzt genannten Grund abmildern. 32 Weiterhin wird der Geschädigte zunächst an andere VR und SVT verwiesen. Anders als im Rahmen von § 117 Abs. 3 Satz 2 sind davon sämtliche VR umfasst und nicht nur SchadensVR. Ausweislich des Wortlauts des § 118 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 ist nicht der Pflichthaftpflichtversicherer des Schädigers gemeint, der ja Normadressat des § 118 ist.58 Denkbar ist etwa die Konstellation, dass der Schädiger zwei Haftpflichtversicherungen unterhält, die beide das eingetretene Risiko abdecken. In diesem Fall müsste sich der Geschädigte zunächst an den HaftpflichtVR wenden, dessen Versicherungssumme noch nicht erschöpft ist. Auch eine eigene Versicherung des Geschädigten bei einem SchadensVR (z. B. KaskoV) würde in den Anwendungsbereich dieser Einschränkung fallen.59 33 Des Weiteren greifen die Einschränkungen gem. Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 auch ein, soweit ein Geschädigter von einem SVT Ersatz seiner Schäden erlangen kann. 34 Zuletzt würde auch die Ersatzmöglichkeit bei (sonstigen) Dritten dem Befriedigungsvorrecht nach Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 entgegenstehen. Obgleich nur im Rahmen von Abs. 1 Nr. 1 von „sonstigen Dritten“ die Rede ist (nicht hingegen bei Abs. 1 Nr. 2), sind in beiden Fällen sonstige Dritte (also weitere Ersatzpflichtige) gemeint, mithin nicht der geschädigte Dritte i. S. d. §§ 113 ff.60 Dieser weiteren Ersatzmöglichkeit zugunsten des geschädigten Dritten kommt insoweit Auffangfunktion zu, so dass hiervon alle Fälle umfasst werden, die nicht bereits durch die ersten drei Alternativen genannt sind. Hierzu zählen i. d. R. Arbeitgeber, die Entgeltfortzahlun54 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 20; kritisch auch Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 8. Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 7; so i. E. auch Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 23. So letztlich auch Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 5; ähnlich Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 8. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 20; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 8. Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 21; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 23. Ebenso Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 23; vgl. aber Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber2 § 118 Rn. 30 f. 60 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 21; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 15.

55 56 57 58 59

Beckmann

632

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 118

gen gewährt haben, ein privater Krankenversicherer oder die Bundesanstalt für Arbeit, die Arbeitslosengeld gezahlt hat.61 Folglich müsste der Geschädigte jede sich ihm bietende Ersatzmöglichkeit ausschöpfen, um sein Befriedigungsvorrecht nach Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 zu erlangen (dazu sogleich Rn. 35 ff.).

2. Anforderungen Ansprüche geschädigter Dritte sind im ersten bzw. zweiten Rang nur zu berücksichtigen, 35 „soweit die Geschädigten nicht vom Schädiger, von einem anderen VR als dessen VR, einem SVT oder einem (sonstigen) Dritten Ersatz ihrer Schäden erlangen können“. Nicht ganz einheitlich wird im Schrifttum die Frage erörtert, was vom geschädigten Dritten erwartet wird, damit diese Einschränkung nicht eingreift und die Ansprüche im ersten bzw. zweiten Rang „verbleiben“. Unproblematisch greift die Einschränkung ein, wenn einer der in Rede stehenden Verpflichteten bereits einen entsprechenden Schaden des geschädigten Dritten ausgeglichen hat. Darüber hinaus erscheint es als selbstverständlich, dass entsprechende Ansprüche des geschädigten Dritten überhaupt bestehen müssen; anderenfalls könnte er von vorneherein keinen Ersatz von einem anderen verlangen. Andererseits wird man nicht sagen können, dass allein das Bestehen eines Anspruchs des geschädigten Dritten zum Eingreifen der Einschränkung führt. Ebenso wenig kann es darauf ankommen, dass der Geschädigte zuvor prozessual oder sogar im Wege der Zwangsvollstreckung Durchsetzungsversuche unternommen haben muss. Denn Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 enthalten z. B. keine dem § 771 Satz 1 BGB vergleichbare gesetzliche Vorgabe. Zudem wäre eine solche Sichtweise nicht mit dem Zweck des § 118 zu vereinbaren. Der Geschädigte soll durch § 118 bessergestellt werden, als er etwa im gewöhnlichen Verteilungsverfahren nach § 109 (§ 156 Abs. 3 VVG a. F.) stünde. Würde man vom Geschädigten zunächst verlangen, gegen die in Rede stehenden Schuldner etwa prozessual vorgehen zu müssen, würde der Geschädigte im Ergebnis schlechter stehen.62 Voraussetzung ist vielmehr, dass die Geschädigten nicht bei einem der genannten Schuldner Ersatz „erlangen können“. Das bedeutet, dass es auf eine rechtliche und tatsächliche Möglichkeit des Schadensausgleichs ankommt. Huber schlägt vor, diese Verweisungskette stark teleologisch zu reduzieren. Der Verweis auf 36 den Schädiger selbst passe nicht und sei daher nicht mitzulesen (vgl. bereits oben Rn. 31). Auch die Verweisungsmöglichkeit auf (sonstige) Dritte sei teleologisch auf wenige Fälle zu reduzieren, in denen die Solvenz des Dritten außer Zweifel stünde.63 Eine solche weitgehende teleologische Reduktion würde indes kaum noch mit dem recht klaren Wortlaut zu vereinbaren sein; die Regelung würde auf einen äußerst geringen, kaum gewollten Regelungsgehalt beschränkt. Die Einschränkungen gem. § 118 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 sind neben dem Wortlaut insbeson- 37 dere aufgrund der Systematik und nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen. Hinter diesen Einschränkungen steckt die Vorstellung, dass es eines Befriedigungsvorrechts dann nicht bedarf, wenn der Geschädigte anderweitig Ersatz finden kann. Dann fehlt ihm die Schutzbedürftigkeit. Vor diesem Hintergrund kommt es darauf an, dass die anderweitige Befriedigungsmöglichkeit tatsächlich auch realisierbar ist.64 Schwartze weist zu Recht darauf hin, dass dem Tatbestandsmerkmal „können“ die Einschränkung innewohnt, dass zumindest die Solvenz des Dritten gesi-

Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 23. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 19 f.; wohl auch Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 8. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 21 f. Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 22; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 8.

61 62 63 64

633

Beckmann

§ 118 VVG

Rangfolge mehrerer Ansprüche

chert sein muss;65 d. h. der Anspruch muss wirtschaftlich realisierbar sein.66 Dagegen kommt es nicht darauf an, ob der Geschädigte ihn auch tatsächlich geltend macht. Schließlich gilt auch hier – wie im Rahmen von § 117 Abs. 3 Satz 2 – die Grenze der Unzumutbarkeit; es bleibt also beim ersten bzw. beim zweiten Rang, wenn die Geltendmachung des Anspruchs nur unter besonderen Verzögerungen und Erschwerungen möglich ist.67 38 Von Bedeutung ist schließlich die Darlegungs- und Beweislast für die Verwirklichung dieses Tatbestands, die den HaftpflichtVR trifft. Dieser muss darlegen und beweisen, dass dem geschädigten Dritten eine anderweitige Ersatzmöglichkeit gegen den Schädiger oder sonstige Dritte zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund werden die Interessen des geschädigten Dritten, möglichst einen hohen Rang zu erlangen, nicht unangemessen beeinträchtigt. Erst dann, wenn dem VR dieser Beweis gelingt, verliert der betroffene Dritte seine Rangposition.

3. Maßgeblicher Zeitpunkt 39 Im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt stellen Stimmen im Schrifttum auf den Schadenseintritt ab.68 Dies erscheint indes fragwürdig. Im Zeitpunkt des Schadenseintritts lässt sich vielfach noch gar nicht absehen, ob und in welchem Umfang überhaupt eine anderweitige Ersatzmöglichkeit i. S. v. Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 vorliegt. Dies zeigt sich vielfach erst, wenn feststeht, welche Ansprüche auf den HaftpflichtVR zukommen. Im Hinblick auf die anderweitige Ersatzmöglichkeit ist deshalb auf den gleichen Zeitpunkt abzustellen, in dem der VR feststellt, dass die geltend gemachten Ansprüche die Versicherungssumme übersteigen.

VI. Nachträgliche Änderungen 1. Geringere Ansprüche als zuvor kalkuliert 40 Da der Verteilungsplan je nach Umständen mehr oder minder auf Prognosen und Schätzungen basiert (vgl. oben Rn. 18), kann es natürlich vorkommen, dass sich ein ursprünglich höher kalkulierter Anspruch später als niedriger erweist oder sogar im Ganzen als unberechtigt anzusehen ist. Reicht nach dieser Feststellung die Versicherungssumme doch noch aus, um alle anderen Anspruchssteller zu befriedigen, so muss die nunmehr „freigewordene“ Versicherungssumme an diese ausbezahlt werden.69 Sie erhalten also die Differenz aus dem bereits ausbezahlten Betrag und dem ihnen in Wirklichkeit zustehenden Anspruch. Genügt die Versicherungssumme hingegen noch nicht, um volle Befriedigung zu gewährleisten, so erfolgt zumindest eine Ausschüttung der übrigen zur Verfügung stehenden Versicherungssumme an die Anspruchssteller nach ihrem jeweiligen Verhältnis.70 Als Ausnahme ist hier nur der Fall anzuführen, dass an einen Anspruchsteller eine Rente ausbezahlt wird und die Rentenzahlungen vor dem eigentlich erwarteten Zeitpunkt enden (z. B. Tod des Geschädigten). Weder das Überschreiten der Versicherungssumme, noch die vorzeitige Entlastung des VR berühren die Auszahlungspflicht des VR (siehe bereits Rn. 19).

65 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 8; so auch Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 22; Prölss/Martin/ Klimke31 § 118 Rn. 5. 66 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 22; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 118 Rn. 6; Prölss/Martin/ Klimke31 § 118 Rn. 5. 67 Vgl. § 117 Rn. 56 ff.; BGH 4.4.1978 – VI ZR 238/76, VersR 1978 609, 611 (juris Rn. 19). 68 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 22; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 5. 69 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 16; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 109 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Huber3 § 118 Rn. 60. 70 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 16. Beckmann

634

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 118

2. Nachträglich geltend gemachte Ansprüche, Abs. 2 Ist das Verteilungsverfahren abgeschlossen und wurden die angemeldeten Forderungen nach 41 ihrem Rang bzw. ihrem Verhältnis befriedigt, kann ein vorrangig zu befriedigender Anspruchsberechtigter, der bei diesem Verteilungsverfahren nicht berücksichtigt wurde, sich nicht nach § 118 Abs. 2 auf seinen Rang berufen, wenn der VR mit diesem Anspruch zur Zeit der Durchführung des Verfahrens nicht gerechnet hat oder damit nicht rechnen musste. Ein einmal erfolgtes Verteilungsverfahren wird also grundsätzlich nicht mehr nachträglich geändert, sondern bleibt bestehen, wenn dem HaftpflichtVR bei der Verfahrensdurchführung kein Vorwurf gemacht werden kann. Verspätet angemeldete Forderungen laufen dann ins Leere. Ob das Verteilungsverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen wurde, muss der VR bewei- 42 sen.71 Die Darlegungs- und Beweislast erstreckt sich dabei sowohl auf die Erschöpfung der Versicherungssumme, als auch auf den Zeitpunkt der Auszahlung. Denn ob das Verfahren abgeschlossen ist, richtet sich nach dem Zeitpunkt der Auszahlung.72 Die Versicherungssumme muss dabei vollständig ausbezahlt worden sein.73 Ist die Versicherungssumme erst zu einem Teil ausbezahlt, kann die Anmeldung des Geschädigten demnach nicht zu spät erfolgen. Er muss genauso behandelt werden, als ob er von Anfang an seinen Anspruch angemeldet hätte. Die Quoten sind dann vom VR neu zu berechnen. Eventuell zu viel gezahlte Beträge sind zurückzufordern (vgl. noch Rn. 49 f.). Abs. 2 ist auch auf gleichrangige Ansprüche anwendbar. Vom Wortlaut des Abs. 2 wer- 43 den zwar nur Anspruchssteller erfasst, die ansonsten vorrangig zu befriedigen gewesen wären. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass bereits § 156 Abs. 3 Satz 2 a. F. einen Anspruchsausschluss für gleichrangige Ansprüche vorsah.74 Zur alten Regelung existierte jedoch keine Rangfolgeregelung. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum ranghöhere Ansprüche nach der neuen Regelung schlechter gestellt werden sollten als gleichrangige Ansprüche. Abs. 2 zielt auf ein endgültiges Bestehen eines einmal erfolgten Verteilungsverfahrens ab. Weshalb daher bei nachträglicher Geltendmachung eines gleichrangigen Anspruchs, mit dem der VR nicht rechnen musste, der Ausschlusstatbestand nicht eingreifen soll, ist nicht zu erklären. Insoweit handelt es sich hierbei um ein gesetzgeberisches Versehen.75 Einer analogen Anwendung des § 109 Satz 2 auf nicht berücksichtigte gleichrangige Ansprüche bedarf es demnach – entgegen einiger Stimmen in der Literatur76 – nicht.77

a) Haftpflichtversicherer hat nicht mit Anspruch gerechnet und musste es auch nicht. 44 Der HaftpflichtVR kann sich auf den Ausschlusstatbestand des Abs. 2 dann berufen, wenn er mit der nachträglichen Geltendmachung des Anspruchs des vorrangig (oder gleichrangig) zu befriedigenden Geschädigten nicht gerechnet hat oder nicht rechnen musste. Die Formulierung „gerechnet hat“ ist noch nicht unbedingt mit positiver Kenntnis gleichzusetzen; indes lässt sich sagen, dass der VR, der mit einem entsprechenden Anspruch gerechnet hat und diesen gleichwohl nicht berücksichtigt, praktisch einen fehlerhaften Verteilungsplan in Kauf nimmt. Das Tatbestandsmerkmal „rechnen musste“ entspricht einem fahrlässigen Verhalten des VR, das sich 71 BGH 12.6.1980 – IVa ZR 9/80, VersR 1980 817, 819 (juris Rn. 15); BGH 10.10.2006 – VI ZR 44/05, VersR 2006 1680 f. (Rn. 18); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 5. 72 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 38. 73 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 10; Prölss/Martin/Lücke31 § 109 Rn. 12; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 9 f.; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 38; a. A. Huber VersR 1986 851. 74 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 10. 75 So auch Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 39; zustimmend Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 38. 76 Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 9; eine analoge Anwendung des § 109 Satz 2 zumindest in Betracht ziehend Langheid/Rixecker/Langheid6 § 118 Rn. 4. 77 So auch Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 39. 635

Beckmann

§ 118 VVG

Rangfolge mehrerer Ansprüche

nach § 276 Abs. 2 BGB richtet.78 Den VR trifft keine Nachforschungs- und Erkundungspflicht.79 Vielfach findet sich noch weitergehend die Formulierung, die an den VR zu stellenden Anforderungen dürften nicht überspannt werden.80 Indes gelten die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen gem. § 276 Abs. 2 BGB; hierbei sind selbstverständlich einhergehende Schwierigkeiten bei ggf. erforderlichen Prognosen und Schätzungen des HaftpflichtVR zu berücksichtigen. 45 Den HaftpflichtVR trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er mit den später angemeldeten Ansprüchen nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste.81 Dringt der Geschädigte mit seinem nachträglich geltend gemachten Anspruch nach Abs. 2 46 nicht mehr gegen den VR durch, so stellt sich die Frage nach Ansprüchen des verspätet vorgehenden Schädigers gegen zuvor befriedigte andere Geschädigte, ob er sich also an die bereits befriedigten anderen Geschädigten wenden kann und von ihnen den Betrag herausverlangen kann, den sie nicht erhalten hätten, wenn er rechtzeitig seinen Anspruch angemeldet hätte. Teile der Literatur bejahen hier einen Anspruch des Geschädigten aus § 816 Abs. 2 BGB.82 Ihrer Ansicht nach sei kein Rechtsgrund vorhanden hinsichtlich der im Grunde zu viel erhaltenen Zahlung. Die bereits befriedigten Gläubiger seien insofern als Nichtberechtigte anzusehen. Dem ist nicht zu folgen. Es mangelt an dem Tatbestandsmerkmal des „Nichtberechtigten“. Nichtberechtigter i. S. d. § 816 Abs. 2 ist, wer weder Inhaber des jeweiligen Anspruchs ist, noch zur Einziehung der Forderung aufgrund eines Rechtsgeschäfts oder kraft Gesetzes befugt war.83 Selbst wenn man noch argumentieren möchte, dass der befriedigte Geschädigte nicht Inhaber des Anspruchs in eben dieser Höhe sei, so ist er dennoch kraft Gesetzes zur Entgegennahme befugt. § 118 stellt eine abschließende Regelung dar. Wenn ein Verteilungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, so soll derjenige, der die Leistung vom VR erhält, diese auch abschließend behalten können. Ein Anspruch des nicht rechtzeitig erschienenen Anspruchsstellers nach § 816 Abs. 2 BGB besteht demnach nicht.84 Unbenommen bleibt es dem zu spät kommenden Dritten, der seinen Anspruch zu spät an47 gemeldet hat, seinen Anspruch weiterhin gegen den VN als Schädiger zu verfolgen. Sein Anspruch gegen ihn wird durch § 118 nicht berührt.85

48 b) Haftpflichtversicherer hat mit dem Anspruch gerechnet oder musste damit rechnen. Hat der VR mit dem später geltend gemachten Anspruch gerechnet oder musste er mit diesem rechnen, so hätte er für diesen entsprechende Rückstellung zu bilden gehabt (Rn. 20). Das Befriedigungsverhältnis für die übrigen Ansprüche hätte sich demnach verringert und auch der verspätet geltend gemachte Anspruch hätte noch Befriedigung erfahren. Hat der VR mit dem Anspruch gerechnet oder hätte er damit rechnen müssen, so ist der nicht rechtzeitig geltend gemachte Anspruch so zu stellen, als sei er rechtzeitig geltend gemacht worden. Eine zuvor zu hoch ausbezahlte Quote geht zunächst einmal zu Lasten des VR (zum Bereicherungsanspruch gegen den VN sogleich). Der nachträglich angemeldete Anspruch ist dann entsprechend der Quote zu befriedigen, die auf ihn bei rechtzeitiger Anmeldung entfallen wäre. Dass es dabei zu

Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 11; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 41. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 11. Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 41; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 11. Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 41; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 11. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 66 f.; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 101; Hessert VersR 1997 39, 42 f. gegenüber einem Sozialversicherungsträger aufgrund § 116 Abs. 1 SGB X. 83 Vgl. etwa BeckOK-BGB/Wendehorst (Stand: 1.8.2021) § 816 Rn. 29. 84 Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 58; Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 43; Prölss/Martin/Lücke31 § 109 Rn. 14; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 12. 85 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 43.

78 79 80 81 82

Beckmann

636

D. Prozessuales

VVG § 118

einer Überschreitung der Versicherungssumme kommt, ist unerheblich, weil dem VR diesbezüglich ja auch zumindest Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist.86 Fraglich ist, ob der HaftpflichtVR aber im Hinblick auf die zunächst zu viel gezahlten Beträ- 49 ge gegen die bereits befriedigten Geschädigten vorgehen und diese zurückverlangen kann. Im Schrifttum wird wohl ganz überwiegend der Standpunkt vertreten, der VR könnte die zu viel gezahlte Summe nur insoweit nach § 812 BGB kondizieren, als er die Zahlung unter Vorbehalt oder unter Offenlegung des Verteilungsverfahrens geleistet habe.87 Diese Ansicht erscheint indes diskussionswürdig. Für einen bereicherungsrechtlichen Anspruch kommt es zunächst nicht darauf an, ob zuvor unter Vorbehalt oder Offenlegung eines Verteilungsplanes geleistet worden ist. Entscheidend ist die Rechtswirkung von § 118, insbesondere die Wirkung des Abs. 2. Diese Vorschrift bewirkt, dass ein verspätet auftretender Geschädigter noch (anteilsmäßig) zu befriedigen ist, wenn der VR mit der Geltendmachung dieses Anspruchs gerechnet hat oder rechnen musste (vgl. oben Rn. 48). Entscheidend ist, ob zugleich der Rechtsgrund für die Zahlung an die zuvor befriedigten Geschädigten insoweit wegfällt. Dies lässt sich zumindest in Zweifel ziehen, da Abs. 2 primär auf ein Verschulden des HaftpflichtVR abstellt. Hieraus ließe sich ableiten, dass auch der VR (allein) das aus Abs. 2 resultierende Risiko zu tragen hat und nicht an die zuvor befriedigten Geschädigten weitergeben kann. Nach ganz herrschender Meinung kann der VR (auch) bei seinem VN Regress nehmen. Da- 50 nach steht ihm ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB zu, weil die Befriedigung des Geschädigten über die Versicherungssumme hinaus ohne Rechtsgrund erfolgte.88 Letztlich hängt dies davon ab, ob der VN eine Leistung durch den VR ohne Rechtsgrund erlangt.89 Die Beantwortung dieser Frage hängt auch damit zusammen, welche Wirkung Abs. 2 zukommt (vgl. bereits Rn. 49).

C. Abdingbarkeit § 118 ist zugunsten des VN, des Versicherten und der geschädigten Dritten zwingendes Recht 51 und damit nicht abdingbar.90

D. Prozessuales § 118 hat keine Bedeutung für den Haftpflichtprozess zwischen dem Geschädigten und dem VN. 52 Für die Haftung des VN ist es zunächst einmal unerheblich, ob die Versicherungssumme ausreicht. Wird aber der VR verklagt – entweder aufgrund eines Direktanspruchs oder aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses –, so ist § 118 bereits im Erkenntnisverfahren zu berücksichtigen.91 Sofern ein Zwischenurteil nach § 304 ZPO ergeht, ist § 118 erst im Betragsverfahren und nicht schon im Verfahren über den Anspruchsgrund zu berücksichtigen.92 Jeder Anspruchssteller hat darzulegen und zu beweisen, dass sein geltend gemachter An- 53 spruch einem bestimmten der fünf Ränge zuzuordnen ist.93 Der HaftpflichtVR muss beweisen, 86 Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 12. 87 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 13; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 65. 88 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 45; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 64; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 118 Rn. 13; a. A. offenbar Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 61. 89 Differenzierend Berliner Kommentar/Baumann § 156 Rn. 61 (vgl. vorstehende Fn. 88). 90 BTDrucks. 16/39445 S. 87. 91 BGH 25.5.1982 – VI ZR 203/80, BGHZ 84 151, 154 ff. = VersR 1982 791, 793 (juris Rn. 20 ff.); OLG München 27.3.2003 – 1 U 4449/02, VersR 2005 89, 90 (juris Rn. 41 ff.); vgl. bereits oben Rn. 7. 92 OLG München 27.3.2003 – 1 U 4449/02, VersR 2005 89, 90 (juris Rn. 41 ff.); vgl. bereits oben Rn. 7. 93 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 118 Rn. 4. 637

Beckmann

§ 118 VVG

Rangfolge mehrerer Ansprüche

dass die Versicherungssumme erschöpft ist und die angemeldeten und zu erwartenden Ansprüche diese übersteigen.94 Soweit die Schätzung des Schadens übermäßige Schwierigkeiten bereitet, wird jedoch für eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten plädiert.95 Für den Ausschluss nach Abs. 2 muss dagegen der VR beweisen, dass im Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs das Verteilungsverfahren bereits abgeschlossen war und er bis dahin nicht mit der Anmeldung dieses Anspruchs rechnen musste oder gerechnet hat.96 Hiervon kann letztlich nur ausgegangen werden, wenn sich im Rahmen der Regulierung des Schadens keine Anhaltspunkte für sonstige Geschädigte zeigten.

E. Übergangsrecht 54 Ist bei Altverträgen (Verträge, die bis zum 31.12.2007 abgeschlossen worden sind) ein Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten, findet § 118 keine Anwendung. Insoweit ist gem. Art. 1 Abs. 2 EGVVG weiterhin auf § 156 Abs. 3 a. F. zurückzugreifen.97

94 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 118 Rn. 73; Konradi VersR 2009 321. 95 Konradi VersR 2009 321. 96 BGH 12.6.1980 – IVa ZR 9/80, VersR 1980 817, 819 (juris Rn. 15); Wenke VersR 1983 900; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 11. 97 Langheid/Wandt/Brand2 § 118 Rn. 47. Beckmann

638

§ 119 Obliegenheiten des Dritten (1) Der Dritte hat ein Schadensereignis, aus dem er einen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer oder nach § 115 Abs. 1 gegen den Versicherer herleiten will, dem Versicherer innerhalb von zwei Wochen, nachdem er von dem Schadensereignis Kenntnis erlangt hat, in Textform anzuzeigen; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung. (2) Macht der Dritte den Anspruch gegen den Versicherungsnehmer gerichtlich geltend, hat er dies dem Versicherer unverzüglich in Textform anzuzeigen. (3) Der Versicherer kann von dem Dritten Auskunft verlangen, soweit sie zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich ist. Belege kann der Versicherer insoweit verlangen, als deren Beschaffung dem Dritten billigerweise zugemutet werden kann.

Schrifttum Baumann Die „Pflicht“ des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers gegenüber dem geschädigten Dritten zur unverzüglichen Schadenbearbeitung, RuS 2013 469; Doetsch Kein Besichtigungsrecht des beschädigten Fahrzeugs durch den Versicherer ZfS 2013 63; Jaeger Das Recht des Kfz-Haftpflichtversicherers zur Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs, VersR 2011 50; Kummer Zu den Obliegenheiten des unmittelbar anspruchsberechtigten Geschädigten gegenüber dem Haftpflichtversicherer, Festschrift Gerda Müller (2009) 437; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht III.

1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung/Rechtsnatur 2

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand

I. 1. 2. 3.

Anzeige des Schadensereignisses, Abs. 1 8 Frist 13 Zugangserfordernis 14 Inhalt und Form der Anzeige

II.

Anzeige der gerichtlichen Geltendmachung, 16 Abs. 2 17 Entstehen der Anzeigeobliegenheit 19 Frist und Zugang 21 Inhalt und Form der Anzeige

1

1.

2.

1. 2. 3.

5

Auskunfts- und Belegrecht des Versicherers, Abs. 3 26 27 Auskunftsobliegenheit, Abs. 3 Satz 1 a) Entstehen der Auskunftsobliegen27 heit 28 b) Umfang der Auskunftsobliegenheit 30 Belegobliegenheit, Abs. 3 Satz 2 30 a) Entstehen der Belegobliegenheit 31 b) Umfang der Belegobliegenheit

7

639 https://doi.org/10.1515/9783110522662-023

34

IV.

Sanktionen

V.

Verzicht des VR

C.

Beweislast

I.

Abs. 1

39

II.

Abs. 2

40

III.

Abs. 3

41

7 38 39

Beckmann

§ 119 VVG

Obliegenheiten des Dritten

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Die derzeitige Form des § 119 geht zurück auf § 158d VVG a. F. sowie auf § 3 Nr. 7 PflVG a. F. Während § 158d Abs. 2 VVG a. F. wörtlich in § 119 Abs. 2 überführt und Abs. 3 gegenüber der Norm des § 158d Abs. 3 a. F. lediglich redaktionell überarbeitet wurde, ohne dass dies den Gehalt der Vorschrift verändert hätte,1 erfuhr § 119 Abs. 1 VVG gegenüber § 158d Abs. 1 VVG a. F. auch eine inhaltliche Modifizierung. Im Rahmen des im Jahre 2007 zunächst verabschiedeten Gesetzes entsprach Abs. 1 ursprünglich der Vorschrift des § 3 Nr. 7 PflVG a. F. mit der Konsequenz, dass Abs. 1 – § 3 Nr. 7 PflVG a. F. entsprechend – eine Anzeigeobliegenheit hinsichtlich eines Direktanspruchs des Dritten gegen den VR vorsah.2 Der Hintergrund dieser ursprünglichen Fassung lag darin, dass im Gesetzgebungsverfahren zunächst ein Direktanspruch für alle Pflichthaftpflichtversicherungen geplant war; diese Vorstellung wurde aber im Rahmen des weiteren Verfahrens auf die Fälle des § 115 Abs. 1 beschränkt (vgl. § 115 Rn. 2 ff.). Durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes vom 10.12.20073 wurde jedoch – noch vor Inkrafttreten des VVG – die Formulierung in Abs. 1 von „nach § 115 Abs. 1“ in „gegen den Versicherungsnehmer oder nach § 115 Abs. 1 gegen den Versicherer“ geändert und die Obliegenheit zur Schadensanzeige auch auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den VN ausgedehnt. Damit sollte die Rechtslage wieder mit derjenigen des § 158d Abs. 1 a. F. in Einklang gebracht werden, der eine Anzeigepflicht ebenfalls bei Inanspruchnahme des VN vorsah.4

II. Inhalt und Zweck der Regelung/Rechtsnatur 2 § 119 ist in engem Zusammenhang mit der nachfolgenden Vorschrift des § 120 zu sehen.5 § 119 dient dabei in erster Linie dazu, den VR frühzeitig über mögliche Ansprüche unmittelbar gegen ihn oder den VN zu informieren.6 Dadurch soll erreicht werden, dass der VR sich rechtzeitig an der Feststellung des Schadenshergangs beteiligen und so ein unnötiges Auflaufen von Kosten vermeiden kann.7 Die Regelung ergänzt insoweit die Vorschriften der §§ 30, 31, 104, welche vergleichbare Anzeige- und Auskunftspflichten für den VN enthalten, aber erkennbar nicht auf den Dritten zugeschnitten sind.8 § 119 begründet gesetzliche Obliegenheiten des Dritten, nicht hingegen vertragliche Ne3 benpflichten.9 Gegen eine Einordnung als vertragliche Nebenpflichten spricht insbesondere, dass zwischen VR und Drittem prinzipiell keine vertraglichen Beziehungen bestehen und sich solche auch nicht aus dem Haftpflichtverhältnis oder einem Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 ergeben können.10 Gegen die Einordnung als Pflicht spricht weiterhin, dass die Anzeige- und

1 2 3 4 5 6 7 8

So ausdrücklich die amtliche Begründung BTDrucks. 16/3945 S. 90. Vgl. BGBl. I 2631, 2651. BGBl. I 2833. BTDrucks. 16/6627 S. 7. So auch Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 1; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 1. BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 119 Rn. 2. BGH 11.10.1956 – II ZR 137/55, NJW 1956 1796, 1797; Kummer FS Gerda Müller 440. Stiefel/Maier/Jahnke19 § 119 Rn. 6; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 1; vgl. auch Wandt6 Rn. 1119. 9 Für die Einordnung als Pflicht insbesondere Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 4; zweifelnd auch Wandt6 Rn. 1119. 10 Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 176 („deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch“); Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 2. Beckmann

640

A. Einführung

VVG § 119

Auskunftsobliegenheiten nicht durch den VR einklagbar sind11 und ein Verstoß – auch unter Beachtung der Sanktionen des § 120 – nicht zu einem Schadensersatzanspruch gegen den Dritten führt.12 Ob man die Norm unter diesem Gesichtspunkt als gesetzliche Obliegenheit oder als spezielle Ausprägung der allgemeinen Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 BGB ansieht13 – welche zweifellos eine gewisse Nähe zu § 119 aufweist –, ist demgegenüber ohne größere Bedeutung. Das Gesetz bürdet dem Dritten eine Obliegenheit auf, da er der Hauptnutznießer des Pflicht- 4 versicherungsverhältnisses ist. So ist nicht nur die generelle Absicherung durch einen in aller Regel zahlungsfähigen Schuldner in seinem Interesse; darüber hinaus besteht gem. § 117 eine Einstandspflicht des VR im Verhältnis zum geschädigten Dritten auch dann, wenn der VR im Innenverhältnis zum VN von seiner Leistungspflicht befreit ist. Zu Recht hat Johannsen daher bereits in der 8. Auflage zur früheren Rechtslage geäußert, dass unter dem Blickwinkel des besonderen Schutzes, den der Dritte durch den Gesetzgeber erfährt, eine Anzeige- und Auskunftsobliegenheit bereits aus Treu und Glauben entspringt.14

III. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des § 119 bezieht sich nicht, wie teilweise geäußert wird, lediglich auf 5 gestörte Versicherungsverhältnisse, sondern ist unabhängig davon, ob zwischen VR und VN ein gestörtes oder intaktes Versicherungsverhältnis besteht.15 Gegen eine Beschränkung auf gestörte Versicherungsverhältnisse spricht bereits die, im Vergleich zur Vorgängervorschrift veränderte, systematische Stellung des § 119, welcher sich gerade nicht mehr in einem eigenen Abschnitt über gestörte Versicherungsverhältnisse befindet.16 Weiterhin bedarf es einer Mitteilung des Dritten auch beim intakten Versicherungsverhältnis, wenn der VN seinen Pflichten aus §§ 30, 104 nicht nachkommt. Soweit der VN jedoch seine Pflichten erfüllt und der VR somit auf anderem Wege Kenntnis erlangt, darf dem Dritten aus einem Verstoß gegen seine Obliegenheiten kein Nachteil erwachsen.17 Aus praktischer Sicht empfiehlt es sich für den Dritten, den in § 119 normierten Obliegenheiten nachzukommen, denn weder wird er je zuverlässig wissen, ob das entsprechende Versicherungsverhältnis zwischen VR und VN gestört ist, noch ob der VN seinen Pflichten gegenüber dem VR nachkommt. Durch die frühzeitige Änderung des § 119 Abs. 1, noch vor Inkrafttreten der VVG-Reform 6 (oben Rn. 1), wurde zudem der Anwendungsbereich ausdrücklich auf Direktansprüche nach § 115 und Ansprüche gegen den VN festgelegt. Darüber hinaus findet § 119 auch aufgrund der geänderten ausdrücklichen Verweisung in § 6 Abs. 1 AuslPflVG in entsprechenden Konstellationen Anwendung.18 11 Prölss/Martin/Knappmann28 § 119 Rn. 4, der in der neuesten Auflage (Prölss/Martin/Knappmann31 § 119 Rn. 1, 8) keine Stellung mehr bezieht; a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 4. 12 Kummer FS Gerda Müller 443 f.; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 119 Rn. 14; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 2; Prölss/Martin/Knappmann28 § 119 Rn. 4; wohl auch Wandt6 Rn. 1121; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 4. 13 So Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 26; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 2. 14 Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 26. 15 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 119 Rn. 3; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 1; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 8 f.; Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 3; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 4; Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 119 Rn. 2 (nur Eingreifen in Fällen des Direktanspruchs gem. § 115 und des „kranken“ Versicherungsverhältnisses gem. § 117). 16 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 8; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 §§ 119, 120 Rn. 8 f.; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 4. 17 Vgl. BGH 11.10.1956 – II ZR 137/55, NJW 1956 1796, 1797. 18 So bereits zum früheren Gesetzestext des § 6 Abs. 1 AuslPflVG a. F. LG Stuttgart 17.6.2015 – 13 S 105/14, VersR 2016 44 (juris Rn. 10, 11). 641

Beckmann

§ 119 VVG

Obliegenheiten des Dritten

B. Tatbestand I. Anzeige des Schadensereignisses, Abs. 1 7 § 119 Abs. 1 normiert die Obliegenheit des Dritten zur Anzeige eines Schadensereignisses an den VR, soweit er aus diesem einen Anspruch gegenüber dem VN oder gem. § 115 Abs. 1 direkt gegen den VR geltend machen will.

1. Frist 8 Der Fristanlauf beginnt mit Kenntnis des Dritten vom Schadensereignis, mithin von den wesentlichen Umständen, die zu dem schadensauslösenden Moment geführt haben.19 Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Schaden bereits in allen Einzelheiten erkannt worden ist.20 Bekannt sein muss dem Dritten weiterhin die Person des Schädigers und des verantwortli9 chen HaftpflichtVR.21 Dabei treffen den Dritten gewisse Nachforschungslasten und er muss ggf. eigene Ermittlungen, beispielsweise eine Kennzeichenermittlung über die Zulassungsstelle, durchführen.22 Unzumutbare Belastungen dürfen dem Dritten jedoch nicht auferlegt werden.23 Kann der HaftpflichtVR – trotz zumutbarer Anstrengungen – nicht ermittelt werden, so dürfen dem geschädigten Dritten daraus keine Nachteile erwachsen.24 Neben positiver Kenntnis des Schadensereignisses schadet dem Dritten – entgegen einer in 10 der Literatur vertretenen Ansicht25 – auch fahrlässige Unkenntnis;26 vgl. zum Verschulden noch § 120 Rn. 8 ff. Der Verschuldensmaßstab umfasst dabei schon einfache Fahrlässigkeit, da die Vorschrift des § 28 Abs. 2 auf den Dritten keine Anwendung findet. Die Frist beträgt ausweislich des Gesetzeswortlautes zwei Wochen, wobei sich die Berech11 nung nach den §§ 187 ff. BGB richtet.27 Die Frist beginnt daher entsprechend § 187 Abs. 1 BGB mit dem Tag, welcher auf das Schadensereignis folgt und endet gem. § 188 Abs. 2, 1. Halbs. BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Zur Wahrung des Fristerfordernisses ist es ausreichend, dass der Dritte die zum Absenden 12 erforderlichen Handlungen innerhalb der Frist vorgenommen, z. B. die Anzeige in einen Briefkasten geworfen oder ein Fax versendet hat. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 119 Abs. 1, 2. Halbs. Nicht entscheidend ist mithin der Zugang beim VR, insbesondere sind durch den Ablauf der Briefbeförderung bedingte Verspätungen dem Dritten nicht zuzurechnen.28

19 Stiefel/Maier/Jahnke19 § 119 Rn. 12. 20 BGH 10.7.1967 – III ZR 78/66, BGHZ 48 181, 183 = VersR 1967 974, 975 (juris Rn. 10). 21 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 2; a. A. Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 11; Prölss/ Martin/Klimke31 § 119 Rn. 6. 22 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 2; wohl auch Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 119 Rn. 3; zustimmend zumindest für den Fall der Kennzeichenermittlung Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 §§ 119, 120 Rn. 15. 23 Vgl. etwa KG 30.1.2007 – 6 U 132/06, VersR 2008 69, 70 (juris Rn. 49 ff.); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 2. 24 Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 119 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 §§ 119, 120 Rn. 16 m. w. N. 25 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 4. 26 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 3. 27 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 11. 28 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 3. Beckmann

642

B. Tatbestand

VVG § 119

2. Zugangserfordernis Der Dritte erfüllt seine Obliegenheit noch nicht mit der rechtzeitigen Absendung der Anzeige; 13 die diesbezügliche Fristenregelung (vgl. Rn. 12) stellt lediglich eine Privilegierung in Bezug auf die Abgabe der Erklärung dar. Erforderlich bleibt jedoch ein Zugang der Anzeige beim VR.29 Zu beachten ist hierbei, dass Versicherungsvermittler regelmäßig nicht zur Entgegennahme einer Anzeige gem. § 119 Abs. 1 befugt sind. Die Regelung des § 69 bezieht sich insoweit lediglich auf die Entgegennahme von Mitteilungen des VN oder von dessen Vertreter.30 Die Anzeige sollte daher unmittelbar an den VR gerichtet werden. Im Ausnahmefall kann auch ein Regulierungsbeauftragter Empfangszuständigkeit besitzen.31

3. Inhalt und Form der Anzeige Hinsichtlich der Form der Anzeige lässt Abs. 1 wie bereits die Vorschrift des § 3 Nr. 7 PflVG a. F. 14 die Textform i. S. d. § 126b BGB32 genügen. Der Gesetzgeber behält damit durch die Abschaffung der in § 158d a. F. verlangten Schriftform die Tendenz zur Vereinfachung des Rechtsverkehrs durch Abbau von Formalien bei.33 Inhaltlich stellt das Gesetz keine wesentlichen Anforderungen an die Schadensanzeige. Zu 15 beachten ist hierbei jedoch, dass es sich bei der Anzeige gem. Abs. 1 nicht (notwendig) um eine Anspruchsmeldung i. S. d. § 115 Abs. 2 Satz 3 handelt und sie insbesondere auch nicht zur Hemmung der Verjährung führt.34 Umgekehrt wird eine Anspruchsmeldung nach § 115 Abs. 2 Satz 3 jedoch regelmäßig den Anforderungen des § 119 Abs. 1 genügen.35

II. Anzeige der gerichtlichen Geltendmachung, Abs. 2 Abs. 2 enthält eine gegenüber Abs. 1 vorrangige Regelung hinsichtlich der Anzeigeobliegenheit 16 des Dritten bei gerichtlicher Durchsetzung eines Anspruches gegen den VN. Die Vorrangigkeit des Abs. 2 ergibt sich dabei insbesondere aus dem Fristerfordernis, welches bei Abs. 1 eine Anzeige innerhalb zweier Wochen genügen lässt, bei Abs. 2 jedoch eine unverzügliche Anzeige gebietet. Einer entsprechenden Obliegenheit für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen nach § 115 gegen den VR bedarf es nicht, da der VR in diesem Fall als Beklagter ohnehin unmittelbar am Prozess beteiligt ist. Zweck des Abs. 2 ist es – insbesondere bei entsprechendem Verstoß gegen die Anzeigeobliegenheit durch den VN –, den VR frühzeitig über das Vorgehen durch den Dritten zu informieren, um eine Beteiligung an der Aufklärung zu ermöglichen und ein unnötiges Auflaufen von Prozesskosten ebenso zu vermeiden wie ein Abschneiden rechtserheblicher Einreden.36

29 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 119 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 7; a. A. Stiefel/Maier/Jahnke19 § 119 Rn. 11. 30 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 119 Rn. 4; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 12; Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 2. 31 OLG Frankfurt 16.6.1967 – 3 U 19/67, VersR 1968 541, 542. 32 Zur Textform Palandt/Ellenberger80 § 126b BGB Rn. 1. 33 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Dörner3 § 9 Rn. 84 ff. 34 Rixecker ZfS 2004 367. 35 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 7. 36 BGH 11.10.1956 – II ZR 137/55, NJW 1956 1796, 1797. 643

Beckmann

§ 119 VVG

Obliegenheiten des Dritten

1. Entstehen der Anzeigeobliegenheit 17 Die Obliegenheit zur Anzeige entsteht mit der Geltendmachung jeglicher gerichtlicher Ansprüche. Dies umfasst insbesondere auch das Vorgehen im gerichtlichen Mahnverfahren, die Einreichung einer Widerklage, die Stellung eines Beweissicherungsantrages, eines Arrestgesuchs, eines Verfügungsantrags und die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren im Wege des Adhäsionsverfahrens gem. § 403 ff. StPO.37 Nicht erfasst sind hingegen, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 104 ergibt, eine Streitverkündung an den VN, ein Antrag auf Prozesskostenhilfe oder gar die bloße Androhung, den Rechtsweg zu beschreiten.38 Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass eine Anzeigepflicht für sämtliche Maßnahmen besteht, die einen Eintritt der Verjährung gem. § 204 BGB hindern.39 18 Richtigerweise entsteht die Obliegenheit erst mit Eintritt der Rechtshängigkeit, nicht bereits mit Anhängigkeit.40 Solange die Klage dem VN nämlich noch nicht zugestellt wurde, steht es dem Dritten als Kläger jederzeit frei, seine Klage zurückzunehmen, ohne dass der VN hiervon etwas erfährt.41

2. Frist und Zugang 19 Im Gegensatz zu Abs. 1 hat die Anzeige bei gerichtlicher Geltendmachung der Ansprüche unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB), zu erfolgen. Dabei gilt auch im Rahmen des § 119, dass unverzüglich nicht umgehend bedeutet, sondern dem Dritten eine angemessene Frist zur Überlegung und Prüfung des Sachverhalts bleibt, insbesondere darf der Rat eines Rechtskundigen eingeholt werden.42 Wie auch im Rahmen des Abs. 1 darf dabei vom Dritten keine übergebührliche Anstrengung verlangt werden. So treffen den Dritten zwar gewisse Nachforschungspflichten hinsichtlich der Identität des VR; lässt sich dessen Identität allerdings nur durch größte Anstrengung ermitteln, so geht dies zu Lasten des VR.43 Hinsichtlich des Adressaten gelten die Ausführungen zu Abs. 1 entsprechend (vgl. Rn. 13). 20 Auch hier empfiehlt sich eine Adressierung unmittelbar an den VR, wobei Versicherungsvertreter lediglich als Empfangsboten des VR anzusehen sind.44

3. Inhalt und Form der Anzeige 21 Formal ergeben sich hinsichtlich der Anzeigepflicht in Abs. 2 gegenüber Abs. 1 keinerlei Besonderheiten; erforderlich ist auch hier Textform i. S. d. § 126b BGB. Inhaltlich erfordert die Anzeige der gerichtlichen Geltendmachung hingegen nicht nur eine 22 schlichte Mitteilung über die Beschreitung des Rechtsweges. Der VR muss in die Lage versetzt werden, Erkundigungen beim entsprechenden Gericht einzuholen bzw. der Klage beizutreten. Ausreichend, wenn auch nicht verpflichtend, ist dabei jedenfalls die Mitteilung des entspre-

37 Stiefel/Maier/Jahnke19 § 119 Rn. 21; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 5; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 14; a. A. wohl Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 119 Rn. 6; Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 12. 38 BGH 11.10.1956 – II ZR 137/55, NJW 1956 1796, 1797; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 14; Prölss/Martin/ Klimke31 § 119 Rn. 12; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 119 Rn. 4. 39 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 §§ 119, 120 Rn. 36. 40 BGH 11.10.1956 – VI ZR 137/55, NJW 1956 1796, 1797. 41 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 14. 42 BGH 24.1.2008 – VII ZR 17/07, NJW 2008 985, 986 (Rn. 18). 43 KG 30.1.2007 – 6 U 132/06, VersR 2008 69, 70 (juris Rn. 49 ff.). 44 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 15. Beckmann

644

B. Tatbestand

VVG § 119

chenden Aktenzeichens;45 auch eine Auskunft über das betreffende Gericht und Datum der Klageerhebung wird regelmäßig die gesetzlichen Anforderungen erfüllen.46 Gleichsam empfiehlt es sich in der Praxis, dem VR eine Abschrift der Klageschrift zu übermitteln.47 Eine inhaltlich unzureichende oder unverständliche Anzeige führt entsprechend der Rechtsprechung jedoch zunächst nicht zu einem Verstoß gegen die Obliegenheit des Abs. 2. Vielmehr treffen den VR in diesem Fall gewisse Nachforschungs- bzw. Rückfragelasten.48 Prinzipiell nicht ausreichend ist die bloße Anzeige der Absicht, den Rechtsweg zu be- 23 schreiten, es sei denn, dass die Anzeige bereits konkrete Einzelheiten hinsichtlich der gerichtlichen Geltendmachung wie etwa das betreffende Gericht und den Zeitpunkt der Klageerhebung beinhaltet.49 Abs. 2 verlangt grundsätzlich nur eine Anzeige hinsichtlich der Beschreitung des Rechtswe- 24 ges. Meldungen zum Stand des Prozesses muss der Dritte dem VR allerdings nicht von sich aus übermitteln, anders allenfalls, soweit der VR nachfragt. Im Einzelfall kann sich jedoch eine weitergehende Pflicht zur Mitteilung aus Treu und Glauben ergeben, so beispielsweise, wenn der Dritte mit dem VR Verhandlungen aufgenommen hat, aber das Verfahren gegen den VN weiterbetreibt.50 Die Obliegenheit zur Anzeige der Beschreitung des Rechtsweges entfällt, wenn der VR be- 25 reits zuvor Schadensersatzansprüche des Dritten abgelehnt hat.51

III. Auskunfts- und Belegrecht des Versicherers, Abs. 3 Die Vorschrift des Abs. 3 enthält zwei Regelungen. In Satz 1 wird bestimmt, dass der VR vom 26 Dritten Auskunft über Schadenshergang und -umfang verlangen kann. In Satz 2 wird dieses Recht verstärkt durch einen Anspruch, entsprechende Belege vom Dritten einzufordern. Mit Drittem i. S. d. Abs. 3 ist wie auch in Abs. 1 und Abs. 2 regelmäßig der Geschädigte gemeint. Indes ist es auch möglich, dass sich der Anspruch des VR gegen den SVT richtet, der den HaftpflichtVR aus übergegangenem Recht gem. § 116 SGB X in Anspruch nimmt.52

1. Auskunftsobliegenheit, Abs. 3 Satz 1 a) Entstehen der Auskunftsobliegenheit. Die Obliegenheit des Dritten, Auskunft zu erteilen, 27 korrespondiert mit der entsprechenden Obliegenheit des VN, die in § 31 normiert ist; sie entsteht erst durch Anfrage seitens des VR.53 Eine entsprechende Anfrage ist dabei ohne Weiteres auch in der Übersendung eines Schadensanzeigeformulars an den Dritten zu sehen.54

45 46 47 48

Berliner Kommentar/Hübsch § 158d Rn. 27. Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 16. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 6. OLG Frankfurt 27.3.2014 – 7 U 242/13, NJW-RR 2014 1376, 1377 (juris Rn. 16); OLG Frankfurt 16.6.1967 – 3 U 19/67, VersR 1968 541, 542; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 16. 49 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 14 m. w. N. 50 Vgl. BGH 19.2.1959 – II ZR 171/57, VersR 1959 256, 257. 51 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 16. 52 OLG Köln 20.10.2010 – 3 W 55/10, VersR 2012 79, 80 (juris Rn. 1). 53 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 17; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Schimikowski4 § 119 Rn. 8. 54 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 18. 645

Beckmann

§ 119 VVG

Obliegenheiten des Dritten

28 b) Umfang der Auskunftsobliegenheit. Grundsätzlich muss der Dritte sämtliche Fragen des VR vollständig und wahrheitsgemäß beantworten, soweit diese sachdienlich sind.55 Dabei kann der VR vom Dritten im Rahmen seines Auskunftsrechts durchaus das Ausfüllen einer detaillierten Schadensanzeige – etwa entsprechender Formulare – verlangen.56 Die Obliegenheit des Dritten erschöpft sich dabei nicht in einer am Wortlaut der Fragen verhafteten Auskunft. Evident bedeutsame Tatsachen sind dem VR auch ohne ausdrückliche Nachfrage mitzuteilen.57 Im Einzelfall kann es dem Dritten zumutbar sein, sich über ihm nicht bekannte Tatsachen, die vom VR erfragt werden, zu erkundigen.58 Umgekehrt trifft aber auch den VR die Last, bei unvollständigen oder unverständlichen Antworten, beim Dritten nachzufragen.59 Für den Fall, dass bereits ein Rechtsstreit gegen den VN anhängig ist, kann der VR auch die Mitteilung des entsprechenden Aktenzeichens verlangen.60 Noch in den Grenzen des Erlaubten bewegen sich auch Fragen, die einen eventuellen Regress des VR beim VN zum Ziel haben.61 29 Nicht vom VR verlangt werden kann hingegen, dass der Dritte behandelnde Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbindet oder ein vom VR ausgewählter Arzt aufgesucht wird.62 Die Grenze der Auskunftspflicht ist auch überschritten, wenn der VR erkennbar nicht mehr sachdienliche Auskünfte verlangt. Im Rahmen der bestehenden Nachforschungsobliegenheit des Dritten ist zu berücksichtigen, dass die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten wird. Ebenfalls nicht mehr unmittelbar unter die Obliegenheit zur Auskunftserteilung fällt ein Besichtigungsrecht des VR hinsichtlich eines beschädigten PKW.63 Ein entsprechendes – nicht einklagbares – Recht des VR kann sich jedoch in analoger Anwendung des § 809 BGB ergeben.64

2. Belegobliegenheit, Abs. 3 Satz 2 30 a) Entstehen der Belegobliegenheit. Die Obliegenheit des Dritten zur Vorlage von Belegen entsteht, ebenso wie die Auskunftsobliegenheit des Satz 1, erst durch ausdrückliches Verlangen durch den VR.

31 b) Umfang der Belegobliegenheit. Belege müssen auf Verlangen beigebracht werden, soweit sie vorhanden oder ohne Weiteres zu erlangen sind.65 Größere (finanzielle) Aufwendungen können hingegen vom Dritten nicht verlangt werden; so müssen insbesondere Belege – etwa Kostenvoranschläge – nicht eigens auf Verlangen des VR erstellt werden.66 Auch ist die Vorlage einer Ausweiskopie des gegnerischen Fahrers nach Auffassung des LG Stuttgart auch dann nicht erforderlich, wenn sich aus den Angaben zu dessen Fahrzeug dessen Anschrift nicht ohne Wei-

55 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 18; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 7. 56 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 7. 57 Zur entsprechenden Pflicht des VN BGH 8.1.1969 – IV ZR 530/68, VersR 1969 267, 268 f. (juris Rn. 29 ff.); vgl. auch OLG Hamm 28.6.2000 – 20 U 61/99, VersR 2001 709, 710 (juris Rn. 35 ff.). 58 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 7. 59 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 18 m. w. N. 60 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 19; a. A. Berliner Kommentar/Hübsch § 158d Rn. 27. 61 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 8. 62 OLG Stuttgart 10.6.1958 – 2 W 32/ 58, NJW 1958 2122; Berliner Kommentar/Hübsch § 158d Rn. 28; Prölss/Martin/ Klimke31 § 119 Rn. 17. 63 BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 119 Rn. 5. 64 Jaeger VersR 2011 20. 65 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 8; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 20. 66 OLG Koblenz 26.5.2000 – 10 U 1014/99, OLGR 2000 547 f. (juris Rn. 11 f.); Stiefel/Maier/Jahnke19 § 119 Rn. 55; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 8; Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 18; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 20. Beckmann

646

B. Tatbestand

VVG § 119

teres ermitteln lässt.67 Der Belegpflicht ist regelmäßig durch Vorlage von Kopien genügt.68 Die Übersendung von Originalen ist nur erforderlich, soweit der VR ausdrücklich auf deren Vorlage besteht und ein berechtigtes Interesse an der Einsicht der Originale vorhanden ist.69 Da der Dritte nach der geltenden Rechtsprechung dazu befugt ist, seinen Schaden auch 32 dann auf Gutachtenbasis mit dem VR abzurechnen,70 wenn bereits eine entsprechende Reparatur vorgenommen worden ist, ist ein berechtigtes Interesse des VR an der Vorlage entsprechender Reparaturrechnungen zu verneinen.71 Hinsichtlich Ort und Kosten der Vorlage ist auf § 811 BGB abzustellen.72 Ein wichtiger Grund 33 i. S. d. § 811 Abs. 2 BGB wird im Regelfall im Interesse einer sachgemäßen Bearbeitung bestehen, so dass der VR Vorlage der Belege in seinen Räumen verlangen kann.73 Der Dritte kommt in diesem Fall seiner Obliegenheit nicht in ausreichendem Maße nach, soweit er eine Vorlage beim Prozessbevollmächtigten des VR anbietet.74 Die Kosten der Vorlage hat entsprechend § 811 Abs. 2 Satz 1 BGB der VR zu tragen.75

IV. Sanktionen Eine Sanktion für die Verletzung der Obliegenheit aus Abs. 1 ist im Gesetz nicht vorgesehen (vgl. 34 auch § 120). Zum Teil wird vertreten, dass ein Schadensersatzanspruch des VR gegen den Dritten aus § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. § 119 Abs. 1 bei schuldhaftem Verstoß bestehe.76 Dem kann aus mehrerlei Gründen nicht zugestimmt werden.77 Zunächst einmal beinhaltet § 119 – wenngleich nicht unumstritten (vgl. oben Rn. 3) – nicht Pflichten, sondern Obliegenheiten. Weiterhin ist § 120 als abschließend hinsichtlich der Sanktionierung von Verstößen gegen § 119 anzusehen. Dieser beinhaltet jedoch gerade keine Folge für einen Verstoß gegen Abs. 1. Keinesfalls führt jedenfalls ein Verstoß gegen die Anzeigeobliegenheit zu einem vollständigen Anspruchsverlust.78 Zu beachten ist jedoch, dass ein Erfüllen der Obliegenheit des § 119 Abs. 1 in jedem Fall 35 auch im Interesse des Dritten selbst liegt. So hat der Dritte nicht nur ein eigenes Interesse an einer schnellstmöglichen Schadensabwicklung. Im Einzelfall wird man bei völliger Untätigkeit des Dritten auch ein Verschulden gegen sich selbst annehmen müssen, welches durchaus im Rahmen der allgemeinen Schadensminderungspflicht zu berücksichtigen ist.79 In derartigen Fällen wird man daher einen Verstoß gegen Abs. 1 als ein mögliches Mitverschulden i. S. d. 67 LG Stuttgart 17.6.2015 – 13 S 105/14, VersR 2016 44 (juris Rn. 9). 68 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 18; OLG Celle 19.10.1961 – 5 U 77/61, VersR 1961 1144. 69 OLG Bremen 17.5.1990 – 3 W 29/90, NJW-RR 1990 1181, 1182 (juris Rn. 7); LG Berlin 14.12.1963 – 2 S 87/62, NJW 1963 498, 499; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 8; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 21. 70 BGH 29.4.2003 – VI ZR 393/02, BGHZ 154 395, 399 f. = VersR 2003 918, 919 f. (juris Rn. 10 ff.); BGH 29.4.2008 – VI ZR 220/07, VersR 2008 839, 840 (Rn. 9). 71 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 21. 72 OLG Köln 20.10.2010 – 3 W 55/10, VersR 2012 79, 80 (juris Rn. 1); OLG Celle 19.10.1961 – 5 U 77/61, VersR 1961 1144. 73 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 18. 74 LG Berlin 14.12.1962 – 2 S 87/62, NJW 1963 498, 499; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 22. 75 OLG Köln 20.10.2010 – 3 W 55/10, VersR 2012 79, 80 (juris Rn. 1) mit Anm. Dahm WzS 2011 119; Prölss/Martin/ Klimke31 § 119 Rn. 18; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 §§ 119, 120 Rn. 40; gegen eine analoge Anwendung des § 811 Abs. 2 BGB Mergner VersR 2012 81 f. 76 BTDrucks. 16/3945 S. 90. 77 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 119 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 §§ 119, 120 Rn. 52 f.; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 24. 78 BGH 19.11.1974 – VI ZR 205/73, VersR 1975 279, 280 (juris Rn. 11); Saarländisches OLG 30.1.1976 – 3 U 32/75, VersR 1976 553. 79 BGH 3.7.1951 – I ZR 44/50, BGHZ 3 46, 49 f. (juris Rn. 8); Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 25. 647

Beckmann

§ 119 VVG

Obliegenheiten des Dritten

§ 254 Abs. 2 BGB erachten können, mit der Folge, dass ein Anspruch des Dritten gegen den VR ggf. anteilig gekürzt werden kann.80 36 Hinsichtlich eines Verstoßes gegen Abs. 2 und Abs. 3 finden sich die Sanktionen in § 120. Ein Verstoß hat dabei zur Folge, dass der VR bei Ansprüchen aus §§ 115, 117 auf denjenigen Betrag beschränkt ist, den der VR auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit zu leisten gehabt hätte (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 120). 37 Die Verletzung der Obliegenheit aus § 119 Abs. 3 durch den Dritten kann sich auch prozessual, insbesondere im Hinblick auf die Kosten bei sofortiger Anerkennung gem. § 93 ZPO auswirken.81 Beruft sich der Dritte im Rahmen einer Klage gegen den VR auf Belege und Unterlagen, die er zuvor unter Verletzung von § 119 Abs. 3 dem VR nicht ausgehändigt hat, und erkennt der VR nach Erhalt dieser Unterlagen und Belege im Prozess den Anspruch des Dritten sofort an, riskiert der Dritte gem. § 93 ZPO die Kosten des Verfahrens tragen zu müssen; der VR hat dann keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben.82 Die Rechtsprechung hat insoweit aber auch Grenzen aufgezeigt: So gilt der zuvor genannte Grundsatz nicht, wenn auf diesem Wege ein dilatorisches Verhalten eines HaftpflichtVR honoriert würde, das auf eine sachlich nicht gerechtfertigte oder gar schikanöse Regulierungsverzögerung angelegt ist.83 In diese Fallgruppe lässt sich auch die Konstellation einordnen, bei der der VR eine entsprechende Anforderung unterlassen hat, obwohl er ausreichend lange Zeit zur Überprüfung hatte; in diesem Falle kann sich der VR nicht auf § 93 ZPO berufen, wenn der Geschädigte erst im Prozess Belege i. S. d. § 119 Abs. 3 VVG vorlegt.84

V. Verzicht des VR 38 Generell ist es dem VR möglich, einen Verzicht auf die Anzeigen des Dritten zu erklären. An einen derartigen Verzicht sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen. So wird ein bloßer Hinweis des VR auf die Rechtslage keinesfalls ausreichen.85 Nicht ausreichend soll dabei die Erklärung des VR sein, seinerseits keinerlei Leistung erbringen zu wollen.86 Dem ist eingeschränkt zuzustimmen. Verweigert der VR ernsthaft und endgültig die Verhandlung über eine Schadensregulierung und verweist insoweit auf den VN, so hat er bereits generell Kenntnis vom Schadensereignis und kann seine eigenen Nachforschungen anstellen. Insbesondere kann jedoch bei einer derartigen Haltung des VR nicht mehr davon gesprochen werden, dass er keinen Anlass zur Klage gegeben hat. Dem Schutzzweck der § 119 Abs. 1, Abs. 2 ist in diesen Fällen Genüge getan. Nicht ausreichend ist jedoch ein Hinweis, bei derzeitigem Kenntnisstand/derzeitiger Aktenlage den Anspruch nicht anzuerkennen, soweit dem VN mitgeteilt wird, dass noch weitere Ermittlungen erfolgen. Ob ein Verzicht vorliegt, muss im Ergebnis stets eine Einzelfallentscheidung bleiben.87

80 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 8; Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 25. 81 OLG Schleswig 30.5.2016 – 7 W 15/16, NJW-RR 2016 1536 (juris Rn. 3); LG Köln 31.10.2013 – 8 O 33/13, SVR 2014 304, 305 (juris Rn. 16). 82 OLG Karlsruhe 23.12.2011 – 1 W 61/11, RuS 2012 256, 257 (juris Rn. 8) mit Anm. Krenberger jurisPRVerkR 21/2012 Anm. 3; OLG Celle 19.10.1961 – 5 U 77/61, VersR 1961 1144; OLG Köln 9.4.1973 – 10 W 11/73, VersR 1974 268; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 119 Rn. 7; Prölss/Martin/Klimke31 § 118 Rn. 19. 83 OLG Karlsruhe 23.12.2011 – 1 W 61/11, RuS 2012 256, 257 (juris Rn. 8). 84 LG Saarbrücken 20.1.2011 – 13 T 11/10, NJW-RR 2011 968 (juris Rn. 7); indes mit nicht ganz zutreffendem Beleg. 85 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 27. 86 Vgl. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 119 Rn. 13. 87 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 27. Beckmann

648

C. Beweislast

VVG § 119

C. Beweislast I. Abs. 1 Hinsichtlich der Kenntnis des Versicherungsverhältnisses trägt der VR die Beweislast dafür, dass 39 dem Dritten das Versicherungsverhältnis bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.88 Auch hinsichtlich eines unterbliebenen Zugangs der Mitteilung obliegt es dem VR, den Vortrag des Dritten zu erschüttern.89

II. Abs. 2 Da auch bei der Anzeige der gerichtlichen Geltendmachung das Wissen um die Identität des VR 40 Voraussetzung ist, trägt der VR wie auch bei Abs. 1 die Beweislast für deren Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis.90

III. Abs. 3 Obwohl den Dritten keine Pflicht zur Erstellung von Belegen auf Verlangen des VR trifft, wird 41 er aus Gründen der Beweislast im Prozess regelmäßig derartige Belege, insbesondere Kostenvoranschläge, zum Nachweis des Schadensumfangs zu erstellen haben.91

88 Prölss/Martin/Klimke31 § 119 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 3; Kummer FS Gerda Müller Fn. 24.

89 Langheid/Wandt/Schneider2 § 119 Rn. 12. 90 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 119 Rn. 7. 91 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 119 Rn. 8. 649

Beckmann

§ 120 Obliegenheitsverletzung des Dritten Verletzt der Dritte schuldhaft die Obliegenheit nach § 119 Abs. 2 oder 3, beschränkt sich die Haftung des Versicherers nach den §§ 115 und 117 auf den Betrag, den er auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit zu leisten gehabt hätte, sofern der Dritte vorher ausdrücklich und in Textform auf die Folgen der Verletzung hingewiesen worden ist.

Schrifttum Vgl. Schrifttum zu § 119 sowie Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 1

2. 3.

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand

I. 1.

7 Voraussetzungen Verletzung einer Obliegenheit aus § 119 Abs. 2, 7 Abs. 3

1 4.

8 Verschulden Ausdrücklicher Hinweis durch Versiche11 rer 16 Kausalität

3

4

II. 1. 2.

17 Rechtsfolgen 18 Anspruchsbegrenzung Keine Bindungswirkung im Deckungspro22 zess

C.

Beweislast

D.

Arglist

7

24 25

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 120 geht zurück auf eine im Rahmen der VVG-Reform 2008 erfolgte Zusammenführung der Vorgängervorschrift des § 158e Abs. 1 VVG a. F. und der Regelung des früheren § 3 Nr. 7 Satz 2 PflVG a.F.1 Im Zuge der Zusammenfassung dieser Normen hat der Gesetzgeber das Verschuldenserfordernis des § 3 Nr. 7 Satz 2, 2. Halbs. PflVG a. F. nun auch ausdrücklich auf die vormals in § 158e Abs. 1 geregelten Fälle ausgeweitet. Entfallen ist im Vergleich zur früheren Rechtslage die Vorschrift des § 158e Abs. 2 a. F. Be2 gründet werden kann dies mit dem Wegfall des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots.2

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 § 120 regelt als lex specialis gegenüber den allgemeinen Regelungen die Sanktionierung bei einem Verstoß des Dritten gegen eine ihm aus § 119 Abs. 2 und Abs. 3 auferlegte Obliegenheit. Die Vorschrift hat damit abschließende Wirkung.3 Ausweislich des Wortlauts bezieht sich § 120 nicht auf die Obliegenheit gem. § 119 Abs. 1. Der Dritte soll dazu angehalten werden, seinen 1 BTDrucks. 16/3946 S. 90. 2 BTDrucks. 16/3946 S. 90; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 120 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 2. 3 Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 1; vgl. noch Rn. 4. Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522662-024

650

B. Tatbestand

VVG § 120

Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen und eine möglichst zeitnahe und kostengünstige Abwicklung des Schadensfalles zu unterstützen; indes verwendet das Gesetz eine „moderate“ Sanktion.4 Diese liegt darin, dass sich die Haftung des VR auf den Betrag beschränkt, den er auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit zu leisten gehabt hätte. Durch hypothetische Betrachtung ist der VR also so zu stellen, als habe der Dritte seine Obliegenheiten gem. § 119 Abs. 2 und Abs. 3 erfüllt.5 Erforderlich für das Eingreifen dieser Sanktion sind – ausweislich des Gesetzeswortlauts – zum einen eine schuldhafte Obliegenheitsverletzung des Dritten sowie zum anderen ein vorheriger Hinweis des VR auf die Folgen einer Obliegenheitsverletzung.

III. Anwendungsbereich Die gesetzliche Regelung bezieht sich ausdrücklich nur auf die Vorschrift des § 119 Abs. 2, Abs. 3 4 und muss als abschließend aufgefasst werden.6 Andere als die in § 120 geregelten Rechtsfolgen, insbesondere aufgrund von allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regelungen kommen damit prinzipiell nicht in Betracht. Ein Grund hierfür liegt darin, dass zwischen dem geschädigten Dritten und dem HaftpflichtVR grundsätzlich kein Vertragsverhältnis besteht. Weitergehende Rechtsfolgen können aber dann zum Zuge kommen, wenn der Dritte über eine Obliegenheitsverletzung gem. § 119 Abs. 2 und Abs. 3 hinausgehend betrügerisch gehandelt hat; insoweit versperrt § 120 nicht den Weg zu allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regelungen, insbesondere kommt das Deliktsrecht zur Anwendung.7 Die in § 120 geregelten Sanktionen beziehen sich auf eine Haftung des VR im Rahmen von 5 § 115 und § 117.8 Ein Verstoß des Dritten gegen die Obliegenheit aus § 119 Abs. 1 wird – wie schon erwähnt – 6 insoweit durch § 120 nicht sanktioniert9 und unterliegt auch im Übrigen nicht den allgemeinen Schadensersatzansprüchen, etwa aus § 280 Abs. 1 BGB ggf. i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB. Ein schuldhafter Verstoß gegen die Obliegenheit aus § 119 Abs. 1 kann jedoch im Einzelfall als ein Verschulden gegen sich selbst zu werten sein und im Rahmen der allgemeinen Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 BGB Berücksichtigung finden.10

B. Tatbestand I. Voraussetzungen 1. Verletzung einer Obliegenheit aus § 119 Abs. 2, Abs. 3 Voraussetzung für eine Sanktion aus § 120 ist zunächst, dass der Dritte eine Obliegenheit aus 7 § 119 Abs. 2, Abs. 3 verletzt hat. Zu den Einzelheiten hinsichtlich der Obliegenheiten aus § 119 Abs. 2, Abs. 3 wird auf die Kommentierung zu § 119 verwiesen.

4 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 1. 5 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 1. 6 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 1 f.; Berliner Kommentar/Hübsch § 158e Rn. 2; bereits oben Rn. 3. 7 Zu den Mitwirkungspflichten des Geschädigten im Zusammenhang mit betrügerischem Vorgehen vgl. etwa Höher NZV 2012 457, 461; vgl. auch Rn. 21. 8 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 2. 9 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 120 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 2. 10 Zum Vorstehenden vgl. Kommentierung des § 119 Rn. 34 f. 651

Beckmann

§ 120 VVG

Obliegenheitsverletzung des Dritten

2. Verschulden 8 Im Gegensatz zum Wortlaut der Vorgängervorschrift des § 158e VVG a. F. (anders hingegen § 3 Nr. 7 Satz 2, 2. Halbs. PflVG a. F.) erfordert eine Sanktion gem. § 120 nicht nur das objektive Verletzen einer Obliegenheit, sondern auch ein Verschulden durch den Dritten. Für die Vorschrift des § 3 Nr. 7 Satz 2 PflVG a. F. ergab sich das Verschuldenserfordernis ebenfalls bereits aus dem Gesetzeswortlaut, gleichwohl wurde auch im Rahmen von § 158e VVG a. F. ein Verschulden aus dem Erfordernis der Unverzüglichkeit abgeleitet,11 so dass sich inhaltlich zur früheren Rechtslage keine Unterschiede ergeben. Mangels spezialgesetzlicher Regelungen – insbesondere ist § 28 auf den Dritten nicht an9 wendbar – richtet sich der Verschuldensmaßstab nach der allgemeinen Regelung des § 276 Abs. 1 BGB.12 Ausreichend ist daher prinzipiell einfache Fahrlässigkeit. Prima facie scheint dies eine ungerechtfertigte Benachteiligung gegenüber der Stellung des VN darzustellen, dessen Verantwortlichkeit für einfache Fahrlässigkeit bei Obliegenheitsverletzungen z. B. nach § 28 Abs. 2 ausgeschlossen ist. Aufgelöst wird dieses Missverhältnis allerdings bei einem Blick auf die Rechtsfolgen.13 Der Dritte haftet dem VR nämlich nicht auf den dem VR entstandenen Schaden. Vielmehr bleibt lediglich sein Anspruch gegen den VR auf denjenigen Betrag begrenzt, den der VR auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit zu leisten gehabt hätte. 10 Ein Verschulden des Dritten kann man nur annehmen, wenn er alle für § 119 Abs. 2 bzw. Abs. 3 relevanten Umstände kennt oder kennen musste.14 Insoweit können den Dritten auch gewisse Nachforschungslasten treffen, insbesondere eine Erkundigung über den Zentralruf der Kfz-Versicherer oder über die Kfz-Zulassungsstelle ist vom Dritten durchaus zu erwarten.15 Bei anderen Versicherungsverhältnissen – etwa einer Berufshaftpflichtversicherung – ist der Dritte hingegen ggf. auf die Kooperationsbereitschaft des VN angewiesen. Weigert dieser sich, die Identität seines VR offenzulegen, so können vom Dritten keine übergebührlichen Anstrengungen verlangt werden.16

3. Ausdrücklicher Hinweis durch Versicherer 11 § 120, 2. Halbs. erfordert, dass der VR den Dritten vorher ausdrücklich und in Textform (dazu Rn. 12) auf die Folgen der Obliegenheitsverletzung hingewiesen hat. Umstritten ist dabei die Reichweite dieser Hinweispflicht, die sich prinzipiell sowohl auf Verstöße nach § 119 Abs. 2 als auch nach § 119 Abs. 3 erstreckt. Größtenteils wird insoweit in der Literatur vertreten, bei der Einbeziehung des § 119 Abs. 2 handele es sich schlicht um ein Redaktionsversehen.17 Ursprünglich sei die Hinweispflicht nicht in § 120 aufgenommen gewesen; bei der Übernahme der entsprechenden Regelung aus § 3 Nr. 7 PflVG wäre dann keine sorgfältige Prüfung mehr erfolgt. In der Tat erscheint es für den VR problematisch, dem Dritten quasi ins Blaue hinein einen Hinweis hinsichtlich bestehender Obliegenheiten und deren Sanktion bei einer Klageerhebung mitzuteilen und ihn somit gleichsam auf den Rechtsweg aufmerksam zu machen. Umso befremdlicher erscheint eine solche Pflicht, soweit zuvor keine Kontaktaufnahme zwischen VR und Drittem stattgefunden hat, sei es, weil der Dritte seine Obliegenheit aus § 119 Abs. 1 verletzt 11 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 3. 12 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 5; Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 4; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 120 Rn. 2. Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 4. Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 5. Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 3; Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 5. Vgl. VG Hamburg 10.9.2010 – 15 K 1352/10, DStR 2011 383 (juris Rn. 34). Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 187a; Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 7; Wandt6 Rn. 1120.

13 14 15 16 17

Beckmann

652

B. Tatbestand

VVG § 120

hat, oder dass die Identität des VR für den Dritten nicht zu ermitteln war. Im Ergebnis ist es daher geboten, die Hinweispflicht des VR in diesen Fällen teleologisch zu reduzieren.18 Etwas anderes lässt sich aber annehmen, wenn bereits Kontakt bestand bzw. Verhandlungen aufgenommen worden sind; in diesem Fall ist es für den VR auch zumutbar, auf gewisse Obliegenheiten bei Klageerhebung hinzuweisen. De lege lata ist also eine Hinweispflicht bezüglich der Sanktionierung von Verstößen gegen die Obliegenheit aus § 119 Abs. 2 bei bestehendem Kontakt zwischen Drittem und VR zu bejahen.19 Dass eine Sanktion wegen eines Verstoßes gegen die Obliegenheit aus § 119 Abs. 3 hingegen eines ausdrücklichen Hinweises bedarf, ist angesichts des Wortlautes zu Recht offenbar unstrittig. Der Hinweis muss in Textform gem. § 126b BGB ergehen und dergestalt formuliert sein, 12 dass seitens des Dritten keinerlei Zweifel hinsichtlich der Konsequenzen eines Verstoßes bestehen.20 Nicht ausreichend sind daher Hinweise auf „die Rechtslage“ oder die schlichte Bemerkung „auf die §§ 119, 120 VVG wird hingewiesen“. Im Schrifttum finden sich Musterformulierungen für einen entsprechenden Hinweis des VR 13 gem. § 120. Knappmann hat z. B. folgenden Hinweis vorgeschlagen: „Nach § 119 Abs. 2 und 3 VVG sind Sie verpflichtet, es uns, dem Versicherer, anzuzeigen, wenn Sie Ihren Anspruch gegen unseren VN gerichtlich geltend machen. Sie sind außerdem verpflichtet, die Auskünfte zu erteilen, die zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich sind. Wir können Belege insoweit verlangen, als deren Beschaffung Ihnen billigerweise zugemutet werden kann. Verletzen Sie schuldhaft eine dieser Verpflichtungen, so sind wir nur insoweit zur Leistung verpflichtet, als die Verletzung weder Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang unserer Leistung gehabt hat.“21/ 22

Vielfach wird eine optische Hervorhebung der Belehrung verlangt.23 Die Formulierung „aus- 14 drücklich“ bezieht sich zunächst auf den Erklärungsinhalt; das heißt notwendig ist ein eindeutiger Hinweis;24 der Hinweis muss also inhaltlich unmissverständlich erfolgen.25 Gleichwohl lassen sich zumindest aus dem Sinn und Zweck dieses Tatbestandsmerkmals auch Schlüsse auf die optische Darstellung ziehen, so dass in der Tat eine gewisse optische Hervorhebung zu erwarten ist. Der Hinweis darf nicht in weiteren Informationen „untergehen“, sondern muss für den Empfänger klar ersichtlich sein. Bejaht man mit der hier vertretenen Ansicht eine eingeschränkte Belehrungspflicht auch 15 bei Verstößen gegen § 119 Abs. 2 (oben Rn. 11), so hat der entsprechende Hinweis unverzüglich nach Kontaktaufnahme zwischen Drittem und VR zu erfolgen.26 Hinsichtlich der Belehrung bzgl. eines Verstoßes gegen die Obliegenheit aus § 119 Abs. 3 besteht die Möglichkeit, die Belehrung mit dem entsprechenden Auskunftsverlangen zu verbinden; dies ist allerdings nicht erforderlich.27 Es kommt darauf an, dass es dem Dritten zum Zeitpunkt des Hinweises noch möglich ist, die geforderten Handlungen ohne eigene Nachteile vorzunehmen.28

Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 187a; Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 7. In diese Richtung auch Wandt6 Rn. 1120. Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 8. Prölss/Martin/Knappmann28 § 120 Rn. 12. Weitere Formulierungsbeispiele bei Schwintowki/Brömmelmeyer/Huber3 §§ 119, 120 Rn. 45; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 6. 23 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 120 Rn. 2; ähnlich Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 4 („durch besondere, sich von dem übrigen Text abhebende Mitteilung“). 24 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 6. 25 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 8. 26 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 9. 27 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 9; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 4. 28 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 9.

18 19 20 21 22

653

Beckmann

§ 120 VVG

Obliegenheitsverletzung des Dritten

4. Kausalität 16 Eine Sanktionierung des Dritten setzt weiterhin voraus, dass sein Verstoß gegen die Obliegenheiten aus § 119 Abs. 2 bzw. Abs. 3 ursächlich für entstandene Mehrkosten war.29 Erforderlich ist, dass der Verstoß sich in irgendeiner Weise nachteilig auf den VR ausgewirkt hat.30 Hat der VR bei einem Verstoß gegen § 119 Abs. 2 auf anderem Wege Kenntnis von der Klage erlangt, ist dem Zweck des § 119 Abs. 2 Genüge getan. Dies betrifft auch den Fall, dass im bisherigen Prozessverlauf bereits ein Versäumnisurteil gegen den VN ergangen ist, der VR jedoch so rechtzeitig hiervon erfährt, dass er – fortbestehende Prozessvollmacht vorausgesetzt – Einspruch einlegen und den Prozess fortführen kann.31 Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für die Obliegenheit aus § 119 Abs. 3. Sind die entsprechenden Belege der Ermittlung von Schadenshergang oder -umfang nicht dienlich oder erlangt der VR entsprechende Belege durch Dritte, so ist eine Kausalität zu verneinen und das Verhalten des Dritten bleibt folgenlos.32

II. Rechtsfolgen 17 Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist zu differenzieren zwischen einer Anspruchsbegrenzung des Dritten gegenüber dem VR und den Folgen im Deckungsprozess.

1. Anspruchsbegrenzung 18 Liegen die Voraussetzungen des § 120 vor, so beschränkt sich die Haftung des VR auf den Betrag, den er auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheiten zu leisten gehabt hätte. Auf die ursprünglich durch den Schadensfall verursachten Kosten kann dies regelmäßig keinen Einfluss haben, da dieser Schaden schon vor Entstehen der Obliegenheiten aus § 119 Abs. 2, Abs. 3 abschließend beziffert werden kann.33 Erfasst sind etwa Mehrkosten des Dritten, die bei zeitnaher Einschaltung des VR vermieden worden wären;34 solche sind dann vom Dritten selbst zu tragen und können nicht auf den VR abgewälzt werden. Umfasst sind daher von der Anspruchsbeschränkung insbesondere nachträglich entstandene Kosten wie Anwalts- oder Gerichtskosten oder Kosten der Zwangsvollstreckung.35 19 Wie bereits im Rahmen der Kommentierung zu § 119 ausgeführt (dort Rn. 34 f.), ist ein Schadensersatzanspruch aufgrund des Obliegenheitscharakters der Vorschrift bei Verstößen ausgeschlossen. Ein solcher sollte auch nicht „durch die Hintertür“ über § 120 ermöglicht werden. Es ist deshalb nicht möglich, dass der VR eigene Mehrkosten mit dem Anspruch des Dritten verrechnet.36 Erfährt der VR nicht oder zu spät von einem Anspruch bzw. gerichtlichen Verfahren gegen seinen VN, so ist dies nicht zuletzt auf das Verletzen des VN zurückzuführen; die Obliegenheitsverletzung des Dritten hat demgegenüber zurückzutreten. Auch der Wortlaut des

29 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 120 Rn. 2. 30 Vgl. BGH 11.10.1956 – II ZR 137/55, VersR 1956 707; Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 10. 31 Vgl. BGH 22.10.2003 – IV ZR 171/02, VersR 2003 1565, 1566 (juris Rn. 8 f.); Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 10. Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 10; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 7. Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 120 Rn. 3. Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 14; vgl. auch Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 5. Stiefel/Maier/Jahnke19 § 120 Rn. 14; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 120 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 120 Rn. 3. 36 Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 6; Schwintowki/Brömmelmeyer/Huber3 §§ 119, 120 Rn. 60; Berliner Kommentar/ Hübsch § 158e Rn. 13; a. A. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 120 Rn. 4; Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 14.

32 33 34 35

Beckmann

654

B. Tatbestand

VVG § 120

§ 120 lässt sich für diese Sichtweise anführen.37 Einzige Folge eines Obliegenheitsverstoßes bleibt daher für den Dritten, dass ihm entstandene Mehrkosten nicht ersetzt werden. § 119 beinhaltet Obliegenheiten gegenüber dem VR. Deshalb hat eine Verletzung der Oblie- 20 genheiten aus § 119 keine Auswirkungen auf den Anspruch gegen den VN.38 § 120 beinhaltet hingegen keine Sanktion für unwahre bzw. bewusst irreführende Anga- 21 ben oder gefälschte Belege des Dritten, um etwa einen ganz anderen (vielleicht schon früher entstandenen) Schaden dem VR „unterzuschieben“. Insoweit sind verschiedene Konsequenzen zu unterscheiden. Zum einen bleibt der VR grundsätzlich zum Ersatz des tatsächlich durch den Versicherungsfall eingetretenen Schadens verpflichtet. Das gilt jedoch nicht, wenn ausnahmsweise bereits der Tatbestand der Verwirkung mit der Konsequenz eingreift, dass der Anspruch des Dritten gegen den VR gänzlich hinfällig werden kann.39 Wenn ausnahmsweise ein solcher Fall der Verwirkung tatsächlich einmal vorliegen sollte, ist er indes nicht auf die Konstellation zu beschränken, bei der dem Dritten ein Direktanspruch gem. § 115 zusteht,40 sondern müsste konsequenterweise auch im Rahmen von § 117 Bedeutung haben. Praxisrelevanter dürfte die weitere denkbare Konsequenz sein, dass dem Dritten jedenfalls die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO nicht zur Seite stehen können,41 wenn er tatsächliche und mit dem Versicherungsfall nicht zusammenhängende Schäden miteinander vermengt hat. Im Übrigen kommen bei Falschangaben und Täuschungen die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regelungen zur Anwendung, insbesondere etwa ein deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch des VR gegen den Dritten wegen Betruges gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB.42

2. Keine Bindungswirkung im Deckungsprozess Grundsätzlich geht von dem gegen den VN ergangenen Haftpflichturteil Bindungswirkung für 22 den Deckungsprozess aus.43 Ein Verstoß des geschädigten Dritten gegen § 119 Abs. 2 kann allerdings einer solchen Bindungswirkung entgegenstehen. Ist der VR nämlich nicht über den laufenden Haftpflichtprozess – weder durch den VN, noch den Dritten und auch nicht auf andere Weise – informiert, so kann er auch nicht seine Tatsachen- und Rechtspositionen in diesen Haftpflichtprozess einbringen. In einem anschließenden Deckungsprozess kann sich der VR auf § 120 berufen.44 Konsequenz ist, dass der VR geltend machen kann, dass und in welcher Weise er den Rechtsstreit für den VN geführt hätte und wie das Gericht dann richtigerweise hätte entscheiden müssen.45 Letztlich führt dies dazu, dass keine Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozess besteht.46 Dem VR stehen dann im Deckungsprozess sämtli-

37 Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 6. 38 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 14; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 8. 39 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 120 Rn. 8; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 13; vgl. etwa LG Aachen 21.3.1989 – 9 O 574/87, ZfS 1991 132 (indes gestellter Unfall, so dass bereits zweifelhaft ist, ob dem Dritten überhaupt ein Anspruch zustand). 40 So aber Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 9. 41 OLG Düsseldorf 27.4.1987 – 1 U 79/86, VersR 1988 1191; OLG Hamm 4.10.1989 – 13 U 153/88, NJW-RR 1990 42; OLG Köln 11.5.1988 – 13 U 270/87, VersR 1989 152; OLG Nürnberg 21.5.1976 – 1 U 184/75, VersR 1978 334, 335 (juris Rn. 41); Langheid/Rixecker/Langheid6 § 120 Rn. 10. 42 Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 13; vgl. bereits oben Rn. 4. 43 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch10 Vorbem. zu §§ 100–112 Rn. 108; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 5 ff.; Wandt6 Rn. 1098; a. A. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 106 Rn. 3 (keine Bindungswirkung seit der VVGReform). 44 OLG Frankfurt 27.3.2014 – 7 U 242/13, NZV 2015 78 (juris Rn. 16). 45 KG 30.1.2007 – 6 U 132/06, VersR 2008 69, 70 (juris Rn. 46). 46 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 12; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 9; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 120 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 8. 655

Beckmann

§ 120 VVG

Obliegenheitsverletzung des Dritten

che Einwendungen offen, die er im Haftpflichtprozess hätte geltend machen können.47 Um diese Wirkung zu erzielen, reicht indes die pauschale Behauptung nachteiliger Folgen einer verspäteten Anzeige nicht aus.48 23 Für den Wegfall der Bindungswirkung entscheidend ist jedoch, ob der VR nicht tatsächlich auf anderem Wege Kenntnis vom Haftpflichtprozess erlangt hat. Ist dies der Fall und tritt er den Ansprüchen im Haftpflichtprozess nicht entgegen, so bleibt die Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozess vollständig erhalten. Der VR bleibt dann im Deckungsprozess konsequenterweise beschränkt auf Einreden, die sich aus dem Deckungsverhältnis ergeben.49 Bedeutungslos bleibt dabei, aus welcher Motivation heraus der VR sich trotz Kenntnis nicht in den Prozess eingeschaltet hat. Da die §§ 119, 120 nur dazu dienen, den VR möglichst frühzeitig über gegenüber ihm oder dem VN bestehende Ansprüche zu informieren, ist deren Zweck mit Kenntniserlangung des VR erfüllt, gleich woher sich diese Kenntnis ergibt.50

C. Beweislast 24 Dem VR obliegt es, die Verletzung einer Obliegenheit aus § 119 Abs. 2, Abs. 3 sowie das entsprechende Verschulden des Dritten darzulegen und zu beweisen.51 Ebenso muss der VR nachweisen, dass er den Dritten ordnungsgemäß belehrt hat.52 Dem Dritten obliegt es hingegen, zu beweisen, dass der Verstoß gegen die Obliegenheiten des § 119 Abs. 2, Abs. 3 nicht kausal für entstandene Mehrkosten war und der Schaden auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit derselbe gewesen wäre;53 erforderlich ist allerdings, dass der VR zunächst darlegt, dass die Obliegenheitsverletzung einen höheren Schaden bewirkt hat und warum die Obliegenheitsverletzung sich schadenserhöhend ausgewirkt haben soll.54

D. Arglist 25 Handelt der geschädigte Dritte arglistig und reicht beispielsweise unrichtige Unterlagen ein, so wird dieses Verhalten von § 120 nicht sanktioniert; grundsätzlich ist der VR zum Ersatz des auf Grund des Versicherungsfalls entstandenen, tatsächlichen Schadens verpflichtet.55 Indes kommt nach allgemeinen Grundsätzen zur Verwirkung gem. § 242 BGB in Betracht, dass der Dritte seinen Anspruch gegen den VR verliert.56 In Betracht kommt auch ein Schadensersatzanspruch des VR gegen den Dritten jedenfalls über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB bzw. aus § 826 BGB. Da sich der Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 nach h. M. als gesetzlicher Schuldbeitritt einordnen 47 OLG Düsseldorf 26.3.1999 – 4 U 40/98, NVersZ 2000 96 (juris Rn. 27); LG München 4.3.1987 – 29 O 17579/86, VersR 1988 233 m. Anm. Späth; ders. VersR 1989 354; Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 12. 48 Saarländisches OLG 31.10.2007 – 5 U 510/06, ZfS 2008 219, 221 (juris Rn. 41). 49 BGH 19.3.2003 – IV ZR 233/01, VersR 2003 635, 636 (juris Rn. 12); BGH 22.10.2003 – IV ZR 171/02, VersR 2003 1565, 1566 (juris Rn. 7); Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 13; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 9. 50 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 13; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 10. 51 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 120 Rn. 6; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 12 (Letzterer insoweit einschränkend, dass der VN bei feststehender objektiver Pflichtverletzung darlegen müsse, weshalb er nicht schuldhaft handelte). 52 Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 15; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 12. 53 BGH 11.10.1956 – II ZR 137/55, VersR 1956 707; Langheid/Wandt/Schneider2 § 120 Rn. 15; Langheid/Rixecker/ Langheid6 § 120 Rn. 6; a. A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 120 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/ Schwartze3 § 120 Rn. 11; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 12; Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 120 Rn. 8. 54 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 120 Rn. 6. 55 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 9; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 13. 56 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 120 Rn. 9; Prölss/Martin/Klimke31 § 120 Rn. 13 („nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen“). Beckmann

656

D. Arglist

VVG § 120

lässt (vgl. § 115 Rn. 8) und ein gesetzlicher Schuldbeitritt ein Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und dem hinzutretenden Schuldner begründet,57 kommt auch ein Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB in Betracht.

57 Langheid/Wandt/Schneider2 § 115 Rn. 1. 657

Beckmann

§ 121 Aufrechnung gegenüber Dritten § 35 ist gegenüber Dritten nicht anzuwenden.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand

I.

Aufrechnung mit Forderungen gegen den Versi8 cherungsnehmer

II.

Aufrechnung mit Forderungen gegen den Drit9 ten

C.

Abdingbarkeit

1 2

3

11

8

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 121 entspricht inhaltlich der Vorschrift des § 158g VVG a. F., die Änderungen des Wortlauts sind lediglich redaktioneller Natur.1 Die Vorgängervorschrift war mit der Einführung der Pflichtversicherung für Kfz-Halter im Jahre 1939 in das VVG eingefügt worden.2

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 Grundsätzlich hat der VR gem. § 35 die Möglichkeit, dem geschädigten Dritten gegenüber mit einer fälligen Prämienforderung gegen den VN oder einer anderen ihm aus dem Vertrag zustehenden fälligen Forderung aufzurechnen.3 Um dem Geschädigten einen angemessenen Schutz zu sichern, ist dem VR im Bereich der Pflichthaftpflichtversicherung durch die Vorschrift des § 121 die Möglichkeit genommen, den Anspruch des geschädigten Dritten mit offenen Forderungen gegen den VN aufzurechnen.4

III. Anwendungsbereich 3 Aus der systematischen Stellung folgt, dass sich der Anwendungsbereich des § 121 auf Pflichtversicherungen beschränkt.5 Außerhalb von Pflichthaftpflichtversicherungen verbleibt es damit bei der allgemeinen Regelung des § 35, die dem VR grundsätzlich weitergehende Aufrechnungsmöglichkeiten eröffnet.6 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in sonstigen Haftpflichtverhältnissen der Dritte regelmäßig keinen direkten Anspruch gegen den VR hat und eine Abtre1 2 3 4 5 6

BTDrucks. 16/3945 S. 90. Langheid/Wandt/Brand2 § 121 Rn. 4; vgl. bereits Vorbem. zu §§ 113–124 Rn. 2. Vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 35. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 121 Rn. 2; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 121 Rn. 2. Stiefel/Maier/Jahnke19 § 121 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 121 Rn. 2. Zur Zulässigkeit der Aufrechnung mit offenen Prämienforderungen im Notlagentarif der privaten Krankenversicherungen BGH 5.12.2018 – IV ZR 81/18, VersR 2019 152; Hersch VersR 2020 331. Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522662-025

658

B. Tatbestand

VVG § 121

tung bzw. Einziehung der Forderung des VN gegen den VR regelmäßig nur dann Erfolg verspricht, wenn ein solcher Anspruch tatsächlich existiert und keine Einreden des VR bestehen.7 § 121 gilt sowohl im Rahmen von intakten, wie auch von gestörten Versicherungsverhältnissen.8 Das Aufrechnungsverbot gem. § 121 gilt auch gegenüber SVT, wenn diese den VR in Regress nehmen.9 Die Regelungen über die Pflichthaftpflichtversicherung gelten grundsätzlich auch für mitversicherte Personen (vgl. Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 16).10 Damit findet § 121 auch Anwendung, wenn dem VR gegen eine mitversicherte Person ein Anspruch zusteht; mit einem solchen Anspruch kann der VR gegenüber dem geschädigten Dritten nicht aufrechnen.11 Nicht beschränkt ist der Anwendungsbereich des § 121 hingegen auf Direktansprüche des Dritten gegen den VR. Auch wenn der Dritte sich im Wege der Zwangsvollstreckung den Anspruch des VN gegen den VR verschafft, ist dem VR die Möglichkeit einer Aufrechnung genommen.12 Auch auf den Rechtsnachfolger des Dritten lässt sich § 121 anwenden, wie z. B. auf den SVT (vgl. bereits oben Rn. 5). Das Aufrechnungsverbot kann schließlich Bedeutung in der Insolvenz des VR erlangen. So ist es dem Insolvenzverwalter aufgrund von § 121 nicht möglich, der Eintragung einer Forderung des Geschädigten in die Insolvenztabelle gem. § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO zu widersprechen.13

4 5

6

7

B. Tatbestand I. Aufrechnung mit Forderungen gegen den Versicherungsnehmer Ein Aufrechnungsverbot besteht uneingeschränkt hinsichtlich sämtlicher offener Forderungen 8 gegen den VN.

II. Aufrechnung mit Forderungen gegen den Dritten Eine Aufrechnung mit Forderungen des VR gegenüber dem Dritten ist hingegen durch § 121 9 nicht ausgeschlossen. In Betracht kommen hier beispielsweise Prämienzahlungsansprüche gegen den Dritten, sollte dieser ebenfalls (zufällig) beim VR versichert sein oder sollten sich aus diesem Versicherungsverhältnis entspringende Regressansprüche des VR gegen den Dritten ergeben.14 Soweit man entgegen der hier vertretenen Ansicht (vgl. § 119 Rn. 34, § 120 Rn. 6) einen Scha- 10 densersatzanspruch des VR gegen den Dritten bei Verstoß gegen eine Obliegenheit aus § 119 bejaht, könnte der VR auch mit einem derartigen Anspruch prinzipiell aufrechnen.15

7 Langheid/Wandt/Brand2 § 121 Rn. 3. 8 Vgl. Berliner Kommentar/Hübsch § 158g Rn. 1. 9 Langheid/Wandt/Brand2 § 121 Rn. 5. 10 Zustimmend Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 113 Rn. 2. 11 Vgl. Langheid/Wandt/Brand2 § 121 Rn. 6 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 121 Rn. 2. 12 Vgl. Langheid/Wandt/Brand2 § 121 Rn. 2; Sieg VersR 1964 693, 695. 13 Langheid/Wandt/Brand2 § 121 Rn. 5. 14 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 121 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 § 121 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 121 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 121 Rn. 2; Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 121 Rn. 2; vgl. auch Berliner Kommentar/Hübsch § 158g Rn. 2. 15 Prölss/Martin/Klimke31 § 121 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 121 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Schimikowski4 § 121 Rn. 2. 659

Beckmann

§ 121 VVG

Aufrechnung gegenüber Dritten

C. Abdingbarkeit 11 Die Vorschrift des § 121 ist zum Schutz des geschädigten Dritten, aber auch des VN und des Versicherten nicht abdingbar.16

16 Langheid/Wandt/Brand2 § 121 Rn. 8. Beckmann

660

§ 122 Veräußerung der von der Versicherung erfassten Sache Die §§ 95 bis 98 über die Veräußerung der versicherten Sache sind entsprechend anzuwenden.

Schrifttum Lenski Zur Veräußerung der versicherten Sache (1965); Möring/Stelzer Übergang des Versicherungsvertrages bei Veräußerung eines vorübergehend stillgelegten Kraftfahrzeuges? VersR 1962 691; Schäfer Die Übernahme der Haftpflichtversicherung nach § 158h VVG, Diss. Köln 1973; Stelzer Probleme der Veräußerung in der Kfz-Versicherung ZfV 1959 601; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III. 1. 2.

Anwendungsbereich 3 Grundsätzliches 7 Ausnahmen

B.

Veräußerung der versicherten Sache

I.

Tatbestand

9

1. 2.

Veräußerungsvorgang 13 Veräußerer

II. 1.

2.

16 Rechtsfolgen Übergang des Versicherungsverhältnis16 ses 16 a) Grundsätzliches b) Bestehen einer Regelungslücke? 24 Weitere Rechtsfolgen

C.

Abdingbarkeit

1 2

3

9

19

30

9

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Die dem § 122 entsprechende Vorgängervorschrift fand sich in der bis zum 31.12.2007 geltenden 1 Fassung des VVG in § 158h Satz 1 VVG a. F. Diese Regelung wurde durch Gesetz vom 7.10.19391 in das VVG eingeführt und enthielt entsprechend dem heute geltenden § 122 zunächst nur den Verweis auf die Vorschriften über die Veräußerung der versicherten Sache. Die Schaffung einer solchen Norm hielt man für notwendig, weil die Rechtsprechung zuvor eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Veräußerung der versicherten Sache (§ 69 a. F.) abgelehnt hatte.2 Durch Gesetz vom 21.7.1994 wurde wiederum § 158h VVG a. F. Satz 2 eingefügt, der eine zusätzliche Regelung zur Vermeidung einer Doppelversicherung enthielt;3 danach wurde die Kündigung der vom Veräußerer auf den Erwerber übergegangenen Kfz-Haftpflichtversicherung fingiert, wenn der Erwerber eine neue Versicherung abgeschlossen hat, ohne die alte zu kündigen. Diese Sonderregelung befindet sich seit der Reform des Versicherungsvertragsrechts in § 3b PflVG.4 Während die Vorgängervorschrift des § 158h Satz 1 VVG a. F. noch einen pauschalen Verweis auf die sinngemäße Geltung der „Vorschriften über die Veräußerung der versicherten Sache“ enthielt, erfolgt in § 122 nunmehr ein ausdrücklicher Verweis auf konkrete Rechtsnor1 2 3 4

RGBl. I 2233. Vgl. RG 5.11.1937 RGZ 156 146, 150; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. D 45; Lenski 61 ff. BGBl. I 1630. BGBl. I 2631.

661 https://doi.org/10.1515/9783110522662-026

Beckmann

§ 122 VVG

Veräußerung der von der Versicherung erfassten Sache

men, namentlich auf die §§ 95 bis 98. Offenbar aufgrund eines Redaktionsversehens wurde indes ein Verweis auf § 99 nicht mit aufgenommen.5 Der Gesetzgeber hat – wie vor der VVGReform 2008 – unverändert die Geltung der (gesamten) Vorschriften über die Veräußerung der versicherten Sache beabsichtigt;6 zu diesen gehört auch § 99 (vgl. noch Rn. 12).

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 § 122 erklärt die Vorschriften über die Veräußerung der versicherten Sache in den §§ 95 bis 98 für entsprechend anwendbar. Da bei einer Haftpflichtversicherung nicht die Sache selbst, sondern das gesetzliche Haftpflichtrisiko gegenüber einem Dritten das versicherte Interesse darstellt, scheidet eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften aus. Zwar soll nach der Gesetzesbegründung zu § 95 diese Vorschrift außer reinen Sachversicherungen auch alle sachbezogenen Haftpflichtversicherungen erfassen.7 Bereits hieraus ließe sich möglicherweise schließen, dass z. B. bei einer Kfz-Haftpflichtversicherung, bei der das versicherte Risiko an eine Sache anknüpft, bei Veräußerung der Sache das Versicherungsverhältnis gem. § 95 auf den Erwerber übergeht.8 Indes kann diese Frage letztlich offen bleiben, weil § 122 jedenfalls klarstellt, dass die §§ 95 ff. entsprechend anzuwenden sind. Der Hintergrund für diese Anordnung liegt darin, dass der Erwerber die Sache regelmäßig in gleicher Weise weiterbenutzt wie der Veräußerer und damit auch die Gefahr einer Schädigung Dritter weiterhin besteht; zur Vermeidung einer Lücke im Versicherungsschutz im Bereich der Pflichthaftpflichtversicherung soll das Versicherungsverhältnis vom Veräußerer auf den Erwerber übergehen.9

III. Anwendungsbereich 1. Grundsätzliches 3 § 122 ist auf sämtliche Pflichthaftpflichtversicherungen anwendbar, bei denen die Haftpflicht an eine einzelne Sache gebunden ist, wie z. B. ein Kfz oder eine Anlage, wobei in der Praxis der größte Anwendungsbereich der der Kfz-Haftpflichtversicherung sein dürfte.10 Die §§ 95–98 sind auch entsprechend anwendbar, wenn eine Sachgesamtheit als Ganzes übertragen wird.11 § 122 gilt indes nicht, wenn nur einzelne Sachen aus der Sachgesamtheit veräußert werden.12 Hintergrund ist, dass der HaftpflichtVR in Bezug auf eine Sachgesamtheit in der Regel ein Gesamtrisiko versichert wissen will, nicht aber eine Reihe verschiedener einzelner Risiken.13 Zur Kfz-Händlerversicherung vgl. noch Rn. 7. 5 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 122 Rn. 2; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 122 VVG Rn. 2. 6 Vgl. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 90. 7 BTDrucks. 16/3945 S. 84; vgl. auch Bruck/Möller/Staudinger9 § 95 Rn. 1, 7. 8 So wohl auch Römer/Langheid/Langheid 1. Aufl. 1997 § 69 Rn. 2 a. E.; Grassl-Palten 71 ff., die sich für eine analoge Anwendung des § 151 Abs. 2 VVG a. F. aussprach; a. A. Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 1; Langheid/Wandt/ Brand2 § 122 Rn. 1; Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 3. 9 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. D 45; Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 5; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 122 Rn. 2. 10 Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 2; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 2. 11 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 9; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 2. 12 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 2; zustimmend Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 9; Begr. DJ 1939 1771, 1775. 13 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 4. Beckmann

662

A. Einführung

VVG § 122

Des Weiteren ist § 122 auch dann anzuwenden, wenn der Versicherungsschutz nur auf einer 4 vorläufigen Deckungszusage beruht.14 § 122 findet auch auf ein gestörtes Versicherungsverhältnis Anwendung.15 Zu beachten ist auch, dass für die Betriebshaftpflichtversicherung in § 102 Abs. 2 eine 5 gesonderte Regelung erfolgt ist. Danach tritt bei Veräußerung oder Verpachtung (bzw. ähnlichen Verhältnissen) eines Unternehmens der Erwerber/Pächter an die Stelle des VN (vgl. im Einzelnen § 102 Abs. 2). Unter diese Vorschrift fallen insbesondere Unternehmensübertragungen,16 auch solche, bei denen § 25 HGB Anwendung findet.17 Eine analoge Anwendung des § 102 Abs. 2 auf andere Pflichtversicherungen scheidet aus; insoweit hat § 102 Abs. 2 Vorrang vor § 122.18 Neben dem Übergang eines Haftpflichtverhältnisses nach § 122 i. V. m. §§ 95 ff. kann ein 6 Haftpflichtverhältnis aufgrund anderer Übergangstatbestände erfolgen. Zu denken ist an eine Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere gem. § 1922 BGB.19

2. Ausnahmen Voraussetzung für eine Anwendung des § 122 ist, dass sich die Versicherung auf einen Einzelge- 7 genstand bezieht, also ggf. ein bestimmtes Fahrzeug oder aber eine feststehende Gesamtheit von bestimmten Fahrzeugen Gegenstand des Versicherungsvertrages ist.20 Das Haftpflichtverhältnis geht deshalb nicht auf den Erwerber eines Kfz über, wenn es sich um eine Versicherung handelt, die z. B. nach den Sonderbedingungen für Kraftfahrzeug-Handel und -Handwerk21 geschlossen wurde. Hierbei besteht eine Sammelversicherung, die auf den ständigen Durchlauf von Fahrzeugen beim VN zugeschnitten ist. Eine solche Versicherung beläuft sich auf die Gesamtheit der beim VN im Versicherungszeitraum hereinkommenden und ggf. auch wieder hinausgehenden Fahrzeuge. Des Weiteren erhält der VR keine Kenntnis vom Bestand der Fahrzeuge, sondern ihm wird unter Umständen nur der Bestand an bestimmten Stichtagen mitgeteilt.22 Ein derartiger Sammelvertrag ist demnach grundsätzlich anders gestaltet als ein Kfz-Haftpflichtverhältnis für ein einzelnes Fahrzeug und kann auch nicht in eine Vielzahl von Einzelverträgen aufgeteilt werden.23 Darüber hinaus ist auch die Interessenlage zu berücksichtigen. Eine Anwendung des § 122 kommt nur dann in Betracht, wenn sonst die Gefahr einer Systemlücke im Schutz durch die Pflichthaftpflichtversicherung besteht. Dies ist bei derartig gelagerten Versicherungsverhältnissen nicht der Fall, da der durchschnittliche Verkehrsteilnehmer beim Kauf eines Fahrzeugs vom Händler den Übergang eines Versicherungsverhältnisses aus einer Händlerpolice nicht erwartet; der Erwerber kümmert sich entweder selbst um Deckung oder der Händler tritt als Mittler auf.24 Zudem ist auch die Fahrt des Erwerbers zur Zulassungsstelle mit rotem Kenn14 Vgl. BGH 7.3.1984 – IVa ZR 18/82, VersR 1984 455, 456 (juris Rn. 22) zu § 158h a. F.; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 3. 15 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 3; vgl. noch Rn. 16 ff. 16 Langheid/Wandt/Littbarski2 § 102 Rn. 109; Bruck/Möller/R. Koch10 § 102 Rn. 6. 17 A. A. wohl Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 7, wonach bei Veräußerung nach § 25 HGB die Vorschrift des § 122 Anwendung finden soll. 18 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 8; Staudinger/Halm/Wendt/Dallwig2 § 122 Rn. 2. 19 Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 5; Prölss/Martin/Knappmann27 § 158h Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/ Schwartze3 § 122 Rn. 2. 20 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 20; vgl. Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 3; vgl. bereits oben Rn. 3. 21 Abgedruckt z. B. bei Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski3 S. 1476 ff. 22 Vgl. D.1.1 der Sonderbedingungen zur Kfz-Haftpflicht- und Kaskoversicherung für Kfz-Handel und -Handwerk (KfzSBHH) in der bei Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski3 S. 1476, 1486 abgedruckten Fassung. 23 Vgl. BGH 8.5.1961 – II ZR 7/60, BGHZ 35 153, 155 (juris Rn. 13); Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. D 45; a. A. Ossewski VersR 1953 312. 24 Ausführlich und m. w. N. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. D 45; ebenso Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 20. 663

Beckmann

§ 122 VVG

Veräußerung der von der Versicherung erfassten Sache

zeichen zwecks Umschreibung von der Händlerpolice gedeckt, so dass eine Lücke im Versicherungsschutz nicht ersichtlich ist.25 Gleiches gilt, wenn für zwei Fahrzeuge nur ein Versicherungsverhältnis besteht; insoweit fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit.26 8 Denkbar sind jedoch atypische Ausgestaltungen des Haftpflichtverhältnisses außerhalb der Sonderbedingungen für Kraftfahrzeug-Handel und -Handwerk, die gleichfalls aber auch eine Vielzahl von Kraftfahrzeugen erfassen. R. Johannsen hat das Beispiel genannt, dass ein VR für ein Industrieunternehmen eine Police ausfertigt, bei der eine Vielzahl von Kraftfahrzeugen durch einen Vertrag erfasst sind, aber gegenüber der Zulassungsstelle die üblichen Einzelversicherungsbestätigungen gem. Muster 6 zu § 29a StVZO (heute geregelt in § 23 FZV) ausgestellt sind; in diesem Falle müsse der betreffende Vertragsbestandteil nach Sinn und Zweck der Pflichtversicherungsgesetzgebung auf den Erwerber übergehen.27 Eine Haftpflichtversicherung, die für ein vorübergehend stillgelegtes Fahrzeug abgeschlossen wurde, geht ebenfalls mit der Veräußerung auf den Erwerber über.28

B. Veräußerung der versicherten Sache I. Tatbestand 1. Veräußerungsvorgang 9 § 95 knüpft an die Veräußerung der Sache an. Entscheidend für einen Übergang des Versicherungsverhältnisses ist der Eigentümerwechsel durch Vollzug des dinglichen Rechtsgeschäfts nach den Vorschriften des BGB. Im Rahmen einer Kfz-Haftpflichtversicherung genügt der bloße Wechsel des Halters für die Verwirklichung des Tatbestands gem. § 122 i. V. m. § 95 nicht.29 Zum Begriff der Veräußerung und möglichen Konstellationen vgl. die umfassende Kommentierung zu § 95.30 Eine Anzeige dieser Veräußerung an den VR ist für das Eingreifen von § 122 i. V. m. § 95 10 nicht erforderlich; eine andere Frage betrifft das Bestehen entsprechender Anzeigeobliegenheiten gem. § 122 i. V. m. § 97 und hiermit zusammenhängende Folgen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Übergang des Eigentums auf den Erwerber. Erfolgt die Ver11 äußerung unter Eigentumsvorbehalt, bewirkt erst die Zahlung der letzten Kaufpreisrate und nicht schon die Übergabe der Sache den Übergang des Versicherungsverhältnisses.31 Maßgeblich für den Übergang des Versicherungsverhältnisses ist also der Zeitpunkt der Vollendung der Veräußerung. Gleichwohl ist z. B. bei einer Kfz-Versicherung der Erwerber als Fahrer bereits mitversichert, wenn er das Fahrzeug vor Eigentumsübergang nutzen darf; indes sind ggf. Anzeigeobliegenheiten gegenüber dem VR zu beachten. Auch die Sicherungsübereignung32 sowie die Umwandlung von Gesamthands- in Bruchteilseigentum fallen unter den Begriff der Veräußerung, nicht dagegen die Verpfändung.33

25 26 27 28 29 30 31

Vgl. BGH 8.5.1961 – II ZR 7/60, BGHZ 35 153, 155 (juris Rn. 16). Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 3; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 20. Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. D 45; Ossewski VersR 1953 312. Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 4; Möring/Stelzer VersR 1962 691. Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 21; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 122 Rn. 3. Bruck/Möller/Staudinger9 § 95 Rn. 11 ff. Vgl. BGH 22.9.1958 – II ZR 87/57, BGHZ 28 137, 142 (juris Rn. 9); BGH 16.10.1974 – IV ZR 3/73, VersR 1974 1191, 1193 (juris Rn. 18); BGH 8.2.1965 – II ZR 171/62, VersR 1965 425, 427; Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 6; Langheid/Wandt/ Brand2 § 122 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 8; ausführlich Bruck/Möller/ R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. D 45. 32 Vgl. BGH 8.2.1965 – II ZR 171/62, VersR 1965 425; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 10. 33 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 10 f. Beckmann

664

B. Veräußerung der versicherten Sache

VVG § 122

Auf den ersten Blick scheint die Eigentumsübertragung im Wege der Zwangsvollstreckung 12 nicht mehr als Veräußerung zu gelten, da § 122 nur noch auf die §§ 95–98 verweist und gerade nicht auf § 99, der die §§ 95 ff. für die Eigentumsübertragung durch Zwangsvollstreckung für anwendbar erklärt. Dies ist jedoch als redaktionelles Versehen zu werten, da § 122 nach der Gesetzesbegründung sachlich mit § 158h Satz 1 a. F. übereinstimmen sollte34 und ein solcher Ausschluss nach der alten Gesetzeslage gerade nicht gewollt war. Bereits in den AKB 2008 wurde auf diese Gesetzeslücke reagiert, und so ist in G 7.6 AKB 2008 vorgesehen, dass der Versicherungsvertrag auch auf den Erwerber durch Zwangsvollstreckung übergeht.35

2. Veräußerer Erforderlich ist die Veräußerung durch den VN als Eigentümer oder als verfügungsberech- 13 tigter Dritter.36 Rechtshandlungen eines außenstehenden Dritten (auch eines Mitversicherten) können das 14 Vertragsverhältnis grundsätzlich nicht berühren.37 Veräußert ein Nichtberechtigter (der auch nicht VN ist) eine fremde Sache und erlangt der Erwerber über die Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs (§§ 932 ff. BGB) Eigentum, greift § 122 i. V. m. §§ 95 ff. nicht ein. Denn es fehlt bereits an einer Veräußerung durch den VN; vgl. den Wortlaut des § 95.38 Etwas anderes wird man annehmen können, wenn ein Nichtberechtigter (z. B. Entleiher, Mieter) eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, später über die Sache verfügt und der Erwerber gutgläubig Eigentum erlangt; bei dieser Konstellation wird die Sache vom VN veräußert, sodass es gerechtfertigt erscheint, § 122 i. V. m. §§ 95 ff. heranzuziehen.39 Ebenfalls erfasst § 122 i. V. m. §§ 95 ff. den Fall, dass ein Nichtberechtigter mit Zustimmung des VN (der zugleich Eigentümer ist) die Veräußerung vornimmt.40 Auch eine Partei kraft Amtes (insbesondere Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker 15 etc.) kann wirksam über die Sache verfügen, so dass § 122 i. V. m. §§ 95 ff. eingreift.41

II. Rechtsfolgen 1. Übergang des Versicherungsverhältnisses a) Grundsätzliches. Durch den Eigentumsübergang geht das Versicherungsverhältnis in der 16 Form, in der es zum Zeitpunkt der Veräußerung bestand, vom Veräußerer auf den Erwerber über. Der Veräußerer scheidet als bisheriger VN aus dem Versicherungsverhältnis aus, während der Erwerber die Position des bisherigen VN einnimmt.42 Der Erwerber, der zuvor ggf. mitversicherte Person war, erlangt durch den Erwerb die Rechtsstellung als VN und ist nicht weiter als mitversicherte Person zu behandeln.43 Hat der VR das Versicherungsverhältnis vor der Veräuße34 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 90; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 122 Rn. 2; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 5, 11; vgl. bereits oben Rn. 1.

35 Vgl. auch Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 5. 36 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 122 Rn. 3; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 13. 37 Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 122 Rn. 3; vgl. umfassend BGH 7.3.1984 – IVa ZR 18/82, VersR 1984 455, 456 (juris Rn. 16). 38 Bruck/Möller/Staudinger9 § 95 Rn. 58; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 9. 39 Ebenso Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 9. 40 Bruck/Möller/Staudinger9 § 95 Rn. 59. 41 Bruck/Möller/Staudinger9 § 95 Rn. 62. 42 Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 7. 43 Vgl. BGH 7.3.1984 – IVa ZR 18/82, VersR 1984 455, 456 (juris Rn. 19); Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 15; Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 7. 665

Beckmann

§ 122 VVG

Veräußerung der von der Versicherung erfassten Sache

rung (z. B. durch Rücktritt) beendet, kann das Versicherungsverhältnis als solches nicht mehr auf den Erwerber übergehen. Indes tritt der Erwerber in diesem Falle in eine Rechtslage ein; hier zählen auch solche Rechtsbeziehungen, die sich nur als Nachwirkungen des Versicherungsverhältnisses darstellen, insbesondere gehören dazu Bindungen, die sich aus § 117 Abs. 2 ergeben.44 Vor diesem Hintergrund ist auch die Formulierung zu verstehen, der Erwerber übernimmt das Versicherungsverhältnis in dem Zustand, wie es sich beim Veräußerer befand.45 Die Versicherung geht in voller Höhe und nicht nur in Höhe der gesetzlich vorgeschriebe17 nen Mindestversicherungssumme über.46 Mit dem Übergang kommen dem Erwerber schließlich auch günstigere Bedingungen oder Prämien, die zwischen VR und Veräußerer vereinbart waren, zugute.47 Indes gehen lediglich sachbezogene Bestandteile des Versicherungsvertrages auf den Erwerber über; für rein personenbezogene Bestandteile des Versicherungsvertrages (wie. z. B. der Schadensfreiheitsrabatt in der Kfz-Haftpflichtversicherung) gilt dies nicht.48 Da das Versicherungsverhältnis in der Form, in der es zum Zeitpunkt der Veräußerung be18 stand, übergeht, wirken sich auch Nachteile auf den Erwerber aus.49 Dies bezieht sich z. B. auf wirksame Risikoausschlüsse; diese haben gegenüber dem Erwerber Bestand.50 Auch andere Nachteile, die etwa zu einem gestörten Versicherungsverhältnis geführt hatten, treffen den Erwerber.51 Besteht also lediglich ein gestörtes Versicherungsverhältnis, so kann der Erwerber auch nur in dieses eintreten.

19 b) Bestehen einer Regelungslücke? Die überwiegende Meinung nimmt den „Übergang der Nachteile“ auf den Erwerber auch an, wenn sich der Veräußerer etwa im Prämienverzug mit einer Erst- oder Folgeprämie befand und der VR deswegen nach § 37 Abs. 2 bzw. § 38 Abs. 2 leistungsfrei ist; danach kann sich der VR auch gegenüber dem Erwerber auf die Leistungsfreiheit berufen52 und den Erwerber – nach Ausgleich des geschädigten Dritten – gem. § 117 Abs. 5 in Regress nehmen. Hiermit ist für den Erwerber ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko verbunden.53 Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Erwerber Kenntnis von dem gegenüber dem VN im Innenverhältnis nicht bestehenden Versicherungsschutz hatte; anders als einer mitversicherten Person im Rahmen von § 123 hilft dem Erwerber auch kein guter Glaube.54 Insbesondere Huber sieht hierin eine vom Gesetzgeber übersehene Schutzlücke, die durch eine entsprechende Anwendung des § 123 auf den Erwerber zu schließen sei, so dass dieser ähnlich wie eine mitversicherte Person gem. § 123 geschützt wäre.55 Zur Verdeutlichung der Problematik benennt Huber eine ähnliche Konstellation, die der bereits erwähnten Entscheidung des BGH vom 7.3.198456 zugrunde lag:

44 45 46 47 48 49 50 51

BGH 7.3.1984 – IVa ZR 18/82, VersR 1984 455, 456 (juris Rn. 23). Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 10. Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 8; Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 5. Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 16. Bruck/Möller/Staudinger9 § 95 Rn. 64. Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 12. Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 16. Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 9; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 16; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Huber3 § 122 Rn. 10, differenzierend Rn. 12; Bruck/Möller/Staudinger9 § 95 Rn. 66. 52 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 16; Prölss/Martin/Klimke31 § 122 Rn. 6; Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 9; vgl. BGH 7.3.1984 – IVa ZR 18/82, VersR 1984 455, 456 (juris Rn. 23); OLG Düsseldorf 9.8.1995 – 4 U 219/94, VersR 1996 1267, 1268. 53 Vgl. BGH 7.3.1984 – IVa ZR 18/82, VersR 1984 455; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 16. 54 Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 16. 55 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 12 ff. 56 BGH 7.3.1984 – IVa ZR 18/82, VersR 1984 455; leicht abgewandelt bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 12. Beckmann

666

B. Veräußerung der versicherten Sache

VVG § 122

Nachdem der VR vom Versicherungsvertrag wegen Nichtzahlung der ersten Prämie durch den ursprünglichen VN von einem Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag zurückgetreten war und der VR der Zulassungsstelle angezeigt hatte, dass die Versicherungsbestätigung ihre Geltung verloren habe, veräußerte der VN den Pkw. Noch innerhalb der Nachhaftungszeit gem. § 3 Nr. 5 PflVG a. F. (heute geregelt in § 117 Abs. 2) – die Veräußerung war bis dahin weder der Zulassungsstelle noch dem VR angezeigt – verursachte der Erwerber mit dem Wagen schuldhaft einen Verkehrsunfall. Der VR ersetzte dem Unfallgegner den Schaden und nahm den Erwerber in Rückgriff. Der BGH bejahte den Anspruch des VR gem. § 426 BGB i. V. m. § 3 Nr. 9 Satz 2 PflVG a. F. (heute geregelt in § 116 Abs. 1 Satz 2). Denn durch den Erwerb des Fahrzeugs sei der Erwerber gem. § 158h i. V. m. §§ 69 ff. VVG a. F. (heute § 122 i. V. m. §§ 95 ff.) in die Stellung als VN eingetreten.57 Der vor dem Erwerb erklärte Rücktritt des VR stehe einer Nachfolge gem. § 158h VVG a. F. nicht entgegen. Der Erwerber trete nämlich nicht in bestimmte Rechte und Pflichten ein, sondern in eine Rechtslage.58 Problematisch ist bei solchen Konstellationen, dass der Erwerber, dem der fehlende Versicherungsschutz regelmäßig nicht bekannt sein wird, nach § 116 Abs. 1 Satz 2 (bzw. gem. § 117 Abs. 5) dem Regress des VR ausgesetzt ist, was auch schon bei einem mittelschweren Unfall die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz bedeuten kann. Dazu kommt das Risiko des Erwerbers, auch dem SVT nach § 116 SGB X, dem Arbeitgeber nach § 6 EFZG, dem SchadensVR nach § 86 oder anderen Regressgläubigern Ersatz leisten zu müssen. Auch wenn der Erwerber sich grundsätzlich beim Veräußerer schadlos halten kann, so wird dessen Vermögen bei gravierenden Unfällen häufig nicht zur Erfüllung der Forderungen ausreichen.59 Somit hat letztlich häufig der Erwerber die wirtschaftlichen Folgen des Unfalls zu tragen, ohne sich dessen vorher bewusst zu sein. Um die Angemessenheit dieser Konsequenzen zu rechtfertigen, könnte man freilich darauf verweisen, dass der Erwerber sich beim VR hinsichtlich eines ausreichenden Versicherungsschutzes hätte erkundigen müssen.60 Zutreffend weist Huber darauf hin, dass man in einer sehr ähnlichen Konstellation, die aber „nur eine Spur anders gelagert“ sei,61 zu einem ganz anderen Ergebnis gelangt und ein Regressanspruch des HaftpflichtVR gegen den Erwerber nicht besteht. Hat nämlich der Erwerber das Fahrzeug unter Eigentumsvorbehalt erworben und nicht sämtliche Raten bezahlt, liegt kein Fall des § 122 i. V. m. §§ 95 ff. vor; für diesen Tatbestand bedarf es der Eigentumsübertragung, die aufgrund der noch ausstehenden vollständigen Bezahlung des Kaufpreises gem. §§ 929, 158 BGB noch nicht eingetreten ist (vgl. oben Rn. 11). Der Vorbehaltskäufer tritt dadurch gerade nicht in die Rechtsstellung des Vorbehaltsverkäufers als VN. Vielmehr erlangt der Vorbehaltskäufer die Rechtsstellung einer mitversicherten Person. Und in dieser Rechtsposition droht ihm gem. § 123 Abs. 1, 4 ein Rückgriff durch den VR nur dann, wenn er von der Leistungsfreiheit des HaftpflichtVR gegenüber dem Veräußerer gewusst oder dies infolge grober Fahrlässigkeit nicht gewusst hat.62 Vor diesem Hintergrund befürwortet Huber für die zuerst genannte Konstellation (oben Rn. 20) eine analoge Anwendung des § 123.63 Als Konsequenz einer solchen analogen Anwendung könnte der HaftpflichtVR beim Erwerber keinen Regress nehmen, wenn diesem nicht Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Leistungsfreiheit des HaftpflichtVR vorgeworfen werden könnte. In der Tat hängt die Gestaltung der Eigentumsübertragung (unbedingte oder bedingte Übereignung auf Grundlage eines Vorbehaltskaufs) vielfach von Zufällen ab. Die An57 58 59 60 61

BGH a. a. O. Fn. 56 (juris Rn. 15). BGH a. a. O. Fn. 56 (juris Rn. 23); vgl. bereits in dieser Kommentierung Rn. 16. Zum Vorstehenden Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 12. Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 16. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 14; Konstellation, die der Entscheidung des OLG Düsseldorf 9.8.1995 – 4 U 219/94, VersR 1996 1267 zugrunde lag. 62 Auch zum Vorstehenden Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 14. 63 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 16. 667

Beckmann

20

21

22

23

§ 122 VVG

Veräußerung der von der Versicherung erfassten Sache

sicht, die eine solche analoge Anwendung des § 123 ablehnt, argumentiert dagegen, der neue Eigentümer könne sich leicht darüber informieren, wie es um die Einstandspflicht des VR stehe.64 Für die Beantwortung der in Rede stehenden Frage kommt es im Wesentlichen auf zwei Aspekte an. Zum einen stellt sich die Frage, ob der Erwerber in beiden Konstellationen in gleichem Umfang schützenswert ist. Diese Frage wird man bejahen können; der Erwerber z. B. eines Pkws wird sich auf Anhieb ohne rechtliche Beratung keine Gedanken darüber machen, ob der Versicherungsschutz davon abhängt, ob er unter Eigentumsvorbehalt kauft oder nicht; möglicherweise ist ihm die Eigentumslage nicht einmal ganz klar. Zum anderen hängt eine analoge Anwendung des § 123 davon ab, ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Huber bejaht dies und argumentiert u. a., der Gesetzgeber habe die Rechtsstellung des gutgläubigen Mitversicherten nur in § 123 bedacht und im Rahmen der VVG-Reform 2008 ausgebaut; die hier in Rede stehende Regelungslücke sei dagegen planwidrig.65 In der Tat hat der Gesetzgeber – im Hinblick auf eine andere Konstellation – den Schutz des Mitversicherten in § 123 erweitert, nachdem der BGH auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Diskrepanz hingewiesen hatte;66 dem hat der Gesetzgeber mit dem neuen § 123 Abs. 4 Rechnung getragen. Soweit ersichtlich ist die hier in Rede stehende Konstellation (oben Rn. 20) vom Gesetzgeber nicht erörtert worden, was jedenfalls für eine planwidrige Regelungslücke spricht, wenn man die beiden oben beschriebenen Konstellationen (Rn. 20 bzw. 22) als vergleichbar ansieht und den Erwerber in beiden Konstellationen als gleich schutzwürdig betrachtet.

2. Weitere Rechtsfolgen 24 Die Veräußerung ist dem VR vom Veräußerer oder Erwerber unverzüglich anzuzeigen, § 97 Abs. 1 Satz 1. Ist die Anzeige unterblieben, ist der VR gem. § 97 Abs. 1 Satz 2 leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Anzeige dem Versicherer hätte zugehen müssen, und der Versicherer den mit dem Veräußerer bestehenden Vertrag mit dem Erwerber nicht geschlossen hätte. Leistungsfreiheit wird man aber dann nicht annehmen können, wenn Kontrahierungszwang für den HaftpflichtVR besteht (insbesondere gem. § 5 Abs. 2 PflVG). § 97 Abs. 1 soll die Vertragswahlfreiheit des VR schützen.67 Diese ist aber gar nicht berührt, wenn Kontrahierungszwang ohnehin besteht. In diesem Falle wird man eine Leistungsfreiheit gem. § 97 Abs. 1 Satz 2 abzulehnen haben.68 25 Nach § 96 ist der VR grundsätzlich berechtigt, das Versicherungsverhältnis unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu kündigen. Indes besteht ein solches Kündigungsrecht nicht, wenn für den VR (z. B. unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 PflVG) Kontrahierungszwang besteht.69

Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 16. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 15 f.; vgl. dazu auch § 123 Rn. 6 f. BTDrucks. 16/3945 S. 90 unter Hinweis auf BGH 14.1.2004 – IV ZR 127/03, VersR 2004 369. Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 17. Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 17; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. F 76; OLG Köln 5.11.1987 – 5 U 63/87, ZfS 1987 370; a. A. BGH 22.6.1967 – II ZR 154/64, VersR 1967 746 (juris Rn. 8); Saarländisches OLG 17.7.1968 – 3 U 67/67, VersR 1968 1133. 69 Vgl. BGH 30.9.1981 – IVa ZR 187/80, VersR 1982 259, 260 (juris Rn. 31); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 122 Rn. 5; Langheid/Wandt/Brand2 § 122 Rn. 18.

64 65 66 67 68

Beckmann

668

C. Abdingbarkeit

VVG § 122

Deckungsansprüche des Veräußerers gehen nicht auf den Erwerber über. Rechtsverbindliche Erklärungen, die sich auf die künftige Ausgestaltung des Versicherungsverhältnisses beziehen, müssen gegenüber dem neuen VN abgegeben werden.70 Wenn der Erwerber als neuer VN einen Schaden verursacht, hat dies keinen Einfluss mehr auf den Schadensfreiheitsrabatt des alten VN; umgekehrt geht ein günstiger Schadensfreiheitsrabatt des Veräußerers nicht auf den Erwerber über (vgl. bereits oben Rn. 17). Zu den sich aus §§ 95 ff. ergebenden Rechtsfolgen vgl. im Übrigen die dortige Kommentierung. Bei einer neben der Haftpflichtversicherung bestehenden Fahrzeugversicherung geht der diesbezügliche Vertragsbestandteil unmittelbar nach den §§ 95 bis 98 über.

26 27 28

29

C. Abdingbarkeit § 122 ist zugunsten des Dritten, des VN und des Erwerbers zwingend.71 Somit ist eine Vereinba- 30 rung zwischen VR und VN, dass das Pflichthaftpflichtverhältnis nicht auf den Erwerber übergehen soll, nicht wirksam. Wenn die Vertragsparteien den Versicherungsvertrag im Hinblick auf eine spätere Veräußerung aufheben könnten, könnte § 122 seinen Schutzzweck nicht erfüllen.72

70 BGH 14.3.1984 – IVa ZR 91/82, VersR 1984 550, 551 (juris Rn. 19); Brück/Möller/R.Johannsen8 Bd. V/1 Anm. D 48; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 8.

71 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 122 Rn. 17; Berliner Kommentar/Hübsch § 158h Rn. 14. 72 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. D 45. 669

Beckmann

§ 123 Rückgriff bei mehreren Versicherten (1) Ist bei einer Versicherung für fremde Rechnung der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber nicht zur Leistung verpflichtet, kann er dies einem Versicherten, der zur selbständigen Geltendmachung seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrag befugt ist, nur entgegenhalten, wenn die der Leistungsfreiheit zu Grunde liegenden Umstände in der Person dieses Versicherten vorliegen oder wenn diese Umstände dem Versicherten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt waren. (2) Der Umfang der Leistungspflicht nach Absatz 1 bestimmt sich nach § 117 Abs. 3 Satz 1; § 117 Abs. 3 Satz 2 ist nicht anzuwenden. § 117 Abs. 4 ist entsprechend anzuwenden. (3) Soweit der Versicherer nach Absatz 1 leistet, kann er beim Versicherungsnehmer Rückgriff nehmen. (4) Die Absätze 1 bis 3 sind entsprechend anzuwenden, wenn die Frist nach § 117 Abs. 2 Satz 1 und 2 noch nicht abgelaufen ist oder der Versicherer die Beendigung des Versicherungsverhältnisses der hierfür zuständigen Stelle nicht angezeigt hat.

Schrifttum Biela Zur Anwendung der seit dem 1.1.1991 geltenden Fassung des § 158i VVG auf zeitlich davor liegende Fälle, VersR 1993 1390; E. Lorenz Anmerkungen zum BGH-Urteil vom 14.1.2004 (Az. IV ZR 127/03), VersR 2004 369; R. Johannsen Bemerkungen zur Änderung des § 158i VVG, VersR 1991 500; Schirmer Neuere Entwicklungstendenzen in der Versicherung für fremde Rechnung – am Beispiel der Kfz-Haftpflichtversicherung – ZVersWiss 1981 120; ders. Aktuelle Entwicklungen zum Recht der Obliegenheiten (Teil 1), RuS 1990 217; ders. Aktuelle Entwicklungen zum Recht der Obliegenheiten (Teil 2), RuS 1990 253; ders. Verlust des Haftpflichtversicherungsschutzes für Kfz-Führer nach Versicherungskündigung, DAR 2004 375; Schwab Regress beim leistungsfreien Kfz-Haftpflichtversicherer im Rahmen der Mehrfachversicherung?, VersR 2016 221; Sieg Der zeitliche Geltungsbereich der Regressnormen des PflVersÄndG vom 5.4.1965, VersR 1966 101; ders. Verfahrensrechtliche Fragen bei der Inanspruchnahme des Entschädigungsfonds, VersR 1967 324; van Bühren Anwendungsbereich des § 158i VVG, EWiR § 158i VVG 1/2004 455; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 1

4.

A.

Einleitung

I.

Entstehungsgeschichte

II. 1.

5 Inhalt und Zweck Durchbrechung des Akzessorietätsgrundsatzes 5 Verbesserung der Stellung des Mitversicher6 ten

2.

1

5.

8

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand

I. 1. 2. 3.

12 Grundtatbestand, Abs. 1 13 Versicherung für fremde Rechnung 14 Leistungsfreiheit Selbstständige Geltendmachung von Rechten 19

12

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522662-027

Kein schuldhaftes Verhalten bzw. Gutgläubigkeit des Mitversicherten, Abs. 1, 21 2. Halbs. 22 a) Kein schuldhaftes Verhalten 23 b) Gutgläubigkeit Wirksamer Versicherungsvertrag zum Zeitpunkt 26 des Versicherungsfalles a) Rechtslage vor der VVG-Reform 26 2008 b) Behandlung im Rahmen der VVG-Reform 28 2008

II.

Anwendung während der Nachhaftung, 30 Abs. 4

C.

Rechtsfolgen

I.

Keine Leistungsfreiheit gegenüber dem Versi34 cherten

34

670

A. Einleitung

1.

2.

II.

Grundsätzliche Wirkungen, insbesondere Leistungspflicht gegenüber dem Versicher34 ten Umfang der Leistungspflicht des Haftpflichtver35 sicherers, Abs. 2 Satz 1

VVG § 123

III.

Verhältnis zum Amtshaftungsanspruch, Abs. 2 38 Satz 2

IV.

Regressrecht des Versicherers, Abs. 3

D.

Beweislast und Abdingbarkeit

39 43

Keine Anwendung des Verweisungsprivilegs, 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs.

A. Einleitung I. Entstehungsgeschichte § 123 Abs. 1 bis 3 entsprechen sachlich dem § 158i VVG a. F. in der bis zum 31.12.2007 gültigen 1 Fassung des VVG.1 Bei Abs. 4 wiederum handelt es sich um eine neue Regelung, die mit der VVG-Reform 2008 eingefügt wurde2 und die zuvor keine inhaltliche Entsprechung hatte. Die Vorgängervorschrift des § 158i VVG a. F. wurde erstmals durch Gesetz zur Änderung 2 von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vom 5.4.1965 in das VVG aufgenommen.3 Diese bis zum 31.12.1990 geltende Fassung des § 158i VVG a. F. enthielt lediglich ein Regressverbot des VR gegenüber dem Mitversicherten; außerdem bezog sie sich nur auf Obliegenheitsverletzungen (insbesondere nicht auf Verletzung der Prämienzahlungspflicht), so dass der VR auch gegenüber dem Versicherten leistungsfrei blieb, wenn er gegenüber dem VN wegen Prämienverzuges leistungsfrei war.4 Nach der genannten BGH-Entscheidung (unten Fn. 4) ergingen zum Schutze von Mitversicherten geschäftsplanmäßige Erklärungen von VR, wonach diese auf einen Rückgriff gegen mitversicherte Personen verzichteten, wenn nicht die mitversicherte Person von der Nichtzahlung wusste oder ihr insofern wenigstens grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen war.5 Gleichwohl war damit der Schutz des Versicherten nicht lückenlos geworden. Da im Gegensatz zu den Kfz-HaftpflichtVR die Sozialversicherungsträger (SVT) keinen entsprechenden Regressverzicht abgegeben hatten, waren mitversicherte Personen (insbesondere Kfz-Fahrer) dem Regressanspruch des SVT ausgesetzt.6 Grundlegend geändert wurde § 158i VVG a. F. zum 1.1.1991 aufgrund des Gesetzes zur Ände- 3 rung versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 17.12.1990.7 Danach konnte der VR eine dem VN gegenüber bestehende Leistungsfreiheit dem Mitversicherten, der zur selbständigen Geltendmachung seiner Rechte befugt ist, nur dann entgegenhalten, wenn die der Leistungsfreiheit zugrunde liegenden Umstände in der Person des Versicherten vorlagen oder wenn diese Umstände dem Versicherten bekannt oder grob fahrlässig nicht bekannt waren. Diese neue Regelung ging damit über das in der bis 31.12.1990 geltenden Fassung statuierte Regressverbot hinaus und gestaltete den Versicherungsschutz für den Versicherten partiell unabhängig vom Versicherungsschutz für den VN.8 Auch die im Rahmen der Vorgängerfassung bestehende Lücke des Schutzes des Versicherten (oben Rn. 2) wurde damit beseitigt. Wie eingangs zum Ausdruck 1 2 3 4

BTDrucks. 16/3945 S. 90; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 123 Rn. 1. BTDrucks. 16/3945 S. 90; dazu noch Rn. 11, 30 ff. BGBl. I 213. Vgl. BGH 20.1.1971 – IV ZR 42/69, VersR 1971 429 f. (juris Rn. 7 f.); zur bis 31.12.1990 geltenden Rechtslage Bruck/ Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. H 35 ff, 38; Schirmer ZVersWiss 1981 120, 126. 5 VerBAV 1973 103; VerBAV 1975 157; VerBAV 1987 169, 170; dazu Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. H 38; vgl. auch BGH 13.1.1988 – IVa ZR 152/86, VersR 1988 362, 363 (juris Rn. 12). 6 BGH 13.1.1988 – IVa ZR 152/86, VersR 1988 362; mit Anm. Prölss JZ 1988 771; Schirmer ZfS 1988 194. 7 BGBl. I 1990 2864, 2866. 8 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. H 28. 671

Beckmann

§ 123 VVG

Rückgriff bei mehreren Versicherten

(Rn. 1) gebracht, entsprach diese vom 1.1.1991 bis 31.12.2007 geltende Fassung des § 158i VVG a. F. sachlich den heute geltenden Vorschriften des § 123 Abs. 1 bis 3. 4 In Literatur und Rechtsprechung war seinerzeit umstritten, ob § 158i VVG a. F. ein bestehendes Versicherungsverhältnis voraussetzt oder ob die Vorschrift den Versicherten auch bei nicht – oder zumindest bei nicht mehr – bestehendem Versicherungsverhältnis schützt.9 Insbesondere für den Fall, dass im Zeitpunkt des Versicherungsfalls wegen Kündigung kein wirksames Versicherungsverhältnis mehr besteht, wurde durch die Rechtsprechung mehrfach unter Hinweis auf die gesetzgeberische Entscheidung eine Anwendung des § 158i VVG a. F. abgelehnt.10 Somit bestand für den Mitversicherten, der von der Beendigung des Versicherungsverhältnisses keine Kenntnis hatte, kein Versicherungsschutz. Auf diese Diskrepanz hat der Gesetzgeber mit dem seit der VVG-Reform 2008 neuen Absatz 4 reagiert.11 Der Anwendungsbereich des § 123 ist nunmehr erweitert und bezieht den Mitversicherten auch in der Nachhaftungszeit ein, es sei denn, ihm war die Beendigung des Versicherungsverhältnisses bekannt oder grob fahrlässig unbekannt (dazu noch Rn. 30 ff.).

II. Inhalt und Zweck 1. Durchbrechung des Akzessorietätsgrundsatzes 5 Wie §§ 43 ff. näher regeln, kann der VN neben der Versicherung des eigenen Interesses auch eine Versicherung für fremde Rechnung abschließen, d. h. er kann ein Drittinteresse versichern. Der Versicherte ist nicht selbst VN; vielmehr ist der Versicherte als Dritter in den Versicherungsvertrag zwischen dem VN und dem VR mit einbezogen. Dabei kann sich der Versicherungsvertrag zum einen auf ein Haftpflichtrisiko beziehen, das sowohl für den VN als auch den Mitversicherten besteht,12 zum anderen kann auch ausschließlich ein fremdes Interesse gedeckt sein.13 Im Rahmen der Versicherung für fremde Rechnung gilt für die Rechtsstellung des Versicherten der Akzessorietätsgrundsatz; danach ist der Versicherungsschutz des Mitversicherten grundsätzlich von dem des VN abhängig.14 Demnach verliert der Mitversicherte seine Deckung, wenn und soweit der VR dem VN gegenüber aufgrund einer Rechts- oder Obliegenheitsverletzung leistungsfrei geworden ist.15 Dies gilt auch dann, wenn die Versicherung ausschließlich für ein fremdes Interesse abgeschlossen wurde. Unterschiedlich beurteilt wird insbesondere, woraus sich der Akzessorietätsgrundsatz herleiten lässt. Teilweise wird auf § 334 BGB zurückgegriffen,16

9 Vgl. Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 11 f.; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. H 29 jeweils m. w. N.; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 123 Rn. 4. 10 BGH 14.1.2004 – IV ZR 127/03, BGHZ 157 269, 272 = VersR 2004 369, 370 (juris Rn. 10) m. Anm. E. Lorenz; BGH 13.1.1988 – IVa ZR 152/86, VersR 1988 362, 363 (juris Rn. 18). 11 BTDrucks. 16/3945 S. 90. 12 So etwa in der Kfz-Haftpflichtversicherung nach § 2 Abs. 2 KfzPflVV; in diesem Fall liegt eine kombinierte Eigenund Fremdversicherung vor; z. B. für Notariatsverwalter vgl. etwa § 61 Abs. 2 BNotO. In diesen Fällen wird durch Rechtsvorschrift das Vorliegen der Eigen- und Fremdversicherung vorgegeben, so dass der VN insoweit kein Wahlrecht hat. 13 So in einer D&O-Versicherung (directors and officers) für Vorstände und Geschäftsführer von Unternehmen, die Vermögensschäden abdeckt, oder in einem Gruppen-Haftpflichtversicherungsvertrag, sog. reine Fremdversicherung; siehe Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 1; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 123 Rn. 4; indes handelt es sich bei der D&O-Versicherung nicht um eine Pflicht-Haftpflichtversicherung. 14 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 123 Rn. 2; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 1; teilweise werden zur Herleitung des Akzessorietätsgrundsatzes zusätzlich §§ 43 ff. herangezogen, vgl. Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 123 Rn. 3, der auf § 47 Abs. 1 abstellt. 15 Anders an dieser Stelle Stiefel/Hofmann17 § 3 AKB Rn. 23, der einen Einwendungsausschluss annimmt. 16 Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 1. Beckmann

672

A. Einleitung

VVG § 123

andere entnehmen diesen Grundsatz direkt aus § 44 Abs. 1 („aus dem Versicherungsvertrag“).17 Um den Mitversicherten vor dem Verlust seines Versicherungsschutzes durch Verhalten des VN, auf das er selbst keinen Einfluss hat, zu schützen, wird der Akzessorietätsgrundsatz für die Pflichthaftpflichtversicherung durch § 123 durchbrochen und der Leistungsanspruch des Mitversicherten von dem des VN gelöst. Der VR ist nur dann gegenüber dem Mitversicherten leistungsfrei, wenn dieser von den zur Leistungsfreiheit führenden Umständen gewusst oder grob fahrlässig nicht gewusst hat. Die mit der Vorschrift bezweckte soziale Risikoabsicherung besteht folglich auch nur für den gutgläubigen Mitversicherten.18 Da der Mitversicherte auf die Erfüllung der dem VN obliegenden Pflichten keinen Einfluss hat, wird zudem der Regress des VR verhindert, wenn dieser dem geschädigten Dritten aufgrund der § 117 Abs. 1 oder Abs. 2 zur Leistung verpflichtet ist.19

2. Verbesserung der Stellung des Mitversicherten Wie bereits zum Ausdruck gekommen, bezweckt die Durchbrechung des Akzessorietätsprinzips 6 eine für den Mitversicherten verbesserte Stellung, die sogar mit der des geschädigten Dritten nach § 115 Abs. 1 Satz 2 und § 117 Abs. 1 vergleichbar ist.20 Grundsätzlich ist zwar der Opferschutz das Hauptziel von Pflichthaftpflichtversicherungen (vgl. Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 15), gleichwohl kommt insbesondere durch § 123 zum Ausdruck, dass der (gutgläubige) Mitversicherte in gewisser Hinsicht ebenso schutzwürdig sein kann wie der geschädigte Dritte. Umgekehrt lässt sich hieraus schließen, dass § 123 dem Mitversicherten nicht zugutekommt, 7 der selbst die Leistungsfreiheit des HaftpflichtVR herbeigeführt hat.21

III. Anwendungsbereich Die Vorschrift gilt zunächst für natürliche und juristische Personen sowie Personengesamtheiten 8 und Handelsgesellschaften, die aufgrund einer Rechtsvorschrift (vgl. § 113 Abs. 1) in den Versicherungsschutz des vom VN abzuschließenden Versicherungsvertrages einbezogen sind und zu deren Gunsten somit eine Versicherung für fremde Rechnung besteht.22 Die Anwendung setzt mithin das Vorliegen einer Pflichthaftpflichtversicherung voraus. Hierbei kann der mitversicherte Dritte neben dem VN oder isoliert versichert sein.23 In der Praxis bedeutsam ist vor allem der Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung, für den sich aus § 2 Abs. 2 KfzPflVV der Kreis der obligatorisch mitversicherten Personen ergibt. Weitere Anwendungsbereiche finden sich in Berufshaftpflichtversicherungen, ausdrücklich geht hiervon etwa § 61 Abs. 2 BNotO aus, der eine Mitversicherung zugunsten von Notariatsvertretern vorsieht. Eine Anwendung der Regelung erfolgt aber auch, wenn der Mitversicherte über die beste- 9 hende gesetzliche Verpflichtung hinaus durch Vereinbarung in den Versicherungsvertrag ein-

17 So Bruck/Möller/Brand10 § 44 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/R. Koch3 § 43 Rn. 14. 18 Zum Vorstehenden Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 2; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 1; zu § 158i a. F. BTDrucks. 11/6341 S. 35; BTDrucks. 4/2252 S. 31. 19 Vgl. Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 2 zur insoweit sachlich übereinstimmenden Rechtslage vor der VVGReform. 20 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 123 Rn. 7. 21 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 123 Rn. 5; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 6. 22 Für die Kraftfahrtversicherung ergibt sich der Kreis der versicherten Personen aus § 2 Abs. 2 KfzPflVV; vgl. auch Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 5; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 123 Rn. 2. 23 Die Möglichkeit bzw. die Pflicht, das Haftpflichtrisiko Dritter in den Versicherungsschutz einzubeziehen, ergibt sich zum einen aus dem Gesetz (z. B. § 1 PflVG, § 102 Abs. 1) und zum anderen aus den AHB (Ziff. 27 AHB 2008); siehe Rn. 5; Prölss/Martin/Klimke31 § 123 Rn. 2. 673

Beckmann

§ 123 VVG

Rückgriff bei mehreren Versicherten

bezogen wurde.24 Dies folgt aus § 113 Abs. 3, der auch eingreift, wenn der Kreis der mitversicherten Personen über die obligatorischen Vorgaben hinaus erweitert wird.25 10 Der Grund für die Leistungsfreiheit des VR gegenüber dem VN kann in der Verletzung einer vertraglichen Pflicht oder einer vertraglichen oder gesetzlichen Obliegenheit liegen (dazu sogleich Rn. 14 ff.). Des Weiteren spielt es keine Rolle, ob der VR gegenüber dem VN in voller Höhe oder nur teilweise leistungsfrei geworden ist.26 Denkbar ist es auch, dass der VR gegenüber dem VN vollständig leistungsfrei ist und gegenüber dem Mitversicherten teilweise leistungsfrei ist; insoweit bleibt der VR gegenüber dem Versicherten grundsätzlich zumindest teilweise zur Leistung verpflichtet.27 Durch die VVG-Reform 2008 wurde der Versicherungsschutz auf die Nachhaftungszeit aus11 gedehnt, §§ 123 Abs. 4, 117 Abs. 2 Satz 1 und 2 (vgl. bereits oben Rn. 4 sowie noch Rn. 30 ff.).

B. Tatbestand I. Grundtatbestand, Abs. 1 12 Gem. § 123 Abs. 1 kann der HaftpflichtVR bei einer Versicherung für fremde Rechnung eine dem VN gegenüber bestehende Leistungsfreiheit einem Versicherten, der zur selbständigen Geltendmachung seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrag befugt ist, nur entgegenhalten, wenn die der Leistungsfreiheit zugrunde liegenden Umstände in der Person dieses Versicherten vorliegen oder wenn diese Umstände dem Versicherten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt waren. Im Einzelnen:

1. Versicherung für fremde Rechnung 13 § 123 Abs. 1 setzt eine Versicherung für fremde Rechnung gem. §§ 43 ff. voraus. Damit sind also Konstellationen gemeint, bei denen nicht nur das Interesse des VN versichert ist, sondern auch Interessen einer mitversicherten Person. Wie schon zum Ausdruck gebracht, spielt dies insbesondere im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung eine bedeutende Rolle; aus § 2 Abs. 2 KfzPflVV ergibt sich, welche Personen bei einer Kfz-Haftpflichtversicherung mitversichert sind; aber auch außerhalb dieses Bereichs finden sich solche Versicherungen für fremde Rechnung (vgl. bereits oben Rn. 5, 8 und die dortigen Fußnoten). Wie sich aus der systematischen Stellung ergibt, gilt § 123 für Pflichthaftpflichtversicherungen i. S. v. § 113. Die Vorschrift greift auch ein, wenn eine Pflichthaftpflichtversicherung im Raum steht, sich aber die Mitversicherung für eine andere Person aus einer vertraglichen Vereinbarung ergibt; die Einbeziehung der mitversicherten Person muss sich also nicht unbedingt aus einer Rechtsvorschrift ergeben (vgl. oben Rn. 9).

2. Leistungsfreiheit 14 § 123 Abs. 1 setzt weiter voraus, dass der HaftpflichtVR dem VN gegenüber nicht zur Leistung verpflichtet ist. Eine solche gegenüber dem VN wirkende Leistungsfreiheit kann sich aus verschiedenen Gründen ergeben. Die häufigsten Fälle hierfür sind die Verletzung einer Vertragspflicht (z. B. Verzug mit der Prämienzahlung, §§ 37, 38) oder einer gesetzlichen oder vertragli24 Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 3; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 2. 25 Vgl. bereits § 113 Rn. 27. 26 Prölss/Martin/Klimke31 § 123 § Rn. 5; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 4. 27 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 8 (entsprechende Anwendung des § 123 Abs. 1). Beckmann

674

B. Tatbestand

VVG § 123

chen Obliegenheit (z. B. §§ 26, 28).28 Die die Leistungsfreiheit begründenden Umstände dürfen grundsätzlich nur in der Person des VN vorliegen.29 Indes ist es – wie an anderer Stelle bereits festgestellt (oben Rn. 10) – auch möglich, dass der VR gegenüber dem VN vollständig leistungsfrei ist und gegenüber dem Mitversicherten teilweise leistungsfrei ist; insoweit bleibt der VR gegenüber dem Versicherten grundsätzlich zumindest teilweise zur Leistung verpflichtet.30 Letzteres setzt aber voraus, dass das Verhalten des Versicherten lediglich zu einer teilweisen Leistungsfreiheit geführt hat; wenn dem Mitversicherten ein Verhalten vorzuwerfen ist, das zur vollständigen Leistungsfreiheit des VR führt, scheidet eine Anwendung der Vorschrift aus.31 Der Versicherungsschutz soll nur für gutgläubige Versicherte bestehen, die keinen Einfluss darauf nehmen können, ob der VN seine Vertragspflichten und Obliegenheiten erfüllt. Zu beachten ist, dass sich der Umfang der Leistungspflicht des HaftpflichtVR gem. § 123 15 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. wiederum nach § 117 Abs. 3 Satz 1 richtet; danach ist der VR nur im Rahmen der vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme und der von ihm übernommenen Gefahr zur Leistung verpflichtet (vgl. noch Rn. 35 f.). Soweit ein Risikoausschluss eingreift, fehlt es an einer vom VR übernommenen Gefahr.32 Hieraus ließe sich schließen, dass § 123 Abs. 1 nicht verwirklicht ist, wenn der VN etwa den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat;33 bei § 103 handelt es sich um einen subjektiven Risikoausschluss. Indes führt § 123 Abs. 1 zu einer Durchbrechung des Akzessorietätsprinzips (oben Rn. 5). Das heißt die Ansprüche des VN und der mitversicherten Person sind selbständig zu betrachten, also ist auch die vom VR übernommene Gefahr i. S. d. § 123 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. i. V. m. § 117 Abs. 3 Satz 1 auf die versicherte Person zu beziehen. Hieraus folgt, dass es sich auch im Falle einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles gem. § 103 durch den VN um einen Fall der Leistungsfreiheit gegenüber dem VR gem. § 123 Abs. 1 handelt.34 Im Schrifttum wird vertreten, dass bei einer kombinierten Eigen- und Fremdversicherung 16 zu differenzieren sei. § 123 komme nicht zur Anwendung, wenn die in Rede stehende verletzte Obliegenheit die Sphäre des VN betreffe; in diesem Falle bleibe die Rechtsstellung des Versicherten schon nach der Grundregel des § 47 i. V. m. § 334 BGB unberührt. § 123 sei erst dann berührt, wenn zumindest auch die Sphäre des Versicherten betroffen sei.35 Indes ist eine solche Differenzierung mit Rechtsunsicherheiten verbunden. Im Rahmen von § 123 erscheint eine solche Differenzierung zudem nicht erforderlich. Es kann letztlich dahinstehen, ob man bereits aus § 47 herleitet, dass sich eine vom VN begangene Obliegenheitsverletzung nicht auf die Rechtsstellung des Versicherten auswirkt. § 123 bewirkt gerade, dass die Rechtsverhältnisse zwischen dem VN zum VR und dem Versicherten zum VR selbständig zu beurteilen sind, so dass – unabhängig von der Einordnung der Obliegenheit in die Sphäre des VN bzw. in die Sphäre des Versicherten – eine Obliegenheitsverletzung durch den VN unter den Tatbestand des § 123 Abs. 1 subsumiert werden kann. Zur Vorgängervorschrift des § 158i VVG a. F. wurde des Weiteren vertreten, dass diese auch 17 im Falle der Leistungsfreiheit aufgrund angefochtenen Versicherungsvertrags sowie versteckten Dissenses oder unerkannter Geschäftsunfähigkeit eingreift.36 Nach der im Rahmen der VVG-

28 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 3; Berliner Kommentar/ Hübsch § 158i Rn. 6.

29 Berliner Kommentar/Hübsch § 123 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 3. 30 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 8 (entsprechende Anwendung des § 123 Abs. 1). 31 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 123 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 3; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 6; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 10. 32 Vgl. § 117 Rn. 49; Langheid/Wandt/Schneider2 § 117 Rn. 32. 33 Im Ansatz auch Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. G 87. 34 Ebenso Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. G 87 zu § 158i VVG a. F.; ohne Begründung Langheid/Wandt/ Brand2 § 123 Rn. 8; im Übrigen wird diese Frage in Kommentierungen zu § 123 kaum thematisiert. 35 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 9; in anderen Kommentierungen – soweit ersichtlich – nicht aufgegriffen. 36 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. H 29; ebenfalls zu § 123 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 8. 675

Beckmann

§ 123 VVG

Rückgriff bei mehreren Versicherten

Reform 2008 erfolgten Hinzufügung des Absatzes 4 erscheint es indes naheliegender, jene Fälle unter diesen neuen Tatbestand zu subsumieren. 18 Die Vorschrift greift nicht, wenn der VR gegenüber dem Versicherten, nicht aber gegenüber dem VN leistungsfrei ist.37

3. Selbstständige Geltendmachung von Rechten 19 Der Mitversicherte muss des Weiteren „zur selbständigen Geltendmachung seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrag befugt“ sein. Grundsätzlich kann der Mitversicherte im Rahmen einer Versicherung für fremde Rechnung gem. § 44 Abs. 2 seine Rechte nur mit Zustimmung des VN durchsetzen. Abgesehen von weiteren Möglichkeiten, die sich aus § 44 selbst ergeben,38 ist der Schutz des Versicherten davon abhängig, dass dem Versicherten durch besondere Bestimmung diese Befugnis eingeräumt wird. Für den Hauptanwendungsfall der Kfz-Haftpflichtversicherung ist dies durch § 2 Abs. 3 KfzPflVV vorgeschrieben und durch A.1.2. AKB 2008 geschehen.39 Im Übrigen hängt dies davon ab, ob dem Versicherten durch vertragliche Vereinbarung das Recht eingeräumt wird, seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag selbständig geltend zu machen. Der durch § 123 angestrebte Schutz besteht dann nicht, wenn der Gesetzgeber zwar eine Pflichthaftpflichtversicherung vorschreibt, die Vertragspartner aber nicht zu einer von § 44 abweichenden Regelung verpflichtet40 oder dem Versicherten eine solche Möglichkeit nicht vertraglich eingeräumt wird. Vor diesem Hintergrund wird das Erfordernis der Verfügungsbefugnis des Versicherten in 20 § 123 Abs. 1 nicht zu Unrecht kritisiert.41 Es gefährde den von der Pflichthaftpflichtversicherung angestrebten Schutz des Mitversicherten. Es überrascht ein wenig, dass der Gesetzgeber im Rahmen der VVG-Reform 2008 diesen Aspekt nicht aufgegriffen hat, obgleich bereits vor der Reform diese Problematik im Schrifttum diskutiert worden ist.42 Teilweise wird weiterhin für eine gesetzliche Anpassung plädiert und vorgeschlagen, dieses Erfordernis de lege ferenda ersatzlos zu streichen.43 Da nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber im Rahmen der VVG-Reform 2008 ganz bewusst an diesem Merkmal festgehalten hat, erscheint es im Hinblick auf den unbestrittenen Schutzzweck des § 123 unter Umständen sogar möglich, diesem Merkmal bereits de lege lata keinen zu hohen Stellenwert zuzumessen; jedenfalls dann, wenn der Schutz des Mitversicherten hierdurch unterlaufen würde.

4. Kein schuldhaftes Verhalten bzw. Gutgläubigkeit des Mitversicherten, Abs. 1, 2. Halbs. 21 Der HaftpflichtVR kann dem Versicherten die gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit nur entgegenhalten, wenn die der Leistungsfreiheit zugrunde liegenden Umstände in der Person dieses Versicherten vorliegen oder wenn diese Umstände dem Versicherten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt waren. 37 R. Johannsen VersR 1991 500, 502; ders. in: Bruck/Möller8 Bd. V/1 Anm. H 30; hierzu insgesamt auch: Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 7; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 11. 38 Dazu Bruck/Möller/Brand10 § 44 Rn. 33 ff. 39 Zuvor in § 10 Abs. 4 AKB geregelt. 40 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 123 Rn. 8; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 123 Rn. 8; zur Pfändung der Ansprüche des Versicherten OLG Düsseldorf 29.10.1996 – 4 U 197/95, VersR 1997 1475. 41 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 15 (rechtspolitisch zweifelhaft); Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 123 Rn. 10 („beeindruckende Ungereimtheit“). 42 Vgl. R. Johannsen VersR 1991 500, 502 f.; Schirmer DAR 2004 375, 376. 43 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 15 a. E. Beckmann

676

B. Tatbestand

VVG § 123

a) Kein schuldhaftes Verhalten. Die der Leistungsfreiheit zugrunde liegenden Umstände dür- 22 fen nicht in der Person des Versicherten liegen; diese Umstände dürfen also nicht durch den Versicherten selbst gesetzt werden.44 Damit sind insbesondere Fälle gemeint, bei denen der Versicherte selbst eine Obliegenheitsverletzung begeht (vgl. bereits oben Rn. 14). Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit der HaftpflichtVR.

b) Gutgläubigkeit. Der Mitversicherte muss zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls gutgläubig 23 gewesen sein, d. h. er darf die zur Leistungsfreiheit des VR führenden Umstände weder gekannt haben noch dürfen sie ihm aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen sein. Anderenfalls ist er nicht schutzwürdig. Hierbei ist auf die Kenntnis der zugrunde liegenden Fakten und nicht auf die entsprechenden rechtlichen Schlussfolgerungen abzustellen.45 Wenn der Versicherte die zur Leistungsfreiheit führenden Umstände kennt und nichts dagegen unternimmt, entfällt der Versicherungsschutz ebenfalls. Ist dem Versicherten beispielsweise bekannt, dass der VN seiner Prämienzahlung nicht nachgekommen ist, ist er nicht schutzwürdig.46 Grob fahrlässige Unkenntnis ist gegeben, wenn der Mitversicherte seine Augen bewusst vor 24 den zur Leistungsfreiheit führenden Umständen verschlossen hat.47 Ein schuldhaftes Verhalten des Mitversicherten in Zusammenhang mit dem die Haftung begründenden Vorgang ist nicht erforderlich.48 Auch im Hinblick auf mangelnde Gutgläubigkeit trifft den HaftpflichtVR die Darlegungs- 25 und Beweislast.49 5. Wirksamer Versicherungsvertrag zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles a) Rechtslage vor der VVG-Reform 2008. Vor der VVG-Reform 2008 war höchst umstritten, 26 ob für die Anwendung der Vorgängervorschrift des § 158i VVG a. F. ein wirksamer Versicherungsvertrag zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls bestanden haben muss.50 Insoweit ließe sich argumentieren, dass Rechte des Versicherten einen zwischen dem VN und dem VR grundsätzlich bestehenden Versicherungsvertrag voraussetzen.51 Sofern das Versicherungsverhältnis bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht mehr besteht, kann nach dieser Auffassung auch keine Leistungspflicht des VR bestehen und somit scheidet auch eine damit korrespondierende Leistungsfreiheit aus.52 Dieser Lesart entsprechend hat die Rechtsprechung noch wenige Jahre vor der VVG-Reform 2008 eine Einbeziehung des Mitversicherten in den Schutzbereich des damaligen 44 Prölss/Martin/Klimke31 § 123 Rn. 5. 45 Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 9; beispielsweise ist es ausreichend, wenn der Mitversicherte Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis davon hat, dass der VN aus von ihm zu vertretenden Umständen die Versicherungsprämie nicht bezahlt hat und vom VR darauf hingewiesen wurde; woraufhin letzterer vorzeitig vom Vertrag zurückgetreten ist; entnommen aus Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 123 Rn. 4; gleiches gilt für den Fall einer Obliegenheitsverletzung, die zur Leistungsfreiheit des VR führt; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 16; Langheid/ Rixecker/Langheid6 § 123 Rn. 10; Prölss/Martin/Klimke31 § 123 § Rn. 6. 46 Berliner Kommentar/Hübsch § 158f Rn. 29, § 158i Rn. 9. 47 Hierzu kritisch: Schirmer RuS 1990 253, 256. 48 Prölss/Martin/Klimke31 § 123 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 123 Rn. 10; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 16. 49 Prölss/Martin/Klimke31 § 123 § Rn. 14; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 34; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 10. 50 Dazu etwa Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 11 ff.; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 19; Looschelders/ Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 6. 51 So etwa Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 12; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 19. 52 Schirmer DAR 2004 375, 376 mit Verweis auf BTDrucks. 11/6341 S. 36; BR-Drucks. 616/89 S. 103; zum Streitstand: Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 11 f.; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 6. 677

Beckmann

§ 123 VVG

Rückgriff bei mehreren Versicherten

§ 158i VVG a. F. nach beendetem Versicherungsvertrag abgelehnt.53 So sollte die Tatsache, dass der Wortlaut eine selbständige Geltendmachung von vertraglichen Rechten voraussetzt und dies nur bei bestehendem Versicherungsvertrag möglich ist, einen Freistellungsanspruch des Mitversicherten ausschließen. Diese Schlussfolgerung wurde teilweise als Begriffsjurisprudenz und als sachlich nicht einleuchtend kritisiert.54 Jedoch ergab sich auch aus den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber dem Mitversicherten nicht den gleichen Schutz wie dem geschädigten Dritten zugestehen wollte55 und ein anderes Ergebnis somit auch durch korrigierende Auslegung nicht erreicht werden konnte. Das aufgrund dieser gesetzlichen Wertung erreichte Ergebnis sei daher zwar zu bedauern, aber als dogmatisch richtig hinzunehmen.56 Gleichwohl wurden zur Vorgängervorschrift des § 158i VVG a. F. auch andere Auffassungen 27 vertreten. So wurde nach teilweise vertretener Auffassung ein wirksamer Versicherungsvertrag nicht für erforderlich gehalten.57 Anderen Ansichten zufolge konnte § 158i VVG a. F. nicht in Fällen der Beendigung des Versicherungsverhältnisses, wohl aber dann zur Anwendung gelangen, wenn der Vertrag nicht zustande gekommen (z. B. wegen Dissens oder Geschäftsunfähigkeit des VN) oder aber durch Anfechtung gem. § 142 BGB i. V. m. § 119 bzw. § 123 BGB unwirksam geworden war.58

28 b) Behandlung im Rahmen der VVG-Reform 2008. Dieser Problematik hat sich der Gesetzgeber im Rahmen der VVG-Reform 2008 angenommen und den neuen Absatz 4 eingefügt. Hierdurch ist die bisherige umstrittene Rechtlage „wesentlich entschärft“ worden.59 Nach dieser Regelung des Absatz 4 wird erreicht, dass dem Mitversicherten auch dann Versicherungsschutz zusteht, wenn das Versicherungsverhältnis nicht bestanden hat oder beendet worden ist, aber der VR gegenüber dem geschädigten Dritten gem. § 117 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 nachhaftet.60 29 Für die Regelung des § 123 Abs. 1 ergibt sich daraus, dass der Tatbestand einen wirksamen Versicherungsvertrag voraussetzt; ist dies nicht der Fall, findet diese Vorschrift aber unter den Voraussetzungen des Abs. 4 i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz 1 und 2 entsprechende Anwendung (dazu sogleich Rn. 30 ff.). Der Gesetzgeber hat insoweit ausdrücklich eine entsprechende Anwendung des Abs. 1 zum Ausdruck gebracht.61

II. Anwendung während der Nachhaftung, Abs. 4 30 Durch die VVG-Reform 2008 wurden die Absätze 1 bis 3 in der Nachhaftungszeit für entsprechend anwendbar erklärt, § 123 Abs. 4. Versicherungsschutz besteht auch dann, wenn der Versicherungsvertrag beendet wurde oder nicht bestanden hat, sofern und solange der VR dem geschädigten Dritten gegenüber weiterhin aus § 117 Abs. 2 Satz 1 haftet.62 Innerhalb dieses Zeit53 BGH 14.1.2004 – IV ZR 127/03, BGHZ 157 269 = VersR 2004 369, 370 (juris Rn. 10 ff.) m. Anm. E. Lorenz. 54 AG Köln 24.4.1992 – 266 C 19/90, VersR 1993 824, 825. 55 BTDrucks. 11/6341 S. 36 („Das Recht zur selbständigen Geltendmachung von Rechten aus dem Versicherungsvertrag erlischt allerdings mit der wirksamen Kündigung gegenüber dem Versicherungsnehmer, etwa nach Fristsetzung wegen Prämienverzugs.“). 56 BTDrucks. 11/6341 S. 36; van Bühren EWiR 2004 455, 456; Schirmer DAR 2004 375, 377; so auch schon R. Johannsen VersR 1991 500, 501. 57 OLG Düsseldorf 9.8.1985 – 4 U 219/94, VersR 1996 1267, 1268 f.; Prölss/Martin/Knappmann27 § 158i Rn. 4, wonach die Anknüpfung an das Recht zur selbständigen Geltendmachung auf die generelle Stellung des Versicherten nach den Versicherungsbedingungen und nicht auf die konkrete Berechtigung im Einzelfall abstelle. 58 Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. H 29; vgl. Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 11. 59 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 19; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 6. 60 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 123 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 6. 61 Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 90; vgl. auch Rn. 33. 62 BTDrucks. 16/3945 S. 90. Beckmann

678

C. Rechtsfolgen

VVG § 123

raums haftet der VR gegenüber einem gutgläubigen Versicherten wie bei bestehendem und gültigem Versicherungsvertrag. Er kann dem Versicherten die Leistungsfreiheit nicht entgegenhalten, wenn im Zeitpunkt des Versicherungsfalles kein Versicherungsverhältnis besteht. Die Gründe für das Nichtbestehen des Versicherungsschutzes im Verhältnis zwischen VR und VN spielen keine Rolle. Der VR haftet, bis die Nachhaftungszeit abgelaufen ist und die Beendigung des Versicherungsverhältnisses der hierfür zuständigen Stelle angezeigt wurde, § 117 Abs. 2 Satz 1 und 2. Eine Nachhaftung scheidet aber aus, wenn der Versicherte Kenntnis oder grob fahrlässige 31 Unkenntnis von der Beendigung oder dem Nichtbestehen des Versicherungsverhältnisses hat (Abs. 4 i. V. m. Abs. 1).63 Durch Einfügung von Absatz 4 ist die Auseinandersetzung um den Schutz des gutgläubigen 32 Mitversicherten nach Vertragsbeendigung hinfällig (dazu oben Rn. 26). Die sachlich nicht gerechtfertigte Diskrepanz zwischen dem Schutz des geschädigten Dritten und dem des Mitversicherten, auf die von der Rechtsprechung hingewiesen wurde, sollte nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers beseitigt werden.64 Um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, kommt nur eine entsprechende und keine un- 33 mittelbare Anwendung der Absätze 1 bis 3 in Betracht, weil der Mitversicherte nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses keinen vertraglichen Versicherungsschutz mehr hat und nicht mehr zur unmittelbaren Geltendmachung seiner Rechte aus dem nicht mehr bestehenden Versicherungsvertrag befugt sein kann.65

C. Rechtsfolgen I. Keine Leistungsfreiheit gegenüber dem Versicherten 1. Grundsätzliche Wirkungen, insbesondere Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten Liegen die Voraussetzungen von Abs. 1 bzw. von Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 vor, so kann der VR seine 34 gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit dem Versicherten nicht entgegenhalten. § 123 schließt die Rechtsfolgen der allgemeinen Regelung des § 334 BGB aus. Kann der VR dem Versicherten die gegenüber dem VN bestehende Leistungsfreiheit nicht entgegenhalten, so bewirkt dies in der Konsequenz, dass der VR im Verhältnis zum Versicherten aus dem Versicherungsvertrag leistungspflichtig bleibt.66

2. Umfang der Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers, Abs. 2 Satz 1 Der Umfang der Leistungspflicht des HaftpflichtVR ergibt sich aus § 123 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. 35 i. V. m. § 117 Abs. 3. Danach besteht eine Verpflichtung zur Haftung in Höhe der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme. Diese Beschränkung ist gerechtfertigt, da der Versicherte nur auf einen Haftpflichtversicherungsschutz in Höhe der gesetzlichen Mindestversicherungssumme vertrauen kann. Sofern der Schaden die Mindestversicherungssumme übersteigt, bleibt der Versicherte in dieser Höhe zur Haftung allein verpflichtet. 63 Im Gegensatz dazu bestand nach bisheriger Rechtslage auch dann kein Versicherungsschutz, wenn der Versicherte keine Kenntnis hatte und auch nicht hätte haben müssen. 64 BTDrucks. 16/3945 S. 90. 65 BTDrucks. 16/3945 S. 90; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 21; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn 7. 66 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 25; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 14; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. H 28. 679

Beckmann

§ 123 VVG

36

Rückgriff bei mehreren Versicherten

Der VR haftet gegenüber dem Versicherten aus den genannten Regelungen auch nur im Rahmen der übernommenen Gefahr, da eine weitergehende Haftung als bei intaktem Versicherungsverhältnis nicht in Betracht kommt67 (dazu Kommentierung zu § 117 Rn. 49), deshalb wird mancherorts geäußert, diese Vorschrift habe nur klarstellende Bedeutung.68 Im darüber hinausgehenden Umfang haftet der Versicherte allein. Der VR haftet auch dann, wenn er dem VN gegenüber nur teilweise von der Leistung befreit ist.69 § 123 ist auch anzuwenden, wenn der VR dem VN gegenüber vollständig, dem Versicherten gegenüber nur teilweise leistungsfrei ist;70 der VR bleibt dem Versicherten auch dann im Rahmen des Absatzes 1 zur Leistung verpflichtet.

II. Keine Anwendung des Verweisungsprivilegs, Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. 37 In einem gestörten Versicherungsverhältnis ist der HaftpflichtVR gem. § 117 Abs. 3 Satz 2 leistungsfrei, soweit der Dritte Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer oder von einem SVT erlangen kann; in diesem Falle ist der geschädigte Dritte nicht schutzwürdig, da er anderweitig (von einem Schadensversicherer oder einem SVT) Ausgleich seines Schadens erlangen kann. Gem. § 123 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. findet das Verweisungsprivileg des § 117 Abs. 3 Satz 2 im Rahmen von § 123 zum Schutz des Versicherten keine Anwendung. Könnte sich der VR einer Leistung gegenüber dem Versicherten mit dem Hinweis, dass sich der geschädigte Dritte bei einem SchadensVR oder einem SVT schadlos halten kann, verweigern, wäre der Mitversicherte dem Regress des SchadensVR bzw. des SVT ausgesetzt.71 Anders als im Rahmen von § 117 gegenüber dem geschädigten Dritten ist also die Haftung des HaftpflichtVR gegenüber dem Versicherten nicht subsidiär.72 Zum Teil wird allerdings dafür plädiert, die Vorschrift des § 123 teleologisch zu reduzieren, wenn ein zweiter Haftpflichtversicherer den Dritten freizustellen hat (etwa bei Mehrfachversicherung im Falle eines Fahrzeuggespannes aus jeweils versicherter Zugmaschine und Anhänger).73 In diesem Fall entfiele das von § 123 geschützte soziale Schutzbedürfnis des Mitversicherten.

III. Verhältnis zum Amtshaftungsanspruch, Abs. 2 Satz 2 38 Beim Zusammentreffen einer Haftung des HaftpflichtVR mit einem Amtshaftungsanspruch des Geschädigten aus § 839 BGB wird durch § 123 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 117 Abs. 4 Satz 1 klargestellt, dass einem Regress des VR gegenüber der öffentlichen Hand nicht die Bestimmung des § 839 Abs. 1 Satz 2 entgegengehalten werden kann. Letztlich soll die öffentliche Hand und nicht der VR für den Schaden aufkommen. Dieser Hinweis hat lediglich klarstellende Bedeutung, da sich die Rechtsprechung bereits zuvor in diese Richtung entwickelt hat.74 Grundsätzlich wird eine 67 R. Johannsen VersR 1991 500, 503; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 27; Prölss/Martin/Klimke31 § 123 Rn. 7; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 14; Schirmer RuS 1990 253, 256; a. A. Bauer Rn. 895. 68 Vgl. Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 27. 69 Etwa bei grob fahrlässiger Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit, § 28 Abs. 2 Satz 2; vgl. Rn. 10; Prölss/ Martin/Klimke3 § 123 Rn. 5. 70 Etwa bei vorsätzlicher Verletzung einer Obliegenheit durch den VN (z. B. § 28 Abs. 2 Satz 1) und gleichzeitigem Fahrlässigkeitsvorwurf gegen den Mitversicherten (§ 28 Abs. 2 Satz 1); vgl. etwa BGH 14.12.1967 – II ZR 169/65, BGHZ 49 130; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 8; vgl. bereits oben Rn. 14. 71 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 29; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 9; Prölss/Martin/Klimke31 § 123 Rn. 8. 72 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 29. 73 Schwab VersR 2016 221, 222. 74 Vgl. BGH 28.10.1982 – III ZR 206/80, BGHZ 85 225, 226 f. = VersR 1983 84 (juris Rn. 6); BGH 20.11.1980 – III ZR 31/78, BGHZ 79 35 = VersR 1981 233, 235 (juris Rn. 33); BGH 20.11.1980 – III ZR 122/79, BGHZ 79 26 = VersR 1981 252, 253 (juris Rn. 14); BGH 30.10.1980 – III ZR 80/79, VersR 1981 347 (juris Rn. 10). Beckmann

680

C. Rechtsfolgen

VVG § 123

Anwendung des § 839 Abs. 1 Satz 2 auch dann verneint, wenn ein Amtsträger bei der dienstlichen Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr schuldhaft einen Unfall verursacht hat.75 Dies gilt jedoch nicht für den Fall, dass der Amtsträger Sonderrechte nach § 35 StVO in Anspruch genommen hat.76 Auch im Fall des Absatz 2 Satz 2 wird eine teleologische Reduktion für den Fall einer zweiten, voll einstandspflichtigen Haftpflichtversicherung vertreten (siehe auch Rn. 37).77

IV. Regressrecht des Versicherers, Abs. 3 Nach § 123 Abs. 3 kann der VR beim VN Rückgriff nehmen, wenn er diesem gegenüber leistungsfrei war, jedoch aufgrund von Absatz 1 dem Mitversicherten diese Leistungsfreiheit nicht entgegenhalten konnte. Absatz 3 begründet kein eigenständiges Regressrecht sondern ist vorwiegend klarstellender Natur.78 Die dem Versicherten gegenüber angeordnete Leistungspflicht besteht nicht gegenüber dem VN und somit kann ein Regress bei diesem auch nicht ausgeschlossen sein. Insbesondere im Bereich der Kfz-Pflichtversicherung ist der Rückgriff allerdings auf die in §§ 5 Abs. 3, 6 Abs. 1 und 3 KfzPflVV angegebene Höhe beschränkt. Aus dem Wortlaut geht jedoch nicht unmittelbar hervor, dass ein Anspruch gegen den VN nur dann auf den VR übergehen kann, wenn der VN dem geschädigten Dritten auch selbst verantwortlich gewesen wäre. Würde immer dann, wenn der VR eine Ersatzleistung für den Versicherten erbringen muss, weil sich der VR wegen § 123 Abs. 1 nicht auf Leistungsfreiheit gegenüber dem Versicherten berufen kann, ein Regressrecht des VR gegenüber dem VN bestehen, würde die Verbesserung der Stellung des Mitversicherten zu Lasten des VN „erkauft“.79 Da dies nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung entspricht, kommt ein Rückgriff nur bei gleichzeitiger Verantwortlichkeit des VN gegenüber dem Geschädigten in Betracht.80 Ein Regress erfolgt nur, „soweit“ der VR leistet. Wie sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, soll der Rückgriff auf den Betrag beschränkt sein, für den der VN dem geschädigten Dritten gegenüber haftet. Diese Beschränkung kann Bedeutung erlangen, wenn die Haftungsbeträge zwischen VN und Versichertem nicht deckungsgleich sind.81 Eine andere Frage ist, ob § 123 einem möglichen Regress des Entschädigungsfonds gegen den Mitversicherten gem. § 12 Abs. 6 PflVG entgegensteht. Im Hinblick auf die Vorgängervorschrift des § 158i VVG a. F. ist dies in der Rechtsprechung aber abgelehnt worden.82

75 BGH 30.10.1980 – III ZR 132/79, VersR 1981 134 (juris Rn. 11); BGH 22.5.1980 – III ZR 121/79, VersR 1980 939 (juris Rn. 2). 76 BGH 28.10.1982 – III ZR 206/80, VersR 1983 84, 85 (juris Rn. 9); R. Johannsen VersR 1991 500, 504. 77 Schwab VersR 2016 221, 223. 78 Prölss/Martin/Klimke31 § 123 Rn. 10; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 31; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 11. 79 So auch Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 32; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 11. 80 Vgl. OLG Schleswig 18.12.1996 – 9 U 5/97, NZV 1997 442 (juris Rn. 4); R. Johannsen VersR 1991 500, 504; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 17; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn 32; Prölss/Martin/Klimke31 § 123 Rn. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 123 Rn. 28; Stiefel/Maier/Jahnke19 § 123 Rn. 27; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 11. 81 Dies kann z. B. bei der Haftung vom Kfz-Halter nach § 7 StVG (betraglich beschränkt, Gefährdungshaftung) und Lenker aus § 823 BGB (betraglich unbeschränkt, Verschuldenshaftung) oder bei den Regressbeschränkungen gem. den §§ 5 Abs. 3, 6 Abs. 1, Abs. 3 KfzPflVV der Fall sein; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 32; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 11. 82 OLG Braunschweig 9.4.2001 – 6 U 22/00, VersR 2003 1567, 1569 mit Verweis auf BTDrucks. IV/2252; a. A. Prölss/ Martin/Klimke31 § 12 PflVG Rn. 16; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 128; Sieg VersR 1967 324. 681

Beckmann

39

40

41

42

§ 123 VVG

Rückgriff bei mehreren Versicherten

D. Beweislast und Abdingbarkeit 43 Der VR trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Umstände, die in der Person des Versicherten liegen und zur Leistungsfreiheit gegenüber dem Versicherten führen; des Weiteren muss er ggf. nachweisen, dass der Mitversicherte Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis bezüglich der Umstände, die zur Leistungsfreiheit führen, hatte.83 Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang erörtert, ob sich etwas anderes daraus ergeben könnte, dass die Rechtsstellung des Versicherten von der des VN abhängig ist, da es sich um Versicherungsschutz aus einem fremden Versicherungsvertrag handelt.84 Dieser Argumentation wird aber entgegengehalten, dass der Zweck des § 123 darauf gerichtet sei, die Rechtsstellung des Versicherten zu verbessern.85 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen; die Leistungsfreiheit ist eine für den VR günstige Leistungsbefreiung, die somit auch von ihm zu beweisen ist.86 Auch der Wortlaut der Vorschrift („nur entgegenhalten, wenn“) lässt sich hierfür anführen. 44 Dagegen muss der Versicherte die tatsächlichen Umstände dafür darlegen und beweisen, dass er berechtigt ist, die Rechte aus dem Versicherungsvertrag selbstständig geltend zu machen.87 45 Die betreffenden Vorschriften zu Gunsten des VN, des Versicherten und des geschädigten Dritten sind zwingend und damit nicht abdingbar.88

83 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn 12; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 34; AG Köln 24.4.1992 – 266 C 19/90, VersR 1993 824, 825 f.

84 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 12; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 34. 85 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 12; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 34. 86 AG Köln 24.4.1992 – 166 C 19/90, VersR 1993 824, 825; R. Johannsen VersR 1991 500, 503; Hofmann NZV 1998 54; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 123 Rn. 11; Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 10; a. A. Baumgärtel/ Prölss § 158i Rn. 2. 87 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 35. 88 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 36. Beckmann

682

§ 124 Rechtskrafterstreckung (1) Soweit durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht, wirkt das Urteil, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherungsnehmers, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherungsnehmer ergeht, auch zugunsten des Versicherers. (2) Ist der Anspruch des Dritten gegenüber dem Versicherer durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden, muss der Versicherungsnehmer, gegen den von dem Versicherer Ansprüche auf Grund des § 116 Abs. 1 Satz 2 geltend gemacht werden, diese Feststellung gegen sich gelten lassen, es sei denn, der Versicherer hat die Pflicht zur Abwehr unbegründeter Entschädigungsansprüche sowie zur Minderung oder zur sachgemäßen Feststellung des Schadens schuldhaft verletzt. (3) Die Absätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden, soweit der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz nicht nach § 115 Abs. 1 gegen den Versicherer geltend machen kann.

Schrifttum Armbrüster Prozessuale Besonderheiten im der Haftpflichtversicherung RuS 2010 441; Bayer Kein Schutz des Haftpflichtversicherers vor nachteiliger Prozessführung durch den Versicherungsnehmer? NVersZ 1998 9; Birkner Der „manipulierte“ Verkehrsunfall, ZfS 1994 113; Denck Das Verhältnis von Schadensersatzanspruch und Direktanspruch bei Kraftfahrt-Haftpflichtschäden dargestellt am Problem der Bindungswirkung, VersR 1980 704; Ebel Die Bindung des VN an den von dem Haftpflichtversicherer geschlossenen Schadensregulierungsvergleich, VersR 1991 842; Freyberger Die Vertretung des Beklagten beim gestellten Unfall aus standesrechtlicher und prozessualer Sicht, VersR 1991 842; ders. Prozessuale Möglichkeiten des Haftpflichtversicherers beim gestellten Verkehrsunfall, NZV 1992 391; Gottwald/Adolphsen Zur Prozeßführung des Versicherers bei gestellten Verkehrsunfällen, NZV 1995 129; Haarmann Zum Anwendungsbereich des § 3 Nr. 8 PflVG, VersR 1989 683; Heinrichs Synopse der für das Versicherungsrecht im Verkehrsrecht bedeutsamsten Auswirkungen der VVG-Reform, ZfS 2009 187; Hirschberg Rechtskrafterstreckung gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer, VersR 1973 504; Höfle Prozessuale Besonderheiten im Haftpflichtprozess, RuS 2002 397; Hoegen Bindungswirkung des Haftpflichturteils auch im Direktanspruch des Geschädigten gegen den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer?, 1978 1081; Höher Zu KfzPflVG § 3 Nr. 8, VersR 1993 1095; Keilbar Bindungswirkungen rechtskräftiger Entscheidungen über Versicherungs-, Haftpflicht- und Drittanspruch in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, ZVersWiss 1970 441; Kittner Streithilfe und Streitverkündung, JuS 1985 703; ders. Streithilfe und Streitverkündung, JuS 1986 131; ders. Streithilfe und Streitverkündung, JuS 1986 624; Lemcke Problem des Haftpflichtprozesses bei behaupteter Unfallmanipulation-Teil A, RuS 1993 121; ders. Probleme des Haftpflichtprozesses bei behaupteter Unfallmanipulation-Teil B, RuS 1993 161; ders. Streithilfe bei behaupteter Unfallmanipulation, RuS 1994 212; ders. Neue Wege zur Abwehr des Versicherungsbetruges in der Haftpflichtversicherung?, VersR 1995 989; ders. Regressanspruch und Verjährung in der KraftfahrzeughaftpflichtversicherungAnmerkungen zum BGH-Urteil vom 9.1.2007, RuS 2007 126; Liebscher Die gemeinsame Klage gegen Haftpflichtversicherung und Versicherungsnehmer, NZV 1994 215; Littbarski Zur Rechtskrafterstreckung nach PflVG § 3 Nr. 8, EWiR 2003 1203; Marotzke Urteilswirkungen gegen Dritte und rechtliches Gehör, ZZP 100 164; Müller/Matlach Rechtskrafterstreckung und Verjährung nach § 3 Nr. 8, Nr. 3 Satz 2 Hs 2 PflVG-Anmerkungen zum Urteil des BGH vom 9.1.2007, ZfS 2007 366; Reif Zivilprozessuale Probleme der Haftpflichtversicherung insbesondere bei gestellten Verkehrsunfällen, VersR 1990 113; Schirmer/Clauß Grenzen der Rechtskrafterstreckung nach § 3 Nr. 8 PflVG bei Verjährung des Anspruchs gegen den Versicherer, Festschrift E. Lorenz (2004) 775; Spät Zur Bindungswirkung eines Versäumnisurteils im Haftpflichtprozess für den Deckungsprozess mit dem Haftpflichtversicherer, VersR 1989 354; Voit Zur Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozeß, VersR 1988 901; Weber Direktanspruch ohne Verschuldensnachweis?, VersR 1985 1004; vgl. im Übrigen Schrifttum Vorbem. zu den §§ 113–124.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

683 https://doi.org/10.1515/9783110522662-028

II.

Inhalt und Zweck

III.

Anwendungsbereich

2 7 Beckmann

§ 124 VVG

Rechtskrafterstreckung

B.

Klageabweisendes, rechtskräftiges Urteil, 12 Abs. 1

I. 1.

12 Tatbestand Kein Haftpflichtanspruch des Dritten 12 a) Grundsätzliches 13 b) Verjährung c) Abweisung aus anderen Gründen 21 Art der Entscheidung

2.

12

Grundsätzliches/Anwendungsbereich

II. 1. 2.

40 Tatbestand 40 Rückgriffsanspruch Rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Ver41 gleich Ausschluss der Bindungswirkung, Abs. 2, 43 2. Halbs.

3. 17

3.

23 Rechtsfolgen 23 Grundsätzliches Weitere, insbesondere prozessuale As26 pekte Ggf. manipuliertes Versäumnisurteil

III.

Beweislast

C.

Festgestellter Anspruch bei stattgebendem Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich, 35 Abs. 2

II. 1. 2.

32

35

I.

46

III.

Rechtsfolgen

IV.

Beweislast

D.

Anwendung bei Direktansprüchen, 51 Abs. 3

49

34

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Durch die VVG-Reform 2008 wurde in § 124 Abs. 1 der frühere § 3 Nr. 8 PflVG a. F. übernommen; § 124 Abs. 2 entspricht § 3 Nr. 10 Satz 1 PflVG a.F. Die Regelung über einen Aufwendungsersatzanspruch des VR gem. § 3 Nr. 10 Satz 2 PflVG a. F. findet sich nunmehr in § 116 Abs. 1 Satz 3.1 Noch kurz vor Inkrafttreten der VVG-Reform am 1.1.2008 wurde die Regelung des Abs. 3 durch Gesetz vom 10.12.20072 eingefügt (vgl. bereits Vorbem. zu den §§ 113–124 Rn. 14).

II. Inhalt und Zweck 2 Die materielle Rechtskraft eines rechtskräftigen Urteils verhindert, dass in einem neuen Prozess über eine bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge verhandelt und entschieden wird und sorgt insoweit für eine Einheitlichkeit der getroffenen Entscheidungen.3 Grundsätzlich gilt diese nur gegenüber den an dem Rechtsstreit beteiligten Parteien, weil nur sie am Prozess mitwirken und auf den Inhalt des Urteils Einfluss nehmen können.4 Dies folgt aus § 325 Abs. 1 ZPO, der diesen Grundsatz zugleich auf Personen erstreckt, die nach Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger oder Besitzmittler der Parteien oder ihrer Rechtsnachfolger geworden sind.5 Über die Regelung des Umfanges der subjektiven Rechtskraft in § 325 ZPO hinaus finden sich allerdings eine Reihe von Vorschriften, aus denen sich die Rechtskrafterstreckung von Urteilen auf Dritte ergibt.6 Eine solche speziellere Norm, die eine weitergehende Rechtskrafterstreckung 1 2 3 4 5 6

Vgl. BTDrucks. 16/3945 S. 91. BGBl. I 2833, 2835; vgl. auch BTDrucks. 16/6627 S. 7. BeckOK-VVG/Steinborn (Stand 3.5.2021) § 124 Rn. 3. Musielak/Voit/Musielak18 § 325 Rn. 1. Musielak/Voit/Musielak18 § 325 Rn. 1. Vgl. etwa § 856 Abs. 4 ZPO; §§ 178 Abs. 3, 183 Abs. 1 InsO; § 248 Abs. 1 AktG; § 44 Abs. 3 WEG.

Beckmann

684

A. Einführung

VVG § 124

bewirkt, stellt auch § 124 dar.7 Darüber hinaus stellt die Vorschrift eine Ausnahme zu § 425 Abs. 2 BGB dar;8 gem. § 425 Abs. 2 BGB wirkt ein rechtskräftiges Urteil nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie ergeht. § 124 Abs. 1 betrifft das prozessuale Verhältnis des Geschädigten zum VR und zum VN.9 3 Die Norm regelt in Abs. 1, 1. Var. die Rechtskraftwirkung eines einen Anspruch des Dritten gegen den VR klageabweisenden Urteils zugunsten des VN; Abs. 1, 2. Var. regelt eine entsprechende Rechtskrafterstreckung zugunsten des VR im Hinblick auf ein klageabweisendes Urteil, das zwischen Drittem und VN ergeht. Weiterhin steht § 124 Abs. 1 auch einem Verfahren gegen den Halter aufgrund Halterhaftung entgegen, wenn der VR zumindest auch wegen der Halterhaftung erfolglos in Anspruch genommen worden war; dies gilt unabhängig davon, ob der Geschädigte nicht nur gegen den VR, sondern auch gegen den Fahrer erfolglos vorgegangen war.10 In den Fällen des § 115 Abs. 1 hat es der Dritte in der Hand, seinen Anspruch gegen den 4 Schädiger, dessen Haftpflichtversicherer oder gegen beide als Gesamtschuldner geltend zu machen. Die dem Dritten eröffnete Möglichkeit, nach seiner Wahl gegen den VR, den Schädiger oder gegen beide vorzugehen, dient der Verbesserung des Opferschutzes. Der Geschädigte soll, dem Zweck der Pflichtversicherung entsprechend, zeitnah und angemessen entschädigt werden. Ungerechtfertigten Nutzen soll er aus dieser Rechtslage aber nicht erlangen; insbesondere darf ihm der Umstand, dass er die Gesamtschuldner auch einzeln und damit möglicherweise nacheinander belangen kann, keinen über die geschuldete Entschädigung hinausgehenden Vorteil bringen.11 Zweck der Regelung ist es, dem Geschädigten keine Ansprüche gegen den VR über das materielle Haftpflichtrecht hinaus zuwachsen zu lassen.12 Es soll erreicht werden, dass der Anspruch gegen den VR hinsichtlich der Wirkung eines abweisenden Gerichtsurteils im Regelfall das Schicksal des Schadensersatzanspruchs gegen den Ersatzpflichtigen teilt und umgekehrt.13 Der Haftpflichtversicherer soll nicht Gefahr laufen, trotz eines für ihn günstigen Urteils (z. B. keine Einstandspflicht, auch nicht für den Halter) im Fall der Verurteilung seines VN aufgrund seiner Zahlungspflicht aus dem Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen zu werden.14 Zudem soll der Geschädigte nach Klageabweisung nicht die Möglichkeit haben, den gleichen Anspruch in einem weiteren Prozess geltend zu machen, wenn er zuvor bereits abgelehnt wurde. Die Vorschrift dient somit auch der Prozessökonomie, da nicht zwei Verfahren über denselben Sachverhalt geführt werden müssen.15 Auch Abs. 2 regelt eine Bindungswirkung: Wenn der Anspruch des Dritten gegenüber dem 5 VR durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt wurde, sind diese Feststellungen danach grundsätzlich auch im Rahmen der Ansprüche des VR gegen den VN aus § 116 Abs. 1 Satz 2 bindend. Sofern der VN allerdings nachweisen kann, dass der VR seine Pflicht zur Abwehr unbegründeter Entschädigungsansprüche oder zur Minderung oder sachgemäßen Feststellung des Schadens schuldhaft verletzt hat, tritt die Rechtskrafterstreckung nicht ein. In diesem Fall tritt das Bedürfnis nach einer verfahrensökonomischen Entscheidung zurück und wird vom Interesse an einer Entscheidung entsprechend der materiellen Haftungslage überla7 Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 1; Staudinger/Halm/Wendt/ Dallwig2 § 124 Rn. 1; BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 124 Rn. 2. 8 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 1; Staudinger/Halm/ Wendt/Dallwig2 § 124 Rn. 1. 9 BTDrucks. 16/6627 S. 7. 10 BGH 27.4.2021 – VI ZR 883/20, VersR 2021 927, 929 (Rn. 9). 11 Zum Vorstehenden BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164 (Rn. 13); unter Hinweis auf BGH 29.5.1979 – VI ZR 128/77, VersR 1979 841 f. (juris Rn. 13); BGH 14.7.1981 – VI ZR 254/79, VersR 1981 1156, 1157 (juris Rn. 9); BGH 15.1.2008 – VI ZR 131/07, VersR 2008 485 (Rn. 6 f).; vgl. auch Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 2. 12 BGH 15.1.2008 – VI ZR 131/07, VersR 2008 485 (Rn. 7) zu § 3 Nr. 8 PflVG a. F.; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 2. 13 BGH 24.6.2003 – VI ZR 256/02, VersR 2003 1121, 1122 (juris Rn. 14); vgl. BTDrucks. 4/2252 S. 15. 14 BGH 27.4.2021 – VI ZR 883/20, VersR 2021 927, 929 (Rn. 9). 15 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 4. 685

Beckmann

§ 124 VVG

Rechtskrafterstreckung

gert.16 Die grundsätzliche Bindungswirkung nach Abs. 2 ist Konsequenz der dem VR nach dem Versicherungsvertrag zustehenden Regulierungsvollmacht.17 6 Abs. 3 wiederum stellt klar, dass sich die Vorschrift nur auf Konstellationen bezieht, bei denen dem Geschädigten ein Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 gegen den VR zusteht. „Grundlage der Vorschrift ist, dass der Geschädigte sowohl gegen den VN als auch im Wege des Direktanspruchs gegen den VR vorgehen kann. Nur wenn aus Sicht des Geschädigten die Möglichkeit besteht, sowohl den Schädiger, als auch den VR im Wege des Direktanspruchs in Anspruch zu nehmen, besteht ein Bedürfnis, die Rechtswirkungen der beiden Verfahren in bestimmten Fällen einander anzugleichen. Der seit dem 1.1.2008 geltende Abs. 3 (vgl. zur Einfügung Rn. 1) stellt deshalb klar, dass die Bestimmung nur in den Fällen Anwendung findet, in denen der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 115 Abs. 1 gegen den Versicherer geltend machen kann.“18

III. Anwendungsbereich 7 Vor der VVG-Reform 2008 bezogen sich die entsprechenden Vorgängervorschriften gem. § 3 Nr. 8 PflVG a. F. und § 3 Nr. 10 PflVG a. F. zur Rechtskrafterstreckung allein auf den Bereich der Kfz-Pflichtversicherungen. Nun finden sie grundsätzlich Anwendung auf alle Pflichthaftpflichtversicherungen; durch Abs. 3 wird indes klargestellt, dass sich der Anwendungsbereich auf die Fälle beschränkt, in denen der geschädigte Dritte einen Direktanspruch auf Schadensersatz nach § 115 Abs. 1 gegen den VR geltend machen kann. Deshalb hat § 124 (weiterhin) hauptsächlich im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung Bedeutung.19 Die Anwendung erfolgt auch bei gestörtem Versicherungsverhältnis20 und im Falle einer 8 Nachhaftung.21 Des Weiteren ist für die Anwendung der Vorschrift unerheblich, ob der Anspruch ganz oder nur teilweise verneint wird;22 eine Teilabweisung der geltend gemachten Ansprüche führt gleichfalls zur Bindungswirkung gem. § 124 Abs. 1. Über den teilweise zugesprochenen Anspruch können dem Dritten gegen den anderen Gesamtschuldner keine weitergehenden Ansprüche zugesprochen werden.23 Die zeitliche Reihenfolge der gerichtlichen Inanspruchnahme spielt keine Rolle. So be9 steht Bindungswirkung nicht nur dann, wenn VR und VN in getrennten, nacheinander geführten Prozessen verklagt werden, sondern auch dann, wenn über die Ansprüche des Geschädigten gegen den VR und den VN gleichzeitig entschieden wird.24 Letzteres hat Bedeutung dafür, dass im Rahmen einer nur im Verhältnis zum beklagten VN zugelassenen Berufung eine erneute Überprüfung der Haftungsfrage ausgeschlossen ist.25 Für die aus § 124 folgende Bindungswirkung ist auch unerheblich, ob VR und VN als einfache Streitgenossen im Prozess auftreten;26 in diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass VR und VN keine notwendigen StreitgePrölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 24 ff. Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 17. BTDrucks. 16/6627 S. 7. Stiefel/Maier/Jahnke19 § 124 Rn. 73; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 124 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 4. 20 Prölss/Martin/Knappmann28 § 124 Rn. 2; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 4; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 38. 21 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 124 Rn. 2; zur Nachhaftung vgl. Kommentierung zu § 117 Rn. 20 ff. 22 Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 3; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 124 Rn. 2. 23 Stiefel/Maier/Jahnke19 § 124 Rn. 47; vgl. auch OLG Hamm 15.4.1999 – 27 U 236/98, VersR 2000 1139, 1140 (juris Rn. 23). 24 BGH 15.1.2008 – VI ZR 131/07, VersR 2008 485 f. (Rn. 8); BGH 10.5.2005 – VI ZR 366/03, VersR 2005 1087 (juris Rn. 8). 25 BGH 15.1.2008 – VI ZR 131/07, VersR 2008 485 f. (Rn. 8). 26 BGH 10.5.2005 – VI ZR 366/03, VersR 2005 1087 (juris Rn. 8).

16 17 18 19

Beckmann

686

A. Einführung

VVG § 124

nossen gem. § 62 ZPO sind, sondern gegebenenfalls einfache Streitgenossen;27 es besteht zu jedem Streitgenossen ein gesondertes Prozessrechtsverhältnis.28 Wird in einem Adhäsionsverfahren gem. §§ 403 ff. StPO ein Schadensersatzanspruch des 10 Dritten gegen den VN dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, so hat dies keine Bindungswirkung auf das Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem HaftpflichtVR des Schädigers.29 Bei dieser Konstellation (Anspruchsbejahung dem Grunde nach) liegt § 124 Abs. 1 bereits tatbestandlich nicht vor (es fehlt an einem klageabweisenden Urteil). Eine Rechtskrafterstreckung folgt auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze zur Bindungswirkung eines vorangegangenen Haftpflichtprozesses zwischen dem Geschädigten und dem VN für den nachfolgenden Deckungsprozess zwischen VN und VR.30 Zwar tritt das Adhäsionsverfahren an die Stelle des Haftpflichtprozesses, denn es ist gerade einer der Zwecke dieses Verfahrens, demjenigen, der Opfer einer Straftat geworden ist, einen weiteren Prozess zu ersparen.31 Das Adhäsionsverfahren ist mit dem zivilrechtlichen Haftpflichtprozess jedoch nicht vollständig vergleichbar; insbesondere hat der VR weder die Möglichkeit, den Prozess für den VN zu führen noch kann er ihm als Nebenintervenient beitreten. Hinzu tritt, dass der Gesetzgeber – nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Erwägungen – die in § 124 Abs. 1 VVG angeordnete Rechtskrafterstreckung auf klageabweisende Urteile beschränkt hat.32 Ein klageabweisendes Urteil im Adhäsionsverfahren ist dagegen nicht möglich. Soweit der Adhäsionsantrag unbegründet erscheint, sieht das Gericht von einer Entscheidung ab, § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO; anders als bei einem klageabweisenden Urteil kann der Anspruch damit weiterhin anderweitig geltend gemacht werden, § 406 Abs. 3 Satz 3 StPO. Ausdrücklich betrifft die Norm das Verhältnis zwischen VR und VN; wie grundsätzlich im 11 Rahmen von §§ 113 ff. erfasst diese Regelung aber auch das Verhältnis zwischen VR und versicherten Personen.33 Der Geschädigte ist durch § 124 Abs. 1 aber nicht gehindert, nach rechtskräftiger Abweisung seiner Schadensersatzklage gegen den Halter des schädigenden Kfz den Fahrer desselben und wegen dessen Haftung den HaftpflichtVR in Anspruch zu nehmen.34 Hat der Geschädigte indes zunächst Klage gegen den VR erhoben und wurde diese abgewiesen – ohne dass unterschieden worden ist, ob diese sich auf die Haftung des VR, des VN oder der mitversicherten Person bezieht –, so gilt für einen folgenden Prozess die Rechtskrafterstreckung gem. § 124 Abs. 1.35

27 OLG Düsseldorf 14.7.2017 – I-4 U 1/16, VersR 2019 1491, 1492 (juris Rn. 39). 28 BGH 13.7.2010 – VI ZR 111/09, NJW-RR 2010 1725 (Rn. 11); BGH 15.1.2008 – VI ZR 131/07, NJW-RR 2008 803, 804 (Rn. 6); Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 5 jeweils m. w. N.

29 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164 (Rn. 14); grundsätzlich zu stattgebenden Urteilen vgl. noch Rn. 22. 30 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164 (Rn. 14); einschränkend außerhalb der Pflichtversicherung OLG Karlsruhe 31.10.2019 – 9 U 77/17, VersR 2020 472, 474 (juris Rn. 31). 31 Dies wird erreicht, indem im Strafverfahren zugleich über den Schadensersatzanspruch entschieden und diese Entscheidung einem im Zivilprozess ergangenen Urteil gleichgestellt wird, § 406 Abs. 3 Satz 1 StPO. 32 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164 (Rn. 14); mit Verweis auf BTDrucks. IV/2252 S. 18.; vgl. dazu auch Jahnke jurisPR-VerkR 7/2013 Anm. 1. 33 BGH 24.9.1985 – VI ZR 4/84, BGHZ 96 18, 22 = VersR 1986 153, 154 (juris Rn. 18); Saarländisches OLG 17.11.2009 – 4 U 244/09 – 68, NJW-RR 2010 326, 329 (juris Rn. 41); Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 9; Beckmann/MatuscheBeckmann/Schneider3 § 24 Rn. 181; Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 124 Rn. 8; generell für die §§ 113 ff. vgl. etwa § 115 Rn. 17. 34 BGH 24.9.1985 – VI ZR 4/84, BGHZ 96 18, 22 = VersR 1986 153, 154 (juris Rn. 18); Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 9. 35 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 9 unter Hinweis auf Saarländisches OLG 17.11.2009 – 4 U 244/09 – 68, NJW-RR 2010 326, 329 (juris Rn. 44); Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider3 § 24 Rn. 181; vgl. bereits BGH 24.9.1985 – VI ZR 4/84, BGHZ 96 18 = VersR 1986 153, 154 (juris Rn. 19). 687

Beckmann

§ 124 VVG

Rechtskrafterstreckung

B. Klageabweisendes, rechtskräftiges Urteil, Abs. 1 I. Tatbestand 1. Kein Haftpflichtanspruch des Dritten 12 a) Grundsätzliches. Aufgrund von § 124 Abs. 1 wirkt die Rechtskraft eines Urteils, das den Haftpflichtanspruch eines Dritten gegen VR oder VN ablehnt, zugunsten der jeweils anderen Partei des Versicherungsvertrages. Das die Klage eines Dritten abweisende Urteil gegen den VR wirkt also auch zugunsten des VN und umgekehrt wirkt das die Klage eines Dritten abweisende Urteil gegen den VN zugunsten des VR. Dies gilt indes nur, wenn der vom Dritten geltend gemachte Haftpflichtanspruch aus materiellrechtlichen Gründen abgelehnt wird.36 Dies lässt sich bereits dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen; diese setzt voraus, dass durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht;37 in dem klageabweisenden Urteil muss also über den Anspruch auf Ersatz des Schadens entschieden werden, mithin auf materiellrechtliche Gründe abgestellt werden. Voraussetzung für eine Bindungswirkung der Klageabweisung ist also das Fehlen eines Haftpflichtanspruchs des Dritten38 (vgl. zur Abweisung aus anderen Gründen Rn. 17 ff.). Ausreichend ist insoweit, dass die Klage gegen den VR aufgrund einer fehlenden oder jedenfalls nicht nachgewiesenen Aktivlegitimation des Klägers abgewiesen wird.39

13 b) Verjährung. Gewisse Schwierigkeiten bereiten Konstellationen, bei denen es wegen Verjährung zu einer Klageabweisung gekommen ist. Grundsätzlich wird man von einem materiellrechtlichen Grund der Klageabweisung sprechen können,40 so dass diese Fälle unter § 124 Abs. 1 zu subsumieren sind. Indes hatte der BGH eine Rechtskrafterstreckung bei einer Konstellation abgelehnt, bei der die Klage gegen den Schädiger – rechtsirrig wegen Verjährung – abgewiesen worden war.41 Diese Entscheidung ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen42 und auch als „Billigkeitsentscheidung“43 eingeordnet worden. So wurde eingewandt, dass mit dem gleichen Argument die Rechtskraft einer Entscheidung aufgehoben werden könne, wenn diese objektiv falsch ist. Wolle der Geschädigte die Bindungswirkung der Entscheidung verhindern, müsse er verhindern, dass die Entscheidung rechtskräftig wird. Insofern sei diese Durchbrechung der Bindungswirkung bedenklich und jedenfalls ein Ausnahmefall, der nicht ausgeweitet werden dürfe.44 14 In einer späteren Entscheidung hat der BGH allerdings im Falle einer Klageabweisung wegen Verjährung (gem. § 3 Nr. 3 Satz 2, 2. Halbs. PflVG a. F. [heute geregelt in § 115 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs.]) einen Fall der Rechtskrafterstreckung nach der Vorgängervorschrift des § 3 Nr. 8 PflVG a. F. angenommen.45 Die insoweit ergangene Kritik hat unter anderem ins Feld geführt, die deutlich unterschiedlichen Verjährungsfristen (gegen den VR gem. § 115 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. und gegen den Geschädigten bei einem Personenschaden gem. § 199 Abs. 2 BGB) seien

36 BeckOK-VVG/Steinborn (Stand: 3.5.2021) § 124 Rn. 9. 37 Armbrüster RuS 2010 441, 445. 38 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 5; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 7; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 6; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 38. 39 BGH 27.4.2021 – VI ZR 883/20, VersR 2021 927, 929 f. (Rn. 14); Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 6. 40 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 7. 41 BGH 29.5.1979 – VI ZR 128/77, VersR 1979 841, 842 (juris Rn. 14). 42 Prölss/Martin/Knappmann27 § 3 Nr. 8 PflVG Rn. 2 („bedenklich, jedenfalls aber ein Sonderfall“). 43 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 13. 44 Vgl. Rixecker/Langheid/Langheid6 § 124 Rn. 8; Prölss/Martin/Knappmann28 § 124 Rn. 4. 45 BGH 24.6.2003 – VI ZR 256/02, VersR 2003 1121, 1122 (juris Rn. 9); kritisch Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 15 ff.; Schirmer/Clauß FS Lorenz 775 ff. Beckmann

688

B. Klageabweisendes, rechtskräftiges Urteil, Abs. 1

VVG § 124

nicht hinreichend berücksichtigt.46 Bedenkt man, dass die Rechtskrafterstreckung gem. § 124 Abs. 1 insbesondere vermeiden soll, dass die Haftpflichtfrage in zwei Prozessen unterschiedlich beurteilt wird, so ist die Kritik insoweit berechtigt, als in der genannten Entscheidung die besondere Verjährungsvorschrift im Rahmen des Direktanspruchs gem. § 115 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. zur Anwendung gekommen ist und sich somit argumentieren ließe, dass der materiellrechtliche Schadensersatzanspruch gar nicht abgewiesen worden ist. Andererseits erscheint es auch nachvollziehbar, wegen der rechtskräftig festgestellten Verjährung des Direktanspruchs auch ein prozessuales Vorgehen gegen den Schädiger abzulehnen. Wiederum eine andere Konstellation lag einer weiteren BGH-Entscheidung47 zugrunde: 15 Nachdem der Direktanspruch gegen den HaftpflichtVR tatsächlich (ohne entsprechendes feststellendes Urteil) verjährt war (gem. § 3 Nr. 3 Satz 2, 2. Halbs. PflVG a. F. [heute geregelt in § 115 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs.]), klagte der SVT (als Rechtsnachfolger des Geschädigten) gegen den Schädiger; der Anspruch gegen diesen war nicht verjährt. Mangels zuvor ergangenen Urteils gegen den HaftpflichtVR konnte im Hinblick auf die Klage gegen den Schädiger keine Bindungswirkung eintreten; auch eine analoge Anwendung der Vorgängervorschrift des § 124 Abs. 1 lehnte der BGH ab. Insgesamt bleibt festzuhalten: In Anbetracht der vorangegangenen Rechtsprechung besteht 16 für die Prozessparteien die Gefahr, aufgrund ihres Verhaltens für sie nachteilige Rechtsfolgen zu verursachen. Grundsätzlich führt aber die Verjährung zu einem materiellrechtlichen Abweisungsgrund, so dass § 124 Abs. 1 eingreift. Indes zeigen die dargelegten und im Schrifttum diskutierten Entscheidungen, dass es gegebenenfalls zu differenzieren gilt. Insbesondere die genannten unterschiedlichen Verjährungsregeln (oben Rn. 14) können zu Ungereimtheiten und Problemen führen. Eine Lösungsmöglichkeit besteht darin, allein darauf abzustellen, ob tatsächlich der Haftpflichtanspruch nach den hierfür geltenden Regelungen verjährt ist; ist insoweit ein rechtskräftiges Urteil ergangen, so greift § 124 Abs. 1 jedenfalls ein.

c) Abweisung aus anderen Gründen. Der Zweck des § 124 Abs. 1 besteht darin, eine erneute 17 Entscheidung über denselben Anspruch zu vermeiden; deshalb greift die Rechtskrafterstreckung gem. Abs. 1 lediglich im Rahmen des gleichen Streitgegenstands ein.48 Dies kommt im Übrigen durch den Tatbestand zum Ausdruck, der ein rechtskräftiges Urteil mit dem Inhalt voraussetzt, „dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht“. Soweit die Klage aus anderen Gründen abgewiesen wird, kann die Rechtskrafterstreckung gem. Abs. 1 demzufolge nicht eingreifen. Wird die Klage z. B. aus formellen Gründen abgewiesen, ist die Klage also unzulässig, so 18 tritt keine Bindungswirkung gem. § 124 Abs. 1 ein.49 Über den Haftpflichtanspruch wurde gerade nicht entschieden. Die Abweisung der Klage des Geschädigten gegen den VR aus Gründen, die das Versiche- 19 rungsverhältnis betreffen, bewirkt nach dem eingangs Gesagten (oben Rn. 12) gleichfalls, dass keine Bindungswirkung gem. Abs. 1 eintreten kann und einer Klage gegen den VN nicht entgegensteht.50 Das ist z. B. der Fall, wenn ein Risikoausschluss eingreift oder wenn die Nachhaftungsfrist nach § 117 Abs. 2 bereits abgelaufen und deshalb die Klage gegen den VR abgewiesen worden ist. Das gilt etwa auch bei Abweisung der Klage gegen den VR wegen Überschreitung

Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 17. BGH 9.1.2007 – VI ZR 139/06, VersR 2007 371. Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 9. Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 5; Armbrüster RuS 2010 441, 445; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 7. 50 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 9; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 9; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 6.

46 47 48 49

689

Beckmann

§ 124 VVG

Rechtskrafterstreckung

der Mindestversicherungssumme oder wegen nur subsidiärer Haftung (§ 117 Abs. 3).51 In solchen Konstellationen ist gerade nicht – wie für § 124 Abs. 1 erforderlich – die Haftpflichtfrage verneint worden. 20 Der VR ist dem Geschädigten nur im Rahmen des versicherten Risikos verantwortlich. So kann der Geschädigte vom VR keine Naturalrestitution verlangen, auch wenn er Derartiges vom VN verlangen könnte.52

2. Art der Entscheidung 21 Abs. 1 setzt ein rechtskräftiges Urteil voraus, in dem festgestellt wird, dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Schadens gegen den VR bzw. gegen den VN nicht zusteht. Ein solches Urteil kann auf einer Leistungs- oder Feststellungsklage des Dritten sowie auf einer gegen den Dritten angestrengten negativen Feststellungsklage beruhen.53 Wird hingegen der Direktanspruch gegen den VR aus Gründen abgewiesen, die nicht die Verpflichtung zum Schadensersatz betreffen, sondern im Deckungsverhältnis zu suchen sind, kommt es nicht zu einer Rechtskrafterstreckung gegenüber dem VN.54 Eine Anwendung auf Vergleiche scheidet nach h. M. aus, da nur Urteile der Rechtskraft zugänglich sind.55 Eine Anwendung auf stattgebende Urteile kommt entsprechend dem eindeutigen Wortlaut 22 der Vorschrift nicht in Betracht.56 Eine Bindungswirkung stattgebender Urteile besteht indes nach allgemeinen Grundsätzen; insofern bindet das gegen den VN ergangene Haftpflichturteil jedenfalls grundsätzlich im nachfolgenden Deckungsprozess des VN gegen den VR.57 Das gilt jedenfalls dann, wenn der VR im Haftpflichtprozess beteiligt war oder die Deckung unberechtigt versagt hat.58 Diese Bindungswirkung kommt auch dem Geschädigten zugute, wenn er den Anspruch des VN gegen dessen VR pfänden und sich überweisen lässt.59 Das Gericht ist dann regelmäßig an die Feststellungen des Haftpflichturteils über das Bestehen der Haftpflichtforderung gebunden. Dagegen profitiert der Geschädigte von der Bindungswirkung nicht, wenn er nach gewonnenem Prozess gegen den VN sodann gegen den VR im Wege der Direktklage vorgeht.60 Die Frage nach dem Bestehen der Haftpflichtforderung kann dann durchaus anders entschieden werden, mit der Folge der Abweisung des Direktanspruchs. Dies wiederum wäre für sich genommen ein Fall des § 124 Abs. 1 und hätte zur Folge, dass das abweisende Urteil im Direktprozess gegen den VR nunmehr auch zugunsten des VN gelten müsste. Wurde aber bereits zuvor der Klage gegen den VN stattgegeben, bleibt es dabei.61 Der Zweck des § 124 Abs. 1, nämlich die nochmalige Überprüfung der Haftpflichtfrage zu verhindern, kann dann nicht mehr erreicht werden.

Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 6. Vgl. Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 6. Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 6; Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 37. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 9. Vgl. BGH 30.4.1985 – VI ZR 110/83, VersR 1985 849, 850 (juris Rn. 19); Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 8; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 4; kritisch hierzu Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 7. 56 OLG Düsseldorf 4.2.1971 – 12 U 201/69, VersR 1972 1015; Hoegen VersR 1978 1081; Hirschberg VersR 1973 504; Keilbar ZVersWiss 1970 448; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 6. 57 Dazu Bruck/Möller/R. Koch10 Vorbem. zu §§ 100–112 Rn. 108. 58 Vgl. etwa Reiff, VersR 1990 113, 120 ff.; siehe zu Einschränkungen noch Rn. 32 f. 59 Vgl. dazu Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 9; siehe auch Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 19. 60 BGH 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013 1163, 1164 (Rn. 11). 61 Hoegen, VersR 1978 1081, 1082 bzgl. § 3 Nr. 8 PflVG a.F.; ebenso Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 19: § 124 Abs. 1 gilt nicht für widersprechende rechtskräftige Urteile.

51 52 53 54 55

Beckmann

690

B. Klageabweisendes, rechtskräftiges Urteil, Abs. 1

VVG § 124

II. Rechtsfolgen 1. Grundsätzliches Wird der Anspruch gegen VR bzw. VN durch rechtkräftiges Urteil ganz oder teilweise abgewie- 23 sen, so gilt dieses Urteil gem. Abs. 1 auch zu Gunsten der jeweils nicht an der Entscheidung beteiligten Partei; eine weitere Klage gegen den anderen Gesamtschuldner muss abgewiesen werden.62 § 124 Abs. 1 führt also dazu, dass gegen den einen Beklagten nur noch eine Klageabweisung in Betracht kommt, sobald die Klageabweisung gegen den anderen Beklagten rechtskräftig geworden ist.63 So wird eine Angleichung der Rechtsfolgen in beiden Prozessen erreicht und divergierende Entscheidungen bei identischem Sachverhalt werden vermieden (zur Wirkung auf mitversicherte Personen vgl. bereits oben Rn. 11). Existieren mehrere mögliche Schädiger (VN, Mitversicherte) und wird die Klage gegen 24 den VR abgewiesen, ist es Frage der Urteilsauslegung, ob und wen das Urteil bindet. Hier wird eine personell umfassende Rechtskraftwirkung der Regelfall sein, wenn der Geschädigte alle in Betracht kommenden Ansprüche geltend macht.64 Die Bindungswirkung gem. § 124 Abs. 1 bezieht sich auf die Ansprüche des Dritten; eine 25 etwaig bestehende Deckungspflicht des VR im Innenverhältnis gegenüber dem VN ist hiervon nicht betroffen. So entfaltet ein klageabweisendes Urteil zugunsten des Kfz-HaftpflichtVR im Direktklageprozess des Geschädigten für den Deckungsprozess zwischen VN und VR keine versicherungsvertragsrechtliche oder prozessrechtliche Bindungswirkung.65

2. Weitere, insbesondere prozessuale Aspekte § 124 Abs. 1 kommt nicht nur zur Anwendung, wenn die Prozesse des Geschädigten gegen VN 26 bzw. VR zeitlich nacheinander geführt werden, sondern auch dann, wenn der Geschädigte beide Gesamtschuldner gleichzeitig verklagt (vgl. bereits oben Rn. 9). In diesem Zusammenhang können sich verschiedene Fragen stellen. So ist es z. B. möglich, dass die Prozesse inhaltlich „unterschiedlich verlaufen“. Eine solche Situation kann z. B. entstehen, wenn der VN zu bestimmten Tatsachen ein Geständnis abgibt, während der VR diese bestreitet. Bei einem Geständnis des VN bzw. Versicherten entfällt die Beweisbedürftigkeit der zugestandenen Tatsache; dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn es bewusst unwahr ist.66 Eine Abweisung der Klage gegen den VN bleibt jedoch trotz des Geständnisses des VN möglich, wenn der Tatrichter zu der Überzeugung gelangt, dass dieses bewusst unrichtig ist und zum Nachteil des VR erfolgt.67 Dagegen kommt es auf das Geständnis nicht einmal mehr an, wenn die Direktklage gegen den VR aus materiellrechtlichen Gründen rechtskräftig abgewiesen wird (vgl. noch Rn. 30); in diesem Fall greift die Bindungswirkung des Abs. 1 und die Klage gegen den VN ist trotz Geständnis allein wegen dieser Bindungswirkung ebenfalls abzuweisen.68

62 BGH 15.1.2008 –VI ZR 131/07, VersR 2008 485 (Rn. 7): „Eine erneute Überprüfung der Haftungsfrage im Verfahren gegen den VN oder den VR ist danach nicht mehr zulässig.“. 63 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 8. 64 Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 12. 65 OLG Köln 29.10.1990 – 5 U 84/90, VersR 1991 654, 655; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 13; Langheid/Wandt/ Schneider2 § 124 Rn. 12. 66 Musielak/Voit/Huber18 § 288 Rn. 9; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 7. 67 Reiff VersR 1990 113, 116; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 14; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 7; BGH 13.12.1977 – VI ZR 206/75, VersR 1978 862, 865 (juris Rn. 40). 68 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 13; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 9; vgl. BGH 13.12.1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71 339 = VersR 1978 862, 865 (juris Rn. 41); zur Vortäuschung eines Versicherungsfalles vgl. noch Rn. 32. 691

Beckmann

§ 124 VVG

Rechtskrafterstreckung

Um bei getrennten, gleichzeitig stattfindenden Prozessen gegen VR und gegen VN divergierende Entscheidungen zu vermeiden, sollten die Prozesse nach § 147 ZPO verbunden werden (Voraussetzung ist, dass mehrere Prozesse in gleicher Instanz beim gleichen Gericht anhängig sind).69 Scheitert die Verbindung, etwa weil die Prozesse nicht beim selben Gericht anhängig sind, kommt die Aussetzung eines der beiden Verfahren gem. § 148 ZPO in Betracht.70 Zwar fehlt es insofern an der Abhängigkeit von einem anderen Rechtsverhältnis und damit an der Vorgreiflichkeit; indes dürfte die analoge Anwendung des § 148 ZPO gerechtfertigt sein.71 Insbesondere fehlt es insoweit nicht deshalb an einer planwidrigen Regelungslücke, weil der Gesetzgeber die Bindungswirkung auf abweisende Urteile beschränkt hat.72 Damit dürfte der Gesetzgeber zwar die Möglichkeit divergierender Entscheidungen bewusst in Kauf genommen haben; ob ihm dabei jedoch der Fall gleichzeitig stattfindender, getrennter Prozesse vor Augen stand, ist zweifelhaft, besteht doch die Möglichkeit voneinander abweichender Entscheidungen gerade nicht nur in diesem Fall.73 28 Noch weitergehend wird die Aussetzung auch für den Fall befürwortet, dass VR und VN gemeinsam verklagt werden. Insofern kann es zu der Situation kommen, dass die Klage gegen den VR entscheidungsreif und abzuweisen ist, die andere gegen den VN noch nicht. In diesem Fall soll es möglich sein, zunächst die Klage gegen den VR durch Teilurteil abzuweisen und dann den Rechtsstreit gegen den VN solange auszusetzen, bis dieses rechtskräftig wird.74 Dagegen wird in rechtsdogmatischer Hinsicht vorgebracht, eine Aussetzung sei unzulässig, weil es insoweit um ein Verfahren vor demselben Spruchkörper gehe, mithin kein „anderer anhängiger Rechtsstreit“ vorliege.75 Dem ist hinzuzusetzen, dass eine solche Handhabung eine faktische Bindung erzeugt, die der Gesetzgeber nicht gewollt hat. Letztlich wird der Geschädigte regelmäßig schon dann scheitern, wenn nur eine der beiden Klagen abgewiesen werden kann. § 124 Abs. 1 sieht eine Bindungswirkung jedoch nur für den Fall einer rechtskräftigen Klageabweisung vor. Anders liegt der Fall hingegen, wenn eine von beiden Klagen abzuweisen ist, ohne dass insoweit ein Rechtsmittel gegeben wäre; insofern sind sogleich beide Klagen abzuweisen, weil die Bindungswirkung des § 124 Abs. 1 bereits zu beachten ist.76 Für eine Aussetzung besteht dann kein Bedürfnis. 29 Werden VN und VR gleichzeitig verklagt und wird die Klage gegen den einen Beklagten rechtskräftig abgewiesen, so führt die Rechtskrafterstreckung gem. Absatz 1 auch im Hinblick auf die Klage gegen den anderen Beklagten zur Abweisung.77 Deshalb sollten bei Berufung/ Revision auch beide Prozesse weitergeführt werden, damit die vollständige oder teilweise Klage27

69 Armbrüster RuS 2010 441, 445; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 18; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 9; dagegen empfiehlt Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 15 aus praktischen Gründen grundsätzlich die Prozesse nicht zu verbinden, sondern den auszusetzen, der voraussichtlich nicht durch Klageabweisung beendet werden kann. 70 Ist eine Verbindung möglich, dürfte diese regelmäßig vorzuziehen sein, MüKoZPO/Fritsche6 § 148 Rn. 14; noch deutlicher Musielak/Voit/Stadler18 § 148 Rn. 2 („Sie ist nicht zulässig, wenn Verbindung der Prozesse (§ 147) in Betracht kommt“); für Alternativität hingegen Armbrüster RuS 2010 441, 455, Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 124 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 18. 71 Armbrüster RuS 2010 441, 455; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 18; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 9. 72 So aber Reiff VersR 1990 113, 117 f. 73 Vgl. das Bsp. bei Rn. 22. 74 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 13; OLG Celle 16.6.1988 – 5 U 199/87, VersR 1988 1286, 1287. 75 Musielak/Voit/Stadler18 § 148 Rn. 6; Reiff VersR 1990 113, 117. 76 Vgl. dazu schon Rn. 26 und noch Rn. 29 f. Insofern hätte auch das OLG Celle a. a. O. beide Klagen abweisen können; dazu Reiff VersR 1990 113, 117; wohl ebenso Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 16. 77 BGH 14.7.1981 – VI ZR 254/79, VersR 1981 1156 (juris Rn. 4); Weber VersR 1985 1004, 1008; vgl. bereits oben Rn. 23, 26. Beckmann

692

B. Klageabweisendes, rechtskräftiges Urteil, Abs. 1

VVG § 124

abweisung gegen einen der Beteiligten der vorigen Instanz nicht rechtskräftig wird.78 Wird das Rechtsmittel nur bezüglich eines der beiden Gesamtschuldner eingelegt oder gegen einen zurückgenommen, führt dies zur Rechtskraft der vollständigen bzw. teilweisen Abweisung gegen den anderen und somit dazu, dass auch das prozessual weiterverfolgte Begehren abzuweisen ist.79 Das ist auch dann der Fall, wenn nur im Verhältnis zu einem der beiden Beklagten die Berufung zugelassen ist.80 Entsprechend ist sorgsam zu prüfen, ob sich jedenfalls im Wege der Auslegung ergibt, dass das Rechtsmittel gegen beide Beklagte gerichtet ist.81 Entscheidet der BGH in letzter Instanz, so wird die Abweisung des einen Begehrens sogleich rechtskräftig, da gegen Entscheidungen eines obersten Gerichts kein Rechtsmittel zulässig ist. Das andere Begehren ist abzuweisen.82 Kann eine Klage gegen einen der beiden Gesamtschuldner (VR oder VN) rechtskräftig abge- 30 wiesen werden, weil ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung nicht mehr möglich ist, so kann gegen den anderen Gesamtschuldner kein Versäumnisurteil ergehen.83 In diesem Falle kann in ein und demselben Urteil eine Klageabweisung gegen alle Gesamtschuldner erfolgen, da die Entscheidung sofort rechtskräftig wird und damit die Rechtskrafterstreckung unmittelbar nach sich zieht.84 Langheid spricht sich im Weiteren dafür aus, dass ein Versäumnis- oder Anerkenntnisurteil gegen den nicht anwaltlich vertretenen (nicht erschienenen oder anerkennenden VN/ Versicherten) nicht erlassen werden sollte, solange eine rechtskräftige Klageabweisung gegen den VR noch möglich sei. Da sich die Rechtskraft einer rechtskräftigen Entscheidung gegen den VR auch auf das andere Prozessrechtsverhältnis auswirkt, könne die zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen, die häufig auch vom Zufall abhängt, nicht dazu führen, dass die Rechtskraft unterlaufen wird.85 Indes hat Knappmann dem einleuchtend entgegenhalten, dass der Erlass eines Versäumnisurteils nur in den Fällen der §§ 335, 337 ZPO verweigert werden könne; § 335 ZPO sei nicht einschlägig und § 337 ZPO helfe dem VR nicht. Entscheidend sei deshalb, welches Urteil früher rechtskräftig wird.86 Erhebt der beklagte VR Widerklage gegen das Begehren des Geschädigten, und wird der 31 Anspruch des Geschädigten abgewiesen und der Widerklage stattgegeben, so sollen aus der Abweisung der Klage gegen den VR nicht zwingend Rückschlüsse auf die Behandlung der Widerklage gezogen werden können.87

3. Ggf. manipuliertes Versäumnisurteil Einzelne der vorstehenden Aspekte (insbesondere die Ausführungen zu einem Geständnis 32 des VN bzw. des Versicherten [oben Rn. 26] und zu einer möglichen Aussetzung [oben Rn. 27]) können auch im Zusammenhang mit einer etwaigen Vortäuschung eines Versicherungsfal78 BGH 15.1.2008 – VI ZR 131/07, VersR 2008 485, 486 (Rn. 8); OLG Karlsruhe 11.3.1988 – 10 U 186/87, VersR 1988 1192, 1193; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 5; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 11; Weber VersR 1985 1004, 1008. 79 BGH 12.3.2019 – VI ZR 277/18, VersR 2019 701, 702 (Rn. 23). 80 BGH 15.1.2008 – VI ZR 131/07, VersR 2008 485 (Rn. 8); Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 5. 81 Zu einer entsprechenden Konstellation OLG Hamm 19.6.2012 – 9 U 175/11 (juris Rn. 14). 82 BGH 14.7.1981– VI ZR 304/79, VersR 1981 1158, 1160 (juris Rn. 29); BGH 13.12.1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71 339 = VersR 1978 862, 865 (juris Rn. 42); Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 35. 83 Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 10; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 11; OLG Köln 6.11.1981 – 20 U 55/81, VersR 1982 860, 861. 84 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 11 unter Hinweis u. a. auf BGH 15.1.2008 – VI ZR 131/07, VersR 2008 485 (Rn. 7); BGH 14.7.1981 – VI ZR 254/79, VersR 1981 1156, 1157 (juris Rn. 14); BGH 29.5.1979 – VI ZR 128/77, VersR 1979 841, 842 (juris Rn. 14); Saarländisches OLG 21.10.1989 – 3 U 667/98 – 62, OLGR 1999 1 (juris Rn. 4). 85 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 5. 86 Prölss/Martin/Knappmann28 § 124 Rn. 3. 87 Zu diesem Fragenkreis insgesamt Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 38. 693

Beckmann

§ 124 VVG

Rechtskrafterstreckung

les eine Rolle spielen. Hat der VN bzw. der Mitversicherte beispielsweise den Eintritt des Versicherungsfalles (genauer gesagt die zugrunde liegenden Tatsachen) zugestanden, gelten die zivilprozessualen Grundsätze zum Geständnis gem. §§ 288 ff. ZPO. Bei einem Geständnis des VN bzw. Versicherten entfällt die Beweisbedürftigkeit der zugestandenen Tatsache; dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn es bewusst unwahr ist.88 Nach den jeweiligen Umständen besteht gegebenenfalls gleichwohl die Möglichkeit, das Geständnis des VN unter Berücksichtigung aller Umstände als unwahr anzusehen;89 in diesem Falle ist das Geständnis unbeachtlich. 33 Bei etwaigen manipulierten Verkehrsunfällen besteht die weitere Gefahr, dass der Dritte schnell gegen den VN ein stattgebendes Versäumnisurteil erlangt; selbst wenn der Dritte in einer anschließenden Direktklage gegen den VR unterliegt, bleibt ihm immer noch die rechtliche Möglichkeit, aufgrund des zuvor erstrittenen Versäumnisurteils den Deckungsanspruch des VN gegen den VR pfänden und sich überweisen zu lassen90 (die Klageabweisung der Direktklage wirkt sich nicht auf das Deckungsverhältnis aus; vgl. bereits oben Rn. 25). Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass bei einem Urteil gegen den VN schon nach allgemeinen Grundsätzen Bindungswirkungen des Haftpflichturteils für den Deckungsprozess bestehen.91 Damit ist grundsätzlich dem Dritten nur bei Leistungsfreiheit des VR im Innenverhältnis das Vorgehen über den Deckungsanspruch des VN verwehrt.92 In diesem Zusammenhang wird bereits unterschiedlich diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen tatsächlich eine Bindungswirkung des Haftpflichturteils für den Deckungsprozess besteht. Dies wird beispielsweise für den Fall abgelehnt, dass dem HaftpflichtVR mangels Benachrichtigung vom Versicherungsfall eine Teilnahme am Haftpflichtprozess nicht möglich war.93 Nach anderer Ansicht muss die kontradiktorisch entschiedene rechtskräftige Klageabweisung dem (manipulierten) Versäumnisurteil vorgehen.94 Unabhängig davon, dass eine solche Bindungswirkung des Haftpflichturteils im Rahmen des Deckungsverhältnisses also kritisch gesehen wird,95 und Versuche einer Einschränkung der Bindungswirkung entwickelt worden sind,96 befürwortet die wohl überwiegende Ansicht prozessuale Lösungen zur Vermeidung einer solchen Situation. Der VR kann dem anwaltlich nicht vertretenen Schädiger als Streithelfer gemäß § 67 ZPO beitreten, um auf diese Weise ein Versäumnisurteil zu verhindern.97 So kann er verhindern, dass der geschädigte Dritte durch Manipulation ein Versäumnisurteil und damit einen Deckungsanspruch erlangt.

88 Musielak/Voit/Huber18 § 288 Rn. 9; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 6. 89 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 14; Reiff VersR 1990 113; Lemcke RuS 1993 164; vgl. auch Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 7. 90 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 44; umfassend zur Zulässigkeit dieses Vorgehens Bruck/Möller/R. Johannsen8 Bd. V/1 Anm. B 39. 91 Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 19; vgl. Bruck/Möller/R. Koch10 Vorbem. zu §§ 100–112 Rn. 108; kritisch Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 6. 92 Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 20 zugleich kritisch („Das ist dogmatisch nicht haltbar und wegen der fehlenden Schutzwürdigkeit des Geschädigten, der diese u. U. missliche Situation durch eine einheitliche Klage gegen den VN und den VR hätte vermeiden können, auch nicht geboten.“; ähnlich Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 6. 93 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 48; Denck VersR 1980 704, 707; Reiff VersR 1990 113, 122 f. 94 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 6. 95 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 6. 96 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 46 ff.; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 6. 97 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 6; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 14; Stiefel/Maier/Jahnke19 § 124 Rn. 19; vgl. auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 52; Lemcke RuS 1993 161, 162; Gottwald/Adolphsen NZV 1995 129 („elegante Lösung“); vgl. etwa auch Lemcke RuS 1993 161, 164, wonach in einer solchen Situation ein Teil-Versäumnisurteil gegen VN oder Versicherten gem. § 310 ZPO nicht erlassen werden sollte; ähnlich Langheid a. a. O. § 124 Rn. 5 f. Beckmann

694

C. Festgestellter Anspruch, Abs. 2

VVG § 124

III. Beweislast Im Rahmen von § 124 gelten die allgemeinen Grundsätze; vgl. dazu Kommentierung zu § 100 34 Rn. 194 ff.

C. Festgestellter Anspruch bei stattgebendem Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich, Abs. 2 I. Grundsätzliches/Anwendungsbereich § 124 Abs. 2 ist im Lichte insbesondere der §§ 115, 117 Abs. 1 und 2 sowie des § 116 Abs. 1 zu sehen. Ist der VR von der Verpflichtung zur Leistung dem VN gegenüber ganz oder teilweise frei (gestörtes Versicherungsverhältnis), so bleibt gem. § 117 Abs. 1 gleichwohl seine Verpflichtung in Ansehung des Dritten bestehen. Ergänzt wird dieses Einstehenmüssen des VR gegenüber dem Dritten gem. § 117 Abs. 2, wonach ein Umstand, der das Nichtbestehen oder die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zur Folge hat, in Ansehung des Dritten erst mit dem Ablauf eines Monats wirkt, nachdem der VR diesen Umstand der hierfür zuständigen Stelle angezeigt hat (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 117). Bestehen aufgrund dieser Regelungen gegenüber dem Dritten Verpflichtungen des VR, ist dieser aber im Innenverhältnis gegenüber dem VN leistungsfrei, so kann der VR insbesondere gem. § 116 Abs. 1 Satz 2 beim VN Rückgriff nehmen (insgesamt zu den Rückgriffsmöglichkeiten des VR, vgl. § 117 Rn. 84 ff.). Vor diesem Hintergrund gewinnt § 124 Abs. 2 Bedeutung: Unter den Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 ist die vom VR vorgenommene Regulierung für den Rückgriffsanspruch gegenüber dem VN bindend. Diese Regelung ist des Weiteren vor dem Hintergrund zu sehen, dass der VN an das Regulierungsverhalten des VR aufgrund der vertraglich vereinbarten Regulierungsvollmacht gebunden ist, die auch bei Leistungsfreiheit im Innenverhältnis besteht.98 Die Vorschrift hat nicht nur Bedeutung im Rahmen des Rückgriffs des VR gegen den VN, sondern auch im Hinblick auf einen Rückgriff gegen den Versicherten.99 Keine Bedeutung hat die Regelung bei intakten Versicherungsverhältnissen. Insoweit ist der VR gegenüber dem VN bzw. dem Versicherten zur Leistung verpflichtet; ein Rückgriff des VR gegen VN bzw. Versicherten kommt gerade nicht in Betracht. Schon tatbestandlich findet die Vorschrift keine Anwendung, wenn der VN den Dritten vorab befriedigt. Dies führt seit der VVG-Reform zwar nicht ohne Weiteres zur Leistungsfreiheit des VR,100 gleichwohl geht von einer solchen „Regulierung“ durch den VN für den VR keine Bindungswirkung aus; ggf. müsste er beim Rückgriff gegenüber dem VR darlegen und beweisen, dass die erfolgten Leistungen auch vom Versicherungsschutz erfasst waren.101 Durch die Bindungswirkung gem. Abs. 2 besteht für den Fall eines Vergleichs oder eines Anerkenntnisses die Gefahr, dass Absprachen zwischen dem Dritten und dem VR getroffen werden, die der materiellen Haftungslage nicht entsprechen und infolgedessen die Position des VN negativ beeinflussen. Insofern wurde bereits die Vorgängernorm teilweise für verfassungswidrig gehalten, da in diesen Fällen ein Vertrag zulasten Dritter geschlossen werde und somit ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG gegeben sei.102 Gegen diese Sichtweise spricht jedoch, dass sich die Belastung des VN nicht unmittelbar aus dem Vergleichsvertrag ergibt, sofern dieser lediglich die Rechtslage zwischen VR und Drittem betrifft. In diesem Fall, wenn also keine Ver98 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 17. 99 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 18; OLG Düsseldorf 25.4.1997 – 22 U 242/96, VersR 1997 1140, 1141. 100 Dazu Bruck/Möller/R. Koch10 Kommentierung zu § 105 Rn. 5. 101 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 18. 102 Marotzke ZZP 100 164; Ebel VersR 1980 158; Thomas/Putzo/Reichold28 § 325 ZPO Rn. 6 zu § 3 Nr. 8 PflVG a.F. 695

Beckmann

35

36 37

38

39

§ 124 VVG

Rechtskrafterstreckung

pflichtung des VN im Vergleichsvertrag zwischen VR und Drittem vorgesehen ist, ergibt sich die Bindung bzw. Belastung des VN (wegen der inter partes-Wirkung des Vergleichs) ausschließlich durch die gesetzliche Anordnung der Rechtskrafterstreckung in Abs. 2.103 Der Vergleich wird somit vom VR ausschließlich im Hinblick auf seine eigene, aus § 115 folgende Verbindlichkeit geschlossen. Daher liegt auch kein Vertrag zulasten Dritter im herkömmlichen Sinne vor.104 Nach anderer Auffassung soll die inhaltliche Bedenklichkeit der Norm z. B. dazu führen, dass an das Verschulden des HaftpflichtVR nur geringe Anforderungen zu stellen sind.105 Entscheidend dürfte sein, dass sich der VN gegen die Entscheidung des VR (Vergleich, Anerkenntnis) aber auch gegen ein entsprechendes Urteil insoweit verteidigen und geltend machen kann, dass der VR sich bei der Regulierung pflichtwidrig verhalten hat. Insoweit steht dem VN eine „Überprüfungsmöglichkeit“ zur Seite; auch kann er vom VR gem. § 666 BGB Auskunft über die Schadensregulierung verlangen (vgl. Rn. 49, vgl. zur Anwendung des § 666 BGB § 116 Rn. 31). Problematisch und bedenklich würde die Rechtslage wohl dann, wenn sich herausstellen sollte, dass diese „Rechtsschutzmöglichkeit“ des VN faktisch nicht wirken würde und entgegen § 124 Abs. 2, 2. Halbs. stets die Entscheidung des VR für den VN bindend wirkt. Bei einer solchen Sachlage wäre es angebracht, die Regelung zu überdenken.

II. Tatbestand 1. Rückgriffsanspruch 40 Leistet der VR an den geschädigten Dritten, obwohl er dem VN gegenüber leistungsfrei ist, hat er gegen diesen einen Rückgriffsanspruch aus § 116 Abs. 1 Satz 2. Der VN muss nach Abs. 2 die Feststellungen durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich aus dem Prozess zwischen VR und dem geschädigten Dritten gegen sich gelten lassen, wenn er vom VR in Anspruch genommen wird. Bedeutung erlangt diese Regelung vor allem bei einem gestörtem Versicherungsverhältnis und in Fällen der Nachhaftung (vgl. bereits oben Rn. 35). § 124 Abs. 2 setzt das Vorliegen eines Rückgriffsanspruches des VR gegen den VN bzw. gegen eine versicherte Person gem. § 116 Abs. 1 Satz 2 voraus; erst soweit der VR die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs dargetan und ggf. bewiesen hat, greift die von § 124 Abs. 2 ausgehende Bindungswirkung ein. Über die Regressansprüche des § 116 Abs. 1 hinaus wird durch § 124 Abs. 2 keine weitere Regressmöglichkeit begründet.

2. Rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich 41 Die betreffenden Feststellungen können durch jede Art von Urteil erfolgen. Bei Leistungen des VR aufgrund einer einstweiligen Verfügung106 findet die Vorschrift ebenso Anwendung, wie bei jeder anderen Entscheidung im zivilrechtlichen Eilrechtsschutz.107 Ausweislich des Tatbestands gilt die Bindungswirkung auch für Anerkenntnisse und Vergleiche. Dies lässt sich damit rechtfertigen, dass dem VR eine Regulierungsvollmacht zusteht und damit die Befugnis, den Versicherungsfall im eigenen Namen zu bearbeiten.108 Erfasst sind sowohl gerichtliche als auch au103 Ebenso Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 12; hierzu kritisch Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 62. 104 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 12. 105 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 63. 106 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 19; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 27 für eine analoge Anwendung im Fall einer einstweiligen Verfügung. 107 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 61. 108 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 19; vgl. bereits oben Rn. 35. Beckmann

696

C. Festgestellter Anspruch, Abs. 2

VVG § 124

ßergerichtliche109 Vergleiche sowie Anerkenntnisse. Als derartiges Anerkenntnis hat die Rechtsprechung bereits eine Zahlung des VR gewertet, auch wenn sie „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ oder unter einem ähnlichen Vorbehalt geleistet wurde.110 Im Hinblick auf die Wirkung des Abs. 2 wird man indes einen verbindlichen Vergleich oder ein verbindliches Anerkenntnis voraussetzen müssen. Eine Entscheidung im Deckungsprozess zwischen VR/VN hat keine Auswirkungen auf die 42 Rechtsstellung des „anderen Schadensversicherers“ im Sinne von § 117 Abs. 3 Satz 2 oder des SVT, die Rechtsnachfolger des geschädigten Dritten sind. Eine Entscheidung im Deckungsprozess zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages wirkt nicht gegenüber dem geschädigten Dritten und kann somit auch keine Folgen für dessen Rechtsnachfolger haben.111

3. Ausschluss der Bindungswirkung, Abs. 2, 2. Halbs. Das Gesetz geht davon aus, dass bei ordentlicher und gewissenhafter Prozessführung bzw. Scha- 43 densregulierung durch den VR die Wahrung der Interessen des VR gewährleistet ist und die Entscheidung des VR, ohne die Interessen des VN wesentlich zu beeinträchtigen, auch für diesen grundsätzlich rechtlich bindend werden kann. Verletzt nun der VR seine Pflicht zum ordentlichen und gewissenhaften Umgang mit dem Schadensfall, indem er seiner Pflicht zur Abwehr unbegründeter Entschädigungsansprüche sowie zur Minderung oder sachgemäßen Feststellung des Schadens nicht nachkommt, darf dem VN hieraus allerdings kein Nachteil entstehen. Ist der VR dieser Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen, ist der VN gem. Abs. 2, 2. Halbs. nicht an das entsprechende Urteil, den entsprechenden Vergleich bzw. das entsprechende Anerkenntnis gebunden. Die Verpflichtung des VR, bei der Regulierung bzw. Prozessführung die Belange des VN zu beachten, ergibt sich bereits aus dem Versicherungsvertrag. Somit stellt eine derartige Pflichtverletzung eine Verletzung des Versicherungsvertrages dar und kann zugleich Schadensersatzansprüche gegen den VR begründen. Mit diesen kann der VN ggf. auch aufrechnen. Zu beachten ist, dass dem VR bei der Regulierung des Schadens ein Ermessensspielraum 44 zusteht.112 Gleichwohl versteht es sich, dass der VR Umstände, die dem Versicherungsschutz entgegenstehen können, zu beachten hat. Beispiele solcher Umstände hat etwa Jacobsen zusammengefasst;113 danach liegt unter Umständen eine fehlerhafte, über das Ermessen hinausgehende Pflichtverletzung z. B. in folgenden Fällen vor: Im Rahmen der Schadensregulierung kann dem VR beispielsweise bei fragwürdiger Schilderung des Sachverhalts durch den Dritten, bei Bestreiten jeglicher Schadensverursachung durch den VN, bei möglicher Schadensverursachung durch ein anderes Kfz, bei Fehlen von Zeugen für das Schadensereignis, bei Fehlen einer Beschädigung des Fahrzeugs des VN,114 bei Ausbleiben einer Berücksichtigung des Quotenvorrechts des Sozialversicherungsträgers nach § 1542 RVO115 und bei Durchführung einer Regulierung trotz erkennbaren Mitverschuldens116 möglicherweise eine Pflichtverletzung angelastet werden. Ein Verstoß des VR, die Belange des VN bei der Prozessführung in gebührender Weise zu beachten, kann beispielsweise die Zahlung einer Kapitalabfindung an den Geschädigten in Fällen des § 843 BGB wegen Erwerbsbeeinträchtigung bzw. Vermehrung der Bedürfnisse sein, obwohl kein wichtiger Grund gem. § 843 Abs. 3 BGB vorliegt. Keine schuldhafte PflichtverletOLG Karlsruhe 27.11.1970 – 10 U 12/70, VersR 1971 509, 510; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 19. OLG Hamm 13.11.1981 – 20 U 214/81, VersR 1982 765, 766. BGH 4.12.1974 – IV ZR 208/72, BGHZ 65 1, 6 (juris Rn. 14); m. Anm. v Gitter JR 1975 419, 420. Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 21 („weiter Ermessensspielraum“); ähnlich Maier/Stiefel/Jahnke19 § 124 Rn. 60. 113 Zum Folgenden: Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 124 Rn. 9. 114 OLG Köln 19.3.1993 – 5 U 100/91, RuS 1992 261 (juris Rn. 6). 115 BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181 (juris Rn. 22). 116 Feyock/Jacobsen/Lemor/Jacobsen3 § 124 Rn. 9.

109 110 111 112

697

Beckmann

§ 124 VVG

Rechtskrafterstreckung

zung des VR ist gegeben, wenn der VN seine Bedenken nicht rechtzeitig äußert, obwohl es ihm möglich gewesen wäre oder er vom VR darauf hingewiesen wurde. 45 Die Wirkungen des § 124 Abs. 2 greifen nicht ein, wenn der VN dem VR im Direktprozess des Geschädigten beigetreten ist.117 Insoweit greift für den VN die hiermit verbundene prozessuale Bindungswirkung ein, was grundsätzlich der Annahme einer Pflichtverletzung durch den VR entgegensteht.

III. Rechtsfolgen 46 Gem. § 124 Abs. 2 muss der VN die gerichtliche oder außergerichtliche Schadensfeststellung gegen sich gelten lassen. Um den VN zu entlasten, muss ihm unter Umständen die Möglichkeit der Tilgung des Re47 gressanspruches in angemessenen Raten eingeräumt werden.118 Der VR kann gem. § 116 Abs. 1 Satz 3 neben seiner Leistung an den Dritten vom VN auch den 48 Ersatz der Aufwendungen, die zur Anspruchsverfolgung notwendig waren, verlangen. Derartige Aufwendungen sind beispielsweise Gutachterkosten.

IV. Beweislast 49 Hinsichtlich des Vorliegens einer Pflichtverletzung nach Abs. 2, 2. Halbs. 2 ist der VN darlegungs- und beweisbelastet. Auch durch die Einfügung der Formulierung („es sei denn“) in Absatz 2 hat sich gegenüber der Vorgängerregelung hinsichtlich der Beweislast nichts geändert.119 Er muss dem VR also jedenfalls nachweisen, dass er seine Pflicht zur Abwehr unbegründeter Entschädigungsansprüche sowie zur Minderung oder sachgemäßen Feststellung des Schadens verletzt hat. Dabei hat der VN das Recht, vom VR gem. § 666 BGB Auskunft über die Schadensregulierung zu verlangen.120 Insbesondere wenn der VR dem nicht nachkommt, wird man unter Umständen zu einer Beweislastumkehr gelangen können.121 Nach dem Wortlaut der Vorschrift hat der VN auch das Verschulden des VR darzulegen und 50 ggf. zu beweisen. Teilweise wird insoweit zum Ausdruck gebracht, dass eine Pflichtverletzung „regelmäßig auch schuldhaft sein“ wird.122 Nach einer weiteren Ansicht sind – im Hinblick auf die Bedenklichkeit der Norm (dazu oben Rn. 39) – an das Verschulden des HaftpflichtVR nur geringe Anforderungen zu stellen.123 Eine Pflichtverletzung gem. § 124 Abs. 2, 2. Halbs. stellt in aller Regel zugleich eine versicherungsvertragliche Pflichtverletzung des VR dar, die unter Umständen sogar einen Schadensersatzanspruch des VN auslösen kann. Für einen solchen Schadensersatzanspruch würde indes jedenfalls die Verschuldensvermutung gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB gelten. Unterschiedliche Beweislastverteilung im Rahmen von § 124 Abs. 2 einerseits und im Rahmen eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs im Hinblick auf die gleiche Pflichtverletzung andererseits erscheinen aber kaum gerechtfertigt. Die allgemeine Vermutung

117 Langheid/Rixecker/Langheid6 § 124 Rn. 10; Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 21; Prölss/Martin/Klimke31 § 124 Rn. 26. 118 BGH 27.5.1957 – II ZR 132/56, BGHZ 24 308, 332 (juris Rn. 24); OLG Hamm 25.2.1976 – 20 U 180/75, VersR 1978 379, 380 (juris Rn. 31); OLG Hamm 18.12.1970 – 20 U 114/70, VersR 1971 914, 915. 119 Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 124 Rn. 17; der an dieser Stelle auf die anderslautende, dem § 3 Nr. 10 PflVG entsprechende Formulierung der Reformkommission verweist. 120 Vgl. zur Anwendung des § 666 BGB § 116 Rn. 31. 121 Vgl. auch Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 20 (zunächst „sekundäre Darlegungslast“ des VR). 122 Langheid/Wandt/Schneider2 § 124 Rn. 21. 123 Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 124 Rn. 63. Beckmann

698

D. Anwendung bei Direktansprüchen, Abs. 3

VVG § 124

im Hinblick auf das Verschulden wird man deshalb auch im Rahmen von § 124 Abs. 2 anwenden können.

D. Anwendung bei Direktansprüchen, Abs. 3 Rechtskrafterstreckung nach Abs. 1 und 2 besteht nur bei Vorliegen eines gesetzlichen Direkt- 51 anspruchs des geschädigten Dritten gegen den VR gem. § 115 Abs. 1. Ein Direktanspruch kann nur dann vorliegen, wenn der Geschädigte sowohl den Schädiger/VN als auch den VR in Anspruch nehmen kann. Dies gilt für Kfz-HaftpflichtVR und ggf. sonstige Pflichthaftpflichtversicherer. Nur in diesen Fällen kann ein Interesse an einer einheitlichen Entscheidungsfindung bestehen. Dies stellt Abs. 3 klar. Nur in diesem Falle besteht ein Bedürfnis wechselseitiger Bindungswirkung gem. Abs. 1 und Abs. 2.124

124 BRDrucks. 16/6627 S. 7; Maier/Stiefel/Jahnke19 § 124 Rn. 73. 699

Beckmann

Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB D&O) Musterbedingungen des GDV (Stand: Mai 2020) (unter Mitberücksichtigung der AVB-AVG 2011/2013)

Allgemeine Einführung zu den AVB D&O Schrifttum (s. zudem Schrifttum im Anhang zu Ziff. A-1 AVB D&O und vor den einzelnen Kommentierungen) Armbrüster Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; ders. Interessenkonflikte in der D&O-Versicherung, NJW 2016 897; ders. Neues vom BGH zur D&O-Versicherung, NJW 2016 2155; ders. in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Band 7 6. Aufl. (2020) § 108; Armbrüster/Schilbach Nichtigkeit von Versicherungsverträgen wegen Verbots- oder Sittenverstoßes, RuS 2016 109; dies. D&O-Versicherungsschutz für Ansprüche nach § 64 GmbHG, ZIP 2018 1853; Barzen/Bachmann/Braun D&O-Versicherung für Kapitalgesellschaften. Haftungsrisiken der Geschäftsleitung und ihre Deckung (2003); Bastuk/Stelmaszczyk Gestaltung des D&O-Versicherungsschutzes in M&A-Transaktionen, NZG 2011 241; Baumann Aktienrechtliche Managerhaftung, D&O-Versicherung und „angemessener Selbstbehalt“, VersR 2006 455; ders. Gesellschafts- und steuerrechtliche Probleme der D&O-Versicherung – Neuakzentuierungen durch das VorstAG, Gedächtnisschrift Hübner (2012) 53; Baur/Holle Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG im Direktprozess gegen D&O-Versicherer, AG 2017 141; Bayer/Scholz Zulässigkeit und Grenzen des Kartellbußgeldregresses, GmbHR 2015 449; Boche/Drenker Aktuelles zur D&O-Versicherung in Krise und Insolvenz, BB 2021 515; Borris Schiedsgerichtsbarkeit und D&O-Versicherung, RuS 2020 316; Brinkmann/Schmitz-Justen D&O-Deckungsschutz bei Verstoß gegen insolvenzrechtliche Zahlungsverbote, ZIP 2021 24; Bunte Regress gegen Mitarbeiter bei kartellrechtlichen Unternehmensgeldbußen, NJW 2018 123; Cepl/Schneider Patentverletzungen und D&O-Versicherung, RuS 2020 9; Cyrus Neue Entwicklungen in der D&O-Versicherung, NZG 2018 7; Dauner-Lieb/Tettinger Vorstandshaftung, D&O-Versicherung, Selbstbehalt ZIP 2009 1555; Dilling Zur Unwirksamkeit des Risikoausschlusses für wissentliche Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2018 332; Dißars Die E&O-Versicherung, VersR 2009 1340; Dreher Der Abschluß von D&O-Versicherungen und die aktienrechtliche Zuständigkeitsordnung, ZHR 165 (2001) 293; ders. Die Rechtsnatur der D&O-Versicherung, DB 2005 1669; ders. Die selbstbeteiligungslose D&O-Versicherung in der Aktiengesellschaft, AG 2008 429; ders. Versicherungsschutz für die Verletzung von Kartellrecht oder von Unternehmensinnenrecht in der D&O-Versicherung und Ausschluss vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzungen, VersR 2015 781; ders. Das Two-Tower-Modell in der D&O-Versicherung, FS Baums (2017) 325; ders. Die D&O-Individualversicherung, FS Bergmann (2018) 145; Dreher/Fritz Die D&O-Versicherung als Gruppenversicherung, VersR 2021 220; Dreher/Thomas Die D&O-Versicherung nach der VVG-Novelle, ZGR 2009 31; Ehlers Ausreichender Versicherungsschutz ein Risikofeld der Managerhaftung, VersR 2008 1173; Fassbach/Hülsberg Die D&O-Versicherung im Gefüge der Compliance Management Systeme (CMS), CB 2018 1; dies. Die D&O-Versicherung im Konfliktpotential des Two-Tier-Board-Systems, CB 2018 186; Fassbach/Wettich Die D&O-Versicherung in der Hauptversammlung, GWR 2016 199; Ferck Der Selbstbehalt in der D&O-Versicherung für Organmitglieder von Aktiengesellschaften (2006); Fiedler Der Pflichtselbstbehalt nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG und seine Auswirkung auf Vorstandshaftung und D&O Versicherung, MDR 2009 1077; Fortmann Managerhaftung und Eigenschadenabsicherung, NJW 2020 3064; Gädtke Implizites Verbot der D&O-Selbstbehaltsversicherung? VersR 2009 1565; ders. Schutz gutgläubiger Organmitglieder bei Anfechtung des Versicherers – nach der Entscheidung des BGH „Heros II“? RuS 2013 313; Gädtke/Wax Konzepte zur Versicherung des D&O-Selbstbehalts – Eine kritische Bestandsaufnahme, AG 2010 851; Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) Erläuterungen zu den AVB D&O, Stand: Dezember 2020 – zitiert: GDV-Erl.; Golz D&O-Maklerbedingungen als AGB? VersR 2011 727; Habetha Direktorenhaftung und gesellschaftsfinanzierte Haftpflichtversicherung (1995); ders. Deliktsrechtliche Geschäftsführerhaftung und gesellschaftsfinanzierte Haftpflichtversicherung, DZWir 1995 272; Hemeling Neuere Entwicklungen in der D&O-Versicherung, FS Hoffmann-Becking (2013) 491; Herdter Grenzen der Auskunfts- und Belegpflicht in der D&O-Versicherung, ZVersWiss 2011 655; Hoffmann-Becking Sinn und Unsinn der D&O-Versicherung, ZHR 181 (2017) 737; Holthausen/Held D&O ist Chefsache – Rechtliche Hintergründe und Handlungsempfehlungen, GmbHR 2020 741; Ihlas Organhaftung und Haftpflichtversicherung (1997) – zitiert: Ihlas Organhaftung; ders. D&O – Directors & Officers Liability 2. Aufl. (2009) – zitiert: Ihlas; Ingwersen Die Stellung des Versicherungsnehmers bei Innenhaftungsfällen in der D&O-Versicherung (2011); Jula D&O-Versicherung und Managerhaftung (2021); Kästner Aktienrechtliche Probleme der D&O-Versicherung, AG 2000 113; dies. Steuerrechtliche Probleme der D&O701 https://doi.org/10.1515/9783110522662-029

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

Schrifttum

Versicherung, DStR 2001 1955; Kerst Haftungsmanagement durch die D&O-Versicherung nach Einführung des aktienrechtlichen Selbstbehaltes in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG, WM 2010 594; Klinghammer Bedingungswettlauf in der D&O-Versicherung, Teile 1 und 2, VersPrax 2011 157 und 181; Klotz „Eigenschadenklauseln“ in der D&O-Versicherung, RuS 2020 425; Knöfel D&O-Exzedentendeckungen, VersR 2018 513; ders. Strukturprobleme der D&O-Exzedentenversicherung ZIP 2018 1814; ders. Die „versicherte Tätigkeit“ von Organmitgliedern bei der D&O-Versicherung, VersR 2019 1249; R. Koch Die Rechtsstellung der Gesellschaft und des Organmitglieds in der D&O-Versicherung, Teile 1–3, GmbHR 2004 18, 160, 288; ders. Die Vertrauensschadenversicherung in ihren aktuellen Erscheinungsformen, VersR 2005 1192; ders. Vertrauensschadenversicherung (2006); ders. Aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der D&O-Versicherung, WM 2007 2173; ders. Einführung eines obligatorischen Selbstbehalts in der D&O-Versicherung durch das VorstAG, AG 2009 637; ders. Das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer, Versicherungsnehmer und versicherten Personen in Innenhaftungsfällen der D&OVersicherung, ZVersWiss 2012 151; ders. Kontrollfähigkeit/-freiheit formularmäßiger Haftpflichtversicherungsfalldefinitionen? VersR 2014 1277; ders. Anspruch auf die Versicherungsleistung in der D&O-Versicherung in der Doppelinsolvenz von Gesellschaft und (Alleingesellschafter-)Geschäftsführer, VersR 2020 1284; Kordes D&O-Versicherung: Zusammentreffen von wissentlicher Pflichtverletzung und weiteren fahrlässigen Pflichtverletzungen, RuS 2019 307; Kort Voraussetzungen der Zulässigkeit einer D&O-Versicherung von Organmitgliedern, DStR 2006 799; Kretschmer Reichweite und Wirksamkeit von Führungsklauseln in der D&O-Versicherung, VersR 2008 33; Küpper-Dirks Managerhaftung und D&OVersicherung (2002); Labusga Die Ersatzfähigkeit von Unternehmensgeldbußen im Innenregress gegen verantwortliche Vorstandsmitglieder, VersR 2017 394; Lange Zulässigkeitsvoraussetzungen einer gesellschaftsfinanzierten AufsichtsratsD&O-Versicherung, ZIP 2001 1524; ders. Die D&O-Versicherungsverschaffungsklausel im Manageranstellungsvertrag, ZIP 2004 2221; ders. Auswirkungen eines Kontrollwechsels (change of control) auf die D&O-Versicherung, AG 2005 459; ders. Die Prozessführungsbefugnis der Versicherungsnehmerin einer D&O-Versicherung, VersR 2007 893; ders. Die Selbstbehaltsvereinbarungspflicht gem. § 93 Abs. 2 S. 3 AktG n. F., VersR 2009 1011; ders. Die D&O-Selbstbehalts-Versicherung, RuS 2010 92; ders. Die Haftung des (versicherungsnehmenden) Unternehmens anstelle des D&O-Versicherers, VersR 2010 162; ders. Die verbrauchte Versicherungssumme in der D&O-Versicherung, VersR 2014 1413; ders. Vernachlässigte Aspekte des Wissentlichkeitsausschlusses in der D&O-Versicherung, VersR 2020 588; ders. in Veith/Gräfe/Gebert (Hrsg.) Der Versicherungsprozess 4. Aufl. (2020) § 21 D&O-Versicherung; ders. D&O-Versicherung und Managerhaftung (2014) – zitiert: Lange; Langheid Wissentliche und fahrlässige Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2017 1365; Langheid/ Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Lehmann Aktuelle Rechtsprechung des BGH zur D&O-Versicherung und Folgerungen für die Praxis, RuS 2018 6; Liedtke Ein Zwischenfazit zu den Entwicklungen von unwirksamen Anfechtungsverzichtsklauseln im Rahmen der D&O-Versicherung, VersPrax 2012 229; von de Lippe Probleme wissentlicher Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2021 69; Looschelders Der Risikoausschluss bei vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzung – Auswirkungen auf die Rechtsstellung der VN und anderer Versicherter, VersR 2018 1413; ders. Grundfragen der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung und der Vertrauensschadensversicherung im Spiegel der neueren Rechtsprechung, VersR 2021 337; E. Lorenz Muss die von dem Vorstand einer Aktiengesellschaft abgeschlossene D&O-Versicherung einen Selbstbehalt für die versicherten Unternehmensleiter vorsehen? FS J. Prölss (2009) 177; Loritz/Wagner Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten: D&O-Versicherungen und steuerliche Fragen, DStR 2012 2205; Lüneborg/Resch Ausgewählte Probleme des D&O-Versicherungsschutzes aus Aufsichtsratsperspektive: Versicherungsabschluss, Rückwärtsdeckung, Nachmeldefristen und Umstandsmeldung, AG 2017 691; Melot de Beauregard/Gleich Aktuelle Problemfelder bei der D&O-Versicherung, NJW 2013 824; Messmer Quo Vadis VorstAG? ZfV 2009 737; Mitterlechner/Wax/Witsch D&O-Versicherung (mit internationalen Bezügen) 2. Aufl. (2019); Möhrle Gesellschaftsrechtliche Probleme der D&O-Versicherung (2006); dies. Aktuelle Fragen zur D&O-Versicherung, AG 2019 243; Nietsch Klageinitiative und besondere Vertretung in der Aktiengesellschaft, ZGR 2011 589; Olbrich Die D&O-Versicherung 2. Aufl. (2007); Olbrich/Kassing Der Selbstbehalt in der D&O Versicherung: Gesetzliche Neuregelung lässt viele Fragen offen, BB 2009 1659; Osswald Die D&O-Versicherung beim Unternehmenskauf (2009); Pammler Die gesellschaftsfinanzierte D&O-Versicherung im Spannungsfeld des Aktienrechts (2005); Peltzer Die deutsche D&O-Versicherung und ihr (noch operabler) Geburtsfehler, FS H.P. Westermann (2008) S. 1256; ders. Konstruktions- und Handhabungsschwierigkeiten bei der D&O-Versicherung, NZG 2009 970; Pregler Der Selbstbehalt des Vorstands im Spannungsfeld des Aktien- und Versicherungsrechts (2012); Ramharter D&O-Versicherung (2018); Rehbinder Rechtliche Schranken der Erstattung von Bußgeldern an Organmitglieder und Angestellte, ZHR 148 (1984) 555; Reichert/Suchy Die Two-Tier Trigger Policy – Marketinginstrument oder zukunftsweisendes D&O-Versicherungskonzept? NZG 2017 88; Rudzio Vorvertragliche Anzeigepflicht bei der D&O-Versicherung der Aktiengesellschaft (2010); Ruttmann Die Versicherbarkeit von Geldstrafen, Geldbußen, Strafschadensersatz und Regressansprüchen in der D&O-Versicherung (2014); Säcker Streitfragen zur D&O-Versicherung, VersR 2005 1; Scheifele Die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Manager in den Vereinigten Staaten von Amerika (1993); v. Schenck Handlungsbedarf bei der D&O-Versicherung, NZG 2015 494; Schilling D&O-Versicherung und Managerhaftung 3. Aufl. (2013); Schillinger Die Entwicklung der D&O-Versicherung und der Managerhaftung in Deutschland – von der „Versicherungsutopie“ zu den Auswirkungen des UMAG, VersR 2005 1484; Schmitt Organhaftung und D&O-Versicherung (2007);

Armbrüster

702

Übersicht

Allg Einf AVB D&O

Schmuckermeier Strafrechtsschutz als Bestandteil oder Ergänzung einer D&O-Versicherung, RuS 2019 131; Schüppen/Sanna, D&O-Versicherung: Gute und schlechte Nachrichten! ZIP 2002 550; Schumacher Organhaftung und D&O-Versicherung im Schiedsverfahren, NZG 2016 969; Schweitzer Zulässigkeit der Ausschlussklauseln für Vorsatz und Wissentliches Handeln in der D&O-Versicherung (2013); Segger Keine Haftung unbeteiligter Organmitglieder für wissentliche Pflichtverletzungen ihrer Kollegen, VersR 2018 329; Seibt/Saame Geschäftsleiterpflichten bei der Entscheidung über D&O-Versicherungsschutz, AG 2006 901; Seitz Vorsatzausschluss in der D&O-Versicherung – endlich Licht im Dunkeln! VersR 2007 1476; Seitz/Finkel/Klimke D&O-Versicherung, AVB-AVG (2016); Sieg Managerhaftung und D&O-Versicherung – Erfahrungen aus 15 Jahren und Ausblick, Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2013 (2014) 89; Staudinger Ausgewählte Probleme der D&O-Versicherung, in E. Lorenz (Hrsg.) VersR-Schriftenreihe Nr. 43 (2009) 41; Terno Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln, RuS 2013 577; Strasser Die Deckung von Schäden aus Kartellgeldbußen in der D&O-Versicherung, VersR 2017 65; Thomas Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern (2010); ders. Unternehmensinterne Informationspflichten bei Verlust der D&O-Deckung, VersR 2010 281; ders. Bußgeldregress, Übelszufügung und D&OVersicherung, NZG 2015 1409; ders. Haftungs- und Versicherungsrecht bei Kartellverstößen, VersR 2017 596; Thiel Der Prämienzahlungsverzug in der D&O-Versicherung, VersR 2015 946; Thümmel Managerhaftung vor Schiedsgerichten, FS Geimer (2002) 1331; ders. Organhaftung und D&O-Versicherung in der schiedsgerichtlichen Praxis, FS Schütze (2014) 633; ders. Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten 5. Aufl. (2016); Ulmer Strikte aktienrechtliche Organhaftung und D&O-Versicherung – zwei getrennte Welten? FS Canaris Bd. II (2007) 451; Weber-Rey/Buckel Corporate Governance in Aufsichtsräten von öffentlichen Unternehmen und die Rolle von Public Corporate Governance Kodizes, ZHR 177 (2013) 13; Weckmann Interessenkonflikte aus Leitungs- und Aufsichtsmandaten bei D&O-Versicherer und D&O-Versicherungsnehmer – am praktischen Beispiel Siemens, in Dörner (Hrsg.) Forum Versicherungsrecht 2012 (2012) 267; Wedemann Die D&OVersicherung im Spiegel des Internationalen Zivilverfahrens- und Kollisionsrechts, ZIP 2014 2469; Werner D&O-Versicherung und Schiedsverfahren, VersR 2015 1084; Graf v. Westphalen Ausgewählte neuere Entwicklungen in der D&O-Versicherung, VersR 2008 17; Wollny Die Directors’ and Officers’ Liability Insurance in den Vereinigten Staaten von Amerika (1993); Zimmer/Simonot Finanzierung der Verteidigung gegen die Gesellschaft und Rechtsverfolgung gegen den D&O-Versicherer im Lichte von § 93 IV AktG, NZG 2016 976.

Übersicht 1

A.

Grundlagen

I. 1. 2.

1 Überblick 1 Zweck Besonderheiten gegenüber anderen Haftpflicht5 versicherungen 5 a) Überblick 7 b) Einschluss der Innenhaftung 12 c) Anspruchserhebungsprinzip 13 Grundstrukturen

3. II.

3. 4.

Abgrenzung zu anderen Versicherungsproduk23 ten 23 Überblick 25 Haftpflichtversicherung 25 a) Überblick b) Vermögenschaden26 Haftpflichtversicherung 30 c) Prospekthaftungsversicherung 31 d) Vertrauensschadenversicherung 32 Rechtsschutzversicherung 36 Cyber-Versicherung

B.

Rechtliche Vorgaben

I.

Überblick

II.

Zulässigkeit

1. 2.

III. 1. 2. 3. 4.

IV. 1. 2.

3.

39

52

61 AGB-Recht 61 Maßgebliche AVB 65 Auslegung der AVB 65 a) Auslegungsmaßstab b) Anwendbarkeit der Unklarheitenre69 gel 71 AGB-Kontrolle 71 a) Vorliegen von AVB 73 b) Verwendereigenschaft 77 c) Modifizierte Kontrollmaßstäbe aa) Berücksichtigung von Handelsbräu77 chen und -gewohnheiten bb) Leitbildkontrolle im Großrisikobe79 reich

39 V.

703

44 Versicherungspflicht 44 Pflichtversicherung Gesellschaftsrechtliche Versicherungs46 pflicht 49 Gewillkürte Versicherungspflicht Standards guter Unternehmensführung 52 a) DCGK 53 b) PCGK 56 c) Befassung 57 d) Information

Sonderregeln bei Großrisikoverträgen

82

40

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

A. Grundlagen

C.

Erscheinungsformen der D&O-Versiche86 rung

I.

Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung 86 (Side A) 86 Versicherte Interessen 87 a) Meinungsstand 89 b) Stellungnahme 92 Folgen 92 a) Überblick b) Versicherungsvertragsrechtliche Fol93 gen 98 c) Gesellschaftsrechtliche Folgen 98 aa) Meinungsstand 102 bb) Stellungnahme 104 cc) Rechtsfolgen 112 d) Steuerrechtliche Folgen 118 e) Insolvenzrechtliche Folgen

1.

2.

II.

Company Reimbursement Clause (Side 119 B)

III.

Vermögenshaftpflichtversicherung für die Gesell120 schaft (Side C)

IV.

Eigenschadenversicherung

V.

Individualpolice (Einzelpolice) des Organmit126 glieds 126 Überblick 128 Selbstbehaltsversicherung 131 Sonstige Einzelpolicen

1. 2. 3.

VI. 1. 2.

123

Differenzierungen nach Personengrup136 pen 136 Sublimits 137 Separate Aufsichtsrats-Police

3.

137 Ausgangslage 139 „Twin-Tower“-Police 140 „Two-Tier-Trigger“ (TTT)-Police 140 aa) Überblick 141 bb) Trigger (1) Erschöpfung der Versicherungs142 summe 144 (2) Streitverkündung (3) Arglistanfechtung durch den 145 VR 148 (4) Besonderer Vertreter 149 d) Zusammenfassende Bewertung 151 Verhaltensabhängige Prämientarife

D.

Verfahrensfragen

I. 1. 2.

152 Wege zur Streitbeilegung 152 Überblick 153 Verfahren vor staatlichen Gerichten a) Bedeutung gerichtlicher Streitbeile153 gung 156 b) Streitbeitritt; Streitverkündung 160 Schiedsverfahren 161 Mediation

a) b) c)

3. 4.

152

II.

Trennungsprinzip und Bindungswir162 kung

III.

Gesetzlicher Vertreter und Zeugenstellung bei Di167 rektklagen des VN

IV.

Beweislast im Deckungsprozess

V.

Bindung versicherter Personen an Gerichts173 standsvereinbarungen

E.

Hinweise zum Aufbau und zur Anwen176 dung

170

A. Grundlagen I. Überblick 1. Zweck 1 Die D&O-Versicherung ist eine besondere Ausprägung der Haftpflichtversicherung, also eine Schadensversicherung in Gestalt einer Passivenversicherung (s. Vor §§ 100–112 VVG Rn. 6).1 Sie soll Organmitglieder (Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder, GmbH-Geschäftsführer usw.) und ggf. weitere leitende Mitarbeiter von Unternehmensträgern gegen die persönlichen

1 OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021 1355, 1362. Vgl. auch MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 128: „klassische Haftpflichtversicherung“. Armbrüster

704

A. Grundlagen

Allg Einf AVB D&O

Haft-pflichtrisiken absichern, die ihnen aus ihrer unternehmensbezogenen Tätigkeit im Hinblick auf Vermögensschäden erwachsen. Es geht also um den Schutz des Privatvermögens vor Ansprüchen aus der beruflichen Sphäre. Die D&O-Versicherung lässt sich auf erste Vorläufer im deutschen Kaiserreich zurückführen; in ihrer heutigen Konzeption wurde sie in den USA nach dem „Black Friday“ (25.10.1929) entwickelt.2 Seit den 1980er Jahren wird sie auch in Deutschland angeboten.3 Die US-amerikanische Herkunft zeigt sich an einigen Besonderheiten, allen voran der Definition des Versicherungsfalls auf Grundlage des Anspruchserhebungsprinzips (s. Ziff. A-2 AVB D&O) anstelle des in der deutschen Haftpflichtversicherung ansonsten weitgehend üblichen Verstoßprinzips.4 Die versicherten Haftpflichtrisiken sind vielfältig. Dabei kann es um Ansprüche Dritter ge- 2 hen (Außenhaftung); im Mittelpunkt steht jedoch die Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft. Hier sind die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsleitung insbes. bei der Aktiengesellschaft in den letzten Jahrzehnten durch Gesetzgeber und Rechtsprechung kontinuierlich verschärft worden (s. Anh Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 10 ff.).5 Dies gilt nicht zuletzt für den Bereich der Corporate Social Responsibility (CSR).6 Hinzu kommen neue tatsächliche Entwicklungen, die den Geschäftsleitern zusätzliche Aufgaben bringen, wie etwa die im Zuge der Digitalisierung entstandenen Cyber-Risiken7 oder die Covid-19-Pandemie.8 Immer wieder rückt die D&O-Versicherung in jüngerer Zeit aufgrund spektakulärer Großschadensfälle auch ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit.9 Die Sinnhaftigkeit des D&O-Versicherungsschutzes für Organmitglieder wird heute nicht 3 mehr grundsätzlich in Frage gestellt. In der Praxis wird dieser Versicherungsschutz als für das Risikomanagement von Geschäftsführern und Vorständen teils sogar als „konstitutives Element zur Sicherung unternehmerischer Handlungsfreiheit“,10 als „nicht mehr wegzudenken“11 und alsu„zwingend notwendig“12 eingestuft. Sofern demgegenüber vereinzelt umfassende Kritik am Deckungskonzept der D&O-Versicherung geäußert und diese als „Notbehelf“13 bezeichnet wird, mündet dies in die (rechtspolitisch sehr umstrittene) Forderung nach einer Lockerung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Organhaftungsregeln. Ein Vorschlag zur alternativen Ausgestaltung der Unternehmens-D&O-Versicherung als Eigenschadenversicherung14 könnte einige Probleme beseitigen, würde aber insbes. bei der Aktiengesellschaft wegen des obligatorischen Selbstbehalts (s. A-6 AVB D&O Rn. 146) neue Fragen aufwerfen und hat deshalb bislang die klassische D&O-Versicherung in Gestalt der Side A-Deckung (s. Rn. 16) nicht verdrängt (s. auch Rn. 91, 125). In der Praxis erwarten Kandidaten für eine Organmitgliedschaft mittlerweile regelmäßig, dass ihnen die Gesellschaft im Anstellungsvertrag einen D&O- Verschaffungsanspruch einräumt (s. Rn. 97). Eine D&O-Versicherung wird mittlerweile auch für

2 3 4 5 6 7

Schillinger VersR 2005 1484, 1486 f. Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 1922; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 14. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 36 f. Instruktiv MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 19 ff. S. dazu etwa Walden NZG 2020 50 ff. Zu ihrer Bedeutung für die D&O-Versicherung s. Fortmann RuS 2019 688; zur Managerhaftung für Cyberrisiken auch Schmidt-Versteyl NJW 2019 1637. 8 Zur Bedeutung der Pandemie für die D&O-Versicherung s. Langheid/Kordes Covid-19 (2020) 129 ff.; s. auch Fortmann ARP 2020 384, 386; Schreier VersR 2020 513, 520. 9 So etwa in den Fällen VW-Diesel und Wirecard; zu älteren Praxisbeispielen s. Sieg Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2013 89, 91 ff. 10 Dreher AG 2008 429. 11 Graf v. Westphalen DB 2005 431, 437. 12 Freund NZG 2021 579, 582. 13 Hoffmann-Becking ZHR 181 (2017) 737, 745. 14 R. Koch VP 09/2015 10 ff. 705

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

A. Grundlagen

KMU (kleine und mittlere Unternehmen) mehr und mehr als sinnvoll angesehen (zu den in Betracht kommenden Rechtsformen s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 4 ff.).15 4 Freilich werden insbes. unter dem Aspekt „Deckung schafft Haftung“ teils auch negative Aspekte gesehen.16 Dies gilt insbes. im Hinblick auf die mit Organhaftungsprozessen verbundene Öffentlichkeitswirkung. Indessen stehen den Beteiligten Instrumente zur Verfügung, um solche Nachteile zu vermeiden. Dies gilt etwa für die Streitbeilegung durch außergerichtlichen Vergleich (s. Rn. 152) oder Schiedsverfahren (s. Rn. 160). Zudem kann das in Anspruch genommene Organmitglied seinen Freistellungsanspruch nach zwar angreifbarer, aber vom BGH gebilligter17 Ansicht an die Gesellschaft abtreten und sich damit einer Parteistellung entziehen (s. Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 9).

2. Besonderheiten gegenüber anderen Haftpflichtversicherungen 5 a) Überblick. Die Ausgestaltung des Deckungsschutzes in den AVB zur D&O-Versicherung ist in mancher Hinsicht mit derjenigen anderer Haftpflichtversicherungen vergleichbar. Teils werden auch dieselben Begrifflichkeiten verwendet. Insoweit kann für die Auslegung auf die dazu entwickelten Regeln zurückgegriffen werden, sofern nicht inhaltliche Besonderheiten der D&O-Versicherung oder ein wegen des Adressatenkreises abweichender Auslegungsmaßstab (s. dazu Rn. 66) dem entgegenstehen. 6 Allerdings weist die D&O-Versicherung auch mehrere markante Besonderheiten auf. So sieht sie einen Schutz der versicherten Personen nicht nur für den Fall vor, dass Dritte Haftpflichtansprüche erheben (Außenhaftung). Vielmehr ist darüber hinaus auch der Fall erfasst, dass die Gesellschaft als VN selbst solche Ansprüche geltend macht (Innenhaftung; s. Rn. 7). Zudem weicht die Definition des Versicherungsfalls von den ansonsten üblichen Gestaltungen ab (s. Rn. 12).

7 b) Einschluss der Innenhaftung. Die AVB D&O differenzieren nicht zwischen Außen- und Innenhaftung. Demgegenüber ist die Deckung von Innenhaftungsansprüchen in anderen Zweigen der Haftpflichtversicherung ausdrücklich ausgeschlossen (s. etwa Ziff. 7.4 (1) AHB [Stand: Februar 2016]; § 7 Abs. 1.3 AVB Vermögen18). Maßgeblich für solche Ausschlüsse ist die Befürchtung, dass es anderenfalls zu einer erhöhten Gefahr von Manipulationen und kollusivem Zusammenwirken kommen könnte (zu dieser Gefahr s. Rn. 11).19 Eine solche Steigerung der sog. subjektiven Vertragsgefahr ist auch bei der D&O-Versiche8 rung keineswegs ausgeschlossen. Allerdings kann dieser Entwicklung durch Obliegenheiten und durch eine sorgfältige Prüfung von Schadensmeldungen entgegengewirkt werden. Der Einschluss der Innenhaftung ist mithin zwar insgesamt in der Haftpflichtversicherung ungewöhnlich, aber rechtlich zulässig.20 Diese Gestaltung ist für den Nutzen der D&O-Versicherung für die versicherten Personen, 9 aber auch den VN (s. zu seinen Interessen Rn. 87 ff.) von entscheidender Bedeutung (s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 59). Dies beruht darauf, dass das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht vom Grundsatz der Innenhaftung geprägt ist. Dies bedeutet, dass die Gesellschafter aufgrund der körper15 S. etwa Zimmermann NJW 2020 973, 975 f. (für „Kanzlei-D&O“ zur Absicherung von Anwaltsgesellschaften); vgl. aber auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 17.

16 Sanders/Berisha NZG 2020 1290, 1296; s. auch MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 56. 17 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 19 ff. 18 Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke AVB Verm (Ordnungsnr. 250); es handelt sich um die Bedingungen der Allianz mit Stand Juli 2012 (Prölss/Martin/Lücke Vor § 1 AVB Verm Rn. 6). 19 Zu weiteren Einwänden gegen einen Einschluss der Innenhaftung s. Ihlas 476 ff. 20 Näher Baumann RuS 2011 229, 230 f. Armbrüster

706

A. Grundlagen

Allg Einf AVB D&O

schaftlichen Verselbstständigung der Gesellschaft nicht selbst Inhaber von Ansprüchen gegen versicherte Personen sind. Ersatzansprüche aufgrund von Schäden, welche die Gesellschaft infolge pflichtwidrigen Verhaltens von Organmitgliedern erleidet, stehen mithin der Gesellschaft und nicht den Gesellschaftern zu (vgl. §§ 93, 116 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG; näher Anh Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 2 ff.). Im Zusammenspiel mit der Ausgestaltung der D&O-Versicherung als einer von der Gesell- 10 schaft genommenen Versicherung (s. Rn. 108) führt der Einschluss der Innenhaftung dazu, dass der potentiell Geschädigte seinem potentiellen Schädiger und Anspruchsgegner letztlich (auch) dessen Anspruchsabwehr finanziert. Aufgrund dieser Besonderheit gegenüber anderen Haftpflichtversicherungen ist die D&O-Versicherung im Schrifttum als ein „merkwürdiges Konstrukt“21 bezeichnet worden. Diese Einschätzung erscheint nicht zuletzt auch im Hinblick darauf nachvollziehbar, dass 11 mit dem Einschluss der Innenhaftung ein gewisses Missbrauchsrisiko verbunden ist. So kann es dazu kommen, dass eine versicherte Person mit dem VN kollusiv zusammenwirkt, um dem VN einen ungerechtfertigten Zugriff auf Leistungen des VR zu verschaffen. Diese Gefahr kollusiven Zusammenwirkens besteht insbes. dann, wenn es sich bei der versicherten Person um ein vertretungsberechtigtes Geschäftsführungsorgan oder -organmitglied handelt. So kann die versicherte Person etwa den VN veranlassen, gegen ihn den objektiv unzutreffenden Vorwurf operativer Fehlentscheidungen (zu deren Einschluss in den Deckungsumfang s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 42) zu erheben, die sie sodann einräumt. In solchen Fällen einer sog. freundlichen Inanspruchnahme (s. Ziff. A-9 Rn. 11) kann für den VR je nach den Umständen des Einzelfalls ein erhebliches subjektives Risiko liegen.22 Erhöht wird dieses Risiko noch dadurch, dass die versicherte Person ihren Freistellungsanspruch nach überwiegender, vom BGH geteilter Ansicht an den VN abtreten kann (s. Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 9). Diese mit dem Einschluss der Innenhaftung verbundenen Gefahren haben die VR freilich nicht davon abgehalten, weiterhin auch Deckungsschutz für Innenhaftungsansprüche zu bieten,23 so wie auch Ziff. A-1 Abs. 1 AVB D&O dies vorsieht. In der Praxis stehen die Fälle einer Inanspruchnahme versicherter Personen durch den VN aufgrund der Innenhaftung ganz im Vordergrund (s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 59).

c) Anspruchserhebungsprinzip. Eine weitere markante Abweichung zu Ziff. 1.1 AHB (Stand: 12 Februar 2016), aber auch zu den meisten anderen Ausprägungen der gewerblichen Haftpflichtversicherung (z. B. § 5 Abs. 1 AVB Vermögen24), liegt in der Definition des Versicherungsfalls: Maßgeblich sind weder Kausal- noch Folgeereignis; vielmehr gilt das Anspruchserhebungsprinzip (Claims-made; vgl. Ziff. A-2 AVB D&O). Diese Besonderheit wird in einem den AVB vorangestellten Hinweis eigens hervorgehoben (s. dazu Ziff. A-2 AVB D&O Rn. 6).

3. Grundstrukturen Die D&O-Versicherung ist eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung. Dabei steht die 13 gängige Abkürzung „D&O“ für „Directors´ and Officers´ Liability“. Mit diesem Ausdruck werden im angloamerikanischen Rechtskreis die Organwalter mit Geschäftsführungs- und/oder Aufsichtsaufgaben bezeichnet. Bei den Unternehmensträgern handelt es sich typischerweise um Aktiengesellschaften oder GmbHs, daneben um sonstige juristische Personen des Privatrechts 21 Hoffmann-Becking ZHR 181 (2017) 737. 22 S. dazu auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 187; Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 50; Graf v. Westphalen VersR 2006 17 f.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 96. Gädtke VP 02/2015 26, 28 bezeichnet diesen Fall als „in der Praxis allerdings selten“; Sieg ZWH 2014 124 hingegen als „verbreitet“. 23 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 96. 24 Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke AVB Verm (Ordnungsnr. 250). 707

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

14

15

16

17

18

19

20

A. Grundlagen

wie die Genossenschaft oder die KGaA. Darüber hinaus kommen aber auch weitere Gesellschaftsformen in Betracht (s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 4 ff.), zudem der Verein.25 Der Kreis der Organmitglieder umfasst üblicherweise bei der Aktiengesellschaft die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat, bei der GmbH die Geschäftsführer und bei anderen juristischen Personen des Privatrechts die Mitglieder funktional vergleichbarer Organe. Je nach den vereinbarten AVB können auch weitere Personenkreise in den Versicherungsschutz einbezogen werden, etwa die Mitarbeiter der ersten nachgeordneten Führungsebene (s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 88 ff.). Der Versicherungsschutz besteht nach Ziff. A-1 Abs. 1 AVB D&O allein im Falle der Geltendmachung von Schadensersatz für reine Vermögensschäden, hingegen nicht für Personen-, Sach- oder sich daraus ergebende Vermögensschäden (zur Abgrenzung von anderen Versicherungsprodukten s. Rn. 23 ff.). Der Deckungsumfang ist damit gegenüber Ziff. 1.1 AHB deutlich eingeschränkt, trifft aber damit den Kern des Absicherungsbedarfs der versicherten Personen. In ihrer klassischen Ausprägung ist die D&O-Versicherung eine von der Gesellschaft als VN genommene ausschließliche Fremdversicherung i. S. d. §§ 43 ff. VVG zugunsten der versicherten Personen als der potentiell Haftpflichtigen (s. Rn. 89; Ziff. A-8 AVB D&O Rn. 4). Diese Fremdversicherung wird auch als Side A-Deckung bezeichnet. Daneben gibt es noch zwei weitere Ausgestaltungen, die mit der Side A-Deckung kombiniert werden können: Die Deckung zugunsten des VN und ihren Tochtergesellschaften („Side B“; s. Rn. 119; Ziff. A-3 AVB D&O Rn. 1) sowie die Vermögenshaftpflichtversicherung für die Gesellschaft („Side C“; s. Rn. 120 ff.). Verspricht ein und derselbe VR zugleich Side A- und Side CDeckung, so kann es zu Interessenkonflikten kommen. Dies gilt insbes. dann, wenn der VR auf der Side C vom VN Informationen erlangt, die er auf der Side A zur Abwehr der vom VN erhobenen Ansprüche nutzen könnte (etwa im Hinblick auf einen Ausschluss für vorsätzliche und wissentliche Pflichtverletzung). In solchen Fällen kann es geboten sein, dass der VR zur Informationsabschottung eine Chinese Wall errichtet.26 Wie bei jeder Haftpflichtversicherung treffen den VR im Kern zwei Hauptleistungspflichten: Er hat begründete Haftpflichtansprüche Dritter zu befriedigen (Freistellungsfunktion; Ziff. A-6.1 lit. c AVB D&O). Zudem muss er unbegründete Ansprüche außergerichtlich und gerichtlich abwehren (Abwehr- oder Rechtsschutzfunktion; Ziff. A-6.1 lit. b AVB D&O). Dabei handelt es sich um zwei Varianten des einheitlichen Deckungsanspruchs (s. A-6 Rn. 3). Zwischen ihnen steht dem VR grds. ein Wahlrecht zu, das er nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben hat (sog. Erfüllungswahlrecht des VR; Einzelheiten str.; s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 6 ff.). Zu den beiden genannten Hauptleistungspflichten tritt die zur Prüfung der Haftpflichtfrage hinzu. Die AVB D&O führen zusätzlich zu den beiden Varianten ausdrücklich die ihnen vorgelagerte Pflicht des VR auf, die Haftpflichtfrage zu prüfen (Prüfpflicht; Ziff. A-6.1 lit. a AVB D&O; s. dazu Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 16). In der Praxis schließt sich an diese Prüfung meist die Gewährung der Abwehrdeckung an, während eine sofortige Regulierung eher ausnahmsweise erfolgt.27 Mit der Entscheidung für die Abwehr des erhobenen Haftpflichtanspruchs stellt sich der VR „in das Lager des versicherten Organmitglieds“.28 Geht es um die Innenhaftung, so bedeutet dies, dass der VR sich insoweit gegen seinen eigenen VN positioniert. Dies ändert aber nichts daran, dass der VN gegenüber dem VR neben der versicherten Person weiterhin die Auskunfts- und Belegobliegenheiten gem. Ziff. B3-3.2 lit. c AVB D&O, § 31 Abs. 1 VVG zu erfüllen hat (s. Ziff. B3 AVB D&O Rn. 98 ff.).29 Nach der bislang üblichen Praxis wird der Versicherungsschutz für sämtliche versicherten Personen durch einen einzigen Versicherungsvertrag erfasst (Unternehmenspolice, Globalpolice; der Ausdruck „Firmenpolice“ ist wegen § 17 Abs. 1 HGB ungenau). Ist der VN eine Konzern25 26 27 28 29

Zum Idealverein s. L. Beck VersR 2017 855. Armbrüster/Tremurici ZIP 2020 2305, 2311. Freund NZG 2021 579, 582. Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 56. Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 124; s. auch Herdter ZVersWiss 2011 655, 661 ff.

Armbrüster

708

A. Grundlagen

Allg Einf AVB D&O

obergesellschaft und werden – wie in der Praxis üblich (vgl. Ziff. A-1 AVB D&O) – auch Tochterunternehmen einbezogen, so handelt es sich um eine Konzernpolice. Diesem Modell folgten bereits die älteren Musterbedingungen (zu ihnen s. Rn. 63). Die Prämie wird üblicherweise nicht näher aufgeschlüsselt, sondern als einheitlicher Be- 21 trag ausgewiesen (s. auch Rn. 108 zu der Frage, ob sie rechnerisch den einzelnen versicherten Personen zugeordnet werden kann).30 In jüngerer Zeit ist eine Diskussion darüber aufgekommen, ob die gemeinsame und unter- 22 schiedslose Deckung der Risiken verschiedener Personengruppen sachgerecht ist. Zweifel sind insbesondere im Hinblick auf die Zusammenfassung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern in einer Globalpolice geäußert worden. Hier wird zum einen die Gefahr gesehen, dass die Versicherungssumme nicht ausreicht, um in einem konkreten Schadensfall die Haftungsrisiken aller in Anspruch genommener versicherter Personen abzusichern (zum dann anzuwendenden Verteilungsverfahren s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 123 ff.). Zum anderen kann für den VR ein Interessenkonflikt entstehen. Ein Beispiel bietet der Fall, dass Vorstandsmitglieder Aufsichtsratsmitgliedern den Streit verkünden, um ihre Position beim Gesamtschuldnerausgleich zu verbessern. Am Markt sind zur Bewältigung dieser Probleme verschiedenartige Differenzierungen entwickelt worden (s. Rn. 136 ff.).

II. Abgrenzung zu anderen Versicherungsprodukten 1. Überblick Die D&O-Versicherung ist von einigen anderen Versicherungsprodukten abzugrenzen. Dies 23 ist praktisch insbes. im Hinblick auf die Subsidiaritätsklausel (Ziff. B4-1.1 AVB D&O) und die Vorschriften zur Mehrfachversicherung (Ziff. B4-1.2 AVB D&O; §§ 77–79 VVG) bedeutsam. Die erforderliche Abgrenzung betrifft vor allem die Deckung durch andere Erscheinungsformen der Haftpflichtversicherung, zudem zur Rechtsschutzversicherung und zu sog. Multi-Line-Policen, z. B. der der Cyber-Versicherung. Auch bei der persönlichen Selbstbehaltsversicherung (s. Rn. 128 ff.) können Abgrenzungs- 24 fragen entstehen. Sie unterscheidet sich konstruktiv von der klassischen D&O-Versicherung in Gestalt der Side A-Deckung dadurch, dass es sich um eine Eigenversicherung des Haftpflichtinteresses durch den Organwalter handelt. Das versicherte Interesse ist hingegen vorbehaltlich abweichender Ausgestaltung in den Unternehmens-AVB identisch. Einen komplementären Charakter zur Grunddeckung in der D&O-Versicherung hat zudem die Anfechtungs- oder D&OSchutzpolice, die den redlichen Organmitgliedern Deckung bietet, wenn der VR gegenüber dem VN zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt ist.

2. Haftpflichtversicherung a) Überblick. Die D&O-Versicherung ist eine spezielle Vermögensschaden-Haftpflichtversiche- 25 rung (s. Rn. 13; zu Parallelen und Unterschieden zur allgemeinen Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung s. Rn. 26 ff.). Von anderen unternehmensbezogenen Haftpflichtversicherungen (z. B. Betriebs, Produkt-, Umwelthaftpflichtversicherung) lässt sich ihr Deckungsumfang dadurch abgrenzen, dass diese anderen Versicherungen regelmäßig einen Personen- oder Sachschaden voraussetzen und Vermögensschäden nur insoweit abdecken, als sie kausal auf einem Personen- oder Sachschaden beruhen (sog. Vermögensfolgeschaden). Demgegenüber erfasst die D&O-Versicherung allein sog. reine Vermögensschäden (s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 75 ff.). 30 Zur Prämienkalkulation näher Osswald 126 ff. 709

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

A. Grundlagen

26 b) Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung. Viele Parallelen zur D&O-Versicherung als einer speziellen Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung (s. Rn. 25) bestehen bei der allgemeinen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung, wie sie etwa von Angehörigen der freien Berufe zur Absicherung ihrer beruflichen Haftungsrisiken genommen wird.31 Auch hier geht es um die Deckung reiner Vermögensschäden (s. § 1 Ziff. 1.1 AVB Vermögen [AVB Verm]). Es handelt sich anders als bei der D&O-Versicherung nicht regelhaft um eine Fremdversicherung, wobei eine Mitversicherung Dritter vorkommt, etwa beim Einschluss von Tochtergesellschaften oder Mitarbeitern einer Sozietät.32 Als VN kommen außer natürlichen auch juristische Personen in Betracht, die für das Verhalten von anderen Personen gem. § 278 BGB oder von Organmitgliedern entsprechend § 31 BGB einzustehen haben. 27 Besteht neben einer allgemeinen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung zugleich eine D&O-Versicherung, so greift letztere für Pflichtverletzungen bei Ausübung der Organstellung ein, während andere Tätigkeiten – darunter ausdrücklich auch freiberufliche – dort nach Ziff. A-7.7 AVB D&O ausgeschlossen sind. Für letztere besteht Deckung aus der Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung. Diese umfasst hingegen regelmäßig keine Innenhaftungsansprüche des VN gegen Organmitglieder (vgl. § 1 Abs. 1 AVB Verm). 28 Eine besondere Ausprägung der Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung ist die sog. Errorsand-Omissions-Versicherung (E&O-Versicherung). Sie schützt den VN vor Haftungsrisiken im Kapitalanlagebereich, etwa wegen fehlerhafter Vermögensanlageberatung oder Prospekterstellung.33 Die sog. Side C-Deckung in einer D&O-Versicherung (s. Rn. 120 ff.) ist regelmäßig eine solche Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung. Es handelt sich dann im Zusammenspiel mit der Side ADeckung der D&O-Versicherung um eine kombinierte D&O- und E&O-Versicherung. Eine weitere Besonderheit stellt der in manchen Wirtschaftssparten mögliche Einschluss 29 von Eigenschäden des VN in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung dar. Dabei wird der durch das haftungsauslösende Ereignis entstandene Schaden als Eigenschaden des VN mitversichert, so dass es nicht der Inanspruchnahme des Haftpflichtigen bedarf.34 Vielmehr kann der VN aus eigenem Recht direkt gegen den VR vorgehen. Diese Vermögenseigenschaden-Versicherung ist am Markt insbes. für kommunale Unternehmen, Vereine, Unternehmen der Wohlfahrtspflege sowie für solche des Gesundheitswesens erhältlich. Durch die Leistung des VR kann sich dann grds. die Haftung des Haftpflichtigen reduzieren, sofern der VR nicht gem. § 86 Abs. 1 VVG zum Regress berechtigt ist.35

30 c) Prospekthaftungsversicherung. Besteht Deckungsschutz aus einer Prospekthaftungsversicherung, so kommt im Hinblick auf die Haftung von geschäfts- und aufsichtsführenden Organmitgliedern für Pflichtverletzungen bei der Erstellung des Wertpapierprospekts, welche auch durch die D&O-Versicherung gedeckt sind, eine Mehrfachversicherung gem. § 77 VVG in Betracht. Es hängt dann von Subsidiaritätsklauseln in den jeweiligen Policen ab, ob die §§ 77–79 VVG eingreifen.36

31 d) Vertrauensschadenversicherung. Bei der sog. Vertrauensschadenversicherung (VSV) ist VN typischerweise ein Unternehmensträger, der sich gegen von sog. Vertrauenspersonen

31 32 33 34 35 36

Zu jüngerer Rspr. s. Looschelders VersR 2021 337 ff. Prölss/Martin/Lücke § 7 AVB Verm Rn. 1. Dißars VersR 2009 1340 f. Vgl. auch den Gestaltungsvorschlag von R. Koch VP 09/2015 10 ff. für die D&O-Versicherung. Fortmann NJW 2020 3064, 3065 ff. Fortmann RuS 2021 245, 250.

Armbrüster

710

A. Grundlagen

Allg Einf AVB D&O

vorsätzlich herbeigeführte Vermögensschäden absichert.37 Als Vertrauenspersonen werden bestimmte Personengruppen innerhalb des Unternehmens definiert;38 dazu zählen typischerweise auch versicherte Personen einer D&O-Versicherung. Das entscheidende Abgrenzungskriterium liegt darin, dass bei der D&O-Versicherung vorsätzlich oder wissentlich begangene Pflichtverletzungen gerade nicht gedeckt sind (s. Ziff. A-7.1 AVB D&O und dazu Ziff. A-7 AVB D&O Rn. 32 ff.). Bei der Vertrauensschadenversicherung geht der Begriff des Vermögensschadens über den „reinen“ Vermögensschaden in der D&O-Versicherung (s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 75 ff.) hinaus. Der VR nimmt regelmäßig bei der „Vertrauensperson“ Regress,39 sodass es sich letztlich um eine Erscheinungsform der Kreditversicherung handelt.40

3. Rechtsschutzversicherung Die Abwehr- oder Rechtsschutzkomponente der D&O-Versicherung (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 17 ff.) entspricht dem Leistungsversprechen in der Rechtsschutzversicherung. Allerdings fehlt bei letzterer die – gleichgewichtige (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 7) – Freistellungskomponente der Leistungspflicht. Zudem verfügt der D&O-Versicherer anders als der Rechtsschutzversicherer über eine Vollmacht zur außergerichtlichen und gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Anspruchsteller (Ziff. A-6.2 AVB D&O; s. dazu Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 64 ff.). Der D&O-Versicherer steuert damit die Haftpflichtseite aktiv, während der Rechtsschutzversicherer typischerweise allein für die entstehenden Rechtsverfolgungskosten aufkommt (vgl. § 125 VVG). Für die D&O-Versicherung als einer Haftpflichtversicherung gelten die europarechtlich vorgegebenen Regeln der §§ 125–129 VVG zur Rechtsschutzversicherung nicht. Dies ist insbes. im Hinblick auf die freie Anwaltswahl praktisch bedeutsam. Diese Wahlfreiheit kann ein Rechtsschutzversicherer gem. § 127 Abs. 1 S. 1 VVG nur nach generellen Kriterien beschränken.41 Hingegen steht es dem D&O-Versicherer frei, weiter reichende Vorgaben zu machen, etwa indem er in den AVB die Übernahme der Anwaltskosten entweder von seiner Zustimmung zur Mandatierung abhängig macht oder sich nach vorläufiger Deckung einen Widerspruch etwa aufgrund mangelnder fachlicher Eignung vorbehält. Eine Unternehmens- oder Industrie-Straf-Rechtsschutzversicherung (ISRS) oder Spezial-Straf-Rechtsschutzversicherung vermag den Deckungsumfang der D&O-Versicherung zu ergänzen.42 Dabei geht es um Rechtsschutz im Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht. Konstruktiv ähneln solche Verträge der D&O-Versicherung, indem die Gesellschaft eine Unternehmenspolice als Fremdversicherung für Organmitglieder und ggf. weitere Unternehmensmitarbeiter abschließt. Im Unterschied zur D&O-Versicherung können bei der Straf-Rechtsschutzversicherung die versicherten Personen die Übernahme der Verteidigungskosten im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren verlangen, ohne insoweit von einer entsprechenden Zustimmung des VR abhängig zu sein. Freilich ist in Unternehmens-AVB zur D&O-Versicherung bisweilen gleichfalls ein solcher Anspruch vorgesehen (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 62). Die Höhe der vom Rechtsschutzversicherer zu übernehmenden Kosten (einschließlich Gerichts- und Sachverständigenkosten 37 Überblicke bei Beckmann/Matusche-Beckmann/Herrmann § 39 Rn. 117 ff.; Ihlas 64 ff.; R. Koch VersR 2005 1192 ff.; ders. Vertrauensschadenversicherung (2006); Bruck/Möller/R. Koch Vor §§ 100–112 Rn. 20 f.; zur jüngeren Rspr. s. Looschelders VersR 2021 337, 343 ff. 38 Vgl. etwa § 34 AVB-VSV 2016; näher MAH-VersR/W. Schneider 4. Aufl. (2017) § 29 Rn. 57 ff. 39 BGH 30.9.1998 – IV ZR 323/97, VersR 1998 1504, 1505 m. Anm. Fetzer VersR 1999 793 (betr. Vertrauensschadenversicherung der Notarkammern). 40 Vgl. BGH 29.9.1971 – IV ZR 202/69, VersR 1971 1055 (betr. Personenkautionsversicherung). 41 Prölss/Martin/Piontek § 127 Rn. 1. 42 Instruktiv Schmuckermeier RuS 2019 131, 132 ff.; s. auch Jula 254 ff. 711

Armbrüster

32

33

34

35

Allg Einf AVB D&O

B. Rechtliche Vorgaben

sowie Kosten gegnerischer Nebenkläger) richtet sich nach den AVB. Bei einer Vorsatzstraftat ist die Leistungspflicht des VR durch eine entsprechende Verurteilung auflösend bedingt.43 Bei der Rechtsschutzversicherung bestehen die Probleme hinsichtlich der Versicherbarkeit von Bußgeldern (s. Ziff. A-7 AVB D&O Rn. 104 ff. zu Ziff. A-7.10 AVB D&O) nicht.

4. Cyber-Versicherung 36 Die AVB D&O sehen keinen Ausschluss von Cyberrisiken vor (vgl. Ziff. A-7 AVB D&O). Kommt es beim VN zu einem Cyber-Versicherungsfall (Informationssicherheitsverletzung), so kann dafür eine versicherte Person wegen einer Pflichtverletzung gegenüber dem VN haftbar sein, so dass ein Versicherungsfall in der D&O-Versicherung i. S. v. Ziff. A-2 AVB D&O eintritt. Insoweit ist insbes. an den Vorwurf zu denken, die versicherte Person habe ihre Pflicht zur 37 Risikovorsorge verletzt (vgl. für Vorstandsmitglieder einer AG § 93 Abs. 2 S. 1 i. V. mit § 91 Abs. 2 AktG). In solchen Fällen überschneiden sich die Deckungen nach beiden Policen. Die AVB Cyber (Stand: April 2017) enthalten in Ziff. A-1.12 eine Vorrangklausel, wonach die Cyberversicherung vorgeht, wenn Versicherungsschutz „nach den Bedingungen dieses Vertrages“ auch bei einem anderen Versicherungsvertrag besteht. 38 Der Schutz aus einer D&O-Versicherung ist hinsichtlich der Innenhaftung andersartig, da in der Cyberversicherung für Innenhaftungsansprüche der Gesellschaft gegenüber der versicherten Person kein Haftpflichtversicherungsschutz besteht (A3-7.2 lit. a AVB Cyber). Die Vorrangklausel kommt daher insoweit nicht zum Zuge. Für Außenhaftungsansprüche besteht hingegen ein Schutz für Organmitglieder der Gesellschaft (A1–7 AVB-Cyber), so dass eine zumindest teilweise Mehrfachversicherung vorliegt. Der Cyber-Versicherer soll dann vorrangig leisten, um ein professionelles Schadenmanagement sicherzustellen.44 Ein Verzicht auf den Mehrfachversicherungsausgleich nach § 78 Abs. 2 VGG ist damit aber regelmäßig nicht verbunden.45 Zu Subsidiaritätsklauseln s. Ziff. B4 AVB D&O Rn. 3 ff.

B. Rechtliche Vorgaben I. Überblick 39 Für die D&O-Versicherung als eine Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung gelten die allgemeinen Regeln des VVG sowie die speziellen Bestimmungen zur Haftpflichtversicherung in den §§ 100–112 VVG (nicht jedoch die §§ 113–124 VVG, s. Rn. 45). Daneben haben die Vorschriften zur AGB-Kontrolle (§§ 305–310 BGB; s. Rn. 71 ff.) große praktische Bedeutung, da der Vertragsinhalt entscheidend durch AVB geprägt wird.

II. Zulässigkeit 40 Die rechtliche Zulässigkeit der D&O-Versicherung war zunächst keineswegs unstreitig. Zweifel wurden insbes. im Hinblick darauf geäußert, dass die verhaltenssteuernde Wirkung der weitgehend zwingenden (s. etwa § 93 Abs. 4 S. 3 AktG) gesetzlichen Organhaftungstatbestände46 dann 43 44 45 46

Vgl. Prölss/Martin/Piontek § 3 ARB 2010 Rn. 110, 114. Schilbach SpV 2018 2, 3. Eingehend R. Koch Prioritätsklauseln in Versicherungsverträgen (2020) 6 ff., 19 ff. Eine solche Wirkung als sicher annehmend etwa Heidel/U. Schmidt Aktienrecht und Kapitalmarktrecht5 (2020) § 93 AktG Rn. 188; s. auch Thüsing AG 2009 517, 526; s. aber auch Doralt ZGR 2019 996, 1005 ff.; Thomas Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern (2010) 153 ff. Armbrüster

712

B. Rechtliche Vorgaben

Allg Einf AVB D&O

abgeschwächt werde, wenn das haftpflichtige Organmitglied die Konsequenzen seines schadensstiftenden Verhaltens nicht durch eine persönliche Vermögenseinbuße zu spüren bekommt.47 Diese Diskussion führt ins größere Feld der Vereinbarkeit von Haftpflichtversicherungen mit 41 der Präventivfunktion gesetzlicher Haftungsanordnungen. Für die Praxis hat sich der Streit spätestens dadurch erledigt, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des obligatorischen Selbstbehalts in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG durch das VorstAG48 die Zulässigkeit der D&O-Versicherung anerkannt hat (zur Selbstbehaltsversicherung s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 186 ff.). Diese Wertung ist mit der inzwischen ganz h. M.49 zu befürworten. Die Privatautonomie gestattet es einem potentiell Haftpflichtigen, sich gegen u. U. existenzbedrohende Risiken zu versichern, zumal mit den hier in Rede stehenden Haftungstatbeständen keine Strafzwecke verfolgt werden.50 Ist in einer D&O-Versicherung für AG-Vorstandsmitglieder ein obligatorischer Selbstbehalt 42 nach Maßgabe von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG nicht enthalten, soll dies nach teils vertretener Ansicht zur Verbotsnichtigkeit nach § 134 BGB führen können, die allerdings wegen des beschränkten Normzwecks nicht den Versicherungsvertrag im Ganzen, sondern nur den vom obligatorischen Selbstbehalt erfassten Anteil erfasse.51 Die besseren Argumente sprechen indessen dafür, von vornherein § 93 Abs. 2 S. 3 AktG nicht als Verbotsgesetz einzuordnen. Es handelt sich vielmehr um eine Regelung zum Innenverhältnis der AG. Die für den Abschluss verantwortlichen Organmitglieder verhalten sich pflichtwidrig; sie haften der AG nach § 93 Abs. 1 AktG auf die Prämiendifferenz (näher Ziff. A-6 Rn. 279 ff.).52 Eine davon zu unterscheidende Frage ist es, welche Rechtsfolgen es hat, wenn eine versicher- 43 te Person in ihrer Eigenschaft als vertretungsberechtigtes Organmitglied der Gesellschaft lediglich einen den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden und keinen höheren Selbstbehalt vereinbart hat. Erst recht stellt sich diese Frage, wenn die versicherte Person jenseits des Anwendungsbereichs von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG überhaupt keinen oder nur einen niedrigen Selbstbehalt vereinbart. Richtigerweise bleibt in solchen Fällen die Wirksamkeit des Versicherungsvertrags unberührt.53 Allenfalls kann gesellschaftsrechtlich ein Schadensersatzanspruch in Betracht kommen; auch ein solcher ist freilich regelmäßig abzulehnen (vgl. dazu auch Rn. 48).

III. Versicherungspflicht 1. Pflichtversicherung Eine Pflichtversicherung i. S. d. §§ 113 ff. VVG liegt vor, wenn sich aus objektivem Recht eine 44 Versicherungspflicht ergibt („Verpflichtung durch Rechtsvorschrift“ gem. § 113 Abs. 1 VVG). Für 47 Habetha 173 ff., 183 f.; vgl. auch Schüppen/Sanna ZIP 2002 550, 553. 48 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung v. 31.7.2009, BGBl. I S. 2509. 49 Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 33; Gädtke VP 02/2015 26, 27; Looschelders/Pohlmann/Haeling von Lanzenauer/ Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 44; Hoffmann-Becking ZHR 181 (2017) 737, 738; E. Lorenz FS J. Prölss (2009) 177, 182 ff.; Olbrich 64 ff. (AG), 76 ff. (GmbH), 89 f. (eG); MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 41; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 3; Bedenken hingegen (vor Verabschiedung von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG) noch bei Ferck 98 ff., 120 f.; Ulmer FS Canaris (2007) Bd. II 451 ff. 50 Vgl. demgegenüber zum Streit um die Versicherbarkeit von Bußgeldern Armbrüster/Schilbach RuS 2016 109, 110 ff. 51 Gädtke VersR 2009 1565, 1567 f., 1572 („der Gedanke geltungserhaltender Reduktion“ lasse sich „zumindest analog heranziehen“); für Verbotsverstoß auch R. Koch AG 2009 637, 639; a.A. Fiedler MDR 2009 1077, 1080 mit freilich angreifbarer Argumentation. 52 MüKo-BGB/Armbrüster9 § 134 Rn. 106; Armbrüster/Schilbach RuS 2016 109, 113; Hohenstatt ZIP 2009 1349, 1354; Hüffer/Koch AktG § 93 Rn. 59. 53 Baumann VersR 2006 455, 461 f.; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 4; a.A. Ferck 124 ff. (Teilnichtigkeit gem. § 93 Abs. 4 AktG hinsichtlich der Innenhaftung); Ulmer FS Canaris (2007) Bd. II 451, 470 ff. (Nichtigkeit nach § 134 BGB, sofern kein Selbstbehalt ergänzt wird). 713

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

B. Rechtliche Vorgaben

die D&O-Versicherung gibt es keinen objektiv-rechtlichen Rechtssatz, der eine Pflicht zu ihrem Abschluss beinhaltet.54 Auch die Regelung in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG statuiert nicht eine Versicherungspflicht, sondern lediglich für den Fall, dass die AG (freiwillig) eine D&O-Versicherung abschließt, eine zwingende Vorgabe zum Selbstbehalt (zur Folge von Verstößen s. Ziff. A-6 Rn. 279 ff.). Dies ist in der Gesetzesbegr. ausdrücklich klargestellt: „Eine generelle Pflicht zum Abschluss einer solchen Versicherung ist damit nicht verbunden.“55 Mithin handelt es sich bei der D&O-Versicherung nicht um eine Pflichtversicherung gem. 45 §§ 113 ff. VVG.56 Die Unanwendbarkeit dieser Vorschriften hat u. a. zur Folge, dass der geschädigte Dritte nicht einmal in den seltenen Fällen des § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 3 VVG einen gesetzlichen Direktanspruch gegen den VR geltend machen kann (s. allerdings zur Abtretung des Freistellungsanspruchs Ziff. A-9 S. 2 AVB D&O). Zudem kommt die Schutzvorschrift des § 117 VVG zugunsten des Dritten nicht zum Zuge. Dasselbe gilt insbes. für § 118 VVG57 sowie für § 123 VVG.58

2. Gesellschaftsrechtliche Versicherungspflicht 46 Eine Gesellschaft ist regelmäßig gegenüber ihren Organmitgliedern nicht verpflichtet, unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht eine D&O-Versicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten.59 Der BGH hat dies für eine Aktiengesellschaft im Verhältnis zu ihren Aufsichtsratsmitgliedern bestätigt.60 Darüber hinaus trifft die Gesellschaft auch unter dem Gesichtspunkt der Vermögensbetreuungspflicht im Hinblick auf ihr Ausfallrisiko gegenüber haftpflichtigen Organmitgliedern grds. keine Pflicht zur Beschaffung von D&O-Versicherungsschutz.61 Dies folgt bereits daraus, dass die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers auch die An47 spruchsabwehr umfasst, so dass der Versicherungsschutz im Streitfall der Gesellschaft die Anspruchsdurchsetzung erschwert. Zudem kommt die D&O-Versicherung in ihrer klassischen Ausprägung als Side A-Deckung der Gesellschaft ohnehin nur reflexhaft zugute (s. Rn. 89). Zu der – zu verneinenden – Frage, ob beim Abschluss einer D&O-Versicherung auch jenseits von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG eine Pflicht zur Vereinbarung eines Selbstbehalts besteht, s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 141. Auch der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft muss nicht für die versicherten Personen eine D&O-Versicherung abschließen oder fortführen.62 Vielmehr kann der Insolvenzverwalter allein zum Schutz des VN und seiner Gläubiger verpflichtet sein Versiche54 Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 2. 55 Regierungsbegr. zu § 93 Abs. 2 S. 3 AktG, BT-Drucks. 16/13433 S. 11; Kerst WM 2010 594, 599; zu früheren Reformerwägungen s. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 32. 56 Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 37; Lange RuS 2011 185, 186; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 28; R. Koch GmbHR 2004 160, 167 f.; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 16; s. auch Peltzer FS H.P. Westermann (2008) 1256, 1274; Seibt/Saame AG 2006 901. 57 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 145. 58 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 160. 59 Looschelders/Pohlmann/Haeling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 41; Langheid/ Wandt/Ihlas D&O Rn. 30; Lange VersR 2010 162, 164 f.; Möhrle S. 214; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 5; a.A. R. Koch GmbHR 2004 160, 167 f. 60 BGH 16.3.2009- II ZR 280/07, NJW 2009 2454 Rn. 23. 61 Str.; für Zurückhaltung plädierend auch Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 9; Möhrle 214 ff.; weiter gehend (grds. für Abschlusspflicht) Vetter AG 2000 453, 454 f.; (für Pflicht zur Sicherstellung risikoadäquaten Versicherungsschutzes) Bruck/Möller/R. Koch Vor §§ 100–112 VVG Rn. 133; R. Koch ZGR 2006 184 ff., 212; für Prüfpflicht Seibt/Saame AG 2006 901, 902 ff.; s. auch Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 2; rechtsvergleichend Fleischer WM 2005 909, 920; vgl. ferner im Kontext der Insolvenz des VN BGH 14.4.2016 – IX ZR 161/15, VersR 2016 1000 Rn. 16 (betr. D&O-Versicherung) unter Hinweis auf BGH 18.12.1995 – II ZR 274/94, BGHZ 105 230 = NJW 1989 1034 (betr. Feuerversicherung). 62 BGH 14.4.2016 – IX ZR 161/15, VersR 2016 1000 Rn. 14 ff. Armbrüster

714

B. Rechtliche Vorgaben

Allg Einf AVB D&O

rungsschutz zu beschaffen bzw. aufrechtzuerhalten.63 Auch ein besonderer Vertreter i. S. v. § 147 Abs. 2 AktG hat keinen Anspruch auf Abschluss einer D&O-Versicherung.64 Aus dem Fehlen oder einem unzureichenden Umfang von D&O-Versicherungsschutz kann 48 mithin kein Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft hergeleitet werden, sofern letztere nicht gegen eine Verschaffungspflicht (s. Rn. 49, 68) verstoßen hat.65

3. Gewillkürte Versicherungspflicht Unbeschadet des Umstands, dass keine objektiv-rechtliche Versicherungspflicht besteht, kann 49 sich aus der Satzung eine Pflicht zum Vertragsschluss ergeben. Zudem erwarten designierte Organwalter häufig einen D&O-Versicherungsschutz66 und lassen sich einen solchen im Anstellungsvertrag versprechen (sog. Verschaffungsklauseln; s. auch Rn. 68).67 Verletzt die Gesellschaft diese Pflicht, berührt dies das Verhältnis zum VR nicht.68 Aller- 50 dings kann dann dem Organmitglied gegen die Gesellschaft ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB zustehen. Er ist dann so zu stellen, wie er bei Erfüllung der Verschaffungspflicht stünde.69 Dabei kommt als Pflichtverletzung außer dem Nichtabschluss sowie einer unterlassenen 51 oder unzureichenden Aufrechterhaltung auch der Verlust eines bestehenden Versicherungsschutzes durch vertragswidriges Verhalten (z. B. Prämienzahlungsverzug) in Betracht. Auch eine schuldhafte Obliegenheitsverletzung seitens der Gesellschaft, die zur völligen oder teilweisen Leistungsfreiheit des VR führt, kann einen Schadensersatzanspruch begründen.70

4. Standards guter Unternehmensführung a) DCGK. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) hat in früheren Versionen bis 52 2017 zwar nicht den Abschluss einer D&O-Versicherung, wohl aber für den Fall eines Abschlusses einen obligatorischen Selbstbehalt für den Aufsichtsrat, ursprünglich überdies auch für den Vorstand,71 empfohlen.72 Eine solche Empfehlung ist in der aktuellen Fassung vom 16.12.2019 nicht mehr enthalten. Hinsichtlich des Vorstands hatte sich die frühere Empfehlung bereits mit der Einführung von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG durch das VorstAG im Jahre 2009 (s. dazu Rn. 128) als überflüssig erwiesen. Nach der Begründung zur Neufassung von 201973 soll nunmehr auf die Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen, die nicht als Grundsätze einzustufen sind, verzichtet werden. Für den Aufsichtsrat fehlt allerdings weiterhin eine gesetzliche Regelung. Im Bericht des Rechtsausschusses zum VorstAG heisst es dazu ausdrücklich: „Diese Frage kann dem Deut-

63 BGH 14.4.2016 – IX ZR 161/15, VersR 2016 1000 Rn. 16; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 5. 64 LG Heidelberg 28.8.2019 – 12 O 8/19 KfH, BeckRS 2019 24589 Rn. 128 (insoweit in ZIP 2020 167 nicht abgedruckt). 65 Lange VersR 2010 162, 165. 66 Hoffmann-Becking ZHR 181 (2017) 737, 739. 67 S. dazu Cyrus NZG 2018 7, 13 f.; Dreher FS Bergmann (2018) 145, 163 f.; Hemeling FS Hoffmann-Becking (2013) 491, 506 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 31; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 5. Musterformulierungen bei Lange ZIP 2004 2221 ff. und speziell für die GmbH bei Weber/Lohr GmbH-StB 2001 293, 294 f. 68 Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 5. 69 R. Koch ZVersWiss 2012 151, 169 f.; Lange VersR 2010 162, 163 f.; Peltzer FS H.P. Westermann (2008) 1256, 1274 f.; Thomas VersR 2010 281 f.; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 5. 70 Lange VersR 2010 162, 175; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 5. 71 S. zuletzt Ziff. 3.8 DCGK i. d. F. vom 6.6.2008. 72 S. etwa Ziff. 3.8 Abs. 3 DCGK i. d. F. vom 7.2.2017. 73 https://www.dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_Begruendung_DCGK.pdf. 715

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

B. Rechtliche Vorgaben

schen Corporate Governance Kodex überlassen bleiben“.74 Davon unabhängig lässt sich jedenfalls allein aus der früheren Erwähnung der D&O-Versicherung im Zusammenhang mit dem Selbstbehalt nicht darauf schließen, dass die Verfasser des DCGK den Abschluss einer D&OVersicherung als einen Standard guter Unternehmensführung angesehen hätten.75

53 b) PCGK. Nach Ziff. 4.3.2 Abs. 1 S. 1 des Public Corporate Governance Kodex (PCGK) des Bundes (revidierte Fassung: 16.9.2020)76 kann eine D&O-Versicherung – soweit haushaltsrechtlich zulässig – von öffentlichen Unternehmen abgeschlossen werden, deren Unternehmensorgane erhöhten Haftungsrisiken ausgesetzt sind. Dabei soll für die Mitglieder der Geschäftsführung ein Selbstbehalt nach dem Vorbild von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG (s. Rn. 128) vereinbart werden (Ziff. 4.3.2 Abs. 1 S. 2 PCGK). Für die Mitglieder von Überwachungsorganen soll nach der revidierten Fassung des PCGK 54 anders als in der ursprünglichen Version ein angemessener Selbstbehalt nur noch dann vereinbart werden, wenn sie für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten (Ziff. 4.3.2 Abs. 1 S. 3 PCGK). Die Entscheidung und ihre Begründung, insbesondere zur Zweckmäßigkeit und Wirtschaft55 lichkeit einer D&O-Versicherung sowie zur Vereinbarung eines Selbstbehalts, sollen dokumentiert werden (Ziff. 4.3.2 Abs. 2 PCGK). Dazu, ob das jeweilige Organmitglied für den Selbstbehalt einen Versicherungsschutz beschaffen soll (zur Selbstbehaltsversicherung s. Rn. 128 ff.), verhält sich der PCGK nicht.77 Auch aus diesen Regelungen folgt keine Empfehlung, eine D&OVersicherung abzuschließen.78

56 c) Befassung. Ungeachtet dieser fehlenden Vorgaben in den Regelwerken haben die zuständigen Organe (s. Rn. 98 ff.) darüber zu befinden, ob ein Versicherungsschutz genommen wird (Befassungspflicht).79 Schließt der Vorstand eine nicht bedarfsgerechte Versicherung ab, kann er sich nicht allein gegenüber den versicherten Personen, sondern im Einzelfall auch gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen.80

57 d) Information. Die Gesellschaft hat die Organwalter (sowie ggf. sonstige versicherte Personen) dann, wenn sie eine Verschaffungspflicht (s. Rn. 49, 68) übernommen hat, über Bestand und Umfang einer D&O-Versicherung zu informieren. Dabei handelt es sich um eine Nebenpflicht aus dem Dienstvertrag.81 Der Informationsanspruch umfasst auch diejenigen Vertragsdaten (einschließlich der AVB), die der Organwalter benötigt, um Ansprüche gegen den VR geltend zu machen. Diese Pflicht besteht bereits mit Begründung des Versicherungsverhältnisses oder, falls diese später erfolgt, mit der Vereinbarung einer Verschaffungspflicht. Die versicherten Personen haben nämlich bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls bestimmte Rechte gegenüber dem VR (s. etwa Ziff. A-5.4 AVB D&O zur Umstandsmeldung).

74 BT-Drucks. 16/13433 S. 11 f. 75 Insoweit a.A. wohl Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 9. 76 Bekanntmachung des BMF vom 16.9.2020 – VIII B 1 – FB 0203/20/10002:003, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de; s. dazu Lindenlauf NZG 2021 149 ff.; zur Vorgängerversion Weber-Rey/Buckel ZHR 177 (2013) 13, 35 ff. 77 Lindenlauf NZG 2021 149, 150. 78 Insoweit a.A. wohl Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 30. 79 Ehlers VersR 2008 1173, 1178; vgl. auch R. Koch ZGR 2006 184, 185 ff.; Seibt/Saame AG 2006 901, 902 ff., beide zum Vorstand; Dreher FS Bergmann (2018) 145, 164 (Überwachung durch den Aufsichtsrat). 80 Vgl. Baumann VersR 2006 455, 463 f. (im Kontext der Bemessung des Selbstbehalts). 81 Thomas VersR 2010 281, 290; vgl. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 33. Armbrüster

716

B. Rechtliche Vorgaben

Allg Einf AVB D&O

Ist der Versicherungsfall eingetreten, so lässt sich die Informationspflicht auch daraus 58 herleiten, dass der Anspruch auf die Versicherungsleistung dem Organwalter als versicherter Person materiell-rechtlich zusteht und dass er darüber hinaus nach den AVB regelmäßig allein zu dessen Geltendmachung berechtigt ist (s. etwa Ziff. A-8.1 AVB D&O). Auch ohne Verschaffungspflicht besteht eine Auskunftspflicht, wenn die Gesellschaft den 59 Organwalter über eine bestehende D&O-Versicherung informiert hat (oder ihr ein entsprechender Rechtsschein zurechenbar ist) und sich diese Versicherung sodann als unwirksam erweist oder beendet wird.82 Für den Organwalter ist es nämlich bedeutsam zu wissen, ob und ggf. in welchem Umfang er abgesichert ist und inwieweit er ggf. Eigenvorsorge zu betreiben hat. Jenseits der genannten Fälle besteht hingegen keine allgemeine Informationspflicht. Der VR hat dann nämlich ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Deckung nicht nach außen bekannt wird, was Dritte zur Anspruchstellung motivieren könnte.83 In Konzernen bleibt den mitversicherten Organwaltern von Tochtergesellschaften nur die Option, sich im Dienstvertrag einen Informationsanspruch gegenüber der Tochtergesellschaft einräumen zu lassen.84 Gegenüber dem VR hat eine versicherte Person vorbehaltlich abweichender Vereinbarung 60 oder spezieller gesetzlicher Anspruchsgrundlagen (s. insbes. § 810 BGB) grds. keinen Anspruch auf Übermittlung des Versicherungsscheins oder sonstiger Informationen über Bestand und Reichweite des Versicherungsschutzes.85 Die versicherte Person ist insoweit vielmehr auf das Innenverhältnis zum VN verwiesen. Zwar sieht nunmehr das BaFin-Rundschreiben 03/2021 zu Gruppenversicherungsverträgen Informationsansprüche der versicherten Personen gegenüber dem VR vor. Bei der D&O-Versicherung handelt es sich um eine Gruppenversicherung (s. A-1 Rn. 15). Diese Vorgaben gelten allerdings nach der ausdrückl. Bereichsausnahme in Ziff. 6 des Rundschreibens nicht für die D&O-Versicherung.86 Dies ist schon im Hinblick darauf sachgerecht, dass anderenfalls in der Praxis nicht zuletzt angesichts des nur nach abstrakten Kriterien bestimmten Kreises der versicherten Personen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Informationsanforderungen drohten.87

IV. AGB-Recht 1. Maßgebliche AVB Die Praxis der D&O-Versicherung ist durch eine breite Vielfalt von AVB (zum Begriff s. Rn. 71 f.) 61 gekennzeichnet.88 Dabei weichen die verwendeten AVB vielfach von den verschiedenen Generationen von Musterbedingungen des GDV (zu ihnen s. Rn. 63) ab.89 Dabei werden teils auch völlig andere – und i. d. R. weniger restriktive – Gestaltungen gewählt. Der Kommentierung liegen die Musterbedingungen des GDV AVB D&O mit Stand Mai 2020 zugrunde; berücksichtigt werden aber auch praxisrelevante abweichende Klauseln. In den AVB D&O ist das frühere System von Aus- und Einschlüssen durch positive Leistungsbeschreibungen ersetzt worden.90

82 R. Koch ZVersWiss 2012 151, 170 f.; Lange VersR 2010 162, 176; Thomas VersR 2010 281, 283; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 5. 83 Thomas VersR 2010 281, 283. 84 Thomas VersR 2010 281, 289. 85 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 70. 86 Zur insofern noch abw. Entwurfsfassung Dreher/Fritz VersR 2021 220, 225. 87 Vgl. Dreher/Fritz VersR 2021 220, 225. 88 GDV-Erl. Einführung; s. auch den Marktüberblick bei Prühs GmbH-Stpr 2021 204. 89 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 19; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 15 („kein Standard feststellbar“); Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 1. 90 GDV-Erl. Einführung. 717

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

B. Rechtliche Vorgaben

Das Bedingungswerk AVB D&O ist untergliedert in Teil A (spartenspezifische Regelungen) und Teil B (spartenübergreifende Regelungen: Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung [Ziff. B1], Dauer und Ende des Vertrags, Kündigung [Ziff. B2], Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten [Ziff. B3] sowie weitere Regelungen [Ziff. B4]). Die AVB D&O folgen mit dieser Struktur den AVB für die Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung (AVB BHV).91 Den aktuellen Musterbedingungen des GDV sind seit dem Jahr 1997 mehrere Bedingungsgene63 rationen vorausgegangen,92 beginnend mit den AVB-AVG 97.93 Einen wichtigen Wechsel hat es beim Übergang von den (vergleichsweise restriktiven) AVB-AVG 2011 zu den AVB-AVG 2013 gegeben, durch welche die Außen- und Innenhaftung erstmals gleichen Regeln unterworfen worden sind (s. Rn. 7 ff.). Diese Änderung ist auch in den AVB D&O mit Stand Mai 2020 fortgeführt worden. Sie hat zu einem Zugewinn an inhaltlicher Kohärenz und zugleich zu einer wesentlichen Vereinfachung geführt. Insgesamt sind die jüngeren Musterbedingungen erkennbar den im Markt bevorzugt verwendeten Gestaltungen angenähert worden. Maßgeblich für den Vertragsinhalt sind stets die in den jeweiligen Vertrag wirksam einbe64 zogenen94 AVB. Andere Bedingungswerke wie insbes. die Musterbedingungen zur allgemeinen Haftpflichtversicherung (AHB) oder die Bedingungen zur Vermögenschadenversicherung sind hingegen nicht heranzuziehen.95 Dies schließt es freilich nicht aus, die zu solchen Bedingungswerken entwickelten Auslegungsregeln auch für das Verständnis vergleichbarer Klauseln in AVB zur D&O-Versicherung zu berücksichtigen. 62

2. Auslegung der AVB 65 a) Auslegungsmaßstab. Ausgangspunkt der Auslegung von AVB ist deren Wortlaut.96 Auslegungsmaßstab ist nach st. Rspr. des BGH grds. die Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die AVB aufmerksam liest und verständig – unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges – würdigt (eingehend Ziff. A-7 AVB D&O Rn. 4 ff.).97 Dabei ist der jeweilige Versicherungszweig maßgeblich. Richtet sich der Versicherungs66 schutz üblicherweise an einen bestimmten Adressatenkreis, so kommt es mithin auf die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises an. Dies hat der BGH unlängst für die D&O-Versicherung ausdrücklich bestätigt.98 Demnach sind in diesem Versicherungszweig für die Auslegung geschäftserfahrene Personen maßgeblich.99 Allerdings dürfen auch diesem Personenkreis, der im Vergleich zu Verbrauchern versierter ist, nach der zutr. Ansicht des BGH keine juristischen Fachkenntnisse abverlangt werden.100 Bei der Versicherung für fremde Rechnung i. S. d. §§ 43 ff. VVG, wozu die D&O-Versicherung 67 zählt (s. Rn. 86), ist außer auf den VN – und damit die für ihn handelnden Vertreter – auch auf den (generalisierenden) Verständnishorizont der versicherten Personen abzustellen (einge-

91 92 93 94 95 96

GDV-Erl. Einführung. Überblick zur Entwicklung bis 2013 bei Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 2 f. Abgedruckt bei Ihlas 668 ff. Zu den Einbeziehungsvoraussetzungen s. Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 533 ff. OLG Stuttgart 2.4.1998 – 7 U 45/97, VersR 1999 961, 962; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 1, 17. St. Rspr.; s. nur BGH 18.12.2020 – IV ZR 179/19, VersR 2021 113 Rn. 11 m. zust. Anm. Armbrüster RuS 2021 30 f.; BGH 6.7.2011 – IV ZR 217/09, VersR 2012 48 Rn. 14; näher zum Folgenden Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 260 ff. 97 BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123 83 = VersR 1993 957; BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/15, BGHZ 211 51 = VersR 2016 1177 Rn. 17; BGH 18.12.2020 – IV ZR 179/19, VersR 2021 113 Rn. 11. 98 BGH 18.12.2020 – IV ZR 179/19, VersR 2021 113 Rn. 11. 99 So bereits BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 32. 100 BGH 18.12.2020 – IV ZR 179/19, VersR 2021 113 Rn. 22. Armbrüster

718

B. Rechtliche Vorgaben

Allg Einf AVB D&O

hend und differenzierend Ziff. A-7 AVB D&O Rn. 8 ff.)101 Dies lässt sich generell damit begründen, dass der VN den versicherten Personen den Versicherungsschutz regelmäßig aufgrund eines Rechtsverhältnisses beschafft, das ihn zur Wahrung von deren Interessen verpflichtet. Eine solche Pflicht wird bei der D&O-Versicherung verbreitet durch eine sog. Verschaf- 68 fungsklausel in den Anstellungsverträgen der Organmitglieder geregelt (s. Rn. 49). Hinzu kommt, dass beim Vertragsschluss mit dem D&O-Versicherer der Wille der Gesellschaft durch die für sie handelnden versicherten Personen gebildet wird. Letztlich ist für die Auslegung bei Kapitalgesellschaften somit regelmäßig der Verständnishorizont maßgeblich, den typischerweise die Mitglieder des Vertretungsorgans und ggf. (sofern sie abweichend von Ziff. A-1 AVB D&O in den Deckungsschutz einbezogen sind) die leitenden Angestellten haben.102

b) Anwendbarkeit der Unklarheitenregel. Nach § 305c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der 69 Auslegung von AGB zu Lasten ihres Verwenders (zur Verwendereigenschaft s. Rn. 73 ff.). Diese sog. Unklarheitenregel setzt voraus, dass es für die betreffende Klausel mindestens zwei verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gibt und sich Zweifel, welche davon maßgeblich sein soll, nicht auflösen lassen. Dabei weicht der Maßstab, mit dem die Auslegung erfolgt, nicht von demjenigen ab, der generell für die AVB-Auslegung gilt (s. Rn. 65 ff.).103 Die Unklarheitenregel ist auch bei Verwendung von AGB im unternehmerischen Ge- 70 schäftsverkehr heranzuziehen.104 Dies gilt unabhängig von dem Streit darüber, inwiefern solche AGB überhaupt einer Inhaltskontrolle unterliegen (s. dazu Rn. 77 f.). Es handelt sich nämlich nicht um einen Bestandteil der Inhaltskontrolle, sondern um eine Auslegungsregel. Daher folgt insbes. auch aus § 310 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach bei der Anwendung von § 307 BGB im unternehmerischen Verkehr auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche angemessen Rücksicht zu nehmen ist (s. Rn. 77), nichts Abweichendes. Bisweilen wird die Geltung der Unklarheitenregel in AVB zur D&O-Versicherung ausdrücklich bestätigt. Solche Klauseln haben deklaratorischen Charakter. Umgekehrt ist eine Abbedingung von § 305c Abs. 2 BGB durch AVB unzulässig.105

3. AGB-Kontrolle a) Vorliegen von AVB. Die Frage, ob es sich bei D&O-Vertragsbedingungen um AVB handelt, 71 richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des AGB-Rechts.106 Nach § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind AGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Bedingungen, die der Verwender seinem Vertragspartner bei Vertragsschluss stellt. AGB liegen nicht vor, wenn die Vertragsbedingungen zwischen den Parteien im Einzelnen 72 ausgehandelt worden sind (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB). Dies setzt voraus, dass jede Partei die von ihr vorgeschlagenen Regelungen der anderen Partei ernsthaft zur Disposition gestellt hat.107 Ob dies geschehen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.108 Grund-

101 BGH 8.5.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013 853 Rn. 40; BGH 16.7.2014 – IV ZR 88/13, VersR 2014 1118 Rn. 16; R. Koch VersR 2015 133, 144; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Reiff AVB Rn. V 123. 102 OLG München 13.9.2017 – 7 U 4126/13, VersR 2018 406, 409; Knöfel VersR 2019 1249, 1252; zweifelnd Jaschinski/ Wentz NZG 2021 288, 289. 103 St. Rspr.; s. nur BGH 23.6.2004 – IV ZR 130/03, VersR 2004 1039 (sub II 2 a); a. A. irrig Griese VersR 2021 147, 148 ff. 104 Unstr.; BGH 19.9.2001 – I ZR 343/98, NJW-RR 2002 1027, 1029; MüKo-BGB/Basedow § 305c Rn. 28. 105 BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, VersR 1999 697, 699 m. zust. Anm. Präve. 106 S. dazu MüKo-BGB/Basedow § 305 Rn. 5 ff. 107 St. Rspr.; s. nur BGH 19.3.2019 – XI ZR 9/18, NJW 2019 2081 Rn. 14. 108 Eingehend Wolf/Lindacher/Pfeiffer § 305 Rn. 35 ff. 719

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

B. Rechtliche Vorgaben

sätzlich sind an ein Aushandeln, das die jeweiligen vertraglichen Abreden als Individualvereinbarung erscheinen lässt, so dass sie nicht den Vorgaben der §§ 305 ff. BGB unterliegen, hohe Anforderungen zu stellen.109

73 b) Verwendereigenschaft. Als Verwender der AVB i. S. v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB wird in der Praxis vielfach der VR auftreten. Werden in den AVB sein Schriftzug und/oder Logo verwendet, so liegt darin ein Indiz für seine Verwendereigenschaft. 74 Bei von einem Versicherungsmakler in den Vertrag eingeführten (und von ihm meist, aber nicht notwendig auch entworfenen) Klauselwerken (sog. Maklerbedingungen oder MaklerWordings) besteht Streit darüber, ob der VN ihr Verwender ist (eingehend B.4 Rn. 12 ff.).110 Dagegen lässt sich grds. anführen, dass der VR diese Wordings regelmäßig nicht unbesehen akzeptieren wird. Bei entsprechender Verhandlungsmacht des VN kann dies aber anders zu beurteilen sein. Maßgeblich ist mithin, ob die jeweilige Klausel nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB ausgehandelt worden ist. Ist dies nicht der Fall, so muss der VN sich die vom Makler eingeführten AVB als Verwender zurechnen lassen.111 Hingegen hat der VR bei Makler-Wordings grds. nicht die Verwendereigenschaft.112 Eine 75 Ausnahme hiervon gilt allerdings für den Fall, dass der Makler beim Abfassen der AVB die Anforderungen des VR antizipiert und umsetzt. Dadurch, dass der Makler in „vorauseilendem Gehorsam“ die Klauseln des VR in sein Wording übernimmt, darf dem VN nämlich nicht der Schutz der §§ 305 ff. BGB gegenüber der Gestaltungsmacht des VR genommen werden. Bisweilen wird in den AVB eine Aussage dazu getroffen, wer ihr Verwender sein soll. Derar76 tige Klauseln zur Verwendereigenschaft sind rechtlich unbeachtlich, da diese Eigenschaft der Parteidisposition entzogen ist.113 Es kommt stets allein darauf an, wer objektiv-rechtlich als Verwender anzusehen ist. Eine Verwendereigenschaft einer Partei scheidet allerdings aus, wenn eine konkrete Klausel zwischen den Parteien gem. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB im Einzelnen ausgehandelt worden ist (s. Rn. 72).

c) Modifizierte Kontrollmaßstäbe 77 aa) Berücksichtigung von Handelsbräuchen und -gewohnheiten. Nach § 310 Abs. 1 S. 2 BGB ist bei der Verwendung von AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr (b2b) „auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche angemessen Rücksicht zu nehmen“. Diese Regelung bietet de lege lata – jenseits der rechtspolitischen Diskussion um die Sachgerechtigkeit der AGB-Kontrolle im b2b-Bereich – eine geeignete Grundlage, um dem typischerweise, wenn auch nicht stets, geringeren Schutzbedürfnis des Kunden Rechnung zu tragen.114 Weitergehende Forderungen danach, die Inhaltskontrolle zu beschränken oder auszu78 schließen, sind rechtspolitischer Natur und werden de lege lata insbesondere vom BGH nicht geteilt.115 Man wird auch nicht generell sagen können, dass der VN wegen der Vielfalt der am Markt

109 BGH 20.1.2016 – VIII ZR 26/15, NJW 2016 1230 Rn. 22 ff. (betr. Liefervertrag zwischen Unternehmen); s. auch Lehmann-Richter, in: BeckOGK BGB, Stand 1.12.2020, § 305 Rn. 154; Kappus NJW 2016 33 ff. (betr. Mietvertrag).

110 Zum Folgenden Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 26; s. auch Golz VersR 2011 727 f. 111 Graf von Westphalen VersR 2011 145, 146; Steinkühler/Kassing VersR 2009 1477, 1478; dies übergeht MAHVersR/Sieg § 17 Rn. 60, wenn es dort pauschal heißt, solche Bedingungen seien nicht kontrollfähig. 112 BGH 22.7.2009 – IV ZR 74/08, VersR 2009 1477 m. Anm. Steinkühler/Kassing. 113 Steinkühler/Kassing VersR 2009 1477, 1478. 114 Näher Armbrüster NZA-Beil. 2019, 44; monographisch Wendland Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit (2019) 335 ff. 115 S. nur BGH 4.7.2017 – XI ZR 562/15, NJW 2017 2986 Rn. 23 ff. m. krit. Anm Pfeiffer LMK 2017 394827 (betr. Darlehen im Unternehmensverkehr); s. auch Wendland Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit (2019) 858 ff. Armbrüster

720

B. Rechtliche Vorgaben

Allg Einf AVB D&O

verwendeten AVB oder im Hinblick auf die Internationalität des Geschäfts in geringerem Maße schutzbedürftig ist;116 diese Kriterien spielen für die AGB-Kontrolle von Verträgen, die deutschem Recht unterliegen, jenseits der durch § 310 Abs. 1 S. 2 BGB eröffneten Spielräume keine Rolle.

bb) Leitbildkontrolle im Großrisikobereich. D&O-Versicherungsverträge werden häufig die 79 quantitativen Anforderungen erfüllen, welche § 210 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VVG an das Vorliegen eines Großrisikos stellt. Dabei ist zu beachten, dass es bei Konzernen für die Unternehmensgröße auf die Zahlen des Konzernabschlusses ankommt (§ 210 Abs. 2 S. 2 VVG). Nach § 210 Abs. 1 VVG entfalten die halbzwingenden und zwingenden Normen für Großrisikoverträge keine Bindungswirkung. Gleichwohl unterwirft der BGH Klauseln, die von dem mithin dispositiven Gesetzesrecht ab- 80 weichen, einer AGB-rechtlichen Leitbildkontrolle anhand von § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.117 Gegen diese Kontrolle spricht, dass der Gesetzgeber nach der in § 210 Abs. 1 VVG zum Ausdruck kommenden Wertung bestimmte Unternehmer mit größeren Kennzahlen generell als weniger schutzbedürftig erachtet. Freilich darf nicht verkannt werden, dass sich VN auch in der D&O-Versicherung auch bei Großrisiken einer überragenden Gestaltungsmacht des VR ausgesetzt sehen können. Dies spricht für einen differenzierenden Ansatz, der auf das Schutzbedürfnis abstellt.118 81 Demgemäß ist insbes. dem Quotelungsprinzip bei grober Fahrlässigkeit (etwa §§ 28 Abs. 2 S. 2, 81 Abs. 2, 82 Abs. 3 VVG) keine Leitbildfunktion beizumessen. Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber dieses Prinzip bei der Transportversicherung selbst nicht anordnet (vgl. §§ 132 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 137 Abs. 1 VVG).119 Dasselbe gilt für die §§ 37, 38 VVG, welche Sanktionen beim Prämienzahlungsverzug betreffen. Hingegen hat das Verschuldenserfordernis bei Obliegenheitsverletzungen eine derart fundamentale Bedeutung, dass seine vollständige Abbedingung auch in Großrisikoverträgen aufgrund der insoweit vorzunehmenden Leitbildkontrolle unwirksam ist.120 Dasselbe gilt für Klauseln, die dem VN einen nach dem VVG zulässigen Kausalitätsgegenbeweis abschneiden (vgl. etwa § 28 Abs. 3 VVG).121 Gerichtsstandsvereinbarungen, die von § 215 VVG abweichen (vgl. Ziff. B4–5 AVB D&O), unterliegen im Großrisikobereich mangels eines vergleichbar gewichtigen Schutzbedürfnisses keiner Leitbildkontrolle.122

V. Sonderregeln bei Großrisikoverträgen Der Gesetzgeber der VVG-Reform von 2008 hat ausdrücklich das Ziel verfolgt, den Schutz des 82 VN (und damit zugleich denjenigen des Versicherten) zu stärken.123 Dieser Schutz kommt nicht allein Verbrauchern zugute, sondern grds. auch Unternehmern. So gilt z. B. das Widerrufsrecht nach § 8 VVG gleichermaßen für unternehmerische VN. Dieser Schutz des VN findet allerdings 116 So aber Bruck/Möller/Baumann9 Einf. vor Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 23; Baumann RuS 2011 229, 233. 117 BGH 2.12.1992 – IV ZR 135/91, BGHZ 120 290, 295 = NJW 1993 590, 591 (betr. AVB Warenkredit); BGH 18.3.2009 – IV ZR 298/06, VersR 2009 769 Rn. 8 (betr. Frachtführerhaftpflichtversicherung); so auch Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 15; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 9. 118 Vgl. auch allg. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer § 307 Rn. 118. 119 Freitag RuS 2008 96, 99; Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 17; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 12; einschränkend Looschelders/Pohlmann/Eichelberg § 210 Rn. 8 (jedenfalls bei spartenspezifischen Besonderheiten); a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Klär § 210 Rn. 12. 120 Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 16; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 11; vgl. BGH 2.12.1992 – IV ZR 135/ 91, BGHZ 120 290, 295 = NJW 1993 590, 591 (betr. AVB Warenkredit). 121 BGH 2.12.1992 – IV ZR 135/91, BGHZ 120 290, 295 = NJW 1993 590, 591; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 11. 122 Vgl. Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 7 (in Rn. 9–12 allerdings nicht ausdrückl. angesprochen). 123 Zu dieser Schutzrichtung s. nur Regierungsbegr., BT-Drucks. 16/3945 S. 47; Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 382 ff. 721

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

nach § 210 Abs. 1 VVG seine Grenze bei Verträgen über Großrisiken; für sie gelten die Beschränkungen der Vertragsfreiheit durch das VVG nicht. Die D&O-Versicherung betrifft häufig ein Großrisiko i. S. v. 210 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VVG (s. Rn. 79). Dies hat Folgen für die AGB-Kontrolle (s. Rn. 71 ff.). Zudem entfallen gem. § 6 Abs. 6 Fall 1 VVG die Beratungspflicht und gem. § 7 Abs. 5 S. 1 VVG die Informationspflicht des VR. Entsprechende Ausnahmen enthält § 65 VVG für die Beratungspflicht von Versicherungsvermittlern. Wurde der Vertrag von einem Versicherungsmakler vermittelt, so trifft gem. § 6 Abs. 6 Fall 2 VVG allein ihn eine Beratungspflicht; angesichts dieser weitergehenden Bereichsausnahme bedarf es insoweit nicht der Feststellung, dass ein Großrisiko vorliegt. Bei Großrisikoverträgen entfällt auch das voraussetzungslose 14tägige Widerrufsrecht des VN nach § 8 VVG (§ 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 VVG). 83 Klärungsbedürftig ist, ob § 210 Abs. 1 VVG den Handlungsspielraum der Parteien auch im Hinblick auf die Rechtsstellung der versicherten Personen erweitert. Diese Frage stellt sich, weil die Gewährung von Privatautonomie mit dem mangelnden Schutzbedürfnis des VN einer Großrisikoversicherung begründet wird. Praktisch bedeutsam ist dies etwa im Hinblick auf § 108 Abs. 2 VVG (s. Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 44 ff.). Diese Vorschrift ist auf die Eigenversicherung zugeschnitten; sie untersagt es die Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs durch AVB auszuschließen. 84 Dagegen, dass sich der Dispens von dieser Vorschrift durch § 210 Abs. 1 VVG auch auf Versicherte in der Fremdversicherung erstreckt, ließe sich anführen, dass diese Norm die Parteien nicht von dem allgemeinen Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter befreit.124 Die vom Gesetzgeber angenommene größere Geschäftserfahrung des VN einer Großrisikoversicherung rechtfertigt keinen Eingriff in Rechte Dritter.125 Indessen handelt es sich bei den versicherten Personen in der D&O-Versicherung nicht um außenstehende Dritte. Vielmehr leiten die versicherten Personen ihre Rechtsstellung gerade aus dem Vertrag ab; diese Stellung reicht nicht weiter als diejenige des VN.126 Mithin steht kein Eingriff in bestehende Rechtspositionen Dritter in Rede, sondern allein eine von vornherein beschränkte Einräumung einer Rechtsstellung durch den Versicherungsvertrag. 85 Allerdings stellt sich davon unabhängig die Frage nach einer Leitbildkontrolle des Abtretungsausschlusses (s. Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 44 ff.). Bei der Fremdversicherung sind nämlich auch die Versicherten AGB-rechtlich geschützt, da sie aus dem Versicherungsvertrag unmittelbar Rechte herleiten können.127

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung I. Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung (Side A) 1. Versicherte Interessen 86 Welche Interessen in der D&O-Versicherung in ihrer klassischen Ausgestaltung (Side A; s. Rn. 16) gedeckt sind, wird teils unterschiedlich beurteilt. Als unstreitig kann gelten, dass es sich jedenfalls um eine Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung handelt, durch die das Haftpflichtinteresse (s. Vor § 100 Rn. 1 f.) der versicherten Personen gedeckt wird.128 Bisweilen wird aber angenommen, dass darüber hinaus auch ein Interesse der Gesellschaft als VN gedeckt sei. Davon zu unterscheiden ist die Frage der sog. Sozialbindung der D&O-Versicherung. 124 125 126 127

Zu Letzterem s. Begr. zu § 210 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 115; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 8. Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 8. Bruck/Möller/Brand § 44 Rn. 6. BGHZ 120 216 = VersR 1993 312, 314 (betr. DTV-Maschinenklausel); BGH 28.3.2001 – IV ZR 19/00, VersR 2001 714, 715 (betr. Reiseinsolvenzversicherung). 128 S. nur OLG München 15.3.2005 – 25 U 3940/04, VersR 2005 540, 541; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 5; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 61. Armbrüster

722

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Allg Einf AVB D&O

Sie hat der BGH ungeachtet des Umstands, dass es sich nicht um eine Pflichtversicherung handelt (s. Rn. 44 f.),129 bejaht;130 dabei ging es freilich um die Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs an den VN und nicht um die versicherten Interessen.

a) Meinungsstand. Nach überwiegender Ansicht handelt es sich bei der D&O-Versicherung 87 (Side A) um eine ausschließliche Fremdversicherung der Haftpflichtinteressen, deren Träger die versicherten Personen sind.131 Es tritt nicht eine Eigenschadenversicherung i. S. einer Aktivenversicherung des VN hinzu.132 Dementsprechend hat der BGH in einem Grundsatzurteil zum Einschluss von Ansprüchen nach § 64 S. 1 GmbHG festgestellt, dass in der D&O-Versicherung der Schutz auch der Vermögensinteressen der Gesellschaft „lediglich eine Reflexwirkung des versicherten Haftpflichtinteresses der versicherten Person“133 ist. In der Literatur und vereinzelt auch in der instanzgerichtlichen Rspr. wird dieses Verständnis 88 teils in Zweifel gezogen. So heißt es bisweilen, neben den versicherten Personen sei auch die Gesellschaft als VN versichert.134 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Gesellschaft den Versicherungsschutz finanziere, da sie damit im Schadensfall in Gestalt des D&O-Versicherers einen liquiden Schuldner erlange. Mithin diene die Versicherung jedenfalls auch dem Bilanzschutzinteresse der Gesellschaft. Dieselbe Vorstellung liegt offenbar einer obergerichtlichen Rspr.135 zugrunde, die Ansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG (oder nach der Parallelregelung in §§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG), welche der Insolvenzverwalter über das Gesellschaftsvermögen gegen versicherte Personen erhebt, nicht als gedeckt ansah, weil ihre Erfüllung allein den Gesellschaftsgläubigern und nicht dem VN zugute kommen würde (s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 68). b) Stellungnahme. Für das Verständnis als ausschließliche Fremdversicherung spricht ent- 89 scheidend, dass der Haftpflichtversicherungsschutz auch die Innenhaftung der versicherten Personen gegenüber der Gesellschaft umfasst. Der D&O-Versicherer verspricht – neben der Prüfung der Haftpflichtfrage – Abwehr sowie Freistellung (Ziff. A-6.1 AVB D&O; s. Rn. 18). Welche dieser beiden Möglichkeiten er wählt, ist ihm im Grundsatz freigestellt (Erfüllungswahlrecht des VR; s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 6 ff.). Entscheidet er sich für die Abwehr eines von der Gesellschaft als dem VN gegen eine versicherte Person erhobenen Anspruchs, so wäre es damit unvereinbar, eine gleichzeitige Versicherung des Interesses der Gesellschaft anzunehmen.136 Selbst wenn er sich zur Freistellung entschließt, kommt dies dem VN, wie der BGH zu Recht ausgeführt hat (s. Rn. 87), lediglich reflexhaft zugute. 129 Zu Recht krit. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 38. 130 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 25. 131 OLG München 15.3.2005 – 25 U 3940/04, VersR 2005 540, 541 f.; OLG Frankfurt/M. RuS 2021 502 Rn. 74 („typische Fremdversicherung“); Armbrüster/Schilbach ZIP 2018 1853, 1855; Dreher DB 2005 1669, 1673; R. Koch VersR 2012 1508, 1511; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 36; Lange VersR 2007 893, 896; E. Lorenz FS J. Prölss (2009) 177, 180; Mitterlechner/Wax/Witsch § 2 Rn. 10; HK-VVG/Schimikowski § 108 Rn. 7; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 10, 14 f.; Witsch DZWIR 2021 147, 150; relativierend MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 38 (es gehe „vorrangig“ um den Schutz der versicherten Personen; anders aber Rn. 39 a. E.: Schutz des VN ist „auch nicht mittelbar“ bezweckt; s. auch Rn. 61). 132 Mitterlechner/Wax/Witsch § 2 Rn. 19 ff.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 14; s. auch Ingwersen 21 ff. 133 BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, VersR 2021 113 Rn. 27 m. zust. Anm. Armbrüster RuS 2021 30 f. und Witsch DZWIR 2021 147; in diesem Sinne bereits Baumann VersR 2006 455, 457; Bruck/Möller/Baumann9 Einf. vor Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 13 f.; Ulmer FS Canaris (2007) Bd. II 451, 460; so auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz AVBAVG Einf. Rn. 86 (anders aber Rn. 84); Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 6. 134 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz AVB-AVG Einf. Rn. 84 („Kombination aus einer Eigen- und einer Fremdversicherung“; anders aber Rn. 86). 135 OLG Düsseldorf 26.6.2020 – I-4 U 134/18, VersR 2020 1307, 1311 f. 136 S. dazu auch MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 39. 723

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Die Gegenansicht (s. Rn. 88) verkennt, dass es sich beim Bilanzschutz zwar um ein Motiv,137 nicht jedoch um ein durch das Leistungsversprechen in der Haftpflichtversicherung erfasstes versichertes Interesse handelt.138 Hinzu kommt, dass der Abschluss einer D&O-Versicherung mittlerweile regelmäßig von den Organmitgliedern gefordert wird, denen gleichermaßen am Freistellungs- und am Abwehrversprechen gelegen ist (s. Rn. 97). In den AVB findet sich häufig (so auch in Ziff. A-3 AVB D&O) die Regelung, dass der An91 spruch der versicherten Personen in dem Umfang auf den VN übergeht, in dem er eine bestehende und rechtlich zulässige Freistellungsverpflichtung gegenüber diesen Personen erfüllt; Entsprechendes gilt für die Erfüllung durch eine Tochtergesellschaft. Durch diese sog. Company Reimbursement-Klausel wird indessen nicht der Befund in Frage gestellt, dass es sich bei der Side A-Deckung um eine ausschließliche Fremdversicherung handelt. Die Company Reimbursement-Klausel soll vielmehr lediglich sicherstellen, dass der Versicherungsschutz im Fall einer Freistellung nicht leer läuft (s. Ziff. A-3 AVB D&O Rn. 1). Eine andere Frage ist es, ob künftig – einer Anregung aus dem Schrifttum folgend –139 anstelle der Side A-Deckung als ausschließlicher Fremdversicherung das Modell einer Eigenschadenversicherung des VN treten sollte. Der Versicherungsschutz würde dabei nicht an die Inanspruchnahme von Organmitgliedern anknüpfen, sondern an den Eintritt eines Schadens, den der VN infolge der Pflichtverletzung seines Organmitglieds erleidet. Damit ließen sich einige Probleme der Side A-Deckung lösen; zugleich entstünden aber neue Schwierigkeiten, etwa im Hinblick auf das Abwehrinteresse der einer Pflichtwidrigkeit bezichtigten versicherten Person (vgl. Ziff. A-6 Rn. 10, 18) oder den Pflichtselbstbehalt gem. § 93 Abs. 2 S. 3 AktG (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 146 ff.). Die Praxis folgt der Anregung zur Umstellung der Side A-Deckung auf eine Eigenschadenversicherung jedenfalls bislang nicht (s. auch Rn. 125).

90

2. Folgen 92 a) Überblick. Die Ausgestaltung der Side A-Deckung als ausschließliche Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung und nicht zugleich auch als Eigenversicherung des VN hat in verschiedenem Kontext weit reichende Folgen. Dies gilt zum einen für die Rechte und Pflichten der Beteiligten im Versicherungsverhältnis (s. Rn. 93 ff.). Zum anderen ergeben sich auch Konsequenzen für die gesellschaftsrechtlichen Bezüge der D&O-Versicherung, insbesondere im Hinblick auf die Kompetenz zur Entscheidung darüber, ob und ggf. in welchem Umfang ein solcher Versicherungsschutz für die Organmitglieder beschafft werden soll (s. Rn. 98 ff.).

93 b) Versicherungsvertragsrechtliche Folgen. Der Charakter als Haftpflichtversicherung führt dazu, dass die §§ 100 ff. VVG anwendbar sind (s. Rn. 39).140 Was den Charakter als Fremdversicherung angeht, gilt Folgendes: Die Gesellschaft schließt den Vertrag zugunsten ihrer Organmitglieder usw. als den versicherten Personen ab. VN und Prämienschuldner ist damit die Gesellschaft, während der Versicherungsschutz – wie dargelegt – ausschließlich den versicherten Personen als Versicherten i. S. v. §§ 44 ff. VVG zugute kommt. Ihnen steht zudem nach den AVB abweichend von § 45 Abs. 1 VVG typischerweise auch die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu (vorweggenommene Zustimmung i. S. v. § 44 Abs. 2 VVG; s. etwa Ziff. A-8.1 137 Vgl. auch BT-Rechtsausschuss, Begr. zu § 93 Abs. 2 S. 3 AktG n. F., BTDrucks. 16/13433 S. 11: „Schutz des Vermögens der Gesellschaft“. 138 In diesem Sinne bereits Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 14; s. auch Dreher DB 2005 1669, 1670 ff. 139 R. Koch VP 09/2015 10 ff. 140 Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 38; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 14; a. A. Ihlas Organhaftung und Haftpflichtversicherung (1997) 243 f. Armbrüster

724

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Allg Einf AVB D&O

AVB D&O). Dies gilt etwa für die Kündigung, den Widerspruch gegen den Inhalt des Versicherungsscheins (§ 5 Abs. 2 VVG), aber vorbehaltlich abweichender Vereinbarung (vgl. dazu A.8 AVB D&O) etwa auch für den Abschluss eines Schadensfeststellungsvertrags oder für Verfügungen über den Versicherungsanspruch (z. B. durch Verzicht).141 Der Haftpflichtschutz erstreckt sich nach den heute üblichen Bedingungswerken regelmäßig – so auch nach Ziff. A-1 AVB D&O – über die Außenhaftung hinaus auch auf die Innenhaftung. Dies bedeutet, dass der D&O-Versicherer auch dann leistungspflichtig ist, wenn die Gesellschaft selbst gegen eine versicherte Person Ansprüche (z. B. nach § 93 AktG) erhebt. Die vom VR versprochene Leistung besteht, wie regelmäßig bei der Haftpflichtversicherung, neben der Prüfung der Haftpflichtfrage in der Abwehr unbegründeter und der Freistellung von begründeten Ansprüchen (vgl. § 100 VVG, Ziff. A-6.1 AVB D&O). Dabei hat der VR die Entscheidung, ob er (zumindest zunächst) abwehrt oder aber freistellt, nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (grds. Erfüllungswahlrecht des VR; s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 6 ff.). Mithin kann weder die versicherte Person noch die Gesellschaft als VN jenseits der Ermessensgrenzen vom VR verlangen, sich für eine der Möglichkeiten zu entscheiden. Die in Rn. 94 dargestellte, für die D&O-Versicherung charakteristische Vertragsgestaltung führt dazu, dass die Gesellschaft durch den Vertragsschluss der versicherten Person als ihrem potentiellen künftigen Anspruchsgegner dessen Versicherungsschutz einschließlich seiner Abwehrkomponente finanziert. Diese Konstellation ist auch in der Haftpflichtversicherung ungewöhnlich (s. auch Rn. 10). Wenn dieser Befund vereinzelt unter Hinweis darauf in Abrede gestellt wird, dass auch der Erwerber eines Busfahrscheins mit dem Fahrpreis die Haftpflichtversicherung des Busfahrers und damit seinen potentiellen Anspruchsgegner finanziert, wird ein entscheidender Unterschied übersehen: Beim Abschluss einer D&O-Versicherung geht es nicht wie in dem Vergleichsbeispiel um den (alltäglichen, etwa auch beim Warenkauf vorkommenden) Fall, dass ein Leistungsanbieter die Kosten seines eigenen Haftpflichtversicherungsschutzes in den verlangten Preis einkalkuliert. Es steht nicht eine zwangsläufige anteilige Mitfinanzierung eines im Preis enthaltenen Versicherungsschutzes in Rede, sondern die bewusst und eigens für den künftigen eigenen Kontrahenten, nämlich die versicherte Person, durch einen Versicherungsvertrag beschaffte Deckung.142 Dies führt zu der Frage, welche Motive dafür maßgeblich sind, dass die Gesellschaft ihrem potentiellen Anspruchsgegner den Abwehrschutz beschafft und finanziert. Ein Vorteil liegt für die Gesellschaft darin, dass sie nach Eintritt eines Schadensfalls mit dem D&O-Versicherer einen liquiden Schuldner erlangt. Dieser Umstand kann nicht nur bei Großschäden für die Realisierbarkeit des Haftungsanspruchs von ausschlaggebender Bedeutung sein. Die D&O-Versicherung bietet der Gesellschaft mithin einen Bilanzschutz.143 Mittlerweile kommt jedoch entscheidend ein weiteres Motiv hinzu: Heutzutage erwarten insbesondere Kandidaten für eine Organmitgliedschaft angesichts einer kontinuierlichen Verschärfung der Haftungsrisiken (s. dazu Anh Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 10 ff.) von der Gesellschaft regelmäßig den Abschluss und die Unterhaltung einer hinreichenden D&O-Versicherung. Wird ein entsprechender Verschaffungsanspruch in den Anstellungsvertrag aufgenommen (s. Rn. 49, 68), bleibt der Gesellschaft – will sie sich nicht vertragsbrüchig verhalten und damit einen Schadensersatzanspruch riskieren –144 gar keine andere Wahl als der Abschluss der Versicherung (zu solchen Verschaffungsklauseln s. Rn. 49).

141 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 62. 142 Armbrüster FS K. Schmidt Bd. I (2019) 23, 25. 143 Vgl. auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-8.1 AVB D&O Rn. 1: Wirtschaftlich decke die Versicherung auch ein Risiko des geschädigten VN ab.

144 Lange VersR 2010 162, 163; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 64; Thomas VersR 2010 281. 725

Armbrüster

94

95

96

97

Allg Einf AVB D&O

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

c) Gesellschaftsrechtliche Folgen 98 aa) Meinungsstand. Streit besteht darüber, welches Organ für die Entscheidung über die Beschaffung von D&O-Versicherungsschutz zuständig ist. Dabei geht es nicht um den Abschluss des Versicherungsvertrags; dieser fällt als Geschäftsführungsmaßnahme unstreitig in die Zuständigkeit des Geschäftsführungsorgans (Vorstand bzw. GmbH-Geschäftsführer). Vielmehr geht es um das „Ob“ und um die Eckdaten (Versicherungssumme, Selbstbehalt) der Deckung. 99 Für die AG wird verbreitet angenommen, dass auch diese Entscheidung in die Zuständigkeit des Geschäftsführungsorgans falle.145 Dafür wird insbesondere vorgebracht, dass die D&O-Versicherung dem Interesse der Gesellschaft diene, indem ihr ein liquider Schuldner verschafft wird. Dieses Interesse sei im Gesetzgebungsverfahren zum VorstAG sogar in den Vordergrund gerückt worden.146 Die Gegenansicht147 hält bei der AG hinsichtlich des Vorstands den Aufsichtsrat, hinsichtlich des Aufsichtsrats die Hauptversammlung für zuständig. Zur Begründung verweist diese Ansicht darauf, dass es sich bei der von der Gesellschaft gezahlten Prämie um einen Vergütungsbestandteil i. S. v. §§ 87 Abs. 1 S. 1, 113 Abs. 1 AktG sowie von §§ 285 Nr. 9a, 314 Abs. 1 Nr. 6a HGB handele. 100 Der BGH hat die Frage für die Beschaffung von D&O-Schutz für den Aufsichtsrat angesprochen und eine Zuständigkeit des Vorstands als „zweifelhaft“148 bezeichnet, die Frage letztlich aber offen gelassen. Angesichts der ungeklärten Rechtslage empfehlen auch diejenigen, die für eine Zuständigkeit des Vorstands plädieren, der Praxis teils vorsichtshalber die Zustimmung des Aufsichtsrats (für den Vorstand) und der Hauptversammlung (für den Aufsichtsrat) einzuholen.149 Bei der GmbH ist das Meinungsbild weniger disparat. Hier wird nahezu einhellig eine Zu101 ständigkeit der Gesellschafterversammlung angenommen.150 Nur wenige vertreten hingegen, dass generell der Geschäftsführer zuständig sei.151 Eine Variante dieser Ansicht will vorrangig auf den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter abstellen. Demnach hat der Geschäftsführer den Gesellschaftern dann, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass sie einem Abschluss widersprechen, aufgrund seiner Treuepflicht die Frage vorzulegen.152

102 bb) Stellungnahme. Der Umstand, dass die D&O-Versicherung in ihrer klassischen Ausprägung eine ausschließliche Fremdversicherung ist (s. Rn. 89), wirkt sich auf die gesellschaftsrechtliche Zuständigkeitsordnung (und überdies auch auf das Bilanzrecht) aus. Da die D&OVersicherung als ausschließliche Fremdversicherung rechtlich allein der versicherten Person zugutekommt und die Gesellschaft von dem Schutz nur reflexhaft profitiert (s. Rn. 89), handelt es 145 Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 34 (Vorstand), Rn. 36 (Aufsichtsrat); Baumann VersR 2006 455, 463; Dreher ZHR 165 (2001) 293, 322; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 48 ff.; Seitz/Finkel/Klimke/Klimke AVB-AVG Einf. Rn. 371; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 42 ff., 45; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 7; Mitterlechner/ Wax/Witsch § 5 Rn. 6 ff., 26 ff.; aus dem gesellschaftsrechtlichen Schrifttum etwa BeckOGK-AktG/Fleischer 1.2.2021 § 93 Rn. 283. 146 Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 34, unter Hinweis auf BT-Rechtsausschuss, BTDrucks 16/13433 S. 11. 147 Armbrüster FS K. Schmidt Bd. I (2019) 23, 26 ff.; ders. VW 2016 54, 56; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 24 f.; Pammler Die gesellschaftsfinanzierte D&O-Versicherung im Spannungsfeld des Aktienrechts (2006) 102 ff.; Ulmer ZHR 171 (2007) 119, 122. Vgl. auch zur Stiftung Ph. Scholz ZIP 2021 1937, 1944 (sub 1.5.2.1). 148 BGH 16.3.2009 – II ZR 280/07, NJW 2009 2454 Rn. 23. 149 S. etwa Jula 74; Lange § 3 Rn. 4; vgl. auch Armbrüster VW 2/2015 54, 56. 150 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 28; Baumbach/Hueck/Beurskens GmbHG22 (2019) § 43 Rn. 169; Ihlas 595; Seitz/Finkel/Klimke/Klimke Einf. Rn. 598; a. A. offenbar Mitterlechner/Wax/Witsch § 5 Rn. 30 ff. 151 Kort DStR 2006 799, 802; Lange § 3 Rn. 4; Möhrle Gesellschaftsrechtliche Probleme der D&O-Versicherung (2007) 210 ff. 152 Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 40. Armbrüster

726

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Allg Einf AVB D&O

sich um einen Vergütungsbestandteil.153 Soweit die Gegenansicht auf das Interesse der Gesellschaft daran verweist, in Gestalt des VR einen liquiden Schuldner zu erhalten, liegt darin zwar ein wirtschaftliches Motiv dafür, den Schutz zu beschaffen und die Prämien zu tragen. Indessen wird damit verkannt, dass die Versicherung allein ein Interesse der versicherten Personen deckt (s. Rn. 89). Dies wird besonders deutlich, wenn sich der VR für eine Abwehr des vom VN gegen eine 103 versicherte Person geltend gemachten Anspruchs entscheidet. Auch aus der Regelung zum obligatorischen Selbstbehalt (§ 93 Abs. 2 S. 3 AktG; s. Rn. 128) lässt sich nicht schließen, dass die Vorstandsmitglieder allein in diesem Umfang persönlich haften müssten und die weiter gehende Haftung „vorrangig zum ‚Unternehmensrisiko‘ der Gesellschaft“154 gehöre. Dagegen spricht bereits, dass der Abschluss einer D&O-Versicherung als solche gerade nicht vorgeschrieben ist (s. Rn. 44 f.), sondern im Gegenteil § 93 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 2 AktG eine betragsmäßig unbeschränkte strenge persönliche Haftung jedes Vorstandsmitglieds anordnet.

cc) Rechtsfolgen. Für die Aktiengesellschaft hat dies folgende Auswirkungen: Zur Ent- 104 scheidung über die „Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds“ (§ 87 Abs. 1 S. 1 AktG) bzw. der „Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder“ (§ 113 AktG) ist nicht der Vorstand berufen. Er ist mithin nicht für die Entscheidung über die Beschaffung von D&O-Versicherungsschutz (im Unterschied zum nachfolgenden Vertragsschluss in Umsetzung dieser Entscheidung) zuständig. Vielmehr sind hierfür hinsichtlich des Vorstands der Aufsichtsrat (§ 87 Abs. 1 S. 1 AktG) und hinsichtlich des Aufsichtsrats die Hauptversammlung berufen (§ 113 Abs. 1 AktG).155 Gegen Letzteres wird teils eingewandt, dass die Hauptversammlung nicht mit solchen Einzelthemen belastet werden sollte. Die gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeitsregeln lassen jedoch keine Spielräume für Praktikabilitätserwägungen. Zudem erscheint es auch im Hinblick auf die mit der strengen Organhaftung bezweckte verhaltenssteuernde Wirkung durchaus sachgerecht, wenn die Entscheidung über den D&O-Versicherungsschutz – der diese Wirkung, wenn auch in zulässiger Weise (s. Rn. 40 f.), abschwächt – nicht in der Hand derer liegt, die persönlich von ihr profitieren, ohne zugleich für die Prämien aufkommen zu müssen. Hält man entgegen der hier vertretenen Ansicht das Geschäftsführungsorgan für zuständig, so kann in der Satzung oder durch den Aufsichtsrat bestimmt werden, dass D&O-Versicherungsverträge zustimmungsbedürftig i. S. v. § 111 Abs. 4 AktG sind. Ein Verstoß gegen die genannten Zuständigkeitsregeln berührt die Wirksamkeit des D&OVersicherungsvertrags nicht.156 Zwar handelt es sich bei § 113 AktG (anders als bei § 87 Abs. 1 AktG) um ein Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB.157 Ein ohne den erforderlichen Hauptversammlungsbeschluss abgeschlossener D&O-Versicherungsvertrag ist hingegen ein rechtlich selbstständiges Geschäft zwischen VN und VR, welches nach dem Schutzzweck des § 113 AktG durch den Mangel nicht berührt wird.158 Die Anforderungen an die (auch) leistungsorientierte Bemessung der Vergütung nach § 87 Abs. 1 AktG lassen sich auf das auf die D&O-Versicherung entfallende anteilige Versiche153 Armbrüster RuS 2021 30, 31; B. Krüger NVersZ 2001 8; a. A. etwa Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 7. 154 So aber Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 35. 155 Eingehend, auch zur Diskussion im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum, Armbrüster FS K. Schmidt Bd. I (2019) 23, 26 ff.; s. auch MünchHdbGesR6/Armbrüster Bd. 7 (2020) § 108 Rn. 98 ff; Fassbach/Wettich GWR 2016 199, 200. 156 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 25; B. Krüger NVersZ 2001 8 f.; a. A. Kästner AG 2000 113, 116; zweifelnd Uwe H. Schneider NJW 2017 215. 157 St. Rspr.; BGH 20.11.2006 – II ZR 279/05, NJW 2007 298 Rn. 12; MüKo-BGB/Armbrüster9 § 134 Rn. 105. 158 Armbrüster FS K. Schmidt Bd. I (2019) 23, 33; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 47. 727

Armbrüster

105

106

107

108

Allg Einf AVB D&O

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

rungsentgelt nicht ohne Weiteres anwenden. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass der VN regelmäßig Unternehmens- oder gar Konzernpolicen abschließt (s. Rn. 20). Zwar lassen sich die in solchen Policen ausgewiesenen Prämien durchaus kalkulatorisch auf die einzelnen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder umrechnen (wäre dies gar nicht möglich, würde sich von vornherein auch die Frage der Besteuerung auf der Ebene der versicherten Personen nicht stellen; zu dieser Frage s. Rn. 112 ff.).159 Indessen sind Differenzierungen hinsichtlich des Umfangs der Deckung typischerweise in den Globalpolicen nicht vorgesehen und der auf Einzelversicherungen zugeschnittene § 87 Abs. 1 AktG gebietet sie auch nicht. 109 Für die GmbH bedeutet dies, dass anstelle der Geschäftsführer stets die Gesellschafterversammlung über die Beschaffung von D&O-Versicherungsschutz zu entscheiden hat. Für eine nur durch die Treuepflicht bedingte Vorlage an die Gesellschafter ist kein Raum. 110 Für das Bilanzrecht ergeben sich folgende Konsequenzen: Die von der Gesellschaft an den VR gezahlten Prämien („Versicherungsentgelte“) sind nach § 285 Nr. 9a HGB im Anhang zum Jahresabschluss bzw. nach § 314 Abs. 1 Nr. 6a HGB im Konzernanhang anzugeben.160 Bei börsennotierten Aktiengesellschaften sind dabei die Bezüge jedes einzelnen Vorstandsmitglieds (unter Namensnennung) aufzuführen. Für die Gesamtprämie bedeutet dies, dass sie kalkulatorisch auf alle versicherten Personen umzurechnen ist. Von der hier erörterten Zuständigkeitsfrage ist die Frage zu unterscheiden, ob der Aufsichts111 rat einer AG aus gesellschaftsrechtlicher Sicht (vgl. § 93 Abs. 4 S. 3 AktG) einem Vorstandsmitglied die Kosten der Durchsetzung von dessen Deckungsanspruch gegen den VR finanzieren darf. Dies ist grds. zu bejahen.161

112 d) Steuerrechtliche Folgen. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, wonach es sich bei der D&O-Versicherungsprämie gesellschaftsrechtlich um einen Vergütungsbestandteil handelt, stellt sich die Folgefrage, inwieweit sich diese Beurteilung auch auf die Besteuerung auf der Ebene der einzelnen versicherten Person auswirkt.162 Allein der Umstand, dass die Prämien für die Gesellschaft Betriebsausgaben i. S. v. § 1 Abs. 1 KStG i. V. m. § 4 Abs. 4 EStG sind, schließt es nicht aus, sie zugleich als steuerpflichtige Einkünfte der versicherten Personen anzusehen.163 Allerdings gelten für die steuerrechtliche Beurteilung nicht zwangsläufig dieselben Maßstä113 be wie für die gesellschaftsrechtliche Einordnung. So ist im Steuerrecht insbes. häufig eine wirtschaftliche Betrachtungsweise angezeigt. Dementsprechend haben die Steuerbehörden unabhängig von der Streitfrage der gesellschaftsrechtlichen Einordnung die Prämien unter bestimmten Voraussetzungen wegen eines überwiegenden eigenbetrieblichen Interesses am Abschluss der D&O-Versicherung auf der Ebene der versicherten Personen nicht der Steuerpflicht unterworfen. Durch das BMF-Schreiben vom 24.1.2002164 und den Erlass des Landesministeriums der 114 Finanzen Niedersachsen vom 25.1.2002165 ist dies für die Praxis klargestellt worden.

159 A. A. Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 37 („schwer vorstellbar“); Ihlas 579 f.; MAH-VersR/ Sieg § 17 Rn. 54; Mitterlechner/Wax/Witsch § 5 Rn. 75; s. auch unten Abschnitt D. zur steuerrechtlichen Behandlung (Rn. 41 ff.). 160 A. A. Baumann VersR 2006 455, 463 („schwer möglich“); eine diesbezügliche Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance wurde anlässlich der Beratungen über das UMAG nicht umgesetzt; s. dazu Kremer/ Bachmann/Lutter/von Werder/Ringleb, Komm. zum Deutschen Corporate Governance Kodex 8. Aufl. (2020) Rn. 513. 161 Näher Zimmer/Simonot NZG 2016 976 ff.; vgl. auch Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-2 Rn. 10. 162 S. dazu insbes. Kästner DStR 2001 195 ff.; dies. AG 2000 113 ff. 163 Mitterlechner/Wax/Witsch § 5 Rn. 61. 164 Az IV C 5-S 2332-8/02, abgedr. DB 2002 399 f. 165 Az S-2332-161-35/S-2245-21-312, abgedr. DStR 2002 678. Armbrüster

728

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Allg Einf AVB D&O

Das BMF-Schreiben hat folgenden Wortlaut:

115

„Die von Ihnen vorgetragenen Argumente zur steuerlichen Behandlung von D&O-Versicherungen sind mit den obersten Finanzbehörden der Länder erörtert worden. Dabei wurde davon ausgegangen, dass entsprechend Ihren Darlegungen – es sich bei der D&O-Versicherung um eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung handelt, die in erster Linie der Absicherung des Unternehmens oder des Unternehmenswertes gegen Schadenersatzforderungen Dritter gegenüber dem Unternehmen dient, die ihren Grund in dem Tätigwerden oder Untätigbleiben der für das Unternehmen verantwortlich handelnden und entscheidenden Organe und Leitungsverantwortlichen haben, – die D&O-Verträge besondere Klauseln zur Firmenhaftung oder sog. Company Reimbursement enthalten, die im Ergebnis dazu führen, dass der Versicherungsanspruch aus der Versicherungsleistung dem Unternehmen als Versicherungsnehmer zusteht, – des weiteren die D&O-Versicherungen dadurch gekennzeichnet sind, dass • regelmäßig das Management als Ganzes versichert ist und Versicherungsschutz für einzelne Personen nicht in Betracht kommt • Basis der Prämienkalkulation nicht individuelle Merkmale der versicherten Organmitglieder sind, sondern Betriebsdaten des Unternehmens und dabei die Versicherungssummen deutlich höher sind als typischerweise Privatvermögen. Für diesen Typ D&O-Versicherung ist nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder von einem überwiegend eigenbetrieblichen Interesse auszugehen. Ein überwiegend eigenbetriebliches Interesse ist hingegen zu verneinen, wenn Risiken versichert werden, die üblicherweise durch eine individuelle Berufshaftpflichtversicherung abdeckt werden.“

Die Beschreibung des Versicherungsschutzes für „diesen Typ D&O-Versicherung“ – Absicherung 116 des Unternehmens gegen Schadensersatzforderungen Dritter gegenüber dem Unternehmen aufgrund des Handelns von Organmitgliedern usw. – passt nicht auf die heute üblichen Gestaltungen, bei denen Innenhaftungsansprüche nicht ausgeschlossen oder lediglich beschränkt gedeckt sind. So differenziert Ziff. A-1 AVB D&O nicht zwischen Außen- und Innenhaftung, und die Innenhaftung steht in der Praxis ganz im Vordergrund (s. Rn. 11; Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 8). Es liegt allerdings nahe anzunehmen, dass die Annahme eines überwiegenden eigenbetrieblichen Interesses aus der Perspektive des BMF im Hinblick auf die Deckung von Innenhaftungsansprüchen erst recht zutrifft.166 Die Einbeziehung der Company Reimbursement Clause (Ziff. A-3 AVB D&O, Side B-Deckung; s. Rn. 119) in den einheitlichen Deckungsschutz der Police bietet ein zusätzliches Argument für diese Einschätzung,167 wenngleich der daraus erwachsende Anspruch des VN praktisch weniger bedeutsam ist als die Side A-Deckung. Offenbar orientiert sich die Praxis der Finanzbehörden an dem zitierten BMF-Schreiben. 117 Gegenteilige Entscheidungen von Finanzgerichten sind nicht ersichtlich.168 Auch im Schrifttum wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass die versicherten Personen nicht steuerlich belastet werden.169 Würden die anteiligen Prämien hingegen der Einkommenbesteuerung unterworfen, so stünde dem ein möglicher Abzug als Werbungskosten gegenüber.170

Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 44. Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 23. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 44. Loritz/Wagner DStR 2012 2205, 2209 f.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 52 ff. (auch unter Hinweis auf FG Hamburg 4.11.2014 – 2 K 95/14, EFG 2015 393 betr. Berufshaftpflichtversicherung der GmbH für ihre angestellten Anwälte); Mitterlechner/Wax/Witsch § 5 Rn. 57 ff., 80; s. auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 7 a. E.; a. A. etwa Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 367. 170 Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 367.

166 167 168 169

729

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

118 e) Insolvenzrechtliche Folgen. In der Insolvenz der versicherten Person steht dem Geschädigten analog § 110 VVG ein Absonderungsrecht zu.171

II. Company Reimbursement Clause (Side B) 119 Die in Ziff. A-3 AVB D&O geregelte sog. Company Reimbursement Clause stellt die sog. Side B-Deckung (Clause 2, „Firmen-Enthaftungsversicherung“) dar (s. eingehend Ziff. A-3 AVB D&O Rn. 1 ff.). Dadurch wird dem VN und seinen Tochtergesellschaften Deckungsschutz für den Fall versprochen, dass eine dieser Gesellschaften eine versicherte Person i. S. der Side A-Deckung nach Ziff. A-1 AVB D&O aufgrund einer wirksamen Freistellungsverpflichtung von der Inanspruchnahme durch (außenstehende) Dritte freigestellt hat. Dabei handelt es sich nach dem hier vertretenen Verständnis um eine Versicherung „wen es angeht“ gem. § 48 VVG (s. Ziff. A-3 AVB D&O Rn. 9).

III. Vermögenshaftpflichtversicherung für die Gesellschaft (Side C) 120 Die sog. Side C-Deckung (Clause 3, Entity Coverage, Unternehmens-Deckung) betrifft das Interesse des VN (und ggf. seiner Tochtergesellschaften) daran, nicht wegen der eigenen Inanspruchnahme durch Dritte aufgrund eines Vermögensschadens einen wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden (s. auch Rn. 28 zur E&O-Versicherung). Dabei geht es i. d. R. um Ansprüche Dritter auf den Ersatz von Vermögensschäden aus Börsengängen, Kapitalerhöhungen oder USamerikanischen Anlegerklagen.172 Es handelt sich um eine Eigenversicherung des VN. Im Kern bewirkt die Side C-Deckung die Absicherung von Haftungsrisiken des VN und sei121 ner Tochtergesellschaften gegenüber Dritten aus einem sog. SEC-Wertpapiergeschäft (SEC = Securities and Exchange Commission, d. h. die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde).173 Es handelt sich um eine Eigenversicherung des VN, die im Hinblick auf seine Tochtergesellschaften mit einer Fremdversicherung kombiniert wird. Diese Vermögenshaftpflichtversicherung stellt eine Absicherung von originären Haftungsrisiken der Gesellschaft selbst dar. Sie ist damit eine typologisch von der die D&O-Versicherung prägenden Side A-Deckung als einer ausschließlichen Fremdversicherung zugunsten von Organwaltern usw. (s. Rn. 89) zu unterscheidende Deckung.174 Für die versicherten Personen, um deren Absicherung es insoweit nicht geht, wirkt sich 122 die Einbeziehung der Side C-Deckung in eine D&O-Police folgendermaßen aus: Leistet der VR an einen geschädigten Dritten (z. B. Kapitalanleger), so erbringt er damit eine Leistung aufgrund der Side C-Deckung an den VN. Damit entfällt zugleich der Regressanspruch des VN gegen die versicherte Person (Innenhaftung). Ein Rückgriff des VR gegen die versicherte Person scheidet von vornherein aus, da es sich bei letzterer nicht um einen Dritten i. S. v. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG handelt. Allerdings ist die Einbeziehung der Side-C-Deckung in die D&O-Police für die versicherten Personen insofern nachteilig, als sich dadurch vorbehaltlich separater Deckungsstrecken die für sie verfügbare Deckungssumme reduzieren kann. In den AVB D&O ist die Side C-Deckung anders als die Side B-Deckung (s. Ziff. A-3 AVB D&O) nicht vorgesehen. Sie bildet auch jenseits der Musterbedingungen in der Praxis eher die Ausnahme.175 171 172 173 174

Prölss/Martin/Voit Ziff. A-8.1 AVB D&O Rn. 1 a. E. Lange VersR 2011 429, 430 Fn. 5; Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 24 ff. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 217. Krit. zur vertragstechnischen Einbeziehung in die D&O-Versicherung Ihlas S. 328; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/ Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 218 (Schicksalsgemeinschaft werde „systemfremd auf die VN erweitert“); s. auch in Bezug auf die E&O-Versicherung (s. Rn. 28) Dißers VersR 2009 1340, 1341 („andere Schutzrichtung“). 175 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 219. Armbrüster

730

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Allg Einf AVB D&O

IV. Eigenschadenversicherung Bisweilen werden in die AVB zur D&O-Versicherung sog. Eigenschadenklauseln aufgenommen. 123 Dabei handelt es sich um Deckungsbausteine, die dem VN unabhängig von einer Haftung versicherter Personen die Absicherung eigener Vermögensrisiken bieten. Es handelt sich um eine Eigenversicherung des VN. Sie soll in solchen Fällen eingreifen, in denen eine Freistellung nach der Side A-Deckung der D&O-Versicherung (s. Rn. 16, 86 ff.) nicht stattfindet, weil die versicherte Person nicht haftet. Die entsprechenden Tatbestände einer fehlenden Haftung der versicherten Personen sind 124 in den üblichen Klauseln im Einzelnen aufgelistet. Sie können etwa den Verzicht des VN auf Ansprüche, eine fehlende Durchsetzbarkeit aufgrund einer Entlastung oder den Fall, dass die versicherte Person zugleich für ein anderes versichertes Unternehmen tätig ist und von diesem eine Haftungsfreistellung verlangen kann, betreffen.176 Auch das Nichtbestehen einer Haftung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs kann die Eintrittspflicht des VR aufgrund einer Eigenschadenklausel auslösen.177 Solche Eigenschadenklauseln entfernen sich deutlich vom klassischen Zuschnitt der D&O- 125 Versicherung als einer Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung (s. auch Rn. 3, 91). Sie dienen nämlich nicht dazu das Haftpflichtinteresse der potentiell haftpflichtigen Organmitglieder abzusichern, sondern allein das Bilanzschutzinteresse des VN.178 Gegen Eigenschadenklauseln werden daher gewichtige systematische Bedenken erhoben.179 Zudem drohen Probleme im Hinblick auf Fragen wie den Eintritt des Versicherungsfalls, den Umgang mit Obliegenheiten und die Nachhaftung.180 Diese Schwierigkeiten lassen sich freilich zumindest in gewissem Umfang durch eine sachgerechte Gestaltung der Klausel sowie im Wege der Auslegung bewältigen.181 Zusätzlich stellen sich dann, wenn die Deckung auch auf den Fall erstreckt wird, dass die versicherte Person haftet, die Fragen, inwieweit ihr die Leistung des VR an den VN zugutekommt182 und ob bei der AG gegen die Regeln zum obligatorischen Selbstbehalt verstoßen wird.

V. Individualpolice (Einzelpolice) des Organmitglieds 1. Überblick Alternativ oder in Ergänzung zur Unternehmenspolice als einer alle Organmitglieder erfassen- 126 den Globalpolice kommt es in Betracht, dass das Organmitglied eine Individualpolice (Einzelpolice) abschließt.183 In diesem Fall handelt es sich regelmäßig nicht um eine Fremd-, sondern um eine Eigenversicherung, bei der mithin VN und Träger des versicherten Haftpflichtinteresses identisch sind. Bei Einzelpolicen wird die Prämie meist von der Gesellschaft erstattet (sog. unechte Individual- oder Einzelpolice). In der Praxis sind sog. echte Individual- oder Einzelpolicen, bei denen der VN auch die 127 Prämie selbst trägt, bislang selten.184 Dies gilt allerdings nicht für die Selbstbehaltsversicherung, bei der eine Finanzierung der Prämien durch die Gesellschaft unzulässig ist (s. Rn. 130). 176 177 178 179

Klotz RuS 2020 425, 426. Cyrus NZG 2018 7, 10; Fortmann NJW 2020 3064 f. Klotz RuS 2020 425, 426. Bonn D&O-Versicherung und Eigenschadendeckung (2017) 36 f., 50 f.; Cyrus NZG 2018 7, 9 f. („wesensfremd“); Lange VersR 2011 429, 434. 180 Näher Cyrus NZG 2018 7, 10 f. 181 Instruktiv Klotz RuS 2020 425, 427 ff.; s. auch Cyrus NZG 2018 7, 10. 182 S. dazu Fortmann NJW 2020 3064, 3065 ff. 183 Näher zum Folgenden Armbrüster NJW 2016 897, 898 ff. 184 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 10 a. E., 17. 731

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Insoweit hat die echte Einzelpolice eine größere Bedeutung erlangt. In jüngerer Zeit werden als Einzelpolicen auch sog. Anfechtungs- bzw. D&O-Schutzpolicen angeboten, die den redlichen Organmitgliedern für den Fall Versicherungsschutz bieten soll, dass ein VR einer Unternehmenspolice diese wegen arglistiger Täuschung anficht (s. Rn. 134).

2. Selbstbehaltsversicherung 128 Schließt eine Aktiengesellschaft eine D&O-Versicherung ab, so schreibt § 93 Abs. 2 S. 3 AktG für Vorstandsmitglieder einen obligatorischen Selbstbehalt in Höhe von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der jährlichen Fixvergütung vor. Mit dieser Regelung beabsichtigte der Gesetzgeber sicherzustellen, dass trotz Bestehens einer D&O-Versicherung die verhaltenssteuernde Wirkung der Haftung nach § 93 AktG (vgl. Rn. 40) zur Geltung kommt.185 Die AVB-D&O greifen die gesetzliche Vorgabe in Ziff. A-6.5 Abs. 2 auf (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 160). Für Aufsichtsratsmitglieder besteht keine entsprechende gesetzliche Vorgabe; dies beruht 129 auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers.186 Auch der DCGK spricht in der neuesten Fassung (Stand: 16.12.2019) keine Empfehlung zum Selbstbehalt in der D&O-Versicherung mehr aus (anders in Vorfassungen, zuletzt Ziff. 3.8 Abs. 3 DCGK [Stand: 7.2.2017]; s. auch Rn. 56). Damit entfällt auch für börsennotierte Aktiengesellschaften die Offenlegungs- und Begründungspflicht nach § 161 AktG.187 Weiter gehend sieht Ziff. 4.3.2 des Public Corporate Governance Kodex (PCGK) des Bundes vor, dass dann, wenn ein öffentliches Unternehmen eine D&OVersicherung abschließt, auch jenseits des Anwendungsbereichs von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG im selben Umfang ein Selbstbehalt vereinbart werden soll (s. Rn. 53). 130 Mittlerweile ist es anerkannt, dass auch ein solcher Selbstbehalt durch eine D&O-Versicherung abgedeckt werden kann (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 186). Diese Selbstbehaltsversicherung (zu Einzelheiten und Musterbedingungen s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 186 ff.) darf allerdings nicht von der Gesellschaft abgeschlossen werden, und sie darf dem Vorstandsmitglied auch die Prämien nicht vorschießen oder erstatten. Vielmehr muss das Vorstandsmitglied sich selbst um die Beschaffung und Finanzierung des Versicherungsschutzes kümmern.

3. Sonstige Einzelpolicen 131 Jenseits der Selbstbehaltsversicherung für Vorstandsmitglieder kommt eine Eigenversicherung auch dann in Betracht, wenn ein Organmitglied Wert darauf legt, unabhängig von Abschluss, Aufrechterhaltung und Auskömmlichkeit einer Unternehmenspolice abgesichert zu sein. Dies kann bereits die Grunddeckung betreffen, etwa wenn die Gesellschaft gar keine D&O-Versicherung unterhält oder wenn das Organmitglied befürchtet, dass die Versicherungssumme sich im Schadensfall als unzureichend erweisen könnte. 132 Allerdings sind solche Eigenversicherungen in der Praxis bislang selten.188 Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass die Prämie im Vergleich zur anteiligen Prämie einer Unternehmens-

185 BT-Rechtsausschuss, Begr. zu § 93 II 3 AktG n. F., BTDrucks. 16/13433 S. 11; zweifelnd Gädtke VersR 2008 1565, 1570 (empirischer Befund jedenfalls „zu dünn“ für Verbot der Selbstbehaltsversicherung); s. auch Dauner-Lieb/ Tettinger ZIP 2009 1555, 1557; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 87 ff. 186 Vgl. BT-Rechtsausschuss, Begr. zu § 116 S. 1 AktG, BTDrucks. 16/13433 S. 11: „mit Ausnahme des Abs. 2 S. 3“ AktG. Vgl. auch Thüsing ZIP 2020 2500, 2502. 187 Zur früheren Rechtslage s. Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 39. 188 Dreher FS Bergmann (2018) 145, 147; Ihlas 334 f.; Mitterlechner/Wax/Witsch § 2 Rn. 7. Armbrüster

732

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Allg Einf AVB D&O

oder Konzernpolice hoch ist.189 Weitere Nachteile sind die typischerweise niedrigere Versicherungssumme und eine geringere Verhandlungsmacht des einzelnen Organmitglieds im Vergleich zur Gesellschaft. Nicht zuletzt gilt es zu bedenken, dass insbes. dann, wenn verschiedene Organmitglieder bei unterschiedlichen VR Versicherungsschutz beschaffen, die Abwicklung von Schadensfällen, für die mehrere Organmitglieder belangt werden, erschwert wird.190 Es kommt aber auch in Betracht, dass ein von der Grunddeckung nicht erfasstes spezielles Ri- 133 siko gedeckt werden soll. Ein Beispiel bietet die Haftung nach § 15b InsO auf Rückzahlung von nach Eintritt der Insolvenzreife erfolgten Leistungen (s. dazu auch Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 68). Einen besonderen Fall einer ergänzenden Deckung stellt die Anfechtungs- oder D&O- 134 Schutzpolice dar (vgl. zur Arglistanfechtung durch den VR Ziff. B3-1.6 AVB D&O und dazu Ziff. B3 AVB D&O Rn. 50 ff.). Dabei geht es um das Risiko, dass dem Organmitglied der Schutz aus der Unternehmenspolice verloren geht, weil der VR diese erfolgreich wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 BGB anficht, sodass der Versicherungsvertrag von Anfang an (§ 142 Abs. 1 BGB) nichtig ist. Eine solche Anfechtung ist dem VR aufgrund von § 22 VVG ungeachtet seiner Rechte aus § 19 VVG möglich. Wer als versicherte Person nicht an der Täuschung beteiligt war, muss die Folgen im Verhältnis zum VR gleichwohl tragen.191 Ein Schadensersatzanspruch gegen den Täuschenden wird in der Praxis oft nicht durchsetzbar sein. Eine Einzelpolice, die das redliche Organmitglied im Umfang des nach der Unternehmenspolice vereinbarten Schutzes absichert, soll diese Lücke füllen.192 Verpflichtet sich die Gesellschaft gegenüber dem Organmitglied dazu, ihm die Prämien für die 135 Einzelpolice zu erstatten, so ist dies außerhalb des Anwendungsbereichs von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG zulässig. Es handelt sich dann um eine sog. unechte Einzelpolice, im Gegensatz zur echten Einzelpolice, bei der das Organmitglied die Prämie endgültig aus seinem eigenen Vermögen trägt (s. Rn. 130).193 Die Erstattung ist dann als Vergütungsbestandteil zu qualifizieren, sodass die dafür geltenden gesellschaftsrechtlichen Vorgaben zu beachten sind (s. insbes. § 87 Abs. 1 S. 1 AktG, wo „Versicherungsentgelte“ ausdrücklich aufgeführt werden; vgl. dazu auch Rn. 110).

VI. Differenzierungen nach Personengruppen 1. Sublimits Bisweilen wird innerhalb einer Globalpolice zwischen verschiedenen Gruppen von versicherten 136 Personen dahin gehend differenziert, dass unterschiedliche Sublimits vorgesehen werden.194 In Betracht kommt dies etwa für die Mitglieder des Vorstands einerseits und des Aufsichtsrats andererseits. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die verfügbare Versicherungssumme nicht bereits durch eine – womöglich vorrangig in Anspruch genommene – Personengruppe ausgeschöpft ist, bevor die andere von dem Versicherungsschutz profitieren kann.

2. Separate Aufsichtsrats-Police a) Ausgangslage. In verschiedenen Situationen kann es dazu kommen, dass Aufsichtsrats- 137 mitglieder trotz bestehender D&O-Police für einen konkreten Schadensfall nur unzureichen189 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 Rn. 10 a. E.; a. A. Schmuckermeier ZfS 2018 551, 553 (die Prämien unterschieden sich wegen der gesamtschuldnerischen Haftung bei der Unternehmenspolice „nicht signifikant“). 190 Näher Dreher FS Bergmann (2018) 145, 149 ff. 191 OLG Düsseldorf 23.8.2005 – I-4 U 140/04, VersR 2006 785, 786. 192 Vgl. Liedtke VersPrax 2012 229, 232 f. 193 Zur Terminologie s. bereits Bruck/Möller/Baumann9 Einl. AVB-AVG 2011/2013 Rn. 6. 194 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 139. 733

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

den oder gar keinen Versicherungsschutz erlangen.195 So kann die zur Verfügung stehende Summe bereits infolge einer Inanspruchnahme von Vorstandsmitgliedern verbraucht sein, oder der Versicherungsschutz entfällt infolge einer Anfechtung durch den VR, der bei Vertragsschluss durch ein Vorstandsmitglied arglistig getäuscht wurde. 138 Um in derartigen Situationen eine Schutzlosigkeit der Aufsichtsratsmitglieder zu verhindern, werden am Markt verschiedene (Makler-)Konzepte angeboten. Dazu zählen insbesondere separate „Türme“ oder Policen für Vorstandsmitglieder einerseits sowie Aufsichtsratsmitglieder andererseits. Damit soll zugleich möglichen Interessenkonflikten des VR (s. Rn. 22) begegnet werden.196 Die Konzepte sind nicht allein für die AG, sondern auch für andere dualistisch strukturierte Unternehmensträger mit separaten Leitungs- und Kontrollorganen gedacht. Zu nennen sind etwa die mitbestimmte GmbH (§ 52 Abs. 2 GmbHG) und die GmbH, deren Satzung einen Aufsichtsrat vorsieht (§ 52 Abs. 1 GmbHG).

139 b) „Twin-Tower“-Police. Die sog. Twin-Tower-Police (oder Two-Tower-Police) sieht von vornherein getrennte Versicherungssummen für Vorstandsmitglieder einerseits, Aufsichtsratsmitglieder andererseits vor.197 Hier geht es im Wesentlichen darum, den Aufsichtsratsmitgliedern eine auskömmliche Deckung in solchen Schadensfällen, für die außer ihnen auch Vorstandsmitglieder in Anspruch genommen werden, zu gewährleisten.

c) „Two-Tier-Trigger“ (TTT)-Police 140 aa) Überblick. Bei der sog. Two-Tier-Trigger-Police lösen in den AVB näher definierte konfliktträchtige Situation einen besonderen Versicherungsfall („Trigger“) aus. Die Folge ist, dass eine eigenständige Versicherungssumme allein für die Mitglieder des Aufsichtsrats bereit steht. Hierdurch soll außer einer unzureichenden Versicherungssumme insbes. möglichen Interessenkonflikten des VR vorgebeugt werden, wie sie im Fall einer Streitverkündung auftreten können (s. Rn. 22). Daher sehen die (Makler-)Konzepte vor, dass die eigenständige Versicherungssumme von einem anderen VR als demjenigen der Grunddeckung bereitgestellt werden.

141 bb) Trigger. Die einzelnen Trigger einer Two-Tier-Trigger-Police können etwa sein:198 Erschöpfung der Versicherungssumme, Streitverkündung von Vorstands- gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern (s. Rn. 22),199 Arglistanfechtung des Vertrags durch den VR, Inanspruchnahme durch einen besonderen Vertreter gem. § 147 Abs. 2 S. 1 AktG.200

142 (1) Erschöpfung der Versicherungssumme. Die Gefahr, dass sich die Versicherungssumme für einen konkreten Schadensfall als unzureichend erweist, betrifft insbes. die Aufsichtsratsmitglieder einer AG. Werden sie nicht zeitgleich mit den Vorstandsmitgliedern, sondern erst anschließend – nachdem der Vorwurf haftungsbegründender Pflichtverletzungen der Vorstandsmitglieder konkretisiert und erhärtet wurde – wegen Überwachungsverschulden in Anspruch genommen, so kann es sein, dass die bis dahin für die Vorstandsmitglieder entstandenen Abwehrkosten bereits wesentliche Teile der Versicherungssumme aufbrauchen. Dies liegt nicht 195 196 197 198 199 200

Armbrüster NJW 2016 897, 898 f. Armbrüster NJW 2016 897, 898 f. v. Schenck NZG 2015 494, 500; krit. zu diesem Konzept Dreher FS Baums (2017) 325 ff. MünchHdbGesR6/Armbrüster Bd. 7 (2020) § 108 Rn. 10 ff.; Armbrüster NJW 2016 897, 899. Dazu eingehend Kocher/von Falkenhausen AG 2016 848 ff.; s. auch Wettich AG 2015 681, 684. Insoweit krit. zum TTT-Konzept MünchHdbGesR6/Armbrüster Bd. 7 (2020) § 108 Rn. 13.

Armbrüster

734

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

Allg Einf AVB D&O

zuletzt daran, dass etwaige Überwachungspflichtverletzungen von Mitgliedern des Aufsichtsrats häufig erst dann in den Blick geraten. Dies gilt insbes. bei komplexen Schadensfällen. Die üblichen sog. Kostenanrechnungsklauseln (s. Ziff. A-6.4 S. 2 AVB D&O und dazu 143 Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 115 ff.) bewirken, dass diese Abwehrkosten in vollem Umfang auf die vereinbarte Versicherungssumme anzurechnen sind. Die verfügbare Summe wird durch die üblichen Serienschadenklauseln (s. Ziff. A-6.6 lit. b AVB D&O) weiter reduziert, da es genügt, dass mehrere Pflichtverletzungen mehrerer Personen demselben Sachverhalt zuzuordnen sind (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 317 ff.).

(2) Streitverkündung. Verkünden Vorstandsmitglieder Aufsichtsratsmitgliedern den Streit, so 144 führt dies für den VR zu einem Interessenkonflikt (s. Rn. 159). In einem solchen Fall dient der entsprechende Trigger in der TTT-Police nicht dazu, die streitverkündeten Aufsichtsratsmitglieder vor einer quantitativen Beschränkung ihres Versicherungsschutzes zu bewahren, sondern dessen Qualität sicherzustellen. Da ein anderer VR als derjenige leistungspflichtig ist, der zugleich für die Vorstandsmitglieder handelt, entfällt der erwähnte Interessenkonflikt. (3) Arglistanfechtung durch den VR. Ficht der D&O-Versicherer den Versicherungsvertrag 145 erfolgreich gem. § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung an (s. dazu auch Rn. 137), stellt dies einen weiteren Trigger der TTT-Police dar. Ein typischer Anfechtungsgrund besteht darin, dass ein zum Abschluss der D&O-Versicherung zuständiges Organmitglied den VR durch unrichtige Angaben (zB gefälschte Bilanzen)201 arglistig getäuscht und so zum Vertragsschluss motiviert hat. Die Anfechtung führt regelmäßig zur (Gesamt-)Nichtigkeit des Versicherungsvertrags ex tunc (§ 142 Abs. 1 BGB). Damit wird auch den an der Täuschung unbeteiligten Aufsichtsratsmitgliedern der Versicherungsschutz entzogen.202 Eine separate Aufsichtsrats-Police vermag die Folgen jener Nichtigkeit des Vertrages abzumildern. Allerdings löst die TTT-Police das Problem lediglich für die darin begünstigten Personen, 146 typischerweise also für die Mitglieder des Aufsichtsrats. Von der Nichtigkeit des Vertrags sind hingegen auch alle weiteren versicherten Personen betroffen, die an der Täuschung nicht beteiligt waren, wie etwa die übrigen Vorstandsmitglieder oder leitende Angestellte (zur Wissenszurechnung s. Ziff. A-5 AVB D&O Rn. 21 ff.).203 Der genannte Trigger vermag mithin zwar als Teil eines umfassenderen Schutzes von Auf- 147 sichtsratsmitgliedern zu fungieren. Im Hinblick auf die genannten von einer Vertragsnichtigkeit betroffenen sonstigen Personenkreise bleibt hingegen nur der Ausweg einer separaten Police (s. Rn. 137), sofern sie nicht durch Regelungen in der Unternehmenspolice (insbes.: severability clause; s. dazu Ziff. A-5 AVB D&O Rn. 34; Beschränkung der Wissenszurechnung; vgl. Ziff. A-5 AVB D&O Rn. 21 ff.) vor den Auswirkungen einer Anfechtung bewahrt werden.204 (4) Besonderer Vertreter. Die Hauptversammlung kann nach § 147 AktG beschließen, dass 148 Ersatzansprüche gegen die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder geltend gemacht werden sollen; sie kann dafür besondere Vertreter bestellen. Als Grund dafür, in einer solchen Beschlussfassung einen weiteren Trigger der TTT-Police zu sehen, wird teils angeführt, dass auch hier

201 202 203 204 735

S. etwa den Sachverhalt bei OLG Düsseldorf 23.8.2005 – I-4 U 140/04, VersR 2006 785. OLG Düsseldorf 23.8.2005 – I-4 U 140/04, VersR 2006 785, 786 f. Reichert/Suchy NZG 2017 88, 91 (sub 3). Reichert/Suchy NZG 2017 88, 91 (sub 3). Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

C. Erscheinungsformen der D&O-Versicherung

beim VR ein Interessenkonflikt drohe, wenn er gleichzeitig Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern Abwehrrechtsschutz bieten und ihre insoweit gegenläufigen Interessen vertreten müsse.205 Indessen ist darin keine Auswirkung der Bestellung eines besonderen Vertreters zu sehen. Vielmehr drohen vergleichbare Interessenkonflikte etwa auch dann, wenn ehemalige Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder gleichzeitig in Anspruch genommen werden sollen, ohne dass dazu ein Hauptversammlungsbeschluss nach § 147 Abs. 1 S. 1 AktG vorliegt. Auch der Zweck des § 147 AktG gebietet es nicht, gerade für den Fall der Inanspruchnahme einer versicherten Person durch einen besonderen Vertreter gem. § 147 Abs. 2 S. 1 AktG eine separate D&O-Versicherung für die Aufsichtsratsmitglieder vorzusehen.206

149 d) Zusammenfassende Bewertung. Die Abkehr von einer Globalpolice kann für versicherte Personen (insbes.: Aufsichtsratsmitglieder) einen Zugewinn an Deckungsschutz bieten. Allerdings führt die Aufteilung der Risiken in verschiedene Versicherungsverhältnisse dann in mehrfacher Hinsicht zu Schwierigkeiten, wenn – wie bei der TTT-Police vorgesehen (s. Rn. 140 ff.) – unterschiedliche VR Deckungsschutz versprechen: Anders als bei einer Globalpolice lässt sich die Rolle des VR als Konfliktvermittler kaum noch realisieren. Zudem droht eine Vervielfachung der Streitigkeiten (und im Prozess: der Streitverkündungen, während Schiedsverfahren (zu ihnen s. Rn. 160) sogar praktisch undurchführbar werden dürften), wenn für ein und denselben Haftpflichtfall mehrere voneinander unabhängige VR eine Regulierung vorzunehmen haben. So kann etwa ein „seine“ versicherte Person freistellender VR gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG Rückgriff gegen mitverantwortliche Dritte nehmen, zu denen im Unterschied zur Lage bei einer Globalpolice (vgl. Ziff. A-8 AVB D&O Rn. 14) auch andere Organmitglieder gehören. Weitere Komplikationen drohen etwa durch unterschiedliche AVB der verschiedenen VR sowie im Hinblick auf Deckungslücken207 und Mehrfachversicherung. 150 Vermeiden lassen sich diese Probleme, wenn der Versicherungsschutz bei einem VR verbleibt, aber Sublimits für jedes Organ oder eine eigene zusätzliche Deckungssumme für den Aufsichtsrat vorgesehen werden. Damit lässt sich jedenfalls der Sorge von Aufsichtsratsmitgliedern begegnen, dass die verfügbare Versicherungssumme bereits durch Leistungen an die Vorstandsmitglieder aufgebraucht sein könnte, bevor sie zum Zuge kommen.208 Allein eine Erhöhung der Versicherungssumme der Globalpolice209 würde insoweit hingegen nicht weiterhelfen.

3. Verhaltensabhängige Prämientarife 151 Im Schrifttum210 wird vorgeschlagen, durch den Einsatz von Compliance-Management-Systemen zu verhaltensabhängigen Tarifen für D&O-Versicherungen zu gelangen. Damit wird eine Entwicklung aufgegriffen, die bereits in anderen Versicherungssparten Einzug gehalten hat. Beispiele bieten Telematiktarife in der Kfz-Versicherung211 oder auch Anreizsysteme für gesundheitsbewusstes Verhalten in der Personenversicherung.212

205 206 207 208 209 210 211 212

Fassbach AR 2013 26, 28; Reichert/Suchy NZG 2017 88, 91 (sub 4). Näher MünchHdbGesR6/Armbrüster Bd. 7 (2020) § 108 Rn. 13. Vgl. etwa Fassbach BOARD 2014 156 (beim Twin Tower-Konzept kein Deckungsschutz für Altfälle). Armbrüster NJW 2016 897, 899 f. Dafür Düppe VW 10/2014 121. Rack CB 2017 347. S. dazu Brand VersR 2019 725 ff. S. dazu Rudkowski VersR 2020 1016 ff.

Armbrüster

736

D. Verfahrensfragen

Allg Einf AVB D&O

D. Verfahrensfragen I. Wege zur Streitbeilegung 1. Überblick Wird dem VR der Eintritt eines Versicherungsfalls angezeigt und entscheidet er sich für Abwehr, 152 so schaltet er regelmäßig gesellschafts- und versicherungsrechtlich spezialisierte Anwaltskanzleien ein.213 Der VN mandatiert seinerseits entsprechende Kanzleien. Die dadurch entstehenden Kosten kann der VN nicht als Abwehrkosten vom D&O-Versicherer ersetzt verlangen; in Betracht kommt allerdings eine Geltendmachung als Schadensersatz. Der VR kann aufgrund seiner Regulierungs- und Prozessführungsvollmacht (s. Ziff. A-6.2 AVB D&O) das Verfahren steuern. Dabei steht in der Praxis die außergerichtliche Streitbeilegung im Vergleichswege im Vordergrund.214

2. Verfahren vor staatlichen Gerichten a) Bedeutung gerichtlicher Streitbeilegung. Die Parteien streiten eher selten vor staatli- 153 chen Gerichten. Dementsprechend sind nur wenige instanzgerichtliche und insbes. höchstrichterliche Entscheidungen veröffentlicht; diese betreffen i. d. R. eine GmbH als VN. Jüngst ist das einstweilige Verfügungsverfahren (§ 940 ZPO) durch mehrere Entscheidungen des OLG Frankfurt/M. stärker ins Blickfeld gerückt (s. § 100 Rn. 38-40; A-6 AVB D&O Rn. 19). Der BGH hat sich vereinzelt zur Wirksamkeit von AVB geäußert. So hat er eine Klausel für unwirksam erklärt, wonach der Versicherungsschutz im Falle einer Neubeherrschung ohne Weiteres endet (s. Ziff. A-5.3 AVB D&O Rn. 72; näher zur Neubeherrschung Ziff. B3 AVB D&O Rn. 85 ff.).215 Wichtige weitere Entscheidungen betreffen insbes. die (bejahte) Abtretbarkeit des Frei- 154 stellungsanspruchs durch eine versicherte Person an den VN216 (s. Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 9) und die (gleichfalls bejahte) Einbeziehung von Ansprüchen des Insolvenzverwalters über das Vermögen des VN gegen versicherte Personen nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. (§ 15b InsO) in den Deckungsumfang217 (s. Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 68). Entschieden wurde auch, dass die einem Anerkenntnis gleichstehende widerspruchslose Feststellung des Anspruchs zur Insolvenztabelle den VR nicht bindet (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 30).218 Mehrere Entscheidungen sind zur Stellung von VN und versicherten Personen ergangen. Dabei geht es um die Deckungsklage des VN bei Untätigkeit der versicherten Person219 (s. Ziff. A-8 AVB D&O Rn. 12) sowie um die Ausübung der Rechte durch versicherte Personen bei Insolvenz des VN.220 Von Bedeutung für die D&O-Versicherung sind darüber hinaus auch Entscheidungen zur 155 allgemeinen Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung (zu ihr s. Rn. 26). So hat der BGH in diesem Kontext zum Begriff der wissentlichen Pflichtverletzung Stellung bezogen, der auch für

213 Peltzer FS H.P. Westermann (2008) 1256, 1267. 214 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 115; Peltzer NZG 2009 974 f. (mit rechtstatsächlichen Informationen); MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 18; s. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 38 a. E. BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506 Rn. 18 m. Anm. R. Koch. BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 17. BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, VersR 2021 113 m. Anm. Armbrüster RuS 2021 30 f. und Witsch DZWIR 2021 147. BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 11 ff. BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 m. Anm. Seitz NJW 2017 2468 f. BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 m. Anm. Buntenbroich/Schneider RuS 2020 270 und Anm. Armbrüster NJW 2020 1887 f.; s. dazu auch Orlikowski-Wolf RuS 2021 365 ff.

215 216 217 218 219 220

737

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

D. Verfahrensfragen

den entsprechenden Risikoausschluss in den AVB D&O sehr bedeutsam ist (s. A.7.1 AVB D&O und dazu Ziff. A-7 AVB D&O Rn. 32 ff.).221

156 b) Streitbeitritt; Streitverkündung. Im Verfahren vor staatlichen Gerichten ist die prozessrechtliche Interventionswirkung (§ 68 ZPO) bedeutsam. Sie kann durch einen Streitbeitritt (Nebenintervention nach § 66 ZPO)222 oder durch eine Streitverkündung (§§ 72, 74 ZPO) ausgelöst werden.223 Die dadurch erreichte Bindungswirkung tritt neben diejenige Bindung, welche die Entscheidung des Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozess hat (s. dazu Rn. 164). Ein Streitbeitritt kann auch durch den VR erfolgen. Er kann damit insbes. einer versicher157 ten Person, die von einem Dritten (z. B. Insolvenzverwalter über das Vermögen des VN) in Anspruch genommen wird, als Nebenintervenient zur Seite stehen (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 84).224 Eine Streitverkündung kommt in der Praxis insbes. in der Weise vor, dass Vorstandsmit158 glieder Aufsichtsratsmitgliedern den Streit verkünden.225 Damit können sie das Ziel verfolgen, sich wegen der Bindungswirkung gem. §§ 74, 68 ZPO226 einen gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB zu sichern. Zwar wird verbreitet angenommen, dass die Vorstandsmitglieder den Schaden im Innenverhältnis grds. allein zu tragen haben, wenn den Aufsichtsratsmitgliedern lediglich ein Überwachungsverschulden zur Last fällt.227 Dies ist im Grundsatz auch zutreffend (vgl. die Wertung des § 840 Abs. 2 BGB). Ein gesamtschuldnerischer Ausgleichsanspruch kommt aber etwa dann in Betracht, wenn dem jeweiligen Aufsichtsratsmitglied ein schwerwiegendes Überwachungsverschulden zur Last fällt, auch wenn der Anteil des Vorstandsmitglieds selbst in diesem Fall überwiegen wird.228 Dasselbe gilt etwa bei zustimmungsbedürftigen Geschäften gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG.229 Die Streitverkündung kann darüber hinaus auch bezwecken, den Aufsichtsrat, der die Gesellschaft im Innenhaftungsprozess gegen den Vorstand vertritt, von einem allzu harten Vorgehen abzuhalten.230 Die Streitverkündung führt dazu, dass der VR in eine heikle Situation gerät: Er muss im 159 Rahmen der Prozessführung (vgl. Ziff. A-6.2 Abs. 2 AVB D&O) den gegenläufigen Interessen von Vorstand und Aufsichtsrat gleichermaßen gerecht werden.231 Um die daraus drohenden Interessenkonflikte zu vermeiden, sieht etwa die sog. Two-Tier-Trigger-Police für die Aufsichtsratsmitglieder einen separaten Deckungsschutz bei einem anderen VR vor (s. Rn. 140 ff.).

221 BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181. 222 Zum Beitritt eines Aufsichtsratsmitglieds auf Seiten einer AG im Rechtsstreit der AG mit einem Vorstandsmitglied vgl. BGH 29.1.2013 – II ZB 1/11, NJW-RR 2013 485. 223 Zur Streitverbindung einer von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommenen AG gegenüber Vorstandsmitgliedern vgl. M. Schwab NZG 2013 521. 224 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 173; Praxisbeispiele: OLG Frankfurt/M. 12.5.2015 – 11 W 28/13, VersR 2016 1010; OLG München 17.7.2019 – 7 U 2463/18, NJW-RR 2019 1326; OLG München 25.7.2019 – 23 U 2916/17, GmbHR 2020 372; s. dazu Göb/Nebel NZI 2020 619, 622 ff.; OLG Hamm 19.8.2019 – I-8 W 6/19, RuS 2019 698 m. Anm. Fortmann. 225 Hoffmann-Becking ZHR 181 (2017) 737, 741 („naheliegend und üblich“, wenn der Aufsichtsrat nicht eingeschritten ist). 226 BGH 7.5.2015 – VII ZR 104/14, VersR 2016 1208 Rn. 23. 227 Für die AG: Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 263; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 164; für die GmbH: MüKoGmbHG/Fleischer § 43 Rn. 319. 228 S. nur Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG2 (2020) § 93 Rn. 100. 229 S. etwa Hölters/Hölters AktG3 (2017) § 93 Rn. 247. 230 Reichert/Suchy NZG 2017 88, 90. 231 Hoffmann-Becking ZHR 181 (2017) 737, 743 f. Armbrüster

738

D. Verfahrensfragen

Allg Einf AVB D&O

3. Schiedsverfahren In der Praxis werden D&O-Streitigkeiten dann, wenn keine außergerichtliche Beilegung gelingt, 160 bevorzugt vor Schiedsgerichten ausgetragen. Allerdings ergeben sich hier insbes. im Hinblick darauf, dass oft mehrere versicherte Personen für denselben Vermögensschaden belangt werden, gewisse verfahrensrechtliche Herausforderungen.232 Dies gilt etwa für die Frage, auf welche Weise weitere Personen mit Bindungswirkung in das Verfahren – das weder Streitbeitritt (Nebenintervention, Streithilfe) noch Streitverkündung kennt – einbezogen werden können. Eine speziell auf die D&O-Versicherung zugeschnittene Schiedsordnung hat der Verein ARIAS Deutschland e.V. veröffentlicht.233

4. Mediation Der VR hat die in Ziff. A-6.1 AVB D&O aufgezählten Leistungen allein gegenüber den versi- 161 cherten Personen zu erbringen. Er ist damit nicht als „unabhängige und neutrale Person“ anzusehen, die „allen Parteien gleichermaßen verpflichtet“ ist (§ 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 3 MediationsG). Daran ändert es auch nichts, dass er zugleich vertraglich dem VN verbunden ist. Ihm kommt daher nicht ohne Weiteres eine Mediationsfunktion zu.234 Für die Übernahme einer solchen Mittlerrolle bedarf der VR einer ausdrücklichen Zustimmung aller Parteien in Kenntnis der Stellung und Interessenlage des VR (vgl. § 3 Abs. 1 MediationsG).235

II. Trennungsprinzip und Bindungswirkung Bei der D&O-Versicherung gilt wie bei anderen Haftpflichtversicherungen das materielle und das prozessuale Trennungsprinzip (Trennungsgrundsatz).236 Demnach sind Haftpflicht- und Deckungsverhältnis materiell sowie prozessual voneinander zu trennen (eingehend Vor §§ 100– 112 Rn. 106 ff.). Im Haftpflichtprozess zwischen Geschädigtem (VN oder außenstehendem Dritten) und versicherter Person entscheidet das Gericht verbindlich über die Haftpflichtfrage (zur Innenhaftung s. Anh Ziff. A-1 AVB D&O Rn. 2 ff.). Im Deckungsprozess geht es dagegen um Bestand und Umfang des Versicherungsschutzes der versicherten Person gegenüber dem VR. Wird zunächst in einem Haftpflichturteil eine Schadensersatzpflicht der versicherten Person wegen einer konkreten Pflichtverletzung festgestellt, so entfaltet dies grds. Bindungswirkung für das nachfolgende Deckungsverfahren. Die Haftpflichtfrage wird mithin grds. im Deckungsprozess nicht erneut geprüft.237 Dabei geht es freilich allein um die rechtskräftigen Feststellungen zum Haftungstatbestand, nicht um weitere Feststellungen wie etwa die Streitwertfestsetzung.238 Nach dieser Grundregel kann der Geschädigte den VR erst dann auf Zahlung in Anspruch nehmen, wenn er den (angeblichen) Freistellungsanspruch des Versicherten hat pfänden und 232 Näher Borris RuS 2020 316 ff.; Schumacher NZG 2016 969 ff; Werner VersR 2015 1084; vgl. auch Wach SchiedsVZ 2020 228, 231 mit Fn. 10. Abrufbar unter: www.arias-deutschland.de. So aber Lange § 3 Rn. 54 ff. Näher Peltzer NZG 2009 970, 974 f. Armbrüster RuS 2010 441, 442 f.; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 45 ff.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 165 ff. Zu damit verbundenen praktischen Problemen s. Peltzer NZG 2009 970, 972. 237 Armbrüster RuS 2010 441, 446; Bruck/Möller/R. Koch § 106 VVG Rn. 16 ff.; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 59, 62. 238 OLG Köln 24.3.2015 – 9 U 42/14, VersR 2016 185, 186 f.

233 234 235 236

739

Armbrüster

162

163

164

165

Allg Einf AVB D&O

D. Verfahrensfragen

an sich überweisen lassen (s. Ziff. A-6 AVB D&O Rn. 43).239 Davon unabhängig kann die versicherte Person aber auch ihren Freistellungsanspruch an den Geschädigten abtreten mit der Wirkung, dass dieser den VR unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen kann (vgl. Ziff. A-9 S. 2 AVB D&O; § 108 Abs. 2 VVG). Dies gilt nach überwiegender, vom BGH geteilter Ansicht auch dann, wenn es sich bei dem Geschädigten um den VN handelt (s. Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 9). Das Gericht hat dann inzident als Vorfrage den Haftpflichtanspruch zu prüfen; in Rechtskraft zwischen dem Geschädigten und dem VR erwachsen die diesbezüglichen Feststellungen des Gerichts aber nur im Falle einer Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO. Rechtskraft gegenüber der versicherten Person lässt sich freilich auch auf diesem Wege nicht erzielen, auch wenn die faktische Präjudizierung erheblich ist.240 Stellt sich im Haftpflichtprozess die Frage, ob die versicherte Person in einer Weise gehan166 delt hat, durch die zugleich der Risikoausschluss wegen vorsätzlicher Schadensverursachung oder wissentlicher Pflichtverletzung (s. Ziff. A-7.1 AVB D&O) verwirklicht ist, so ist zu differenzieren: Stellt das Gericht fest, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Ausschlusses erfüllt sind, so kann der VR nach Rechtskraft des Urteils die Deckung ablehnen. Werden umgekehrt im Haftpflichturteil eine vorsätzliche Schadensverursachung und eine wissentliche Pflichtverletzung verneint, ist der VR grds. daran gehindert, sich auf den Ausschluss zu berufen. Diese Regeln zur Bindungswirkung von deckungsrelevanten Feststellungen für das Deckungsverhältnis gelten allerdings dann nicht, wenn es sich bei den Äußerungen im Urteil um ein obiter dictum handelt oder wenn sie nur beiläufig erfolgen und nicht unter Bezugnahme auf Tatsachen begründet werden.241

III. Gesetzlicher Vertreter und Zeugenstellung bei Direktklagen des VN 167 Streit besteht darüber, wer den VN dann, wenn das Vorstandsmitglied als versicherte Person ihren Freistellungsanspruch an ihn abgetreten hat (s. Ziff. A-9 Rn. 9 AVB D&O), im Direktprozess gegen den VR vertritt.242 Überwiegend wird angenommen, dass dies gem. § 78 AktG der Vorstand ist; nach der auch hier vertretenen Gegenansicht ist analog § 112 AktG der Aufsichtsrat zuständig (näher Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 28 ff.; auch zur Lage bei Abtretung durch ein Aufsichtsratsmitglied). Als Konsequenz der Abtretung kann das betreffende Vorstandsmitglied im Prozess als Zeu168 ge auftreten (s. Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 31). Dasselbe gilt für andere Vorstandsmitglieder. Ist nach den AVB (vgl. etwa Ziff. 1.3 AVB-AVG 2011; nicht übernommen in den AVB D&O) bei 169 Innenhaftungsansprüchen die Hauptversammlung der AG für die Initiierung und gerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs einzuschalten, wird dies grds. auch für ein Vorgehen gegen den VR zu bejahen sein. Dann wird ein besonderer Vertreter i. S. v. § 147 Abs. 2 S. 1 AktG bestellt, der die Gesellschaft vertritt. Das Vorstandsmitglied kann auch in diesem Fall als Zeuge auftreten (s. Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 42).

IV. Beweislast im Deckungsprozess 170 Die Darlegungs- und Beweislast im Deckungsprozess zwischen Versichertem und VR243 richtet sich nach den allg. Grundsätzen: Die versicherte Person trägt die Beweislast dafür, dass der 239 St. Rspr.; BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03 VersR 2007 1116 Rn. 31; Armbrüster RuS 2010 441, 447; Prölss/Martin/ Lücke § 108 Rn. 10. 240 Baumann VersR 2010 984, 988 ff.; Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 46. 241 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 167. 242 Vgl. R. Koch GmbHR 2004 18, 20 f. 243 Zur Unterscheidung nach Feststellungs- und Leistungsklage s. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 20, 22. Armbrüster

740

D. Verfahrensfragen

Allg Einf AVB D&O

Versicherungsfall eingetreten ist und die weiteren zur primären Risikobeschreibung zählenden Tatsachen vorliegen. Dazu gehört es, dass der gegen ihn erhobene Schadensersatzanspruch in den sachlichen, zeitlichen und räumlichen Deckungsbereich des Vertrages fällt.244 Der VR ist demgegenüber beweisbelastet für die tatsächlichen Voraussetzungen eines Ausschlusstatbestandes (sekundäre Risikobegrenzung)245 und einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, Gefahrerhöhung oder Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit. Streit besteht darüber, wer (bei fehlender Rückwärtsdeckung i. S. v. Ziff. A-5.2 AVB D&O) die 171 Beweislast dafür trägt, dass nicht nur der Eintritt des Versicherungsfalls gem. Ziff. A-2 AVB D&O (Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs), sondern auch die Pflichtverletzung der versicherten Person während der Vertragsdauer eingetreten ist (zu dieser Anforderung s. Ziff. A-5.1 AVB D&O). Teils wird angenommen, dass hierfür dem VR der Beweis obliegt, da die versicherte Person nur die Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls trage.246 Indessen ist die Beweislast des Versicherten nicht auf den Eintritt des Versicherungsfalls beschränkt; vielmehr hat er auch die weiteren leistungsbegründenden Tatsachen zu beweisen. Das Erfordernis, dass auch die Pflichtverletzung während der Vertragsdauer eingetreten ist, ist eine zur primären Risikobeschreibung gehörende Tatsache und nicht etwa ein Ausschlusstatbestand. Dieses Erfordernis ist im Übrigen auch AGB-rechtlich wirksam (s. Ziff. A-5 AVB D&O Rn. 6). Umstritten ist auch, ob die Beweislastumkehr in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG auch im Zahlungs- 172 prozess des VN gegen den VR nach Abtretung des Freistellungsanspruchs gilt (s. dazu Ziff. A-9 AVB D&O Rn. 32 ff.).

V. Bindung versicherter Personen an Gerichtsstandsvereinbarungen Sind versicherte Personen mit Wohnsitz im Ausland vom Schutz eines D&O-Versicherungsver- 173 trags (Konzernpolice) erfasst, so ist an diesem Wohnsitz gem. Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO ein Gerichtsstand für Klagen aus dem Versicherungsvertrag begründet. Hierzu stellt sich die Frage, ob dieser Gerichtsstand durch eine Gerichtsstandsvereinbarung im Versicherungsvertrag (vgl. etwa Ziff. B4–5 AVB D&O) wirksam abbedungen werden kann. Nach Art. 15 Nr. 3 EuGVVO ist dies der Fall, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen einem VN und einem VR, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben, getroffen ist, um die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaats auch für den Fall zu begründen, dass das schädigende Ereignis im Ausland eintritt. Nach dem Wortlaut dieser Regelung ist mithin eine Vereinbarung des VR mit dem VN ausschlaggebend. Indessen hat der EuGH zu Art. 12 Nr. 3 EuGVÜ als der Vorgängervorschrift des Art. 15 Nr. 3 174 EuGVVO entschieden, dass eine Gerichtsstandsklausel dem aus dem Versicherungsvertrag begünstigten Versicherten mit Sitz in einem anderen Vertragsstaat als VN und VR, der ihr nicht ausdrücklich zugestimmt hat, nicht entgegengehalten werden kann.247 Der Versicherte werde dann nämlich meist mit einem vorformulierten, durch ihn in den Einzelheiten nicht mehr verhandelbaren Vertrag konfrontiert. Der EuGH wollte damit den Versicherten wie den VN als typisiert Schwächeren schützen.248 Das Schrifttum ist überwiegend derselben Ansicht.249 Vereinzelt wird dagegen vorgebracht, dass der Anspruch des Versicherten bei der Fremdversicherung

244 245 246 247

Baumgärtel/Prölss § 149 Rn. 2; zu Einzelheiten s. Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 194 ff. Lange § 11 Rn. 24 (betr. Wissentlichkeitsausschluss). Lange RuS 2006 177, 178. EuGH 12.5.2005 – C-112/03, NJW 2005 2135 Rn. 43 – Peloux betr. Konzernpolice zur Produkthaftpflichtversiche-

rung.

248 Stein/Jonas/Wagner Art. 13 EuGVVO Rn. 15. 249 Staudinger, in: Lorenz (Hrsg.) Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung (2010) 41 (46 f.); Wedemann ZIP 2014 2469, 2470. 741

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

E. Risikomanagement beim Versicherer

i. S. v. § 43 ff. VVG mit dem Vorbehalt entstehe, dass er nur an bestimmten Gerichtsständen gerichtlich geltend gemacht werden könne.250 175 Stellungnahme: Für eine Bindungswirkung spricht zudem gerade bei D&O-Unternehmenspolicen mit vielen versicherten Personen das Interesse am internationalen Entscheidungseinklang und an der Verfahrensökonomie für einen einheitlichen Gerichtsstand. Allerdings ließe sich die ausdrückliche Zustimmung der versicherten Personen durchaus einholen, wenngleich dies praktisch jedenfalls bei einer größeren Zahl von mitversicherten Auslandstöchtern (vgl. Ziff. A-4 AVB D&O) und von versicherten Personen nur mit hohem Aufwand durchführbar ist. Entscheidend kommt hinzu, dass der Gerichtsstand des Versicherten gem. Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO gegenüber demjenigen des VN eigenständig ausgestaltet ist. Man kann hier die versicherte Person daher nicht darauf verweisen, dass ihr durch den Abschluss der Fremdversicherung ihre Rechtsstellung von vornherein nur in deren konkreter Ausgestaltung mit einer Gerichtsstandsvereinbarung gewährt worden sei. Im Ergebnis kann daher eine Gerichtsstandsvereinbarung in einer D&O-Versicherung einem Versicherten im Rahmen von Art. 15 Nr. 3 EuGVVO nur entgegengehalten werden, wenn er ihr ausdrücklich zugestimmt hat.251

E. Risikomanagement beim Versicherer 176 Um die bisweilen hohen Schadensrisiken aufzufangen, stehen dem VR auf der Erstversicherungsebene die klassischen Instrumente der offenen oder verdeckten Mitversicherung zur Verfügung. Hinzu kommt der Risikotransfer auf eine Rückversicherung. In jüngerer Zeit wird auch die Beteiligung einer konzerneigenen Captive an der D&O-Versicherung für Vorstand und Aufsichtsrat einer AG (im Bereich der Exzedenten; s. zu Layerdeckungen A-1 AVB D&O Rn. 3) erwogen.252

250 Zöller/Geimer Art. 15 EuGVVO Rn. 4; krit. gegenüber dem EuGH auch Fricke VersR 2009 429, 434 f. 251 S. bereits MünchHdbGesR/Armbrüster § 108 Rn. 121; F. Wiedemann ZIP 2014 2469, 2471. 252 Näher Franzmann/Bücker AG 2021 421 ff. Armbrüster

742

Allgemeine Versicherungsbedingungen für die VermögensschadenHaftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschaftsführern (AVB D&O) Musterbedingungen des GDV (Stand: Mai 2020)

Hinweise zum Aufbau und zur Anwendung Teil A enthält Regelungen zur Ausgestaltung des Versicherungsschutzes in der D&O-Versicherung. Teil B enthält Regelungen über allgemeine Rechte und Pflichten der Vertragsparteien. – Abschnitt B1 regelt Beginn des Versicherungsschutzes und Beitragszahlung. – Abschnitt B2 regelt Dauer und Ende des Vertrags/ Kündigung. – Die Abschnitte B3 und B4 enthalten Obliegenheiten des Versicherungsnehmers und weitere Bestimmungen. Maßgeblich für den Versicherungsschutz sind der gesamte Bedingungstext, der Versicherungsschein und seine Nachträge. Inhaltsverzeichnis Teil A – D&O-Versicherung A-1 Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden A-2 Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip) A-3 Company reimbursement A-4 Tochtergesellschaften A-5 Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes A-5.1 Pflichtverletzung und Anspruchserhebung während der Vertragsdauer A-5.2 Rückwärtsdeckung für vorvertragliche Pflichtverletzungen A-5.3 Anspruchserhebungen nach Vertragsende (Nachmeldefrist) A-5.4 Meldung von Umständen (Notice of Circumstance) A-5.5 Insolvenz A-5.6 Liquidation und Neubeherrschung A-6 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes A-6.1 Leistungen der Versicherung A-6.2 Vollmacht des Versicherers A-6.3 Kapitalbeteiligung der versicherten Personen bzw. deren Angehöriger A-6.4 Versicherungssumme, Höchstersatzleistung A-6.5 Selbstbehalt A-6.6 Serienschaden A-6.7 Anerkenntnis, Befriedigung, Vergleich A-7 Ausschlüsse A-8 Versicherung für fremde Rechnung A-9 Abtretung des Versicherungsanspruches Teil B – Allgemeiner Teil Abschnitt B1 Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung B1-1 Beginn des Versicherungsschutzes B1-2 Beitragszahlung, Versicherungsperiode, Versicherungsjahr B1-3 Fälligkeit des Erst- oder Einmalbeitrags, Folgen verspäteter Zahlung oder Nichtzahlung B1-4 Folgebeitrag B1-5 Lastschriftverfahren B1-6 Beitrag bei vorzeitiger Vertragsbeendigung 743

Armbrüster

Allg Einf AVB D&O

Hinweise zum Aufbau und zur Anwendung

Abschnitt B2 Dauer und Ende des Vertrages, Kündigung B2-1 Dauer und Ende des Vertrages B2-2 Kündigung nach Versicherungsfall Abschnitt B3 Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten B3-1 Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers oder seines Vertreters bis zum Vertragsschluss B3-2 Gefahrerhöhung B3-3 Obliegenheiten des Versicherungsnehmers Abschnitt B4 Weitere Regelungen B4-1 Mehrere Versicherer, Mehrfachversicherung B4-2 Erklärungen und Anzeigen, Anschriftenänderung B4-3 Vollmacht des Versicherungsvertreters B4-4 Verjährung B4-5 Örtlich zuständiges Gericht B4-6 Anzuwendendes Recht B4-7 Embargobestimmung

Armbrüster

744

Teil A – D&O-Versicherung Hinweis Dieser Versicherungsvertrag ist eine auf dem Anspruchserhebungsprinzip (Claims-madePrinzip) basierende Versicherung, das heißt der Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages oder einer sich ggf. hieran anschließenden Nachmeldefrist. Kosten (siehe A-6.4) werden auf die Versicherungssumme angerechnet.

A-1 Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass ein gegenwärtiges oder ehemaliges Mitglied des Aufsichtsrates, des Vorstandes oder der Geschäftsführung des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft (versicherte Personen) wegen einer bei Ausübung dieser Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Vermögensschäden sind solche Schäden, die weder Personenschäden (Tötung, Verletzung des Körpers oder Schädigung der Gesundheit von Menschen) noch Sachschäden (Beschädigung, Verderben, Vernichtung oder Abhandenkommen von Sachen) sind noch sich aus solchen Schäden herleiten. Als Sachen gelten auch Geld und geldwerte Zeichen.

Schrifttum (s. zunächst Schrifttum Einf. AVB D&O) Beckmann Einschränkungen der Innenhaftungsdeckung bei der D&O-Versicherung, Festschrift Kollhosser I (2004) 25; Jula Gedanken zur Reichweite des Versicherungsschutzes der D&O-Police am Beispiel des GmbH-Geschäftsführers, Festschrift Baumann (1999) 119; R. Koch Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Pflichtverletzung bei Ausübung der versicherten Tätigkeit“ im Rahmen der D&O-Versicherung, ZIP 2018 301; Mayer/Isenbart D&OVersicherung bei Unternehmensverträgen – wer hat den Schaden? VersPrax 2013 12. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Teil A – D&O-Versicherung Hinweis

Hinweis

Dieser Versicherungsvertrag ist eine auf dem Anspruchserhebungsprinzip (Claims-made-Prinzip) basierende Versicherung, das heißt der Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages oder einer sich ggf. hieran anschließenden Nachmeldefrist. Kosten (siehe A-6.4) werden auf die Versicherungssumme angerechnet.

Dieser Versicherungsvertrag ist eine auf dem Anspruchserhebungsprinzip (Claims-made-Prinzip) basierende Versicherung, das heißt der Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages.

A-1 Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

Ziff. 1 Gegenstand der Versicherung Ziff. 1.1

Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass ein gegenwärtiges oder ehemaliges Mitglied des Aufsichtsrates, des Vorstandes oder der Geschäftsführung des Versicherungsnehmers oder einer

Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass ein gegenwärtiges oder ehemaliges Mitglied des Aufsichtsrates, des Vorstandes oder der Geschäftsführung der Versicherungsnehmerin oder

745 https://doi.org/10.1515/9783110522662-030

Kosten (siehe Ziffer 4.3 Absatz 1 Satz 2) werden auf die Versicherungssumme angerechnet.

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Tochtergesellschaft (versicherte Personen) wegen einer bei Ausübung dieser Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.

einer Tochtergesellschaft (versicherte Personen) wegen einer bei Ausübung dieser Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. [weiterer Text s. bei A-4]

[insoweit nicht in AVB D&O]

Förmlich bestellte Mitglieder in den entsprechenden aufsichts- und geschäftsführenden Organen nach den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der EU gelten ebenfalls als versicherte Personen.Nicht versichert sind Angehörige der rechts-, steuer-, wirtschaftsberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe, soweit diese beratende, prüfende oder forensische Aufgaben wahrnehmen.

Vermögensschäden sind solche Schäden, die weder Personenschäden (Tötung, Verletzung des Körpers oder Schädigung der Gesundheit von Menschen) noch Sachschäden (Beschädigung, Verderben, Vernichtung oder Abhandenkommen von Sachen) sind noch sich aus solchen Schäden herleiten. Als Sachen gelten auch Geld und geldwerte Zeichen.

Vermögensschäden sind solche Schäden, die weder Personenschäden (Tötung, Verletzung des Körpers oder Schädigung der Gesundheit von Menschen) noch Sachschäden (Beschädigung, Verderben, Vernichtung oder Abhandenkommen von Sachen) sind noch sich aus solchen Schäden herleiten. Als Sachen gelten auch Geld und geldwerte Zeichen.

Übersicht A.

Überblick

1 4. 5.

3

B.

Vertragsparteien

I.

Versicherer

II.

Versicherungsnehmer

C.

Versicherte Personen

I.

Fremdversicherung

II. 1. 2.

15 Geschützter Personenkreis 15 Grundregeln 24 Erfasste Organmitglieder 24 a) Mitglieder des Aufsichtsrats 25 b) Mitglieder des Vorstands 26 c) Mitglieder der Geschäftsführung d) Fehlerhafte und faktische Organstel27 lung 28 e) Besondere Vertreter 29 f) Insolvenzverwalter 30 g) Liquidatoren 31 h) Interimsmanager 32 i) Weitere Personen 33 Erfasste Gesellschaften 33 a) Versicherungsnehmer

3.

Armbrüster

3

b) Tochtergesellschaften Ehemalige Organmitglieder Künftige Organmitglieder

34 35 36

D.

Pflichtverletzung bei Ausübung der Tätigkeit 38 als Organmitglied

I.

Bedeutung der Pflichtverletzung

II. 1. 2.

39 Bezug zur Ausübung der Organtätigkeit 39 Überblick 41 Abgrenzungskriterien 41 a) Organschaftlicher Aufgabenkreis 42 b) Operative Tätigkeiten c) Pflichten aus dem Anstellungsverhält45 nis 46 Einzelfragen 46 a) Freiberufler 47 b) Gesellschafter 48 c) Privatperson d) Fremdmandate („Outside direc49 tors“)

4 38

13 13

3.

E.

Gesetzliche Haftpflichtbestimmungen

I.

Grundlagen

50

50

746

AVB D&O A-1

A. Überblick

1. 2. 3. 4. 5. II. 1. 2.

3.

F.

Unabhängigkeit der Haftung vom Parteiwil50 len Einschluss öffentlich-rechtlicher Haf51 tung 54 Auslegungsmaßstab 55 Vertragsverletzungen 57 Risikoauschlüsse

Vermögensschäden (Ziff. A-1 Abs. 2)

Überblick

II. 1.

5. 6.

79 Einzelfragen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeits79 rechts Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten 80 Gewerbebetrieb 81 Produktrückruf 82 Regressansprüche 82 a) Meinungsstand 83 b) Stellungnahme 85 Nichtabschluss von Versicherungen 86 Weitere Einzelfälle

G.

Inanspruchnahme

87

H.

Abweichende AVB

88

I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

88 Weitere versicherte Personen 88 Leitende Angestellte 92 Gesellschafter 93 Beiratsmitglieder 94 Insolvenzverwalter 95 Liquidatoren 96 Besondere Vertreter Fremdmandate („Outside directors“)

II.

Einschränkungen des Deckungsschutzes für die 98 Innenhaftung

III.

Beschränkung auf privatrechtliche Haftpflichtbe100 stimmungen

IV.

Erweiterter Vermögensschadensbegriff

2.

58 Erfasste Haftungstatbestände 58 Überblick 60 Innenhaftung a) Gesellschaftsrechtliche Organhaf60 tung b) Vertragsverletzung (§ 280 Abs. 1 61 BGB) 63 Außenhaftung a) Verschulden bei Vertragsverhandlun63 gen b) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens 64 (§ 311 Abs. 3 BGB) 65 c) Delikt (§§ 823 ff. BGB) 66 d) Patentverletzung (§§ 139 ff. PatG) e) Verstoß gegen insolvenzrechtliches Zah67 lungsverbot (§ 15b InsO) f) Durchgriffshaftung von Gesellschaf70 tern g) Ausgleichsansprüche unter Gesamtschuld71 nern h) Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen 72 zur Sozialversicherung 73 i) Steuerliche Ausfallhaftung 74 j) Ausländische Haftungstatbestände

75

I.

3. 4.

97

101

75

A. Überblick Ziff. A-1 enthält mehrere wichtige Vorgaben für den Versicherungsschutz. Aus Abs. 1 geht her- 1 vor, dass es bei der D&O-Versicherung um den Schutz bestimmter Personen vor den Nachteilen geht, die mit einer Inanspruchnahme auf Schadensersatz verbunden sind. Damit greift die Klausel Elemente auf, die in der Umschreibung der Haftpflichtversicherung in § 100 VVG enthalten sind. Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift keine Definition des Versicherungsfalls schaffen wollen.1 Unabhängig vom Inhalt der weiteren Klauseln, insbes. zum Versicherungsfall (Ziff. A-2) und zum sachlichen Umfang des Versicherungsschutzes (Ziff. A-6), ergibt sich aus Ziff. A-1 die Einordnung als Haftpflichtversicherung i. S. v. § 100 VVG. Für diese Versicherungssparte ist es typisch, dass die Leistungspflicht des VR grds. nicht in einer Zahlung besteht, sondern in Abwehr und Freistellung (vgl. Ziff. A-6.1; zum Erfüllungswahlrecht des VR hinsichtlich dieser beiden Leistungspflichten s. Ziff. A-6 Rn. 6 ff.). Mithin sind die gesetzlichen Vorgaben der §§ 101–112 VVG auch im Bereich der D&O-Versicherung anwendbar. Dabei ist die Regelung für Großrisiken in § 210 Abs. 1 VVG zu beachten; um solche Risiken 1 Regierungsbegr., BTDrucks. 16/3945 S. 85 (unter Hinweis auch auf die D&O-Versicherung); vgl. auch Ramharter Rn. 4/33. 747

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

handelt es sich insbes. dann nicht selten, wenn der VN eine AG ist. Abs. 1 definiert zugleich den Kreis der versicherten Personen (s. Rn. 13 ff.) und legt fest, dass es um die Inanspruchnahme für einen Vermögensschaden geht. In Abs. 2 werden Vermögensschäden definiert (s. Rn. 75 ff.). 2 Der Versicherungsschutz besteht grundsätzlich während des im Versicherungsschein aufgeführten materiellen Versicherungszeitraums (Haftungszeitraums; „Vertragsdauer“ i. S. v. Ziff. A-5.1; s. auch Ziff. B1–1 und dazu Ziff. B1 Rn. 1).2 Dieser Zeitraum wird nach Maßgabe von Ziff. A-5.2 und Ziff. A-5.3 durch eine Rückwärtsdeckung sowie eine Nachmeldefrist erweitert (s. Ziff. A-5 Rn. 9 ff., 35 ff.). Tritt während des materiellen Versicherungszeitraums der Versicherungsfall (s. Ziff. A-2) ein, löst dies die Leistungspflicht des VR nach Ziff. A-6 aus.

B. Vertragsparteien I. Versicherer 3 Hinsichtlich des VR ergeben sich bei der D&O-Versicherung keine Besonderheiten. In der Praxis werden größere D&O-Risiken teils durch eine offene Mitversicherung gedeckt.3 Dies hat zur Folge, dass der VN (hier: die versicherten Personen; s. Ziff. A-6.1) ausschließlich gegen den führenden VR vorgehen kann; im Hinblick auf die weiteren VR enthält die Führungsvereinbarung regelmäßig einen pactum de non petendo.4 In solchen Fällen werden typischerweise Schiedsklauseln vereinbart (s. Einf Rn. 160). Es gibt daher – auch jenseits der D&O-Versicherung – nur vereinzelt Rspr. zu Fragen der offenen Mitversicherung.5 An dieser Stelle sei auf das Schrifttum zur Mitversicherung6 verwiesen. Bei größeren Risiken sind in der Praxis auch Versicherungsprogramme mit mehreren Layern („Türme“) zu verzeichnen.7

II. Versicherungsnehmer 4 Ziff. A-1 enthält keine ausdrückliche Regelung zum Kreis der VN. Aus der Wendung „des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft“ lässt sich entnehmen, dass es jeweils um Gesellschaften geht. Darüber hinaus deutet die Aufzählung von Aufsichtsrat, Vorstand und Geschäftsführung darauf hin, dass das Klauselwerk insbes. auf Kapitalgesellschaften zugeschnitten ist. In der Tat sind es in der Praxis hauptsächlich Aktiengesellschaften und zunehmend auch GmbHs, die D&O-Versicherungsschutz nehmen.8 Dazu zählen auch die Europäische Aktiengesell-

2 Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 3; Bruck/Möller/R. Johannsen9 § 2 Rn. 3 ff. 3 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 143b; Bruck/Möller/Schnepp9 Anh. § 216 Rn. 6; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 9.

4 OLG Köln 2.9.2008 – 9 U 151/07, VersR 2008 1673, 1675 m. krit. Anm. (jeweils zu LG Köln als Vorinstanz) KrauseAllenstein jurisPR-VersR 4/2007 Anm. 3 und Pörnbacher/Gädtke PHi 2007 192; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 9.

5 Zur D&O-Versicherung s. etwa OLG Köln 2.9.2008 – 9 U 151/07, VersR 2008 1673; vgl. auch BGH 9.11.2011 – IV ZR 251/08, VersR 2012 178 Rn. 20 ff. (keine Bindung der übrigen VR an passive Prozessführungsklausel, nachdem sie alle den Versicherungsvertrag erfolgreich angefochten haben; zur Geld- und Werttransportversicherung). 6 Monographisch Schaloske Das Recht der so genannten offenen Mitversicherung (2007); ders. Folgerungen aus der Dornbracht-Entscheidung für die Praxis der offenen Mitversicherung (2013); Überblicke bei Prölss/Martin/Armbrüster Vorbem. zu § 77 VVG; Bruck/Möller/Schnepp9 Anh. § 216 VVG: Mitversicherung; speziell zu Führungsklauseln in der D&O-Versicherung Kretschmer VersR 2008, 33; Hemeling FS Hoffmann-Becking (2013) 491, 505 ff. 7 Zu D&O-Exzedentendeckungen s. Lange § 4 Rn. 29 ff.; Knöfel VersR 2018 513 ff.; ders. ZIP 2018 1814 ff.; R. Koch VersR 2021 879 ff. 8 Vgl. GDV-Erl. zu Ziff. A-1. Armbrüster

748

B. Vertragsparteien

AVB D&O A-1

schaft (SE)9 sowie die UG (haftungsbeschränkt)10 als eine Sonderform der GmbH; ferner ausländische Pendants zu AG und GmbH wie etwa die Ltd. englischen Rechts.11 Auch Vorgesellschaften werden erfasst (zur Haftung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer Vor-AG nach §§ 93, 116 AktG s. § 48 S. 2 AktG). In Betracht kommen auch alle weiteren juristischen Personen des Privatrechts,12 nämlich eingetragene Genossenschaften,13 (eingetragene) Vereine,14 Stiftungen;15 KGaAs16 und VVaGs.17 Bei Non-profit-Organisationen, die eine Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung unterhalten, kann es zu Deckungsüberschneidungen mit der D&O-Versicherung für ihre Organmitglieder kommen.18 Auch nach ausländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften können VN einer D&O-Versicherung i. S. v. Ziff. A-1 werden.19 Dies betrifft etwa die Ltd. nach englischem Recht, welche funktional einer GmbH entspricht.20 Darauf, wo der Gründungs- oder Verwaltungssitz liegt, kommt es nicht an. Der Sitz ist nicht für den VN, sondern allein für die Einbeziehung von Tochtergesellschaften nach Ziff. A-4 bedeutsam (s. Ziff. A-4 Rn. 12 f.). Hier können bisweilen Besonderheiten des betreffenden ausländischen Rechts zu beachten sein (zur Qualifikation der Stellung einer Person als Mitglied eines Organs i. S. v. Abs. 1 in solchen Fällen s. Rn. 23; zur Qualifikation eines Anspruchs als ges. Haftpflichtanspruch i. S. v. Abs. 1 s. Rn. 74. Der Abschluss einer D&O-Versicherung kommt auch dann in Betracht, wenn sich die öffentliche Hand privatrechtlicher Organisationsformen wie der AG oder der GmbH21 bedient.22 Beispiele bieten kommunale Eigenbetriebe sowie in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts betriebene Banken, etwa Sparkassen.23 Dementsprechend verweist der Public Corporate Governance Kodex des Bundes – PCGK/Public Kodex (Stand 16.9.2020; s. Einf Rn. 53) in Ziff. 4.3.2 ausdrücklich auf die Möglichkeit, bei erhöhten Haftungsrisiken eine D&O-Versicherung abzuschließen. Auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts ist die D&O-Versicherung keineswegs von vornherein unzulässig.24 Insbes. steht einer Deckung der Umstand nicht entgegen, dass die öffentliche Hand Haftungsprivilegien (s. insbes. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG sowie z. B. die Beschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in § 75 BBG) genießt; dies ist auch bei

9 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 16; Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 98. 10 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 11 Zurückhaltend in Bezug auf die (wirtschaftliche) Versicherbarkeit der Ltd. Ihlas 330. 12 S. auch den Überblick bei Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 13. 13 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 14 GDV-Erl. zu Ziff. A-1; de Beauregard ZStV 2015 143; Kreutz ZStV 2011 46; näher Dreher/Fritz npoR 2020 171 ff. 15 GDV-Erl. zu Ziff. A-1; de Beauregard ZStV 2015 143; Ihlas S. 329; Mitterlechner/Wax/Witsch § 3 Rn. 10; vgl. auch Dahlmanns RNotZ 2020 417, 437; Ph. Scholz ZIP 2021 1937, 1943 ff. 16 Zur Problematik einer Versicherung des Haftungsrisikos der geschäftsführenden Komplementäre Mitterlechner/ Wax/Witsch § 3 Rn. 6. 17 GDV-Erl. zu Ziff. A-1; Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 6. 18 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 19 Ihlas 330; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 101; Looschelders/Pohlmann/Haeling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 72; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 8 f. 20 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 15. 21 Praxisbeispiel: VG München 28.5.2019 – M 5 K 17.1499, RuS 2020 151 m. Anm. Fortmann (auch zum str. Regress des VR hinsichtlich eines Freistellungsanspruchs der versicherten Person gegen ihren Dienstherrn). 22 Bätge GS U. Hübner (2012) 463; Mehring VersR 2021 1206. 23 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 22 f.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 68. 24 Ihlas S. 330; Olbrich S. 105 f.; MAH-VersR/Sieg 17 Rn. 68; s. auch GDV-Erl. zu Ziff. A-1; a. A. Beckmann/MatuscheBeckmann/Beckmann § 28 Rn. 49; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 21. 749

Armbrüster

5

6

7

8

A-1 AVB D&O

9

10

11

12

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

leitenden Angestellten im privatrechtlichen Unternehmensbereich der Fall (s. Rn. 90).25 Dabei gilt es, was die Reichweite des D&O-Deckungsschutzes angeht, freilich zwischen hoheitlichem und privatrechtlichem Handeln zu unterscheiden; dies kann Modifikationen der AVB erfordern.26 Ist ein Unternehmen in öffentlicher Trägerschaft in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft organisiert, passen die Musterbedingungen hingegen ohne Weiteres. Für Idealvereine liegt der Bedarf nach einer D&O-Versicherung für die unentgeltlich oder niedrig vergüteten Organmitglieder im Hinblick auf die Haftungsprivilegierungen in § 31a BGB nicht auf der Hand. Bei einfacher Fahrlässigkeit steht dem Organmitglied gem. § 31a Abs. 2 S. 1 BGB ein Freistellungsanspruch gegen den Verein zu. Allein das Risiko, diesen Anspruch bei Insolvenz des Vereins nicht durchsetzen zu können, wird vielfach eine D&O-Versicherung als nicht erforderlich erscheinen lassen. Stattdessen genügt typischerweise eine Rechtsschutzversicherung.27 Anders ist die Lage für Organmitglieder von Vereinen, die nicht von den Haftungsprivilegierungen in § 31a BGB profitieren; für sie kann sich der Abschluss einer D&O-Versicherung empfehlen.28 Bei Personengesellschaften ist eine D&O-Versicherung zwar rechtlich nicht ausgeschlossen. Sie erweist sich allerdings in der Praxis deshalb als problematisch, weil die Selbstorganschaft zu Interessenkonflikten führen würde und aufgrund des maßgeblichen Einflusses der Gesellschafter auf die Geschicke der Gesellschaft letztlich eine Eigenversicherung vorläge.29 Gleichwohl gibt es auch für Personengesellschaften in der Praxis beschränkte Deckungsangebote.30 Die in Rn. 10 genannten Probleme gelten nicht für die GmbH & Co. KG. Hier kommt die KG als VN einer für die Haftpflichtrisiken des GmbH-Geschäftsführers davon ausgegangen D&OVersicherung in Betracht.31 Teils wird demgegenüber davon ausgegangen, allein die GmbH als Komplementärin könne VN sein.32 Für diese Einschränkung gibt es aber keinen Grund, solange allein der GmbH-Geschäftsführer versicherte Person ist. Selbst wenn man dies anders sähe, könnte sich der VR dann, wenn er die KG als VN akzeptiert hat, nicht seiner Leistungspflicht entziehen (venire contra factum proprium gem. § 242 BGB).33 Die AVB D&O gehen davon aus, dass es sich beim VN um die Gesellschaft handelt, für die oder für deren Tochtergesellschaft(en) die versicherten Personen tätig sind.34 Unschädlich ist es, wenn eine versicherte Person zugleich Gesellschafterin des VN ist.35 In diesem Fall kann aber Ziff. A-6.3 zu einer Verringerung der Versicherungsleistung entsprechend der Kapitalbeteiligungsquote führen (s. Ziff. A-6 Rn. 85 ff.). Natürliche Personen, etwa die Organmitglieder, können in der D&O-Versicherung auch jenseits der AVB D&O nicht VN einer Side A-Deckung (s. Einf Rn. 16) sein.36

25 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 10. 26 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 27 Olbrich 93; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 8; vgl. auch Unger NJW 2009 3269, 3273 (auf die Möglichkeit einer Vermögensschadens-Haftpflichtversicherung und einer D&O-Versicherung hinweisend). 28 Näher L. Beck VersR 2017 855, 859 f. 29 Olbrich 100 ff.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 8; s. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 18; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 68. 30 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 20; Sanders/Berisha NZG 2020 1290, 1296 f. 31 GDV-Erl. zu Ziff. A-1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 50, 58; Ihlas 329 f.; Langheid/Wandt/ Ihlas D&O Rn. 100; Olbrich S. 103; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 8. 32 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 72; MAH-VersR/ Sieg § 17 Rn. 68. 33 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 8. 34 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 35 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 8. 36 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 69. Armbrüster

750

C. Versicherte Personen

AVB D&O A-1

C. Versicherte Personen I. Fremdversicherung Ziff. A-1 Abs. 1 nennt als potentiell haftpflichtige Personen „ein gegenwärtiges oder ehemaliges 13 Mitglied des Aufsichtsrates, des Vorstandes oder der Geschäftsführung des VN oder einer Tochtergesellschaft (versicherte Personen)“. Daraus lässt sich zunächst ablesen, dass Versicherungsnehmer die Gesellschaft ist. Zudem wird durch die Verwendung des Begriffs „versicherte Personen“ klargestellt, dass die genannten Organmitglieder die Träger des versicherten Haftpflichtinteresses sind.37 In der Terminologie des Gesetzgebers handelt es sich mithin bei den versicherten Personen 14 um Versicherte (vgl. §§ 44 ff. VVG). Dieses Verständnis wird bestätigt durch die Regelungen in Ziff. A-8, die auf den §§ 44 ff. VVG aufbauen und sie teils modifizieren. Daneben ist nicht noch ein Interesse der Gesellschaft versichert (näher Einf Rn. 89). Daher handelt es sich bei der D&OVersicherung in ihrer klassischen, durch Ziff. A-1 Abs. 1 zum Ausdruck kommenden Konzeption (Side A-Deckung; s. Einf Rn. 16) um eine ausschließliche Fremdversicherung. Darauf aufbauend wird in Ziff. A-8 Abs. 1 die Rechtsstellung der versicherten Personen abweichend vom dispositiven Gesetzesrecht ausgestaltet (s. Ziff. A-8 Rn. 4 ff.).

II. Geschützter Personenkreis 1. Grundregeln Versicherte Personen sind nach Ziff. A-1 Abs. 1 nicht nur einzelne, sondern sämtliche Organmitglieder (globale Versicherung; zu davon abweichenden Deckungsangeboten für die Mitglieder einzelner Organe oder für Einzelpersonen s. Einf Rn. 136 ff.).38 Es handelt sich mithin um eine Gruppenversicherung.39 Diese Gestaltung beruht darauf, dass die Organmitglieder regelmäßig gem. § 421 BGB gesamtschuldernisch haften. Aus diesem Grund werden auch Aufsichtsund Vorstandsmitglieder kumulativ versichert; zwischen den Mitgliedern beider Organe ist nämlich gleichfalls eine gesamtschuldnerische Haftung möglich.40 Erfasst sind nach dem klaren Wortlaut von Ziff. A-1 Abs. 1 sowohl die Organmitglieder des VN selbst als auch seiner Tochtergesellschaften, soweit diese nach Ziff. A-4 in den Deckungsschutz einbezogen sind (s. dazu Ziff. A-4 Rn. 5 ff.).41 In Ziff. A-1 Abs. 1 wird der Kreis der versicherten Personen lediglich abstrakt nach ihrer Organstellung umschrieben. Hingegen ist nicht vorgesehen, dass die versicherten Personen namentlich aufgeführt werden. Eine solche Benennung unterbleibt in der Praxis regelmäßig;42 sie erfolgt auch nicht außerhalb der AVB in individualvertraglichen Zusätzen oder im Versicherungsschein. Diese Vorgehensweise ist dem Umstand geschuldet, dass anderenfalls angesichts der üblichen Fluktuation häufig Nachträge erforderlich würden; zudem könnte es zu personenbezogenen Differenzierungen beim Deckungsschutz kommen, was angesichts der gesamtschuldnerischen Haftung nicht sachgerecht erscheint.43 Die lediglich abstrakte Umschreibung des versicherten Personenkreises ist vertragsrechtlich zulässig; bei der Versicherung für fremde Rechnung muss die Person des Versicherten 37 38 39 40 41 42 43 751

GDV-Erl. zu Ziff. A-1. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10. Dreher/Fritz VersR 2021 220; Hoffmann-Becking ZHR 181 (2017) 737, 741. GDV-Erl. zu Ziff. A-1. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 12. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 151 f. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 152. Armbrüster

15

16

17

18

A-1 AVB D&O

19

20

21

22

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

nicht benannt werden (vgl. §§ 44 Abs. 1 S. 1, 48 VVG).44 Vielmehr genügt es, wenn die versicherten Personen bestimmbar sind.45 Es ist daher wichtig zu klären, welche Arten von Funktionsträgern unter die in Ziff. A-1 Abs. 1 genannten Begriffe fallen (s. dazu Rn. 24 ff.). Daraus, dass Ziff. A-1 Abs. 1 keine namentliche Nennung der versicherten Personen vorsieht, folgt zugleich, dass sich der Versicherungsschutz nicht allein auf diejenigen Personen bezieht, die bereits beim formellen oder materiellen Vertragsbeginn Organmitglieder waren. Zugleich bezieht Ziff. A-1 Abs. 1 ausdrücklich auch ehemalige Organmitglieder in die Deckung ein. Insgesamt bedeutet dies, dass sich der Versicherungsschutz auf sämtliche Personen erstreckt, die zu einem beliebigen Zeitpunkt während der materiellen Vertragslaufzeit eine Organstellung innehaben. Auf die Dauer der Organmitgliedschaft kommt es dabei nicht an. Eine Schranke wird dem Schutzumfang dadurch gezogen, dass allein Inanspruchnahmen aufgrund von Pflichtverletzungen in Ausübung der Organtätigkeit gedeckt sind (s. dazu Rn. 38 ff.). Wer während der Vertragslaufzeit zu keinem Zeitpunkt eine Organstellung innehatte, wird hingegen auch nicht durch Regelungen zur Rückwärtsdeckung (vgl. Ziff. A-5.2) oder zu Nachhaftungszeiträumen (vgl. Ziff. A-5.3) geschützt. Sofern für ein vom Versicherungsschutz erfasstes Organmitglied ein Stellvertreter bestellt ist, ergibt die Auslegung auch ohne ausdrückliche Regelung in den AVB regelmäßig, dass diese Person in die Deckung einbezogen ist.46 Für Vorstandsmitglieder einer AG folgt dies bereits daraus, dass auch Stellvertreter echte Vorstandsmitglieder sind (vgl. § 94 AktG, wonach die Vorschriften für Vorstandsmitglieder auch für ihre Stellvertreter gelten)47 und nur gesellschaftsintern (u. U. mit eingeschränkter Geschäftsführungsbefugnis) zurückstehen.48 Entsprechendes gilt für stellvertretende GmbH-Geschäftsführer (vgl. § 44 GmbHG).49 Beim Aufsichtsrat einer AG ist die Bestellung von Stellvertretern gem. § 101 Abs. 3 S. 1 AktG ausgeschlossen. Dasselbe gilt bei der GmbH für den obligatorischen Aufsichtsrat (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 DrittelbG, § 6 Abs. 2 MitbestG, jeweils i. V. m. § 101 Abs. 3 S. 1 AktG). In diesen Fällen können nur Ersatzmitglieder berufen werden (zu deren Einbeziehung in den Versicherungsschutz s. Rn. 22). Sofern bei der GmbH ein fakultativer Aufsichtsrat gebildet wird, gilt die in § 101 Abs. 3 S. 1 AktG geregelte Beschränkung hingegen nicht (vgl. § 52 Abs. 1 GmbHG, der nicht auf diese Norm verweist). Der Stellvertreter ist dann ebenso wie bei der AG in den Versicherungsschutz einbezogen. Was den Umfang der Einbeziehung von Stellvertretern in den Versicherungsschutz angeht, gilt es zu beachten, dass nach Ziff. A-1 Abs. 1 die Inanspruchnahme wegen einer bei Ausübung der Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung erforderlich ist. Mithin kommen von vornherein allein Sachverhalte in Betracht, bei denen der Stellvertreter anstelle des Organmitglieds gehandelt hat. Es geht hier lediglich um eine Verlagerung und nicht um eine Erweiterung des vom VR übernommenen Risikos. Dies bedeutet zugleich, dass der Stellvertreter nur in seiner Eigenschaft als solcher Versicherungsschutz erlangt. Sofern ihm jenseits seiner Vertretungsfunktion innerhalb der Gesellschaft noch weitere Aufgaben anvertraut sind, besteht insoweit Versicherungsschutz nur, sofern die AVB den geschützten Personenkreis abweichend von Ziff. A-1 Abs. 1 über die Organmitglieder hinaus ausdehnen (s. Rn. 88 ff.) und er die entsprechenden Anforderungen erfüllt. Verliert ein Organmitglied vor Ablauf seiner regulären Bestellungsdauer seine Amtsstellung, so erstreckt sich der Versicherungsschutz ohne Weiteres auf ein als Nachfolger ernanntes neues Organmitglied. Dies gilt auch für Ersatzmitglieder von Aufsichtsratsmitgliedern.

44 45 46 47 48 49

Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 53; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 45. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 45; Olbrich 107. Ihlas 339; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10. Näher Hüffer/Koch § 94 Rn. 2. Ihlas S. 339; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 53; Mitterlechner/Wax/Witsch § 3 Rn. 16. Näher Baumbach/Hueck/Beurskens § 44 Rn. 2 ff.

Armbrüster

752

C. Versicherte Personen

AVB D&O A-1

Geht es um die Stellung einer Person als versichertes Organmitglied in einer Gesellschaft 23 ausländischen Rechts, so kommt es für die Qualifikation als Organmitglied i. S. v. Ziff. A-1 auf die funktionale Gleichwertigkeit mit einer Organmitgliedschaft nach deutschem Recht an (s. auch Ziff. A-4 Rn. 13).50 Zudem gilt es Besonderheiten der jeweiligen Rechtsordnung im Hinblick auf die Rechtsstellung dieser Organmitglieder zu beachten.51

2. Erfasste Organmitglieder a) Mitglieder des Aufsichtsrats. Aufsichtsrat sind zunächst die im Gesetz als solche bezeich- 24 neten Organe (s. insbes. §§ 95 ff. AktG, § 52 GmbHG). Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um einen obligatorischen oder fakultativen Aufsichtsrat handelt.52 Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont eines durchschnittlichen VN sind darüber hinaus unabhängig von ihrer Bezeichnung (z. B. als Verwaltungsrat)53 auch andere Organe erfasst, welchen eine Aufsichtsaufgabe zukommt. Erforderlich ist auch hier allerdings eine Organstellung der jeweiligen natürlichen Person. Sie setzt die organisatorische Einbindung der Person in die Binnenstruktur der Gesellschaft voraus. Diese Voraussetzung ist bei externen Gremien, die zur Überwachung eingesetzt werden, nicht erfüllt. Nicht erfasst werden vom Deckungsschutz nach Ziff. A-1 Abs. 1 zudem Organe (Beiräte, Ausschüsse) mit beratender Funktion.54 Hierfür bedarf es vielmehr einer entsprechenden ausdrücklichen Einbeziehung in den AVB. b) Mitglieder des Vorstands. Vorstand ist jedes Geschäftsführungsorgan, das im Gesetz als 25 solches bezeichnet wird. In der Praxis steht hier der Vorstand der Aktiengesellschaft (§ 76 AktG) ganz im Vordergrund. Es handelt sich um einen Spezialfall der Geschäftsführung (zu ihr s. Rn. 26). c) Mitglieder der Geschäftsführung. Dabei geht es in erster Linie um die Geschäftsführer 26 einer GmbH (§ 35 GmbHG). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist allein im Hinblick auf seine Geschäftsführertätigkeit (s. Ziff. A-1 Abs. 1: „bei Ausübung dieser Tätigkeit“) und nicht darüber hinaus auch in seiner Eigenschaft als Gesellschafter versichert (s. Rn. 70; zu abweichenden AVB s. Rn. 92). Aus demselben Grund sind auch Ansprüche einer GmbH gegen deren Gesellschafter wegen pflichtwidriger Weisungen an die Geschäftsführer nicht vom Versicherungsschutz umfasst.55

d) Fehlerhafte und faktische Organstellung. Liegt ein formeller Bestellungsakt vor und 27 ist dieser fehlerhaft,56 so ist davon auszugehen, dass die bestellten Personen trotz der Fehlerhaf50 Vgl. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 85 f. 51 S. etwa zu den Regeln zum sog. privy of interest nach englischem Prozessrecht OLG Hamm BeckRS 2019 38848 Rn. 173 ff. m. Anm. Valdini GWR 2020 159. 52 Insoweit wohl wie hier MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 74, der zwischen gesetzlich vorgesehenen und fakultativen Unternehmensorganen unterscheidet, sodann aber als Beispiel für letztere den Beirat (nicht: Aufsichtsrat) in einer GmbH anführt. 53 Vgl. dazu auch Möhrle 21; ferner Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10 („nicht ohne weiteres einbezogen“). 54 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 54. 55 Jula FS Baumann (1999) 119, 123 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 13. 56 Zur Haftung beim GmbH-Geschäftsführer s. Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 4; zur Haftung bei AG-Vorstandsmitgliedern s. BGH 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41 282 = NJW 1964 1367; BeckOGK-AktG/Fleischer 1.2.2021 § 93 Rn. 216; Hüffer/Koch § 93 Rn. 37; zur Haftung bei AG-Aufsichtsratsmitgliedern s. BGH 19.2.2013 – II ZR 56/12, NJW 2013 1535 Rn. 19. 753

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

tigkeit ebenso wie ordnungsgemäß bestellte Organmitglieder nach Ziff. A-1 Abs. 1 versicherte Personen sind.57 Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass eine Person die Tätigkeiten eines Organmitglieds faktisch ausübt, obwohl keine Bestellung vorangegangen oder eine solche wirksam beendet worden war. Zwar muss sich der VN das Verhalten solcher Personen u. U. zurechnen lassen.58 Sie haben ihre Stellung jedoch nicht aufgrund einer – wenn auch fehlerhaften – Bestellung erlangt, so dass sie im Kontext von Ziff. A-1 Abs. 1 nicht als Organmitglieder angesehen werden können.59 Für die Abgrenzung zwischen versicherten und nicht versicherten Personen kommt es mithin entscheidend darauf an, ob ein Bestellungsakt vorliegt. Mit diesem Kriterium lässt sich zugleich dem Interesse an Rechtssicherheit Rechnung tragen. Aus der Maßgeblichkeit des Bestellungsakts folgt zugleich, dass es weder auf die Existenz und die Wirksamkeit des Anstellungsvertrags noch auf die Eintragung im Handelsregister ankommt.60

28 e) Besondere Vertreter. Bei der AG können sog. besondere Vertreter durch die Hauptversammlung (§ 147 Abs. 2 S. 1 AktG) oder durch das Gericht (§ 147 Abs. 2 S. 2 AktG) bestellt werden, um Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen Mitglieder des Aufsichtsrats oder des Vorstands geltend zu machen. Für die GmbH sieht § 46 Nr. 8 GmbHG eine entsprechende Entscheidungszuständigkeit der Gesellschafter vor. Der besondere Vertreter ist als Gesellschaftsorgan anzusehen.61 Seine Haftung richtet sich analog § 93 AktG.62 Da Ziff. A-1 Abs. 1 ausdrücklich allein die Organe Aufsichtsrat, Vorstand und Geschäftsführung aufführt, sind besondere organschaftliche Vertreter nicht ohne entsprechende Vereinbarung (s. dazu Rn. 96) als versicherte Personen anzusehen.63 Dasselbe gilt für Sonderprüfer i. S. v. § 142 AktG.64

29 f) Insolvenzverwalter. Auch der Insolvenzverwalter über das Vermögen des VN oder einer Tochtergesellschaft ist nach Ziff. A-1 Abs. 1 nicht versicherte Person.65

30 g) Liquidatoren. Dasselbe wie für Insolvenzverwalter (s. Rn. 29) gilt für Liquidatoren und sonstige Abwickler des VN oder einer Tochtergesellschaft, insbes. solche gem. § 265 AktG und § 66 GmbHG.66

57 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 55; Ihlas 340; Olbrich 109 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10; a. A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 55; Looschelders/Pohlmann/Haeling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 77. 58 OLG Köln 15.12.2011 – I-18 U 188/11, GmbHR 2012 1358 m. Anm. Blöse GmbHR 2012 1361; Baumbach/Hueck/ Beurskens § 43 Rn. 5; BeckOGK-AktG/Fleischer 1.2.2021 § 93 Rn. 222 ff. 59 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 55; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 55; Ihlas 339 ff.; Olbrich 110; grds. auch Looschelders/Pohlmann/Haeling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 77; a.A. Steinkühler VW 2009 94 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10; zur Arglistanfechtung des VR wegen Täuschung über Scheingeschäftsführer und faktischen Geschäftsführer s. LG Mönchengladbach 4.5.2016 – 1 O 143/14, BeckRS 2016 136079. 60 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10. 61 BGH 18.12.1980 – II ZR 140/79, NJW 1981 1097, 1098; BGH 27.9.2011 – II ZR 225/08, NJW-RR 2012 106 f.; Hüffer/ Koch § 147 Rn. 13; vgl. auch Roßkopf/Gayk DStR 2020 2078, 2083 (sub 3.4.2). 62 Ihlas 353 zieht ohne Weiteres § 93 Abs. 2 AktG heran. 63 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 80; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10. 64 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 79. 65 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 78; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 76; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10; s. auch Möhrle 25 ff. 66 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 77; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 75; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10. Armbrüster

754

C. Versicherte Personen

AVB D&O A-1

h) Interimsmanager. Personen, die im Einvernehmen mit der Gesellschaft vorübergehend fak- 31 tisch die Aufgaben eines Organmitglieds übernehmen (z. B. externe Manager), ohne zu Organmitgliedern bestellt zu werden, sind nicht nach Ziff. A-1 Abs. 1 versicherte Personen.67

i) Weitere Personen. Ziff. A-1 beschränkt den Kreis der versicherten Personen auf die genann- 32 ten Organmitglieder. Somit sind leitende Angestellte ohne Organstellung (z. B. Prokuristen; Generalbevollmächtigte) nicht vom Versicherungsschutz umfasst.68 Dieser Beschränkung liegt das Motiv zugrunde, die nach der Rspr. des BAG bestehende Haftungsprivilegierung für leitende Angestellte nicht zu „gefährden“.69 In der Praxis ist heute eine Erweiterung auf leitende Angestellte sowie auf sonstige Personen verbreitet (s. Rn. 88).

3. Erfasste Gesellschaften a) Versicherungsnehmer. Diejenigen versicherten Personen, die für die als Versicherungs- 33 nehmer auftretende Gesellschaft tätig sind, werden stets vom Versicherungsschutz erfasst. Dabei spielt es nach den AVB keine Rolle, in welchem Staat diese Gesellschaft ihren Sitz hat und welches Gesellschaftsrecht für sie gilt. Hierzu erübrigt sich – anders als für Tochtergesellschaften (s. Rn. 34) – eine Regelung in den AVB, da es der VR durch seine Annahmerichtlinien selbst in der Hand hat den Kreis der Gesellschaften zu bestimmen.

b) Tochtergesellschaften. Der Kreis derjenigen Gesellschaften, die als Tochtergesellschaf- 34 ten des VN i. S. v. Ziff. A-1 anzusehen sind, wird in Ziff. A-4 näher bestimmt.70 In geographischer Hinsicht ist es erforderlich, dass die Tochtergesellschaften ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der EU haben. Zu den Einzelheiten s. A.4 Rn. 12 f.

4. Ehemalige Organmitglieder In Ziff. A-1 Abs. 1 wird ausdrücklich klargestellt, dass der Versicherungsschutz auch ehemali- 35 gen Organmitgliedern zugutekommt. Es genügt mithin, dass eine Person zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung Organmitglied war, auch wenn sie diese Stellung anschließend – und vor der Inanspruchnahme i. S. v. Abs. 1 – verloren hat.71 Dies beruht auf dem Anspruchserhebungsprinzip (Ziff. A-2) und der Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2).72 Die Einbeziehung ehemaliger Organmitglieder ist nicht zuletzt deshalb praktisch bedeutsam, weil mit dem Ausscheiden aus der Organstellung häufig auch dasjenige aus dem VN und seinen Tochtergesellschaften verbunden ist. Dieses Ausscheiden kann zudem durch Sachverhalte begründet sein, auf welche die Gesellschaft einen Innenhaftungsanspruch stützt. In derartigen Situationen kann das Verhältnis zwischen Gesellschaft und ehemaligem Organmitglied belastet sein. Die Gesellschaft wird dann womöglich dem ausgeschiedenen Organmitglied den Zugang zu solchen Informationen verweigern, welche zur Abwehr des Haftungsanspruchs genutzt werden könnten.

67 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 55; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 75; a. A. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 10 (tatsächliche Wahrnehmung einer Organposition genüge). 68 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 72; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 12. 69 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 70 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 71 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 71 a. E. 72 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 755

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

5. Künftige Organmitglieder 36 In Ziff. A-1 Abs. 1 werden nur gegenwärtige und ehemalige Organmitglieder genannt. Dies führt zu der Frage, ob auch solche Personen in den Versicherungsschutz einbezogen sind, die erst nach Abschluss des Versicherungsvertrags, aber während der materiellen Vertragslaufzeit die Stellung als Organmitglied erlangt haben. Nach einer strengen Ansicht ist das Wort „gegenwärtig“ so zu verstehen, dass es allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt.73 Dies würde bedeuten, dass selbst solche Personen, die zwischen Vertragsschluss und einem späteren Beginn des Deckungsschutzes Organmitglieder werden, nicht ohne Weiteres vom Versicherungsschutz profitieren würden, geschweige denn solche, die erst später hinzukommen. In solchen Fällen könnte der Schutz freilich durch eine Anzeige beim VR erreicht werden.74 37 Stellungnahme: Die strenge Ansicht überzeugt nicht. Wie dargelegt, genügt es, wenn bei Vertragsschluss der Kreis der versicherten Personen abstrakt umschrieben wird, so dass er bestimmbar ist; eine namentliche Auflistung ist nicht erforderlich (s. Rn. 17). Kommt es mithin auf die Identität des einzelnen Organmitglieds nicht an, so ist nicht ersichtlich, wieso sich dies im Hinblick auf nach Vertragsschluss berufene Organmitglieder anders verhalten sollte. Aus Sicht des durchschnittlichen VN ist das Wort „gegenwärtiges“ in Ziff. A-1 Abs. 1 daher so zu verstehen, dass es sich nicht auf den Vertragsschluss oder den Beginn der Versicherungsperiode bezieht, sondern auf deren gesamte Laufzeit. Somit erstreckt sich der Versicherungsschutz ohne Weiteres auch auf neu bestellte Organmitglieder.75 Entsprechende Regelungen in Unternehmens-AVB76 haben daher nur klarstellende Funktion; strengere Klauseln sind freilich zulässig.

D. Pflichtverletzung bei Ausübung der Tätigkeit als Organmitglied I. Bedeutung der Pflichtverletzung 38 Nach Ziff. A-1 Abs. 1 besteht Deckungsschutz für den Fall, dass eine versicherte Person „wegen einer […] Pflichtverletzung“ in Anspruch genommen wird. Daran anknüpfend wird im Schrifttum teils diskutiert, ob damit das Erfordernis einer Pflichtverletzung als zusätzliche Deckungsvoraussetzung anzusehen ist, die über die Verwirklichung eines gesetzlichen Haftungstatbestands hinausgeht.77 Diese Fragestellung erscheint bereits deshalb verfehlt, weil die Haftpflichtversicherung eine Abwehrkomponente umfasst (s. Ziff. A-6.1 lit. b und dazu Ziff. A-6 Rn. 2, 17 ff.). Schon deshalb könnte es von Vornherein allein um die Behauptung einer Pflichtverletzung durch den Dritten gehen. Ziff. A-2 stellt des Weiteren klar, dass der Eintritt des Versicherungsfalls in der Anspruchserhebung liegt. Für die Annahme, dass die Leistungspflicht des VR darüber hinaus eine Pflichtverletzung erfordere, ist daher auch aus diesem Grund kein Raum.78 Im Übrigen lässt sich in jeder Verwirklichung eines Haftungstatbestands eine Pflichtverletzung erblicken.79 Die Erwähnung der Pflichtverletzung in Ziff. A-1 Abs. 1 erklärt sich

73 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 45 f.; vgl. aber auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 11, der diese (von ihm abgelehnte) Ansicht auf den Beginn der Versicherungsperiode bezieht. 74 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 45 f.; Ihlas 338; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 157. 75 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 71; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 11. 76 Näher Olbrich S. 107 f.; zur Unterscheidung zwischen „statischen“ und „flexiblen“ Konzernpolicen s. Lange AG 2005 459, 460, 469. 77 S. zu dieser Diskussion Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 78. 78 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 29; insoweit unklar Beckmann/Matusche-Beckmann/ Beckmann § 28 Rn. 78 a. E. 79 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 29; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 78. Armbrüster

756

D. Pflichtverletzung bei Ausübung der Tätigkeit als Organmitglied

AVB D&O A-1

schlicht daraus, dass damit das einschränkende Merkmal zum Ausdruck gebracht werden soll, dass ein Bezug zur Organtätigkeit erforderlich ist (s. dazu Rn. 39 ff.).

II. Bezug zur Ausübung der Organtätigkeit 1. Überblick Das Leistungsversprechen des VR erstreckt sich allein auf solche Inanspruchnahmen, die auf 39 eine Pflichtverletzung „bei Ausübung“ der Tätigkeit als Organmitglied gestützt werden. Es muss ein innerer Zusammenhang mit der organschaftlichen Tätigkeit bestehen.80 Damit sind jedenfalls solche Pflichtverletzungen ausgeschlossen, die lediglich bei Gelegenheit der Organtätigkeit oder gänzlich ohne jeden Bezug zu dieser erfolgen.81 Dies ist z. B. dann anzunehmen, wenn Vorstandsmitglieder Mitarbeiter des VN abwerben, um ein Konkurrenzunternehmen aufzubauen.82 Darüber hinaus entfällt die Deckung auch dann, wenn das Organmitglied zumindest weit überwiegend in seinem Eigeninteresse und nicht im Unternehmensinteresse handelt.83 Ist die Deckung nach diesen Grundsätzen ausgeschlossen, so kann Versicherungsschutz aufgrund anderer Haftpflichtversicherungen eingreifen, etwa nach den AHB. Die Organtätigkeit muss gerade für den VN oder – wenn es sich um die versicherte Person 40 einer nach Ziff. A-4 in den Deckungsschutz einbezogenen Tochtergesellschaft handelt – für diese Tochtergesellschaft erfolgt sein.84 Dies wird durch den Risikoausschluss in Ziff. A-7.7 bekräftigt. Mithin ist etwa die über ihre Organstellung beim VN hinausreichende Tätigkeit einer versicherten Person bei einer Tochtergesellschaft nicht gedeckt, sofern diese Person nicht auch bei der Tochtergesellschaft Organmitglied ist. Durch Individualabrede kann von dieser Beschränkung abgewichen werden.85

2. Abgrenzungskriterien a) Organschaftlicher Aufgabenkreis. Maßgeblich dafür, ob das Organmitglied bei Ausübung 41 seiner Organtätigkeit gehandelt hat, ist der jeweilige dem Organmitglied durch Gesetz sowie Satzung oder Gesellschaftsvertrag zugewiesene Aufgabenkreis.86 Diese Aufgaben können durch Weisungen und Gesellschafterbeschlüsse weiter konkretisiert sein.87 Dies ist insbes. für GmbH-Geschäftsführer praktisch bedeutsam. In bestimmten Fällen kann auch die Hauptversammlung einer AG dem Vorstand Vorgaben für seine Geschäftsführungstätigkeit machen (vgl. § 119 Abs. 2 AktG). Freilich wird dadurch sein Aufgabenkreis nicht erweitert; vielmehr hat ein entsprechender Beschluss haftungsbefreiende Wirkung.

80 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 18a. Anders für eine abw. Klausel, wonach es allein auf in der Eigenschaft als versicherte Person begangene Pflichtverletzungen ankommen soll, OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021 1355, 1358. 81 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 215 ff.; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 83. 82 OLG München 13.9.2017 – 7 U 4126/13, VersR 2018 406, 408 ff. m. zust. Anm. Fiedler und krit. Anm. Schimikowski RuS 2017 593; a. A. Möhrle AG 2019 243, 245 f.; R. Koch ZIP 2018 301 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 217; krit. zur Argumentation des OLG München auch OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021 1355, 1358 (betr. Vorwurf der unberechtigten Verwendung von Geschäftsgeheimnissen). 83 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 18a. 84 Ihlas 341 f.; Olbrich 120; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 18, Ziff. A-4 Rn. 2. 85 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 18; Beispiel: OLG Köln 28.4.2009 – 9 U 114/08, RuS 2009 371, 372 f. 86 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 76. 87 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 76; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 141. 757

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

42 b) Operative Tätigkeiten. Im Schrifttum ist es teils unternommen worden, zwischen einer Pflichtwidrigkeit bei der Leitung der Gesellschaft (vgl. § 76 Abs. 1 AktG) und bei sonstigen (operativen) Tätigkeiten des Organmitglieds, die auch andere Mitarbeiter der Gesellschaft durchführen könnten (vgl. § 77 AktG), zu differenzieren. Demnach sollen solche sonstigen Tätigkeiten – beispielhaft genannt werden unter Hinweis auf das ARAG-Garmenbeck-Urteil des BGH88 Fehler bei der Kreditvergabe oder auch eine unzureichende due diligence bei einem vom Organmitglied betreuten Unternehmenskauf genannt –89 vom Deckungsschutz ausgenommen sein.90 Stellungnahme: Der Wortlaut von Ziff. A-1 Abs. 1 bietet für eine solche Differenzierung 43 keinen Anhaltspunkt.91 Sie lässt sich hinsichtlich der Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG auch nicht dem Gesetz entnehmen. Die business judgement rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG spricht im Gegenteil für die Einbeziehung operativer Tätigkeiten.92 Eine Klausel, nach der sich der Versicherungsschutz ausdrücklich auch auf die operative Tätigkeit der versicherten Personen erstreckt, hat mithin nur klarstellenden Charakter. Allerdings können sich aus abweichenden AVB (Subsidiaritätsklauseln; besonderen Ausschlusstatbeständen) entsprechende Differenzierungen ergeben.93 Handelt es sich beim VN um ein Dienstleistungsunternehmen (z. B. Beratungs- oder Fi44 nanzdienstleistungsunternehmen) und macht ein Dritter Schadensersatzansprüche wegen Pflichtwidrigkeiten bei der Dienstleistung (z. B. Beratungsfehler) gegen eine versicherte Person geltend, so stellt sich gleichfalls die Frage, ob es sich um eine versicherte Tätigkeit handelt. Dies bedarf dann der Klärung, wenn kein anderweitiger Versicherungsschutz (insbes. aus einer Berufshaftpflichtversicherung) besteht oder die D&O-Versicherung einer solchen Deckung gegenüber nicht subsidiär ist (vgl. aber die Subsidiaritätsklausel in B4-1.1). In solchen Fällen wird man – entsprechend der in Rn. 43 dargelegten Grundregel – die Tätigkeit vorbehaltlich einer abweichenden Klausel als nach Ziff. A-1 Abs. 1 versichert anzusehen haben (s. aber den Risikoausschluss in Ziff. A-7.3 für „in den Verkehr gebrachte Produkte, Arbeiten oder sonstige Leistungen“ und dazu Ziff. A-7 Rn. 68 ff.).94

45 c) Pflichten aus dem Anstellungsverhältnis. Verletzt ein Organmitglied eine es aus der Organstellung treffende Pflicht, so liegt darin regelmäßig zugleich eine Verletzung des Anstellungsvertrags. Allerdings hat eine sich daraus ergebende Haftung nach § 280 BGB neben der organschaftlichen Haftung (insbes.: aus § 93 Abs. 2 AktG oder § 43 GmbHG) keine eigenständige Bedeutung (s. Rn. 61). Die im Anstellungsvertrag geregelten Pflichten sind daher für den Versicherungsschutz nur insofern bedeutsam, als darin eine Konkretisierung der organschaftlichen Pflichten liegt; entscheidend kommt es dann auf die Verletzung der solchermaßen konkretisierten Organpflicht an.95 Sieht der Anstellungsvertrag weiter reichende Pflichten vor und steht deren Verletzung in Rede, fehlt es insoweit an der in Ziff. A-1 Abs. 1 vorausgesetzten Pflichtverletzung bei Ausübung der Organtätigkeit.

88 BGH 21.4.1997 – II ZR 175/95, NJW 1997 1926. 89 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 82. 90 Ihlas S. 360; Seibt/Saame AG 2006 901, 908; in dieser Richtung auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 141 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 214 ff., 225 ff., 233; vgl. auch MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 82. 91 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 18a; so im Erg. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 76 ff., 81; Hahn VersR 2012 393, 396 (betr. Prospekthaftung); Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 233. 92 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 32. 93 S. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 232 f.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 82. 94 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 81. 95 So im Erg. wohl auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 76 a. E. Armbrüster

758

E. Gesetzliche Haftpflichtbestimmungen

AVB D&O A-1

3. Einzelfragen a) Freiberufler. Bisweilen übernehmen Angehörige der rechts-, steuer-, wirtschaftsberaten- 46 den und wirtschaftsprüfenden Berufe eine Stellung als Organmitglied. Der Versicherungsschutz hängt dann davon ab, ob die in Rede stehende Pflichtverletzung in Ausübung der Organtätigkeit erfolgt ist oder ob ihr ein separates Mandat zugrunde liegt (vgl. auch den Ausschluss in Ziff. A-7.7). Im letzteren Fall kommt keine Deckung nach den AVB D&O in Betracht, ggf. jedoch eine solche nach den AVB Vermögen.96 b) Gesellschafter. Die Tätigkeit als Gesellschafter erfolgt nicht bei Ausübung einer Organtä- 47 tigkeit.97 Dies gilt auch für Aktionäre und GmbH-Gesellschafter, und zwar ungeachtet des Umstands, dass es sich bei der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung um ein Organ der Gesellschaft handelt. Für Ansprüche, welche aus dieser Tätigkeit hergeleitet werden, besteht daher keine Deckung (s. Rn. 70).

c) Privatperson. Wird einer versicherten Person losgelöst von der Organtätigkeit eine Pflicht- 48 verletzung vorgeworfen, wie dies auch jeder anderen Person widerfahren könnte, so besteht kein Deckungsschutz.98

d) Fremdmandate („Outside directors“). Nach Ziff. A-7.7 sind Haftpflichtansprüche aus 49 Pflichtverletzungen bei einer anderen als der versicherten Tätigkeit (z. B. Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen oder freiberufliche Tätigkeit) vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Dieser Ausschluss ist angesichts der engen Fassung von Ziff. A-1–1 Abs. 1 rein deklaratorisch (s. Ziff. A-7 Rn. 89: klarstellende Bedeutung). Wenn derartige Tätigkeiten gedeckt wären, könnte es in dem anderen Unternehmen zu einer vorzugsweisen Inanspruchnahme der entsandten Organmitglieder kommen; zudem könnte die für die Haftung der Organmitglieder aus ihrer Tätigkeit für den VN verfügbare Versicherungssumme verbraucht werden.99 Dessen ungeachtet finden sich am Markt verbreitet abweichende AVB (s. Rn. 97).

E. Gesetzliche Haftpflichtbestimmungen I. Grundlagen 1. Unabhängigkeit der Haftung vom Parteiwillen Der Ausdruck „gesetzliche Haftpflichtbestimmungen“ in Ziff. A-1 Abs. 1 knüpft an die ent- 50 sprechenden Formulierungen in anderen Klauselwerken zur Haftpflichtversicherung an. Zu nennen sind insbes. Ziff. 1.1 AHB (Stand: Februar 2016) und Ziff. 1.1 AVB Vermögen.100 Zur Auslegung können daher grds. – vorbehaltlich von Besonderheiten der D&O-Versicherung, insbes. hinsichtlich des Auslegungsmaßstabs (s. Einf Rn. 65 ff.), der fehlenden Begrenzung auf privatrechtliche Ansprüche (s. Rn. 51 ff.) und der Beschränkung auf Vermögensschäden (s. Rn. 75 ff.) –

96 Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke unter Nr. 250. 97 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 77; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 80. 98 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 141; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 81. 99 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 100 Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke unter Nr. 250. 759

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

die zu diesen Klauseln entwickelten Regeln herangezogen werden.101 Demnach sind unter gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen Rechtsnormen (im materiellen Sinne) zu verstehen, die an einen Sachverhalt unabhängig vom Willen der Beteiligten Rechtsfolgen knüpfen.102 Erforderlich ist zudem, dass es um eine Haftung und nicht um einen reinen Ausgleich von Vermögensverschiebungen geht. Daher sind insbes. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) nicht vom Deckungsschutz umfasst (vgl. auch den Ausschlusstatbestand in Ziff. A-7.2).103

2. Einschluss öffentlich-rechtlicher Haftung 51 Ziff. A-1 Abs. 1 spricht ganz allgemein von „gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen“. Darin unterscheidet sich die Klausel von früheren Musterbedingungen bis einschließlich den AVB-AVG 2011, in denen der Schutz auf „gesetzliche Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts“ beschränkt war. Nunmehr sind also auch öffentlich-rechtliche Haftungstatbestände erfasst.104 Dies folgt nicht aus einer (bei AVB grds. unzulässigen)105 historischen Auslegung, sondern daraus, dass nach dem maßgeblichen Verständnishorizont eines durchschnittlichen VN insoweit keine Einschränkung besteht. Die Erstreckung ist in der Praxis vor allem für die Abwehrfunktion der D&O-Versicherung relevant.106 Praktisch bedeutsam ist die Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Haftungstatbestände ins52 bes. im Hinblick auf die Haftung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 69 AO (s. Rn. 73, Anh Ziff. A-1 Rn. 97 f.). Die Haftung wegen Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 266a, 15 StGB stellt freilich einen privatrechtlichen Tatbestand dar,107 ohne dass es angesichts der Gleichstellung in Ziff. A-1 Abs. 1 darauf ankäme (zur abweichenden Lage bei älteren Muster-AVB s. Rn. 100). Zahlungspflichten mit Sanktionscharakter aufgrund öffentlich-rechtlicher Normen beru53 hen nicht auf Haftpflichtbestimmungen i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1. Dies betrifft etwa Bußgelder108 oder die Abschöpfung von Vermögensvorteilen aufgrund von Strafvorschriften.109

3. Auslegungsmaßstab 54 Für die Auslegung des Begriffs „gesetzliche Haftpflichtbestimmungen“ haben die vom BGH für die AVB-Auslegung aufgestellten Regeln besondere Bedeutung erlangt. So hat der BGH in diesem Zusammenhang unlängst seine Judikatur bestätigt, wonach der Auslegungsmaßstab des durchschnittlichen VN auf den jeweiligen Adressatenkreis der Versicherung zu beziehen ist. Bei der D&O-Versicherung sind dies geschäftserfahrene Personen (s. Einf Rn. 66). Auch diesem

101 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 83. 102 St. Rspr.; BGH 8.12.1999 – IV ZR 40/99, VersR 2000 311, 312 (sub II 3 a); 11.12.2002 – IV ZR 226/01, VersR 2003 236 (sub II 1); Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 1 AHB 2012 Rn. 34; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 1 AHB Rn. 6; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 84. 103 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 84. 104 GDV-Erl. zu Ziff. A-1; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 84; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 200; MAH-VersR/Sieg Rn. 85; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 17. 105 Näher Prölss/Martin/Armbrüster Einl. VVG Rn. 260 ff. 106 Hendricks VW 1997 1520, 1521; Olbrich 134; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 17. 107 Insoweit a. A. GDV-Erl. zu Ziff. A-1; offenbar auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 194. 108 Praxisbeispiele: LAG Düsseldorf 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, VersR 2015 629; BAG 29.6.2017 – 8 AZR 189/15, NJW 2018 184. 109 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 17; vgl. aber Grau/Dust ZRP 2020 134, 135 f. Armbrüster

760

E. Gesetzliche Haftpflichtbestimmungen

AVB D&O A-1

Personenkreis, der im Vergleich zu Verbrauchern versierter ist, dürfen nach zutr. Ansicht des BGH allerdings keine juristischen Fachkenntnisse abverlangt werden.110

4. Vertragsverletzungen Ziff. A-1 Abs. 1 erfasst alle deliktischen, quasideliktischen und sonstigen Anspruchsgrundlagen, 55 die auf den Ausgleich eines (Vermögens-)Schadens gerichtet sind. Sofern das Gesetz einen solchen Anspruch an die Verletzung vertraglicher Pflichten knüpft, ist auch dieser Sekundäranspruch als gesetzliche Haftpflichtbestimmung i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1 anzusehen.111 Dies gilt etwa für den Fall, dass ein Vorstandsmitglied einer AG seine organschaftlichen Pflichten und damit zugleich den Anstellungsvertrag verletzt (zum Verhältnis der Vertragsverletzung zur Organhaftung s. Rn. 61). Hingegen sind Ansprüche aus selbstständigen Garantieversprechen nicht erfasst, selbst wenn die Nichteinhaltung einen Schadensersatzanspruch auslöst.112 Bei Erfüllungsansprüchen handelt es sich nicht um Ansprüche aus gesetzlichen Haft- 56 pflichtbestimmungen.113 Insoweit gilt dasselbe wie nach den AHB.114 Streit besteht darüber, ob für Erfüllungssurrogate Deckungsschutz besteht. Dabei muss zunächst geklärt werden, was mit diesem Begriff gemeint ist. Es geht jedenfalls nicht um die im Bürgerlichen Recht regelmäßig darunter verstandenen Tatbestände der Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB), der Hinterlegung (§§ 372 ff. BGB), der Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) und des Erlasses (§ 397 Abs. 1 BGB).115 Die sog. Erfüllungsklausel in Ziff. 1.2 AHB stellt sub (1) Nacherfüllung, Selbstvornahme, Rücktritt, Minderung und Schadensersatz statt der Leistung der Erfüllung gleich. Hinzu kommen weitere Fälle, die sub (6) im Auffangtatbestand „[gesetzliche Ansprüche] wegen anderer an die Stelle der Erfüllung tretender Ersatzleistungen“ münden. Indessen lässt sich diese Aufzählung nicht ohne Weiteres auf die AVB D&O übertragen. Maßgeblich muss vielmehr sein, ob es jeweils um Ansprüche geht, die an die Stelle des Erfüllungsanspruchs selbst getreten sind.116 Sofern damit weiterhin die Bewirkung der versprochenen Leistung in Rede steht, besteht keine Deckung.117 Dazu zählen neben den Fällen von Ziff. 1.2 (1) AHB Ansprüche aus § 285 BGB auf Herausgabe eines an die Stelle des geschuldeten Gegenstands getretenen Ersatzes oder Ersatzanspruchs.

5. Risikoauschlüsse Einige spezielle Haftpflichtrisiken sind im Katalog der Risikoausschlüsse gem. Ziff. A-7.2 bis 57 A.7.17 vom Deckungsschutz ausgeschlossen. So sind z. B. nach Ziff. A-7.2 Haftpflichtansprüche auf Rückzahlung von Vorteilen wie etwa Bezügen oder Tantiemen aus der versicherten Tätigkeit ausgeschlossen. Auch die Haftung wegen Schäden durch Leistungen des VN oder seiner

110 BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, VersR 2021 113 Rn. 22 m. Anm. Armbrüster RuS 2021 30 f. und Witsch DZWIR 2021 147.

111 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 74; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/ Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 84; Olbrich 128.

112 Vgl. den Fall BGH 18.6.2001 – II ZR 248/99, NJW-RR 2001 1611, 1612 (betr. Nachschusszusage des GesellschafterGeschäftsführers einer GmbH & Co. KG gegenüber Warenlieferant). 113 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 75; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 89, 174 ff.; Ihlas S. 354; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 199; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 84. 114 Zu ihnen Prölss/Martin/Lücke Ziff. 1 AHB Rn. 9. 115 So aber offenbar MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 84, der auf die §§ 362 ff. BGB Bezug nimmt. 116 Vgl. zu den AVB Vermögen Prölss/Martin/Lücke § 1 AVB Verm. Rn. 18. 117 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 75; im Erg. gegen Einschluss auch Ihlas 354; Langheid/ Wandt/Ihlas D&O Rn. 199; Olbrich S. 128. 761

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

Tochtergesellschaften (Ziff. A-7.3) oder wegen Umweltschäden (Ziff. A-7.4) sind nicht gedeckt. Zu den weiteren Ausschlusstatbeständen und zu Einzelheiten s. Ziff. A-7 Rn. 1 ff.

II. Erfasste Haftungstatbestände 1. Überblick 58 Ziff. A-1 enthält keine Einschränkung hinsichtlich des Kreises derjenigen Personen, durch welche die Inanspruchnahme erfolgt. Dies bedeutet, dass sowohl die Außenhaftung der versicherten Personen gegenüber außenstehenden Dritten als auch die Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft (VN) erfasst sind.118 Als Dritte sind grds. nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar Geschädigte anzusehen. Dasselbe gilt für die Personen, die durch derivativen (Abtretung oder Legalzession) oder originären Forderungserwerb (z. B. § 426 Abs. 1 BGB) Rechtsnachfolger des ursprünglich Geschädigten geworden sind.119 In den – seltenen – Fällen der Konfusion, also wenn etwa die versicherte Person den Dritten beerbt oder umgekehrt, ist grds. eine Leistungspflicht des VR zu bejahen.120 Schadensersatzansprüche von versicherten Personen untereinander sind nicht versichert. 59 In der Praxis steht in Deutschland – anders als in vielen anderen Rechtsordnungen – die Innenhaftung ganz im Vordergrund (s. auch Einf Rn. 9).121 Hingegen hat die Außenhaftung nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung. Die Einzelheiten der verschiedenen Haftungstatbestände werden im Anh Ziff. A-1 Rn. 2 ff. erläutert.122 Im Folgenden sollen – nicht abschließend – einige typische Haftungsgrundlagen genannt werden.

2. Innenhaftung 60 a) Gesellschaftsrechtliche Organhaftung. Zu den gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen zählen in erster Linie die gesellschaftsrechtlichen Tatbestände einer Organhaftung, also insbes. §§ 93 Abs. 2, § 116 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG (s. Anh Ziff. A-1 Rn. 4 ff., 39 ff., 59 ff.).

61 b) Vertragsverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB). Eine Innenhaftung aus § 280 Abs. 1 BGB kommt insbes. wegen der Verletzung einer Pflicht aus dem Anstellungsvertrag in Betracht, welcher der Übernahme der Organstellung zugrunde liegt. Allerdings ist es umstritten, ob ein solcher Anspruch neben demjenigen aus der Organhaftung überhaupt besteht. Nach der herrschenden Trennungstheorie123 ist zwischen korporationsrechtlicher und schuldvertraglicher Ebene zu unterscheiden. Die Organhaftung ist demnach eine gesetzliche Haftung. Ob daneben eine Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB besteht, die freilich den organhaftungsrechtlichen Sonderregeln (insbes. §§ 93 Abs. 2 AktG bzw. 43 Abs. 2 GmbHG) unterliegt, oder ob der Organhaftungstatbestand zugleich die vertragliche Haftung normiert und diese Haftung gegenüber der organschaftlichen Haftung „keine eigenständige Bedeutung“124 hat, ist praktisch folgenlos.125 118 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 119 Vgl. dazu allg. Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 147 ff. 120 ÖOGH 22.2.2010 – 7 Ob 104/09 h, VersR 2011 555, 556; Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 118 f.; Prölss/ Martin/Lücke § 100 Rn. 40. 121 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 6. 122 S. auch Jula 93 ff. mit zahlreichen Fallbeispielen. 123 Hüffer/Koch § 84 Rn. 2. 124 So BGH 12.6.1989 – II ZR 334/87, NJW-RR 1989 1255, 1256; BGH 9.12.1996 – II ZR 240/95, NJW 1997 741, 742. 125 Hüffer/Koch § 93 Rn. 36; vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 76. Armbrüster

762

E. Gesetzliche Haftpflichtbestimmungen

AVB D&O A-1

Eine eigenständige Bedeutung kann der Haftungstatbestand des § 280 Abs. 1 BGB neben 62 der Organhaftung nur insoweit erlangen, wie die Pflichten aus dem Anstellungsvertrag weiter reichen als diejenigen aus der Organstellung. Auch dann kann Versicherungsschutz bestehen, da Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB gleichfalls gesetzliche Haftpflichtbestimmungen sind. Zu beachten ist allerdings die weitere Voraussetzung, dass die in Rede stehende Pflichtverletzung bei Ausübung der Organtätigkeit begangen worden sein muss (s. dazu Rn. 39 ff.).

3. Außenhaftung a) Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Ein Tatbestand der Außenhaftung ist das Ver- 63 schulden bei Vertragsverhandlungen (c. i. c.; §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB).126 b) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens (§ 311 Abs. 3 BGB). Nimmt eine versicherte 64 Person gegenüber einem Dritten besonderes Vertrauen für sich in Anspruch, so kann daraus eine Haftung nach § 311 Abs. 3 BGB gegenüber dem Dritten folgen. Der BGH hat dies in einem Fall bejaht, in dem Vorstandsmitglieder einer AG Dritten bei Vertragsschluss „mit der Autorität ihres Amtes und ihrer besonderen Sachkunde“127 gegenübertraten (s. auch Anh Ziff. A-1 Rn. 90). Beruht die Haftung aus § 311 Abs. 3 BGB auf dem mit der Organstellung verbundenen gesteigerten Vertrauen, so besteht ein hinreichend enger Zusammenhang zur Ausübung der Organtätigkeit. Damit ist in solchen Fällen eine Deckung nach Ziff. A-1 Abs. 1 anzunehmen.128 c) Delikt (§§ 823 ff. BGB). Bei der Deliktshaftung spielen Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 65 BGB eine herausgehobene Rolle. Dies gilt insbes. für die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO (s. Anh Ziff. A-1 Rn. 91 ff.).129 Zudem können deliktsrechtliche Ansprüche etwa aus Untreue erwachsen (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB). Der Streit darüber, ob es sich hierbei um einen privatrechtlichen – was zutrifft – oder um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch handelt, spielt praktisch für Ziff. A-1 Abs. 1 keine Rolle, da diese Klausel auch letztere erfasst (s. Rn. 51; zu abweichenden AVB s. Rn. 100). Zu erwähnen sind auch Aktionärsklagen (Haftung nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 400 AktG sowie nach § 826 BGB).130 d) Patentverletzung (§§ 139 ff. PatG). Für eine Patentverletzung haften nach §§ 139 ff. PatG 66 neben dem Unternehmensträger auch dessen gesetzliche Vertreter. Dabei handelt es sich um eine vom Versicherungsschutz nach Ziff. A-1 Abs. 1 umfasste Haftpflichtbestimmung.131

e) Verstoß gegen insolvenzrechtliches Zahlungsverbot (§ 15b InsO). Nach dem am 67 1.1.2021 in Kraft getretenen § 15b InsO gilt für Geschäftsleiter nach Eintritt der Insolvenzreife ein rechtsformübergreifendes Zahlungsverbot. Bis zu dieser Neuregelung durch das StaRUG waren 126 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 199; Olbrich 130 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 17. 127 BGH 2.6.2008 – II ZR 210/06, NZG 2008 661 Rn. 13; allg. zu dieser Fallgruppe Bruck/Möller/Henzler Anh. zu Ziff. 1 Rn. 89.

128 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 31; a. A. wohl MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 81 (auf persönliches Vertrauen abhebend, ohne dieses vom durch die Organstellung begründeten Vertrauen abzugrenzen).

129 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 10. 130 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 10. 131 Cepl/Schneider RuS 2020 9, 13; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 17. 763

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

für die verschiedenen Gesellschaftsformen Zahlungsverbote in den §§ 64 S. 1 GmbHG a. F.,132 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG a. F. und § 130a Abs. 2 S. 1 HGB a. F. vorgesehen. Sie waren insofern strenger, als sie Zahlungen unabhängig davon verboten, ob sie im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbes. zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs erfolgen (vgl. demgegenüber jetzt den Vorbehalt in § 15b Abs. 1 S. 2, Abs. 2 InsO). 68 Über die Frage, ob Ansprüche aus dem Verstoß gegen insolvenzrechtliche Zahlungsverbote als gesetzliche Haftpflichtbestimmungen i. S. der in der D&O-Versicherung üblicherweise verwendeten AVB anzusehen sind, besteht Streit. Die Frage wird vor allem für die GmbH diskutiert. Noch Mitte 2020 haben mehrere OLGs133 mit einer im Schrifttum vertretenen Ansicht134 die Frage verneint und dafür unter anderem darauf verwiesen, dass der BGH135 in einem früheren Urteil Ansprüche des Insolvenzverwalters gem. § 64 S. 1 GmbHG a. F. auf Rückzahlung von nach Eintritt der Insolvenzreife gezahlten Beträgen als Ansprüche „eigener Art“ eingeordnet hat. In einem Grundsatzurteil vom 18.11.2020 hat der BGH daraus indessen keineswegs den Schluss gezogen, dass es sich nicht um gesetzliche Haftpflichtbestimmungen handeln würde. Vielmehr hat er zu Recht betont, dass nach dem heranzuziehenden Auslegungsmaßstab einem durchschnittlichen VN derartige rechtliche Differenzierungen auch dann nicht abverlangt werden können, wenn sie geschäftskundig sind.136 Mithin sind die genannten Ansprüche vom Deckungsschutz umfasst. Dasselbe gilt für Ansprüche nach den Parallelregelungen in §§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG und § 130a Abs. 2 S. 1 HGB a. F. Nichts anderes gilt im Übrigen dann, wenn die Klausel insofern von dem der BGH-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt abweicht, als der Insolvenzverwalter als möglicher anspruchstellender Dritter ausdrücklich erwähnt wird.137 Auf diesen Aspekt hob der BGH138 nämlich zu Recht lediglich ergänzend und keineswegs entscheidend ab. Die Neuregelung in § 15b InsO wird teils unter Verweis auf ihren Abs. 4 S. 2 ohnehin als 69 Schadensersatzanspruch eingeordnet, der als solcher eine gesetzliche Haftpflichtbestimmung i. S. der AVB zur D&O-Versicherung darstelle, so dass das Grundsatzurteil des BGH lediglich Altfälle betreffe.139 Angesichts der in der Diskussion zu § 64 S. 1 GmbHG a. F. vorgebrachten weiteren Argumente ist dieser Schluss nicht völlig unangreifbar. Dies kann jedoch dahinstehen, da jedenfalls die in dem Grundsatzurteil angestellten Erwägungen zu einer Einbeziehung führen.

70 f) Durchgriffshaftung von Gesellschaftern. Gesellschafter zählen als solche nicht zu den versicherten Personen i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1. Ist eine versicherte Person (Organmitglied) zugleich Gesellschafter (Beispiel: Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH), so gilt Folgendes: Die Tätigkeit als Gesellschafter erfolgt nicht in Ausübung der Organtätigkeit (s. Rn. 47). Daher besteht für solche Haftungstatbestände, die an die Gesellschafterstellung anknüpfen, kein Deckungsschutz.140 Dies gilt insbes. für die Durchgriffshaftung eines Gesellschafters (s. Anh

132 S. dazu GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 133 OLG Düsseldorf 26.6.2020 – I-4 U 134/18, VersR 2020 1307, 1311 f. m. krit. Anm. Fiedler ZIP 2020 2112; OLG Frankfurt/M. 7.8.2019 – 3 U 6/19, unveröff. (nachgehend BGH 18.11.2020 – IV ZR 179/19, VersR 2021 113); so zuvor schon OLG Celle 1.4.2016 – 8 W 20/16, BeckRS 2016 125428. 134 Prölss/Martin/Voit Rn. 17; Cyrus NZG 2018 7, 8 f. 135 BGH 15.3.2011 – II ZR 204/09, NJW 2011 2427 Rn. 20; s. dazu auch Armbrüster/Schilbach ZIP 2018 1853, 1858 f. 136 BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, VersR 2021 113 Rn. 22 m. zust. Anm. Armbrüster RuS 2021 30 f. und teils krit. Anm. Jaschinski/Wentz NZG 2021 288, 289; Witsch DZWIR 2021 147, 149 f.; zustimmend etwa Jula 57; vgl. auch Eckert/ Holze/Ippen NZI 2021 153, 155 a. E. 137 A. A. LG Köln 9.12.2020 – 20 O 1/20, BeckRS 2020, 48070 Rn. 20 f. m. abl. Anm. Haneke EWiR 2021 367 f. 138 BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, VersR 2021 113 Rn. 24. 139 Brinkmann/Schmitz-Justen ZIP 2021 24, 25; Bei der Kellen EWiR 2021 7, 8. 140 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 218. Armbrüster

764

F. Vermögensschäden (Ziff. A-1 Abs. 2)

AVB D&O A-1

Ziff. A-1 Rn. 95),141 für die Existenzvernichtungshaftung (s. Anh Ziff. A-1 Rn. 41) sowie für die an eine Stimmabgabe anknüpfende Haftung.

g) Ausgleichsansprüche unter Gesamtschuldnern. Was den Gesamtschuldnerausgleich 71 nach § 426 Abs. 2 S. 1 BGB angeht, so ist dieser als Haftpflichtbestimmung i. S. v. Ziff. A-1 anzusehen. Dafür spricht, dass dem leistenden Gesamtschuldner typischerweise auch der Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB zusteht.142

h) Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung. Die Haftung für 72 die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 266a, 15 StGB spielt in der Praxis insbes. bei der GmbH eine Rolle.143 Freilich besteht hier grds. nur Abwehrdeckung, da § 266a StGB Vorsatz voraussetzt, so dass der Ausschlusstatbestand in Ziff. A-7.1 eingreift.144

i) Steuerliche Ausfallhaftung. Unter den öffentlich-rechtlichen Haftungstatbeständen ist ins- 73 bes. die steuerliche Ausfallhaftung nach §§ 69, 34 AO zu nennen (s. Anh Ziff. A-1 Rn. 97 f.).145 Dies ist ungeachtet des Risikoausschlusses für vorsätzliche und wissentliche Pflichtverletzungen in Ziff. A-7.1 deshalb bedeutsam, weil § 69 AO keinen Vorsatz voraussetzt.146

j) Ausländische Haftungstatbestände. Eine Außenhaftung kommt auch im Hinblick auf An- 74 sprüche Dritter nach ausländischen Rechtsordnungen in Staaten in Betracht, auf die sich die territoriale Reichweite des Vertrags (s. Ziff. A-4 Rn. 12 f., 27) erstreckt.147 Hier können – insbes. in Staaten des Common-Law-Rechtskreises – rechtliche Besonderheiten zu beachten sein.148 Für die Qualifikation als gesetzliche Haftpflichtbestimmung bedarf es jeweils einer funktionalen rechtsvergleichenden Analyse.

F. Vermögensschäden (Ziff. A-1 Abs. 2) I. Überblick Nach Ziff. A-1 Abs. 1 ist der Versicherungsschutz auf Inanspruchnahmen „für einen Vermögens- 75 schaden“ begrenzt. Welche Schäden unter diesen Begriff fallen, wird in Abs. 2 definiert. Dies geschieht in S. 1 durch eine Negativdefinition. Demnach ist Vermögensschaden jede Vermögenseinbuße, die nicht Personen- oder Sachschaden ist oder sich aus einem solchen Schaden 141 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 61; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 218 f. 142 Offen lassend Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 182 (unter Hinweis auf kontroverse unveröff. Rspr.). 143 S. etwa BGH 21.1.1997 – IVI ZR 338/95, NJW 1997 1237; BGH 25.9.2006 – II ZR 108/05, NJW 2006 3573 Rn. 8 ff.; Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 152 ff. 144 GDV-Erl. zu Ziff. A-1. 145 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 42; Lattwein NVersZ 1999 49, 50; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 84; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 17; a. A. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 175 ff., 179 (keine ges. Haftpflichtbestimmung). 146 Lattwein NVersZ 1999 49, 50; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 17. 147 GDV-Erl. zu Ziff. A-1; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 10. 148 Vgl. GDV-Erl. zu Ziff. A-1, auch zu den Risiken einer Ausdehnung der geographischen Reichweite auf NichtEU-Staaten, insbes. auf Nordamerika. 765

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

herleitet. Vermögensschäden, die in einem adäquat-kausalen Zusammenhang zu Personenoder Sachschäden stehen, sind hingegen als sog. unechte (mittelbare) Vermögensschäden (Vermögensfolgeschäden) nicht vom Deckungsumfang der D&O-Versicherung umfasst.149 Dabei ist die Adäquanz weit zu verstehen.150 Beispiele für unechte Vermögensschäden bieten etwa der Verdienstausfall einer verletzten Person, die Miete eines Ersatzwagens für ein beschädigtes Kfz oder entgangener Gewinn infolge der Beschädigung einer Werkshalle.151 Die Definition des Begriffs Vermögensschaden lehnt sich an diejenige in den AVB Vermögen (vgl. Ziff. 1.1 AVB Vermögen)152 an.153 Hier wie dort sind nur Inanspruchnahmen auf sog. reine (gleichbedeutend: echte) Vermögensschäden gedeckt.154 Mit der Definition in Abs. 2 S. 1 soll eine Abgrenzung zum Deckungsumfang der allgemei76 nen Haftpflichtversicherung (Ziff. 1.1 AHB [Stand: Februar 2016]) erreicht werden.155 Allerdings gibt es einige Zweifelsfälle (s. Rn. 79 ff.). Die Einordnung wird in diesen Fällen insbes. dadurch erschwert, dass das Deliktsrecht des BGB an die Verletzung von Rechten und Rechtsgütern anknüpft, die Haftpflichtversicherung hingegen an Schäden.156 Zudem gibt es keine gesetzliche Definition des Vermögensschadens, die als Orientierungshilfe herangezogen werden könnte.157 Die Begrenzung des Deckungsschutzes auf reine Vermögensschäden kann zu Deckungslü77 cken führen. Dies gilt insbes. dann, wenn der Betriebshaftpflichtversicherer nicht leistungspflichtig ist, sei es wegen ausgeschöpfter Versicherungssumme, wegen eines Risikoausschlusses oder aus anderen Gründen.158 Indessen lassen sich daraus keine Zweifel an der Wirksamkeit der Begrenzung in Ziff. A-1 herleiten.159 Vielmehr handelt es sich um eine Frage der Beschaffung angemessenen Versicherungsschutzes (vgl. die Pflicht von VR und Vermittlern nach §§ 6 Abs. 1 S. 1, 61 Abs. 1 S. 1 VVG zur bedarfsgerechten Beratung), wenn Deckungslücken vermieden werden sollen. Zu Deckungsüberschneidungen zwischen der D&O-Versicherung und anderen Haftpflicht78 versicherungen s. Einf Rn. 23 ff.160 Wichtig wird dann die Subsidiaritätsklausel in B4-1.1 (s. dazu B4 Rn. 3 ff.).161

II. Einzelfragen 1. Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 79 Der Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts162 ist nach Ziff. 7.16 AHB 2016 in der allgemeinen Haftpflichtversicherung nicht gedeckt. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass es sich um einen „reinen Vermögensschaden“ i. S. der AVB D&O handelt.163 Zutr. erscheint es den von einem Dritten auf § 823 Abs. 1 BGB (sonstiges Recht) ge149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163

MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 87. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 87. Zu letzterem Fall vgl. BGH 21.2.1957 – II ZR 4/56, BGHZ 23 349 = NJW 1957 907, 908. Abdruck bei Prölss/Martin/Lücke unter Nr. 250. GDV-Erl. zu Ziff. A-1. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 148; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 20. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 87, 89; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 20. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 68. Vgl. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 86. S. dazu Jula FS Baumann (1999) 119, 121 a. E. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 20. Hinweise bei Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 212, 220 ff. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 20 a. E. S. dazu nur BGH 1.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143 214 = NJW 2000 2195, 2197. Vgl. auch Prölss/Martin/Lücke Ziff. 1 AHB Rn. 32.

Armbrüster

766

F. Vermögensschäden (Ziff. A-1 Abs. 2)

AVB D&O A-1

stützten Schadensersatzanspruch als versichert anzusehen, soweit es um Schadensersatz für die Beeinträchtigung vermögenswerter Interessen geht.164

2. Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Der „eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb“ ist als sonstiges Recht i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB 80 anzusehen.165 Wird dieses Recht verletzt, so steht bei dem daraus erwachsenden deliktischen Schadensersatzanspruch ein reiner Vermögensschaden in Rede.166 Mithin besteht nach Ziff. A-1 Abs. 1 Deckungsschutz. Diese Thematik hat für die D&O-Versicherung auch praktische Bedeutung erlangt.167

3. Produktrückruf Entstehen Schäden im Zusammenhang mit einem Produktrückruf, so besteht Streit darüber, 81 ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen es sich dabei um reine Vermögensschäden handelt. Teils wird angenommen, dass dann, wenn aufgrund der Pflichtverletzung ein Personenschaden entsteht, kein reiner Vermögensschaden vorliegt.168 Dem wird entgegengehalten, dass der Grund für den Rückruf die Gefahr, nicht der konkrete Personenschaden sei.169 Indessen ändert dies nichts daran, dass der Schaden sich in Gestalt eines Personenschadens und mithin nicht eines reinen Vermögensschadens manifestiert hat, so dass keine Deckung besteht. Letzteres wird sich freilich unabhängig von dem Streit daraus ergeben, dass eine Eintrittspflicht für die Pflichtverletzung regelmäßig bereits aufgrund der Risikoausschlüsse in Ziff. A-7.3 (Schäden aufgrund des Inverkehrbringens von Produkten) und ggf. auch Ziff. A-7.8 (z. B. bei Aufgabe einer bestehenden Rückrufkostenversicherung) oder Ziff. A-7.9 (Wettbewerbsverstoß) entfällt.170

4. Regressansprüche a) Meinungsstand. Beim Regress der Gesellschaft gegen ein Organmitglied besteht jeden- 82 falls dann Deckung, wenn die Gesellschaft einem Dritten einen reinen Vermögensschaden ersetzt hat, für den sie nun gegen das verantwortliche Organmitglied Regress nimmt.171 Streit besteht hingegen darüber, ob dies auch für dem Dritten entstandene Personen- oder Sachschäden gilt. Beispiel:172 Ein GmbH-Geschäftsführer beschädigt ein durch die Gesellschaft geleastes Kfz bei einem Unfall grob fahrlässig. Die GmbH ersetzt dem Leasinggeber den Schaden und nimmt den Geschäftsführer nach § 43 Abs. 2 GmbHG in Regress. Sieht man von etwaigen Ausschluss- oder Subsidiaritätsklauseln (s. B4-1.1) ab,173 so wird Deckung teils verneint, da die Belastung des Vermögens der GmbH mit der Ersatzpflicht ein adäquat hergeleiteter unechter Vermögensschaden (Vermö164 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 45; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 152; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 207.

165 St. Rspr.; BGH 26.10.1951 – I ZR 8/51, BGHZ 3 270 = NJW 1952 660, 661; BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03, NJW 2006 830 Rn. 88 ff. 166 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 68; Ihlas 275 f.; vgl. auch BGH 9.1.1991 – IV ZR 264/89, VersR 1991 414, 416 (betr. Produkthaftpflichtversicherung). 167 Vgl. BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03, NJW 2006 830 Rn. 122 ff.; Ihlas 276. 168 Olbrich 138; Schilling VW 2000 788, 789. 169 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 20. 170 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 20. 171 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 69; Ihlas 356. 172 Ihlas 356 Fn. 95 unter Hinweis auf OLG Koblenz 15.4.1998 – 5 U 1639-97, NJW-RR 1999 911. 173 Näher Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 70. 767

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

gensfolgeschaden) sei, der als solcher von der D&O-Versicherung nicht umfasst werde.174 Die Gegenansicht verweist darauf, dass der Schaden der GmbH ein echter Vermögensschaden und damit ein anderer Schaden sei als der Personen- oder Sachschaden des Dritten.175

83 b) Stellungnahme. Gegen eine Deckung spricht entscheidend, dass das geschäftsführende Organmitglied hier regelmäßig deliktsrechtlich (insbes.: aus § 823 Abs. 1 BGB) dem Dritten haftet; hinzu kommt die Haftung der GmbH gegenüber dem Dritten gem. § 31 BGB. Die Außenhaftung des Organmitglieds ist dann mangels eines reinen Vermögensschadens nicht von der D&O-Versicherung erfasst; für die Außenhaftung der GmbH besteht von vornherein kein D&O-Versicherungsschutz. Nimmt der Dritte die GmbH in Anspruch, kann diese grds. gem. §§ 840, 426 BGB gegen das Organmitglied Regress nehmen. Bei § 426 Abs. 1 BGB handelt es sich zwar um einen selbstständigen Anspruch; im hiesigen Zusammenhang ist der Schaden der GmbH aber als adäquat hergeleiteter unechter Vermögensschaden anzusehen. Auf eine Identität zwischen dem Anspruchsteller hinsichtlich des Personen- oder Sachschadens und demjenigen hinsichtlich des Vermögensschadens kommt es nicht an.176 Die GmbH darf durch die Verlagerung des Schadens in den Innenregress nicht besser stehen als dann, wenn der Dritte sie direkt in Anspruch nimmt.177 Für den Innenregress über § 43 Abs. 2 GmbHG kann nichts anderes gelten.178 Mithin besteht jeweils kein Versicherungsschutz. 84 Von dem in Rn. 82 erörterten Beispielsfall zu unterscheiden ist der Fall, dass das geleaste Kfz durch einen Dritten beschädigt wird und der Schaden der GmbH darin liegt, dass ihr Geschäftsführer es pflichtwidrig unterlassen hat, gegen den Dritten Schadensersatzansprüche durchzusetzen (oder: eine Kaskoversicherung abzuschließen; s. dazu Rn. 85). Nimmt nun die GmbH gem. § 43 Abs. 2 GmbHG den Geschäftsführer in Anspruch, so beruht der geltend gemachte Vermögensschaden nicht auf dem Sachschaden, sondern auf einer eigenständigen Pflichtverletzung. Mithin liegt ein versicherter echter Vermögensschaden vor.179 Dasselbe gilt, wenn ein Organmitglied bei einem Unternehmenserwerb des VN pflichtwidrig übersehen hat, dass der Zielgesellschaft Schadensersatzansprüche Dritter wegen Personen- oder Sachschäden drohen. Kommt es sodann zur Realisierung dieses Risikos, indem der VN (oder die nunmehr als Tochtergesellschaft gem. Ziff. A-4 mitversicherte Zielgesellschaft) von Dritten in Anspruch genommen wird, ist der dadurch entstehende Vermögensschaden allein auf die Pflichtverletzung des Organmitglieds zurückzuführen.180

5. Nichtabschluss von Versicherungen 85 Unterlässt eine versicherte Person den Abschluss einer für die Gesellschaft bedeutsamen Versicherung (Beispiel: Feuerversicherung für Betriebsgebäude), mit der Folge, dass die Gesellschaft im Schadensfall keinen Anspruch auf eine Versicherungsleistung hat, so liegt darin ein echter Vermögensschaden.181 Es fehlt dann nämlich an dem für einen unechten Vermögensschaden (s. 174 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 159; Lange § 8 Rn. 43; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 85; Ihlas 356; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 205; Jula FS Baumann (1999) 119, 121; Olbrich 136; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 93; Thümmel Rn. 478; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 20. 175 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 70. 176 Ihlas 356. 177 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 159. 178 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 48. 179 Bedenken bei Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 49. 180 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 95. 181 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 71; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 94; Prölss/Martin/Voit Ziff. 5 AVB-AVG Rn. 13. Armbrüster

768

H. Abweichende AVB

AVB D&O A-1

Rn. 75) erforderlichen adäquat-kausalen Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Personen- oder Sachschaden.182 Ist das Verhalten des Organmitglieds pflichtwidrig,183 kommt ein versicherter Innenhaftungsanspruch in Betracht.184 Allerdings ist dann der Risikoausschluss in Ziff. A-7.8 zu beachten (s. dazu Ziff. A-7 Rn. 91 ff.).

6. Weitere Einzelfälle Als reine Vermögensschäden sind weiter beispielsweise185 anzusehen: Schadensersatzansprü- 86 che wegen entgangenen Gewinns bei Unmöglichkeit der Leistung oder Schuldnerverzug.186 Nachteile, die durch den Verlust von Mängelansprüchen oder durch Fehler bei Rechnungsprüfungen entstehen,187 ferner Schäden aus der Verletzung von Mitgliedschaftsrechten.188 Zudem können reine Vermögensschäden i. R. von Konzernen entstehen (z. B. Verlustübernahmepflicht gem. § 302 AktG).189

G. Inanspruchnahme Die Inanspruchnahme wird bei der Definition des Versicherungsfalls in Ziff. A-2 (Claims-made- 87 Prinzip) näher geregelt. Es geht demnach um die Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen die versicherte Person. Beide Begriffe sind gleichbedeutend zu verstehen. Insoweit ist daher auf die Ausführungen zu der präzisierenden Regelung in Ziff. A-2 zu verweisen (s. Ziff. A-2 Rn. 24 ff.).

H. Abweichende AVB I. Weitere versicherte Personen 1. Leitende Angestellte Nach Ziff. A-1 Abs. 1 sind versicherte Personen allein die Mitglieder von Organen des VN. Darü- 88 ber hinaus werden in Unternehmens-AVB häufig auch weitere Personen in den Versicherungsschutz einbezogen. Dies kann bis hin zu Ehegatten, Erben und Nachlassverwaltern einer versicherten Person reichen.190 Für die Praxis bedeutsam ist insbes. der Einschluss für leitende Angestellte, z. B. die erste nachgeordnete Führungsebene (Prokuristen, Generalbevollmächtigte usw.).191 Darunter fallen nach üblichem Verständnis Personen, die aufgrund ihrer Funktion für Bestand und Entwicklung des Betriebs Aufgaben mit besonderer Bedeutung wahrnehmen und maßgeblichen Einfluss auf die technische, kaufmännische, organisatorische, personelle

182 183 184 185 186 187 188 189

MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 94. Vgl. dazu R. Koch ZGR 2006 184, 199 ff.; Ehlers VersR 2008 1173. A. A. unter Berufung auf den Parteiwillen Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 160. Vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 59 ff. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 72. Littbarski AHB Vorbem. Rn. 40; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 72. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 72. Vgl. Jula FS Baumann (1999) 119, 122 ff.; Mayer/Isenbart VersPrax 2013 12 ff. unter Hinweis auf BGH 10.11.2011 – IX ZR 106/09, BeckRS 2011 27100. 190 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 82; Ihlas 348. 191 S. dazu etwa Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 44 ff.; Ihlas 343 ff.; Olbrich 110 ff.; MAHVersR/Sieg § 17 Rn. 78. 769

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

oder wirtschaftliche Führung des Unternehmens haben.192 Falls die AVB zum Begriff der leitenden Angestellten keine nähere Präzisierung enthalten, kann auf die Definition in § 5 Abs. 3 BetrVG zurückgegriffen werden.193 89 Im Schrifttum wird gegen eine Erstreckung des Versicherungsschutzes auf leitende Angestellte teils angeführt, dass dieser Schutz womöglich unzureichend sei, zugleich die für die Organmitglieder verfügbare Versicherungssumme verringere und die Existenz der D&O-Deckung wegen häufigerer Inanspruchnahme stärker publik werden lasse.194 Letztlich wird jeder VN im Hinblick auf seine individuelle Risikolage zu beurteilen haben, welches Gewicht er diesen Aspekten beimisst. Nicht zuletzt wird die Entscheidung über die Erstreckung auf leitende Angestellte auch von der Prämiendifferenz gegenüber einer auf Organmitglieder beschränkten Deckung, wie Ziff. A-1 Abs. 1 sie vorsieht, abhängen. Ziff. A-1 Abs. 1 erstreckt den Schutz nicht auf leitende Angestellte, weil für diese nach 90 der Rspr. des BAG ein Haftungsprivileg195 besteht.196 Dies führt zu der Frage, inwiefern sich ein in abweichenden AVB versprochener D&O-Versicherungsschutz auf das Haftungsprivileg auswirken kann. Dabei ist mit dem BAG zu differenzieren: Handelt es sich um eine PflichtHaftpflichtversicherung, so ist dies der Fall, mit der Folge, dass sich der leitende Angestellte nicht auf die Haftungsbeschränkung berufen kann.197 Hingegen wird die Verteilung des Betriebsrisikos durch eine freiwillig abgeschlossene Privathaftpflichtversicherung nicht berührt.198 Ist im Dienstvertrag der Abschluss einer Haftpflichtversicherung vereinbart (zu derartigen 91 Verschaffungsklauseln s. allg. Einf Rn. 49) und trägt – wie bei der D&O-Versicherung – der Arbeitgeber die Prämien, so wirkt sich dies indessen i. R. der gebotenen Gesamtbetrachtung auf das Haftungsprivileg aus.199 In diesem Fall würde das Privileg nämlich allein den VR und nicht den leitenden Angestellten entlasten. Der VN als Arbeitgeber übernimmt die Versicherungspflicht nebst Prämienzahlung aber nicht, um den VR vor einer übermäßigen Haftung zu bewahren. Klauseln, welche die Einstandspflicht des VR gleichwohl auf die durch das Privileg beschränkte Haftung begrenzen,200 sind daher bedenklich.

2. Gesellschafter 92 Ein Gesellschafter kann insbes. bei der GmbH in bestimmten Ausnahmefällen einem persönlichen Haftungsrisiko ausgesetzt sein. Dabei geht es um die Fälle der sog. Durchgriffshaftung (s. Anh Ziff. A-1 Rn. 95). Sie sind vom Deckungsumfang der D&O-Versicherung vorbehaltlich einer entsprechenden Abrede nicht erfasst. Dies gilt auch dann, wenn der Gesellschafter zugleich ein von Ziff. A-1 Abs. 1 erfasstes Organmitglied ist. Die Durchgriffshaftung beruht nämlich nicht auf einer Verletzung der organschaftlichen Pflichten, sondern auf einem Missbrauch der Gesellschafterstellung. Die Inanspruchnahme erfolgt daher nicht „wegen einer bei Ausübung der Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung“ i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1 (s. dazu Rn. 38 ff.). In Betracht

ErfK/Kiel KSchG21 (2021) § 14 Rn. 7 ff.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 78. S. auch Ihlas 345. Lattwein NVersZ 1999 49, 50 f. S. dazu BAG 25.6.2001 – II ZR 38/99, NJW 2001 3123, 3124. GDV-Erl. zu Ziff. A-1. BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NJW 2011 1096 Rn. 28 f. BAG 25.9.1997 – 8 AZR 288/96, NJW 1998 1810, 1811 f. (betr. Berufshaftpflichtversicherung); BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NJW 2011 1096 Rn. 29 (betr. Privathaftpflichtversicherung; anders allerdings Orientierungssatz 5); MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 77. 199 BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NJW 2011 1096 Rn. 29; vgl. auch BAG 14.10.1993 – 8 AZR 242/92, BeckRS 1993 30916228; Otto FS 50 Jahre BAG (2004) 97, 116 ff.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 77 a. E.; a. A. Möhrle 75 ff. 200 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 82 mit Fn. 333.

192 193 194 195 196 197 198

Armbrüster

770

H. Abweichende AVB

AVB D&O A-1

kommt hingegen trotz der Selbstorganschaft eine Deckung für geschäftsführende Gesellschafter von Personengesellschaften (zur GmbH & Co. KG s. Rn. 11).

3. Beiratsmitglieder In Unternehmens-AVB ist bisweilen vorgesehen, dass auch Mitglieder eines Beirats (Verwal- 93 tungsrats, Kuratoriums) versicherte Personen sind. Solche Gremien existieren oft in GmbHs201 und körperschaftlich organisierten Personengesellschaften (insbes. GmbH & Co. KG).

4. Insolvenzverwalter Der Insolvenzverwalter über das Vermögen des VN oder einer Tochtergesellschaft kann in den 94 AVB als versicherte Person in die Deckung einbezogen werden.202

5. Liquidatoren Bisweilen sind nach den AVB auch Liquidatoren und sonstige Abwickler des VN oder einer 95 Tochtergesellschaft mitversichert, sofern sie nicht aufgrund eines externen Dienstleistungsvertrages tätig sind und die Liquidation nicht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erfolgt.

6. Besondere Vertreter Sog. besondere Vertreter i. S. v. § 147 Abs. 2 AktG, § 46 Nr. 8 GmbHG werden üblicherweise in 96 Unternehmens-AVB ebenso wie nach Ziff. A-1 Abs. 1 (s. Rn. 28) nicht als versicherte Personen erfasst.203 Dies lässt sich mit der begrenzten Aufgabenstellung der besonderen Vertreter erklären. Ihre Stellung ähnelt eher derjenigen eines mit der Prozessvertretung beauftragten Rechtsanwalts, der selbst für seinen Haftpflichtversicherungsschutz sorgen muss.204

7. Fremdmandate („Outside directors“) Nach Ziff. A-7.7 sind Tätigkeiten in einem anderen Unternehmen als dem VN oder einer Toch- 97 tergesellschaft (Fremdmandate; „Outside directors“) vom Versicherungsschutz ausgeschlossen (s. Ziff. A-7 Rn. 89 f.).205 Dieser Ausschluss ist im Hinblick auf die enge Fassung von Ziff. A-1 Abs. 1 deklaratorisch (s. Rn. 49). In Unternehmens-AVB werden hingegen vielfach auch bestimmte gesellschaftsexterne Tätigkeiten in die Deckung eingeschlossen.206 Dies gilt insbes. für den Einschluss von Tätigkeiten (im Interesse oder auf Weisung des VN) in Leitungs- und Aufsichtsorganen von gemeinnützigen Organisationen (Non Profit ODL [Outside Directorship Liability]). Eine solche Deckungserweiterung führt regelmäßig nicht zu einem Prämienzuschlag.

201 202 203 204 205 206

S. nur Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 45 Rn. 18 ff. Vgl. Möhrle 25 ff. Ihlas 353; Mitterlechner/Wax/Witsch § 3 Rn. 20. Roßkopf/Gayk DStR 2020 2078, 2083 (sub 3.4.2). S. auch Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/ D&O-Versicherung Rn. 83. GDV-Erl. zu Ziff. A-1; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 196 f.; Ihlas 341 ff.; Mitterlechner/ Wax/Witsch § 3 Rn. 24: s. auch MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 73. 771

Armbrüster

A-1 AVB D&O

Versicherungsschutz, versicherte Personen, Vermögensschäden

Anders ist dies bei Tätigkeiten in gewinnorientierten Gesellschaften, etwa in Banken oder Beteiligungsgesellschaften (For Profit ODL).

II. Einschränkungen des Deckungsschutzes für die Innenhaftung 98 In älteren Musterbedingungen vor 2013 wurde hinsichtlich des Deckungsumfangs zwischen Außen- und Innenhaftung differenziert.207 Damit sollte insbes. einer erhöhten Manipulationsund Kollusionsgefahr (s. dazu Einf Rn. 11) Rechnung getragen werden.208 Dieser Gefahr wird in der allgemeinen Haftpflichtversicherung durch Ziff. 7.4 (1) AHB 2016 und in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung durch § 7 Nr. 2 AVB Vermögen dadurch begegnet, dass dort der Anspruch des VN gegen Versicherte generell ausgeschlossen ist. In der D&O-Versicherung ging man nicht so weit; vielmehr wurde bei der Innenhaftung lediglich der Freistellungsanspruch von zusätzlichen formalen Voraussetzungen abhängig gemacht (s. etwa Ziff. 1.3 S. 1 AVB-AVG 2011).209 Damit sollte verhindert werden, dass versicherte Personen untereinander Ansprüche des VN geltend machen, um auf diese Weise wirtschaftliche Einbußen auf den VR zu verlagern.210 Diese Differenzierung zwischen Außen- und Innenhaftung ist im Schrifttum zu Recht unter verschiedenen Aspekten kritisch beurteilt worden;211 sie ist seit den AVB-AVG 2013 entfallen. Damit tragen die Musterbedingungen dem Umstand Rechnung, dass VN und versicherte Personen gerade im Schutz für Innenhaftungsansprüche den entscheidenden Nutzen der D&OVersicherung sehen. Dies hat sich vor der Änderung der Musterbedingungen daran gezeigt, dass die am Markt verwendeten AVB Innen- und Außenhaftung verbreitet gleich behandelten.212 Darüber hinaus wurde der Deckungsschutz für die Innenhaftung in den älteren Musterbe99 dingungen auch davon abhängig gemacht, dass die Inanspruchnahme durch den VN nicht lediglich schriftlich (vgl. Ziff. A-2 S. 2) geschieht, sondern von der Haupt- oder Gesellschafterversammlung initiiert wurde und durch gerichtliche Geltendmachung erfolgt (s. etwa Ziff. 1.3 S. 1 AVB-AVG 2011).213 Bei nicht von Ziff. 1.3 S. 1 AVB-AVG 2011 erfassten Ansprüchen des VN sowie bei Ansprüchen von Tochtergesellschaften gegen versicherte Personen wurde generell nur Deckung von Abwehrkosten versprochen (Ziff. 1.3 S. 2 AVB-AVG 2011).214 Auch diese Einschränkungen sind in den Musterbedingungen nicht mehr vorgesehen.

III. Beschränkung auf privatrechtliche Haftpflichtbestimmungen 100 In älteren Muster-AVB ist die Deckung auf privatrechtliche Haftpflichtbestimmungen beschränkt (s. etwa Ziff. 1.1 S. 1 AVB-AVG 2011). In diesem Fall kommt es mithin auf die Abgrenzung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Ansprüchen an. Insoweit bestehen bisweilen Zweifel. So wird etwa die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung (s. Rn. 52) teils als öffentlich-rechtlich qualifiziert.215 Indessen handelt es sich angesichts der Verankerung in § 823 BGB um einen privatrechtlichen Anspruch.216 Ist ein Schutzgesetz (wie etwa § 266a StGB) als reines Vorsatzdelikt 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216

S. nur Bonn D&O-Versicherung und Eigenschadendeckung (2017) 6 ff.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 19. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 96 f. Eingehend Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 68 ff. Beckmann FS Kollhosser Bd. 1 (2004) 25, 28 f. S. etwa Lange PHi Beilage Nov. 2003 1 ff. in Erwiderung zu Ihlas/Stute PHi Beilage Juli 2003 1 ff. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 67. S. dazu Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 73 ff.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 97. S. dazu Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 76 f. GDV-Erl. zu Ziff. A-1; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 200. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 42.

Armbrüster

772

Schrifttum

AVB D&O Anhang zu A-1

ausgestaltet, kann die Abgrenzung in der Praxis angesichts des üblichen Vorsatzausschlusses (vgl. Ziff. A-7.1) dahinstehen. Allerdings sehen die AVB bisweilen vorläufigen Abwehrkostenschutz vor, bis der Vorsatz rechtskräftig festgestellt ist (s. § 100 Rn. 47).217

IV. Erweiterter Vermögensschadensbegriff In Unternehmens-AVB wird bisweilen ein erweiterter Vermögensschadenbegriff festgelegt.218 101 Demnach sind über die in A.1 Abs. 2 definierten sog. reinen Vermögensschäden hinaus auch solche Ansprüche gedeckt, die einem Personen- oder Sachschaden folgen, bei denen die Pflichtverletzung der versicherten Personen jedoch nicht für diesen Personen- oder Sachschaden ursächlich war, sondern ausschließlich für den damit in Zusammenhang stehenden Vermögensschaden. Darüber hinaus können solche Folgeansprüche gedeckt sein, wenn es dabei um einen eigenen Schaden des VN oder einer Tochtergesellschaft geht (z. B. Gewinneinbußen).

Anhang zu A-1: Überblick über die Haftung von Organmitgliedern Schrifttum Altmeppen Grundlegend Neues zum „qualifiziert faktischen“ Konzern und zum Gläubigerschutz in der EinmannGmbH, ZIP 2001 1837; ders. GmbHG 10. Aufl. (2021) (zit. Altmeppen GmbHG); Arens Das SanInsFoG – Änderungen im Pflichtenregime für Geschäftsleiter, GWR 2021 64; Armbrüster Neues vom BGH zur D&O-Versicherung, NJW 2016 2155; Armbrüster/Schilbach D&O-Versicherungsschutz für Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG, ZIP 2018 1853; Assmann/Schneider/Mülbert Wertpapierhandelsrecht 7. Aufl. (2019) (zit.: Assmann/Schneider/Bearbeiter); Assmann/ Schütze/Buck-Heeb Handbuch des Kapitalanlagerechts 5. Aufl. (2020) (zit.: Assmann/Schütze/Buck-Heeb/Bearbeiter); Baumbach/Hueck GmbHG 22. Aufl. (2019) (zit.: Baumbach/Hueck/Bearbeiter); Beckmann/Matusche-Beckmann Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. (2015) (zit. Beckmann/Matusche-Beckmann); Bitter Zur Haftung des Geschäftsführers aus § 64 Abs. 2 GmbHG für „Zahlungen“ nach Insolvenzreife, WM 2001 666; ders. Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG? ZIP 2021 321; Brömmelmeyer Neue Regeln für die Binnenhaftung des Vorstands – Ein Beitrag zur Konkretisierung der Business Judgment Rule, WM 2005 2065; Deilmann/Otte Verteidigung ausgeschiedener Organmitglieder gegen Schadensersatzklagen – Zugang zu Unterlagen der Gesellschaft, BB 2011 1291; Ehricke Zur Teilnehmerhaftung von Gesellschaftern bei Verletzungen von Organpflichten mit Außenwirkung durch den Geschäftsführer einer GmbH, ZGR 2000 251; Fest Darlegungs- und Beweislast bei Prognoseentscheidungen im Rahmen der Business Judgment Rule, NZG 2011 540; Fleischer Die „Business Judgment Rule“: Vom Richterrecht zur Kodifizierung, ZIP 2004 685; ders. Aktienrechtliche Legalitätspflicht und „nützliche“ Pflichtverletzung von Vorstandsmitgliedern, ZIP 2005 141; ders. Handbuch des Vorstandsrechts (2006) (zit.: Fleischer Vorstandsrecht); ders. Zur Einschränkbarkeit der Geschäftsführerhaftung in der GmbH, BB 2011 2435; ders. Vorstandshaftung wegen pflichtwidrig unterlassener Einholung eines Zustimmungsbeschlusses des Aufsichtsrats, DB 2018 2619; Freitag/Korch Die Angemessenheit der Information im Rahmen der Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), ZIP 2012 2281; Gehrlein Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen – ein Überblick, BB 2021 66; Geißler Die Entlastung des GmbH-Geschäftsführers – Einzelfragen und kritische Reflexionen, DZWiR 2020 595; Grigoleit AktG 2. Aufl. (2020) (zit. Grigoleit/Bearbeiter); Grobecker/Wagner Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bei Kompetenzverstößen des Vorstands ZIP 2019, 694; Groß Kapitalmarktrecht 7. Aufl. (2020) (zit. Groß Kapitalmarktrecht); Großkommentar Aktiengesetz 5. Aufl. (2015 ff.), hrsg. von Hirte/Mülbert/Roth (zit.: GroßKo-AktG/Bearbeiter); Großkommentar zum GmbHG 3. Aufl. (2016 ff.), hrsg. von Habersack/Casper/Löbbe (zit.: GroßKo-GmbHG/Bearbeiter); Habersack/Schürnbrand Die Rechtsnatur der Haftung aus § 93 Abs. 3 AktG, § 43 Abs. 3 GmbHG, WM 2005 957; Harbarth/Jaspers Verlängerung der Verjährung von Organhaftungsansprüchen durch das Restrukturierungsgesetz, NZG 2011 368; Harzenetter Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung nach den BGH-Urteilen vom 13.4.2016, NZG 2016 728; Hasselbach Überwachungs- und Beratungspflichten des Aufsichtsrats in der Krise, NZG 2012 41; Hauschka Ermessensentscheidungen bei der Unternehmensführung,

217 Vgl. auch Ihlas 354; für Intransparenz solcher Klauseln OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021 1355, 1361. Vgl. ferner OLG Düsseldorf 21.12.2006 – 4 U 6/06, NJW 2007 1242, 1244.

218 Fortmann ARP 2020 384, 386; Mittlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 70 ff. 773 https://doi.org/10.1515/9783110522662-031

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

GmbHR 2007 11; Hauschka/Moosmayer/Lösler Corporate Compliance 3. Aufl. (2016) (zit.: Hauschka/Bearbeiter); Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht 5. Aufl. (2019) (zit.: Heidel/Bearbeiter); Henzler Schadenszurechnung bei Verstößen gegen Zustimmungsvorbehalte, Festschrift Thümmel (2020); Holle Rechtsbindung und Business Judgment Rule, AG 2011 778; Hölters Aktiengesetz 3. Aufl. (2017) (zit.: Hölters/Bearbeiter); Hüffer Die leitungsbezogene Verantwortung des Aufsichtsrats, NZG 2007 47; Hüffer/Koch Aktiengesetz 14. Aufl. (2020) (zit. Hüffer/Koch/ Bearbeiter); Jenne/Miller Verjährungsbeginn und Selbstbezichtigung in der Organhaftung, AG 2019 112; Kock/Dinkel Die zivilrechtliche Haftung von Vorständen für unternehmerische Entscheidungen, NZG 2004 441; Kölner Kommentar zum Aktiengesetz 3. Aufl. (2004 ff.), hrsg. von Zöllner/Noack (zit.: KöKo/Bearbeiter); Krieger/Schneider Handbuch Managerhaftung 3. Aufl. (2017) (zit.: Krieger/Schneider/Bearbeiter); Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung (2014) (zit. Lange D&O-Versicherung); Lutter Interessenkonflikte und Business Judgment Rule, Festschrift Canaris Band II (2007) 245; Lutter/Hommelhoff GmbH-Gesetz 20. Aufl. (2020) (zit.: Lutter/Hommelhoff/Bearbeiter); Markgraf/Henrich Die D&O-Versicherung und § 64 S. 1 GmbHG – Schein-Assekuranz oder Risikoübernahme? NZG 2018 1290; Mertens Anwendbarkeit von § 92 Abs. 1 AktG im Vergleichsverfahren? AG 1983 173; Michalski/Heidinger/ Leible/J.Schmidt GmbHG 3. Aufl. (2017) (zit.: Michalski/Bearbeiter); Münchener Kommentar zum Aktiengesetz 5. Aufl. (2019.), hrsg. von Goette/Habersack/Kalss (zit.: MüKo-AktG/Bearbeiter); Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch 8. Aufl. (2018 ff.), hrsg. von Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (zit. MüKo-BGB/Bearbeiter); Münchener Kommentar zum GmbHG 3. Aufl. (2018 f.), hrsg. von Fleischer/Goette (zit.: MüKo-GmbHG/Bearbeiter); Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung 4. Aufl. (2016 ff.), hrsg. von Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer (zit.: MüKo-InsO/Bearbeiter); Neusel Die persönliche Haftung des Geschäftsführers für Steuern der GmbH, GmbHR 1997 1129; Paefgen Dogmatische Grundlagen, Anwendungsbereich und Formulierung einer Business Judgment Rule im künftigen UMAG, AG 2004 245; ders. Die Darlegungs- und Beweislast bei der Business Judgment Rule, NZG 2009 891; Peters Angemessene Informationsbasis als Voraussetzung pflichtgemäßen Vorstandshandelns, AG 2010 811; Redeke Zur gerichtlichen Kontrolle der Angemessenheit der Informationsgrundlage im Rahmen der Business Judgment Rule nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, ZIP 2011 59; Rowedder/Schmidt-Leithoff GmbHG 6. Aufl. (2017) (zit.: Rowedder/Schmidt-Leithoff/Bearbeiter); Schäfer Die Binnenhaftung von Vorstand und Aufsichtsrat nach der Renovierung durch das UMAG, ZIP 2005 1253; K. Schmidt Verbotene Zahlungen in der Krise von Handelsgesellschaften und die daraus resultierenden Ersatzpflichten, ZHR 168 (2004) 637; Schmittmann Braucht es ein SanInsFoG-Reparaturgesetz? BB 2021 1; Schneider Anwaltlicher Rat zu unternehmerischen Entscheidungen bei Rechtsunsicherheit, DB 2011 99; Scholz Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021 219; Selter Haftungsrisiken von Vorstandsmitgliedern bei fehlendem und von Aufsichtsratsmitgliedern bei vorhandenem Fachwissen, AG 2012 11; Semler Entscheidungen und Ermessen im Aktienrecht, Festschrift P. Ulmer (2003) 627; Spindler Haftung für fehlerhafte und unterlassene Kapitalmarktinformationen – ein (weiterer) Meilenstein, NZG 2012 575; ders. Kapitalmarktreform in Permanenz – Das Anlegerschutzverbesserungsgesetz, NJW 2004 3449; Spindler/Christoph Die Entwicklung des Kapitalmarktrechts in den Jahren 2003/2004, BB 2004 2197; Spindler/Stilz Aktiengesetz 4. Aufl. (2019) (zit.: Spindler/Stilz/Bearbeiter); Thümmel Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten 5. Aufl. (2016); Vetter Zur Haftung im fakultativen Aufsichtsrat der GmbH, GmbHR 2012 181; ders. Die Verantwortung und Haftung des überstimmten Aufsichtsratsmitglieds, DB 2004 2623; Werner Die Pflicht der GmbH zur Übernahme von Kosten in Zusammenhang mit Strafverfahren gegen ihre Geschäftsführer, GmbHR 2012 1107; Wilhelm Zurück zur Durchgriffshaftung – das „KBV“-Urteil des II. Zivilsenats des BGH vom 24.6.2002, NJW 2003 175.

Übersicht 1

a)

A.

Überblick

B.

Innenhaftung

I.

Haftung von Vorstandsmitgliedern einer 4 AG 4 Überblick Verhältnis der Organhaftung zur Haftung aus 7 dem Anstellungsvertrag Beginn und Ende der Organhaftung – Untertei8 lung der Verhaltenspflichten 10 Sorgfaltspflichten

1. 2. 3. 4.

Henzler

2

b)

Rechtlich gebundene Entscheidun10 gen aa) Unmittelbar an den Vorstand adres11 sierte Pflichten bb) An die Gesellschaft adressierte Pflich12 ten 17 cc) Delegation von Aufgaben 19 Unternehmerische Entscheidungen aa) Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 20 Satz 2 AktG bb) Rechtsfolgen bei Nichterfüllung der Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 25 Satz 2 AktG 774

A. Überblick

c)

5. 6. 7. 8. 9. 10.

Insbesondere: Haftung wegen Zahlungen 26 nach Insolvenzreife (§ 15b InsO) 26 aa) Überblick 27 bb) Versicherungsschutz 28 Treuepflichten 29 Verschulden 30 Schaden und Kausalität 33 Darlegungs- und Beweislast 34 Verjährung Haftungsausschluss, Entlastung, Verzicht, Ver35 gleich

1. 2.

3.

III. 1. 2.

3. 4.

Haftung von Geschäftsführern einer 39 GmbH 39 Überblick Strukturunterschiede zur Vorstandshaf40 tung a) Modifikation der Geschäftsführerhaftung 41 durch die Gesellschafter b) Befolgung von Weisungen – Einverständ44 nis 49 Haftungsvoraussetzungen im Einzelnen 50 a) Sorgfaltspflichten 53 b) Treuepflichten c) Verschulden, Schaden und Kausalität, Dar54 legungs- und Beweislast 55 d) Verjährung e) Wirkung von Entlastungsbeschlüssen, An56 spruchsdurchsetzung Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern einer 59 AG 60 Haftungsmaßstab 61 Sorgfaltspflichten a) Überwachung der Geschäftsfüh62 rung b) Informationspflicht und Pflicht zur Selbst68 organisation 70 c) Weitere Aufgaben und Pflichten 71 Treuepflichten 72 (Weitere) Haftungsvoraussetzungen

73

C.

Außenhaftung

I.

Haftung von Vorstandsmitgliedern und Ge74 schäftsführern (Unternehmensleitern) 75 Haftung gegenüber Anteilseignern 75 a) Spezielle Haftungstatbestände b) Verletzung des Mitgliedschaftsrechts (§ 823 76 Abs. 1 BGB) c) Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem 77 Schutzgesetz 80 d) Problem des „Doppelschadens“ Haftung gegenüber Anlegern (Fehlerhafte Kapi81 talmarktinformation) a) Fehlerhafte Primärmarktinforma82 tion b) Fehlerhafte Sekundärmarktinforma85 tion 86 c) Fehlerhafte Regelpublizität Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubi87 gern a) Haftung aus Verschulden bei Vertragsver88 handlungen (cic) aa) Inanspruchnahme besonderen per89 sönlichen Vertrauens bb) Besonderes wirtschaftliches Eigenin90 teresse b) Haftung wegen Insolvenzverschlep91 pung aa) Voraussetzungen der Insolvenzver92 schleppungshaftung bb) Rechtsfolgen der Insolvenzverschlep93 pungshaftung 95 Haftung gegenüber sonstigen Dritten 95 a) Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB 97 b) Haftung aus §§ 69, 34 AO c) Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a 99 StGB

1.

2. II.

AVB D&O Anhang zu A-1

3.

4.

II.

Außenhaftung von Aufsichtsratsmitglie100 dern

A. Überblick Eine D&O-Versicherung bietet Versicherungsschutz für die persönliche Haftung von Organmit- 1 gliedern, wie insbesondere für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer AG oder Geschäftsführer einer GmbH. Hinsichtlich der möglichen Haftungstatbestände ist dabei zwischen Innenund Außenhaftungsansprüchen zu unterscheiden. Dabei meint Innenhaftung die Haftung des Organmitglieds gegenüber der Gesellschaft und Außenhaftung die Haftung des Organmitglieds gegenüber Dritten. Einige Unternehmens-AVB bieten über die Bestimmung von Ziff. A-1 AVB D&O 2020 hinaus nicht nur für Organmitglieder, sondern auch für andere Personengruppen Versicherungsschutz,

775

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

wie z. B. für leitende Angestellte. Die folgende Darstellung bleibt aber auf die Organhaftung begrenzt.1

B. Innenhaftung 2 Die Pflichtenbindungen von Organmitgliedern bestehen nach der gesetzlichen Konzeption in erster Linie gegenüber der Gesellschaft (vgl. § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG, § 34 Abs. 2 GenG), weswegen die Innenhaftung den gesetzlichen „Normalfall“ der Organhaftung darstellt.2 Der Inhalt der Pflichtenbindungen hängt dabei von der jeweiligen Rechtsform der Gesellschaft und der Funktion des Organs ab. Was die Rechtsform anbelangt, wird die folgende Darstellung auf die praktisch mit Abstand wichtigsten Fälle der AG und der GmbH beschränkt. Die für diese geltenden Regeln sind jedoch in weiten Teilen auf andere Kapitalgesellschaften übertragbar. So gelten etwa für die Organhaftung bei Genossenschaft und SE (Societas Europaea) im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie für die AG.3 3 Im Einzelnen dargestellt werden die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer AG, von Geschäftsführern einer GmbH und von Aufsichtsratsmitgliedern einer AG. Für die Haftung von Mitgliedern eines fakultativen oder obligatorischen Aufsichtsrats einer GmbH oder eines Beirats sind die für Aufsichtsratsmitglieder einer AG geltenden Grundsätze in weiten Teilen übertragbar.4 Es gibt jedoch auch einige nicht unwesentliche Unterschiede: So gelten etwa für die Wirkung von Entlastungsbeschlüssen, Anspruchsverzicht und Vergleich für Aufsichtsratsmitglieder einer AG andere, strengere Regeln als für Mitglieder eines fakultativen5 Aufsichtsrats einer GmbH.6 Während bei der AG einem Entlastungsbeschluss nach § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG keine Verzichtswirkung zukommt und Verzicht und Vergleich nach §§ 116, 93 Abs. 4 AktG nur eingeschränkt möglich sind, können die Gesellschafter einer GmbH gegenüber den Mitgliedern eines fakultativen Aufsichtsrats ohne die Beschränkungen von § 93 Abs. 4 AktG auf Ansprüche gegen diese verzichten und ein Entlastungsbeschluss ist in ähnlichem Umfang mit Verzichtswirkung verbunden wie bei den Geschäftsführern (siehe dazu unten Rn. 57).

I. Haftung von Vorstandsmitgliedern einer AG 1. Überblick 4 Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer AG ist im Wesentlichen in § 93 AktG geregelt. Dabei beschreibt § 93 Abs. 1 AktG generalklauselartig den für Vorstandsmitglieder geltenden Sorgfaltsmaßstab, während § 93 Abs. 2 AktG den allgemeinen Haftungstatbestand enthält. Soweit keiner der besonderen Haftungstatbestände greift, haften Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft für jede Verletzung ihrer sich aus dem Gesetz, der Satzung, der Geschäftsordnung oder Aufsichtsratsbeschlüssen ergebenden Organpflichten nach der Generalklausel in § 93 Abs. 2 AktG.

1 2 3 4

Überblick über die Haftung leitender Angestellter bei Thümmel Rn. 68 ff. Krieger/Schneider/Lutter § 1 Rn. 29. Siehe zur SE Krieger/Schneider/Teichmann § 5; zur Genossenschaft Krieger/Schneider/Weber § 4. Siehe etwa die Verweise in § 52 Abs. 1 GmbHG für den fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH und in § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Halbs. 2 DrittelbG für die drittel-mitbestimmte GmbH. 5 Für Mitglieder eines obligatorischen Aufsichtsrats einer GmbH gelten aufgrund der entsprechenden Verweise (z. B. in § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Halbs. 2 DrittelbG oder § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG) teilweise wiederum strengere Regeln als für Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats (so gilt z. B. § 93 Abs. 4 AktG), vgl. MüKo-GmbHG/Spindler § 52 Rn. 620 ff.; GroßKo-GmbHG/Heermann § 52 Rn. 263 ff. und 307 f. 6 Siehe zur Haftung von Mitgliedern eines fakultativen Aufsichtsrats Vetter GmbHR 2012 181, 181 ff.; GroßKoGmbHG/Heermann § 52 Rn. 148 ff. Henzler

776

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

Acht besondere Haftungstatbestände, die im Zusammenhang mit der Pflicht des Vorstands 5 stehen, die Kapitalgrundlage und den Vermögensbestand der Gesellschaft zu sichern, enthält § 93 Abs. 3 AktG.7 Die eigenständige Bedeutung dieser Vorschrift liegt – neben einer Erleichterung der Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 93 Abs. 5 AktG – insbesondere in einer von § 93 Abs. 2 AktG abweichenden Beweislastregel:8 Soweit einer der dort genannten Pflichtverstöße vorliegt, besteht der Schaden schon im Abfluss der Mittel (bzw. bei § 93 Abs. 3 Ziff. 4 AktG in deren Vorenthaltung). Der Schaden entfällt nur, wenn die Gesellschaft den abgeflossenen Betrag (wieder-)erlangt hat, wofür das Vorstandsmitglied die Beweislast trägt. Die der Haftung aus § 93 Abs. 3 AktG zugrunde liegenden Pflichten ergeben sich nicht erst aus dieser Vorschrift selbst, sondern aus an anderer Stelle des Aktiengesetzes normierten Ge- und Verboten, z. B. für die durch § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG sanktionierte Einlagenrückgewähr aus § 57 Abs. 1 AktG. Daneben gibt es weitere speziell geregelte Haftungstatbestände wie § 88 Abs. 2 Satz 1 AktG 6 (Verletzung des Wettbewerbsverbots), § 117 Abs. 2 AktG (schädigende Einflussnahme auf Organmitglieder oder bestimmte leitende Angestellte) oder Tatbestände des Konzernrechts (§§ 309 Abs. 2, 310 Abs. 1, 317 Abs. 3, 318 Abs. 1, 318 Abs. 2 AktG), die gegenüber der Haftung aus § 93 Abs. 2 AktG (und den in § 93 Abs. 3 AktG genannten Sondertatbeständen) jedoch eine untergeordnete Rolle spielen.

2. Verhältnis der Organhaftung zur Haftung aus dem Anstellungsvertrag Neben den gesetzlichen Haftungstatbeständen steht die vertragliche Haftung der Vorstandsmit- 7 glieder wegen Verletzung ihrer Pflichten aus dem Anstellungsvertrag (§ 280 BGB). Diese vertragliche Haftung hat gegenüber der gesetzlichen Haftung aber jedenfalls dann keine eigenständige Bedeutung, wenn der Anstellungsvertrag mit derjenigen Gesellschaft geschlossen wurde, für die das Vorstandsmitglied seine Organfunktion wahrnimmt. Bei § 93 AktG handelt es sich um zwingendes Recht, eine Modifikation der gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen ist daher nicht möglich. So kann insbesondere der Haftungsmaßstab des § 93 Abs. 1 AktG durch vertragliche Regelung weder verschärft noch gemildert werden.9 Soweit die Sonderverbindung zwischen dem Vorstandsmitglied und derjenigen Gesellschaft betroffen ist, für die es die Organfunktion wahrnimmt, ist § 93 AktG gegenüber möglichen Ansprüchen aus Verletzung der sich aus dem Anstellungsvertrag ergebenden Pflichten abschließend.10 Insoweit wird die Haftung wegen Verletzung des Anstellungsvertrages durch § 93 AktG verdrängt. Eigenständige Bedeutung kann Ansprüchen aus dem Anstellungsvertrag aber dann zukommen, wenn dieser mit einer anderen Gesellschaft als der Organgesellschaft geschlossen wird (wie z. B. der Muttergesellschaft oder einer anderen Gesellschaft desselben Unternehmensverbundes).11 Dann gilt zwar im Verhältnis zwischen Vorstandsmitglied und Organgesellschaft nach wie vor ausschließlich § 93 AktG. Im Verhältnis zur Anstellungsgesellschaft ist aber der Anstellungsvertrag maßgeblich, aus dem sich bei entsprechender vertraglicher Regelung z. B. auch ein Freistellungsanspruch des Vorstandsmitglieds gegen die Anstellungsgesellschaft ergeben kann.

7 Siehe zur Neuregelung der Zahlungsverbote durch das SanInsFoG mit Wirkung zum 1.1.2021 und der damit einhergehenden Aufhebung von § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG unten Rn. 26 f.

8 MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 252 f.; Thümmel Rn. 106. 9 Hüffer/Koch/Koch § 93 Rn. 2; Hölters/Hölters § 93 Rn. 349; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic § 93 Rn. 85 f.; MüKo-AktG/ Spindler § 93 Rn. 35; etwas anders Heidel/U.Schmidt, nach dem aber ebenfalls eine generelle Haftungsverschärfung durch Vertrag nicht möglich sein soll. 10 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 45 ff. u. 617 f.; Hölters/Hölters § 93 Rn. 349. 11 Beckmann/Matusche-Beckmann § 28 Rn. 39. 777

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

3. Beginn und Ende der Organhaftung – Unterteilung der Verhaltenspflichten 8 Die Organpflichten und die daran anknüpfende Haftung (insbesondere aus § 93 Abs. 2 AktG) beginnen in dem Zeitpunkt, in dem das Amt eines Vorstandsmitglieds mit Wissen des Aufsichtsrats ausgeübt wird und enden zu dem Zeitpunkt, zu dem die Amtszeit, für die das Vorstandsmitglied bestellt wurde, endet (soweit das Vorstandsmitglied nicht mit Billigung des Aufsichtsrats nach Beendigung der Amtszeit weiter für die Gesellschaft tätig ist), der Aufsichtsrat das Vorstandsmitglied wirksam abberuft (wiederum soweit keine einvernehmliche Fortsetzung der Vorstandstätigkeit erfolgt) oder das Vorstandsmitglied sein Amt wirksam niedergelegt hat.12 Systematisch einteilen lassen sich die Organpflichten in Sorgfaltspflichten und Treue9 pflichten, wobei zu Letzteren auch die in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG normierte Verschwiegenheitspflicht gehört.13 Dagegen spielt die Unterscheidung von spezifischen Leitungsaufgaben einerseits (§ 76 Abs. 1 AktG) und allgemeinen Geschäftsführungsaufgaben (§ 77 AktG) andererseits für die Haftung aus § 93 Abs. 2 AktG lediglich eine untergeordnete Rolle.14

4. Sorgfaltspflichten 10 a) Rechtlich gebundene Entscheidungen. Der Vorstand hat sich gesetzestreu zu verhalten (Legalitätspflicht).15 Das gilt zunächst für alle Vorgaben aus dem Aktienrecht, der Satzung, der Geschäftsordnung und Aufsichtsratsbeschlüssen, die unmittelbar an den Vorstand adressiert sind und ihm selbst bestimmte Pflichten auferlegen.

11 aa) Unmittelbar an den Vorstand adressierte Pflichten. Über das gesamte Aktiengesetz verstreut finden sich zahlreiche unmittelbar an den Vorstand gerichtete Einzelpflichten. So hat der Vorstand z. B. zahlreiche Berichts-, Informations- und Auskunftspflichten zu erfüllen (etwa aus § 90 AktG und § 131 AktG). Er hat dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Handelsbücher geführt werden (§ 91 Abs. 1 AktG) und ein Risiko-Überwachungssystem eingerichtet wird (§ 91 Abs. 2 AktG). Bei Eintritt eines Verlustes des Gesellschaftsvermögens in Höhe der Hälfte ihres Grundkapitals hat der Vorstand die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen (§ 92 AktG).16 Bei Insolvenzreife der Gesellschaft muss er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen (§ 15a Abs. 1 InsO), Zahlungen nach Insolvenzreife sind ihm nach § 15b InsO verboten.17 Bei all diesen Pflichten ist der Vorstand unmittelbar selbst Pflichtenträger, so dass deren Verletzung eine Pflichtverletzung des Vorstands darstellt und er sich nach der Generalklausel des § 93 Abs. 2 AktG oder – wenn einer der acht Haftungstatbestände von § 93 Abs. 3 AktG betroffen ist18 – nach 93 Abs. 3 AktG schadensersatzpflichtig macht.

12 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 349 ff.; Hölters/Hölters § 93 Rn. 232 ff.; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 12 ff. 13 Teilweise werden Letztere auch als eigenständige Kategorie verstanden, so etwa GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 279 ff., nach denen die Verschwiegenheitspflicht aber Ausfluss der organschaftlichen Treuepflicht sei. 14 Diese Unterscheidung dient in erster Linie dazu, den nicht an nachgeordnete Mitarbeiter delegierbaren Kernbereich der Leitungsaufgaben von den übrigen Geschäftsführungsmaßnahmen abzugrenzen, vgl. MüKo-AktG/Spindler § 76 Rn. 15 ff. 15 Fleischer Vorstandsrecht § 7 Rn. 4; GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 133; KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 67. 16 Zur Frage, ob § 92 AktG Schutzgesetz zugunsten von Aktionären ist, unten Rn. 78. 17 S. zu dem seit dem 1.1.2021 geltenden § 15b InsO näher unten Rn. 26 f.; zu § 15a Abs. 1 InsO unten Rn. 91 ff. 18 § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG wurde wie § 92 Abs. 2 AktG, auf den sich diese Vorschrift bezog, mit Wirkung zum 1.1.2021 aufgehoben; die Haftung von Unternehmensleitern wegen Zahlungen nach Insolvenzreife ist seither rechtsformübergreifend in § 15b InsO geregelt; siehe dazu näher unter Rn. 26 f. Henzler

778

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

bb) An die Gesellschaft adressierte Pflichten. Der Vorstand muss dafür sorgen, dass sämtli- 12 che an die Gesellschaft gerichteten Rechtsvorschriften eingehalten werden (Legalitätskontrollpflicht).19 Zu diesen Vorschriften zählen sämtliche Normen des Zivilrechts, des öffentlichen Rechts und des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. Vertragliche Pflichten sind dagegen keine Rechtsvorschriften in diesem Sinne.20 Dabei dürfte sich die Pflicht des Vorstands zur Einhaltung aller an die Gesellschaft gerichteten Vorschriften schon aus dem Geltungsanspruch der Rechtsordnung selbst ergeben.21 Juristische Personen haben wie alle Rechtssubjekte die an sie gerichteten Normen zu erfüllen. Da juristische Personen aber selbst nicht handlungsfähig sind, sondern durch ihre Organe handeln, haben ihre Organe für die Einhaltung der an die juristische Person gerichteten Normen zu sorgen. Bei entsprechender Gefährdungslage genügt der Vorstand seiner Legalitätskontrollpflicht nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet (Compliance-Management-System).22 Die Pflicht zur Einhaltung aller Rechtsvorschriften gilt auch für „nützliche“ Rechtsverlet- 13 zungen, wie z. B. für die Bestechung eines Amtsträgers, um an einen für die Gesellschaft wichtigen Auftrag zu gelangen oder für Preisabsprachen mit Konkurrenten.23 Bei solchen „nützlichen“ Rechtsverletzungen kann es zwar nach den Grundsätzen des Vorteilsausgleichs mitunter an einem Schaden der Gesellschaft fehlen,24 an der Pflichtwidrigkeit des Vorstandshandelns ändern mögliche Vermögensvorteile für die Gesellschaft jedoch nichts. Die Einhaltung des Gesetzes hat insoweit Vorrang vor dem (Vermögens-) Interesse der Gesellschaft.25 Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit steht dem Vorstand im Ausgangspunkt weder ein 14 Ermessen noch eine gerichtlicher Überprüfung nicht zugängliche Einschätzungsprärogative zu.26 Ein Entscheidungsspielraum steht dem Vorstand bei der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben allerdings insoweit zu, als er bei Vorhandensein mehrerer rechtmäßiger Alternativen eine davon auswählen kann. Daneben steht dem Vorstand dann ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, wenn das Gesetz verlangt, dass der Vorstand bestimmte Prognosen oder Bewertungen vorzunehmen hat. Dem Vorstand können zwar hinsichtlich des „Wie“ der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben gewisse Beurteilungsspielräume zustehen, nicht aber hinsichtlich des „Ob“.27 Nach einer verbreiteten Auffassung soll eine Pflichtverletzung des Vorstands trotz Verursa- 15 chung einer Rechtsverletzung der Gesellschaft im Außenverhältnis ausscheiden können, wenn 19 Krieger/Schneider/Wilsing § 31 Rn. 19; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 87; Thümmel Rn. 191; auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (Fassung vom 16.12.2019) sieht in Abschnitt A. Ziff. I. als Grundsatz 5 vor, dass der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der internen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung im Unternehmen hinzuwirken hat (Compliance). 20 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 148; Fleischer ZIP 2005 141, 150; differenzierend GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 67. 21 Demgegenüber verweist Fleischer ZIP 2005 141, 148 auf § 396 Abs. 1 AktG, aus dem sich ergeben soll, dass Gesetzesverstöße „von vornherein nicht im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft“ liegen; wie hier dagegen z. B. MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 87. 22 Diese Pflicht wird teilweise aus der in § 91 Abs. 2 AktG verankerten Pflicht zur Einrichtung eines Überwachungssystem zur frühzeitigen Erkennung von den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen und teilweise aus der allgemeinen Pflicht zur Unternehmensleitung aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG abgeleitet; für Ersteres z. B. Berg AG 2007 271, 284 ff.; Schwintowski NZG 2005 200, 201 f.; für Letzteres z. B. Spindler/Stilz/Fleischer § 91 Rn. 50. 23 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 134; KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 69; Fleischer ZIP 2005 141, 148 ff. 24 Näher dazu Fleischer ZIP 2005 141, 151 f.; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 186 ff. 25 Fleischer ZIP 2005 141, 148. 26 Schäfer ZIP 2005 1253, 1255; a. A. Hauschka/Sieg/Zeidler § 3 Rn. 20 ff.; eine Einschätzungsprärogative für den Fall einer unklaren oder umstrittenen Rechtslage befürwortend auch Werner GmbHR 2012 1107, 1108; teilweise wird die Thematik unter dem Stichwort „Legal Judgment“ diskutiert, so z. B. bei Grigoleit/Grigoleit/Tomasic § 93 Rn. 21 ff. 27 Heidel/U.Schmidt § 93 Rn. 75; Hauschka GmbHR 2007 11, 13; Holle AG 2011 778, 785; siehe auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum UMAG (Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts) in BTDrucks. 15/5092 S. 11, nach der es für illegales Verhalten keinen „sicheren Hafen“ im Sinne einer haftungstatbestandlichen Freistellung des Vorstands geben darf; siehe zur Abgrenzung zwischen rechtlich gebundenen und unternehmerischen Entscheidungen auch unten Rn. 21. 779

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

die Rechtslage unklar oder umstritten ist und sich der Vorstand rechtlichen Rat eingeholt hat.28 Bei entsprechender Bedeutung der Frage soll der Vorstand nach dieser Auffassung dafür aber zur Einholung von Rechtsrat verpflichtet sein.29 Der Vorstand handelt danach immer dann rechtswidrig, wenn er keinen Rechtsrat eingeholt hat, obwohl dies geboten gewesen wäre. Richtigerweise ist für die Frage, ob der Vorstand gegen die Legalitätspflicht verstoßen hat, aber allein maßgeblich, ob die getroffene Entscheidung im Ergebnis rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Die unterlassene Einholung von Rechtsrat als solche vermag allenfalls dann eine Pflichtverletzung des Vorstands zu begründen, wenn er zwischen mehreren rechtmäßigen Alternativen wählen konnte und sich (mangels ausreichender Information) in nicht mehr vertretbarer Weise für eine für die Gesellschaft ungünstige Variante entschieden hat.30 Gibt es dagegen nur eine rechtmäßige Handlungsmöglichkeit und entscheidet sich der Vorstand hierfür, scheidet eine Pflichtverletzung auch dann aus, wenn aus ex ante Sicht die Einholung von Rechtsrat geboten gewesen wäre. Die Frage, inwieweit die Einholung eines (falschen) Rechtsrats für den Vorstand entlastend wirken kann, stellt sich erst auf der Verschuldensebene (dazu unten Rn. 29).31 Dem Grundsatz, dass der Vorstand für die Einhaltung aller an die Gesellschaft gerichteten 16 Rechtsvorschriften zu sorgen hat, kommt für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Vorstand für eine von der Gesellschaft gegenüber Dritten verursachte Rechtsverletzung haftet, entscheidende Bedeutung zu. Aus der Legalitätspflicht ergibt sich, dass im Falle der Haftung der Gesellschaft gegenüber Dritten wegen einer Verletzung von Rechtsvorschriften (nicht von vertraglichen Pflichten) immer dann eine Pflichtverletzung des Vorstands vorliegt, wenn die der Haftung zugrunde liegende Rechtsverletzung entweder auf dessen eigenem Handeln beruht, er die Aufgabe, bei deren Wahrnehmung die Rechtsverletzung begangen wurde, nicht wirksam delegiert hat oder er die sich aus der Delegation ergebenden Pflichten verletzt hat. Dieses „Prüfungsprogramm“ ist bei der Bearbeitung von D&O-Fällen immer dann zu durchlaufen, wenn die Inanspruchnahme von – zu diesem Zeitpunkt zumeist ehemaligen – Vorstandsmitgliedern durch die Gesellschaft ihren Grund wie nicht selten darin hat, dass sich die Gesellschaft ihrerseits Schadensersatzforderungen von Dritten (z. B. von Anlegern) ausgesetzt sieht und bei ihren (ehemaligen) Vorstandsmitgliedern Regress nehmen will.

17 cc) Delegation von Aufgaben. Der Vorstand darf Aufgaben grundsätzlich an nachgeordnete Mitarbeiter delegieren (vertikale Delegation). Einige Aufgaben, wie z. B. die Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 90 AktG), die Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses (§ 264 HGB) und die Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 1 InsO) können allerdings nicht an nachgeordnete Mitarbeiter delegiert werden. Bei nicht delegationsfähigen Aufgaben kann sich der Vorstand zwar von Mitarbeitern beraten und unterstützen lassen, die Verantwortung liegt aber allein bei ihm.32 Soweit eine Delegation zulässig ist, hat der Vorstand diejenigen Mitarbeiter, denen er die Aufgabe überträgt, sorgfältig – insbesondere unter den Gesichtspunkten fachlicher Eignung und persönlicher Zuverlässigkeit – auszuwählen, sie in ihre Aufgabe angemessen einzuweisen und

28 Krieger/Schneider/Krieger § 3 Rn. 9; Fleischer Vorstandsrecht § 7 Rn. 19; Schneider DB 2011 99, 102; Werner GmbHR 2012 1107, 1108. 29 Siehe die Nachweise in der vorherigen Fn. 30 Siehe dazu auch unten Rn. 21. 31 Für eine Verortung auf Verschuldensebene offenbar auch BGH 20.9.2011 – II ZR 234/09, NJW-RR 2011 1670, 1671; BGH 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015 988, 991 f.; OLG Stuttgart 25.11.2009 – 20 U 5/09, NZG 2010 141, 143; siehe auch BGH 27.3.2012 – II ZR 171/10, NZG 2012 672, 673. 32 Ausführlich zur Zulässigkeit der Delegation von Organpflichten Hauschka/Schmidt-Husson § 6 Rn. 15 ff.; Gomer Die Delegation von Compliance-Zuständigkeiten des Vorstands einer Aktiengesellschaft (2020), S. 81 ff.; Thümmel Rn. 203. Henzler

780

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

zu überwachen.33 Eine ordnungsgemäße Überwachung erfordert dabei insbesondere die Einrichtung eines geeigneten Berichts- und Kontrollsystems. Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, kommt neben der vertikalen Delegation auch 18 eine horizontale Delegation in Betracht. Bei mehreren Vorstandsmitgliedern gilt grundsätzlich das Prinzip der gemeinschaftlichen Geschäftsführung (§ 77 Abs. 1 AktG) und daraus folgend das Prinzip der Gesamtverantwortung. Durch Binnenrecht (insbesondere Satzung oder Geschäftsordnung) können aber einzelnen Vorstandsmitgliedern bestimmte Aufgabenbereiche zugewiesen und kann so der Grundsatz der Gesamtverantwortung modifiziert werden. Vor allem bei größeren Unternehmen findet häufig eine Geschäftsverteilung nach Ressorts statt. Dann trägt jedes Vorstandsmitglied fortan die volle Handlungsverantwortung für die ihm zugewiesenen Aufgaben und eine „Restverantwortung“ hinsichtlich der übrigen Ressorts, die es zur Beobachtung und – sofern Anlass dazu besteht – auch zur fortwährenden Überwachung und zum Einschreiten verpflichtet.34 Zwar darf jedes Vorstandsmitglied grundsätzlich darauf vertrauen, dass seine Vorstandskollegen die ihnen zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen. Dies entbindet es aber nicht von der Pflicht, sich regelmäßig einen Überblick darüber zu verschaffen, ob die anderen Ressorts ordnungsgemäß geleitet werden. Bei unvollständigen oder nicht plausiblen Informationen muss das nicht ressortzuständige Vorstandsmitglied auf Nachbesserung bestehen und notfalls auch selbst Erkundigungen einholen.35 Sofern ein Vorstandsmitglied von einem drohenden rechtswidrigen Verhalten erfährt, hat es darauf hinzuwirken, dass dieses unterbleibt. Der Vorstandskollege ist auf die Rechtswidrigkeit hinzuweisen; falls dies keine Abhilfe verspricht, ist der Gesamtvorstand zu informieren und, wenn dieser die Maßnahme nicht verbieten will, der Aufsichtsrat einzuschalten.36 Diese „Restverantwortung“ eines jeden Vorstandsmitglieds für ihm nicht unmittelbar zugewiesene Aufgaben kann durch Satzung oder Geschäftsordnung nicht beseitigt werden.37

b) Unternehmerische Entscheidungen. Anders als bei rechtlich gebundenen Entscheidun- 19 gen steht dem Vorstand bei unternehmerischen Entscheidungen Ermessen zu. Mit dem durch das UMAG38 eingeführten § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass der Vorstand „für Fehler im Rahmen des unternehmerischen Entscheidungsspielraums“ nicht haftet.39 Bei der Kodifizierung orientierte sich der Gesetzgeber ausdrücklich an der so genannten „Business Judgment Rule“ aus dem amerikanischen Rechtskreis und der „ARAG“-Entscheidung40 des Bundesgerichtshofs.41 Ein Grundgedanke der „ARAG“-Entscheidung war, dass unternehmerische Tätigkeit ohne Zubilligung eines weiten Handlungsspielraums nicht denkbar ist und von diesem Handlungsspielraum auch das bewusste Eingehen geschäftlicher Risiken und die Gefahr von Fehleinschätzungen gedeckt sein müssen.42 Danach darf unternehmerischer Misserfolg allein (das Fehlen einer „glücklichen Hand“43) nicht haftungsbegründend sein. Wenn die Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vorliegen, ist die Annahme einer Pflichtverletzung ausgeschlossen. 33 BGH 7.11.1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127 336, 346 f.; Hauschka/Schmidt-Husson § 6 Rn. 26 ff.; Krieger/Schneider/ Vetter § 22 Rn. 74; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 101 ff.

34 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 376; KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 92; Krieger/Schneider/Vetter § 22 Rn. 24; Fleischer Vorstandsrecht § 11 Rn. 43. 35 Krieger/Schneider/Vetter § 22 Rn. 23; Thümmel Rn. 208. 36 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 382 f.; Hauschka/Schmidt-Husson § 6 Rn. 32 ff. 37 Hauschka/Schmidt-Husson § 6 Rn. 10 ff. spricht von „Unentrinnbarkeit der Gesamtverantwortung“. 38 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005, BGBl. I 2802. 39 BTDrucks. 15/5092 S. 11. 40 BGH 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135 244. 41 BTDrucks. 15/5092 S. 11. 42 BGH 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135 244, 253. 43 BGH 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135 244, 253. 781

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

20 aa) Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Nach seinem Wortlaut setzt § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG dreierlei voraus: Das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung, ein Handeln auf der Grundlage angemessener Information und ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft, wobei es bei den beiden letztgenannten Merkmalen auf die objektivierte Sicht des Vorstandsmitglieds ankommt („vernünftigerweise annehmen durfte“). Die Gesetzesbegründung nennt mit „Gutgläubigkeit“ und „Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse“ zwei weitere Voraussetzungen, sieht diese aber als in den formulierten Tatbestandsmerkmalen „Handeln zum Wohle der Gesellschaft“ (Handeln ohne Sonderinteressen) bzw. „Annehmen dürfen“ (Gutgläubigkeit) implizit enthalten an.44 Durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wird die gerichtliche Inhaltskontrolle unternehmerischer Entscheidungen im Wesentlichen durch eine Kontrolle des Entscheidungsverfahrens ersetzt.45 21 Das Merkmal der unternehmerischen Entscheidung grenzt den Bereich der Ermessensentscheidungen von dem der rechtlich gebundenen Entscheidungen ab. Wo es um die Einhaltung zwingender Regeln geht, ist § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht anwendbar.46 Dies gilt auch dann, wenn die zwingende Regel zukunftsbezogene oder prognostische Elemente enthält.47 Der durch Gesetz und Binnenrecht (Satzung, Geschäftsordnung und Aufsichtsratsbeschlüsse) gesteckte rechtliche Rahmen muss in jedem Fall beachtet werden. Bei der Erfüllung zwingender Vorgaben kann dem Vorstand lediglich insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zustehen (siehe oben Rn. 14 f.). Für die gerichtliche Kontrolle eines solchen Beurteilungsspielraums gilt aber nicht § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, sondern es ist eine (beschränkte) Inhaltskontrolle daraufhin vorzunehmen, ob der Entscheidungsinhalt im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben vertretbar erscheint.48 Soweit es um die Umsetzung rechtlicher Vorgaben geht, passt die auf die Ordnungsgemäßheit des Entscheidungsverfahrens ausgerichtete Kontrolle aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht. 22 Das Vorstandsmitglied musste annehmen dürfen, auf der Grundlage angemessener Information zu handeln. Nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2008 soll dies voraussetzen, dass dafür alle verfügbaren Informationen tatsächlicher und rechtlicher Art ausgeschöpft werden.49 Dieser strengen Auslegung wird zurecht entgegengehalten, dass der Wortlaut des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gerade keine erschöpfende, sondern eine lediglich angemessene Information fordert und es dem Gesetzgeber auch gerade darauf ankam, keine allumfassende Information zu verlangen.50 Richtigerweise hat der Vorstand je nach Bedeutung der Entscheidung, der Komplexität und den Risiken des Geschäfts, der für die Entscheidungsfindung zur Verfügung stehenden Zeit sowie den mit der Informationsbeschaffung verbundenen Kosten abzuwägen, welcher

44 45 46 47 48

BTDrucks. 15/5092 S. 11. Holle AG 2011 778, 783; Paefgen AG 2004 245, 249; siehe aber unten Rn. 24. Holle AG 2011 778, 785; a. A. Hauschka/Sieg/Zeidler § 3 Rn. 38 ff. Fleischer ZIP 2005 141, 148; Schäfer ZIP 2005 1253, 1255; a. A. KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 19. Holle AG 2011 778, 785; vgl. GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 118 ff., die § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG lediglich als eine „Teilkodifikation“ unternehmerischen Ermessens ansehen; a. A. Hauschka/Sieg/Zeidler § 3 Rn. 38 ff.; Brömmelmeyer WM 2005 2065, 2066; Hauschka GmbHR 2007 11, 13. 49 BGH 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008 1675, 1676 f.; bestätigt durch BGH vom 18.6.2013 – II ZR 86/11, NZG 2013 1021, 1023; demgegenüber nimmt der 5. Strafsenat des BGH in einem Urteil aus dem Jahr 2016 zwar Bezug auf die zivilrechtliche Entscheidung von 2008 und hält es ebenfalls für „grundsätzlich“ erforderlich, dass der Vorstand in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpft. Er stellt dort aber die konkrete Entscheidungssituation ins Zentrum und meint, dass der Vorstand seiner Informationspflicht schon dann genügt, wenn er sich unter Berücksichtigung des Zeitfaktors und unter Abwägung von Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung eine angemessene Tatsachenbasis verschafft; vgl. BGH 12.10.2016 – 5 StR 134/15, NJW 2017 578, 580. 50 So die überwiegende Auffassung in der Literatur, vgl. Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 71a; Fest NZG 2011 540, 541; Peters AG 2010 811, 813; Redeke ZIP 2011 59, 62 f.; siehe zu den Gesetzesmaterialien BTDrucks. 15/5092 S. 12. Henzler

782

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

Informationsumfang angemessen ist.51 Dabei kann die Beschaffung angemessener Information auch die Einholung von sachverständigem Rat (insbesondere von Rechtsrat) erfordern. Neben der Informationsbeschaffung gehört zur angemessenen Information auch eine Gewichtung der ermittelten Informationen, die mögliche Alternativen mit ihren jeweiligen Auswirkungen in Betracht zieht.52 Bei der Bestimmung des Umfangs und der Auswahl der beschafften Informationen und deren Gewichtung steht dem Vorstand ein Beurteilungsspielraum zu, der erst bei aus exante-Sicht zu bestimmender Unvertretbarkeit überschritten ist.53 Zudem musste der Vorstand annehmen dürfen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. 23 Dies setzt insbesondere voraus, dass der Vorstand sich nicht von sachfremden Einflüssen leiten lässt und nicht zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen von nahestehenden (natürlichen) Personen oder Gesellschaften handelt (Gedanke der Treuepflicht).54 Liegt objektiv ein Interessenkonflikt vor, hat das jeweilige Vorstandsmitglied dies gegenüber seinen Vorstandskollegen und – soweit (z. B. wegen § 112 AktG oder eines Zustimmungsvorbehalts) die Mitwirkung des Aufsichtsrats erforderlich ist – auch gegenüber dem Aufsichtsrat offen zu legen.55 Darüber hinaus darf es an der entsprechenden Entscheidung nicht selbst mitwirken.56 Zu weit geht dagegen die Auffassung, der vom Interessenkonflikt Betroffene sei nicht nur von der eigentlichen Entscheidung auszuschließen, sondern auch von den vorausgehenden Beratungen und Diskussionen.57 Mit Offenlegung des Konflikts und Abstandnahme von der Mitwirkung an der Entscheidung hat das Vorstandsmitglied alles Erforderliche getan, um eine unbefangene Entscheidung der übrigen Vorstandsmitglieder (und ggf. auch des Aufsichtsrats) zu ermöglichen. Kommt das befangene Vorstandsmitglied den soeben genannten Pflichten zur Offenlegung und Abstandnahme von der Mitwirkung an der Entscheidung nach, vermag der bei ihm objektiv vorliegende Interessenkonflikt die Verneinung eines Handelns zum Wohle der Gesellschaft nicht (mehr) zu begründen.58 Ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft (und ein entsprechendes Annehmen-Dürfen) kann 24 nicht nur bei Interessenkonflikten, sondern auch in anderen Fällen zu verneinen sein. So darf der Vorstand dann nicht mehr annehmen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, wenn er wirtschaftlich sinnlose oder offensichtlich nachteilige Verträge abschließt, grundlos auf eindeutige Rechtspositionen verzichtet oder unvertretbare Risiken eingeht.59 Insofern findet auch bei unternehmerischen Entscheidungen eine – allerdings sehr begrenzte – Inhaltskontrolle (und nicht nur eine Kontrolle des Entscheidungsverfahrens) statt.

bb) Rechtsfolgen bei Nichterfüllung der Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. 25 Sind die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht erfüllt, soll nach überwiegender 51 MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 55 ff.; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 71a f.; Fest NZG 2011 540, 541; Peters AG 2010 811, 813.

52 KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 35; Thümmel Rn. 198. 53 Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 71a; Fest NZG 2011 540, 541; Redeke ZIP 2011 59, 62 f.; Freitag/Korch ZIP 2012 2281, 2282 ff.

54 BTDrucks. 15/5092 S. 11; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 72; Hauschka GmbHR 2007 11, 16. 55 Fleischer Vorstandsrecht § 7 Rn. 57; GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 94; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 71; vgl. auch BTDrucks. 15/5092 S. 11, wonach ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft „ausnahmsweise“ trotz Interessenkonflikts in Betracht komme, wenn das Organmitglied diesen offen legt. 56 Fleischer Vorstandsrecht § 7 Rn. 57; Kock/Dinkel NZG 2004 411, 444; a. A. Krieger/Schneider/Krieger § 3 Rn. 18; Lutter FS Canaris Band II 245, 247. 57 So aber MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 73; wie hier Semler FS P. Ulmer 627, 637. 58 Vgl. Kock/Dinkel NZG 2004 411, 444; a. A. wohl Lutter FS Canaris Band II 245, 247, der allerdings (trotz Verneinung der Tatbestandsvoraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) keine Pflichtverletzung annehmen will, wenn die Entscheidung dem At-arm’s-length-Maßstab entspricht. 59 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 113 f. u. 123 ff.; Lutter FS Canaris Band II 245, 246; Brömmelmeyer WM 2005 2065, 2069. 783

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

Auffassung daraus noch nicht gefolgert werden können, dass eine Pflichtverletzung vorliegt.60 Die Formulierung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG als Tatbestandsausschluss scheint in der Tat in diese Richtung zu weisen. Gesetzestechnisch wird mit dieser Vorschrift lediglich ein „sicherer Hafen“ geschaffen, der unter den dort genannten Voraussetzungen die Annahme einer Pflichtverletzung ausschließt. Gleichwohl ist es nicht richtig, dass für den Fall des Nichteingreifens von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Pflichtverletzung noch positiv festgestellt werden müsste und die Prüfung einer Pflichtverletzung am Maßstab des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG somit gleichsam „bei null“ zu beginnen hätte.61 Soweit eine unternehmerische Entscheidung vorliegt, greift § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nämlich nur dann nicht ein, wenn das Vorstandsmitglied entweder nicht auf der Grundlage angemessener Information oder nicht zum Wohle der Gesellschaft gehandelt hat (und dies jeweils auch nicht annehmen durfte). Dann liegt aber gerade in der unzureichenden Information oder dem Handeln wider das Gesellschaftswohl die Pflichtverletzung.62 Das Vorliegen einer Pflichtverletzung steht dann ohne weitere Prüfung fest. Eigens geprüft werden muss das Vorliegen einer Pflichtverletzung nur dann, wenn schon keine unternehmerische Entscheidung vorliegt. In diesem Fall ist § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG aber ohnehin nicht der Prüfungsmaßstab.

c) Insbesondere: Haftung wegen Zahlungen nach Insolvenzreife (§ 15b InsO) 26 aa) Überblick. Einen besonders haftungsträchtigen Tatbestand stellt der durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) mit Wirkung zum 1.1.2021 neu eingeführte § 15b InsO dar.63 Diese Vorschrift fasst die bisher in den Gesetzen über die jeweilige Gesellschaftsform enthaltenen Regelungen – wie insbesondere diejenigen aus § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG und § 64 Satz 1 GmbHG – rechtsformneutral zusammen und modifiziert sie gegenüber dem alten Recht auch inhaltlich.64 Leistet der Vorstand entgegen § 15b Abs. 1 InsO Zahlungen nach Insolvenzreife, also nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft (definiert in § 17 Abs. 2 InsO) eingetreten ist oder sich deren Überschuldung (definiert in § 19 Abs. 2 60 So etwa Hüffer/Koch/Koch § 93 Rn. 12; Krieger/Schneider/Krieger § 3 Rn. 11; Fleischer ZIP 2004 685, 689. 61 A. A. offenbar der 5. Strafsenat des BGH in BGH 12.10.2016 – 5 StR 134/15, NJW 2017 578, 579 f. sowie Krieger/ Schneider/Krieger § 3 Rn. 11; Hüffer/Koch/Koch § 93 Rn. 12. 62 Wie hier Schäfer ZIP 2005 1253, 1257. 63 Nach Art. 103m EGInsO sind auf vor dem 1.1.2021 beantragte Insolvenzverfahren die bis dahin geltenden Vorschriften weiter anzuwenden. Für solche „Altfälle“ gelten danach weiter die in den Gesetzen über die jeweilige Gesellschaftsform enthaltenen Regelungen (wie z. B. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG oder § 64 Satz 1 GmbHG). Dabei können die Änderungen durch das SanInsFoG und die enstprechenden Gesetzesbegründungen bei der Auslegung der alten Vorschriften zu berücksichtigen sein; Zweifel an der Anwendbarkeit des bisherigen Rechts auf „Altfälle“ hegt dagegen Schmittmann BB 2021 Heft 09 Umschlagteil I. Durch das am 1.3.2020 in Kraft getretene Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) wurde die Insolvenzantragspflicht vorübergehend – nämlich wegen des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich bis zum 30.9.2020 und wegen des Insolvenzgrundes der Überschuldung grundsätzlich bis zum 31.12.2020 und weitergehend in den in § 1 Abs. 3 COVInsAG genannten Fällen bis zum 30.4.2021 – ausgesetzt, es sei denn, die Insolvenzreife beruhte nicht auf den Folgen der Ausbreitung der Covid-19Pandemie oder es bestand keine Aussicht auf Beseitigung des Insolvenzgrundes. 64 Einen wesentlichen Teil des mit dem SanInsFoG verabschiedeten umfassenden Gesetzespakets stellt das neu geschaffene und ebenfalls am 1.1.2021 in Kraft getretene Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) dar, durch das insbesondere ein spezifischer Rechtsrahmen zur Ermöglichung insolvenzabwendender Sanierungen geschaffen werden soll. Siehe zum Instrumentarium des StaRUG z. B. den Überblick bei Gehrlein BB 2021 11 ff.; Scholz ZIP 2021 219 ff.; die im ursprünglichen Regierungsentwurf vorgesehene Verpflichtung und daran anknüpfende Haftung des Geschäftsleiters, bereits im Falle drohender Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren (vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs in BTDrucks. 19/24181 S. 105 ff.), wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen. Als Haftungsnorm für Organmitglieder verblieben ist die Bestimmung von § 43 StaRUG; vgl. auch dazu Gehrlein BB 2021 11 ff.; Scholz ZIP 2021 219 ff. Henzler

784

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

InsO) ergeben hat,65 haftet er gegenüber der Gesellschaft aus § 15b Abs. 4 InsO. Dabei dient das in § 15b Abs. 1 InsO normierte Verbot dem Grundsatz der gleichmäßigen und ranggerechten Gläubigerbefriedigung und soll im Interesse der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger die verteilungsfähige Vermögensmasse der Gesellschaft schon ab dem Zeitpunkt der Insolvenzreife erhalten und die Bevorzugung einzelner Gesellschaftsgläubiger verhindern.66 Beginn für das Zahlungsverbot ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Eintritt der Insolvenzreife und nicht erst der Ablauf der Insolvenzantragsfrist aus § 15a Abs. 1 InsO. Allerdings differenziert § 15b InsO zwischen denjenigen Zahlungen, die nach Verstreichen der Antragspflicht geleistet wurden, und den vorher geleisteten Zahlungen. Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen – insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen – gelten nach § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO als grundsätzlich mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Gemäß § 15b InsO Abs. 3 InsO scheidet diese Privilegierung von § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO aber „in der Regel“ aus, wenn die Zahlungen nach Verstreichen der Antragsfrist (also in der Phase der Insolvenzverschleppung) geleistet wurden.67 Der Begriff der „Zahlungen“ ist weit auszulegen und umfasst neben baren und unbaren Zahlungen sämtliche Leistungen, die das Gesellschaftsvermögen schmälern, wie etwa die Lieferung von Waren oder die Übertragung von Rechten.68 Wegen des Schutzzwecks von § 15b InsO (Erhaltung der verteilungsfähigen Masse im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger) liegen Zahlungen allerdings immer nur insoweit vor, als die Verteilungsmasse geschmälert wird. Eine Zahlung scheidet daher insoweit aus, als der Gesellschaft für die von ihr erbrachte Leistung in unmittelbarem Zusammenhang eine Gegenleistung zugeflossen ist.69 Für den praktisch wichtigsten Fall von Zahlungen auf ein oder von einem Bankkonto gilt Folgendes. Unproblematisch als Zahlungen zu qualifizieren sind Auszahlungen von einem kreditorischen Konto, also von einem Konto mit positivem Guthaben. Bei Auszahlungen von einem debitorisch (also im Soll) geführten Konto handelt es sich dagegen nicht um Zahlungen, weil in diesem Fall keine Masseschmälerung, sondern lediglich ein masseneutraler Austausch von Gläubigern stattfindet.70 Durch die Zahlung von dem Konto wird auf der einen Seite die Forderung des entsprechenden Gläubigers erfüllt und so zum Erlöschen gebracht, auf der anderen Seite steigt jedoch in gleicher Höhe der negative Saldo des bereits debitorisch geführten Bankkontos und damit die Forderung der Bank. Bei einem debitorisch geführten Konto sind aber die hierauf erfolgten Einzahlungen als Zahlungen zu qualifizieren, weil sie den Negativsaldo des Kontos verringern und damit die kontoführende Bank auf Kosten der übrigen Gläubiger (teilweise) befriedigen.71 Eine Abweichung von diesen Grundsätzen ergibt sich allerdings dann, wenn zugunsten der Bank eine Bestellung von Sicherheiten in Form einer Globalzessi65 Der Überschuldungstatbestand von § 19 Abs. 2 InsO wurde durch das SanInsFoG ebenfalls modifiziert. In der zum 1.1.2021 in Kraft getretenen Neufassung wird der maßgebliche Zeitraum für die Fortführungsprognose nunmehr auf zwölf Monate festgelegt; siehe aber die vorübergehende Modifikation mit Blick auf die Covid-19-Pandemie durch § 4 COVInsAG; vgl. zur unklaren und umstrittenen Lage nach altem Recht z. B. MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler § 19 Rn. 96 f.; der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit ist demgegenüber unverändert geblieben, vgl. dazu z. B. MüKoInsO/Eilenberger § 17 Rn. 6 ff. 66 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs in BTDrucks. 19/24181 S. 193; die Vorgängernormen wie § 92 Abs. 2 AktG und § 64 GmbHG verfolgten denselben Zweck, vgl. zu § 64 GmbHG BGH 8.1.2001 – II ZR 88/99, NJW 2001 1280, 1282 m. w. N.; zu § 92 Abs. 2 AktG MüKo-AktG/Spindler § 92 Rn. 23 ff. 67 Diese Differenzierung wurde durch das SanInsFoG neu geschaffen; vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs in BTDrucks. 19/24181 S. 194 f. 68 Vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs in BTDrucks. 19/24181 S. 194, wonach der Begriff der „Zahlungen“ in § 15b InsO gegenüber dem bisherigen Recht unverändert bleiben soll; vgl. zum Zahlungsbegriff etwa BGH 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143 184, 186 ff.; BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126 181, 194. 69 Vgl. BGH 18.11.2014 – II ZR 231/13, NZG 2015 149 f.; nach dem BGH muss die in die Masse gelangende Gegenleistung für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein, was bei Arbeits- oder Dienstleistungen in der Regel nicht der Fall sein soll, vgl. BGH 4.7.2017 – II ZR 319/15, NZG 2017 1034, 1036. 70 BGH 25.1.2011 – II ZR 196/09, NZI 2011 196, 198. 71 BGH 29.11.1999 – II ZR 273/98, NZG 2000 370; BGH 23.6.2015 – II ZR 366/13, NZG 2015 998, 999 f. 785

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

on erfolgt ist, die sie im Falle der Insolvenz zu einer abgesonderten Befriedigung nach §§ 50 f. InsO berechtigt. In diesem Fall sind Einzahlungen auf ein debitorisches Konto nicht als masseschmälernde Zahlungen zu qualifizieren, weil durch Einzahlungen nur solche Forderungen getilgt werden, die ohnehin bereits der Bank (als Sicherungsmittel) zustanden und von den anderen Gläubigern nicht hätten verwertet werden können.72 Dagegen sind wiederum die Auszahlungen von einem debitorischen Konto bei einer solchen Sicherheitenbestellung als Zahlungen zu qualifizieren, weil sich durch sie nicht nur die Forderung der Bank, sondern auch deren Sicherheiten erhöhen.73 Aus den (erhöhten) Sicherheiten für die Bank ergibt sich für sie ein entsprechend umfangreicheres Absonderungsrecht, das zu Lasten der Masse geht. Auf subjektiver Seite setzt die Haftung Verschulden voraus. Dafür reicht Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes aus, fehlende Erkennbarkeit ist vom Geschäftsleiter darzulegen und ggf. zu beweisen.74 Hinsichtlich der Erkennbarkeit ist zu berücksichtigen, dass sich die Vorstandsmitglieder stets über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft zu vergewissern haben und für eine Organisation sorgen müssen, die ihnen die Wahrnehmung dieser Beobachtungspflicht jederzeit ermöglicht.75 Gerichtet ist der Erstattungsanspruch nach § 15 Abs. 4 Satz 1 InsO grundsätzlich auf Ersatz aller Zahlungen; soweit diese nicht in Geld bestanden, ist der entsprechende Wert zu erstatten. Gelingt dem Geschäftsleiter allerdings der Nachweis, dass der Gläubigergesamtheit ein geringerer Schaden entstanden ist als die Summe der geleisteten Zahlungen, beschränkt sich seine Ersatzpflicht nach § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO auf diesen Schaden. Mit dieser durch das SanInsFoG neu geschaffenen Regelung soll vermieden werden, dass die Erstattungspflicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Zwecks der Zahlungsverbote – nämlich der Erhaltung der Masse im Interesse der Gläubiger – erforderlich ist.76 § 15b Abs. 4 Satz 3 InsO stellt klar, dass die Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife nicht zur Disposition der Gesellschafter steht. Durchgesetzt wird der Anspruch für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter. Für den Fall der Ablehnung der Verfahrenseröffnung (insbesondere wegen Masseunzulänglichkeit) können die Gesellschaftsgläubiger den Anspruch pfänden und sich überweisen lassen. § 15b Abs. 5 InsO verlagert das in § 15b Abs. 1 und Abs. 4 InsO normierte Zahlungsverbot zeitlich nach vorne und begründet eine (beschränkte) Insolvenzverursachungshaftung der Geschäftsleiter.77 Danach sind vor Insolvenzreife erfolgte Zahlungen an Aktionäre haftungsbegründend, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht erkennbar.

27 bb) Versicherungsschutz. Unternehmens-AVB enthalten gelegentlich einen Insolvenzausschluss, nach dem im Zusammenhang mit der Insolvenz des VN (oder dessen Tochterunternehmen) stehende Ansprüche vom Versicherungsschutz ausgenommen sind. Auch ohne einen solchen Ausschluss wird für die Vorgängernormen von § 15b InsO – insbesondere diejenige von 72 BGH 23.6.2015 – II ZR 366/13, NZG 2015 998, 999 f.; kritisch zu dieser Entscheidung Kreuzberg NZG 2016 371, 372.

73 BGH 25.1.2011 – II ZR 196/09, NZI 2011 196, 198. 74 An der subjektiven Seite der Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife hat sich durch die Einführung von § 15b InsO gegenüber dem bisherigen Recht nichts geändert; vgl. zu § 64 GmbHG a. F. BGH 29.11.1999 – II ZR 273/ 98, BGHZ 143 184, 185. 75 Jeweils zu § 64 GmbHG a. F. BGH 19.6.2012 – II ZR 243/11, NJW-RR 2012 1122, 1123; BGH 20.2.1995 – II ZR 9/94, NJW-RR 1995 669, 669 f. 76 Vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs in BTDrucks. 19/24181 S. 195. 77 Vor Einführung von § 15b InsO durch das SanInsFoG waren entsprechende Regelungen für Vorstände einer AG in § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG und für Geschäftsführer einer GmbH in § 64 Satz 3 GmbHG enthalten; inhaltlich hat sich gegenüber der bisherigen Rechtslage insoweit nichts geändert, vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs in BTDrucks. 19/24181 S. 196 sowie zu § 92 Abs. 2 Satz AktG Spindler/Stilz/Fleischer § 92 Rn. 38 ff. Henzler

786

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

§ 64 Satz 1 GmbHG a.F – für manche Bedingungswerke bezweifelt, dass entsprechende Erstattungsansprüche vom Versicherungsschutz einer D&O-Versicherung umfasst sind. Dies nämlich dann, wenn die einschlägigen Versicherungsbedingungen für das Vorliegen eines Versicherungsfalls die Inanspruchnahme einer versicherten Person auf Schadensersatz verlangen (so z. B. auch die Bestimmung von Ziff. A-1 AVB D&O 2020). Hintergrund ist, dass es sich bei Ansprüchen aus § 64 Satz 1 GmbH a. F. nach der Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum nicht um Schadensersatzansprüche, sondern um dem Gesamtinteresse der Gläubiger an gleichmäßiger Befriedigung dienende Erstattungsansprüche eigener Art handelt.78 Mit Verweis auf die Rechtsnatur dieser Ansprüche hatten insbesondere das OLG Düsseldorf aber auch andere Gerichte in Fällen entsprechend formulierter Versicherungsbedingungen Versicherungsschutz verneint.79 Mittlerweile hat der BGH allerdings geurteilt, dass Versicherungsschutz unter einer D&O-Versicherung nicht von der komplexen rechtsdogmatischen Einordnung abhängig gemacht werden kann, ob es sich bei Ansprüchen aus § 64 Satz 1 GmbHG a. F. um Schadensersatzansprüche (im engeren Sinne) handelt oder nicht. Im Ergebnis seien Ansprüche aus § 64 GmbHG a. F. versicherungsvertraglich wie Schadensersatzansprüche zu behandeln.80 Dabei argumentiert der BGH damit, dass solche Ansprüche ebenso wie Schadensersatzansprüche in einem engeren Sinn wirtschaftlich auf den Ausgleich eines Vermögensnachteils gerichtet sind, nämlich auf den Ausgleich der zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger erfolgten Masseschmälerung. Der durchschnittliche Versicherte erwarte, dass auch das für ihn bedeutende und potenziell existenzvernichtende Haftpflichtrisiko aus § 64 GmbHG vom Schutz einer D&O-Versicherung umfasst ist.81 Damit ist für die Praxis klargestellt, dass auch bei Inanspruchnahmen auf Basis der Vorschriften des „alten“ Rechts – die nach Art. 103m EGInsO in allen vor dem 1.1.2021 beantragten Insolvenzverfahren weiter Anwendung finden – Versicherungsschutz besteht.82

5. Treuepflichten Aus der Organstellung ergeben sich für den Vorstand nicht nur Sorgfalts- sondern auch Treue- 28 pflichten.83 Gesetzliche Ausprägungen der Treuepflicht sind z. B. das Wettbewerbsverbot aus § 88 AktG und die Verschwiegenheitspflicht aus § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG. Allgemein geht es bei der Treuepflicht um das Gebot, das Interesse der Gesellschaft zu wahren und die Organstellung nicht für persönliche Interessen zu missbrauchen. Eine wichtige, nicht gesetzlich normierte Ausprägung der Treuepflicht von Vorstandsmitgliedern ist das (über das Wettbewerbsverbot aus 78 BGH 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146 264, 278 m. w. N.; MüKo-AktG/Spindler § 92 Rn. 58; a. A. Bitter WM 2001 666, 670 ff.; K. Schmidt ZHR 168 637, 650 ff. 79 OLG Düsseldorf 20.7.2018 – I-4 U 93/16, NZI 2018 758, 760 ff; OLG Düsseldorf 26.6.2020 – 4 U 134/18, BeckRS 2020 16192; zuvor bereits OLG Celle 1.4.2016 – 8 W 20/16, BeckRS 2016 125428; zudem etwa OLG München 4.3.2019 Az. 25 U 3606/17 (unveröffentlicht); vor den OLG-Düsseldorf-Entscheidungen bereits Lange D&O-Versicherung § 8 Rn. 19; die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ablehnend die überwiegende Ansicht in der Literatur, vgl. etwa Armbrüster/Schilbach ZIP 2018 1853, 1859; Lehmann/Rettig NZI 2018 761, 762; Markgraf/Henrich NZG 2018 1290, 1291 ff. 80 BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, NJW 2021 231 (dort Rn. 10); zustimmend etwa Brinkmann/Schmitz-Justen ZIP 2021 24 f. 81 BGH 18.11.2020 – IV ZR 217/19, NJW 2021 231, 233. 82 Für die durch das SanInsFoG neu geschaffene Rechtslage dürfte das Argument, dass es sich bei Ansprüchen aus § 15b Abs 4 InsO nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt und deswegen kein Versicherungsschutz unter einer D&O-Versicherung besteht, von vornherein ausscheiden. Zwar sollte über die Frage der Rechtsnatur dieses Anspruchs laut Begründung des Regierungsentwurfs durch die Neufassung „nicht abschließend entschieden“ werden, vgl. BTDrucks. 19/24181 S. 195; allerdings ist in § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO ausdrücklich von einem entstandenen „Schaden“ die Rede; wie hier Brinkmann/Schmitz-Justen ZIP 2021 24, 25. 83 Ausführlich zur Treuepflicht des Vorstands Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 113 ff.; GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 224 ff. 787

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

§ 88 AktG hinausgehende) allgemeine Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft an sich zu ziehen.84 Das Vorstandsmitglied darf der Gesellschaft zuzuordnende Geschäftschancen nicht auf eigene Rechnung nutzen, sondern nur namens der Gesellschaft wahrnehmen.

6. Verschulden 29 Die Haftung aus § 93 Abs. 2 AktG setzt Verschulden voraus. Das folgt aus der Doppelfunktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, der neben der objektiven Sorgfaltspflicht auch einen typisierten Verschuldensmaßstab umschreibt.85 Ein Vorstandsmitglied hat danach für die Fähigkeiten und Kenntnisse einzustehen, die das Vorstandsamt objektiv erfordert, ohne dass ihn in seiner Person liegende Unzulänglichkeiten entlasten könnten.86 Wegen dieses strengen Maßstabs sind die Fälle, in denen zwar eine objektive aber keine subjektive Pflichtverletzung vorliegt, selten. In Betracht kommt fehlendes Verschulden aber dann, wenn sich der Vorstand Rat eines Experten (z. B. anwaltlichen Rat) eingeholt hat und das Ergebnis dieser Beratung lautete, dass die entsprechende Maßnahme rechtlich unbedenklich sei. Voraussetzung für eine Entlastung ist in diesem Fall, dass ein unabhängiger, fachlich qualifizierter Berufsträger mit der Prüfung beauftragt wurde, der Vorstand diesen über sämtliche für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Umstände informiert hat und er diesen Rat als sachgerecht und ausreichend ansehen durfte (Plausibilitätskontrolle).87 Dabei kann auch der Rat eines Mitglieds der eigenen Rechtsabteilung entlastende Wirkung haben, wenn die Rechtsauskunft sachlich unabhängig, also unbeeinflusst von Vorgaben hinsichtlich des Ergebnisses, erteilt wurde.88 Ein mündlich erteilter Rechtsrat soll dabei wegen der dann nur eingeschränkt möglichen Plausibilitätskontrolle regelmäßig nicht entlastend wirken können.89 Liegen die (recht engen) Voraussetzungen für eine Entlastung vor, trifft den Vorstand auch dann kein Verschulden, wenn sich der eingeholte Rat als falsch herausstellt. Eine fehlerhafte Beratung oder eine ungenügende Überwachung durch den Aufsichtsrat können dagegen in keinem Fall entlastend für den Vorstand wirken.90

7. Schaden und Kausalität 30 Für die Schadensberechnung gelten die Regeln aus §§ 249 ff. BGB. Das haftende Vorstandsmitglied hat den gesamten durch seine Pflichtverletzung adäquat kausal verursachten Schaden zu ersetzen. Dazu zählt nach § 252 BGB auch entgangener Gewinn. Nicht selten besteht der Schaden in D&O-Fällen darin, dass das Vermögen der Gesellschaft mit Verbindlichkeiten gegenüber Dritten belastet wird. Soweit durchsetzbare Ansprüche von Dritten gegen die Gesellschaft auf einer schuldhaften Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds beruhen, hat es die Gesellschaft hiervon freizustellen (bzw. nach Befriedigung durch die Gesellschaft den gezahlten Betrag zu ersetzen). Zur besonderen Beweislastverteilung in den Fällen des § 93 Abs. 3 AktG in Bezug auf den Schaden siehe bereits oben Rn. 5. 84 85 86 87

Ausführlich dazu Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 136 ff.; GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 250 ff. Heidel/U.Schmidt § 93 Rn. 73; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 205. Heidel/U.Schmidt § 93 Rn. 73; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 205. BGH 27.3.2012 – II ZR 171/10, NZG 2012 672, 673; BGH 20.9.2011 – II ZR 234/09, NJW-RR 2011 1670, 1672; siehe auch OLG Stuttgart 25.11.2009 – 20 U 5/09, NZG 2010 141, 143; Hölters/Hölters § 93 Rn. 249; ausführlich Selter AG 2012 11, 13 ff.; im Ergebnis wie hier auch Schneider DB 2011 99, 102, der die Frage allerdings auf der Ebene der Pflichtverletzung ansiedelt. 88 MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 94; vgl. auch die Entscheidung des BGH vom 28.4.2015 – II ZR 63/14, NZG 2015 792, 795 nach der es nicht auf die persönliche, sondern auf die sachliche Unabhängigkeit des Beraters ankommen soll. 89 BGH 20.9.2011 – II ZR 234/09, NJW-RR 2011 1670, 1672. 90 BGH 20.9.2011 – II ZR 234/09, NJW-RR 2011 1670, 1672; BGH vom 28.4.2015 – II ZR 63/14, NZG 2015 792, 794 f. Henzler

788

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

An einem adäquat kausal verursachten Schaden fehlt es dann, wenn der Schaden auch bei 31 rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Dabei ist der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens nach einer neueren BGH-Entscheidung auch im Falle von Verstößen gegen Zustimmungsvorbehalte zulässig.91 Die Argumentation der Gegenauffassung, wonach der mit Zustimmungsvorbehalten verfolgte Schutzzweck bei Zulassung dieses Einwands leerliefe, überzeugt im Ergebnis nicht.92 Um zu vermeiden, dass dem Vorstand ein „Freibrief“ für Kompetenzverstöße erteilt wird, ist es nicht erforderlich, den Einwand generell als unbeachtlich einzuordnen. Dem Gedanken, dass der mit Zustimmungsvorbehalten verfolgte Schutzzweck nicht unterlaufen werden darf, kann ausreichend dadurch Rechnung getragen werden, dass die Voraussetzungen für die Erheblichkeit dieses Einwands entsprechend hoch angesetzt werden. So dringt der Vorstand mit dem Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens richtigerweise nur dann durch, wenn er nachweisen kann (Vollbeweis), dass die erforderliche Zustimmung bei gebotener Gremienbefassung erteilt worden wäre.93 An einem erstattungsfähigen Schaden kann es weiter unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs fehlen. So muss sich die Gesellschaft z. B. dann, wenn sie von ihr an Dritte geleistete korruptive Zahlungen vom Vorstand erstattet verlangt, die hierdurch erlangten wirtschaftlichen Vorteile anrechnen lassen.94 Denn anderenfalls stünde die Gesellschaft durch den Rechtsverstoß besser als ohne ihn. Aus diesem Grund stellt auch eine gegen die Gesellschaft verhängte Geldbuße insoweit keinen Schaden dar, als mit ihr ein durch den Verstoß erlangter rechtswidriger Vorteil abgeschöpft werden soll (Abschöpfungsteil einer Geldbuße).95 Machen Dritte Ansprüche gegen die Gesellschaft geltend und kommt es zum Abschluss 32 eines Vergleichs zwischen der Gesellschaft mit diesen Dritten, ist fraglich, unter welchen Voraussetzungen die Gesellschaft den an die Dritten gezahlten Vergleichsbetrag von ihren Vorstandsmitgliedern ersetzt verlangen kann. Die Zurechnung des Vergleichsschadens setzt zunächst voraus, dass die von den Dritten geltend gemachten Ansprüche auf einer Pflichtverletzung des in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieds beruhen. Liegt diese Voraussetzung vor, kommt es weiter darauf an, ob trotz der willentlichen Handlung der geschädigten Gesellschaft (dem Vergleichsschluss) der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen der schädigenden Handlung (der Pflichtverletzung des Vorstands) und dem geltend gemachten Schaden (dem an die Dritten gezahlten Vergleichsbetrag) besteht. Unterbrochen ist der Zurechnungszusammenhang durch den Vergleichsschluss erst dann, wenn sich der abgeschlossene Vergleich nach den Umständen des Einzelfalls – insbesondere gemessen an den Erfolgsaussichten der von den Dritten geltend gemachten Ansprüche – als nicht mehr angemessene Reaktion erweist.96 Nicht erforderlich für Angemessenheit ist, dass den Dritten vor Vergleichsschluss Ansprüche mindestens in Höhe des Vergleichsbetrages zustanden. Angemessenheit kann selbst dann noch vorliegen, wenn die geltend gemachten Ansprüche tatsächlich nicht

91 BGH 10.7.2018 – II ZR 24/17, NZG 2018 1189 ff („Schloss Eller“). 92 Die Gegenauffassung wird z. B. vertreten von MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 196; KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 54 f.; siehe ausführlich zur Schadenszurechnung bei Verstößen gegen Zustimmungsvorbehalte Henzler FS Thümmel 351 ff. 93 Nach BGH 10.7.2018 – II ZR 24/17, NZG 2018 1189, 1193 soll der Vorstand sogar weitergehend den „sicheren Nachweis“ dafür erbringen müssen, dass der Schaden „auf jeden Fall“ eingetreten wäre; näher dazu und zur Frage, wie der Nachweis konkret zu erbringen ist, Henzler FS Thümmel 351, 362 ff.; vgl. zur Einordnung des Schloss-EllerUrteils auch Fleischer DB 2018 2619 ff; Grobecker/Wagner ZIP 2019 694 ff. 94 vgl. etwa BGH 15.1.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013 1958, 1961; ausführlich Fleischer DStR 2009 1204, 1209 f.; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 188; vgl. zum „Spezialfall“ der Erstattungsfähigkeit von gegen die Gesellschaft verhängten Geldbußen die Nachweise in der folgenden Fußnote. 95 MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 194; Hüffer/Koch/Koch § 93 Rn. 12; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 213b ff.; dort auch zu der Auffassung, nach der die Gesellschaft weitergehend auch den Ahndungsteil einer Geldbuße nicht vom Vorstand erstattet verlangen können soll. 96 BGH 19.5.1988 – III ZR 32/87, NJW 1989 99, 100; BGH 11.2.1999 – IX ZR 14/98, NJW 1999 1391, 1392; MüKo-BGB/ Oetker § 249 Rn. 141 ff. 789

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

(mehr) durchsetzbar waren, soweit der Vergleichsschluss gleichwohl als vernünftig oder zumindest vertretbar angesehen werden kann.97

8. Darlegungs- und Beweislast 33 Abweichend von dem Grundsatz, dass der Anspruchsteller sämtliche Voraussetzungen des von ihm geltend gemachten Schadensersatzanspruchs darzulegen und zu beweisen hat, kehrt § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG die Darlegungs- und Beweislast nicht nur hinsichtlich des Verschuldens, sondern schon hinsichtlich der objektiven Pflichtwidrigkeit um. Die Gesellschaft muss darlegen und beweisen, dass und in welcher Höhe ihr durch ein möglicherweise pflichtwidriges Tun oder Unterlassen im Pflichtenkreis des in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieds ein Schaden entstanden ist.98 Dann ist es am Vorstandsmitglied, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass es seine Pflichten entweder ordnungsgemäß erfüllt oder jedenfalls nicht schuldhaft verletzt hat oder der eingetretene Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.99 Die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast gilt auch für den (praktisch häufigen) Fall, dass das Vorstandsmitglied aus seinem Amt ausgeschieden ist. Der Gesellschaft obliegt es aber, ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern – über die Grenzen von § 810 BGB hinaus – Einsicht in die Gesellschaftsunterlagen zu gewähren, soweit sie diese für ihre Verteidigung benötigen.100 Tritt das Vorstandsmitglied seinen versicherungsvertraglichen Freistellungsanspruch gegenüber dem D&O-Versicherer an die Gesellschaft ab und geht die Gesellschaft sodann aus abgetretenem Recht gegen den D&O-Versicherer vor, stellt sich die Frage der Anwendbarkeit von § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. Im Ergebnis dürfte mehr dafür sprechen, § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG in dieser Konstellation nicht anzuwenden.101 Die dort angeordnete Beweislastumkehr beruht auf der Überlegung, dass das Vorstandsmitglied in Bezug auf die mögliche Pflichtwidrigkeit seines eigenen Handelns eher über die Kenntnis des relevanten Sachverhalts verfügt, als die sachfernere Gesellschaft. Beim VR ist eine solche größere Sachnähe aber nicht gegeben, sondern typischerweise verfügt gerade umgekehrt die Gesellschaft weitaus eher über die relevanten Unterlagen und Informationen. Durch die Auskunftsobliegenheiten des Vorstands gegenüber dem VR wird dessen Informationsdefizit typischerweise nicht ausreichend kompensiert.

9. Verjährung 34 Die Verjährungsfrist für Ansprüche aus § 93 AktG beträgt nach § 93 Abs. 6 AktG für Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, zehn Jahre und für andere Gesellschaften fünf Jahre.102 Die Verjährung beginnt nach § 200 BGB mit Entstehung des Anspruchs, auf die Kenntnis der Gesellschaft kommt es nicht an. Für die Anspruchsentstehung im Sinne des § 200 BGB ist darauf abzustellen, wann der Anspruch erstmals durchgesetzt werden 97 BGH 21.5.1992 – I ZR 175/90, NJW-RR 1992 1196, 1197 f.; OLG Hamm 9.10.2003 – 28 U 73/03, NJW-RR 2004 213, 215 f. 98 BGH 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152 280, 284 zur Parallel-Situation in der GmbH; Paefgen NZG 2009 891, 892 ff. 99 Zum Ausschluss des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens bei Verstößen gegen Zustimmungsvorbehalte siehe oben Rn. 31. 100 BGH 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152 280, 285 zur Parallel-Situation in der GmbH; KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 147; Krieger/Schneider/Krieger § 3 Rn. 40; ausführlich dazu Deilmann/Otte BB 2011 1291. 101 Armbrüster NJW 2016 2155, 2157; Thümmel Rn 469a; a. A. Lange D&O-Versicherung § 21 Rn. 35; Harzenetter NZG 2016 728, 732. 102 Für die Verjährung von Ansprüchen gegen Organmitglieder von Kreditinstituten schreibt § 52a KWG stets (also unabhängig von einer Börsennotierung) eine zehnjährige Verjährungsfrist vor. Henzler

790

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

kann. Dabei genügt grundsätzlich, dass Feststellungsklage erhoben werden kann. Der Schaden muss dafür bereits eingetreten sein, die Schadensentwicklung braucht aber noch nicht abgeschlossen zu sein.103 Vor Abschluss der pflichtwidrigen Handlung ist der Ersatzanspruch in keinem Fall entstanden.104 Dies hat für einen Schadensersatzanspruch wegen pflichtwidriger Unterlassung zur Folge, dass die Verjährung erst mit Abschluss des pflichtwidrigen Unterlassens beginnt. Seinen Abschluss findet ein pflichtwidriges Unterlassen dann, wenn die gebotene Handlung nachgeholt wird oder zu dem Zeitpunkt, zu dem eine solche Nachholung rechtlich und tatsächlich geboten und letztmals möglich gewesen wäre.105

10. Haftungsausschluss, Entlastung, Verzicht, Vergleich Nach § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG entfällt die Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft, wenn 35 die schädigende Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht. Dies setzt voraus, dass der Hauptversammlungsbeschluss vor der schädigenden Handlung gefasst wurde und der Beschluss nicht nichtig und nicht oder (wegen Ablaufs der Anfechtungsfrist nach § 246 Abs. 1 AktG) nicht mehr anfechtbar ist. Eine dem Vorstand durch die Hauptversammlung erteilte (nachträgliche) Entlastung wirkt nicht haftungsbefreiend, was in § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG ausdrücklich klargestellt ist. § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG stellt weiter klar, dass der Vorstand durch eine Billigung seines Handelns durch den Aufsichtsrat nicht entlastet wird. Nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG kann die Gesellschaft auf Ansprüche aus § 93 AktG nur ver- 36 zichten oder sich über sie vergleichen, wenn seit der Entstehung des Anspruchs drei Jahre vergangen sind, die Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit zugestimmt hat und nicht eine Minderheit von wenigstens zehn Prozent des Grundkapitals zur Niederschrift des Protokolls Widerspruch erhoben hat. Für den Beginn der Drei-Jahres-Frist gelten die bei der Verjährung dargestellten Grundsätze entsprechend (siehe oben Rn. 34). Ein unter Verletzung von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG erklärter Verzicht oder geschlossener Vergleich ist nichtig. Eine Ausnahme von der zeitlichen Beschränkung sieht das Gesetz in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG lediglich für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Organmitglieds vor. Bei D&O-Fällen stellt sich häufig die Frage, ob auch schon vor Ablauf der Drei-Jahres- 37 Frist eine endgültige Erledigung der von der Gesellschaft geltend gemachten Ersatzansprüche herbeigeführt werden kann. Als rechtliche Gestaltungsmöglichkeit für eine solche Erledigung könnte man an eine Abtretung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft an den VR gegen eine die Erfolgsaussichten der Anspruchsdurchsetzung angemessen abbildende Gegenleistung denken. Nach dem Wortlaut von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG betreffen dessen Beschränkungen lediglich Vergleich und Verzicht, der Fall der Abtretung ist hingegen nicht erfasst. Zu bedenken ist jedoch, dass § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG verhindern will, dass eine Verfügung über den Organhaftungsanspruch zu einem Zeitpunkt getroffen wird, in dem sich das Ausmaß der Verfehlungen des Verwaltungsmitgliedes und des Schadens nicht abschließend überblicken lässt.106 Diesem Anliegen dürfte die soeben beschriebene Abtretungslösung zuwiderlaufen. Das spricht dafür, eine solche Abtretung als unzulässige Umgehung von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG und daher nichtig anzusehen. Dies gilt unabhängig davon, ob die von dem VR für die Abtretung gezahlte Gegenleistung – bemessen nach der Höhe des geltend gemachten Schadens und den Erfolgsaussichten der An-

103 BGH 21.2.2005 – II ZR 112/03, ZIP 2005 852, 853; GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 586; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 326. 104 Vgl. KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 203. 105 Vgl. GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 591 ff.; Harbarth/Jaspers NZG 2011 368, 370; siehe zur Frage des Verjährungsbeginns bei schädigendem Dauerverhalten BGH 18.9.2018 – II ZR 152/17, NZG 2018 1301, 1302 ff. und ausführlich Jenne/Miller AG 2019 112, 112 ff. 106 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 518; KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 164. 791

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

spruchsdurchsetzung – angemessen ist oder nicht.107 Für die Praxis kann die Abtretungslösung wegen des Nichtigkeitsrisikos jedenfalls nicht empfohlen werden. 38 Geltend gemacht werden die Ansprüche gegen die Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat (§ 112 AktG) und zwar auch dann, wenn das in Anspruch genommene Vorstandsmitglied bereits ausgeschieden ist. Daneben steht Gläubigern der Gesellschaft, die von dieser keine Befriedigung erlangen können, ein in § 93 Abs. 5 AktG näher geregeltes eigenes Verfolgungsrecht zu.108

II. Haftung von Geschäftsführern einer GmbH 1. Überblick 39 Entsprechend der Struktur der Vorstandshaftung legt das GmbHG in § 43 Abs. 1 GmbHG den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab für den Geschäftsführer fest und ordnet in § 43 Abs. 2 GmbHG für den Fall der Verletzung von Sorgfaltspflichten seine Haftung gegenüber der Gesellschaft an. Danach haftet ein Geschäftsführer gegenüber der GmbH auf Schadensersatz, wenn er nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anwendet. Neben der zentralen Haftungsnorm des § 43 Abs. 2 GmbHG gibt es noch einige spezielle (Innen-)Haftungstatbestände, wie z. B. § 9a Abs. 1 GmbHG und § 15b Abs. 1 InsO.109 Darüber hinaus sieht § 43 Abs. 3 GmbHG für die dort in Satz 1 genannten Verstöße gegen das Kapitalerhaltungsgebot einen besonderen Schadensersatzanspruch110 vor, für den Haftungsverschärfungen gelten (insbesondere ist hier keine Haftungsfreistellung möglich, näher dazu unten Rn. 41). Die Organpflichten und die an deren Verletzung knüpfende Organhaftung beginnen in dem Zeitpunkt, in dem das Amt eines Geschäftsführers mit Wissen der Gesellschafterversammlung (bzw. desjenigen Organs, dem die Satzung die Geschäftsführerbestellung zugewiesen hat) ausgeübt wird und enden zu dem Zeitpunkt, zu dem die Gesellschafterversammlung den Geschäftsführer wirksam abberuft (soweit der Geschäftsführer nicht mit Billigung der Gesellschafterversammlung weiter als Geschäftsführer für die Gesellschaft tätig ist) oder der Geschäftsführer sein Amt wirksam niedergelegt hat.111

2. Strukturunterschiede zur Vorstandshaftung 40 Die unterschiedliche Struktur von AG einerseits und GmbH andererseits hat auch Auswirkungen auf die Haftung ihrer jeweiligen Unternehmensleiter. Anders als bei der AG, deren Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat (§ 76 Abs. 1 AktG), können die Gesellschafter einer GmbH einem Geschäftsführer Weisungen in Geschäftsführungsangelegenheiten erteilen (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Soweit ein Geschäftsführer in Befolgung einer wirksamen Gesellschafterweisung handelt, ist er von der Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG befreit. Zudem kann die Gesellschaft grundsätzlich auf Haftungsansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG (ohne § 93 Abs. 4 AktG entsprechende Kautelen) verzichten oder sich über sie vergleichen. Anders als das Aktien107 Dagegen halten etwa GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 530; Thümmel Rn. 344 eine Abtretung in diesem Fall für mit § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG vereinbar. 108 Näher dazu Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 293 ff. 109 Siehe zum in § 31 Abs. 6 GmbHG normierten Außenhaftungstatbestand unten Rn. 75; zur Haftung aus § 15b InsO, die für Geschäftsführer einer GmbH ebenso gilt wie für Vorstände einer AG oben Rn. 26 f. 110 Für die Einordnung als Schadensersatzanspruch die ganz h. M., vgl. BGH 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148 167, 171; Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 82; Michalski/Ziemons § 43 Rn. 494; a. A. Habersack/Schürnbrand WM 2005 957, 960 (für Einordnung als verschuldensunabhängigen Folgenbeseitigungsanspruch). 111 MüKo-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 216 f.; die Einzelheiten sind streitig. Einigkeit dürfte aber darüber bestehen, dass es weder auf die Eintragung des Geschäftsführers ins Handelsregister noch auf den Abschluss und die Dauer des Anstellungsvertrages ankommt, vgl. BGH 21.4.1994 – II ZR 65/93, NJW 1994 2027; siehe zur Parallelfrage bei der Vorstandshaftung oben Rn. 8. Henzler

792

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

recht, das vom Grundsatz der Satzungsstrenge beherrscht wird (§ 23 Abs. 5 AktG), steht es den Gesellschaftern in der GmbH weitgehend frei, die Haftung der Geschäftsführer durch Satzungsregelung, Gesellschafterbeschluss oder den Anstellungsvertrag zu begrenzen oder zu modifizieren.

a) Modifikation der Geschäftsführerhaftung durch die Gesellschafter. Die Gesellschafter 41 einer GmbH können aufgrund ihrer Befugnis aus § 46 Nr. 8 GmbHG grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang sie auf mögliche Ersatzansprüche gegen Geschäftsführer (z. B. durch Erlassvertrag oder Vergleich) verzichten oder solche Ansprüche durchsetzen wollen.112 Die Dispositionsbefugnis hat jedoch Grenzen. So kann nach § 9b Abs. 1 GmbHG auf Ersatzansprüche nach § 9a GmbHG (falsche Angaben zum Zwecke der Errichtung der Gesellschaft) weder verzichtet noch ein Vergleich über sie geschlossen werden, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist (enge Ausnahmen hierzu in § 9b Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Durch die Verweisung in § 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG gilt diese Regel auch für Ersatzansprüche wegen Verstößen gegen § 30 GmbHG (Kapitalerhaltungsgebot) und § 33 GmbHG (Erwerb nicht vollständig eingezahlter Geschäftsanteile durch die Gesellschaft), sowie nach § 15b Abs. 4 Sätze 3 u. 4 InsO für Ersatzansprüche nach § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO (Zahlungen der Gesellschaft nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung)113 und nach § 57 Abs. 4 GmbHG für Ansprüche wegen Verstoßes gegen § 57 GmbHG (Angaben zur Anmeldung einer Kapitalerhöhung). Neben diesen im Gesetz ausdrücklich normierten Fällen können die Gesellschafter auch über Ersatzansprüche wegen verbotener Kreditgewährung nach § 43a GmbHG114 und wegen Mitwirkung an einem existenzvernichtenden Eingriff115 nicht frei disponieren. Weitergehende Dispositionsschranken sind hingegen nicht anzuerkennen.116 Kompetenzschranken für die Gesellschafter können nur solche Normen/Verbote sein, die unmittelbar dem Schutz von Gläubigerinteressen dienen.117 Soweit die Gesellschafter aufgrund der soeben genannten Schranken nicht (nachträglich) auf Ersatzansprüche verzichten oder einen Vergleich hierüber abschließen können, hat auch eine entsprechende (im Vorhinein erteilte) Weisung der Gesellschafter keine befreiende Wirkung für den Geschäftsführer. Dies ist in § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG für die Fälle des § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG (Verstöße gegen § 30 GmbHG, § 33 GmbHG) ausdrücklich geregelt, gilt jedoch auch für die genannten weiteren Kompetenzschranken.118 Die Grundsätze über die Befugnis der Gesellschafter zum Verzicht auf die Geschäftsführer- 42 haftung und die Entlastungswirkung von Gesellschafterweisungen sind auch für die Frage maß112 Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 39 ff.; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 231 ff; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek § 43 Rn. 60 ff.; Altmeppen GmbHG § 43 Rn. 126 ff.; a. A. aber wohl Wilhelm NJW 2003 175. 113 Siehe zur Haftung des Geschäftsführers aus § 15b Abs. 4 InsO oben Rn. 26 f. 114 Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 67; MüKo-GmbHG/Löwisch § 43a Rn. 82 f. 115 Da die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs im Ausgangspunkt ausschließlich an die GmbH-Gesellschafter adressiert ist, kommt für die Geschäftsführer lediglich eine Haftung als Teilnehmer in Betracht; ausführlich zur Existenzvernichtungshaftung Henzler Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Existenzvernichtung, Diss. Heidelberg 2008. 116 Die Grenzen der Dispositionsbefugnis sind streitig, wie hier Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 39 ff.; wohl auch BGH 16.9.2002 – II ZR 107/01, NJW 2002 3777; BGH 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149 10; BGH 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150 61; a. A. GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 267 nach dem sich auch aus § 41 GmbHG (Buchführungspflicht), § 42a GmbHG (Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses) und § 49 Abs. 3 GmbHG (Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung) Kompetenzschranken für die Gesellschafter ergeben sollen; noch weitergehend Altmeppen ZIP 2001 1837, 1842 ff. 117 Dies ist bei §§ 41, 42a Abs. 1, 49 Abs. 3 GmbHG nicht der Fall; die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO gehört dagegen deshalb nicht hierher, weil Ansprüche wegen Verletzung dieser Norm den Gesellschaftsgläubigern zustehen und der Disposition der GmbH-Gesellschafter somit von vornherein entzogen sind. 118 Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 39 f.; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek § 43 Rn. 64 f.; Rowedder/SchmidtLeithoff/Schnorbus § 43 Rn. 89 f. 793

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

geblich, inwieweit die Gesellschafter sonst (außer durch Verzicht/Vergleich und Weisung) über die Geschäftsführerhaftung disponieren können. Soweit ihre Dispositionsbefugnis reicht, können die Gesellschafter schon im Vorfeld die Regeln über das Entstehen eines Haftungsanspruchs gestalten.119 So ist mit dem BGH davon auszugehen, dass sie beispielsweise die Frist, innerhalb derer der Haftungsanspruch geltend gemacht werden muss, (für fahrlässiges Handeln, § 202 Abs. 1 BGB) abkürzen oder die Haftung (wiederum für fahrlässiges Handeln, § 276 Abs. 3 BGB) summenmäßig begrenzen können.120 Darüber hinaus steht es ihnen auch frei, den Haftungsmaßstab selbst zu modifizieren.121 Dabei kann die Haftung des Geschäftsführers durch die Satzung oder auch durch den Anstellungsvertrag – soweit die Satzung nicht entgegensteht und sein Abschluss auf einem entsprechenden Gesellschafterbeschluss beruht – grundsätzlich auf vorsätzliches Handeln beschränkt werden (§ 276 Abs. 3 BGB).122 Wirksamkeit entfalten solche Haftungsbeschränkungen aber eben nur, soweit die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter reicht (siehe oben Rn. 41). Für die der Disposition entzogenen Bereiche gilt der Haftungsmaßstab des § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG (für die dort ausdrücklich genannten Fälle unmittelbar, im Übrigen analog). 43 Die Möglichkeit der Haftungsfreistellung im Innenverhältnis (also im Verhältnis zwischen GmbH und Geschäftsführer) durch Verzicht, Weisung (oder Einverständnis aller Gesellschafter, dazu unten Rn. 47) besteht auch dann, wenn das Handeln des Geschäftsführers zu einer Verletzung zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Bindungen der Gesellschaft im Außenverhältnis führt und selbst dann, wenn das Verhalten des Geschäftsführers strafbar ist.123 So ist der Geschäftsführer etwa gegenüber der Gesellschaft haftungsfrei, wenn er mit Einverständnis aller Gesellschafter von Kunden der GmbH empfangene Schecks veruntreut.124 Zwar können die Gesellschafter die Gesellschaft nicht von deren Pflichten im Außenverhältnis befreien, sie können aber für das Innenverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft bestimmen, dass der Geschäftsführer in diesem Innenverhältnis wegen des Verstoßes im Außenverhältnis haftungsfrei sein soll. Die Grenze der Befreiungsmöglichkeit im Innenverhältnis bilden auch hier wieder die (im Gläubigerinteresse bestehenden) Kompetenzschranken (siehe oben Rn. 41).

44 b) Befolgung von Weisungen – Einverständnis. Ein Geschäftsführer ist grundsätzlich haftungsfrei, soweit er in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung handelt, der ihn zu einem bestimmten Verhalten anweist. Eine Haftungsfreistellung erfolgt allerdings nur, wenn der Gesellschafterbeschluss wirksam ist. Die Unwirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses kann sich zum einen daraus ergeben, dass die Weisung bereits von Anfang an nichtig ist (§ 241 AktG findet insoweit grundsätzlich entsprechende Anwendung).125 Nichtigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn sich die Weisung auf einen Gegenstand bezieht, der außerhalb der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter liegt (siehe oben Rn. 41). Zum anderen kann ein anfechtbarer Beschluss durch erfolgreiche Anfechtungsklage (§§ 243 ff. AktG gelten für die GmbH

119 BGH 16.9.2002 – II ZR 107/01, NJW 2002 3777, 3777 f.; Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 39; GroßKoGmbHG/Paefgen § 43 Rn. 8 ff. 120 BGH 16.9.2002 – II ZR 107/01, NJW 2002 3777, 3777 f.; vgl. auch BGH 31.1.2000 – II ZR 189/99, NJW 2000 1571. 121 BGH 16.9.2002 – II ZR 107/01, NJW 2002 3777, 3777 f.; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 8; a. A. Michalski/ Ziemons § 43 Rn. 434 ff. 122 GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 9; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek § 43 Rn. 64; Fleischer BB 2011 2435, 2439; a. A. Michalski/Ziemons § 43 Rn. 434 ff. 123 BGH 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003 712, 713 f.; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 216 f. 124 BGH 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003 712; weitere Beispielsfälle bei GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 216 f. 125 BGH 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134 364, 365 f. m. w. N.; siehe zu den für das GmbH-Recht vorzunehmenden Anpassungen von § 241 AktG Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Anh. § 47 Rn. 44 ff.; MüKo-GmbHG/Wertenbruch Anh. § 47 Rn. 18 ff. Henzler

794

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

weitgehend126 analog) ex tunc unwirksam geworden sein. Die Anfechtbarkeit eines Beschlusses kann sich etwa daraus ergeben, dass ein Beschluss gegen die Treuepflicht der Gesellschafter verstößt (z. B. weil er Rechte von Minderheitsgesellschaftern verletzt). Bis zur erfolgreichen Anfechtung ist ein anfechtbarer Beschluss wirksam. Einen rechtmäßigen oder nicht (mehr) anfechtbaren Gesellschafterbeschluss hat der Geschäftsführer zu befolgen, wobei er auch solche Beschlüsse umsetzen muss, die er selbst für schädlich oder unangemessen hält. Ein Ermessen steht ihm dabei nicht zu. Befolgt er einen rechtmäßigen oder nicht (mehr) anfechtbaren Beschluss, ist er haftungsfrei, befolgt er ihn nicht, handelt er pflichtwidrig. Ist ein Beschluss dagegen anfechtbar, muss der Geschäftsführer die möglichen Folgen einer Ausführung der Weisung einerseits gegen die Folgen eines Zuwartens bis zum Ende der Anfechtungsfrist oder eines endgültigen Absehens von der Ausführung andererseits abwägen. Dabei hat er in diese Abwägung die Wahrscheinlichkeit einer Klageerhebung und die Erfolgsaussichten einer möglichen Klage einzubeziehen.127 Führt der Geschäftsführer einen letztlich unwirksamen, weil erfolgreich angefochtenen Beschluss aus oder unterlässt er die Ausführung eines wirksamen Beschlusses (weil keine Anfechtungsklage erhoben oder diese zurückgenommen wurde oder weil sie erfolglos geblieben ist), kann es – obwohl er im Ergebnis „falsch“ gehandelt hat – am für die Haftung erforderlichen Verschulden fehlen.128 Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschäftsführer mit der Erhebung einer Anfechtungsklage nicht zu rechnen brauchte oder er die Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage schuldlos falsch eingeschätzt hat, weil er sich z. B. entsprechenden qualifizierten Rechtsrat eingeholt und diesen hinreichend auf Plausibilität geprüft hat.129 Zuständig für die Erteilung von Weisungen ist grundsätzlich die Gesellschafterversammlung (also die Gesamtheit aller Gesellschafter). Die Satzung kann an ihrer Stelle aber auch einem anderen Organ (wie z. B. einem Aufsichtsrat oder einem Beirat) oder einem Gesellschafter oder einer Gesellschaftergruppe die Weisungskompetenz übertragen. Weisungen eines einzelnen Gesellschafters, insbesondere eines Mehrheitsgesellschafters – dem nicht ausnahmsweise durch die Satzung eine entsprechende Befugnis übertragen wurde – lösen dagegen weder eine Folgepflicht aus noch kann ihnen eine haftungsbefreiende Wirkung zukommen.130 Neben einem förmlichen Gesellschafterbeschluss wirkt das schlichte (auch stillschweigend konkludent erklärte) Einverständnis sämtlicher Gesellschafter mit einer Geschäftsführungsmaßnahme haftungsbefreiend.131 Voraussetzung der Haftungsbefreiung ist jedoch auch hier, dass sämtliche Gesellschafter mit der Geschäftsführungsmaßnahme einverstanden sind und sich diese innerhalb desjenigen Bereiches bewegt, in dem die Haftung des Geschäftsführers zur Disposition der Gesellschafter steht.132 Daraus folgt für eine GmbH mit nur einem Gesellschafter, der zugleich Geschäftsführer ist, dass die Geschäftsführerhaftung regelmäßig – nämlich bei entsprechendem (ggf. durch Auslegung zu ermittelnden) Willen des Alleingesellschafter-Geschäftsführers – von vornherein auf den im Gläubigerinteresse der Disposition der Gesellschafter entzogenen Bereich (siehe oben Rn. 41) beschränkt ist. Ein wirksamer Gesellschafterbeschluss oder das Einverständnis aller Gesellschafter vermag den Geschäftsführer von der Haftung allerdings dann nicht zu befreien, wenn der Inhalt der in Rede stehenden Weisung oder des Einverständnisses auf falscher oder unzureichender Infor126 Eine Ausnahme stellt z. B. die Anfechtungsfrist in § 246 AktG dar, die im GmbH-Recht nicht gleichermaßen strikt gilt, siehe dazu MüKo-GmbHG/Wertenbruch Anh. § 47 Rn. 301 ff. Michalski/ Ziemons § 43 Rn. 106 ff.; MüKo-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 278. GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 242 f.; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schnorbus § 43 Rn. 93. Siehe dazu oben Rn. 29. MüKo-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 276; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 237. BGH 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003 712, 713; inwieweit eine stillschweigende Kenntnisnahme durch die Gesellschafterversammlung ein konkludentes Einverständnis darstellt, bestimmt sich nach dem jeweiligen Einzelfall durch Auslegung; siehe zum Maßstab z. B. MüKo-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 279. 132 Vgl. BGH 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003 712.

127 128 129 130 131

795

Henzler

45

46

47

48

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

mation durch den Geschäftsführer beruht oder der Geschäftsführer deren Entscheidung in sonstiger Weise sachwidrig beeinflusst hat.133

3. Haftungsvoraussetzungen im Einzelnen 49 Anders als die Vorstandshaftung steht die Geschäftsführerhaftung weitgehend zur Disposition der Gesellschafter (siehe oben Rn. 40 ff.). Sofern von dieser Dispositionsbefugnis allerdings kein Gebrauch gemacht wird, gelten für die Geschäftsführerhaftung im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie für die Vorstandshaftung. Die Pflichten des Geschäftsführers lassen sich wie für den Vorstand in Sorgfalts- und Treuepflichten unterteilen.

50 a) Sorgfaltspflichten. Hinsichtlich der Sorgfaltspflichten ist die Unterscheidung von rechtlich gebundenen Entscheidungen einerseits und unternehmerischen Entscheidungen andererseits von Bedeutung. Was die rechtlich gebundenen Entscheidungen betrifft, hat der Geschäftsführer nicht nur die unmittelbar an ihn gerichteten Vorschriften (wie z. B. §§ 41, 42a Abs. 1 GmbHG) zu beachten, sondern auch dafür zu sorgen, dass alle an die Gesellschaft gerichteten Pflichten eingehalten werden (Legalitätspflicht). Damit gilt – vorbehaltlich von Gesellschafterweisung oder Einverständnis –, dass im Falle der Haftung der Gesellschaft gegenüber Dritten wegen einer Rechtsverletzung immer dann eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers vorliegt, wenn die der Haftung zugrunde liegende Rechtsverletzung entweder auf dessen eigenem Handeln beruht, der Geschäftsführer die Aufgabe, bei deren Wahrnehmung die Rechtsverletzung erfolgte, nicht wirksam delegiert hat oder er die sich aus der Delegation ergebenden Pflichten verletzt hat (siehe zur Vorstandshaftung oben Rn. 16 ff.). 51 Für den Geschäftsführer gibt es bestimmte nicht delegierbare Pflichten (wie z. B. die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 1 InsO oder die Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses aus § 264 HGB). Im Übrigen kann er Aufgaben an nachgeordnete Mitarbeiter delegieren (vertikale Delegation). Hier gelten dieselben Grundsätze wie bei der AG (siehe oben Rn. 17). Bei mehrgliedriger Geschäftsführung gilt der Grundsatz der Gesamtverantwortung, der jedoch z. B. durch eine Ressortaufteilung modifiziert werden kann. Dann hat der Ressortzuständige die volle Handlungsverantwortung für sein Ressort und eine „Restverantwortung“ in Form einer Beobachtungs- und Überwachungspflicht hinsichtlich der übrigen Ressorts. Auch insoweit sind die Regeln für den Vorstand entsprechend anwendbar (siehe oben Rn. 18). 52 Bei unternehmerischen Entscheidungen gilt für den Geschäftsführer der Maßstab der für das Aktienrecht kodifizierten Regel von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.134 Der Geschäftsführer ist also haftungsfrei, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Die auf Vorstandsmitglieder anzuwendenden Grundsätze gelten entsprechend (siehe oben Rn. 19 ff.).

53 b) Treuepflichten. Der Geschäftsführer unterliegt grundsätzlich Treuepflichten, die es ihm insbesondere verbieten, in Wettbewerb mit der GmbH zu treten. Wie ein Vorstandsmitglied darf auch ein Geschäftsführer einer GmbH der Gesellschaft zugeordnete Chancen nicht selbst, sondern nur für diese nutzen. Die Geschäftsführer können allerdings durch die Satzung generell

133 MüKo-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 277; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 224; Rowedder/Schmidt-Leithoff/ Schnorbus § 43 Rn. 91. 134 BGH 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152 280, 284; Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 33 ff.; siehe auch BTDrucks. 15/5092 S. 12. Henzler

796

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

und bezogen auf einen konkreten Einzelfall auch durch entsprechenden Gesellschafterbeschluss ganz oder teilweise von ihrer Treuepflicht befreit werden.135

c) Verschulden, Schaden und Kausalität, Darlegungs- und Beweislast. § 43 Abs. 1 54 GmbHG kommt eine Doppelfunktion zu, indem er neben der objektiven Sorgfaltspflicht einen typisierten Verschuldensmaßstab umschreibt. Als seltene Fälle, in denen es trotz dieses strengen Maßstabs am Verschulden fehlen kann, kommen etwa die Einholung von nicht erkennbar falschem Rechtsrat (siehe oben Rn. 29) oder Fehleinschätzungen im Rahmen der bei anfechtbaren Gesellschafterweisungen vorzunehmenden Abwägung in Betracht (siehe oben Rn. 45). Hinsichtlich der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist für die Geschäftsführer die Vorschrift des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG analog anzuwenden, die ihnen nicht nur hinsichtlich des Verschuldens, sondern auch schon hinsichtlich der objektiven Pflichtwidrigkeit den Entlastungsbeweis auferlegt.136 In Bezug auf Schaden und Kausalität gelten die Ausführungen zur Vorstandshaftung entsprechend (siehe oben Rn. 30 ff.).

d) Verjährung. Die Ansprüche der Gesellschaft aus § 43 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GmbHG verjäh- 55 ren nach § 43 Abs. 4 GmbHG in fünf Jahren. Für den Verjährungsbeginn kommt es allein auf die Entstehung des Anspruchs (§ 200 BGB) und nicht auf die Kenntnis der Gesellschaft an. Wegen der Einzelheiten kann auf die Darstellung der Vorstandshaftung verwiesen werden (siehe oben Rn. 34). Die Verjährungsfrist kann durch entsprechende Satzungsregelung oder entsprechenden Gesellschafterbeschluss (mit Ausnahme der Haftung wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung, § 202 Abs. 1 BGB) verlängert oder verkürzt werden (siehe oben Rn. 42). Letzteres jedoch nur, soweit nicht die der Disposition der Gesellschafter entzogenen Bereiche betroffen sind (siehe oben Rn. 41).

e) Wirkung von Entlastungsbeschlüssen, Anspruchsdurchsetzung. Von ihrer aus § 46 56 Nr. 8 GmbHG folgenden Befugnis, auf die Geschäftsführerhaftung zu verzichten, können die Gesellschafter u. a. durch Vereinbarung einer sogenannten „Generalbereinigung“ Gebrauch machen.137 Dies kommt insbesondere anlässlich des Ausscheidens eines Geschäftsführers aus seinem Amt in Betracht. Durch eine solche „Generalbereinigung“ sollen sämtliche denkbaren Ansprüche soweit wie möglich zum Erlöschen gebracht werden. Wirkung entfalten kann eine „Generalbereinigung“ allerdings nur, soweit die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter reicht (siehe oben Rn. 41). Für die Haftungsfreistellung von Geschäftsführern bedeutsam ist zudem die Entlastung. 57 Anders als im Aktienrecht (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG) ist bei der GmbH der Entlastungsbeschluss der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG) mit einer Präklusionswirkung verbunden, die dazu führt, dass die Gesellschaft im Umfang der Entlastung keine Ersatzansprüche mehr gegen den jeweiligen Geschäftsführer geltend machen (und kein Kündigungsrecht mehr ausüben) kann.138 Die Präklusionswirkung umfasst dabei diejenigen Ansprüche, die innerhalb derjenigen Periode entstanden sind, für die Entlastung erteilt wird. In der Regel wird einmal jährlich für das abgelaufene Geschäftsjahr über die Entlastung beschlossen. Durch die Entlastung erlöschen aber nicht alle in der Entlastungsperiode entstandenen Ansprüche, sondern nur sol135 Wie hier wohl auch Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 39; a. A. GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 103, der auch für eine Befreiung im Einzelfall zumindest eine entsprechende Satzungsgrundlage für erforderlich hält. 136 Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 76 ff.; MüKo-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 270. 137 Vgl. BGH 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003 712, 713 f.; ausführlich dazu MüKo-GmbHG/Liebscher § 46 Rn. 167 ff. 138 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 46 Rn. 41; MüKo-GmbHG/Liebscher § 46 Rn. 144 ff. 797

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

che, die den Gesellschaftern bekannt oder für sie angesichts der von den Geschäftsführern gelieferten Informationen (Rechnungslegung, Berichterstattung, sonstige Auskünfte und Unterlagen) bei sorgfältiger Prüfung erkennbar waren.139 Erkennbarkeit liegt dabei auch dann vor, wenn die Informationen und Unterlagen ersichtlich unklar oder unvollständig sind und gleichwohl auf weitere Aufklärung verzichtet wird.140 Die Erkennbarkeit oder Kenntnis der entsprechenden Umstände muss bei allen Gesellschaftern vorliegen.141 Wirken kann die Präklusion allerdings von vornherein nur, soweit die Gesellschafter auf Haftungsansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen können (siehe dazu oben Rn. 41). 58 Die Gesellschafterversammlung ist nicht nur dasjenige Organ, das auf die Geschäftsführerhaftung weitgehend verzichten kann, vielmehr obliegt es ihr auch, Organhaftungsansprüche gegen die Geschäftsführer durchzusetzen und die GmbH im Prozess gegen ihre Geschäftsführer zu vertreten (§ 46 Nr. 8 GmbHG). Dabei setzt die Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss voraus, bei Fehlen eines solchen ist die Klage als unbegründet abzuweisen.142

III. Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern einer AG 59 Maßgebliche Norm für die Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft ist § 116 AktG, der den für die Vorstandshaftung maßgeblichen § 93 AktG und somit auch die Schadensersatzhaftung nach dessen Absatz 2 für entsprechend anwendbar erklärt. Dabei unterscheiden sich allerdings die Pflichten des Aufsichtsrats grundlegend von denen des Vorstands. Der Aufsichtsrat ist nicht für die Geschäftsführung zuständig (nach § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG können ihm auch keine Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen werden), seine Hauptaufgabe besteht vielmehr darin, die Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG). Darüber hinaus üben Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt in aller Regel nebenberuflich aus.

1. Haftungsmaßstab 60 §§ 116, 93 Abs. 1 AktG normieren nicht nur die objektive Sorgfaltspflicht, sondern legen auch einen typisierten Verschuldensmaßstab fest. Durch in seiner Person liegende Unzulänglichkeiten wird ein Aufsichtsratsmitglied nicht entlastet, es muss vielmehr für die Fähigkeiten und Kenntnisse einstehen, die das Amt von ihm objektiv erfordert. Dabei gelten grundsätzlich für alle Aufsichtsratsmitglieder, unabhängig davon ob sie Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter sind, die gleichen Anforderungen.143 Bestimmte Funktionen, wie die des Aufsichtsratsvorsitzenden oder des Vorsitzenden eines bestimmten Ausschusses (etwa des Prüfungsausschusses) können aber die Anforderungen erhöhen.144 Im Übrigen hängen die Anforderungen an die Fähigkeiten und Kenntnisse der Aufsichtsratsmitglieder insbesondere von der Branche und der

139 Vgl. BGH 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97 382, 384; Lutter/Hommelhoff/Bayer § 46 Rn. 26; Michalski/Römermann § 46 Rn. 280 ff.; MüKo-GmbHG/Liebscher § 46 Rn. 147.

140 MüKo-GmbHG/Liebscher § 46 Rn. 147; GroßKo-GmbHG/Hüffer/Schäfer § 46 Rn. 73; Michalski/Römermann § 46 Rn. 281; einschränkend Geißler DZWiR 2020 595, 598 nach welchem Erkennbarkeit lediglich dann vorliegen soll, wenn die Gesellschafter „vor mit Händen zu greifenden Fakten die Augen verschließen“. 141 Michalski/Römermann § 46 Rn. 285; MüKo-GmbHG/Liebscher § 46 Rn. 147; Baumbach/Hueck/ZöllnerNoack § 46 Rn. 41; a. A. BGH 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969 131, wobei zweifelhaft ist, ob der BGH an dieser bis heute nicht in weiteren Entscheidungen bestätigten Auffassung festhalten würde. 142 Vgl. BGH 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97 382, 390 m. w. N.; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 46 Rn. 61. 143 BGH 15.11.1982 – II ZR 27/82, NJW 1983 991; GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 116 Rn. 33 ff.; Hüffer/Koch/Koch § 116 Rn. 3. 144 Hüffer/Koch/Koch § 116 Rn. 4; ausführlich dazu GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 116 Rn. 50 ff. Henzler

798

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

Größe der Gesellschaft ab. Der Haftungsmaßstab kann durch Satzung oder Geschäftsordnung weder verschärft noch gemildert werden.

2. Sorgfaltspflichten Allgemein ist jedes Aufsichtsratsmitglied verpflichtet, rechtswidrige Aufsichtsratsbeschlüsse nach 61 besten Kräften zu verhindern. Seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit hat es gegenüber seinen Aufsichtsratskollegen klar zu formulieren und muss versuchen, diese von der Fassung eines rechtmäßigen Beschlusses zu überzeugen.145 Jedenfalls muss das Aufsichtsratsmitglied gegen die Fassung eines rechtswidrigen Beschlusses stimmen und darf sich nicht lediglich der Stimme enthalten. Zur Erhebung einer Anfechtungsklage oder einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses oder gar zur Niederlegung seines Mandats ist das Aufsichtsratsmitglied allenfalls in engen Ausnahmefällen verpflichtet.146 Eine Klagepflicht kommt etwa bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit und erheblichem drohenden Schaden in Betracht.

a) Überwachung der Geschäftsführung. Die vom Aufsichtsrat zu leistende Überwachung be- 62 zieht sich neben der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung durch den Vorstand insbesondere auf die Rechtmäßigkeit der Vorstandstätigkeit. Die Überwachungsaufgabe ist dabei nicht auf die nachträgliche, rückschauende Kontrolle von Vorstandsentscheidungen beschränkt. Vielmehr hat der Aufsichtsrat den Vorstand in Fragen der künftigen Unternehmenspolitik zu beraten und in gewissem Umfang auch selbst (zukunftsbezogene) unternehmerische Entscheidungen zu treffen (näher zu Letzterem unten Rn. 66).147 Die Intensität der Überwachungspflicht hängt von der jeweiligen Risikosituation des Unternehmens ab und ist nicht nur in der Krise der Gesellschaft (und in deren Vorfeld), sondern auch bei besonders bedeutsamen Geschäften erhöht.148 Die Recht- und Zweckmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft auf den dem Vorstand nach- 63 geordneten Ebenen hat der Aufsichtsrat nicht unmittelbar selbst zu kontrollieren. Er hat insoweit lediglich zu überwachen, ob der Vorstand seinen aus der Delegation erwachsenden Überwachungsaufgaben nachkommt.149 Der Aufsichtsrat hat darauf hinzuwirken, dass sich der Vorstand rechtmäßig verhält. Er- 64 kennt ein Aufsichtsratsmitglied rechtswidriges Vorstandsverhalten, so muss es dafür sorgen, dass der Aufsichtsrat (als Gesamtgremium) oder der für die betreffende Angelegenheit zuständige Ausschuss unverzüglich hiermit befasst wird.150 Dafür wird zumeist die Information an den Aufsichtsratsvorsitzenden genügen. Reagiert der Aufsichtsratsvorsitzende jedoch nicht, muss das Aufsichtsratsmitglied selbst eine Sitzung des Aufsichtsrats einberufen (vgl. § 110 Abs. 1, Abs. 2 AktG).151 Für die Einwirkung auf den Vorstand stehen dem Aufsichtsrat verschiedene Mittel zur Verfügung.152 Die praktisch wohl wichtigsten Instrumente stellen dabei beratende Hinweise an den Vorstand in Form von Stellungnahmen, Anregungen, Bedenkenäußerungen oder formellen Beanstan145 MüKo-AktG/Habersack § 116 Rn. 38; ausführlich GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 116 Rn. 72 ff. 146 MüKo-AktG/Habersack § 116 Rn. 38; eine Pflicht zur Amtsniederlegung generell verneinend Vetter DB 2004 2623, 2627.

147 MüKo-AktG/Habersack § 116 Rn. 20; Thümmel Rn. 245 f. 148 OLG Stuttgart 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012 625, 627; Hasselbach NZG 2012 41, 41 f.; vgl. auch OLG Stuttgart 19.6.2012 – 20 W 1/12, ZIP 2012 1965, 1968. 149 Krieger/Schneider/Krieger § 3 Rn. 21; MüKo-AktG/Habersack § 111 Rn. 25; Spindler/Stilz/Spindler § 111 Rn. 9. 150 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 116 Rn. 119. 151 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 116 Rn. 119 f. 152 Ausführlich dazu GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 111 Rn. 312 ff.; MüKo-AktG/Habersack § 111 Rn. 31 ff. 799

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

dungen (die sich im Jahresbericht des Aufsichtsrats nach § 171 Abs. 2 AktG niederschlagen müssen) dar.153 Ergibt sich aber, dass sich der Vorstand hierdurch von der Umsetzung einer die Gesellschaft schädigenden, rechtwidrigen Maßnahme nicht abhalten lassen wird, besteht für den Aufsichtsrat nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, ad-hoc einen Zustimmungsvorbehalt für die geplante rechtswidrige Maßnahme zu beschließen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) und diese Zustimmung dann zu verweigern.154 Ermessen steht dem Aufsichtsrat bei der Frage, ob er gegen rechtswidriges Vorstandshandeln einschreitet, nicht zu. Das gilt unabhängig davon, ob es sich dabei für den Vorstand um eine gebundene oder eine Ermessensentscheidung handelt.155 Als vornehmlich präventive Maßnahme kann der Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung für den Vorstand erlassen oder die bestehende Geschäftsordnung ändern (§ 77 Abs. 2 AktG). Darüber hinaus obliegt es dem Aufsichtsrat, mögliche Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder durchzusetzen und er kann Vorstandsmitglieder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen (§ 84 Abs. 3 AktG). Auch zur Anwendung dieser repressiven Instrumente kann der Aufsichtsrat verpflichtet sein, im Falle der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist er es regelmäßig (siehe zu Letzterem unten Rn. 70). 65 Zur Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats gehört es, bestimmte Arten von Geschäften generell von seiner Zustimmung abhängig zu machen.156 Nach § 111 Abs. 2 AktG ist er zur Aufstellung eines Kataloges zustimmungspflichtiger Geschäfte verpflichtet, ohne dass das Gesetz allerdings im Einzelnen vorschreibt, welche Geschäfte in diesen Katalog (mindestens) aufzunehmen sind. Dies hängt von den Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaft ab. Es dürfen grundsätzlich aber nur solche (eindeutig zu bezeichnenden) Maßnahmen aufgenommen werden, die für die Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sind, insbesondere weil sie sich wesentlich auf die Vermögens- oder Ertragslage des Unternehmens auswirken.157 Während der Aufsichtsrat rechtswidrigen Geschäftsführungsmaßnahmen in keinem Fall zu66 stimmen darf, steht ihm bei der Entscheidung, ob er einer von seiner Zustimmung abhängigen rechtlich zulässigen Geschäftsführungsmaßnahme die Zustimmung erteilt, unternehmerisches Ermessen zu. Der Aufsichtsrat ist insoweit also nicht auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt, sondern trifft eine eigene unternehmerische Entscheidung, für die § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG aufgrund der Verweisung in § 116 AktG entsprechend gilt.158 Wenn die Aufsichtsratsmitglieder vernünftigerweise annehmen durften, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, haften sie also auch dann nicht, wenn sich die betreffende Maßnahme ex post als unternehmerischer Fehlschlag erweist. Die für den Vorstand dargestellten Grundsätze gelten entsprechend (siehe oben Rn. 19 ff.). Raum für Ermessen besteht für den Aufsichtsrat allgemein nur dann, wenn er in die Zukunft gerichtete Entscheidungen trifft, was nicht nur für Entscheidungen über zustimmungsbedürftige Maßnahmen, sondern insbesondere auch für Personalentscheidungen gilt.159 Für den Bereich der rückschauenden Kontrolle besteht dagegen kein unternehmerisches Ermessen. Zur Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats gehört auch die Pflicht aus § 171 Abs. 1 AktG, 67 den Jahresabschluss, den Lagebericht und den Vorschlag des Vorstands für die Gewinnverwendung (bei Mutterunternehmen auch den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht) zu prü-

153 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 111 Rn. 317 f.; MüKo-AktG/Habersack § 111 Rn. 32. 154 BGH 15.11.1993 – II ZR 235/92, NJW 1994 520, 524; MüKo-AktG/Habersack § 116 Rn. 33; Spindler/Stilz/Spindler § 111 Rn. 67; die rechtliche Wirkung einer verweigerten Zustimmung ist dabei allerdings auf das Innenverhältnis beschränkt, im Außenverhältnis ist eine vom Vorstand trotz verweigerter Zustimmung vorgenommene Maßnahme wirksam. 155 Vgl. BGH 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135 244, 255. 156 Spindler/Stilz/Spindler § 111 Rn. 63; Thümmel Rn. 264. 157 Vgl. BTDrucks. 14/8769 S. 17 f.; MüKo-AktG/Habersack § 111 Rn. 120. 158 Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn § 111 Rn. 82; MüKo-AktG/Habersack § 111 Rn. 144; Thümmel Rn. 251. 159 Spindler/Stilz/Spindler § 116 Rn. 43; Thümmel Rn. 251. Henzler

800

B. Innenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

fen. Über das Ergebnis seiner Prüfung hat er der Hauptversammlung zu berichten, § 171 Abs. 2 Satz 1 AktG.

b) Informationspflicht und Pflicht zur Selbstorganisation. Zur Erfüllung seiner Überwa- 68 chungs- und Kontrollaufgabe ist der Aufsichtsrat auf hinreichende Information angewiesen. Um an Informationen zu gelangen, steht dem Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 2 AktG das Recht zur Einsicht und Prüfung der Bücher, Schriften und Vermögensgegenstände der Gesellschaft zu. Weitere wichtige Quelle der Information sind die vom Vorstand an den Aufsichtsrat nach § 90 Abs. 1 AktG zu erstattenden Berichte und das hiermit korrespondierende Recht des Aufsichtsrats aus § 90 Abs. 3 AktG, jederzeit einen Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen zu können. Das Informationsrecht des Aufsichtsrats begründet zugleich eine Informationspflicht für die Aufsichtsratsmitglieder.160 Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied muss sich in allen den Aufsichtsrat (als Gesamtgremium) betreffenden Angelegenheiten ein eigenes Urteil bilden und hat dementsprechend darauf zu dringen, hinreichend informiert zu werden.161 Insbesondere hat jedes Aufsichtsratsmitglied darauf zu achten, dass der Vorstand seine Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat ordnungsgemäß erfüllt. Reichen die vom Vorstand gegebenen Informationen nicht aus, um die Ordnungsgemäßheit des Vorstandshandelns beurteilen zu können, oder bestehen Zweifel an der Richtigkeit der Information, muss der Aufsichtsrat nachhaken und auf Nachbesserung dringen.162 Um eine hinreichende Kontrolle gewährleisten zu können, muss der Aufsichtsrat für eine 69 angemessene Selbstorganisation sorgen. Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG kann er einzelne Aufgaben grundsätzlich auf Ausschüsse übertragen. Die in § 107 Abs. 3 Satz 7 AktG genannten Aufgaben sind jedoch nicht delegierbar. Bei wirksamer Delegation reduziert sich die Verantwortung derjenigen Aufsichtsratsmitglieder, die nicht Mitglied des Ausschusses sind. Sie haben grundsätzlich lediglich dafür zu sorgen, dass die Ausschussmitglieder für die Erfüllung der übertragenen Aufgaben geeignet sind und nach § 107 Abs. 3 Satz 8 AktG regelmäßig Berichte an den Aufsichtsrat (als Gesamtgremium) erstattet werden. Zu reagieren haben sie allerdings dann, wenn die Berichte lückenhaft, fehlerhaft oder nicht plausibel sind.163 Diese Restverantwortung kann weder durch die Geschäftsordnung noch durch die Satzung ausgeschlossen werden.

c) Weitere Aufgaben und Pflichten. Neben seiner Überwachungsaufgabe hat der Aufsichts- 70 rat die Gesellschaft gegenüber dem Vorstand zu vertreten (§ 112 AktG), insbesondere über die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern zu entscheiden (§ 84 AktG) und deren Bezüge festzusetzen (§ 87 Abs. 1 AktG). Dabei wird die Pflicht zur Festsetzung einer angemessenen Vorstandsvergütung in § 116 Satz 3 AktG besonders hervorgehoben. Darüber hinaus obliegt es dem Aufsichtsrat, etwaige Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder durchzusetzen. Dabei hat der Aufsichtsrat die Erfolgsaussichten einer Klage sorgfältig zu prüfen – wofür er zumeist rechtlichen Rat wird einholen müssen – und ist grundsätzlich verpflichtet, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, wenn hinreichende Erfolgsaussichten bestehen.164 Ein Absehen von der Durchsetzung kommt nur dann in Betracht, wenn wichtige, mit dem Interesse an der Anspruchsdurchsetzung zumindest gleichwertige Interessen der Gesellschaft gegen eine Geltendmachung der Ansprüche streiten. Als denkbare Grün160 Thümmel Rn. 256; Hüffer NZG 2007 47, 48. 161 OLG Stuttgart 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012 625, 628; MüKo-AktG/Habersack § 116 Rn. 30. 162 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 116 Rn. 98 ff.; Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn § 111 Rn. 42; Thümmel Rn. 256; Hasselbach NZG 2012 41, 42. 163 Hauschka/Schmidt-Husson § 6 Rn. 48; MüKo-AktG/Habersack § 116 Rn. 26; Spindler/Stilz/Spindler § 116 Rn. 55. 164 BGH 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135 244, 255; BGH 18.9.2018 – II ZR 152/17, NZG 2018 1301, 1302; MüKo-AktG/ Habersack § 116 Rn. 44; Spindler/Stilz/Spindler § 116 Rn. 58 f.; ausführlich GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 111 Rn. 333 ff. 801

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

de werden in der grundlegenden „ARAG“-Entscheidung negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und das Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, die Behinderung der Vorstandsarbeit und die Beeinträchtigung des Betriebsklimas genannt.165

3. Treuepflichten 71 Aufsichtsratsmitglieder unterliegen einer Treuepflicht. Diese ist allerdings weniger stark ausgeprägt als die Treuepflicht von Vorstandsmitgliedern, was vor allem darin begründet ist, dass Aufsichtsratsmitglieder ihre Tätigkeit regelmäßig nebenberuflich ausüben. Für Aufsichtsratsmitglieder gilt daher (anders als für Vorstandsmitglieder) kein Wettbewerbsverbot und sie sind nicht verpflichtet, das Gesellschaftsinteresse auch außerhalb ihrer Organtätigkeit zu fördern. Außerhalb ihrer Organtätigkeit verlangt die Treuepflicht lediglich eine gewisse Rücksichtnahme auf das Gesellschaftsinteresse und verbietet es beispielsweise, Geschäftschancen der Gesellschaft, von denen das Aufsichtsratsmitglied im Rahmen seiner Organtätigkeit erfahren hat, für sich selbst zu nutzen.166 Als Ausfluss der Treuepflicht in § 116 Satz 2 AktG besonders hervorgehoben ist zudem die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder.

4. (Weitere) Haftungsvoraussetzungen 72 Hinsichtlich der übrigen (neben einer Pflichtverletzung notwendigen) Haftungsvoraussetzungen gelten – aufgrund der Verweisung in § 116 AktG auf § 93 AktG – die auf die Vorstandshaftung anzuwendenden Bestimmungen entsprechend. Insbesondere sind auch bei Aufsichtsratsmitgliedern die Fälle fehlenden Verschuldens selten, gilt auch für Aufsichtsratsmitglieder die in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG angeordnete Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, sind Verzicht und Vergleich nur in den engen Grenzen des § 93 Abs. 4 möglich und gilt für die Verjährung § 93 Abs. 6 AktG. Insofern kann auf die Darstellung der Vorstandshaftung verwiesen werden (siehe oben Rn. 29 ff.).

C. Außenhaftung 73 Für die Außenhaftung von Organmitgliedern, also die Haftung gegenüber einem anderen Rechtssubjekt als der Gesellschaft, gibt es keinen einheitlichen Haftungstatbestand. Vielmehr finden sich, verteilt über verschiedene Rechtsgebiete, wie etwa das Kapitalmarkt-, das Insolvenz- oder das Steuerrecht ganz unterschiedliche an Organmitglieder gerichtete Verhaltensregeln, aus deren Verletzung sich eine Haftung ergeben kann. Dies entweder über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem entsprechenden Schutzgesetz oder unmittelbar aus der entsprechenden Norm selbst. In Betracht kommt eine Außenhaftung nicht nur für Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer (Unternehmensleiter), sondern auch für Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglieder, auch wenn deren Tätigkeit in erster Linie „nach innen“, nämlich auf die Überwachung und Beratung der Geschäftsleitung gerichtet ist. Zunächst wird aber die praktisch wichtigere Haftung von Unternehmensleitern dargestellt.

165 BGH 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135 244, 255; ausführlich zu möglichen Ausnahmen von der Verfolgungspflicht Goette ZHR 2012 588 ff.; Casper ZHR 2012 617 ff. 166 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 116 Rn. 163 ff.; MüKo-AktG/Habersack § 116 Rn. 50; Spindler/Stilz/Spindler § 116 Rn. 78. Henzler

802

C. Außenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

I. Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern (Unternehmensleitern) Weder § 93 Abs. 1 AktG noch § 43 Abs. 1 GmbHG sind Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB.167 74 Die sich aus der Organstellung ergebenden Sorgfalts- und Treuepflichten, an deren Verletzung § 93 Abs. 2 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG anknüpfen, bestehen nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber Dritten.

1. Haftung gegenüber Anteilseignern a) Spezielle Haftungstatbestände. Es gibt nur wenige gesetzliche Regelungen, die eine Haf- 75 tung von Unternehmensleitern unmittelbar gegenüber Anteilseignern vorsehen. Eine solche gesetzliche Sonderregelung findet sich in § 117 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG. Nach § 117 Abs. 1 AktG haften Organmitglieder auf Schadensersatz, wenn sie vorsätzlich eine der dort genannten Personen (z. B. Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte) zu gesellschaftsschädigenden Handlungen veranlasst haben.168 Nach § 117 Abs. 2 AktG können sie aber auch dann haften, wenn sie Versuchen von dritter Seite, eine der in § 117 Abs. 1 AktG genannten Personen zu einer schädigenden Handlung zu veranlassen, schuldhaft nicht entgegenwirken.169 Die Haftung gegenüber den Aktionären besteht nach § 117 Abs. 1 Satz 2 AktG aber nur dann, wenn diese einen Schaden erleiden, der über den Wertverlust ihrer Anteile hinausgeht. Das GmbH-Recht sieht eine gesetzliche Sonderregelung für die Haftung von Geschäftsführern gegenüber Gesellschaftern in § 31 Abs. 6 GmbHG vor. Danach sind Geschäftsführer, die unter Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot (§ 30 GmbHG) Zahlungen geleistet haben, denjenigen Gesellschaftern zum Schadensersatz verpflichtet, die der Gesellschaft den verbotswidrig ausgezahlten Betrag aufgrund ihrer Ausfallhaftung (§ 31 Abs. 3 GmbHG) anstelle der primär rückzahlungspflichtigen Auszahlungsempfänger erstattet haben.170 Weitere Normen, die Ansprüche von Anteilseignern gegenüber Organmitgliedern begründen können, finden sich im Konzernrecht (§§ 317 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 3, 318 Abs. 1, 318 Abs. 2 AktG).

b) Verletzung des Mitgliedschaftsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB). Ansprüche von Anteilseig- 76 nern gegenüber Unternehmensleitern können sich aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung ihres Mitgliedschaftsrechts ergeben, wenn man davon ausgeht, dass die Mitgliedschaft nicht nur ein absolut geschütztes sonstiges Recht i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB ist (was unstreitig sein dürfte), sondern dieses Recht auch im Verhältnis zwischen Anteilseigner und Organmitglied geschützt ist.171 Der Schutz der Mitgliedschaft ist dabei auf solche Eingriffe beschränkt, die sich unmittelbar gegen den Bestand der Mitgliedschaft oder die in ihr verkörperten Rechte richten.172 Der bloße Wertverlust der Gesellschaftsanteile aufgrund einer Verminderung des Gesellschaftsvermögens ist dafür nicht ausreichend. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB insbesondere

167 Allg.M., vgl. BGH 10.7.2012 – VI ZR 341/10, NJW 2012 3439, 3441; BGH 13.4.1994 II ZR 16/93, BGHZ 125 366, 375.

168 Siehe dazu, dass Organmitglieder taugliche Täter einer Haftung nach § 117 Abs. 1 AktG sein können, etwa MüKo-AktG/Spindler § 117 Rn. 15. 169 Thümmel Rn. 395; vgl. MüKo-AktG/Spindler § 117 Rn. 58 ff. 170 Näher dazu MüKo-GmbHG/Ekkenga § 31 Rn. 84 ff.; Michalski/Heidinger § 31 Rn. 109 ff. 171 Dafür BGH 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110 323, 327 f. (zum Vereinsrecht); Michalski/Ziemons § 43 Rn. 582 ff.; a. A. Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 117; GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 628. 172 KöKo/Mertens/Cahn § 93 Rn. 211; Michalski/Ziemons § 43 Rn. 584 ff.; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 337 f.; vgl. BGH 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110 323, 334. 803

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

dann, wenn mit der Mitgliedschaft verbundene Teilhaberechte faktisch ausgehebelt werden.173 Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Organisationsstruktur oder das Betätigungsfeld der Gesellschaft ohne die gebotene Beteiligung der Anteilseigner faktisch geändert werden. Ein Beispiel für eine Änderung der Organisationsstruktur der Gesellschaft ist die Ausgliederung ihres (gesamten) operativen Geschäfts in eine Tochtergesellschaft, also die Umwandlung in eine Holdingstruktur.174

77 c) Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz. Als Schutzgesetze zugunsten von Anteilseignern anerkannt sind § 331 HGB (unrichtige Darstellung im Jahresabschluss, Lagebericht oder Zwischenabschluss nach § 340a Abs. 3 HGB),175 § 399 AktG (falsche Angaben über bestimmte dort genannte Tatsachen)176 und § 400 AktG (unrichtige Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft).177 Diese (Straf-)Tatbestände setzen jedoch Vorsatz voraus, so dass wegen des Vorsatzausschlusses für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einer dieser Vorschriften regelmäßig kein Versicherungsschutz in Form der Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen besteht (vgl. Ziff. A-7.1 AVB D&O 2020).178 Nach einer Auffassung als Schutzgesetz zugunsten von Aktionären angesehen wird darüber 78 hinaus § 92 AktG, der den Vorstand verpflichtet, bei Verlust der Hälfte des Grundkapitals unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen.179 Die besseren Gründe dürften aber gegen den Schutzgesetzcharakter von § 92 AktG sprechen.180 § 92 AktG soll (neben der Information der Aktionäre) insbesondere gewährleisten, dass die Aktionäre in der krisenhaften Situation des Verlustes der Hälfte des Grundkapitals Gelegenheit erhalten, über Maßnahmen der Krisenabwehr zu beschließen. Geschützt wird dadurch aber gerade nicht das individuelle Interesse der einzelnen Aktionäre in ihrer Eigenschaft als Teilnehmer am Kapitalmarkt, sondern ausschließlich das gemeinschaftliche Interesse aller Aktionäre, in der Hauptversammlung durch entsprechende Beschlussfassung auf die Krise reagieren zu können.181 Dem einzelnen Aktionär kommt der durch § 92 AktG bezweckte Schutz lediglich als Reflex zugute. Alleine der Umstand, dass eine unterbliebene Einberufung faktisch auch die Rechte der einzelnen Aktionäre berührt, macht sie nicht zu Schutzadressaten.182 Kein Schutzgesetz zugunsten von Anteilseignern (wohl aber zugunsten von Gesellschafts79 gläubigern, dazu unten Rn. 91 ff.) ist die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO.183 An173 174 175 176

Michalski/ Ziemons § 43 Rn. 586; Thümmel Rn. 402. Thümmel Rn. 402 f. mit weiteren denkbaren Fällen. Krieger/Schneider/Altmeppen § 7 Rn. 53; MüKo-HGB/Klinger § 331 Rn. 2. BGH 11.7.1988 – II ZR 243/87, BGHZ 105 121, 124 f.; siehe zur Schutzgesetzeigenschaft der in § 82 GmbHG (Parallelnorm zu § 399 AktG) genannten Fälle MüKo-GmbHG/Altenhain § 82 Rn. 9 f. 177 BGH 19.7.2004 – II ZR 218/03, BGHZ 160 134, 140 f. m. w. N. 178 Wenn der Vorsatzausschluss nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen nur bei wissentlicher Pflichtverletzung (dolus directus zweiten Grades) eingreift, kommt Versicherungsschutz für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 331 Nr. 1 HGB oder § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG in Betracht, da für die Haftung aus diesen Vorschriften Eventualvorsatz ausreichend ist. Darüber hinaus enthalten Unternehmens-AVB typischerweise detaillierte Regelungen, wonach bis zum Eintritt bestimmter Ereignisse – wie insbesondere der rechtskräftigen Feststellung von vorsätzlicher/wissentlicher Pflichtverletzung – vorläufig Abwehrdeckung gewährt wird. 179 GroßKo-AktG/Habersack/Foerster § 92 Rn. 31; MüKo-AktG/Spindler § 92 Rn. 21; Spindler/Stilz/Fleischer § 92 Rn. 17. 180 Hölters/Müller-Michaels § 92 Rn. 28; Hüffer/Koch/Koch § 92 Rn. 7; KöKo/Mertens/Cahn § 92 Rn. 21; Mertens AG 1983 173, 175 f. 181 Mertens AG 1983 173, 175; im Ergebnis auch Hüffer/Koch/Koch § 92 Rn. 7; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic § 92 Rn. 9. 182 Wegen dieser faktischen Beeinträchtigung für Individualschutz aber MüKo-AktG/Spindler § 92 Rn. 21. 183 Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn. 148; MüKo-GmbHG/H. F. Müller § 64 Rn. 202; implizit auch BGH 1.2.2010 – II ZR 209/08, NJW-RR 2010 1048, 1050 (zur Genossenschaft); hieran hat sich mit der Änderung von § 15a InsO durch das am 1.1.2021 in Kraft getretene SanInsFoG nichts geändert. Henzler

804

C. Außenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

sprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO können sich für Anteilseigner nur dann ergeben, wenn sie aus einem Grund, der seine Wurzel außerhalb des Mitgliedschaftsverhältnisses hat, zugleich Gläubiger der Gesellschaft sind.184

d) Problem des „Doppelschadens“. Sofern ein Unternehmensleiter im Außenverhältnis ge- 80 genüber Anteilseignern haftet, liegt in aller Regel auch eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis vor, die ihn der Gesellschaft gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet. Der Vermögensnachteil der Anteilseigner besteht dabei häufig gerade darin, dass ihre Anteile als Folge der Verminderung des Gesellschaftsvermögens ebenfalls an Wert verloren haben. Der Schaden der Anteilseigner ist in diesen Fällen mit dem Schaden der Gesellschaft identisch (Reflexschaden). Klar ist, dass der haftende Unternehmensleiter diesen Schaden nicht doppelt zu ersetzen hat. Nach richtiger Auffassung können die Anteilseigner, soweit ein Doppelschaden vorliegt, Leistung an die Gesellschaft verlangen.185 Leistung an sich selbst können Anteilseigner nur insoweit verlangen, als ihr Schaden über den Schaden der Gesellschaft hinausgeht oder von diesem unabhängig ist. Bei der Haftung aus § 117 Abs. 1, 2 AktG, § 317 Abs. 1, 3 AktG und § 318 Abs. 1 AktG entsteht dieses Konkurrenzproblem nicht, da der Ersatzanspruch der Aktionäre in diesen Fällen von vornherein auf den über den Gesellschaftsschaden hinausgehenden Schaden begrenzt ist.

2. Haftung gegenüber Anlegern (Fehlerhafte Kapitalmarktinformation) Eine Haftung von Vorstandsmitgliedern186 gegenüber Anlegern wegen fehlerhafter Kapital- 81 marktinformation kann sich sowohl aus fehlerhafter Information bei der erstmaligen Platzierung von Wertpapieren (Primärmarkt) als auch aus fehlerhafter Kommunikation gegenüber dem Kapitalmarkt ergeben, an dem der nachfolgende Handel bereits emittierter Papiere stattfindet (Sekundärmarkt). Wesentliche Haftungsgrundlage für fehlerhafte Primärmarktinformation ist die gesetzliche Prospekthaftung nach dem Wertpapierprospektgesetz (§§ 9 ff. WpPG) und dem Vermögensanlagengesetz (§§ 20 ff. VermAnlG). Für die Haftung wegen fehlerhafter Sekundärmarktinformation spielen die Ansprüche wegen fehlerhafter Ad-Hoc-Publizität eine zentrale Rolle (§§ 97, 98 WpHG). Adressat dieser Haftungsnormen ist (zumindest in erster Linie, näher dazu unten Rn. 82, 85) die Gesellschaft als Emittentin der Wertpapiere. Sind die Voraussetzungen für eine Haftung der Gesellschaft gegenüber Anlegern erfüllt, kann die Gesellschaft wegen Verstoßes gegen die Legalitätspflicht regelmäßig187 bei ihren Vorstandsmitgliedern auf der Grundlage von § 93 Abs. 2 AktG Regress nehmen. Neben einer solchen Innenhaftung der Vorstandsmitglieder kommt jedoch auch eine Außenhaftung unmittelbar gegenüber den Anlegern in Betracht, deren Tatbestände im Folgenden kurz dargestellt werden.

a) Fehlerhafte Primärmarktinformation. Als spezialgesetzliche Anspruchsgrundlage für die 82 Haftung von Vorstandsmitgliedern aufgrund fehlerhafter Primärmarktinformation kommen §§ 9 Abs. 1, 10 WpPG, 20 VermAnlG in Betracht. Nach § 9 Abs. 1 WpPG haften die Prospektverantwortlichen und Prospektveranlasser für unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Börsenzulassungsprospekt. § 10 WpPG sieht eine entsprechende Haftung für fehlerhafte Angaben in einem Prospekt für Wertpapiere vor, die nicht an einer Börse gehandelt werden. In § 20 184 BGH 1.2.2010 – II ZR 209/08, NJW-RR 2010 1048, 1050. 185 BGH 10.11.1986 – II ZR 140/85, NJW 1987 1077, 1079; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 330; Thümmel Rn. 406; Michalski/Ziemons § 43 Rn. 592 f. 186 Für Geschäftsführer stellt sich diese Haftungsfrage mangels Kapitalmarktfähigkeit der GmbH nicht. 187 Eine Ausnahme von dieser Regel kommt etwa bei fehlendem Verschulden in Betracht, z. B. wenn (falscher) rechtlicher Rat eingeholt wurde, auf den das Vorstandsmitglied vertrauen durfte; siehe oben Rn. 29. 805

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

VermAnlG ist eine vergleichbare Haftung für fehlerhafte Angaben in Prospekten für andere Anlageformen als Wertpapiere normiert, wie z. B. Anteile an geschlossenen Fonds. Zum Kreis der Prospektverantwortlichen im Sinne dieser Vorschriften kann auch ein Vorstandsmitglied der Emittentin gehören, wenn es ein eigenes geschäftliches/wirtschaftliches Interesse an der Emission hat.188 Das Herausarbeiten der genauen Voraussetzungen, unter denen ein solches Eigeninteresse vorliegt, steht allerdings noch aus. Nahe liegt ein Eigeninteresse aber jedenfalls dann, wenn Vorstandsmitglieder selbst in erheblichem Umfang Anteile an der Gesellschaft halten.189 Eine Haftung von Vorstandsmitgliedern wegen fehlerhafter Primärmarktinformation kann 83 sich zudem auf Grundlage der sog. bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung ergeben. Bei der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung geht es zum einen um den von der Rechtsprechung entwickelten Haftungstatbestand, der an die Inanspruchnahme eines typisierten Vertrauens von Anlegern auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in bestimmten Verkaufsprospekten anknüpft (Prospekthaftung im engeren Sinn) und zum anderen um die auf §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB (cic) gestützte Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens (Prospekthaftung im weiteren Sinn). Was die Prospekthaftung im engeren Sinn betrifft, diente dieser Haftungstatbestand in erster Linie der Schließung von Schutzlücken, die daraus resultierten, dass die spezialgesetzliche (börsenrechtliche) Prospekthaftung auf viele Arten von Kapitalanlagen (wie z. B. Kommanditanteile an Publikums-KGs) nicht anwendbar war. Nachdem schon §§ 13, 13a VerkProspG für die meisten dieser Anlageformen eine Haftung wegen fehlerhaftem oder fehlendem Prospekt vorsahen und sich für diese Anlageformen nunmehr in §§ 9, 10 WpPG und §§ 20, 21 VermAnlG entsprechende Haftungsnormen finden, ist der Anwendungsbereich dieser Haftung wegen typisierten Vertrauens mittlerweile schmal.190 Demgegenüber spielt die Haftung wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens (Prospekthaftung im weiteren Sinne) nach wie vor eine wesentliche Rolle. Dabei sollen nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2008 die Voraussetzungen, unter denen von einer Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens gesprochen werden kann, gegenüber dem sonst für eine Haftung von (gesetzlichen) Vertretern Erforderlichen (nämlich einer Erklärung „im Vorfeld einer Garantiezusage“, näher dazu unten Rn. 89) offenbar herabgesetzt sein.191 So hat der BGH Vorstandsmitglieder, die im Rahmen einer Präsentationsveranstaltung gegenüber Anlegern falsche Angaben machten, ohne weiteres als Vertrauensadressaten angesehen und eine Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens im Ergebnis ohne nähere Prüfung bejaht.192 Dabei soll es nach dem BGH für deren Haftung noch nicht einmal darauf ankommen, ob die falschen Angaben in einem Prospekt oder nur in zusätzlich erteilten mündlichen Informationen enthalten waren.193 Ob mit dieser Entscheidung eine generelle Ausweitung der Prospekthaftung im weiteren Sinn bezweckt ist oder ob es sich um eine Einzelentscheidung handelt, bleibt abzuwarten.194 84 Bei fehlerhafter Information des Primärmarkts kommt schließlich eine Haftung der Vorstandsmitglieder aus § 826 BGB wegen bewusst unrichtiger Auskunft oder bewusst mangelhafter Aufklärung in Betracht.195 Die Haftung aus § 826 BGB setzt jedoch Vorsatz sowohl hinsichtlich der Schädigung als auch hinsichtlich der Schadensfolgen voraus,196 so dass aufgrund des 188 Groß Kapitalmarktrecht § 9 WpPG Rn. 35; siehe zur Vorgängernorm von § 44 Abs. 1 BörsG Fleischer Vorstandsrecht § 14 Rn. 15; Spindler/Christoph BB 2004 2197.

189 Vgl. Fleischer Vorstandsrecht § 14 Rn. 16, der eine Haftung jedenfalls dann annehmen will, wenn Vorstandsmitglieder durch Platzierung von Aktienpaketen sogleich „Kasse machen“. Thümmel Rn. 413; Spindler NJW 2004 3449, 3455; vgl. auch BTDrucks. 15/3174 S. 44. BGH 2.6.2008 – II ZR 210/06, NZG 2008 661. BGH 2.6.2008 – II ZR 210/06, NZG 2008 661, 662 f. BGH 2.6.2008 – II ZR 210/06, NZG 2008 662 f.; von „Prospekthaftung“ (im weiteren Sinn) kann im letzteren Falle allerdings schwerlich gesprochen werden. 194 Nach Krieger/Schneider/Krämer/Gillessen § 32 Rn. 37 handelt es sich um eine Entscheidung mit „Sprengkraft“. 195 Vgl. BGH 19.7.2004 – II ZR 218/03, BGHZ 160 149, 157 f.; Überblick bei Krieger/Schneider/Krämer/Gillessen § 32 Rn. 45 ff. 196 BGH 20.11.1990 – VI ZR 6/90, NJW 1991 634, 636; MüKo-BGB/Wagner § 826 Rn. 27.

190 191 192 193

Henzler

806

C. Außenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

Vorsatzausschlusses regelmäßig kein Versicherungsschutz in Form der Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen besteht (nach Ziff. A-7.1 AVB D&O 2020 jedenfalls wegen vorsätzlicher Schadensverursachung).197

b) Fehlerhafte Sekundärmarktinformation. Eine Außenhaftung von Vorstandsmitgliedern 85 wegen fehlerhafter Sekundärmarktinformation kann sich aus Deliktsrecht ergeben. Die zentralen Haftungsnormen wegen fehlerhafter Ad-Hoc-Publizität aus § 97 WpHG (unterlassene Veröffentlichung von Insiderinformationen) und § 98 WpHG (Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen) begründen allerdings ausschließlich eine Haftung des Emittenten (also der Gesellschaft). Das strafrechtliche Verbot der Marktmanipulation aus § 119 WpHG richtet sich hingegen an jedermann, also auch an Organmitglieder des Emittenten.198 § 119 WpHG stellt allerdings kein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB dar, weil dieses Verbot auf den Schutz der Funktionsfähigkeit des Wertpapiermarkts gerichtet und nicht dem Schutz individueller Anlegerinteressen zu dienen bestimmt ist.199 Als Grundlage einer Haftung von Vorstandsmitgliedern wegen fehlerhafter Ad-Hoc-Information oder marktmanipulierenden Verhaltens verbleibt damit lediglich § 826 BGB.

c) Fehlerhafte Regelpublizität. Neben fehlerhafter Primär- und Sekundärmarktinformation 86 kann sich eine Haftung gegenüber Anlegern auch aus fehlerhafter Regelpublizität ergeben. Mit Regelpublizität sind dabei die in bestimmten zeitlichen Abständen zu veröffentlichenden Unternehmensberichte, wie z. B. der Jahresabschluss gemeint. In Betracht kommt eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 331 Nr. 1 HGB oder i. V. m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Diese Normen sind Schutzgesetze nicht nur zugunsten von Aktionären, sondern auch zugunsten von (potentiellen) Anlegern.200 Beide Haftungstatbestände setzen jedoch Vorsatz voraus, so dass auch hier wegen des Vorsatzausschlusses regelmäßig kein Versicherungsschutz in Form der Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen besteht.201 3. Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern Für Gesellschaftsgläubiger können sich Schadensersatzansprüche gegenüber Unternehmenslei- 87 tern insbesondere aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (cic) und Insolvenzverschleppung ergeben. Neben diesen Haftungstatbeständen kommt auch eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB (siehe dazu allgemein unten Rn. 95) oder § 826 BGB in Betracht.

197 Soweit der Vorsatzausschluss nach den einschlägigen AVB unabhängig vom Vorsatzgrad bezüglich der Pflichtverletzung immer dann eingreift, wenn der Schaden vorsätzlich verursacht wurde, scheidet Versicherungsschutz in Form der Freistellung von Ansprüchen aus § 826 BGB aus, da eine Haftung nach dieser Vorschrift eine solche vorsätzliche Schadensverursachung voraussetzt. Wenn der Vorsatzausschluss der einschlägigen AVB dagegen ausschließlich auf den Vorsatzgrad der Pflichtverletzung abstellt und in dieser Hinsicht eine wissentliche Pflichtverletzung (dolus directus zweiten Grades) verlangt, kommt Versicherungsschutz bei Ansprüchen aus § 826 BGB auch in Form der Freistellung in Betracht, weil für die Haftung aus § 826 BGB Eventualvorsatz ausreichend ist. 198 Assmann/Schütze/Buck-Heeb/Worms § 10 Rn. 91. 199 Assmann/Schütze/Buck-Heeb/Worms § 10 Rn. 106; Assmann/Schütze/Buck-Heeb/Fleischer § 6 Rn. 13 siehe zur Vorgängernorm von § 20a WpHG BGH 13.12.2011 – XI ZR 51/10, NJW 2012 1800, 1802 f.; Spindler NZG 2012 575, 576. 200 BGH 19.7.2004 – VI ZR 6/90, BGHZ 160 134, 140 f.; Assmann/Schütze/Buck-Heeb/Fleischer § 6 Rn. 60; vgl. oben Rn. 77. 201 Anders als bei der Haftung aus § 826 BGB muss sich der Vorsatz bei diesen Haftungsgrundlagen allerdings nicht auch auf die Schadensverursachung beziehen; siehe näher oben bei Rn. 84. 807

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

88 a) Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (cic). Nimmt ein Dritter Vertragsverhandlungen mit der Gesellschaft auf, ist Adressatin einer cic-Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB grundsätzlich die Gesellschaft selbst als diejenige, die Vertragspartei werden soll. Wie sich aus § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB ergibt, können bei Verletzung vorvertraglicher (Aufklärungs-)Pflichten unter bestimmten Voraussetzungen aber auch die Unternehmensleiter (statt oder neben der Gesellschaft)202 haften. Diskutiert werden dabei die Fallgruppen der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens (§ 311 Abs. 3 Satz 2 BGB) und des Vorliegens eines besonderen wirtschaftlichen Eigeninteresses.203 Da den Gesellschaftsgläubigern nach dem Gesetz grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen als Haftungsmasse zur Verfügung steht und nicht auch das Vermögen der Gesellschaftsorgane oder der Gesellschafter (für die GmbH wird Letzteres in § 13 Abs. 2 GmbHG ausdrücklich hervorgehoben), muss eine solche Haftung auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben. Bei einer cic-Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB handelt es sich um eine solche aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen i. S. v. Ziff. A-1 AVB D&O 2020, weil die Haftungsfolge (anders als z. B. bei einer Vertragsstrafenvereinbarung oder einer Garantiezusage) nicht an den Willen der Beteiligten knüpft.204

89 aa) Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens. Für die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens bei dem Vertragspartner reicht das normale Verhandlungsvertrauen nicht aus.205 Ebenso wenig ausreichend ist der bloße Hinweis des Unternehmensleiters auf seine besondere Sachkunde.206 Zu einer Haftung des Unternehmensleiters kommt es vielmehr nur dann, wenn der Verhandlungspartner der Gesellschaft gegenüber nicht genügend Vertrauen für einen Vertragsschluss entgegen bringt und der Unternehmensleiter bei dem Verhandlungspartner den Eindruck erweckt, durch ihn selbst werde dieses Vertrauensdefizit kompensiert.207 Das kommt etwa dann in Betracht, wenn der Unternehmensleiter erklärt, persönlich für eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung durch die Gesellschaft zu sorgen.208 Dementsprechend wird formuliert, dass eine Erklärung des Unternehmensleiters „im Vorfeld einer Garantiezusage“ erforderlich sei.209

90 bb) Besonderes wirtschaftliches Eigeninteresse. In der Rechtsprechung wurde eine Haftung des Unternehmensleiters auch dann bejaht, wenn er ein besonderes wirtschaftliches Eigeninteresse am Zustandekommen des Vertrages hatte und „gleichsam in eigener Sache“ handelte.210 Durch die neuere BGH-Rechtsprechung wurde der Anwendungsbereich dieser Fallgruppe jedoch stark eingeschränkt. So hat der BGH – in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung211 – insbesondere klargestellt, dass ein wirtschaftliches Eigeninteresse des Unternehmensleiters nicht schon deshalb angenommen werden darf, weil er gleichzeitig Mehrheits- oder Alleingesellschafter ist.212 Nicht ausreichend ist auch ein sich aus dem Geschäftsabschluss für 202 BGH 24.4.1978 – II ZR 172/76, BGHZ 71 284, 286 f. 203 GroßKo-AktG/Hopt/Roth § 93 Rn. 652 ff.; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 345 ff.; MüKo-BGB/Emmerich § 311 Rn. 192.

204 Vgl. Bruck/Möller/Armbrüster AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 50 u. 63 f.; Lange D&O-Versicherung § 8 Rn. 27; Prölss/ Martin/Lücke AHB Abs. 1 Ziff. 1 Rn. 6. BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126 181, 189 m. w. N.; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 345. Lutter/Hommelhoff/Kleindiek § 43 Rn. 75; BGH 3.10.1989 – XI ZR 157/88, GmbHR 1990 31, 32 f. GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 345; OLG Zweibrücken 25.10.2001 – 4 U 71/00, NZG 2002 423 f. OLG Zweibrücken 25.10.2001 – 4 U 71/00, NZG 2002 423 f.; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 345. BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126 181, 189; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 345; MüKo-BGB/Emmerich § 311 Rn. 192. 210 BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126 181, 184 f.; BGH 16.3.1992 – II ZR 152/91, WM 1992 735; BGH 23.10.1985 – VIII ZR 210/84, NJW 1986 586, 587. 211 Vgl. etwa BGH 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, NJW 1983 676, 677. 212 BGH 7.11.1994 – II ZR 108/93, NJW 1995 398, 399; BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126 181, 184 f.

205 206 207 208 209

Henzler

808

C. Außenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

den Unternehmensleiter ergebender Provisionsanspruch oder der Umstand, dass der Unternehmensleiter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern Sicherheiten aus eigenem Vermögen gestellt hat.213 Somit bleibt für die Haftung des Unternehmensleiters wegen besonderen wirtschaftlichen Eigeninteresses nur wenig Raum.214 In Betracht kommt sie etwa in Fällen, in denen der Unternehmensleiter schon bei Vertragsschluss die Absicht hatte, die Leistung des Vertragspartners an der Gesellschaft vorbei für sich zu nutzen.215

b) Haftung wegen Insolvenzverschleppung. Die Insolvenzantragspflicht ist rechtsformüber- 91 greifend in § 15a Abs. 1 InsO normiert.216 Nach ganz überwiegender Auffassung handelt es sich bei der Insolvenzantragspflicht um ein Schutzgesetz zugunsten der Gesellschaftsgläubiger, so dass sich Unternehmensleiter ihnen gegenüber nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO schadensersatzpflichtig machen, wenn sie ihre Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags verletzen.217

aa) Voraussetzungen der Insolvenzverschleppungshaftung. § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet 92 die Unternehmensleiter, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber innerhalb von drei Wochen nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit (definiert in § 17 Abs. 2 InsO) oder innerhalb von sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung (definiert in § 19 Abs. 2 InsO) Insolvenzantrag zu stellen.218 Bei diesen Fristen handelt es sich jeweils um Höchstfristen, die nur dann ausgeschöpft werden dürfen, wenn Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung besteht und Sanierungsmaßnahmen tatsächlich ergriffen werden.219 Unter welchen Voraussetzungen die Antragsfrist zu laufen beginnt, wird nicht einheitlich beurteilt. Umstritten ist insbesondere, inwieweit subjektive Elemente zu berücksichtigen sind.220 Der Wortlaut von § 15a Abs. 1 InsO, der für den Fristbeginn auf den Einritt des Insolvenzgrundes (Zahlungsfähigkeit/Überschuldung) abstellt und kein subjektives Element enthält, spricht eindeutig für eine objektive Auslegung. Mögliche Milderungen für den Unternehmensleiter sollten richtigerweise allein auf der Verschuldensebene unter dem Gesichtspunkt der Erkennbarkeit der 213 BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126 181, 186 f.; BGH 16.3.1992 – II ZR 152/91, NJW-RR 1992 1061 f.; Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek § 43 Rn. 76; Thümmel Rn. 378. 214 Thümmel Rn. 378; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 347; Baumbach/Hueck/Beurskens § 43 Rn. 128. 215 BGH 23.10.1985 – VIII ZR 210/84, NJW 1986 586, 587; GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 347. 216 Durch das am 1.1.2021 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) wurde der Tatbestand von § 15a Abs. 1 InsO dahin geändert, dass die Antragsfrist im Falle der Überschuldung nunmehr sechs Wochen statt wie bisher für beide Fälle von Insolvenzreife einheitlich drei Wochen beträgt. Geschaffen wurde die Regelung von § 15a InsO durch das am 1.11.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), zuvor war die Insolvenzantragspflicht in den Gesetzen über die jeweilige Gesellschaftsform statuiert, z. B. in § 92 Abs. 2 AktG a. F. und § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. 217 Zu § 64 GmbHG a. F. bereits BGH 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29 100, 102 ff.; zu § 15a Abs. 1 InsO MüKoGmbHG/H.F.Müller § 64 Rn. 199; Spindler/Stilz/Fleischer § 92 Rn. 73. 218 Der Überschuldungstatbestand von § 19 Abs. 2 InsO wurde durch das SanInsFoG modifiziert. In der zum 1.1.2021 in Kraft getretenen Neufassung wird der maßgebliche Zeitraum für die Fortführungsprognose nunmehr auf zwölf Monate festgelegt; vgl. zur unklaren und umstrittenen Lage nach altem Recht z. B. MüKo-InsO/Drukarczyk/ Schüler § 19 Rn. 96 f.; der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit ist demgegenüber unverändert geblieben, vgl. dazu z. B. MüKo-InsO/Eilenberger § 17 Rn. 6 ff. 219 Vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs zum SanInsFoG in BTDrucks. 19/24181 S. 195; MüKo-InsO/ Klöhn § 15a Rn. 117. 220 In der Begründung des Regierungsentwurfs zum SanInsFoG findet sich zu dieser Frage nichts (BTDrucks. 19/ 24181 S. 193); manche Stimmen in der Literatur meinen allerdings, dass schon seit Einführung von § 15a InsO durch das MoMiG im Jahr 2008 kein Raum mehr für die Berücksichtigung subjektiver Elemente sein soll; so z. B. ausdrücklich Michalski/Nerlich Anh. § 64 Rn. 32; a. A. Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn. 164 f. 809

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

Insolvenzreife vorgenommen werden.221 Die Frist endet spätestens mit Ablauf von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung. Bis dahin muss entweder Insolvenzantrag gestellt oder der Insolvenzgrund (nachhaltig) beseitigt sein.222

93 bb) Rechtsfolgen der Insolvenzverschleppungshaftung. Die Gläubiger sind so zu stellen, wie sie bei rechtzeitiger Antragstellung stünden. Somit ist zwischen Altgläubigern (also solchen Gläubigern, die bereits vor Eintritt der Insolvenzreife Gläubiger waren) und Neugläubigern (also Gläubigern, die erst nach Eintritt der Insolvenzreife Gläubiger wurden) zu unterscheiden. Bei Letzteren ist wiederum danach zu differenzieren, ob es sich bei ihnen um Vertrags- oder Deliktsgläubiger handelt. Altgläubiger können nur den sog. Quotenschaden ersetzt verlangen, also den Betrag, um den sich die Insolvenzquote durch die verspätete Antragstellung verschlechtert hat. Neugläubiger, denen vertragliche Ansprüche gegen die Gesellschaft zustehen, können hingegen ihren vollen Kontrahierungsschaden ersetzt verlangen. Sie sind also so zu stellen, als ob sie nicht mit der Gesellschaft kontrahiert hätten. Auszugleichen ist also das negative Interesse.223 Dabei sind sie nicht darauf verwiesen, von ihrem Kontrahierungsschaden die auf sie entfallende Insolvenzquote (die erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens feststeht) abzuziehen, sondern können vollen Ersatz vom Unternehmensleiter verlangen und haben ihm lediglich gemäß § 255 BGB im Gegenzug ihren Insolvenzanspruch abzutreten.224 Neugläubiger aus Delikt haben dagegen nach der Rechtsprechung genauso wie Altgläubiger lediglich Anspruch auf Ersatz des Quotenschadens.225 Zur Begründung stellt der BGH darauf ab, dass der Zweck der Insolvenzantragspflicht nicht darin bestehe, Gläubiger davor zu bewahren, nach Insolvenzeintritt Opfer eines Deliktes zu werden.226 Ganz konsequent erscheint diese Argumentation allerdings nicht, da offen bleibt, warum dann überhaupt Schadensersatz (nämlich Ersatz des Quotenschadens) geleistet werden soll. In den meisten Fällen wird sich eine Begrenzung des Schadens auf den Quotenschaden allerdings ohnehin schon aus Kausalitätsüberlegungen ergeben, da eine deliktische Schädigung auch bei rechtzeitiger Antragstellung regelmäßig nicht ausgeschlossen, sondern lediglich die dem Deliktsgläubiger zur Verfügung stehende Haftungsmasse größer gewesen wäre.227 94 Geltend gemacht wird der Schadensersatzanspruch der Altgläubiger im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 92 InsO vom Insolvenzverwalter, im Fall der masselosen Insolvenz von den Gläubigern selbst. Neugläubiger sind dagegen selbst zur Geltendmachung ihrer Ansprüche berufen und zwar unabhängig davon, ob es zur Insolvenzeröffnung kommt

221 Für eine rein objektive Bestimmung auch MüKo-InsO/Klöhn § 15a Rn. 119; GroßKo-GmbHG/Casper § 64 Rn. 160; die praktischen Unterschiede zu der mit dem Wortlaut von § 15a Abs. 1 InsO schwer zu vereinbarenden Auffassung, welche die Frage der Erkennbarkeit bereits auf der Ebene des Fristbeginns berücksichtigen will, dürften dann tatsächlich eher gering sein, wenn man für den Fristbeginn darauf abstellt, dass Insolvenzreife „objektiv zutage tritt“; so Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn. 164 f. 222 MüKo-InsO/Klöhn § 15a Rn. 120; GroßKo-GmbHG/Casper § 64 Rn. 70. 223 BGH 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012 1455, 1457; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller § 64 Rn. 207. 224 BGH 5.2.2007 – II ZR 234/05, GmbHR 2007 482, 485; Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn. 187; MüKo-GmbHG/H.F. Müller § 64 Rn. 210. 225 BGH 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164 50; ebenso MüKo-GmbHG/H.-F. Müller § 64 Rn. 207; a. A. GroßKoGmbHG/Casper § 64 Rn. 180. 226 BGH 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164 50, 61 f. 227 Ganz auf diese (wohl aber nicht in jedem Fall tragende) Kausalitätsüberlegung abstellend GroßKo-GmbHG/ Casper § 64 Rn. 180; der BGH 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164 50, 62 lehnt eine „bloße Kausalitätsbetrachtung“ dagegen ausdrücklich ab, da sie nach seiner Ansicht „auf eine Haftung für Zufallsschäden“ hinausliefe. Henzler

810

C. Außenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird.228 § 92 InsO ist auf Neugläubiger mangels Vorliegens eines Gesamtschadens nicht anwendbar.

4. Haftung gegenüber sonstigen Dritten a) Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB. Eine Haftung von Unternehmensleitern gegenüber sonsti- 95 gen Dritten kann sich – genauso wie gegenüber den oben gesondert dargestellten Gläubigergruppen – aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben. Das ist unproblematisch, soweit die Verletzung der durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter des Dritten unmittelbar durch eigenes Verhalten des Unternehmensleiters selbst erfolgt. Umstritten ist dagegen, ob Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Unternehmensleiter auch dann in Betracht kommen, wenn die Rechtsgutverletzung auf einer unzureichenden Organisation des Unternehmens beruht. Der BGH hat im sog. „Baustoff“-Urteil eine deliktische Eigenhaftung des Unternehmensleiters bejaht und entschieden, dass die von der Gesellschaft zum Schutz absoluter Rechtsgüter zu beachtenden Pflichten auch den Unternehmensleiter träfen, da er einer sich aus den ihm obliegenden organisatorischen Aufgaben ergebenden „Garantenpflicht“ unterliege.229 Von vielen Stimmen in der Literatur wird diese Rechtsprechung insbesondere unter Verweis auf den Grundsatz der Haftungskonzentration auf das Gesellschaftsvermögen und die Gefahr einer ausufernden Haftung als zu weitgehend abgelehnt.230 Dieser Fragenkreis soll hier aber nicht vertieft werden, da D&OVersicherungen für Personen- und Sachschäden in aller Regel keinen Versicherungsschutz bieten (vgl. die Bestimmung von Ziff. A-1 AVB D&O 2020) und der Bereich versicherter Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB daher schmal ist.231 In Betracht kommt Versicherungsschutz aber bei einem rechtswidrigen Eingriff in den von 96 § 823 Abs. 1 BGB geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb,232 den der BGH etwa in der Entscheidung „Kirch/Deutsche Bank und Breuer“233 angenommen hat. Hier hatte der BGH in den Äußerungen des damaligen Vorstandssprechers der Deutschen Bank, die sich auf die Kreditwürdigkeit des Kirch-Konzerns bezogen, (in Bezug auf eine der Kirch-Gesellschaften) einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gesehen und dessen Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB bejaht.

b) Haftung aus §§ 69, 34 AO. Gegenüber der öffentlichen Hand kann sich eine persönliche 97 Haftung von Unternehmensleitern aus §§ 69, 34 AO ergeben. Danach haften u. a. die gesetzlichen Vertreter von juristischen Personen persönlich für Steuerverbindlichkeiten der Gesellschaft, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis mit der Gesellschaft infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten steuerlichen Pflichten nicht oder 228 BGH 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138 211, 214 ff.; BGH 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008 361; Michalski/ Nerlich Anh. § 64 Rn. 63; Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn. 189; a. A. GroßKo-GmbHG/Casper § 64 Rn. 163 ff. nach dem der Insolvenzverwalter entsprechend § 92 InsO zur Durchsetzung desjenigen Teils des Schadens der Neugläubiger befugt sein soll, der dem Quotenschaden entspricht und nur die Durchsetzung des weitergehenden Individualschadens den Gläubigern selbst obliegen soll. 229 BGH 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109 297, 302 ff.; vgl. auch die Entscheidung BGH 10.7.2012 – VI ZR 341/ 10, NJW 2012 3439 ff., von der Schirmer NJW 2012 3398, 3400 meint, dass viel dafür spreche, dass der BGH durch sie seine „Baustoff“-Rechtsprechung der Sache nach aufgegeben habe; ob dies tatsächlich der Fall ist, ist jedoch zweifelhaft. Eine ausdrückliche Aufgabe erfolgte in diesem Urteil jedenfalls nicht (dies konstatiert auch Schirmer a. a. O.). 230 GroßKo-GmbHG/Paefgen § 93 Rn. 357 ff.; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek § 43 Rn. 86 ff.; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 316 f.; grundsätzlich zustimmend dagegen Altmeppen GmbHG § 43 Rn. 61. 231 Vgl. zum versicherungsvertraglichen Begriff des Vermögensschadens Lange D&O-Versicherung § 8 Rn. 35 ff. 232 Vgl. Bruck/Möller/Armbrüster AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 80. 233 BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166 84. 811

Henzler

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

nicht richtig festgesetzt oder nicht oder nicht richtig erfüllt werden. Grobe Fahrlässigkeit des Geschäftsleiters liegt dabei auch dann vor, wenn er sich – auch nach angemessener Einarbeitungszeit – nicht mit den einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften vertraut gemacht hat.234 Tritt bei der Gesellschaft Insolvenzreife (also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) ein, stellt sich die Frage, wie der Konflikt zwischen der mit der persönlichen Haftung aus §§ 69, 34 AO bewehrten Pflicht zur Steuerabführung einerseits und der Pflicht zur Masseerhaltung (Zahlungsverbot) andererseits für den Geschäftsleiter aufzulösen ist. In Abs. 8 der durch das SanInsFoG mit Wirkung zum 1.1.2021 neu geschaffenen Bestimmung von § 15b InsO wird dieser Konflikt nun abweichend von der vorherigen Rechtslage dahin aufgelöst, dass das steuerrechtliche Abführungsgebot grundsätzlich hinter die Massesicherungspflicht (das Zahlungsverbot) zurücktritt.235 Das gilt freilich nur in der Phase fehlender Insolvenzverschleppung, also in der Zeit zwischen Eintritt der Insolvenzreife und Ablauf der Antragsfrist nach § 15a Abs. 1 InsO. Ist die Antragsfrist nach § 15a Abs. 1 InsO abgelaufen, gibt es keine aufzulösende Pflichtenkollision mehr, sondern bleibt dem Geschäftsleiter zur Haftungsvermeidung allein der Weg der Antragstellung. Für nach Ablauf der Antragsfrist nicht erfüllte Steuerverbindlichkeiten bleibt es daher grundsätzlich bei der Haftung aus §§ 69, 34 AO.236 Unberührt von § 15b Abs. 8 InsO bleibt die Haftung des Geschäftsleiters aus §§ 69, 34 AO für diejenigen nicht abgeführten Steuern, die bereits vor Eintritt der Insolvenzreife entstanden sind. 98 Unter einer D&O-Versicherung besteht für Ansprüche aus §§ 69, 34 AO dann kein Versicherungsschutz, wenn der Gegenstand der Versicherung auf die Inanspruchnahme aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen des Privatrechts begrenzt ist. Eine solche Begrenzung des Versicherungsschutzes auf privatrechtliche Haftpflichtbestimmungen findet sich in Unternehmens-AVB jedoch selten.237 Ziff. 1.1 Abs. 1 AVB-AVG 2011 sah eine solche Einschränkung noch vor. In Ziff. A-1 AVB D&O 2020 findet sie sich dagegen – wie schon in Ziff. 1.1 Abs. 1 AVB-AVG 2013 – nicht mehr.

99 c) Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB. Gegenüber dem Sozialversicherungsträger kann sich eine Haftung von Unternehmensleitern aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge ergeben. § 266a StGB ist nach überwiegender Auffassung Schutzgesetz zugunsten des Sozialversicherungsträgers.238 Der Wortlaut von § 266a StGB nennt als möglichen Täter zwar ausschließlich den Arbeitgeber (hier also die Gesellschaft), nach der Rechtsprechung des BGH ergibt sich die zivilrechtliche Haftung des Unternehmensleiters jedoch – parallel zu seiner strafrechtlichen Verantwortung – aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB.239 Die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB setzt vorsätzliches Handeln voraus, so dass wegen des Vorsatzausschlusses (vgl. Ziff. A-7.1 AVB D&O 2020) regelmäßig kein 234 BFH 31.3.2000 – VII B 187/99, GmbHR 2000 1211, 1212 f; Krieger/Schneider/Hick § 36 Rn. 15. 235 Siehe die Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages BTDrucks. 19/25353 S. 11 f. Im Regierungsentwurf war die Regelung von § 15b Abs. 8 InsO noch nicht enthalten, vgl. BTDrucks. 19/24181; siehe zur alten Rechtslage nach BGH- und BFH-Rechtsprechung z. B. MüKo-GmbHG/H.-F. Müller § 64 Rn. 155; GroßKo-GmbHG/Casper § 64 Rn. 124; BGH 25.1.2011 – II ZR 196/09, NZG 2011 303 ff.; BFH 27.2.2007 – VII R 67/05, NZG 2007 953 ff. 236 In § 15b Abs. 8 Satz 2 InsO ist geregelt, dass der Geschäftsleiter im Fall einer verspäteten Antragstellung für solche Steuerverbindlichkeiten nicht mehr haften soll, die erst nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung fällig werden. Für vorher fällig gewordene Steuerverbindlichkeiten, also insbesondere alle vor Antragstellung fällig gewordenen, haftet er demgegenüber. Auch im Falle der masselosen Insolvenz gilt die Privilegierung von § 15b Abs. 8 Satz 1 InsO nicht, vgl. § 15b Abs. 8 Satz 3 InsO. 237 Vgl. Bruck/Möller/Armbrüster AVB D&O Ziff. A-1 Rn. 100. 238 BGH 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133 370, 374; BGH 18.4.2005 – II ZR 61/03, NJW 2005 2546, 2547; Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek § 43 Rn. 91; Thümmel Rn. 437; kritisch gegenüber der Einordnung als Schutzgesetz dagegen GroßKo-GmbHG/Paefgen § 43 Rn. 397. 239 BGH 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133 370, 374; MüKo-GmbHG/Fleischer § 43 Rn. 356. Henzler

812

C. Außenhaftung

AVB D&O Anhang zu A-1

Versicherungsschutz in Form der Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen besteht. Zur Auflösung der Pflichtenkollision, die sich im Falle der Insolvenzreife der Gesellschaft zwischen der Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen einerseits und der Pflicht zur Masseerhaltung (Zahlungsverbot) andererseits ergibt, bietet sich eine analoge Anwendung von § 15b Abs. 8 InsO an.240

II. Außenhaftung von Aufsichtsratsmitgliedern Für Aufsichtsratsmitglieder gilt – wie für Unternehmensleiter – der Grundsatz der Innenhaftung (§§ 116, 93 AktG). Ihre Hauptpflicht, die Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG) besteht nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber Aktionären, Gesellschaftsgläubigern oder sonstigen Dritten. Im Vergleich zur Außenhaftung von Unternehmensleitern ist der Anwendungsbereich der Außenhaftung von Aufsichtsratsmitgliedern dadurch wesentlich eingeschränkt, dass ihr Wirken im Wesentlichen241 nach innen gerichtet ist. Gleichwohl können sich auch Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten schadensersatzpflichtig machen. Als spezialgesetzliche Haftungsnorm kommt dabei § 117 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG in Betracht (siehe oben Rn. 75). Darüber hinaus können auch Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Gesellschaftsgläubigern aus cic nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB haften. Dabei werden allerdings die Voraussetzungen für eine solche Haftung (insbesondere eine Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens) schon wegen der regelmäßig242 fehlenden Handlungsbefugnis für die Gesellschaft (§ 76 Abs. 1, § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG) bei ihnen sehr viel seltener vorliegen als bei Unternehmensleitern.243 Eine deliktische Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern kann sich zudem aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz ergeben. Schutzgesetze zugunsten von Aktionären, Anlegern und sonstigen Dritten sind z. B. §§ 331 Nr. 1 HGB, 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG (siehe bereits oben Rn. 77, 86). In diesen Vorschriften sind Aufsichtsratsmitglieder ausdrücklich als taugliche Täter genannt. Allerdings setzen sowohl § 331 Nr. 1 HGB als auch § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG vorsätzliches Handeln voraus, so dass wegen des Vorsatzausschlusses (vgl. Ziff. A-7.1 AVB D&O 2020) regelmäßig kein Versicherungsschutz in Form der Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen besteht. Bei anderen Schutzgesetzen, wie der Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 1 InsO) oder der Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen, sind dagegen nur die Unternehmensleiter Pflichtenträger. Aufsichtsratsmitglieder können insoweit nur als Anstifter oder Gehilfen des Unternehmensleiters haften (§ 830 Abs. 2 BGB). Für die Teilnehmerhaftung gelten grundsätzlich die strafrechtlichen Regeln, wonach die Haftung eine vorsätzliche Teilnahme an einer vorsätzlich rechtswidrigen Haupttat voraussetzt.244 Einige Stimmen fordern zwar, dass für die zivilrechtliche Teilnehmerhaftung auf das Erfordernis einer vorsätzlichen Haupttat verzichtet werden und auch eine fahrlässige Haupttat ausreichend sein müsse.245 Dass aber der Teilnehmerbeitrag – also die Anstiftungs- oder Beihilfehandlung – selbst vorsätzlich erbracht sein muss, dürfte unstreitig sein.246 Somit setzt die Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern wegen Anstiftung oder Beihilfe auch dann vorsätzliches Handeln der Aufsichtsratsmitglieder voraus, 240 So Bitter ZIP 2021 321, 328; Arens GWR 2021 64, 67. 241 Eine Ausnahme stellt z. B. die Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand nach § 112 AktG dar, wobei hier allerdings der „Dritte“ als Vorstandsmitglied wiederum der Gesellschaft zugehörig ist. 242 Siehe die vorherige Fn. 243 Krieger/Schneider/Altmeppen § 7 Rn. 81. 244 BGH 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005 1734, 1376 f.; MüKo-BGB/Wagner § 830 Rn. 21 ff.; Krieger/Schneider/ Altmeppen § 7 Rn. 84. 245 Ehricke ZGR 2000 351, 359 ff.; Kübler ZGR 1995 481, 503. 246 Für Vorsatzerfordernis beim Teilnehmer auch Ehricke ZGR 2000 351, 357; Kübler ZGR 1995 481, 503. 813

Henzler

100

101

102

103

Anhang zu A-1: AVB D&O

Überblick über die Haftung von Organmitgliedern

wenn für die Haftung des angestifteten oder unterstützten Unternehmensleiters bereits Fahrlässigkeit genügt, wie dies etwa bei der Haftung wegen Insolvenzverschleppung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO der Fall ist. Bei einer Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern wegen Anstiftung oder Beihilfe besteht somit wegen des Vorsatzausschlusses zumeist247 kein Versicherungsschutz. Dasselbe gilt für mögliche Ansprüche aus § 826 BGB (nach Ziff. A-7.1 AVB D&O jedenfalls wegen vorsätzlicher Schadensverursachung).248 Insgesamt ist die Bandbreite von versicherten Außenhaftungsansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder gering.

247 Siehe oben Fn. 178. 248 Siehe oben Fn. 197. Henzler

814

A-2 Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip) Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages oder einer sich ggf. hieran anschließenden Nachmeldefrist. Im Sinne dieses Vertrages ist ein Haftpflichtanspruch geltend gemacht, wenn gegen eine versicherte Person ein Anspruch schriftlich erhoben wird oder ein Dritter dem Versicherungsnehmer, einer Tochtergesellschaft oder der versicherten Person schriftlich mitteilt, einen Anspruch gegen eine versicherte Person zu haben.

Schrifttum (s. zunächst Schrifttum Einf. AVB D&O) Baumann Versicherungsfall und zeitliche Abgrenzung des Versicherungschutzes in der D&O-Versicherung, NZG 2010 1366; ders. AGB-rechtliche Inhaltskontrollfreiheit des Claims-made-Prinzips? Zugleich Grundsatzbetrachtungen zum Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung, VersR 2012 1461; R. Koch Das Claims-made-Prinzip in der D&O-Versicherung auf dem Prüfstand der AGB-Inhaltskontrolle, VersR 2011 295; Kubiak Zur AGB-Kontrolle der Versicherungsfalldefinition und zu den Auswirkungen auf das Claims-made-Prinzip in der D&O-Versicherung, VersR 2014 932; Lange Der Versicherungsfall in der D&O-Versicherung, RuS 2006 177; Loritz/Hecker Das Claims-madePrinzip in der D&O-Versicherung und das deutsche AGB-Recht, VersR 2012 385; Pataki Der Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung – Grenzen eines Definitionsversuchs am Beispiel der „Claims-made“-Theorie, VersR 2004 835; Schimikowski Claims made – ein geeignetes Prinzip für Haftpflichtversicherungen im Heilwesenbereich, VersR 2010 1533; Schramm Das Anspruchserhebungsprinzip (2009); Steinkühler/Kassing Das Claims-Made-Prinzip in der D&O-Versicherung und die Auslegung der Begriffe Anspruchs- sowie Klageerhebung, VersR 2009 607; Graf von Westphalen Wirksamkeit des Claims-made-Prinzips in der D&O-Versicherung, VersR 2011 145. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-2 Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

Ziff. 2 Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages oder einer sich ggf. hieran anschließenden Nachmeldefrist. Im Sinne dieses Vertrages ist ein Haftpflichtanspruch geltend gemacht, wenn gegen eine versicherte Person ein Anspruch schriftlich erhoben wird oder ein Dritter dem Versicherungsnehmer, einer Tochtergesellschaft oder der versicherten Person schriftlich mitteilt, einen Anspruch gegen eine versicherte Person zu haben.

Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages. Im Sinne dieses Vertrages ist ein Haftpflichtanspruch geltend gemacht, wenn gegen eine versicherte Person ein Anspruch schriftlich erhoben wird oder ein Dritter der Versicherungsnehmerin, einer Tochtergesellschaft oder der versicherten Person schriftlich mitteilt, einen Anspruch gegen eine versicherte Person zu haben.

Übersicht 1

A.

Grundlagen

I.

Überblick

II. 1. 2.

4 Rechtliche Zulässigkeit 4 Ausgangspunkt 5 AGB-Kontrolle 5 a) Ausgangspunkt 7 b) Einbeziehungskontrolle c) Materielle Wirksamkeitskontrolle

1

815 https://doi.org/10.1515/9783110522662-032

d) e) III.

aa) Kontrollfähigkeit 8 bb) Verstoß gegen ges. Leitbild cc) Vertragszweckgefährdung 13 dd) Weitere Bedenken 16 Transparenzkontrolle 17 Fazit

9 12

Kombination von Anspruchserhebung und 18 Pflichtverletzung

8

Armbrüster

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

20

B.

Maßgeblicher Zeitraum

C.

Schriftliche Anspruchserhebung oder Mittei21 lung 21

I.

Überblick

II. 1. 2. 3.

4.

Anspruchserhebung (Fall 1) 23 Anspruchsgegner 24 Inhalt 27 Ernsthaftigkeit 27 a) Meinungsstand 29 b) Stellungnahme 31 Zugang

III.

Mitteilung (Fall 2)

IV. 1. 2. 3. 4.

Erfordernis der Schriftform 34 Zweck 35 Wirksamkeit 37 Anforderungen 38 Folgen von Verstößen

D.

Abweichende AVB

I.

Anspruchserhebungsprinzip ohne Kompensa40 tion

23

40 42

1. 2.

Meinungsstand Stellungnahme

II.

Abweichende Definition des Versicherungs48 falls 48 Überblick 52 Einleitung rechtlicher Schritte Aufforderung der AG durch Aktionäre zur Gel53 tendmachung von Ansprüchen 53 a) Überblick b) Handlungsmöglichkeiten von Aktionä54 ren aa) Klagezulassungsverfahren nach § 148 54 AktG bb) Konzernrechtliche Ersatzansprü55 che cc) Anspruch aus § 117 Abs. 1 S. 2 AktG 57 gegen „Einflussnehmer“ dd) Deliktsrechtliche Ansprüche von Aktionären gegen versicherte Perso58 nen 60 c) Deckungsumfang der Klausel 61 Stellung eines Güteantrags

1. 2. 3.

33 34

4. 40 III. 1. 2.

Erweiterte Kostenübernahme bei wahrscheinli63 cher Inanspruchnahme 63 Inhalt der Klausel 65 Auswirkungen auf die Verjährung

A. Grundlagen I. Überblick 1 Ziff. A-2 enthält die für den Deckungsschutz entscheidende Definition des Versicherungsfalls als die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Vertragsdauer oder einer Nachmeldefrist (Anspruchserhebungsprinzip, Claims-madePrinzip). Darin liegt eine markante Abweichung von den Definitionen in den AHB und in der Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung. Das Anspruchserhebungsprinzip wird außer in der D&OVersicherung nur bei wenigen anderen Versicherungsprodukten standardmäßig vereinbart.1 Ein Beispiel bietet die AGG-Haftpflichtversicherung,2 ein weiteres die Absicherung von Pharma-Risiken.3 Üblich ist in Deutschland in der Haftpflichtversicherung das Verstoßprinzip (Acts Committed); alternativ wird teils auch auf den Eintritt des Schadensereignisses (Occurence) abgestellt.4 2 Das Claims-made-Prinzip dient dazu, angesichts der verschiedenen Elemente der Haftung, von der Pflichtverletzung über den Eintritt eines Vermögensschadens bis hin zu dessen Geltendmachung, den Versicherungsfall möglichst klar und eindeutig bestimmen zu können.5 Damit

1 Eine mögliche Erstreckung auf weitere Sparten erörtert Schramm 205 ff. 2 S. etwa Ziff. A-2 Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung von Ansprüchen aus Benachteiligungen (AVB Benachteiligungen), Musterbedingungen des GDV (Stand: Dezember 2020).

3 HK-VVG/Schimikowski § 100 Rn. 14. 4 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 3; s. auch MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 60, 104. 5 Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 119. Armbrüster

816

A. Grundlagen

AVB D&O A-2

soll insbes. auch die Kalkulation des Spätschadensrisikos erleichtert werden.6 Das Anspruchserhebungsprinzip bringt freilich als Kehrseite in zeitlicher Hinsicht erhebliche Schutzlücken für die versicherten Personen mit sich, wenn es nicht durch eine Rückwärtsdeckung sowie eine Nachhaftung arrondiert wird, wie Ziff. A-2 und Ziff. A-3 sie vorsehen (zur rechtlichen Zulässigkeit des Claims-made-Prinzips auch unter diesem Blickwinkel s. Rn. 4 ff.).7 Von der Definition des Versicherungsfalls zu unterscheiden ist die Frage, unter welchen Vor- 3 aussetzungen der Deckungsanspruch entsteht und fällig wird. Für die Anspruchsentstehung ist in der Haftpflichtversicherung generell die Geltendmachung des Anspruchs maßgeblich.8 Dasselbe gilt hinsichtlich der Fälligkeit für den Prüfungs- und den Abwehranspruch (s. Ziff. A-6.1 lit. a, b), während der Freistellungsanspruch der speziellen Fälligkeitsregelung des § 106 VVG unterliegt.

II. Rechtliche Zulässigkeit 1. Ausgangspunkt Die rechtliche Zulässigkeit der Definition des Versicherungsfalls nach dem Claims-made-Prin- 4 zip ist mittlerweile grds. anerkannt.9 Der VVG-Reformgesetzgeber hat zu § 100 VVG ausdrücklich festgehalten, dass diese Vorschrift keine Definition des Versicherungsfalls enthält, und dabei als Beispiel für die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten gerade das Claims-made-Prinzip genannt.10 Zwar wird dieses offenbar mit dem Begriff „Schadensmeldung“ gleichgesetzt, was ungenau ist („claim“ meint nicht die Geltendmachung durch eine versicherte Person, sondern durch den Geschädigten), aber die D&O-Versicherung ist – neben der Allg. Haftpflichtversicherung –11 als Beispiel dafür ausdrücklich erwähnt.

2. AGB-Kontrolle a) Ausgangspunkt. Gegen die Vereinbarung des Claims-made-Prinzips, wie sie in Ziff. A-2 er- 5 folgt und Marktstandard ist, sind teils AGB-rechtliche Bedenken geäußert worden (zur davon zu unterscheidenden Frage nach der Wirksamkeit von Ziff. A-5.1, wonach außer der Anspruchserhebung auch die Pflichtverletzung während der Vertragsdauer erfolgt sein muss, s. Ziff. A-5 Rn. 6). Dies gilt insbes. im Hinblick darauf, dass die Begrenzung der Deckung auf Ansprüche, die während der Vertragsdauer geltend gemacht werden, für die versicherten Personen im Vergleich zu der in § 100 VVG angelegten Konzeption zu einer erheblichen Beschränkung der Deckung führt. Nach § 100 VVG kommt es allein darauf an, dass die Tatsache – hier: die Pflichtverletzung – während der „Versicherungszeit“, also der materiellen Versicherungsdauer (s. Rn. 20), eintritt. Das Claims-made-Prinzip soll (vorbehaltlich von Nachhaftungsfristen, vgl. Ziff. A-5.3) gerade verhindern, dass nach diesem Zeitraum noch Ansprüche gegen den VR erhoben werden können.12 6 7 8 9

Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 4; Schramm 40 ff.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 113. Baumann VersR 2012 1461, 1463 ff. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 14. OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067 f.; OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 332 f.; OLG Hamburg 8.7.2015 – 11 U 313/13, VersR 2016 245, 246; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 6; Schramm RuS 2013 333, 334; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 3; zur früheren Diskussion s. Bruck/ Möller/Baumann9 Ziff. 2 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 1 ff.; monographisch Schramm 67 ff. 10 Begr. zu § 100 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 85.; s. auch BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 34 (betr. AHB); OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 333 (betr. D&O-Versicherung). 11 Dies wohl aufgrund einer Rspr. des RG; vgl. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 2 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 5. 12 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 1. 817

Armbrüster

A-2 AVB D&O

6

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

Nach der hier vertretenen Ansicht ist eine solche Ausgestaltung nach der Konzeption des § 100 VVG – zumindest vorbehaltlich einer von Ziff. A-2 abweichenden vertraglichen Gestaltung – ohne Weiteres zulässig (s. Rn. 7 ff.; zur AGB-rechtlichen Beurteilung von UnternehmensAVB mit unzureichender oder völlig fehlender Kompensation i. S. v. Ziff. A-5.2, Ziff. A-5.3 und Ziff. A-5.4 s. Rn. 8 ff.). In zeitlicher Hinsicht sind der Durchsetzbarkeit der Haftungs- wie auch der Deckungsansprüche allein durch die Regeln zur Verjährung Grenzen gesetzt. Indem der VR das Anspruchserhebungsprinzip vereinbart, möchte er demgegenüber auch jenseits der Verjährungsregeln keine unabsehbaren Spätschadensrisiken eingehen. Zur AGB-Kontrolle bei Großrisiken s. Einf Rn. 79 ff.

7 b) Einbeziehungskontrolle. Man könnte diese Beschränkung des Deckungsschutzes durch das Claims-made-Prinzip auf der Ebene der Einbeziehungskontrolle als überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB ansehen. Dies hätte zur Folge, dass Ziff. A-2 nicht Vertragsbestandteil geworden wäre. Um dem vorzubeugen, ist den AVB freilich ein deutlicher Hinweis auf das Claimsmade-Prinzip vorangestellt; zudem wird es durch eine – ansonsten in den AVB nicht vorkommende – Unterstreichung in Ziff. A-2 S. 2 auch graphisch hervorgehoben. Selbst ohne diese Hervorhebungen ist die Vereinbarung dieses Prinzips aus Sicht des maßgeblichen, geschäftserfahrenen Adressatenkreises der AVB nicht überraschend.13

c) Materielle Wirksamkeitskontrolle 8 aa) Kontrollfähigkeit. Auf der Ebene der Wirksamkeitskontrolle setzt eine zur Unwirksamkeit führende inhaltliche Unangemessenheit von Ziff. A-2 nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB zunächst voraus, dass die Definition des Versicherungsfalls in Ziff. A-2 überhaupt einer AGB-rechtlichen materiellen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB (und nicht nur gem. § 307 Abs. 3 S. 2, Abs. 1 S. 2 BGB der Transparenzkontrolle; s. dazu Rn. 16) zugänglich ist. Die Beschreibung des Versicherungsfalls als Kernbereich des vertraglichen Leistungsversprechens ist grds. nicht kontrollfähig. Unter Hinweis darauf ist die Kontrollfähigkeit des Claims-made-Prinzips teils abgelehnt worden.14 Die genannte Regel zum kontrollfreien Kernbereich gilt allerdings nicht, wenn das primäre Leistungsversprechen „eingeschränkt, verändert, ausgestaltet oder sonst modifiziert“15 wird. Mittlerweile wird ganz überwiegend angenommen, dass das Claims-made-Prinzip kontrollfähig ist.16 Dies erscheint im Hinblick darauf sachgerecht, dass es sich dabei nicht um den eng zu definierenden Kernbereich handelt, durch den die Versicherungsart schlagwortartig umschrieben wird.

9 bb) Verstoß gegen ges. Leitbild. Ein Verstoß der Versicherungsfalldefinition in Ziff. A-2 gegen das in § 100 VVG aufgestellte Leitbild (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) wird teils mit der Begründung abgelehnt, dass der Gesetzgeber gerade keine Definition aufstellen, sondern die Gestaltung 13 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067; Heße NZI 2009 790, 791 f. 14 LG München I 25.9.2008 – 12 O 20461/07, VersR 2009 210, 212 f.; Franz DB 2011 1961, 1964; Kubiak VersR 2014 932 ff.; Loritz/Hecker VersR 2012 385, 389 ff.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 17 (unter Berufung auf BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 34). 15 St. Rspr.; s. nur BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 34 m. zust. Anm. Kubiak VersR 2014 932 (betr. AHB). 16 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067; Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 1937; Baumann VersR 2012 1461, 1462 ff.; Heße NZI 2009 790, 791; R. Koch VersR 2014 1277, 1279 ff.; Schimikowski VersR 2010 1533, 1537; A. Staudinger Karlsruher Forum 2009 64 f.; Terno SpV 2014 2, 9; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 2; Graf v. Westphalen VersR 2011 145, 150; offen lassend MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 105. Armbrüster

818

A. Grundlagen

AVB D&O A-2

des Versicherungsfalls den Beteiligten habe überlassen wollen.17 Hinzu komme, dass Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2), Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3) und die Möglichkeit zur Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4) eine hinreichende Kompensation der Nachteile böten, welche der versicherten Person durch das Anspruchserhebungsprinzip entstehen.18 Nach der Gegenansicht19 muss die Definition des Versicherungsfalls in der Haftpflichtversi- 10 cherung die Anspruchsentstehung und den Schadenseintritt in den Blick nehmen. Demnach geht § 100 VVG davon aus, dass ein der Anspruchserhebung vorgelagertes Ereignis als „während der Versicherungszeit eintretende Tatsache“ anzusehen ist. Von der Rückwärtsdeckung könnten allein diejenigen versicherten Personen profitieren, die schon vor Beginn der materiellen Vertragsdauer eine Organstellung beim VN innehatten.20 Zudem sei die Rückwärtsdeckung im Hinblick darauf keine hinreichende Kompensation für die fehlende Deckung von während der Vertragslaufzeit begangenen, aber erst danach geltend gemachten Pflichtverstößen, dass eine Rückwärtsdeckung regelmäßig nicht für bekannte Pflichtverstöße gelte (vgl. dazu Ziff. A-5.2 S. 2, 3).21 Stellungnahme: Die Argumente der Gegenansicht (s. Rn. 10) haben Gewicht. Freilich besa- 11 gen sie letztlich allein, dass eine auf dem Claims-made-Prinzip aufbauende D&O-Versicherung keinen ebenso umfassenden Schutz bietet, wie wenn das Verstoßprinzip vereinbart wäre. Ein ges. Leitbild wird damit nicht verletzt.22 Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber ausdrücklich auch das Claims-made-Prinzip als Beispiel für eine mögliche Definition des Versicherungsfalls in der allg. Haftpflichtversicherung und in der D&O-Versicherung genannt hat (s. Rn. 4). Diese klare Aussage steht einem Verständnis entgegen, wonach in der Vereinbarung des Claims-made-Prinzips eine Abweichung von einem ges. Leitbild liegen soll. Die von der Gegenansicht erwähnten Nachteile des Claims-made-Prinzips gegenüber den klassischen Definitionen des Versicherungsfalls in der Haftpflichtversicherung sind dem VN ggf. im Zuge der gem. §§ 6 Abs. 1, 61 Abs. 1 VVG geschuldeten Beratung aufzuzeigen (s. auch Rn. 43 im Kontext einer kompensationslosen Vereinbarung des Claims-made-Prinzips).

cc) Vertragszweckgefährdung. Ist mithin nicht von einem Verstoß des Claims-made-Prinzips 12 gegen ein ges. Leitbild auszugehen, so kommt weiter in Betracht, dass die Vereinbarung dieses Prinzips zu einer Aushöhlung des Versicherungsschutzes führen könnte (Vertragszweckgefährdung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Dafür ließe sich wiederum (wie bei der Leitbildkontrolle; s. Rn. 8 ff.) vorbringen, dass Deckungslücken drohen. Indessen fällt auch insoweit die Kompensation durch Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2), Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3) und die Möglichkeit zur Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4) ins Gewicht. Hinzu kommt, dass Deckungsschutz für alle Inanspruchnahmen während der Vertragszeit gewährt wird, ohne dass es – anders als bei den klassischen Versicherungsfalldefinitionen – eine Rolle spielt, wann der Verstoß stattgefunden hat.23 Die Deckung erweist sich aus diesen Gründen keineswegs als im Kern für die versicherten Personen nutzlos.24 17 S. etwa Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 129; Schimikowski VersR 2010 1533, 1537. 18 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067 f.; OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 332 f.; OLG Hamburg 8.7.2015 – 11 U 313/13, VersR 2016 245, 246. 19 Insbes. Baumann NZG 2010 1366, 1370 ff.; so auch noch LG München 1.3.2007 – 12 O 8517/06 (zitiert nach Schramm 86 Fn. 348); a. A. zutr. dieselbe Kammer 25.9.2008 – 12 O 20461/07; VersR 2009 210, 213 f. m. zust. Anm. Schramm RuS 2009 18 f.; offen lassend MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 115; zur früheren Diskussion s. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 2 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 16; s. auch Jula FS Baumann (1999) 119, 124, der bei fehlender Nachhaftung „Schwierigkeiten“ sieht. 20 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 109a; R. Koch VersR 2011 295, 298. 21 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 109a; vgl. auch Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366 (die daher rechtspol. für eine reine Vorwärtsversicherung plädieren). 22 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067; Heße NZI 2009 790, 792. 23 Schramm 110. 24 Schimikowski VersR 2010 1533, 1537 (allerdings bei unzureichender Kompensation Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB annehmend). 819

Armbrüster

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

13 dd) Weitere Bedenken. Die bisherigen Überlegungen haben ergeben, dass keines der beiden Regelbeispiele in § 307 Abs. 2 BGB erfüllt ist (s. Rn. 8 ff.). Vereinzelt wird eine Unwirksamkeit des kompensationslos vereinbarten Anspruchserhebungsprinzips (s. Rn. 40 ff.) auf die Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB gestützt.25 Die dafür angeführten Argumente betreffen indessen in der Sache das Regelbeispiel von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Vertragszweckgefährdung). Wie dargelegt, folgt daraus keine Unwirksamkeit der Versicherungsfalldefinition in Ziff. A-2 (s. dazu Rn. 11). Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, das Anspruchserhebungsprinzip sei 14 mit der Rettungsobliegenheit nach § 82 VVG (§ 62 VVG a. F.) unvereinbar, da letztere an die schädigende Handlung (Pflichtverletzung) anknüpfe.26 Indessen ist es ohne Weiteres möglich, infolge des Claims-made-Prinzips die Rettungsobliegenheit auf die Anspruchserhebung zu beziehen und sie erst dann einsetzen zu lassen.27 Einer Anwendung von § 82 VVG steht dies nicht entgegen. Darin liegt insbes. auch keine nachteilige Abweichung von dem nach § 87 VVG halbzwingenden § 82 VVG und kein Verstoß gegen ein gesetzliches Leitbild nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.28 Bedenken könnten auch im Hinblick auf die Anwendung der Regelung in § 103 VVG zur 15 vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls auftreten. Der dort geregelte subjektive Risikoausschluss ist zwar dispositiv, aber als Leitbild i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB bedeutsam. Hier stellt sich die Frage, ob ein versichertes Organmitglied vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt, wenn es andere Organe des VN veranlasst, einen Haftpflichtanspruch (gegen sich selbst) geltend zu machen.29 Dagegen spricht bereits, dass sich der Vorsatz bei § 103 VVG nicht nur auf die Handlung beziehen muss, sondern auch auf die Schadensfolgen.30 Zudem verlangt die Norm über den Vorsatz hinaus auch Widerrechtlichkeit (Rechtswidrigkeit),31 woran es hier fehlt. Der subjektive Risikoausschluss des § 103 VVG ist in dem genannten Fall mithin nicht anwendbar. Dazu passt es, dass der Risikoausschluss in Ziff. A-7.1 wegen vorsätzlicher Schadensverursachung oder wissentlicher Pflichtverletzung gerade nicht auf die Herbeiführung des Versicherungsfalls (Anspruchserhebung) Bezug nimmt (s. auch Ziff. A-7 Rn. 32 ff.).32

16 d) Transparenzkontrolle. Im Schrifttum wird teils angenommen, dass eine Transparenzkontrolle der Definition des Versicherungsfalls gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB von vornherein ausscheide.33 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass eine gesetzliche Auffangregel fehle, so dass eine Intransparenz den gesamten Vertrag unwirksam werden lasse. Indessen wäre dann die Lücke in Anwendung der allg. Regeln zu § 306 Abs. 2 BGB hilfsweise im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu füllen.34 Die Transparenzkontrolle ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings bestehen (auch) unter Transparenzgesichtspunkten gegen Ziff. A-2 keine Bedenken.35 25 Schimikowski VersR 2010 1533, 1537 ff. 26 Pataki VersR 2004 835, 837 ff. 27 Pataki VersR 2004 835, 838 f.; Schimikowski VersR 2010 1533, 1537; Prölss/Martin/Voit § 82 VVG Rn. 3; a. A. Bruck/Möller/R. Koch § 82 Rn. 103; ders. ZVersWiss 2012 151, 164 (Beginn bereits mit der Pflichtverletzung). 28 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067; Schimikowski VersR 2010 1533, 1537. 29 Vgl. R. Koch GmbHR 2004 288, 293. 30 Regierungsbegr. zu § 103 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 85 (ausdrückliche Klarstellung im Zuge der VVG-Reform); Bruck/Möller/R. Koch § 103 VVG Rn. 33. 31 Bruck/Möller/R. Koch § 103 VVG Rn. 25 ff.; dies gilt auch für die AVB; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 52. 32 R. Koch GmbHR 2004 288, 294 f. 33 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 17; Kubiak VersR 2014 934 f. (beide unter Berufung auf BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014 625 Rn. 34). 34 Vgl. nur OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 333 (betr. Lückenfüllung bei materieller Unangemessenheit des Anspruchserhebungsprinzips); allg. Prölss/Martin/Armbrüster Einl. VVG Rn. 103. 35 LG München I 25.9.2008 – 12 O 20461/07, VersR 2009 210, 213 (sub 2); Schimikowski VersR 2010 1533, 1537; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 9; a. A. Baumann VersR 2012 1461, 1466; s. auch Graf v. Westphalen VersR 2011 145, 151 (zu Unternehmer-AVB). Armbrüster

820

B. Maßgeblicher Zeitraum

AVB D&O A-2

e) Fazit. Insgesamt ist die Definition des Versicherungsfalls auf Grundlage des Claims-made- 17 Prinzips in Ziff. A-2 als wirksam anzusehen.36

III. Kombination von Anspruchserhebung und Pflichtverletzung Die für den Versicherungsschutz maßgebliche Grundregel lautet, dass neben der Anspruchser- 18 hebung (vorbehaltlich Umstandsmeldung, Ziff. A-5.4) auch die Pflichtverletzung (vorbehaltlich Rückwärtsdeckung, Ziff. A-5.2, und Nachmeldefrist, Ziff. A-5.3) während der Vertragsdauer erfolgen muss. Dies ist in Ziff. A-5.1 ausdrücklich geregelt (s. Ziff. A-5 Rn. 5). Diese Gestaltung bezeichnet man auch als Claims-made-and-occurrence-Prinzip. Verbreitet wird darin eine Kombination von Anspruchserhebungs- und Verstoßprinzip erblickt.37 Indessen ändert sich durch die Gestaltung nichts daran, dass der Versicherungsfall gem. Ziff. A-2 allein in der Anspruchserhebung liegt.38 Diese und nicht die Pflichtverletzung ist daher als „Tatsache“ i. S. v. § 100 VVG anzusehen,39 ohne dass es darauf für die praktische Rechtsanwendung ankäme, da § 100 ohnehin keine zwingende Definition des Versicherungsfalls vorgibt (s. Ziff. A-1 Rn. 1). Die Kombination von Anspruchserhebung und Pflichtverletzung in Bezug auf die Vertrags- 19 dauer ist für VN und versicherte Personen unvorteilhaft.40 Die Nachteile werden allerdings dadurch wesentlich relativiert, dass durch Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2), Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3) und die Möglichkeit zur Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4) der für die Pflichtverletzung erhebliche Zeitraum in beide Richtungen (Vergangenheit und Zukunft) erweitert wird (s. Ziff. A-5 Rn. 9 ff., 35 ff.). Auch unabhängig von der darin liegenden Kompensation ist das Claims-madeand-occurrence-Prinzip aus denselben Erwägungen wie das „reine“ Claims-made-Prinzip (s. Rn. 5 ff., 40 ff.) AGB-rechtlich akzeptabel (zur AGB-Kontrolle bei Großrisiken s. Einf Rn. 79 ff.).

B. Maßgeblicher Zeitraum Die Formulierung „während der Dauer des Versicherungsvertrages“ in Ziff. A-5.1 lehnt sich ter- 20 minologisch an die Regelung zur Vertragsdauer in Ziff. B2-1.1 an. Nach dieser Bestimmung im Allgemeinen Teil der AVB (Teil B) ist für die Vertragsdauer der im Versicherungsschein angegebene Zeitraum maßgeblich. Mithin geht es um den materiellen Versicherungszeitraum, also um den Zeitraum, für den eine Leistungspflicht des VR besteht (Haftungszeitraum).41 Dieser Zeitraum wird in der Praxis regelmäßig im Versicherungsschein präzise angegeben. Er ist freilich nur maßgeblich, soweit sich nicht aus besonderen Regelungen wie etwa denjenigen zum Verzug mit der Erstprämie (Ziff. B1-3–1 Abs. 3) etwas anderes ergibt. Zudem setzt der Versicherungsschutz, ohne dass dies in den AVB ausdrücklich geregelt werden müsste, nach allgemeinen Grundsätzen das wirksame Zustandekommen sowie die fortdauernde Wirksamkeit des Vertrags voraus. Dazu zählt auch, dass der VN nicht von seinem Widerrufsrecht nach § 8 VVG Gebrauch gemacht hat. Dieses Recht steht grds. auch unternehmerischen VN zu; ausgenommen

36 So im Erg. etwa auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 9 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 244 ff.; zweifelnd Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 8. 37 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 105; Heße NZI 2009 790, 791; Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366; R. Koch GmbHR 2004 288, 291; Schimikowski VersR 2010 1533, 1538. 38 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 54; Lange § 9 Rn. 75; vgl. auch OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1068; Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 108; Loritz/Hecker VersR 2012 385, 390 ff.; HK-VVG/Schimikowski § 100 Rn. 7, 14. 39 A.A. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 2 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 4. 40 S. etwa Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366 (für den VN „äußerst ungünstige Regelung“). 41 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 37; zur Abgrenzung gegenüber dem technischen und dem formellen Versicherungszeitraum s. Prölss/Martin/Armbrüster § 2 VVG Rn. 2 ff. 821

Armbrüster

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

sind freilich Großrisikoverträge (§ 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 VVG). Zusammenfassend gesagt, muss der Vertrag formell und materiell Bestand haben.

C. Schriftliche Anspruchserhebung oder Mitteilung I. Überblick 21 Ziff. A-2 S. 2 verlangt für die Geltendmachung eines Anspruchs i. S. v. S. 1 eine schriftliche Anspruchserhebung gegenüber der versicherten Person (Fall 1) oder die schriftliche Mitteilung gegenüber dem VN, einer Tochtergesellschaft oder der versicherten Person, einen Anspruch gegen letztere zu haben (Fall 2). Dabei muss es sich um die erstmalige Geltendmachung handeln. Dieses Erfordernis hat freilich nur klarstellende Bedeutung: Wird eine versicherte Person während der materiellen Vertragslaufzeit (Haftungszeitraum) mehrmals wegen derselben Pflichtverletzung in Anspruch genommen, so ergibt sich die Maßgeblichkeit der erstmaligen Geltendmachung bereits aus der Fiktion in der Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6).42 Lag die erstmalige Inanspruchnahme vor Vertragsbeginn, so scheidet eine Rückwärtsdeckung nach Ziff. A-5.2 S. 2 wegen Kenntnis der Pflichtverletzung aus. 22 Für die Rechtzeitigkeit der Anspruchserhebung (zum maßgeblichen Zeitraum s. Rn. 20) kommt es auf den Zugang der schriftlichen Mitteilung (s. Rn. 31) an.43 Erhebt der Geschädigte gegen die versicherte Person eine Klage, so findet keine Rückwirkung analog § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung statt, da es nicht um eine der Klagefrist vergleichbare Frist geht.44 Angesichts der Nachmeldefristen gem. Ziff. A-5.3 wird dies praktisch freilich nur dann bedeutsam, wenn die Klage erst nach Ablauf einer solchen Frist erhoben wird.

II. Anspruchserhebung (Fall 1) 1. Anspruchsgegner 23 Der Anspruch muss gegen eine versicherte Person erhoben werden (zum erfassten Personenkreis s. Ziff. A-1 Rn. 15 ff.). Eine Inanspruchnahme allein des VN genügt nicht.45 Auch eine Umstandsmeldung i. S. v. Ziff. A-5.4 stellt keine Anspruchserhebung gem. Ziff. A-2 dar; allerdings ist insoweit die Rückwirkungsfiktion in Ziff. A-5.4 Abs. 3 zu beachten (s. dazu Ziff. A-5 Rn. 98 ff.).46

2. Inhalt 24 Die Anspruchserhebung setzt voraus, dass von einer oder mehreren bestimmten versicherten Personen47 eine Leistung verlangt wird. Zur Konkretisierung kann auf die Regeln zurückgegriffen werden, die zu § 104 Abs. 1 S. 2 VVG (§ 153 Abs. 2 VVG a. F.) und für die Fälligkeit des Rechtsschutzanspruchs in der allgemeinen Haftpflichtversicherung48 entwickelt worden sind.49 42 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 42. 43 Vgl. BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56 (betr. Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung). 44 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 33; Steinkühler/Kassing VersR 2009 607, 608 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 11. 45 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 104; Prölss/Martin/Voit AVB D&O Ziff. A-2 Rn. 10. 46 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 104. 47 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 34. 48 Näher Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 14. 49 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 106. Armbrüster

822

C. Schriftliche Anspruchserhebung oder Mitteilung

AVB D&O A-2

Demnach muss für den Adressaten des Verlangens ersichtlich werden, dass der Anspruchsteller ihn für die Folgen haftbar machen will, welche das Schadensereignis für ihn hat und weiter haben wird (näher § 100 Rn. 25 ff.). Unerheblich ist, wie umfangreich das Leistungsverlangen ist und ob es begründet wird.50 Auch kommt es nicht darauf an, ob der vom Anspruchsteller behauptete Sachverhalt zutrifft51 und ob der von ihm geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht sowie durchsetzbar ist.52 In einer Aufrechnungserklärung liegt die Geltendmachung eines Anspruchs i. S. v. A-2 25 S. 1.53 Auch Verfahrenshandlungen wie die Zustellung eines Mahnbescheids oder einer Klage können genügen; dasselbe gilt für einen Arrest, eine einstweilige Verfügung und einen Antrag auf ein Beweissicherungsverfahren.54 Entscheidend ist jeweils, ob die Handlung nach den Umständen des Einzelfalls unzweifelhaft als Anspruchserhebung anzusehen ist. Eine Geltendmachung ist z. B. bei der Einleitung eines selbstständigen Beweissicherungsverfahrens dann anzunehmen, wenn es dabei lediglich darum geht die Schadenshöhe festzustellen, nicht aber, wenn der Geschädigte damit (auch) ermitteln will, wer für den Schaden verantwortlich ist.55 Für eine Anspruchserhebung i. S. v. Ziff. A-2 genügt es nicht, wenn ein Dritter oder der VN 26 die Geltendmachung von Ansprüchen gegen versicherte Personen lediglich erwägt.56 Auch die bloße Ankündigung oder Androhung der Geltendmachung von Ansprüchen oder die Mitteilung, solche zu prüfen,57 genügt nicht.58 Dasselbe gilt für die Schilderung möglicher Schadensszenarien; sie kann allenfalls für eine Umstandsmeldung i. S. v. Ziff. A-5.4 ausreichen (s. Ziff. A-5 Rn. 93). Auch das Ansinnen, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine Geltendmachung eines Anspruchs i. S. v. A-2 S. 1.59 Eine Streitverkündung erfüllt als solche – anders als eine Klageerhebung (s. Rn. 25) – nicht die Anforderungen an eine Inanspruchnahme; insoweit folgt auch aus § 104 Abs. 2 S. 1 VVG nichts anderes.60 Allerdings kann sich aus dem sie begründenden Schriftsatz eine Anspruchserhebung i. S. v. Ziff. A-2 S. 2 Fall 1 ergeben.61

3. Ernsthaftigkeit a) Meinungsstand. Streit besteht darüber, welche Anforderungen an das Erfordernis zu stel- 27 len sind, dass der Anspruch „ernsthaft“ (ernstlich) erhoben werden muss. Dieses Erfordernis

50 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 106. 51 OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021, 1355, 1357; LG Wiesbaden 27.10.2015 – 2 O 223/15, BeckRS 2015 128383 Rn. 45. 52 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 22; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 106. 53 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 22. 54 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 22. 55 BGH 9.6.2004 – IV ZR 115/03, VersR 2004 1043, 1044 (betr. Architektenhaftpflichtversicherung); OLG Karlsruhe 16.2.2006 – 19 U 110/05, VersR 2006 538 (betr. Vermögensschadenhaftpflichtversicherung). 56 OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 331. 57 OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62 f. m. zust. Anm. Schramm; Looschelders/Pohlmann/ Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 91; Schramm 165; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 10. 58 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 28. 59 Dreher EWiR 2016 367, 368; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 28; vgl. auch BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117 (betr. Architektenhaftpflichtversicherung) und zur Abgrenzung davon OLG Karlsruhe 16.2.2006 – 19 U 110/05, VersR 2006 538. 60 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 25, 27; a. A. wohl MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 103, der die Streitverkündung der Klageerhebung gleichstellt. 61 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 25; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 10. 823

Armbrüster

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

hat die Rspr. bereits früher verbreitet aufgestellt.62 Auch im Schrifttum63 ist es befürwortet worden. Insoweit kann wiederum (s. bereits Rn. 24) auf die zu § 104 Abs. 1 VVG (§ 153 Abs. 2 VVG a. F.) entwickelten Regeln zurückgegriffen werden.64 Unstreitig liegt eine ernsthafte Inanspruchnahme vor, wenn der Anspruch eingeklagt oder wenn die Vollstreckung betrieben wird.65 28 Der BGH hat allerdings im Jahr 2016 entschieden, dass ein über die allg. Anforderungen der §§ 116, 117 BGB (geheimer Vorbehalt, Scheingeschäft) hinausgehendes Erfordernis, die versicherte Person auch persönlich in Anspruch nehmen zu wollen, nicht ohne Weiteres bestehe.66 Demnach steht es einer den Versicherungsfall auslösenden Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen die versicherte Person nicht entgegen, wenn es dem Anspruchsteller allein darum geht auf den Deckungsanspruch der versicherten Person und nicht auf diese selbst zuzugreifen. Vielmehr soll es für die (weiterhin auch vom BGH grds. für erforderlich gehaltene)67 Ernsthaftigkeit der Inanspruchnahme genügen, wenn ein entsprechender objektiver Erklärungstatbestand vorliegt.

29 b) Stellungnahme. Die vom BGH vertretene Lockerung der Anforderungen ist insbes. bei der Innenhaftung im Hinblick auf die Gefahr eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen VN und versicherter Person sowie einer „freundlichen Inanspruchnahme“ bedenklich.68 Besonders deutlich wird dies anhand der Sachverhalte, über die der BGH zu entscheiden hatte: Hier ging jeweils eine GmbH aus abgetretenem Deckungsanspruch ihres Geschäftsführers gegen den VR vor. In solchen Fällen ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass der Geschäftsführer sich selbst einer (nicht wissentlichen oder vorsätzlichen) Pflichtverletzung zum Nachteil der GmbH bezichtigen könnte, um den VR zu einer Leistung an die GmbH zu bewegen. Umgekehrt kann der Verzicht auf das Erfordernis der Ernsthaftigkeit auch für die versicherte Person zu einer Belastung führen. In der Praxis werden nämlich bisweilen aus rein taktischen Gründen ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussichten weit überhöhte Ansprüche geltend gemacht, um letztlich die volle Versicherungssumme zu erlangen.69 Solchen Taktiken lässt sich durch das Ernsthaftigkeitsgebot zumindest tendenziell begegnen. 30 Zuzugeben ist dem BGH, dass Ziff. A-2 (und insoweit gleich lautende Unternehmens-AVB) nicht ausdrücklich das Erfordernis der Ernsthaftigkeit aufstellen. Indessen verlangt diese Klausel ausdrücklich, dass der Anspruch gegen die versicherte Person schriftlich erhoben wird (s. Rn. 33 ff.). Dieses Erfordernis droht in solchen Fällen zur reinen Förmelei zu werden, in denen eine persönliche Inanspruchnahme in Wahrheit nicht allein wegen der begrenzten Leistungsfähigkeit der versicherten Person, sondern von vornherein überhaupt nicht gewollt ist.70 62 OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 62 f.; OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 RuS 2013 329, 331; s. auch OLG Düsseldorf 21.12.2006 – I 4 U 6/06, NJOZ 2007 1242, 1244; OLG Düsseldorf 12.7.2013 – I 4 U 149/11, VersR 2013 1522, 1523; ferner zur Privathaftpflichtversicherung BGH 21.5.2004 – IV ZR 209/02, VersR 2003 900 (sub 1). 63 S. etwa Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 170; Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 19; Schramm 165; Prölss/ Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 10; Sieg ZWH 2014 124, 125. 64 Näher Schramm 162 ff. 65 Zu Letzterem Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 92 a. E. 66 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/03, VersR 2016 786 Rn. 24 ff.; im Wesentlichen gleichlautend BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, BeckRS 2016 7881 Rn. 22 ff.; dem folgend etwa Beckmann jM 2016 403, 406; R. Koch VersR 2016 765, 767; a. A. wohl Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 92. 67 R. Koch VersR 2016 765, 767. 68 Armbrüster NJW 2016 2155, 2156 f.; s. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 135; Staudinger/Richters DB 2013 2725, 2727 f. 69 Freund NZG 2021 579, 581. 70 Armbrüster NJW 2016 2155, 2157; s. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 200; „höherer Grad von Ernstlichkeit“ infolge des Schriftformerfordernisses); a. A. R. Koch VersR 2013 1525, 1526 und VersR 2016 765, 767 (für die Ernstlichkeit komme es allein auf die Schriftlichkeit an). Armbrüster

824

C. Schriftliche Anspruchserhebung oder Mitteilung

AVB D&O A-2

4. Zugang Die schriftliche Anspruchserhebung muss der versicherten Person zugehen.71 Ein Zugang 31 beim VR genügt grds. nicht; dies gilt auch nach Abtretung des Freistellungsanspruchs (vgl. Ziff. A-9 Rn. 8 ff.).72 Das ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut von Ziff. A-1 Abs. 1, an den Ziff. A-2 S. 1 inhaltlich anknüpft. Aus § 47 Abs. 1 VVG folgt entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht73 nichts anderes;74 es geht hier nicht um die Rechtsstellung von VN und versicherter Person, sondern allein um den bedingungsgemäßen Eintritt des Versicherungsfalls. Allerdings gestattet Fall 2 die Mitteilung an den VR oder eine Tochtergesellschaft (s. Rn. 33). Der Vortrag des Anspruchstellers muss geeignet sein, den (angeblich) haftungsbegründen- 32 den Sachverhalt zu bestimmen.75 Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der potenzielle Geschädigte den von ihm behaupteten Anspruch beziffert und ausführlich begründet.76

III. Mitteilung (Fall 2) Einer Anspruchserhebung gegenüber der versicherten Person steht es nach Ziff. A-2 S. 2 Fall 2 33 gleich, wenn ein Dritter dem VN, einer Tochtergesellschaft oder der versicherten Person schriftlich mitteilt, einen Anspruch gegen eine versicherte Person zu haben.77 Diese Mitteilung, in der sich der Dritte eines Anspruchs berühmt, ist als geschäftsähnliche Handlung78 anzusehen. Damit sind auf sie die Regeln über Willenserklärungen sinngemäß anzuwenden.79 Die Mitteilung kann auch dadurch erfolgen, dass ein Aktionär seiner AG mitteilt, einen Anspruch gem. § 117 Abs. 1 S. 2 AktG (s. dazu Anh Ziff. A-1 Rn. 75; vgl. auch Rn. 57) zu haben. Eine Mitteilung an den VR genügt hingegen nicht.80 Dasselbe gilt für die Mitteilung durch einen Vierten, der nicht Anspruchsteller oder dessen Vertreter ist.81

IV. Erfordernis der Schriftform 1. Zweck Das für beide Fälle von Ziff. A-2 S. 2 geltende Erfordernis der Schriftform82 stellt eine Ausnah- 34 me zu dem nach Ziff. B4-2.1 S. 1 grds. geltenden Textformerfordernis dar. Diese (freilich wegen § 127 Abs. 2 S. 1 Fall 1 BGB – s. dazu Rn. 37 – nur geringfügig) strengere Anforderung soll nach verbreiteter Ansicht insbes. Beweiszwecken sowie der Rechtssicherheit dienen.83 Demnach 71 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 32; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 133; Schramm RuS 2010 63; Steinkühler/Kassing VersR 2009 607, 608; s. auch BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56 (betr. Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung). 72 Schramm 157; vgl. auch OLG Frankfurt/M. 13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61, 63; zu weiteren Einzelfragen vgl. Schramm 160 f., 166 ff. 73 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 102. 74 Lange RuS 2006 177, 180; Schramm S. 157 f. 75 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 103; Schramm 166. 76 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 38 Rn. 103; Schramm 165. 77 Näher Lange RuS 2006 177, 180; Schramm 159. 78 Zum Begriff s. Palandt/Ellenberger Überblick vor § 104 Rn. 6 f. 79 S. etwa zu § 142 BGB MünchKomm-BGB/Busche § 142 Rn. 9. 80 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 21. 81 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 20. 82 Zu Unternehmens-AVB ohne Schriftformerfordernis vgl. Lange RuS 2006 177, 178. 83 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 200; Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 30; Looschelders/Pohlmann/ Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 93. 825

Armbrüster

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

könnte sich der VR dann, wenn keine Form vorgeschrieben wäre, darauf berufen, dass die Inanspruchnahme bereits mündlich vor Versicherungsbeginn erfolgt sei. Umgekehrt werden Manipulationsgefahren auf Seiten der versicherten Personen angeführt, die ohne Schriftformerfordernis den Zeitpunkt „nach Belieben manipulieren“84 könnten. Freilich träfe den VR für den Einwand einer Inanspruchnahme in vorvertraglicher Zeit die Beweislast. Zudem lassen sich Manipulationen durch das Formerfordernis nicht verhindern. Richtig ist allerdings, dass sich der maßgebliche Zeitpunkt der Anspruchserhebung bei einer schriftlichen Geltendmachung leichter bestimmen lässt.85

2. Wirksamkeit 35 Das Schriftformerfordernis ist teils auf Kritik gestoßen, da die versicherte Person das Verhalten des Anspruchstellers und damit auch die Form der Anspruchserhebung nicht beeinflussen könne.86 Indessen kann und darf87 die versicherte Person durchaus darauf hinwirken, dass die Anspruchserhebung in einer formgerechten Weise erfolgt. Dies gilt keineswegs allein in Fällen der Innenhaftung. Vielmehr wird auch bei der Außenhaftung der Dritte regelmäßig daran interessiert sein, die Anforderungen des Versicherungsvertrags ordnungsgemäß und zügig innerhalb des versicherten Zeitraums zu erfüllen, da sich damit die Aussicht auf tatsächliche Befriedigung seines Anspruchs erhöht.88 Hinzu kommt, dass auch ohne Schriftformerfordernis eine Anspruchserhebung erforderlich ist, worauf die versicherte Person gleichfalls keinen Einfluss hat.89 36 Auch AGB-rechtlich begegnet das Schriftformerfordernis keinen durchgreifenden Bedenken.90 Zwar untersagt § 309 Nr. 13 lit. b BGB es mittlerweile, in AGB für gegenüber dem Verwender abzugebende Erklärungen eine strengere Form als die Textform vorzusehen. Indessen ist dieses Klauselverbot nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr nicht – auch nicht über § 307 BGB – anwendbar.91 Zudem geht es hier nicht um Erklärungen, die gegenüber dem Verwender abzugeben sind.

3. Anforderungen 37 Die Anforderungen an die gewillkürte Schriftform sind in § 127 BGB geregelt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift gelten grds. im Zweifel die strengen Regeln zur gesetzlichen Schriftform (s. insbes. § 126 Abs. 1 BGB: eigenhändige Unterschrift). Allerdings ist nach § 127 Abs. 2 S. 1 Fall 1 BGB, wenn nicht ein abweichender Willen anzunehmen ist, die telekommunikative Übermittlung möglich. Dazu zählt insbes. die Übermittlung durch E-Mail.92 Diese Form genügt daher regelmäßig auch bei der Schriftform nach Ziff. A-2 S. 2.93 84 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 93; Lange RuS 2006 177, 178. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 11. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 104; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 133. S. dazu bereits Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 2 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 16. OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1068. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 31; Lange RuS 2006 177, 179. Lange RuS 2006 177, 178; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 10; a. A. tendenziell Beckmann/Matusche-Beckmann/ Beckmann § 28 Rn. 104; s. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 133. 91 S. nur Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann § 309 Nr. 13 Rn. 70; speziell zu Ziff. A-2 S. 2 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 11. 92 LAG München 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020 316 Rn. 146; OLG Koblenz 30.11.2018 – 4 U 635/18, BeckRS 2018 44823 Rn. 28; MüKo-BGB/Einsele9 § 127 Rn. 10. 93 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 11.

85 86 87 88 89 90

Armbrüster

826

D. Abweichende AVB

AVB D&O A-2

4. Folgen von Verstößen Erhebt ein Dritter den Anspruch nicht in Schriftform, so sind die Anforderungen an den Eintritt 38 des Versicherungsfalls gem. Ziff. A-2 S. 2 nicht erfüllt.94 Der VR muss jedenfalls den Dritten – anders als u. U. den VN oder eine versicherte Person bei von diesen abgegebenen Erklärungen (s. etwa Ziff. A-5 Rn. 95) – auf den Formverstoß nicht hinweisen. Fraglich ist allerdings, ob der VR in diesem Fall den VN und/oder die betreffende versicherte Person darauf hinweisen muss, dass die Anspruchserhebung nicht formgerecht erfolgt ist. Dies ist grds. abzulehnen, da der VR regelmäßig nicht gehalten ist den VN auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls hinzuweisen. Bestätigt der VR allerdings den Eingang der Schadensanzeige i. S. v. Ziff. B3-3.2 lit. b oder lässt er sich sonst zu der Anzeige ein, so ist er regelmäßig gem. § 242 BGB daran gehindert sich später auf den Formverstoß zu berufen. Allerdings kann im Einzelfall dem Dritten eine schadensersatzbewehrte Nebenpflichtver- 39 letzung vorzuwerfen sein, wenn er die Anspruchserhebung nicht nach den ihm bekannten Modalitäten vornimmt. Dies ist insbes. für den VN als Dritten in Betracht zu ziehen. Das relevante Verhalten des Dritten steht daher nicht völlig außerhalb der Einflusssphäre der versicherten Person.

D. Abweichende AVB I. Anspruchserhebungsprinzip ohne Kompensation 1. Meinungsstand Wie dargelegt (s. Rn. 5 ff.), begegnet das in Ziff. A-2 vorgesehene Anspruchserhebungsprinzip 40 jedenfalls auch deshalb i. R. der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle keinen durchgreifenden Bedenken, weil in Ziff. A-5.2 (Rückwärtsdeckung), Ziff. A-5.3 (Nachmeldefrist) und Ziff. A-5.4 (Umstandsmeldung) ohne Prämienaufschlag95 werthaltige Kompensationen für die Nachteile geboten werden, die mit diesem Prinzip gegenüber dem Verstoßprinzip für den VN verbunden sind. Dies führt zu der Frage, ob sich an der Beurteilung etwas ändert, wenn solche Kompensationen fehlen oder geringer sind. In diesem Fall kommt grds. eine Unwirksamkeit wegen Leitbildverstoßes (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) oder Vertragszweckgefährdung (§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB) in Betracht (zur umstrittenen Kontrollfähigkeit von Verträgen über Großrisiken s. Einf Rn. 79 ff.). Soweit dies angenommen wird (vgl. Rn. 5), wird dafür jeweils auf Schutzlücken für die versicherten Personen verwiesen. Sie sollen sich daraus ergeben, dass unter Geltung des „reinen“ (kompensationslosen) Claims-made-Prinzips nach Ziff. A-2 in Kombination mit Ziff. A-5.1 der D&O-Versicherer leistungsfrei ist, wenn zwar die Anspruchserhebung, nicht aber die vorangegangene Pflichtverletzung oder umgekehrt zwar die Pflichtverletzung, nicht aber die Anspruchserhebung im versicherten Zeitraum erfolgt ist.96 In der instanzgerichtlichen Rspr. wird teils eine einjährige Nachmeldefrist zusammen mit 41 Rückwärtsdeckung und Möglichkeit der Umstandsmeldung für ausreichend befunden.97 Im Schrifttum findet sich hingegen etwa die Aussage, dass eine einjährige Frist nicht ausreiche,

94 S. etwa OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 331 (Äußerungen mangels Schriftform „unbeachtlich“). 95 Vgl. zu diesem Aspekt Graf v. Westphalen VersR 2011 145, 154. 96 Vgl. etwa Graf v. Westphalen VersR 2011 145, 151. 97 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1067 f. (so schon vorgehend LG München I 25.9.2008 – 12 O 20461/07, VersR 2009 210, 213 f.); vgl. auch OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 333 (fünfjährige Nachmeldefrist nicht erforderlich); OLG Hamburg 8.7.2015 – 11 U 313/13, VersR 2016 245, 246 (Ausschluss der 827

Armbrüster

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

sondern lediglich eine dreijährige Frist akzeptabel sei.98 Generell wird eine Kompensation (mit Unterschieden im Einzelnen hinsichtlich der Angemessenheit) verbreitet für erforderlich gehalten.99 Dabei soll sich die Länge der Nachhaftungsfrist freilich nicht an den haftungsrechtlichen Verjährungsfristen orientieren müssen.100 Die Gegenansicht geht davon aus, dass es keiner Kompensation bedürfe, damit das Anspruchserhebungsprinzip AGB-rechtlich unbedenklich ist.101 Demnach ist es rechtlich nicht begründbar, wieso dieses Prinzip so umgeformt werden sollte, dass es „möglichst nahe an das Verstoßprinzip herankommt“.102

2. Stellungnahme 42 Die Beurteilung hat davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Parteien in Bezug auf die Definition des Versicherungsfalls in der Haftpflichtversicherung bewusst Gestaltungsfreiheit einräumen wollte (s. Ziff. A-1 Rn. 1). Je strenger man unter dem AGB-rechtlichen Aspekt des Leitbildverstoßes oder der Vertragszweckgefährdung die Anforderungen an eine Kompensation fasst, umso eher droht das vereinbarte Anspruchserhebungsprinzip inhaltlich leerzulaufen.103 Letztlich würden damit nämlich die Grenzen zum Verstoßprinzip verschwimmen und die Wahlfreiheit damit erheblich beschränkt werden. Dies spricht dafür, vom Postulat eines Kompensationserfordernisses abzurücken und den 43 Schutz der versicherten Personen auf der Ebene der vorvertraglichen Beratung des VN gem. §§ 6 Abs. 1, 61 Abs. 1 VVG zu suchen. Zwar trifft es zu, dass ein kompensationsloses Anspruchserhebungsprinzip den Versiche44 rungsschutz gegenüber der Lage bei Geltung des Verstoßprinzips erheblich einschränkt. Da dieses Prinzip indessen kein gesetzliches Leitbild darstellt (s. Rn. 11), kommt eine Kontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB von vornherein nicht in Betracht. Eine Vertragszweckgefährdung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB würde voraussetzen, dass bei 45 Geltung des Verstoßprinzips der Kern des Leistungsversprechens ausgehöhlt wird. Davon ist nicht auszugehen. Dies zeigt sich bereits daran, dass bei lückenlosen vorausgehenden und anschließenden, aufeinander abgestimmten D&O-Deckungen keine Gefährdung des Versicherungsschutzes besteht. Riskant ist das kompensationslose Anspruchserhebungsprinzip für die versicherten Personen als Anspruchsinhaberinnen (und reflexartig für den VN; s. Einf Rn. 89) nur dann, wenn der VN lediglich für einen begrenzten Zeitraum überhaupt Versicherungsschutz nimmt. Diese Entscheidung liegt indessen in den Händen des VN und – im Hinblick auf die Vereinbarung und den Inhalt einer Verschaffungspflicht (s. Einf Rn. 49, 68) – der versicherten Personen. Daher ist im Übrigen auch aufsichtsrechtlich kein Verstoß gegen die Produktgestaltungsverantwortung des VR (vgl. § 23 Abs. 1a Abs. 1a, 1b VAG, mit Bereichsausnahme für

Nachmeldefrist u. a. für den Fall eines Insolvenzantrags unwirksam, unter Hinweis auf das Kompensationserfordernis); LG Wiesbaden 23.2.2011 – 7 O 120/10, BeckRS 2011 143306 Rn. 42 (Nachmeldefrist von zwei bis zu drei Jahren genügt). 98 Baumann NZG 2010 1366, 1368 ff.; Schimikowski RuS 2009 331; s. auch R. Koch VersR 2011 295, 297 f.; hingegen eine einjährige Nachmeldefrist grds. für ausreichend haltend Graf v. Westphalen VersR 2011 145, 154. 99 So etwa Heße NZI 2009 790, 792 ff.; Jula 50; R. Koch VersR 2011 295, 297 f.; Melot de Beauregard/Gleich NJW 2013 824, 827; Schimikowski VersR 2010 1533, 1538 ff. 100 Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 128. 101 Grote/Schneider BB 2007 2689, 2697; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 13 ff.; Ziff. A-3 AVBAVG Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Haeling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 69 a. E.; Osswald 49 ff.; Schramm 121; dies. ZVersWiss Suppl. Jahrestagung 2006 285, 287 ff.; s. auch dies. RuS 2013 333, 334 (Rückwärtsdeckung genügt als Kompensation). 102 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 16. 103 Vgl. OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 333. Armbrüster

828

D. Abweichende AVB

AVB D&O A-2

Großrisiken in § 23 Abs. 1d VAG) anzunehmen. Zuzugeben ist der Gegenansicht freilich, dass eine Anschlussdeckung nicht immer möglich ist.104 Auch aus Sicht des VR gilt es hinsichtlich des kompensationslosen Claims-made-Prinzips 46 freilich zu bedenken, dass von dieser Gestaltung ein starker Anreiz für den Geschädigten ausgeht, Ansprüche gegen versicherte Personen möglichst innerhalb des jeweiligen Vertragszeitraums geltend zu machen, um rechtzeitig den Versicherungsfall auszulösen. Dies gilt insbes. im Hinblick auf die Innenhaftung der versicherten Personen gegenüber dem VN. Gelangt man entgegen der hier vertretenen Ansicht zu dem Ergebnis, dass das kompensati- 47 onslose Claims-made-Prinzip nicht wirksam vereinbart werden kann, kommt eine Ergänzung um angemessene Kompensationsregeln im Wege ergänzender Vertragsauslegung in Betracht.105

II. Abweichende Definition des Versicherungsfalls 1. Überblick AVB sehen bisweilen vor, dass über die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber einer versicherten Person hinaus auch weitere Tatbestände als Eintritt des Versicherungsfalls zu behandeln oder einem solchen zumindest gleichzustellen sind.106 Derartige Regelungen sind regelmäßig so auszulegen, dass sich jedenfalls die Anzeigeobliegenheit nach Ziff. B3-3.2 auf die weiteren oder gleich gestellten Fälle erstreckt. Auf diese Weise erlangt der VR bereits zu einem vor der Anspruchserhebung liegenden Zeitpunkt Kenntnis davon, dass künftig Ansprüche i. S. v. Ziff. A-2 erhoben werden könnten. Welche weiteren Folgen die Erstreckung auf solche anderen Fälle hat, muss jeweils im Wege der Auslegung ermittelt werden. Diese wird regelmäßig ergeben, dass die Verwirklichung des jeweiligen Tatbestands jedenfalls nicht dazu führt, dass bereits die Verjährung des Deckungsanspruchs aufgrund einer Anspruchserhebung gegen den VR zu laufen beginnt (s. Rn. 65 ff. zur erweiterten Kostenübernahmeklausel). Sonderfälle sind die Gleichstellung der Umstandsmeldung (s. Ziff. A-5 Rn. 77 ff.) sowie diejenige der Beanspruchung der erweiterten Kostenübernahme (s. Rn. 63 ff.) mit dem Eintritt des Versicherungsfalls. Solche Gestaltungen sind rechtstechnisch nicht empfehlenswert, da es in diesen Fällen kaum Sinn ergibt, die jeweiligen Tatbestände einer Anspruchserhebung gleichzustellen. Dies gilt sogar im Hinblick auf die Anzeigeobliegenheit nach Ziff. B3-3.2, da in den genannten Fällen der VN bzw. die versicherte Person jeweils ohnehin dem VR eine Mitteilung macht. Hingegen lösen derartige Gleichstellungen unnötige Auslegungsfragen im Hinblick auf ihre Reichweite aus. Teils ist die zusätzliche Voraussetzung, dass außer der Anspruchserhebung auch die Pflichtverletzung während der Vertragsdauer erfolgt sein muss (s. Ziff. A-5.1), in Unternehmens-AVB nicht vorgesehen.107 Hierdurch kommt es zu einer deutlichen Erweiterung der Leistungspflicht des VR gegenüber der Rechtslage nach den AVB D&O. Umgekehrt sind erhöhte Anforderungen an den Eintritt des Versicherungsfalls in der Praxis nur selten anzutreffen. Ein Beispiel bietet das Erfordernis der gerichtlichen Inanspruchnahme der versicherten Person als Anspruchserhebung (so auch noch Ziff. 1.3 AVB-AVG 104 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 8. 105 OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 333 (auch zu den Grenzen: Umstandsmeldung, nicht aber Verlängerung der Nachmeldefrist auf die Verjährungsfrist); R. Koch VersR 2011 295, 299 ff. (dreijährige Nachmeldefrist; keine Umstandsmeldung); Baumann VersR 2012 1461, 1465 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-2 Rn. 7; zu weitgehend Franz DB 2011 1961, 1966 (Nachmeldefrist entsprechend Verjährungsfrist) sowie Schramm 123 (Orientierung an § 100 VVG; alle Tatsachen als Versicherungsfall). 106 Überblick zu Gestaltungsalternativen bei Lange RuS 2006 177, 178 ff. 107 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 116. 829

Armbrüster

48

49

50

51

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

2011).108 Dabei genügt es aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen D&O-Versicherungsnehmers und der versicherten Personen (s. zu diesem Auslegungsmaßstab Einf Rn. 65 ff.), dass eine Klage rechtshängig gemacht worden ist; die Durchführung des gesamten Verfahrens ist nicht erforderlich. Eine Klagerücknahme hat mithin nicht zur Folge, dass der Eintritt des Versicherungsfalls rückwirkend beseitigt wird.109 Für dieses Verständnis spricht außer dem Wortlaut und dem Umstand, dass einer Klagerücknahme verschiedene Motive zugrunde liegen können, insbes., dass der Zweck der Klausel, einem kollusiven Zusammenwirken entgegenzutreten, bereits durch die Klageerhebung erreicht wird. Die Klausel führt nicht dazu, dass die Auskunftsobliegenheit aus Ziff. B3-3.2 lit. c und § 31 VVG entfallen würde, da in der Haftungsablehnung durch den VR keine Deckungsablehnung liegt.110 Zulässig ist es auch, eine ernstliche Inanspruchnahme der versicherten Person zu verlangen (zu Ziff. A-2 s. demgegenüber Rn. 27 ff.);111 allerdings muss die Bedeutung dieser zusätzlichen Anforderung hinreichend verdeutlicht werden, woran der BGH strenge Anforderungen stellt.112

2. Einleitung rechtlicher Schritte 52 Zum Teil wird bereits die Einleitung rechtlicher Schritte gegen eine versicherte Person zum Versicherungsfall erklärt, wenn der Ausgang eines solchen Verfahrens zu einer Anspruchserhebung führen könnte.113 Dies gilt auch für Prozesshandlungen wie insbes. die Streitverkündung, welche anderenfalls nicht ausreichen würde (s. Rn. 26). Damit wird dem durch das Claimsmade-Prinzip definierten Versicherungsfall ein weiterer Tatbestand als Versicherungsfall zur Seite gestellt.

3. Aufforderung der AG durch Aktionäre zur Geltendmachung von Ansprüchen 53 a) Überblick. Bisweilen sehen die AVB vor, dass der Anspruch auch dann als geltend gemacht gilt, wenn Aktionäre die AG (als den VN) oder eine Tochtergesellschaft schriftlich auffordern, einen Anspruch gegen eine versicherte Person geltend zu machen, oder wenn sie Klagezulassung beantragen (Anspruchsbegehren). Bei solchen Klauseln stellt sich die Frage, welche Fälle davon erfasst sein sollen. Ungeachtet des Grundsatzes der Innenhaftung (s. Anh Ziff. A-1 Rn. 2) eröffnet das Aktienrecht Aktionären verschiedentlich die Befugnis, die Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder (versicherte Personen) zu betreiben. Zu nennen sind die sog. Aktionärsklage nach den §§ 148, 147 AktG (Klagezulassungsverfahren), konzernrechtliche Ersatzansprüche nach den §§ 310, 309 AktG sowie den §§ 318, 317 AktG und der Schadensersatzanspruch gem. § 117 Abs. 1 S. 2 AktG. Daneben bestehen vereinzelt aktienrechtliche Individualansprüche einzelner Aktionäre. Hinzu kommen allgemeine deliktsrechtliche Haftungstatbestände. Im Folgenden sollen diese Möglichkeiten in der gebotenen Kürze dargelegt werden, um sodann den Regelungsgehalt von Klauseln der eingangs genannten Art zu ermitteln.

108 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 201; Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 41, 50; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 103. 109 Tendenziell so wohl auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 31. 110 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 52; a. A. Graf v. Westphalen VersR 2006 17, 18 f. 111 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 109 a. E. 112 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 Rn. 31 gegen die Vorinstanz OLG Düsseldorf 31.1.2014 – 4 U 176/11, RuS 2014 122, 123 ff.; vgl. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 29 a. E. 113 Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 140; Lange RuS 2006 177, 180 f. Armbrüster

830

D. Abweichende AVB

AVB D&O A-2

b) Handlungsmöglichkeiten von Aktionären aa) Klagezulassungsverfahren nach § 148 AktG. Ist ein Klagezulassungsverfahren nach 54 § 148 AktG erfolgreich, so wird den klagenden Aktionären die Klagebefugnis hinsichtlich der von § 147 AktG umfassten, durch die Gesellschaft nicht geltend gemachten Ersatzansprüche gewährt.114 Bei diesem Verfahren bestehen die strengsten formellen Hürden für eine erfolgreiche Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch Aktionäre gegen Organmitglieder: Erforderlich ist gem. § 148 Abs. 1 AktG das Erreichen des Quorums von einem Prozent des Grundkapitals oder von einem anteiligen Betrag von 100.000 Euro. Es handelt sich daher nicht um ein Individualrecht der Aktionäre, sondern um ein Minderheitsrecht.115 Sind die klagenden Aktionären im Zulassungsverfahren erfolgreich, so dürfen sie die Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen ihre Organmitglieder im eigenen Namen gerichtlich geltend machen, ohne selbst mit dem Prozesskostenrisiko belastet zu werden.116 Die klagenden Aktionäre handeln dabei als gesetzliche Prozessstandschafter der Gesellschaft.117

bb) Konzernrechtliche Ersatzansprüche. Für die konzernrechtlichen Ersatzansprüche 55 der Aktionäre gegen Organmitglieder in §§ 309 Abs. 1, Abs. 4 S. 1, 310 Abs. 1, Abs. 4 AktG (Vertragskonzern) sowie in §§ 317 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4, 318 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 AktG (faktischer Konzern) bedarf es keines besonderen Quorums, um die Ansprüche geltend zu machen. Dem Gesetzgeber erschien es hier geboten, abweichend von sonstigen Minderheitenrechten auf ein Quorum zu verzichten, da zu befürchten sei, dass der Einfluss des herrschenden Unternehmens das Zustandekommen des erforderlichen Quorums verhindert.118 Es handelt sich jeweils um Individualrechte der Aktionäre.119 Jedoch können die Aktionäre jeweils nur Leistung an die Gesellschaft verlangen (§ 309 Abs. 4 S. 2 AktG, ggf. i. V. mit § 310 Abs. 4, § 317 Abs. 4 bzw. § 318 Abs. 4 AktG). Trotz eigener gesetzlich normierter Klagebefugnis der Aktionäre handelt es sich um Innen- 56 haftungsansprüche der Gesellschaft, die im Wege gesetzlicher Prozessstandschaft geltend gemacht werden.120 Insbesondere bei vereinbartem Gewinnabführungsvertrag im Konzern ist es umstritten, ob die Gesellschaft bei den hier interessierenden Ersatzansprüchen überhaupt einen Schaden erleiden kann, da das herrschende Unternehmen gem. § 302 AktG Verluste ohnehin ausgleichen muss und etwaige entgangene Gewinne der beherrschten Gesellschaft aufgrund des Gewinnabführungsvertrages hätten abgeführt werden müssen.121 Indessen müssen Gewinnabführung und Verlustausgleich bei der Schadensberechnung außer Acht bleiben, weil anderenfalls die persönliche Haftung der Organmitglieder leer liefe und ihre präventive Wirkung nicht mehr entfalten könnte.122

cc) Anspruch aus § 117 Abs. 1 S. 2 AktG gegen „Einflussnehmer“. Ein originärer Aktio- 57 närsersatzanspruch, der sich auch gegen Organmitglieder richten kann, findet sich im Akti114 115 116 117 118 119 120

Hüffer/Koch AktG § 148 Rn. 4. Spindler/Stilz/Mock § 148 Rn. 1. MüKo-AktG/Arnold § 148 Rn. 1. MüKo-AktG/Arnold § 148 Rn. 86; Spindler/Stilz/Mock § 148 Rn. 2. Begr. RegE, BTDrucks. IV/171 S. 228 (zu § 298 Abs. 4 AktG-E a. F., nunmehr § 309 Abs. 4 AktG). Spindler/Stilz/Veil § 309 Rn. 34. Str., für gesetzliche Prozessstandschaft KG 25.8.2011 – 25 W 63/11, NZG 2011 1429, 1432; Hüffer/Koch § 309 Rn. 21a; für actio pro socio MüKo-AktG/Altmeppen § 309 Rn. 127; Spindler/Stilz/Veil § 309 Rn. 34. 121 Gegen die Annahme eines Schadens KölnKommAktG/Koppensteiner § 309 Rn. 14; K. Schmidt/Lutter/Langenbucher § 307 Rn. 25. 122 MüKo-AktG/Altmeppen § 309 Rn. 89; Emmerich/Habersack Aktien- und GmbH-Konzernrecht9 § 309 AktG Rn. 40; Hüffer/Koch § 309 Rn. 18; Spindler/Stilz/Veil § 309 Rn. 27. 831

Armbrüster

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

enrecht einzig in § 117 Abs. 1 S. 2 AktG. Zwar richtet sich jene Norm nicht explizit gegen Organmitglieder einer Gesellschaft, jedoch kann der „Einflussnehmer“ i. S. d. Vorschrift auch Organmitglied sein.123 Für die Annahme eines Aktionärsschadens i. S. d. § 117 Abs. 1 S. 2 AktG bedarf es eines Schadens, der über den durch die Schädigung der Gesellschaft auch beim Aktionär spürbaren Reflexschaden hinausgeht.124 Ein solcher kann etwa bei Kursverlusten infolge des schädigenden Verhaltens angenommen werden, wenn der Aktionär dadurch zu einem überstürzten Verkauf der Aktien unter Wert veranlasst wird.125 Bei einem Ersatzanspruch gem. § 117 Abs. 1 S. 2 AktG handelt es sich demnach um einen Außenhaftungsanspruch des Aktionärs.

58 dd) Deliktsrechtliche Ansprüche von Aktionären gegen versicherte Personen. Im Rahmen der Deliktshaftung von Organmitgliedern gegenüber Aktionären ist insbesondere an eine Ersatzpflicht gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz zu denken. In Betracht kommen dabei namentlich die Strafvorschriften der § 399 AktG (Falsche Angaben) und § 400 Abs. 1 AktG (Unrichtige Darstellung) sowie des § 266 StGB (Untreue).126 Darüber hinaus kann eine Haftung von Organmitgliedern nach § 826 BGB bestehen, speziell mit Blick auf die Verletzung von Ad-hoc-Mitteilungspflichten sowie im Rahmen der Prospekthaftung,127 auch neben spezialgesetzlichen Vorschriften des WpPG, des VermAnlG, des KAGB sowie des WpHG. Die Aufnahme von Handlungen einzelner Aktionäre in die Versicherungsfalldefinition 59 mutet jedenfalls dann merkwürdig an, wenn diese Handlungen aufgrund der aktienrechtlich vorgeschriebenen Quoren wirkungslos sind. Dafür kommen mehrere Motive in Betracht. Der VR kann durch diese Gestaltung sicherstellen, dass er wegen der Anzeigeobliegenheit (vgl. Ziff. B3-3.2; § 30 VVG) alsbald davon Kenntnis erlangt, wenn der VN mit entsprechenden Aufforderungen durch Aktionäre konfrontiert wird. Zudem wird der VR dann in die Lage versetzt, selbst schadensbegrenzend oder -abwendend tätig zu werden, etwa indem er eine gütliche Einigung mit den betreffenden Aktionären anstrebt, wie ihm dies etwa auch ermöglicht wird, wenn der VN oder eine versicherte Person von der Möglichkeit einer Umstandsanzeige Gebrauch macht (s. dazu Ziff. A-5.4). Womöglich handelt es sich aber auch um eine unreflektierte Übernahme aus US-amerikanischen D&O-Policen, die unberücksichtigt lässt, dass nach US-amerikanischem Recht Ersatzansprüche von Aktionären eine deutlich größere Bedeutung als nach deutschem Recht haben.128

60 c) Deckungsumfang der Klausel. Orientiert man sich zunächst am Wortlaut der Klausel, so genügt eine jegliche schriftliche Aufforderung der AG durch einen ihrer Aktionäre, ganz unabhängig von der Zahl der von ihm gehaltenen Aktien, um einen Versicherungsfall auszulösen. Indessen setzt ein rechtlich zulässiges Klagezulassungsverfahren nach § 148 AktG, wie aufgezeigt, die Erreichung eines Quorums voraus. Hingegen sieht das Aktiengesetz nicht vor, dass ein oder mehrere Aktionäre, die dieses Quorum insgesamt nicht erreichen, eine rechtlich erhebliche Aufforderung zur Anspruchsgeltendmachung an die Gesellschaft richten können. Vielmehr bleibt den Aktionären in einem solchen Fall lediglich die Möglichkeit, selbst im Wege der Prozessstandschaft bzw. für eigene Rechnung gegen versicherte Personen vorzugehen. Machen sie davon Gebrauch, so wird dadurch kein Versicherungsfall i. S. der Klausel ausgelöst. 123 124 125 126 127 128

Spindler/Stilz/Schall § 117 Rn. 15. MüKo-AktG/Spindler § 117 Rn. 52. BGH NJW 1992 3167, 3171 f.; MüKo-AktG/Spindler § 117 Rn. 54. Mitterlechner/Wax/Witsch § 1 Rn. 21. MüKo-BGB/Wagner § 826 Rn. 102 ff. (Prospekthaftung), Rn. 113 ff. (Ad-hoc-Publizität). Mitterlechner/Wax/Witsch § 1 Rn. 22.

Armbrüster

832

D. Abweichende AVB

AVB D&O A-2

4. Stellung eines Güteantrags Nach einer weiteren bisweilen verwendeten Klausel gilt ein Anspruch als geltend gemacht i. S. 61 der Versicherungsfalldefinition, wenn ein Güteantrag gestellt wird. Sofern dies nicht näher konkretisiert wird, stellt sich die Frage, ob damit allein solche Güteanträge erfasst werden sollen, die sich auf eine Haftung einer versicherten Person beziehen, oder auch – oder gar allein – solche, mit denen eine Haftung des VN geltend gemacht wird. Ein weit gefasster Wortlaut könnte darauf hindeuten, dass beide Fälle gemeint sind. Freilich 62 erweckt eine am Sinn und Zweck der D&O-Versicherung orientierte Auslegung erhebliche Zweifel daran, dass ein allein auf eine Inanspruchnahme des VN bezogener Güteantrag als Versicherungsfall vereinbart sein sollte. Diese Zweifel beruhen darauf, dass eine Haftung des VN keineswegs zwangsläufig eine (Innen-)Haftung von versicherten Personen nach sich ziehen muss. Verstärkt werden diese Zweifel, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Regelung bei einem derartigen Verständnis nur einen einzelnen unter einer ganzen Reihe von möglichen Wegen herausgreifen würde, die Dritten offenstehen, um eine Haftung des VN geltend zu machen. Es wäre nicht erklärlich, wieso gerade und allein der Güteantrag, nicht aber auch andere Instrumente als Versicherungsfall definiert sein sollte. Mithin sind Klauseln des genannten Inhalts so zu verstehen, dass sie allein Güteanträge im Hinblick auf Ansprüche gegen eine versicherte Person erfassen.

III. Erweiterte Kostenübernahme bei wahrscheinlicher Inanspruchnahme 1. Inhalt der Klausel Bisweilen wird den versicherten Personen eine Kostenübernahme für den Fall zugesagt, dass 63 sie einen Rechtsanwalt (u. U. auch Wirtschaftsprüfer oder sonstige Sachverständige) mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragen, wenn eine Inanspruchnahme i. S. der Versicherungsfalldefinition noch nicht erfolgt, aber wahrscheinlich ist (sog. erweiterte Kostenübernahme; „Kosten vor dem Versicherungsfall“).129 Dabei wird typischerweise vorausgesetzt, dass die Mandatierung in Abstimmung mit dem VR oder zumindest nach dessen vorheriger Benachrichtigung erfolgt. Solche Klauseln erstrecken die Deckung auf den Zeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalls, damit die Inanspruchnahme womöglich noch abgewendet oder ihr Umfang begrenzt werden kann. Die Beanspruchung der erweiterten Kostenübernahme wird in manchen Unternehmens- 64 AVB der Geltendmachung eines Anspruchs i. S. der Versicherungsfalldefinition gleichgestellt. Damit ist freilich nicht die Fiktion gemeint, dass der Versicherungsfall als eingetreten angesehen wird. Vielmehr handelt es sich um ein eigenständiges Leistungsversprechen des VR. Dadurch wird der Anspruch auf Ersatz von Abwehrkosten, der bedingungsgemäß nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen ist, erweitert und zeitlich vorverlagert. Die erweiterte Kostenübernahme betrifft den Zeitraum vor einer Anspruchserhebung. Sie hängt einerseits nicht davon ab, ob es anschließend zu einer solchen Inanspruchnahme kommt oder nicht. Andererseits ist sie auf bestimmte Kosten zur Wahrnehmung der Interessen der versicherten Personen beschränkt. Insoweit greifen auch nicht die für den Hauptleistungsanspruch in der D&O-Versicherung dargelegten Regeln zum grds. bestehenden Wahlrecht des VR (zu diesen Regeln s. Ziff. A-6 Rn. 6 ff.) ein. Die von der Vorverlagerung erfassten Kosten sind typischerweise geringer als diejenigen nach einer erfolgten Anspruchserhebung, da in diesem Stadium der Anspruchsabwehr insbes. keine gerichtliche Vertretung zum Zuge kommt.

129 Beispiel: OLG Frankfurt/M.13.3.2008 – 16 U 134/07, RuS 2010 61. 833

Armbrüster

A-2 AVB D&O

Versicherungsfall (Claims-made-Prinzip)

2. Auswirkungen auf die Verjährung 65 Der Anspruch auf Kosten vor dem Versicherungsfall wird bereits jeweils mit Zugang der Zustimmung des VR oder – falls diese genügt – mit dessen Benachrichtigung fällig. Dies führt zu der Frage, ob sich dieser frühe Fälligkeitszeitpunkt auch auf den Beginn der Verjährung des Deckungsanspruchs nach Inanspruchnahme einer versicherten Person auswirkt. Man könnte erwägen, dass eine Entscheidung des VR i. S. v. § 15 VVG vorliegt, wenn der VR (allein) über den Anspruch auf erweiterte Kostenübernahme eine abschließende Entscheidung zu seiner Leistungsbereitschaft trifft und sie dem VN mitteilt. 66 Für die Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu bedenken, dass es sich bei dem Anspruch auf erweiterte Kostenübernahme um ein eigenständiges Leistungsversprechen des VR handelt (s. Rn. 64). Hinsichtlich der Fälligkeit und der dadurch in Gang gesetzten Verjährung ist grds. jeder Anspruch für sich zu betrachten. Daran ändert sich für den Anspruch auf erweiterte Kostenübernahme auch durch den Einheitlichkeitsgrundsatz nichts, demzufolge es sich beim Leistungsversprechen des VR um einen einheitlichen Anspruch auf Deckung handelt, der als solcher einer einheitlichen Verjährung unterliegt (s. dazu Ziff. A-6 Rn. 54 ff.). Dieser Grundsatz lässt sich nämlich schon im Ansatz nicht auf den Anspruch auf erweiterte Kostenübernahme anwenden, der als eigenständiger Anspruch (s. Rn. 64) allein die Abwehrkomponente des Deckungsschutzes betrifft. Eine Inanspruchnahme der erweiterten Kostenübernahme löst mithin mangels Fälligkeit des Deckungsanspruchs nicht dessen Verjährungslauf aus. 67 Wollte man demgegenüber außer dem Abwehr- und dem Freistellungsanspruch auch den Anspruch auf erweiterte Kostenübernahme unter einen einheitlichen Begriff des Deckungsanspruchs fassen, würde dies zu folgender praktischer Konsequenz führen: Bereits in dem Zeitpunkt, in dem eine Benachrichtigung des VR i. S. v. § 15 VVG zur erweiterten Kostenübernahme erfolgt, würde der Lauf der Verjährungsfrist auch für den Hauptanspruch ausgelöst, der bei einer späteren Geltendmachung eines Anspruchs gem. Ziff. A-2 S. 1 besteht. Dies würde bedeuten, dass bereits eine wirtschaftlich betrachtet völlig untergeordnete Rechtsberatung, für deren Kosten der VR in Anspruch genommen wird, die spätere Durchsetzung des ungleich gewichtigeren Deckungsanspruchs i. S. v. Ziff. A-1 vereiteln könnte. Ein solches Ergebnis wäre mit den schutzwürdigen Interessen der versicherten Person unvereinbar. Auch in der Judikatur deutet nichts darauf hin, dass der BGH seine – mit Blick auf die Gleichrangigkeit von Abwehr- und Freistellungsanspruch ergangene – Rspr. zur Verjährung künftig dahingehend erweitern könnte, dass er auch solche Ansprüche gleichsam unter das Dach des einheitlichen Deckungsanspruch zieht, die durch andere Ereignisse ausgelöst werden und überdies andere Zeiträume betreffen, wie es bei dem Anspruch auf erweiterte Kostenübernahme der Fall ist. 68 Dies gilt umso mehr, wenn man davon ausgehen wollte, dass für diesen Anspruch die einheitliche Hemmung der Verjährung nach § 15 VVG nicht eintritt. Der Einheitlichkeitsgrundsatz hat nicht allein zur Folge, dass Abwehr- und Freistellungsanspruch als die beiden Komponenten des Deckungsanspruchs zeitgleich verjähren. Darüber hinaus werden sie auch einheitlich nach § 15 VVG gehemmt, bis dem Anspruchsteller die Entscheidung des VR in Textform zugeht.130 Für eine solche Entscheidung über den Deckungsanspruch genügt es nicht, wenn der VR lediglich unter Vorbehalt vorläufige Abwehrkosten bewilligt; vielmehr muss es sich um eine abschließende Entscheidung handeln.131 Zumindest müsste dann, wenn man den Anspruch auf erweiterte Kostenübernahme als eine weitere Ausprägung eines einheitlichen Deckungsanspruchs begreifen wollte, wiederum der versicherten Person eine einheitliche Hemmung der Verjährung nach § 15 VVG zugute kommen. Allein im Hinblick auf diese Hemmungswirkung wären die aufgezeigten verjährungsrechtlichen Konsequenzen des Einheitlichkeitsgrundsatzes für die versicherte Person tragbar.132 Im Ergebnis sprechen aber die besseren Argumente dafür, dass die 130 Instruktiv Lange § 14 Rn. 178. 131 Prölss/Martin/Armbrüster § 15 Rn. 16. 132 Vgl. etwa Lange § 14 Rn. 178. Armbrüster

834

D. Abweichende AVB

AVB D&O A-2

Entscheidung des VR über den Anspruch auf erweiterte Kostenübernahme schon nicht den Lauf der Verjährung des Deckungsanspruchs in Gang setzt (s. Rn. 67), so dass sich die Frage einer einheitlichen Hemmung gar nicht erst stellt.

835

Armbrüster

A-3 Company reimbursement Besteht eine Verpflichtung des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft, versicherte Personen für den Fall, dass diese von Dritten, also nicht von dem Versicherungsnehmer oder einer Tochtergesellschaft oder einer anderen versicherten Person in dem in A-1 beschriebenen Umfang haftpflichtig gemacht werden, freizustellen (company reimbursement), so geht der Anspruch auf Versicherungsschutz aus diesem Vertrag in dem Umfang von den versicherten Personen auf den Versicherungsnehmer oder seine Tochtergesellschaft über, in welchem dieser seine Freistellungsverpflichtung erfüllt. Voraussetzung für den Übergang des Versicherungsschutzes ist, dass die Freistellungsverpflichtung nach Art und Umfang rechtlich zulässig ist.

Schrifttum (s. zunächst Schrifttum Einf AVB D&O) Lange Die Company-Reimbursement-Klausel in der D&O-Versicherung, VersR 2011 429; H. P. Westermann Freistellungserklärungen für Organmitglieder im Gesellschaftsrecht, FS Beusch (1993) 871. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-3 Company Reimbursement

Ziff. 1 Gegenstand der Versicherung Ziff. 1.2

Besteht eine Verpflichtung des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft, versicherte Personen für den Fall, dass diese von Dritten, also nicht von dem Versicherungsnehmer oder einer Tochtergesellschaft oder einer anderen versicherten Person in dem in A-1 beschriebenen Umfang haftpflichtig gemacht werden, freizustellen (company reimbursement), so geht der Anspruch auf Versicherungsschutz aus diesem Vertrag in dem Umfang von den versicherten Personen auf den Versicherungsnehmer oder seine Tochtergesellschaft über, in welchem dieser seine Freistellungsverpflichtung erfüllt. Voraussetzung für den Übergang des Versicherungsschutzes ist, dass die Freistellungsverpflichtung nach Art und Umfang rechtlich zulässig ist.

Besteht eine Verpflichtung der Versicherungsnehmerin oder einer Tochtergesellschaft, versicherte Personen für den Fall, dass diese von Dritten, also nicht von der Versicherungsnehmerin oder einer Tochtergesellschaft oder einer anderen versicherten Person in dem in Ziffer 1.1 beschriebenen Umfang haftpflichtig gemacht werden, freizustellen (company reimbursement), so geht der Anspruch auf Versicherungsschutz aus diesem Vertrag in dem Umfang von den versicherten Personen auf die Versicherungsnehmerin oder ihre Tochtergesellschaft über, in welchem diese ihre Freistellungsverpflichtung erfüllt. Voraussetzung für den Übergang des Versicherungsschutzes ist, dass die Freistellungsverpflichtung nach Art und Umfang rechtlich zulässig ist.

Übersicht 1

A.

Überblick

B.

Freistellungsverpflichtung

C.

Übergang des Anspruchs auf Versicherungs8 schutz

4

21

D.

Selbstbehalte

I.

Verhältnis von deckungs- und gesellschafts21 rechtlichem Selbstbehalt

II.

Verhältnis der Selbstbehalte nach Ziff. A-6.5 24 Abs. 1 S. 1 und S. 2

III.

Pflicht-Selbstbehalt nach § 93 Abs. 2 S. 3 28 AktG

E.

Abweichende AVB

8

I.

Grundregeln

II.

Rechtsfolgen des Anspruchsübergangs

III.

Auswirkungen auf den Abwehranspruch

IV.

Anspruchsumfang

12 17

29

19

Armbrüster https://doi.org/10.1515/9783110522662-033

836

B. Freistellungsverpflichtung

AVB D&O A-3

A. Überblick Ziff. A-3 ergänzt die in Ziff. A-1 vorgesehene Fremdversicherung („Side A“) durch eine Deckung 1 zugunsten des VN und ihren Tochtergesellschaften („Side B“, Company Reimbursement, Firmen-Enthaftungsversicherung; s. Einf. Rn. 119).1 Die Side B-Deckung soll sicherstellen, dass der durch die Side A-Deckung versprochene Versicherungsschutz in solchen Fällen, in denen die Gesellschaft die versicherte Person von den durch einen Dritten gegen sie erhobenen Anspruch freistellt, nicht gegenstandslos wird. Ohne die in Ziff. A-3 vorgesehene Leistungspflicht des VR gegenüber dem VN und seinen Tochtergesellschaften würde dann nämlich die freistellende Gesellschaft den Freistellungsaufwand anstelle des VR selbst endgültig zu tragen haben.2 Soweit der GDV allerdings davon ausgeht, dass der Schutz ohne die Side B-Deckung „im Wesentlichen ins Leere gehen“3 würde, erscheint diese Einschätzung angesichts der begrenzten Fälle einer Freistellungspflicht (s. Rn. 4 ff.) als zu weitgehend.4 Dem VN oder seiner Tochtergesellschaft wird durch Ziff. A-3 abweichend von Ziff. A-1 2 ein eigener Anspruch gegen den VR verschafft. Damit wird es entbehrlich, dass die versicherte Person ihren Freistellungsanspruch an den VN abtritt, um diesem ein direktes Vorgehen gegen den VR zu ermöglichen (s. dazu Ziff. A-9 Rn. 8 ff.).5 Mithin handelt es sich bei der Side B-Deckung um eine Abweichung von dem in Side A zum Ausdruck kommenden Grundsatz, dass die D&O-Versicherung eine Versicherung für fremde Rechnung ist. Vielmehr handelt es sich insoweit (ebenso wie bei Side C, s. dazu Einf Rn. 120) um eine Eigenversicherung des VN (s. Rn. 9; vgl. aber zur Freistellung durch eine Tochtergesellschaft Rn. 10). Der VN rückt gleichsam anstelle der versicherten Person in die Begünstigtenstellung ein.6 Beide Leistungsversprechen stehen grds. nebeneinander. Der VR muss zwar im Hinblick 3 auf eine bestimmte Inanspruchnahme einer versicherten Person nur einmal leisten. Er kann jedoch der versicherten Person nicht unter Hinweis darauf, dass der VN (oder eine Tochtergesellschaft) zu ihrer Freistellung verpflichtet ist, die nach Ziff. A-1 geschuldete Deckung verweigern.7 Umgekehrt hat die versicherte Person – vorbehaltlich von Rücksichtnahmepflichten aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht –8 die Wahl, ob sie Freistellung von der Gesellschaft und/oder vom VR verlangt.

B. Freistellungsverpflichtung Nach Ziff. A-3 S. 1 setzt die Side B-Deckung voraus, dass der VN oder eine Tochtergesellschaft 4 (s. Rn. 3, 8) gegenüber versicherten Personen zur Freistellung verpflichtet ist. Eine solche Freistellungsverpflichtung kann zwischen ihnen und dem VN oder einer Tochtergesellschaft ausdrücklich vereinbart werden.9 Auch ohne Vereinbarung ergibt sie sich objektiv-rechtlich aus § 670 BGB, der auf den zwischen der Gesellschaft und dem Organmitglied (Vorstand, Geschäftsführer) geschlossenen Dienstvertrag zumindest analog anwendbar ist.10 Soweit es um leitende

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Ihlas 323 ff.; zu den US-amerikanischen Ursprüngen s. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 98 ff. GDV-Erl. zu Ziff. A-3; vgl. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 63 ff. So GDV-Erl. zu Ziff. A-3. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 204. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 62; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 1. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 204. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 6. S. dazu allg. MüKo-BGB/Schäfer § 705 Rn. 228 ff. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 1; näher (auch zur gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit) R. Koch GmbHR 2004 18, 26; H. P. Westermann FS Beusch (1993) 871, 872 ff. 10 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 63; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 206; für direkte Anwendung von § 670 BGB offenbar GDV-Erl. zu Ziff. A-3. 837

Armbrüster

A-3 AVB D&O

Company reimbursement

Angestellte als versicherte Personen geht (s. Ziff. A-1 Rn. 88 ff.), kann eine Freistellungspflicht aus den arbeitsrechtlichen Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung folgen.11 5 § 31a Abs. 2 BGB sieht einen gesetzlichen Freistellungsanspruch von ehrenamtlich tätigen Organmitgliedern und besonderen Vertretern von Vereinen vor. Diese Regelung gilt für eingetragene Vereine i. S. v. §§ 21, 22 BGB sowie über die ausdrückliche Verweisung in § 86 S. 1 BGB auch für Stiftungen; zudem für nicht rechtsfähige Vereine.12 Sie ist hingegen im Hinblick auf den speziellen Normzweck, die Bereitschaft zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen zu fördern, nicht analog auf Verbände in anderen Rechtsformen anwendbar. Dies gilt auch für gemeinnützige Gesellschaften wie etwa die gGmbH.13 Die Freistellungsverpflichtung muss „nach Art und Umfang“ rechtlich zulässig sein 6 (Ziff. A-3 S. 2). Diese Regelung hat lediglich klarstellende Funktion. Es fehlt nämlich bereits an der nach S. 1 erforderlichen Verpflichtung, soweit eine solche gar nicht wirksam begründet werden konnte.14 Zulässig ist eine Freistellungsverpflichtung nur dann, wenn die versicherte Person zwar einen Haftungstatbestand gegenüber Dritten erfüllt, dadurch aber nicht zugleich ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt hat, oder wenn die Gesellschaft auf den durch eine solche Pflichtverletzung im Innenverhältnis entstandenen Anspruch wirksam verzichten kann.15 Ein solcher Verzicht ist nach deutschem Recht, je nach der betreffenden Gesellschaftsform, nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.16 Diese Anforderungen sind bei der Aktiengesellschaft im Hinblick auf die Haftung von Vorstandsmitgliedern besonders streng (s. § 93 Abs. 4 S. 3 AktG: dreijährige Wartefrist und Beschluss der Hauptversammlung). Bei der GmbH bedarf es hingegen grds. lediglich eines Gesellschafterbeschlusses (s. § 46 Nr. 8 GmbHG). Ist die Freistellung unzulässig, so kann die Gesellschaft aus Ziff. A-3 keine Ansprüche gegen den VR herleiten.17 Besteht freilich eine gesetzliche Pflicht zur Freistellung, so greifen die genannten Beschränkungen nicht ein, da die Gesellschaft dann auf nichts verzichtet.18 Die Verpflichtung zur Freistellung muss sich auf die Außenhaftung beziehen.19 Dies folgt 7 bereits daraus, dass eine Freistellung von im Innenverhältnis entstandenen Ansprüchen einen Erlass (vgl. § 397 Abs. 1 BGB) bedeuten würde. Einen derartigen Forderungsverzicht könnte der VN im Übrigen bereits aus gesellschaftsrechtlichen Gründen in vielen Fällen gar nicht wirksam im Voraus vereinbaren (vgl. Rn. 6). Sofern es um die Innenhaftung geht, kann der VN dadurch einen Deckungsanspruch gegen den VR erlangen, dass die versicherte Person den ihr aus der Side A-Deckung zustehenden Anspruch abtritt (s. dazu Ziff. A-9 Rn. 8 ff.)

11 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 63; Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 22; näher zu diesen Grundsätzen MüKo-BGB/Henssler § 619a Rn. 25. 12 MüKo-BGB/Leuschner § 31a Rn. 2. 13 MüKo-BGB/Leuschner § 31a Rn. 2; Reuter NZG 2009 1368, 1369. 14 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 210. 15 Bastuk Enthaftung des Managements 121; Ihlas S. 310 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 63; Lange VersR 2011 429, 431, 437 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 4. 16 Überblick bei Lange VersR 2011 429, 431 f.; vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 21; GDV-Erl. zu Ziff. A-3: „im Ausland meistens zulässig und üblich“. 17 Lange VersR 2011 429, 435. 18 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 206; R. Koch GmbHR 2004 18, 26. 19 GDV-Erl. zu Ziff. A-3 („bei Ansprüchen Dritter“); Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 204; Lange VersR 2011 429, 433 ff.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 3; demgegenüber stellt R. Koch GmbHR 2004 18, 25 f. auf Fallgestaltungen der Innenhaftung ab; vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 22. Armbrüster

838

C. Übergang des Anspruchs auf Versicherungsschutz

AVB D&O A-3

C. Übergang des Anspruchs auf Versicherungsschutz I. Grundregeln Der Anspruch auf Versicherungsschutz geht nach Ziff. A-3 S. 1 von den versicherten Personen 8 auf den VN (oder die Tochtergesellschaft) über, soweit dieser seine – rechtlich zulässige (s. Rn. 6) – Freistellungsverpflichtung erfüllt. Einer gesonderten Abtretung bedarf es demnach nicht. Im Schrifttum ist umstritten, wie dieser Anspruchsübergang dogmatisch zu begreifen ist. Teils wird angenommen, dass der VN „in Abweichung von § 44 VVG nunmehr den Deckungsanspruch geltend machen“20 könne. Dies ist insofern zumindest ungenau, als die Verfügungsbefugnis nach dispositivem Gesetzesrecht ohnehin beim VN liegt (s. § 45 Abs. 1 VVG), was hier freilich durch Ziff. A-8.1 abbedungen ist (s. Ziff. A-8 Rn. 6). Es geht bei dem Übergang nach Ziff. A-3 S. 1 nicht um die Befugnis zur Geltendmachung des Versicherungsanspruchs, sondern um die Inhaberschaft hinsichtlich dieses Anspruchs. Nach anderer Ansicht beinhaltet Ziff. A-3 S. 1 eine vorweggenommene Abtretung der Ansprüche der versicherten Person (§ 44 Abs. 1 VVG) an den VN.21 Indessen ist die in § 44 Abs. 1 S. 1 VVG verankerte Anspruchsinhaberschaft des Versicherten bei der Fremdversicherung grds. unabdingbar.22 Es liegt auch kein Fall einer Verfügung des Versicherten über seine Rechte nach § 44 Abs. 2 vor.23 Die genannten Ansätze erweisen sich zudem für diejenigen Fälle als untauglich, in denen die Freistellung nicht durch den VR, sondern durch eine Tochtergesellschaft erfolgt. Vorzugswürdig erscheint es, angesichts des mit der erfolgten Freistellung von der versi- 9 cherten Person auf den VN bzw. seine Tochtergesellschaft verlagerten Interesses eine Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ (§ 48 VVG) anzunehmen.24 Dazu passt es auch, dass nach den allg. Regeln zur Haftpflichtversicherung grds. Versicherungsschutz für Aufwendungsersatzansprüche eines „Vierten“ gem. § 670 BGB besteht, der eine in den Deckungsbereich der Haftpflichtversicherung fallende Schuld des Versicherten getilgt hat.25 Die Anwendung von § 48 VVG hat zur Folge, dass der Anspruch auf Versicherungsschutz nicht mehr der versicherten Person, sondern dem VN oder seiner Tochtergesellschaft zusteht.26 Mithin handelt es sich bei der Side B-Deckung dann, wenn die Freistellung durch den VN erfolgt, um eine Eigenversicherung.27 Die Eigenständigkeit dieser Deckung gegenüber der Fremdversicherung i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1 zeigt sich auch an den Sonderregeln zur Rechtsausübung (Ziff. A-8.1 Halbs. 2) und zum Selbstbehalt (Ziff. A-6.6 Abs. 1 S. 2; s. dazu Rn. 24).28 Bei Freistellung durch eine Tochtergesellschaft liegt hingegen weiterhin eine Fremdversi- 10 cherung vor, bei der nunmehr allerdings anstelle der versicherten Personen i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1 die Tochtergesellschaft Versicherte ist. Wenn demgegenüber teils eingewandt wird, dass weiterhin kein Anspruch des VN aufgrund eigener Inanspruchnahme bestehe,29 wird übergan20 21 22 23

Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 1. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 62; dagegen Lange VersR 2011 429, 437. Bruck/Möller/Brand9 § 44 Rn. 36; Prölss/Martin/Klimke § 44 VVG Rn. 24. Staudinger/Halm/Wendt/Staudinger/Friesen D&O-Versicherung/AVB-AVG Rn. 61; a. A. offenbar Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 62; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 215 und Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 19, die jeweils § 44 Abs. 2 VVG heranziehen wollen. 24 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 59. 25 BGH 26.11.59 – II ZR 60/58, VersR 1960 73, 74; Bruck/Möller/Koch9 § 100 Rn. 137; Langheid/Wandt/Littbarski § 100 Rn. 73. 26 Vgl. allg. Bruck/Möller/Brand § 48 Rn. 29; dafür im Erg. auch Lange VersR 2011 429, 437. 27 Dreher DB 2005 1669, 1672; Staudinger/Halm/Wendt/Staudinger/Friesen D&O-Versicherung/AVB-AVG Rn. 61; wohl auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 59 f.; a. A. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 205: weiterhin Fremdversicherung zugunsten der versicherten Personen (s. aber dort Rn. 207); vgl. auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 1 („zweifelhaft“, ob keine Fremdversicherung mehr). 28 Staudinger/Halm/Wendt/Staudinger/Friesen D&O-Versicherung/AVB-AVG Rn. 61. 29 So Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 205. 839

Armbrüster

A-3 AVB D&O

Company reimbursement

gen, dass das für eine Eigenversicherung erforderliche Interesse im Fall von Ziff. A-3 S. 1 von vornherein im Ersatz des dem VN durch die Freistellung entstandenen Aufwands liegt. 11 Einigkeit besteht darin, dass die Side B-Deckung eine Haftung der versicherten Personen i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1 gegenüber dem Dritten voraussetzt (s. Rn. 6).

II. Rechtsfolgen des Anspruchsübergangs 12 Die Verfügungsbefugnis über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag steht dann, wenn der Anspruch auf Versicherungsschutz nach Ziff. A-3 S. 1 auf den VN oder eine Tochtergesellschaft übergegangen ist, dieser Gesellschaft zu. Dies folgt daraus, dass die von § 45 Abs. 1 VVG abweichende Regelung in Ziff. A-8 Halbs. 1 nach Halbs. 2 nicht für die Fälle gem. Ziff. A-3 gilt. Die Freistellung i. S. v. Ziff. A-3 S. 1 wird regelmäßig dadurch erfolgen, dass der VN oder die 13 Tochtergesellschaft den Dritten befriedigt. Der haftpflichtversicherungsrechtliche Freistellungsanspruch verwandelt sich dadurch im Umfang der Leistung in einen Zahlungsanspruch gegen den VR.30 Dadurch werden die Rechte des VR nicht verkürzt. Vielmehr ist die Haftpflichtfrage im Rahmen des vom VN gegen den VR angestrengten Zahlungsprozesses zu prüfen, sofern der VR eine Haftung der versicherten Person bestreitet.31 Zudem ist davon auszugehen, dass vor der Freistellung eingetretene Obliegenheitsverletzungen der versicherten Personen i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1 weiterhin relevant bleiben.32 Wenn der VN oder eine Tochtergesellschaft im Außenverhältnis gesamtschuldnerisch ne14 ben der versicherten Person haftet und der VR oder die Tochtergesellschaft gegenüber dem Dritten allein auf die eigene Schuld leistet, stellt sich die Frage, ob in dieser Leistung eine Freistellung i. S. v. A-3 S. 1 liegt. Dies wird teils rundheraus unter Hinweis darauf verneint, dass die leistende Gesellschaft dann gem. § 426 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 BGB (Gesamtschuldnerausgleich und Legalzession) gegen die versicherte Person vorgehen könne. Es fehle daher an einer Freistellung.33 Indessen trifft dies dann nicht zu, wenn der VN oder die Tochtergesellschaft im Innenverhältnis zur versicherten Person zu deren Freistellung verpflichtet ist. In diesem Fall findet weder ein Gesamtschuldnerausgleich noch eine Legalzession statt, so dass in der Leistung eine wirksame Freistellung i. S. v. Ziff. A-3 S. 1 liegt.34 Zahlt die Gesellschaft ohne wirksame Freistellungsverpflichtung auf eine alleinige Schuld 15 der versicherten Person, greift Ziff. A-3 S. 1 nicht ein. Es handelt sich dann um einen Fall der Leistung durch Dritte gem. § 267 Abs. 1 S. 1 BGB, welche nicht zu einem aus der Side B-Deckung herleitbaren Anspruch der Gesellschaft gegen den VR führt.35 Der VN kann in diesem Fall dann direkt gegen den VR vorgehen, wenn die versicherte Person ihren versicherungsrechtlichen Freistellungsanspruch an ihn abtritt, wozu es, da § 108 Abs. 2 VVG mangels Identität von VN und Geschädigtem nicht eingreift, der Zustimmung des VR bedarf.36

30 OLG Stuttgart 21.4.2010 – 3 U 182/09, VersR 2011 213, 214; Baumann RuS 2011 229, 234; Prölss/Martin/Lücke § 105 Rn. 7.

31 Baumann RuS 2011 229, 234; Prölss/Martin/Lücke § 105 Rn. 7; im Erg. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 205, 213; Lange VersR 2011 429, 438. 32 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 1. 33 Lange VersR 2011 429, 433. 34 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 62; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 2; wohl auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 208 (Gesamtschuldnerausgleich nur bei Fehlen einer Company Reimbursement-Klausel). 35 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 62; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 208. 36 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 62; vgl. auch Staudinger/Halm/Wendt/Staudinger/Friesen D&O-Versicherung/AVB-AVG Rn. 62. s. aber auch Rn. 9 zum Schutz des die Schuld tilgenden „Vierten“ in der Haftpflichtversicherung. Armbrüster

840

C. Übergang des Anspruchs auf Versicherungsschutz

AVB D&O A-3

Kommt der VR der zur Freistellung verpflichteten Gesellschaft zuvor, indem er den Dritten 16 befriedigt, so folgt aus dem Zweck des in Ziff. A-3 S. 1 enthaltenen Leistungsversprechens, dass dem VR kein Regress gegen die Gesellschaft zusteht. Insbesondere geht der Freistellungsanspruch der versicherten Person gegen die Gesellschaft nicht nach § 86 Abs. 1 VVG auf den VR über.37 Dies gilt allerdings nur insoweit, als nicht ein versicherungsvertraglicher Selbstbehalt zu Lasten der Gesellschaft vereinbart ist (s. dazu Rn. 24). Besteht eine derartige Selbstbehaltsabrede, so steht dem VR im Umfang des Selbstbehalts der Rückgriff gegen die Gesellschaft zu.38 Damit ist sichergestellt, dass der VR unabhängig davon, ob er oder aber die Gesellschaft die jeweilige Freistellungsverpflichtung zuerst erfüllt, im Ergebnis stets im selben Umfang eintrittspflichtig ist.

III. Auswirkungen auf den Abwehranspruch Der Abwehranspruch verbleibt grds. bei der versicherten Person i. S. v. Ziff. A-1 Abs. 1 (s. aber 17 Rn. 18).39 Der VR kann dem VN oder der Tochtergesellschaft, welche den von dem Dritten geltend gemachten Anspruch erfüllt, nicht entgegenhalten, dass der Anspruch hätte abgewehrt werden müssen. In der Erfüllung im Außenverhältnis liegt nämlich ebenso wenig wie in einem Anerkenntnis (s. Ziff. A-6.1 Abs. 2 S. 2 und dazu Ziff. A-6 Rn. 30) ein Eingriff in das Regulierungsermessen des VR (zu diesem Erfüllungswahlrecht s. Ziff. A-6 Rn 6 ff.).40 Ist die Berechtigung des vom Dritten erhobenen Anspruchs – und damit auch aus haftungsrechtlicher Sicht die Existenz des Freistellungsanspruchs gegen den VR – streitig, so muss darüber vielmehr im Prozess des VN gegen den VR befunden werden (s. Rn. 13). Hat der VN oder die Tochtergesellschaft einer versicherten Person aufgrund einer entspre- 18 chenden wirksamen Verpflichtung deren Abwehrkosten ersetzt, so ist fraglich, ob auch dies zu einem Anspruch gegen den VR aufgrund der Side B-Deckung führt. Nach Ziff. A-3 S. 1 erfordert diese Deckung eine erfolgte Freistellung. Die differenzierende Regelung in Ziff. A-6.1 lit. b), c), welche – in Übereinstimmung mit § 100 VVG – hinsichtlich der Leistungspflicht des VR zwischen Abwehr und Freistellung unterscheidet, spricht dafür, auch die Freistellung durch die Gesellschaft gem. Ziff. A-3 S. 1 restriktiv zu verstehen.41 Indessen geht es bei der vom VR einerseits und von der Gesellschaft andererseits geschuldeten Freistellung um zwei verschiedene Arten einer Freistellung, die keineswegs zwingend dasselbe bedeuten.42 Die Company Reimbursement-Klausel bezweckt erkennbar zu gewährleisten, dass der VR durch die Leistungen von VN oder Tochtergesellschaft nicht von Aufwendungen befreit wird, die vertragsgemäß er zu tragen hätte.43 Auch die weit gefasste Formulierung in Ziff. A-3 S. 1, dass „der Anspruch auf Versicherungsschutz“ auf den VN oder die Tochtergesellschaft übergeht, spricht für dieses weite Verständnis.44 Freilich folgt daraus zugleich, dass nur der Ersatz solcher Abwehrkosten verlangt werden kann, die ohne die erfolgte Freistellung nach dem Versicherungsvertrag der VR zu tragen gehabt hätte.

37 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 62; Lange VersR 2011 429, 432; Thomas Haftungsfreistellung 436.

38 Lange VersR 2011 429, 432. 39 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 213; Lange VersR 2011 429, 437; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 3. 40 Lange VersR 2011 429, 438; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 3. 41 Vgl. allerdings das weitere, die Abwehr umfassende Begriffsverständnis bei BGH 19.1.1983 – IVa ZR 116/81, NJW 1983 1729, 1730. 42 Vgl. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 209. 43 Lange VersR 2011 429, 433. 44 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 3 (im Erg. die Frage allerdings offen lassend). 841

Armbrüster

A-3 AVB D&O

Company reimbursement

IV. Anspruchsumfang 19 Der Anspruch aus der Side B-Deckung besteht nur in dem Umfang, in dem der VN oder die Tochtergesellschaft die Freistellungsverpflichtung erfüllt (so ausdr. Ziff. A-3 S. 1). Soweit der von dem Dritten geltend gemachte Anspruch darüber hinausgeht, lässt die Company Reimbursement-Klausel den in Ziff. A-1 geregelten Versicherungsschutz der versicherten Personen (Side A-Deckung) unberührt. Ein Beispiel bietet der Fall, dass die gesellschaftsrechtliche Freistellungsverpflichtung des VN (oder der Tochtergesellschaft) einen von der versicherten Person zu tragenden Selbstbehalt vorsieht (s. dazu Rn. 21). 20 Die betragsmäßigen Grenzen der Leistungspflicht des VR gelten vorbehaltlich von Sonderregelungen (zum versicherungsvertraglichen Selbstbehalt s. Rn. 24) für alle Deckungsbausteine (Side A, B, C) zusammen.

D. Selbstbehalte I. Verhältnis von deckungs- und gesellschaftsrechtlichem Selbstbehalt 21 Bisweilen sieht die gesellschaftsrechtliche Freistellungsverpflichtung des VN (oder der Tochtergesellschaft) einen von der versicherten Person zu tragenden Selbstbehalt vor. In solchen Fällen geht dann im Umfang dieses Selbstbehalts der Freistellungsanspruch gegen den VR mangels Leistung des VN auf einen Freistellungsanspruch nicht auf letzteren über; vielmehr verbleibt er bei der versicherten Person.45 Ist in der D&O-Versicherung ein Selbstbehalt vereinbart und trifft dieser mit einem bei der 22 Freistellungsverpflichtung des VN vorgesehenen Selbstbehalt (s. Rn. 21) zusammen, so ist auf den versicherungsrechtlichen Selbstbehalt zunächst der gesellschaftsrechtliche Selbstbehalt anzurechnen. Es kommt also nicht zu einer Addition der Selbstbehalte.46 Beispiele: D&O-Selbstbehalt 100.000, Selbstbehalt bei der gesellschaftsrechtlichen Frei23 stellungsverpflichtung 100.000: Übergang nach Ziff. A-3 nur für die Freistellung des VN zugunsten der versicherten Person oberhalb von 100.000 gem. Ziff. A-6.5 (s. Rn. 22). Liegt der gesellschaftsrechtliche Selbstbehalt über 100.000, markiert er die Grenze, oberhalb derer der Übergang nach Ziff. A-3 stattfindet (s. Rn. 21); Ziff. A-6.5 kommt hier nicht daneben zum Zuge.

II. Verhältnis der Selbstbehalte nach Ziff. A-6.5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 24 Die Regelung in Ziff. A-6.5 zum Selbstbehalt sieht in Abs. 1 S. 2 vor, dass im Fall von Ziff. A-3 für den vom VN zu tragenden Selbstbehalt statt des für die versicherte Person maßgeblichen Betrags (Abs. 1 S. 1) der im Versicherungsschein aufgeführte Betrag maßgeblich ist. Dieser Betrag liegt, sofern die Praxis einer entsprechenden Empfehlung folgt, höher als der für die versicherten Personen geltende Selbstbehalt.47 Mit der Vereinbarung des separaten Selbstbehalts lässt sich der höheren Leistungsfähigkeit des VN und seiner Tochtergesellschaften im Vergleich zu den versicherten Personen Rechnung tragen48 und zudem die Gefahr von Manipulationen einschränken.49 Als Beispiel für diese Gefahr führen die GDV-Erl. zu Ziff. A-3 den Fall an, dass die Gesell25 schaft sich gegenüber einem besonders wichtigen Kunden als großzügig erweisen möchte. In 45 46 47 48 49

Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 5. Lange VersR 2011 429, 439; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 5. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.5 S. 2; vgl. auch Lange VersR 2011 429, 439. Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 20. GDV-Erl. zu Ziff. A-3.

Armbrüster

842

D. Selbstbehalte

AVB D&O A-3

solchen Fällen wird der VR zwar auch dadurch vor einer Eintrittspflicht geschützt, dass der Bestand des Haftpflichtanspruchs in dem von der Gesellschaft gegen ihn angestrengten Zahlungsprozess geprüft wird (s. Rn. 13). Indessen stellt ein angemessen hoher Selbstbehalt der Gesellschaft ein geeignetes Instrument dar, um zu verhindern, dass es überhaupt zu sachlich nicht gerechtfertigten Freistellungen kommt. Ziff. A-6.5 Abs. 1 S. 2 spricht nur vom VN und nicht von Tochtergesellschaften. Es ist aber 26 insoweit kein Grund für eine Differenzierung ersichtlich.50 Weist auch der Versicherungsschein allein einen Betrag für den VN aus, so wird man diesen auch für Tochtergesellschaften für maßgeblich zu halten haben (ergänzende Vertragsauslegung). Es kann dazu kommen, dass der VR aufgrund ein und derselben Inanspruchnahme einer 27 versicherten Person teils dieser Person (Side A-Deckung) und teils dem VN oder einer Tochtergesellschaft (Side B-Deckung) leistungspflichtig ist (s. Rn. 19). In Ziff. A-6.5 ist nicht ausdrücklich geregelt, ob in diesem Fall die beiden Selbstbehalte nach S. 1 und S. 2 dieser Klausel kumulativ gelten oder ob eine Anrechnung stattzufinden hat, so dass allein der höhere Selbstbehalt eingreift.51 Für eine Kumulation beider Selbstbehalte52 ließe sich anführen, dass die beiden in S. 1 und S. 2 geregelten Selbstbehalte nebeneinanderstehen und verschiedene Deckungsansprüche betreffen. Zudem wäre dann, wenn der für die versicherte Person vorgesehene Selbstbehalt nicht oder nur eingeschränkt eingreifen würde, die für sie damit verfolgte verhaltenssteuernde Funktion verfehlt.53 Indessen beruht dies nicht auf der Leistung des VR, sondern darauf, dass der VN ihn in einem über den versicherungsrechtlichen Deckungsumfang hinausgehenden Umfang freistellt. Gegen eine Kumulation spricht zudem entscheidend der Zweck der Company Reimbursement-Klausel: Dieser liegt nicht darin den VR zu entlasten, wenn die Gesellschaft aufgrund einer eigenen Freistellungsverpflichtung an den Dritten leistet (s. Rn. 18).

III. Pflicht-Selbstbehalt nach § 93 Abs. 2 S. 3 AktG Der in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG für die D&O-Versicherung von Vorstandsmitgliedern einer AG vorge- 28 schriebene Pflicht-Selbstbehalt (s. Ziff. A-6.5 Abs. 2 und dazu Ziff. A-6 Rn. 146 ff.) ist nicht – auch nicht analog – für Freistellungsvereinbarungen zwischen der AG und ihren Vorstandsmitgliedern vorzusehen.54 Die gesetzliche Regelung des § 93 Abs. 2 S. 3 AktG betrifft allein die durch einen Versicherungsschutz bewirkte Entlastung. Die Frage, inwieweit die Gesellschaft ihre Vorstandsmitglieder selbst von der (Außen-)Haftung freistellen kann, ist davon zu unterscheiden. Sie betrifft nicht allein einen Selbstbehalt, sondern die Zulässigkeit einer Freistellung insgesamt. Wie dargelegt, findet die Befugnis zur Freistellung ihre Grenze darin, dass nicht von der Haftung für ein Verhalten freigestellt werden darf, in dem zugleich eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft liegt, sofern die Gesellschaft auf diese Innenhaftung nicht wirksam verzichten kann (s. Rn. 6). Damit wird dem Anliegen, das der Gesetzgeber mit dem PflichtSelbstbehalt verfolgt (s. Ziff. A-6 Rn. 148), umfassender Rechnung getragen als dies der Fall wäre, wenn eine Freistellung auch in diesem Fall grds. zulässig und nur durch einen Selbstbehalt betragsmäßig beschränkt wäre.

50 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 61. 51 Insoweit nicht eindeutig GDV-Erl. zu Ziff. A-3, wo lediglich von einem „separaten“ Selbstbehalt in Freistellungsfällen gesprochen wird. 52 Dafür ohne Weiteres Lange VersR 2011 429, 439. 53 Vgl. zu diesem Aspekt Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 5 (die Frage des Zusammentreffens dieser beiden Selbstbehalte freilich nicht erörternd). 54 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 63. 843

Armbrüster

A-3 AVB D&O

Company reimbursement

E. Abweichende AVB 29 Nach den älteren Musterbedingungen gilt die Side B-Deckung nur, sofern sie mit dem VR „besonders vereinbart“ wird (Beispiel: Ziff. 1.2 AVB-AVG 2011).55 Ältere Unternehmens-AVB sehen diese Deckung hingegen davon abweichend teils regelhaft vor,56 so wie dies nun in Ziff. A-3 der Fall ist. Eine zusätzliche besonderen Vereinbarung wird dadurch entbehrlich. Nach manchen AVB werden nur Freistellungsverpflichtungen des VN und nicht auch von Tochtergesellschaften erfasst.57 Umgekehrt wird bisweilen die Reichweite der Side B-Deckung auf die Freistellung von der Innenhaftung erstreckt (zu Bedenken s. Rn. 7).58 Fehlt eine Company Reimbursement-Klausel und leistet der VN an den Dritten, so kann er 30 dadurch bei nicht bestehender Schuld eine Leistungspflicht des VR nicht begründen (vgl. zu einem von der versicherten Person abgegebenen Anerkenntnis Ziff. A-6.1 Abs. 2 S. 2). Es kann auch abweichend von Ziff. A-3 S. 1 vorgesehen werden, dass anstelle der tatsächlich 31 erfolgten Freistellung (mandatory indemnification) bereits deren rechtliche Zulässigkeit (presumtive indemnification) genügt, um die Side B-Deckung auszulösen. Für den Umfang ist dann vorbehaltlich einer abweichenden Abrede die maximal zulässige Freistellung maßgeblich.59

55 56 57 58 59

Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 Rn. 203; Lange VersR 2009 429, 430; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-3 Rn. 1. Lange VersR 2011 429 f.; s. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 62 Fn. 216 („meistens“). Eingehend zu abweichenden Klauseln Lange VersR 2011 429 ff. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 101; Staudinger/Halm/Wendt/Staudinger/Friesen D&O-Versicherung/AVB-AVG Rn. 64. Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 20.

Armbrüster

844

A-4 Tochtergesellschaften Tochtergesellschaften im Sinne dieser Bedingungen sind Unternehmen im Sinne von §§ 290 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 1 bis 3, 271 Abs. 1 HGB, bei denen der Versicherungsnehmer unmittel- oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, entweder durch – die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter, – das Recht, die Mehrheit der Mitglieder des Aufsichts-, des Verwaltungsrats oder eines sonstigen Leitungsorgans zu bestellen oder abzuberufen und er gleichzeitig Gesellschafter ist oder – das Recht, die Finanz- und Geschäftspolitik auf Grund eines mit diesem Unternehmen geschlossenen Beherrschungsvertrages oder auf Grund einer Bestimmung in der Satzung dieses Unternehmens zu bestimmen und die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der EU haben. Dies gilt nicht für Personengesellschaften im Sinne des deutschen Rechts und vergleichbare Gesellschaftsformen nach ausländischem Recht. Neu erworbene und neu gegründete Tochtergesellschaften sind ab dem Zeitpunkt, zu dem der Erwerb oder die Gründung dem Versicherer in Textform angezeigt wird, vom Versicherungsschutz erfasst, soweit der Versicherer der Mitversicherung in Textform zugestimmt hat. Maßgeblicher Zeitpunkt der Anzeige ist der Zugang beim Versicherer.

Schrifttum (s. Schrifttum Einf AVB D&O). AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-4 Tochtergesellschaften

Ziff. 1 Gegenstand der Versicherung Ziff. 1.1

Tochtergesellschaften im Sinne dieser Bedingungen sind Unternehmen im Sinne von §§ 290 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 1 bis 3, 271 Abs. 1 HGB, bei denen der Versicherungsnehmer unmittel- oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, entweder durch – die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter,

Tochtergesellschaften sind Unternehmen i. S. v. §§ 290 Abs. 1, Abs. 2, 271 Abs. 1 HGB, bei denen der Versicherungsnehmerin die Leitung oder Kontrolle direkt oder indirekt zusteht, entweder durch

– das Recht, die Mehrheit der Mitglieder des Aufsichts-, des Verwaltungsrats oder eines sonstigen Leitungsorgans zu bestellen oder abzuberufen und er gleichzeitig Gesellschafter ist oder – das Recht, die Finanz- und Geschäftspolitik auf Grund eines mit diesem Unternehmen geschlossenen Beherrschungsvertrages oder auf Grund einer Bestimmung in der Satzung dieses Unternehmens zu bestimmen

– die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter oder – das Recht, die Mehrheit der Mitglieder des Aufsichts-, des Verwaltungsrats oder eines sonstigen Leitungsorgans zu bestellen oder abzuberufen und sie gleichzeitig Gesellschafter ist oder – das Recht, einen beherrschenden Einfluss aufgrund eines mit diesem Unternehmen geschlossenen Beherrschungsvertrages oder aufgrund einer Satzungsbestimmung dieses Unternehmens auszuüben.

und die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der EU haben. Dies gilt nicht für Personengesellschaften im Sinne des deutschen Rechts und vergleichbare Gesellschaftsformen nach ausländischem Recht.

Dies gilt nicht für Personengesellschaften i. S. d. deutschen Rechts und vergleichbare Gesellschaftsformen nach ausländischem Recht.

Neu erworbene und neu gegründete Tochtergesellschaften sind ab dem Zeitpunkt, zu dem der Erwerb oder die Gründung dem Versicherer in Textform angezeigt wird, vom Versicherungsschutz erfasst,

Neuhinzukommende und neugegründete Tochtergesellschaften sind ab dem Zeitpunkt, zu dem der Erwerb oder die Gründung dem Versicherer angezeigt wird, vom Versicherungsschutz erfasst,

845 https://doi.org/10.1515/9783110522662-034

Armbrüster

A-4 AVB D&O

Tochtergesellschaften

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-4 Tochtergesellschaften

Ziff. 1 Gegenstand der Versicherung Ziff. 1.1

soweit der Versicherer der Mitversicherung in Textform zugestimmt hat. Maßgeblicher Zeitpunkt der Anzeige ist der Zugang beim Versicherer.

soweit der Versicherer der Mitversicherung schriftlich zugestimmt hat.

Übersicht 1

A.

Überblick

B.

Tochtergesellschaft (Abs. 1)

I. 1. 2.

4 Beherrschender Einfluss 4 Bezugnahme auf das HGB Sonstige Möglichkeiten der Einflussnahme

II.

Sitz in EU-Mitgliedsstaat

C.

Ausschluss von Personengesellschaften 14 (Abs. 2)

4

12

11

D.

Neuzugänge (Abs. 3)

16

E.

Unternehmens-AVB

23

I.

Definition von Tochtergesellschaften

II.

Geographische Reichweite des Schutzes

III.

Neuzugänge

23 27

30

A. Überblick 1 Ziff. A-4 regelt, welche Anforderungen an Tochtergesellschaften zu stellen sind. Die Klausel baut damit auf Ziff. A-1 Abs. 1 auf. Dort werden Tochtergesellschaften dem VN gleichgestellt. Dies führt dazu, dass der Kreis der versicherten Personen um solche Organmitglieder erweitert wird, die für Tochtergesellschaften tätig sind. Dabei sieht A.4 eine Umschreibung nach abstrakten Kriterien und nicht eine namentliche Auflistung der Gesellschaften (etwa durch einen Verweis auf eine entsprechende Liste im Versicherungsschein) vor. 2 Wird ein Organmitglied der Muttergesellschaft bei der Tochtergesellschaft tätig und geschieht dies in Ausübung der Organaufgaben bei der Mutter, so besteht ohne Weiteres Versicherungsschutz nach Ziff. A-1. Wird dasselbe Organmitglied hingegen jenseits seiner Organaufgaben der Mutter tätig, so besteht kein Versicherungsschutz (zu den Anforderungen an den Schutz nach Ziff. A-1 in Abgrenzung zum Risikoausschluss in Ziff. A-7.7 s. Ziff. A-1 Rn. 40, 46), es sei denn, das Organmitglied ist zugleich Organmitglied der Tochtergesellschaft i. S. v. Ziff. A-4. Für die Einbeziehung von Personen, die nicht Organmitglied der Mutter sind und als Organmitglieder der Tochter für diese handeln, in den Deckungsschutz müssen stets die Anforderungen von Ziff. A-4 erfüllt sein.1 Daher sind auch Tätigkeiten einer versicherten Person in Drittunternehmen (sog. Fremdmandate oder Outside Directorships) nicht gedeckt. Dies gilt sowohl für die Stellung als Mitglied der Geschäftsführung als auch als Aufsichtsratsmitglied.2 Ziff. A-4 Abs. 1 konkretisiert den Begriff der für den Versicherungsschutz erheblichen Toch3 tergesellschaften. Dies geschieht in der Weise, dass es sich um ein Unternehmen i. S. v. §§ 290 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1-3, 271 Abs. 1 HGB handeln muss und dass die weiteren Anforderungen erfüllt sein müssen, welche die Klausel aufstellt. Drei dieser Anforderungen betreffen den beherrschenden Einfluss; sie sind im Wesentlichen wörtlich aus § 290 Abs. 2 Nr. 1–3 HGB übernommen und

1 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-4 Rn. 2. 2 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 73. Armbrüster

846

B. Tochtergesellschaft (Abs. 1)

AVB D&O A-4

müssen nicht kumulativ, sondern nur alternativ erfüllt sein. Eine zusätzliche Voraussetzung betrifft den Sitz der Tochtergesellschaft und damit die geographische Reichweite des Versicherungsschutzes. Abs. 2 nimmt Personengesellschaften nach deutschem Recht und vergleichbare Gesellschaftsformen nach ausländischem Recht aus. Abs. 3 sieht unter bestimmten Voraussetzungen auch den Einschluss neu hinzukommender Tochtergesellschaften in den Versicherungsschutz vor. Damit handelt es sich nicht um eine statische, sondern um eine flexible Konzernpolice.3

B. Tochtergesellschaft (Abs. 1) I. Beherrschender Einfluss 1. Bezugnahme auf das HGB Entscheidendes Kriterium dafür, dass eine Tochtergesellschaft i. S. v. Ziff. A-4 Abs. 1 vorliegt, ist der unmittelbare oder mittelbare beherrschende Einfluss des VN. Daran knüpft auch die Klammerdefinition des Begriffs Tochtergesellschaft in der bilanzrechtlichen Vorschrift des § 290 Abs. 1 S. 1 HGB an. § 290 Abs. 2 HGB listet vier Tatbestände auf, bei denen jeweils ein beherrschender Einfluss anzunehmen ist. Bei diesem nicht abschließenden Katalog, der an bestimmte Kontrollelemente anknüpft, handelt es sich um unwiderlegliche Vermutungen.4 Ziff. A-4 Abs. 1 greift die ersten drei dieser Tatbestände auf. § 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB knüpft an die Mehrheit der Stimmrechte (nicht: der Anteile oder der Präsenz) an, wobei die wesentlichen Entscheidungsbereiche maßgeblich sind. § 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB bezieht sich auf das Recht zur Bestellung und Abberufung des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans; dabei ist eine gleichzeitige Gesellschafterstellung erforderlich. Abweichend von Nr. 2 erfordert Ziff. A-4 Abs. 1 nicht ausdrücklich, dass das Organ die Finanz- und Geschäftspolitik bestimmen muss; daraus ergibt sich aber bei der gebotenen Auslegung anhand des Klauselzwecks, Beherrschungsverhältnisse zu erfassen, kein Unterschied. Nach § 290 Abs. 2 Nr. 3 HGB begründet ein Beherrschungsvertrag oder eine Satzungsbestimmung des Tochterunternehmens einen beherrschenden Einfluss, sofern daraus das Recht erwächst die Finanz- und Geschäftspolitik zu bestimmen. Keinen Bezug nimmt Ziff. A-4 Abs. 1 auf § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Diese Vorschrift betrifft Zweckgesellschaften (Special Purpose Entity, SPE), deren Risiken und Chancen bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung die Muttergesellschaft trägt. Daher genügt allein die wirtschaftliche Beherrschung nicht, damit eine Tochtergesellschaft i. S. v. Ziff. A-4 Abs. 1 vorliegt.5 Wegen der Einzelheiten s. die Kommentierungen zu § 290 HGB.6 Durch das BilMoG 2009 ist das Beteiligungskriterium (Verweis des § 290 Abs. 1 a. F. auf § 271 Abs. 1 HGB) abgeschafft worden. Ziff. A-4 Abs. 1 verweist allerdings ausdrücklich auf § 271 Abs. 1 HGB, so dass das Erfordernis des § 271 Abs. 1 S. 3 HGB gilt: Eine Beteiligung wird demnach vermutet, wenn die Anteile an einer Kapitalgesellschaft insgesamt 20 % des Nennkapitals bzw. der Summe aller Kapitalanteile dieser Gesellschaft überschreiten. Das wird regelmäßig, wenn auch nicht zwingend, der Fall sein, wenn eines der drei Kontrollkriterien erfüllt ist. Hingewiesen sei darauf, dass das in den AVB genannte zweite Kontrollkriterium in seiner Fassung leicht von § 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB a. F. abwich; die Fassung von § 290 Abs. 2 Nr. 2, 3 HGB ist gegenüber der früheren Gesetzesfassung verändert. 3 Zu dieser Differenzierung s. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 56; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/ Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 37; Lange AG 2005 459, 469.

4 Baumbach/Hopt/Merkt § 290 Rn. 9; BeckOGK-HGB/Senger/Kurz, 1.9.2020, § 290 Rn. 55 f. 5 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-4 Rn. 1. 6 Baumbach/Hopt/Merkt § 290 Rn. 10 ff.; BeckOGK-HGB/Senger/Kurz, 1.9.2020, § 290 Rn. 59 ff.; vgl. auch Olbrich 121 ff. 847

Armbrüster

4 5

6

7

8

9

10

A-4 AVB D&O

Tochtergesellschaften

2. Sonstige Möglichkeiten der Einflussnahme 11 Die Regelung in Ziff. A-4 Abs. 1 ist mit der Bezugnahme auf die Tatbestände des § 290 Abs. 2 Nr. 1– 3 HGB abschließend. Sonstige Möglichkeiten der Einflussnahme, wie sie etwa durch Personenidentität von Organmitgliedern in beiden Gesellschaften oder schuldrechtliche Stimmbindungsverträge bestehen können, genügen nicht.7 Dasselbe gilt für eine rein wirtschaftliche Beherrschung (s. Rn. 9).

II. Sitz in EU-Mitgliedsstaat 12 Schließlich sieht Ziff. A-4 Abs. 1 vor, dass die Tochtergesellschaft ihren Sitz in einem EU-Mitgliedstaat haben muss. Damit wird zugleich die geographische Reichweite des Versicherungsschutzes für die versicherten Personen bestimmt. Maßgeblich ist nicht der Sitz dieser Personen, sondern allein derjenige der Tochtergesellschaft. Die klare Beschränkung auf die EU schließt die weiteren Staaten des EWR (Island, Liechtenstein, Norwegen) aus. Auch das Vereinigte Königreich ist mit Wirksamwerden des Austritts am 1.2.2020 kein Mitgliedstaat der EU (und zudem des EWR) mehr. 13 Nach Ziff. 1.1 Abs. 5 AVB-AVG 2013 gelten förmlich bestellte8 Mitglieder in den entsprechenden aufsichts- und geschäftsführenden Organen nach den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten der EU ebenfalls als mitversicherte Personen. Diese Regelung ist in Ziff. A-4 Abs. 1 nicht übernommen worden. Sie hatte allerdings nur klarstellenden Charakter, so dass sich keine inhaltliche Abweichung ergibt (s. auch Ziff. A-1 Rn. 23).

C. Ausschluss von Personengesellschaften (Abs. 2) 14 Nach Abs. 2 sind Personengesellschaften nach deutschem Recht und vergleichbare ausländische Gesellschaften nicht von den Regelungen über Tochtergesellschaften in Abs. 1 erfasst. Ihre Geschäftsführungs- und Aufsichtspersonen sind mithin nicht gem. Ziff. A-1 Abs. 1 versicherte Personen. Damit wird der in der Terminologie von Ziff. A-1 Abs. 1 anklingende Grundsatz, wonach Personengesellschaften nicht die Stellung eines VN einnehmen können (s. Ziff. A-1 Rn. 10), entsprechend auf den Einschluss von Tochtergesellschaften übertragen. 15 Zu den Personengesellschaften deutschen Rechts zählen außer der BGB-Gesellschaft die Personenhandelsgesellschaften, also OHG und KG. Für die GmbH & Co. KG wird man die Lage aus denselben Gründen, die für eine Einbeziehung in Ziff. A-1 Abs. 1 sprechen (s. Ziff. A-1 Rn. 11), anders zu beurteilen haben.

D. Neuzugänge (Abs. 3) 16 Nach Abs. 3 S. 1 sind neu hinzukommende und neu gegründete Tochtergesellschaften – sehr restriktiv – ab dem Zeitpunkt, zu dem eine Anzeige an den VR erfolgt ist und soweit der VR in Textform zugestimmt hat, vom Versicherungsschutz erfasst. Damit ist zugleich klargestellt, dass kein automatischer Versicherungsschutz besteht,9 und dass es sich nicht um eine Gefahrerhöhung i. S. v. Ziff. B3–2 und §§ 23 ff. VVG handelt.10 Besteht für eine neu hinzukom7 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-4 Rn. 1. 8 Maßgebend sind die jeweiligen Bestimmungen der EU-Staaten. Der Begriff der förmlichen Bestellung soll die Wirksamkeit der Bestellung nicht einschließen, so Prölss/Martin/Voit Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 12 (zweifelhaft).

9 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 36. 10 Vgl. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 72; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&OVersicherung Rn. 73; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-4 Rn. 2. Armbrüster

848

D. Neuzugänge (Abs. 3)

AVB D&O A-4

mende Tochtergesellschaft bereits D&O-Versicherungsschutz, sind (vorbehaltlich von Subsidiaritätsklauseln) die Regeln über die Mehrfachversicherung (§§ 77–79 VVG) anwendbar. Zum versicherten Zeitraum trifft Abs. 3 keine Aussage. Insoweit ist angesichts von Ziff. A-5.1 anzunehmen, dass Deckung jedenfalls für solche Pflichtverletzungen gewährt wird, die nach dem Vollzug des Erwerbs der Tochtergesellschaft begangen worden sind. In Betracht kommt, dass den versicherten Personen darüber hinaus in sinngemäßer Anwendung von Ziff. A-5.2 auch die Rückwärtsdeckung zugutekommt. Dafür spricht, dass anderenfalls bei neu hinzukommenden Tochtergesellschaften Deckungslücken drohen, wenn eine Nachhaftung bei einem vorangegangenen Vertrag zeitlich nicht ausreicht, um die Verjährungsfrist abzudecken.11 Dem VR entsteht bei diesem Verständnis von Ziff. A-4 Abs. 3 auch keine unzumutbare Belastung, da die Rückwärtsdeckung bei Kenntnis von der Pflichtverletzung beim Vollzug des Erwerbs in sinngemäßer Anwendung von Ziff. A-5.2 S. 2, 3 entfällt. Dieses Verständnis ergibt sich zumindest in Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Abs. 3 S. 1 macht den Einschluss von einer Zustimmung des VR in Textform (§ 126b BGB) abhängig. Durch dieses Zustimmungserfordernis soll dem VR eine individuelle Risikoprüfung12 und ggf. die Ablehnung oder das Verlangen eines Prämienzuschlags oder auch geänderter AVB ermöglicht werden.13 Die Zustimmung kann bereits im Voraus erteilt werden (vgl. auch die Klammerdefinition in § 183 S. 1 BGB).14 Der Zustimmungsvorbehalt ist praktisch deshalb bedeutsam, weil die Einbeziehung sämtlicher Tochtergesellschaften, welche den Anforderungen von Ziff. A-4 genügen, zu einer erheblichen Ausweitung des versicherten Risikos führen kann. Dies gilt insbesondere für Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten. Die von einer deutschen Gesellschaft genommene D&O-Versicherung hat nämlich auch dann zu leisten, wenn es zu einer Inanspruchnahme einer versicherten Person im Ausland nach ausländischem Recht kommt. Derartige Sachverhalte werden bei der Muttergesellschaft mit Sitz in Deutschland eher selten sein. Hinsichtlich der ausländischen Tochtergesellschaften ist dies anders. Hinzu kommt, dass die Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands nach Ansicht des EuGH eine versicherte Person nur dann bindet, wenn sie dieser Vereinbarung ausdrücklich zugestimmt hat (s. Einf Rn. 174).15 Nach Abs. 3 S. 2 ist für die Anzeige nicht die Absendung, sondern der Zugang beim VR maßgeblich. Dies entspricht dem Zweck, dem VR eine individuelle Risikoprüfung zu ermöglichen (s. Rn. 19). Die AVB enthalten keine Regelung darüber, welcher Zeitraum dem VR ab dem Zugang der Anzeige für diese Risikoprüfung und seine Erklärung über die Zustimmung zur Verfügung steht. Dieser Zeitraum richtet sich nach den jeweiligen für die Risikoprüfung erheblichen Umständen (Rechtsform und Sitz der Tochtergesellschaft, Anzahl der Organe und Organmitglieder usw.). Der VR ist aufgrund des aus § 242 BGB folgenden Kooperationsgebots16 und des schutzwürdigen Interesses des VN daran, ggf. anderweitigen Versicherungsschutz für die Tochtergesellschaft zu beschaffen, zu einer unverzüglichen (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) Entscheidung verpflichtet. Ziff. A-4 Abs. 3 stellt allein auf neu erworbene Gesellschaften ab. Ändert sich nach Vertragsschluss die Zusammensetzung der Organe einer Tochtergesellschaft, so bedarf es im Hinblick auf neu hinzukommende versicherte Personen nicht der Anzeige und Zustimmung gem. Ziff. A-4 Abs. 1. Dies folgt schon daraus, dass der Kreis der versicherten Personen nach der Konzeption der AVB D&O ohnehin nicht namentlich bestimmt und damit individualisiert wird.

11 12 13 14 15 16 849

Vgl. Bastuck/Stelmaszczyk NZG 2011 241, 244 f. GDV-Erl. zu Ziff. A-4. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 36. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-4 Rn. 2. EuGH 12.5.2005 – C-112/03, NJW 2005 2135 Rn. 43. S. dazu Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 292 ff. Armbrüster

17

18

19

20

21

22

A-4 AVB D&O

Tochtergesellschaften

E. Unternehmens-AVB I. Definition von Tochtergesellschaften 23 Bisweilen heben Unternehmens-AVB (soweit die sonstigen Kriterien erfüllt sind) auf „juristische Personen“ (unter Einschluss der GmbH & Co. KG oder AG & Co. KG) ab, teils uneingeschränkt auf „Tochtergesellschaften“. Auch in Unternehmens-AVB ist es üblich, dass keine Individualisierung erfolgt, sondern abstrakte Kriterien verwandt werden.17 Dies genügt den vertragsrechtlichen Anforderungen; erforderlich ist allein, dass der Kreis der Tochtergesellschaften aufgrund der verwendeten Klausel bestimmbar ist.18 Werden die Tochtergesellschaften in den Vertragsunterlagen (insbes. im Versicherungs24 schein) namentlich aufgezählt, so geht dies auch bei Einbeziehung von Ziff. A-4 oder einer inhaltsgleichen Klausel den dort genannten Anforderungen vor.19 Dies folgt regelmäßig bereits aus dem Vorrang der Individualabrede (§ 305b BGB). Zum Begriff der Kontrolle finden sich in den Unternehmens-AVB unterschiedliche Gestal25 tungen.20 Teils wird ohne Verweis auf das HGB allein auf die drei in Ziff. A-4 Abs. 1 aufgezählten Kontrollkriterien abgestellt. In der Sache ergibt sich daraus freilich kein Unterschied. Bisweilen wird auch knapper vorgesehen, dass Tochtergesellschaften solche Gesellschaften sind, an denen der VN direkt oder indirekt mehr als 50 % der Stimmrechte hält oder die er nachweislich beherrscht. Bisweilen werden auch Zweckgesellschaften i. S. v. § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB (s. Rn. 9) in den 26 Versicherungsschutz einbezogen.21 Dabei ist zu bedenken, dass diese Regelung einen bilanzrechtlichen Hintergrund und einen sehr weiten Anwendungsbereich hat.22 So können neben Kapitalgesellschaften auch Personen(handels)gesellschaften oder Einzelkaufleute Zweckgesellschaften sein.23

II. Geographische Reichweite des Schutzes 27 Viele Unternehmens-AVB gewähren im Grundsatz weltweiten Versicherungsschutz.24 Allerdings werden hiervon teils Ansprüche ausgenommen, die z. B. in den USA oder Kanada sowie in weiteren Staaten des Common-Law-Rechtskreises außerhalb der EU geltend gemacht werden.25 Zu beachten sind auch aufsichtsrechtliche Beschränkungen. Durch Internationale Versicherungsprogramme lassen sich lokale Deckungen in den je28 weiligen Sitzländern von Tochtergesellschaften mit einer übergreifenden Differenzdeckung (difference in conditions/difference in limits) oder einer Bilanzschutzdeckung (Financial Interest Cover) kombinieren.26 Kommt es im Zuge einer Umdeckung dazu, dass anstelle weltweiten Versicherungsschutzes 29 der geographisch engere, auf die EU beschränkte Schutz nach Ziff. A-4 Abs. 1 vereinbart wird, so kann darin je nach der Konzernstruktur des VN eine erhebliche Einschränkung des Versi17 18 19 20 21 22 23 24 25

Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 24. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 56. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 12 a. E., Ziff. A-4 Rn. 1. Überblicke bei Bastuck/Stelmaszczyk NZG 2011 241 ff.; Lange AG 2005 459, 463 f. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 110. GDV-Erl. zu Ziff. A-4. BeckOGK-HGB/Senger/Kurz, 1.9.2020, § 290 Rn. 139. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 191, 198; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 107 ff., § 12. S. auch GDV-Erl. zu Ziff. A-1 zum Erfordernis von Anpassungen bei Risiken in Nicht-EU-Staaten, insbes. in Nordamerika. 26 S. dazu Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 2301 ff.; speziell zur D&O-Versicherung R. Koch VersR 2009 141 ff. Armbrüster

850

E. Unternehmens-AVB

AVB D&O A-4

cherungsschutzes liegen. Darauf hat dann ein Makler i. R. der Beratung gem. § 61 Abs. 1 VVG einzugehen.27 Entsprechendes gilt für den Neuabschluss, sofern beide Deckungsoptionen am Markt erhältlich sind.

III. Neuzugänge Was Neuzugänge angeht, sehen Unternehmens-AVB bisweilen vor, dass nur bei erheblichen 30 Änderungen des Risikos (Bilanzsumme der neu hinzukommenden Tochtergesellschaft übersteigt z. B. 20 % oder 30 % der konsolidierten Bilanzsumme des VN) ein Widerspruchsrecht des VR besteht oder eine besondere Vereinbarung zur Erweiterung des Versicherungsschutzes erforderlich ist.28 Ggf. korrespondiert damit eine Prämienanpassung. Bisweilen wird deutlich zwischen prämienneutralem und prämienpflichtigem Einschluss von versicherten Personen neuer Tochterunternehmen unterschieden. Teils ist auch eine automatische Mitversicherung vorgesehen, die aber nachträglich entfällt, wenn keine Anzeige und Vereinbarung über eine Prämienanpassung erfolgt.29 Unter Beachtung diesbezüglicher Vertragsbestimmungen ist ggf. zu entscheiden, ob und 31 inwieweit die gesetzlichen Regelungen über die Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) eingreifen.30 Auch zum maßgeblichen Zeitpunkt, ab dem der Neuzugang in den Deckungsschutz einbezogen ist, gibt es von Ziff. A-4 Abs. 3 abweichende Gestaltungen.31

27 28 29 30

Prölss/Martin/Voit Ziff. A-4 Rn. 1. Vgl. Bastuck/Stelmaszczyk NZG 2011 241 ff.; Lange AG 2005 459 ff.; Lange § 21 Rn. 28 ff. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 24. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-4 Rn. 2.; vgl. auch MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 72; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 73. 31 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-4 Rn. 2. 851

Armbrüster

A-5 Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes A-5.1 Pflichtverletzung und Anspruchserhebung während der Vertragsdauer Versicherungsschutz besteht für alle während der Vertragsdauer eintretenden Versicherungsfälle wegen Pflichtverletzungen, die während der Dauer des Versicherungsvertrages begangen wurden. A-5.2 Rückwärtsdeckung für vorvertragliche Pflichtverletzungen Der Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf Versicherungsfälle aufgrund von vor Vertragsbeginn begangenen Pflichtverletzungen. Dies gilt jedoch nicht für solche Pflichtverletzungen, die die in Anspruch genommene(n) versicherte(n) Person(en) oder der Versicherungsnehmer bei Abschluss dieses Versicherungsvertrages kannte(n). Als bekannt gilt eine Pflichtverletzung, wenn sie von dem Versicherungsnehmer oder der (den) versicherten Person(en) als – wenn auch nur möglicherweise – objektiv fehlsam erkannt oder ihnen gegenüber, wenn auch nur bedingt, als fehlsam bezeichnet worden ist, auch wenn Schadenersatzansprüche weder erhoben noch angedroht noch befürchtet worden sind. A-5.3 Anspruchserhebungen nach Vertragsende (Nachmeldefrist) Der Versicherungsschutz umfasst auch solche Ansprüche, die auf Pflichtverletzungen beruhen, die bis zum Ende des Versicherungsvertrages begangen und innerhalb eines Zeitraums von … Jahren nach Ende des Versicherungsvertrages erhoben und dem Versicherer gemeldet worden sind. Darüber hinaus hat der Versicherungsnehmer das Recht, gegen Zahlung eines zusätzlichen Beitrages in Höhe von … % des letzten Jahresbeitrages die Vereinbarung einer weiteren Nachmeldefrist von … Jahr(en) zu verlangen. Das Recht des Versicherungsnehmers, die Vereinbarung dieser weiteren Nachmeldefrist zu verlangen, erlischt, wenn die Nachmeldefrist nicht innerhalb eines Monats nach Ende des Versicherungsvertrages in Textform beim Versicherer beantragt wird oder wenn die Zahlung des zusätzlichen Beitrages für die Nachmeldefrist nicht unverzüglich geleistet wird. Maßgeblicher Zeitpunkt der Beantragung ist der Zugang beim Versicherer. Das Recht zum Erwerb einer weiteren Nachmeldefrist gilt nicht im Falle der Vertragsbeendigung nach einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers sowie im Falle der Vertragsbeendigung wegen einer durch Neubeherrschung eingetretenen Gefahrerhöhung gem. B-3.2. In den Fällen, in denen der Versicherungsvertrag wegen Zahlungsverzug beendet worden ist, gilt weder die automatische Nachmeldefrist noch das Recht zum Erwerb einer weiteren Nachmeldefrist. Versicherungsschutz besteht für die gesamte Nachmeldefrist im Rahmen und nach Maßgabe der bei Ablauf der letzten Versicherungsperiode geltenden Vertragsbestimmungen, und zwar in Höhe des unverbrauchten Teils der Versicherungssumme der letzten Versicherungsperiode. A-5.4 Meldung von Umständen (Notice of Circumstance) Der Versicherungsnehmer und die versicherten Personen haben die Möglichkeit, dem Versicherer während der Laufzeit des Vertrages konkrete Umstände in Textform zu melden, die eine Inanspruchnahme der versicherten Personen hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Kündigt der Versicherer das Versicherungsverhältnis, kann zudem eine Meldung solcher Umstände innerhalb einer Frist von … Tagen nach Ende des Vertrages erfolgen. Die Meldung von Umständen innerhalb dieser Frist von … Tagen nach Ende des Vertrages ist jedoch nicht möglich, wenn der Versicherungsvertrag aufgrund Zahlungsverzugs beendet worden ist.

Armbrüster https://doi.org/10.1515/9783110522662-035

852

Schrifttum

AVB D&O A-5

Im Fall einer tatsächlichen späteren Inanspruchnahme, die aufgrund eines gemeldeten Umstandes spätestens innerhalb einer Frist von … Jahren erfolgen muss, gilt die Inanspruchnahme als zu dem Zeitpunkt der Meldung der Umstände erfolgt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Meldung ist der Zugang beim Versicherer. A-5.5 Insolvenz Im Fall der Stellung eines Insolvenzantrags über das Vermögen des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft erstreckt sich der Versicherungsschutz für die versicherten Personen des betroffenen Unternehmens nur auf Haftpflichtansprüche infolge von Pflichtverletzungen, die bis zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung begangen worden sind. A-5.6 Liquidation und Neubeherrschung Wird der Versicherungsnehmer selbst freiwillig liquidiert, endet der Versicherungsvertrag mit Abschluss der Liquidation automatisch. Wird der Versicherungsnehmer in entsprechender Anwendung von A-4 neu beherrscht, endet der Versicherungsvertrag nicht automatisch mit Ablauf der Versicherungsperiode. B3–2 bleibt unberührt.

Schrifttum (s. zunächst Schrifttum Einf. AVB D&O) Justen D&O-Deckungsschutz bei Verstoß gegen insolvenzrechtliche Zahlungsverbote, ZIP 2021 24; Fiedler Die Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife und D&O-Versicherungsschutz, VersR 2018 1298; R. Koch Anspruch auf die Versicherungsleistung in der D&O-Versicherung in der Doppelinsolvenz von Gesellschaft und (Alleingesellschafter-)Geschäftsführer, VersR 2020 1284; Lange Der Direktanspruch gegen den D&O-VR in der Insolvenz des Versicherten, RuS 2019 613; A. Reuter Die D&O-Versicherung in der Unternehmensinsolvenz – gelöste und ungelöste Fragen nach dem Stand der Rechtsprechung, FS Pannen (2017) 655. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-5 Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes A-5.1 Pflichtverletzung und Anspruchserhebung während der Vertragsdauer Versicherungsschutz besteht für alle während der Vertragsdauer eintretenden Versicherungsfälle wegen Pflichtverletzungen, die während der Dauer des Versicherungsvertrages begangen wurden.

[Fehlt; vgl. aber Ziff. 3.1]

A-5.2 Rückwärtsdeckung für vorvertragliche Pflichtverletzungen

Ziff. 3 Rückwärtsdeckung, Nachmeldefrist, Meldung von Umständen, Insolvenz Ziff. 3.1 Rückwärtsdeckung für vorvertragliche Pflichtverletzungen

Der Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf Versicherungsfälle aufgrund von vor Vertragsbeginn begangenen Pflichtverletzungen. Dies gilt jedoch nicht für solche Pflichtverletzungen, die die in Anspruch genommene(n) versicherte(n) Person(en) oder der Versicherungsnehmer bei Abschluss dieses Versicherungsvertrages kannte(n). Als bekannt gilt eine Pflichtverletzung, wenn sie von dem Versicherungsnehmer oder der (den) versicherten Person(en) als – wenn auch nur möglicherweise – objektiv fehlsam erkannt oder ihnen gegenüber, wenn auch nur bedingt, als fehlsam bezeichnet worden ist, auch wenn Schadenersatzansprüche weder erhoben noch angedroht noch befürchtet worden sind.

Der Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf Versicherungsfälle aufgrund von vor Vertragsbeginn begangenen Pflichtverletzungen. Dies gilt jedoch nicht für solche Pflichtverletzungen, die eine versicherte Person, die Versicherungsnehmerin oder eine Tochtergesellschaft bei Abschluss dieses Versicherungsvertrages kannte. Als bekannt gilt eine Pflichtverletzung, wenn sie von der Versicherungsnehmerin, einer Tochtergesellschaft oder versicherten Personen als – wenn auch nur möglicherweise – objektiv fehlsam erkannt oder ihnen, wenn auch nur bedingt, als fehlsam bezeichnet worden ist, auch wenn Schadenersatzansprüche weder erhoben noch angedroht noch befürchtet worden sind.

853

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-5 Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes A-5.3 Anspruchserhebungen nach Vertragsende (Nachmeldefrist)

Ziff. 3.2 Nachmeldefrist für Anspruchserhebungen nach Vertragsbeendigung

Der Versicherungsschutz umfasst auch solche Ansprüche, die auf Pflichtverletzungen beruhen, die bis zum Ende des Versicherungsvertrages begangen und innerhalb eines Zeitraums von … Jahren nach Ende des Versicherungsvertrages erhoben und dem Versicherer gemeldet worden sind.

Der Versicherungsschutz umfasst auch solche Anspruchserhebungen, die auf Pflichtverletzungen beruhen, die bis zur Beendigung des Versicherungsvertrages begangen und innerhalb eines Zeitraums von … Jahren nach Beendigung des Versicherungsvertrages erhoben und dem Versicherer gemeldet worden sind.

Darüber hinaus hat der Versicherungsnehmer das Recht, gegen Zahlung eines zusätzlichen Beitrages in Höhe von … % des letzten Jahresbeitrages die Vereinbarung einer weiteren Nachmeldefrist von … Jahr(en) zu verlangen.

Darüber hinaus hat die Versicherungsnehmerin das Recht, gegen Zahlung eines zusätzlichen Beitrages in Höhe von … % des letzten Jahresbeitrages die Vereinbarung einer weiteren Nachmeldefrist von … Jahr(en) zu verlangen; dies gilt jedoch nur, wenn der Versicherungsvertrag mindestens … Jahre bestanden hat.

Das Recht des Versicherungsnehmers, die Vereinbarung dieser weiteren Nachmeldefrist zu verlangen, erlischt, wenn die Nachmeldefrist nicht innerhalb eines Monats nach Ende des Versicherungsvertrages in Textform beim Versicherer beantragt wird oder wenn die Zahlung des zusätzlichen Beitrages für die Nachmeldefrist nicht unverzüglich geleistet wird. Maßgeblicher Zeitpunkt der Beantragung ist der Zugang beim Versicherer.

Das Recht der Versicherungsnehmerin, die Vereinbarung dieser weiteren Nachmeldefrist zu verlangen, erlischt, wenn die Nachmeldefrist nicht innerhalb eines Monats nach Ablauf des Versicherungsvertrages schriftlich beim Versicherer beantragt wird oder wenn die Zahlung des zusätzlichen Beitrages für die Nachmeldefrist nicht unverzüglich geleistet wird.

Das Recht zum Erwerb einer weiteren Nachmeldefrist gilt nicht im Falle der Vertragsbeendigung nach einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers sowie im Falle der Vertragsbeendigung wegen einer durch Neubeherrschung eingetretenen Gefahrerhöhung gem. B-3.2. In den Fällen, in denen der Versicherungsvertrag wegen Zahlungsverzug beendet worden ist, gilt weder die automatische Nachmeldefrist noch das Recht zum Erwerb einer weiteren Nachmeldefrist.

Die automatische Nachmeldefrist wie auch das Recht zum Erwerb einer weiteren Nachmeldefrist gilt nicht für den Fall eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin sowie in den Fällen der Vertragsbeendigung gem. Ziffer 9.3. sowie in den Fällen, in denen der Versicherungsvertrag wegen Zahlungsverzug beendet worden ist. Das gleiche gilt, wenn nach Beendigung dieses Vertrages eine anderweitige Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Unternehmensleiter abgeschlossen wird.

Versicherungsschutz besteht für die gesamte Nachmeldefrist im Rahmen und nach Maßgabe der bei Ablauf der letzten Versicherungsperiode geltenden Vertragsbestimmungen, und zwar in Höhe des unverbrauchten Teils der Versicherungssumme der letzten Versicherungsperiode.

Versicherungsschutz besteht für die gesamte Nachmeldefrist im Rahmen und nach Maßgabe der bei Ablauf des letzten Versicherungsjahres geltenden Vertragsbestimmungen, und zwar in Höhe des unverbrauchten Teils der Versicherungssumme des letzten Versicherungsjahres.

A-5.4 Meldung von Umständen (Notice of Circumstance)

Ziff. 3.3 Meldung von Umständen (Notice of Circumstance – Regelung)

Der Versicherungsnehmer und die versicherten Personen haben die Möglichkeit, dem Versicherer während der Laufzeit des Vertrages konkrete Umstände in Textform zu melden, die eine Inanspruchnahme der versicherten Personen hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.

Die versicherten Personen haben die Möglichkeit, dem Versicherer während der Laufzeit des Vertrages konkrete Umstände zu melden, die eine Inanspruchnahme der versicherten Personen hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.

Kündigt der Versicherer das Versicherungsverhältnis, kann zudem eine Meldung solcher Umstände innerhalb einer Frist von … Tagen nach Ende des Vertrages erfolgen. Die Meldung von Umständen innerhalb dieser Frist von … Tagen nach Ende des Vertrages ist jedoch

Kündigt der Versicherer das Versicherungsverhältnis, kann zudem eine Meldung solcher Umstände innerhalb einer Frist von … Tagen nach Beendigung des Vertrages erfolgen. Die Meldung von Umständen innerhalb dieser Frist von … Tagen nach Beendigung des Vertrages ist

Armbrüster

854

Übersicht

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB D&O A-5

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-5 Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes nicht möglich, wenn der Versicherungsvertrag aufgrund Zahlungsverzugs beendet worden ist.

jedoch nicht möglich, wenn der Versicherungsvertrag aufgrund Zahlungsverzugs beendet worden ist.

Im Fall einer tatsächlichen späteren Inanspruchnahme, die aufgrund eines gemeldeten Umstandes spätestens innerhalb einer Frist von … Jahren erfolgen muss, gilt die Inanspruchnahme als zu dem Zeitpunkt der Meldung der Umstände erfolgt.

Im Fall einer tatsächlichen späteren Inanspruchnahme, die aufgrund eines gemeldeten Umstandes spätestens innerhalb einer Frist von … Jahren erfolgen muss, gilt die Inanspruchnahme als zu dem Zeitpunkt der Meldung der Umstände erfolgt.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Meldung ist der Zugang beim Versicherer.

[fehlt]

A-5.5 Insolvenz

Ziff. 3.4 Insolvenz

Im Fall der Stellung eines Insolvenzantrags über das Vermögen des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft erstreckt sich der Versicherungsschutz für die versicherten Personen des betroffenen Unternehmens nur auf Haftpflichtansprüche infolge von Pflichtverletzungen, die bis zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung begangen worden sind.

Im Fall der Insolvenz der Versicherungsnehmerin oder eines Tochterunternehmens erstreckt sich die Deckung für die versicherten Personen des betroffenen Unternehmens nur auf Haftpflichtansprüche infolge von Pflichtverletzungen, die bis zum Eintritt der Insolvenzreife begangen worden sind.

A-5.6 Liquidation und Neubeherrschung

Ziff. 9.3

Wird der Versicherungsnehmer selbst freiwillig liquidiert, endet der Versicherungsvertrag mit Abschluss der Liquidation automatisch.

Wird die Versicherungsnehmerin selbst freiwillig liquidiert, endet der Versicherungsvertrag mit Abschluss der Liquidation automatisch.

Wird der Versicherungsnehmer in entsprechender Anwendung von A-4 neu beherrscht, endet der Versicherungsvertrag nicht automatisch mit Ablauf der Versicherungsperiode. B3–2 bleibt unberührt.

Wird die Versicherungsnehmerin neu beherrscht, endet der Versicherungsvertrag automatisch spätestens nach Ablauf einer Frist von … Monaten. Versichert sind in diesem Fall nur Versicherungsfälle aufgrund von Pflichtverletzungen, die bis zum Zeitpunkt der Neubeherrschung begangen wurden.

Übersicht 1

b)

A.

Überblick

B.

Grundregel (Ziff. A-5.1)

I.

Anspruchserhebung und Pflichtverletzung wäh5 rend des Vertrags

II.

Abweichende AVB

C.

Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2)

I.

Grundregeln (S. 1)

II.

Ausschluss bei Kenntnis der Pflichtverletzung 12 (S. 2, 3) 12 Überblick 15 Kenntnis 16 Erweiterungen in S. 3 16 a) Grundregeln

1. 2. 3.

855

5 4. 5. 6.

Erkenntnis als möglicherweise objektiv 19 fehlsam (Fall 1) c) Bezeichnung als zumindest bedingt objek20 tiv fehlsam (Fall 2) 21 Wissenszurechnung 24 Gleichzeitige Kenntnis des VR 25 Vorsätzliches Verschweigen

8 9

9

III. 1.

26 Abweichende AVB 26 Muster-AVB a) Strengere Anforderungen an Rückwärtsde26 ckung 28 b) Gleichstellung von Kennenmüssen 29 aa) Meinungsstand 30 bb) Stellungnahme c) Kenntnis weiterer versicherter Perso31 nen d) Kenntnis von Tochtergesellschaf32 ten

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

2.

Unternehmens-AVB

D.

Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3)

I. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

35 Grundlagen 35 Funktionsweise 36 Zweck 37 Terminologie Vertragsbeendigung als Voraussetzung 43 Meldeberechtigung Überblick zu den beiden Nachmeldefris44 ten

II. 1. 2. 3. 4.

Automatische Nachmeldefrist (Abs. 1) 46 Überblick 47 Fristlänge 51 Hinweis Verlängerung von Verjährungsfristen

III.

Optionale weitere Nachmeldefrist (Abs. 2, 54 3) 54 Grundregeln (Abs. 2) 55 Erlöschen des Optionsrechts (Abs. 2 S. 2) 56 a) Monatsfrist (Fall 1) b) Unverzügliche Beitragsleistung 57 (Fall 2) 60 c) Hinweis 61 Ausnahmen (Abs. 3) 61 a) Überblick b) Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfah62 rens c) Vertragsbeendigung wegen Gefahrerhö63 hung infolge Neubeherrschung

1. 2.

3.

33 35

Rechtliche Einordnung

II. 1. 2.

3. 4. 5.

87 Anforderungen (Abs. 1, 2) 87 Meldeberechtigte 89 Zeitraum für die Umstandsmeldung 89 a) Meldung vor Vertragsende (Abs. 1) b) Meldung nach Vertragsende 90 (Abs. 2) 92 c) Maßgeblicher Zeitpunkt (Abs. 5) 93 Inhalt der Umstandsmeldung 94 Form 95 Hinweisobliegenheiten des VR

III. 1. 2. 3.

98 Rechtsfolgen Rückwirkungsfiktion (Abs. 3) Verjährungsrechtliche Folgen? Geheimhaltungspflicht des VR

IV. 1. 2.

105 Reaktionsmöglichkeiten des VR Maßnahmen zur Schadensminderung Folgerungen für die Vertragserneue106 rung

V.

Abweichende AVB

F.

Insolvenzantrag (Ziff. A-5.5)

I.

Grundregeln

111

II.

Wirksamkeit

116

III.

Auswirkungen auf den Versicherungsver117 trag

IV.

Rücknahme des Insolvenzantrags

V.

Beweislast

VI.

Abweichende AVB

G.

Liquidation und Neubeherrschung 124 (Ziff. A-5.6)

I.

Liquidation (Abs. 1)

II.

Neubeherrschung (Abs. 2)

III.

Auswirkungen auf die Nachmeldefris128 ten

38

46

85

4.

98 101 104

53

IV.

Ausschluss bei Zahlungsverzug (Abs. 4)

V.

Umfang der Deckung in der Nachmeldefrist 66 (Abs. 5)

VI. 1. 2.

Abweichende AVB 69 Muster-AVB Unternehmens-AVB

E.

Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4)

I. 1. 2. 3.

77 Grundlagen Zweck der Umstandsmeldung Zeitliche Grenzen der Deckung 83 Freiwilligkeit

64

105

107 111

118

119 120

69 73 77

77 81

124 126

A. Überblick 1 Ziff. A-5 enthält verschiedenartige Vorgaben zum zeitlichen Umfang des Versicherungsschutzes. Diese Regelungen weisen einige Besonderheiten gegenüber sonstigen Haftpflichtversicherungsbedingungen auf, die auf die Geltung des Claims-made-Prinzips (Ziff. A-2) zurückzuführen Armbrüster

856

B. Grundregel (Ziff. A-5.1)

AVB D&O A-5

sind. Eingangs wird festgehalten, dass während der Vertragsdauer nicht nur der Versicherungsfall (Anspruchserhebung) eingetreten, sondern auch die Pflichtverletzung begangen sein muss (Ziff. A-5.1). Diese Regelung ist „gleichsam als Generalklausel“1 den Bestimmungen vorangestellt, welche die für die Deckung maßgeblichen Pflichtverletzungen und Anspruchserhebungen zeitlich konkretisieren (claims-made-and-occurrence-Prinzip; s. Rn. 5 ff.). Die drei anschließenden Klauseln zielen darauf ab, die daraus folgenden Einschränkungen 2 der Deckung zu kompensieren und den versicherten Personen einen effektiven Versicherungsschutz zu gewährleisten. So besteht nach Ziff. A-5.2 eine zeitlich umfassende, lediglich bei Kenntnis entfallende Rückwärtsdeckung. Ziff. A-5.3 sieht für Ansprüche, die erst nach dem Ende des Versicherungsvertrags erhoben werden, aber während seiner Laufzeit begangene Pflichtverletzungen betreffen, eine Nachmeldefrist vor. Überdies kann hinsichtlich wahrscheinlich erscheinender künftiger Inanspruchnahmen eine Umstandsmeldung erfolgen; sie bewirkt, dass eine Inanspruchnahme bereits als zum Zeitpunkt der Meldung erfolgt gilt (Ziff. A-5.4). Die beiden abschließenden Klauseln betreffen hingegen zeitliche Einschränkungen des 3 Versicherungsschutzes in speziellen Situationen. Wird ein Insolvenzantrag gestellt, so besteht der Schutz nur für Pflichtverletzungen, die bis zum Zeitpunkt der Antragstellung begangen wurden (Ziff. A-5.5). Bei einer freiwilligen Liquidation des VN endet der Versicherungsvertrag mit deren Abschluss (Ziff. A-5.6). Regelungen zur materiellen Vertragsdauer sind in Teil B (Allgemeiner Teil) enthalten (s. 4 Rn. 7).

B. Grundregel (Ziff. A-5.1) I. Anspruchserhebung und Pflichtverletzung während des Vertrags Bereits die Überschrift von Ziff. A-5.1 bringt die Grundregel klar zum Ausdruck: Sowohl Anspruchs- 5 erhebung (vorbehaltlich Umstandsmeldung, Ziff. A-5.4) als auch Pflichtverletzung (vorbehaltlich Rückwärtsdeckung, Ziff. A-5.2, und Nachmeldefrist, Ziff. A-5.3) müssen während der Vertragsdauer stattfinden. Mithin ist die Dauer des Versicherungsvertrags (materieller Versicherungszeitraum; s. Rn. 56) nicht nur für die Anspruchserhebung maßgeblich, sondern auch für die Pflichtverletzung (claims-made-and-occurrence-Prinzip; s. Ziff. A-2 Rn. 18). Über diese Anforderung hinaus hat die Pflichtverletzung auch in anderer Hinsicht eine eigenständige Bedeutung, etwa für die Kenntnis bei der Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2), für den praktisch ganz im Vordergrund stehenden Risikoausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung (Ziff. A-7.1) und für die Beendigung des Versicherungsschutzes bei Insolvenz des VN oder einer Tochtergesellschaft (Ziff. A-5.5). Nach der hier vertretenen Ansicht begegnet das Claims-made-Prinzip ohne gleichzeitige 6 Vereinbarung von Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2) und Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3) im Erg. keinen AGB-rechtlichen Bedenken (s. Ziff. A-2 Rn. 40 ff.). Dies gilt auch für die in Ziff. A-5.1 geregelte zusätzliche Anforderung im Hinblick auf die Pflichtverletzung.2 Es liegt grds. im unternehmerischen Ermessen des VR, ob er Versicherungsschutz für sämtliche vor dem Vertragsende (Vertragslaufzeit plus Rückwärtsdeckung) begangenen Pflichtverletzungen gewährt oder nur für die während der Vertragsdauer begangenen.3 Die materielle Vertragsdauer, auf welche die Grundregel in Ziff. A-5.1 abstellt, ist in Ziff. B2- 7 1.1 definiert (s. Ziff. B2 Rn. 1). Maßgeblich ist demnach der im Versicherungsschein angegebene Zeitraum. Er beträgt üblicherweise ein Jahr; in diesem Fall stimmt er mit der Länge der Versi1 GDV-Erl. zu Ziff. A-5.1. 2 Insoweit krit. etwa Baumann VersR 2012 1461, 1463 ff. 3 Zur Historie der Musterbedingungen s. insoweit Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. D&O-Versicherung Rn. 97; zu beweisrechtlichen Konsequenzen der unterschiedlichen Gestaltungen s. OLG Koblenz 18.6.2010 – 10 U 1185/09, VersR 2011 1042, 1043; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 110. 857

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

cherungsperiode (Ziff. B1-2.2) und des Versicherungsjahres (Ziff. B1-2.3) überein. Ziff. B2-1.2 sieht eine stillschweigende Verlängerung um jeweils ein Jahr vor, wenn nicht einer der Parteien spätestens drei Monate vor Ablauf der jeweiligen Vertragslaufzeit eine Kündigung zugegangen ist. Es handelt sich mithin nicht um eine Ablauf-, sondern um eine Verlängerungspolice. Dadurch werden der VN und die versicherten Personen davor bewahrt, dass der Versicherungsschutz dann, wenn der VN untätig bleibt, automatisch endet.

II. Abweichende AVB 8 In früheren Musterbedingungen fehlte eine A-5.1 entsprechende Grundregel noch. Freilich hat die ausdrückliche Regelung des claims-made-and-occurrence-Prinzips nur klarstellenden Charakter, da sich die Verknüpfung aus der Klausel zur Rückwärtsdeckung ablesen lässt.4 Was die Vertragsdauer (s. Rn. 7) angeht, ist in älteren Musterbedingungen anstelle einer Verlängerungseine Ablaufpolice vorgesehen. In diesem Fall kann der VR vor einem Anschlussvertrag eine erneute Risikoprüfung vornehmen. Zudem greifen die Regeln über die vorvertragliche Anzeigepflicht (Ziff. B3-1; §§ 19 ff. VVG) ein. Nach Ziff. B2-1.2 muss er hingegen rechtzeitig kündigen, wenn er den Vertrag wegen einer geänderten Risikoeinschätzung nicht fortführen will.

C. Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2) I. Grundregeln (S. 1) 9 Ziff. A-5.2 erstreckt den Versicherungsschutz auf Pflichtverletzungen, die vor dem materiellen Vertragsbeginn (s. Rn. 56) begangen worden sind und die weder der VN noch die in Anspruch genommenen versicherten Personen bei Vertragsschluss kannten. Es geht mithin nicht um bereits erfolgte Anspruchserhebungen. Da die Anspruchserhebung und nicht die Pflichtverletzung den Versicherungsfall darstellt (s. Ziff. A-2 Rn. 18), handelt es sich bei der sog. Rückwärtsdeckung nach Ziff. A-5.2 nicht um eine Rückwärtsversicherung i. S. v. § 2 VVG.5 Der Begriff „Rückwärtsdeckung“ wurde deshalb bewusst gewählt.6 Es bestehen allerdings gewisse Parallelen zu der in § 2 VVG geregelten Situation.7 Dies 10 gilt insbes. im Hinblick darauf, dass der VR ein Bedürfnis hat, sich gegen Zweckabschlüsse abzusichern. Indem Ziff. A-5.2 die Rückwärtsdeckung bei Kenntnis von der vorvertraglichen Pflichtverletzung versagt (s. Rn. 12 ff.), begrenzt die Klausel den Versicherungsschutz.8 Stattdessen würde auch eine Ausgestaltung als vorvertragliche Anzeigepflicht i. S. v. §§ 19 ff. VVG in Betracht kommen. Die Rückwärtsdeckung ergibt sich – anders als bei Gestaltungen, in denen eine Ziff. A-5.1 entsprechende Regelung fehlt –9 nicht bereits daraus, dass das Anspruchserhebungsprinzip als Versicherungsfall definiert ist. Vielmehr hat Ziff. A-5.2 konstitutive Wirkung. In Ziff. A-5.2 ist keine zeitliche Begrenzung der Rückwärtsdeckung vorgesehen. Es handelt 11 sich mithin um eine unbegrenzte Rückwärtsdeckung.10

4 S. etwa Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 2 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 2. 5 Schramm 130 ff. 6 GDV-Erl. zu Ziff. A-5.2; krit. offenbar Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 1 (es handele sich um keinen Fall der Rückwärtsdeckung); beide Begriffe gleichsetzend Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 5.

7 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 1. 8 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 2. 9 Schramm 41. 10 GDV-Erl. zu Ziff. A-5.2. Armbrüster

858

C. Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2)

AVB D&O A-5

II. Ausschluss bei Kenntnis der Pflichtverletzung (S. 2, 3) 1. Überblick Die Rückwärtsdeckung ist im Hinblick auf solche Pflichtverletzungen ausgeschlossen, die den in 12 Anspruch genommenen versicherten Personen oder dem VN bei Vertragsschluss bekannt waren (S. 2). Auf die Kenntnis weiterer versicherter Personen kommt es mithin nicht an.11 Kenntnis wird in S. 3 dahin gehend definiert, dass die Pflichtverletzung – wenn auch nur möglicherweise – als „objektiv fehlsam“ erkannt wurde. Dem wird der Fall gleichgestellt, dass die Pflichtverletzung der oder den versicherten Personen gegenüber als, wenn auch nur bedingt, fehlsam bezeichnet wurde, auch wenn Schadensersatzansprüche nicht erhoben, angedroht oder befürchtet worden sind. Da es sich nicht um eine Rückwärtsversicherung handelt (s. Rn. 9), ist § 2 VVG unanwendbar. Eine gewisse inhaltliche Nähe weist der Ausschluss bei Kenntnis zur vorvertraglichen An- 13 zeigepflicht gem. Ziff. B3–1 und §§ 19 ff. VVG auf (s. Rn. 22). Indessen bedeutet dies nicht, dass die Vertragsgestaltungsfreiheit – etwa sub specie der Leitbildkontrolle nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB – dadurch eingeschränkt wäre, dass die §§ 19 ff. VVG für die Sanktionierung von Anzeigepflichtverletzungen strengere Anforderungen aufstellen.12 In der Praxis fragen VR verbreitet vor Vertragsschluss, ob Pflichtverletzungen bekannt sind. Geschieht dies unter Beachtung der Vorgaben von § 19 Abs. 1 VVG, so greifen die Rechtsfolgen der §§ 19 ff. VVG ein. Der Ausschluss bei Kenntnis soll verhindern, dass angesichts der gewährten Rückwärtsde- 14 ckung Zweckabschlüsse vorgenommen werden.13 Darin liegt ein legitimes Ziel. Angesichts der Ausgestaltung als Ausnahme zur Rückwärtsdeckung trägt der VR die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Kenntnis.14

2. Kenntnis Unter Kenntnis ist grds. positives Wissen zu verstehen. Ein Kennenmüssen (grob fahrlässige Un- 15 kenntnis) genügt nicht.15 Die Kenntnis bezieht sich auf die Pflichtverletzung. Dies bedeutet, dass allein die Kenntnis des tatsächlichen Verhaltens (Tun oder Unterlassen) nicht genügt. Vielmehr ist zudem das Wissen erforderlich, dass dieses Verhalten möglicherweise pflichtwidrig ist.16

3. Erweiterungen in S. 3 a) Grundregeln. In S. 3 wird Kenntnis in Anlehnung an § 2 Abs. 2.2 AVB-Vermögen in einem 16 weiten Sinne definiert.17 Es handelt sich um eine Fiktion.18 Die Regelung ist unter Hinweis auf

11 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 2. 12 So im Erg. auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 35. 13 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 11; vgl. auch Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366 (mit rechtspol. Plädoyer für reine Vorwärtsversicherung). 14 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 10; Lattwein NVersZ 1999 49, 51 a. E.; Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 367; vgl. zu einer abweichenden Gestaltung mit gegenteiliger Beweislastverteilung High Court of Justice (Queen’s Bench Division) 2.3.2018 – (2018) EWHC 358 (QB), RuS 2019 145 Rn. 37 ff. 15 OLG Koblenz 18.6.2010 – 10 U 1185/09, VersR 2011 1042, 1043 f.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVBAVG Rn. 9; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 131; s. auch BGH 5.11.2014 – IV ZR 8/13, VersR 2015 89 Rn. 14 (betr. Rückwärtsversicherung). 16 OLG Koblenz 18.6.2010 – 10 U 1185/09, VersR 2011 1042, 1044; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 108; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C D&O-Versicherung Rn. 99. 17 Ihlas 382. 18 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 31. 859

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

den Vergleich zu den §§ 19 ff. VVG teils als „nicht unproblematisch“19 bezeichnet worden. Indessen geht es hier nicht um eine der vorvertraglichen Anzeigepflicht vergleichbare Situation, sondern darum die Gefahr von Zweckabschlüssen einzudämmen (s. Rn. 14).20 Da positive Kenntnis eine innere Tatsache ist, deren Beweis dem VR (zu seiner Beweislast s. Rn. 14) oft nicht leicht fallen wird,21 erscheint es nicht unangemessen den Begriff in den AVB zu konkretisieren, wie dies in S. 3 geschieht. 17 S. 3 stellt nicht nochmals ausdrücklich klar, dass es allein um die Kenntnis solcher versicherten Personen geht, die jeweils in Anspruch genommen werden. Eine solche Klarstellung ist freilich entbehrlich. Da in S. 3 die Anforderungen an die Kenntnis i. S. v. S. 2 konkretisiert werden, ist die entsprechende Einschränkung auf den in S. 2 genannten Personenkreis ohne Weiteres auch für S. 3 maßgeblich.22 In S. 3 geht es jeweils auch um die Situation, dass Schadensersatzansprüche (noch) nicht 18 erhoben, angedroht oder befürchtet worden sind. Die Regelung umfasst zwei verschiedene Fälle (s. Rn. 19 f.).

19 b) Erkenntnis als möglicherweise objektiv fehlsam (Fall 1). Nach S. 3 Fall 1 genügt es für Kenntnis i. S. v. S. 2, wenn die Pflichtverletzung vom VN oder „der (den) versicherten Person(en)“ als möglicherweise objektiv fehlsam erkannt wurde. Dabei ist „fehlsam“ mit „pflichtwidrig“ gleichzusetzen.

20 c) Bezeichnung als zumindest bedingt objektiv fehlsam (Fall 2). Die Pflichtverletzung gilt auch dann als bekannt, wenn sie dem VN oder „der (den) versicherten Person(en)“ gegenüber, wenn auch nur bedingt, als objektiv fehlsam bezeichnet worden ist.

4. Wissenszurechnung 21 Nach Ziff. A-5.2 S. 2 kommt es hinsichtlich der Kenntnis auf die in Anspruch genommenen versicherten Personen und auf den VN an. Dies entspricht § 47 Abs. 1 VVG. Daneben gelten die Regeln zur Wissenszurechnung in Unternehmen und Konzernen (s. auch Ziff. B3 Rn. 5 ff.).23 Praktisch bedeutsam ist die Frage, inwiefern die Kenntnis einer versicherten Person einer anderen zuzurechnen ist. Aus dem Wortlaut von Ziff. A-5.2 S. 2 lassen sich insoweit keine klaren Anhaltspunkte entnehmen. Nach dem Grundsatz der Einzelwirkung schadet die Kenntnis einer versicherten Person anderen versicherten Personen nicht.24 Allerdings kann sich die Zurechnung des Wissens einer versicherten Person zum VN 22 letztlich doch zum Nachteil anderer versicherter Personen auswirken. Gewisse Parallelen weist die Wissenszurechnung bei Ziff. A-5.2 S. 2 zu derjenigen bei der Anzeigepflicht nach § 19 VVG und bei der Arglistanfechtung nach § 123 Abs. 1 Fall 1 BGB auf. So hat der BGH im Kontext von § 123 BGB betont, dass die Versicherten ihre Rechte nur so erwerben können, wie der VN sie gestaltet hat, so dass der VR ihnen ungeachtet dessen, dass allein der VN arglistig gehandelt hat, eine Arglistanfechtung entgegenhalten kann.25 Dementsprechend lässt sich für Ziff. A-5.2 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 31 (zu Ziff. 3.1 Abs. 2 S. 2 AVB-AVG 2013). S. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 12. Ihlas Organhaftung und Haftpflichtversicherung 208; Olbrich 153. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 2 a. E. Überblicke bei Armbrüster/Kosich ZIP 2020 1494 ff; Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 116 ff.; s. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 7 AVB-AVG Rn. 19 ff. 24 Näher Bruck/Möller/Brand § 47 Rn. 26 f.; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 10. 25 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563 Rn. 32 (HEROS II).

19 20 21 22 23

Armbrüster

860

C. Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2)

AVB D&O A-5

S. 2 festhalten, dass eine versicherte Person es hinzunehmen hat, wenn dem VN die Kenntnis einer anderen versicherten Person zugerechnet wird, sodass der Ausschluss der Rückwärtsdeckung eingreift. Derselbe Gedanke liegt auch der in der Comroad-Entscheidung des OLG Düsseldorf26 vorgenommenen Wissenszurechnung zugrunde. Keine Wissenszurechnung findet nach Ziff. A-5.2 S. 2 im Hinblick auf Kenntnisse einer 23 Tochtergesellschaft statt. Eine solche Zurechnung war in Ziff. 3.1 S. 2 AVB-AVG 2013 noch ausdrücklich vorgesehen (s. Rn. 32); sie wurde wegen teilweise geäußerter AGB-rechtlicher Bedenken und fehlender Marktüblichkeit nicht in die AVB D&O übernommen.27

5. Gleichzeitige Kenntnis des VR Ist eine Pflichtverletzung außer dem VN und/oder der in Anspruch genommenen versicherten 24 Person auch dem VR bekannt, so bedarf dieser nicht des mit Ziff. A-5.2 S. 2, 3 beabsichtigten Schutzes vor Zweckabschlüssen. Die Regeln zum Wegfall der Rückwärtsdeckung sind daher im Wege teleologischer Reduktion nicht auf diesen Fall anzuwenden.28 Dies entspricht auch der Rechtslage bei beiderseitiger Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls, bevor der VN seine Vertragserklärung abgegeben hat, bei der Rückwärtsversicherung.29 Diese einschränkende Auslegung führt nicht zur Intransparenz von Ziff. A-5.2 S. 2, 3.30 Bei gleichzeitiger Kenntnis des VR dürfte es sich um einen seltenen Ausnahmefall handeln, der keine Aufnahme in die AVB gebietet; anderenfalls könnte Intransparenz durch Überfrachtung drohen. Zudem wird der VR in Kenntnis einer Pflichtverletzung den Vertrag regelmäßig ohnehin nur unter (individualvertraglichem) Ausschluss der Leistungspflicht für diesen Fall einer während der Vertragslaufzeit drohenden Inanspruchnahme schließen.

6. Vorsätzliches Verschweigen Fragt der VR den VN gem. § 19 Abs. 1 VVG in Textform vor Vertragsschluss nach ihm bekannten 25 Pflichtverletzungen und verschweigt der VN solche Umstände vorsätzlich, so steht dem VR – über das Nichteingreifen der Rückwärtsdeckung nach Ziff. A-5.2 S. 2, 3 hinaus – nach näherer Maßgabe von § 19 Abs. 2-4, 21 VVG u. U. ein Rücktrittsrecht zu. Hat der VN arglistig gehandelt, so kann der VR alternativ den Vertrag nach § 123 Abs. 1 Fall 1 BGB anfechten; die §§ 19 ff. VVG schließen dies gem. § 22 VVG nicht aus.31

III. Abweichende AVB 1. Muster-AVB a) Strengere Anforderungen an Rückwärtsdeckung. Bis (einschließlich) zu den AVB-AVG 26 2010 wurde eine Rückwärtsdeckung nur unter wesentlich engeren Voraussetzungen geboten. So wird Rückwärtsdeckung nach Ziff. 3.2 AVB-AVG 2010 nur beim Wechsel des VR und nur bei Ansprüchen Dritter (Außenhaftung) gewährt. Zudem ist eine besondere Vereinbarung erforderlich. Dieses Erfordernis wurde teils deshalb als konsequent angesehen, weil § 100 VVG nur 26 27 28 29 30 31 861

OLG Düsseldorf 23.8.2005 – I-4 U 140/04, VersR 2006 785, 786 f.; s. dazu MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 66. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.2. So im Erg. auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 3. S. dazu Prölss/Martin/Armbrüster § 2 Rn. 32. In dieser Richtung aber Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 3. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 4. Beispiel: LG Düsseldorf 11.8.2010 – 9 O 289/09, BeckRS 2010 19444. Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Pflichtverletzungen während der Vertragsdauer erfasse.32 Indessen ist es unter diesem Gesichtspunkt gleichgültig, ob die Rückwärtsdeckung standardmäßig in den AVB enthalten ist oder gesondert vereinbart wird. Auch ist mit der besonderen Vereinbarung gegenüber einer standardmäßigen, den Anforderungen des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB genügenden Rückwärtsversicherung kein entscheidender Zugewinn an Transparenz verbunden. Umgekehrt riskieren der VN und die versicherten Personen nach der älteren Konzeption, dass die besondere Vereinbarung unterbleibt und damit keine Rückwärtsdeckung besteht. 27 Die Anforderungen an eine besondere Vereinbarung sind nicht mit denen einer „gesonderten schriftlichen Erklärung“ (vgl. §§ 6 Abs. 3 S. 1, 7 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 VVG) gleichzusetzen. Die gesetzlichen Vorschriften betreffen Verzichtserklärungen; sie sollen einen Warnzweck erfüllen. Hier geht es hingegen lediglich darum, dass der jeweilige Verwender die Rückwärtsdeckung nicht bereits standardmäßig i. R. der Grunddeckung vorsieht. Daher ist jedenfalls eine zu den Muster-AVB hinzutretende Abrede erforderlich, die nicht notwendig individualvertraglich erfolgen muss.33

28 b) Gleichstellung von Kennenmüssen. In Ziff. 3.2 S. 2 AVB-AVG 2010 wird abweichend von Ziff. 3.1 Abs. 2 S. 1 AVB-AVG 2013 und Ziff. A-5.2 S. 2 das Kennenmüssen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung deren Kenntnis gleichgestellt. Nach der Legaldefinition in § 122 Abs. 2 BGB ist Kennenmüssen (einfach) fahrlässige Unkenntnis.

29 aa) Meinungsstand. Teils wird diese Gleichstellung unter dem Aspekt der Leitbildkontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB als „AGB-rechtlich problematisch“34 angesehen. Dabei wird darauf verwiesen, dass die AVB dadurch von den Anforderungen abweichen, die § 2 Abs. 2 S. 2 VVG für die Rückwärtsversicherung aufstellt.35 Nach der dortigen Regelung schadet dem VN lediglich Kenntnis. Zudem wird vorgebracht, dass einfache Fahrlässigkeit nach dem reformierten VVG regelmäßig nicht zur Leistungsfreiheit des VR führt,36 und zwar auch bei der Transportversicherung als typischer Großrisikoversicherung (vgl. § 137 Abs. 1 VVG). Die Gegenansicht betont, dass es sich bei der Rückwärtsdeckung nicht um eine Rückwärtsversicherung i. S. v. § 2 VVG handelt (s. Rn. 9).37 Zudem ließe sich anführen, dass § 2 VVG keine halbzwingende Regelung ist (vgl. § 18 VVG). Ein weiterer Einwand gegen die Gleichstellung von Kennenmüssen mit Kenntnis lautet allerdings, dass die Rückwärtsdeckung damit praktisch leer laufe.38 Ein Organmitglied hafte nämlich regelmäßig ohnehin nur dann, wenn es sein objektives Fehlverhalten gekannt oder fahrlässig nicht erkannt habe. Damit gehe die erforderliche Kompensation für die Nachteile des Claims-made-Prinzips ins Leere.

30 bb) Stellungnahme. Für das Kennenmüssen der Pflichtverletzung im Kontext der Rückwärtsdeckung kommt es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Es gibt daher Fälle, in denen die objektive Pflichtverletzung dem Organmitglied zwar nicht bei ihrer Begehung, wohl aber zu diesem späteren Zeitpunkt erkennbar war. Gleichwohl erscheint es im Erg. akzeptabel, entgegen 32 Baumann NZG 2010 1366, 1370. 33 So im Erg. auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 26. 34 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 29; s. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 109; Staudinger NZG 2009 716, 717: s. auch Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366. 35 Baumann NZG 2010 1366, 1370. 36 BTDrucks. 16/3945 S. 49 (zum Allgemeinen Teil), S. 68 f. (zu § 28 VVG), S. 80 (zu § 81 Abs. 2 VVG). 37 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 14. 38 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 109; Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366 (die Rückwärtsdeckung gerate zur „Makulatur“). Armbrüster

862

C. Rückwärtsdeckung (Ziff. A-5.2)

AVB D&O A-5

der Legaldefinition in § 122 Abs. 2 BGB hier grobe Fahrlässigkeit zu verlangen. Dies folgt daraus, dass die Einbeziehung des Kennenmüssens erkennbar Beweisschwierigkeiten des VR für den Fall vermeiden soll, dass VN oder versicherte Person vorbringen, trotz sich aufdrängender Tatsachen den Schluss auf eine mögliche Pflichtverletzung nicht gezogen zu haben.39 Dies entspricht auch der Absicht der AVB-Verfasser, das Kennenmüssen i. S. einer grob pflichtwidrigen Unkenntnis zu verstehen.40 Zwar ist die Entstehungsgeschichte von AVB grds. bei deren Auslegung nicht zu beachten. Dies gilt jedoch nach richtiger, wenngleich vom BGH41 bestrittener Ansicht nicht, wenn die Entstehungsgeschichte zu einem für den VN oder Versicherten günstigen Ergebnis führt.42 Mithin führt nur grob, nicht hingegen einfach fahrlässige Unkenntnis zum Wegfall der Rückwärtsdeckung.43 Soweit die Gegenansicht auf das Gebot einer werthaltigen Kompensation für die Nachteile des Anspruchserhebungsprinzips verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass es hier allein um die Beschränkung einer durch § 100 VVG nicht gebotenen (s. Ziff. A-2 Rn. 40 ff.) zeitlichen Ausdehnung des Leistungsversprechens geht.

c) Kenntnis weiterer versicherter Personen. Eine wichtige Änderung hat Ziff. A-5.2 auch im 31 Hinblick auf den Kreis der versicherten Personen gebracht, deren Kenntnis für die Rückwärtsdeckung schädlich ist: Ziff. 3.1 S. 2 AVB-AVG 2013 begrenzte diesen Kreis nicht auf diejenigen versicherten Personen, die jeweils in Anspruch genommen werden. Damit war im Vergleich zu Ziff. A-5.2 eine wesentliche Einschränkung des Versicherungsschutzes verbunden, die auf Kritik gestoßen ist.44

d) Kenntnis von Tochtergesellschaften. Nach Ziff. 3.1 S. 2 AVB-AVG 2013 wurde außer auf 32 das Wissen von VN und versicherten Personen auch auf das Wissen von Tochtergesellschaften abgestellt, was die Kenntnis oder das Kennenmüssen angeht. Die Einbeziehung von Tochtergesellschaften wurde teils als bedenklich eingestuft;45 sie findet sich in den jüngeren Muster-AVB und regelmäßig auch in Unternehmens-AVB nicht. 2. Unternehmens-AVB Teils wird für den Ausschluss der Rückwärtsdeckung weiterhin auf grob fahrlässige Unkennt- 33 nis abgestellt.46 Darin liegt keine unangemessene Benachteiligung des VN oder der versicherten Personen gem. § 307 BGB (zu den älteren Musterbedingungen s. Rn. 28 ff.).47 Bisweilen wird durch eine Zurechnungsklausel (severability clause) ausdrücklich gere- 34 gelt, dass die Kenntnis einer versicherten Person mittelbar über diejenige des VN auch anderen versicherten Personen schadet (s. auch im Kontext von Risikoausschlüssen Ziff. A-7 Rn. 33, 54b; im Kontext der Anfechtung s. Ziff. B3 Rn. 26 f., 50 ff.).48 Stellen die AVB hingegen – wie Ziff. A-5.2 S. 2 – allein auf die Kenntnis der in Anspruch genommenen versicherten Person ab, so bedarf 39 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C D&O-Versicherung Rn. 100. 40 GDV-Erl. zu Ziff. 3.2 AVB-AVG 2010; Ihlas 382. 41 BGH 17.5.2000 – IV ZR 113/99, VersR 2000 1090, 1091 m. krit. Anm. E. Lorenz; BGH 25.9.2002 – IV ZR 248/01, VersR 2002 1503, 1504. 42 Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 553; Bruck/Möller/Beckmann9 Einf. C Rn. 169; im Grundsatz auch Pilz Missverständliche AGB (2010) 45 ff., 51. 43 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C D&O-Versicherung Rn. 100. 44 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.2 Rn. 2. 45 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 32. 46 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 118. 47 Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 153; A. Staudinger VP 2009 138, 139. 48 Näher Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 147 ff.; Rudzio 139 ff. 863

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

es dieser zusätzlichen Regelung jedenfalls insoweit nicht. Entsprechendes gilt für Repräsentantenklauseln, nach denen für die nach dem Versicherungsvertrag (insbes. für die vorvertragliche Anzeigepflicht, aber ggf. auch für die Rückwärtsdeckung) relevante Kenntnis bestimmter Umstände ausschließlich ein abstrakt beschriebener Personenkreis maßgeblich ist.

D. Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3) I. Grundlagen 1. Funktionsweise 35 Die Nachmeldefrist (Nachhaftungszeitraum; Extended Reporting Period – ERP; Discovery Period) ist unter Geltung des Anspruchserhebungsprinzips (Ziff. A-2) für die Reichweite des Versicherungsschutzes sehr bedeutsam. Durch diese Klausel wird die Deckung für während der Vertragsdauer erfolgte Pflichtverstöße, die erst nach Vertragsende zu einer Anspruchserhebung führen, über das Vertragsende hinaus für einen vom Verwender der AVB festzulegenden Zeitraum verlängert. Dabei betrifft die Verlängerung allein den Zeitraum, in dem die Anspruchserhebung gedeckt ist; die Pflichtverletzung muss hingegen stets vor Vertragsende liegen. Es geht also um die Situation, dass der Versicherungsfall während der Vertragslaufzeit mangels Anspruchserhebung noch nicht eingetreten ist.49 Die Klauseln Ziff. A-5.3 Abs. 1 und Abs. 2 sehen (auch aus kartellrechtlichen Gründen)50 keine konkreten Nachmeldefristen vor. In der Praxis sind dementsprechend unterschiedlich lange Zeiträume zu verzeichnen.

2. Zweck 36 Mit der Vereinbarung einer Nachmeldefrist sollen Deckungslücken vermieden und auf diese Weise die Nachteile kompensiert werden, die für die versicherten Personen dadurch entstehen, dass nach der Grundregel in Ziff. A-5.1 sowohl die Pflichtverletzung als auch die Anspruchserhebung während der materiellen Vertragsdauer liegen müssen.51 Zwar ist eine solche Kompensation nach der hier vertretenen Ansicht objektiv-rechtlich nicht erforderlich, da § 100 VVG kein entsprechendes ges. Leitbild i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB enthält und auch keine Aushöhlungsnichtigkeit nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Rede steht (str.; s. Ziff. A-2 Rn. 40 ff.). Gleichwohl erscheint es für einen soliden Versicherungsschutz geboten, eine nicht zu knapp bemessene Nachmeldefrist vorzusehen (zu den in der Praxis anzutreffenden Fristen s. Rn. 47).

3. Terminologie 37 Der Ausdruck „Nachmeldefrist“ ist missverständlich. Es geht nämlich nicht um die spätere Meldung von Anspruchserhebungen, die bereits während der Vertragsdauer vorgenommen worden sind, sondern um Fälle, in denen die Anspruchserhebung selbst erst nach Vertragsende erfolgt.52 Allerdings ist auch der teils synonym verwendete Ausdruck „Nachhaftungszeitraum“ ungenau, da es weder um eine Erstreckung der Haftung auf nachvertraglich begangene Verstöße noch um eine zusätzliche Deckungssumme geht.53 Jedenfalls ist der Ausdruck „Nachmelde49 50 51 52 53

Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 1. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.3. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.3. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 16. Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 160 mit Fn. 296; s. auch Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366.

Armbrüster

864

D. Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3)

AVB D&O A-5

frist“ mittlerweile üblich; dies zeigt sich daran, dass er in der Überschrift von Ziff. A-5.3 als Klammerzusatz zu der korrekten Beschreibung „Anspruchserhebungen nach Vertragsende“ angefügt ist.

4. Vertragsbeendigung als Voraussetzung Das Eingreifen einer Nachmeldefrist setzt stets voraus, dass der Versicherungsvertrag ex nunc beendet wird. Diese Voraussetzung kann insbes. infolge einer ordentlichen Kündigung (Regelfall gem. Ziff. B2-1.2) oder durch Zeitablauf (vgl. Ziff. B2-1.3) eintreten. Weitere, speziellere Beendigungsgründe sind in Abs. 3 aufgeführt (s. Rn. 61 ff.). Eine Beendigung durch Rücktritt (z. B. gem. § 19 Abs. 2 VVG) oder Anfechtung gem. §§ 123, 142 BGB löst keine Nachmeldefrist aus, da der Vertrag jeweils ex tunc vernichtet wird.54 Wird der Vertrag nach § 79 VVG im Zuge der Beseitigung einer Mehrfachversicherung beendet, so erstreckt sich die Beendigung nach dem Normzweck auf den gesamten Vertrag einschließlich der Nachmeldefrist.55 Bei einem Wegfall des versicherten Interesses nach § 80 Abs. 2 VVG erfasst dieser Beendigungsgrund gleichfalls auch die Nachmeldefrist. Auch die – praktisch kaum bedeutsame – Vertragsbeendigung nach § 16 VVG wegen Insolvenz des VR erfasst die Nachmeldefrist. Bei einer einvernehmlichen Vertragsbeendigung (Vertragsaufhebung als actus contrarius) ist es Auslegungsfrage, ob der Parteiwille darauf gerichtet ist, sämtliche (weiteren) Leistungspflichten einschließlich der in Ziff. A-3 geregelten für die Zukunft zu beseitigen. Dies dürfte im Zweifel anzunehmen sein,56 so dass keine Nachhaftungsfristen bestehen.57 Liegt auf Seiten des VR eine offene Mitversicherung vor (s. Einf Rn. 176) und scheidet ein VR aus, so liegt darin kein Beendigungstatbestand, der die Nachhaftung auslöst. Dies gilt unabhängig davon, ob man in diesem Fall von einem Neuabschluss (Novation) oder lediglich von einer Vertragsänderung ausgeht. In beiden Fällen besteht für den Zweck der Nachmeldefrist, Deckungslücken zu vermeiden (s. Rn. 36), kein Bedürfnis, da der Versicherungsschutz als solcher – wenn auch nicht mehr mit Beteiligung des ausgeschiedenen VR – fortbesteht.58

38

39 40

41

42

5. Meldeberechtigung Aus Ziff. A-5.3 lässt sich – anders als aus Ziff. A-5.4 in Bezug auf die Umstandsmeldung – nicht 43 entnehmen, wer meldeberechtigt ist. Damit verbleibt es bei der Grundregel des Ziff. A-8.1, wonach die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag, wozu auch die Nachmeldung gehört, ausschließlich den versicherten Personen zusteht.

6. Überblick zu den beiden Nachmeldefristen Ziff. A-5.3 sieht zwei unterschiedliche Nachmeldefristen vor. In Abs. 1 ist eine stets eingrei- 44 fende („automatische“) Nachmeldefrist geregelt. Zusätzlich eröffnet Abs. 2 dem VN die Möglichkeit einer weiteren (optionalen) Nachmeldefrist, für welche bestimmte Ausnahmen gelten (Abs. 3). Beide Nachmeldefristen gelten nicht, wenn der Vertrag wegen Zahlungsverzugs beendet wurde (Abs. 4). Sie werden jedoch – anders als nach älteren Muster-AVB (s. Rn. 71) – nicht 54 55 56 57 58 865

Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 18. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 18. S. allg. MüKo-BGB/Emmerich § 311 Rn. 19 f. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 18; im Erg. wohl auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 1. Armbrüster/Schreier VersR 2015 1053, 1061. Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

dadurch beeinträchtigt, dass der VN einen Anschlussvertrag mit einem anderen D&O-Versicherer schließt (sog. unverfallbare Nachmeldefristen).59 Übt der Insolvenzverwalter über das Vermögen des VN sein Wahlrecht gem. § 103 InsO dahingehend aus, dass er die Vertragserfüllung ablehnt, so sind die wechselseitigen Erfüllungsansprüche nicht mehr durchsetzbar. Die versicherten Personen können in diesem Fall auch für einen Nachmeldezeitraum vom VR keine Leistungen mehr beanspruchen.60 Der Umfang des Versicherungsschutzes während des Nachmeldezeitraums bestimmt sich 45 nach Abs. 5. Die beiden dort genannten Vorgaben (s. Rn. 66 ff.) gelten, wie sich aus Wortlaut und Systematik ergibt, sowohl für die automatische als auch für die optionale weitere Nachmeldefrist.

II. Automatische Nachmeldefrist (Abs. 1) 1. Überblick 46 Nach Abs. 1 besteht eine Nachmeldefrist, ohne dass es hierfür einer gesonderten Vereinbarung oder der Ausübung eines Optionsrechts (wie nach Abs. 2) bedarf. Diese Gestaltung wird in Abs. 4 als „automatische Nachmeldefrist“ bezeichnet. Die darin liegende zeitliche Deckungserweiterung fällt mithin in die Grunddeckung; für sie fällt auch keine gesonderte Prämie an. Die Nachmeldefrist nach Abs. 1 gilt (anders als dies gem. Abs. 3 für die optionale Nachmeldefrist nach Abs. 2 der Fall ist) auch für die Fälle der Insolvenz, der Liquidation und der Vertragsbeendigung wegen einer durch Neubeherrschung eintretenden Gefahrerhöhung. Hintergrund für diese Abweichung von Ziff. 3.2 Abs. 2 AVB-AVG 2013 sind AGB-rechtliche Bedenken hinsichtlich der früheren Gestaltung.61

2. Fristlänge 47 Die Länge der Frist hat der Verwender festzulegen. In der Praxis ist – auch abhängig von Umfang und Art des Risikos sowie der Marktlage –62 bisweilen eine Nachmeldefrist von nur drei Monaten63 anzutreffen; es sind aber auch dreijährige Fristen (mit Verlängerungsmöglichkeit) zu verzeichnen. Für eine Frist von drei Jahren spricht, dass innerhalb dieser Zeitspanne üblicherweise mit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen versicherte Personen zu rechnen ist.64 Eine längere automatische Nachmeldefrist, die sich an der Verjährung von Innenhaftungsansprüchen (s. dazu Anh Ziff. A-1 Rn. 34: bis zu 10 Jahre; vgl. § 93 Abs. 6 AktG) orientiert, ist AGBrechtlich nicht geboten.65 Hierfür kann der VN die optionale (entgeltpflichtige) Nachmeldefrist nach Abs. 2 wählen (s. Rn. 54 ff.). 48 Abs. 1 stellt klar, dass sowohl die Anspruchserhebung als auch deren Meldung innerhalb des Nachmeldezeitraums erfolgen müssen.66 Wird der Anspruch erst kurz vor Ende des Nach-

59 Vgl. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 37. 60 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 54 ff., 58. 61 GDV-Erl. zu Ziff. A-5.3, unter Hinweis auf OLG Hamburg 8.7.2015 – 11 U 313/13, VersR 2016 245, 246 (betr. Unwirksamkeit des Ausschlusses einer Nachmeldefrist für den Fall der Insolvenzantragstellung). 62 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 318. 63 Ihlas S. 384; vgl. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 318 ff.; offen lassend Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 5. 64 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 19. 65 OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 333. 66 Unzutr. daher GDV-Erl. zu Ziff. A-5.1, wonach (u. a.) Ziff. A-5.3 „die unter dem Vertrag versicherten Pflichtverletzungen in zeitlicher Hinsicht konkretisieren“; entscheidend ist die Konkretisierung in Bezug auf Anspruchserhebung und Meldung. Armbrüster

866

D. Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3)

AVB D&O A-5

meldezeitraums erhoben und innerhalb der Wochenfrist des § 104 Abs. 1 S. 2 VVG gemeldet, so ist dies noch rechtzeitig.67 Jenseits dieser nach § 112 VVG halbzwingenden Norm, also bei Großrisikoverträgen (s. Einf Rn. 82 ff.), wird dasselbe Ergebnis regelmäßig aus § 242 BGB herzuleiten sein. Die genannten Fristen sind Ausschlussfristen. Dies bedeutet nach den Regeln des allg. 49 Zivilrechts, dass sie absolut und ohne Rücksicht auf ein Verschulden gelten.68 Allerdings soll der VR nach einem von der Rspr. für versicherungsrechtliche Meldefristen aufgestellten Grundsatz69 nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) daran gehindert sein sich auf eine Fristversäumung zu berufen, wenn diese unverschuldet ist. Dies wird verbreitet auch für die D&O-Versicherung angenommen.70 Indessen bestehen gegen diese Ansicht durchgreifende Bedenken: § 242 BGB ermöglicht nur eine Korrektur unangemessener Ergebnisse im Einzelfall, während es hier der Sache nach darum geht, einer AVB generell einen anderen Inhalt zu geben, als sie ihn nach den maßgeblichen Auslegungsregeln hat.71 Zudem sind die versicherten Personen einer D&OVersicherung, welche die Meldung abzugeben haben (s. Rn. 43), nicht schutzbedürftig. Umgekehrt hat der VR ein berechtigtes Interesse daran, nicht u. U. noch nach längerem Zeitablauf mit einer Meldung i. S. v. Ziff. A-5.3 konfrontiert zu werden. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, grds. keine sektorenspezifischen Sonderregeln gegenüber den allg. Regeln, die etwa für die Ausschlussfristen nach §§ 121 Abs. 2, 124 Abs. 2, 626 Abs. 2 BGB gelten, heranzuziehen. Dies schließt es nicht aus, im Einzelfall – etwa bei Anspruchserhebung kurz vor Ablauf der Meldefrist und Meldung kurz danach –72 eine Korrektur nach § 242 BGB vorzunehmen. Die Praxis wird sich freilich insoweit auf die gefestigte, generell § 242 BGB anwendende Rspr. einzustellen haben. Hat die Anspruchserhebung bereits vor Vertragsende stattgefunden, so verbleibt es hin- 50 sichtlich der Rechtzeitigkeit der „Meldung“ bei der Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige in Ziff. B3-3.2 lit. b.

3. Hinweis Der VR ist grds. nicht verpflichtet die versicherten Personen auf den drohenden Ablauf der 51 Nachmeldefrist hinzuweisen.73 Dasselbe gilt, wenn dem VR eine Mitteilung einer versicherten Person zugeht, die nicht den inhaltlichen Anforderungen an eine Meldung i. S. v. Ziff. A-5.3 Abs. 1 genügt.74 Insoweit hat der VR gegenüber den versicherten Personen regelmäßig keinen Wissensvorsprung. Bei der Meldung handelt es sich der Sache nach um die Anzeige des Versicherungsfalls, für die der jeweilige Träger eines versicherten Interesses selbst verantwortlich ist. Soweit hiervon für Verbraucherverträge unter dem Gesichtspunkt des Kooperationsgebots gem. § 242 BGB abgewichen wird,75 besteht im Bereich der D&O-Versicherung nicht generell ein ver67 Vgl. auch Schramm S. 68 f. 68 Klimke VersR 2010 290, 291. 69 Vgl. zur Vertrauensschadenversicherung BGH 20.7.2011 – IV ZR 180/10, VersR 2011 1173 Rn. 30; BGH 20.7.2011 – IV ZR 209/10, VersR 2011 1264 Rn. 15; OLG Frankfurt/M. 21.9.2012 NJW-RR 2013 230, 231 f; krit. Klimke VersR 2010 290; zur Unterscheidung zwischen Meldefristen und Nachhaftungsfristen vgl. auch OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 332. 70 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 20; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 1 a. E. 71 Klimke VersR 2010 290, 291 ff. 72 Vgl. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 37, der allerdings (Rn. 38) offenbar der weiter reichenden Rspr. folgt. 73 Vgl. (zur Verjährungsfrist) BGH 27.11.1958 – II ZR 90/57, VersR 1959 22, 23; Hamm 24.11.2000 – 20 U 108/00, VersR 2001 1269, 1270; Prölss/Martin/Armbrüster § 15 VVG Rn. 23. 74 OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 331. 75 Vgl. dazu BGH 14.11.1984 – IVa ZR 60/83, VersR 1985 129, 130; Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 319 (Pflicht zum Hinweis auf erkennbar unwirksame Erklärung). 867

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

gleichbares Schutzbedürfnis. Allerdings kann es im Einzelfall geboten sein, dass der VR dann, wenn er erkennt, dass die versicherte Person sich in einem Irrtum befindet, diese darauf hinweist. 52 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der VN vor Vertragsschluss auf mögliche Deckungslücken hingewiesen werden muss, die sich daraus ergeben, dass die Verjährungsfrist länger als die Nachmeldefrist ist. Eine solche Hinweispflicht kann sich i. R. d. vorvertraglichen Beratungspflicht gem. §§ 6 Abs. 1, 61 Abs. 1 VVG ergeben.76

4. Verlängerung von Verjährungsfristen 53 Es kann vorkommen, dass während der Vertragslaufzeit eine ges. Verjährungsfrist verlängert wird. Ein Beispiel bietet die Verdoppelung der Frist gem. § 93 Abs. 6 VVG von fünf auf zehn Jahre durch das Restrukturierungsgesetz von 2010.77 Im Schrifttum wird teils angenommen, dass damit die Geschäftsgrundlage für die (hinsichtlich ihrer Länge unternehmensindividuell; s. Rn. 35) vereinbarte Nachmeldefrist entfalle, so dass ein Anpassungsanspruch (gegen Mehrprämie) gem. § 313 Abs. 1 BGB bestehe.78 Dem ist grds. nicht zu folgen. Es gibt nämlich vorbehaltlich eines konkreten darauf gerichteten Parteiwillens keinen Gleichlauf von Haftung und Deckung, der eine Geschäftsgrundlage bilden könnte.79

III. Optionale weitere Nachmeldefrist (Abs. 2, 3) 1. Grundregeln (Abs. 2) 54 Nach Abs. 2 hat der VN gegenüber dem VR ein Optionsrecht zur Vereinbarung einer weiteren (entgeltlichen) Nachmeldefrist. Diese Option ist abweichend von Ziff. 3.2 Abs. 2 AVB-AVG 2013 nicht von einer bestimmten Mindestlaufzeit des Vertrags abhängig. Die Prämienhöhe wird bereits bei Vertragsschluss festgelegt, und zwar als (unternehmensindividuell vorzusehender) Prozentsatz des letzten Jahresbeitrags (Abs. 2 S. 1). Diese frühzeitige Festlegung bietet dem VN Kalkulationssicherheit.

2. Erlöschen des Optionsrechts (Abs. 2 S. 2) 55 Nach Abs. 2 S. 2 erlischt das Optionsrecht des VN, wenn es nicht innerhalb eines Monats nach Vertragsende in Textform (§ 126b BGB) beim VR beantragt oder wenn der zusätzliche Beitrag nicht unverzüglich geleistet wird.

56 a) Monatsfrist (Fall 1). Die Monatsfrist beginnt mit dem „Ende des Versicherungsvertrages“ zu laufen. Maßgeblich ist, da es um eine Verlängerung des Haftungszeitraums geht, das Ende des materiellen Versicherungszeitraums, also das Ende des im Versicherungsschein angegebenen (Haftungs-)Zeitraums (vgl. Ziff. B2-1.1). Für die Rechtzeitigkeit des Antrags ist entsprechend § 130 Abs. 1 S. 1 BGB der Zugang beim VR maßgeblich (vgl. auch Ziff. A-4 Abs. 3 S. 2).80

76 77 78 79 80

Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 5; s. auch Notthoff NJW 2013 1350, 1352 f. BGBl. 2010 I 1900 f.; s. dazu Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 320. Randel/Segger BB 2011 387, 389 f.; Isenbart/Hofmann VP 2011 26, 27 f. Franz DB 2011 1961, 1965 f.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 324 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 6. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.3.

Armbrüster

868

D. Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3)

AVB D&O A-5

b) Unverzügliche Beitragsleistung (Fall 2). Der zusätzliche Beitrag für die optionale Nach- 57 meldefrist ist die Gegenleistung des VN für eine weitere Leistung des VR, den versicherten Personen Deckung auch für die erst nach Vertragsbeendigung geltend gemachten Ansprüche zu bieten. Mithin handelt es sich um eine Erst- oder Folgeprämie i. S. der §§ 37, 38 VVG (zur Abgrenzung s. Rn. 59). Die Voraussetzungen, welche diese Vorschriften an die Möglichkeit zu Rücktritt bzw. Kündigung durch den VR (sowie an dessen Leistungsfreiheit) bei einem Zahlungsverzug stellen, sind nach § 42 VVG halbzwingend. Nach Ziff. A-5 Abs. 2 S. 2 Fall 2 entfällt die dem VN eingeräumte Option einer weiteren Nachmeldefrist demgegenüber ohne Weiteres, wenn er den zusätzlichen Beitrag nicht unverzüglich zahlt. Dies führt zu der Frage, welche Rechtsfolgen die Nichteinhaltung der ges. Vorgaben hat. Insoweit gilt es zu differenzieren. Bei Großrisikoverträgen gelten die Beschränkungen der Vertragsfreiheit durch die §§ 37 f. 58 VVG gem. § 210 Abs. 1 VVG nicht. Dabei kommt auch die Leitbildkontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht zum Zuge, da die §§ 37, 38 VVG nicht zu den fundamentalen Regeln des Versicherungsvertragsrechts zählen (s. dazu Einf Rn. 81). Handelt es sich hingegen nicht um ein Großrisiko, so stellt sich die Frage, ob Abs. 2 S. 2 59 Fall 2 gegen § 37 VVG oder aber gegen § 38 VVG verstößt.81 Die Abgrenzung zwischen Erst- und Folgeprämie richtet sich bei Vertragsänderungen grds. danach, ob die Änderung auch Gegenstand eines eigenständigen Versicherungsvertrags sein könnte. Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls82 ist allerdings auch der Schutzzweck der jeweiligen Regelung zu beachten.83 Ist der Versicherungsschutz durch Zeitablauf erloschen und werden nun neue Vereinbarungen getroffen, so spricht dies für einen Neuvertrag, was zur Anwendbarkeit von § 37 VVG führt.84 Wird hingegen ein bestehender Versicherungsvertrag unter Wahrung seiner Identität lediglich durch eine Zusatzvereinbarung ergänzt, so spricht dies für eine Qualifizierung als Folgeprämie (§ 38 VVG).85 Letzteres erscheint hier insgesamt angemessen. Zwar ist in der Situation, auf die sich das Optionsrecht in Abs. 2 bezieht, der ursprüngliche Vertrag abgelaufen; die Pflichtverletzung fällt aber noch in die Laufzeit dieses Vertrags. Die Nachfristvereinbarung wäre ohne den Zusammenhang mit dem Grundvertrag inhaltsleer, so dass es letztlich um eine Modifikation des ursprünglichen Versicherungsverhältnisses geht. Daher greift § 38 VVG ein;86 diese Vorschrift tritt an die Stelle von Abs. 2 S. 2 Fall 2.87

c) Hinweis. Abs. 2 S. 2 sieht nicht vor, dass der VR den VN auf die Option und insbes. auf die 60 für ihre Ausübung geltende Frist (s. Rn. 56) eigens hinweist. Dies wird teils im Hinblick darauf als bedenklich angesehen, dass die Frist bereits einen Monat nach Vertragsende abläuft, also zu einem Zeitpunkt, zu dem gerade erst der vorangehende „automatische“ Nachhaftungszeitraum nach Ziff. A-5.3 Abs. 1 zu laufen begonnen hat.88 Indessen ist der VR grds. zu einem solchen Hinweis nicht verpflichtet. Soweit eine Pflicht im Schrifttum auf § 6 Abs. 4 VVG (Beratungspflicht nach Vertragsschluss) gestützt wird,89 ist dem entgegenzuhalten, dass diese Norm allein der Sicherstellung eines (weiterhin) bedarfsgerechten Versicherungsschutzes dient und nicht dazu, den VN an seine aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenden Rechte zu 81 Dies offen lassend, jedoch Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen das „Leitbild der §§ 37 f. VVG“ annehmend, Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 3; für Wirksamkeit hingegen offenbar Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVBAVG Rn. 27. 82 Bruck/Möller/Beckmann9 § 37 Rn. 10; Prölss/Martin/Klimke § 37 Rn. 3; Langheid/Wandt/Staudinger § 37 Rn. 6. 83 Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 1157 f. 84 Langheid/Wandt/Staudinger § 37 Rn. 8. 85 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 12 Rn. 11a. 86 Vgl. allg. Langheid/Wandt/Staudinger § 42 Rn. 3. 87 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 47. 88 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 3. 89 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 3 (außer für Großrisiken; bei ihnen soll die Hinweispflicht aus § 242 BGB folgen). 869

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

erinnern.90 Dies folgt bereits daraus, dass § 6 Abs. 4 VVG auf Abs. 1 dieser Vorschrift verweist. Eine Hinweispflicht kann sich mithin allein aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben.91 Sie erfordert, dass der VN seine Ansprüche nicht voll überblicken kann.92 Dies wird wesentlich eher bei Verbrauchern als bei typischerweise geschäftserfahrenen (s. Einf Rn. 66) VN einer D&OVersicherung anzunehmen sein.93

3. Ausnahmen (Abs. 3) 61 a) Überblick. Das Optionsrecht aus Abs. 2 entfällt nach Abs. 3, wenn der Vertrag nach einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN (s. Ziff. A-5.5) oder wegen einer infolge von Neubeherrschung eingetretenen Gefahrerhöhung (Ziff. B3-2) nach Ziff. A-5.6 Abs. 2 beendet wird. In diesen Situationen ändert sich das Risiko wesentlich, da die Zuständigkeit für die Geschäftsführung wechselt. Abs. 3 hat klarstellende Bedeutung dahingehend, dass der VN nicht ungeachtet der jeweils eingetretenen Vertragsbeendigung einseitig eine Fortsetzung des Versicherungsschutzes zu den bisherigen Vertragsbedingungen (s. Rn. 66) bewirken kann, indem er die Option ausübt.

62 b) Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Ausschluss im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist vor dem Hintergrund der im Zuge der VVG-Reform erfolgten Streichung des Kündigungsrechts des VR bei Insolvenz des VN zu sehen. Gegen den Ausschluss des Optionsrechts für diesen Fall sind daher mit Blick auf die Wertung des Reformgesetzgebers AGB-rechtliche Bedenken erhoben worden, auch unter dem Gesichtspunkt des Kompensationseffekts.94 Indessen gilt es zu beachten, dass das Optionsrecht eine nicht gesondert berechnete Zusatzleistung des VR darstellt, deren Umfang er daher einzuschränken berechtigt ist. Nach der hier vertretenen Ansicht (s. Ziff. A-2 Rn. 40 ff.) bedarf es ohnehin keiner Kompensation für die Nachteile des Claims-made-Verfahrens gegenüber dem Verstoßprinzip oder sonstigen Definitionen des Versicherungsfalls.

63 c) Vertragsbeendigung wegen Gefahrerhöhung infolge Neubeherrschung. Das Optionsrecht entfällt nicht allein schon dann, wenn eine Neubeherrschung eintritt, sondern nur, wenn darin eine zur Vertragsbeendigung führende Gefahrerhöhung i. S. v. Ziff. B-3.2 liegt. Man wird davon auszugehen haben, dass sich durch einen Beherrschungswechsel regelmäßig die Gefahr einer Inanspruchnahme versicherter Personen erhöht.95 Dies gilt insbes. im Hinblick auf die üblicherweise erfolgende Due-Diligence-Prüfung und/oder Unternehmensbewertung. Hierdurch werden typischerweise (tatsächliche oder vermeintliche) Pflichtverletzungen aufgedeckt. Zudem führt die Neubesetzung der Organe dazu, dass eher gegen bisherige Organmitglieder vorgegangen wird als während deren Amtszeit. Allerdings genügt allein das Vorliegen einer

90 Vgl. Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 223. 91 S. dazu Langheid/Wandt/Armbrüster § 6 Rn. 271; Armbrüster FS Schirmer (2005) 1, 12. 92 Dörner Karlsruher Forum 2000 (2001) 142, 143; Fausten Ansprüche des Versicherungsnehmers aus positiver Vertragsverletzung (2003) 237 ff.

93 Für generelle Hinweispflicht hingegen Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 3. 94 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 43, unter Hinweis auf BGH 15.11.2012 – IX ZR 169/11, NJW 2013 1159 Rn. 8 ff. (betr. Unwirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln bei Energielieferverträgen gem. § 119 InsO, weil sie im Voraus das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausschließen). 95 Bastuck/Stelmaszczyk NZG 2011 241, 245 f.; R. Koch GS Hübner (2012) 123; ders. VersR 2012 1508, 1511.; Lange AG 2005 459, 464 f.; Osswald 128 ff.; differenzierend OLG Frankfurt/M. 20.7.2011 – 7 U 7/10, RuS 2012 292; offen lassend BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506 Rn. 12 m. Anm. R. Koch. Armbrüster

870

D. Nachmeldefrist (Ziff. A-5.3)

AVB D&O A-5

Gefahrerhöhung nicht; vielmehr muss der VR daraus auch die Konsequenz gezogen haben den Vertrag zu beenden. Für die Ausübung des Kündigungsrechts sind die in Ziff. B3-2.3 und Ziff. B3-2.4 geregelten Voraussetzungen zu beachten. Durch diese Einschränkung wird Abs. 3 den Anforderungen gerecht, die der BGH96 für die Beendigung des Versicherungsschutzes im Fall einer Neubeherrschung aufgestellt hat.

IV. Ausschluss bei Zahlungsverzug (Abs. 4) Nach Abs. 4 besteht keine der beiden Nachmeldefristen, wenn der Versicherungsvertrag wegen 64 Zahlungsverzugs beendet worden ist. Diese Regelung bezieht sich inhaltlich auf die Klauseln zum Rücktrittsrecht des VR beim Verzug mit der Erstprämie (Ziff. B1-3.2) und zu seinem Kündigungsrecht beim Verzug mit einer Folgeprämie (Ziff. B1-4.5). Die Regelung setzt voraus, dass der VR von seinen Gestaltungsrechten wirksam Gebrauch gemacht hat, so dass es tatsächlich zur Vertragsbeendigung gekommen ist. Gegenüber dieser Gestaltung sind AGB-rechtliche Bedenken erhoben worden, da sie die 65 für die Nachteile des Claims-made-Prinzips zu gewährende Kompensation beeinträchtige.97 Diese Bedenken sind nach der hier vertretenen Ansicht zur Kompensationsthematik (s. Ziff. A-2 Rn. 40 ff.) indessen unberechtigt. Hinzu kommt, dass Verzug ein Verschulden voraussetzt (vgl. § 286 Abs. 4 BGB) und es der VN in der Hand hat durch eine rechtzeitige Zahlung den Verlust des Optionsrechts zu verhindern.98

V. Umfang der Deckung in der Nachmeldefrist (Abs. 5) Nach Abs. 5 Halbs. 1 sind die bei Ablauf der letzten Versicherungsperiode (s. Ziff. B1-2.2) gelten- 66 den AVB maßgeblich. Die Fortführung des Schutzes zu denselben Vertragsbedingungen entspricht dem mutmaßlichen Interesse beider Parteien und der versicherten Personen. Betragsmäßig ist die Leistungspflicht des VR während des gesamten Nachhaftungszeit- 67 raums gem. Abs. 5 Halbs. 2 auf die Höhe der unverbrauchten Versicherungssumme der letzten Versicherungsperiode begrenzt (sog. gestrecktes Limit).99 Infolge der Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6) kann auch eine frühere Versicherungsperiode maßgeblich sein.100 Dies Begrenzung in Abs. 5 Halbs. 2 führt dazu, dass der durch die Nachmeldefrist gebotene 68 Schutz deutlich eingeschränkt ist. Dies ist im Schrifttum zur Parallelregelung in Ziff. 8.1 Umwelthaftpflicht-Modell (UHV) teils im Hinblick darauf kritisiert worden, dass die versicherte Person dann leer ausgehen könnte.101 Indessen bedeutet dies nicht, dass diese Regelung unter dem Gesichtspunkt der Vertragszweckgefährdung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf Bedenken stößt.102 Vielmehr gilt es zu bedenken, dass der VR durch die Gewährung einer Nachmeldefrist prämienfrei ein zusätzliches Risiko übernimmt.103 Es liegt in der privatautonomen Verantwortung der Vertragsparteien eine angemessene Versicherungssumme (als gem. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB kontrollfreie Bestimmung der Hauptleistungspflicht) festzulegen. 96 BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506 Rn. 18 m. Anm. R. Koch. 97 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 52: „nicht völlig zweifelsfrei“. 98 GDV-Erl. zu Ziff. A-5.3. 99 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 29. 100 GDV-Erl. zu Ziff. A-5.3; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 7. 101 G. Wagner VersR 1992 261, 267 f.; R. Johannsen FS E. Lorenz (1994) S. 363, 372 f. 102 In dieser Richtung aber Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 50 (Wirksamkeit „nicht zweifelsfrei“); s. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 160; offen lassend Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 4 a. E.

103 Vgl. auch zur Umwelthaftpflichtversicherung Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 8 UmweltHM 2009 Rn. 7; Langheid/ Wandt/Schimikowski UHV/USV Rn. 98; Prölss/Martin/Voit UHV Ziff. 8 Rn. 1. 871

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

VI. Abweichende AVB 1. Muster-AVB 69 Nach Ziff. 3.3 AVB-AVG 97 ist keine automatische, sondern nur eine optionale Nachmeldefrist (ungenau als „Nachhaftungszeit“ bezeichnet: s. Rn. 37) von zwei Jahren vorgesehen. Diese optionale Nachmeldefrist besteht nach Ziff. 3.2 Abs. 3 S. 1 AVB-AVG 2013 nur dann, wenn der Versicherungsvertrag bereits für eine (durch den AVB-Verwender zu konkretisierende) Mindestzahl von Jahren bestanden hat. Zudem entfällt nach älteren Musterbedingungen nicht allein die Option, sondern auch die 70 automatische Nachmeldefrist beim Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (s. etwa Ziff. 3.2 Abs. 3 S. 1 Fall 1 AVB-AVG 2013). Beides entfällt demnach auch bei einer Vertragsbeendigung wegen Liquidation (s. etwa die Bezugnahme auf Ziff. 9.3 in Ziff. 3.2 Abs. 3 S. 1 Fall 2 AVBAVG 2013). Nach älteren Muster-AVB gelten beide Fristen nicht, wenn nach Vertragsende eine ander71 weitige D&O-Versicherung abgeschlossen wird (Ziff. 3.2 Abs. 3 S. 2 AVB-AVG 2013).104 Gegen die darin liegende faktische Vertragsbindung sind im Hinblick darauf AGB-rechtliche Bedenken geäußert worden, dass der VN womöglich keinen Anschlussvertrag mit angemessener Rückwärtsdeckung zu erlangen vermag und somit Deckungslücken drohen.105 Darin liegt nach der hier vertretenen Ansicht zur Kompensationsthematik (s. Ziff. A-2 Rn. 40 ff.) indessen keine unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB. Im Fall einer Neubeherrschung gilt nach Ziff. 3.2 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Ziff. 9.3 AVB-AVG 2013 72 weder die automatische noch die optionale Nachmeldefrist. Dabei wird anders als in Ziff. A-5.3 Abs. 3 (s. Rn. 61) nicht einschränkend eine Vertragsbeendigung wegen einer durch die Neubeherrschung eingetretenen Gefahrerhöhung verlangt. Der BGH hat ein automatisches Ende des Versicherungsschutzes im Fall eines Kontrollwechsels zu Recht wegen Verstoßes gegen die nach § 32 VVG halbzwingenden Vorschriften der §§ 23 ff. VVG zur Gefahrerhöhung für unwirksam erklärt (s. auch Ziff. B3 Rn. 83).106 Diese Wertung gilt nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (Leitbildkontrolle) auch bei Großrisikoverträgen. Sie erfasst auch die Regelung zum Wegfall der Nachmeldefrist nach Ziff. 3.2 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Ziff. 9.3 AVB-AVG 2013.

2. Unternehmens-AVB 73 In Unternehmens-AVB ist teils eine (sog. „allgemeine“) unbegrenzte Nachmeldefrist für Schadensersatzansprüche vorgesehen, die bis zum Vertragsablauf verursacht wurden und erst danach geltend gemacht werden. Voraussetzung ist die Vereinbarung einer mindestens dreijährigen Vertragslaufzeit. Anderenfalls ist die Nachmeldefrist auf fünf Jahre begrenzt. Eine zeitliche Begrenzung gilt auch, wenn nach Vertragsablauf anderweitiger Versicherungsschutz besteht. Andere Klauseln enthalten eine (sog. „persönliche“) Nachmeldefrist von zwei, fünf oder 74 zehn Jahren für versicherte Personen, die ordentlich oder aus Alters- oder Gesundheitsgründen ausscheiden; für andere versicherten Personen ist die prämienfreie Nachmeldefrist dann hingegen kürzer.107 Auf diese Weise kann dem Interesse solcher versicherter Personen, deren Organstellung während der Vertragslaufzeit endet, an einem unabhängig von einer Beendigung des Versicherungsvertrags fortbestehenden Schutz Rechnung getragen werden.

104 S. dazu Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 28. 105 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 52; s. auch GDV-Erl. zu Ziff. A-5.3; vgl. ferner Prölss/ Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 1.

106 BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506 Rn. 18 m. Anm. R. Koch. 107 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 34. Armbrüster

872

E. Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4)

AVB D&O A-5

Zudem sind sog. Anspar- oder Bonusmodelle zu nennen, bei denen sich die Nachmelde- 75 frist mit jedem Jahr der (verlängerten oder ungekündigten) Vertragslaufzeit verlängert.108 Beispiel: Automatische Verlängerung der einjährigen Nachmeldefrist bei jeder Vertragsverlängerung um ein weiteres Jahr bis maximal fünf Jahre.109 Bisweilen kann gegen Zusatzprämie eine Run-Off-Deckung erworben werden.110 Am Markt werden auch Klauseln verwendet, wonach die Nachmeldefrist endet, wenn ein 76 neuer D&O-Vertrag (Anschlussversicherung) bei einem anderen VR abgeschlossen wird (s. auch Rn. 71 zu älteren Musterbedingungen), insbes. nach Kündigung durch den VN.111 Bietet der Anschlussvertrag keine hinreichende Rückwärtsdeckung, können für den Zwischenzeitraum Schutzlücken entstehen. Daher wird diese Gestaltung teils kritisch beurteilt.112 Nach der hier vertretenen Ansicht (s. Ziff. A-2 Rn. 40 ff.) ist es AGB-rechtlich indessen nicht geboten, die Möglichkeit einer lückenlosen Anschlussdeckung sicherzustellen.

E. Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4) I. Grundlagen 1. Zweck der Umstandsmeldung In Ziff. A-5.4 wird dem VN und den versicherten Personen die Befugnis eingeräumt, während 77 der Vertragslaufzeit dem VR Umstände zu melden, die eine spätere Inanspruchnahme von versicherten Personen als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Kommt es im weiteren Verlauf zu einer tatsächlichen Inanspruchnahme, so wird diese so behandelt, als wäre sie bereits zum Zeitpunkt der Umstandsmeldung erfolgt. Damit sollen die Härten abgemildert werden, die sich aus dem Anspruchserhebungsprinzip für den VN und die versicherten Personen ergeben.113 Im Vordergrund steht dabei das Interesse der versicherten Person an der Fixierung und 78 Sicherung des Status, den sie in Bezug auf die Versicherungsdeckung zu dem Zeitpunkt erlangt hat, zu dem die Umstandsmeldung erfolgt. Dieser Status ist durch verschiedene Faktoren geprägt. Von grundlegender Bedeutung ist dabei die zeitliche Dimension, also die Existenz von Versicherungsschutz bei einem bestimmten VR im Zeitpunkt der Umstandsmeldung. Hinzu kommt insbesondere die Höhe der im betreffenden Versicherungszeitraum verfügbaren, noch nicht ausgeschöpften Versicherungssumme. Zudem kann aus Sicht des VN und der versicherten Personen im Zuge des Renewal (Vertragserneuerung) auch eine Herabsetzung der Versicherungssumme drohen, der sich durch die zeitliche Vorverlagerung der Deckung entkommen lässt.114 Statusprägend sind darüber hinaus auch die AVB, welche dem Vertrag im Zeitpunkt der 79 Umstandsmeldung zugrunde liegen.115 Dieser Faktor ist praktisch insbesondere dann bedeutsam, wenn aus Sicht von VN und versicherten Personen zu befürchten ist, dass der VR den drohenden Haftungsfall, auf den sich die Umstandsmeldung bezieht, zum Anlass nehmen wird, bei der Erneuerung einen entsprechenden Risikoausschluss aufzunehmen. Die genannten Fak108 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 32. 109 Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366; s. auch OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009 1066, 1068, krit. dazu Baumann NZG 2010 1366, 1370. Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 174. Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 366; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 123. S. etwa Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.3 Rn. 2; vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 161 a. E. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.4; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 1. Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 179 f. Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 43.

110 111 112 113 114 115 873

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

toren führen dazu, dass der VN und die versicherten Personen ein Interesse daran haben, sich über das Instrument der Umstandsmeldung ihren gegenwärtigen deckungsbezogenen Status zu erhalten. Die Rückwirkungsfiktion in Ziff. A-5.4 Abs. 3 (s. Rn. 98 ff.) dient erkennbar dazu, diesem Interesse Rechnung zu tragen. Angesichts dieser Zielsetzung kann allein aus dem Umstand, dass damit für den VR ein erhebliches Risiko verbunden ist, nicht gefolgert werden, Umstandsmeldungen seien restriktiv auszulegen.116 Richtig ist allerdings, dass eine gewisse inhaltliche Konkretisierung erforderlich ist (s. Rn. 93). 80 Allen Beteiligten nutzt die Möglichkeit der Umstandsmeldung auch im Hinblick darauf, dass VN und versicherte Personen bei möglicherweise künftig zu erwartenden Anspruchserhebungen nicht darauf hinwirken müssen, dass diese noch während der Vertragsdauer tatsächlich erhoben werden, damit sie vom Versicherungsschutz erfasst sind.117 Ein weiterer Nutzen für alle Beteiligten liegt in Folgendem: Zeichnet sich ein schadensrelevantes Szenario ab, so können infolge einer Umstandsmeldung durch ein schnelles und koordiniertes Tätigwerden des VR mit dem VN und/oder der betroffenen versicherten Person deren Haftung und damit der drohende Schaden womöglich gering gehalten werden.118

2. Zeitliche Grenzen der Deckung 81 Im Schrifttum wird die Frage diskutiert, ob es aus Sicht des VR unwägbare Belastungen mit sich bringt, wenn er dem VN und den versicherten Personen eine Umstandsmeldung mit Rückwirkungsfiktion gestattet.119 Solange der (reale) Eintritt des Versicherungsfalls – also die ernsthafte Inanspruchnahme einer versicherten Person – auf einem zuvor gemeldeten Umstand beruht, ist der Eintrittszeitpunkt unerheblich. Dies kann zu einer nicht absehbaren zeitlichen Ausdehnung der Leistungspflicht führen.120 Freilich ist der in diesem Kontext teils verwendete Begriff der „Ewigkeitshaftung“121 insofern unzutreffend, als jedenfalls die für die Inanspruchnahme der versicherten Person maßgeblichen Verjährungsfristen (s. Ziff. B4-4) zumindest hinsichtlich des Freistellungsanspruchs gewisse zeitliche Grenzen setzen.122 82 Hinzu kommt, dass dem VR vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten zu Gebote stehen, mit denen sich die Haftung zeitlich begrenzen lässt. So kann in den AVB eine Frist vorgesehen werden, wonach der Versicherungsfall i. S. v. Ziff. A-2, also die tatsächliche Inanspruchnahme, innerhalb eines bestimmten Zeitraums erfolgen muss, um die Rückwirkungsfiktion der Umstandsmeldung auszulösen (sog. sunset period).123 Ziff. A-5.4 Abs. 3 S. 1 sieht eine solche – für den jeweiligen Vertrag zeitlich zu konkretisierende – „sunset period“ vor.

3. Freiwilligkeit 83 Ziff. A-5.4 eröffnet dem VN und den versicherten Personen ausdrücklich eine Option („Möglichkeit“). Mithin besteht keine Obliegenheit zur Erstattung der Umstandsmeldung (zu abweichen-

116 117 118 119

So aber Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Ziff. 47. OLG Düsseldorf 12.7.2017 – 4 U 61/17, RuS 2018 193 Rn. 26. Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 180. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 44; Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 38; Lange RuS 2006 177, 181 (mit Praxisbeispiel in der dortigen Fn. 50); Lange § 9 Rn. 98; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 184 f.; s. auch Veith/Gräfe/ Gebert/Lange § 21 Rn. 44. 120 Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 184. 121 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 47; Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 38; Lange RuS 2006 177, 181. 122 Schramm 55; krit. dazu freilich Lange § 9 Rn. 98 Fn. 180. 123 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 46; Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 38; Lange § 9 Rn. 98; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 185. Armbrüster

874

E. Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4)

AVB D&O A-5

den AVB s. Rn. 109). Damit sind der VN sowie die versicherten Person in der Lage, je nach Situation anstelle der eventuell ungünstigeren Versicherungsperiode zur Zeit einer möglichen Umstandsmeldung die voraussichtlich günstigere Periode zur Zeit der tatsächlichen späteren Inanspruchnahme zu wählen.124 Ein derartiges Verhalten ist dann, wenn keine Meldeobliegenheit besteht, nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen.125 Praktisch bedeutsam ist diese Vorgehensweise etwa in dem Fall, dass die Versicherungssumme für die laufende Periode bereits weitgehend ausgeschöpft ist und der VN keinen Wechsel des VR plant. Allerdings ist im Hinblick auf die Folgeperiode zu beachten, dass nach Ziff. A-5.2 S. 2, 3 84 eine Rückwärtsdeckung für bekannte Pflichtverletzungen ausgeschlossen ist. Zwar knüpft die Umstandsmeldung nach Ziff. A-5.4 davon abweichend nicht an die Kenntnis der Pflichtverletzung, sondern an die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme an. Gleichwohl gibt es eine Schnittmenge. In diesen Fällen geht von der Einschränkung der Rückwärtsdeckung in der Folgeperiode ein faktischer Anreiz aus, eine Umstandsmeldung zu erstatten.

4. Rechtliche Einordnung Bei der Umstandsmeldung handelt es sich um eine geschäftsähnliche Erklärung. Auf sie 85 sind die allg. Regeln der Rechtsgeschäftslehre sinngemäß anwendbar (zum Zugang s. Rn. 92). Die Erklärung hat insofern rechtsgestaltende Wirkung, als sie die Rückwirkungsfiktion nach Ziff. A-5.4 Abs. 3 auslöst und damit die zeitliche Wirkung des Deckungsschutzes über Inanspruchnahmen während Vertragsdauer (Ziff. A-5.1) hinaus in die Zukunft erstreckt. Umstandsmeldungen sind entsprechend §§ 119 ff. BGB anfechtbar. Da die Umstandsmeldung dem Erklärenden regelmäßig ausschließlich vorteilhaft ist, kommt der Anfechtung freilich kaum praktische Bedeutung zu. Ein späteres Nachmelden korrigierter Umstände ist möglich, ohne dass zuvor die bereits abgegebene Umstandsmeldung beseitigt werden muss (zur Abgrenzung zwischen Präzisierung bereits gemeldeter Umstände und Nachmelden weiterer Umstände s. Rn. 93). In Betracht kommt eine Anfechtung allerdings dann, wenn dem Erklärenden ein Irrtum 86 unterlaufen ist. Hier könnte dem VR ein Schaden entstehen, wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Umstandsmeldung schadensverhütende Maßnahmen ergreift (s. dazu Rn. 80). Dem Erklärenden steht dann die Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB offen. Erklärt er sie, so haftet er nach § 121 BGB nur für den Ersatz des Vertrauensschadens, der dem VR bis zum Zugang der Anfechtungserklärung entstanden ist. Unterbleibt die Anfechtung, so steht dem VR u. U. ein weiter reichender Schadensersatzanspruch zu.

II. Anforderungen (Abs. 1, 2) 1. Meldeberechtigte Zur Abgabe einer Umstandsmeldung ist nach Ziff. A-5.4 Abs. 1 außer den versicherten Personen 87 (als den Inhabern des Deckungsanspruchs; s. Einf Rn. 93) auch der VN befugt. Seine Berechtigung ist dann praktisch bedeutsam, wenn er meint, dass ein Pflichtverstoß einer versicherten Person zu einem Schaden geführt hat, während die betreffende versicherte Person keine drohende eigene Inanspruchnahme sieht und daher keine Umstandsmeldung abgeben möchte.126

124 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 50; Lange RuS 2006 177, 181. 125 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 3. 126 GDV-Erl. zu Ziff. A-5.4. 875

Armbrüster

A-5 AVB D&O

88

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Soll die Meldung durch den VN erfolgen, so richtet sich die Zuständigkeit nach den gesellschaftsrechtlichen Regeln. Dementsprechend ist z. B. für die AG gem. § 78 Abs. 1 S. 1 AktG deren Vorstand zuständig.127

2. Zeitraum für die Umstandsmeldung 89 a) Meldung vor Vertragsende (Abs. 1). Nach Abs. 1 muss die Umstandsmeldung während der Vertragslaufzeit (s. dazu Ziff. B2-1) erfolgen. Demnach genügt eine Meldung während eines Nachhaftungszeitraums i. S. v. Ziff. A-5.3 nicht.128

90 b) Meldung nach Vertragsende (Abs. 2). Abweichend von Abs. 1 gestattet Abs. 2 S. 1 eine Meldung auch noch innerhalb einer bestimmten Frist nach Vertragsbeendigung, nachdem der VR das Vertragsverhältnis gekündigt hat. Dabei gibt die Klausel (auch aus kartellrechtlichen Gründen)129 keine fixe Frist vor. Geeignete Kriterien für die unternehmensindividuell festzulegende Frist sind die Vertragsdauer und die Ausgestaltung sonstiger Regelungen, welche die mit dem Anspruchserhebungsprinzip verbundenen Nachteile ausgleichen sollen.130 Da die Möglichkeit einer Meldung nach Vertragsende eine Kündigung durch den VR voraus91 setzt, besteht sie nicht, wenn der Vertrag aus anderen Gründen beendet wird. Dies kann für den VN und die versicherten Personen insbes. dann zu Nachteilen führen, wenn der Vertrag durch Ablauf endet (vgl. Ziff. B2-1.3).131 Dabei dürfte es sich in der Praxis freilich um den Ausnahmefall handeln. Zudem bedarf es aus AGB-rechtlicher Sicht für die wirksame Vereinbarung des Claimsmade-Prinzips ohnehin keiner Kompensation in Gestalt einer großzügig ausgestalteten Umstandsmeldung (s. Ziff. A-2 Rn. 40 ff.), so dass auch insoweit keine Bedenken gegen die Wirksamkeit von Abs. 2 bestehen.

92 c) Maßgeblicher Zeitpunkt (Abs. 5). In Übereinstimmung mit den allg. Regeln der Rechtsgeschäftslehre (vgl. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB) kommt es nach Abs. 5 für den Zeitpunkt, zu dem die Umstandsmeldung erfolgt, auf deren Zugang beim VR an.

3. Inhalt der Umstandsmeldung 93 Nach Ziff. A-5.4 Abs. 1 muss die Meldung konkrete Umstände mitteilen, die eine Inanspruchnahme der versicherten Person hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Dafür genügt es nicht, lediglich allgemeine Umstände zu benennen, die möglicherweise zu wirtschaftlichen Folgen führen können, z. B. die Nichtigkeit eines Jahresabschlusses. ohne dass mitgeteilt wird, auf welchen Gründen dies beruht und welche versicherte Person dafür verantwortlich gemacht werden soll.132 Auch allein die Übersendung von Sitzungsprotokollen des Aufsichtsrats reicht nicht.133 Vielmehr muss die mögliche spätere Inanspruchnahme so weit konkretisiert und präzisiert sein, dass der VR sein fortbestehendes Eintrittsrisiko kalkulieren und bilanzieren kann. Für diese Konkretisierung ist mithin außer der möglichen Pflichtverletzung auch mitzuteilen, 127 128 129 130 131 132 133

Lüneborg/Resch AG 2017 691, 698 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 2. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 2, 5. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.4. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.4. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 4. OLG Frankfurt/M. 5.12.2012 – 7 U 73/11, RuS 2013 329, 333. Vgl. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.4.

Armbrüster

876

E. Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4)

AVB D&O A-5

wem gegenüber diese stattgefunden hat und inwieweit diesen Personen Schäden entstanden sein können, auch wenn solche noch nicht bezifferbar sind.134 Es genügt daher z. B. nicht die Mitteilung, dass Anlageprospekte möglicherweise unzutreffende oder unzureichende Angaben enthalten, sondern es ist auch mitzuteilen, wem gegenüber die Prospekte verwendet worden sind oder sein könnten.135 Die Gesamtheit der Angaben muss dazu führen, dass ein etwaiger künftiger Versicherungsfall individualisierbar ist.136

4. Form Ziff. A-5.4 Abs. 1 schreibt für die Umstandsmeldung ausdrücklich die Textform vor. Diese Form- 94 vorgabe entspricht der allgemeinen Regelung in Ziff. B4-4.2.1, wo beispielhaft E-Mail, Telefax oder Brief genannt werden. Maßgeblich für das Verständnis des Rechtsbegriffs „Textform“ ist die Legaldefinition in § 126b BGB. Demnach erfordert die Textform eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger.

5. Hinweisobliegenheiten des VR Geht dem VR eine Mitteilung zu, die der Absender erkennbar als Umstandsmeldung verstanden 95 wissen will, so kommt es in Betracht, dass der VR dies dann, wenn er die Meldung nicht als bedingungsgemäße Umstandsmeldung ansieht (insbes. weil er sie für zu ungenau hält, aber z. B. auch bei einem Formverstoß), dies dem Absender unverzüglich mitzuteilen hat. Dies ließe sich in Parallele zu den für unwirksame Kündigungen geltenden Regeln137 aus dem versicherungsrechtlichen Kooperationsgebot138 herleiten. Unterlässt er die Mitteilung, könnte er sich demnach später nach § 242 BGB grds. nicht mehr auf den Unwirksamkeitsgrund berufen. Freilich gilt es zu beachten, dass der VR selbst gegenüber Verbrauchern nicht generell dazu verpflichtet ist, allein aufgrund seines Wissensvorsprungs Hinweise zu erteilen.139 Zudem sind die versicherten Personen einer D&O-Versicherung im Unterschied zu Verbrauchern regelmäßig geschäftserfahren (s. Einf Rn. 66). Daher dürfen die Anforderungen an eine Hinweisobliegenheit des VR nicht überspannt werden. Nur wenn sich die versicherte Person erkennbar im Irrtum über die Anforderungen befindet, ist daher ein Hinweis geboten (vgl. auch Rn. 51).140 Hingegen muss der VR gegenüber demjenigen, der die Meldung erstattet, keine Aussagen 96 zur Deckungs- und Haftungslage machen.141 Dies folgt daraus, dass seine Prüfungspflicht erst mit Eintritt des Versicherungsfalls einsetzt (Ziff. A-6.1 lit. a). Im Schrifttum wird teils vertreten, dass dann, wenn der VN zu einem neuen VR wechselt, 97 dieser den VN auf die mit der Kündigung im Hinblick darauf, dass Abs. 2 nicht eingreift, verbun-

134 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 44, Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 43; s. auch Lange RuS 2006 177, 181.

135 OLG Düsseldorf 12.7.2017 – 4 U 61/17, RuS 2018 193 Rn. 27; weiteres Praxisbeispiel bei Seitz/Finkel/Klimke/ Finkel/Seitz Ziff. 2 AVB-AVG Rn. 45. 136 Lange § 9 Rn. 102. 137 BGH 16.1.2013 – IV ZR 94/11, VersR 2013 305 Rn. 29. 138 Zu diesem Gebot s. allg. Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 292 ff., 1181 ff. 139 S. etwa BGH 13.1.2010 – IV ZR 28/09, VersR 2010 903 Rn. 6 ff. (betr. Hinweis auf die Obliegenheit eine Stehlgutliste vorzulegen). 140 Generell gegen Hinweisobliegenheit hingegen Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 41 a. E. (unter Hinweis auf OLG Celle, Urt. v. 2.9.2010 – 8 U 43/10, unveröff.); s. auch Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 48. 141 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 41 (unter Hinweis auf OLG Celle, Urt. v. 2.9.2010 – 8 U 43/ 10, unveröff.). 877

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

denen Risiken hinzuweisen habe.142 Für eine derartige Pflicht fehlt es indessen an einer Rechtsgrundlage; sie lässt sich insbes. nicht auf § 6 Abs. 1 VVG stützen. Demgegenüber hat der Makler aufgrund des Maklervertrags als Sachwalter des VN diesen im Zuge einer Umdeckung auf die damit verbundenen Nachteile hinzuweisen, wozu auch der Wegfall der Möglichkeit zur Umstandsmeldung zählt.

III. Rechtsfolgen 1. Rückwirkungsfiktion (Abs. 3) 98 Die Umstandsmeldung bewirkt nach Abs. 3 eine Rückwirkungsfiktion: Die Inanspruchnahme (nicht: die Pflichtwidrigkeit) gilt als zum Zeitpunkt der Umstandsmeldung erfolgt. Für diesen Zeitpunkt ist nach Abs. 4 der Zugang der Meldung beim VR maßgeblich. Die Fiktion hat zur Folge, dass für alle deckungsrelevanten Fragen auf den Zeitpunkt der 99 Umstandsmeldung abzustellen ist. Dies gilt insbes. auch für die Höhe der verfügbaren Versicherungssumme143 und für die Anwendung der Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6).144 Damit hat die Umstandsmeldung für die versicherten Personen eine statuserhaltende Wirkung. Abs. 3 regelt nicht ausdrücklich, welche Anforderungen an die „tatsächliche spätere Inan100 spruchnahme“ zu stellen sind. Da es um eine zeitliche Vorverlegung des Versicherungsfalls geht, müssen die allg. Voraussetzungen gem. Ziff. A-2 erfüllt sein. Dies bedeutet insbes., dass eine schriftliche Geltendmachung gegenüber der versicherten Person erforderlich ist. Hingegen muss diese Inanspruchnahme nicht dem VR innerhalb der in Abs. 3 vorgesehenen Frist angezeigt werden.145 Allerdings ist stets erforderlich, dass die Anspruchserhebung den in der Umstandsmeldung genannten Merkmalen im Wesentlichen entspricht,146 auch wenn zum Zeitpunkt der Umstandsmeldung regelmäßig bestimmte Punkte noch nicht präzisiert werden konnten.

2. Verjährungsrechtliche Folgen? 101 Die Rückwirkungsfiktion, welche eine Umstandsmeldung nach Abs. 3 auslöst, führt zu der Frage, ob diese sich auch auf den Beginn der Verjährung des Deckungsanspruchs (zu ihr s. Ziff. B4-4) auswirkt. Die verjährungsrechtliche Ausgangslage ist folgende: Für jede der Komponenten des Leistungsversprechens (Ziff. A-6.1) bedarf es der Geltendmachung eines Anspruchs durch einen Dritten. Die Tatsachen, welche typischerweise einer Umstandsmeldung zugrunde liegen, erfüllen die102 se Voraussetzungen nicht.147 In der Umstandsmeldung werden nämlich keine bereits erfolgten Inanspruchnahmen von versicherten Personen gemeldet. Vielmehr wird allein angezeigt, dass solche Inanspruchnahmen künftig möglich sind. Auch die zulässige Erhebung einer Feststellungsklage ist den versicherten Personen nicht möglich, solange eine künftige Inanspruchnahme lediglich als möglich erscheint. Den versicherten Personen fehlt dann nämlich regelmäßig das erforderliche berechtigte Feststellungsinteresse daran, dass der VR dafür eintrittspflichtig sein werde, falls es tatsächlich zur Anspruchserhebung kommt. 142 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 4 a. E. Zu den mit einer Umdeckung in der D&O-Versicherung verbundenen Risiken s. Ch. Möller VersR 2021 1265, 1267 ff. 143 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 5. 144 GDV-Erl. zu Ziff. A-5.4. 145 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 5. 146 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 49; Lange RuS 2006 177, 181. 147 Zu den Umständen s. Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 183. Armbrüster

878

E. Umstandsmeldung (Ziff. A-5.4)

AVB D&O A-5

Man könnte erwägen, dass sich die Rückwirkungsfiktion in Ziff. A-5.4 Abs. 3 auch auf den 103 Verjährungsbeginn erstreckt. Nach dem Wortlaut wäre dieses Verständnis nicht von vornherein ausgeschlossen. Dagegen spricht indessen entscheidend der erkennbare Zweck der Fiktion: Durch sie soll allein ein erst später eingetretener Versicherungsfall zeitlich noch dem versicherten Zeitraum zugeordnet werden; darüber hinausgehende, andere Regelungen betreffende Auswirkungen werden damit nicht bezweckt. Würde man der Fiktion die Bedeutung beimessen, dass dadurch auch der Verjährungsbeginn vorverlagert wird, würde hingegen der Zweck, dem VN und den versicherten Personen ihren versicherungsvertraglichen Status zu erhalten, unterlaufen. Diese Gefahr erwächst daraus, dass die Verjährungsfristen des Deckungsanspruchs einerseits, des – in der D&O-Praxis ganz im Vordergrund stehenden – Innenhaftungsanspruchs der Gesellschaft gegen versicherte Personen andererseits sich wesentlich unterscheiden. Der dreijährigen Verjährungsfrist des Deckungsanspruchs (Ziff. B4-4) steht eine mindestens fünfjährige, bei börsennotierten Gesellschaften mittlerweile zehnjährige Verjährungsfrist des Innenhaftungsanspruchs gem. §§ 93 Abs. 6, 116 S. 1 AktG gegenüber (s. Anh Ziff. A-1 Rn. 34). Es bestünde aus Sicht der versicherten Personen mithin die Gefahr, dass dann, wenn bereits die Umstandsmeldung und nicht erst die ernsthafte Geltendmachung eines Anspruchs für den Verjährungsbeginn maßgeblich wäre, eine Inanspruchnahme erst erfolgt, wenn der Deckungsanspruch gegen den VR bereits verjährt ist. Die versicherten Personen stünden in diesem Fall trotz der Umstandsmeldung ohne Versicherungsschutz da, wenn der VR die Verjährungseinrede erhebt. Dies spricht entscheidend gegen das Verständnis, dass sich die Rückwirkungsfiktion auf die verjährungsrechtlich maßgebliche Entstehung des Anspruchs erstreckt. Sieht man dieses Auslegungsergebnis nicht als unzweifelhaft an, so führt jedenfalls die Anwendung der Unklarheitenregel gem. § 305c Abs. 2 BGB (zu ihrer Anwendbarkeit s. Einf Rn. 69) zum selben Resultat.

3. Geheimhaltungspflicht des VR Der VR muss die in einer Umstandsmeldung enthaltenen, nicht allg. bekannten Informationen 104 geheim halten.148 Dies folgt aus dem durch das Versicherungsverhältnis begründeten Kooperationsgebot.

IV. Reaktionsmöglichkeiten des VR 1. Maßnahmen zur Schadensminderung Eine Umstandsmeldung kann für den VR Anlass bieten, schadensmindernde Maßnahmen zu 105 treffen. Da die Meldung bereits im Vorfeld einer tatsächlichen Inanspruchnahme erfolgt, kommen in verschiedenen Situationen Handlungen in Betracht, durch welche eine Inanspruchnahme abgewendet oder deren Umfang verringert werden kann. Insoweit besteht eine gewisse Parallele zum Zweck von Klauseln, durch die der VR Kostenerstattung für eine anwaltliche Interessenwahrnehmung bei wahrscheinlicher Inanspruchnahme verspricht (s. dazu Ziff. A-2 Rn. 63 ff.). Ein Beispiel für eine Schadensminderungsmaßnahme bietet die unverzügliche Nachholung einer zunächst unterlassenen Ad-hoc-Mitteilung.

2. Folgerungen für die Vertragserneuerung Die Fiktionswirkung in Ziff. A-5.4 Abs. 3 betrifft allein die angezeigten Umstände. Für weitere 106 nach Ablauf der Vertragsdauer eintretende Umstände greift die statuserhaltende Wirkung der 148 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 4. 879

Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Umstandsmeldung (s. Rn. 99) nicht ein. Der VR kann daher bei der Vertragserneuerung dem aufgrund der Umstandsmeldung zutage getretenen Risiko Rechnung tragen, etwa indem er für weitere, nicht von der Meldung gedeckte Inanspruchnahmen einen Ausschluss vorsieht. Diese Möglichkeit gilt es für VN und versicherte Personen bei der Entscheidung darüber, ob eine Umstandsmeldung abgegeben werden soll, im Blick zu behalten.

V. Abweichende AVB 107 Klauseln zur Umstandsmeldung (Notice of Circumstance; vorsorgliche Anzeige) sind in der D&O-Versicherung weit verbreitet.149 Teils beschränken sie abweichend von Ziff. A-5.4 Abs. 1 das Recht zur Abgabe der Meldung auf den VN.150 Zudem soll bisweilen statt einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit bereits die Möglichkeit einer Inanspruchnahme genügen. Nach manchen AVB wird nicht die (spätere) tatsächliche Inanspruchnahme mittels einer 108 Fiktion auf den Zeitpunkt der Umstandsmeldung rückdatiert (wie in Ziff. A-5.4 Abs. 3 vorgesehen), sondern bereits die Umstandsmeldung einer Inanspruchnahme (Claims-made-Prinzip) und damit dem Eintritt des Versicherungsfalls gleichgestellt.151 Bei dieser Gestaltung ist die Frage, ob damit auch der Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt der Umstandsmeldung vorverlagert wird, weniger einfach zu beantworten als im Falle von Ziff. A-5.4 (s. dazu Rn. 103). Bei einer allein am Klauselwortlaut orientierten Betrachtung könnte nämlich davon auszugehen sein, dass bereits zum Zeitpunkt der Umstandsmeldung ein Anspruch auf Versicherungsleistung besteht. Indessen ergibt eine am erkennbaren Zweck der Klausel orientierte Auslegung, dass damit nicht zugleich der Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt der Umstandsmeldung vorverlagert werden sollte (vgl. auch Ziff. A-2 Rn. 65 ff. zur erweiterten Kostenübernahme). 109 In den AVB wird die Klausel zur Nachmeldefrist teils mit einer Obliegenheit von VN und versicherten Personen verbunden, solche Umstände zu melden. Aus der fakultativen wird dadurch eine obligatorische Umstandsmeldung. Damit kann der VR Vorsorge dagegen treffen, dass der VN oder eine versicherte Person je nach Situation nicht die eventuell ungünstigere Versicherungsperiode zur Zeit der (unterbliebenen) Umstandsmeldung auswählt, sondern die für ihn günstigere zur Zeit der tatsächlichen späteren Inanspruchnahme.152 Ein derartiges Verhalten ist dann, wenn keine Meldeobliegenheit besteht, nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen (zu Ziff. A-5.4 s. Rn. 83).153 Manche AVB gewähren den versicherten Personen im Zusammenhang mit einer Umstands110 meldung den Ersatz von sog. vorbeugenden Rechtskosten, teils mit einem Sublimit. Dabei werden Abwehrkosten bereits zum Zwecke einer möglichst frühzeitigen Verteidigung übernommen, auch wenn noch keine Inanspruchnahme erfolgt ist, eine solche aber wahrscheinlich erscheint.154

F. Insolvenzantrag (Ziff. A-5.5) I. Grundregeln 111 Eine spezielle zeitliche Grenze des Versicherungsschutzes ist in Ziff. A-5.5 für den Fall vorgesehen, dass ein Insolvenzantrag (Eröffnungsantrag nach § 13 InsO) über das Vermögen des VN 149 150 151 152 153 154

Lange RuS 2006 177, 181 f.; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 175. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 39. Lange § 9 Rn. 86; Schramm 51. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 50; Lange RuS 2006 177, 181. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.4 Rn. 3. Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 187.

Armbrüster

880

F. Insolvenzantrag (Ziff. A-5.5)

AVB D&O A-5

oder einer Tochtergesellschaft gestellt wird. Die Regelung in Ziff. A-5.5 knüpft damit an einen Tatbestand an, der regelmäßig eindeutig bestimmbar ist. Die Deckung beschränkt sich auf Pflichtverletzungen (nicht: Anspruchserhebungen), die bis zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung erfolgt sind. Hintergrund ist, dass sich in der Insolvenzsituation die Ziele und die Geschäftsführung der Gesellschaft ändern.155 Nach Ziff. A-5.5 bleibt der Versicherungsschutz ungeschmälert bestehen, solange ein Sanierungsversuch unternommen wird, ohne dass ein Insolvenzantrag gestellt wird; zudem kann es nicht zu einem von der versicherten Person gar nicht bemerkten Verlust des Versicherungsschutzes kommen (zur strengeren, auf den Eintritt der Insolvenzreife abstellenden Vorgängerregelung s. Rn. 120).156 Die Maßgeblichkeit der Insolvenzantragstellung führt dazu, dass Pflichtverletzungen gedeckt sind, die zwischen dem objektiven Eintritt der Insolvenzreife und der (verspäteten) Antragstellung begangen werden.157 Damit sind insbes. Ansprüche aus Insolvenzverschleppungshaftung (näher Anh Ziff. A-1 Rn. 91 ff.) und wegen Verstößen gegen das Auszahlungsverbot in § 15b Abs. 1 S. 1 InsO (§§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 S. 1 AktG a. F., § 64 S. 1 GmbHG a. F.; näher Ziff. A-1 Rn. 65; Anh Ziff. A-1 Rn. 26) gedeckt.158 Maßgeblich ist die Stellung eines Insolvenzantrags, genauer: der Zeitpunkt, zu dem dieser Antrag beim zuständigen Amtsgericht (Abteilung Insolvenzgericht) eingeht. Auf den weiteren Verfahrensgang kommt es grds. nicht an (s. aber Rn. 118 zur Rücknahme des Insolvenzantrags). Der Versicherungsschutz endet daher insbes. auch dann, wenn es – etwa mangels Masse – nicht zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt.

112

113

114

115

II. Wirksamkeit Gegen die Wirksamkeit von Ziff. A-5.5 wird teils vorgebracht, dass es nicht darauf ankommt, ob 116 der Insolvenzantrag zulässig ist und ob Insolvenzreife vorliegt. Zudem ermögliche die InsO einen Eigenantrag bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit (§§ 13 Abs. 1 S. 2, 18 InsO) und setze mit dem Schutzschirmverfahren (§ 270d InsO) einen Anreiz zur frühzeitigen Antragstellung.159 Indessen ist nicht ersichtlich, wieso daraus eine unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB folgen sollte. Dies gilt umso mehr, als die Maßgeblichkeit des Insolvenzantrags gegenüber einer alternativ in Betracht kommenden Anknüpfung an den Eintritt der Insolvenzreife für die versicherten Personen wesentlich vorteilhafter ist. Überdies werden es nicht selten sie selbst sein, die über die Antragstellung für den VN befinden; dabei können sie die Regelung in Ziff. A-5.5 berücksichtigen.

III. Auswirkungen auf den Versicherungsvertrag Ziff. A-5.5 trifft lediglich eine Aussage zur zeitlichen Beschränkung des Versicherungsschutzes 117 auf bis zur Antragstellung erfolgte Pflichtverletzungen. Der Bestand des Versicherungsvertrags über den Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung hinaus bis zum Ende der Vertragsdauer wird dadurch nicht berührt.160 Der VVG-Reformgesetzgeber hat § 14 VVG a. F., der es dem VR ermöglichte ein Kündigungsrecht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN zu vereinbaren, aufgehoben, da kein hinreichendes Bedürfnis für ein solches besonderes 155 156 157 158 159 160 881

Ihlas 391. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.5 Rn. 2. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.5. Vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 8 Rn. 41 ff. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.5 Rn. 3. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.5; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.5 Rn. 1. Armbrüster

A-5 AVB D&O

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Kündigungsrecht bestehe.161 Der VR kann sich daher – außer bei Großrisiken (s. Einf Rn. 79 ff.) – jenseits der allg. ordentlichen Kündigungsrechte nach § 11 VVG kein vertragliches Kündigungsrecht ausbedingen. Möglich ist freilich – wie stets – der Abschluss eines Aufhebungsvertrags.162

IV. Rücknahme des Insolvenzantrags 118 Wird der Insolvenzantrag zurückgenommen, so lebt der Versicherungsschutz bis zum Ende der regulären Vertragslaufzeit wieder auf.

V. Beweislast 119 Nach den allg. Regeln tragen die versicherten Personen als Anspruchsinhaberinnen (s. Einf Rn. 93) die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die ihrer Inanspruchnahme zugrunde liegenden Pflichtverletzungen vor der Stellung des Insolvenzantrags begangen worden sind.163 Steht ein pflichtwidriges Unterlassen in Rede, so genügt es grds., wenn dieser Dauerverstoß bereits vor der Antragstellung begonnen hat. Allerdings erstreckt sich die Leistungspflicht des VR dann nur auf solche Schäden, die durch das Unterlassen vor diesem Zeitpunkt verursacht worden sind.

VI. Abweichende AVB 120 In früheren Musterbedingungen hat die Insolvenzklausel einen teils deutlich abweichenden Inhalt. So kommt es nach Ziff. 3.4 AVB-AVG 2013 nicht auf die Antragstellung, sondern auf den Eintritt der Insolvenzreife als maßgeblichen Zeitpunkt an.164 Insolvenzreife tritt ein, wenn einer der Eröffnungsgründe Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft (§§ 17, 19 InsO) objektiv vorliegt.165 Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist nur Eröffnungsgrund, wenn die Gesellschaft die Eröffnung beantragt (§ 18 InsO). Da Ziff. 3.4 AVB-AVG 2013 nicht auf den Antrag abstellt, kommt dieser Eröffnungsgrund hier nicht in Betracht. Eine vorübergehende Zahlungsstockung166 führt noch nicht zur Zahlungsunfähigkeit. Überschuldung entfällt gem. § 19 Abs. 2 InsO n. F., wenn trotz rechnerischer Überschuldung die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist. 121 Diese Gestaltung wurde teils kritisiert, weil sie nicht voraussetzt, dass die versicherte Person die Insolvenzreife erkannt hat oder hätte erkennen müssen. Damit gefährde insbes. die unbemerkte Überschuldung den Versicherungsschutz.167 Die Klausel ist nicht als sekundärer Risikoausschluss (vgl. Ziff. 5 AVB-AVG 2013) ausgestaltet, sondern als Beschränkung der primären Deckung. Der Sache nach handelt es sich aber um einen „verhüllten Risikoausschluss“. Dies könnte mit den Wertungen der Gefahrerhöhung kollidieren. Denn wenn nach § 32 VVG von den

161 Begr. zu § 16 VVG, BTDrucks 16/3945 S. 64. 162 Insoweit missverständlich GDV-Erl. zu Ziff. A-5.5: „Auf Verlangen der Versicherungsnehmerin kann der Vertrag auch aufgehoben werden.“. 163 Offenbar abw. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.5 Rn. 4 (Beweislast beim VN). 164 Näher Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 51 ff. 165 St. Rspr.; BGH 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163 134 = NJW 2005 3062, 3063; BGH 16.3.2009 – II ZR 280/07, NJW 2009 2454, 2455. 166 Zur Abgrenzung von Zahlungsunfähigkeit s. BGH 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163 134 = NJW 2005 3062, 3063; BGH 12.10.2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007 36 Rn. 27 f. 167 Vgl. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.5 Rn. 2; s. auch GDV-Erl. zu Ziff. A-5.5; für Wirksamkeit hingegen Finkel/Seitz/ Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 3 AVB-AVG Rn. 52. Armbrüster

882

G. Liquidation und Neubeherrschung (Ziff. A-5.6)

AVB D&O A-5

§§ 23 ff. VVG nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden kann, so bedeutet dies, dass die Regelungen über die Gefahrerhöhung auch nicht durch Risikoausschlüsse umgangen werden dürfen.168 Eine Umgehung kommt allerdings nicht in Betracht, wenn der ausgeschlossene Umstand schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hätte vorhanden sein können und dann von vornherein nicht versichert worden wäre.169 Letzteres liegt im Hinblick auf die Insolvenzreife für die D&O-Versicherung u. U. nahe, falls es sich zumindest um einen dem VN i. S. v. § 19 Abs. 1 VVG bekannten Gefahrumstand handelt (und Zurechenbarkeit i. S. v. § 19 Abs. 2, 3 VVG zu bejahen ist), was mit § 23 Abs. 3 (und § 26 Abs. 2) VVG harmoniert. Da Ziff. 3.4 AVB-AVG 2013 allein auf den objektiven Eintritt der Insolvenzreife abstellt, dürfte die Bestimmung in der Tat wegen Umgehung der §§ 23 ff. VVG gem. § 32 S. 1 VVG und zugleich wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Leitbild gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB170 unwirksam sein. Dies gilt jedenfalls jenseits von Verträgen über Großrisiken (s. Einf Rn. 82 ff.). Es kommen dann die Regelungen über die Gefahrerhöhung zum Zuge.171 Wiederum anders ist die Gestaltung in Ziff. 3.4 AVB-AVG 97. Demnach ist nicht die Insol- 122 venzreife, sondern die Eröffnung des Konkurs-, Vergleichs- oder Gesamtvollstreckungsverfahrens maßgeblich. Abweichend von den neueren Musterbedingungen (s. Rn. 120 sowie zu Ziff. A-5.5 Rn. 115) besteht die Deckung demnach weiter, wenn es mangels Masse nicht zur Verfahrenseröffnung kommt. Zudem gestattet Ziff. 10.2 bei Eröffnung eines dieser Verfahren dem VR die Kündigung, was nach § 14 VVG a. F. zulässig war (s. Rn. 117). Bei Überschreitung der zeitlichen Grenze der Insolvenzreife ohne Antragstellung beginnt 123 die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 4, 5 InsO. Handeln die zuständigen Organmitglieder vorsätzlich oder wissentlich, so ist der Versicherungsschutz gem. Ziff. A-7.1 ausgeschlossen (s. Ziff. A-7 Rn. 32 ff.). Sofern nur (grob) fahrlässiges Verhalten vorliegt (oder nachweisbar ist), welches nach § 15a Abs. 5 InsO gleichfalls strafbar ist, kann hingegen entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht172 Versicherungsschutz geboten werden.173 Dieser wird in der Praxis auch angeboten. Dabei wird teils für den Fall, dass das Insolvenzverfahrens eröffnet wird, eine Beendigung des Versicherungsschutzes zum Ablauf der Versicherungsperiode vorgesehen. Alternativ kann der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN als anzeigepflichtige Gefahrerhöhung ausgestaltet werden.

G. Liquidation und Neubeherrschung (Ziff. A-5.6) I. Liquidation (Abs. 1) Ziff. A-5.6 Abs. 1 regelt in Ergänzung zu Ziff. A-5.5 den Fall, dass der VN nicht in ein Insolvenz- 124 verfahren gerät, sondern seine Existenz im Wege der freiwilligen Liquidation beendet. Die Klausel hat in den Musterbedingungen keine Vorgänger. Ihre praktische Bedeutung dürfte gering sein, da insbes. Kapitalgesellschaften eher von Übernahmen als von einer Liquidation betroffen werden.

168 BGH 7.2.1996 – IV ZR 155/95, VersR 1996 486, 487 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 116; Bruck/Möller/ Matusche-Beckmann9 § 23 Rn. 70. 169 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 116; Bruck/Möller/Matusche-Beckmann9 § 23 Rn. 70. 170 Zur parallelen Anwendbarkeit beider Regelungen s. BGH 18.3.2009 – IV ZR 298/06, VersR 2009 769 Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 11. 171 S. auch BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506 Rn. 13 m. Anm. R. Koch. 172 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 359 (unter Bezugnahme auf § 84 GmbHG und § 401 AktG). 173 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 3 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 64. 883

Armbrüster

A-5 AVB D&O

125

Zeitlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Da das Vertragsende erst mit Abschluss der Liquidation eintritt, haben auch die Liquidatoren – sofern sie in den Kreis der versicherten Personen nach Ziff. A-1 Abs. 1 fallen – Deckungsschutz.174

II. Neubeherrschung (Abs. 2) 126 Abs. 2 S. 1 stellt klar, dass eine Neubeherrschung (change of control; eingehend Ziff. B3 Rn. 74 ff.) anders als nach Ziff. 9.3 Abs. 2 AVB-AVG 2013 nicht zur automatischen Beendigung des Versicherungsvertrags mit Abschluss der Versicherungsperiode führt. Dies ist im Hinblick auf die Regelung in Ziff. B2-1.2 zur stillschweigenden Vertragsverlängerung bedeutsam. Die Klausel verweist für die Voraussetzungen der Neubeherrschung auf Ziff. A-4. Demnach wird der VN nicht allein aufgrund des Abschlusses eines Beherrschungsvertrags neu beherrscht,175 sondern auch dann, wenn einer der beiden weiteren Tatbestände einer Beherrschung i. S. v. Ziff. A-4 Abs. 1 erfüllt ist. Abs. 2 S. 2 regelt, dass die Klausel in Ziff. B3–2 zur Gefahrerhöhung unberührt bleibt. 127 Damit wird klargestellt, dass eine Neubeherrschung nicht automatisch zur unveränderten Fortsetzung des Vertrags führt. Vielmehr kann darin eine Gefahrerhöhung liegen, die sich auf das Schicksal des (zunächst) fortbestehenden Vertrags auswirkt (eingehend Ziff. B3 Rn. 77 ff., auch zum Streit um die Einordnung als subjektive oder objektive Gefahrerhöhung).176 Der VN darf gem. Ziff. B3-2.2.1 keine Gefahrerhöhung vornehmen. Ihn trifft gem. Ziff. B3-2.2.2 (nachträglich erkannte subjektive Gefahrerhöhung) und gem. Ziff. B3-2.2.3 (objektive Gefahrerhöhung) eine Anzeigeobliegenheit. Dem VR steht nach Maßgabe von Ziff. B3-2.3.1 ein Kündigungsrecht zu; statt der Kündigung kann er auch eine Vertragsanpassung vornehmen (Ziff. B3-2.3.2).

III. Auswirkungen auf die Nachmeldefristen 128 Die Regelungen zur Nachmeldefrist in Ziff. A-5.3 bleiben durch Ziff. A-5.6 grds. unberührt.177 Dies gilt hinsichtlich der Liquidation auch im Hinblick auf die optionale weitere Nachmeldefrist i. S. v. Ziff. A-5.3 Abs. 2, da sie nicht zu den in Abs. 3 dieser Klausel aufgeführten Ausnahmen zählt. Eine Neubeherrschung lässt hingegen dann, wenn sie zu einer Gefahrerhöhung gem. Ziff. B3–2 führt, die Option auf eine weitere Nachmeldefrist entfallen.

174 175 176 177

Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.5 Rn. 1. So offenbar Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.6 Rn. 2. GDV-Erl. zu Ziff. A-5.6; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.6 Rn. 2. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5.6 Rn. 1.

Armbrüster

884

A-6 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes A-6.1 Leistungen der Versicherung Der Versicherungsschutz umfasst a) die Prüfung der Haftpflichtfrage, b) die Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und c) die Freistellung der versicherten Personen von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen. Berechtigt sind Schadenersatzverpflichtungen dann, wenn die versicherten Personen aufgrund Gesetzes, rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleiches zur Entschädigung verpflichtet sind und der Versicherer hierdurch gebunden ist. Anerkenntnisse und Vergleiche, die von den versicherten Personen ohne Zustimmung des Versicherers abgegeben oder geschlossen worden sind, binden den Versicherer nur, soweit der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte. Ist die Schadenersatzverpflichtung der versicherten Personen mit bindender Wirkung für den Versicherer festgestellt, hat der Versicherer die versicherten Personen binnen zwei Wochen vom Anspruch freizustellen. Wird in einem Strafverfahren wegen einer Pflichtverletzung, die einen unter den Versicherungsschutz fallenden Haftpflichtanspruch zur Folge haben kann, die Bestellung eines Verteidigers für die versicherten Personen von dem Versicherer gewünscht oder genehmigt, so trägt der Versicherer die Kosten gemäß Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, ggf. die mit ihm besonders vereinbarten höheren Kosten des Verteidigers. Übersteigt der Streitwert die Versicherungssumme, so trägt der Versicherer nur die Kosten nach dem Streitwert in Höhe der Versicherungssumme. A-6.2 Vollmacht des Versicherers Der Versicherer ist bevollmächtigt, alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadenersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Personen abzugeben. Kommt es in einem Versicherungsfall zu einem Rechtsstreit über Schadenersatzansprüche gegen versicherte Personen, ist der Versicherer zur Prozessführung bevollmächtigt. Er führt den Rechtsstreit im Namen der versicherten Personen. A-6.3 Kapitalbeteiligung der versicherten Personen bzw. deren Angehöriger Besteht eine mittelbare oder unmittelbare Kapitalbeteiligung der versicherten Personen, die eine Pflichtverletzung begangen haben bzw. von Angehörigen dieser versicherten Personen an dem Versicherungsnehmer bzw. einer vom Versicherungsschutz erfassten Tochtergesellschaft, so umfasst der Versicherungsschutz bei Ansprüchen des Versicherungsnehmers bzw. einer vom Versicherungsschutz erfassten Tochtergesellschaft nicht den Teil des Schadenersatzanspruchs, welcher der Quote dieser Kapitalbeteiligung entspricht. Berücksichtigt wird die Quote der Kapitalbeteiligung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles im Sinne von A-2 an der Gesellschaft, die Ansprüche geltend macht. Sofern zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine höhere Kapitalbeteiligung bestand, so wird ausschließlich diese berücksichtigt. Als Angehörige gelten Ehegatten, Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes oder vergleichbare Partnerschaften nach dem Recht anderer Staaten, Eltern und Kinder, Adoptiveltern und -kinder, Schwiegereltern und -kinder; Stiefeltern und -kinder, Großeltern und Enkel, Geschwister sowie Pflegeeltern und -kinder (Personen, die durch ein familienähnliches, auf längere Dauer angelegtes Verhältnis wie Eltern und Kinder miteinander verbunden sind).

885 https://doi.org/10.1515/9783110522662-036

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

A-6.4 Versicherungssumme, Höchstersatzleistung Für den Umfang der Leistung des Versicherers ist die vereinbarte Versicherungssumme der Höchstbetrag für jeden Versicherungsfall und für alle während einer Versicherungsperiode eingetretenen Versicherungsfälle zusammen. Aufwendungen des Versicherers für Kosten der gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr der gegenüber einer versicherten Person von einem Dritten und/oder dem Versicherungsnehmer bzw. einer Tochtergesellschaft geltend gemachten Ansprüche (insbesondere Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten) werden auf die Versicherungssumme angerechnet. A-6.5 Selbstbehalt In jedem Versicherungsfall tragen die in Anspruch genommenen versicherten Personen den im Versicherungsschein aufgeführten Betrag selbst (Selbstbehalt). Im Falle von A-3 gilt statt des Selbstbehalts der versicherten Person der im Versicherungsschein aufgeführte Betrag für den Versicherungsnehmer. Soweit die versicherten Personen als Vorstandsmitglieder von Gesellschaften in Anspruch genommen werden, auf die das deutsche Aktiengesetz (AktG) Anwendung findet, gilt Folgendes: – Sofern kein höherer Selbstbehalt vereinbart ist, tragen die versicherten Personen im Versicherungsfall einen Selbstbehalt von … % des Schadens bis zur Höhe des …-fachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds. – Diese Selbstbehaltsregelung findet keine Anwendung auf Ansprüche wegen Pflichtverletzungen, die vor dem 5.8.2009 begangen worden sind oder solange und soweit die versicherte Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern aus einer vor dem 5.8.2009 geschlossenen Vereinbarung zur Gewährung einer D&O-Versicherung ohne Selbstbehalt verpflichtet ist. – Auf Abwehrkosten findet dieser Selbstbehalt keine Anwendung. A-6.6 Serienschaden Unabhängig von den einzelnen Versicherungsperioden gelten mehrere während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages geltend gemachte Ansprüche eines oder mehrerer Anspruchsteller a) aufgrund einer Pflichtverletzung, welche durch eine oder mehrere versicherte Personen begangen wurde oder b) aufgrund mehrerer Pflichtverletzungen, welche durch eine oder mehrere versicherte Personen begangen wurden, sofern diese Pflichtverletzungen demselben Sachverhalt zuzuordnen sind und miteinander in rechtlichem, wirtschaftlichem oder zeitlichem Zusammenhang stehen, als ein Versicherungsfall. Dieser gilt unabhängig von dem tatsächlichen Zeitpunkt der Geltendmachung der einzelnen Haftpflichtansprüche als in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem der erste Haftpflichtanspruch geltend gemacht wurde. A-6.7 Anerkenntnis, Befriedigung, Vergleich Falls die vom Versicherer verlangte Erledigung eines Haftpflichtanspruches durch Anerkenntnis, Befriedigung oder Vergleich an dem Verhalten des Versicherungsnehmers oder einer versicherten Person scheitert oder falls der Versicherer seinen vertragsgemäßen Anteil zur Befriedigung des Geschädigten zur Verfügung stellt, so hat der Versicherer für den von der Weigerung bzw. der Zurverfügungstellung an entstehenden Mehraufwand an Hauptsache, Zinsen und Kosten nicht aufzukommen.

Armbrüster

886

Schrifttum

AVB D&O A-6

Schrifttum (s. zunächst Schrifttum Einf AVB D&O) Armbrüster Verteilung nicht ausreichender Versicherungssummen in D&O-Innenhaftungsfällen VersR 2014 1; Büsken Voraussetzungen und Wirksamkeit der Serienschadenklausel der AHB, NJW 2003 1715; Dallwig Deckungsbegrenzungen in der Haftpflichtversicherung (2011); Dauner-Lieb/Tettinger Vorstandshaftung, D&O-Versicherung, Selbstbehalt, ZIP 2009 1555; Dickstein Die Kostenanrechnungsklausel in der D&O-Versicherung (2020); Dreher Die selbstbeteiligungslose D&O-Versicherung in der Aktiengesellschaft, AG 2008 429; Dreher/Görner Der angemessene Selbstbehalt in der D&O-Versicherung, ZIP 2003 2321; Fenyves Die rechtliche Bedeutung von Serienschadenklauseln in der Haftpflichtversicherung (1988); Franz Der gesetzliche Selbstbehalt in der D&O-Versicherung nach dem VorstAG, DB 2009 2764; ders. Aktuelle Compliance-Fragen zur D&O-Versicherung, DB 2011 1961 und 2019; Geller Zur Berechnung der Selbstbeteiligung in der Haftpflichtversicherung, RuS 1977 48; Gädtke Implizites Verbot der D&OSelbstbehaltsversicherung? VersR 2009 1565; Gädtke/Wax Konzepte zur Versicherung des D&O-Selbstbehalts, AG 2010 851; Gräfe Die Serienschadenklausel in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung, NJW 2003 3673; van Kann Zwingender Selbstbehalt bei der D&O-Versicherung – Gut gemeint, aber auch gut gemacht? NZG 2009 1010; Kerst D&O-Selbstbehalt: Klare Antworten auf bohrende Fragen, VW 2010 102; ders. Haftungsmanagement durch die D&O-Versicherung nach Einführung des aktienrechtlichen Selbstbehaltes in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG, WM 2010 594; H. Koch/Hirse Die Prozessführung durch den Versicherer, VersR 2010 405; R. Koch Verteilung nicht ausreichender Versicherungssummen in D&O-Innenhaftungsfällen, VersR 2016 1469; Kramer Das Beurteilungsermessen des Betriebshaftpflichtversicherers und die geschäftsschädigende Festlegung auf Abwehrschutz, RuS 2008 1; Lange Die Eigenschadenklausel in der D&O-Versicherung, ZIP 2003 466; ders. Die Serienschadenklausel in der D&O-Versicherung, VersR 2004 563; ders. Die Selbstbehaltsvereinbarungspflicht gemäß § 93 Abs. 2 S. 3 AktG n. F., VersR 2009 1011; ders. Die verbrauchte Versicherungssumme in der D&O-Versicherung, VersR 2014 1413; Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, NJW 2005 1165; E. Lorenz Muss die von dem Vorstand einer Aktiengesellschaft abgeschlossene D&O-Versicherung einen Selbstbehalt für die Unternehmensleiter vorsehen? Festgabe J. Prölss (2009) S. 177; Nowak-Over Die Auslegung und rechtliche Zulässigkeit von Serienschadenklauseln in der Haftpflichtversicherung und Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (1991); Olbrich/Kassing Der Selbstbehalt in der D&OVersicherung: Gesetzliche Neuregelung lässt viele Fragen offen, BB 2009 1659; Peppersack Das Kürzungs- und Verteilungsverfahren in der D&O-Versicherung (2017); ders. Die Problematik unzureichender Versicherungssummen in der D&O-Versicherung, RuS 2018 117; Repken Die Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln in der D&OVersicherung (2017); Säcker Streitfragen zur D&O-Versicherung, VersR 2005 10; Schimikowski Zins- und Kostenklauseln in der Haftpflichtversicherung – Zur (Un-)Abdingbarkeit des § 150 Abs. 2 VVG –, VersR 2005 861; Schirmer Die Vertretungsmacht des Haftpflichtversicherers im Haftpflichtverhältnis (1966); Schulz Zwangs-Selbstbehalt für Vorstände verfehlt Zweck, VW 2009 1410; Schulze Schwienhorst/R.J. Koch Die Versicherung der obligatorischen Selbstbeteiligung in der D&O-Versicherung, VW 2010 424; Spindler Vorstandsgehälter auf dem Prüfstand – das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NJOZ 2009 3282; Thüsing/Traut Angemessener Selbstbehalt bei D&O-Versicherungen – ein Blick auf die Neuerungen nach dem VorstAG, NZA 2010 140; Ulmer Strikte aktienrechtliche Organhaftung und D&O-Versicherung – zwei getrennte Welten? FS Canaris Bd. II (2007) S. 451; Voit Der Abandon, insbesondere der des Haftpflichtversicherers, NVersZ 2001 481; Werber Kostenanrechnungsklauseln in der D&O-Versicherung, VersR 2014 1159. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-6 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Ziff. 4 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

A-6.1 Leistungen der Versicherung

Ziff. 4.1

Der Versicherungsschutz umfasst a) die Prüfung der Haftpflichtfrage, b) die Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und c) die Freistellung der versicherten Personen von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen.

Der Versicherungsschutz umfasst die Prüfung der Haftpflichtfrage, die Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und die Freistellung der versicherten Personen von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen.

Berechtigt sind Schadenersatzverpflichtungen dann, wenn die versicherten Personen aufgrund Gesetzes, rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleiches zur Entschädigung verpflichtet sind und der Versicherer hierdurch gebunden ist. Anerkenntnisse

Berechtigt sind Schadenersatzverpflichtungen dann, wenn die versicherten Personen aufgrund Gesetzes, rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleiches zur Entschädigung verpflichtet sind und der Versicherer hierdurch gebunden ist. Anerkenntnisse

887

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-6 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Ziff. 4 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

und Vergleiche, die von den versicherten Personen ohne Zustimmung des Versicherers abgegeben oder geschlossen worden sind, binden den Versicherer nur, soweit der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte.

und Vergleiche, die von den versicherten Personen ohne Zustimmung des Versicherers abgegeben oder geschlossen worden sind, binden den Versicherer nur, soweit der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte.

Ist die Schadenersatzverpflichtung der versicherten Personen mit bindender Wirkung für den Versicherer festgestellt, hat der Versicherer die versicherten Personen binnen zwei Wochen vom Anspruch freizustellen.

Ist die Schadenersatzverpflichtung der versicherten Personen mit bindender Wirkung für den Versicherer festgestellt, hat der Versicherer die versicherten Personen binnen zwei Wochen vom Anspruch des Dritten freizustellen. Ziff. 4.4 [… weiterer Text s. bei A-6.2]

Wird in einem Strafverfahren wegen einer Pflichtverletzung, die einen unter den Versicherungsschutz fallenden Haftpflichtanspruch zur Folge haben kann, die Bestellung eines Verteidigers für die versicherten Personen von dem Versicherer gewünscht oder genehmigt, so trägt der Versicherer die Kosten gemäß Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, ggf. die mit ihm besonders vereinbarten höheren Kosten des Verteidigers.

Wird in einem Strafverfahren wegen einer Pflichtverletzung, die einen unter den Versicherungsschutz fallenden Haftpflichtanspruch zur Folge haben kann, die Bestellung eines Verteidigers für die versicherten Personen von dem Versicherer gewünscht oder genehmigt, so trägt der Versicherer die Kosten gemäß Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, ggf. die mit ihm besonders vereinbarten höheren Kosten des Verteidigers.

Übersteigt der Streitwert die Versicherungssumme, so trägt der Versicherer nur die Kosten nach dem Streitwert in Höhe der Versicherungssumme.

Übersteigt der Streitwert die Versicherungssumme, so trägt der Versicherer nur die Kosten nach dem Streitwert in Höhe der Versicherungssumme.

A-6.2 Vollmacht des Versicherers

Ziff. 4.4

Der Versicherer ist bevollmächtigt, alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadenersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Personen abzugeben.

Der Versicherer ist bevollmächtigt, alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadenersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Personen abzugeben.

Kommt es in einem Versicherungsfall zu einem Rechtsstreit über Schadenersatzansprüche gegen versicherte Personen, ist der Versicherer zur Prozessführung bevollmächtigt.

Kommt es in einem Versicherungsfall zu einem Rechtsstreit über Schadenersatzansprüche gegen versicherte Personen, ist der Versicherer zur Prozessführung bevollmächtigt. Er führt den Rechtsstreit im Namen der versicherten Personen. [weiterer Text s. bei A-6.1]

Er führt den Rechtsstreit im Namen der versicherten Personen. A-6.3 Kapitalbeteiligung der versicherten Personen bzw. deren Angehöriger

Ziff. 4.2

Besteht eine mittelbare oder unmittelbare Kapitalbeteiligung der versicherten Personen, die eine Pflichtverletzung begangen haben bzw. von Angehörigen dieser versicherten Personen an dem Versicherungsnehmer bzw. einer vom Versicherungsschutz erfassten Tochtergesellschaft, so umfasst der Versicherungsschutz bei Ansprüchen des Versicherungsnehmers bzw. einer vom

Besteht eine mittelbare oder unmittelbare Kapitalbeteiligung der versicherten Personen, die eine Pflichtverletzung begangen haben bzw. von Angehörigen dieser versicherten Personen (als Angehörige gelten Ehegatten, Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes oder vergleichbare Partnerschaften nach dem Recht anderer Staaten, Eltern und Kinder, Adoptiveltern und -kinder, Schwiegereltern

Armbrüster

888

Schrifttum

AVB D&O A-6

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-6 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Ziff. 4 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Versicherungsschutz erfassten Tochtergesellschaft nicht und -kinder; Stiefeltern und -kinder, Großeltern und den Teil des Schadenersatzanspruchs, welcher der Enkel, Geschwister sowie Pflegeeltern und -kinder) Quote dieser Kapitalbeteiligung entspricht. (Personen, die durch ein familienähnliches, auf längere Dauer angelegtes Verhältnis wie Eltern und Kinder miteinander verbunden sind) an der Versicherungsnehmerin bzw. einer vom Versicherungsschutz erfassten Tochtergesellschaft, so umfasst der Versicherungsschutz bei Ansprüchen der Versicherungsnehmerin bzw. einer vom Versicherungsschutz erfassten Tochtergesellschaft nicht den Teil des Schadenersatzanspruchs, welcher der Quote dieser Kapitalbeteiligung entspricht. Berücksichtigt wird die Quote der Kapitalbeteiligung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles im Sinne von A-2 an der Gesellschaft, die Ansprüche geltend macht. Sofern zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine höhere Kapitalbeteiligung bestand, so wird ausschließlich diese berücksichtigt.

Berücksichtigt wird die Quote der Kapitalbeteiligung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles im Sinne der Ziffer 2 an der Gesellschaft, die Ansprüche geltend macht. Sofern zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine höhere Kapitalbeteiligung bestand, so wird ausschließlich diese berücksichtigt.

Als Angehörige gelten Ehegatten, Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes oder vergleichbare Partnerschaften nach dem Recht anderer Staaten, Eltern und Kinder, Adoptiveltern und -kinder, Schwiegereltern und -kinder; Stiefeltern und -kinder, Großeltern und Enkel, Geschwister sowie Pflegeeltern und -kinder (Personen, die durch ein familienähnliches, auf längere Dauer angelegtes Verhältnis wie Eltern und Kinder miteinander verbunden sind). A-6.4 Versicherungssumme, Höchstersatzleistung

Ziff. 4.3

Für den Umfang der Leistung des Versicherers ist die vereinbarte Versicherungssumme der Höchstbetrag für jeden Versicherungsfall und für alle während einer Versicherungsperiode eingetretenen Versicherungsfälle zusammen. Aufwendungen des Versicherers für Kosten der gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr der gegenüber einer versicherten Person von einem Dritten und/oder dem Versicherungsnehmer bzw. einer Tochtergesellschaft geltend gemachten Ansprüche (insbesondere Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugenund Gerichtskosten) werden auf die Versicherungssumme angerechnet.

Für den Umfang der Leistung des Versicherers ist die im Versicherungsschein angegebene Versicherungssumme der Höchstbetrag für jeden Versicherungsfall und für alle während eines Versicherungsjahres eingetretenen Versicherungsfälle zusammen. Aufwendungen des Versicherers für Kosten der gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr der gegenüber einer versicherten Person von einem Dritten und/oder der Versicherungsnehmerin geltend gemachten Ansprüche (insbesondere Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugenund Gerichtskosten) werden auf die Versicherungssumme angerechnet. [weiterer Text s. bei A-6.5]

A-6.5 Selbstbehalt

Ziff. 4.3

In jedem Versicherungsfall tragen die in Anspruch genommenen versicherten Personen den im Versicherungsschein aufgeführten Betrag selbst (Selbstbehalt). Im Falle von A-3 gilt statt des Selbstbehalts der versicherten Person der im Versicherungsschein aufgeführte Betrag für den Versicherungsnehmer.

[… weiterer Text s. bei A-6.4] In jedem Versicherungsfall tragen die in Anspruch genommenen versicherten Personen den im Versicherungsschein aufgeführten Betrag selbst (Selbstbehalt). Im Falle der Ziffer 1.2 gilt statt des Selbstbehalts der versicherten Person der im Versicherungsschein aufgeführte Betrag für die Versicherungsnehmerin.

889

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-6 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Ziff. 4 Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Soweit die versicherten Personen als Vorstandsmitglieder von Gesellschaften in Anspruch genommen werden, auf die das deutsche Aktiengesetz (AktG) Anwendung findet, gilt Folgendes:

Soweit die versicherten Personen als Vorstandsmitglieder von Gesellschaften in Anspruch genommen werden, auf die das deutsche Aktiengesetz (AktG) Anwendung findet, gilt Folgendes:

– Sofern kein höherer Selbstbehalt vereinbart ist, tragen die versicherten Personen im Versicherungsfall einen Selbstbehalt von … % des Schadens bis zur Höhe des …-fachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds.

Sofern kein höherer Selbstbehalt vereinbart ist, tragen die versicherten Personen im Versicherungsfall einen Selbstbehalt von … % des Schadens bis zur Höhe des …-fachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds.

– Diese Selbstbehaltsregelung findet keine Anwendung auf Ansprüche wegen Pflichtverletzungen, die vor dem 5.8.2009 begangen worden sind oder solange und soweit die versicherte Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern aus einer vor dem 5.8.2009 geschlossenen Vereinbarung zur Gewährung einer D&O-Versicherung ohne Selbstbehalt verpflichtet ist.

Diese Selbstbehaltsregelung findet keine Anwendung auf Ansprüche wegen Pflichtverletzungen, die vor dem 5.8.2009 begangen worden sind oder solange und soweit die versicherte Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern aus einer vor dem 5.8.2009 geschlossenen Vereinbarung zur Gewährung einer D&OVersicherung ohne Selbstbehalt verpflichtet ist.

– Auf Abwehrkosten findet dieser Selbstbehalt keine Anwendung.

Auf Abwehrkosten findet dieser Selbstbehalt keine Anwendung.

A-6.6 Serienschaden

Ziff. 4.5

Unabhängig von den einzelnen Versicherungsperioden gelten mehrere während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages geltend gemachte Ansprüche eines oder mehrerer Anspruchsteller a) aufgrund einer Pflichtverletzung, welche durch eine oder mehrere versicherte Personen begangen wurde oder b) aufgrund mehrerer Pflichtverletzungen, welche durch eine oder mehrere versicherte Personen begangen wurden, sofern diese Pflichtverletzungen demselben Sachverhalt zuzuordnen sind und miteinander in rechtlichem, wirtschaftlichem oder zeitlichem Zusammenhang stehen,

Unabhängig von den einzelnen Versicherungsjahren gelten mehrere während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages geltend gemachte Ansprüche eines oder mehrerer Anspruchsteller a) aufgrund einer Pflichtverletzung, welche durch eine oder mehrere versicherte Personen begangen wurde, b) aufgrund mehrerer Pflichtverletzungen, welche durch eine oder mehrere versicherte Personen begangen wurden, sofern diese Pflichtverletzungen demselben Sachverhalt zuzuordnen sind und miteinander in rechtlichem, wirtschaftlichem oder zeitlichem Zusammenhang stehen,

als ein Versicherungsfall.

als ein Versicherungsfall.

Dieser gilt unabhängig von dem tatsächlichen Zeitpunkt der Geltendmachung der einzelnen Haftpflichtansprüche als in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem der erste Haftpflichtanspruch geltend gemacht wurde.

Dieser gilt unabhängig von dem tatsächlichen Zeitpunkt der Geltendmachung der einzelnen Haftpflichtansprüche als in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem der erste Haftpflichtanspruch geltend gemacht wurde.

A-6.7 Anerkenntnis, Befriedigung, Vergleich

Ziff. 4.6

Falls die vom Versicherer verlangte Erledigung eines Haftpflichtanspruches durch Anerkenntnis, Befriedigung oder Vergleich an dem Verhalten des Versicherungsnehmers oder einer versicherten Person scheitert oder falls der Versicherer seinen vertragsgemäßen Anteil zur Befriedigung des Geschädigten zur Verfügung stellt, so hat der Versicherer für den von der Weigerung bzw. der Zurverfügungstellung an entstehenden Mehraufwand an Hauptsache, Zinsen und Kosten nicht aufzukommen.

Falls die vom Versicherer verlangte Erledigung eines Haftpflichtanspruches durch Anerkenntnis, Befriedigung oder Vergleich an dem Verhalten der Versicherungsnehmerin oder einer versicherten Person scheitert oder falls der Versicherer seinen vertragsgemäßen Anteil zur Befriedigung des Geschädigten zur Verfügung stellt, so hat der Versicherer für den von der Weigerung bzw. der Zurverfügungstellung an entstehenden Mehraufwand an Hauptsache, Zinsen und Kosten nicht aufzukommen.

Armbrüster

890

AVB D&O A-6

Übersicht

Übersicht 1

A.

Überblick

B.

(Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

I.

Pflichtentrias

II.

Erfüllungswahlrecht des VR

III.

Prüfung der Haftpflichtfrage (lit. a)

IV.

Abwehr unberechtigter Ansprüche 17 (lit. b) 17 Grundregeln Entstehung und Fälligkeit des Abwehran22 spruchs 22 a) Entstehung 24 b) Fälligkeit 25 Abtretbarkeit und Pfändbarkeit

2

2 6

C.

Vollmacht des VR (Ziff. A-6.2)

I.

Überblick

II.

Regulierungsvollmacht (Ziff. A-6.2 65 Abs. 1) 65 Meinungsstand 66 Stellungnahme

1. 2.

3. V.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

6. 7.

Freistellung von berechtigten Ansprüchen 26 (lit. c) 26 Grundregeln Feststellung der Verpflichtung der versicherten 29 Person (Abs. 2) Bindung des VR an die Feststellung des An32 spruchs (Abs. 3) Befriedigung des Dritten durch die versicherte 35 Person 37 Fälligkeit 37 a) Grundregel 38 b) Mitwirkung des VR 39 aa) Meinungsstand 40 bb) Stellungnahme 41 c) Befriedigung/Abtretung 42 Abtretbarkeit und Pfändbarkeit 44 Prozessuales

VI. 1. 2. 3. 4.

45 Strafrechtsschutz (Abs. 4) 45 Überblick 47 Wunsch oder Genehmigung 49 Mögliche Folgen für die Haftung 50 Umfang der Kostenübernahme

1. 2. 3. 4. 5.

VII. Kostenbegrenzung auf Versicherungssumme bei 51 höherem Streitwert (Abs. 5) VIII. Fälligkeit und Verjährung IX. 1. 2. 3. 4.

891

54

57 Unternehmens-AVB 57 Abwehranspruch 59 Assistance-Leistungen 62 Strafverteidigungskosten Bedeutung der Versicherungssumme

64

16 III.

1. 2.

64

Prozessführungsvollmacht (Ziff. A-6.2 68 Abs. 2) 68 Wirkung im Außenverhältnis Bevollmächtigung des VR durch die versicherte 70 Person 71 Befugnisse der versicherten Person 75 Kostentragung 77 Individuelle Gestattung durch den VR 79 Unternehmens-AVB 83 Koordinierungsverfahren in der Praxis

D.

Begrenzung der Leistung auf die Beteili85 gungsquote (Ziff. A-6.3)

I. 1.

85 Grundregeln Inhalt und Zweck der Eigenschadenklau85 sel 88 Wirksamkeit

2. II. 1. 2.

89 Erfasste Beteiligungen 89 Beteiligungsquote 90 Mittelbare Beteiligungen 90 a) Grundregel 92 b) Einzelfragen 95 c) Angehörige

III. 1. 2.

Maßgeblicher Zeitpunkt 96 Kapitalbeteiligung Angehörigeneigenschaft

IV.

Rechtsfolge

V.

Unternehmens-AVB

E.

Versicherungssumme; Höchstersatzleistung 105 (Ziff. A-6.4)

I.

Überblick

II.

Versicherungssumme pro Versicherungsfall (S. 1 106 Halbs. 1)

III.

Jahresmaximierung (S. 1 Halbs. 2)

IV.

Kostenanrechnungsklausel (S. 2)

96 99

100 101

105

110

63 115

Armbrüster

A-6 AVB D&O

1. 2.

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Inhalt 115 116 Wirksamkeit a) Meinungsstand b) Stellungnahme

116 117

6.

120

Zinsen

VI.

Sicherheitsleistung und Hinterlegung

138

Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

I.

Überblick

II. 1. 2. 3. 4.

140 Allgemeine Regeln (Abs. 1) 140 Zweck des Selbstbehalts 141 Freiwilligkeit 142 Geltung für den Abwehranspruch Verhältnis von Versicherungssumme und Selbst144 behalt

III.

Pflicht-Selbstbehalt nach § 93 Abs. 2 S. 3 AktG 146 (Abs. 2) 146 Grundregeln 156 Erfasster Personenkreis 160 Höhe des Selbstbehalts 160 a) Ges. Vorgaben 160 aa) Grundregeln 163 bb) Maßgebliches Bezugsjahr cc) Berechnung bei gesamtschuldneri166 scher Haftung b) Auswirkung der Serienschadenklau167 sel 169 c) Gesamtschuldnerische Haftung 171 d) Ausschöpfung des Selbstbehalts 172 e) Anpassungserfordernis 173 Sachliche Reichweite 173 a) Außenhaftung 173 aa) Meinungsstand 176 bb) Stellungnahme 177 b) Abwehrkosten 178 c) Vergleiche Rechtsfolgen bei unterbliebener Vereinba179 rung

4.

5.

Armbrüster

Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6)

I. 1. 2.

198 Grundlagen 198 Zweck Auslegungsmaßstab

II. 1. 2. 3.

204 Wirksamkeit 204 Leitbildkontrolle Vertragszweckgefährdung 210 Transparenzgebot

III. 1. 2. 3.

Fiktion eines Versicherungsfalls (Abs. 1) 211 Grundlagen 215 Pflichtverletzung 217 Zusammenhang 217 a) Rechtlich 218 b) Wirtschaftlich 219 c) Zeitlich

IV.

Maßgeblichkeit der ersten Versicherungsperiode 227 (Abs. 2)

V.

Unternehmens-AVB

H.

Anerkenntnis, Befriedigung, Vergleich; Aban229 donrecht (Ziff. A-6.7)

I.

Überblick

II.

Widerstand gegenüber Erledigung des Haft230 pflichtanspruchs (Fall 1) 230 Voraussetzungen Qualifizierung als verhüllte Obliegen233 heit

198

201

135

F.

1. 2. 3.

G.

121

VII. Verteilung unzureichender Versicherungssum123 men 123 1. Überblick 128 2. Meinungsstand 129 3. Stellungnahme 133 4. Folgerungen für die Vertragsgestaltung 134 VIII. Abweichende AVB 134 1. Jahresmaximierung 2. Kostenanrechnungsklausel

2. 3. 4.

186 Exkurs: Selbstbehaltsversicherung 186 Zulässigkeit 186 a) Generelle Zulässigkeit 187 b) Bedenken bei Akzessorietät 190 Ausgestaltung 193 Hinweis 194 Musterbedingungen

IV. 1.

V.

179 a) Meinungsstand 181 b) Stellungnahme 182 c) Rechtsfolge 183 Unternehmens-AVB

138

1. 2.

207

211

228

229

III.

Abandonrecht des VR (Fall 2)

IV.

Unternehmens-AVB

235

238

892

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

AVB D&O A-6

A. Überblick Ziff. A-6 behandelt in Abgrenzung zum zeitlichen Umfang des Versicherungsschutzes 1 (Ziff. A-5) dessen sachlichen Umfang. Die Klausel enthält sehr unterschiedliche Regelungen, die jedoch alle die inhaltliche Reichweite des Deckungsschutzes betreffen. In Ziff. A-6.1 werden in Anlehnung an § 100 VVG die Leistungen des VR aufgeführt. Nach Ziff. A-6.2 ist der VR zur Abgabe von Erklärungen im Namen der versicherten Personen bevollmächtigt. Ziff. A-6.3 begrenzt den Umfang des Versicherungsschutzes für den Fall, dass eine versicherte Person am VN oder einer Tochtergesellschaft beteiligt ist, auf die Beteiligungsquote. Ziff. A-6.4 begrenzt die Versicherungsleistung für alle innerhalb einer Versicherungsperiode eingetretenen Versicherungsfälle auf die Versicherungssumme; zudem findet sich hier in Abweichung von § 101 Abs. 2 VVG eine Kostenanrechnungsklausel. Ziff. A-6.5 enthält Regelungen zum Selbstbehalt, Ziff. A-6.6 eine Serienschadenklausel. In Ziff. A-6.7 wird die Leistungspflicht des VR im Fall von Anerkenntnis, Befriedigung oder Verzicht seitens des VN oder einer versicherten Person begrenzt.

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1) I. Pflichtentrias Ziff. A-6.1 führt die beiden Hauptleistungspflichten des VR, die bereits in der allg. Vorschrift des § 100 VVG genannt werden, ausdrücklich auf: Er hat unberechtigte Ansprüche abzuwehren (lit. b; Abwehr- oder Rechtsschutzanspruch) und die versicherte Person von berechtigten Ansprüchen freizustellen (lit. c; Freistellungsanspruch). Zudem hat der VR die Haftpflichtfrage zu prüfen (lit. a). Die Abwehrpflicht (und die Pflicht zur Prüfung der Haftpflichtfrage) wird auch als Rechtsschutzfunktion der Haftpflichtversicherung bezeichnet; vgl. auch die Überschrift zu § 101 VVG („Kosten des Rechtsschutzes“).1 Abwehr- und Freistellungspflicht als Hauptpflichten des VR sind Erscheinungsformen eines einheitlichen Deckungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung.2 Dies ist u. a. für die Verjährung bedeutsam (s. Rn. 54 ff.). Zu diesem einheitlichen Deckungsanspruch zählt auch die Prüfung der Haftpflichtfrage. Bereits im Jahr 1956 hat der BGH hinsichtlich der Pflichtentrias im Kontext von § 10 AKB a. F. zutr. ausgeführt: „Alle diese Leistungen sind Ausstrahlungen ein und desselben einheitlichen Versicherungsanspruches“.3 Ziff. A-6.1 orientiert sich an der Regelung der Leistungspflicht des VR in der Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung (Ziff. A1-4.1 AVB BHV; s. auch Ziff. 5.1 AHB).4 Diese war aufgrund der Neuformulierung in § 100 VVG (gegenüber § 149 VVG a. F.) im Zuge der VVG-Reform neu gefasst worden.5 Über die in Ziff. A-6.1 genannte Pflichtentrias hinaus werden in Unternehmens-AVB mittlerweile verbreitet auch sog. Assistance-Leistungen vorgesehen, z. B. die Unterstützung im Krisenmanagement oder Mediationsleistungen (s. Rn. 59, 133). Solche Leistungen gehören nicht zu den in den AVB D&O geregelten Pflichten des VR.

1 2 3 4 5

Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 2. R. Koch VersR 2021 879, 880; Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 90; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 9 ff. BGH 20.2.1956 – II ZR 53/55, NJW 1956 826, 827. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.1; s. auch die Kurzsynopse bei Prölss/Martin/Lücke AVB BHV Rn. 7. Vgl. demgegenüber § 3 3.1 AVB-Verm.

893

Armbrüster

2

3

4

5

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

II. Erfüllungswahlrecht des VR 6 Streit besteht darüber, inwieweit dem VR hinsichtlich Abwehr und Freistellung ein sog. Erfüllungswahlrecht (Regulierungsermessen) zusteht. Diese Frage wird in den AVB D&O nicht ausdrücklich thematisiert. Es sind insoweit auch keine Besonderheiten gegenüber anderen Zweigen der Haftpflichtversicherung ersichtlich, so dass auf die allg. Diskussion einzugehen ist. Eine strenge Ansicht will dem VR bei er Entscheidung darüber, auf welche Weise er den Deckungsanspruch erfüllt, keinerlei Ermessen zubilligen. Demnach stellt jede (aus Sicht des erkennenden Gerichts) objektiv falsche Entscheidung einen Pflichtverstoß dar.6 Gegen die Ablehnung jeglichen Ermessensspielraums spricht indessen, dass beide Ausprä7 gungen des Deckungsanspruchs gleichrangig nebeneinanderstehen; der Abwehranspruch wird in Ziff. A-6.1 sogar vor dem Freistellungsanspruch aufgeführt. Das Leistungsversprechen des VR ist darauf gerichtet, dass die versicherten Personen von dem Risiko, dass sie wegen eines gegen sie erhobenen Anspruchs einen Vermögensnachteil erleiden, befreit werden. Ob dies durch Abwehr oder durch Freistellung erfolgt, ist für diese wirtschaftliche Entlastung gleichgültig. Würde man es dem VN gestatten stets direkt auf Freistellung (und nicht auf Feststellung der Leistungspflicht; s. Rn. 14) zu klagen, müsste im Rahmen des Deckungsprozesses auch die Haftpflichtfrage geklärt werden, was dem Trennungsprinzip (s. Einf Rn. 162 ff.) zuwiderliefe.7 Umgekehrt ist allerdings auch die Gegenansicht, wonach der VR ein freies Erfüllungs8 wahlrecht haben soll,8 durchgreifenden Einwänden ausgesetzt. Der VR hat nämlich im zumutbaren Maß Rücksicht auf die berechtigten Interessen der versicherten Personen zu nehmen. Diese Personen stehen im Hauptanwendungsfall der D&O-Versicherung, nämlich bei der Innenhaftung, der Gesellschaft nicht wie einem außenstehenden Dritten gegenüber. Vielmehr wird dann, wenn der VR einen offenkundig begründeten Anspruch abwehrt, das Innenverhältnis belastet, ohne dass dies durch ein berechtigtes Interesse des VR gerechtfertigt wäre. In diesem Sinne lässt sich auch die folgende, vom Gesetzgeber zu § 149 VVG a. F. getroffene Aussage anführen: „In allen Fällen, in welchen der erhobene Anspruch ohne weiteres als begründet erscheint, kann die Aufgabe der Haftpflichtversicherung nur in dem Ersatze der dem Dritten geschuldeten Leistung, nicht aber in Maßnahmen zur Abwehr des Anspruchs bestehen.9 9 Mit einer vermittelnden Meinung,10 die auch der BGH11 teilt, ist daher grds. ein Erfüllungswahlrecht anzunehmen, welches der VR allerdings nicht völlig frei ausüben darf. Vielmehr muss er nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob er abwehrt oder freistellt. Dies lässt sich auch auf die Geschäftsführungsbefugnis des VR gegenüber den versicherten Personen12 (vgl. Ziff. B3-3.2 lit. f) stützen.13 Die versicherten Personen sind gegenüber dem VR nicht 6 Prölss/Martin/Lücke § 100 VVG Rn. 2 (anders aber Rn. 19); dagegen ausdrücklich LG Köln 2.11.2011 – 20 O 143/11, RuS 2012 239, 240.

7 LG Köln 2.11.2011 – 20 O 143/11, RuS 2012 239, 240. 8 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 1, 3; Lieder EWiR 2008 139, 140; in diese Richtung auch Jula 246 f.; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 111; Lange RuS 2011 185, 193 mit Fn. 91; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 128, 173; Meckling-Gis/Wendt VersR 2011 577, 578; Mitterlechner/ Wax/Witsch § 6 Rn. 4. 9 Motive zum VVG 204; Hervorhebung. durch Verf. 10 Armbrüster RuS 2010 441, 443; Baumann VersR 2010 984, 985; Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 91 ff.; Meckling-Gis/Wendt VersR 2011 577, 579; v. Rintelen RuS 2010 133, 136 f.; Thomas Haftungfreistellung 447; wohl auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 1 („im Grundsatz“ Wahlrecht). 11 BGH 20.2.1956 – II ZR 53/55, NJW 1956 826, 827; BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181 (betr. KfzHaftpflichtversicherung); BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, VersR 2007 1116 Rn. 12 ff. (betr. Betriebshaftpflichtversicherung); so etwa auch OLG Frankfurt/M. 18.12.2002 7 U 54/02, VersR 2003 588. 12 BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181; Schirmer Vertretungsmacht 54 ff.; Bruck/Möller/R. Koch Ziff. 5 AHB 20129 Rn. 9; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 5 AHB Rn. 22. 13 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 4. Armbrüster

894

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

AVB D&O A-6

weisungsbefugt; vielmehr haben sie umgekehrt dessen (zumutbare) Weisungen zu befolgen (vgl. Ziff. B3-3.2 lit. a Rn. 85; § 82 Abs. 2 VVG). Zugleich haben die versicherten Personen seit der VVG-Reform durch den Wegfall des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots und die Möglichkeit zur Abtretung des Freistellungsanspruchs (§§ 105, 108 Abs. 2 VVG; s. Ziff. A-9 S. 2 und dazu Ziff. A-9 Rn. 9 ff.) erweiterte eigene Handlungsspielräume. Nutzt eine versicherte Person diese Möglichkeiten, so kann sie dadurch zwar nicht die Leistungspflicht des VR erweitern (s. Ziff. A-6.1 Abs. 2 S. 2 und dazu Rn. 30). Sie vermag damit jedoch dem Anspruchsteller zu verdeutlichen, dass sie seinen Anspruch für begründet hält. Zugleich wird damit die Gefahr begrenzt, dass der VR sein Ermessen fehlerhaft ausübt.14 Die Grenzen des demnach dem VR zustehenden Ermessensspielraums sind dann überschritten, wenn schutzwürdige Interessen der versicherten Person die Entscheidung für eine der beiden möglichen Vorgehensweisen gebieten, ohne dass der VR dem ein berechtigtes und höherrangiges Interesse entgegenhalten kann. Die Interessen der versicherten Person werden häufig, aber keineswegs zwingend auf eine Freistellung gerichtet sein. Bedeutung erlangen insoweit zum einen – insbesondere wenn die Innenhaftung gegenüber dem VN in Rede steht – das Innenverhältnis, zum anderen aber auch die Folgen für Reputation und berufliches Fortkommen der versicherten Person. Die Abwehr eines offenkundig begründeten Anspruchs wäre regelmäßig ermessensfehlerhaft. Umgekehrt können auch in dem selteneren Fall, dass der VR sich trotz offenkundiger Unbegründetheit für Freistellung entscheidet, die Grenzen des Erfüllungswahlrechts überschritten sein.15 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn durch die Freistellung die verfügbare Versicherungssumme ausgeschöpft ist oder wenn dadurch der vom Anspruchsteller zu Unrecht gegen die versicherte Person erhobene Vorwurf eines haftungsbegründenden Verhaltens bestätigt wird. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der VR mit einer Verschleppung der Regulierung die Grenze zum Rechtsmissbrauch überschreitet.16 Entscheidet sich der VR zunächst für Abwehr und erweist sich diese als erfolglos, so bleibt er zur Freistellung verpflichtet. Allerdings bildet aufgrund der in Ziff. A-6.4 S. 2 enthaltenen Kostenanrechnungsklausel (s. Rn. 115 ff.) die verfügbare Versicherungssumme die Obergrenze seiner Verpflichtung. Die Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs an den Dritten (vgl. § 108 Abs. 2 VVG; Ziff. A-9 S. 2: s. dazu Ziff. A-9 Rn. 9 ff.) wird dadurch, dass man dem VR einen Ermessensspielraum zubilligt, nicht berührt (s. Ziff. A-9 Rn. 18 ff.).17 Prozessual hat das Erfüllungswahlrecht zur Folge, dass die versicherte Person als Inhaberin des Versicherungsanspruchs und zugleich gem. Ziff. A-8.1 Verfügungsberechtigter gegen den VR zunächst grds. lediglich eine Feststellungsklage erheben kann.18 Insoweit gelten die allgemeinen zu § 100 VVG entwickelten Regeln (s. § 100 Rn. 155 f.).19 Der Klageantrag ist dabei auf die Feststellung zu richten, dass der VR verpflichtet ist, der versicherten Person bedingungsgemäß Versicherungsschutz zu gewähren.20 In diesem Deckungsprozess ist dann zu klären, ob Deckung besteht, insbes. ob ein Ausschlussgrund eingreift. Die Frage, ob der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auch tatsächlich besteht, ist hingegen nicht Gegenstand des Deckungsprozesses. Der Freistellungsanspruch wird erst fällig, wenn im Haftpflichtprozess des Geschädig14 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 6. 15 Vgl. BGH 20.11.1980 – IVa ZR 25/80, VersR 1981 180, 181 (betr. Kfz-Haftpflichtversicherung mit Gefahr des Verlusts eines Schadensfreiheitsrabatts, der Ausschöpfung der Versicherungssumme und der Leistungsfreiheit des VR im Innenverhältnis). 16 S. dazu Kramer RuS 2008 1, 5. 17 Baumann VersR 2010 984, 985 f.; ders. RuS 2011 229, 235; insoweit wie hier Lange RuS 2011 185, 186 ff. 18 OLG Frankfurt/M. 21.3.2019 – 7 U 177/15, BeckRS 2019 49988 Rn. 55 (insoweit durch BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/ 19, NJW 2020 1886 nicht in Frage gestellt); Armbrüster NJW 2020 1887, 1888; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 169 f. 19 S. zu ihnen auch Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 19. 20 Armbrüster NJW 2020 1887, 1888; Formulierungsvorschlag bei MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 172. 895

Armbrüster

10

11

12

13

14

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

ten gegen die versicherte Person deren Haftung bindend festgestellt ist (§ 106 S. 1 VVG; s. Rn. 37). Eine zuvor auf Befriedigung des Anspruchstellers erhobene Leistungsklage ist unbegründet.21 15 Das für die Erhebung der Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse besteht, wenn der VR die Gewährung von Versicherungsschutz abgelehnt hat oder wenn er untätig geblieben ist.22 Dem VR ist für die Prüfung seiner Eintrittspflicht ein angemessener Zeitraum zuzubilligen; er darf diese Prüfung allerdings nicht ohne sachlichen Grund ausdehnen.23 Auch insoweit kann auf die allgemeinen Regeln zu § 100 VVG zurückgegriffen werden (s. § 100 Rn. 109 ff.).

III. Prüfung der Haftpflichtfrage (lit. a) 16 Die Prüfung der Haftpflichtfrage wird in § 100 VVG anders als in lit. a nicht ausdrücklich erwähnt. Sie ist allerdings erforderlich, um über Abwehr oder Freistellung entscheiden zu können, und ist damit ihrerseits eine Hauptpflicht des VR.24 Dementsprechend geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass mit der Aufnahme der Abwehrpflicht in § 100 VVG zugleich das Bestehen der Prüfungspflicht „klargestellt“25 worden ist.

IV. Abwehr unberechtigter Ansprüche (lit. b) 1. Grundregeln 17 Nach lit. b hat der VR unberechtigte (gleichbedeutend: unbegründete; s. § 100 VVG) Schadensersatzansprüche abzuwehren. Darin liegt die sog. Rechtsschutzfunktion der D&O-Versicherung. Sie hat für die versicherten Personen eine große Bedeutung. Dies ist bei der Auslegung zu berücksichtigen.26 Hingegen wird das grundsätzliche Wahlrecht des VR (s. Rn. 6 ff.) dadurch nicht in Frage gestellt. Die Formulierung in lit. b ist nicht dahin zu verstehen, dass die Abwehr nur dann zulässig wäre, wenn die fehlende Berechtigung objektiv feststeht. Vielmehr dient die Führung eines Abwehrprozesses gerade dazu festzustellen, ob und ggf. in welchem Umfang die geltend gemachten Ansprüche berechtigt sind. Naturgemäß ist diese Frage zunächst oft schwer zu beurteilen, da sie von zahlreichen Faktoren abhängt, insbes. vom Vorliegen einer zu vertretenden Pflichtverletzung und von einem dadurch verursachten Schaden. Entscheidet sich der VR für Abwehr, so übernimmt er damit das Risiko, dass er dann, wenn der Anspruch gleichwohl rechtskräftig festgestellt wird, außer den Abwehrkosten auch die Kosten der Freistellung zu tragen hat. 18 Der VR hat die Anspruchsabwehr so zu betreiben, wie ein von der versicherten Person eingeschalteter Rechtsanwalt dies tun würde.27 Eigene Interessen muss er hintanstellen, sofern sie mit denjenigen der versicherten Person kollidieren.28 Der für die Abwehr erforderliche Arbeitsaufwand zählt zu seiner Hauptleistungspflicht. In der Praxis sind die Interessen von versi21 22 23 24 25 26

MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 169. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 170. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 170. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 4; allg. Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 111. Begr. zu § 100 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 85. Vgl. etwa OLG Frankfurt/M. 4.8.2021 – 7 W 13/21, BeckRS 2021 21382 Rn. 39; OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/ 21, VersR 2021 1362 = RuS 2021 502 Rn. 56 m. Anm. Orlikowski-Wolf („existenzielle Bedeutung“); in concreto allerdings zu weit gehend (s. unten Rn. 57). 27 BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276 = VersR 1992 1504 (betr. AHB); Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVBAVG Rn. 7; Freund NZG 2015 1419, 1421; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 150. 28 BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119 276 = VersR 1992 1504 (betr. AHB); BGH 23.10.1990 – VI ZR 105/90, VersR 1991 236 (betr. Kfz-Haftpflichtversicherung); MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 150. Armbrüster

896

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

AVB D&O A-6

cherter Person und VR insoweit häufig gleichgerichtet, indem sie sich auf eine optimale Abwehr der geltend gemachten Ansprüche richten (s. aber zum Erfüllungswahlrecht des VR Rn. 6 ff.).29 Die Abwehr stellt daher den Regelfall dar.30 Bei ihr hat der VN den VR zu unterstützen (s. Ziff. B3-3.2 lit. c). Hegt der VR ernsthafte Zweifel an seiner Leistungspflicht, etwa im Hinblick auf den 19 Ausschluss für wissentliche Pflichtverletzung (s. Ziff. A-7.1) oder auf eine Obliegenheitsverletzung (s. Ziff. B3), so kann er die Anspruchsabwehr unter dem Vorbehalt übernehmen, dass er die Deckung je nach Ausgang des Haftpflichtprozesses ggf. ablehnt.31 Allerdings ist der VR dazu nicht verpflichtet (zu abweichenden Unternehmens-AVB s. Rn. 57). Hält sich der VR aufgrund des von der versicherten Person vorgetragenen Sachverhalts aus deckungsrechtlichen Gründen nicht für leistungspflichtig, so kann dies dazu führen, dass die versicherte Person die Abwehrkosten zunächst vorstrecken muss, bis die Frage der Deckungspflicht geklärt ist.32 Demgegenüber hat das OLG Frankfurt/M. in mehreren Verfahren den VR im Wege einstweiliger Verfügungen gem. § 940 ZPO dazu angehalten, versicherten Personen vorläufige (Abwehr-)Deckung zu gewähren.33 Begründet wurde dies jeweils mit einer weit reichenden Ausgestaltung des Leistungsversprechens in den (Unternehmens-)AVB. Ein Verfügungsgrund bestehe deshalb, weil die versicherten Personen die Verteidigungskosten nicht aus eigenen Mitteln vorzustrecken in der Lage seien. Ihre Vermögenslosigkeit ergebe sich aus zivil- und strafrechtlichen Arresten; auf die Beantragung von Prozesskostenhilfe (s. dazu allg. Vor 100– 112 Rn. 115) müssten sie sich angesichts des umfangreichen Deckungsversprechens nicht verweisen lassen.34 Diese Rspr. erscheint bedenklich (s. auch Rn. 57 zum Verfügungsanspruch). Eine derart weit gehende Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache wird dann, wenn sich der Verfügungsanspruch als nicht bestehend erweist, in der Praxis häufig dazu führen, dass der Rückforderungsanspruch des VR undurchsetzbar ist. VN und versicherte Personen werden das Leistungsversprechen des VR nicht ohne Weiteres dahin begreifen können, dass der VR dieses Risiko einzugehen bereit ist. Der Abwehranspruch begründet eine Leistungspflicht des VR erst für die ab seiner Entste- 20 hung (s. Rn. 22 f.) vorzunehmenden Abwehrhandlungen (sofern der VR sich nicht ohnehin sogleich für Freistellung entscheidet; s. zu seinem Erfüllungswahlrecht Rn. 6 ff.). Dies bedeutet, dass Aufwendungen für rechtliche Beratung oder Interessenwahrnehmung gegenüber potenziellen Anspruchstellern im Vorfeld einer Inanspruchnahme i. S. v. Ziff. A-2 (sog. vorsorgliche Rechtskosten) vorbehaltlich abweichender Vereinbarung nicht vom Versicherungsschutz umfasst sind.35 In bestimmten Fällen kann sich die Abwehrdeckung auch auf die Führung von Aktivpro- 21 zessen erstrecken. Dies ist insbes. dann der Fall, wenn der Dritte gegenüber Ansprüchen der versicherten Person die Aufrechnung mit (angeblichen) Schadensersatzansprüchen erklärt

29 30 31 32

Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 3; Freund NZG 2021 579, 582. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 3, 5; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 130. St. Rspr.; BGH 20.9.1978 – IV ZR 57/77, VersR 1978 1105; BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, VersR 2007 1116 Rn. 16. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 1; vgl. auch (zum Leistungsausschluss wegen vorsätzlicher Straftat in der Rechtsschutzversicherung) BGH 20.5.2021 – IV ZR 324/19, NJW 2021 2584 Rn. 15 ff. m. zust. Anm. Armbrüster. 33 OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21, VersR 2021 1362 Rn. 49 ff.; OLG Frankfurt/M. 4.8.2021 – 7 W 13/21, BeckRS 2021 21382 Rn. 31 ff. S. dazu auch Bruck/Möller/Koch § 100 Rn. 159 a. E. (für den Fall einer existenziellen Notlage der versicherten Person). Zu einstweiligen Verfügungen s. auch Einf Rn. 153. 34 OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21, VersR 2021 1362 Rn. 100 ff. Zum Anspruch von Organwaltern gegen die (liquide) Gesellschaft auf Übernahme von Rechtsverteidigungskosten s. Heutz DB 2012 902 ff.; zur Berechtigung des Aufsichtsrats Rechtsstreitigkeiten eines Vorstandsmitglieds gegen den D&O-Versicherer zu finanzieren, Zimmer/ Simonot NZG 2016 976 ff. 35 Thümmel Rn. 462; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 2. 897

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

(s. § 100 Rn. 29, 120).36 Dies ist praktisch bedeutsam, wenn bereits ausgeschiedenen Organmitgliedern gegenüber dem VN Abfindungs-, Vergütungs- oder Pensionsansprüche zustehen und der VN mit (angeblichen) Schadensersatzansprüchen aufrechnet.37 Auch eine lediglich hilfsweise erklärte Aufrechnung löst den Deckungsanspruch aus, es sei denn, dass diese überhaupt nicht zum Tragen kommt, da der Anspruch bereits anderweitig abgewendet wird.38 Ein weiterer Fall ist die Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten gegenüber einem von der versicherten Person erhobenen Anspruch. Versicherungsschutz ist in solchen Fällen unter der Voraussetzung zu gewähren, dass die eigene Forderung der versicherten Person allein wegen der Aufrechnung oder des Zurückbehaltungsrechts nicht besteht bzw. undurchsetzbar ist.39 Der VR kann in diesem Fall den Aktivprozess unter dem Vorbehalt führen, dass die versicherte Person ihm die Abwehrkosten anderenfalls zu erstatten hat.40

2. Entstehung und Fälligkeit des Abwehranspruchs 22 a) Entstehung. Der Abwehranspruch nach lit. b entsteht erst mit Eintritt des Versicherungsfalls i. S. v. Ziff. A-2, also mit der Anspruchserhebung.41 Dafür genügt es, dass der Dritte seinen Anspruch (auch) mit einem in den Anwendungsbereich des Leistungsversprechens fallenden Rechtsverhältnis begründet. Dabei kommt es grds. auf den von dem Dritten behaupteten Sachverhalt an.42 Dieser Grundsatz gilt aber nur für solche Tatsachen, die für die Haftpflicht der versicherten 23 Person bedeutsam sind. Hingegen genügt hinsichtlich der deckungsrechtlich erheblichen Tatsachen nicht allein die Behauptung des Anspruchstellers. Vielmehr müssen diese Tatsachen objektiv feststehen, damit die Leistungspflicht des VR ausgelöst wird.43 Dabei handelt es sich um diejenigen Tatsachen, die für den zeitlichen, räumlichen und sachlichen Umfang des versicherten Risikos sowie für Ausschlüsse bedeutsam sind. Zu abweichenden Unternehmens-AVB s. Rn. 57.

24 b) Fälligkeit. Der Abwehranspruch wird bereits zeitgleich mit seiner Entstehung, also mit der Inanspruchnahme der versicherten Person (s. Rn. 22), auch fällig (zur abweichenden Rechtslage hinsichtlich des Freistellungsanspruchs s. Rn. 37 ff.).44 Diese Inanspruchnahme muss allerdings in der erforderlichen Form erfolgen, um die Fälligkeit auszulösen. Nach Ziff. A-2 S. 2 ist dies die Schriftform (s. Ziff. A-2 Rn. 34 ff.). Der VR darf seine Entscheidung über die Gewährung von Abwehrdeckung angesichts der schutzwürdigen Interessen der versicherten Personen nicht 36 OLG Hamm 14.11.1975 – 20 U 126/75, VersR 1978 80, 81; AG Charlottenburg 16.4.1968 – 4 C 977/67, VersR 1969 315; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 114; Finkel/Seitz/ Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 8 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider § 24 Rn. 17; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 133; Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 7; R. Koch GmbHR 2004 288, 289; umfassend Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 126 ff. 37 Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 20 f. 38 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 10. 39 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 11 f. 40 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 12; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 135. 41 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 13; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 2. 42 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 107; allg. Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 34 ff.; Prölss/Martin/Lücke § 100 VVG Rn. 16. 43 BGH 22.6.1967 – II ZR 217/64, VersR 1967 769, 770 (betr. zeitlicher Deckungsbereich); OLG Karlsruhe 26.1.1995 – 12 U 263/94, VersR 1995 1297; Prölss/Martin/Lücke § 100 VVG Rn. 17 f.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 107; a.A. Bruck/ Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 43 (bzgl. der Verpflichtung zur Rechtsschutzgewährung). 44 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 112; MAH-VersR/ Sieg § 17 Rn. 129; allg. Prölss/Martin/Lücke § 100 VVG Rn. 14. Armbrüster

898

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

AVB D&O A-6

ohne sachlichen Grund hinauszögern. Dies gilt umso mehr, als er bei unklarer Lage (etwa im Hinblick auf einen möglichen Risikoausschluss gem. Ziff. A-7, insbes. Ziff. A-7.1) den Abwehrschutz unter den Vorbehalt der Rückforderung stellen kann. Man wird dem VR daher regelmäßig nur die Frist zubilligen können, welche objektiv erforderlich ist, um die für die Leistungspflicht erheblichen Tatsachen zu ermitteln und zu bewerten (zur Mitwirkungsobliegenheit von VN und versicherten Personen bei der Schadensermittlung s. Ziff. B3-3.2).

3. Abtretbarkeit und Pfändbarkeit Streit besteht darüber, ob der Abwehranspruch abgetreten und gepfändet werden kann. Die 25 Pfändbarkeit richtet sich gem. § 851 Abs. 1 ZPO nach der Abtretbarkeit. Mithin kommt es darauf an, ob der Abwehranspruch wegen Inhaltsänderung gem. § 399 Fall 1 BGB unabtretbar ist. Für eine Abtretbarkeit wird vereinzelt vorgebracht, dass „Befreiungs- und Abwehrkomponente eng ineinander verschlungene Varianten des einheitlichen Freistellungsanspruchs im weiteren Sinne“45 (vgl. Rn. 3) seien. Zudem ließe sich darauf verweisen, dass der VR im Hinblick auf die Anspruchsabwehr ausschließlich den Ersatz und die Verauslagung von Kosten schuldet (vgl. § 101 VVG).46 Allerdings ist die Abwehrkomponente des Deckungsanspruchs gerade auf die in Anspruch genommene versicherte Person bezogen. Dies spricht entscheidend dafür, eine Abtretbarkeit und damit auch eine Pfändbarkeit des Abwehranspruchs zu verneinen.47

V. Freistellung von berechtigten Ansprüchen (lit. c) 1. Grundregeln Der Freistellungsanspruch entsteht anders als der Abwehranspruch nicht bereits mit der An- 26 spruchserhebung durch den Dritten. Vielmehr ist dafür nach dem Wortlaut von lit. c erforderlich, dass der geltend gemachte Anspruch berechtigt ist. Wann dies der Fall ist, wird in Ziff. A-6.1 Abs. 2 näher definiert (s. Rn. 29 ff.). Allerdings wird in dieser Definition neben einer den VR bindenden Verpflichtung durch 27 rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich auch eine Verpflichtung „aufgrund Gesetzes“ aufgeführt. Dies führt zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine sich (allein) aus dem Gesetz, also einer Haftungsnorm, ergebende Verpflichtung der versicherten Person feststeht. Wie im Zusammenhang mit dem Erfüllungswahlrecht des VR dargelegt, entsteht der Freistellungsanspruch bereits dann, wenn der Anspruch offenkundig begründet ist (s. Rn. 11). Mithin ist die Entstehung des Freistellungsanspruchs nicht aufschiebend bedingt durch die Feststellung des Haftpflichtanspruchs und die Gebundenheit des VR.48 Davon zu unterscheiden ist die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs: Sie tritt nach Abs. 3 28 zwei Wochen nach dem Zeitpunkt ein, in dem die Schadensersatzverpflichtung mit bindender Wirkung für den VR feststeht (s. Rn. 32 ff.).

45 46 47 48

Baumann VersR 2010 984, 986. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 187 (im Erg. aber wie hier). Armbrüster RuS 2010 441, 449; Prölss/Martin/Armbrüster § 17 Rn. 2; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 187. Insoweit wohl a. A. Baumann VersR 2010 984, 985, der allerdings davon spricht, dass (lediglich) die „Vollwirksamkeit“ rechtsbedingt sei. 899

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

2. Feststellung der Verpflichtung der versicherten Person (Abs. 2) 29 Die Verpflichtung der versicherten Person gegenüber dem Dritten kann durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt werden (Ziff. A-6.1 Abs. 2 S. 1; s. auch § 106 S. 1 VVG). Jeder dieser drei Tatbestände kann unter Mitwirkung des VR herbeigeführt worden sein, der dabei von seiner Regulierungs- oder Prozessführungsvollmacht (s. Ziff. A-6.2) Gebrauch gemacht hat. 30 Ein Anerkenntnis kann die versicherte Person seit dem Wegfall des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots (§ 154 Abs. 2 VVG a. F.) im Zuge der VVG-Reform auch eigenständig, d. h. ohne Einverständnis des VR, gegenüber dem Dritten abgeben (vgl. § 105 VVG). Dasselbe gilt (erst recht) für einen Vergleich. Für diese Fälle sieht Ziff. A-6.1 Abs. 2 S. 2 vor, dass der VR daran nur gebunden ist, soweit der Anspruch auch ohne das Anerkenntnis oder den Vergleich bestanden hätte. Dies entspricht der Absicht des Gesetzgebers, mit § 105 VVG nicht eine Lage zu schaffen, in welcher der VN (oder die versicherte Person) den VR zugunsten eines Dritten zu belasten versucht. Der VR hat den VN (hier: die versicherte Person) daher auch nach einem Anerkenntnis oder Vergleich nur von dem Anspruch freizustellen, den der Geschädigte ohne das Anerkenntnis oder den Vergleich gehabt hätte.49 Einem Anerkenntnis steht die widerspruchslose Feststellung des Anspruchs zur Insolvenztabelle nach § 178 InsO gleich.50 Auch in diesem Fall ist der VR daran nicht gebunden.51 Die in Ziff. A-6.1 Abs. 2 S. 1 an erster Stelle genannte Variante „aufgrund Gesetzes“ stellt 31 klar, dass es nicht zwingend eines rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleichs bedarf, um die Verpflichtung der versicherten Person gegenüber dem Dritten festzustellen. Vielmehr genügt es, wenn der VR aufgrund seiner Prüfung der Haftpflichtfrage gem. Abs. 1 lit. a (s. Rn. 16) zu der Einschätzung gelangt, dass der Anspruch berechtigt ist. Diese Einschätzung der objektiven Rechtslage bietet dann eine Grundlage für die Freistellung der versicherten Person gegenüber dem Dritten. Gelangt der VR zu der Überzeugung, dass der Anspruch nur teilweise begründet ist, so bleibt es ihm unbenommen ihn im Übrigen abzuwehren. In diesem Fall kann es gleichwohl zur Feststellung kommen, indem ein rechtskräftiges Urteil den Anspruch auch insoweit für begründet erklärt.52

3. Bindung des VR an die Feststellung des Anspruchs (Abs. 3) 32 Der VR ist ohne Weiteres an ein unter seiner Mitwirkung zustande gekommenes rechtskräftiges Urteil gebunden, in dem der Anspruch für berechtigt erklärt wird.53 Hatte der VR hingegen die Abwehrdeckung verweigert (zu seinem Erfüllungswahlrecht s. Rn. 6 ff.), so kann er die Freistellung nicht mit der Begründung ablehnen, der Prozess sei fehlerhaft geführt worden.54 Dasselbe gilt, wenn der VR zwar die Abwehr nicht verweigert, die Prozessführung aber entgegen seiner vertraglichen Verpflichtung gleichwohl der versicherten Person überlassen hat.55 Wurde der VR hingegen entgegen Ziff. A-6.2 Abs. 2 daran gehindert den Prozess zu führen, so tritt keine Bindungswirkung ein; vielmehr bedarf es dann ggf. eines eigenen Deckungsverfah-

49 50 51 52 53 54 55

Begr. zu § 105 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 86; s. auch GDV-Erl. zu Ziff. A-6.1. BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 11. BGH 10.3.2021 – IV ZR 309/19, VersR 2021 584 Rn. 12 ff. Vgl. Meckling-Gis/Wendt VersR 2011 577, 581 f. Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 20; Langheid VersR 2009 1043, 1046. Langheid VersR 2009 1043, 1046; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 2. Vgl. BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171 56 = VersR 2007 1116 Rn. 12, 19 (betr. AHB); BGH 14.2.2007 – IV ZR 54/04, VersR 2007 1119 Rn. 13, 21 (betr. Architektenhaftpflichtversicherung); zur BGH-Rspr. s. auch Felsch RuS 2008 265, 280 ff. Armbrüster

900

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

AVB D&O A-6

rens (sog. Bindungsprozess).56 Für einen Schiedsspruch (vgl. §§ 1054, 1055 ZPO) zur Haftpflichtfrage gelten diese Regeln nur, wenn die Parteien des Versicherungsvertrags eine entsprechende über Ziff. A-6.1 Abs. 2 S. 1 hinausgehende Abrede getroffen haben,57 was auch konkludent geschehen kann. Ein rechtskräftiges Versäumnisurteil entfaltet nach den allg. Regeln insoweit Bindungswirkung, als im Haftpflichtprozess Feststellungen erforderlich waren und getroffen wurden.58 An Anerkenntnisse und Vergleiche, welche die versicherten Personen ohne Zustimmung 33 des VR abgegeben bzw. geschlossen haben, ist der VR nach Ziff. A-6.1 Abs. 2 S. 2 nur gebunden, soweit der Anspruch des Dritten auch ohne diese Erklärungen bestanden hätte. Ob letzteres der Fall ist, muss bei Meinungsverschiedenheiten zwischen VR und versicherter Person im Deckungsprozess geklärt werden. Die versicherte Person hat dann Leistungsklage gegen den VR auf Freistellung (nicht: Feststellungsklage, sofern der Anspruch bezifferbar ist) zu erheben. Im Deckungsprozess trägt die versicherte Person hinsichtlich des Haftpflichtanspruchs die 34 Beweislast.59 Damit ist für sie nicht allein das Risiko verbunden dafür beweisfällig zu bleiben, dass das Anerkenntnis oder der Vergleich (in voller Höhe) berechtigt war.60 Hinzu kommt die negative Öffentlichkeitswirkung eines Prozesses, in dem es um den gegen sie erhobenen Vorwurf einer Pflichtverletzung geht. Indessen ist diese Konsequenz in der Aufhebung des Anerkenntnis- und Vergleichsverbots durch § 105 VVG angelegt. Die Wirksamkeit von Ziff. A-3 wird dadurch nicht in Frage gestellt.61 Der versicherten Person steht zudem die Möglichkeit offen, den Freistellungsanspruch an den Geschädigten abzutreten und damit die Publizität eines von ihm selbst geführten Prozesses zu vermeiden (s. Ziff. A-9 Rn. 9 ff.).

4. Befriedigung des Dritten durch die versicherte Person Der Fall, dass die versicherte Person den von dem Dritten erhobenen Anspruch befriedigt, ist 35 in den AVB D&O nicht geregelt. § 105 VVG erklärt lediglich einen vertraglichen Ausschluss der Leistungspflicht des VR – auch durch Individualabrede –62 für unwirksam, trifft jedoch keine Aussage über die Rechtswirkungen der Befriedigung. Der Gesetzgeber geht zutr. davon aus, dass die Befriedigung ebenso wenig wie ein Anerkenntnis einen nicht bestehenden Anspruch zu Lasten des VR herbeizuführen vermag (zu Anerkenntnis und Vergleich s. Rn. 33).63 Der wirtschaftliche Umfang der vom VR übernommenen Leistungspflicht erhöht sich mithin 36 durch die Befriedigung des Dritten nicht. Allerdings ändert sich durch die Befriedigung der Inhalt eines tatsächlich bestehenden Freistellungsanspruchs: Dieser verwandelt sich in einen Zahlungsanspruch der versicherten Person gegen den VR, soweit tatsächlich eine Schadensersatzverpflichtung gegenüber dem Dritten bestand. Verklagt die versicherte Person den VR auf Zahlung, so sind in diesem Prozess die Haftpflicht- und die Deckungsfrage zu klären.64 Dabei obliegt

56 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 20 ff.; Langheid VersR 2009 1043, 1046; a. A. allg. etwa Prölss/Martin/Lücke § 106 VVG Rn. 5. 57 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 24. 58 Allg. Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 106 Rn. 2; a. A. Prölss/Martin/Lücke § 106 VVG Rn. 5 (allerdings von einem „dem Urteil zugrunde liegende[n] Anerkenntnis“ sprechend); Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 24 (allerdings lediglich auf die Möglichkeit des Einspruchs nach §§ 338 ff. ZPO verweisend). 59 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 14; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 3; vgl. auch allg. Bruck/Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 193. 60 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 16. 61 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 4. 62 Prölss/Martin/Lücke § 105 VVG Rn. 1. 63 Begr. zu § 105 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 86. 64 Prölss/Martin/Lücke § 105 VVG Rn. 7. 901

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

es der versicherten Person Bestand und Höhe des durch ihn befriedigten Anspruchs zu beweisen.65

5. Fälligkeit 37 a) Grundregel. Die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs tritt nach Abs. 3 in sachlicher Übereinstimmung mit § 106 S. 1 VVG zwei Wochen nach dem Zeitpunkt ein, in dem die Schadensersatzverpflichtung mit bindender Wirkung für den VR feststeht. Eine solche Bindungswirkung können ein rechtskräftiges Urteil, ein Anerkenntnis oder ein Vergleich haben (vgl. § 106 S. 1 VVG).66 Die allg. Fälligkeitsregel des § 271 BGB ist mithin grds. nicht anwendbar (s. aber Rn. 40). Der Beginn der Zweiwochenfrist setzt allerdings voraus, dass der VR Kenntnis von dem entsprechenden Tatbestand hat.67 Dies folgt aus dem Zweck der Frist. Der Gesetzgeber des § 154 VVG a. F. (als der Vorgängerregelung zu § 106 VVG) hat die Zwei-Wochen-Frist eingeführt, „um dem Versicherer die erforderliche Prüfung und die Bereitstellung der Zahlungsmittel zu ermöglichen.“68

38 b) Mitwirkung des VR. Streit besteht darüber, ob die Zwei-Wochenfrist auch dann gilt, wenn der VR aufgrund seiner Regulierungs- oder Prozessführungsvollmacht selbst durch ein Anerkenntnis oder einen Vergleich an der Anspruchsfeststellung mitwirkt.

39 aa) Meinungsstand. Die Geltung der Frist wird teils unter Hinweis auf den Wortlaut des § 106 S. 1 VVG angenommen.69 Die Gegenansicht verweist darauf, dass die Frist es dem VR ermöglichen soll, die Voraussetzungen der Bindungswirkung zu prüfen. Demnach ist die Frist im Wege teleologischer Reduktion dann nicht anzuwenden, wenn es einer solchen Prüfung nicht bedarf, so dass der Freistellungsanspruch gem. § 271 BGB sofort fällig wird.70

40 bb) Stellungnahme. Keiner der vom Gesetzgeber mit der Zweiwochenfrist des § 106 S. 1 VVG verfolgten Zwecke (s. Rn. 37) greift ein, wenn der VR selbst ein Anerkenntnis oder einen Vergleich bewirkt hat: Seine Leistungspflicht und ihr Umfang stehen dann fest, und die „Bereitstellung der Zahlungsmittel“ erfordert – anders als möglicherweise dann, wenn der VR gerade erst von einem nicht durch ihn veranlassten Eintritt der Bindungswirkung erfährt – keine bes. Maßnahmen. Dies passt auch zu der in § 14 Abs. 1 VVG zum Ausdruck kommenden Wertung. Die Fristregelung ist daher in diesen Fällen teleologisch zu reduzieren mit der Folge, dass der Freistellungsanspruch gem. § 271 BGB sofort fällig wird.

41 c) Befriedigung/Abtretung. Wandelt sich der Freistellungsanspruch infolge einer Befriedigung des Dritten durch die versicherte Person (s. Rn. 35) oder einer Abtretung an den Dritten

65 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 15. 66 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 174. 67 Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 25 f.; allg. Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 106 Rn. 3. 68 Motive zum VVG, 209. 69 Baumann VersR 2010 984, 986; Langheid/Wandt/Littbarski § 106 Rn. 28 ff.; so offenbar auch Finkel/Seitz/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 25. 70 Prölss/Martin/Lücke § 106 VVG Rn. 13. Für Anwendbarkeit von § 14 Abs. 1 VVG Bruck/Möller/R. Koch § 106 VVG Rn. 42. Armbrüster

902

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

AVB D&O A-6

(s. Rn. 42) in einen Zahlungsanspruch gegen den VR um und steht der Haftpflichtanspruch fest, so tritt gleichfalls sofortige Fälligkeit ein.71

6. Abtretbarkeit und Pfändbarkeit Die versicherte Person kann ihren Freistellungsanspruch nach Ziff. A-9 S. 2 an den geschädigten 42 Dritten abtreten. Dies ist nach überwiegender, vom BGH geteilter Ansicht auch dann möglich, wenn es sich dabei um den VN handelt (s. Ziff. A-9 Rn. 9 ff.). Die Abtretung hat zur Folge, dass der Dritte den VR unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen kann (Direktklage). Auf diese Weise ist es der versicherten Person möglich, sich einer Parteirolle als vom VN Beklagtem und der damit verbundenen negativen Öffentlichkeitswirkung zu entziehen.72 Der Haftpflichtgläubiger kann den Freistellungsanspruch angesichts seiner Abtretbarkeit 43 (s. Rn. 42) gem. § 851 Abs. 1 ZPO auch pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen (s. allg. § 100 Rn. 90). Die Pfändung führt dazu, dass sich der Anspruch in der Hand des Gläubigers ungeachtet des § 399 Fall 1 BGB in einen Zahlungsanspruch umwandelt. Dies geschieht zu dem Zeitpunkt, zu dem der Freistellungsanspruch fällig wird.73

7. Prozessuales Ist der Freistellungsanspruch fällig (s. Rn. 37 ff.), so ist eine Leistungsklage der versicherten 44 Person gegen den VR zulässig. Die Klage ist grds. nicht auf Zahlung an den Haftpflichtgläubiger, sondern auf Freistellung der versicherten Person von dem titulierten oder anderweitig bindend feststehenden Schadensersatzanspruch zu richten.74 Abweichend hiervon ist in bestimmten Fällen eine auf Zahlung gerichtete Klage statthaft. Dies gilt, wenn die versicherte Person ihren Freistellungsanspruch an den VN abgetreten hat, so dass er sich in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat (s. Ziff. A-9 Rn. 18); Kläger ist dann der VN. Die versicherte Person kann auf Zahlung klagen, wenn sie den Anspruchsteller gem. §§ 105, 106 VVG befriedigt hat (s. Rn. 35) und der VR daran gebunden ist.75

VI. Strafrechtsschutz (Abs. 4) 1. Überblick Der VR übernimmt nach Abs. 4 unter bestimmten Voraussetzungen (s. Rn. 47 f.) auch die Kosten 45 eines Strafverteidigers. Diese Klausel entspricht im Wesentlichen der gesetzlichen Regelung in § 101 Abs. 1 S. 2 VVG.76 Nach dieser Vorschrift setzt der Anspruch auf Kostenersatz voraus, dass der VR eine entsprechende Weisung erteilt hat und das Strafverfahren wegen einer Tat eingeleitet wurde, die für die Verantwortlichkeit der versicherten Person gegenüber einem Dritten Folgen haben könnte. Beide Voraussetzungen finden sich in Abs. 4 in anderen Worten, aber im Kern übereinstimmend, wieder: Die Bestellung des Verteidigers muss vom VR gewünscht oder genehmigt worden sein (Weisungserfordernis), und das Strafverfahren muss eine Pflichtverletzung betreffen, die einen gedeckten Haftpflichtanspruch zur Folge haben kann. 71 72 73 74 75 76 903

Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 17; Baumann VersR 2010 984, 987. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 4. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 185. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 174 f. (mit Formulierungsvorschlag). MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 176. Schmuckermeier RuS 2019 131; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 5. Armbrüster

A-6 AVB D&O

46

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Die Entkräftung eines strafrechtlichen Vorwurfs ist wegen der faktisch präjudizierenden Wirkung für die zivilrechtliche Haftung (z. B. gem. § 93 Abs. 2 AktG) für die versicherten Personen und den VR sehr bedeutsam.77 Dies gilt insbes. im Hinblick auf die Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens (s. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG).

2. Wunsch oder Genehmigung 47 Daran, dass die Bestellung eines Verteidigers vom VR gewünscht oder genehmigt wird, sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt, dass der VR ein solches Vorgehen empfiehlt. Nur wenn der VR zugleich deutlich macht, dass er nicht bereit ist Verteidigungskosten zu übernehmen, fehlt es an dieser Voraussetzung.78 Die versicherte Person hat keinen Anspruch darauf, dass der VR die Verteidigungskosten 48 übernimmt. Vielmehr ist der VR in seiner Entscheidung darüber, ob er die Bestellung eines Verteidigers wünscht oder genehmigt, grds. frei. Seine Entscheidung wird er regelmäßig davon abhängig machen, ob er sich von der Strafverteidigung eine Verringerung seiner Schadensaufwendungen verspricht.79

3. Mögliche Folgen für die Haftung 49 Die weitere Voraussetzung, dass das Strafverfahren einen unter den Deckungsschutz fallenden Haftpflichtanspruch gegen die versicherte Person zur Folge haben können muss, hat neben dem Erfordernis von Wunsch oder Genehmigung des VR keine eigenständige Bedeutung. Dies liegt daran, dass der VR in seiner Entscheidung über die Kostenübernahme ohnehin grds. frei ist (s. Rn. 48).

4. Umfang der Kostenübernahme 50 Sind die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht des VR erfüllt, so trägt er nach Abs. 4 grds. lediglich die Kosten des Strafverteidigers nach dem RVG (Rahmengebühren). Höhere Kosten muss er nur im Falle einer gesonderten Vereinbarung übernehmen. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, so erweist sich der Anspruch angesichts dessen, dass in Wirtschaftsstrafsachen in der Praxis weit über dem RVG liegende Vergütungsabreden üblich sind, für die versicherte Person als unzureichend.80 Freilich ist die Kostenbegrenzung schon deshalb AGB-rechtlich nicht zu beanstanden, weil der VR eine Kostenübernahme auch gänzlich ablehnen könnte (s. Rn. 48). Zu weiter reichenden Klauseln in Unternehmens-AVB s. Rn. 62.

VII. Kostenbegrenzung auf Versicherungssumme bei höherem Streitwert (Abs. 5) 51 Abs. 5 sieht vor, dass der VR nicht auch für solche Kosten aufkommen soll, die durch einen die Versicherungssumme übersteigenden Streitwert ausgelöst werden. Dabei geht es, wie aus dem

77 Vgl. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.2 Abs. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 86; Seitz/Finkel/Klimke/ Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 164.; zu ergänzenden Formen der Straf-Rechtsschutzversicherung vgl. Mitterlechner/Wax/Witsch § 11 Rn. 12 ff.; Thomas 498 ff. 78 Schmuckermeier RuS 2019 131. 79 Schmuckermeier RuS 2019 131, 134. 80 Mitterlechner/Wax/Witsch § 11 Rn. 9; Schmuckermeier RuS 2019 131. Armbrüster

904

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

AVB D&O A-6

Begriff „Streitwert“ zu folgern ist, allein um Prozesskosten.81 Für den Streitwert ist regelmäßig der Nennbetrag des bezifferten Klageantrags des Geschädigten maßgeblich.82 Dabei kommt es allein auf das Verhältnis der begründeten Haftpflichtansprüche zur Versicherungssumme an, da andernfalls die versicherte Person der Willkür des Klägers ausgesetzt wäre (vgl. auch Ziff. 6.6 AHB, wo freilich ausdrücklich auf die begründeten Ansprüche statt auf die Versicherungssumme abgestellt wird).83 Dementsprechend ist auch Abs. 5 auszulegen.84 Der Wortlaut von Abs. 5 ist allerdings – abweichend von Ziff. 6.6 AHB – dahin zu verstehen, 52 dass die Prozesskosten nach der der Versicherungssumme entsprechenden Wertklasse vom VR zu tragen sind; vgl. insoweit auch § 3 Nr. 7.1 AVB-Vermögen.85 Trifft die versicherte Person mit dem Strafverteidiger eine über der Grenze des Abs. 5 liegende Kostenvereinbarung, so muss der VR die Differenz nur erstatten, sofern er dieser Vereinbarung zugestimmt hat.86 Die betragsmäßige Begrenzung der Deckung auf den anteiligen Streitwert weicht von § 101 53 Abs. 2 S. 1 VVG ab. Nach dieser Vorschrift hat der VR die Kosten (auch) der Verteidigung in einem Strafverfahren auch insoweit zu ersetzen, als sie zusammen mit den Freistellungsaufwendungen die Versicherungssumme übersteigen. Diese gesetzliche Regelung ist indessen gem. § 112 VVG dispositiv. Die Abweichung in Abs. 5 ist auch nicht nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Leitbild unwirksam (s. auch Ziff. A-6.4 S. 2 und dazu Rn. 115 ff.).

VIII. Fälligkeit und Verjährung Hinsichtlich der Fälligkeit und der dadurch in Gang gesetzten Verjährung (s. Ziff. B4–4 Rn. 30) 54 ist grds. jeder Anspruch gegen den VR für sich zu betrachten. Dies gilt freilich hinsichtlich des Hauptleistungsversprechens eines Haftpflichtversicherers nicht uneingeschränkt: Der Abwehrund der Freistellungsanspruch sind die beiden Komponenten eines einheitlichen Deckungsanspruchs (s. bereits Rn. 3). Dieser sog. Einheitlichkeitsgrundsatz entspricht der Rspr. des BGH zur Allg. Haftpflicht- 55 versicherung87 und der mittlerweile ganz herrschenden Lit.88 Daran hat sich auch durch die VVG-Reform von 2008 nichts geändert.89 Seinerzeit ist § 100 VVG neu eingefügt worden, worin die beiden Komponenten des Deckungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung ausdrücklich aufgeführt werden. Der Reformgesetzgeber hat damit indessen nicht beabsichtigt, das Produkt „Haftpflichtversicherung“ mit bestimmten rechtlichen Vorgaben auszugestalten (s. Ziff. A-1 Rn. 1; Ziff. A-2 Rn. 42 ff.).90 Vielmehr ist § 100 VVG lediglich als sog. Definitionsnorm zu begreifen, mittels derer der Gesetzgeber verdeutlichen möchte, für welche Art von Leistungsversprechen die nachfolgenden Regelungen zur Haftpflichtversicherung gelten sollen.91 Auch die Einführung des § 106 VVG gebietet es nicht, vom Einheitlichkeitsgrundsatz abzuweichen, zumal diese Vorschrift im Kern mit dem Regelungsinhalt von § 154 VVG a. F. übereinstimmt.

81 82 83 84

So ausdrücklich die Regelung in Ziff. 6.6 AHB 2008 (Stand: Februar 2016). MüKo-ZPO/Wöstmann § 3 Rn. 12. Prölss/Martin/Lücke § 101 VVG Rn. 20 ff. sowie Ziff. 6 AHB Rn. 20. Vgl. OLG Düsseldorf 28.11.1989 – 4 U 46/89, VersR 1991 94 (betr. § 3 II Nr. 7 a AVB-Vermögen [s. jetzt § 3 Nr. 7.1 AVB Vermögen). 85 Abgedruckt bei Prölss/Martin/Lücke AVB Verm. (Ordnungsnr. 250). 86 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 5. 87 S. nur BGH 21.5.2003 – IV ZR 209/02, VersR 2003 900, 901 (betr. Privathaftpflichtversicherung). 88 S. etwa Prölss/Martin/Lücke VVG § 100 Rn. 12; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reichel § 21 Rn. 98; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Schneider § 24 Rn. 160a. 89 Insoweit a. A. Langheid/Rixecker/Langheid VVG § 100 Rn. 31. 90 Regierungsbegr., BT-Drucks. 16/3945 S. 85. 91 S. zu dieser Regelungstechnik Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 92 f. 905

Armbrüster

A-6 AVB D&O

56

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Der Einheitlichkeitsgrundsatz ist nach ganz überwiegender und zutr. Ansicht auch auf die D&O-Versicherung zu erstrecken.92 Der Grundsatz gebietet auch den Verjährungseintritt einheitlich zu beurteilen. Dies kann dazu führen, dass der Freistellungsanspruch verjährt, bevor er fällig geworden ist. Der mit ihm als Einheit anzusehende Abwehranspruch wird nämlich bereits mit der Inanspruchnahme der versicherten Person und damit regelmäßig vor dem in § 106 VVG genannten Zeitpunkt (s. Rn. 37) fällig. Indessen steht eine versicherte Person dieser Situation nicht machtlos gegenüber. Sie kann nämlich den VR zu einem Verzicht auf die Verjährungseinrede bewegen, indem sie ankündigt, anderenfalls auf Feststellung der Leistungspflicht zu klagen, um die Verjährung zu hemmen (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).93

IX. Unternehmens-AVB 1. Abwehranspruch 57 In Unternehmens-AVB wird den versicherten Personen verbreitet94 ein gegenüber Ziff. A-6.1 weiter reichender Abwehranspruch eingeräumt.95 Dies kann insbes. den Fall betreffen, dass ein deckungsrechtlicher Ausschlusstatbestand verwirklicht ist oder darüber zwischen VR und versicherter Person zumindest Streit besteht. Die versicherte Person erlangt durch eine derartige Klausel insofern eine stärkere Stellung als nach den AVB D&O, als letztere es lediglich dem VR ermöglichen Abwehr unter Vorbehalt zu erbringen, ohne dass die versicherte Person dies beanspruchen kann (s. Rn. 19; vgl. auch § 100 Rn. 158 ff.). Unter bestimmten Voraussetzungen kann der solchermaßen erweiterte Deckungsschutz rückwirkend wieder entfallen, wenn die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestands (z. B. Vorsatz oder wissentliche Pflichtverletzung; s. Ziff. A-7.1) durch eigenes Eingeständnis oder durch ein straf- oder zivilgerichtliches Urteil festgestellt wurden. In diesem Fall hat die versicherte Person die empfangenen Leistungen oder deren Wert dem VR zu erstatten.96 Die Voraussetzungen von Vorsatz oder wissentlichen Pflichtverletzung sind allerdings zu unterscheiden von denjenigen einer arglistigen Täuschung. Daher hindert eine auf einen deckungsrechtlichen Ausschlusstatbestand abstellende Klausel den VR nicht daran, die vorläufige Deckung unter Berufung auf eine von ihm erklärte Arglistanfechtung gem. § 123 BGB zu verweigern.97 Dies entspricht der Grundwertung des VVG, wonach arglistiges Verhalten in markantem Gegensatz zu einfacher Fahrlässigkeit generell einschneidende Rechtsfolgen nach sich zieht.98 Zudem liegt es auf der Linie der BGH-Rspr., wonach ein vertraglicher Ausschluss der Arglistanfechtung unwirksam ist, wenn die Täuschung vom Geschäftspartner oder von einer Person verübt wird, die nicht Dritter i. S. von § 123 Abs. 2 BGB ist.99 Teils werden in Unternehmens-AVB auch die zeitlichen Grenzen des Abwehrschutzes vor58 gezogen. So können den versicherten Personen vorbeugende Rechtskosten vor Eintritt des Versicherungsfalls versprochen werden, wenn ein solcher mit Wahrscheinlichkeit bevorsteht (z. B. Verweigerung der Entlastung seitens der Hauptversammlung; Bestellung eines Sonderprüfers gem. § 142 Abs. 1 AktG).100 92 Kassing/Richters VersR 2015 293 296; Lange § 14 Rn. 175. 93 Vgl. zu einer Aufforderung zum Verzicht auf die Verjährungseinrede BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/78, VersR 1979 1117 (betr. Architektenhaftpflichtversicherung). 94 Orlikowski-Wolf RuS 2021 509, 510. 95 Beispiel: OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21, VersR 2021 1362 = RuS 2021 502 m. Anm. Orlikowski-Wolf. 96 Lattwein/Krüger NVersZ 2000 365, 367; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 102; Olbrich 181 ff.; Steinkühler/Wilhelm VP 2005 122, 126 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.1 Rn. 1. 97 Orlikowski-Wolf RuS 2021 509, 510; a. A. OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21, VersR 2021 1362 Rn. 67 ff. 98 Näher Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 298 f.; s. auch den Überblick bei Schirmer RuS 2014 533 ff. 99 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, NJW 2012, 296 Rn. 27 ff.; MüKo-BGB9/Armbrüster § 123 Rn. 86 ff.; s. auch OLG Frankfurt/M. 7.7.2021 – 7 U 19/21, VersR 2021 1362 Rn. 73, 75. 100 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 28 ff. Armbrüster

906

B. (Haupt-)Leistungen des VR (Ziff. A-6.1)

AVB D&O A-6

2. Assistance-Leistungen Bisweilen verspricht der VR in Unternehmens-AVB über die in Ziff. A-6.1 geregelte Pflichtentrias 59 hinaus sog. Assistance-Leistungen.101 Dabei handelt es sich – abhängig vom konkreten Leistungsversprechen – in der Praxis typischerweise nicht um Naturalleistungen in Gestalt von Dienstleistungen, sondern um Geldleistungen in Gestalt einer Kostenerstattung des VR für Dienstleistungen Dritter.102 Solche Leistungen können sich auf den Umgang mit dem Versicherungsfall im Außenver- 60 hältnis, insbes. in der Öffentlichkeit, beziehen (Krisenmanagement; Abwehr von Reputationsschäden103). Zudem kann es um die Bewältigung von Folgen im Innenverhältnis von VN und versicherten Personen gehen (medizinischer oder psychologischer Beistand in seelischen Notlagen). Auch bei der Streitbeilegung kann der VR Leistungen anbieten, insbes. Mediation. Ferner werden teils Beratungsleistungen, etwa zu steuerlichen Fragen, sowie Anwaltsleistungen jenseits der von Ziff. A-6.1 erfassten Anspruchsabwehr (insbes. Strafrechtsschutz; Verfahrensrechtsschutz gegenüber Behörden) versprochen. Assistance-Leistungen des VR können aus Sicht von VN und versicherten Personen eine 61 nützliche Abrundung des Deckungsangebots bieten. Allerdings können sie dann, wenn sie – wie dies insbes. in einem weichen Markt vorkommt – einen größeren Umfang annehmen, auch den Kern des Leistungsversprechens, wie er in Ziff. A-6.1 zum Ausdruck kommt, beeinträchtigen. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die Gefahr, dass die Versicherungssumme durch Aufwendungen für Assistance aufgezehrt werden könnte.104 Hinzu kommt, dass AssistanceLeistungen in verschiedener Hinsicht Rechtsfragen aufwerfen. Dies gilt außer für das Versicherungsvertragsrecht und das Haftungsrecht105 auch für das Versicherungsaufsichtsrecht.106

3. Strafverteidigungskosten In Unternehmens-AVB sind häufig Leistungsversprechen enthalten, die über die sehr begrenzte 62 Regelung zur Übernahme von Verteidigungskosten in Ziff. A-6.1 Abs. 4 deutlich hinausgehen.107 Dies betrifft etwa die Übernahme der notwendigen Abwehrkosten in Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, soweit die Verfahrenseinleitung mit einer bei einer versicherten Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung begründet wird.108

4. Bedeutung der Versicherungssumme In Unternehmens-AVB ist teils abweichend von Ziff. A-6.1 Abs. 5 vorgesehen, dass der VR auch 63 dann, wenn die Schadensersatzansprüche die Versicherungssumme übersteigen, die Kosten nach der dem Schadensersatzanspruch entsprechenden Wertklasse trägt.

101 Dreher VersR 2020 129, 130. 102 Dreher VersR 2020 129, 130 f.; R. Koch VersR 2019 449, 450 ff. 103 S. dazu etwa das Klauselbeispiel bei R. Koch VersR 2019 449, 450; s. zu Leistungen bei Rufschädigung auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 27. Dreher FS Bergmann (2018) 145, 146; Mahnke VP 5/2017 3, 4. S. dazu R. Koch VersR 2019 449, 454 ff. Zu letzterem s. Dreher VersR 2020 129, 131 ff. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 166 ff. Schmuckermeier RuS 2019 131, 132 (auch zu weiteren Gestaltungen des D&O-Strafrechtsschutzes).

104 105 106 107 108 907

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

C. Vollmacht des VR (Ziff. A-6.2) I. Überblick 64 Ziff. A-6.2 sieht eine Regulierungs- und Prozessführungsvollmacht für den VR vor. Diese Vollmacht ermöglicht es ihm im Abwehrprozess die Regie zu führen.109 Die Regelung ist weitgehend Ziff. 5. 2 AHB (A1-4.2 AHB [Stand: Mai 2020] nachgebildet.110 Allerdings sind in Abs. 2 S. 2 die Worte „auf seine Kosten“ nicht übernommen worden (s. dazu Rn. 75). Anders als in der allg. Haftpflichtversicherung ist die Vollmacht allein auf die Vertretung der versicherten Personen und nicht (auch) des VN bezogen.

II. Regulierungsvollmacht (Ziff. A-6.2 Abs. 1) 1. Meinungsstand 65 Die Bevollmächtigung nach Ziff. A-6.2 Abs. 1 bezieht sich darauf, dass der VR Erklärungen im Namen der versicherten Personen abgeben kann. Diese Personen sind allerdings nicht Vertragspartner des VR. Daher besteht im Schrifttum Streit über die Vollmachtklausel. Vereinzelt wird sie für unwirksam gehalten.111 Andere äußern gleichfalls Bedenken, da die Bevollmächtigung sich nicht ohne Weiteres auf den Willen der versicherten Personen zurückführen lasse, und empfehlen, dass der VR vor Beginn der anwaltlichen Verhandlungen mit dem Anspruchsteller die Zustimmung der versicherten Personen einholt.112 Verbreitet wird demgegenüber die versicherte Person für verpflichtet gehalten, dem VR spätestens nach Eintritt des Versicherungsfalls eine Regulierungsvollmacht zu erteilen.113

2. Stellungnahme 66 Richtig erscheint es eine Obliegenheit der versicherten Personen anzunehmen, die vom VR erteilte Bevollmächtigung spätestens nach Eintritt des Versicherungsfalls gem. §§ 180, 177 BGB zu genehmigen. Dafür spricht insbes., dass die Bevollmächtigung im selben Vertrag erklärt wird, durch den die versicherten Personen überhaupt erst ihre Rechtsstellung als Anspruchsinhaber erlangen. Sie müssen den Versicherungsschutz daher in der Ausgestaltung hinnehmen, die der VN – der auch für die Prämien aufkommt – mit dem VR vereinbart hat. Dazu gehört auch, dass nach dem Willen der Vertragsparteien der VR eine Regulierungsvollmacht erhalten soll. Die Lage ist insoweit anders als hinsichtlich einer Gerichtsstandsvereinbarung, an welche die versicherten Personen allein aufgrund höherrangigen europäischen Rechts (Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO) nicht gebunden sind (s. dazu Einf Rn. 173 ff.). 67 Unabhängig von dem genannten Streit besteht der sicherste Weg in der Praxis darin, dass der VR vor Eintritt in Verhandlungen mit dem Anspruchsteller von der versicherten Person eine Genehmigung der in Ziff. A-6.2 Abs. 1 erteilten Vollmacht oder eine gleichlau-

109 110 111 112 113

Lange VersR 2007 893, 894 ff. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. Herdter VP 2014 46, 47. Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 15; vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 88. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 88; Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 65; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1; vgl. auch BGH 3.6.1987 – IVa ZR 292/85, VersR 1987 924, 926 (betr. Kfz-Haftpflichtversicherung), sowie für die Empfangsvertretung BGH 3.4.1973 – VI ZR 58/72, NJW 1973 1369, 1370; s. aber auch BGH 4.12.1990 – VI ZR 300/89, VersR 1991 1033 (betr. Veranstaltungs-Haftpflichtversicherung). Armbrüster

908

C. Vollmacht des VR (Ziff. A-6.2)

AVB D&O A-6

tende eigenständige Vollmacht einholt.114 Ist eine versicherte Person weder zur Genehmigung noch zur eigenständigen Vollmachtserteilung bereit, verletzt sie damit ihre Obliegenheit aus Ziff. B3-3.2 lit f.115

III. Prozessführungsvollmacht (Ziff. A-6.2 Abs. 2) 1. Wirkung im Außenverhältnis Nach Ziff. A-6.2 Abs. 2 ist der VR im Rechtsstreit gegen die versicherte Person zur Prozessfüh- 68 rung bevollmächtigt.116 Zudem enthält Ziff. B3-3.2 lit. f nach dem Vorbild der AHB (s. etwa B3.3.2.2 lit. e AHB [Stand: Mai 2020]) eine ausdrückliche Obliegenheit der versicherten Person, die Verfahrensführung dem VR zu überlassen und dem von diesem beauftragten Rechtsanwalt eine Vollmacht zu erteilen. Nach den GDV-Erl. soll es sich bei Abs. 2 um eine das Innenverhältnis betreffende Rege- 69 lung handeln, während Abs. 1 „die Vollmacht“117 des VR im Außenverhältnis begründe. Aus dem Wortlaut geht diese Differenzierung nicht eindeutig hervor, da auch in Abs. 2 der Begriff „bevollmächtigt“ verwendet wird und dieser sich auf das Außenverhältnis bezieht (vgl. die Legaldefinition der Vollmacht in § 166 Abs. 2 S. 1 BGB).118 Durch die genannte Obliegenheit zur Erteilung einer Vollmacht an den vom VR beauftragten Rechtsanwalt wird aber klargestellt, dass der VR nicht bereits aufgrund von Ziff. A-6.2 Abs. 2 bevollmächtigt ist dem Rechtsanwalt Prozessvollmacht zu erteilen.119

2. Bevollmächtigung des VR durch die versicherte Person Ebenso wie bei der Regulierungsvollmacht des VR (s. Rn. 65 ff.) stellt sich auch für seine Pro- 70 zessführungsvollmacht die Frage, inwiefern eine Bevollmächtigung durch die versicherten Personen vorliegt. Sie ist auch hier erforderlich.120 Allein der Umstand, dass die versicherte Person ihre Rechtsstellung von der durch den VN getroffenen Vereinbarung ableitet, ersetzt nicht die Vollmachtserklärung.121 Aus denselben Erwägungen wie bei der Regulierungsvollmacht (s. Rn. 65 ff.) ist auch hinsichtlich der Prozessführungsvollmacht eine Obliegenheit der betreffenden versicherten Personen anzunehmen die Vollmacht zu erteilen. Allerdings scheidet die Variante der Genehmigung einer bereits vom VN erteilten Bevollmächtigung aus, da eine solche in Abs. 2 im Außenverhältnis nicht erteilt ist. In der Praxis wird sich die versicherte Person der Bevollmächtigung schon deshalb nicht verweigern, weil der VR andernfalls für einen dann entstehenden Mehraufwand oder gar für die Folgen einer fehlerhaften Abwehr nicht leistungspflichtig wäre.122

114 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 65; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 88; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 15. Lenz PHi 2006 31, 33 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. Allg. kritisch aus AGB-rechtlicher Sicht H. Koch/Hirse VersR 2001 405, 407 ff. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.2. S. auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 67. S. auch allg. Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 5 AHB 2012 Rn. 41 ff. BGH 8.6.1999 – VI ZB 14/99, VersR 1999 1228 (betr. AHB). Insoweit a. A. offenbar Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 153. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 68; s. auch Ihlas 396; Lenz PHi 2006 31, 35.

115 116 117 118 119 120 121 122 909

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

3. Befugnisse der versicherten Person 71 Die Auswahl des Rechtsanwalts, der mit der Anspruchsabwehr beauftragt wird, fällt grds. in den Zuständigkeitsbereich des VR.123 Dies wird in Ziff. B3-3.2 lit. f S. 2 klargestellt. Allerdings kann dies aus Sicht der versicherten Person dann unbefriedigend sein, wenn der VR eine andere als die von ihr bevorzugte Verteidigungsstrategie beabsichtigt. Der vom VR mandatierte Anwalt ist nämlich diesem und nicht der versicherten Person zur Interessenwahrung verpflichtet.124 Teils werden entsprechende Klauseln wegen eines Verstoßes gegen die verfahrensrechtliche Kompetenzordnung für nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam gehalten.125 Indessen greifen die europarechtlichen Vorgaben zur freien Anwaltswahl in der Rechtsschutzversicherung (vgl. § 127 VVG) hier nicht ein. Daher hat die versicherte Person die Auswahlbefugnis des VR, der – anders als in der Rechtsschutzversicherung – bei einem Unterliegen im Haftpflichtprozess auch für die Freistellung aufzukommen hat, hinzunehmen. 72 Die versicherte Person wird vor einer Prozessführung, die ihre Belange in unzumutbarer Weise vernachlässigt, durch die aus dem Kooperationsgebot folgende Rücksichtnahmepflicht des VR126 geschützt (s. auch Rn. 231). Dies ist nicht zuletzt deshalb bedeutsam, weil die Führung des Haftungsprozesses für die berufliche Zukunft der versicherten Person entscheidend sein kann.127 Die Rücksichtnahmepflicht erstreckt sich auch auf die Auswahl des Anwalts durch den VR.128 Umgekehrt ist auch die versicherte Person gegenüber dem VR gehalten, mit dem von die73 sem ausgewählten Anwalt zusammenzuarbeiten und dessen Prozessführung nicht zu behindern. Verstößt sie dagegen, so liegt darin eine Obliegenheitsverletzung gem. Ziff. B3-3.2 lit. f.129 Eine andere Frage ist es, ob die versicherten Personen befugt sind, zusätzlich zu dem vom 74 VR mandatierten Rechtsanwalt einen eigenen Anwalt einzuschalten. Der BGH hat dies bislang nicht allg. geklärt. Allerdings hat er in der zusätzlichen Mandatierung dann keine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung erblickt, wenn der VR einen Anwalt als Prozessbevollmächtigten einsetzt, der in einem anderen Rechtsstreit zum selben Sachverhalt Prozessbevollmächtigter der Gegenseite war.130 Auch dann, wenn die versicherte Person im Hinblick auf einen vereinbarten Selbstbehalt oder eine unzureichenden Versicherungssumme ein erhebliches eigenes wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Haftungsprozesses hat, kann dies dafür sprechen, ihr die Einschaltung eines (weiteren) Prozessbevollmächtigten zu gestatten.131 Abgesehen von solchen bes. gelagerten Fällen, in denen ein berechtigtes Interesse der versicherten Person das Verschulden entfallen lässt, liegt in der eigenständigen Einschaltung eines Anwalts allerdings eine Obliegenheitsverletzung gem. Ziff. B3-3.2 lit. f.132 In jedem Fall muss die versicherte Person zudem die entstehenden Zusatzkosten selbst tragen.133

123 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 154 („Recht auf Letztentscheidung in der Anwaltswahl“); Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. 124 Lenz PHi 2006 31, 33 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. 125 H. Koch/Hirse VersR 2001 405, 407 ff.; s. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 16 ff.; offen lassend Prölss/ Martin/Lücke Ziff. 5 AHB Rn. 34. 126 Vgl. zu dieser Pflicht Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 187; allg. Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 292, 313 ff. 127 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. 128 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 151. 129 Lenz PHi 2006 31, 32; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. 130 BGH 30.4.1981 – IVa ZR 129/80, VersR 1981 948, 950 (betr. AHB und AKB). 131 Vgl. auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1 (zum Selbstbehalt). 132 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. 133 OLG München 25.4.1983 – 11 W 1152/83, VersR 1983 1084 (Ls.); LG Nürnberg-Fürth 30.8.1971 – 11 S 62/71, VersR 1973 511; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 5 AHB Rn. 30. Armbrüster

910

C. Vollmacht des VR (Ziff. A-6.2)

AVB D&O A-6

4. Kostentragung Nach Ziff. A-6.2 Abs. 2 S. 2 führt der VR den Rechtsstreit im Namen der versicherten Personen. 75 Demgegenüber ist in A1-4.2 Abs. 2 S. 2 AHB (Stand: Mai 2020) in diesem Satz der Zusatz „auf seine Kosten“ enthalten; auch in den AVB-AVG 97 war dieser Zusatz noch vorgesehen. Indessen ist bereits durch das Leistungsversprechen in Ziff. A-6.1 lit. b klargestellt, dass der VR die Abwehr zu leisten hat. Durch die Anrechnungsregel in Ziff. A-6.4 S. 2 wird dies zusätzlich bestätigt. Der VR wird durch Ziff. A-6.2 Abs. 2 nicht bevollmächtigt, den Vertrag mit dem Anwalt 76 gem. §§ 611 ff., 675 BGB im Namen der versicherten Person zu schließen. Vielmehr wird der VR durch die Mandatierung selbst Vertragspartner des Anwalts und überdies Schuldner des Anwaltshonorars.134 Auch in Fällen, in denen der versicherten Person nach den (Unternehmens-)AVB die Auswahl des Anwalts überlassen wird (s. Rn. 79 ff.), ist der Anwaltsvertrag durch den VR zu schließen. Sehen die AVB im Einzelfall vor, dass stattdessen die versicherte Person das Mandat erteilt, wird die Auslegung regelmäßig ergeben, dass sie einen entsprechenden Freistellungsanspruch gegen den VR hat.

5. Individuelle Gestattung durch den VR Der VR kann es der versicherten Person gestatten, selbst die Anspruchsabwehr zu betreiben. 77 In solchen Fällen hat der VR die versicherte Person allerdings vorab darüber aufzuklären, dass die Gewährung von Rechtsschutz einschließlich Auswahl, Beauftragung und Bezahlung des Anwalts nach dem Versicherungsvertrag zu den Aufgaben des VR zählt (zu letzterem s. Rn. 82). Durch diese Aufklärung soll es der versicherten Person ermöglicht werden selbst darüber zu entscheiden, ob und inwiefern er auf seine vertraglichen Rechte verzichten will.135 Dieselben Regeln gelten auch für Regulierungsmaßnahmen. Ein Beispiel bietet der Fall, 78 dass eine versicherte Person einen Vergleichsabschluss plant.136

6. Unternehmens-AVB In Unternehmens-AVB wird den versicherten Personen vielfach eine gegenüber Ziff. A-6.2 Abs. 2, 79 Ziff. B3-3.2 lit. f weiter reichende Mitwirkungsmöglichkeit eingeräumt.137 Besonders groß ist sein Spielraum, wenn ihm eine freie Anwaltswahl gestattet wird. Teils soll dies nur vorbehaltlich eines Widerspruchsrechts des VR gelten.138 Eine solche Klausel ist nach ihrem erkennbaren Zweck dahin auszulegen, dass der VR ein Veto nur aus wichtigem Grund einlegen kann, nämlich wenn ihm die von der versicherten Person getroffene Wahl objektiv unzumutbar ist. Dies kommt insbes. dann in Betracht, wenn der VR mit dem von der versicherten Person vorgeschlagenen Anwalt bereits schlechte Erfahrungen gemacht hat, wenn ein Interessenkonflikt droht, der Anwalt als künftiger Regressschuldner des VR in Betracht kommt, er unzureichend qualifiziert oder erfahren für die in Rede stehende Haftungsthematik ist oder er unangemessen hohe Vergütungsforderungen stellt.139

134 135 136 137 138

Littbarski AHB § 5 Rn. 81; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 6 AHB Rn. 32, Ziff. 25 AHB Rn. 37. BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, VersR 2007 1116 Rn. 18; OLG Köln 24.3.2015 – 9 U 42/14, VersR 2016 185, 186. OLG Köln 24.3.2015 – 9 U 42/14, VersR 2016 185, 186; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.7 Rn. 1. Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 19; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 155; Praxisbeispiel: LG Bielefeld 8.1.2019 – 12 O 71/16, BeckRS 2019 19578. 139 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 158. 911

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Andere Gestaltungen sehen vor, dass der versicherten Person die Anwaltswahl in Abstimmung mit dem VR zusteht. In diesem Fall ist grds. ein Einvernehmen erforderlich. Hier wird man anders als bei einem Vetorecht vorbehaltlich bes. Umstände bereits einen sachlichen Grund genügen lassen müssen, damit der VR einen Vorschlag der versicherten Person abzulehnen berechtigt ist. Allerdings kann der VR insbes. dann gehalten sein einen solchen Vorschlag bis zur Grenze der objektiven Unzumutbarkeit zu akzeptieren, wenn die versicherten Personen ein gesteigertes Interesse an der Verteidigungsstrategie haben, etwa weil es um ihre künftige berufliche Existenz geht (s. Rn. 10, 72) oder im Hinblick auf einen unversicherten Selbstbehalt (vgl. Rn. 186 zur freiwilligen Selbstbehaltsversicherung). 81 Klauseln, die ein Abstimmungsgebot vorsehen, wird man hingegen nicht ohne Weiteres eine Befugnis der versicherten Personen entnehmen können mehrere Anwälte (wenn auch in Abstimmung mit dem VR) zu bestimmen.140 82 Wird den versicherten Personen nicht allein die Wahl des Rechtsanwalts, sondern auch die Führung eines Abwehrprozesses überlassen und beschränkt sich der VR auf eine Überwachungsfunktion, so begegnet dies im Hinblick auf die primäre Leistungspflicht des VR AGB-rechtlichen Bedenken. Der BGH hat zu den AHB zutr. festgestellt, dass der VR nicht berechtigt ist, „die mit der Abwicklung der Haftpflichtverbindlichkeiten verbundenen Mühen und Kosten auf den Versicherten abzuwälzen“.141 In einer dagegen verstoßenden Klausel liegt mithin, sofern man in § 100 VVG ein entsprechendes ges. Leitbild erblickt (s. dazu Rn. 55), eine Verletzung von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, zumindest aber eine Vertragszweckgefährdung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. In der Großrisikoversicherung sind entsprechende Klauseln hingegen nach der hier vertretenen Ansicht zur Kontrollfreiheit der AVB (s. Einf. Rn. 82 ff.) unbedenklich.

80

7. Koordinierungsverfahren in der Praxis 83 Ist der Versicherungsfall eingetreten, so schaltet der VR bei komplexeren Sachverhalten bisweilen einen Monitoring Counsel (Coverage Counsel) ein.142 Seine Aufgabe besteht darin, für den VR die Interessen der Beteiligten – insbes. mehrerer versicherter Personen mit unterschiedlichen Interessen und Anwälten – zu koordinieren. Ein solcher Counsel kann auf Grundlage der Sachverhalts- und Interessenanalyse die Abwehrstrategie konkretisieren und ggf. einen Vergleich vorbereiten.143 Im Haftpflichtprozess tritt der VR bisweilen auf Seiten der versicherten Personen als Neben84 intervenient i. S. v. §§ 66 ff. ZPO (mit eigenem Rechtsanwalt) bei (s. Einf Rn. 157). Dazu ist er gem. § 66 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf die Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidung im Haftpflichtprozess für den Deckungsprozess berechtigt.144 Auf diesem Wege kann der VR eine „Sockelverteidigung“ koordinieren und damit seine Interessen im Haftpflichtprozess wahren.145 Im Schiedsverfahren ist dem VR der Weg der Nebenintervention freilich regelmäßig aufgrund der Verfahrensregeln versperrt (s. Einf Rn. 160).

140 OLG Düsseldorf 25.2.2014 – I-4 U 232/12, BeckRS 2015 10657 Rn. 26 (abw. Verständnis des Urt. bei Prölss/ Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1). 141 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, VersR 2007 1116 Rn. 12. 142 Freund NZG 2021 579, 582. 143 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 381. 144 OLG Hamm 19.8.2019 – I-8 W 6/19, RuS 2019 698 Rn. 10 ff.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. 145 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 66; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 162; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.2 Rn. 1. Armbrüster

912

D. Begrenzung der Leistung auf die Beteiligungsquote (Ziff. A-6.3)

AVB D&O A-6

D. Begrenzung der Leistung auf die Beteiligungsquote (Ziff. A-6.3) I. Grundregeln 1. Inhalt und Zweck der Eigenschadenklausel Die in Ziff. A-6.3 enthaltene Eigenbeteiligungsklausel („Eigenschadenklausel“; Quotenrege- 85 lung) sieht vor, dass der Versicherungsschutz dann, wenn eine versicherte Person selbst an der Gesellschaft beteiligt ist, um den Teil zu kürzen ist, welcher der Quote der Gesellschaftsbeteiligung entspricht. Dies gilt für den Fall, dass der VN oder eine vom Versicherungsschutz erfasste Tochtergesellschaft Ansprüche gegen versicherte Personen geltend macht (Innenhaftung). Die Eigenbeteiligungsklausel bezweckt es zu verhindern, dass eine versicherte Person auf- 86 grund eigener Pflichtwidrigkeit eine Versicherungsleistung für die Wertminderung eigener Anteile erlangt.146 Damit soll dem Grundsatz entsprochen werden, dass sog. echte Eigenschäden in der Haftpflichtversicherung nicht versicherbar sind (s. dazu aber auch im Kontext abweichender Unternehmens-AVB Rn. 102).147 Dabei geht es insbes. darum, Manipulationen zwischen versicherten Personen und VN zu Lasten des VR entgegenzuwirken.148 Die Gefahr eines kollusiven Zusammenwirkens, um die Gesellschaft zu sanieren, dürfte in der Tat höher sein, wenn die versicherten Personen selbst an ihr beteiligt sind.149 Eine davon zu unterscheidende weitere Manipulationsgefahr liegt darin, dass eine haft- 87 pflichtige versicherte Person zwischen Pflichtverletzung und Inanspruchnahme ihre Beteiligungsquote herabsetzen könnte. Dieser Gefahr, die freilich in der Praxis eine geringe Rolle spielen dürfte,150 soll Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 3 entgegenwirken (s. Rn. 97).

2. Wirksamkeit Die Wirksamkeit der Eigenschadenklausel wird teils im Hinblick darauf in Zweifel gezogen, 88 dass der wirtschaftliche Eigenschaden nicht mit der Beteiligungsquote und mit der Deckungskürzung übereinstimmen muss. Teils wird AGB-rechtlich eine materiell unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB)151 angenommen, teils ein Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).152 Dieser Einschätzung ist – abgesehen davon, dass die §§ 305 ff. BGB nach der hier vertretenen Ansicht für Großrisiken ohnehin nicht anwendbar sind (s. Einf. Rn. 82 ff.) – nicht zu folgen.153 Die Klausel bezweckt es, Manipulationen entgegenzuwirken (s. Rn. 86). Angesichts dieses Zwecks kommt es nicht darauf an, ob der Beteiligungsumfang exakt dem wirtschaftlichen Vorteil entspricht, den die versicherte Person ohne die Eigenschadenklausel aus dem Versicherungsschutz ziehen würde.154

146 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3; Ihlas 477 f.; Olbrich 156 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.3 Rn. 1; eingehend zur Eigenschadenklausel Lange ZIP 2003 466 ff. 147 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3. 148 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 93; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 36; Lange ZIP 2003 466; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 136; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 34. 149 Lange ZIP 2003 466; Thümmel/Sparberg DB 1995 1013, 1018. 150 Ihlas 478 („sehr unwahrscheinlich“). 151 Möhrle 51 f. 152 Lange ZIP 2003 466, 468 ff.; dagegen Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 95; ders. FS Kollhosser Bd. 1 (2004) 25, 33. 153 Beckmann FS Kollhosser Bd. 1 (2004) 25, 32 f.; Bonn D&O-Versicherung und Eigenschadendeckung (2017) 6 ff.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 42 ff.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.3 Rn. 2; offenbar auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 32 ff. 154 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 24. 913

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

II. Erfasste Beteiligungen 1. Beteiligungsquote 89 Die Eigenbeteiligungsklausel stellt nicht auf eine bestimmte Mindestbeteiligung ab. Daher werden auch Kleinstbeteiligungen erfasst.

2. Mittelbare Beteiligungen 90 a) Grundregel. Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 1 stellt klar, dass neben unmittelbaren auch mittelbare Kapitalbeteiligungen erfasst werden. Darunter ist insbes. der Fall zu verstehen, dass eine versicherte Person über eine weitere Gesellschaft (z. B. eine Tochtergesellschaft) Anteile am VN besitzt.155 Auf diese Weise trägt Ziff. A-6.3 dem Umstand Rechnung, dass es bei einer wirtschaftlichen Betrachtung grds. keinen Unterschied macht, ob eine Beteiligung unmittelbar oder mittelbar gehalten wird.156 Die Gleichstellung mittelbarer mit unmittelbaren Beteiligungsformen macht es für die Pra91 xis entbehrlich, bei der Gestaltung der Konzernstruktur außer auf gesellschafts- und steuerrechtliche Rahmenbedingungen zusätzlich auf die D&O-Police Rücksicht zu nehmen. Allerdings kann die Klausel für die Berechnung der Quote Schwierigkeiten aufwerfen.157

92 b) Einzelfragen. Die Eigenschadenklausel erfasst auch stille Beteiligungen.158 Auch eine Unterbeteiligung an der Beteiligung eines anderen an der Gesellschaft ist nach dem erkennbaren Zweck von Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 1 als mittelbare Kapitalbeteiligung anzusehen.159 Bei treuhänderischen Beteiligungen ist zu differenzieren: Hält die versicherte Person als 93 Treuhänderin eine Kapitalbeteiligung in fremdnütziger (Verwaltungs-)Treuhand160 für einen Treugeber, so greift die Eigenschadenklausel insoweit nicht ein. Die wirtschaftlichen Folgen der Beteiligung treffen in diesem Fall nämlich ausschließlich den Treugeber, so dass aus Sicht der versicherten Person nicht von einem Eigenschaden gesprochen werden kann.161 Bei einer eigennützigen (Sicherungs-)Treuhand162 ist hingegen im Umfang des wirtschaftlichen Interesses des Sicherungsnehmers (versicherte Person) von einer für die Eigenschadenklausel maßgeblichen Beteiligung auszugehen.163 Lässt die versicherte Person ihre Kapitalbeteiligung als Treugeber durch einen Treuhänder verwalten, liegt eine mittelbare Kapitalbeteiligung i. S. v. Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 1 vor.164

155 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3; demgegenüber stellte Ziff. 4.2 AVB-AVG 1997 allein auf „eine Kapitalbeteiligung der versicherten Person an der Versicherungsnehmerin“ ab; vgl. dazu Möhrle 39 ff. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3. Vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 34. Möhrle 44 f.; a. A. Lange ZIP 2003 466, 467 f. A. A. Lange ZIP 2003 466, 467 f. (für eine Klausel, in der mittelbare Beteiligungen nicht ausdrücklich erwähnt sind); Möhrle 45 ff. 160 Zum Begriff s. Armbrüster Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften (2001) 38 ff. 161 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 21; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 44; Lange ZIP 2003 466, 467. 162 Armbrüster Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften (2001) 42 ff. 163 Beckmann FS Kollhosser Bd. 1 (2004) 25, 29 ff.; unerwähnt bei Lange ZIP 2003 466, 467 (vgl. dazu auch Seitz/ Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 44 m. Fn. 51). 164 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 21; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 45; a.A. Lange ZIP 2003 466, 467 (allerdings für eine Klausel, in der mittelbare Beteiligungen nicht ausdrücklich erwähnt sind).

156 157 158 159

Armbrüster

914

D. Begrenzung der Leistung auf die Beteiligungsquote (Ziff. A-6.3)

AVB D&O A-6

Optionsrechte, insbes. Aktienoptionsprogramme, werden von der Eigenschadenklausel 94 nicht erfasst.165 Derartige Optionen stellen nämlich keine Beteiligung dar, sondern berechtigen lediglich zum künftigen Beteiligungserwerb.

c) Angehörige. Für die Berechnung der Kapitalbeteiligung sind nach Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 1 auch 95 Beteiligungen von Angehörigen zu berücksichtigen. Damit sollen Umgehungen der Eigenschadenklausel verhindert werden. Der Begriff des Angehörigen wird in Ziff. A-6.3 Abs. 2 in einem weiten Sinne definiert. Die Einbeziehung von Angehörigen ist insbes. für KMU praktisch bedeutsam, da hier häufig auch Angehörige am Unternehmen beteiligt sind. Auch hier ist daher für die Zwecke von Ziff. A-6.3 eine wirtschaftliche Betrachtung geboten.166 Allerdings kann die Einbeziehung von Angehörigen bei Familienunternehmen dazu führen, dass der Versicherungsschutz weitgehend oder gar völlig entwertet wird.167 Dies stellt indessen bei der gebotenen typisierenden Betrachtung nicht die Wirksamkeit von Ziff. A-6.3 Abs. 2 in Frage; vielmehr haben VR und Vermittler darauf i. R. ihrer Pflicht zur bedarfsgerechten Beratung gem. §§ 6 Abs. 1, 61 Abs. 1 VVG hinzuweisen.

III. Maßgeblicher Zeitpunkt 1. Kapitalbeteiligung Für die Berechnung der Kapitalbeteiligung ist grds. der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der 96 Versicherungsfall eintritt (Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 2). Der Eintritt des Versicherungsfalls richtet sich nach Ziff. A-2. Es kommt mithin vorbehaltlich abweichender Unternehmens-AVB auf den Zeitpunkt an, in dem ein Anspruch gegen eine versicherte Person schriftlich erhoben wird (s. Ziff. A-2 Rn. 21). Entscheidend hierfür ist der Zugang des Schreibens bei der versicherten Person. Diese Regelung zur grds. Maßgeblichkeit des Versicherungsfalls hat klarstellenden Charakter.168 Erfolgt eine Umstandsmeldung, so ist wegen der Rückwirkungsfiktion in Ziff. A-5.4 Abs. 3 auf den Zeitpunkt ihres Eingangs beim VR abzustellen.169 Davon abweichend ist allerdings eine höhere (nicht aber: eine niedrigere) Kapitalbeteili- 97 gung maßgeblich, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung (s. Ziff. A-1 Rn. 38 ff.) bestand (Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 3). Dadurch sollen Manipulationen verhindert werden, insbes. eine Anteilsübertragung auf Dritte nach einer Pflichtverletzung im Hinblick auf eine für möglich gehaltene Inanspruchnahme.170 Besteht die Pflichtverletzung in einem Unterlassen, so kommt es in Betracht auf die höchs- 98 te Beteiligungsquote während dieses Dauerverstoßes abzustellen. Indessen erscheint dies willkürlich. Der Zweck der Eigenbeteiligungsklausel, Manipulationen zu verhindern, legt es näher für die Ermittlung der maßgeblichen Beteiligung den letzten Zeitpunkt heranzuziehen, zu dem der Schadenseintritt noch hätte verhindert werden können.171

165 166 167 168

Lange ZIP 2003 466, 468; Möhrle 47. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 40 a. E. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3; zur insoweit offenen Fassung der AVB-AVG 97 vgl. Lange ZIP 2003 466, 468 ff.; R. Koch GmbHR 2004 18, 20 Fn. 16. 169 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.3 Rn. 2. 170 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 41. 171 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.3 Rn. 2. 915

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

2. Angehörigeneigenschaft 99 Der für die Angehörigeneigenschaft maßgebliche Zeitpunkt ist in den AVB nicht ausdrücklich geregelt. Hier wird man eine gewisse Parallele zu den Regelungen über den für die Kapitalbeteiligung maßgeblichen Zeitpunkten ziehen können: Grds. ist hier wie dort der Eintritt des Versicherungsfalls entscheidend, was bereits aus allg. Regeln folgt.172 Ist allerdings die Angehörigeneigenschaft zwischen Pflichtverletzung und Eintritt des Versicherungsfalls verändert worden, um einer Berücksichtigung von Beteiligungen zu entgehen, steht dem VR u. U. die Einrede rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) zu, wenn eine versicherte Person sich auf den bei Eintritt des Versicherungsfalls fehlenden Angehörigenstatus beruft.

IV. Rechtsfolge 100 Nach Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 1 umfasst der Versicherungsschutz nicht den Teil des Schadensersatzanspruchs, welcher der Quote der Kapitalbeteiligung entspricht. Aus dem Wortlaut („der Versicherungsschutz“) geht nicht ausdrücklich hervor, ob es dabei nur um den Freistellungs- oder auch um den Abwehranspruch geht. Man wird hier auch jenseits des Anwendungsbereichs der Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB; s. dazu Einf. Rn. 69) davon auszugehen haben, dass allein der Freistellungsanspruch sich quotal reduziert, nicht hingegen der Abwehranspruch.173

V. Unternehmens-AVB 101 In Unternehmens-AVB ist eine Vielzahl unterschiedlicher Ausgestaltungen der Eigenschadenklausel anzutreffen. Bisweilen wird eine quotale Reduktion des Versicherungsschutzes erst ab einem bestimmten Schwellenwert der Beteiligung von etwa über 25 oder 50 % vorgesehen. Kapitalbeteiligungen von Angehörigen werden abweichend von Ziff. A-6.3 Abs. 1 S. 1 oft nicht einbezogen. Ist keine Regelung zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. Rn. 96 ff.) getroffen, so ist die Klausel nicht etwa unwirksam; vielmehr ist nach allg. versicherungsrechtlichen Grundsätzen der Eintritt des Versicherungsfalls maßgeblich.174 102 Zahlreiche AVB verzichten mittlerweile zumindest bei KMU175 oder generell auf eine Eigenschadenklausel.176 Teils wird davon ausgegangen, dass das Risiko insoweit nicht versicherbar ist. Es handele sich nämlich um ein „klassisches Insichgeschäft, das schon allein wegen des möglichen Manipulationsrisikos nicht versicherbar sein“177 könne. Zudem handele es sich um eine Eigenschadenversicherung, die dem Leitbild der Haftpflichtversicherung nicht entspreche und auch deshalb nicht versicherbar sei.178 Dagegen ist einzuwenden, dass aufgrund des gesellschaftsrechtlichen Trennungsgrundsatzes179 der VN als juristische Person von den versicherten Personen zu trennen ist.180 Es handelt sich daher rechtlich weder um einen „echten Eigenscha-

172 Beckmann FS Kollhosser Bd. 1 (2004) 25, 32; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 7 AHB Rn. 112; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 7 AHB Rn. 33. 173 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.3 Rn. 1; Olbrich 167; unerörtert bei Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 93 ff. 174 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 137; für Unwirksamkeit hingegen Lange ZIP 2003 466, 468 f. 175 Ihlas 478. 176 Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 33. 177 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3; so auch Ihlas 477 f. 178 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.3. 179 Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht 4. Aufl. (2002) 217 ff.; BGH 10.12.2007 – II ZR 239/05, NZG 2008 670 Rn. 14 ff. („Kolpingwerk“); 28.4.2008 – II ZR 264/06, VersR 2008 1403 Rn. 21; vernachlässigt bei Möhrle 39. 180 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 23. Armbrüster

916

E. Versicherungssumme; Höchstersatzleistung (Ziff. A-6.4)

AVB D&O A-6

den“181 noch um ein Insichgeschäft i. S. v. § 181 BGB. Vielmehr geht es allein darum, dass die Schadensersatzleistung des VR an den VN wirtschaftlich der versicherten Person infolge ihrer Kapitalbeteiligung zugutekommt, wenn auch nicht ohne Weiteres im Umfang der Beteiligungsquote.182 Bei der Eigenschadenklausel geht es mithin darum, keinen wirtschaftlichen Anreiz für Ma- 103 nipulationen zu schaffen.183 Solche Manipulationen können insbes. darin bestehen, dass eine versicherte Person riskante Geschäfte eingeht und dann, wenn sie sich als verlustträchtig erweisen, in kollusivem Zusammenwirken mit dem VN eine Innenhaftung konstruiert (s. Rn. 86; Einf Rn. 11). Damit würden letztlich Verluste aus dem Geschäftsbetrieb des VN auf den VR abgewälzt, was den am VN beteiligten versicherten Personen wirtschaftlich zugutekäme. Zwar ist das unternehmerische Risiko nach zutr. h. M. nicht versicherbar, da anderenfalls dem Unternehmensleiter der Anreiz zur eigenen Anstrengung genommen würde.184 Dabei handelt es sich freilich nicht um eine rechtliche, sondern lediglich um eine ordnungspolitische Schranke der Versicherbarkeit. Der BGH hat im Zusammenhang mit der Versicherbarkeit des Unternehmerrisikos zutr. betont, dass es den Beteiligten weitgehend freisteht Inhalt und Umfang des versicherten Risikos zu bestimmen.185 Hinzu kommt, dass die D&O-Versicherung als atypische Haftpflichtversicherung ohnehin Elemente einer Aktivenversicherung aufweist.186 Angesichts der in Rn. 103 aufgeführten Aspekte ist der sog. „echte Eigenschaden“ mithin 104 grds. versicherbar. Manipulationsgefahren bestehen auch ohne wirtschaftliche Beteiligung der versicherten Person am VN. Ihnen ist durch eine konsequente Anwendung der Risikoausschlüsse (s. insbes. Ziff. A-7.1) sowie der allg. Regeln zum kollusiven Zusammenwirken187 zu begegnen.

E. Versicherungssumme; Höchstersatzleistung (Ziff. A-6.4) I. Überblick Ziff. A-6.4 regelt den betragsmäßigen Umfang des Versicherungsschutzes. Dabei geht es zum 105 einen (in S. 1) um die Versicherungssumme als Obergrenze, zum anderen (in S. 2) um die Anrechnung von Kosten auf die Versicherungssumme. Die Leistungspflicht des VR reicht bis zur vereinbarten Versicherungssumme, und zwar sowohl für jeden einzelnen Versicherungsfall (s. Rn. 106) als auch für alle in einer Versicherungsperiode eingetretenen Versicherungsfälle zusammen (Jahresmaximierung; s. Rn. 110). Die in S. 2 enthaltene Kostenanrechnungsklausel führt dazu, dass sich die für die Freistellung verfügbare Versicherungssumme durch die vom VR aufgewandten Abwehrkosten reduziert (s. Rn. 115). – Zu Ziff. A-6.5, wonach ein Selbstbehalt von den Abwehrkosten nicht abzuziehen ist, s. Rn. 138 ff.

181 Vgl. z. B. BGH 23.3.1995 – III ZR 80/93, NJW-RR 1995 864 f.; LG Oldenburg 23.7.1996- 9 S 496/96, VersR 1997 869 f. (jeweils zum GmbH-Alleingesellschafter).

182 Beckmann FS Kollhosser Bd. 1 (2004) 25, 33; vgl. insoweit Lange ZIP 2003 466, 469; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 36. 183 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 95; Beckmann FS Kollhosser Bd. 1 (2004) 25, 33; Lange ZIP 2003 466 ff. 184 Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 455; Wandt Rn. 695; eingehend Littbarski Zur Versicherbarkeit des „Unternehmerrisikos“ (1980). 185 BGH 3.3.1966 – II ZR 244/63, NJW 1966 1073, 1074. 186 Baumann VersR 2006 455, 457 f.; s. auch Begr. des BT-Rechtsausschusses zu § 93 II 3 AktG, BTDrucks. 16/ 13433 S. 11. 187 S. dazu MüKo-BGB/Armbrüster9 § 138 Rn. 96. 917

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

II. Versicherungssumme pro Versicherungsfall (S. 1 Halbs. 1) 106 Die Versicherungssumme als für jeden Versicherungsfall verfügbarer Höchstbetrag wird individuell vereinbart. Sie ist regelmäßig in der Police (Versicherungsschein) aufgeführt. Es handelt sich um die Bestimmung der primären Hauptleistungspflicht des VR. Als solche unterliegt die – außerhalb der AVB D&O zu treffende – Vereinbarung über die Versicherungssumme nicht der materiell-rechtlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB,188 sondern – sofern AGBRecht überhaupt anwendbar ist (s. Einf Rn. 82 ff.) – allein einer Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 3 S. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 2 BGB. Die Bestimmung der Versicherungssumme hängt in der Praxis von vielerlei Faktoren 107 ab.189 Eine gewisse Orientierung bieten Bilanzsumme und Eigenkapitalquote des VN.190 Allerdings spielt auch die jeweilige Marktlage eine wichtige Rolle; so verringert sich in einem zunehmend harten Markt die Bereitschaft der VR, höhere Deckungssummen zu zeichnen. Bisweilen kommt es vor, dass der VN während einer laufenden Versicherungsperiode 108 eine Erhöhung der Versicherungssumme erreichen möchte. In solchen Fällen verlangt der VR in der Praxis regelmäßig – ebenso wie bei einer Rückwärtsdeckung (s. Ziff. A-5 Rn. 13) – vom VN und den versicherten Personen die Erklärung, dass keine Verstöße bekannt sind, die geeignet wären, einen die bisherige Versicherungssumme übersteigenden Schaden herbeizuführen. Dadurch soll verhindert werden, dass der VN mit Blick auf einen für ihn schon absehbaren Schadensfall und damit gleichsam „aus gegebenem Anlass“ die Versicherungssumme erhöht wird.191 Innerhalb der Versicherungssumme können Sublimits für bestimmte Risiken vereinbart 109 werden (s. Einf Rn. 136). Dabei handelt es sich um spezielle Beschränkungen der Deckungssumme, wobei die Versicherungssumme als Höchstgrenze für alle Risiken insgesamt maßgeblich bleibt. Davon zu unterscheiden ist eine Erweiterung des Versicherungsschutzes. Sie ist dadurch möglich, dass der VR zusätzlich zur Versicherungssumme weitere Deckungsbeträge für bestimmte Einzelrisiken, z. B. für Kosten, verfügbar macht. Zu weiteren Gestaltungen im Hinblick auf die Versicherungssumme s. Einf. Rn. 137 ff.

III. Jahresmaximierung (S. 1 Halbs. 2) 110 Die vereinbarte Versicherungssumme (s. Rn. 106 ff.) markiert nicht nur den Höchstbetrag pro Versicherungsfall, sondern auch denjenigen für alle während einer Versicherungsperiode (zum Begriff s. Ziff. B1-2.2) eingetretenen Versicherungsfälle zusammen (sog. einfache Jahresmaximierung). Diese Regelung führt dazu, dass der Versicherungsschutz dann, wenn innerhalb einer Versicherungsperiode mehrere Versicherungsfälle eintreten, in gewissem Umfang beschränkt wird. Dies ist allerdings nicht deshalb der Fall, weil eine D&O-Police regelmäßig für eine Vielzahl 111 von versicherten Personen gilt.192 Die Serienschadenklausel in Ziff. A-6.6 führt nämlich dazu, dass bei einer einheitlichen oder mehreren zusammenhängenden Pflichtverletzungen die Inanspruchnahme mehrerer Personen als ein einziger Versicherungsfall gelten. Freilich wird versicherten Personen, gegen die Ansprüche wegen einer Pflichtverletzung geltend gemacht werden, nicht selten während derselben Versicherungsperiode auch noch ein weiterer Pflichtverstoß vorgehalten werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die erste Pflichtverletzung nicht auf einem einmaligen Versagen, sondern auf einem generell unzureichenden Sorgfaltsstandard beruht. 188 189 190 191 192

Dallwig Deckungsbegrenzungen 74; Graf v. Westphalen/Präve AVB (Stand: April 2018) Rn. 16. S. dazu Jula 87 f. Ihlas 429 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 508. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.4 S. 1; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 48. Darauf abstellend Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 28.

Armbrüster

918

E. Versicherungssumme; Höchstersatzleistung (Ziff. A-6.4)

AVB D&O A-6

Die Maßgeblichkeit des Claims-made-Prinzips führt dazu, dass der Zeitpunkt, zu dem der 112 Versicherungsfall eingetreten ist, regelmäßig klar festgestellt und damit einer bestimmten Versicherungsperiode zugeordnet werden kann. Sofern mehrere Inanspruchnahmen durch die Serienschadenklausel zu einem einheitlichen Versicherungsfall zusammengezogen werden, sieht Ziff. A-6.6 Abs. 2 vor, dass der Zeitpunkt der ersten Geltendmachung eines Anspruchs maßgeblich ist. Auch insofern ergeben sich daher für die Anwendung der Jahresmaximierung i. d. R. keine Zuordnungsprobleme. Ist in einer bestimmten Versicherungsperiode eine Umstandsmeldung vorgenommen wor- 113 den, so führt die Rückwirkungsfiktion in Ziff. A-5.4 Abs. 3 dazu, dass die für den Versicherungsfall maßgebliche Inanspruchnahme bereits als zum Zeitpunkt der Umstandsmeldung und mithin in dieser Versicherungsperiode erfolgt (s. Ziff. A-5 Rn. 98 ff.).193 Die Wirksamkeit der Jahresmaximierung wird kontrovers diskutiert. Sofern AGB-Recht an- 114 wendbar ist (s. dazu Einf. Rn. 82 ff.), handelt es sich bei S. 1 Halbs. 2 jedenfalls um eine gem. § 307 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 BGB kontrollfähige Klausel, da sie das in S. 1 Halbs 1 zum Ausdruck kommende Hauptleistungsversprechen des VR (Versicherungssumme als Obergrenze für jeden Versicherungsfall) modifiziert.194 Indessen begründet die Jahresmaximierung nicht die Gefahr, dass der Versicherungsschutz i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 BGB ausgehöhlt wird. Dafür wäre es erforderlich, dass der Versicherungsvertrag im Hinblick auf das versicherte Risiko zwecklos wird.195 Davon kann hier keine Rede sein. Der VR oder ein vom VN eingeschalteter Makler hat über die mit der Jahresmaximierung verbundene Einschränkung freilich zu beraten (§ 6 Abs. 1 bzw. § 61 Abs. 1 VVG).196

IV. Kostenanrechnungsklausel (S. 2) 1. Inhalt Nach S. 2 werden die vom VR aufgewendeten Abwehrkosten auf die Versicherungssumme ange- 115 rechnet. Diese sog. Kostenanrechnungsklausel ist sehr weit gefasst, was durch das Wort „insbesondere“ bei der Aufzählung bes. wichtiger Kosten zum Ausdruck kommt. Mithin werden umfassend jegliche Abwehrkosten erfasst, neben den in S. 2 aufgezählten Kosten etwa auch Reisekosten und Schadensermittlungskosten (als Erscheinungsform von Sachverständigenkosten; s. auch Rn. 137),197 sofern sie der Anspruchsabwehr dienen. Erforderlich ist stets, dass es sich um Auslagen des VR für Leistungen Dritter (Rechtsanwälte, Sachverständige usw.) und nicht um eigene Aufwendungen des VR handelt.198 Aufwendungen des VR für Leistungen Dritter zur Schadensabwendung und -minderung fallen ungeachtet der weiten Fassung nicht unter Abwehrkosten i. S. v. S. 2,199 da sie nicht der Abwehr des geltend gemachten Anspruchs dienen, sondern dessen Entstehung bzw. Höhe betreffen. Dies lässt sich auch auf eine – zugunsten des VN nach der hier vertretenen, freilich vom BGH nicht geteilten Ansicht zulässige –200 historische Auslegung stützen. Die Einbeziehung von Schadensabwendungs- und -minderungskosten in Ziff. 4.4 AVB-AVG 2011, gegen die im Hinblick auf § 83 Abs. 3 VVG AGB-rechtliche Bedenken erhoben worden waren,201 ist nämlich bereits in Ziff. 4.3 Abs. 1 S. 2 AVB-AVG 2013 193 194 195 196 197 198 199 200 201 919

Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.4 Rn. 1. Dallwig Deckungsbegrenzungen 75. St. Rspr.; s. etwa BGH 20.7.2011 – IV ZR 180/10, VersR 2011 1173 Rn. 35. So allg. Prölss/Martin/Lücke Ziff. 6 AHB Rn. 8; Dallwig Deckungsbegrenzungen 76. Zu ihnen näher Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 78. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 70. A. A. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 77. Prölss/Martin/Armbrüster VVG Einl. Rn. 260. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 31. Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

gestrichen worden. Zumindest in Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB gelangt man (außerhalb des Großrisikobereichs; s. Einf Rn. 82 ff.) zum selben Ergebnis. Die ausdrückliche Erwähnung von Tochtergesellschaften in S. 2 hat lediglich klarstellende Funktion.202

2. Wirksamkeit 116 a) Meinungsstand. Da die Abwehr regelmäßig vor der Freistellung erfolgt, führt die Kostenanrechnung dazu, dass der für die Freistellung innerhalb derselben Versicherungsperiode verfügbare Betrag umso niedriger ausfällt, je höher die Abwehrkosten sind. Über die Frage, ob die in S. 2 vorgesehene Kostenanrechnung wirksam ist, besteht lebhafter Streit. Er rührt daher, dass die Klausel vom dispositiven Gesetzesrecht abweicht. Nach § 101 Abs. 2 S. 1 VVG gilt grds. das Gegenteil, nämlich dass der VR die Kosten auch insoweit zu ersetzen hat, als sie die Versicherungssumme übersteigen. Diese Vorgabe ist allerdings nicht (halb-)zwingend; in § 112 VVG wird sie nicht aufgeführt. Allerdings wird die Klausel – außer hinsichtlich Auslandsrisiken –203 in einem (freilich sehr knapp begründeten) Urteil des OLG Frankfurt/M.204 und verbreitet auch in der Lit. für mit § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unvereinbar gehalten, da sie dem Leitbild des § 101 Abs. 2 S. 1 VVG widerspreche.205 Dabei wird teils darauf abgehoben, dass nach S. 2 auch Abwehrkosten, die aufgrund einer Weisung des VR entstanden sind, anzurechnen sind.206 Zudem würden die versicherten Personen über den Verbrauch der Versicherungssumme im Ungewissen gelassen, und das Kostenrisiko des VR werde auf die versicherten Personen verlagert. Die Gegenansicht207 hält die Kostenanrechnungsklausel für wirksam. Eine differenzierende Meinung208 will sie zwar insgesamt verwerfen, weil sie außer der erfolglosen auch die erfolgreiche Abwehr umfasst, ihren Inhalt aber im Wege ergänzender Auslegung insoweit aufrechterhalten, als die Kosten einer erfolglosen Abwehr auf die Versicherungssumme anzurechnen sind.

117 b) Stellungnahme. Die in Rn. 116 genannte Gegenansicht verdient den Vorzug. Zwar spricht nicht allein der Umstand, dass es sich bei § 101 Abs. 2 S. 1 VGG um dispositives Recht handelt, gegen eine Leitbildkontrolle.209 Vielmehr kann diese überhaupt nur in solchen Fällen zum Zuge kommen, da sich anderenfalls bereits aus dem (zumindest halb-)zwingenden objektiven Recht die Unwirksamkeit abweichender Gestaltungen ergibt. Gegen eine unangemessene Benachteili202 203 204 205

GDV-Erl. zu Ziff. A-6.4 S. 2. S. dazu Bruck/Möller/R. Koch § 101 VVG Rn. 72; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 28. OLG Frankfurt/M. 9.6.2011 – 7 U 127/09, VersR 2012 432, 434. Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 33; Repgen Die Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln in der D&O-Versicherung (2017); Schimikowski VersR 2005 861, 864 ff. (zu § 150 Abs. 2 VVG a. F.); HK VVG/Schimikowski § 101 Rn. 4; Säcker VersR 2005 10, 14 f.; Terno RuS 2013 577, 578 ff.; monographisch D. Repgen Die Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln in der D&O-Versicherung (2017) 17 ff., 87 f. Vgl. auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 32 (für Pflicht zur Zahlung „zumindest“ der üblichen Gebühren nach dem RVG). Zurückhaltender Prölss/Martin/ Voit Ziff. A-6.4 Rn. 2 (Unwirksamkeit „zweifelhaft“). 206 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.4 Rn. 2. 207 Armbrüster FS 100 Jahre Hamburger Seminar (2016) 313, 327 f.; ders. NJW 2016 897, 898; Fiedler PHi 2013 94 ff.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 61; Ihlas 434; Lange § 15 Rn. 21 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 377, 515 ff.; Bruck/Möller/R. Koch § 101 VVG Rn. 80 ff.; R. Koch VersR 2016 1405, 1406 ff.; Langheid/Rixecker/ Langheid § 102 VVG Rn. 33; Langheid GS U. Hübner (2012) 137, 144 f.; v. Bühren/Lenz § 26 Rn. 92 ff.; Langheid/MüllerFrank NJW 2012 2324, 2325; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 140; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 29. S. auch Werber VersR 2014 1159, 1163 ff. (für Wirksamkeit bei Vereinbarung von Sublimit oder gesonderter Versicherungssumme für Abwehrkosten). 208 Dickstein Die Kostenanrechnungsklausel in der D&O-Versicherung (2020) 23 ff., 147 f. 209 Insoweit offenbar a. A. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 521. Armbrüster

920

E. Versicherungssumme; Höchstersatzleistung (Ziff. A-6.4)

AVB D&O A-6

gung spricht aber, dass Abwehr- und Freistellungskosten Ausprägungen eines einheitlichen Deckungsanspruchs sind (s. Rn. 3). Daher kann von einer unbilligen Risikoverlagerung auf die versicherten Personen keine Rede sein, wenn der VR für den Deckungsschutz eine einheitliche Obergrenze in Gestalt der Versicherungssumme vorsieht. Die Abwehrkosten können in der D&OVersicherung einen beträchtlichen Umfang annehmen. Dies gilt nicht zuletzt angesichts der oft großen Zahl versicherter Personen210 und der üblichen Abrechnung von Anwaltshonoraren nach erheblich über dem RVG-Gebühren liegenden Stundensätzen.211 Die vom VR versprochene Kostenübernahme fällt daher wesentlich stärker ins Gewicht als bei anderen Haftpflichtversicherungen.212 Der VR hat mithin ein berechtigtes Interesse daran den Umfang seiner Leistungspflicht kal- 118 kulierbar halten zu können. Zudem hat die Kostenanrechnung einen unmittelbaren Bezug zur Hauptleistungspflicht des VR, und sie ist nicht nur branchenüblich, sondern (weltweit) Standard.213 Zwar reichen diese Aspekte jeweils für sich genommen nicht aus, um eine unangemessene Benachteiligung entfallen zu lassen. Die auch i. R.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB gebotene Gesamtwürdigung fällt allerdings zugunsten der Wirksamkeit aus. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um ein Großrisiko i. S. v. § 210 Abs. 2 VVG handelt (s. dazu Einf. Rn. 82 ff.).214 Für eine Differenzierung je nachdem, ob die Abwehr erfolgreich war oder nicht (vgl. Rn. 116), besteht schon deshalb kein Raum, weil in § 101 Abs. 2 S. 1 VGG als der für eine Leitbildkontrolle maßgeblichen Vorschrift keine entsprechende Unterscheidung angelegt ist. Hinzu kommt, dass es für das berechtigte Interesse des VR an Kalkulationssicherheit keinen Unterschied macht, ob eine Anspruchsabwehr erfolgreich war, sofern die dafür entstandenen Kosten gleichwohl die vereinbarte Obergrenze in Gestalt der Versicherungssumme überschreitet. Dem Interesse von VN und versicherten Personen an Transparenz wird dadurch zusätzlich 119 Rechnung getragen, dass den AVB ein Hinweis vorangestellt ist, der ausdrücklich die Kostenanrechnung nach Ziff. A-6.4 erwähnt.215 Dieser Hinweis fand sich erstmals in den AVB-AVG 2013; er dürfte durch das in Rn. 116 erwähnte Urteil des OLG Frankfurt/M. motiviert worden sein.216

V. Zinsen Ziff. A-6.4 enthält keine Regelung hinsichtlich der Frage, ob (Verzugs-)Zinsen auf die Versiche- 120 rungssumme anzurechnen sind. Auch im Übrigen werden Zinsen in den AVB D&O nur selten angesprochen (s. Ziff. A-6.7 sowie Ziff. B1-4.3 Abs. 2, Ziff. B1-4.4). Soweit Regelungen fehlen, gilt daher objektives Recht. Hinsichtlich der Kostenanrechnung greift § 101 Abs. 2 S. 2 VVG ein. Nach dieser Vorschrift sind Zinsen anzurechnen, die der VN (hier: die versicherte Person) dem Dritten infolge einer vom VR veranlassten Verzögerung schuldet.

VI. Sicherheitsleistung und Hinterlegung Wird eine versicherte Person in einem Haftpflichtprozess verurteilt und wird es ihr in dem (nicht 121 rechtskräftigen) Urteil zugleich ermöglicht, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, so stellt sich die Frage, inwieweit dies eine Leistungspflicht des VR 210 Bruck/Möller/R. Koch § 101 VVG Rn. 93a. E.; gegen dieses Argument unter Hinweis auf die – indessen nicht identische – Lage bei der Betriebshaftpflichtversicherung Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 32. 211 Vgl. MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 141 f.; s. ferner Fuhlrott/Oltmanns NZA 2020 1583, 1588. 212 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.4 S. 2; Ihlas 434 f.; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 29. 213 Letzteres betont Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 517 („einheitlich ausnahmslos geltendes Prinzip“). 214 Armbrüster FS 100 Jahre Hamburger Seminar (2016) 313, 326. 215 GDV-Erl. zum Hinweis. 216 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 90. 921

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

auslöst. Die AVB D&O regeln dies nicht. Daher greifen insoweit ebenso wie hinsichtlich der Zinsen (s. Rn. 120) die objektiv-rechtlichen Regeln ein, hier insbes. § 101 Abs. 3 VVG. Der VR ist demnach grds. nur bis zum Betrag der Versicherungssumme verpflichtet, die Sicherheitsleistung oder Hinterlegung zu bewirken. 122 Freilich kommt ein Mehrbetrag, zu dessen Zahlung der VR nach § 101 Abs. 2 VVG verpflichtet ist, hinzu (§ 101 Abs. 3 S. 2 VVG). Hierbei ist wiederum zu beachten, dass § 101 Abs. 2 S. 1 VVG durch die Kostenanrechnungsklausel in Ziff. A-6.4 S. 2 abbedungen wird, was nach der hier vertretenen Ansicht zulässig ist (s. Rn. 117 f.). Mithin bleibt als möglicher Mehrbetrag i. S. v. § 101 Abs. 3 S. 2 VVG allein der Zinsanspruch nach § 101 Abs. 2 S. 2 VVG (s. dazu Rn. 120). Der VR kann eine Pflicht zur Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, indem er den Anspruch des Dritten gegen die versicherte Person anerkennt (§ 101 Abs. 3 S. 3 VVG).

VII. Verteilung unzureichender Versicherungssummen 1. Überblick 123 Eine praktisch höchst bedeutsame und umstrittene Frage ist, nach welchen Regeln eine unzureichende Versicherungssumme auf die Deckungsansprüche mehrerer versicherter Personen bei der Innenhaftung gegenüber dem VN zu verteilen ist. Diese Thematik wird in Ziff. A-6.4 (wie auch sonst in den AVB D&O) nicht geregelt. In der Praxis kann es aus verschiedenen Gründen dazu kommen, dass die Freistellungsansprüche mehrerer versicherter Personen die für diesen Versicherungsfall bzw. die betreffende Versicherungsperiode verfügbare Versicherungssumme übersteigen. 124 Typischerweise betrifft ein Haftungsfall nicht allein eine einzelne versicherte Person, sondern alle Mitglieder des Leitungsorgans, z. B. alle Vorstandsmitglieder einer AG. Zudem werden außer den geschäftsführenden Personen häufig auch – gleichzeitig oder später – die Mitglieder von Aufsichtsorganen in Anspruch genommen. Damit vergrößert sich die Anzahl der geltend gemachten Ansprüche erheblich. Auch wenn letztlich alle in Anspruch genommenen versicherten Personen gesamtschuldnerisch haften, führt allein die hohe Anzahl der Inanspruchnahmen zu erheblichen Abwehrkosten. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil versicherte Personen vielfach eine individuelle Abwehr durch allein für sie mandatierte Anwälte fordern. Zugleich ist die verfügbare Versicherungssumme in solchen Fällen aufgrund der Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6) begrenzt. Die Kostenanrechnungsklausel (Ziff. A-6.4 S. 2) führt zu einer weiteren Begrenzung. 125 Die Interessenlage der Beteiligten ist unterschiedlich.217 Eine versicherte Person ist naturgemäß an einem möglichst weit reichenden Schutz interessiert, und dies oft insbes. im Hinblick auf eine effektive Abwehr des Anspruchs. Demgegenüber wird die Gesellschaft als VN in aller Regel daran interessiert sein, dass der 126 VR Freistellung und nicht Abwehr leistet (zum insoweit grds. bestehenden Wahlrecht des VR s. allerdings Rn. 6 ff.). Zudem wird der VN bei unterschiedlicher Liquidität der versicherten Personen – vorbehaltlich einer Absicht zur Rücksichtnahme – erreichen wollen, dass die verfügbare Versicherungssumme vorrangig auf die Ansprüche gegen die am wenigsten zahlungskräftigen versicherten Personen angerechnet wird. Deckt eine Konzernpolice die Innenhaftung gegenüber verschiedenen Konzerngesellschaften, so ist jede dieser Gesellschaften an einer Leistung des VR auf die von ihr erhobenen Ansprüche interessiert. Die genannten Interessen treten besonders deutlich hervor, wenn bei Insolvenz des VN oder einer Tochtergesellschaft ein Insolvenzverwalter

217 S. bereits Armbrüster VersR 2014 1, 2. Armbrüster

922

E. Versicherungssumme; Höchstersatzleistung (Ziff. A-6.4)

AVB D&O A-6

die Interessen der Gesellschaftsgläubiger wahrnimmt; in dieser Situation spielt nämlich typischerweise die Rücksichtnahme auf die Belange versicherter Personen keine Rolle.218 Für den VR ist es insofern nicht entscheidend, welches Verteilungsverfahren anwendbar 127 sein soll, als er durch die Versicherungssumme als Obergrenze seiner Leistungspflicht (s. Ziff. A-6.4 S. 1, 2) grds. vor einer übermäßigen Inanspruchnahme geschützt ist. Allerdings hat er ein Interesse daran Gewissheit über ein rechtlich unangreifbares Verteilungsverfahren zu erlangen. Bereits für die Regulierung muss er wissen, welcher versicherten Person gegenüber er in welchem Umfang Abwehr oder Freistellung schuldet. Auch für einen etwaigen Regress gegen Dritte kommt es darauf an, auf welchen Freistellungsanspruch eine bestimmte Zahlung an den VN erfolgt. Nicht zuletzt ist das Verteilungsverfahren auch bedeutsam, falls sich nach der Leistung des VR herausstellt, dass er gegenüber einer bestimmten Person gar nicht leistungspflichtig ist, so dass eine bereicherungsrechtliche Rückforderung in Rede steht.

2. Meinungsstand Das Gesetz enthält für das in solchen Fällen vorzunehmende Verteilungsverfahren keine aus- 128 drücklichen Regelungen.219 § 109 S. 1 VVG sieht lediglich vor, dass der VR dann, wenn der VN gegenüber mehreren Geschädigten haftet, diese Ansprüche im Verhältnis der geschuldeten Beträge zu erfüllen hat (Proportionalitätsprinzip). Hier geht es hingegen darum, dass die vom VN oder einem sonstigen Geschädigten geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu Freistellungsansprüchen mehrerer versicherter Personen gegen den VR führen. Für diesen Fall kommt keine unmittelbare, sondern von vornherein allein eine analoge Anwendung von § 109 S. 1 VVG in Betracht. Sie wird im Schrifttum teils befürwortet.220 Zum selben Ergebnis, wenn auch auf methodisch abweichendem Weg, gelangt die Ansicht, wonach der Inhalt von § 109 VVG im Wege ergänzender Vertragsauslegung in den Versicherungsvertrag hineinzulesen ist.221 Diese Auffassung wird teils modifiziert durch den Vorschlag, vorrangig die Kosten zu decken.222 Eine weitere Lösung könnte im zeitlichen Prioritätsprinzip liegen.223 Demnach kommt es darauf an, in welcher zeitlichen Reihenfolge die den Versicherungsfall darstellende Anspruchserhebung durch geschädigte Dritte erfolgt. Zu erwägen ist es zudem die Regeln zur Gläubigermehrheit (§§ 420 ff. BGB) heranzuziehen.224

3. Stellungnahme Gegen die Anwendung des Proportionalitätsprinzips spricht, dass § 109 S. 1 VVG an der sozia- 129 len Funktion der Haftpflichtversicherung orientiert ist. Die Vorschrift soll im Interesse des sozialen Opferschutzes allen Geschädigten im Verhältnis ihrer Ansprüche anteilige Befriedigung sichern. Bei der hier interessierenden Frage steht hingegen nicht dieser Gesichtspunkt in Rede. Im

218 Vgl. Gädtke VP 02/2015 26, 30 („Rundumschlag gegen [ehemalige] Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder“). 219 Überblicke zum Diskussionsstand bei Armbrüster VersR 2014 1; Grooterhorst/Looman RuS 2014 157; R. Koch VersR 2016 1469; Lange VersR 2014 1413.

220 Hemeling FS Hoffmann-Becking (2013) 491, 501 f.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 34; R. Koch ZVersWiss 2012 151, 166 f. (Analogie sei „in Betracht zu ziehen“); Bruck/Möller/R. Koch § 109 Rn. 69 („durchaus in Betracht zu ziehen“). 221 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 29; R. Koch VersR 2016 1469, 1475; s. auch Bruck/Möller/R. Koch § 109 Rn. 70; R. Koch ZVersWiss 2012 151, 166 f. (für ergänzende Vertragsauslegung, falls Analogie abgelehnt werde). 222 Grooterhorst/Looman RuS 2014 157, 160 ff. 223 Vgl. dazu Armbrüster VersR 2014 1, 5 f.; Lange VersR 2014 1413, 1416 ff. 224 Vgl. Armbrüster VersR 2014 1, 3 ff. 923

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Gegenteil geht es nicht um die Verteilung der Versicherungssumme auf mehrere Geschädigte,225 sondern auf mehrere Schädiger. 130 Hinzu kommt, dass im Fall des § 109 S. 1 VVG der Geschädigte keinerlei Einfluss auf die Höhe der vom Haftpflichtigen vereinbarten Versicherungssumme hat, während die versicherten Personen sich bei der D&O-Versicherung einen bestimmten Schutzumfang ausbedingen können (s. Einf Rn. 49 zu sog. Verschaffungsklauseln im Anstellungsvertrag). Auch die verschiedenartigen Regeln zur Gläubigermehrheit nach §§ 420 ff. BGB (Teilgläubigerschaft, Mitgläubigerschaft, Gläubigerkonkurrenz) bieten für die hier interessierende Verteilungsfrage keine geeignete Lösung.226 Das zeitliche Prioritätsprinzip hilft in solchen Fällen nicht weiter, in denen die Verteilung 131 sich auf ein und denselben Versicherungsfall (sei es auch unter Anwendung der Serienschadenklausel in Ziff. A-6.6) bezieht. Bei mehreren Versicherungsfällen bietet dieses Prinzip hingegen ein angemessenes und auch in anderen Situationen praktiziertes Kriterium für die Verteilung. Geht es hingegen um einen einzigen Versicherungsfall, so richtet sich die Verteilung im 132 Zweifel nach dem Kopfprinzip.227 Dies folgt aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Es entspricht nämlich dem mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien, der auf Seiten des VN auch durch die Interessen der versicherten Personen geprägt wird, dass nicht derjenige zu Lasten der anderen am meisten von der Versicherungssumme profitiert, der den größten Schaden zu verantworten hat.228 Bestätigt wird die Interessengerechtigkeit des Kopfprinzips durch folgende Kontrollüberlegung: Beseitigt man das Verteilungsproblem für die Zukunft, indem die Versicherungssumme auf ein auskömmliches Niveau erhöht wird, so profitieren davon abstrakt betrachtet alle versicherten Personen gleichermaßen. Dann sollte aber auch in dem hier interessierenden Fall, dass sich die vereinbarte Versicherungssumme als unzulänglich erweist, eine gleiche Beteiligung aller erfolgen. Nicht zuletzt hat das Kopfprinzip auch einen verhaltenssteuernden Effekt, indem verhindert wird, dass einzelne versicherte Personen auf Kosten der anderen einen besonders aufwendigen Abwehrschutz in Anspruch nehmen.

4. Folgerungen für die Vertragsgestaltung 133 Unabhängig davon, welches Verteilungsverfahren man für angemessen hält, empfiehlt es sich im Interesse der Rechtssicherheit eine Regelung über das maßgebliche Verfahren in die AVB aufzunehmen. In Betracht kommt etwa auch, dass im Streitfall ein Kürzungs- und Verteilungsverfahren unter der Leitung eines Mediators vorgesehen wird.229

VIII. Abweichende AVB 1. Jahresmaximierung 134 Die Regelung in Ziff. A-6.4 Halbs. 2 (einfache Maximierung) ist auch in Unternehmens-AVB verbreitet.230 Teils wird dem VN auch eine Wiederauffüllung der Deckungssumme gestattet, wenn sie für eine Versicherungsperiode bereits voll ausgeschöpft worden ist. Dies wird üblicherweise von einem Prämienzuschlag abhängig gemacht und nur einmalig gestattet.231

225 226 227 228 229 230 231

Dann ist § 109 VVG unmittelbar anwendbar; s. nur Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 58. Näher Armbrüster VersR 2014 1, 3 ff. Vgl. auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.4 Rn. 1. Armbrüster VersR 2014 1, 2 ff.; ders. NJW 2016 897, 898. Armbrüster VersR 2014 1, 7. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.4; Ihlas 429. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 80.

Armbrüster

924

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

AVB D&O A-6

2. Kostenanrechnungsklausel In Unternehmens-AVB findet sich häufig ebenso wie in Ziff. A-6.4 S. 2 eine Kostenanrechnungs- 135 klausel. Bisweilen ist allerdings über die Versicherungssumme hinaus ein Abwehrkostenlimit vorgesehen.232 Demnach können die versicherten Personen nach Verbrauch der Versicherungssumme in einer Versicherungsperiode einen zusätzlichen Betrag in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Versicherungssumme beanspruchen. Dieser Betrag kann zusätzlich auf eine absolute Summe von z. B. 500.000 Euro begrenzt sein. Sehen die AVB keine Kostenanrechnungsklausel vor, entspricht die Rechtslage der dispo- 136 sitiven Vorschrift des § 101 Abs. 2 S. 1 VVG. In diesem Fall kann die Kostenübernahme in den AVB dadurch begrenzt werden, dass lediglich die Gebühren nach dem RVG übernommen werden und nur nach vorheriger Abstimmung mit dem VR darüberhinausgehende Kosten aufgrund von Honorarvereinbarungen zu erstatten sind. Nach älteren Musterbedingungen sind auch Schadensermittlungskosten, soweit sie nicht 137 dem VR selbst entstehen, auf die Versicherungssumme anzurechnen (s. Ziff. 4.4 i. V. m. Ziff. 4.3 Abs. 1 S. 2 AVB-AVG 2011; Ziff. 4.3 Abs. 1 S. 2 AVB-AVG 2013; zur entsprechenden Auslegung von Ziff. A-6.4 S. 2 s. Rn. 115). Nach § 85 Abs. 1 S. 2 VVG sind solche Kosten hingegen auch insoweit zu ersetzen, als sie zusammen mit der sonstigen Entschädigung über die Versicherungssumme hinausgehen. Diese gesetzliche Vorgabe ist allerdings dispositiv (vgl. § 87 VVG). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll lediglich ein „vollständiger Ausschluss eines Kostenersatzes durch die AVB“233 nach § 307 BGB unwirksam sein. Dies verdient grds. Zustimmung, wobei im Großrisikobereich selbst ein völliger Ausschluss akzeptabel erscheint (s. allg. Einf Rn. 82 ff.). Schadensabwendungs- und -minderungskosten wurden zuletzt nach Ziff. 4.4 AVB-AVG 2011 in die Kostenanrechnung einbezogen; seit den AVB-AVG 2013 werden sie hingegen nach der hier vertretenen Ansicht nicht mehr davon erfasst (s. auch Rn. 115).

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5) I. Überblick Ziff. A-6.5 Abs. 1 stellt allgemeine Regeln zum Selbstbehalt auf. Dabei geht es sowohl um die 138 Fälle eines freiwilligen Selbstbehalts (s. Rn. 141) als auch um diejenigen eines Pflicht-Selbstbehalts nach § 93 Abs. 2 S. 3 AktG (zu letzterem s. Rn. 146 ff.; Einf Rn. 41). Darüber hinaus wird in Abs. 2 speziell auf den Fall eingegangen, dass eine AG Versicherungsschutz für ihre Vorstandsmitglieder nimmt (s. Rn. 146 ff.). Diese Regelung greift damit die Vorgabe eines PflichtSelbstbehalts in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG auf, die dann eingreift, wenn eine AG für ihre Vorstandsmitglieder eine D&O-Versicherung abschließt (wozu sie nicht verpflichtet ist; s. Einf Rn. 44 f.). Zur Versicherung des Pflicht-Selbstbehalts gibt es unverbindliche Musterbedingungen des GDV, auf die nachfolgend gleichfalls einzugehen ist (s. Rn. 194 ff.). Generell ist zu unterscheiden zwischen dem im Versicherungsvertrag/Versicherungs- 139 schein vorgesehenen Selbstbehalt zu Lasten der versicherten Personen (Ziff. A-6.5 Abs. 1 S. 1), demjenigen zu Lasten des VN im Fall der Side B-Deckung nach Ziff. A-3 (Ziff. A-6.5 Abs. 1 S. 2) sowie in den Freistellungsvereinbarungen/Dienstverträgen zwischen VN oder Tochtergesellschaften und versicherten Personen (zu ihnen s. Ziff. A-3 Rn. 4 ff.) vorgesehenen Selbstbehaltsregelungen.

232 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 79. 233 Begr. zu § 85 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 81. 925

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

II. Allgemeine Regeln (Abs. 1) 1. Zweck des Selbstbehalts 140 Der Selbstbehalt bezweckt es aus Sicht des VR, den Aufwand für Bagatellschäden zu vermeiden und zugleich den versicherten Personen einen wirtschaftlichen Anreiz zu geben schadensbegründende Pflichtverletzungen zu vermeiden (verhaltenssteuernde Wirkung) sowie die Bereitschaft zur Abwehr von Schadensersatzansprüchen zu stärken.234 Nach S. 2 gilt im Fall des Company Reimbursement (Ziff. A-3) für den VN nicht automatisch der Betrag des für die versicherten Personen vorgesehenen Selbstbehalts; vielmehr kommt es auf den im Versicherungsschein für diesen Fall genannten Betrag an. Dieser Selbstbehalt ist in der Praxis oft höher.235

2. Freiwilligkeit 141 Jenseits des Anwendungsbereichs von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG (s. Rn. 146 ff.) unterliegen die Vereinbarung eines Selbstbehalts und die Festlegung von dessen Höhe der privatautonomen Gestaltungsfreiheit. Ziff. A-6.5 geht davon aus, dass stets ein Selbstbehalt vereinbart wird, dessen Betrag im Versicherungsschein aufzuführen ist. Gesellschaftsrechtlich besteht freilich keine entsprechende Pflicht. Dies folgt im Umkehrschluss zu § 93 Abs. 2 S. 3 AktG sowie aus dem Umstand, dass § 116 S. 1 AktG gerade diese Norm für auf Aufsichtsratsmitglieder nicht anwendbar erklärt.236

3. Geltung für den Abwehranspruch 142 Streit besteht darüber, ob der (freiwillige) Selbstbehalt außer für den Freistellungsanspruch auch für den Abwehranspruch gilt (zur parallelen Frage beim Pflicht-Selbstbehalt nach Abs. 2 s. Rn. 177).237 Dabei geht es darum, ob der VR den versicherten Personen auch im Bereich des Selbstbehalts Abwehr zu leisten hat.238 Für eine solche Erstreckung der Leistungspflicht lässt sich anführen, dass Freistellung und Abwehr Ausprägungen eines einheitlichen Deckungsanspruchs sind (s. Einf Rn. 18) und dass der als Selbstbehalt vereinbarte Betrag nach Abs. 1 S. 1 „in jedem Versicherungsfall“ von den versicherten Personen zu tragen ist. 143 Indessen spricht der Zweck des Selbstbehalts (s. Rn. 140) dafür, dass den VR jedenfalls dann, wenn die Inanspruchnahme sich auf einen den Selbstbehalt nicht übersteigenden Betrag beschränkt, auch keine Abwehrpflicht trifft.239 Darüber hinaus führt ein Umkehrschluss zu Abs. 2 Spiegelstrich 3 dazu, dass der Selbstbehalt nach Abs. 1 generell (also auch bei einer den Selbstbehalt betragsmäßig übersteigenden Inanspruchnahme der versicherten Person) auch für Abwehrkosten gilt. Dies betrifft freilich nur externe Kosten, so dass der VR keinen internen Aufwand geltend machen kann. Abweichend von der genannten Rechtslage berücksichtigen die

234 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.5; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 96; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/ Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 86; Ihlas 420; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 147; zweifelnd am haftungsvermeidenden Effekt etwa Dreher AG 2008 429, 432; Mesch VersR 2015 1337 ff.; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 147. 235 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.5 S. 2; Ihlas 419. 236 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1; zur früheren Diskussion s. Baumann VersR 2006 455, 461 f. 237 Vgl. zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen § 26 Rn. 342. 238 Ihlas 419 f. 239 Dreher/Görner ZIP 2003 2321, 2328; Olbrich 157 ff. Armbrüster

926

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

AVB D&O A-6

VR den Selbstbehalt in der Praxis bei den Abwehrkosten offenbar nicht (vgl. auch Ziff. 6.4 S. 4 AHB).240

4. Verhältnis von Versicherungssumme und Selbstbehalt Ein Selbstbehalt ist nach einer allg., allerdings bestrittenen Regel nicht nur vom Schaden, son- 144 dern auch von der Versicherungssumme, welche nach Ziff. A-6.4 die Entschädigungsgrenze bildet, abzuziehen.241 Dies bedeutet, dass auch bei Schäden, welche die Entschädigungsgrenze übersteigen, in jedem Fall die versicherte Person für den Selbstbehalt in vollem Umfang aufzukommen hat. Nach der Gegenansicht ist der Wortlaut von Ziff. A-6.5 Abs. 1 insoweit unklar, und auch der Zweck des Selbstbehalts spreche dafür, zunächst den Selbstbehalt und erst dann die Entschädigungsgrenze zu berücksichtigen. Zumindest nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB sei daher die Versicherungssumme voll auszuschöpfen.242 Dagegen lässt sich indessen einwenden, dass der Wortlaut von Ziff. A-6.5 Abs. 1 ausdrück- 145 lich von „jedem Versicherungsfall“ spricht, sodass für eine Differenzierung je nach Schadenshöhe kein Raum ist. Zudem greift einer der Zwecke des Selbstbehalts, nämlich die verhaltenssteuernde Wirkung (s. Rn. 140), ganz unabhängig vom Ausmaß des durch eine Pflichtverletzung verursachten Schadens ein. Überdies würde sich der Selbstbehalt nach der Gegenansicht dann überhaupt nicht auswirken, wenn der Schaden mindestens im Umfang des Selbstbehalts oberhalb der Entschädigungsgrenze liegt. Aus diesen Gründen ist der Selbstbehalt stets in vollem Umfang von der unter Berücksichtigung der Entschädigungsgrenze berechneten Entschädigung abzuziehen.

III. Pflicht-Selbstbehalt nach § 93 Abs. 2 S. 3 AktG (Abs. 2) 1. Grundregeln Nimmt eine AG eine D&O-Versicherung für ihre Vorstandsmitglieder, so ist nach § 93 Abs. 2 S. 3 146 AktG im Versicherungsvertrag zwingend ein Selbstbehalt in bestimmter Mindesthöhe vorzusehen (Pflicht-Selbstbehalt).243 Diese Regelung lautet wie folgt: „Schließt die Gesellschaft eine Versicherung zur Absicherung eines Vorstandsmitglieds gegen Risiken aus dessen beruflicher Tätigkeit für die Gesellschaft ab, ist ein Selbstbehalt von mindestens 10 Prozent des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds vorzusehen.“

147

Der Zweck des gesetzlichen Pflicht-Selbstbehalts liegt darin sicherzustellen, dass die Vorstands- 148 mitglieder nicht auf Kosten der Gesellschaft vollumfänglich von der wirtschaftlichen Belastung durch die Haftung nach § 93 AktG befreit werden können. Hintergrund ist aus Sicht des Gesetzgebers (zu den Motiven des VR für die Vereinbarung von Selbstbehalten s. Rn. 140) die mit der strengen Haftung bezweckte Verhaltenssteuerung (Präventivwirkung; s. auch Einf Rn. 128).244

240 Ihlas 419 f. 241 Prölss/Martin/Armbrüster § 75 Rn. 17; Langheid/Wandt/Halbach § 75 VVG Rn. 13; offen lassend OLG München 15.10.2010 – 25 U 2639/10, RuS 2012 21.

242 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 43; Bruck/Möller/Schnepp9 § 75 Rn. 81. 243 Näher Pregler 233 ff.; zu rechtspol. Kritik s. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 87 ff. 244 Begr. zu § 93 Abs. 2 S. 3 AktG, BTDrucks. 16/13433 S. 11: „Die Haftung mit dem Privatvermögen wirkt Pflichtverletzungen von Vorstandmitgliedern präventiv entgegen.“. 927

Armbrüster

A-6 AVB D&O

149

150

151

152

153

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Die Vorgabe beschränkt sich auf die Haftung nach inländischem Recht.245 Zudem gilt sie allein für die D&O-Versicherung als einer speziellen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (s. Einf Rn. 1) und nicht für andere Deckungen (insbes. Manager-Betriebshaftpflichtversicherung für Personen- und Sachschäden sowie deren Folgeschäden), selbst wenn diese mit einer D&OVersicherung kombiniert werden.246 Die Vorschrift gilt seit dem Inkrafttreten des VorstAG247 am 5.8.2009.248 Für (praktisch kaum noch bedeutsame) Altfälle, in denen ein vor diesem Stichtag geschlossener Anstellungsvertrag dem Vorstandsmitglied eine D&O-Versicherung mit geringerem oder ohne Selbstbehalt verspricht, darf die AG diese Verpflichtung nach der Übergangsregelung in § 23 Abs. 1 S. 2 EGAktG weiterhin erfüllen.249 Die Anwendbarkeit der Norm beschränkt sich auf AGs mit deutschem Gesellschaftsrechtsstatut.250 Der Pflicht-Selbstbehalt gilt allein für Vorstandsmitglieder einer AG, nicht hingegen für deren Aufsichtsratsmitglieder sowie – sofern der Gesetzgeber nicht § 93 Abs. 2 S. 3 AktG für entsprechend anwendbar erklärt – für Organmitglieder anderer Gesellschaften (zu Einzelheiten s. Rn. 156 ff.). Die Vorschrift erfasst auch die Vorstandsmitglieder beherrschter Tochtergesellschaften, und zwar unabhängig von deren Weisungsabhängigkeit nach § 308 AktG, da diese eine Haftung nicht generell ausschließt.251 Der Selbstbehalt ist allein für Unternehmenspolicen erforderlich, nicht aber für vom jeweiligen Organmitglied selbst genommene und finanzierte Individualpolicen (echte Eigenpolicen; zu ihnen s. Einf Rn. 126 ff.). Der Pflicht-Selbstbehalt ist von einem freiwilligen, d. h. nicht gesetzlich vorgeschriebenen Selbstbehalt (s. Rn. 141) zu unterscheiden.252 Als eine besondere Erscheinungsform eines solchen freiwilligen Selbstbehalts mag man auch die Eigenbeteiligungsklausel (Ziff. A-6.3) ansehen. Sie sieht vor, dass der VR eine versicherte Person insoweit nicht von einem Innenhaftungsanspruch der Gesellschaft freistellt, als sie selbst an ihr beteiligt ist (s. Rn. 85 ff.). Der Pflicht-Selbstbehalt ist in den D&O-Versicherungsvertrag aufzunehmen.253 Zwar folgt dies nicht unmittelbar aus § 93 Abs. 2 S. 3 AktG, und in Betracht käme etwa auch der Anstellungsvertrag des Vorstandsmitglieds. Freilich bezieht die Übergangsvorschrift zum VorstAG in § 23 Abs. 1 EGAktG den Pflicht-Selbstbehalt aus § 93 Abs. 2 S. 3 AktG ausdrücklich auf Versicherungsverträge.254 Dies erlaubt den Schluss auf die gesetzgeberische Regelungsabsicht, dass die Regelung dort zu treffen ist. Das ist auch sachgerecht, da der Selbstbehalt – gleichsam symmetrisch zur durch Versicherungssumme, Jahresmaximierung und Serienschadenklausel markierten Obergrenze – die Untergrenze der Leistungspflicht des VR markiert. Ziff. A-6.5 Abs. 2 wird dieser Anforderung hinsichtlich des Standorts gerecht. Wenn die beiden in den Musterbedingungen offen gelassenen und damit konkretisierungsbedürftigen Punkte (zu den Berechnungsfaktoren Schaden und jährliche Festvergütung) vom jeweiligen Verwender in Übereinstimmung mit den Anforderungen in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG oder darüber-

245 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 111. 246 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 112 f.; Wendt VW 2009 1589, 1590 ff.; a. A. Lange VersR 2009 1111, 1116 f. Ges. zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vom 31.7.2009, BGBl. I, S. 2509. Zum Übergangsrecht s. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 46. S. dazu Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 93 ff. S. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 104. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1; a. A. Fiedler MDR 2009 1077. Lange § 16 Rn. 5 ff. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 135; Franz DB 2009 2764, 2765; Kerst WM 2010 594, 603; Lange § 16 Rn. 30; ders. VersR 2009 1011, 1012 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 2 a. E.; a. A. Thüsing/Traut NZA 2010 140, 141. 254 S. dazu auch Begr. zu § 23 Abs. 1 EGAktG, BTDrucks. 16/13433 S. 12.

247 248 249 250 251 252 253

Armbrüster

928

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

AVB D&O A-6

hinausgehend in die AVB eingesetzt werden, bestehen keine inhaltlichen Wirksamkeitsbedenken.255 Ein Transparenzmangel könnte darin liegen, dass Ziff. A-6.5 Abs. 2 nicht erkennen lässt, 154 ob sich die Obergrenze des Selbstbehalts auf einen oder auf alle Versicherungsfälle eines Jahres bezieht (s. dazu Rn. 160) und welches Jahr maßgeblich ist (s. Rn. 164 f.).256 Indessen ist diese Unklarheit bereits in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG angelegt, dem die Regelung nachgebildet ist. Da es sich bei den maßgeblichen Passagen um eine wörtliche Wiedergabe des Gesetzeswortlauts handelt, kommt eine Transparenzkontrolle schon deswegen nicht in Betracht.257 Im Übrigen käme die Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) zum Zuge. Streit besteht darüber, welches Organ für die Entscheidung über die Beschaffung von D&O- 155 Versicherungsschutz und damit auch über die Höhe des Selbstbehalts (Mindestanforderungen des § 93 Abs. 2 S. 3 AktG oder höherer Selbstbehalt; Erstreckung auf weitere Personen) zuständig ist (s. Einf Rn. 98 ff.).258

2. Erfasster Personenkreis § 93 Abs. 2 S. 3 AktG ist unmittelbar auf Vorstandsmitglieder einer AG anwendbar. Hingegen 156 gilt die Regelung nicht für Mitglieder des Aufsichtsrats der AG (so ausdrücklich § 116 S. 1 AktG).259 Dies kommt in Ziff. A-6.5 dadurch zum Ausdruck, dass diese Klausel anders als Ziff. A-1 Abs. 1 allein Vorstandsmitglieder erwähnt.260 In älteren Fassungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) war eine Empfehlung enthalten, in einer D&O-Versicherung für den Aufsichtsrat einen entsprechenden Selbstbehalt vorzusehen (s. zuletzt Ziff. 3.8 Abs. 3 DCGK in der Fassung vom 7.2.2017). In der aktuellen Fassung ist diese Empfehlung nicht mehr enthalten (s. Einf Rn. 129).261 Über Verweisungen gilt die Norm auch für Vorstandsmitglieder der Vor-AG (§ 48 S. 2 AktG; 157 zu ihr vgl. auch Ziff. A-1 Rn. 4)262 und des VVaG (§ 188 Abs. 1 S. 2 VAG; nicht aber des kleineren VVaG, s. § 210 Abs. 1 S. 1 VAG),263 Verwaltungsratsmitglieder und geschäftsführende Direktoren der SE mit Sitz in Deutschland (für monistisch organisierte SE gem. § 39 SE-AG, § 40 Abs. 8 SE-AG, für dualistisch organisierte gem. Art. 51 EG-VO 2157/2001)264 sowie persönlich haftende Gesellschafter der KGaA (§ 283 Nr. 3 und 8 AktG).265 Hingegen erstreckt sich der Anwendungs-

255 256 257 258

Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6. Dies erwägt Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6. Vgl. Armbrüster FS Kollhosser Bd. 2 (2004) 3 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. VVG Rn. 101. Speziell zur Festlegung des Selbstbehalts s. Franz DB 2011 2019 ff.; Melot de Beauregard/Gleich NJW 2013 824,

829.

259 Unstr.; s. nur Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 101; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 36. BTDrucks. 16/13433 S. 11 f.: „Diese Frage kann dem Deutschen Corporate Governance Kodex überlassen bleiben“. 260 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 2. 261 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1. 262 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 97; Franz DB 2009 2764, 2766; Kerst WM 2010 394, 398 (a. A. noch ders. VW 2010, 102); Messmer ZfV 2009 737, 738; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1. 263 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 99; Franz DB 2009 2764, 2766; Kerst WM 2010 394, 398 (auf Vorstand großer VVaG anwendbar; a. A. noch ders. VW 2010, 102); R. Koch AG 2009 637, 640; Messmer ZfV 2009 737, 738; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1. 264 Albers CCZ 2009 222, 223; R. Koch AG 2009 637, 640; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1; s. auch Kerst WM 2010 594, 598 (zur dualistischen SE); a. A. Schulz VW 2009 1410, 1414. 265 Albers CCZ 2009 222, 223; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 100; Kerst WM 2010 394, 398 (a. A. noch ders. VW 2010 102); Franz DB 2009 2764, 2766; R. Koch AG 2009 637, 640; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1; offen lassend Lange VersR 2009 1011, 1014 Fn 16. 929

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

bereich des Pflicht-Selbstbehalts nicht auf Organmitglieder der GmbH,266 der eG267 und des Vereins; § 93 Abs. 2 S. 3 AktG ist auf diese Verbandsformen auch nicht analog anzuwenden.268 158 Ist nicht der VN, aber ein vom Versicherungsvertrag erfasstes Tochterunternehmen eine AG, muss für dessen Vorstandsmitglieder der Pflicht-Selbstbehalt vereinbart werden.269 Dasselbe gilt, wenn es sich auch beim VN selbst um eine AG handelt.270 Indem Ziff. A-6.5 lediglich abstrakt von Vorstandsmitgliedern spricht, geht aus der Klausel 159 nicht ausdrücklich hervor, welche Gesellschaftsformen erfasst sind. Dies folgt indessen aus den objektiv-rechtlichen Vorgaben für den Pflicht-Selbstbehalt (s. Rn. 156). Die abstrakte Formulierung verstößt daher nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.271

3. Höhe des Selbstbehalts a) Ges. Vorgaben 160 aa) Grundregeln. Nach § 93 Abs. 2 S. 3 AktG bestehen bestimmte Anforderungen hinsichtlich des Mindestumfangs, den der Pflicht-Selbstbehalt haben muss. Dabei sind kumulativ zwei Anforderungen zu erfüllen: Es ist eine Mindestbeteiligung in Höhe von zehn Prozent des Schadens vorzusehen. Diese Anforderung bezieht sich auf jeden einzelnen Schadensfall. Zudem gilt eine Mindestgrenze in Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds für alle Schadensfälle eines Jahres.272 Mithin besteht ein Unterschied in Bezug auf die maßgeblichen Schadensfälle: Während sich die prozentuale Quote auf jeden einzelnen Schadensfall bezieht, kommt es für die absolute Obergrenze auf alle Schadensfälle in einem Jahr zusammen an. 161 Indem das Gesetz sich an der festen Vergütung orientiert, soll eine Bewertung oder Schätzung zugesagter künftiger Vorteile entbehrlich werden. Wären stattdessen die Gesamtbezüge i. S. v. § 87 Abs. 1 S. 1 AktG maßgeblich, so würde die Berechnung erschwert. Diese Regelungsabsicht des Gesetzgebers spricht dafür, außer variablen Vergütungsbestandteilen auch Naturalleistungen und geldwerte Vorteile unberücksichtigt zu lassen.273 162 Anzusetzen ist die Bruttovergütung.274 Dabei ist (unabhängig davon, ob das Vorstandsmitglied erstmals berufen wird oder schon zuvor im Amt war) die zugesagte275 jährliche Festvergütung maßgeblich, ohne dass es darauf ankommt, ob sie nach dem zeitlichen Ablauf bereits verdient ist.276 Letzteres wäre auch für die Haftung des Vorstandsmitglieds unerheblich; zudem kann der Selbstbehalt versichert werden (s. Rn. 186 ff.).

266 Franz DB 2009 2764, 2766; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1. 267 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1; a. A. R. Koch AG 2009 637, 643; s. auch Fiedler MDR 2009 1077; Langheid/ Wandt/Ihlas D&O Rn. 152.

268 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 47; Kerst WM 2010 594, 598; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 1. 269 Annuß/Theusinger BB 2009 2434, 2441; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 103; Lange VersR 2009 1011, 1014; Thüsing/Traut NZA 2010 140, 141; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 3; a. A. Schulz VW 2009 1410 ff. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 102. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 2. Begr. zu § 93 Abs. 2 S. 3 AktG, BTDrucks. 16/13433 S. 11. Annuß/Theusinger BB 2009 2434, 2441; Franz DB 2009 2764, 2769; insoweit a. A. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6. 274 Ihrig/Wandt/Wittgens ZIP 2012 Beil. Heft 40, 23; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6. 275 Vgl. auch Begr. zu § 93 Abs. 2 S. 3 AktG, BTDrucks. 16/13433 S. 10 linke Sp. vorletzter Abs. 276 Franz DB 2009 2764, 2769; Thüsing/Traut NZA 2009 140, 142; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6; a. A. Seitz/ Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 133; Lange VersR 2009 1011, 1018 (für Begrenzung auf bereits erzielten Verdienst).

270 271 272 273

Armbrüster

930

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

AVB D&O A-6

bb) Maßgebliches Bezugsjahr. Für die Berechnung des Selbstbehalts ist nach der Gesetzes- 163 begründung der (einzelne) „Schadensfall“ maßgeblich. Bezugsjahr hinsichtlich der (gesetzlich sehr hoch angesetzten) Obergrenze soll hingegen das „Jahr“ des Pflichtverstoßes sein.277 Diese Formulierungen sind unklar. Der Ausdruck „Schadensfall“ deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber offenbar das Verstoßprinzip und nicht das für die D&O-Versicherung gem. Ziff. A-2 maßgebliche Anspruchserhebungsprinzip im Blick gehabt hat.278 Man wird daher angesichts der mit der Anordnung eines Selbstbehalts beabsichtigten Verhaltenssteuerung (s. Rn. 140) auch insoweit den Pflichtverstoß – und nicht die auf ihm beruhende Geltendmachung eines Anspruchs – für maßgeblich zu erachten haben. Streit besteht darüber, ob der Gesetzgeber mit „Jahr“ das Kalenderjahr,279 das Versiche- 164 rungsjahr280 oder das Vertragsjahr, anhand dessen die jährliche Festvergütung ermittelt wird,281 meint. Vereinzelt wird auch vorgeschlagen, dass die Festlegung der Parteiautonomie unterliege282 oder dass die Parteien das Versicherungsjahr statt des (später beginnenden) Anstellungsjahres als maßgeblich vereinbaren könnten.283 Für die Maßgeblichkeit des Vertragsjahres wird vorgebracht, dass die jährliche Anpassung je nach Änderung der Festvergütung (s. Rn. 172) nur möglich sei, wenn das Vergütungsjahr mit dem Jahr des Pflichtverstoßes übereinstimme. Anderenfalls könne es dazu kommen, dass im selben (Kalender- und Versicherungs-)Jahr unterschiedliche Mindestgrenzen für den Selbstbehalt gelten. Stellungnahme: Die drei in Betracht kommenden Jahre können, müssen aber nicht de- 165 ckungsgleich sein. Allein der Umstand, dass innerhalb eines (Kalender- und Versicherungs-)Jahres unterschiedliche Selbstbehalte maßgeblich sind, ist kein durchschlagendes Argument für die Maßgeblichkeit des (Anstellungs-)Vertragsjahres. Zugleich ist kein zwingender Grund dafür ersichtlich, dass das Versicherungsjahr maßgeblich sein sollte. Wenn der Gesetzgeber wie hier ohne nähere Präzisierung von „Jahr“ spricht, ist damit das Kalenderjahr gemeint. Da es sich bei § 93 Abs. 2 S. 3 AktG um eine zwingende objektiv-rechtliche Regelung handelt, ist zudem kein Raum für eine abweichende Vereinbarung zwischen VR und VN.

cc) Berechnung bei gesamtschuldnerischer Haftung. Umstritten ist auch, wie die Höhe 166 des Pflicht-Selbstbehalts zu berechnen ist, wenn mehrere versicherte Personen mit unterschiedlich hohem Festgehalt gesamtschuldnerisch haften (zu dieser Haftung s. Rn. 169). Nimmt der VR hier das Vorstandsmitglied mit dem niedrigsten Festgehalt und damit auch dem niedrigsten Selbstbehalt in Anspruch, so könnte dies – wenn man in dieser Inanspruchnahme den Schaden i. S. v. Ziff. A-6.5 Abs. 2 erblickt – dazu führen, dass sich bei gleichem Haftungsanteil der Unterschied im Festgehalt nicht in der wirtschaftlichen Belastung der verschiedenen Gesamtschuldner spiegeln würde. Dies könnte dem gesetzgeberischen Zweck der Regelung widersprechen, wonach die Höhe des Selbstbehalts (auch) vom Festgehalt abhängt. Es ist daher vorgeschlagen worden, den Schaden i. S. v. Ziff. A-6.5 und damit auch den Selbstbehalt an der Haftungsquote im Innenverhältnis zu orientieren.284 Damit soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung des VN darüber, welche der gesamtschuldnerisch haftenden versicherten Personen er in welcher Höhe in Anspruch nimmt, keinen Einfluss auf die für den Selbstbehalt 277 Begr. zu § 93 Abs. 2 S. 3 AktG, BTDrucks. 16/13433 S. 11. 278 Albers CCZ 2009 222, 223; s. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 496. 279 Annuß/Theusinger BB 2009 2434, 2441; Dauner-Lieb/Tettinger ZIP 2009 1555, 1556; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/ Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 121; Franz DB 2009 2764, 2769; Kerst WM 2010 594, 604 f.; Olbrich/Kassing BB 2009 1659, 1660; Spindler NJOZ 2009 3282, 3287; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6. 280 Albers CCZ 2009 222, 223; Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 56. 281 Thüsing/Traut NZA 2010 140, 142; v. Kann NZG 2009 1010, 1012. 282 Dauner-Lieb/Tettinger ZIP 2009 1555, 1556. 283 R. Koch AG 2009 637, 644. 284 Franz DB 2009 2764, 2770; Kerst VW 2010 102; R. Koch AG 2009 637, 645; Wendler ZfV 2009 593, 959 ff. 931

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

maßgebliche Bestimmung des Schadens hat (zu den Folgen für den Innenausgleich unter den Gesamtschuldnern s. Rn. 170). Indessen löst sich die vorgeschlagene Konstruktion von der tatsächlichen Inanspruchnahme, welche für die Definition des Schadens i. S. v. Ziff. A-6.5 Abs. 2 maßgeblich sein sollte. Über den Innenausgleich lässt sich gewährleisten, dass im Ergebnis jede versicherte Person maximal im Umfang des von ihr zu tragenden Selbstbehalts belastet wird (s. Rn. 170).285

167 b) Auswirkung der Serienschadenklausel. Es kann vorkommen, dass mehrere Versicherungsfälle auf Pflichtverletzungen beruhen, die in verschiedenen Kalenderjahren erfolgen, aber demselben Sachverhalt zuzuordnen sind. Nach der Serienschadenklausel wird in diesem Fall ein einziger Versicherungsfall fingiert (Ziff. A-6–6 Abs. 1 lit. b). Dies führt zu der Frage, ob diese Fiktion auf den Selbstbehalt zu erstrecken ist, sodass dieser nur einmal und nicht pro Kalenderjahr anfällt. Dagegen lässt sich vorbringen, dass die Vorgaben in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG autonom ohne Bindung an die Serienschadenklausel in Ziff. A-6.6 auszulegen und umzusetzen sind.286 Indessen gilt es zu beachten, dass sich infolge der Serienschadenklausel der Versicherungsschutz ohnehin reduziert, so dass sich im Ergebnis die Belastung der versicherten Person durch die persönliche Haftung entsprechend erhöht. Dies spricht entscheidend dafür den Selbstbehalt für die zu einem Versicherungsfall zusammengefassten Pflichtverletzungen nur einmal anzusetzen.287 168 Im Schrifttum wird erwogen, dass darüber hinaus auch in solchen Fällen, in denen die Rspr. die Verklammerung mehrerer Schadensfälle zu einem einzigen Versicherungsfall durch eine Serienschadenklausel ablehnt, diese Ereignisse angesichts des Zwecks von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG als einheitliche Pflichtverletzung anzusehen sind.288 Dagegen spricht indessen, dass sich in diesem Fall anders als dann, wenn die Serienschadenklausel zum Zuge kommt (s. Rn. 198 ff.), die Belastung der versicherten Person in Bezug auf die Versicherungsleistung nicht erhöht.289

169 c) Gesamtschuldnerische Haftung. Haften mehrere Organmitglieder gesamtschuldnerisch (dabei kommen neben Vorstandsmitgliedern auch weitere versicherte Personen wie insbes. Aufsichtsratsmitglieder in Betracht), muss der Selbstbehalt für den jeweiligen Haftungsanteil anhand der gesetzlichen Kriterien gesondert berechnet werden. Der VR kann dem einzelnen Organmitglied bei seiner Freistellung nur den individuellen Selbstbehalt anrechnen und nicht die Summe der Selbstbehalte aller Organmitglieder (Kumulierung).290 Für den Innenausgleich zwischen mehreren haftpflichtigen Organmitgliedern gilt Folgen170 des: Soweit eine versicherte Person i. R. des von ihr zu tragenden Selbstbehalts Schadensersatz geleistet hat, kann sie gegen die übrigen Gesamtschuldner gem. § 426 BGB vorgehen. Diese haben, sofern die Ausgleichsforderung ihren eigenen Selbstbehalt übersteigt, einen Freistellungsanspruch gegen den VR. Die Ansprüche auf Gesamtschuldnerausgleich gehen dann gem. § 86 Abs. 1 VVG im Umfang seiner Leistung auf den VR über. Richtet sich der übergegangene 285 Im Erg. so auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 4. 286 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 56. 287 Dafür im Erg. auch Albers CCZ 2009 222, 224; Franz DB 2009 2764, 2769; Lange VersR 2009 1011, 1018; Thüsing/ Traut NZA 2009 140, 142; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6; wohl auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 126; a. A. R. Koch AG 2009 637, 644 (Serienschadenklausel müsse angepasst werden) Bsp. für klarstellende Klausel: OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021 1355, 1359. 288 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6 a. E., unter Bezugnahme auf BGH 28.11.1990 – IV ZR 184/89, VersR 1991 175, 176 (betr. Architektenhaftpflichtversicherung). 289 S. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 124 f. mit Befürwortung der durchschnittlichen Jahresvergütung als Bemessungsgrundlage. 290 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 4; vgl. auch Albers CCZ 2009 222, 224; Harzenetter DStR 2010 653, 656; Thüsing/Traut NZA 2010 140, 143; a. A. Fiedler MDR 2009 1077, 1078 f.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Armbrüster

932

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

AVB D&O A-6

Anspruch gegen einen Gesamtschuldner, der gleichfalls versicherte Person ist, so ist der Regress des VR freilich auf dessen Selbstbehalt beschränkt.291 Im Ergebnis hat mithin jede versicherte Person im Umfang ihres Selbstbehalts (oder einer niedrigeren Haftungsquote) selbst für den Schaden aufzukommen. Der verhaltenssteuernden Wirkung des Selbstbehalts (s. Rn. 140) ist damit Genüge getan, und der VR profitiert nicht sachwidrig davon, dass für die von ihm nur einmal zu erfüllende Schadensersatzforderung mehrere Personen gesamtschuldnerisch haften.292

d) Ausschöpfung des Selbstbehalts. Bei größeren Schäden kann bereits der erste Versi- 171 cherungsfall innerhalb eines Jahres (zum Begriff des Jahres s. Rn. 164 f.) dazu führen, dass der Pflicht-Selbstbehalt vollständig verbraucht ist.293 Der Selbstbehalt ist dann bei weiteren Versicherungsfällen im selben Jahr nicht mehr anzusetzen; er gilt also nicht für den einzelnen Versicherungsfall, sondern für alle Versicherungsfälle des jeweiligen Jahres zusammen.294

e) Anpassungserfordernis. Da es für die Berechnung der Obergrenze auf die Festvergütung 172 ankommt, ist die Versicherung je nach deren Änderung jährlich anzupassen.295

4. Sachliche Reichweite a) Außenhaftung aa) Meinungsstand. Streit besteht darüber, ob der Pflicht-Selbstbehalt über die Innenhaftung 173 hinaus auch für Außenhaftungsansprüche gilt. Vom Wortlaut des § 93 Abs. 2 S. 3 AktG her lässt sich in beide Richtungen argumentieren: Für eine Erstreckung auf Außenhaftungsansprüche wird angeführt, dass der Pflicht- 174 Selbstbehalt nur voraussetzt, dass „die Gesellschaft eine Versicherung zur Absicherung eines Vorstandsmitglieds gegen Risiken aus dessen beruflicher Tätigkeit für die Gesellschaft“ abschließt. Eine Beschränkung auf Innenhaftungsansprüche lasse sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen.296 Darüber hinaus verweisen die Befürworter einer Erstreckung auf den Normzweck. Demnach kann die mit dem Pflicht-Selbstbehalt beabsichtigte Verhaltenssteuerung (s. Rn. 140) nicht auf die Innenhaftung beschränkt werden, sondern muss sich auch auf die Außenhaftung beziehen.297 Gegen die Erstreckung auf Außenhaftungsansprüche wird vorgebracht, dass das Kriteri- 175 um, anhand dessen der Mindestumfang des Selbstbehalts zu bestimmen ist („mindestens 10 Prozent des Schadens“) eine Parallele zur Anspruchsgrundlage der gesellschaftsrechtlichen Innenhaftung in § 93 Abs. 2 S. 1 AktG („Ersatz des daraus entstehenden Schadens“) aufweise. Zudem wird der systematische Standort des Pflicht-Selbstbehalts in § 93 Abs. 2 AktG als der Rn. 128; Lange § 16 Rn. 93: ders. VersR 2009 1011, 1021 (Kumulierung der Selbstbehalte mit Regressen des VR); Schulz VW 2009 1410 (Kumulierung). 291 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 4. 292 Dies übergehen Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 128 ff. 293 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6; s. auch Albers CCZ 2009 222, 223 f. 294 Dauner-Lieb/Tettinger ZIP 2009 1555, 1556; Fiedler MDR 2009 1077, 1078; Lange VersR 2009 1011, 1019. 295 Begr. zu § 93 Abs. 2 S. 3 AktG, BTDrucks. 16/13433 S. 11. 296 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 50; Gädtke VersR 2009 1565, 1567 f.; Lange § 16 Rn. 52; Messmer ZfV 2009 737, 739. 297 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 50; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 244; Messmer ZfV 2009 737, 739; van Kann NZG 2009 1010, 1011; R. Koch AG 2009 637, 643; Pregler 238 f.; Thüsing/Traut NZA 2010 140, 141; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 3. 933

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

zentralen Vorschrift der aktienrechtlichen Innenhaftung angeführt.298 Unabhängig von dem Streit sehen die Muster-AVB zur Persönlichen Selbstbehaltsversicherung (s. Rn. 197) in Ziff. 1, 4 vorsorglich auch die Deckung der Außenhaftung vor.

176 bb) Stellungnahme. Entscheidend gegen eine Anwendung auf Außenhaftungsansprüche spricht – neben der Uneinheitlichkeit des Außenhaftungsrechts insgesamt –,299 dass es dem Gesetzgeber keineswegs allein um eine Verhaltenssteuerung ging. Vielmehr weist die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum VorstAG ausdrücklich auch darauf hin, dass sich durch einen Selbstbehalt das Ausfallrisiko der Gesellschaft erhöht. Dabei geht es allein um das dadurch entstehende Risiko für die Gesellschaft, nicht um dasjenige von außenstehenden Dritten.300 Daraus ist zu folgern, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des Pflicht-Selbstbehalts allein eine Regelung für die Innenhaftung beabsichtigt hat.301 Die Vorgaben des § 93 Abs. 2 S. 3 AktG sind daher grds. nicht auf Außenhaftungsansprüche zu erstrecken.302 Besteht allerdings neben einem Innen- auch ein Außenhaftungsanspruch, so ist letzteres unbeachtlich; der Selbstbehalt kommt dann zum Zuge.303

177 b) Abwehrkosten. Nach Ziff. A-6.5 Abs. 2 a. E. gilt der Selbstbehalt nicht für Abwehrkosten. Diese Klausel ist klarstellender Natur.304 Abwehrkosten bilden nämlich für den VR – ebenso wie Kosten für eine Freistellung – keinen Schaden, sondern sie sind Inhalt seines Leistungsversprechens (vgl. Ziff. A-6.1). Beim „Schaden“ i. S. v. § 93 Abs. 2 S. 3 AktG geht es hingegen um den Vermögensverlust, den die Gesellschaft infolge der Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds erleidet und für die es nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG haftet.305 Daher ist der Pflicht-Selbstbehalt nicht auf Abwehrkosten anzuwenden.306 Die Gegenansicht,307 derzufolge Abwehrkosten Teil des „Schadens“ i. S. von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG sind, da der VR sie sonst selbst tragen müsste, während ihm beim Unterliegen und der anschließenden Freistellungsverpflichtung der Selbstbehalt zugute käme, geht von einem unzutr. Verständnis des Schadensbegriffs aus. Daraus folgt zugleich, dass sich der Pflicht-Selbstbehalt auch ohne eine Klausel des Inhalts von Ziff. A-6.5 Abs. 2 a. E. nicht auf Leistungen im Rahmen der Anspruchsabwehr erstreckt. Freilich kann in den AVB eine gegenteilige Regelung vorgesehen werden.308

298 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 109; Kerst WM 2010 594, 599; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 501; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 160; Lange § 16 Rn. 54; ders. VersR 2011 429, 439; Olbrich/Kassing BB 2009 1659; Thomas Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern (2010) 204; Olbrich/Kassing BB 2009 1659; Spindler NJOZ 2009 3282, 3288. 299 Thomas Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern (2010) 204. 300 BT-Drs. 16/13433 S. 11. 301 Thomas Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern (2010) 204. 302 Differenzierend mit Blick auf Schadensfälle, die zugleich Außen- und Innenhaftungsansprüche begründen können, Fiedler MDR 2009 1077, 1078; zust. Kerst WM 2010 594, 599; ähnl. R. Koch AG 2009 637, 643. 303 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 110; Kerst WM 2010 594, 599. 304 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.5. 305 Olbrich/Kassing BB 2009 1659, 1660. 306 Dauner-Lieb/Tettinger ZIP 2009 1555, 1556; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 122 f.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 503; R. Koch AG 2009 637, 644; Lange VersR 2009 1011, 1020; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 43; Olbrich/Kassing BB 2009 1659, 1660; Pregler 240; R. Koch AG 2009 637, 644; Hdb. Vorstand und Aufsichtsrat/Schaloske/Hauff (2018) § 21 Rn. 93; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 4. 307 Van Kann NZG 2009 1010, 1012. 308 Lange § 17 Rn. 4, § 16 Rn. 88. Armbrüster

934

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

AVB D&O A-6

c) Vergleiche. Die Vorgabe in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG gilt auch für Vergleiche, mit denen der 178 Streit um die Haftung beendet wird.309 Anderenfalls würde die Regelung in der Praxis weitgehend leerlaufen, da Streitigkeiten über Innenhaftungsansprüche bei bestehender D&O-Versicherung typischerweise durch einen Vergleich beigelegt werden (s. Einf. Rn. 152).

5. Rechtsfolgen bei unterbliebener Vereinbarung a) Meinungsstand. Welche Rechtsfolgen sich an das Fehlen des Pflicht-Selbstbehalts im 179 D&O-Versicherungsvertrag knüpfen, ist umstritten. Einige Stimmen in der Literatur wollen § 93 Abs. 2 S. 3 AktG als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB einordnen. Dabei wird meist von Teilnichtigkeit ausgegangen: An die Stelle des nicht vereinbarten Selbstbehalts trete (im Wege ergänzender Auslegung) der gesetzlich vorgesehene Mindestselbstbehalt.310 Dafür wird auf die Formulierung in § 23 Abs. 1 S. 2 EGAktG und vor allem darauf verwiesen, dass eine reine schadensersatzbewehrte Verpflichtung nicht die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verhaltenssteuerung (s. Rn. 140) bewirken könne.311 Nach der Gegenansicht ist § 93 Abs. 2 S. 3 AktG hingegen als eine Vorgabe des Unterneh- 180 mensinnenrechts aufzufassen.312 Demnach deutet insbes. die gesetzgeberische Erwägung, mit einem betragsmäßig beschränkten Pflicht-Selbstbehalt das Ausfallrisiko der Gesellschaft zu minimieren, darauf hin, dass keine Nichtigkeit des Versicherungsvertrags anzunehmen sein soll. Anderenfalls würde sich nämlich dieses Ausfallrisiko erhöhen.313 Daher bleibe der Versicherungsvertrag wirksam, wenn darin kein Pflicht-Selbstbehalt aufgenommen wurde. Allerdings könne das für die Entscheidung über den D&O-Versicherungsvertrag sowie für dessen Abschluss zuständige Gesellschaftsorgan sich schadensersatzpflichtig machen.314 Der Schaden liegt in der Prämienersparnis, die bei pflichtgemäßer Vereinbarung eines Selbstbehalts entstanden wäre.315 b) Stellungnahme. Eine Gesamtnichtigkeit des Vertrags kommt von vornherein nicht in 181 Betracht, da der Zweck des § 93 Abs. 2 S. 3 AktG nicht darin besteht den D&O-Versicherungsschutz zu unterbinden.316 Aber auch für eine Teilnichtigkeit ist kein Raum. § 93 Abs. 2 S. 3 AktG ist nämlich nicht als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB zu qualifizieren. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte: Die Frage der Verbotsgesetzqualität wurde im Rechtsausschuss diskutiert; anschließend wurde die Begründung zu § 23 Abs. 1 S. 1 EGAktG dahingehend geändert, dass diese Norm es „verlangt“, dass laufende Versicherungsverträge an die 309 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 115; Franz DB 2009 2764, 2768; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 38. 310 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 54; Franz DB 2011 2019, 2724 f.; Gädtke VersR 2009 1565, 1572; Gädtke/Wax AG 2010 851, 854; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 483; R. Koch AG 2009 637, 639; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 5. 311 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 5. 312 MüKo-BGB/Armbrüster9 § 134 Rn. 78; Armbrüster/Schilbach RuS 2016 109, 113; Dauner-Lieb/Tettinger ZIP 2009 1555, 1556; Fiedler MDR 2009 1077, 1080; Spindler/Stilz/Fleischer AktG § 93 Rn. 252; Hohenstatt ZIP 2009 160, 161; Kerst WM 2010 594, 600; Hüffer/Koch AktG § 93 Rn. 59; Spindler NJOZ 2009 3282, 3288; Thüsing/Traut NZA 2010 140 f. 313 Dauner-Lieb/Tettinger ZIP 2009 1555, 1556; Fiedler MDR 2009 1077, 1080; van Kann NZG 2009 1010, 1013; Kerst WM 2010 594, 600. 314 Armbrüster/Schilbach RuS 2016 109, 113; Dauner-Lieb/Tettinger ZIP 2009 1555, 1557; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 AktG Rn. 253; Kerst WM 2010 594, 601; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 229. 315 Kerst WM 2010 594, 600; vgl. aber auch Dreher AG 2008 429, 432 (es gebe keine Prämiendifferenz; allerdings für die Lage vor Einführung von § 93 Abs. 2 S. 3 AktG). 316 Insoweit wie hier etwa auch Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 5. 935

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

Neuregelung „angepasst“317 werden.318 Daraus geht klar hervor, dass keine Verbotsnichtigkeit abweichender Verträge, sondern lediglich eine Verpflichtung zur Aufnahme eines Selbstbehalts angeordnet werden sollte. Mithin handelt es sich bei § 93 Abs. 2 S. 3 AktG um eine Vorgabe für das Innenverhältnis, welche die Wirksamkeit des Versicherungsvertrags unberührt lässt.

182 c) Rechtsfolge. Wird beim Abschluss oder der Verlängerung einer D&O-Versicherung kein den ges. Vorgaben entsprechender Selbstbehalt vereinbart, so haften die Mitglieder des dafür verantwortlichen Organs der Gesellschaft auf Schadensersatz. Dieses Organ ist, da es sich bei der Einhaltung der ges. Vorgaben um eine Geschäftsführungsaufgabe handelt, der Vorstand. Der zu ersetzende Schaden liegt in der Differenz zwischen der vereinbarten Prämie und der bei Einbeziehung des Selbstbehalts anfallenden Prämie.319 Für die Annahme einer darüber hinausgehenden selbstständigen Haftung der versicherten Personen gegenüber der Gesellschaft in Höhe des Selbstbehalts, die zu einer Überkompensation des Schadens führen würde,320 fehlt es an einer Rechtsgrundlage.321

6. Unternehmens-AVB 183 Der Pflicht-Selbstbehalt muss so gestaltet sein, dass seine Durchsetzung gewährleistet ist. Daran fehlt es, wenn sich der VR in vollem Umfang zur Freistellung verpflichtet und er sich lediglich im Innenverhältnis den Regress gegenüber den versicherten Personen vorbehält.322 Es ist dann nämlich keineswegs gesichert, dass der VR diesen Regress tatsächlich geltend macht. Unterbleibt die Durchsetzung, so wird damit die vom Gesetzgeber angestrebte Präventivfunktion (s. Rn. 148) verfehlt. 184 § 93 Abs. 2 S. 3 AktG stellt lediglich Mindestanforderungen auf. Auch im Anwendungsbereich dieser Norm kann daher ohne Weiteres ein höherer Selbstbehalt vereinbart werden. Dies gilt etwa für die Regelung, dass der Selbstbehalt nicht pro Jahr, sondern pro Schadensfall anzusetzen ist.323 Zulässig ist es auch vorzusehen, dass sich der Selbstbehalt abweichend von Ziff. A-6.5 nicht 185 auf die Versicherungssumme, sondern auf die Haftungssumme bezieht.324 In diesem Fall kann die Versicherungssumme voll ausgeschöpft werden, während zugleich die verhaltenssteuernde Wirkung gewahrt bleibt. Da der Gesetzgeber keine Vorgaben zur Höhe der Versicherungssumme macht, kommt es ihm offenkundig allein darauf an, dass das Vorstandsmitglied den Schaden im Umfang des Selbstbehalts selbst zu tragen hat und nicht darauf, inwiefern der Schaden im Übrigen durch den VR gedeckt wird.

317 BTDrucks. 16/13433 S. 12. 318 Thüsing/Traut NZA 2010 140 f.; dieses Argument erwägend auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 54. Zu Änderungen am Gesetzestext und seiner Begründung s. auch Lange VW 2009 918, 919. Dies übergehen Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 92 a. E. Dafür Thüsing/Traut NZA 2010 140, 141. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 5. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 53; Ihrig/Wandt/Wittgens ZIP 2012 Beil. Heft 40, 23; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-5 Rn. 3; a. A. Franz DB 2009 2764, 2766. 323 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6. 324 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 6; a. A. womöglich Albers CCZ 2009 222, 223 (sub 4, freilich ohne auf die Zulässigkeitsfrage ausdr. einzugehen).

319 320 321 322

Armbrüster

936

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

AVB D&O A-6

IV. Exkurs: Selbstbehaltsversicherung 1. Zulässigkeit a) Generelle Zulässigkeit. Die Versicherung des Selbstbehalts gem. § 93 Abs. 2 S. 3 AktG 186 durch eine persönliche Selbstbehaltspolice ist de lege lata grds. rechtlich zulässig.325 Dies wird teils rechtspolitisch im Hinblick darauf kritisiert, dass dadurch die mit § 93 Abs. 2 S. 3 AktG bezweckte verhaltenssteuernde Wirkung (s. Rn. 140) konterkariert wird.326 Indessen ließe sich dieser Einwand gegen jegliche Haftpflichtversicherung vorbringen, da gesetzliche Haftungsanordnungen auch in anderem Kontext nicht allein einen Schadensausgleich bezwecken, sondern auch über eine verhaltenssteuernde Wirkung der Schadensvorbeugung dienen. Der Einzelne hat ein auch verfassungsrechtlich geschütztes berechtigtes Interesse daran, sich gegen u. U. existenzbedrohende Risiken abzusichern, indem er Versicherungsschutz nimmt.327 Allerdings ist es angesichts der Regelung in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG erforderlich, dass der potenziell Haftpflichtige den Vertrag selbst abschließt und für die Prämien aus seinem Privatvermögen aufkommt (s. Einf Rn. 130).328

b) Bedenken bei Akzessorietät. In der Praxis wird die Selbstbehaltsversicherung regelmäßig 187 mit demselben VR geschlossen, bei dem auch die Unternehmens-D&O-Versicherung besteht.329 Ein D&O-VR, der mit einem Versicherungsfall konfrontiert wird, dessen konkreter Schaden überwiegend vom Pflicht-Selbstbehalt des Vorstandsmitglieds abgedeckt ist, würde nämlich eine etwaige Anspruchsabwehr kaum ernsthaft betreiben, sofern ein anderer (Selbstbehalts-)VR dafür aufzukommen hat.330 Diesem Risiko wird sich ein SelbstbehaltsVR nicht aussetzen. Typischerweise ist die Selbstbehaltspolice akzessorisch zur beim selben VR bestehenden D&O-Unternehmenspolice ausgestaltet (s. etwa die Präambel sowie Ziff. 1 und 4 der Musterbedingungen des GDV zur persönlichen Selbstbehaltsversicherung und zu diesen Rn. 194 ff.). Sind beide VR identisch, kommt eine Anwendung der Regeln über die Gefahrerhöhung (Ziff. B3-2; §§ 23 ff.

325 MünchHdbGesR/Armbrüster § 108 Rn. 21; Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 59; Dauner-Lieb/Tettinger ZIP 2009 1555, 1557; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 139; Mitterlechner/Wax/Witsch § 6 Rn. 41 mit Fn. 84.Lange § 17 Rn. 4 ff.; ders. VersR 2009 1011, 1022 f.; Olbrich/Kassing BB 2009 1659, 1662; Kerst WM 2010 594, 601 f.; Thüsing/Traut NZA 2010 140, 142 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 7; so im Erg. auch R. Koch AG 2009 637, 645 f. (zwar Umgehungsgeschäft, aber keine Nichtigkeit gem. § 134 BGB, da VR und Vorstandsmitglied nicht Verbotsadressaten seien); Gädtke VersR 2009 1565, 1568 ff. (mit verfassungsrechtlicher Argumentation). Zur Beurteilung verschiedener Modelle s. Gädtke/Wax AG 2010 851, 852 ff. 326 Doralt ZGR 2019 996, 1043 ff.; Hüffer/Koch AktG § 93 Rn. 59; Sanders/Berisha NZG 2020 1290, 1296; Thüsing AG 2009 517, 527; Thüsing/Traut NZA 2010 140, 143; s. auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 59 (verfassungsrechtliche Unzulässigkeit eines Verbots der Selbstbehaltsversicherung sei „sehr zweifelhaft“); a. A. Dreher AG 2008 429, 432 f. (D&O-Versicherung konstituiere die unternehmerische Handlungsfreiheit); Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 228; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek GmbHG § 43 Rn. 8. 327 Gädtke VersR 2009 1565, 1571; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 129; Lange VersR 2009 1011, 1022 f. 328 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 59; Lange § 17 Rn. 4 ff.; Kerst WM 2010 594, 602; Olbrich/Kassing BB 2009 1659, 1662; s. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 142 f. – R. Koch AG 2009 637, 645 f. geht zwar von einer Umgehung des Normzwecks des nach seiner Ansicht als Verbotsgesetz zu qualifizierenden § 93 Abs. 2 S. 3 AktG aus, da etwa die Prämienzahlung nur eine geringe verhaltenssteuernde Wirkung habe; freilich sei dieses Umgehungsgeschäft nicht gem. § 134 BGB nichtig, da VR und Vorstandsmitglied nicht Adressaten des Verbotsgesetzes seien. 329 S. dazu Lange RuS 2010 92, 95 ff.; vgl. auch die diesbezügliche Empfehlung bei Albers CCZ 2009 222, 226; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 146 (mit Alternative einer Folgepflicht des Selbstbehaltsversicherers bei fehlender Identität der VR); Kerst WM 2010 594, 602 f.; ferner Jula 254; unzutr. für Unzulässigkeit dieser Gestaltung Pregler 275 f. 330 Lange § 17 Rn. 9. 937

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

VVG) von vornherein nicht in Betracht.331 Man wird allerdings auch bei Verschiedenheit der VR nicht davon auszugehen haben, dass allein die Existenz von Versicherungsschutz für den Selbstbehalt die Gefahr bei der Unternehmens-D&O-Police steigert.332 188 Das Zusammentreffen von Unternehmens- und akzessorischer Selbstbehaltspolice führt zu der Frage, ob diese Kombination AGB-rechtlichen Bedenken begegnet. Teils wird vorgebracht, dass der automatische Verlust der Selbstbehaltsdeckung infolge der Akzessorietät für den VN der Selbstbehaltspolice überraschend (§ 305c Abs. 1 BGB) und unangemessen benachteiligend i. S. v. § 307 BGB sein könne. Dies gelte insbes. dann, wenn der VR aus der D&O-Police infolge von Umständen leistungsfrei wird, die der VN der Selbstbehaltspolice nicht zu vertreten hat.333 Aufgrund der Akzessorietät hängt die Leistungspflicht des VR aus der Selbstbehaltspolice davon ab, dass er unter der D&O-Unternehmenspolice tatsächlich geleistet hat.334 Ist der VR hinsichtlich der Unternehmenspolice aus Gründen leistungsfrei, die sich dem 189 Einflussbereich des Vorstandsmitglieds entziehen, kann dies für letzteres zu einer Schutzlücke führen.335 Indessen trifft die Haftung dann, wenn der D&O-VR (aus welchen Gründen auch immer) gegenüber einem Vorstandsmitglied als versicherter Person leistungsfrei ist, dieses Vorstandsmitglied – vorbehaltlich einer Zusatzdeckung (s. Einf Rn. 131 ff.) – jenseits des Selbstbehalts wirtschaftlich ohnehin in vollem Umfang. Das Vorstandsmitglied ist mithin infolge der Akzessorietät nicht schlechter gestellt als bei einer umfassenden Deckung (ohne Selbstbehalt) durch die Unternehmenspolice. Die Versicherung des Selbstbehalts bezweckt es aber nicht ihm einen weiter reichenden Schutz als diesen zu verschaffen; vielmehr soll nur die für seine persönliche Absicherung durch den Pflicht-Selbstbehalt entstandene Lücke geschlossen werden. Im Übrigen sind solche Akzessorietätsregeln jedenfalls deshalb von der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle befreit, weil es sich um einen gem. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB nicht kontrollfähigen Bestandteil des Hauptleistungsversprechens handelt.

2. Ausgestaltung 190 Die Selbstbehaltsversicherung ist eine Eigenversicherung der potenziell Haftpflichtigen. Darin unterscheidet sie sich strukturell von der Unternehmens-D&O-Police als einer – in Gestalt der Side A-Deckung – von der Gesellschaft als VN für die potenziell Haftpflichtigen als versicherte Personen genommenen Deckung (s. Einf Rn. 89). In der Praxis werden sehr unterschiedliche Ausgestaltungen von Persönlichen D&O-Versi191 cherungen eingesetzt.336 Außer den Musterbedingungen (s. Rn. 194 ff.) gibt es auch Bedingungswerke, die sich nicht auf die Absicherung des gesetzlich geforderten Selbstbehalts beschränken, sondern weitere Deckungsbausteine enthalten oder sogar als Individualpolicen eine Globalpolice völlig ersetzen (s. Einf Rn. 126 ff.). Sofern in der Unternehmenspolice auch hinsichtlich der Abwehrkosten ein (insoweit frei192 williger; s. Rn. 141) Selbstbehalt vorgesehen ist, kann dieses Risiko durch eine (persönliche Selbstbehalts-)Rechtsschutzversicherung gedeckt werden.337 331 332 333 334

Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 147. Insoweit a. A. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 148. Lange § 17 Rn. 19. Gädtke/Wax AG 2010 851, 856; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C Rn. 194; Lange § 17 Rn. 18. 335 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C Rn. 194; Lange § 17 Rn. 19, der solche Klauseln als überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB und den VN unangemessen benachteiligend i. S. v. § 307 BGB ansieht. 336 Überblicke bei Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 144; Lange § 17 Rn. 7 ff.; Mitterlechner/ Wax/Witsch § 6 Rn. 37 ff.; s. auch Albers CCZ 2009 222, 226; Franz DB 2009 2764, 2772; Gädtke/Wax AG 2010 851, 858 ff.; Lange RuS 2010 92, 95; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 65 ff.; Messmer ZfV 2009 737, 742 ff.; Pregler 277 ff. 337 Lange § 17 Rn. 4. Armbrüster

938

F. Selbstbehalt (Ziff. A-6.5)

AVB D&O A-6

3. Hinweis VR und Vermittler haben beim Abschluss einer D&O-Versicherung grds. gem. §§ 6 Abs. 1, 61 193 Abs. 1 VVG auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine Selbstbehaltsversicherung abzuschließen. Ist der Vertrag über einen Makler abgeschlossen oder handelt es sich um ein Großrisiko, so entfällt die Pflicht des VR (§ 6 Abs. 6 VVG); insoweit ist dann ggf. der Makler hinweispflichtig.338

4. Musterbedingungen Anlässlich der Einführung eines Pflicht-Selbstbehalts für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG (s. Einf Rn. 128) hat der GDV im März 2010 Muster-AVB zur Persönlichen Selbstbehaltsversicherung unverbindlich zur fakultativen Verwendung bekannt gegeben. Diese Muster-AVB wurden seitdem nicht aktualisiert. Sie sind insbes. nicht in die neue Musterbedingungs-Struktur für Haftpflichtbedingungen überführt worden. Die aktuellen AVB D&O sind erst nach Veröffentlichung der Muster-AVB zur Persönlichen Selbstbehaltsversicherung veröffentlicht worden. Dies ruft indessen bei der Selbstbehaltsversicherung keinen Anpassungsbedarf hervor, da es keine Verweisungen auf bestimmte AVB der vom Unternehmen genommenen D&O-Versicherung gibt. Die Muster-AVB verweisen allerdings an verschiedenen Stellen auf die Unternehmenspolice (s. etwa Ziff. 2, 3, 4, 5.1). Durch diese Bezugnahmen entfällt das Erfordernis bestimmte Fragen ausdrücklich zu regeln. Dies gilt etwa für den Begriff des Tochterunternehmens (vgl. Ziff. 2). Als versicherte Tätigkeit ist in Nr. 2 allein die Tätigkeit des VN als Vorstandsmitglied aufgeführt. Sofern weitere Personen einbezogen werden sollen, etwa im Hinblick auf die Empfehlung in Ziff. 3.3.2 PCGK (s. Einf Rn. 54), muss die Klausel entsprechend erweitert werden.339 Die Musterbedingungen haben folgenden Wortlaut: „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die persönliche Absicherung des Selbstbehalts nach dem VorstAG (Persönliche Selbstbehaltsversicherung) Musterbedingungen des GDV (Stand: März 2010) Präambel Gemäß § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG ist bei Abschluss einer D&O-Versicherung (nachfolgend: D&O-Versicherungsvertrag) durch die Gesellschaft zwingend ein Selbstbehalt für Vorstände von Aktiengesellschaften vorgesehen. Dieses persönliche Risiko – d. h. der gesetzlich vorgesehene Pflicht-Selbstbehalt – kann durch das Vorstandsmitglied privat versichert werden (nachfolgend: Persönliche Selbstbehaltsversicherung). Nach den nachstehenden Bedingungen handelt es sich bei dieser Persönlichen Selbstbehaltsversicherung um einen eigenständigen persönlichen Versicherungsvertrag des Vorstandsmitglieds. Hierbei ist die Persönliche Selbstbehaltsversicherung so ausgestaltet, dass eine Leistung dann erfolgt, wenn aus dem D&O-Versicherungsvertrag der Gesellschaft gezahlt wird und hierdurch der nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG vorgeschriebene Pflicht-Selbstbehalt zur Anwendung gelangt (insoweit Ziff. 4 Abs. 2 der nachfolgenden Bedingungen). Eine eigenständige Prüfung der Haftung des Vorstandsmitglieds erfolgt insoweit nicht und ist letztlich auch nicht erforderlich, weil die Begründetheit des Anspruchs gegen das Vorstandsmitglied bereits im Rahmen des D&O-Versicherungsvertrages der Gesellschaft als Fremdversicherung zugunsten der versicherten Organe (hier: der Vorstandsmitglieder) geprüft wurde. Der unten in Bezug genommene D&O-Versicherungsvertrag basiert auf dem Claims-Made-Prinzip. Das bedeutet, dass solche Haftpflichtansprüche versichert sind, die während der Dauer dieses Versicherungsvertrages erstmals geltend gemacht werden oder in eine dort vereinbarte Nachmeldefrist fallen, und zwar unabhängig vom Zeitpunkt der Pflichtverletzung.

338 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.5 Rn. 7 a. E. 339 Vgl. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.5. 939

Armbrüster

194

195

196

197

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

1. Gegenstand der Versicherung Tritt unter dem von der Gesellschaft, in welcher die unter Ziffer 2 genannte Tätigkeit ausgeübt wird, abgeschlossenen D&O-Versicherungsvertrag ein Versicherungsfall ein, für den Versicherungsschutz unter dem D&O-Versicherungsvertrag besteht und verbleibt für den Versicherungsnehmer ein Selbstbehalt nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG, so gewährt der Versicherer dem Versicherungsnehmer über vorliegende Persönliche Selbstbehaltsversicherung Versicherungsschutz in Höhe des Selbstbehalts. 2. Versicherte Tätigkeit Versichert ist die Tätigkeit des Versicherungsnehmers als Mitglied des Vorstands bei der im Versicherungsschein genannten Gesellschaft, auf die das deutsche Aktiengesetz (AktG) Anwendung findet, und welche Versicherungsnehmerin des unter Ziffer 1 genannten D&O-Versicherungsvertrages oder, nach Maßgabe des genannten D&O-Versicherungsvertrages, ein Tochterunternehmen derselben ist. 3. Zeitlicher Umfang des Verssicherungsschutzes Versicherungsschutz besteht für Versicherungsfälle (erstmalige Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen) unter dem D&O-Versicherungsvertrag der Gesellschaft, die während der Laufzeit dieser Persönlichen Selbstbehaltsversicherung eintreten, unabhängig davon, wann der Selbstbehalt für den Versicherungsnehmer fällig wird. 4. Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes Der Versicherungsschutz umfasst die Erstattung des persönlichen Selbstbehalts, der von dem Versicherungsnehmer unter dem D&O-Versicherungsvertrag der Gesellschaft zu tragen ist. Für den Umfang der Leistung des Versicherers ist die im Versicherungsschein angegebene Versicherungssumme der Höchstbetrag für jeden Versicherungsfall und für alle während eines Versicherungsjahres eingetretenen Versicherungsfälle zusammen. Die Leistungspflicht des Versicherers besteht, wenn der Versicherungsnehmer dieser Selbstbehaltsversicherung unter dem D&O-Versicherungsvertrag der Gesellschaft im Falle der dortigen endgültigen Freistellung durch den Versicherer einen Selbstbehalt zu tragen hat. Die Leistungspflicht des Versicherers ist in jedem Falle begrenzt auf 10 % des Schadens, für den der Versicherungsnehmer gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG haftet, maximal jedoch auf 150 % der festen jährlichen Vergütung, welche der Versicherungsnehmer in dem Jahr erhalten hat, in welchem die Pflichtverletzung begangen wurde, die dem Anspruch aus § 93 Abs. 2 AktG zugrunde liegt. Sofern unter dem D&O-Versicherungsvertrag der Gesellschaft ein höherer Selbstbehalt vereinbart worden ist, besteht hierfür Versicherungsschutz unter dieser Persönlichen Selbstbehaltsversicherung nur nach gesonderter Vereinbarung. 5. Obliegenheiten des Versicherungsnehmers 5.1 Schadenanzeige Jeder Versicherungsfall unter dem D&O-Versicherungsvertrag, der eine persönliche Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers zum Gegenstand hat und während der Laufzeit dieser Persönlichen Selbstbehaltsversicherung eintritt, ist dem Versicherer unter dieser Persönlichen Selbstbehaltsversicherung unverzüglich anzuzeigen. 5.2 Schadenabwendung und -minderung Der Versicherungsnehmer muss im Rahmen seiner Möglichkeiten für die Abwendung und Minderung des Schadens sorgen. Weisungen des Versicherers sind dabei zu befolgen, soweit es für den Versicherungsnehmer zumutbar ist. Er hat dem Versicherer ausführliche und wahrheitsgemäße Schadenberichte zu erstellen und ihn bei der Schadenermittlung und -regulierung zu unterstützen. Alle Umstände, die nach Ansicht des Versicherers für die Bearbeitung des Schadens wichtig sind, müssen mitgeteilt sowie alle dafür angeforderten Informationen in Textform zur Verfügung gestellt werden. 5.3 Anerkenntnis, Vergleich oder Befriedigung von Schadenersatzansprüchen Sofern der Versicherungsnehmer ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Schadenersatzanspruch ganz oder zum Teil anerkennt, vergleicht oder befriedigt, bei dem ein Selbstbehalt gem. § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG zur Anwendung kommt, bindet dies den Versicherer nur, soweit der Schadenersatzanspruch auch ohne Anerkenntnis, Vergleich oder Befriedigung bestanden hätte.

Armbrüster

940

G. Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6)

AVB D&O A-6

5.4 Rechtsfolgen bei Obliegenheitsverletzungen Verletzt der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit aus diesem Vertrag, die er vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen hat, kann der Versicherer den Vertrag innerhalb eines Monats ab Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung fristlos kündigen. Der Versicherer hat kein Kündigungsrecht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruhte. Wird eine Obliegenheit aus diesem Vertrag vorsätzlich verletzt, verliert der Versicherungsnehmer seinen Versicherungsschutz. Bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weist der Versicherungsnehmer nach, dass er die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt hat, bleibt der Versicherungsschutz bestehen. Der Versicherungsschutz bleibt auch bestehen, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung ursächlich war. Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat. Die vorstehenden Bestimmungen gelten unabhängig davon, ob der Versicherer ein ihm nach Ziff. 5.4 Absatz 1 zustehendes Kündigungsrecht ausübt. 6. Vertragsdauer Der Vertrag wird für den im Versicherungsschein genannten Zeitraum geschlossen. Eine Verlängerung des Vertragsverhältnisses bedarf einer ausdrücklichen Vereinbarung. 7. Anzeigen und Willenserklärungen Alle für den Versicherer bestimmten Anzeigen und Erklärungen sind in Textform abzugeben und an die Direktion des Versicherers zu richten. 8. Gerichtsstand und anzuwendendes Recht Im Übrigen gelten für die Versicherung die Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten aus dem Versicherungsvertrag ist der Sitz des Versicherers oder seiner für den Versicherungsvertrag zuständigen Niederlassung. Örtlich zuständig ist auch das Gericht, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz oder, in Ermangelung eines solchen, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für Klagen gegen den Versicherungsnehmer ist dieses Gericht ausschließlich zuständig. Hat der Versicherungsnehmer nach Vertragsschluss seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort aus dem Geltungsbereich des Versicherungsvertragsgesetzes verlegt oder ist dieser im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt, bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit für Klagen aus dem Versicherungsvertrag gegen den Versicherer oder den Versicherungsnehmer nach dem Sitz des Versicherers oder seiner für den Versicherungsvertrag zuständigen Niederlassung. Für diesen Vertrag gilt ausschließlich deutsches Recht.“

G. Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6) I. Grundlagen 1. Zweck Die Serienschadenklausel340 in Ziff. A-6.6 bezweckt es, die Leistungspflicht des VR für den Fall 198 zu begrenzen, dass während der Wirksamkeit des Vertrags mehrere Ansprüche geltend gemacht werden, die auf einer oder auf mehreren demselben Sachverhalt zuzuordnenden Pflichtverlet340 Zu Serienschadenklauseln in der D&O-Versicherung s. Lange VersR 2004 563 ff.; Schmitt Organhaftung und D&O-Versicherung (2007) 195 ff.; allg. zu Serienschadenklauseln in der Haftpflichtversicherung Fenyves Die rechtliche Behandlung von Serienschäden in der Haftpflichtversicherung (1988); Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 6 AHB 2012 Rn. 8 ff.; Nowak-Over Auslegung und rechtliche Zulässigkeit von Serienschadenklauseln in der Haftpflicht- und Vermögenschadenhaftpflichtversicherung (1991); Wandt FS Fenyves (2013) 781. 941

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

zung beruhen. Dies geschieht durch zwei Fiktionen: Die mehreren Ansprüche gelten als ein Versicherungsfall (Fiktion eines einzigen Versicherungsfalls; Abs. 1). Die zweite Fiktion betrifft die zeitliche Zuordnung dieses als einheitlich fingierten Versicherungsfalls: Er gilt als in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem der erste Anspruch geltend gemacht wurde (Fiktion des Eintrittszeitpunkts; Abs. 2). 199 Die beiden Fiktionen wirken sich in ihrem Zusammenspiel dahin aus, dass dann, wenn in mehreren Versicherungsperioden Ansprüche i. S. v. Ziff. A-2 aufgrund desselben Sachverhalts erhoben werden, die Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung steht, und zwar aus der ersten Versicherungsperiode (s. Rn. 227). Umgekehrt bewirkt die fiktive Zusammenfassung zu einem einzigen Versicherungsfall aber auch, dass ein vereinbarter Selbstbehalt nur einmal abzuziehen ist (s. Rn. 167). Mithin kann die Serienschadenklausel für beide Seiten Vorteile haben,341 wenngleich meist der deckungsbegrenzende Effekt (s. Rn. 201) überwiegt. Der BGH hat dargelegt, dass dem VR ein (berechtigtes) Interesse an der Vereinbarung 200 einer Serienschadenklausel nicht abgesprochen werden könne, weil sie „unsorgfältiger Arbeit entgegenwirkt und dadurch Haftpflichtfälle vermeiden hilft.“342 Es ist in Zweifel gezogen worden, ob diese auf die Architekten-Berufshaftpflichtversicherung bezogene Erwägung auch auf die D&O-Versicherung übertragbar ist.343 Jedenfalls lässt sich ein im Grundsatz berechtigtes Interesse daraus herleiten, dass die Klausel einem Kumulrisiko des VR für den Fall entgegenwirkt, dass sich bei einem VN die Schadensfälle während der über eine Versicherungsperiode hinausreichenden Vertragslaufzeit häufen.344

2. Auslegungsmaßstab 201 Die mit den beiden Fiktionen verbundene Einschränkung des Deckungsumfangs führt dazu, dass die Serienschadenklausel als Risikobegrenzung grds. eng auszulegen ist.345 Dies entspricht auch der st. Rspr. des BGH. Demnach sind Risikobegrenzungsklauseln nicht in einem umfassenderen Sinne zu verstehen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (sog. Restriktionsprinzip).346 Freilich darf eine Serienschadenklausel auch nicht umgekehrt in einer Weise ausgelegt werden, durch welche die Haftung des VR erweitert wird.347 Dies gilt auch für die nach Ansicht des BGH „schwer zu präzisierende“348 Wendung „recht202 licher oder wirtschaftlicher Zusammenhang“, die sich der Sache nach auch in Ziff. A-6.6 Abs. 1 lit. b findet, sowie für die Dauer des „zeitlichen Zusammenhangs“. Durch diesen stren341 ÖOGH 19.11.2015 – 7 Ob 137/15 w, VersR 2016 949, 951; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 181; Lange VersR 2014 563, 566 ff.

342 BGH 28.11.1990 – IV ZR 184/89, VersR 1991 175, 176 (betr. Architektenhaftpflichtversicherung). 343 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 71. 344 Im Erg. so auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 71 („im Ansatz akzeptabel“); Seitz/Finkel/Klimke/ Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 177 f. 345 BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187 (sub III 2 a); Prölss/Martin/Armbrüster Einl. VVG Rn. 281; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 178; Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt Ziff. 6 AHB Rn. 11; Wandt FS Fenyves (2013) 781, 782 f.; im Kontext der D&O-Versicherung OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021 1355, 1359; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1174; Olbrich 175 f.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.6 Rn. 1. 346 S. nur BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187, 188 (betr. AHB-Serienschadenklausel); BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, VersR 2003 1389, 1390 m. insoweit zust. Anm. Gräfe NJW 2003 3673, 3674 (betr. Serienschadenklausel in AVB Vermögen); vgl. auch BGH 19.2.2003 – IV ZR 318/02, VersR 2003 454, 455 (betr. Risikoausschluss in ARB); BGH 26.2.2020 – IV ZR 235/19, VersR 2020 549 Rn. 9, 14 (betr. Risikoausschluss in Gebäudeversicherungsbedingungen). 347 OLG Düsseldorf 12.7.2017 – 4 U 61/17, RuS 2018 193 Rn. 31 (betr. Heranziehung der Klausel für die Bestimmung des Versicherungsfalls). 348 BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, VersR 2003 1389 (betr. Serienschadenklausel in AVB Vermögen). Armbrüster

942

G. Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6)

AVB D&O A-6

gen Auslegungsmaßstab soll einer Aushöhlung des Versicherungsschutzes in Fällen entgegengewirkt werden, in denen nicht eindeutig ist, ob die Klausel eingreift. Zugleich wird damit eine Verwerfung wegen Intransparenz oder wegen Aushöhlung des Versicherungsschutzes vermieden.349 Gelangt man in Anwendung dieser Auslegungsregeln dazu, dass mehrere Verständnismög- 203 lichkeiten bestehen, so ist die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu beachten.350 Nach jener Vorschrift gehen Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders. Die Klausel bleibt dann wirksam, aber mit dem für den Kunden günstigsten Inhalt. Allerdings setzt die Anwendung der Unklarheitenregel voraus, dass die mehreren Verständnismöglichkeiten gleichwertig sind. Angesichts des Restriktionsprinzips (s. Rn. 201) bleibt daher für die Anwendung der Regel wenig Raum.351

II. Wirksamkeit 1. Leitbildkontrolle Hinsichtlich der AGB-rechtlichen Wirksamkeitskontrolle (zu ihrer Reichweite in der D&O-Versi- 204 cherung s. Einf Rn. 71 ff.) kommt zunächst ein Verstoß von Ziff. A-6.6 gegen ein gesetzliches Leitbild i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Betracht. Im Schrifttum wird insoweit teils darauf verwiesen, aus § 100 VVG lasse sich entnehmen, dass die Versicherungssumme dem VN grds. für jeden einzelnen Schadensfall voll zur Verfügung stehen müsse.352 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Gesetzgeber in § 100 VVG keine Definition des 205 Versicherungsfalls hat aufstellen wollen (s. Ziff. A-1 Rn. 1).353 Aus dieser Norm lassen sich daher keine Folgerungen für ein gesetzliches Leitbild entnehmen, an dem sich jenseits der Kontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Vertragszweckgefährdung) vertragliche Einschränkungen des Leistungsversprechens messen lassen müssten. So stellen sich denn auch die Anforderungen an die auch von jener Ansicht zugelassenen „Ausnahmen“ nicht als Kriterien der Leitbildkontrolle, sondern als solche der Vertragszweckgefährdung dar. Wenn der BGH gleichwohl aus § 149 VVG a. F. (vgl. § 100 VVG n. F.) ein Leitbild des Inhalts zu entnehmen versucht hat, „dass die finanzielle Abdeckung der aus dem einzelnen Haftpflichtfall erwachsenen Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers einem Dritten gegenüber Gegenstand des Leistungsversprechens des Versicherers ist“,354 kann dem hinsichtlich der systematischen Zuordnung zur Leitbildkontrolle statt zur Kontrolle wegen Vertragszweckgefährdung nicht gefolgt werden. Ganz unabhängig von dieser Frage hält Ziff. A-6.6 aber auch nach den Maßstäben des BGH 206 der Kontrolle stand. Die seinerzeit kontrollierte Serienschadenklausel bei der Architekten-Berufshaftpflichtversicherung wurde deshalb für unwirksam erklärt, weil der Verwender in ihr auf jede zeitliche und enge sachliche Verknüpfung (von gemeinsamer Fehlerquelle, Verstößen und Eintritt der Schäden) verzichtet hat. Ziff. A-6.6 trägt dieser Rspr. gerade dadurch Rechnung, dass diesbezüglich strengere Anforderungen gestellt werden.355

349 350 351 352

Wandt FS Fenyves (2013) 781, 783. Lange VersR 2004 563, 567 Fn. 38. Zu weitgehend Säcker VersR 2005 10, 13. Prölss/Martin/Lücke Ziff. 6 AHB Rn. 15; HK VVG/Schimikowski Ziff. 6 AHB Rn. 3 (jeweils im Kontext von Ziff. 6 AHB). 353 BTDrucks. 16/3945 S. 84. 354 BGH 28.11.1990 – IV ZR 184/89, VersR 1991 175, 176; zur Beurteilung der Nachfolgeklausel in BBR Arch A Ziff. 1.5 s. Prölss/Martin/Lücke BBR Arch A Ziff 1.5 Rn. 18 ff., 22. 355 GDV-Erl. zu Ziff. A-6.6; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 135; vgl. auch Gräfe NJW 2003 3673, 3675 (betr. Serienschadenklausel in AVB Vermögen). 943

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

2. Vertragszweckgefährdung 207 Was die Kontrolle unter dem Aspekt der Vertragszweckgefährdung angeht, so ließe sich zunächst die Regelung in Abs. 1 lit. b) kritisch sehen. Dies gilt insbes., soweit demnach auch mehrere Ansprüche mehrerer Anspruchsteller356 aufgrund mehrerer Pflichtverletzungen zu einem einzigen Versicherungsfall zusammengezogen werden.357 Indessen ist damit keine Aushöhlung des Versicherungsschutzes verbunden.358 Hinzu kommt, dass die Anwendung der Serienschadenklausel zugleich dazu führt, dass ein vereinbarter Selbstbehalt nur einmal – nämlich auf den als einheitlich fingierten Versicherungsfall bezogen – anfällt (s. Rn. 167).359 Zudem kommt es in Betracht die fiktive Vorverlagerung des Versicherungsfalls auf die erste 208 Versicherungsperiode in Abs. 2 als unangemessene Benachteiligung anzusehen. Dagegen ließe sich einwenden, dass diese Regelung für die versicherten Personen keineswegs zwangsläufig nachteilig ist; sie kann ihm je nachdem, für welche Versicherungsperiode die Versicherungssumme noch nicht ausgeschöpft ist, auch Vorteile bieten.360 Allerdings führt die Kombination mit der Fiktion in Abs. 1 insgesamt eher dazu, dass der 209 Versicherungsschutz – entsprechend dem Zweck der Klausel (s. Rn. 198 ff.) beschränkt wird. Ein Nachteil kann insbes. darin liegen, dass die versicherte Person keinen Deckungsschutz beanspruchen kann, weil die für die erste Versicherungsperiode verfügbare Versicherungssumme ausgeschöpft ist, obwohl für diejenige Periode, in welche die jeweilige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs fällt, noch eine Deckungssumme verfügbar wäre. Nach teils vertretener Ansicht führt dies dazu, dass die Fiktion in Abs. 2 insoweit nach § 307 BGB unwirksam ist, mit der Folge, dass zwar die Fiktion des Abs. 1 unberührt bleibt sodass nur ein Versicherungsfall vorliegt, dass für diesen aber die noch nicht anderweitig ausgeschöpfte Deckungssumme (Maximierung) mehrerer Versicherungsjahre zur Verfügung steht.361 Damit können, wie diese Ansicht einräumt, Probleme verbunden sein, wenn die Vertragsbedingungen während unterschiedlicher Perioden innerhalb der Gesamtlaufzeit voneinander abweichen.362 Davon unabhängig überzeugt es aber bereits nicht, eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen.363 Mit der Klausel verfolgt der VR nämlich ein grds. berechtigtes Interesse (s. Rn. 200).

3. Transparenzgebot 210 Im Schrifttum wird teils eine Intransparenz (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) angenommen, da die VR die Begriffe „rechtlicher“, „wirtschaftlicher“ und „zeitlicher“ Zusammenhang ohne Weiteres konkretisieren könnten; auch das OLG Frankfurt/M. hat diese Sichtweise unlängst - freilich ohne Auseinandersetzung mit der Gegenmeinung - vertreten.364 Schon angesichts der BGH-Rspr. zum Restriktionsprinzip (s. Rn. 201) ist dem nicht zu folgen.365

356 Insoweit unzutr. Verständnis der Klausel bei Ihlas 444 und Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 556, der sie entgegen dem Wortlaut bei einer Mehrheit von Anspruchstellern für unanwendbar hält.

357 Bedenken bei Ihlas 444. 358 Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen § 26 Rn. 336 ff. (zur Vermögenschadenhaftpflichtversicherung). 359 S. dazu Lange VersR 2004 563, 567; hingegen sieht Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 77 darin „keine adäquate Kompensation“. 360 Näher Lange VersR 2004 563, 567. 361 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 78. 362 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 78 unter Bezugnahme auf Lange VersR 2004 563, 565 f. Fn. 31. 363 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 177; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1174 f.; Schmitt Organhaftung und D&O-Versicherung (2007) 195 ff.; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.6 Rn. 4. 364 OLG Frankfurt/M. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021 1355, 1360 ff.; Lange VersR 2004 563, 566 f. 365 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 178; Schmitt Organhaftung und D&O-Versicherung (2007) 195 ff.; vgl. auch Gräfe NJW 2003 3673, 3675; offen lassend Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.6 Rn. 4 a. E. Armbrüster

944

G. Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6)

AVB D&O A-6

III. Fiktion eines Versicherungsfalls (Abs. 1) 1. Grundlagen Nach Abs. 1 ist zwischen einer und mehreren Pflichtverletzungen sowie zusätzlich zwischen einer und mehreren in Anspruch genommenen versicherten Personen zu unterscheiden. Auch wenn eine einzige versicherte Person nur eine einzige Pflichtverletzung begangen hat, kommt Abs. 1 lit. a) zum Zuge, falls die Inanspruchnahmen in verschiedenen Versicherungsperioden erfolgen. Die Zusammenfassung mehrerer Pflichtverletzungen setzt nicht allein voraus, dass sie demselben Sachverhalt zuzuordnen sind, sondern darüber hinaus auch, dass sie „miteinander in rechtlichem, wirtschaftlichem oder zeitlichem Zusammenhang stehen“. Wie sich aus dem Wort „oder“ eindeutig ergibt, stehen diese verschiedenen Arten eines Zusammenhangs alternativ nebeneinander. Es genügt mithin, wenn sich nach einem der drei Kriterien ein Zusammenhang ergibt (vgl. demgegenüber § 4 Ziff. 4.1.3 AVB Verm, wonach ein zeitlicher und rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang erforderlich ist).366 Ob dies der Fall ist, lässt sich häufig nicht ohne Weiteres feststellen.367 Für die Ermittlung des Zusammenhangs bedarf es jeweils einer Gesamtbetrachtung aller Umstände (s. Rn. 225 f.). Maßgeblich ist nach der allg. Auslegungsregel der Verständnishorizont eines durchschnittlichen VN und einer durchschnittlichen versicherten Person in der D&O-Versicherung (s. Einf Rn. 65 ff.). Die Tatbestände von Abs. 1 lit. a) und lit. b) sind jeweils für sich zu betrachten. Dies folgt aus dem Wort „oder“ in lit. a) a. E. und, falls man insoweit mehrere gleichrangige Auslegungsmöglichkeiten annimmt, aus der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Mithin werden dann, wenn nach jedem der beiden Tatbestände eine Zusammenfassung zu einem Versicherungsfall erfolgt, diese beiden fiktiven Versicherungsfälle nebeneinanderstehen und nicht ihrerseits zu einem einzigen Versicherungsfall zusammengefasst.368

211

212

213

214

2. Pflichtverletzung Die (zumindest aus Sicht des Anspruchstellers) als Pflichtverletzung anzusehende Handlung 215 kann in einem aktiven Tun oder in einem Unterlassen bestehen. Maßgeblich ist die konkrete Handlung der versicherten Person.369 Eine durch mehrere versicherte Personen begangene Pflichtverletzung kann insbes. darin 216 bestehen, dass die Mitglieder des Vorstands als eines Kollegialorgans gemeinsam eine Fehlentscheidung getroffen haben. Wird überdies dem Aufsichtsrat in Bezug auf diese Pflichtverletzung des Vorstands ein Überwachungsfehler vorgeworfen, so kann darin eine weitere Pflichtverletzung liegen, die demselben Sachverhalt i. S. v. Abs. 1 lit. b) zuzuordnen ist.370

3. Zusammenhang a) Rechtlich. Ein rechtlicher Zusammenhang besteht, wenn die einzelnen Pflichtverletzun- 217 gen auf vertraglicher Grundlage miteinander verbunden sind.371 Hingegen genügt es nicht, 366 S. dazu Späte/Schimikowski/Diller AVB-V § 3 Rn. 90. 367 BGH 17.9.2003 – IV ZR 19/03, VersR 2003 1389 (sub 2 a; betr. „rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang“ in den AVB Verm: „schwer zu präzisierende Klausel“). Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 76. Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.6 Rn. 2. Vgl. Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 135. Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen § 26 Rn. 334; Späte/Schimikowski/Diller AVB-V § 3 Rn. 92 (beide zu den AVB Verm).

368 369 370 371

945

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

wenn dieselbe Rechtsfrage bei verschiedenen Angelegenheiten bedeutsam ist und die versicherte Person z. B. jeweils die Rechtslage unrichtig einschätzt.372 Die verschiedenen Pflichtverletzungen müssen vielmehr rechtlich miteinander verknüpft sein, um einen rechtlichen Zusammenhang herzustellen.

218 b) Wirtschaftlich. Anstelle eines rechtlichen genügt auch ein wirtschaftlicher Zusammenhang. Er ist anzunehmen, wenn die Pflichtverletzungen zwar rechtlich selbstständige, aber wirtschaftlich miteinander verbundene Angelegenheiten betrifft. Davon ist etwa dann auszugehen, wenn es um Teile einer Gesamtmaßnahme373 wie etwa einer Konzernumstrukturierung oder eines Delistings geht.

219 c) Zeitlich. Die Verklammerung mehrerer Inanspruchnahmen zu einem Versicherungsfall setzt ferner alternativ (s. Rn. 213) zum rechtlichen oder wirtschaftlichen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Inanspruchnahmen voraus. Diese Einschränkung soll verhindern, dass der Versicherungsschutz in zeitlicher Hinsicht verwässert wird. Das Erfordernis eines zeitlichen Zusammenhangs wird wegen seiner Unbestimmtheit teils 220 als mit dem Transparenzgebot unvereinbar und damit gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam gehalten.374 Indessen gilt es zu beachten, dass das Erfordernis auf einer vom BGH aufgestellten Anforderung beruht. Wann noch ein zeitlicher Zusammenhang vorliegt, kann nicht allgemein beantwortet wer221 den. Zu anderen Zweigen der Haftpflichtversicherung – regelmäßig unter Geltung des Kausalereignis- oder des Verstoßprinzips – werden in Rspr. und Lit. zur Konkretisierung unterschiedliche Ansätze vertreten. So werden teils Unter- und Obergrenzen benannt. Teils wird angenommen, dass der erforderliche zeitliche Zusammenhang jedenfalls bei einem Zeitraum von unter einer Woche regelmäßig besteht, während er ab einer Höchstfrist von sechs Monaten grds. entfallen soll. 375 Der BGH376 hatte einen Fall zu beurteilen, in dem es innerhalb von zwei Jahren zu unter222 schiedlichen Deckenstürzen kam, wobei zwischen den einzelnen Abstürzen bis zu 10 Monaten lagen. Das Gericht führt aus, hier liege kein einheitliches Schadenereignis vor, und begründet dies damit, dass anderenfalls die Fiktion der Serienschadenklausel unverständlich wäre. Aus jener Begründung lässt sich schließen, dass der BGH den zeitlichen Zusammenhang hier als gewahrt ansieht. Dagegen hat der BGH in einer weiteren Entscheidung377 die Frage nach den zeitlichen Anforderungen ausdrücklich offen gelassen. In Rede stand dort ein Zeitraum von fast fünf Jahren. Nach einer besonders strengen Ansicht stehen nur solche Schadensereignisse in einem 223 zeitlichen Zusammenhang, die gleichzeitig oder jedenfalls kurz hintereinander auftreten.378 Anders sei nur dann zu entscheiden, wenn eine Vielzahl von Schäden unmittelbar aufeinanderfolgend eintritt. Dann sei auch ein Zeitraum von mehreren Tagen noch ausreichend, um den zeitlichen Zusammenhang der jeweiligen Schadensereignisse zu bejahen. Diese Ansicht beruft sich auf eine Aussage des BGH, wonach das Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhangs aus372 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen § 26 Rn. 334; Späte/Schimikowski/Diller AVB-V § 3 Rn. 92 (beide zu den AVB Verm). 373 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen § 26 Rn. 334. 374 Vgl. etwa Späte/Schimikowski/Diller AVB-V § 3 Rn. 92 (zu den AVB Verm): „AGB-rechtlich kaum haltbar“. 375 Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. IV Anm. G 43. 376 BGH 18.1.1965 – IIU ZR 135/62, BGHZ 44 88, 92 ff. = VersR 1965 325, 326; dazu Jung Der Serienschaden in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung (1969) 66 ff. 377 BGH 27.11.2002 – IV ZR 159/01, VersR 2003 187, 188. 378 Meyer-Kahlen VersR 1976 8, 12. Armbrüster

946

G. Serienschadenklausel (Ziff. A-6.6)

AVB D&O A-6

scheiden soll, wenn mehrere Schadensereignisse rein zufällig zum selben Zeitpunkt auftreten.379 Dieser Schluss überzeugt nicht.380 Der BGH konnte nämlich seinerzeit die Anwendbarkeit der Serienschadenklausel schon deshalb verneinen, weil für die insgesamt 18 Schadensereignisse nicht dieselbe Ursache kausal geworden war. Dem Architekten waren vielmehr lediglich gleichartige Rechenfehler bei der Erstellung der Planskizzen unterlaufen. Nach anderer Ansicht soll der erforderliche zeitliche Zusammenhang fehlen, wenn der VR 224 nach Anzeige des ersten Schadensereignisses und vor Eintritt eines Folgeschadens die Möglichkeit hatte, die Beseitigung der Ursache (nach Ziff. 24 AHB) zu verlangen oder den Vertrag zu kündigen.381 Verbreitet wird demgegenüber die Festlegung absoluter zeitlicher Grenzen abgelehnt.382 225 Vielmehr bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Demnach soll ein zeitlicher Zusammenhang dann bestehen, wenn die auf derselben Ursache beruhenden Schadensereignisse i. e. S. nach dem konkreten Geschehensablauf und der Verkehrsauffassung noch als in einen einheitlichen Zeitraum fallend erscheinen.383 Nach einer diesen Ansatz weiter konkretisierenden Formel sollen lediglich diejenigen Fälle zusammengefasst werden, „bei denen sich nach den gesamten Umständen unter besonderer Berücksichtigung des zeitlichen Verhältnisses zueinander die Frage nach einer gemeinsamen Ursache aufdrängt, während die Fälle ausgeklammert sein sollen, die schon aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr ohne weiteres mit den früheren Fällen in Verbindung gebracht werden und diesen allenfalls erst nach genauer Erforschung der Zusammenhänge zugeordnet werden können“.384 Diese Sichtweise entspricht – mit Unterschieden im Einzelnen – der im Grundsatz überwiegend vertretenen Ansicht.385 Stellungnahme: Die in Rn. 225 genannte Ansicht verdient Zustimmung. Soweit die in 226 Rn. 223 f. angeführten abweichenden Ansichten auf konkrete Zeitpunkte Bezug nehmen, sind sie bereits deshalb nicht unbesehen auf die D&O-Versicherung übertragbar, weil hier das Anspruchserhebungsprinzip gilt. Zudem bedarf es stets einer Gesamtwürdigung. Dabei spricht es für einen eher großzügigen Maßstab, dass nach Abs. 1 über den zeitlichen Zusammenhang hinaus auch ein inhaltlicher Bezug auf denselben Sachverhalt erforderlich ist.386

IV. Maßgeblichkeit der ersten Versicherungsperiode (Abs. 2) Nach Abs. 2 ist der fiktive einheitliche Versicherungsfall, der unter den Voraussetzungen von 227 Abs. 2 anzunehmen ist, als im Zeitpunkt der ersten Inanspruchnahme der versicherten Person(en) eingetreten anzusehen. Damit steht den versicherten Personen allein die in diesem Jahr noch vorhandene Versicherungssumme zur Verfügung.

379 380 381 382

BGH 28.5.1969 – IV ZR 617/68, VersR 1969 723, 726. So auch Jung Der Serienschaden in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung (1969) 69 f. Prölss/Martin/Lücke AHB Nr. 6 Rn. 13; dem offenbar folgend FAKomm-VersR/Halm/Fitz, § 6 AHB Rn. 6. Langheid/Wandt/Büsken AllgHaftpflV Rn. 136; Jung Der Serienschaden in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung (1969) 66; Littbarski AHB § 3 Rn. 171; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider § 24 Rn. 140; Späte AHB § 3 Rn. 56; Wandt FS Fenyves (2013) 781, 794 m. Fn. 55. 383 Späte § 3 Rn. 56. 384 Jung Der Serienschaden in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung (1969) 65. 385 S. nur Geyer VersR 1967 920, 921; Langheid/Wandt/Büsken AllgHaftpflV Rn. 136. 386 Vgl. auch BGH VersR 1991 175, 176: Es könne nicht „auf jede zeitliche und vor allem auch enge sachliche Verknüpfung von gemeinsamer Fehlerquelle, den Verstößen und dem Eintritt der Schäden“ verzichtet werden (betr. Risikobegrenzung in § 1 Nr. 3 a BHB). 947

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

V. Unternehmens-AVB 228 Teils wird in Unternehmens-AVB auf die zweite Fiktion (Abs. 2) verzichtet. Dies hat zur Folge, dass die versicherten Personen nicht allein auf die in der ersten Versicherungsperiode verfügbare Versicherungssumme (Jahresmaximierung) verwiesen sind (vgl. demgegenüber Rn. 227 zu Ziff. A-6.6 Abs. 2). Unklar ist, welcher Zeitpunkt in diesem Fall maßgeblich sein soll, wenn sich während des Zeitraums der Inanspruchnahmen Änderungen hinsichtlich Versicherungssumme, Selbstbehalt oder Deckungsumfang ergeben haben. Im Zweifel wird man hier zugunsten der versicherten Personen das Günstigkeitsprinzip heranzuziehen haben.387 Jenseits von Großrisikoverträgen (vgl. Einf Rn. 82 ff.) lässt sich dies auf die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB stützen.

H. Anerkenntnis, Befriedigung, Vergleich; Abandonrecht (Ziff. A-6.7) I. Überblick 229 Ziff. A-6.7 sieht vor, dass der VR in zwei Fällen nicht für Mehraufwand aufzukommen hat. Im ersten Fall scheitert die Erledigung eines Haftpflichtanspruchs durch Anerkenntnis, Befriedigung oder Vergleich am Verhalten des VN oder einer versicherten Person, also an deren Widerstand (s. Rn. 230 ff.). Im zweiten Fall stellt der VR den von ihm geschuldeten Anteil zur Befriedigung des Geschädigten zur Verfügung, macht also sein sog. Abandonrecht geltend (s. Rn. 235 ff.). In beiden Fällen hat der VR nicht für den ab der Weigerung oder dem Abandon entstehenden Mehraufwand an Hauptsache, Zinsen und Kosten aufzukommen.

II. Widerstand gegenüber Erledigung des Haftpflichtanspruchs (Fall 1) 1. Voraussetzungen 230 Fall 1 betrifft den Widerstand des VN oder einer versicherten Person gegen die vom VR angestrebte gütliche Erledigung des Haftpflichtanspruchs. Diese Klausel ist Ziff. 6.8 AHB nachgebildet. Der VR ist aufgrund seiner in Ziff. A-6.2, Ziff. B3-3.2 lit. f vorgesehenen Regulierungs- und Prozessführungsvollmacht (s. Rn. 64 ff.) für die versicherten Personen grds. in der Lage, ohne Mitwirkung der versicherten Person oder des VN den Haftpflichtanspruch durch Anerkenntnis, Befriedigung oder Vergleich zu erledigen. Ob und auf welche Weise er dadurch eine Freistellung (anstelle der Abwehr) bewirkt, liegt nach zutr. Ansicht in seinem pflichtgemäßen Ermessen (zum diesbezüglichen Streit s. Rn. 6 ff.). 231 Allerdings ist der VR aufgrund des Rücksichtnahmegebots als einer Ausprägung des versicherungsrechtlichen Kooperationsgebots388 grds. gehalten, sich mit der versicherten Person im Hinblick auf nicht gedeckte Teile des Haftpflichtanspruchs abzustimmen.389 Bei der D&O-Versicherung gilt das Abstimmungsgebot insbes. dann, wenn schutzwürdige Interessen der versicherten Person auf dem Spiel stehen, insbes. deren persönliche Reputation.390 Freilich hat der VR ein berechtigtes Interesse daran, eine wirtschaftlich sinnvolle Regulie232 rung zu erzielen.391 Diese kann in einer gütlichen Erledigung liegen, während die versicherte

387 388 389 390 391

Krit. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 182. Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 292, 313 ff. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 82; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 187. Vgl. zu diesem Interesse der versicherten Person Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.7 Rn. 1. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 185.

Armbrüster

948

H. Anerkenntnis, Befriedigung, Vergleich; Abandonrecht (Ziff. A-6.7)

AVB D&O A-6

Person zunächst weiterhin die Anspruchsabwehr bevorzugt.392 Eine versicherte Person darf dann eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung nicht aus rein persönlichen, nicht schutzwürdigen Motiven heraus vereiteln und dem VR dadurch Mehrkosten verursachen.393 Ein solcher unberechtigter Widerstand394 führt dazu, dass der VR solche Mehrkosten nach Ziff. A-6.7 Fall 1 nicht zu tragen hat.

2. Qualifizierung als verhüllte Obliegenheit Ziff. A-6.7 Fall 1 knüpft an ein bestimmtes Verhalten des VN oder einer versicherten Person, 233 nämlich den Widerstand gegen die vom VR beabsichtigte Regulierung, eine teilweise Leistungsfreiheit des VR. Darin ist der Tatbestand einer sog. verhüllten Obliegenheit und nicht einer objektiven Risikobeschränkung zu sehen.395 Mithin gelten für die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit die qualifizierten Anforderungen des § 28 VVG.396 Da es sich um eine nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheit handelt, 234 greift die Belehrungspflicht des VR nach § 28 Abs. 4 VVG ein.397 Hinsichtlich der Wirksamkeit von Ziff. A-6.7 Fall 1 bestehen keine Bedenken.398

III. Abandonrecht des VR (Fall 2) Fall 2 regelt das Recht des VR zum sog. Abandon399: Indem er seinen vertragsgemäß geschulde- 235 ten Anteil zur Befriedigung des geltend gemachten Haftpflichtanspruchs zur Verfügung stellt, kann er sich von dem anschließend entstehenden Mehraufwand an Hauptsache und Nebenforderungen (Zinsen, Kosten) befreien. In den AHB ist ein vergleichbares Recht gestrichen worden, was allerdings keine Rückschlüsse auf die D&O-Versicherung gestattet.400 Die Formulierung, wonach der VR seinen vertragsgemäßen Anteil zur Befriedigung des Ge- 236 schädigten „zur Verfügung stellt“, soll der Rechtsnatur der Haftpflichtversicherung und der Stellung des Dritten Rechnung tragen.401 Sie ist angelehnt an § 3 Ziff. 9 AVB-Vermögen. Aus ihr geht nicht hervor, an wen der VR zu zahlen hat. Außer den versicherten Personen und dem VN kommen insoweit auch Dritte in Betracht. Mit der vertraglichen Einräumung eines Abandonrechts wird das Hauptleistungsverspre- 237 chen des VR modifiziert. Dieses Versprechen ist gem. Ziff. A-6.1 nicht auf Zahlung gerichtet, sondern auf Abwehr oder Freistellung (s. auch Ziff. A-1 Rn. 1). Die Klausel wirft in der Praxis auch deshalb Probleme auf, weil die versicherten Personen nicht ohne Weiteres zu beurteilen vermögen, welche Höhe der vertragsgemäß geschuldete Anteil des VR hat.402 Allerdings ist es 392 393 394 395

Ihlas 447. GDV-Erl. zu Ziff. A-6.7. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 82. Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 189; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.7 Rn. 1; s. auch Bruck/ Möller/R. Koch9 Ziff. 6 AHB 2012 Rn. 41 (zu Ziff. 6.8 AHB); allg. zur Abgrenzung Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 11 ff.; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 18. 396 Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 42; für Unwirksamkeit wegen Abweichung von § 28 VVG hingegen Bruck/ Möller/R. Koch9 Ziff. 6 AHB 2012 Rn. 43 (zu Ziff. 6.8 AHB). 397 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.7 Rn. 1; allg. Langheid/Wandt/Wandt § 28 Rn. 317 ff. 398 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-6.7 Rn. 1; a. A. Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 6 AHB 2012 Rn. 43 (zu Ziff. 6.8 AHB). 399 Krit. zum Ausdruck Abandon W. Voit NVersZ 2001 481. 400 Näher Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 85. 401 Vgl. W. Voit NVersZ 2001 481, 488 f. (betr. AHB 1999/2002); s. ferner zum Abandonrecht des Haftpflichtversicherers BGH 30.10.1954 – II ZR 131/51, NJW 1955 101, 102 ff. 402 Krit. zur Abandonklausel daher Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 86 (allerdings ohne sie als unwirksam anzusehen). 949

Armbrüster

A-6 AVB D&O

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

grds. Sache jeder Vertragspartei für die Prüfung, ob die andere Seite ihre Vertragspflichten ordnungsgemäß erfüllt, erforderlichenfalls fachlichen Rat einzuholen.

IV. Unternehmens-AVB 238 In Unternehmens-AVB werden Regelungen, die Ziff. A-6.7 entsprechen, oft nicht verwendet. Auch in Ziff. 6.8 AHB ist keine Abandon-Klausel mehr enthalten (vgl. demgegenüber noch § 3 Abs. 4 Ziff. 1 S. 2 AHB 1999/2002).403 Teils werden allerdings vergleichbare Klauseln bei den Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls vorgesehen. Indessen passt dies systematisch allein für den Widerstand (Fall 1), während das Abandonrecht des VR (Fall 2) keine Verhaltensanforderung betrifft. Bisweilen wird für Fall 1 generell nur auf das Verhalten der versicherten Personen und lediglich beim Company Reimbursement (s. Ziff. A-3 Rn. 1) auf dasjenige des VN abgestellt.

403 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 4 AVB-AVG Rn. 85. Armbrüster

950

A-7 Ausschlüsse Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind Haftpflichtansprüche A-7.1 wegen vorsätzlicher Schadenverursachung oder durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Beschluss, Vollmacht oder Weisung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Den versicherten Personen werden die Handlungen und Unterlassungen nicht zugerechnet, die von anderen Organmitgliedern begangen wurden; A-7.2 wegen Rückzahlung oder Rückgabe von Bezügen, Tantiemen oder sonstigen Vorteilen, welche die versicherten Personen aus der versicherten Tätigkeit oder mit Rücksicht auf diese erhalten haben; A-7.3 wegen Schäden durch von dem Versicherungsnehmer oder einer Tochtergesellschaft in den Verkehr gebrachte Produkte, Arbeiten oder sonstige Leistungen A-7.4 wegen Schäden durch Umwelteinwirkungen und alle sich daraus ergebenden weiteren Schäden; A-7.5 – welche vor Gerichten außerhalb der EU oder nach dem Recht von Staaten, die nicht der EU angehören, geltend gemacht werden – dies gilt auch im Falle der Vollstreckung von Urteilen, die außerhalb der EU gefällt wurden –; – wegen Schäden aus der Verletzung oder Nichtbeachtung des Rechts von Staaten, die nicht der EU angehören; A-7.6 aus Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit sog. „Insider-Regeln“; A-7.7 aus Pflichtverletzungen bei einer anderen als der versicherten Tätigkeit (z. B. Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen oder freiberufliche Tätigkeit); A-7.8 die sich daraus ergeben oder damit im Zusammenhang stehen, dass Versicherungsleistungen oder Versicherungen nicht oder unzureichend wahrgenommen, abgeschlossen oder fortgeführt werden; A-7.9 wegen unlauteren Wettbewerbs oder Wettbewerbsbeschränkungen sowie aus der Verletzung von Berufsgeheimnissen, Urheber-, Patent-, Warenzeichen-, Geschmacksmuster- und vergleichbaren Immaterialgüterrechten; A-7.10 wegen Schäden aufgrund von Vertragsstrafen, Kautionen, Bußgeldern und Entschädigungen mit Strafcharakter (punitive und exemplary damages), die gegen den Versicherungsnehmer oder eine Tochtergesellschaft verhängt oder von ihnen übernommen wurden A-7.11 des Versicherungsnehmers, einer Tochtergesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft, deren Vermögensschaden bei einer anderen Gesellschaft dieses Konzerns zu einem Vermögensvorteil geführt hat, in Höhe des Vermögensvorteils; A-7.12 im Zusammenhang mit Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung oder vergleichbaren Handlungen; A-7.13 wegen Schäden aus Spekulationsgeschäften, soweit diese nicht innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs erforderlich und üblich sind (z. B. Kurssicherungsgeschäfte); A-7.14 wegen Schäden des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft durch Einbußen bei Darlehen und Krediten. Dies gilt nicht, soweit die Einbußen verursacht sind durch Pflichtverletzungen bei der Rechtsverfolgung; A-7.15 wegen Schäden aus Anfeindung, Schikane, Belästigung, Ungleichbehandlung oder sonstigen Diskriminierungen; A-7.16 wegen Schäden, die direkt oder indirekt auf Asbest, asbesthaltige Substanzen oder Erzeugnisse zurückzuführen sind oder mit diesen im Zusammenhang stehen; A-7.17 die im Zusammenhang mit Forderungen, Klagen, Verwaltungsakten, Ermittlungsverfahren, Untersuchungen, Urteilen, sonstigen Vollstreckungstiteln oder den diesen zugrunde liegenden Sachverhalten stehen, die bereits vor oder zu Beginn des 951 https://doi.org/10.1515/9783110522662-037

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

Vertrages gegen eine versicherte Person oder den Versicherungsnehmer oder eine Tochtergesellschaft gerichtet waren.

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Allg. Einführung vor Ziff. A-1) Armbrüster Kehrtwende des BGH bei der AGB-Kontrolle in der Lebensversicherung, NJW 2012 3001; ders. Geltung ausländischen zwingenden Rechts für deutschem Recht unterliegende Versicherungsverträge, VersR 2006 1; Bachmann Die Geschäftsleiterhaftung im Fokus von Rechtsprechung und Rechtspolitik, BB 2015 771; Bartl/Lattwein AGG: Auf dem Prüfstand: erste Markterfahrungen und Perspektiven, VP 2008 41 ff.; Bartsch Der Begriff des „Stellens“ Allgemeiner Geschäftsbedingungen, NJW 1986 28; Bayer Legalitätspflicht der Unternehmensleitung, nützliche Gesetzesverstöße und Regress bei verhängten Sanktionen, Festschrift K. Schmidt (2009) 85; Binder/Kraayvanger Regress der Kapitalgesellschaft bei der Geschäftsleitung für gegen das Unternehmen verhängte Geldbußen, BB 2015 1219; Böttcher Bankvorstandshaftung im Rahmen der Sub-Prime Krise, NZG 2009 1047; Bunte Regress gegen Mitarbeiter bei kartellrechtlichen Unternehmensgeldbußen, NJW 2018 123; de Lippe Probleme wissentlicher Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2021 69; Dilling Die Wirksamkeit der Risikoausschlüsse für wissentliche und vorsätzliche Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung (2015); Dißars Die E&O-Versicherung, VersR 2009 1340; Dreher Versicherungsschutz für die Verletzung von Kartellrecht oder von Unternehmensinnenrecht in der D&OVersicherung und Ausschluss vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzungen, VersR 2015 781; ders. Vorstandshandeln zwischen aktienrechtlichem Legalitätsprinzip und kartellrechtlicher Unsicherheit, Festschrift Konzen (2006) 85; Ehlers Ausreichender Versicherungsschutz ein Risikofeld der Managerhaftung, VersR 2008 1173; Fabisch Managerhaftung für Kartellrechtsverstöße, ZWeR 2013 91; Fausten Zur Problematik des Sexual Harassment bei USRisiken und zu deren Bedeutung für deutsche Betriebshaftpflichtversicherungspolicen, VersR 1996 17; Feist Zur Voraussetzungsidentität in der Haftpflichtversicherung, VersR 1978 27; Fleischer Verantwortlichkeit von Bankgeschäftsleitern und Finanzmarktkrise, NJW 2010 1504; ders. Corporate Compliance im aktienrechtlichen Unternehmensverbund, CCZ 2008 1; ders. Kartellrechtsverstöße und Vorstandsrecht, BB 2008 1070; ders. Haftungsfreistellung, Prozesskostenersatz und Versicherung für Vorstandsmitglieder, WM 2005 909; ders. Zur Haftung bei fehlendem Verkaufsprospekt im deutschen und US-amerikanischen Kapitalmarktrecht, WM 2004 1897; Foerste Nochmals – Persönliche Haftung der Unternehmensleitung – die zweite Spur der Produkthaftung? VersR 2002 1; Glöckner/Müller-Tautphaneus Rückgriffshaftung von Organmitgliedern bei Kartellrechtsverstößen, AG 2001 344; Golz D&O-Maklerbedingungen als AGB, VersR 2011 727; Grau/Dust Verbandsgeldbuße und Regresshaftung von Geschäftsleitern, ZRP 2020 134; Grunewald Die Abwälzung von Bußgeldern, Verbands- und Vertragsstrafen im Wege des Regresses, NZG 2016 1121; Hahn Die Versicherbarkeit von Prospekthaftungsansprüchen bei der Emission von geschlossenen Fonds, VersR 2012 393; Hansen Wissentliche Pflichtverletzung in der D&O, VW 2006 313; Hendricks Kein D&O-Schutz für Hasardeure, VW 2006 229; Höchst Zur Versicherbarkeit von punitive damages, VersR 1983 13; Holly/Friedhofen Die Abwälzung von Geldstrafen und Geldbußen auf den Arbeitgeber, NZA 1992 145; Horn Die Haftung des Vorstands der AG nach § 93 AktG und die Pflichten des Aufsichtsrats, ZIP 1997 1129; Hösker Maklerbedingungen und AGB-Recht, VersR 2011 29; Jula Gedanken zur Reichweite des Versicherungsschutzes der D&O-Police am Beispiel des GmbH-Geschäftsführers, Festschrift Baumann (1999) 119; Kapp Dürfen Unternehmen ihren (geschäftsleitenden) Mitarbeitern Geldstrafen bzw. -bußen erstatten? NJW 1992 2796; Keich Organmitglieder im System des Umweltschadengesetzes, Diss. Trier 2012 (zitiert Keich Organmitglieder); ders. Die Verantwortlichkeit der Kapitalgesellschaften, ihrer Organe und Arbeitnehmer nach Umweltschadensgesetz im Innenverhältnis, NuR 2012 737; Kersting Organhaftung für Kartellbußgelder, ZIP 2016 1266; Kiethe Haftung von Organen und Arbeitnehmern bei ausländischen Gesellschaften – Haftungsverschärfung durch Tätigkeit im Ausland, RIW 2007 361; J. Koch Beschränkung der Regressfolgen im Kapitalgesellschaftsrecht, AG 2012 429; ders. Beschränkungen des gesellschaftsrechtlichen Innenregresses bei Bußgeldzahlungen, Liber Amicorum M. Winter (2011) 327; R. Koch Die Auslegung von AVB, VersR 2015 133; ders. Ersatzfähigkeit von Kartellbußen, VersR 2015 655; ders. Das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer, Versicherungsnehmer und versicherten Personen in Innenhaftungsfällen der D&O-Versicherung, ZVersWiss 2012 151; ders. Kollisions- und versicherungsvertragsrechtliche Probleme bei internationalen D&O-Haftungsfällen, VersR 2009 141; ders. Aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der D&O-Versicherung, WM 2007 2173; ders. Versicherung von Haftungsrisiken nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, VersR 2007 288; ders. Die Rechtsstellung der Gesellschaft und des Organmitglieds in der D&O-Versicherung (I), GmbHR 2004 18; Kordes D&O-Versicherung: Zusammentreffen von wissentlicher Pflichtverletzung und weiteren fahrlässigen Pflichtverletzungen, RuS 2019 307; Krause Die zivilrechtliche Haftung des Strafverteidigers, NStZ 2000 225; Krieger/Schneider (Hrsg.) Handbuch Managerhaftung 3. Aufl. (2017) (zitiert: Krieger/Schneider/Bearbeiter); Lange Die Haftung des (versicherungsnehmenden) Unternehmens anstelle des D&O-Versicherers, VersR 2010 162; ders. Praxisfragen der D&O-Versiche-

Gädtke

952

Schrifttum

AVB D&O A-7

rung (Teil II), DStR 2002 1674; Langheid Wissentliche und fahrlässige Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2017 1365; ders. Vernachlässigte Aspekte des Wissenlichkeitsausschlusses VersR 2020, 588; Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Langheid/Müller-Frank Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht 2009, NJW 2010 344; Lattwein/Krüger D&O – Von der Ablehnung wegen Unmoral bis zum Verbandskonzept, VW 1997 1366; Leclerc Kartellgeldbußen als Schaden? NZKart 2021 220; Leder/Thüsing Die Entwicklung des US-amerikanischen Arbeitsrechts in den Jahren 2008 und 2009, NZA 2011 188; Lenz Wirtschaftskrise – Bankvorstände und D&O-Versicherung, Festschrift von Westphalen (2010) 469; Looschelders Der Risikoausschluss bei vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzung – Auswirkungen auf die Rechtsstellung der VN und anderer Versicherter, VersR 2018 1413; E. Lorenz Muss die von dem Vorstand einer Aktiengesellschaft abgeschlossene D&O-Versicherung einen Selbstbehalt für die versicherten Unternehmensleiter vorsehen? Liber Amicorum Prölss (2009) 177; ders. Zur sog. gesetzesähnlichen Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen, VersR 2000 1092; ders. Die Transparenz des durchschnittlichen VN, VersR 1998 1086; Lotze 10 Jahre „Schienenkartell“ – Noch immer keine Klarheit bei der Organhaftung, NZKart 2021 261; Lotze/Heyers Der Bußgeld-Innenregress als kartellrechtliche Vorfrage? NZKart 2018 29; Lutter Haftung und Verantwortlichkeit – Verantwortung von Organen und Beratern, DZWIR 2011 265; Mahnke Der Ausschluss vorsätzlichen Verhaltens versicherter Personen in der D&OVersicherung, ZfV 2006 544; Mankowski Extraterritoriale Reichweite des US-Wertpapierrechts? NZG 2010 961; Marsch-Barner Vorteilsausgleich bei der Schadensersatzhaftung nach § 93 AktG, ZHR 173 (2009) 723; Medicus Die Außenhaftung des Führungspersonals juristischer Personen im Zusammenhang mit Produktmängeln, GmbHR 2002 809; Meyer Finanzmarktkrise und Organhaftung, CCZ 2011 41; Neubaur/Lattwein Erste Erfahrungen mit der Umweltschadensversicherung in Deutschland, PHi 2008 152; Pilz Missverständliche AGB, Diss. Berlin 2010; ders. Zur Berücksichtigung des einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht zugänglichen Auslegungsmaterials bei der Auslegung von AVB, VersR 2010 1289; Penner Tod eines Widergängers? Vorsätzliche contra wissentliche Pflichtverletzung in der D&O-Versicherung, VersR 2005 1359; Präve Zur Frage der Unwirksamkeit von Klauseln über Abschlusskosten und Stornoabzug in Lebens- und Rentenversicherungsverträgen, VersR 2012 1159; Prölss 50 Jahre BGH: ein Streifzug durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den AVB, VersR 2000 1441; Raphael Arbeitgeberhaftung wegen Diskriminierung, sexueller Belästigung und fehlerhafter Kündigung in den USA, Diss. Köln 2007; F. Reif/Kaptina USA – Versicherbarkeit von Punitive Damages, PHi 2000 193; Rohde-Liebenau Große Schäden – kleine Deckung? ZfV 1998 288; Ruttmann Die Versicherbarkeit von Geldstrafen, Geldbußen, Strafschadensersatz und Regressansprüchen in der D&O-Versicherung (2014); Säcker Gesellschaftsrechtliche Grenzen spekulativer Finanztermingeschäfte, NJW 2008 3313; Schimikowski Aktuelle Fragen zum Abschluss des Versicherungsvertrags, RuS 2012 577; ders. Der Erfüllungsschadenausschluss in der Haftpflichtversicherung, RuS 2005 445; Schirmer Abschied von der „Baustoff-Rechtsprechung“ des VI. Zivilsenats? NJW 2012 3398; Schmidt-Husson Was, um Himmels Willen, ist eine „Kardinalpflicht“? Festschrift für Roderich C. Thümmel zum 65. Geburtstag (2020); Schmitt Organhaftung und D&O-Versicherung, Diss. Bremen 2006; Seibt/Saame Geschäftsleiterpflichten bei der Entscheidung über D&O-Versicherungsschutz, AG 2006 901, Seibt 20 Thesen zur Binnenverantwortung im Unternehmen im Lichte des reformierten Kapitalsanktionsrechts, NZG 2015 1097; Seitz Vorsatzausschluss in der D&O-Versicherung – endlich Licht im Dunkeln! VersR 2007 1476; Servatius Corporate Litigation (2016); Sessler/Reichert Zwei Jahre nach Morrison v. NAB – Wird der Arm der US-Justiz kürzer? WM 2012 678; Stancke Kartellrechtliche Organhaftung – Regressfähigkeit von Bußgeldern? BB 2020 1667; Steinkühler D&O – ad absurdum? VW 2003 1734; Steinkühler/Kassing Keine Verwendereigenschaft des Versicherers bei auf Veranlassung des Maklers in den Vertrag einbezogener Maklerbedingungen, VersR 2009 1477; Schweitzer Zulässigkeit der Ausschlussklauseln für Vorsatz und wissentliches Handeln in der D&OVersicherung (2013); Thiel Über Maklerbedingungen in Versicherungsverträgen, RuS 2011 1; Thole Managerhaftung für Gesetzesverstöße, ZHR 173 (2009) 504; Thomas Bußgeldregress, Übelszufügung und D&O-Versicherung, NZG 2015 1409; ders. Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern (2010); Uffmann Vertragsgerechtigkeit als Leitbild der Inhaltskontrolle, NJW 2012 2225; Vorrath „Wissentliche Pflichtversicherung“ in den D&O-Versicherungsbedingungen, VW 2006 151; dies. Wissentliche Pflichtverletzung in der D&O-Versicherung – Ein Ausschlusstatbestand „sui generis“? VW 2006 575; Vothknecht Die wissentliche Pflichtversicherung in der Vermögensschaden-Haftpflicht-/D&O-Versicherung, PHi 2006 52; Wagner Das neue Umweltschadensgesetz, VersR 2008 565; ders. Persönliche Haftung der Unternehmensleitung – die zweite Spur der Produkthaftung, VersR 2001 1057; Werner Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Wettbewerbsverstöße und Immaterialgüterrechtsverletzungen durch die Gesellschaft, GRUR 2015 739; ders. Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers für die Verletzung gewerblicher Schutzrechte, GRUR 2009 820; von Westphahlen Wirksamkeit des Claims-Made-Prinzips in der D&O-Versicherung, VersR 2011 145; Weyerstall Employment Practices Liability Insurance, VW 2001 395 ff.; Wussow Versicherungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit Aids, VersR 1988 660; Zimmermann Kartellrechtliche Bußgelder gegen Aktiengesellschaft und Vorstand: Rückgriffsmöglichkeiten, Schadensumfang und Verjährung, WM 2008 433.

953

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-7 Ausschlüsse

Ziff. 5 Ausschlüsse

Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind Haftpflichtansprüche

Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Haftpflichtansprüche

A-7.1 wegen vorsätzlicher Schadenverursachung oder durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Beschluss, Vollmacht oder Weisung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Den versicherten Personen werden die Handlungen und Unterlassungen nicht zugerechnet, die von anderen Organmitgliedern begangen wurden;

Ziff. 5.1 wegen vorsätzlicher Schadenverursachung oder durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Beschluss, Vollmacht oder Weisung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Den versicherten Personen werden die Handlungen und Unterlassungen nicht zugerechnet, die von anderen Organmitgliedern begangen wurden;

A-7.2 wegen Rückzahlung oder Rückgabe von Bezügen, Tantiemen oder sonstigen Vorteilen, welche die versicherten Personen aus der versicherten Tätigkeit oder mit Rücksicht auf diese erhalten haben;

Ziff. 5.2 wegen Rückzahlung oder Rückgabe von Bezügen, Tantiemen oder sonstigen Vorteilen, welche die versicherten Personen aus der versicherten Tätigkeit oder mit Rücksicht auf diese erhalten haben;

A-7.3 wegen Schäden durch von dem Versicherungsnehmer oder einer Tochtergesellschaft in den Verkehr gebrachte Produkte, Arbeiten oder sonstige Leistungen

Ziff. 5.3 wegen Schäden durch von der Versicherungsnehmerin oder einer Tochtergesellschaft in den Verkehr gebrachte Produkte, Arbeiten oder sonstige Leistungen;

A-7.4 wegen Schäden durch Umwelteinwirkungen und alle sich daraus ergebenden weiteren Schäden;

Ziff. 5.4 wegen Schäden durch Umwelteinwirkungen und alle sich daraus ergebenden weiteren Schäden;

A-7.5 Ziff. 5.5 – welche vor Gerichten außerhalb der EU oder nach – welche vor Gerichten außerhalb der EU oder nach dem Recht von Staaten, die nicht der EU angehören, dem Recht von Staaten, die nicht der EU angehören, geltend gemacht werden – dies gilt auch im Falle geltend gemacht werden – dies gilt auch im Falle der Vollstreckung von Urteilen, die außerhalb der EU der Vollstreckung von Urteilen, die außerhalb der EU gefällt wurden –; gefällt wurden –; – wegen Schäden aus der Verletzung oder – wegen Schäden aus der Verletzung oder Nichtbeachtung des Rechts von Staaten, die nicht Nichtbeachtung des Rechts von Staaten, die nicht der EU angehören; der EU angehören; A-7.6 aus Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit sog. „Insider-Regeln“;

Ziff. 5.6 aus Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit sog. „Insider-Regeln“;

A-7.7 aus Pflichtverletzungen bei einer anderen als der versicherten Tätigkeit (z. B. Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen oder freiberufliche Tätigkeit);

Ziff. 5.7 aus Pflichtverletzungen bei einer anderen als der versicherten Tätigkeit (z. B. Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen oder freiberufliche Tätigkeit); Ziff. 5.8 von versicherten Personen untereinander oder von Angehörigen der versicherten Personen i. S. d. Ziff. 4.2 [in AVB D&O ersatzlos weggefallen]

A-7.8 die sich daraus ergeben oder damit im Zusammenhang stehen, dass Versicherungsleistungen oder Versicherungen nicht oder unzureichend wahrgenommen, abgeschlossen oder fortgeführt werden;

Ziff. 5.9 die sich daraus ergeben oder damit im Zusammenhang stehen, dass Versicherungsleistungen oder Versicherungen nicht oder unzureichend wahrgenommen, abgeschlossen oder fortgeführt werden;

A-7.9 wegen unlauteren Wettbewerbs oder Wettbewerbsbeschränkungen sowie aus der Verletzung von Berufsgeheimnissen, Urheber-, Patent-, Warenzeichen-, Geschmacksmuster- und vergleichbaren Immaterialgüterrechten;

Ziff. 5.10 wegen Beleidigung, übler Nachrede, Geschäftsschädigung oder unlauteren Wettbewerbs oder Wettbewerbsbeschränkungen sowie aus der Verletzung von Berufsgeheimnissen, Urheber-, Patent-, Warenzeichen-, Geschmacksmuster und vergleichbaren Immaterialgüterrechten;

Gädtke

954

Übersicht

AVB D&O A-7

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-7 Ausschlüsse

Ziff. 5 Ausschlüsse

A-7.10 wegen Schäden aufgrund von Vertragsstrafen, Kautionen, Bußgeldern und Entschädigungen mit Strafcharakter (punitive und exemplary damages), die gegen den Versicherungsnehmer oder eine Tochtergesellschaft verhängt oder von ihnen übernommen wurden

Ziff. 5.11 wegen Vertragsstrafen, Kautionen, Bußgeldern und Entschädigungen mit Strafcharakter (punitive und exemplary damages);

A-7.11 des Versicherungsnehmers, einer Tochtergesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft, deren Vermögensschaden bei einer anderen Gesellschaft dieses Konzerns zu einem Vermögensvorteil geführt hat, in Höhe des Vermögensvorteils;

Ziff. 5.12 der Versicherungsnehmerin, einer Tochtergesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft, deren Vermögensschaden bei einer anderen Gesellschaft dieses Konzerns zu einem Vermögensvorteil geführt hat, in Höhe des Vermögensvorteils;

A-7.12 im Zusammenhang mit Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung oder vergleichbaren Handlungen;

Ziff. 5.13 im Zusammenhang mit Bestechungen, Schenkungen, Spenden oder ähnlichen Zuwendungen;

A-7.13 wegen Schäden aus Spekulationsgeschäften, soweit diese nicht innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs erforderlich und üblich sind (z. B. Kurssicherungsgeschäfte);

Ziff. 5.14 wegen Schäden aus Spekulationsgeschäften, soweit diese nicht innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs erforderlich und üblich sind (z. B. Kurssicherungsgeschäfte);

A-7.14 wegen Schäden des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft durch Einbußen bei Darlehen und Krediten. Dies gilt nicht, soweit die Einbußen verursacht sind durch Pflichtverletzungen bei der Rechtsverfolgung;

Ziff. 5.15 wegen Schäden der Versicherungsnehmerin oder einer Tochtergesellschaft durch Einbußen bei Darlehen und Krediten. Dies gilt nicht, soweit die Einbußen verursacht sind durch Pflichtverletzungen bei der Rechtsverfolgung;

A-7.15 wegen Schäden aus Anfeindung, Schikane, Belästigung, Ungleichbehandlung oder sonstigen Diskriminierungen;

Ziff. 5.16 wegen Schäden aus Anfeindung, Schikane, Belästigung, Ungleichbehandlung oder sonstigen Diskriminierungen;

A-7.16 wegen Schäden, die direkt oder indirekt auf Asbest, asbesthaltige Substanzen oder Erzeugnisse zurückzuführen sind oder mit diesen im Zusammenhang stehen;

Ziff. 5.17 wegen Schäden, die direkt oder indirekt auf Asbest, asbesthaltige Substanzen oder Erzeugnisse zurückzuführen sind oder mit diesen im Zusammenhang stehen;

A-7.17 die im Zusammenhang mit Forderungen, Klagen, Verwaltungsakten, Ermittlungsverfahren, Untersuchungen, Urteilen, sonstigen Vollstreckungstiteln oder den diesen zugrunde liegenden Sachverhalten stehen, die bereits vor oder zu Beginn des Vertrages gegen eine versicherte Person oder den Versicherungsnehmer oder eine Tochtergesellschaft gerichtet waren.

Ziff. 5.18 die im Zusammenhang mit Forderungen, Klagen, Verwaltungsakten, Ermittlungsverfahren, Untersuchungen, Urteilen, sonstigen Vollstreckungstiteln oder den diesen zugrunde liegenden Sachverhalten stehen, die bereits vor oder zu Beginn des Vertrages gegen eine versicherte Person oder die Versicherungsnehmerin oder ein mitversichertes Unternehmen gerichtet waren.

Übersicht A.

Einführung

1

I.

Allgemeines

1

II.

Auslegung und Inhaltskontrolle von Risikoaus4 schlussklauseln 4 Auslegung

1.

955

a) b)

2.

Auslegungsgrundsätze 5 Maßgebliches Verständnis in der D&O-Ver8 sicherung 12 c) Maklerbedingungen Überraschende Klauseln/Inhaltskont19 rolle

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

III.

Darlegungs- und Beweislast

27

B.

Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, 32 Ziff. A-7.1

I. 1. 2.

32 Allgemeines 32 Überblick Risikoausschluss oder verhüllte Obliegen35 heit?

II.

Vorsätzliche Schadenverursachung und vorsätz37 liche Pflichtverletzung Vorsätzliche Schadenverursachung/Vorsatzbe37 griff 41 Vorsätzliche Pflichtverletzung Darlegungs- und Beweislast/Bindungswir47 kung

K.

Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „puni99 tive damages“, Ziff. A-7.10

I.

Sinn und Zweck

II.

Versicherbarkeit von Geldstrafen, Geldbußen 100 und Regressansprüchen Sanktionscharakter von Geldstrafe, Geldbuße 101 und Verbandsgeldbuße Versicherbarkeit von Geldstrafen und Geldbu104 ßen (Außenverhältnis) 106 a) Verbotsgesetze 109 b) Sittenwidrigkeit Versicherbarkeit von Regressansprüchen des VN gegen seine Organmitglieder aufgrund verhängter Verbandsgeldbußen (Innenverhält112 nis) 113 a) Zulässigkeit eines Regresses b) Versicherbarkeit des Regressan119 spruchs Versicherbarkeit von im Ausland verhängten 120 Geldstrafen und Geldbußen Versicherbarkeit von Strafschadensersatz (puni124 tive damages) a) Begriff und Zweck des Strafschadensersat125 zes (punitive damages) b) Versicherbarkeit des Strafschadensersat128 zes

1. 2.

1. 2. 3.

3.

99

4. 5.

51 Wissentliche Pflichtverletzung 51 Grundsätze 52 Wirksamkeit des Ausschlusstatbestands Zusammentreffen wissentlicher und fahrlässiger 55 Pflichtverletzungen 57 Darlegungs- und Beweislast 60 Vorläufiger Versicherungsschutz

C.

Rückzahlung von Vorteilen, Ziff. A-7.2

D.

Produkthaftpflicht/Arbeits- und Dienstleis70 tungen, Ziff. A-7.3

III.

Ausschluss jeglichen Versicherungsschutzes in 130 Ziff. A-7.10

Klarstellende und konstitutive Funktion des Pro70 dukthaftpflichtausschlusses

L.

Vermögensvorteil einer Konzerngesellschaft, 133 Ziff. A-7.11

Reichweite des Produkthaftpflichtausschlus73 ses

M.

Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsannah135 me, Vorteilsgewährung, Ziff. A-7.12

N.

Spekulationsgeschäfte, Ziff. A-7.13

I.

Grundsätze

II.

Auslegung/AVB-Kontrolle

III. 1. 2. 3.

I.

II.

4. 5.

67

77

III.

Dienstleistungsausschluss

E.

Umwelteinwirkungen, Ziff. A-7.4

F.

Gerichtsbarkeit und Recht außerhalb der EU, 82 Ziff. A-7.5

137

79 138 140

G.

Insider-Regeln, Ziff. A-7.6

87

O.

Einbußen bei Darlehen und Krediten, 142 Ziff. A-7.14

H.

Andere als versicherte Tätigkeit, 91 Ziff. A-7.7

P.

Diskriminierungen, Ziff. A-7.15

Q.

Asbest, Ziff. A-7.16

R.

Anhängige Rechtssachen, Ziff. A-7.17

I.

Unzureichende Versicherung oder Versiche93 rungsleistung, Ziff. A-7.8

J.

Unlauterer Wettbewerb, Verletzung von Be96 rufsgeheimnissen u. a., Ziff. A-7.9

Gädtke

143

146 147

956

A. Einführung

AVB D&O A-7

A. Einführung I. Allgemeines Ziff. A-7 ist neben Ziff. A-1 die zentrale Regelung zur Konkretisierung des vom VR übernomme- 1 nen Risikos. Das Verhältnis der beiden Ziffern folgt einem Regel-Ausnahme-Schema: In Ziff. A-1 wird das versicherte Risiko zunächst positiv beschrieben und dadurch zugleich von anderen Risikotypen abgehoben (sog. primäre Risikoabgrenzung). Versicherungsschutz besteht damit grundsätzlich für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Ziff. A-7 nimmt hiervon in einem zweiten Schritt diejenigen Fallkonstellationen aus, für die der VR regelmäßig keinen Versicherungsschutz gewähren will, und verengt so den Bereich des versicherten Risikos (sog. sekundäre Risikoabgrenzung). In Einzelfällen werden zu solchen Risikoausschlüssen wiederum (Gegen-)Ausnahmen vorgesehen, die den Versicherungsschutz für bestimmte Konstellationen aus der Menge der durch den Ausschluss grundsätzlich ausgeklammerten Sachverhalte aufrechterhalten (sog. tertiäre Risikoabgrenzung).1 Ziff. A-7 enthält einen Katalog von mittlerweile 17 Risikoausschlüssen, der – entsprechend dem 2 fakultativen Charakter der Musterbedingungen2 – nicht verbindlich ist. In der Praxis enthalten D&O-Policen regelmäßig nur eine begrenzte Auswahl an Ausschlusstatbeständen, die anhand der Besonderheiten des zu versichernden Risikos (u. a. Unternehmensgegenstand, Großrisiko, Reichweite des Versicherungsschutzes etc.) bestimmt werden und im Wortlaut häufig erheblich von den in Ziff. A-7 vorgeschlagenen Klauseln abweichen.3 In Zeiten eines weichen Markts kann der VN zudem häufig weitere Verbesserungen am Wortlaut der Bedingungen verhandeln, da sich die VR gerade bei der Gestaltung der Ausschlussklauseln voneinander abzuheben versuchen.4 Standardausschlüsse, die in nahezu jeder Police mit weltweiter Deckung enthalten sind, 3 betreffen wissentlich begangene Pflichtverletzungen (vgl. Ziff. A-7.1), Vertragsstrafen, Geldstrafen und -bußen etc. (vgl. Ziff. A-7.10) und Ansprüche, die in den USA oder auf Basis des US-Rechts geltend gemacht werden (vgl. Ziff. A-75.).5 Wenn es das zu versichernde unternehmerische Risiko oder Schadenfälle in vorherigen Versicherungsperioden erforderlich machen, werden natürlich auch andere Ausschlüsse vereinbart, die im Katalog von Ziff. A-7 nicht berücksichtigt sind.6 Außerdem werden über Aus- und Wiedereinschlüsse teilweise Lösungen für rechtliche Problemstellungen gesucht, für die eine flexible Handhabung erforderlich erscheint – so z. B. zum Schutz gutgläubiger Organmitglieder nach arglistiger Täuschung des VR durch eine versicherte Person bzw. den VN und einer daraus grundsätzlich resultierenden Anfechtbarkeit des Versicherungsvertrags.7

II. Auslegung und Inhaltskontrolle von Risikoausschlussklauseln 1. Auslegung Risikoausschlussklauseln sind regelmäßig auszulegen, um ihren Anwendungsbereich und da- 4 mit zugleich die Reichweite des Versicherungsschutzes zu bestimmen. Dabei sind einige Besonderheiten zu beachten, die sich teils aus dem Charakter dieser Klauseln, teils aus den Besonder1 Bruck/Möller/Baumann/R. Koch § 1 Rn. 66; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 13 f.; Prölss/Martin/Prölss § 1 Rn. 190; solche Wiedereinschlüsse werden häufig direkt in den jeweiligen Ausschlusstatbestand integriert, können aber auch in den Besonderen Bedingungen oder individualvertraglichen Regelungen enthalten sein. 2 Vgl. dazu schon Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG Einf. Rn. 4. 3 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 588 ff.; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 39; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 82 f. 4 R. Koch WM 2007 2173, 2178; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 1; Keil VW 2003 165, 165. 5 Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 83. 6 Beispiele bei Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 590. 7 Vgl. dazu Gädtke RuS 2013 314 ff. 957

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

heiten der D&O-Versicherung als einer Versicherung für fremde Rechnung und teils aus dem Umstand ergeben, dass sie nicht vom VR, sondern vom Makler des VN vorformuliert sein können.8 Die Auslegung ist außerdem Basis der Prüfung, ob eine Ausschlussklausel als überraschend oder mehrdeutig i. S. v. § 305c BGB anzusehen ist oder den VN bzw. die versicherte Person i. S. v. § 307 BGB unangemessen benachteiligt.9

5 a) Auslegungsgrundsätze. AVB richten sich an eine Vielzahl von Adressaten und abstrahieren so von allen Umständen des Einzelfalls. Sie sind daher nach h. M. in objektiver Weise auszulegen.10 Maßgeblich ist dementsprechend, wie ein durchschnittlicher VN des typischerweise beteiligten Verkehrskreises die AVB zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses11 bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss.12 Welcher Verständnishorizont dem durchschnittlichen VN zugeschrieben wird, hängt davon ab, welche Kenntnisse, Interessen und Erwartungen in dem Verkehrskreis typischerweise vorauszusetzen sind,13 den der durchschnittliche Adressat (als ein von der Rechtsprechung geschaffenes „Konstrukt“14) repräsentiert. Diese normative Charakterisierung von Verkehrskreis und durchschnittlichem VN ist von wesentlicher Bedeutung für die Auslegung. So ist etwa in der Transportversicherung zugunsten des VR davon auszugehen, dass VN und Versicherte im Regelfall Kaufleute, zumindest aber geschäftserfahren und mit AGB vertraut sind.15 Bei der Zuschreibung von Kenntnissen ist allerdings grundsätzlich zurückhaltend zu verfahren, da die Figur des durchschnittlichen VN ansonsten überdehnt und von den tatsächlichen Gegebenheiten abgekoppelt wird.16 Versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse werden normalerweise nicht vorausgesetzt.17 Einen wichtigen normativen Hinweis zu den Anforderungen an das Verständnis des durchschnittlichen VN liefern die Regeln zu den Informationspflichten des Versicherers.18 Was dem durchschnittlichen VN nach Auffassung des Gesetzgebers in sprachlicher und inhaltlicher Hin8 Ausführlich zur Auslegung von AVB Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 204 ff. m. w. N.; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 258 ff.; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 8 ff.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 1 Rn. 36; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Einl. B Rn. 43; Pilz Missverständliche AGB 5 ff.; Lange § 3 Rn. 88. 9 BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, NJW-RR 2008 189, 190; BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, RuS 1993 351, 352; Langheid/ Wandt/Reiff AVB Rn. 78. 10 Vgl. BGH 10.6.2020 – IV ZR 252/06, NJOZ 2021 375, 378 (zu AGB); BGH 13.11.2012 – XI ZR 500/11, WM 2012 2381, 2382 (zu AGB); BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, RuS 2012 490, 491; BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, RuS 1993 351, 352; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 206; R. Koch VersR 2015 133, 137; Palandt/Grüneberg § 305c Rn. 16. 11 BGH 25.5.2011 – IV ZR 117/09, RuS 2011 295, 298; BGH 24.6.2009 – IV ZR 110/07, VersR 2009 1617, 1617 („jedenfalls bei Risikoausschlussklauseln“); Lange § 11 Rn. 5, § 3 Rn. 88. 12 St. Rspr., vgl. BGH 26.2.2020 – IV ZR 235/19, VersR 2020 549, 550; BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/15, VersR 2016 1177, 1178; BGH 19.2.2014 – IV ZR 389/12, VersR 2014 450, 450; BGH 19.12.2012 – IV ZR 21/11, VersR 2013 354, 355; BGH 27.11.2012 – IV ZR 189/11, NJW-RR 2013 228, 229; BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, RuS 2012 490, 491; grundlegend BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, RuS 1993 351, 352; OLG Saarbrücken 24.3.2021 – 5 U 26/20, VersR 2021 635, 636; Bruck/ Möller/Beckmann Einf. C Rn. 206; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 79; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 259 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 1 Rn. 35; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Einl. B Rn. 43; R. Koch VersR 2015 133, 135. 13 BGH 25.5.2011 – IV ZR 117/09, RuS 2011 295, 296; OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, NZG 2009 714, 714; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 206 f.; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 80; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 260; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Einl. B Rn. 43. 14 Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 80; Pilz Missbräuchliche AGB 35. 15 BGH 25.5.2011 – IV ZR 117/09, RuS 2011 295, 296; BGH 9.5.1984 – IVa ZR 176/82, VersR 1984 830, 831; Langheid/ Wandt/Reiff AVB Rn. 80. 16 Pilz Missbräuchliche AGB 37 m. w. N.; vgl. auch die Glosse über den verständigen VN von E. Lorenz VersR 1998 1086, 1086 f. 17 BGH 6.3.2019 – IV ZR 72/18, NJW 2019 1286, 1287; BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, RuS 2012 490, 491; BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, RuS 1993 351, 352; OLG Hamm 4.9.2020 – 20 U 182/19, VersR 2021 300, 301. 18 R. Koch VersR 2015 133, 135. Gädtke

958

A. Einführung

AVB D&O A-7

sicht zuzumuten ist und welche intellektuellen Fähigkeiten erwartet werden können, verdeutlichen die dem VN nach § 7 Abs. 2 VVG i. V. m. der VVG-InfoV zu übermittelnden Informationen, insbesondere das Produktinformationsblatt, sowie das Musters für die Widerrufsbelehrung (§ 8 Abs. 5 S. 1 VVG) nebst den dazugehörigen Gestaltungshinweisen.19 Verfügt der besondere Personenkreis, mit dem Versicherungsverträge einer bestimmten Versicherungssparte regelmäßig geschlossen werden, allerdings typischerweise über versicherungsspezifisches Vorwissen, ist dieses bei der Auslegung zu berücksichtigen.20 So soll einem durchschnittlichen VN im speziellen Segment der D&O-Versicherung etwa bekannt sein, dass Versicherungsschutz nur unter Geltung des Claims-Made-Prinzips angeboten wird (vgl. dazu unten Rn. 8 f.).21 Maßgeblich für die Auslegung ist in erster Linie der Wortlaut der jeweiligen AVB.22 Dane- 6 ben sind der Sinnzusammenhang zwischen den einzelnen AVB und der mit der jeweiligen Klausel verfolgte Zweck, wie er für den durchschnittlichen Adressaten erkennbar ist, zu berücksichtigen. Alle Umstände, die der VN typischerweise nicht kennen kann, z. B. die Entstehungsgeschichte der jeweiligen AVB oder versicherungswirtschaftliche Überlegungen, bleiben grundsätzlich außer Betracht.23 Das soll nach der Rechtsprechung des BGH auch dann gelten, wenn Entstehungsgeschichte und versicherungswirtschaftliche Überlegungen zu einem für den VN günstigeren Ergebnis als die an seiner Verständnismöglichkeit orientierte Auslegung führen.24 Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Verständnis des durchschnittlichen VN maßgeblich ist, ist hingegen für die Verwendung solcher Ausdrücke in AVB anerkannt, die in der Rechtssprache eine feste Bedeutung haben; insoweit ist im Zweifel anzunehmen, dass auch die AVB hierunter nichts anderes verstehen.25 Das individuelle Verständnis des VN ist grundsätzlich nicht relevant; anders ist dies nur, soweit VR und VN eine Klausel nachweisbar in übereinstimmender Weise verstanden haben.26 Die Irrelevanz des individuellen Verständnisses impliziert, dass ein für den jeweiligen Verkehrs-/Adressatenkreis atypisches Sonderwissen oder intellektuelle Defizite des einzelnen VN bei der Auslegung unberücksichtigt bleiben.27 Ihm wird deshalb auch das Sonderwissen eines Versicherungsmakler oder sonstigen versicherungsrechtlichen Beraters, der ihn beim Abschluss des Versicherungsvertrags vertreten hat, nicht gem. § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet.28 Bedeutsam ist der Umstand der Vertretung allerdings, wenn den individuellen Begleitumständen bei Vertragsschluss Bedeutung zukommt (z. B. wenn

19 Ebd. 20 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Einl. B Rn. 43; zur Berücksichtigung von Vorwissen vgl. auch BGH 9.5.1984 – IVa ZR 176/82, VersR 1984 830, 831; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 206 m. w. N.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 10 Rn. 167. 21 OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, NZG 2009 714, 714. 22 Vgl. etwa BGH 10.6.2020 – VIII ZR 289/19, NJOZ 2021 375, 378 (zu AGB); BGH 6.3.2019 – IV ZR 72/18, NJW 2019 1286, 1287; BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, RuS 2012 490, 491. 23 Versicherungswirtschaftliche Überlegungen finden aber insoweit Berücksichtigung, wie sie sich dem VN aus dem Bedingungswortlaut unmittelbar erschließen; vgl. BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, RuS 2012 490, 491. 24 Sehr umstritten: BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, RuS 2012 490, 491; BGH 25.9.2002 – IV ZR 248/01, RuS 2003 16, 16; zustimmend Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 85; Langheid/Rixecker/Rixecker § 1 Rn. 36; a. A. (mit unterschiedlichen Begründungen im Einzelnen) OLG Nürnberg 20.9.2001 – 8 U 1024/01, VersR 2002 605, 605 f.; OLG Jena 17.9.2008 – 4 U 978/06, NJW-RR 2009 965, 966; OLG Koblenz 3.1.2006 – 10 U 145/03, RuS 2007 326, 326; Bruck/ Möller/Beckmann Einf. C Rn. 208; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 266 ff.; Pilz Missverständliche AGB 45 ff.; ders. VersR 2010 1289, 1293; Baumann RuS 2005 313 ff.; Prölss VersR 2000 1441, 1443 f.; E. Lorenz VersR 2000 1092, 1092 f. 25 BGH 29.10.2008 – IV ZR 128/07, RuS 2009 107, 108 f.; BGH 25.4.2007 – IV ZR 85/05, VersR 2007 939, 940; BGH 11.12.2002 – IV ZR 226/01, VersR 2003 236, 237; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 84; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 272 ff. 26 Vgl. etwa Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 206; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Einl. B Rn. 47. 27 R. Koch VersR 2015 133, 138. 28 Ebd. 959

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

es um die Frage geht, ob eine Klausel wegen ihres Inhalts überraschend iSv § 305 c Abs. 1 BGB für den VN ist); dann ist eine Zurechnung von Sonderwissen gem. § 166 BGB gerechtfertigt.29 7 Die Auslegung von Risikoausschlussklauseln nach Verständnis und Interesse des durchschnittlichen VN führt dem BGH zufolge regelmäßig dazu, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als es der erkennbare Zweck der Klausel gebietet.30 Der VN braucht nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass die jeweilige Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht.31 Der Zweck ist dabei nur in den Grenzen der Wortwahl berücksichtigungsfähig.32 Dementsprechend sind Risikoausschlussklauseln grundsätzlich eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert.33 Auch diese Besonderheit bei der Auslegung von Ausschlussklauseln gebietet es jedoch nach Auffassung des BGH nicht, Entstehungsgeschichte und zugrunde liegende wirtschaftliche Erwägungen des VR zu berücksichtigen, wenn diese zu einem dem VN günstigeren Ergebnis führen könnten.34

8 b) Maßgebliches Verständnis in der D&O-Versicherung. Die D&O-Versicherung ist eine Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff. VVG).35 Adressaten der AVB sind sowohl der VN als Vertragspartner des VR als auch die versicherten Personen als materiell Begünstigte. Die Auslegung richtet sich daher dem BGH zufolge grundsätzlich nach dem Verständnis des (durchschnittlichen) VN, der zudem die Verständnismöglichkeiten und Interessen der (durchschnittlichen) versicherten Person beachtet.36 Wie der so umrissene Verständnishorizont näher zu bestimmen ist, ist unklar. Dies liegt zum einen daran, dass Kriterien dafür fehlen, in welcher Weise das Verständnis der versicherten Person zu „beachten“37 ist, zum anderen aber auch schon daran, dass der Begriff des typischerweise beteiligten Verkehrskreises vage ist. Wird spartenspezifisch (vgl. Rn. 5) auf die Gruppe abgestellt, die im speziellen Segment der D&O-Versicherung Versicherungsschutz sucht, besteht eine Möglichkeit zur Konkretisierung darin, bei der normativen Bestimmung des Verständnishorizonts, der als Maßstab für die AVB-Auslegung heranzuziehen ist, einen Durchschnitt aus dem disparaten Vorwissen (vgl. Rn. 5) zu bilden, das bei Großunternehmen, mittelständischen Unternehmen und versicherten Personen besteht. Bei mittelständischen Unternehmen und versicherten Personen wird man dabei typischerweise keine, bei Großunternehmen

29 Ebd. 30 BGH 15.9.2010 – IV ZR 113/08, VersR 2011 66, 66; BGH 17.12.2008 – IV ZR 9/08, VersR 2009 341, 342; BGH 25.4.2007 – IV ZR 85/05, VersR 2007 939, 940; BGH 11.12.2002 – IV ZR 226/01, VersR 2003 236, 237; BGH 17.3.1999 – IV ZR 89/98, VersR 1999 748, 749; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 82; Langheid/Rixecker/Rixecker § 1 Rn. 54; Pilz Missbräuchliche AGB 96 ff. lehnt das Restriktionsprinzip, wonach Risikoausschlussklauseln eng auszulegen sind, als eigenständigen Auslegungsgrundsatz ab. Eine enge Auslegung von Ausschlussklauseln kann sich ihm zufolge nur aus der objektiven Auslegung selbst oder aus der Unklarheitenregel ergeben. 31 BGH 25.4.2007 – IV ZR 85/05, VersR 2007 939, 940; BGH 11.12.2002 – IV ZR 226/01, VersR 2003 236, 237. 32 BGH 15.9.2010 – IV ZR 113/08, VersR 2011 66, 66. 33 St. Rspr., vgl. etwa BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, RuS 2012 490, 491; BGH 15.9.2010 – IV ZR 113/08, VersR 2011 66, 66. 34 BGH 27.6.2012 – IV ZR 212/10, RuS 2012 490, 491; a. A. OLG Jena 17.9.2008 – 4 U 978/06, NJW-RR 2009 965, 966; OLG Koblenz 3.1.2006 – 10 U 145/03, RuS 2007 326, 326 und die in Fn. 24 genannten Autoren. 35 Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG Einf. Rn. 5, 11; R. Koch ZVersWiss 2012 151, 152; R. Koch GmbHR 2004 18, 22 f. 36 Vgl. die entsprechende Formulierung des BGH zur Transportversicherung, BGH 25.5.2011 – IV ZR 117/09, RuS 2011 295, 296; vgl. auch BGH 3.5.2006 – IV ZR 134/05, RuS 2006 334, 335 (Interessen des Versicherten sind einzubeziehen); BGH 28.3.2001 – IV ZR 19/00, RuS 2001 482, 483; ausführlich zum Auslegungshorizont bei der Versicherung für fremde Rechnung Pilz Missbräuchliche AGB 76 ff. 37 BGH 25.5.2011 – IV ZR 117/09, RuS 2011 295, 296. Gädtke

960

A. Einführung

AVB D&O A-7

grundlegende versicherungsspezifische Kenntnisse38 voraussetzen können. Ob es auf dieser Basis plausibel ist, einem durchschnittlichen Adressaten von D&O-AVB z. B. Vorwissen des Umstands zuzuschreiben, dass Versicherungsschutz in der D&O-Versicherung nur unter Geltung des Claims-Made-Prinzips angeboten wird,39 erscheint zweifelhaft. Die VR weisen allerdings regelmäßig – meist zu Beginn der AVB und/oder in beigefügten Informationen zum Versicherungsschutz – ausdrücklich auf diesen Umstand hin, so dass die auf dem Claims-Made-Prinzip aufbauende Versicherungsfalldefinition nicht überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB ist. Eine andere Möglichkeit zur Konkretisierung des Verständnishorizonts besteht darin, 9 bei divergierender Verständnismöglichkeit von VN und versicherter Person einen der beiden Horizonte als maßgeblich zu bestimmen. Praktische Bedeutung erlangt die Frage z. B. dann, wenn mittels objektiver Auslegung festzustellen ist, ob eine Klausel überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB oder mehrdeutig i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB ist, und die Auslegung nach dem Verständnis eines (typisierten) VN und einer (typisierten) versicherten Person zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Dazu muss die Klausel sowohl an den VN als auch an die versicherte Person adressiert sein. Richtet sie sich hingegen allein an den VN, beispielsweise wenn es um die Mitversicherung von Tochtergesellschaften, um die Prämienzahlung oder die Kündigung der Versicherung geht, kommt es allein auf die Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen VN an,40 wobei sich zwischen Groß- und mittelständischen Unternehmen oder, nicht notwendig deckungsgleich dazu, anhand von § 210 Abs. 2 VVG zwischen Unternehmen, die Großrisiken, und solchen, die Massenrisiken absichern, differenzieren lässt.41 Bei einer nur die versicherte Person betreffenden Regelung, z. B. einer an sie adressierten Obliegenheit, kommt es dagegen zwangsläufig auch nur auf ihren Verständnishorizont an.42 Richtet sich die Klausel (z. B. ein Risikoausschluss oder eine Obliegenheit) bei einer Kombi- 10 nation von Fremd- und Eigenversicherung sowohl an den VN als auch die versicherte Person, ist nach der inzwischen herrschenden Auffassung eine gespaltene Auslegung vorzunehmen: im Rahmen der Fremdversicherung kommt es dann auf die Verständnismöglichkeit der versicherten Person an, für die Eigenversicherung auf die Verständnismöglichkeit des VN.43 Der Klauselinhalt kann danach je nach Adressaten (VN oder versicherte Person) unterschiedlich sein. Die Konkurrenzproblematik kehrt allerdings für solche Klauseln wieder, die den Vertrag als Ganzes berühren, mittelbar aber auch Auswirkungen auf die Rechtsstellung der versicherten Person haben, z. B. für Kündigungsklauseln im Fall der Gefahrerhöhung.44 Bei solchen Klauseln sollen die Interessen der versicherten Personen im Rahmen der Auslegung bzw. Inhaltskontrolle mitzuberücksichtigen, ihr Inhalt aber auf der Grundlage des Verständnisses des VN zu bestimmen sein.45 Für die Präzisierung des Ausmaßes, in dem die Interessen der versicherten Personen mitzuberücksichtigen sein sollen, fehlt es wiederum an Kriterien; dies bleibt dann eine Einzelfallentscheidung. Darüber hinaus erscheint es systematisch zumindest fragwürdig, dass ein38 Im Einzelfall kann bei Großunternehmen auch sehr spezialisiertes versicherungsrechtliches Wissen vorhanden sein, gerade wenn sie über eigene Versicherungsabteilungen bzw. firmenverbundene Vermittler verfügen. Das ist allerdings sicher kein Umstand, der einer Typisierung zugänglich ist. 39 So aber das OLG München 8.5.2009 – 25 U 5136/08, NZG 2009 714, 714. 40 Langheid/Wandt/Reiff AVB 81; Pilz Missbräuchliche AVB S. 82; Prölss/Martin/Klimke § 45 Rn. 12; R. Koch VersR 2015 133, 144. 41 Eine Differenzierung innerhalb einer spartenspezifischen Gruppe von Adressaten nimmt der BGH in seiner Entscheidung vom 10.11.2010 – IV ZR 188/08, VersR 2011 67, 68 vor. Kritisch dazu Langheid/Rixecker/Rixecker § 1 Rn. 44. Die in Rn. 9 vorgeschlagene Unterscheidung setzt nur ein bereits im VVG vorgesehenes Differenzierungskriterium um. 42 Langheid/Wandt/Reiff AVB 81; Pilz Missbräuchliche AVB S. 82; Prölss/Martin/Klimke § 45 Rn. 12; R. Koch VersR 2015 133, 144. 43 Langheid/Wandt/Reiff AVB 81; Pilz Missbräuchliche AVB S. 82; Prölss/Martin/Klimke § 45 Rn. 12; R. Koch VersR 2015 133, 144. 44 R. Koch VersR 2015 133, 144. 45 R. Koch VersR 2015 133, 144; Pilz Missbräuchliche AVB S. 80. 961

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

und derselbe Risikoausschluss im Rahmen der D&O-Police gemessen am Verständnishorizont der versicherten Person unwirksam sein oder die Zweifelsregelung des § 305 c Abs. 2 BGB auslösen kann, während er gegenüber dem VN (aufgrund von dessen Verständnishorizont) wirksam sein kann. 11 Die früher vertretene Auffassung, die bei Klauseln, die sich sowohl an VN als auch an die versicherte Person richten bzw. die Rechtsposition der letzteren mitbestimmen, den geringeren Verständnismöglichkeit der (durchschnittlichen) versicherten Person gleichsam als kleinster gemeinsamer Nenner als ausschlaggebend ansah,46 vermeidet diese Schwierigkeiten und hat auch sonst Vorzüge. Für sie spricht, dass die versicherte Person als Begünstigte der D&O-Versicherung typischerweise ein Interesse daran hat, dass die AVB, soweit sie sie betreffen können, auch ihrem (generalisierten) Verständnis genügen, und der entsprechende Verständnishorizont dem VR bei Vertragsschluss auch erkennbar ist.47 Ihr lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass es der VN ist, der als Vertragspartner des VR den Inhalt des Versicherungsvertrags festlegt. Soweit nämlich der VN diesen Inhalt im Einzelnen mit dem VR aushandelt (i. S. v. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB), sind die entsprechenden Klauseln ohnehin nicht als AVB zu qualifizieren; sie sind dann nach den für Individualvereinbarungen geltenden Regeln auszulegen (vgl. auch unten Rn. 12 f.). Liegen hingegen AVB vor, hat der VN den Inhalt letztlich (zumindest hinsichtlich der relevanten Klausel) regelmäßig nicht selbst festgelegt; in diesem Fall ist es Sache des VR, den Klauselinhalt unter Berücksichtigung des Verständnishorizonts der versicherten Person auszugestalten. Aus dem gleichen Grund ist der mögliche weitere Einwand unberechtigt, dass der VN von der Maßgeblichkeit des geringeren Verständnisses der versicherten Person i. R. von Innenverhältnisansprüchen unzulässigerweise indirekt profitieren könnte, beispielsweise wenn eine Risikoausschlussklausel gemessen am Verständnis der versicherten Person intransparent ist, während sie gemessen am Verständnis des VN noch wirksam wäre, und es dadurch zu einer Freistellung der versicherten Person durch den VR kommt.48 Richtigerweise ist der (typisierte) Verständnishorizont des VN damit bei Klauseln, die sich sowohl an VN als auch an die versicherte Person richten bzw. die Rechtsposition der letzteren mitbestimmen, nur insoweit relevant, wie er mit dem der versicherten Person übereinstimmt.

12 c) Maklerbedingungen. Offen ist, ob die Grundsätze zur Auslegung von AVB auch dann anzuwenden sind, wenn Risikoausschlussklauseln in Maklerbedingungen vorformuliert wurden. Nach zutreffender Ansicht sind vorformulierte Maklerklauseln regelmäßig entweder AVB des VR oder Individualvereinbarungen (str., vgl. dazu im Einzelnen Rn. 14 ff.).49 Als AVB des VR sind sie nach den üblichen Grundsätzen auszulegen und ggf. einer Kontrolle gem. den §§ 305c, 307 BGB zu unterziehen. Sind sie als Individualvereinbarungen zu qualifizieren, findet keine Prüfung der §§ 305c, 307 BGB statt. Ob sie dann gem. den §§ 133, 157 BGB oder – trotz ihres Charakters als Individualvereinbarung – nach den für die Auslegung von AVB geltenden objektiv-generalisierenden Grundsätzen auszulegen sind, ist umstritten. 13 Prölss hat sich für letzteres ausgesprochen. Nach seiner Auffassung sind Maklerbedingungen stets als im Einzelnen ausgehandelt (i. S. v. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) anzusehen (vgl. Rn. 18).50 Die Leugnung des AGB-Charakters von Maklerbedingungen führe aber nicht dazu, dass diese Z. B. Prölss/Martin/Prölss27 § 74 Rn. 10; Prölss/Martin/Klimke28 § 45 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reiff1 AVB Rn. 81. Pilz Missbräuchliche AGB 81 f. Ähnliche Formulierung des Einwands bei Pilz Missbräuchliche AGB 83. Die Diskussion darüber, wie vorformulierte Maklerbedingungen rechtlich einzuordnen sind, wurde wesentlich durch einen Beschluss des BGH vom 22.7.2009 – IV ZR 74/08, VersR 2009 1477, 1477 ausgelöst, der zu D&O-Versicherungsbedingungen erging. Sie geht aber natürlich – ebenso wie die Frage nach den Grundsätzen der Auslegung von AVB – über die D&O-Versicherung hinaus. Soweit im Folgenden nicht spezifisch auf die D&O-Versicherung Bezug genommen wird, wird daher die übliche Formulierung „der VN“ verwendet. 50 Prölss VersR 2000 1441, 1442.

46 47 48 49

Gädtke

962

A. Einführung

AVB D&O A-7

in jeder Hinsicht als Individualvereinbarung zu behandeln seien.51 Es bleibe der Umstand, dass sie in eine Vielzahl von Verträgen, die der Makler vermittele, Eingang finden sollten und daher nicht die ganz individuellen Wünsche des einzelnen VN zum Ausdruck brächten.52 Daher könne und müsse der VR als Adressat der Bedingungen davon ausgehen, dass diesen die Bedeutung beizumessen sei, die sie nach dem Verständnis eines durchschnittlichen VN hätten, und das heiße, dass sie normalerweise so auszulegen seien wie vom VR verwendete AGB.53 Obwohl einiges für diese Auffassung spricht, ist ihr letztlich nicht zu folgen. Sind die Voraussetzungen des Aushandelns nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB erfüllt, wird im konkreten Fall gerade davon abstrahiert, dass die Regelung eigentlich für eine Vielzahl von Verträgen konzipiert ist. Sie ist daher vom Empfängerhorizont des VR im konkreten Fall nicht mehr als abstrakt-generelle Regelung zu verstehen, sondern als eine Regelung, die nur zwischen den Vertragsparteien getroffen wurde.54 Dieser „Wechsel im Modus“ der Klausel bleibt bei Prölss letztlich unberücksichtigt. Richtigerweise erfolgt die Auslegung der Maklerklausel, soweit diese als Individualvereinbarung zu qualifizieren ist, daher nach den üblichen Grundsätzen zur Auslegung von Vertragsklauseln gem. den §§ 133, 157 BGB. Wie vorformulierte Maklerbedingungen rechtlich einzuordnen sind, ist allerdings um- 14 stritten (vgl. schon oben Rn. 12). Nach der Rechtsprechung des BGH stellen Klauseln, die vom Versicherungsmakler des VN entworfen (die also nicht bloß vom VR üblicherweise verwendete Klauseln vorwegnehmen, vgl. Rn. 17) und auf seine Veranlassung in den Versicherungsvertrag einbezogen wurden (vgl. Rn. 15 f.), grundsätzlich keine AVB des VR dar.55 Der Streit bezieht sich im Wesentlichen darauf, ob derartige Klauseln damit spiegelbildlich als AVB des VN anzusehen sind (vgl. Rn. 18). Diese Frage hat der BGH bislang nicht ausdrücklich56 entschieden.57 Der VN muss sich vorformulierte Bedingungen seines Maklers als eigene zurechnen las- 15 sen, wenn der Makler sie in der Absicht58 erstellt hat, sie für eine Vielzahl59 von Verträgen zu verwenden.60 Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist für jede Klausel gesondert festzustellen.61 Darauf, ob die Bedingungen tatsächlich in eine Vielzahl von Verträgen Eingang gefunden haben, kommt es nicht an.62 Liegt die entsprechende Absicht vor, ist es irrelevant, ob der VN die 51 Prölss VersR 2000 1441, 1442 im Zusammenhang mit der Frage der Revisibilität einer Auslegung von Maklerbedingungen; v. Westphahlen VersR 2011 145, 146 sieht Maklerbedingungen als AVB des VN an und will diese nach den §§ 133, 157 BGB auslegen. 52 Prölss VersR 2000 1441, 1442. 53 Ebd. 54 Gleiches gilt ja auch im umgekehrten Fall, wenn eine Klausel des VR gem. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB als im Einzelnen ausgehandelt und damit als Individualvereinbarung anzusehen ist. Es ist kein triftiger Grund ersichtlich, vorformulierte Maklerbedingungen anders zu behandeln. 55 BGH 22.7.2009 – IV ZR 74/08, VersR 2009 1477, 1477 mit Anm. Steinkühler/Kassing; vgl. auch BGH 25.5.2011 – IV ZR 117/09, RuS 2011 295, 297; anders – im Zusammenhang mit der Frage der Revisibilität – BGH 8.2.1988 – II ZR 210/87, VersR 1988 463, 463; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 26; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 8. 56 Auch die Entscheidung des BGH vom 8.2.1988 – II ZR 210/87, VersR 1988 463, 463 diskutiert diese Frage nicht, sondern setzt den AGB-Charakter voraus, um die Auslegung des Berufungsgerichts einer Überprüfung unterziehen zu können. 57 Vgl. zum Diskussionsstand: Schimikowski RuS 2012 577 ff.; Golz VersR 2011 727 ff.; Thiel RuS 2011 1, 4; v. Westphahlen VersR 2011 145 ff.; Hösker VersR 2011 29 ff.; Steinkühler/Kassing VersR 2009 1477 f.; Langheid/Müller-Frank NJW 2010 344, 344; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 10 Rn. 48; Prölss VersR 2000 1441, 1442; Prölss/ Martin/Armbrüster Einl. Rn. 26; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 8. 58 v. Westphahlen VersR 2011 145, 146; allgemein Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack § 305 Rn. 23 m. w. N. 59 Regelmäßig handelt es sich um eine unbestimmte Vielzahl von Verwendungen. Bei einer bestimmten Vielzahl sind nach h. M. drei Anwendungsfälle ausreichend, vgl. Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack § 305 Rn. 24 ff., 25a m. w. N. 60 Ganz h.M; Thiel RuS 2011 1, 4 (mit Diskussion abweichender Auffassungen); Golz VersR 2011 727, 727; Langheid/ Müller-Frank NJW 2010 344, 344; Steinkühler/Kassing VersR 2009 1477, 1478. 61 BGH 3.4.1998 – V ZR 6/97, NJW 1998 2600, 2601; Staudinger/Wendland Eckpfeiler des Zivilrechts AGB Rn. 22. 62 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack § 305 Rn. 23 m. w. N. 963

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

Bedingungen selbst nur für einen einzigen Vertrag verwenden will.63 Im Fall von Deckungserweiterungen, z. B. dem Einbezug besonderer Gremien des VN, kann die Absicht im Einzelfall fehlen, wenn die Klausel auf die spezielle Situation des VN bezogen ist.64 Bei abstrakter Formulierung der entsprechenden Klausel wird sie allerdings häufig anzunehmen sein. Eine entsprechende Frage stellt sich bei der Aufnahme von speziellen Ausschlussklauseln für das konkrete Risiko des VN nicht, da diese kaum je vom Makler vorformuliert sein werden. Die Zurechnungsfrage entfällt im Übrigen nicht schon dann, wenn das konkrete D&O-Versicherungsprogramm Mitversicherungs- und Exzedentenverträge vorsieht, für die die vorformulierten Maklerbedingungen ebenfalls maßgeblich sind, so dass der VN damit potentiell selbst die Absicht der Mehrfachverwendung zugeschrieben werden muss. Eine Absicht zur Mehrfachverwendung liegt nämlich nicht bereits dann vor, wenn das abzusichernde Risiko nicht durch einen einzelnen Vertrag, sondern stattdessen durch eine Mehrzahl von gleich lautenden Einzelverträgen (Mitversicherungs- und Exzedentenverträge), die eine Risikoteilung zwischen den VR bezwecken, erfasst wird.65 Der Zurechnungstatbestand wird unterschiedlich beurteilt.66 Richtigerweise ist zu unter16 scheiden: Handelt der Makler mit Abschlussvollmacht, wirkt seine Willenserklärung zum Vertragsschluss, mit der er auf seine Bedingungen Bezug nimmt, gem. § 164 Abs. 1 BGB für und gegen den VN.67 Anders ist es, wenn der Makler wie regelmäßig nur vorbereitend tätig wird und der VN den Vertrag selbst schließt. Der VN bezieht sich dann in seiner Willenserklärung, mit der er den Versicherungsvertrag schließt, auf die Bedingungen, die der Makler in der Absicht mehrmaliger Verwendung erstellt hat. Diese Absicht ist ausschlaggebend, die tatsächliche mehrfache Verwendung begründet hingegen nur eine Vermutung für ihr Vorliegen.68 Sie ist dem VN als subjektiver Umstand gemäß § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen.69 17 Ganz überwiegend anerkannt ist darüber hinaus, dass Klauseln, die der VR üblicherweise selbst verwendet, auch dann AVB des VR bleiben, wenn der Makler sie in die von ihm vorformulierten Bedingungen für den Vertragsschluss bereits integriert hat, weil er aufgrund seiner Marktkenntnis davon ausgehen muss, dass der VR auf die Aufnahme der Klausel nicht verzichten wird.70 Dies wird regelmäßig bei Bedingungen der Fall sein, die allein im Interesse des VR stehen, wie etwa der Ausschluss bekannter Pflichtverletzungen aus der Rückwärtsversicherung oder auch die Aufnahme einer Subsidiaritätsklausel, oder die dieser im Hinblick auf seine Rück-

63 Vgl. BGH 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, NJW 2010 1131, 1131 (zu AGB). 64 Vgl. auch Golz VersR 2011 727, 727. 65 Vgl. BGH 2.10.1991 – XII ZR 92/90, WM 1991 2069, 2070 (zu AGB); Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack § 305 Rn. 24. 66 Übersicht bei Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Vorbem. B. Rn. 17 ff. 67 Ebenso Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Vorbem. B. Rn. 20. 68 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack § 305 Rn. 23, 24, 61; BGH 26.9.1996 – VII ZR 318/95, NJW 1997 135, 135. 69 A. A. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Vorbem. B. Rn. 18. Staudinger/Schlosser (2013) § 305 Rn. 28 stellt auf § 166 BGB analog ab, da er das „Stellen“ von Bedingungen mit Bartsch NJW 1986 28, 30 als Realakt betrachtet (anders Staudinger/Mäsch (2020) § 305 Rn. 38). 70 Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 26; Schimikowski RuS 2012 577, 580; Golz VersR 2011 727, 728; Thiel RuS 2011 1, 4 f. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Vorbem. B. Rn. 22 erstreckt diesen Grundsatz (unter Verweis auf Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 10 Rn. 48 und entgegen Thiel a. a. O.) auch auf solche Fälle, in denen der Makler eine Klausel des VR verwendet, zu deren Verhandlung der VR zwar bereit war, die der Makler aber als sachgerecht für seinen VN ansah. Zur Begründung verweist Pohlmann u. a. darauf, dass das Nutzen unveränderter AVB des VR durch den Makler mit der bloßen Möglichkeit des Stellens abweichender AVB dem tatsächlichen Stellen abweichender AVB nicht gleichgesetzt werden könne. Das überzeugt nicht. Kann der VR beweisen, dass der Makler die fragliche Regelung tatsächlich als sachgerecht für seinen VN akzeptiert hat, besteht kein Grund, von den Grundsätzen abzuweichen, die die Rechtsprechung zur Annahme einer Individualvereinbarung aufgestellt hat. Sind diese erfüllt, ist daher zugunsten des VR von einer solchen Individualvereinbarung auszugehen. Gädtke

964

A. Einführung

AVB D&O A-7

versicherungsverträge71 nicht zur Disposition stellen kann. Inwieweit der genannte Grundsatz anzuwenden ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Benutzt der Makler z. B. eine andere Formulierung, als sie der VR üblicherweise verwendet, bleibt der Grundsatz gleichwohl anwendbar, solange die Klausel nicht sachlich geändert ist; denn insoweit verbleibt es bei der Erwartung, dass der VN auf die Ausgestaltung der Klausel, die ihm der VR einseitig auferlegt, gewöhnlich keinen Einfluss hat.72 Anders kann dies sein, wenn der Makler eine übliche Bedingung des VR abändert, indem er beispielsweise einen Risikoausschluss abmildert; hier wird häufig von einer Individualvereinbarung auszugehen sein.73 Der Streit dreht sich damit im Kern darum, ob eine Maklerbedingung, die keine AVB des 18 VR vorwegnimmt, als AVB des VN oder als Individualvereinbarung zu qualifizieren ist.74 Richtig ist grundsätzlich letzteres. Vertragsklauseln können auch dann zu Individualvereinbarungen werden, wenn sich an ihrem Text nichts geändert hat.75 Erforderlich ist nach der Rechtsprechung des BGH, dass der Verwender den in seiner vorformulierten Klausel enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung einräumt („Aushandeln“, § 305 Abs. 1 S. 3 BGB).76 Ist dies erfolgt, genügt es zur Annahme einer Individualvereinbarung, dass sich die Einbeziehung als Ergebnis einer freien Entscheidung desjenigen darstellt, der vom anderen Vertragsteil mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird.77 Bei der Einbeziehung von Maklerbedingungen hat der VR regelmäßig die reale Möglichkeit, auf ihren Inhalt Einfluss zu nehmen, und akzeptiert diese nur nach sachkundiger Prüfung.78 Hiergegen wird vereinzelt vorgebracht, die VR hätten wegen der Marktmacht der Makler und der VN und aufgrund des Preiskampfes nur geringen Einfluss auf die Gestaltung der Bedingungen79 und müssten diese teilweise widerspruchslos hinnehmen.80 Das ist unzutreffend.81 Maklerbedingungen werden regelmäßig zwischen den Maklern und den VR eingehend diskutiert.82 In den meisten Fällen kommt es dabei zu Änderungen an den Klauseln, in jedem Fall prüft der VR die Bedingungen mit eigener Sachkunde darauf, ob und in welcher Fassung er sie akzeptieren kann.83 Daran ändert auch der Preiskampf nichts. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gerade im Bereich von Großrisiken nur wenige VR überhaupt für die Führung eines umfangreichen D&O-Programms, das regelmäßig mehrere Layer und in diesen Layern Mitversicherungskonsortien aufweist, in Betracht kommen. Die VN und die Makler sind daher auf eine langfristige Kooperation mit den VR angewiesen.

71 Golz VersR 2011 727, 728. 72 Vgl. zur Einseitigkeit der Auferlegung und der fehlenden Möglichkeit der Einflussnahme als Charakteristikum von AGB BGH 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, NJW 2010 1131, 1132. 73 Weitergehend Golz VersR 2011 727, 728, der dies offenbar regelmäßig als Fall ansieht, in dem der Ausschluss als AVB des VR zu qualifizieren ist. 74 Für AVB des VN Thiel VersR 2011 1 ff.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Vorbem. B. Rn. 20; auch Langheid/ Müller-Frank NJW 2010 344, 344; für Individualvereinbarung Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 26; Langheid/ Wandt/Reiff AVB Rn. 8; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 10 Rn. 48; Schimikowski RuS 2012 577, 581; Golz VersR 2011 727 ff.; Prölss VersR 2000 1441, 1442. 75 Staudinger/Schlosser (2013) § 305 Rn. 44; Staudinger/Mäsch (2020) § 305 Rn. 68. 76 St. Rspr., vgl. etwa BGH 19.5.2005 – III ZR 437/04, NJW 2005 2543, 2544. 77 BGH 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, NJW 2010 1131, 1132 f. 78 Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 26; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 8; Prölss VersR 2000 1441, 1442. 79 Vgl. Thiel RuS 2011 1, 5 f.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann Vorbem. B. Rn. 21. 80 Thiel a. a. O. 81 Zu Recht Schimikowski RuS 2012 577, 581 („geht jedenfalls zum Teil an der Praxis vorbei“); Golz VersR 2011 727, 728 („geht an der Realität vorbei“). 82 Ebd. 83 Schimikowski RuS 2012 577, 581 weist zu Recht darauf hin, dass ein Makler, der eine der von ihm vorformulierten Klauseln oder gar sein ganzes Klauselwerk gegenüber dem VR als nicht verhandelbar bezeichnet, diese Klauseln i. S. v. § 305 Abs. 1 BGB ‚stellt‘. Ein solches Vorgehen dürfte aber, wenn überhaupt, den absoluten Ausnahmefall darstellen. 965

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

2. Überraschende Klauseln/Inhaltskontrolle 19 Risikoausschlussklauseln können im Einzelfall überraschende Klauseln i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB darstellen. In diesem Fall werden sie nicht in den Versicherungsvertrag mit einbezogen. Eine Anwendung von § 305c Abs. 1 BGB84 setzt voraus, dass die fragliche Klausel objektiv ungewöhnlich und subjektiv für den durchschnittlichen VN insofern überraschend ist, als er mit einer solchen Klausel nicht zu rechnen braucht.85 Letzteres wird als Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt bezeichnet.86 Objektiv ungewöhnlich ist eine Klausel, wenn ihr Inhalt nach dem konkreten Vertragstyp unüblich ist. Das kann etwa deswegen der Fall sein, weil sie Hauptleistungspflichten modifiziert oder sonst vom Leitbild des Vertrags oder dem dispositiven Gesetzesrecht abweicht. Darüber hinaus kann sich der ungewöhnliche Charakter (nicht ganz trennscharf zur subjektiven Voraussetzung) auch aus den Umständen oder dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags ergeben. Gemeint ist, dass auch die individuellen Begleitumstände des Vertragsschlusses und die äußere Gestaltung des Vertrags, etwa der Überschriften, dazu führen können, eine Klausel als ungewöhnlich einzustufen.87 20 Ob es zutreffend ist, die individuellen Begleitumstände des Vertragsschlusses heranzuziehen, um eine Klausel als ungewöhnlich bzw. überraschend zu bewerten, wird teilweise bezweifelt.88 Enttäuscht der VR (oder sein Vertreter) die Erwartungen des VN, weil er ihn unzutreffend über den Umfang des Versicherungsschutzes informiert oder erkennbar unzutreffende Erwartungen des VN nicht korrigiert, verstößt der VR gegen seine Beratungspflicht aus § 6 Abs. 1 VVG. Tritt ein Versicherungsfall ein, der entgegen den durch den VR geweckten Erwartungen nicht versichert ist, ist der VR grundsätzlich (auch) schadensersatzpflichtig und muss den VN so stellen, wie dieser stehen würde, wenn die Beratungspflicht nicht verletzt worden wäre (§§ 6 Abs. 5 VVG, 249 BGB). Ob dies dazu führt, dass der VN die Deckung des Schadens ggf. unter Anrechnung der Differenz zur höheren Versicherungsprämie einer anderen Versicherung verlangen kann, etwa weil er nachweisen kann, dass er das Risiko ohne die fehlerhafte Information anderweitig zu einer höheren Versicherungsprämie hätte versichern können, ist eine Frage der Einzelfallumstände.89 Das gleiche Ergebnis träte aber auch (ohne entsprechenden Nachweis) bzgl. des unter fehlerhafter Beratung geschlossenen Versicherungsvertrags ein, wenn die Ausschlussklausel nach § 305c Abs. 1 BGB gar nicht erst als in den Vertrag mit einbezogen anzusehen wäre.90 Der VN stünde bei einer solchen Lösung also möglicherweise besser als bei einem Schadensersatzanspruch. 21 Das hat zu der Frage geführt, ob die Lösung über § 305c Abs. 1 BGB wirklich sachgerecht ist.91 Soweit Risikoausschlussklauseln betroffen sind, sind zwei Konstellationen zu unterscheiden92: zum einen der Fall, dass die Klausel nur teilweise im Widerspruch zur Information des VR steht (Beispiel: VR informiert den VN im Vorfeld des Vertragsschlusses darüber, dass nur Umstand A durch die Klausel ausgeschlossen sei, nicht jedoch Umstand B, während tatsächlich beide Umstände ausgeschlossen sind), zum anderen der Fall, dass die fragliche Klausel an sich üblich ist und nur aufgrund der Information des VR im Vorfeld des Vertragsschlusses als

84 Vgl. hierzu generell Bruck/Möller/Beckmann Einf. D Rn. 133 ff. mit Rechtsprechungsübersicht. 85 BGH 21.11.1991 – IX ZR 60/91, NJW 1992 1234, 1235; OLG Saarbrücken 28.1.2009 – 5 U 278/08, NJW-RR 2009 816, 817; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer § 305c Rn. 22. 86 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer § 305c Rn. 22. 87 BGH 24.10.2000 – XI ZR 273/99, NJW-RR 2001 1420, 1421; BGH 21.11.1991 – IX ZR 60/91, NJW 1992 1234, 1235; Staudinger/Mäsch (2020) § 305c Rn. 25, 28. 88 Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 79; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 71 f. 89 Vgl. auch Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 61. 90 So hat beispielsweise das OLG Düsseldorf 21.8.2001 – 4 U 190/00, RuS 2003 195, 196 entschieden. 91 Vgl. dazu Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 64 § 6 Rn. 79; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 71 f. 92 Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 71 f.; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 79. Gädtke

966

A. Einführung

AVB D&O A-7

überraschend angesehen werden muss (Beispiel: VR informiert VN, dass die Klausel Umstand A nicht ausschließe, während sie dies tatsächlich tut und dies auch üblich ist). Reiff schlägt zur Lösung des ersten Falls vor, die Klausel trotz des überraschenden Teils 22 entgegen § 305c Abs. 1 BGB in den Vertrag einzubeziehen und den VN hinsichtlich der fehlerhaften Information auf den Schadensersatzanspruch gegen den VR zu verweisen.93 Prölss hingegen will dem Überraschungseffekt durch eine der Erwartung des VN entsprechenden Reduktion der Klausel für den Einzelfall Rechnung tragen. Das Verbot geltungserhaltender Reduktion greife nicht, wenn eine Klausel nur wegen des Verhaltens des VR „anstößig“ sei.94 Im Ergebnis ist Prölss zuzustimmen: § 305c Abs. 1 BGB ist anzuwenden, weil anderenfalls 23 der von der Fehlinformation des VR ausgehende Überrumpelungseffekt unberücksichtigt bleibt. Im Übrigen ist zu differenzieren: Ist die fragliche Klausel teilbar, d. h. verbleibt nach Wegstreichen des nicht einzubeziehenden Teils ein aus sich heraus verständlicher Klauselrest, der trotz der Reduktion eine sinnvolle Regelung enthält,95 stellt sich die Problematik nicht; der Klauselrest bleibt wirksam, die Position des VN verbessert sich durch die Anwendung von § 305c Abs. 1 BGB nicht. Ist die Klausel nicht teilbar, ist sie insgesamt nicht in den Vertrag einbezogen (§§ 305c, 306 BGB). Wenn wie oftmals im Versicherungsrecht kein dispositives Gesetzesrecht zur Lückenfüllung vorhanden ist, kann der Vertrag allerdings ggf. durch ergänzende Vertragsauslegung angepasst werden. Das Verbot geltungserhaltender Reduktion steht dem auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH96 nicht entgegen.97 Voraussetzung der ergänzenden Vertragsauslegung ist allerdings, dass das Festhalten an dem lückenhaften Vertrag für den VR unzumutbar98 ist, der ergänzte Vertrag typischerweise für den VN von Interesse ist und nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstands führt.99 Ersteres ist der Fall, wenn dem VN durch einen ersatzlosen Wegfall der Klausel Vorteile entstünden, die das Vertragsgefüge einseitig zu seinen Gunsten verschöben.100 Bejaht man dies und hält den VR im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an seiner ursprünglichen Beratung fest, sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt: Geht der VN aufgrund der Information des VR ohnehin von einem bestimmten Regelungsgehalt der Klausel aus, entspricht der Vertrag bei deren Aufrechterhaltung typischerweise seinem Interesse und führt auch nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstands. Die Lösung über § 305c Abs. 1 BGB ist also sachgerecht. Im zweiten Fall geht Reiff von einer Anwendung von § 305c Abs. 1 BGB aus.101 Dem ist 24 zuzustimmen: Wenn der Überrumpelungseffekt bei partieller Falschauskunft ausschlaggebend ist, muss er dies bei vollständiger Fehlinformation erst recht sein. Der Umstand, dass die in den AVB enthaltene Klausel eigentlich üblich ist und der VN damit ein besseres Produkt erhält, als es den normalen Erwartungen entspricht,102 ist kein Gegenargument. Soweit der VN diese normalen Erwartungen überhaupt kennt, wird er davon ausgehen, dass ihm der VR z. B. aus Wettbewerbsgründen ein besseres Angebot machen will. In dieser durch den VN hervorgerufenen Erwartung ist er auch schützenswert; dass eine allein an die Verhandlungssituation anknüpfende Kontrolle insoweit nur das „negative“ Interesse des Kunden schützen soll, indem sie unerwartete, wenn auch nicht ungewöhnliche Beeinträchtigungen, die ohne Verwendung von AGB

93 94 95 96

Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 72. Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 79. St. Rspr., etwa BGH 13.1.2010 – VIII ZR 48/09, NJW 2010 674, 674. EuGH 7.8.2018 – C-96/16, C-94/17, NZM 2018 1029, 1033 f.; EuGH 14.6.2012 – C-618/10, NJW 2012 2257, 2260; kritisch hierzu Uffmann NJW 2012 2225, 2229 ff. 97 Palandt/Grüneberg § 306 Rn. 13. 98 Vgl. z. B. BGH 15.2.2019 – V ZR 77/18, NJW 2019 2602, 2604 (zu AGB). 99 Vgl. die Grundsätze BGH 15.2.2019 – V ZR 77/18, NJW 2019 2602, 2604 (zu AGB); Palandt/Grüneberg § 306 Rn. 13. 100 Präve VersR 2012 1159, 1162; BGH 17.12.2008 – VIII ZR 274/06, NJW 2009 578, 580; BGH 13.11.1997 – IX ZR 289/ 96, NJW 1998 450, 451. 101 Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 72. 102 Zu entsprechenden Zweifeln Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 79 a. E. 967

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

nicht bestünden, von ihm fern hält,103 erscheint nicht sachgerecht. Der VN steht bei einer Lösung über § 305c Abs. 1 BGB letztlich materiell auch nicht besser als bei einem Schadenersatzanspruch. 25 Überraschend kann eine Ausschlussklausel weiterhin aufgrund ihrer Position innerhalb der AVB sein.104 Aus dieser Position lässt sich zwar noch kein Rückschluss auf die Bedeutsamkeit der Klausel vornehmen, weil alle Bestimmungen grundsätzlich gleichermaßen relevant sind.105 Ein Überrumpelungseffekt kann aber daraus resultieren, dass die Klausel in einem systematischen Zusammenhang steht, in dem der Vertragspartner sie nicht zu erwarten braucht.106 Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, was von einem durchschnittlichen VN des jeweiligen Adressatenkreises erwartet werden kann.107 Das Gleiche gilt, wenn eine Klausel unter einer irreführenden Überschrift108 aufgeführt wird oder wenn sie eine andere Regelung, die ihrerseits als abschließend erscheint, modifiziert und nicht im Zusammenhang mit dieser, sondern an ganz anderer Stelle genannt ist.109 Der Umstand, dass eine Klausel branchenüblich verwendet wird, schließt es grundsätzlich nicht aus, sie als ungewöhnlich anzusehen.110 Die Branchenüblichkeit wird aber häufig ein Indiz gegen einen Überrumpelungseffekt der Klausel darstellen.111 Einschränkungen des Versicherungsschutzes, die im Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrags noch nicht enthalten waren, sind nicht nach § 305c Abs. 1 BGB zu beurteilen, für sie gilt allein § 5 VVG.112 26 Im Rahmen der Inhaltskontrolle von Risikoausschlussklauseln nach § 307 BGB bestehen grundsätzlich keine Besonderheiten.113 Zu achten ist insbesondere auf das Transparenzgebot. Risikoausschlussklauseln schränken den Umfang des Versicherungsschutzes ein; sie müssen daher möglichst klar und durchschaubar abgefasst sein.114 Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen VN verständlich ist. Vielmehr gebieten es Treu und Glauben auch, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann.115 Eine Regelung kann etwa auch dann gegen das Transparenzgebot verstoßen, wenn sie an verschiedenen Stellen in den Versicherungsbedingungen niedergelegt ist, die nur schwer miteinander in Zusammenhang zu bringen sind, oder wenn der Regelungsgehalt auf andere Weise durch die Verteilung auf mehrere Stellen verdunkelt wird, beispielsweise durch systemwidrige Positionierung innerhalb des Klauselwerks oder durch Unterbringung unter irreführender Überschrift.116 103 Dies zieht Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 79 a. E. in Betracht. 104 BGH 5.12.2012 – IV ZR 110/10, VersR 2013 219, 223; BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257, 1258; BGH 21.7.2010 – XII ZR 189/08, NJW 2010 3152, 3153 f.; BGH 9.12.2009 – XII ZR 109/08, NJW 2010 671, 672; Langheid/ Rixecker/Rixecker § 1 Rn. 32. 105 Ebd. 106 BGH 5.12.2012 – IV ZR 110/10, VersR 2013 219, 223; BGH 21.7.2010 – XII ZR 189/08, NJW 2010 3152, 3153 f.; OLG München 8.8.2008 – 25 U 5188/07, VersR 2009 59, 60 (bestätigt in OLG München 23.2.2010 – 25 U 3563/09, RuS 2010 196, 197); a. A. insoweit BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257, 1258. 107 Vgl. dazu BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257, 1258. 108 LG München 29.6.1988 – 14 S 1876/88, VersR 1988 1171, 1172. 109 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer § 305c Rn. 19 m. w. N. Dann kommt auch eine Verletzung des Transparenzgebots in Betracht, vgl. unten Rn. 26. 110 OLG Saarbrücken 29.11.1995 – 5 U 300/95-20, NJW-RR 1996 477, 479; auch das Urteil des OLG München 8.8.2008 – 25 U 5188/07, VersR 2009 59, 60 betraf eine branchenübliche Klausel; a. A. aber BGH 21.7.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011 1257, 1258; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 196. 111 Vgl. Ulmer/Brandner/Hensen//Ulmer/Schäfer § 305c Rn. 14, 12; Langheid/Wandt/Reiff AVB Rn. 69 m. w. N.; strikt gegen die Annahme eines Überrumpelungseffekts bei Branchenüblichkeit Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 132. 112 Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 67; a. A. LG Dortmund 22.7.2009 – 2 O 322/08, RuS 2009 410, 412. 113 Zur AVB-Kontrolle vgl. im Einzelnen Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 244 ff. 114 BGH 4.7.2018 – IV ZR 200/16, NJW 2018 2710, 2712; BGH 16.9.2009 – IV ZR 246/08, RuS 2009 497, 499. 115 Ebd.; zu Einzelheiten vgl. Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 283 ff.; Pilz Missverständliche AGB 163 ff. 116 Staudinger/Wendland (2019) § 307 Rn. 191. Gädtke

968

A. Einführung

AVB D&O A-7

Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich inhaltlich zusammenhängende Aspekte teils in einem Definitionsteil für die in der D&O-Police verwendeten Begriffe (Beispiel: Vermögensschadenbegriff), teils in den Ausschlussklauseln finden und an beiden Stellen nicht kongruent geregelt sind.

III. Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast für die Anwendbarkeit der Versicherungsbedingungen wech- 27 selt mit der jeweiligen Stufe der Risikoabgrenzung (vgl. dazu oben Rn. 1).117 Dies entspricht dem allgemein anerkannten Beweislastprinzip im Zivilrecht, dass jede Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes zu beweisen hat.118 Dementsprechend muss der VN bzw. die versicherte Person darlegen und beweisen, dass der D&O-Versicherungsfall im Sinne der primären Risikoabgrenzung eingetreten ist.119 Der VR hat hingegen darzulegen und zu beweisen, dass ein Risikoausschluss anwendbar und er damit nicht einstandspflichtig ist.120 Für etwaige Wiedereinschlüsse ist wiederum der VN bzw. die versicherte Person darlegungs- und beweisbelastet.121 Wird dem VN in einem Ausschlusstatbestand die Darlegungs- und Beweislast dafür aufge- 28 bürdet, dass der Risikoausschluss nicht anwendbar ist, ist die Klausel grundsätzlich gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB unwirksam; § 309 Nr. 12a BGB findet in Verträgen mit Unternehmern keine Anwendung (§ 310 Abs. 1 BGB). Handelt es sich allerdings um einen grundsätzlich wirksamen Ausschluss und wird dieser nur für bestimmte Konstellationen abgemildert (vgl. etwa Ziff. A-7 1.4), die von dem VN zu beweisen sind, stellt dies ein „kleineres Übel“ gegenüber einem vollständigen Ausschluss dar; die Beweislastverteilung ist dann zulässig und die Klausel insgesamt wirksam.122 Bei vorformulierten Maklerbedingungen ist zu differenzieren. Den VR trifft die Beweis- 29 last dafür, dass der Makler die Bedingungen, die zum Gegenstand des Versicherungsvertrags wurden, in der Absicht mehrfacher Verwendung erstellt hat. Zum Nachweis dieser Absicht erkennt die Rechtsprechung im AGB-Recht grundsätzlich den Anscheinsbeweis an.123 Erforderlich ist, dass sich die Absicht der Mehrfachverwendung aus der inhaltlichen Gestaltung der Klauseln ergibt.124 Wann die Klausel inhaltlich so beschaffen ist, dass der Anscheinsbeweis zulässig ist, ist allerdings unklar: Während die Rechtsprechung einerseits allein auf das Vorliegen formelhafter, d. h. nicht auf die individuelle Vertragssituation abgestimmter Klauseln abstellt,125 scheint sie andererseits (kumulativ) auch zu verlangen, dass es sich dabei um den Vertragspart-

117 Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 192; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 151; Langheid/Wandt/Wandt § 28 Rn. 49; kritisch dazu Baumgärtel/Prölss § 49 Rn. 37 f., der die Parallele von Risikobeschreibung und Normentheorie in Frage stellt. 118 BGH 14.1.1991 – II ZR 190/89, NJW 1991 1052, 1053; Zöller/Greger vor § 284 Rn. 17a; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 350, 352. 119 Allg.M., vgl. etwa Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 352, § 1 Rn. 192; Langheid/Wandt/Looschelders § 1 Rn. 148. 120 BGH 21.2.1957 – II ZR 175/55, NJW 1957 907, 907; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 356; Langheid/Wandt/ Looschelders § 1 Rn. 152; Veith/Gräfe/Brügge § 19 Rn. 537; krit. Baumgärtel/Prölss § 49 Rn. 38. 121 Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 358. 122 Prölss/Martin/Armbrüster § 81 Rn. 67a, 94. 123 BGH 27.11.2003 – VII ZR 53/03, NJW 2004 502, 503; BGH 14.5.1992 – VII ZR 204/90, NJW 1992 2160, 2162; LG München 24.9.2008 – 21 O 21732/07, NJOZ 2010 890, 892. 124 Ebd.; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack § 305 Rn. 61 a. E. 125 BGH 27.11.2003 – VII ZR 53/03, NJW 2004 502, 503; LG München 24.9.2008 – 21 O 21732/07, NJOZ 2010 890, 892. 969

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

ner belastende Regeln handelt.126 Wäre auch letzteres erforderlich, wäre der Anscheinsbeweis jedenfalls für die allermeisten Klauseln einer vom Makler vorformulierten Police nicht zulässig; denn Maklerbedingungen werden regelmäßig eine Reihe von Klauseln enthalten, die Forderungen des VR vorwegnehmen oder Standardformulierungen darstellen, die den VR nicht einseitig belasten. Auch Abmilderungen von Risikoausschlussklauseln werden nicht als einseitige Belastungen gelten können. Es erscheint allerdings zutreffend, den Anscheinsbeweis für die Absicht der Mehrfachverwendung schon dann zuzulassen, wenn allein die erste der oben genannten Voraussetzungen erfüllt ist. Ein einseitiger Vertragsinhalt lässt dagegen bereits einen Rückschluss darauf zu, wer die Bedingungen gestellt hat, und geht damit einen Schritt weiter; der typische Geschehensablauf besteht insoweit darin, dass inhaltlich einseitige AGB vom begünstigten Vertragspartner stammen.127 Für den Nachweis der Mehrfachverwendungsabsicht spielt dies keine Rolle. Hier geht es allein um die Abstraktion vom Einzelfall, die sich in der Verwendung formelhafter Klauseln niederschlägt. 30 Schließlich ergibt sich die Unzulässigkeit des Anscheinsbeweises auch nicht aus dem Umstand, dass mit ihm ein bewusst gefasster Willensentschluss, nämlich die Absicht mehrfacher Verwendung, nachgewiesen werden soll. Zwar sind individuelle Verhaltensweisen und Willensentschließungen nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht mit dem Anscheinsbeweis nachweisbar. Dies beruht aber darauf, dass in diesen Fällen in der Regel die individuellen Umstände der konkreten Konstellation im Vordergrund stehen und keine Typizität ersichtlich ist.128 Die Vorformulierung eines abstrakt-generellen Klauselwerks lässt demgegenüber einen generellen, typisierbaren Willensentschluss erkennen. Anders als im Regelfall ist also auch bzgl. dieses Willensentschlusses ein typischer Geschehensablauf auszumachen. Insofern kann der Anscheinsbeweis zum Nachweis der Mehrfachverwendung der Klauseln durch den Makler – wie genauso umgekehrt bei AVB des VR129 – herangezogen werden. Der VN kann dann allerdings den Makler als Zeugen benennen, um diesen Anschein zu erschüttern und insbesondere geltend zu machen, dass die vom Makler eingebrachten Klauseln speziell auf den Fall des VN zugeschnitten und nicht von der Absicht mehrfacher Verwendung getragen waren. 31 Der VN muss den Beweis erbringen, dass es sich bei den vorformulierten Maklerbedingungen um eine Vorwegnahme von Klauseln des VR handelte, etwa weil der Makler davon ausging, dass der VR auf diese Bedingungen ohnehin nicht verzichten werde. Die Beweislast trifft den VN grundsätzlich auch dann, wenn er geltend macht, dass es sich bei den vorformulierten Maklerbedingungen um Individualbedingungen handelt. Häufig wird der VN dazu die Dokumentation seines Maklers vorlegen können, aus der sich ein Aushandeln der relevanten Klausel i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB ergibt – etwa durch Änderungen am Klauseltext, Vorlage von E-MailKorrespondenz zu der Klausel, die belegen, dass die Klausel zur Disposition gestellt wurde, Besprechungsprotokolle etc. Im Übrigen kann der VN auch den Anscheinsbeweis führen. Dass der VR regelmäßig die reale Möglichkeit hat, auf den Inhalt der Klausel Einfluss zu nehmen, und diese nur nach sachkundiger Prüfung akzeptiert,130 ist ein typischer Geschehensverlauf. Will der VR geltend machen, dass diese Möglichkeit im speziellen Fall nicht bestand, muss er dies nachweisen, was ihm regelmäßig schwer fallen dürfte. Im Übrigen sind auch die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast anwendbar, da die Beweisführung die dem VN nicht zugängliche Sphäre des VR betrifft. Danach genügt die Behauptung, dass die Möglich-

126 BGH 14.5.1992 – VII ZR 204/90, NJW 1992 2160, 2162 unter Bezug auf Bartsch NJW 1986 28, 31; BGH 27.11.2003 NJW 2004 502, 503.

127 Vgl. Bartsch NJW 1986 28, 31, auf den sich BGH 14.5.1992 – VII ZR 204/90, NJW 1992 2160, 2162 bezieht; BGH 27.11.2003 – VII ZR 53/03, NJW 2004 502, 503. 128 BGH 4.5.1988 – IVa ZR 278/86, NJW 1988 2040, 2041. 129 Schimikowski RuS 2012 577, 580. 130 Vgl. auch Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack § 305 Rn. 64a. Gädtke

970

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1

AVB D&O A-7

keit bestand, Einfluss zu nehmen und die Klauseln nur nach sachkundiger Prüfung zu akzeptieren, wenn der VR dies nicht substantiiert bestreitet.

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1 I. Allgemeines 1. Überblick Ziff. A.7.-1 schließt die Gewähr von Versicherungsschutz für Fälle vorsätzlicher Schadenverur- 32 sachung oder wissentlicher Pflichtverletzung aus (Satz 1). Der Ausschluss für vorsätzlich verursachte Schadenfälle (vgl. Rn. 37 ff.) ist bereits in § 103 VVG geregelt und hat daher grundsätzlich nur deklaratorische Bedeutung. Bedeutsam ist hingegen der Ausschluss für wissentlich begangene Pflichtverletzungen (vgl. Rn. 51 ff.), durch den Satz 1 von der (abdingbaren)131 Regelung in § 103 VVG abweicht. In der Praxis wird häufig nur die wissentliche Pflichtverletzung ausgeschlossen, teilweise auch – statt vorsätzlicher Schadenverursachung und/oder wissentlicher Pflichtverletzung – bereits die vorsätzliche Pflichtverletzung (vgl. Rn. 41 ff.).132 In einer der entsprechenden Fassungen ist Satz 1 Bestandteil jeder D&O-Police. Die in Satz 2 vorgesehene Zurechnungsregel findet sich in der Praxis systematisch meist 33 nicht in Ziff. A-7.1, sondern bildet – häufig zusammen mit einer Repräsentantenklausel – einen eigenständigen Unterpunkt innerhalb der D&O-Police.133 Ihrer Fassung zum Trotz kann es bei einer buchstäblichen Anwendung von Zurechnungsregeln zu einer Konstellation kommen, in der die wissentliche Pflichtverletzung einer versicherten Person über deren Zurechnung zum VN auch anderen versicherten Personen, die nicht vorsätzlich oder wissentlich gehandelt haben, entgegengehalten werden könnte. Nach herrschender Meinung muss sich eine versicherte Person im Rahmen der Versicherung für fremde Rechnung eine vorsätzliche oder wissentliche Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den VN gem. den §§ 47 VVG, § 334 BGB entgegenhalten lassen:134 Die Zurechnung der wissentlichen Pflichtverletzung einer versicherten Person zum VN über § 47 Abs. 1 VVG stünde dem Versicherungsschutz der fahrlässig handelnden anderen versicherten Personen gem. § 334 BGB entgegen, ohne dass es einer direkten Zurechnung des Verhaltens einer versicherten Person zu einer anderen (vgl. AVB 7.1 S. 2) bedürfe. Dies wird zu Recht als unbillig angesehen.135 Über § 47 VVG wird dem VN zwar das Verhalten der versicherten Personen, grundsätzlich aber nicht umgekehrt einer versicherten Person auch das Verhalten des VN zugerechnet.136 Und bei der Anwendung des § 334 BBGB ist anerkannt, dass die Einwendungen des Versprechenden gegen den Dritten nach Inhalt und Zweck des Vertrags mit dem Versprechensempfänger eingeschränkt sein können.137 Da die D&O-Versicherung – wie sich am prägnantesten in den qualifizierten Severability-Klauseln zeigt (vgl. dazu auch Rn. 56), jedem Organmitglied einen eigenständigen Versicherungsschutz zu verschaffen, lässt sich eine solche Einschränkung überzeugend argumentieren.138 Mit diesem Zweck wäre eine mittelbare Zurech-

131 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 91. 132 Vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 57; Mahnke ZfV 2006 540, 540. 133 Vgl. dazu Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 624 ff.; de Lippe VersR 2021 69, 75 f.; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 94. 134 Vgl. z. B. Langheid/Wandt/Looschelders § 81 Rn. 107; Looschelder VersR 2018 1413, 1417. 135 So zu Recht Looschelders VersR 2018 1413, 1417. 136 Langheid/Rixecker/Rixecker § 47 Rn. 3. 137 Looschelders VersR 2018 1413, 1417. 138 Ebd. 971

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

nung vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzungen anderer Organmitglieder unvereinbar; sie widerspräche auch der Regelung in AVB 7.1 S. 2.139 34 Inhaltlich beruht Ziff. A-7.1 auf dem Grundsatz, dass eine versicherte Person, die sich hinsichtlich des versicherten Interesses unlauter verhält, keinen Versicherungsschutz verdient.140 Wie die §§ 81, 103 VVG bezweckt der Ausschluss damit zum einen eine Reduzierung des subjektiven Risikos, also der (potentiell) in Charakter und Psyche der versicherten Person liegenden Gefahrumstände.141 Darin stellt er eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsgedankens dar, dass dem Schuldner die Haftung für vorsätzliches Verhalten nicht im Voraus erlassen werden darf,142 was indirekt auch dann zutreffen würde, wenn dieser sich aufgrund bestehenden Versicherungsschutzes für vorsätzliches Verhalten letztlich schadlos halten könnte. Zum anderen soll der Ausschluss im Allgemeininteresse verhindern, dass das Bestehen von Versicherungsschutz die Entstehung von Schäden begünstigt (moral hazard).143

2. Risikoausschluss oder verhüllte Obliegenheit? 35 In der versicherungsrechtlichen Literatur wird teilweise vertreten, dass Ziff. A-7.1 bzw. vergleichbare Klauseln nicht als Risikoausschluss, sondern als verhüllte Obliegenheit zu qualifizieren seien.144 Begründet wird diese Auffassung damit, dass die entsprechenden Klauseln in erster Linie ein Verhalten des VN bzw. (in der D&O-Versicherung) der versicherten Person verlangten und zum Entzug des Versicherungsschutzes führten, wenn VN bzw. versicherte Person Schadensverhütungspflichten versäumt hätten, während ein Risikoausschluss eine individualisierende Beschreibung eines Wagnisses enthalte, für das kein Versicherungsschutz gewährt werde.145 Die Einordnung als verhüllte Obliegenheit hätte zur Folge, dass die versicherte Person – sofern die Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Klausel vorliegen – den Versicherungsschutz nicht ohne weiteres, sondern nur dann verlöre, wenn die in § 28 Abs. 2–4 VVG genannten Voraussetzungen erfüllt wären, d. h. Verschulden, Kausalität und Belehrung. 36 Die h. M. folgt dieser Einschätzung nicht, sondern geht von einem Risikoausschluss aus.146 Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen verhüllter Obliegenheit und Risikobegrenzung ist nach ständiger Rechtsprechung und beiden Literaturauffassungen, ob die jeweilige Klausel nach ihrem materiellen Gehalt aus Sicht eines durchschnittlichen VN die individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der VR keinen Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes (vorbeugendes)147 Verhalten des VN fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder

139 Ebd. 140 Vgl. hierzu Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 14; Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 6 ff.; Berliner Kommentar/ Beckmann § 61 Rn. 2 (jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung).

141 Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 6 ff.; Bruck/Möller8 § 61 Anm. 3; Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 14; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 2. 142 Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. IV Anm. G Rn. 220; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 599. 143 Bruck/Möller/Baumann9 § 81 Rn. 14; Prölss/Martin/Armbrüster § 81 Rn. 2. 144 Vgl. Schimikowski Rn. 179, 272; ders. Anm. zu OLG Hamm 22.9.1995 – 20 U 38/95, RuS 1996 96, 97; ders. Anm. zu OLG Köln 28.1.1997 – 9 U 62/96, RuS 1997 496, 497. 145 Ebd. 146 St. Rspr., vgl. etwa BGH 17.12.1986 – IV a ZR 166/85, RuS 1987 99, 99; LG Dortmund 21.10.2010 – 2 O 10/10, RuS 2011 113, 114; KG Berlin 30.1.2007 – 6 U 132/06, NJOZ 2007 5959, 5964; OLG Köln 28.1.1997 – 9 U 62/96, RuS 1997 496, 496; OLG Hamm 22.9.1995 – 20 U 38/95, RuS 1996 96, 96; Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 40; Prölss/ Martin/Voit A-7 Rn. 6; de Lippe VersR 2021 69, 70 f. 147 Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow § 13 Rn. 16. Gädtke

972

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1

AVB D&O A-7

ihn verliert.148 Wird von vornherein nur ausschnittweise Deckung gewährt, handelt es sich um eine Risikobeschränkung, wird dagegen ein prinzipiell bestehender Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens des VN wieder entzogen, liegt eine Obliegenheit vor.149 Die h. M. stuft Ziff. A-7.1 (bzw. entsprechende Klauseln) auf Basis dieser Unterscheidung zu Recht als Risikoausschluss ein. Gegen die Auffassung, die von einer verhüllten Obliegenheit ausgeht, spricht zunächst, dass Ziff. A-7.1 ein abstraktes und gerade kein vertraglich bestimmtes und konturiertes Verhaltensgebot enthält, wie es Obliegenheiten kennzeichnet.150 Ob dieser Unterschied für einen durchschnittlichen VN erkennbar ist, ist allerdings zweifelhaft. Für ihn erkennbar ist jedoch, dass dasselbe Verhalten, das als Versicherungsfall den Versicherungsschutz auslöst, nicht gleichzeitig Gegenstand eines Verhaltensgebots sein kann, von dessen Erfüllung es abhängt, ob er den durch das Verhalten ausgelösten Versicherungsschutz behält.151 Er wird die Klausel daher so verstehen, dass der Versicherungsschutz bei einem bestimmten Grad der Pflichtverletzung von vornherein versagt ist. Zudem weiß er (ggf. aufgrund einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“), dass bewusste Pflichtverstöße oder Schädigungen von der Rechtsordnung sanktioniert sind. Deswegen dürfte er ohne weiteres davon ausgehen, dass der VR derartige Verstöße von vornherein nicht in den Versicherungsschutz mit einbeziehen will.152

II. Vorsätzliche Schadenverursachung und vorsätzliche Pflichtverletzung 1. Vorsätzliche Schadenverursachung/Vorsatzbegriff Der Begriff der vorsätzlichen Schadenverursachung ist nach den für § 103 VVG geltenden Grund- 37 sätzen auszulegen.153 Er ist kein Unterfall154 des Begriffs der wissentlichen Pflichtverletzung, da dieser sowohl weiter als auch enger als jener ist und damit nicht als der allgemeinere Begriff gelten kann. Weiter ist der Begriff der wissentlichen Pflichtverletzung, weil er keinen Vorsatz bzgl. des Schadenseintritts erfordert, enger ist er, weil seine Merkmale bei bedingtem Vorsatz nicht erfüllt sind.155 Die Begriffe der vorsätzlichen Schadenverursachung und der wissentlichen Pflichtverletzung stehen daher gleichrangig nebeneinander. Vorsätzlich ist ein Handeln nach allgemeiner zivilrechtlicher Definition, wenn es wissentlich 38 und willentlich erfolgt.156 Der Handelnde muss also die haftungsbegründenden Umstände kennen

148 Zur Abgrenzung von Obliegenheitsverletzung und (objektiver) Risikobegrenzung vgl. etwa BGH 18.6.2008 – IV ZR 87/07, RuS 2008 381, 381 f.; BGH 16.6.2004 – IV ZR 201/03, NJW-RR 2004 1259, 1261; OLG Celle 11.2.2010 – 8 U 125/09, RuS 2011 123, 124; KG Berlin 30.1.2007 – 6 U 132/06, NJOZ 2007 5959, 5964; anders allerdings OLG Hamm 13.10.1995 – 20 U 128/95, RuS 1996 51, 52 für den Fall, dass die Klausel eine Exkulpationsmöglichkeit vorsieht. Kritisch zu den Abgrenzungskriterien der Rechtsprechung etwa Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 12 ff.; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 26. 149 Ebd. und zur Kritik Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 12 ff.; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 26. 150 Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 38 ff. 151 Ähnlich Vothknecht PHi 2006 52, 54 f. 152 Vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 40 (mit anderer Begründung) m. w. N. 153 Dementsprechend verweisen die Erläuterungen des GDV zu Ziff. A-7.1. darauf, dass es sich beim Ausschluss vorsätzlich verursachter Schadenfälle „(i)m Hinblick auf § 103 VVG (…) lediglich um eine klarstellende Regelung“ handele. 154 A. A. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 605, 607, der sich zur Begründung seiner Auffassung, dass der Begriff der wissentlichen Pflichtverletzung der Oberbegriff in Ziff. 5.1 sei, auf die Worte „(…) sonstige wissentliche Pflichtverletzung“ bezieht. 155 St. Rspr., vgl. BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 132; BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, RuS 1991 45, 47; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; OLG Saarbrücken 12.12.2007 – 5 U 242/06, NJOZ 2008 2882, 2885; OLG Karlsruhe 20.2.2003 – 12 U 202/02, NJOZ 2003 783, 784; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 93. 156 Staudinger/Caspers (2019) § 276 Rn. 22. 973

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

und seine Handlung gleichwohl vornehmen wollen.157 Ob der Vorsatz sich auch auf den Handlungserfolg beziehen muss, und was dies im Einzelnen bedeutet, hängt davon ab, welchen Tatbestand die Handlung potentiell erfüllt.158 So muss er sich im Deliktsrecht auf die Rechtsguts- oder die Schutzgesetz- bzw. Amtspflichtverletzung und im Vertragsrecht auf den Verstoß gegen die Vertragspflicht, nicht aber auf den Schaden beziehen.159 Anders ist dies im Rahmen von § 826 BGB, bei dem erst die vorsätzliche Schadenszufügung den Deliktscharakter begründet.160 Die im Strafrecht vorgenommen Differenzierungen zwischen den einzelnen Vorsatzarten 39 gelten auch im Zivilrecht161 und im Versicherungsrecht.162 Der Vorsatz umfasst dementsprechend sowohl den Fall, dass der Handelnde gerade den missbilligten Erfolg erreichen will (Absicht; dolus directus 1. Grades), als auch die Konstellation, dass der Erfolg von ihm zwar nicht beabsichtigt, jedoch als notwendigerweise eintretend gedacht wird (direkter Vorsatz; dolus directus 2. Grades), als auch den Fall, dass der missbilligte Erfolg nur für möglich gehalten, aber doch vom Handelnden zustimmend in Kauf genommen wird (bedingter Vorsatz; dolus eventualis).163 Anders als nach h. M. im Strafrecht verlangt die h. M. im Zivilrecht für den Vorsatz regelmäßig auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit.164 Für dieses Bewusstsein genügt, dass der Handelnde mit der Rechtswidrigkeit gerechnet und sie gebilligt hat.165 40 Bei der vorsätzlichen Schadenverursachung gemäß Ziff. A-7.1 muss der Vorsatz nach diesen Grundsätzen nicht nur die Schädigungshandlung umfassen, sondern sich auch auf den konkret eingetretenen Schaden, d. h. die Verletzungsfolgen, beziehen.166 Darüber hinaus ist das Bewusstsein der versicherten Person erforderlich, dass der Erfolg objektiv rechtswidrig ist.167 Bedingter Vorsatz ist für die Annahme einer vorsätzlichen Schadenverursachung ausreichend.168 Dabei ist nicht erforderlich, dass die versicherte Person die Folgen ihrer Handlung in allen Einzelheiten vorausgesehen hat. Es genügt vielmehr, wenn sie den Handlungserfolg in groben Zügen absehen kann, ihren Eintritt – auch wenn er ihr an sich unerwünscht ist – akzeptiert und das Geschehen nicht wesentlich vom erwarteten Ereignisverlauf abweicht.169 Zu den Einzelheiten vgl. die Kommentierung zu § 103 VVG.170

2. Vorsätzliche Pflichtverletzung 41 Teilweise wird in D&O-Policen geregelt, dass der Ausschluss – anders als in Ziff. A-7.1 vorgesehen – schon bei vorsätzlicher Pflichtverletzung der versicherten Person greift. Bezugspunkt des Vorsatzes ist also nicht mehr die Schadenverursachung, sondern allein die Pflichtverletzung. In der versicherungsrechtlichen Literatur wurde dennoch von einigen Autoren die Auffassung 157 Ebd. 158 Vgl. MüKo-BGB/Grundmann § 276 Rn. 154; Staudinger/Caspers § 276 Rn. 24. 159 Staudinger/Caspers (2019) § 276 Rn. 24; MüKo-BGB/Grundmann § 276 Rn. 153; Palandt/Grüneberg § 276 Rn. 10 (jeweils mit Nachweisen zur BGH-Rechtsprechung). 160 Ebd. 161 MüKo-BGB/Grundmann § 276 Rn. 154; Staudinger/Caspers § 276 Rn. 22; Palandt/Grüneberg § 276 Rn. 10. 162 Vgl. etwa BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001 1103, 1104; Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 31; Vothknecht PHi 2006 52, 59. 163 Staudinger/Caspers (2019) § 276 Rn. 22. 164 Staudinger/Caspers (2019) § 276 Rn. 25. 165 Ebd. 166 Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 33; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 604; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 7. 167 Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 33 ff. mit Verweisen auf die Rechtsprechung. 168 Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 32. 169 Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 33 mit Verweisen auf die Rechtsprechung; Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 8. 170 Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 31 ff. Gädtke

974

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1

AVB D&O A-7

vertreten, mit dem Wort „vorsätzlich“ sei – entsprechend der Formel vom „Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs“ – impliziert, dass der Vorsatz sich auch beim Ausschluss wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung auf den Schadenseintritt beziehen müsse.171 Diese Auffassung ist unzutreffend172 und der entsprechende Streit überholt. Welchen Gehalt der Vorsatz aufweisen muss, hängt vom jeweiligen Tatbestand ab (vgl. Rn. 38). Beim Ausschlussgrund der vorsätzlichen Pflichtverletzung geht es allein um ein „Wissen und Wollen der Pflichtverletzung“.173 Der Vorsatz braucht sich nicht auf den Handlungserfolg zu beziehen; erforderlich ist – entsprechend der von der h. M. im Zivilrecht vertretenen Vorsatztheorie174 – aber, dass der versicherten Person die Rechtswidrigkeit ihres Handelns bewusst ist. Der Ausschlussgrund der vorsätzlichen Pflichtverletzung weicht insofern zu Lasten der versi- 42 cherten Person vom Ausschlussgrund der vorsätzlichen Schadenverursachung (vgl. Rn. 37, 40), wie er in § 103 VVG geregelt ist, ab. Damit stellt sich die Frage, ob die versicherte Person durch den Ausschluss von Haftpflichtansprüchen wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung unangemessen benachteiligt wird (§ 307 BGB). Da § 103 VVG zum Leitbild der Haftpflichtversicherung gehört,175 was sich allein schon daraus herleitet, dass er die allgemeine Norm des § 81 VVG für den gesamten Bereich der Haftpflichtversicherung modifiziert, kann eine solche unangemessene Benachteiligung aus § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB resultieren. Voraussetzung dafür ist (neben der vorliegenden Abweichung vom Leitbild) eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls,176 insbesondere eine Abwägung der Interessen der (durchschnittlichen) Beteiligten,177 wobei zu berücksichtigen ist, dass „im Zweifel“ eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen ist.178 Wirksam ist die Klausel damit nur dann, wenn das Interesse des VR das Interesse der versicherten Person an der Einhaltung der durch § 103 VVG gezogenen Grenze übersteigt.179 Anders als beim – wirksamen180 – Ausschluss des Versicherungsschutzes für wissentliche 43 Pflichtverletzungen ist derjenige für vorsätzlich begangene Pflichtverletzungen nicht schon deswegen gerechtfertigt, weil der Nachteil gegenüber der Fassung des § 103 VVG durch anderweitige Vorteile kompensiert ist. Der Ausschlussgrund der wissentlichen Pflichtverletzung weicht zwar ebenfalls insoweit von § 103 VVG ab, als der Vorsatz sich nicht auf die Verletzungsfolgen der Handlung zu beziehen braucht. Er lässt aber anders als § 103 VVG nur direkten Vorsatz (dolus directus 2. Grades) genügen; bei bedingtem Vorsatz ist der Ausschlussgrund nicht erfüllt (vgl. dazu noch Rn. 51).181 Der Ausschlussgrund der vorsätzlichen Pflichtverletzung ist auch nicht als Ergebnis der In- 44 teressenabwägung wirksam; das Interesse des VR, von § 103 VVG abzuweichen, überwiegt das Interesse der versicherten Person an der Einhaltung des gesetzlichen oder eines vergleichbaren 171 172 173 174 175 176 177

Vorrath VW 2006 151 f. und 575 f.; Hendricks VW 2006 229, 229 f.; Hansen VW 2006 313, 313. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 621 ff.; Seitz VersR 2007 1476, 1477; Penner VersR 2005 1359, 1360. BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001 1103, 1105. Vgl. dazu etwa MüKo-BGB/Grundmann § 276 Rn. 158 m. w. N. Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 113. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs § 307 Rn. 193. BGH 28.1.2003 – XI ZR 156/02, NJW 2003 1447, 1448; BGH 7.5.1996 – XI ZR 217/95, NJW 1996 2032, 2033; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs § 307 Rn. 224, 227; Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 117; Langheid/Wandt/Bruns § 307 Rn. 105. 178 BGH 28.1.2003 – XI ZR 156/02, NJW 2003 1447, 1448; BGH 7.5.1996 – XI ZR 217/95, NJW 1996 2032, 2033; Bruck/ Möller/R. Koch § 103 Rn. 117 m. w. N. 179 Zur Interessenabwägung i. R. d. Prüfung von § 307 BGB vgl. etwa BGH 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, NJW 1990 2065, 2066; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 265 ff.; Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 117; a. A. Langheid/Wandt/ Bruns § 307 Rn. 57: bei gleichwertigen Interessen keine unangemessene Benachteiligung. 180 BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, RuS 1991 45, 47; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001 1103, 1104; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; OLG Saarbrücken 12.12.2007 – 5 U 242/06, NJOZ 2008 2882, 2884; ausführlich de Lippe VersR 2021 69, 72 ff.; a. A. Dilling Wissentliche und vorsätzliche Pflichtverletzung 217; Dilling VersR 2018 332, 333; Schweitzer Vorsatz und wissentliches Handeln 207 ff. 181 Ebd. 975

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

Standards nicht.182 Zwar ist der Nachweis, dass der (bedingte) Vorsatz der versicherten Person sich auch auf den Schadenseintritt bezogen hat, regelmäßig nur schwer zu erbringen.183 Das Interesse des VR, einen derartigen Beweis nicht führen zu müssen, ist allerdings zumindest in der D&O-Versicherung von untergeordneter Bedeutung, da die versicherten Personen den Schaden in den wenigsten Fällen vorsätzlich herbeiführen.184 Darüber hinaus kann der VR einen entsprechenden Nachweis auch dadurch vermeiden, dass er den Ausschlussgrund der wissentlichen Pflichtverletzung vereinbart. Die Wahrung der Interessen des VR erfordert es m. a. W. nicht, den Bezug des Vorsatzes auf den Schadenseintritt ersatz- bzw. kompensationslos zu streichen. 45 Schwerwiegender ist hingegen der Gesichtspunkt, dass durch die Haftpflichtversicherung kein Anreiz für vorsätzliche Pflichtverletzungen geschaffen werden darf.185 R. Koch vertritt dazu die Auffassung, dass ein solcher Anreiz gerade in der D&O-Versicherung bestehen könne, weil sich der versicherten Person bei wohlkalkulierten Pflichtverletzungen die Chance auf einen Vorteil (z. B. eine höhere variable Vergütung) biete.186 In solchen Fällen wird allerdings häufig bereits die Schwelle zur Wissentlichkeit überschritten sein. Das zusätzlich angeführte Argument, es entspreche dem Willen des Gesetzgebers und der rechtspolitischen Entwicklung, Organmitgliedern den Einwand abzuschneiden, sie hätten darauf vertraut, dass kein Schaden entstehen werde,187 ist in diesem Kontext nicht überzeugend, da es nur den Ausschluss vorsätzlich herbeigeführter Schäden, nicht aber vorsätzlich begangener Pflichtverletzungen stützt. Es ist daher mehr als zweifelhaft, ob wohlkalkulierte Pflichtverletzungen als Beispiel dafür dienen können, das Interesse des VR und der Gemeinschaft der Versicherten an der Wirksamkeit des Ausschlusses bedingt vorsätzlicher Pflichtverletzungen zu rechtfertigen. 46 Gegen eine Rechtfertigung des Ausschlusses spricht, dass der VR unter seiner Geltung auch in Fällen grober Fahrlässigkeit häufiger versuchen wird, der versicherten Person bedingt vorsätzliches Verhalten zu attestieren. Die Abgrenzung zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz ist oftmals schwierig. Es kommt dabei darauf an, ob der Handelnde den tatsächlichen Eintritt des missbilligten Erfolgs bewusst billigend in Kauf genommen hat (dann bedingter Vorsatz) oder ob er davon ausgegangen ist, der Erfolg werde trotz seiner Möglichkeit nicht eintreten (dann grobe Fahrlässigkeit).188 Der Beweis erfolgt als Indizienbeweis, beruht also zu einem Gutteil aus Schlussfolgerungen zu festgestellten Umständen und damit in größerem Umfang als gewöhnlich auf der Ermessensausübung des jeweiligen Richters. Die Gefahr, dass sich der Ausschluss auf diese Weise in den Bereich des versicherten Risikos – nämlich den der groben Fahrlässigkeit – erstreckt,189 der in der Haftpflichtversicherung nach dem gesetzlichen Leitbild des § 103 VVG nicht antastbar ist, ist ein wesentlicher Aspekt, der gegen die Rechtfertigung des Ausschlusses für bedingt vorsätzliche Pflichtverletzungen spricht. Dagegen ist den Interessen des VR durch den Ausschluss wissentlicher Pflichtverletzungen regelmäßig hinreichend gedient.

3. Darlegungs- und Beweislast/Bindungswirkung 47 Die Darlegungs- und Beweislast, dass die versicherte Person den Schaden vorsätzlich verursacht hat, ist vom VR zu tragen.190 Dabei kann sich der VR regelmäßig nicht auf die Feststellungen im 182 183 184 185 186 187 188 189 190

A. A. Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 118; Dreher VersR 2015 781, 783 f.; Looschelders VersR 2018 1413, 1415. Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 118; vgl. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 620. Vgl. auch Lange DStR 2002 1674, 1676. Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 120. Ebd. Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 120 a. E. Staudinger/Caspers (2019) § 276 Rn. 23. Vgl. ähnlich R. Koch WM 2007 2173, 2180. Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 93; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 58; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 18; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 91 ff.; Lange § 11 Rn. 7. Gädtke

976

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1

AVB D&O A-7

Haftpflichturteil stützen. Dessen Feststellungen sind nur insoweit bindend, als Voraussetzungsidentität besteht, d. h. eine für die Entscheidung im Deckungsprozess maßgebliche Frage sich auch im Haftpflichtprozess nach dem vom Haftpflichtgericht gewählten rechtlichen Begründungsansatz bei objektiv zutreffender rechtlicher Würdigung als entscheidungserheblich erweist.191 Die Begrenzung der Bindungswirkung ist deswegen geboten, weil VN bzw. versicherte Person und VR keinen Einfluss darauf haben, dass der Haftpflichtrichter im Haftpflichturteil „überschießende“, d. h. nicht entscheidungserhebliche Feststellungen trifft oder nicht entscheidungserhebliche Rechtsausführungen macht.192 Bindend sind darüber hinaus nur Feststellungen, die in einem vorangegangenen zivilrechtlichen Haftpflichtprozess getroffen wurden; Umstände, die in einem vorausgehenden Strafverfahren festgestellt wurden, entfalten dagegen keine Bindungswirkung.193 Dementsprechend ist zwar die Feststellung im (zivilrechtlichen) Haftpflichturteil, dass das Organ eine Pflichtverletzung begangen hat, bindend für den Deckungsprozess.194 Es ist deshalb im Deckungsprozess nicht mehr möglich, eine andere schadenverursachende Pflichtverletzung zu Grunde zu legen als dies im Haftpflichtprozess geschehen ist.195 Soweit für die Begehung des Haftungstatbestands – wie regelmäßig, z. B. im Fall der Haftung des Organs nach §§ 43 GmbHG, 93, 116 S. 1 AktG oder nach § 823 Abs. 1 BGB – (einfache) Fahrlässigkeit ausreicht, sind etwaige Feststellungen des Haftpflichtrichters zur Qualifikation der Schuldform dagegen nicht bindend.196 Die vorsätzliche Begehung der Pflichtverletzung ist dann im Deckungsprozess darzulegen und zu beweisen.197 Das Gleiche gilt für die vorsätzliche Verursachung des Schadens. In der Haftpflichtversicherung ist umstritten, ob der VR auch darzulegen und zu bewei- 48 sen hat, dass der VN widerrechtlich handelte.198 Nach der wohl überwiegend vertretenen zivilrechtlichen Lehre zur Rechtswidrigkeit199 indiziert eine unmittelbare Rechtsgutsverletzung die Widerrechtlichkeit des Verhaltens.200 Die Rechtswidrigkeit ist jedoch ausgeschlossen, wenn das Verhalten ausnahmsweise durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist.201 Für das Eingreifen eines solchen Rechtfertigungsgrunds trifft den Schädiger haftungsrechtlich die Darlegungs- und Beweislast.202 Nach der wohl überwiegenden Auffassung in der Haftpflichtversi191 BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, RuS 2011 430, 431; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, RuS 2011 66, 66; BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241, 242; BGH 18.2.2004 – IV ZR 126/02, RuS 2004 232, 233 f.; OLG Köln 29.11.2011 – 9 U 75/11, RuS 2012 172, 173; OLG Hamm 6.2.2002 – 20 U 151/01, RuS 2002 323, 324; Prölss/Martin/ Lücke § 100 Rn. 60. 192 BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, NJW 2011 3303, 3304; BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, RuS 2011 66, 66. 193 OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782; allgemein auch OLG Zweibrücken 1.7.2010 − 4 U 7/ 10, NJW-RR 2011 496, 497 (keine Bindungswirkung der in einem strafgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellung von Tatsachen für das Zivilgericht; die tatsächlichen Feststellungen in einem Strafurteil können aber im Rahmen der eigenen freien Beweiswürdigung und der Überzeugungsbildung des Zivilrichters i. S. v. § 286 ZPO Berücksichtigung finden, wobei das Urteil, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruft, im Wege des Urkundenbeweises gem. §§ 415, 417 ZPO zu verwerten ist), ebenso OLG Hamm 7.9.2012 – 9 W 4/12, BeckRS 2012 20593 sowie OLG Saarbrücken 13.7.2011 – 1 U 32/08, BeckRS 2011 20786; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 63; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 20. 194 BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241, 242; BGH 28.9. 2005 – IV ZR 255/04, RuS 2006 149, 150. 195 BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, NJW 2006 289, 291; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312. 196 Vgl. etwa BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241, 242; BGH 28.9. 2005 – IV ZR 255/04, RuS 2006 149, 150; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, VersR 2010 940, 941 (alle für den Fall wissentlicher Pflichtverletzung); a. A. offenbar Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 63 unter Bezug auf BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, VersR 1992 1504, 1505 f., der allerdings insoweit keine Konsequenz aus dem Urteil des BGH 18.2.2004 – IV ZR 126/02, RuS 2004 232, 233 f. zieht. 197 BGH 24.1.2007 – IV ZR 208/03, RuS 2007 241, 242; BGH 28.9. 2005 – IV ZR 255/04, RuS 2006 149, 150. 198 Vgl. dazu Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 93 ff.; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 58, 62; Prölss/Martin/ Lücke § 103 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 18; Römer/Langheid/Langheid § 103 Rn. 19. 199 Vgl. dazu Staudinger/Hager (2009) § 823 H 14 ff.; MüKo-BGB/Wagner § 823 Rn. 4 ff. 200 Palandt/Sprau § 823 Rn. 24 f. 201 Palandt/Sprau § 823 Rn. 27 f. 202 BGH 30.10.2007 – VI ZR 132/06, NJW 2008 571, 573; Palandt/Sprau § 823 Rn. 80. 977

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

cherung hat der VR versicherungsrechtlich gleichwohl auch zu beweisen, dass kein Rechtfertigungsgrund für das Handeln des VN vorlag.203 Die andere Ansicht spricht sich hingegen für einen Gleichlauf204 von Haftungs- und Versicherungsrecht aus; ihr zufolge ist es der VN, der darlegen und beweisen muss, dass ein Rechtfertigungsgrund vorlag.205 Beide Auffassungen gehen übereinstimmend davon aus, dass der VN einen Irrtum über die Widerrechtlichkeit und das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 827 f. BGB darzulegen und zu beweisen hat. 49 In der D&O-Versicherung ist der Streit weitgehend bedeutungslos, schon weil die dafür häufig relevanten Rechtfertigungstatbestände (§§ 227 f., 229 ff., 904 BGB) in ihrem Rahmen keine Rolle spielen. In Ausnahmefällen kann der Streit gleichwohl auch in der D&O-Versicherung bedeutsam werden,206 dann ist er im Sinne der oben genannten anderen Ansicht zu entscheiden. Als Begründung für die überwiegende Ansicht wird angeführt, dass die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens (für die der VR beweispflichtig ist) zugleich eine „widerrechtliche Herbeiführung (…), also ohne das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes“, beinhalte207 (womit der VR für sie erst recht beweispflichtig sein müsse) bzw. dass der VN zur Annahme von Vorsatz nach § 103 VVG den pflichtwidrigen/rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben müsse.208 Es ist aber nicht ersichtlich, warum die Besonderheit, dass der Vorsatz sich im Rahmen von § 103 VVG auch auf die Verletzungsfolgen beziehen muss, eine Abweichung von dem haftungsrechtlich für unmittelbare Rechtsgutsverletzungen anerkannten Grundsatz „Indikation der Widerrechtlichkeit, Ausnahme bei Rechtfertigungsgrund“ rechtfertigen soll. Kann der VR beweisen, dass der VN (bzw. in der D&O-Versicherung die versicherte Person) den Schaden vorsätzlich verursacht hat, indiziert dies die Widerrechtlichkeit des Verhaltens. VN bzw. versicherte Person müssen dann darlegen und beweisen, dass ein Rechtfertigungsgrund für ihr Verhalten vorlag. 50 Der VR hat den Vollbeweis i. S. v. § 286 ZPO für die vorsätzliche Begehung der Pflichtverletzung und Herbeiführung des Schadens zu erbringen, d. h. es kommen ihm keine Beweiserleichterungen zugute.209 Der Beweis kann als Indizienbeweis geführt werden. Ein solcher Indizienbeweis ist rechtlich einwandfrei erbracht, wenn eine Mehrzahl von Einzelumständen, von denen jeder für sich allein nicht voll beweiskräftig ist, den Richter in ihrer Gesamtheit mit hinreichender Sicherheit zu der Überzeugung (i. S. v. § 286 ZPO) gelangen lässt, dass der zu beweisende Sachverhalt tatsächlich besteht.210 Dazu sind eine Bewertung der einzelnen Indizien nach ihrer Aussagekraft und eine zusammenfassende Gesamtbetrachtung erforderlich.211 Der notwendige Grad an Sicherheit erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit.212 Ausreichend ist vielmehr ein „für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet“.213 Der Anscheinsbeweis steht dem VR nicht zur Verfügung, da individuelle Verhaltensweisen und Willensentschließungen in aller Regel auf den besonderen Umständen der jeweiligen Konstellation beruhen und 203 OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782; LG Dortmund 24.11.2010 – 2 O 451/08, RuS 2012 114, 116; Prölss/Martin/Lücke § 103 Rn. 7; Berliner Kommentar/Baumann § 152 Rn. 28; tendenziell auch Bruck/Möller/ R. Koch § 103 Rn. 93. 204 Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 94. 205 Weitzel VersR 2006 783 (Anmerkung zu OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781); Langheid/ Wandt/Littbarski § 103 Rn. 62 (unklar insoweit Rn. 58); Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 103 Rn. 18; Langheid/ Rixecker/Langheid § 103 Rn. 19. 206 Beispiel: In einem vorweggenommenen Deckungsprozess kommt bei der Prüfung des haftungsrechtlichen Vorwurfs eine Rechtfertigung nach § 824 Abs. 2 BGB in Betracht. 207 OLG Hamm 18.1.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006 781, 782. 208 Vgl. Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 94. 209 Vgl. BGH 13.4.2005 – IV ZR 62/04, NJW-RR 2005 1051, 1051 f.; Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 97 f. 210 BGH 4.5.1989 – IV a ZR 39/88, RuS 1989 193, 195. 211 Ebd. 212 BGH 8.7.2008 – VI ZR 274/07, VersR 2008 1126, 1127; Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 99. 213 BGH 8.7.2008 – VI ZR 274/07, VersR 2008 1126, 1127. Gädtke

978

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1

AVB D&O A-7

es somit an typischen Geschehensabläufen fehlt, die nach der Lebenserfahrung auf vorsätzliches Verhalten hindeuten.214

III. Wissentliche Pflichtverletzung 1. Grundsätze Eine wissentliche Pflichtverletzung liegt vor, wenn die versicherte Person die verletzte Pflicht 51 positiv gekannt hat und sich bewusst war, pflichtwidrig zu handeln.215 Hält es die versicherte Person bloß für möglich, dass die in Frage stehende Pflicht besteht, und handelt sie dementsprechend bedingt vorsätzlich, ist der Ausschlusstatbestand nicht erfüllt; das Gleiche gilt, wenn sie in fahrlässiger Unkenntnis der Pflicht handelt.216 Es muss vielmehr feststehen, dass sie die Pflicht zutreffend gesehen hat.217 Erforderlich ist außerdem, dass sich die Kenntnis auf diejenige Pflicht bezieht, deren Verletzung die Haftung auslöst, die also kausal für den Schaden ist.218 Ein bewusster Verstoß gegen die Pflicht setzt voraus, dass sich die versicherte Person in einer Situation, in der ihr bewusst ist, wie und auf welche Art und Weise sie sich verhalten müsste, was sie konkret tun oder lassen müsste, ebenso bewusst dafür entscheidet, von dieser geforderten Verhaltensweise abzuweichen.219 Der Verstoß gegen die positiv bekannte Pflicht muss also mit (zumindest) direktem Vorsatz, d. h. auch willentlich,220 erfolgt sein.221 Dies gilt gleichermaßen für sog. Kardinalpflichten,222 d. h. für fundamentale Grundregeln der Organtätigkeit (vgl. dazu noch Rn. 57).

2. Wirksamkeit des Ausschlusstatbestands Anders als bei der vorsätzlichen Schadenverursachung, bei der erforderlich ist, dass die versi- 52 cherte Person den schädigenden Erfolg (zumindest) als möglich vorhergesehen und billigend in Kauf genommen hat, muss sich der Vorsatz bei der wissentlichen Pflichtverletzung nicht auf die

214 BGH 4.5.1988 – IVa ZR 278/86, NJW 1988 2040, 2041; Bruck/Möller/R. Koch § 103 Rn. 101 m. w. N. zur Rechtsprechung; Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 60 f. m. w. N.; a. A. (für den Fall der wissentlichen Pflichtverletzung bei eindeutigen Verstößen gegen Notarpflichten, allerdings ohne nähere Begründung) KG Berlin 13.6.2006 – 6 U 67/ 06, RuS 2007 373, 374; anders noch das LG Berlin 14.3.2006 – 7 O 81/05, RuS 2007 372, 373, das den Indizienbeweis anwandte. 215 St. Rspr., vgl. BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, NJW 2006 289, 291; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312; BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, RuS 1991 45, 47; OLG Karlsruhe 11.10.2019 - 12 W 10/19, RuS 2019 701, 703; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; KG Berlin 30.1.2007 – 6 U 132/06, NJOZ 2007 5959, 5965; LG Dortmund 21.10.2010 – 2 O 10/10, RuS 2011 113, 114. 216 BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, NJW 2006 289, 291; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; KG Berlin 30.1.2007 – 6 U 132/06, NJOZ 2007 5959, 5965; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 86. 217 Ebd. 218 Prölss/Martin/Voit A-7 Rn. 2; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 601. 219 BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312; BGH 17.12.1986 – IVa ZR 166/85, NJW-RR 1987 472, 472; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; KG Berlin 30.1.2007 – 6 U 132/06, NJOZ 2007 5959, 5965; KG Berlin 1.2.2005 – 6 U 43/04, RuS 2006 67, 69. 220 BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312; Vothknecht PHi 2006 52, 59 f.; Seitz VersR 2007 1476, 1477; Mahnke ZfV 2006 540, 542; unzutr. Vorrath VW 2006 151, 575. 221 BGH 28.9.2005 – IV ZR 255/04, NJW 2006 289, 291; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; LG Dortmund 21.10.2010 – 2 O 10/10, RuS 2011 113, 114. 222 Vgl. dazu Lange VersR 2020 588, 591 ff.; Schmidt-Husson Festschrift Roderich C. Thümmel 811 ff.; Veith/Gräfe/ Lange § 21 Rn. 89; Lange § 11 Rn. 36 ff. 979

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

Schadensfolgen beziehen.223 Diese Abweichung von § 103 VVG ist dadurch kompensiert, dass der Ausschlussgrund der wissentlichen Pflichtverletzung nicht bereits bei bedingt vorsätzlichem Handeln, sondern nur bei direkt vorsätzlichem Handeln erfüllt ist.224 Der Ausschlussgrund der wissentlichen Pflichtverletzung ist daher als solcher wirksam.225 53 Auch die konkrete Fassung der Ausschlussgründe in Ziff. A-7.1 beinhaltet keine unangemessene Benachteiligung der versicherten Person. Dies gilt zum einen für den Umstand, dass die Ausschlussgründe vorsätzlicher Schadenverursachung i. S. v. § 103 VVG und wissentlicher Pflichtverletzung in Ziff. A.7.1 kombiniert sind, der Ausschluss bei wissentlicher Pflichtverletzung also nicht an die Stelle der Regelung in § 103 VVG, sondern neben diese tritt, und beide Ausschlüsse zusammen genommen damit eine Erweiterung gegenüber § 103 VVG darstellen. Eine solche Erweiterung ist zulässig.226 Es ist kein gerechtfertigtes Interesse der versicherten Person daran ersichtlich, die wissentliche Pflichtverletzung nicht neben der vorsätzlichen Schadenverursachung auszuschließen. In beiden Fällen ist sie nicht schutzwürdig. Eine vergleichbare Gefahr wie beim Ausschlussgrund vorsätzlicher Pflichtverletzung, dass sich die Klausel durch die Erweiterung in den Bereich erstreckt, der nach dem Leitbild des § 103 VVG gedeckt sein muss, besteht nicht. 54 Zum anderen ist die Fassung von Ziff. A-7.1 auch nicht deshalb unwirksam, weil der Ausdruck „durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung“ als intransparent anzusehen wäre. In der Literatur wird zwar teilweise darauf verwiesen, er sei zu unbestimmt und es fehle an einer Definition.227 Das ist allerdings nicht überzeugend.228 Der Ausdruck ist Bestandteil der vorangehenden Formulierung „wissentliches Abweichen von (…)“, verdeutlicht den beispielhaften Charakter der darin genannten Bezugspunkte für wissentliche Pflichtverletzungen und bildet gleichzeitig den Auffangtatbestand für mögliche andere Bezugspunkte. Trotz dieser Offenheit ist die Regelung nicht unbestimmt. Eine durchschnittliche versicherte Person entnimmt beiden Formulierungen, dass sie den ihr konkret gesteckten Kompetenzrahmen, wie er durch Gesetz und/oder Rechtsgeschäfte (wie etwa Beschlüsse)229 oder Einzelakte (z. B. Weisungen)230 etc. jeweils festgelegt ist, nicht wissentlich überschreiten darf. Relevant sind dabei – wie sich aus dem Kontext der D&O-Versicherung ergibt – Pflichtverletzungen, die zu Vermögensschäden führen können.231 Damit ist der für den Ausschluss relevante Kompetenzrahmen zwar (notwendig) abstrakt, aber für die durchschnittliche versicherte Person bestimmbar festgelegt. 223 BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 132; BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, RuS 1991 45, 47; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; OLG Saarbrücken 12.12.2007 – 5 U 242/06, NJOZ 2008 2882, 2885; OLG Karlsruhe 20.2.2003 – 12 U 202/02, NJOZ 2003 783, 784; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 601; Prölss/ Martin/Voit A-7 Rn. 2. 224 Grundlegend BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, RuS 1991 45, 47; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; OLG Saarbrücken 12.12.2007 – 5 U 242/06, NJOZ 2008 2882, 2885; OLG Karlsruhe 20.2.2003 – 12 U 202/02, NJOZ 2003 783, 784. Dilling VersR 2018 332, 333 sieht das Erfordernis der Wissentlichkeit nicht als zur Kompensation zugunsten der versicherten Person geeignet an, da Gerichte oft anhand von Indizien und Vermutungen von der Schwere der Fahrlässigkeit der Handlung auf eine Wissentlichkeit schlössen. Die Schwelle ist allerdings bei der Wissentlichkeit erheblich höher als im Falle des bedingten Vorsatzes, so dass die Kompensation insoweit als ausreichend erscheint; gegen Dillings Auffassung auch de Lippe VersR 2021 69, 73 (mit anderer Begründung). 225 BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, RuS 1991 45, 47; BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001 1103, 1105; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; OLG Saarbrücken 12.12.2007 – 5 U 242/06, NJOZ 2008 2882, 2884; ausführlich de Lippe VersR 2021 69, 72 ff.; a. A. Dilling Wissentliche und vorsätzliche Pflichtverletzung 217; Dilling VersR 2018 332, 333; Schweitzer Vorsatz und wissentliches Handeln 207 ff. 226 Lange § 11 Rn. 63 f. 227 Steinkühler VW 2003 1734, 1735; vgl. auch Baumann VersR 2006 455, 460. 228 Im Ergebnis auch Vothknecht PHi 2006 52, 60 f. 229 Vgl. etwa Michalski/Römermann § 47 Rn. 9; MüKo-AktG/Habersack § 108 Rn. 11. 230 Weisungen können als Willenserklärungen oder geschäftsähnliche Handlungen zu qualifizieren sein, vgl. Hüffer/Koch § 308 Rn. 11. 231 Vgl. auch BGH 26.9.1990 – IV ZR 147/89, RuS 1991 45, 47 zum (damaligen) § 4 Nr. 6 AVB-WB. Gädtke

980

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1

AVB D&O A-7

3. Zusammentreffen wissentlicher und fahrlässiger Pflichtverletzungen Sofern der Schädiger den Schaden sowohl durch eine wissentliche als auch separat durch eine 55 fahrlässige Pflichtverletzung herbeiführt, soll nach einem Beschluss des BGH zur Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung keine Deckung bestehen.232 Der Deckungsausschluss für Schadensverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung greife auch dann, wenn derselbe Schaden nicht nur durch eine wissentliche Pflichtverletzung, sondern (möglicherweise) auch durch weitere, nicht wissentliche Pflichtverletzungen mitverursacht worden sei.233 Das ergebe die Auslegung des Leistungsausschlusses aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen VN, im vom BGH entschiedenen Fall einer juristischen Person. Aus Wortlaut sowie dem erkennbaren Sinn und Zweck der Deckungsausschlussklausel erschließe sich diesem ohne Weiteres, dass der Versicherer nicht bereit sei, für Versicherungsfälle einzustehen, deren Schäden durch eine wissentliche Pflichtverletzung verursacht würden.234 Auch wenn Leistungsausschlussklauseln in der Regel eng auszulegen seien, erkenne der durchschnittliche VN, dass der Leistungsausschluss nicht darauf abziele, VN zu privilegieren, die einen Schaden mittels mehrerer, teils wissentlicher, teils unbewusster Pflichtverstöße herbeiführten.235 Den VN wegen einer solchen gesteigerten Sorglosigkeit gegenüber demjenigen VN besser zu stellen, der sich lediglich eine wissentliche Pflichtverletzung zuschulden kommen lässt, sei sinnwidrig.236 Ob dieser Beschluss des BGH auf die D&O-Versicherung übertragbar ist, wird unterschiedlich 56 beurteilt.237 Begeht ein- und dieselbe versicherte Person eine wissentliche und dazu noch eine weitere fahrlässige Pflichtverletzung, die beide mitursächlich für den eingetretenen Schaden sind, ist die Rechtsprechung des BGH zur Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung auch im Rahmen der D&O-Versicherung interessengerecht; die versicherte Person kann nicht deswegen besser stehen, weil sie den relevanten Haftungstatbestand auf unterschiedliche Weisen verwirklicht.238 Anders ist es, wenn es um wissentliche und fahrlässige Pflichtverletzungen unterschiedlicher versicherter Personen geht; für diese Konstellation ist der im BGH-Beschluss enthaltene Leitgedanke nicht passend.239 Eine Übertragung würde insbesondere dem Bemühen, den versicherten Personen jeweils eigenständigen Versicherungsschutz zu verschaffen (vgl. Rn. 33), und den Zurechnungsklauseln (wie AVB 7.1 S. 2) als Ausdruck dieses Bemühens zuwiderlaufen. Ihlas hebt zu Recht hervor, dass der sich in den Zurechnungsklauseln manifestierende Parteiwille zur Trennbarkeit der einzelnen Haftungs- und Versicherungsverhältnisse der versicherten Personen einen wesentlichen Unterschied zum BGH-Beschluss (vgl. Rn. 55) begründet. Die Zurechnungsklauseln begründen das Vertrauen der versicherten Personen, unabhängig vom Verschuldensgrad weiterer versicherter Personen Versicherungsschutz beanspruchen zu können, solange sie nicht selbst wissentlich Pflichten verletzen. Dieses Vertrauensschutzprinzip kommt auch in den sog. qualifizierten SeverabilityKlauseln zum Ausdruck, die die gutgläubigen versicherten Personen nach einer Anfechtung des Versicherers schützen sollen.240 Eine Übertragung des BGH-Beschlusses würde damit ein Grundprinzip der D&O-Deckung aus den Angeln heben.241 232 BGH 27.5.2015 – IV ZR 322/14, VersR 2015 1156; LG Köln 28.6.2012 – 24 O 53/12, BeckRS 2012 211015 (dort Rn. 51). 233 BGH 27.5.2015 – IV ZR 322/14, VersR 2015 1156, 1157; OLG Köln 16.6.2016 und 22.6.2016 – 9 U 187/15, VersR 2017 755, 757; OLG Saarbrücken 31.10.2007 – 5 U 510/06, NJOZ 2008 3483, 3491. 234 BGH 27.5.2015 – IV ZR 322/14, VersR 2015 1156, 1157. 235 Ebd. 236 Ebd. 237 Vgl. zum Streitstand insbesondere Langheid VersR 2017 1365, 1367 ff.; Langheid/Rixecker/Langheid § 103 Rn. 15; Looschelders VersR 2017 14113, 1417 ff.; de Lippe VersR 2021 69, 76 ff.; Kordes RuS 2019 307, 309 ff.; Langheid/ Wandt/Ihlas D&O Rn. 894 ff. 238 Looschelders VersR 2018 1413, 1417. 239 Zutreffend Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 894. 240 Vgl. Gädtke RuS 2013 313, 322; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 896. 241 So im Ergebnis auch Looschelders VersR 2018 1413, 1418 f.; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 94. 981

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

4. Darlegungs- und Beweislast 57 Die Voraussetzungen der wissentlichen Pflichtverletzung hat der VR im Deckungsprozess darzulegen und zu beweisen. Folgt der Deckungsprozess dem Haftpflichtprozess nach, muss der VR zeigen, dass die im Haftpflichtprozess festgestellte Pflichtverletzung wissentlich begangen wurde. Schlägt dies fehl, kann er sich nicht auf andere mögliche Pflichtverletzungen stützen, die nicht Gegenstand des Haftpflichturteils waren.242 Den erforderlichen Beweis kann der VR als Indizienbeweis, nicht jedoch als Anscheinsbeweis (vgl. Rn. 50) führen. Indizien sind dabei vor allem die Handgreiflichkeit bzw. Schwere243 des Verstoßes, die Frage, wie grundlegend die verletzte Regel ist, und die berufliche Erfahrung der versicherten Person.244 Gehört die verletzte Regel zum Elementarwissen einer versicherten Person, soll die Darlegungslast des VR nach der Rechtsprechung zur Berufshaftpflichtversicherung eingeschränkt und der Schluss auf das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung zulässig sein, wenn die versicherte Person – nach den Regeln der sekundären Behauptungslast – nicht plausibel machen kann, aus welchen Gründen es zu dem Verstoß gekommen ist.245 Bei der Annahme von Elementarwissen und dem daraus abgeleiteten Schluss auf wissentliches Handeln ist allerdings generell Zurückhaltung geboten; anderenfalls gliche die Beweissituation derjenigen beim Anscheinsbeweis, der nach ständiger Rechtsprechung zum Beweis vorsätzlichen bzw. wissentlichen Handelns nicht zulässig ist.246 Der Indizienbeweis schlägt darüber hinaus fehl, wenn die versicherte Person zur Überzeugung des Gerichts einwenden kann, sie habe sich über das Bestehen der Pflicht bzw. deren Inhalt im Irrtum befunden247 oder sei irrtümlich davon ausgegangen, dass die Pflicht erfüllt sei bzw. dass eine Sachlage vorgelegen habe, die die Erfüllung der Pflicht nicht mehr erforderlich mache.248 Geht der Deckungsprozess dem Haftpflichtprozess voran und ist dabei im Ausnahme58 fall zu prüfen, ob eine wissentliche Pflichtverletzung vorliegt (vgl. dazu unten Rn. 60 ff.), trifft den VR die Beweislast dafür, dass in objektiver Hinsicht überhaupt eine verbindlich begründete konkrete Verhaltenspflicht249 bestand und von der versicherten Person wissentlich verletzt wurde.250 Dazu muss der VR zeigen, wie sich die versicherte Person hätte verhalten müssen.251 Eine Bezugnahme auf bloße Zielvorgaben der versicherten Person (als Organmitglied) reicht dazu nicht.252 In der praktischen Abwicklung ist der vom VR zu erbringende Beweis regelmäßig schwierig zu führen, insbesondere da im vorweggenommenen Deckungsprozess weniger Tatsachen über die potentielle Pflichtverletzung bekannt sein werden, als es in einem vorangehenden 242 BGH 8.12.2010 – IV ZR 211/07, RuS 2011 66, 66 m. w. N.; OLG Köln 29.11.2011 – 9 U 75/11, RuS 2012 172, 173; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 91. 243 Kritisch Lange DStR 2002 1674, 1676. 244 BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181, 182; OLG Frankfurt 13.5.2009 – 7 U 165/08, BeckRS 2011, 15929; OLG Saarbrücken 20.12.2006 – 5 U 65/06, ZfSch 2007 522, 524 (Rn. 67); Lange DStR 2002 1674, 1676 f. 245 BGH 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015 181, 182; OLG Düsseldorf 30.11.2018 – I-U 5/18, BeckRS 2018 36674, 28; OLG Köln 29.11.2011 – 9 U 75/11, RuS 2012 172, 173; OLG Saarbrücken 20.12.2006- 5 U 65/06, ZfSch 2007 522, 524; OLG Hamm 7.3.2007 – 20 U 132/06, RuS 2007 279, 280; LG Dortmund 21.10.2010 – 2 O 10/10, RuS 2011 113, 115; Langheidt/Wandt/Ihlas D&O Rn. 618. 246 Vgl. Vothknecht PHi 2006 52, 63; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 81 f. 247 OLG Frankfurt 13.5.2009 – 7 U 165/08, BeckRS 2011, 15929; Vothknecht PHi 2006 52, 57. 248 OLG Frankfurt 12.5.1999 – 3 U 80/98, NVersZ 2001 42, 42; Prölss/Martin/Voit A-7 Rn. 2; Lange DStR 2002 1674, 1677. 249 Vgl. etwa BGH 17.12.1986 – IVa ZR 166/85, NJW-RR 1987 472, 472. 250 OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Hamm 7.2.2007 – 20 U 118/06, RuS 2007 152, 153; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 16 f., 48. 251 BGH 20.6.2001 – IV ZR 101/00, NJW-RR 2001 1311, 1312; BGH 17.12.1986 – IVa ZR 166/85, NJW-RR 1987 472, 472; OLG Karlsruhe 24.9.2009 – 12 U 47/09, RuS 2010 372, 372; KG Berlin 30.1.2007 – 6 U 132/06, NJOZ 2007 5959, 5965; KG Berlin 1.2.2005 – 6 U 43/04, RuS 2006 67, 69. 252 Lange DStR 2002 1674, 1677; Prölss/Martin/Voit A-7 Rn. 3. Gädtke

982

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1

AVB D&O A-7

Haftpflichtprozess der Fall ist. Darüber hinaus besteht die Gefahr widersprechender Entscheidungen im vorweggenommenen Deckungs- und nachfolgendem Haftpflichtprozess.253 Insofern erscheint es problematisch, den Rechtsschutz zu versagen, wenn sich im vorweggenommenen Deckungsprozess ergibt, dass der Schaden sowohl durch eine wissentliche als auch durch eine nicht wissentliche Pflichtverletzung verursacht wurde.254 Voraussetzung ist jedenfalls, dass es tatsächlich die wissentliche Pflichtverletzung ist, die kausal geworden ist, und sie den Schaden nicht bloß teilweise, sondern in vollem Umfang verursacht hat. Kann die versicherte Person eine von beiden Voraussetzungen zur Überzeugung des Gerichts in Zweifel ziehen, verbleibt es bei der (gegebenenfalls partiellen) Deckungspflicht des VR. Macht der VN nach Abtretung des deckungsrechtlichen Anspruchs der versicherten Person 59 einen – auch im Rahmen der D&O-Versicherung zulässigen255 – Direktanspruch256 gegen den VR geltend,257 muss er im Prozess inzident nachweisen, dass die Haftung der versicherten Person besteht.258 Dazu muss sie u. a. Tatsachen vortragen und beweisen, die nach der Überzeugung des Gerichts als Pflichtverletzung der versicherten Person zu werten sind. Gelingt ihm das nicht, scheitert auch der Direktanspruch. Führt sie den Nachweis erfolgreich, kann sich der VR den Vortrag des VN allerdings ggf. im Rahmen seiner eigenen Beweislast für das Vorliegen einer möglichen wissentlichen Pflichtverletzung zu eigen machen. Selbst wenn er dies nicht ausdrücklich tut, hat das Gericht den Teil des Sachvortrags des VN, der dem VR günstig ist, zu dessen Gunsten zu berücksichtigen.259 Dies gilt auch für die dem VR günstigen Ergebnisse der Beweisaufnahme.260

5. Vorläufiger Versicherungsschutz Steht eine wissentliche Pflichtverletzung im Raum, weil sie vom Geschädigten in seiner Begrün- 60 dung des Haftpflichtanspruchs behauptet wird, sehen D&O-Policen in der Praxis regelmäßig – anders als Ziff. A-7.1 – vor, dass der VR vorläufigen Versicherungsschutz in Form des Rechtsschutzanspruchs gewähren muss, bis die wissentliche Pflichtverletzung tatsächlich festgestellt ist (vgl. dazu Rn. 66).261 Ohne eine solche vertragliche Regelung, d. h. auf Basis von Ziff. A-7.1 bzw. der gesetzlichen Regelung der §§ 100 ff. VVG, ist umstritten, wie ein entsprechendes Ergebnis zu

253 Vgl. dazu Bruck/Möller/Johannsen8 IV Anm. B Rn. 58; Berliner Kommentar/Baumann § 149 Rn. 201; Prölss/ Martin/Voit/Knappmann § 149 Rn. 26 f. 254 So LG Köln 28.6.2012 – 24 O 53/12, juris Rn. 70 f.; a. A. Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 50. 255 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786, 788 ff.; BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, BeckRS 2016 7881 Rn. 23 ff. 256 Vgl. zu den drei Wegen der Anspruchsdurchsetzung in der D&O-Versicherung Servatius/Gädtke (2016) 311 ff. 257 Anders als der BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786 ff. will das OLG München (Beschluss vom 4.3.2019 – 25 U 3606/17) danach differenzieren, ob zuerst eine schriftliche Inanspruchnahme des Schädigers erfolgte und danach der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag abgetreten wurde oder ob der deckungsrechtliche Anspruch vor der eigentlichen Inanspruchnahme als künftiger Anspruch abgetreten wird. Im letzteren Fall soll nach Auffassung des OLG München nur dann eine zulässige Abtretung vorliegen, wenn das Kriterium der ernsthaften Inanspruchnahme, wie es das OLG Düsseldorf (VersR 2013 1522, 1523 f.) propagiert hat, erfüllt ist. Diese Auffassung des OLG München ist aber schon deswegen nicht überzeugend, weil der BGH deutlich gemacht hat, dass eine ernsthafte Inanspruchnahme nicht deswegen verneint werden kann, weil der Geschädigte von Anfang an vornehmlich oder sogar ausschließlich eine Schadenskompensation aus der Versicherungsleistung erstrebt. Es kann daher keinen Unterschied machen, ob der Deckungsanspruch vor oder nach der schriftlichen Inanspruchnahme abgetreten wird. 258 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 Rn. 20; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 108 Rn. 32; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 26. 259 Zöller/Greger § 286 Rn. 2. 260 St. Rspr., vgl. etwa BGH 3.4.2001 – VI ZR 203/00, NJW 2001 2177, 2178; BGH 8.1.1991 – VI ZR 102/90, NJW 1991 1541, 1542; OLG Celle 12.8.2010 – 8 U 15/10, NJW-RR 2011 106, 107. 261 Vgl. dazu auch OLG Frankfurt 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020, 48390 Rn. 47 ff. 983

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

begründen ist.262 Von dieser Begründung hängt auch ab, wie lange der vorläufige Rechtsschutz nach gesetzlichem Leitbild zu gewähren ist. 61 Der Rechtsschutzanspruch der versicherten Person entsteht nach der Rechtsprechung grundsätzlich, wenn der Geschädigte seinen Anspruch auch mit einem in den Schutzbereich des Versicherungsvertrags fallenden Rechtsverhältnis begründet.263 Macht der Geschädigte in der Begründung seines vermeintlichen Haftpflichtanspruchs Tatsachen geltend, die eine wissentliche Pflichtverletzung der versicherten Person beinhalten, kann der VR auf Basis dieser Definition allerdings (theoretisch) selbst ein noch so nachhaltiges Bestreiten der Behauptung des Geschädigten durch die versicherte Person ignorieren und vor einer Deckungsentscheidung – möglicherweise über mehrere Jahre und Instanzen hinweg – das Urteil im Haftpflichtprozess abwarten264 oder die Deckung von vornherein ablehnen, weil der Rechtsschutzanspruch gar nicht erst entsteht.265 62 Vor einer solchen Konsequenz ist die versicherte Person im Ergebnis nach allen dazu vertretenen Auffassungen zu schützen. Zur Begründung dieses Ergebnisses sind drei Wege denkbar. Die genannte Konsequenz aus der Rechtsprechung lässt sich von vornherein vermeiden, wenn die Formulierung „Schutzbereich des Versicherungsvertrags“ allein i. S. d. primären Risikoabgrenzung (vgl. Rn. 1) bzw. der Versicherungsfalldefinition in Ziff. 1 bestimmt wird. Die Frage, ob die Pflichtverletzung möglicherweise wissentlich begangen wurde, spielt dann für die Gewähr von (vorläufigem) Rechtsschutz keine Rolle, weil die Versicherungsfalldefinition keine Bewertung bzgl. der Schuldform der Pflichtverletzung erfordert. Eine derartige weite Auslegung des Schutzbereichs entspräche der Rechtsprechung des BGH, der anerkennt, dass der VR den Rechtsschutz unter dem Vorbehalt übernehmen kann, die Deckung je nach Ausgang des Haftpflichtprozesses abzulehnen,266 und den VR jedenfalls bei Klageerhebung – ohne eingehende Prüfung von potentiellen Ausschlusstatbeständen – zu einer unverzüglichen Entscheidung über die Gewährung von Rechtsschutz verpflichtet sieht.267 Ein entsprechendes Recht des VR zur Gewähr von Rechtsschutz unter Vorbehalt resultiert aus dem Trennungsprinzip268 und damit aus § 100 VVG. Die Vorschussverpflichtung des VR nach § 101 Abs. 1 S. 3 VVG ist insoweit teleologisch zu reduzieren; auch der Vorschuss steht unter Vorbehalt269 und kann zurückgefordert werden, wenn der VR Rechtsschutz unter Vorbehalt des Ausgangs des Haftpflichtprozesses gewährt hat. Der VR kann also nicht nur dann wirksam Rechtsschutz unter Vorbehalt der Ergebnisse des Haftpflichtprozesses gewähren, wenn sich die versicherte Person aufgrund einer Abrede im Rahmen der Schadenabwicklung darauf einlässt, ohne dass der VR an sich zu einer solchen Rechtsschutzgewährung berechtigt wäre.270 63 Konsequenz der vorstehend genannten Lösung ist es, dass vorläufiger Rechtsschutz auch bei reinen Vorsatztaten zu gewähren ist, wenn sich der Haftpflichtanspruch also allein auf 262 Lange § 11 Rn. 49 ff. 263 BGH 22.6.1967 – II ZR 217/64, VersR 1967 769, 770; OLG Saarbrücken 8.4.2003 – 3 U 159/02, OLGR 2003 272, 273; KG Berlin 2.3.1999 – 6 U 9481/97, NVersZ 2000 98, 99; KG Berlin 15.5.1998 – 6 U 5942/96, KGR 1999 347, 348; OLG Hamm 9.10.1991 – 20 U 88/91, NJW-RR 1992 477, 477; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 16 m. w. N.; Langheid/ Wandt/Littbarski § 101 Rn. 66. 264 Vgl. Feist VersR 1978 27, 27 (Anm. zu OLG Celle VersR 1978 25 f.). 265 Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 16. 266 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, RuS 2007 191, 193; BGH 14.2.2007 – IV ZR 54/04, RuS 2007 239, 240; BGH 20.9.1978 – IV ZR 57/77, VersR 1978 1105, 1105; BGH 7.11.1966 – II ZR 12/65, NJW 1967 202, 203; BGH 21.5.1959 – II ZR 144/57, NJW 1959 1492, 1493; OLG Celle 19.11.1976 – 8 U 52/76, VersR 1978 26; vgl. auch Langheid/Wandt/ Littbarski § 101 Rn. 68. 267 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, RuS 2007 191, 193. 268 So schon Feist VersR 1978 27, 27. 269 Ohne den Vorbehalt des Ausgangs des Haftpflichtprozesses soll der Vorschuss nur unter dem Vorbehalt endgültiger Abrechnung stehen, vgl. Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 29 im Anschluss an Feist VersR 1978 27, 27. 270 So aber Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 29 und Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 100 Rn. 53; unklar Prölss/ Martin/Lücke § 100 Rn. 16 a. E. und Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 609 a. E. Gädtke

984

B. Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung, Ziff. A-7.1

AVB D&O A-7

Tatbestände stützt, die nur vorsätzlich begangen werden können. Teilweise wird dieses Ergebnis auch auf die Unschuldsvermutung gestützt: Der versicherten Person müsse die Möglichkeit gegeben werden, die erhobenen Vorwürfe als unzutreffend zu widerlegen; dabei müsse sie sich auf die Rechtsschutzfunktion ihrer D&O-Versicherung verlassen können.271 Nach anderer Auffassung ist der VR verpflichtet, Abwehrdeckung zu gewähren, solange 64 die Haftpflicht der versicherten Person noch nicht feststeht und die Schadensersatzpflicht sowohl bei Fahrlässigkeit als auch bei Vorsatz oder wissentlicher Pflichtverletzung begründet sein kann.272 Diese Auffassung abstrahiert also für den Fall, dass der Geschädigte sich auf eine vorsätzliche/wissentliche Begehung der Pflichtverletzung beruft, von dessen Angaben. Sie lässt sich mit dem zu Gunsten der versicherten Person geltenden Schutzgedanken rechtfertigen, nach dem ihr schon dann Rechtsschutz für die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu gewähren ist, wenn nur die entfernteste Möglichkeit273 besteht, dass sie aus einem Tatbestand verurteilt wird, der unter das versicherte Risiko fällt. Eine solche Möglichkeit besteht regelmäßig, da sich die Angaben des Geschädigten zur inneren Haltung der versicherten Person als falsch erweisen können. Mit dieser Erwägung bestünde der Rechtsschutzanspruch (vorläufig) – in Erweiterung der genannten Auffassung – auch bei reinen Vorsatztaten. Nach der Rechtsprechung sind die Angaben des Geschädigten zum Grund seines Haft- 65 pflichtanspruchs im vorweggenommenen Deckungsprozess allerdings prinzipiell bindend; sie ersetzen die Bindung an die Feststellungen des (ja noch nicht vorhandenen) Haftpflichturteils.274 Über den eigentlichen Haftpflichtanspruch wird nicht entschieden (sog. Trennungsprinzip), vielmehr klärt das Gericht allein die Frage, ob der versicherten Person Versicherungsschutz zu gewähren ist, d. h. ob die vom Geschädigten erhobenen Haftpflichtansprüche in den zeitlichen, räumlichen und sachlichen Umfang des versicherten Risikos fallen.275 Auch nach der Rechtsprechung gilt die Bindung an die Angaben des Geschädigten jedoch nicht einschränkungslos,276 sondern wird gerade in den Fällen korrigiert, in denen der Geschädigte ein Verhalten – z. B. Tatsachen, die eine wissentliche Pflichtverletzung implizieren würden – behauptet, dass den Versicherungsschutz der versicherten Person ausschließen würde.277 Bestreitet die versicherte Person die entsprechenden Tatsachen, sind ihre Angaben für die Beurteilung der Deckungsverpflichtung des VR mit Vorrang vor denen des Geschädigten zugrunde zu legen.278 Nach der Rechtsprechung handelt es sich insoweit um eine allgemeine Vermutung der Redlichkeit, die dem VN bzw. der versicherten Person zugute zu halten ist.279 Kann der VR die Vermutung der Redlichkeit erschüttern oder bestehen sonst erhebliche Zweifel an der Darstellung der versicherten Person, ist im vorweggenommenen Deckungsprozess zu klären, ob die für

271 Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 93 ff. im Anschluss an Steinkühler VW 2003 1734, 1735; a. A. Langheid/ Wandt/Ihlas D&O Rn. 612. 272 Höra/Sieg § 17 Rn. 154. 273 Vgl. OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/1, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Köln 4.11.1997 – 9 U 76/97, RuS 1998 59, 59; OLG Koblenz 6.4.1979 – 10 U 607/78, VersR 1979 830, 831. 274 BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, NJW-RR 2001 316, 316; OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Hamm 7.2.2007 – 20 U 118/06, RuS 2007 152, 153; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 16 f., 48. 275 Vgl. BGH 15.11.2000 – IV ZR 223/99, NJW-RR 2001 316, 316; OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057. 276 OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Köln 4.11.1997 – 9 U 76/97, RuS 1998 59, 59; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 16 f. 277 Ebd. 278 Ebd. 279 OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Köln 4.11.1997 – 9 U 76/97, RuS 1998 59, 59; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 610; Prölss/Martin/Voit/Knappmann27 § 149 Rn. 6; kritisch Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 17. 985

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

den Deckungsausschluss sprechenden Angaben des Geschädigten bzw. die dafür angeführten Tatsachen objektiv zutreffend sind.280 66 Folgt man den ersten beiden Auffassungen (vgl. Rn. 62–64), ist die in D&O-Policen regelmäßig getroffene Vereinbarung, dass der VR Versicherungsschutz zu gewähren hat, bis die wissentliche Pflichtverletzung tatsächlich festgestellt ist, deklaratorisch, aber aus Gründen der Klarstellung bzw. Rechtssicherheit sinnvoll. Diese Vereinbarung stellt eine auflösende Bedingung gemäß § 158 Abs. 2 BGB dar: Wird die wissentliche Pflichtverletzung festgestellt, entfällt der Versicherungsschutz rückwirkend und die vom VR gewährten Leistungen sind zurückzuerstatten. In der Konsequenz der Rechtsprechung, dass der versicherten Person Rechtsschutz für die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu gewähren ist, wenn nur die entfernteste Möglichkeit281 besteht, dass sie aus einem Tatbestand verurteilt wird, der unter das versicherte Risiko fällt, ist eine solche Feststellung grundsätzlich erst mit der Rechtskraft des Haftpflichturteils getroffen.282 Dies sehen viele Klauseln in der Praxis auch entsprechend vor. Muss das Zivilgericht, das über den Haftpflichtanspruch zu urteilen hat, keine Aussage zur Vorsatzform treffen, entsteht der Rückzahlungsanspruch erst mit der Klärung im Deckungsprozess.

C. Rückzahlung von Vorteilen, Ziff. A-7.2 67 Ziff. A-7.2 enthält einen Ausschluss für Ansprüche – z. B. des VN oder auch des Insolvenzverwalters – gegen das (ehemalige) Organmitglied auf Rückzahlung von Zuwendungen, die es im Rahmen seiner Organtätigkeit erhalten hat. In der Praxis wird findet sich dieser Ausschluss nur vereinzelt.283 Entsprechende Leistungen haben ihren Rechtsgrund in der Regel in den dienstvertragli68 chen Vereinbarungen zwischen dem VN und seinem Organmitglied (z. B. Geschäftsführeranstellungsvertrag). Wird dieser Rechtsgrund streitig, kommen vorrangig Bereicherungsansprüche zur Rückabwicklung in Betracht. Solche Ansprüche erfüllen die Versicherungsfalldefinition in Ziff. A-1 nicht, da es sich dabei nicht um Ansprüche aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen handelt. Sie gehören vielmehr zum Bereich vertraglicher Erfüllungsleistungen,284 die in der D&O-Versicherung wie grundsätzlich in der Haftpflichtversicherung nicht vom Versicherungsumfang umfasst sind.285 Der Ausschluss hat insoweit nur klarstellenden Charakter.286

280 OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Köln 4.11.1997 – 9 U 76/97, RuS 1998 59, 59.

281 Vgl. OLG Hamm 25.1.2012 – I-20 U 120/11, NJW-RR 2012 1056, 1057; OLG Köln 4.11.1997 – 9 U 76/97, RuS 1998 59, 59; OLG Koblenz 6.4.1979 – 10 U 607/78, VersR 1979 830, 831. 282 A. A. Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 93, 98, die auch Klauseln als zulässig ansehen, die die auflösende Bedingung bereits mit erstinstanzlicher Feststellung von vorsätzlicher Schadenherbeiführung oder wissentlicher Pflichtverletzung als erfüllt betrachten. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 610 sieht in der weiteren Gewährung von Abwehrkosten nach einem entsprechenden erstinstanzlichen Urteil weitergehend einen Verstoß gegen § 103 VVG, dagegen Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 99. 283 A. A. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 631 („Standard-Ausschluss“). 284 Vgl. hierzu und zur Reichweite des Ausschlusses von Erfüllungsschäden etwa Schimikowski RuS 2005 445 ff. 285 Erläuterungen des GDV zu A-7.2.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 631; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 128; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anhang C Rn. 144; Prölss/Martin/ Voit A-7.2 Rn. 1 und Lattwein/Krüger VW 1997 1366, 1372 mit dem missverständlichen Hinweis auf „dienstvertragliche Rückzahlungsansprüche“. 286 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 631; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 128; Looschelders/ Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anhang C Rn. 144; Mitterlechern/Wax/Witsch § 7 Rn. 32; vgl. auch die Erläuterungen des GDV zu A-7.2 (Stand Dezember 2020). Gädtke

986

D. Produkthaftpflicht/Arbeits- und Dienstleistungen, Ziff. A-7.3

AVB D&O A-7

In Ausnahmefällen kann Ziff. A-7.2 allerdings konstitutive Wirkung entfalten, beispiels- 69 weise bei Schadensersatzansprüchen aufgrund unberechtigter Entnahme,287 oder wenn eine weitere versicherte Person insoweit aufgrund einer (vorwerfbaren) Verletzung von Kontroll- oder Überwachungspflichten eine Schadensersatzverpflichtung trifft.288

D. Produkthaftpflicht/Arbeits- und Dienstleistungen, Ziff. A-7.3 I. Klarstellende und konstitutive Funktion des Produkthaftpflichtausschlusses Der Ausschluss bezweckt die Abgrenzung der D&O-Versicherung von Betriebs- und Produkthaft- 70 pflichtversicherungen.289 Nach den Erläuterungen des GDV soll er eine Doppelversicherung („Kumulszenario“) von Sachverhalten verhindern, die bereits unter einer dieser beiden Versicherungen erfasst sind, so insbesondere bei reinen Vermögensschäden, die auch unter dem Produkthaftpflichtmodell (ProdHM) versichert sind.290 Teilweise wird weitergehend darauf verwiesen, dass der Ausschluss eine Verlagerung des unternehmerischen Produktrisikos291 auf den D&O-VR verhindern soll.292 Außer durch Ziff. A-7.3 sichern sich die VR regelmäßig auch durch Verwendung von Subsidiaritätsklauseln (vgl. dazu die Kommentierung zu Ziff. 6) allgemein gegen ihre Einstandspflicht für bereits anderweitig versicherte Risiken ab. Ein Ausschluss von Haftpflichtansprüchen für den Fall, dass keine ausreichende Produkthaftpflichtversicherung abgeschlossen wurde293 (vgl. Ziff. A-7.8, dazu unten Rn. 96 ff), wird in der Praxis regelmäßig nicht vorgesehen. Produkthaftungsansprüche sind vorrangig auf den Ersatz von Personen- und Sachschä- 71 den gerichtet.294 Derartige Ansprüche sind in der D&O-Versicherung, die allein reine Vermögensschäden – also solche, die nicht lediglich weitere Folgen von zunächst eingetretenen Personen- oder Sachschäden sind295 – deckt, nicht versichert. Sie sind vielmehr Gegenstand der Betriebshaftpflicht- oder Produkthaftpflichtversicherung, die das Handeln der Organe als gesetzliche Vertreter der Unternehmen ebenfalls mitversichert.296 In der D&O-Versicherung fehlt es bei entsprechenden Ansprüchen bereits an einem bedingungsgemäßen Versicherungsfall. Ziff. A-7.3 hat daher insoweit nur klarstellende Funktion. Produkthaftungsansprüche können jedoch auch reine Vermögensschäden zum Gegen- 72 stand haben, z. B. wenn der VN ein mangelhaftes Erzeugnis liefert und der Abnehmer oder ein

287 BGH 29.9.2008 – II ZR 234/07, NZG 2008 908, 909 f.; BGH 3.5.1999 – II ZR 119-98, NJW 1999 2115, 2115; BGH 12.6.1989 – II ZR 334/87, NJW-RR 1989 1255, 1256; BGH 28.6.1982 – II ZR 121/81, NJW 1982 2869 f. mit kritischer Anm. Westermann; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 631; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 128; vgl. auch die Erläuterungen des GDV zu A-7.2 (Stand Dezember 2020). 288 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 631; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 128. 289 Erläuterungen des GDV zu Ziff. A-7.3 (Stand Dezember 2020). 290 Ebd. 291 Vgl. zum Begriff des Produktrisikos Bruck/Möller/R. Koch9 ProdHM 2008 Einl. Rn. 1. 292 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 748. 293 Prölss/Martin/Voit A-7.3 Rn. 1. 294 Bruck/Möller/R. Koch9 ProdHM 2008 Vorb Rn. 2, ProdHM 2008 Einl. Rn. 1, 3 (dort auch jeweils zum Nebeneinander von AHB und ProdHM), ProdHM 2008 Ziff. 1 Rn. 1 f.; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 162. 295 Ausführlich zu Personen- und Sach(folge)schäden Bruck/Möller/R. Koch9 AHB 2012 Ziff. 1 Rn. 7 ff.; Langheid/ Wandt/Thürmann ProdHaftPflV Rn. 31 ff.; auch Langheid/Wandt/Büsken AllgHaftPflV Rn. 46. 296 Langheid/Wandt/Littbarski § 102 Rn. 81 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter § 102 Rn. 14 (str. für privatrechtlich Bevollmächtigte wie Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte, die ebenfalls in den Geltungsbereich einer D&O-Versicherung eingeschlossen sein können). 987

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

Dritter297 dieses mit anderen Produkten zu einem mangelhaftem Gesamtprodukt verarbeitet,298 und als solche nach dem ProdHM versichert sein.299 In den Anwendungsbereich der D&O-Versicherung fallen solche Fälle dann, wenn der VN dem Abnehmer bzw. Dritten – z. B. für Herstellungs-, Produktionsausfall-, Vertriebs- oder Rückrufkosten300 – Schadenersatz leisten muss, ohne hierfür aus der Produkthaftpflichtversicherung (ausreichenden) Versicherungsschutz zu erhalten, und für diesen Schaden anschließend im Innenverhältnis einen Regressanspruch gegen seine Organmitglieder geltend macht. Denkbar sind auch Fälle, in denen der VN im Außenverhältnis letztlich gar nicht für Produkthaftungsschäden haftet, aber aufgrund des Verdachts eines Fehlverhaltens einen Reputationsverlust erleidet und dadurch bedingt einen Gewinnrückgang verzeichnet.301 Voraussetzung für das Bestehen solcher Ansprüche ist jeweils ein Organisationsverschulden auf Seiten der Organmitglieder, also die Verletzung einer Kontroll- oder Überwachungspflicht hinsichtlich der Verkehrspflichten der Gesellschaft gegenüber Dritten.302 Außenhaftungsansprüche gegen die Organmitglieder kommen grundsätzlich in Fällen eines eigenhändigen Fehlverhaltens des Organmitglieds303 in Betracht oder bei Bestehen einer Garantenpflicht gegenüber dem Dritten. Anspruchsgrundlagen sind insoweit etwa § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz (z. B. strafrechtliche Normen oder solche des Produktionssicherheitsgesetzes). Die frühere, sehr umstrittene Rechtsprechung des VI. Senats des BGH, der die Organhaftung aufgrund Organisationsverschuldens mittels der Annahme einer Garantenstellung der Organe sehr weit ausdehnte,304 scheint allerdings durch ein neueres Urteil dieses Senats nunmehr aufgegeben oder zumindest sehr stark eingeschränkt zu sein.305 Werden derartige Außenhaftungsansprüche geltend gemacht, richten sich diese außerdem meist nicht auf den Ersatz reiner Vermögensschäden, sondern auf die Erstattung von Personenund/oder Sachschäden. Eine konstitutive Funktion hat Ziff. A-7.3 damit im Wesentlichen für mögliche Innenverhältnisansprüche.

II. Reichweite des Produkthaftpflichtausschlusses 73 Muss der VN auf einen Produkthaftungsanspruch eines Dritten hin Schadensersatz leisten und will sie daraufhin ein Organmitglied wegen der Verletzung einer Organisations- bzw. Überwachungspflicht in Regress nehmen, stellt sich die Frage, ob der entsprechende Anspruch tatsächlich vom Ausschlusstatbestand in Ziff. A-7.3 erfasst ist. Anders als bei einem Außenhaftungsanspruch gegen ein Organmitglied löst das in Verkehr gebrachte Produkt den Schaden nämlich 297 Zur möglichen Regresskette Bruck/Möller/R. Koch9 ProdHM 2008 Ziff. 4 Rn. 34; Langheid/Wandt/Thürmann ProdHaftPflV Rn. 92. 298 Beispiele bei Bruck/Möller/R. Koch9 ProdHM 2008 Ziff. 4 Rn. 17, 20. 299 Vgl. zu den Deckungsvoraussetzungen Bruck/Möller/R. Koch9 ProdHM 2008 Ziff. 4 Rn. 23 ff.; Langheid/Wandt/ Thürmann ProdHaftPflV Rn. 73 ff. 300 Rückrufkosten sind unter dem ProdHM nicht gedeckt (vgl. Ziff. 6.2.8 ProdHM), sondern nur bei Bestehen einer Rückrufkostenversicherung. Vertriebskosten sind ebenfalls nicht gedeckt, vgl. zu beidem Bruck/Möller/R. Koch9 ProdHM 2008 Ziff. 4 Rn. 39, 57; Langheid/Wandt/Thürmann ProdHaftPflV Rn. 107. Zu den gem. Ziff. 4 ProdHM 2008 versicherten Schadenspositionen vgl. ausführlich Bruck/Möller/R. Koch9 ProdHM 2008 Ziff. 4 Rn. 33 ff. und Langheid/Wandt/Thürmann ProdHaftPflV Rn. 100 ff. 301 Krieger/Schneider/Harbarth § 28 Rn. 42. 302 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 127. 303 Krieger/Schneider/Harbarth § 28 Rn. 33 f., 39 f. 304 BGH 12.12.2000 – VI ZR 345/99, NJW 2001 964 f.; BGH 12.3.1996 – VI ZR 90/95, NJW 1996 1535, 1536; BGH 5.12.1989 – VI ZR 335/88, NJW 1990 976, 978; OLG Stuttgart 29.4.2008 – 5 W 9/08, NJW 2008 2514, 2515; einschränkend, aber letztlich offen gelassen in OLG Schleswig 29.6.2011 – 3 U 89/10, NJW-RR 2012 368, 369; aus der Literatur z. B. Wagner VersR 2001 1057 ff.; Foerste VersR 2002 1 ff.; Medicus GmbHR 2002 809 ff. 305 Vgl. BGH 10.7.2012 − VI ZR 341/10, NJW 2012 3439, 3441 f.; Schirmer NJW 2012 3398, 3399 f.; BeckOGK/Segna BGB § 27 Rn. 126 f.; MüKo-BGB/Wagner § 823 Rn. 157. Gädtke

988

D. Produkthaftpflicht/Arbeits- und Dienstleistungen, Ziff. A-7.3

AVB D&O A-7

dann nur mittelbar aus. Unmittelbar entsteht die Vermögenseinbuße des VN hingegen durch die Zahlung auf den Ersatzanspruch des Dritten. Die Wortlautauslegung (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen oben Rn. 5 ff.) führt zu kei- 74 nem eindeutigen Ergebnis. Sie hängt davon ab, ob das Wort „durch“ eng (i. S. einer unmittelbaren Verursachung) oder weit (i. S. einer mittelbaren Verursachung) verstanden wird. Der rechtliche Begriff des In-Verkehr-Bringens präjudiziert die Auslegung nicht.306 Der dem VN bzw. der versicherten Person erkennbare Sinn der Klausel dürfte eher dafür sprechen, dass der Sachbereich der Produkthaftung durch sie insgesamt aus dem Versicherungsschutz ausgeschlossen sein soll, der Ausschluss also alle äquivalent kausal auf das In-Verkehr-Bringen des mangelhaften „Produkts“307 zurückzuführenden Ansprüche erfasst. Sieht man gleichwohl beide Auslegungen als rechtlich vertretbar an, gilt § 305c Abs. 2 BGB.308 Welche Auslegung maßgeblich ist, ist dann zunächst davon abhängig, ob die der begünstigten versicherten Person ungünstigere Auslegung als wirksam zu betrachten ist.309 Ist sie dies, gilt grundsätzlich die der versicherten Person vorteilhaftere Auslegung,310 die dazu führt, dass der Innenverhältnisanspruch nicht durch Ziff. A-7.3 erfasst ist. Sofern der VR zur Erläuterung von Ziff. A-7.3 bei Vertragsschluss auf den vom GDV genann- 75 ten Zweck (vgl. Rn. 71) Bezug nimmt, kann die Klausel als überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB anzusehen sein (vgl. oben Rn. 19 ff.). Schließt sie den gesamten Sachbereich des unternehmerischen Produktrisikos aus der D&O-Versicherung aus, erscheint dies durch den Zweck, mit Ziff. A-7.3 die Abgrenzung zur Betriebshaftpflicht- bzw. Produkthaftpflichtversicherung zu vollziehen und bzgl. reiner Vermögensschäden eine Doppelversicherung zu vermeiden, nicht mehr gedeckt, weil ein durchschnittlicher VN bzw. eine durchschnittliche versicherte Person insoweit erwarten darf, dass Schäden, die nicht oder nicht in voller Höhe durch die Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung erfasst sind, unter den D&O-Versicherungsschutz fallen. Dafür spricht auch, dass der VN bzw. die versicherte Person nicht mit Lücken im Versicherungsschutz rechnen muss (vgl. Rn. 7). Zweifel an der Wirksamkeit des Ausschlusses ergeben sich auch aus § 307 Abs. 2 Nr. 2 76 BGB.311 Die unternehmensinterne Organisation und Überwachung, die sich auf die Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten der Gesellschaft (insbes. bzgl. Konstruktion, Fabrikation, Instruktion und Produktbeobachtung) beziehen, ist eine zentrale Pflicht der Organmitglieder produzierender Unternehmen. VN und versicherte Person haben daher die grundsätzlich berechtigte Erwartung, dass der Versicherungsschutz aus der D&O-Versicherung Verletzungen dieser Pflicht umfasst. Der Ausschluss derartiger Pflichtverletzungen aus dem Versicherungsschutz führt allerdings nur dann zur Annahme einer unangemessenen Benachteiligung, wenn er als relevante Gefährdung des Vertragszwecks anzusehen ist. Welchen Grad die Vertragszweckgefährdung dazu aufweisen muss, ist umstritten. Der BGH sieht eine Leistungsbegrenzung erst dann als unangemessene Benachteiligung an, wenn sie den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht.312 Es müsse grundsätzlich der kaufmännischen Entscheidung des VR überlassen bleiben, welchen Versicherungsschutz mit welchem Umfang er anbiete, solange das Leistungsversprechen hinreichend klar sei 306 Zum Begriff des In-Verkehr-Bringens vgl. Langheidt/Wandt/Thürmann ProdHaftPflV Rn. 46 ff. 307 In der Terminologie des ProdHM müsste es eigentlich „Erzeugnis“ heißen. Vgl. zu den Begriffen „Erzeugnis“, „Produkt“ und „Gesamtprodukt“ Bruck/Möller/R. Koch9 ProdHM 2008 Ziff. 4 Rn. 14 ff. 308 Vgl. zu den Voraussetzungen von § 305c Abs. 2 BGB Palandt/Grüneberg § 305c Rn. 15; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 227 ff. 309 BGH 29.4.2008 – KZR 2/07, NJW 2008 2172, 2173; Palandt/Grüneberg § 305c Rn. 18. 310 Ebd. 311 Zu den Voraussetzungen von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB vgl. etwa Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 357; Langheid/Wandt/Bruns § 307 BGB Rn. 120 ff. 312 BGH 25.7.2012 – IV ZR 201/10, RuS 2012 503, 504; BGH 20.7.2011 – IV ZR 42/10, RuS 2011 467, 468 f.; BGH 18.2.2009 – IV ZR 11/07, RuS 2009 246, 248; BGH 19.11.1997 – IV ZR 348-96, NJW 1998 1069, 1070; LG Hamburg 26.11.2020 – 332 O 190/20, NJOZ 2021 147, 151. 989

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

und der Vertrag nicht ausgehöhlt werde.313 Diese Formulierung der Vertragszweckgefährdung für Leistungsbegrenzungen ist zu eng; denn es wird kaum je ein Ausschluss die Versicherung des in Frage stehenden Risikos vollständig ihres Zwecks berauben.314 Es erscheint daher plausibler, eine Anwendbarkeit des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB mit einem größeren Teil der Literatur bereits bei einer nicht unerheblichen Gefährdung des Vertragszwecks zu bejahen.315 Dazu ist eine differenzierte Betrachtung des Risikos316 sowie eine Interessenabwägung erforderlich. Bei der differenzierten Risikobetrachtung kann etwa eine Rolle spielen, wie weitgehend Verletzungen der Organisations- und Kontrollpflichten – auch unter Berücksichtigung anderweitiger Versicherungen – ausgeschlossen sind und wie bedeutsam dieser Ausschluss für den Kernbereich des Organhaftungsrisikos ist, in welchem Umfang der verbleibende Versicherungsschutz den Kernbereich des Organhaftungsrisikos noch abdeckt, ob der Versicherungsschutz mit oder ohne Ausschluss zu verschiedenen Prämien angeboten wird317 etc. Danach wird die Regelung in Ziff. A-7.3 wohl eher nicht als Vertragszweckgefährdung anzusehen sein.

III. Dienstleistungsausschluss 77 „Arbeiten oder sonstige Leistungen“ sind im Rahmen von A-7.3 in Abgrenzung zur Produkthaftpflichtversicherung relevant. In der Produkthaftpflichtversicherung bringt das Begriffspaar (vgl. Ziff. 1, Ziff. 4.1 ProdHM) zum Ausdruck, dass das materielle Substrat jedweder Tätigkeit dort versichert sein soll; ein exakte begriffliche Abgrenzung ist deswegen nicht erforderlich.318 Das Begriffspaar spielt aber auch in Abgrenzung zur Betriebshaftpflichtversicherung eine Rolle und wird in dieser Hinsicht vom GDV in seinen Erläuterungen zu den AVB D&O319 ebenfalls in Bezug genommen. Der in A-7.3 enthaltene Ausschluss von Haftpflichtansprüchen wegen Schäden durch „Arbeiten und sonstigen Leistungen“ ist insoweit im Wesentlichen für Dienstleistungen relevant und grenzt die D&O-Versicherung vor allem von der PI- bzw. E&O-Versicherung ab.320 Diese Abgrenzung findet vorrangig bereits im Rahmen der Versicherungsfalldefinition gem. Ziff. A-1 statt.321 Ob eine zur Anwendung von Ziff. A-1 erforderliche Organtätigkeit vorliegt, kann fraglich sein, wenn das Organmitglied – beispielsweise im Rahmen der Kreditvergabe – Dienstleistungen erbringt, die auch von einem Mitarbeiter des Unternehmens ohne derartigen Status erbracht werden können.322 Teilweise werden zur Vermeidung dieser Abgrenzung ausdrücklich alle operativen Tätigkeiten des Organmitglieds mit in den Versicherungsschutz einbezogen.

313 St.Rspr., vgl. BGH 12.7.2017 – IV ZR 151/15, NJW 2017 2831, 2832; BGH 20.7.2011 – IV ZR 42/10, RuS 2011 467, 468 f.; BGH 19.11.1997 – IV ZR 348–96, NJW 1998 1069, 1070. Kritisch dazu Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 115. So zutr. Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 117. So etwa Langheid/Wandt/Bruns § 307 Rn. 122; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs § 307 Rn. 262. Vgl. dazu die bei Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 117 genannten Aspekte. Grundsätzlich können unangemessene AGB nicht durch geringeres Entgelt gerechtfertigt werden, vgl. Palandt/ Grüneberg § 307 Rn. 18. Differenzierend für den Bereich der AVB-Prüfung Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 117; Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt Teil 2 (54) Rn. 10 ff. 318 Langheidt/Wandt/Thürmann ProdHaftPflV Rn. 45. 319 Erläuterungen des GDV zu A-7.4 (Stand Dezember 2020). 320 Professional Indemnity bzw. Errors & Ommissions, vgl. allgemein zur E&O-Versicherung Dißars VersR 2009 1340 ff.; Hahn VersR 2012 393 ff. zur Versicherung von Prospekthaftungsansprüchen in der E&O-Versicherung, zur Inanspruchnahme und vorsorglichen Meldung in der E&O-Versicherung OLG Düsseldorf 12.7.2017 (Beschluss) VersR 2018 217. 321 Vgl. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 Rn. 32 f. 322 Vgl. zum Meinungsstand Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 Rn. 32 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 12, 76, 80 f.; Bruck/Möller/Armbrüster A-1 Rn. 41 ff.

314 315 316 317

Gädtke

990

E. Umwelteinwirkungen, Ziff. A-7.4

AVB D&O A-7

Ziff. A-7.3 schließt eine Versicherung von Haftpflichtansprüchen wegen Schäden aus er- 78 brachten Dienstleistungen vollständig aus.323 In der Praxis finden sich häufig moderatere Formen des Ausschlusses, die vor allem wegen der in ihnen enthaltenen, häufig enumerativ aufgeführten Wiedereinschlüsse bedeutsam sind. So werden teilweise Innenverhältnisansprüche für Verletzungen der Organisations- und Kontrollpflicht, teilweise zusätzlich auch Pflichtverletzungen des Organmitglieds im Rahmen der Kreditvergabe, z. B. bei mangelnder Bonitätsprüfung, mitversichert. Die in solchen Wiedereinschlüssen aufgeführten Tätigkeiten zählen dann – unabhängig davon, wie der Begriff des Organhandelns gefasst wird (vgl. dazu Rn. 77 a. E.) – zu der nach Ziff. A-1 relevanten versicherten Tätigkeit. Greift der Dienstleistungsausschluss nicht, kann ggf. gleichwohl die Subsidiaritätsklausel anwendbar sein.

E. Umwelteinwirkungen, Ziff. A-7.4 Ziff. A-7.4 soll verhindern, dass mögliche Lücken in der Umwelthaftpflicht- und der Umweltscha- 79 densversicherung, d. h. den beiden für Umweltrisiken und entsprechende Haftungsansprüche verfügbaren Versicherungen, zu Schadensersatzansprüchen aufgrund mangelnder Organisations- Kontroll- oder Überwachungspflichten im Zusammenhang mit Umwelteinwirkungen führen und über die D&O-Versicherung als Auffanglösung324 ausgeglichen werden.325 In der Praxis spielt der Ausschluss im produzierenden Gewerbe, insbesondere im chemischen Bereich, eine wichtige Rolle.326 In die entsprechenden D&O-Policen wird oftmals eine Ziff. A-7.4 entsprechende Fassung aufgenommen, die meist noch um eine Definition der relevanten Umweltgefahren erweitert ist. Teilweise werden jedoch auch nur Umweltrisiken ausgeschlossen, die in den USA oder auf Basis des US-Rechts geltend gemacht werden, da die Umwelthaftung dort besonders streng ist.327 Ist der Umweltausschluss nicht vereinbart, ist die Gewähr von Versicherungsschutz unter der D&O-Versicherung abhängig von der verwendeten Subsidiaritätsklausel.328 Wird der Ausschluss vereinbart, hat er in einer Reihe von denkbaren Fällen konstitutive 80 Bedeutung. Die Umwelthaftpflichtversicherung deckt – nach dem (unverbindlichen) Umwelthaftpflicht-Modell des GDV – teilweise reine Vermögensschäden ab, so etwa bei vorgezogenen Rettungskosten (vgl. Ziff. 5.1 UHV), und bei Eingriffen in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Dritten (vgl. Ziff. 1.2 UHV). Sie erstreckt den Versicherungsschutz dabei auch auf eine potentielle (Außen-)Haftung der Organmitglieder des betroffenen VN (vgl. Ziff. 1.3.1 UHV). Zumindest nach dem GDV-Modell sind jedoch beispielsweise Schäden, die sich bei Normalbetrieb der Anlage einstellen, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, es sei denn der VN kann die in der Öffnungsklausel genannten Voraussetzungen darlegen und ggf. beweisen (vgl. Ziff. 6.2 UHV).329 Gelingt ihm letzteres nicht und liegen Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden seiner Organmitglieder vor, könnte der VN versuchen, über einen gegen diese gerichteten Innenverhältnisanspruch zu einer Deckung des Schadens durch die D&OVersicherung zu gelangen. Gleiches gilt etwa, wenn der Umwelthaftpflicht-VR nicht für vorgezogene Rettungskosten aufkommen muss, weil die engen Voraussetzungen, die für die Deckung

323 324 325 326

Lange § 11 Rn. 90 f. GDV Erläuterungen Stand Dezember 2020. Ebd. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 126; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 23; Lange § 11 Rn. 102. 327 Vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch a. a. O. 328 Vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 22; Olbrich 183. 329 Kritisch zur Wirksamkeit des Normalbetriebsausschlusses Langheid/Wandt/Schimikowski UHV/USV Rn. 67. Der GDV führt in seinen Erläuterungen zu Ziff. A-7.4. aus, dass „insbesondere für den „Normalbetriebstatbestand“ summenmäßig nur eine begrenzte Deckung gewährt“ werde. Dies entspricht jedenfalls nicht dem Standard-Modell der Umwelthaftpflichtversicherung. 991

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

solcher Kosten gem. Ziff. 5.1 UHV bestehen,330 nicht erfüllt sind331 oder wenn der VN nicht über eine Umwelthaftpflichtversicherung verfügt und angesichts der „Nullstellung des Umwelthaftpflichtrisikos“332 in der Haftpflichtversicherung (Ziff. 7.10 b) AHB)333 daran gehindert ist, diese Schäden gegenüber seinem Haftpflicht-VR geltend zu machen. In solchen Fällen schließt Ziff. A-7.4 eine Deckung des Schadens durch die D&O-Versicherung aus. Auch insoweit stellt sich die Frage, ob die Haftung für Organisations- und Kontrollpflichten als ein zum Kernbereich des Organhaftungsrisikos gehörender Part (im produzierenden Gewerbe) zulässigerweise vollständig aus dem Versicherungsschutz ausgeschlossen werden kann (vgl. die entsprechenden Überlegungen in Rn. 74 ff., insbesondere Rn. 77). 81 Nach dem Umweltschadengesetz334 ist eine Außenhaftung der Organmitglieder335 für Umweltschäden möglich (vgl. § 2 Nr. 3 USchG), wenn das Organmitglied an dem Verhalten beteiligt war, das für den Umweltschaden ursächlich wurde.336 Eine solche Beteiligung liegt schon vor, wenn ihm die konkrete Tätigkeit oder eine entsprechende Unternehmenspraxis bekannt waren.337 Daneben können mögliche (zivilrechtliche) Ausgleichsansprüche zwischen mehreren Störern nach § 9 Abs. 2 USchadG bestehen, die die Organmitglieder ebenfalls betreffen können.338 Da Ziff. A-1 regelmäßig keine Beschränkung des Anwendungsbereichs der D&O-Versicherung auf Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts mehr enthält,339 sind derartige Ansprüche grundsätzlich auch unter der D&O-Versicherung versichert. Ziff. A-7.4 kommt daher auch insoweit konstitutive Wirkung zu.

F. Gerichtsbarkeit und Recht außerhalb der EU, Ziff. A-7.5 82 Ziff. A-7.5 schränkt den räumlichen Geltungsbereich der D&O-Versicherung auf das Gebiet der Europäischen Union ein.340 Versicherungsschutz wird nur für solche Haftpflichtansprüche gewährt, die vor einem Gericht innerhalb der EU geltend gemacht werden, wobei die fragliche Pflichtverletzung innerhalb des EU-Gebiets erfolgt und nach dem Recht eines Staates innerhalb der EU zu beurteilen sein muss. Der Versicherungsschutz gilt also unabhängig davon, ob der Haftpflichtanspruch nach kontinentaleuropäischem Recht oder nach dem strukturell verschiedenen Common Law zu beurteilen ist. 83 In der Praxis wird die Grenze regelmäßig anders gezogen. Jedenfalls bei Großrisiken wird auf der Ebene der primären Risikoabgrenzung eine weltweite Deckung vereinbart. Diese wird dann auf der Ebene der sekundären Risikoabgrenzung entweder durch den Ausschluss von Haftpflichtansprüchen begrenzt, die (ganz oder teilweise) nach Common Law geltend gemacht sind, oder zumindest durch einen Ausschluss solcher Haftpflichtansprüche, die ganz oder teilweise in Nordamerika oder jedenfalls in den USA oder auf Basis des dort geltenden Rechts erhoben 330 Vgl. etwa Langheid/Wandt/Schimikowski UHV/USV Rn. 51 ff. 331 Die Erläuterungen des GDV führen die Belastung it vorgezogenen Rettungskosten ebenfalls als Beispiel dafür an, dass die „die D&O-Versicherung als Auffanglösung dienen“ könnte. 332 Vgl. etwa OLG Jena 3.2.2011 – 4 U 787/10, NJW-RR 2011 1333, 1334; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 754. 333 Dazu Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 7 AHB Rn. 312 ff. 334 Vgl. dazu Ruffert NVwZ 2010 1177 ff.; zu Fragen der USV-Deckung Grunden/Kerst ZfV 2012 250 ff.; Lattwein/ Biorac EurUP 2009 75 ff.; Neubaur/Lattwein PHi 2008 152 ff.; Wagner VersR 2008 565, 578 ff. 335 Vgl. dazu Keich Organmitglieder 115 ff.; Wagner VersR 2008 565, 570 f.; Schmidt NZG 2007 650, 652. 336 Wagner VersR 2008 565, 571. 337 Ebd. 338 Wagner VersR 2008 565, 575; Keich NuR 2012 737, 737. 339 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 Rn. 36; Mitterlechner/Wax/Witsch § 4 Rn. 7; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 200. 340 Zu den verschiedenen Fassungen der AVB-AVG (1997, 2005, 2011) und der darin vorgenommenen Erweiterung des räumlichen Geltungsbereichs der D&O-Versicherung vgl. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 Rn. 25 ff.; Langheid/ Wandt/Ihlas D&O Rn. 758 f.; Mitterlechner/Wax/Witsch § 12 Rn. 8 ff. Gädtke

992

F. Gerichtsbarkeit und Recht außerhalb der EU, Ziff. A-7.5

AVB D&O A-7

werden. Hierzu werden dann regelmäßig Wiedereinschlüsse für bestimmte Ansprüche vereinbart; teilweise bleibt der Versicherungsschutz insoweit auf die Leistung von Verteidigungskosten beschränkt. Darüber hinaus entspricht es dem Marktstandard, Risiken aus bestimmten US-Gesetzen auch ganz explizit auszuschließen. Dazu gehören regelmäßig Ansprüche, die ganz oder teilweise auf (möglichen) Verstößen gegen Bestimmungen des US-Gesetzes über die Emission von Wertpapieren (Securities Act of 1933; vgl. dazu auch Rn. 89 f.),341 des US-Gesetzes über den Handel von Wertpapieren (Securities Exchange Act of 1934) und des US-Gesetzes zur Sicherung des Ruhestandseinkommens von Angestellten (Employee Retirements Income Securities Act of 1974, ERISA)342 sowie aller jeweiligen Ergänzungen hierzu oder auf Verstößen gegen entsprechende bundes- oder einzelstaatliche Bestimmungen oder damit zusammenhängenden Grundsätzen des Common Law in den USA beruhen. Teilweise finden sich Ausschlüsse für Ansprüche, die aus (möglichen) Verstößen in den USA oder auf Basis von US-Recht gegen eine gesetzlich normierte Pflicht aus einem Arbeits- oder Anstellungsverhältnis (Employment Practices Liability,343 vgl. auch Rn. 150) oder gegen den Foreign Corrupt Practices Act resultieren. Schließlich sind auch Haftpflichtansprüche aufgrund von Umwelteinwirkungen oder Produkthaftungsrisiken, die in den USA oder auf Basis des US-Rechts geltend gemacht werden, nicht versichert, wobei diese Risiken regelmäßig nur dann explizit ausgeschlossen werden, wenn dies nach dem Unternehmensgegenstand angezeigt ist. Die Ausklammerung von Ansprüchen in den USA oder auf Basis des US-Rechts verfolgt 84 mehrere Zwecke. Sie ist zum einen eine Reaktion auf die Rechtslage und Praxis in den USA. Insbesondere sind Innenverhältnisansprüche (insured vs. insured, IvI-Exclusion),344 d. h. Ansprüche der versicherten Unternehmen gegen die versicherten Personen und Ansprüche der versicherten Personen untereinander, in US-Policen regelmäßig – auch wenn diese Praxis mittlerweile etwas bröckelt – nicht versichert. Ohne den USA-Ausschluss würden entsprechende Ansprüche in den Anwendungsbereich einer in Deutschland geschlossenen D&O-Versicherung mit weltweiter Deckung fallen. Darüber hinaus sind die Organhaftungsrisiken in den USA allgemein sowohl hinsichtlich der Haftungsfolgen (Schadenausgleich und Strafschadensersatz, vgl. dazu Rn. 131 ff.) als auch aufgrund der Rechtsinstrumente, die eine nachhaltige persönliche Haftung von Organmitgliedern ermöglichen (insbesondere shareholder derivative suit, class actions) sehr ausgeprägt.345 Zusätzlich begünstigen einige prozessuale Besonderheiten des USZivilprozesses wie etwa das Erfolgshonorar, die Pflicht zur vorprozessualen Dokumentenvorlage, das Fehlen einer erfolgsabhängigen Kostenverteilungsregel etc. die kollektive Durchsetzung hoher Schadensersatzforderungen.346 Zum anderen wird mit dem USA-Ausschluss eine separate Behandlung des Risikos von Schadensersatzansprüchen in den USA oder auf Basis des US-Rechts in der Annahmeprüfung durch den VR bezweckt.347 Schließlich dient der USAAusschluss auch der Vermeidung einer Mehrfachversicherung.348 Weltweit operierende Un-

341 Dazu Fleischer WM 2004 1897 ff.; Fleischer Hdb. des Vorstandsrechts (2006) Rn. 4, 94 (jeweils m. w. N.); Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 767; Mitterlechner/Wax/Witsch § 12 Rn. 260.

342 Vgl. dazu Mitterlechner/Wax/Witsch § 12 Rn. 242; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 768; auch Leder/Thüsing NZA 2011 188, 192 f.; Thüsing/Leder NZA 2006 1314, 1317 f. Dazu Mitterlechner/Wax/Witsch § 12 Rn. 237. Dazu Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 657 ff. Mitterlechner/Wax/Witsch § 12 Rn. 2 f; Olbrich 185. Sessler/Reichert WM 2012 678, 678 f. m. w. N. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 761. Ebd.

343 344 345 346 347 348 993

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

ternehmen verfügen regelmäßig über eine – oft mit der Masterpolice über DIC/DIL-Klauseln349 verbundene – rechtlich eigenständige Lokalpolice zur Absicherung von US-Risiken. 85 Der USA-Ausschluss enthält regelmäßig eine Reihe von enumerativ aufgezählten Wiedereinschlüssen (sog. „carve backs“), die im Einzelnen von VR zu VR variieren und sich häufig ändern. Teilweise wird der Deckungsumfang für solche Wiedereinschlüsse auf die Gewähr von Verteidigungskosten beschränkt, teilweise wird auch der gegen die versicherte Person erhobene Schadenersatzanspruch gedeckt. Die Wiedereinschlüsse betreffen etwa Fälle, in denen eine versicherte Person als unmittelbare Folge eines versicherten Schadensersatzanspruchs einem Regress- bzw. Ausgleichsanspruch einer anderen versicherten Person ausgesetzt ist, oder in denen solche Ansprüche von einem Anteilseigner ohne Veranlassung, Empfehlung oder Mitwirkung einer versicherten Person, des VN oder eines Tochterunternehmens erhoben werden oder in denen der Insolvenzverwalter oder Liquidator des VN eine versicherte Person auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. 86 Der USA-Ausschluss ist wirksam. Er schränkt zwar den Versicherungsschutz für Organmitglieder amerikanischer Tochterunternehmen des VN und für Auslandsgeschäfte von Organmitgliedern des VN ein.350 Das ist aber im Regelfall weder überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB noch unangemessen benachteiligend i. S. v. § 307 BGB. Mit einer Einschränkung des in der primären Risikoabgrenzung bestimmten Geltungsbereichs der D&O-Versicherung durch Ausschlüsse muss der VN stets rechnen. Entspricht eine Klausel, wie der USA-Ausschluss, gängiger Praxis, ist sie nicht überraschend, wenn sie den Versicherungsschutz nicht ganz erheblich reduziert und weder verklausuliert ist noch ihrer systematischen Stellung innerhalb der Police nach Bedenken erweckt.351 Die beiden letzteren Voraussetzungen liegen im Fall des USA-Ausschlusses ebenso wenig vor wie hinsichtlich Ziff. A-7.5. Die dagegen geäußerten Zweifel352 sind unbegründet.353 Zumindest hinsichtlich des Ausschlusses für Haftpflichtansprüche in Nordamerika bzw. in den USA liegt auch keine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 BGB vor, da der Ausschluss aufgrund der besonderen Haftungssituation in den USA und der Möglichkeit, entsprechende Risiken durch Lokalpolicen zu versichern, jedenfalls im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung gerechtfertigt erscheint.

G. Insider-Regeln, Ziff. A-7.6 87 Ziff. A-7.6 enthält einen Ausschluss für Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Insider Trading und bezieht sich auf die entsprechenden Vorschriften des WpHG (§§ 12 ff., 37b, 37c, 38 f.). Der Ausschluss wird in der Praxis relativ selten mit in den Ausschlusskatalog einer D&O-Police aufgenommen und hat aufgrund seiner Überschneidungen mit anderen Ausschlusstatbeständen (insbes. Ziff. A-7.1, A-7.10) ohnehin nur geringere Bedeutung.354 Denkbar sind Ansprüche des Emittenten gegen Organmitglieder, wenn jener einem Dritten aus den §§ 37b, c

349 DIC = Difference in Condition, DIL = Difference in Limit. Beide Regelungen führen dazu, dass die Masterpolice bei einem Versicherungsfall in den USA dann zur Anwendung kommt, wenn die Versicherungssumme der Lokalpolice verbraucht ist oder wenn die Bedingungen der Masterpolice vorteilhafter sind. Die Zulässigkeit solche DIC/DILLösungen ist allerdings aufgrund des non-admitted-Problems jeweils im Einzelfall zu prüfen, vgl. Mitterlechner/ Wax/Witsch § 12 Rn. 38 f. 350 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 122; Prölss/Martin/Voit A-7.5 Rn. 1; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 163; zu Auslandsgeschäften von Organmitgliedern Kiethe RIW 2007 361, 363 f.; BeckOGK/Fleischer AktG § 93 Rn. 33 f.; Rohde-Liebenau ZfV 1998 288, 289. 351 Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 64 ff. m. w. N. 352 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 122; Prölss/Martin/Voit A-7.5 Rn. 1. 353 Vgl. auch van Bühren/Lenz § 25 Rn. 163 („dürften letztendlich nicht durchgreifen“). 354 So auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 764; Prölss/Martin/Voit A-7.6 Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann § 28 Rn. 132; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anhang C Rn. 147. Gädtke

994

G. Insider-Regeln, Ziff. A-7.6

AVB D&O A-7

WpHG für eine unterlassene oder fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilung ersatzpflichtig ist.355 Des Weiteren kommt nach zutreffender Auffassung auch ein Haftpflichtanspruch des VN gegen seine Organmitglieder in Betracht, wenn gegen den VN aufgrund eines Fehlverhaltens eines Organmitglieds eine Geldbuße nach § 39 WpHG festgesetzt wurde (vgl. dazu die Kommentierung zu Ziff. A-7.10 unten Rn. 104 ff.). Sieht die D&O-Police eine weltweite Deckung vor, werden regelmäßig Ansprüche nach 88 dem US-Gesetz über die Emission von Wertpapieren (Securities Act of 1933) und dem US-Gesetz über den Handel von Wertpapieren (Securities Exchange Act of 1934) ausgeschlossen, und zwar unabhängig davon, ob eine Ziff. A-7.6 entsprechende Klausel in die D&O-Police aufgenommen wird (vgl. schon oben Rn. 84). Wie stark die genannten Ausschlüsse den Versicherungsschutz einschränken, hängt insbe- 89 sondere davon ab, wie hoch das Risiko für den VN und die versicherten Personen ist, dass auch ausländische Sachverhalte nach US-Recht beurteilt werden. Diese Gefahr ist im Anschluss an die Entscheidung Morrison v. National Australia Bank Ltd.,356 in der es um die Anwendung des Securities Act of 1933 ging, geringer geworden.357 Der Oberste Gerichtshof der USA verwarf in ihr den bisherigen Prüfungsmaßstab zur Anwendbarkeit von US-Recht (den sog. „conduct and effects“-Test).358 Dieser Prüfungsmaßstab widerspreche dem Grundsatz der Vermutung fehlender Extraterritorialität von Gesetzen, der besagt, dass Gesetze, die vom Kongress verabschiedet werden, grundsätzlich nur auf US-Sachverhalte anwendbar sind, sofern der Kongress im jeweiligen Gesetz nichts Gegenteiliges anordnet.359 Enthält das Gesetz insoweit keinen klaren anderslautenden Hinweis, hat es also keinen extraterritorialen Anwendungsbereich.360 Zur Klärung, wann im Wertpapierrecht ein US-inländischer Sachverhalt vorliegt, entwickelte der Oberste Gerichtshof der USA in der Morrison-Entscheidung den sog. „transactional“-Test.361 Danach ist für die Anwendbarkeit des Securities Act of 1933 allein entscheidend, ob die streitgegenständliche Transaktion selbst (und nur diese) in den USA stattgefunden hat. Mittlerweile haben verschiedene US-Gerichte diese Rechtsprechung auch auf Ansprüche außerhalb des Securities Act of 1933 ausgedehnt: Wenn ein Gesetz keine klare Aussage zur extraterritorialen Anwendbarkeit treffe, sei es nicht extraterritorial anwendbar.362 In einigen Rechtsbereichen (z. B. bei Derivaten363 und außerbörslich gehandelten American Depositary Receipts, ADR) ist allerdings unklar, wie die Abgrenzung zu Auslandsgeschäften vollzogen werden soll, weil sich der Entscheidung im Fall Morrison insoweit keine belastbaren Kriterien entnehmen lassen.364 Es gibt damit grundsätzlich weiterhin mögliche Ansatzpunkte für eine Erstreckung von US-Recht auf ausländische Sachverhalte.365 Der Oberste Gerichtshof der USA sieht die Frage der Anwendbarkeit von US-Bundesgesetzen 90 darüber hinaus nicht als Zuständigkeitsfrage an.366 Er kann den jeweiligen Fall grundsätzlich auch auf der Basis eines US-ausländischen materiellen Rechts (im Fall Morrison auf Basis australischen Rechts) entscheiden. Allerdings tendieren US-Gerichte dazu, Klagen abzuweisen, falls

355 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 765. 356 Morrison et al v. National Australia Bank Ltd. et al, 130 S. Ct. 2869 (24.6.2010), verfügbar unter http://www.supremecourt.gov/opinions/09pdf/08-1191.pdf. Eingehend Sessler/Reichert WM 2012 678 ff.; Mankowski NZG 2010 961 ff. Dazu Sessler/Reichert WM 2012 678, 679 f.; Mankowski NZG 2010 961, 962 f. Sessler/Reichert WM 2012 678, 680; Mankowski NZG 2010 961, 964 f. Sessler/Reichert WM 2012 678, 680. Kritisch zum angeblichen Fehlen einer solche Aussage im Fall Morrison Mankowski NZG 2010 961, 964 f. Sessler/Reichert WM 2012 678, 685 f. m. w. N. Eliott Associates et al vs Porsche Automobil Holding SE et al, 10 Civ. 4155(HB), verfügbar unter http://www.dandodiary.com/uploads/file/porsche.pdf. 364 Sessler/Reichert WM 2012 678, 683, 688; Mankowski NZG 2010 961, 965 f. 365 Sessler/Reichert WM 2012 678, 683, 688; Mankowski NZG 2010 961, 965 f., 967. 366 Sessler/Reichert WM 2012 678, 681.

357 358 359 360 361 362 363

995

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

nicht materielles US-Recht anzuwenden ist.367 Selbst dann würden einer versicherten Person, die vor einem US-Gericht in Anspruch genommen wird, erhebliche Verteidigungskosten entstehen; erst recht, wenn sie sich in der Hauptsache auf der Basis von US-Recht vor dem US-Gericht verteidigen müsste. Zumindest im letzteren Fall sind die Kosten nach derzeitiger Praxis regelmäßig nicht versichert.

H. Andere als versicherte Tätigkeit, Ziff. A-7.7 91 Ziff. A-7.7 schließt den Versicherungsschutz für Tätigkeiten aus, die nicht für den VN bzw. seine Tochterunternehmen oder nicht in der Funktion als Organ, sondern z. B. als Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vorgenommen werden. Es geht also um Tätigkeiten, die außerhalb des durch Ziff. A-1 definierten Anwendungsbereichs (vgl. insbes. Abs. 1 „bei Ausübung dieser Tätigkeit“, Abs. 6) der D&O-Police liegen, und daher nur unter der Versicherung eines anderen Unternehmens oder einer Berufshaftpflicht- oder sonstigen Vermögensschadenhaftpflichtversicherung gedeckt sein können. Ziff. A-7.7 hat insofern nur klarstellende Bedeutung und wird in der Praxis regelmäßig nicht mit in den Katalog der Risikoausschlüsse aufgenommen.368 92 D&O-Versicherungen enthalten allerdings – abweichend von Ziff. A-1 und A-7.7 – häufig Klauseln, Side letter oder sonstige besondere Vereinbarungen, die den Versicherungsschutz auf Pflichtverletzungen bei der Wahrnehmung von Fremdmandaten (sog. „outside directorships“)369 ausdehnen. Dies spielt etwa bei Kreditinstituten oder Unternehmensbeteiligungsgesellschaften eine Rolle, wenn Organmitglieder des VN (oder von dessen Tochtergesellschaften), vor allem Aufsichtsrats- oder Beiratsmandate, aber auch Mandate in der Geschäftsleitung von Drittunternehmen370 wahrnehmen.371

I. Unzureichende Versicherung oder Versicherungsleistung, Ziff. A-7.8 93 Ziff. A-7.8 schließt den Versicherungsschutz in Konstellationen aus, in denen ein bestimmter Schaden (z. B. ein Produkthaftungsschaden) nicht oder nicht ausreichend versichert war und der VN seine Organmitglieder für den ihm daraus entstehenden Schaden im Innenverhältnis mit der Begründung in Anspruch nimmt, sie hätten die Pflicht verletzt, für ausreichenden Versicherungsschutz der Gesellschaft Vorsorge zu treffen. Der Ausschluss soll nach den Erläuterungen des GDV zu Ziff. A-7.8 klarstellen, dass die D&O-Versicherung nicht als eine Art „Superpolice“ fungiert.372 Diese Gefahr besteht nur im Hinblick auf Versicherungen gegen reine Vermögensschäden, da die D&O-Versicherung lediglich derartige Schäden deckt.373 Sofern der Ausschluss tatsächlich zur Anwendung kommt, hat er allerdings nicht nur klarstellende, sondern konstitutive Wirkung.374 Haftpflichtfälle, in denen der Ausschluss wirklich relevant ge-

367 Sessler/Reichert WM 2012 678, 681 m. w. N.; Mankowski NZG 2010 961, 966. 368 Vgl. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 774; Prölss/Martin/Voit A-7.7 Rn. 1; Erläuterungen des GDV zu A-7.7 (Stand Dezember 2020). 369 Vgl. auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 Rn. 35. 370 Zur Abgrenzung von versicherten Unternehmen und Drittunternehmen vgl. Ziff. 1.1 und Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 Rn. 12 ff. 371 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 Rn. 35; Höra/Sieg § 17 Rn. 73; Veith/Gräfe/Lange § 21 Rn. 26; Olbrich 223 ff.; Lattwein/Krüger VW 1997 1366, 1372. 372 Erläuterungen des GDV zu Ziff. A-7.8 (Stand Dezember 2020). 373 Olbrich 187; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 26. 374 Ebd. Gädtke

996

I. Unzureichende Versicherung oder Versicherungsleistung, Ziff. A-7.8

AVB D&O A-7

worden ist bzw. hätte werden können, sind jedoch der Ausnahmefall.375 In der Praxis verzichten die D&O-VR häufig auf die Aufnahme dieses Ausschlusses, erst recht dann, wenn sie den gesamten Versicherungsbestand des VN oder zumindest einen großen Teil davon betreuen.376 Die Beurteilung, ob der VN nur über unzureichenden Versicherungsschutz verfügt und dies 94 auf die Sorgfaltspflichtverletzung insbes. des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Organmitglieds zurückzuführen ist, erfordert eine genaue Analyse des Risikopotentials bei dem VN aus Ex-ante-Sicht. Anknüpfungspunkt für derartige Überlegungen ist die Pflicht der Geschäftsleitung, ein funktionsfähiges Risiko-Management-System einzurichten und zu unterhalten (§ 91 Abs. 2 AktG). Dazu zählt auch die Prüfung von Absicherungsmöglichkeiten und nach verantwortlicher Risikoabschätzung ggf. der Abschluss von Versicherungen gegen vorhandene Risiken.377 Soweit es nicht um Pflichtversicherungen geht, fällt die Entscheidung über den Einkauf von Versicherungsschutz in den Bereich des unternehmerischen Ermessens, das sich nicht bereits dann, wenn eine Versicherung zu vertretbaren Prämienbedingungen zu erhalten ist, sondern erst bei besonderer Risikolage, also im Ausnahmefall,378 zu einer Versicherungspflicht verdichtet.379 Auch wenn ein solcher Fall nicht vorliegt, verlangen die Sorgfaltspflicht eines Geschäftsleiters und das Gebot einer dem unternehmerischen Ermessen genügenden informierten Entscheidung eine umfassende Gesamtabwägung von Risikointensität, Eignung, Kosten etc. der jeweiligen Versicherung unter Einbeziehung aller bekannten Vor- und Nachteile des Versicherungsschutzes.380 Aktienrechtlich ist daher eine mögliche Versicherungspflicht stets von vornherein angelegt. Die Auffassung, eine Haftung für Fälle, in denen kein oder unzureichender Versicherungsschutz eingekauft wurde, führte außerhalb des Bereichs gesetzlicher Pflichtversicherung dazu, eine Pflichtversicherung kraft Richterrechts zu schaffen,381 ist daher unzutreffend. Fehlt ausreichender Versicherungsschutz für den von einem Dritten geltend gemachten 95 Personen- oder Sachschaden und stellt dies eine schuldhafte Pflichtverletzung eines oder mehrerer Organmitglieder des VN dar, ist umstritten, ob ein Schadensersatzanspruch des VN gegen seine Organmitglieder einen reinen Vermögensschaden i. S. v. Ziff. A-1 zum Gegenstand hat. Bejaht man dies mit der Begründung, dass der eingetretene Vermögensschaden aus der unzureichenden Versicherung resultiere und damit keinen Folgeschaden aus einem Personenoder Sachschaden darstelle,382 kommt Ziff. A-7.8 konstitutive Bedeutung zu. Nach anderer Auffassung stellt der im Innenverhältnis geltend gemachte Vermögensschaden des VN (wegen unzureichender Versicherung) ebenfalls einen Folgeschaden des Personen- und Sachschadens des Dritten dar, da insoweit eine durchgehende Kausalität bestehe.383

375 Ein Beispielsfall ist das Urteil des OLG Zweibrücken 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999 506, 507 f. (Geschäftsführerhaftung wegen des Vorwurfs, weisungswidrig keine Kreditversicherung abgeschlossen zu haben; die entsprechende Klage wurde abgewiesen). Kritisch dazu Ehlers VersR 2008 1173, 1176. Vgl. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 777, 779. 376 Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 26; Lattwein/Krüger VW 1997 1366, 1372. 377 Seibt/Saame AG 2006 901, 903. 378 Vgl. zu solchen Ausnahmefällen R. Koch ZGR 2006 184, 201. 379 MüKo-AktG/Spindler § 91 Rn. 28, 51; R. Koch ZGR 2006 184, 201 (zur D&O-Versicherung); Seibt/Saame AG 2006 901, 903 (zur D&O-Versicherung); vgl. auch Schmitt 206 (keine Pflicht zum Abschluss einer D&O-Versicherung) und Vetter AG 2000 453, 455, 458 (in der Regel Pflicht zum Abschluss der D&O-Versicherung). 380 Seibt/Saame AG 2006 901, 903 (zur D&O-Versicherung). 381 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 778 a. E. 382 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 1 Rn. 51; Prölss/Martin/Voit A-7.8 Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 71. 383 Höra/Sieg § 17 Rn. 93; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 204; fraglich. 997

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

J. Unlauterer Wettbewerb, Verletzung von Berufsgeheimnissen u. a., Ziff. A-7.9 96 Ziff. A-7.9 soll verhindern, dass im Geschäftsverkehr bestimmte Grenzen im Vertrauen auf die Einstandspflicht des D&O-VR missachtet werden, z. B. bei Angriffen auf die Ehre eines Geschäftspartners oder der Verletzung von Berufsgeheimnissen.384 Für Haftpflichtansprüche, die auf derartigen Pflichtverletzungen beruhen, besteht daher kein Versicherungsschutz. Die praktische Bedeutung des Ausschlusses ist allerdings eher gering, er wird dementsprechend selten verwendet. Schließlich nimmt Ziff. A-7.9 Haftpflichtansprüche aufgrund einer Verletzung von Berufsge97 heimnissen sowie wegen Verletzungen des Wettbewerbs- oder Immaterialgüterrechts vom Versicherungsschutz aus. Insoweit hat die Klausel grundsätzlich konstitutive Wirkung.385 Außenhaftungsansprüche gegen Organmitglieder können bestehen, wenn das Organmitglied die Rechtsverletzung entweder an der den Schaden auslösenden Handlung durch positives Tun beteiligt war oder wenn ihm eine nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründete Garantenstellung zukam und er die Handlung deswegen hätte verhindern müssen.386 Eine solche Garantenstellung387 wurde früher teilweise – noch über die Baustoff-Entschei98 dung des BGH388 hinausgehend – aus der Organisationsverantwortung des Organmitglieds für das von ihm geleitete Unternehmen abgeleitet.389 Der BGH hat allerdings mittlerweile mehrfach festgestellt, dass sich allein aus der Organstellung keine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten ergebe, eine Schädigung ihres Vermögens zu verhindern.390 Die Verletzung müsse vielmehr auf einem Verhalten beruhen, das nach dem äußeren Erscheinungsbild und mangels abweichender Feststellungen dem Geschäftsführer anzulasten sei, also das typischerweise auf der Geschäftsführerebene entschieden werde.391 Eine Garantenstellung könne in begrenztem Umfang und bei besonderen Umständen aber aus einer Erfolgsabwendungspflicht, aus einem bewussten Entziehen der Kenntnis- und Verhinderungsmöglichkeit von Wettbewerbsverstößen und aus dem Betreiben eines auf Rechtsverletzungen angelegten Geschäftsmodells resultieren.392 Selbst wenn das Organmitglied nicht im Außenverhältnis (gesamtschuldnerisch mit der Gesellschaft) in Anspruch genommen wird, kann es – vorausgesetzt, die Haftung der Gesellschaft ist festgestellt – im Innenverhältnis wegen der Verletzung von Organisations- und Überwachungspflichten haftbar sein.

384 Vgl. die Erläuterungen des GDV zu Ziff. A-7.9 (Stand Dezember 2020). 385 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 786 verweist darauf, dass es beim Ausschluss von Ansprüchen wegen unlauteren Wettbewerbs oft zu Überschneidungen mit Ziff. A-7.1 kommen wird. 386 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13, GRUR 2015 909, 914; BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11, GRUR 2015 672, 679; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12, GRUR 2014 883, 889; Krieger/Schneider/Kellenter § 27 Rn. 17 ff. 387 Die ursprüngliche Begründung über die Grundsätze der Störerhaftung (BGH 26.9.1985 – I ZR 86/83, GRUR 1986 248) hat der BGH mittlerweile zumindest für das Wettbewerbsrecht aufgegeben, vgl. BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08, GRUR 2011 152, 156 m. w. N.; KG Berlin 13.11.2012 – 5 U 30/12, BeckRS 2013 17. 388 BGH 5.12.1989 – VI ZR 335/88, NJW 1990 976, 977 f. 389 OLG Hamburg 14.12.2005 – 5 U 200/04, GRUR-RR 2006 182, 183 f.; OLG Hamburg 17.4.2002 – 5 U 24/01, GRURRR 2002 240, 242 f.; OLG Frankfurt 11.5.2000 – 6 U 32/00, GRUR-RR 2001 198, 199; vgl. Krieger/Schneider/Kellenter § 23 Rn. 19 f. m. w. N.; Werner GRUR 2009 820, 823 m. w. N. 390 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13, GRUR 2015 909, 914; BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11, GRUR 2015 672, 679; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12, GRUR 2014 883, 889; BGH 10.7.2012 – VI ZR 341/10, NJW 2012 3439, 3441; Krieger/Schneider/ Kellenter § 27 Rn. 17 ff.; Werner GRUR 2015 739, 740 ff. 391 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13, GRUR 2015 909, 914; BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11, GRUR 2015 672, 679; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12, GRUR 2014 883, 889; Krieger/Schneider/Kellenter § 27 Rn. 17 ff.; Werner GRUR 2015 739, 740 ff. 392 Ebd. Gädtke

998

K. Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „punitive damages“, Ziff. A-7.10

AVB D&O A-7

K. Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „punitive damages“, Ziff. A-7.10 I. Sinn und Zweck Ziff. A-7.10 wurde im Vergleich zur letzten kommentierten Fassung in den AVB-AVG Mai 2013 99 konkretisiert und schließt den Versicherungsschutz für Haftpflichtansprüche wegen Schäden aufgrund ganz unterschiedlicher Sanktionen – „Vertragsstrafen, Kautionen, Bußgeldern393 und Entschädigungen mit Strafcharakter (punitive und exemplary damages)“ – aus, die gegen den Versicherungsnehmer oder eine Tochtergesellschaft verhängt oder von ihnen übernommen wurden. Nach den Erläuterungen des GDV beruhen Vertragsstrafen auf einer vertraglichen Zusage, nicht auf einem gesetzlichen Haftungstatbestand, und sind bereits deswegen nicht vom Versicherungsschutz umfasst.394 Bußen und Geldstrafen seien darüber hinaus nicht versicherbar, weil sie das Sanktionsprinzip des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts unterliefen.395 Darüber hinaus entspräche es nicht dem Zweck der D&O-Versicherung, Bußen und Vertragsstrafen abzusichern – dies gelte insbesondere für punitive und exemplary damages.396 Der Ausschluss in Ziffer A-7.10 sei konstitutiv und schließe Regressansprüche versicherter Unternehmen gegen ihre Geschäftsleiter aus. Der GdV weist aber darauf hin, dass im Markt teilweise Regelungen angeboten würden, die den Innenregress (teilweise) in den Versicherungsschutz einbezögen.

II. Versicherbarkeit von Geldstrafen, Geldbußen und Regressansprüchen Ob und inwieweit persönliche Geldstrafen und -bußen sowie mögliche Regressansprüche, die 100 der VN nach Verhängung einer Verbandsgeldbuße gegen seine Organmitglieder aufgrund der Verletzung von Organisations- und Kontrollpflichten geltend macht, versicherbar sind, hängt vorrangig davon ab, welchen Sanktionszweck sie verfolgen und wie weit dieser reicht.

1. Sanktionscharakter von Geldstrafe, Geldbuße und Verbandsgeldbuße Mit der Geldstrafe wird der Täter wegen einer vorwerfbaren sozialethisch schwerwiegenden 101 Verfehlung getadelt und – sofern die Strafe nicht durch Strafbefehl auferlegt wurde – öffentlich „angeprangert“.397 Sie bringt einerseits (generalpräventiv) gegenüber der Allgemeinheit zum Ausdruck, welche Rechtsfolgen derjenige zu erwarten hat, der sich über die strafrechtlichen Verbote und Gebote hinwegsetzt.398 Andererseits soll sie (spezialpräventiv) den Täter selbst ansprechen und ihn von weiteren Straftaten abhalten.399

393 Richtigerweise muss es „Geldbuße“ heißen (vgl. § 17 OWiG). Eine durchschnittliche VN bzw. versicherte Person dürften den Begriff „Bußgeld“ allerdings trotzdem zutreffend verstehen (zu den Grundsätzen der Auslegung von AVB vgl. oben Rn. 5 ff.). So auch van Bühren/Lenz § 26 Rn. 166. 394 Erläuterungen des GDV zu A-7.10. (Stand Dezember 2020); Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 791, 796; kritisch van Bühren/Lenz § 25 Rn. 165, der den Ausschluss von Vertragsstrafen aufgrund des Umstands, dass diese wegen ihrer vertraglichen Natur schon gar nicht in den Anwendungsbereich der D&O-Versicherung fallen, als unklar bezeichnet. 395 Erläuterungen des GDV zu A-7.10 (Stand Dezember 2020); Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 213, 797; so auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 7; ebenso Olbrich 134, 188. 396 Erläuterungen des GDV zu A-7.10 (Stand Dezember 2020). 397 KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 5. 398 Ausführlich Schönke/Schröder/Kinzig Vorbem. zu den §§ 38 ff. Rn. 3 ff.; MüKo-StGB/Radtke Vorbem. zu den §§ 38 ff. Rn. 35 ff. 399 Ebd. 999

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

Die Geldbuße gewinnt ihre Konturen aus dem Vergleich mit der Geldstrafe.400 Sie knüpft in der Regel an die rechtswidrige und vorwerfbare Verwirklichung eines Ordnungswidrigkeitentatbestands an.401 Von ihrer sozialethischen Wirkung her ist sie neutral, sie stellt lediglich eine nachdrückliche Pflichtenmahnung dar.402 Wie die Geldstrafe hat die Geldbuße general- und spezialpräventiven Charakter. Dazu bezweckt sie (nachrangig)403 die Abschöpfung des aus der Tat gezogenen wirtschaftlichen Vorteils.404 Anders als beim strafrechtlichen Verfall405 ist die Abschöpfung des Mehrerlöses konstitutiver Bestandteil der Geldbuße, wenn auch die Bemessungsgrundlagen für jede der beiden Funktionen – Ahndung und Abschöpfung – so unterschiedlich definiert sind, dass die Geldbuße praktisch aus zwei getrennt zu berechnenden Sanktionen besteht.406 Ein weiterer Unterschied zum strafrechtlichen Verfall besteht insofern, als für die Abschöpfung nicht das Brutto-, sondern das Nettoprinzip gilt.407 103 Bei der Verbandsgeldbuße408 (§§ 30 OWiG, 81 GWB, § 83 Abs. 4 DSGO), die eine Besonderheit des Ordnungswidrigkeitenrechts gegenüber dem StGB darstellt,409 spielt der Abschöpfungsgedanke in der Praxis eine wesentliche Rolle. Die Höhe der Geldbußen in den diversen Kartellund Korruptionsverfahren resultiert gerade aus der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils, den das Unternehmen durch die jeweiligen Taten erzielte. Die Verbandsgeldbuße wird generell wegen eines Normbruchs verhängt, der unmittelbar von den Repräsentanten, insbesondere den Organmitgliedern der Gesellschaft begangen worden ist.410 Die Sanktionszwecke sind grundsätzlich identisch mit denen der Geldbuße gegen die handelnden natürlichen Personen.411 Die Verbandsgeldbuße soll den Organen und Vertretern ins Bewusstsein rufen, dass Regelverstöße nicht nur für sie selbst, sondern vor allem auch für die von ihnen repräsentierte Gesellschaft nachteilige Folgen haben können.412 Sie koppelt den bezweckten wirtschaftlichen Nachteil, die „Zufügung eines Übels“,413 an das Gesellschaftsvermögen,414 bemisst also die Höhe der Geldbuße an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Gesellschaft, um die juristische Person gegenüber einem Einzelunternehmer nicht besser zu stellen;415 zugleich soll sie das Unternehmen als Normadressaten dazu veranlassen, die relevanten (kartell- oder datenschutzrechtlichen) Regelungen einzuhalten.416 Zudem soll die Gesellschaft zu einer sorgfältigen Auswahl ihrer Repräsentanten angehalten werden.417

102

400 401 402 403 404 405

KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 4. Ebd. Bei der Verbandsgeldbuße kann sie u. U. auch an die Straftat einer Individualperson anknüpfen. KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 7. KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 4, 10 m. w. N. A.a.O. Rn. 10. §§ 73 ff. StGB. Zur umstrittenen Bestimmung des erlangten „etwas“ im Sinne von § 73 StGB vgl. MüKo-StGB/ Joecks/Meißner § 73 Rn. 29 ff.; i. Ü. Lackner/Kühl/Heger § 73 Rn. 1, 3 ff. 406 KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 10. 407 KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 119. 408 Vgl. dazu näher Achenbach NZWiSt 2012 321 ff.; ders. wistra 2012 413 ff.; Hetzer EuZW 2007 75 ff.; Tiedemann NJW 1988 1169 ff. 409 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen bzw. Verbänden gibt es im deutschen Recht nicht. 410 KK-OWiG/Rogall § 30 Rn. 16, 141. 411 Ebd. 412 Ebd. 413 Thomas NZG 2015 1409, 1411 mwN. 414 Ebd.; Dreher VersR 2015 781, 787. 415 R. Koch VersR 2015 655, 658 mit Zitat der entsprechenden Gesetzesbegründung zu § 30 OWiG. 416 Vgl. z. B. LAG Düsseldorf BB 2015 907 909 (Kartellgeldbuße – Schienenkartell). 417 Ebd. Gädtke

1000

K. Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „punitive damages“, Ziff. A-7.10

AVB D&O A-7

2. Versicherbarkeit von Geldstrafen und Geldbußen (Außenverhältnis) Zur Begründung der Auffassung, dass der aus einer persönlichen Geldstrafe oder Geldbuße re- 104 sultierende Vermögensschaden418 einer versicherten Person nicht versicherbar sei, wird häufig darauf verwiesen, dass eine solche Versicherung den Sanktionszweck des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts verletze.419 Dabei wird implizit vorausgesetzt, dass die Versicherung von Geldstrafen und -bußen vollständig wie eine vorherige („vortatliche“) Zusage des Unternehmens420 an seine Organmitglieder oder Arbeitnehmer, eine mögliche Geldstrafe oder -buße (freiwillig) zu erstatten, zu behandeln ist.421 Die Unwirksamkeit wird meist sowohl aus § 134 BGB i. V. m. strafrechtlichen Normen als auch aus § 138 BGB hergeleitet.422 § 93 Abs. 4 S. 3 AktG, der teilweise zusätzlich zur Begründung der Unwirksamkeit von vorherigen Erstattungszusagen des Unternehmens gegenüber seinen Organmitglieder herangezogen wird,423 spielt für die Frage der Versicherbarkeit von Geldstrafen und Geldbußen keine Rolle. Zwar ließe sich argumentieren, dass der VN über den Einkauf der D&O-Versicherung indirekt eine Erstattung des aus Geldstrafen und Geldbußen resultierenden Vermögensschadens der versicherten Person finanziert. Dass die gesellschaftsfinanzierte D&O-Versicherung zulässig ist und keinen Verstoß gegen § 93 Abs. 4 S. 3 AktG darstellt, steht aber mittlerweile außer Frage.424 § 103 VVG setzt der Versicherbarkeit von Geldstrafen und -bußen von vornherein Grenzen, 105 schließt sie aber nicht aus. Die Regelung ist darüber hinaus zu Gunsten der versicherten Person in den Grenzen von § 138 BGB abdingbar.425 Auch versicherungsaufsichtsrechtlich ist die Versicherbarkeit nicht explizit untersagt. Die Aufsichtsbehörden können gem. § 81 VAG grundsätzlich einschreiten, wenn ein Missstand vorliegt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Klausel zivilrechtlich unwirksam ist. Die Versicherung von Geldstrafen und -bußen dürfte außerdem keine unzulässige Eigenschadenversicherung darstellen, da beide Sanktionen strukturell Ansprüchen Dritter ähneln, wenn auch nicht in Form von Haftpflichtansprüchen aufgrund eines Vermögensschadens, sondern von staatlichen Ansprüchen zur Sanktion schuldhaften Verhaltens. Darüber hinaus ist eine Eigenschadenversicherung in der Haftpflichtversicherung zwar systemfremd, aber nicht per se unzulässig.426

a) Verbotsgesetze. § 134 BGB steht der Versicherung von Geldstrafen und -bußen regelmäßig 106 nicht entgegen. Die als Verbotsgesetze in Betracht kommenden strafrechtlichen Normen sind in aller Regel nicht erfüllt.427 Das gilt zunächst für § 258 StGB. Die Verurteilung zu einer Geld418 Zur Debatte, ob Geldstrafe und -buße überhaupt einen ersatzfähigen Vermögensschaden beinhalten können oder dies zumindest bei der Geldstrafe ausgeschlossen ist, weil sie höchstpersönlicher Natur ist, vgl. Zimmermann WM 2008 433, 436 und Krause NStZ 2000 225, 229, die beide zutreffend von einem Vermögensschaden ausgehen. Vgl. dazu auch unten Rn. 121. 419 Vgl. etwa Ihlas 358; Olbrich 134; Fleischer Hdb. des Vorstandsrechts (2006) § 12 Rn. 54. 420 Dazu Krieger/Schneider/Marsch-Barner/Wilk § 21 Rn. 39 ff. Die Frage nach der Wirksamkeit der vortatlichen Zusage umfasst die Frage, ob bei Geldstrafen und -bußen überhaupt ein Vermögensschaden vorliegt, ist aber nicht deckungsgleich mit ihr, sondern enthält weitere Probleme. 421 Vgl. Ihlas 358; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 796 f.; Olbrich 134; Fleischer Hdb. des Vorstandsrechts (2006) § 12 Rn. 54; Thomas Haftungsfreistellung 407. 422 Ebd. sowie Fleischer WM 2005 909, 916; Holly/Friedhofen NZA 1992 145, 148 f., 152 f. 423 Etwa Fleischer WM 2005 909, 917; Krieger/Schneider/Marsch-Barner/Wilk § 21 Rn. 40 m. w. N. 424 Bruck/Möller/Baumann9 Allg. Einführung vor Ziff. 1 Rn. 28; Beck-Online Grosskommentar AktG/Fleischer § 93 Rn 275; E. Lorenz Liber Amicorum Prölss (2009) 177, 186 f.; Fleischer WM 2005 909, 919. 425 Langheid/Wandt/Littbarski § 103 Rn. 16; Prölss/Martin/Armrbüster § 81 Rn. 86. 426 So ist eine Forderungsausfalldeckung, in der die Grundsätze der Haftpflichtversicherung entsprechend anzuwenden sind, zulässig, vgl. OLG Stuttgart 19.7.2012 – 7 U 50/12, VersR 2013 96, 97; OLG Stuttgart 19.7.2012 – 7 U 84/ 12, VersR 2013 98, 99; OLG Hamm 13.7.2012 – I-20 U 9/12, VersR 2013 93, 94. 427 Thomas Haftungsfreistellung 404 ff.; Ruttmann Versicherbarkeit 67 ff. 1001

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

strafe verpflichtet den Verurteilten, einen bestimmten Geldbetrag an die Gerichtskasse zu zahlen und soll außerdem eine „persönliche Betroffenheit“ bewirken.428 Letztere ist mit Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchzusetzen und daher nicht Gegenstand der Strafvereitelung.429 Trägt ein Dritter – ohne in den äußeren Ablauf der Vollstreckung einzugreifen – nur dazu bei, dass der Verurteilte von der Strafe nicht oder weniger persönlich betroffen ist, vereitelt er den staatlichen Strafanspruch daher nicht.430 Ob dies durch eine vorherige Erstattungszusage oder eine nachträgliche Erstattung des mit der Geldstrafe festgesetzten Betrags erfolgt, ist irrelevant.431 Gleiches gilt für eine Versicherung von Geldstrafen und -bußen.432 Ebenso wenig wie die Differenzierung zwischen vorheriger und nachträglicher Erstattungszusage kann entscheidend sein, ob der VR den Betrag gem. § 106 VVG direkt an die Staatskasse bezahlt oder der versicherten Person erstattet. Eine Begünstigung gem. § 257 StGB liegt ebenfalls nicht vor, weil die Übernahme der Geldstrafe oder -buße nicht dazu dient, die Vorteile der Tat zu sichern.433 § 266 StGB ist gleichfalls nicht erfüllt. Denkbar ist eine Verletzung der Vermögensbetreuungs107 pflicht der zuständigen Organmitglieder von VR und VN. Eine solche Verletzung liegt jedoch nicht vor, „solange die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, nicht überschritten sind.“434 Bei Erstattungszusagen durch die Gesellschaft ist entscheidend, ob die freiwillig erbrachte Leistung an das Organmitglied, dem die Geldstrafe auferlegt wurde, einen „zukunftsbezogenen Nutzen“ für die Gesellschaft hat.435 Für den Abschluss einer Versicherung für Geldstrafen, die einem Organmitglied möglicherweise zukünftig auferlegt werden, lassen sich auf Seiten des VN eine Reihe von Gründen mit zukunftsbezogenem Nutzen anführen, z. B. die Vermeidung von negativer Öffentlichkeitswirkung aufgrund einer durch Rechtsmitteleinlegung verlängerten Verfahrensdauer.436 Auf Seiten des VR dürfte ebenfalls ein zukunftsbezogener Nutzen bestehen, da sich ein potentieller Einschluss von Geldstrafen und/oder -bußen bei der Prämiengestaltung auswirken oder ggf. einen Vorteil gegenüber Wettbewerbern bedeuten kann. Da § 266 StGB nur das Vermögen des Treugebers schützen soll, ist es im Rahmen seiner Anwendung irrelevant, ob die Versicherung von Geldstrafen und/oder -bußen aus anderen Gründen zivilrechtlich unwirksam oder ethisch bedenklich ist.437 Auch eine Beihilfe gem. § 27 StGB oder – bei Geldbußen – eine ordnungswidrigkeitenrechtli108 che Beteiligung gem. § 14 OWiG liegen regelmäßig nicht vor. Beide Beteiligungsformen können sich nur auf eine Teilnahme an vorsätzlichen Straftaten beziehen, kommen also bei Fahrlässigkeitstaten nicht in Betracht.438 Sie verlangen darüber hinaus jeweils, dass eine hinreichende Konkretisierung der Haupttat vorliegt, d. h. eine bestimmte, ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt und der Angriffsrichtung nach umrissene, nicht notwendig schon in allen Einzelheiten konkretisierte 428 429 430 431

BGH 7.11.1990 – 2 StR 439/90, NJW 1991 990, 992. Ebd. Ebd.; Thomas Haftungsfreistellung 405; ausführlich Ruttmann Versicherbarkeit 70 ff. BGH 15.4.2010 – IX ZR 189/09, WM 2010 993, 993 f.; BAG 25.1.2001 – 8 AZR 465/00, NJW 2001 1962, 1963; BGH 14.11.1996 – IX ZR 215/95, NJW 1997 518, 519; BGH 7.11.1990 – 2 StR 439/90, NJW 1991 990, 993; Kapp NJW 1992 2796, 2797. 432 A. A. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 213, 797. 433 BGH 15.4.2010 – IX ZR 189/09, WM 2010 993, 993 f.; BAG 25.1.2001 – 8 AZR 465/00, NJW 2001 1962, 1963; BGH 14.11.1996 – IX ZR 215/95, NJW 1997 518, 519; BGH 7.11.1990 – 2 StR 439/90, NJW 1991 990, 992 f.; Thomas Haftungsfreistellung 404; Ruttmann Versicherbarkeit 77. 434 BGH 21.12.2005 – 3 StR 470/04, NJW 2006 522, 523; vgl. auch Thomas Haftungsfreistellung 412 ff.; Ruttmann Versicherbarkeit 77 ff. 435 Thomas Haftungsfreistellung 413 unter Bezug auf BGH 21.12.2005 – 3 StR 470/04, NJW 2006 522, 524; Ruttmann Versicherbarkeit 79. 436 Vgl. ausführlich zum möglichen Nutzen Thomas Haftungsfreistellung 413 f. m. w. N.; Hoffmann/Wißmann StV 2001 249, 250. 437 Ebenso Thomas Haftungsfreistellung 414 f. 438 KK-OWiG/Rengier § 14 Rn. 30. Gädtke

1002

K. Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „punitive damages“, Ziff. A-7.10

AVB D&O A-7

Handlung, die die Voraussetzungen einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat erfüllt und nach der Vorstellung des Teilnehmenden nicht nur versucht, sondern vollendet werden soll.439 Diese Voraussetzung ist aber regelmäßig nicht erfüllt: Die vorherige Zusage einer Erstattung von Geldstrafen und/oder -bußen, die gegen das Organmitglied verhängt werden, kann keine Beihilfe gem. § 27 StGB bzw. Beteiligung gem. § 14 OWiG darstellen, sofern mit ihr keinerlei Eingrenzung oder Präzisierung auf eine konkretisierte Tat verbunden ist.440

b) Sittenwidrigkeit. Ob die vorherige441 Erstattungszusage nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwid- 109 rig und damit nichtig ist, ist umstritten. Nach Auffassung des BAG und einiger Instanzgerichte442 sowie der zutreffenden h. M. in der Literatur443 ist sie regelmäßig als Verstoß gegen die guten Sitten gem. § 138 BGB nichtig, weil sie dem Zweck der Straf- und Bußgeldvorschriften zuwiderläuft und geeignet ist, die Hemmschwelle des jeweils durch die Zusage Begünstigten, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu begehen, herabzusetzen. Nach einer früher vertretenen Auffassung ist es hingegen nicht Aufgabe des Zivilrechts, 110 in Einschränkung des Freiheitsraums des Bürgers ohne Anordnung des Gesetzgebers Funktionen zu übernehmen, die das Strafrecht selbst aufgegeben habe.444 Dementsprechend könne die vorherige Erstattungszusage nach der Entscheidung des BGH, sie nicht mehr als Strafvereitelung zu werten, auch nicht als sittenwidrig i. S. v. § 138 BGB angesehen werden.445 Zumindest müsse dies für die vorherige Zusage einer Erstattung von Geldstrafen und -bußen aus fahrlässigen Taten gelten.446 Diese Auffassung ist jedoch nicht überzeugend. Die Tatsache, dass ein bestimmtes Verhalten von den Straftatbeständen nicht erfasst wird und damit grundsätzlich nicht als sozialethisch schwerwiegende Verfehlung zu gelten hat, bedeutet nicht gleichzeitig, dass es auch schon als den guten Sitten entsprechend anzusehen ist. Die Messlatte für die Beurteilung eines Verhaltens als strafwürdig ist höher als diejenige für seine Einschätzung als sittenwidrig. Ist dies der Fall, kann unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit immer noch ein Verstoß gegen die guten Sitten in Betracht kommen, der eigenständig zu prüfen ist.447 Auch wenn eine Entlastung von den straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen 111 unzulässig ist, sind die Kosten, die erforderlich sind, um sich gegenüber einer derartigen Sanktion zur Wehr zu setzen, grundsätzlich versicherbar.448 Üblicherweise sind derartige Kostenübernahmeregelungen Gegentand einer Strafrechtsschutzversicherung. In der D&O-Versicherung finden sich entsprechende Kostenschutzregelungen für straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Vorwürfe, wenn die in Frage stehende Pflichtverletzung einen unter den Versicherungsschutz fallenden zivilrechtlichen Haftungsanspruch zur Folge haben kann. Der Strafrechtsschutz in einer D&OVersicherung ist insbesondere dann relevant, wenn eine Strafrechtsschutzversicherung (wie häufig) gar nicht abgeschlossen wurde oder aufgrund von Summenausschöpfung im konkreten Fall

439 KK-OWiG/Rengier § 14 Rn. 31. 440 Ruttmann Versicherbarkeit 80 ff. insbesondere 82, 83; Rehbinder ZHR 48 (1984) 555, 564 m. w. N. 441 Nachträgliche („nachtatliche“) Erstattungszusagen werden von der h. M. grundsätzlich als zulässig angesehen; vgl. Krieger/Schneider/Marsch-Barner/Wilk § 21 Rn. 39 m. w. N. Sie sind jedoch an den Schranken des § 93 Abs. 2 und 4 AktG zu messen, vgl. Fleischer WM 2005 909, 917 m. w. N. 442 BAG 25.1.2001 – 8 AZR 465/00, NJW 2001 1962, 1963; FG Köln 10.11.2004 – 14 K 459/02, DStRE 2006 203, 207; vgl. auch LAG Hamm 30.7.1990 – 19 (14) Sa 1824/89, NJW 1991 861, 861 (ohne ausdrücklichen Bezug auf § 138 BGB). 443 Ausführliche Diskussion bei Ruttmann Versicherbarkeit 85 ff., 105; Dreher VersR 2015 781, 792; Armbrüster/ Schilbach RuS 2016 109, 112; MüKo-BGB/Armbrüster § 138 Rn. 42; Holly/Friedhofen NZA 1992 145, 148 f., 152 f. Außerdem (mit einigen Einschränkungen) Thomas Haftungsfreistellung 408 f. 444 Rehbinder ZHR 148 (1984) 555, 564; zustimmend Kapp NJW 1992 2796, 2798. 445 Kapp NJW 1992 2796, 2798. 446 Kapp NJW 1992 2796, 2798. 447 So verfährt auch der BGH in BGH 17.4.1970 – I ZR 124/68, NJW 1970 1179, 1179 f. 448 Vgl. auch Ruttmann Versicherbarkeit 112 ff.; Dreher VersR 2015 781, 793. 1003

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

nicht mehr zur Verfügung steht.449 Aus Sicht des VR ist diese Deckung sinnvoll, um möglichst frühzeitig Einfluss auf die Verteidigung gegen die vorgeworfene Pflichtverletzung nehmen zu können und so mögliche Inkonsistenzen bei der Verteidigung gegen den straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorwurf und den (späteren) zivilrechtlichen Haftungsanspruch von vornherein zu vermeiden. Auch insoweit gilt allerdings, dass die vom VR geleisteten Zahlungen zurückzuerstatten sind, wenn bestands- bzw. rechtskräftig feststeht, dass die Pflichtverletzung vorsätzlich oder wissentlich erfolgte.450

3. Versicherbarkeit von Regressansprüchen des VN gegen seine Organmitglieder aufgrund verhängter Verbandsgeldbußen (Innenverhältnis) 112 Die Versicherbarkeit von Schadensersatzansprüchen des VN gegen seine Organmitglieder aufgrund des Vermögensschadens, den der VN durch eine ihm auferlegte und durch eine Aufsichtspflichtverletzung der Organmitglieder verursachte Verbandsgeldbuße erlitten hat, hängt zum einen (jedenfalls hinsichtlich des Freistellungsanspruchs) davon ab, ob ein solcher Regressanspruch haftungsrechtlich überhaupt zulässig ist, zum anderen davon, ob der Versicherung des Innenregresses die Sanktionszwecke der Verbandsgeldbuße entgegenstehen.

113 a) Zulässigkeit eines Regresses. Ob ein Regressanspruch des VN gegen seine Organmitglieder nach Verhängung einer Verbandsgeldbuße besteht, ist nach wie vor äußerst umstritten.451 Die für einen solchen Regressanspruch erforderliche Pflichtverletzung des Organmitglieds ergibt sich regelmäßig aus einer Verletzung der Legalitätspflicht, also der Pflicht der Organmitglieder, sich bei ihrer gesamten Amtsführung rechtmäßig zu verhalten. Sie verpflichtet die Organmitglieder, zum einen die durch AktG bzw. GmbHG, Satzung und Geschäftsordnung konkretisierten Geund Verbote und zum anderen sämtliche Rechtsvorschriften zu beachten, die die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen.452 Dazu zählen die Vorschriften des deutschen, aber auch des internationalen Rechts, etwa des europäischen Kartell- und, soweit anwendbar, des US-amerikanischen Antitrustrechts.453 Eine Pflichtverletzung der Organmitglieder im Außenverhältnis stellt regelmäßig auch eine solche im Innenverhältnis zur Gesellschaft dar.454 Darüber hinaus haften Organmitglieder, wenn Mitarbeiter des Unternehmens Straftaten 114 oder Ordnungswidrigkeiten begehen und den Organmitgliedern ein Verstoß gegen ihre Aufsichtspflicht, d. h. die Organisation des Unternehmens, ordnungsgemäße Auswahl sowie systematische Anleitung und Überwachung der Mitarbeiter, vorzuwerfen ist.455 In der Aktiengesellschaft456 gehört die Aufsichtspflicht zu den zentralen Pflichten des Vorstands. Eine partielle 449 Vgl. auch Ruttmann Versicherbarkeit 115 ff., 117. 450 Vgl. auch Dreher VersR 2015 781, 793. 451 Vgl. etwa LAG Düsseldorf 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, NZKart 2015 277 – Schienenkartell; LG Saarbrücken 15.9.2020 – 7 HK O 6/16, NZKart 2021 64; Lotze NZKart 2021 261; Leclerc NZKart 2021 220; Grau/Dust ZRP 2020 134; Stancke BB 2020 1667; Bunte NJW 2018 123; Lotze/Heyers NZKart 2018 29; Grunewald NZG 2016 1121; Kersting ZIP 2016 1266; Dreher VersR 2015 781; Seibt NZG 2015 1097; Thomas NZG 2015 1409; R. Koch VersR 2015 655; Binder/ Kraayvanger BB 2015 1219; Ruttmann Versicherbarkeit 247 ff. 452 Hüffer/Koch/Koch § 93 Rn. 6; Lutter DZWIR 2011 265, 266; Krieger/Schneider/Wilsing § 31 Rn. 19 sowie Rn. 25 ff. zu Einschränkungen der Legalitätspflicht z. B. bei unklarer oder umstrittener Rechtslage; Zimmermann WM 2008 433, 435; Fleischer ZIP 2005 141, 142 ff. 453 Lutter DZWIR 2011 265, 266; Fleischer BB 2008 1070, 1070; Krieger/Schneider/Wilsing § 31 Rn. 19. 454 Fleischer BB 2008 1070, 1070 f. (auch zur Behandlung sog. (angeblich) nützlicher Pflichtverletzungen); Krieger/Schneider/Wilsing § 31 Rn. 20; Thole ZHR 173 (2009) 504, 509; Fleischer ZIP 2005 141, 144. 455 Lutter DZWIR 2011 265, 266; Krieger/Schneider/Wilsing § 31 Rn. 21; Zimmermann WM 2008 433, 435 f. und Dreher FS Konzen (2006) 85, 97 f. (jeweils für den Bereich des Kartellrechts). 456 In der GmbH gelten die Grundsätze entsprechend, vgl. im Einzelnen Michalski/Ziemons § 43 Rn. 59, 174, 256 ff. Gädtke

1004

K. Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „punitive damages“, Ziff. A-7.10

AVB D&O A-7

Delegation dieser Pflicht ist zwar möglich, die Gesamtverantwortung für die organisatorischen Maßnahmen zur Einhaltung der Rechtstreue verbleibt aber stets beim Vorstand,457 im Konzern beim Konzern-Vorstand.458 Sind die organisatorischen Maßnahmen nicht ausreichend und kommt es deswegen etwa zum Verstoß gegen kartellrechtliche Bestimmungen oder zu Korruptionsstraftaten, liegt eine Aufsichtspflichtverletzung der Vorstandsmitglieder gem. § 130 OWiG vor, die einen Durchgriff459 auf die Aktiengesellschaft durch Verhängung einer Verbandsgeldbuße gem. § 30 OWiG ermöglicht. In diesem Fall kommt ein Innenverhältnisanspruch des VN gegen die verantwortlichen Organmitglieder, d. h. grundsätzlich des gesamten Vorstands vorbehaltlich der genauen Ressortverteilung und der sich daraus ergebenden Pflichtenstellung des Einzelnen und seiner Exkulpationsmöglichkeiten, in Betracht. Die bisherige Rechtsprechung460 und ein großer Teil der Literatur461 lehnen Regressansprü- 115 che des Unternehmens gegen seine Organmitglieder nach Verhängung einer Verbandsgeldbuße aus verschiedenen Gründen ab. Zum einen widerspreche die Zulassung eines Innenregresses dem Sanktionszweck der Verbandsgeldbuße (vgl. Rn. 122), der sich gerade an das Unternehmen richte.462 Solle die Verbandsgeldbuße das rechtswidrige Verhalten des Unternehmens in der Vergangenheit sanktionieren und es in Zukunft zu rechtmäßigem Verhalten veranlassen, müsse die Geldbuße endgültig das Unternehmen und damit die Unternehmensträger treffen.463 Zum anderen würden die Unterschiede in der Bemessung von Geldbußen gegen natürliche Personen und von Verbandsgeldbußen durch den Innenregress ausgehebelt (vgl. dazu §§ 17 Abs. 3, 4 OWiG, § 81 Abs. 4 GWB).464 Der Innenregress führe darüber hinaus zu einer „Übermaßhaftung“465 des Organmitglieds qua Doppelbelastung, sofern gegen dieses auch eine persönliche Geldbuße festgesetzt wurde.466 Der Schaden sei daher nicht mehr vom Schutzbereich des § 93 Abs. 2 S. 1 AktG umfasst.467 Nach anderer Ansicht führt die Einordnung von Kartellgeldbußen als erstattungsfähiger Schadensposten zu einem Wertungswiderspruch innerhalb der Rechtsordnung und sei daher nach dem Dogma der Einheitlichkeit der Rechtsordnung abzulehnen.468 Schließlich verstieße der Innenregress bei kartellrechtlichen Bußen auch gegen das Prinzip des effet utile.469 Eine Regressierbarkeit von Kartellbußen konterkariere die der Kommission zugesprochene Kompetenz, die Kartellpolotik der Europäischen Union zu gestalten und bei Verletzung der kartellrechtlichen Regelungen Bußen mit abschreckender Wirkung zu verhängen. Sie berührte damit den Kern der öffentlich-rechtlichen Kartellverfolgung durch die Kommission und damit des Art. 101, 105 AEUV. Auch wenn das Gesellschaftsrecht in Bezug auf die Haftung von Unternehmensvorständen natio457 458 459 460

MüKo-AktG/Spindler § 91 Rn. 38; Hölters § 93 Rn. 97; Fleischer CCZ 2008 1, 3; ders. BB 2008 1070, 1072. Hölters/Hölters § 93 Rn. 111; Fleischer CCZ 2008 1, 5 f. KK-OWiG/Rogall § 130 Rn. 6. LAG Düsseldorf 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, NZKart 2015 277, 278 f. – Schienenkartell; LG Saarbrücken NZKart 2021 64. 461 Vgl. z. B. Leclerc NZKart 2021 220, 222 ff.; Bunte NJW 2018 123, 125; Grunewald NZG 2016 1121, 1123; Seibt NZG 2015 1097, 1101; Thomas NZG 2015 1409, 1416; Dreher VersR 2015 781, 788; Bachmann BB 2015 771, 775; Dreher FS Konzen (2006) 85, 103 ff. 462 Dreher FS Konzen (2006) 85, 103 ff., insbes. 105; Horn ZIP 1997 1129, 1136; Krause BB-Special 2007 2, 13. 463 Dreher FS Konzen (2006) 85, 106. So auch die Entscheidung des Court of Appeal im Fall Safeway Stores Ltd v Twigger 21.12.2010 [2010] EWCA Civ 1472 in Anwendung des ex turpi causa-Grundsatzes, anders die vorherige Instanz, vgl. High Court 15.1.2010 [2010] EWHC 11 (Comm). Zum Ganzen Morfey/Patton Competition Law Journal 2011 57 ff. 464 Dreher FS Konzen (2006) 85, 105; Horn ZIP 1997 1129, 1136. 465 Begriff von Thole ZHR 173 (2009) 504, 534. 466 Ebd. 467 Horn ZIP 1997 1129, 1136; Dreher FS Konzen (2006) 85, 106; vgl. auch Fleischer BB 2008 1070, 1073, der selbst a. A. ist. 468 Leclerc NZKart 2021 220, 222 ff. 469 LG Saarbrücken 15.9.2020 – 7 HK O 6/16, NZKart 2021 64, 65 (dort Rn. 122 f.); kritisch dazu Leclerc EWiR 2021 283, 284. 1005

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

nales Recht sei, dürfe dieses den sog. Allgemeinen Regeln des Europarechts nicht widersprechen; dies seien Nicht-Diskriminierung und die Wahrung des nützlichen Effekts, in diesem Fall des nützlichen Effekts der Art. 101, 105 AEUV. 116 Dass Geldstrafen und -bußen als Vermögensschäden i. S. v. §§ 249 ff. BGB anzusehen sind und dementsprechend Gegenstand von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen sein können, hat der BGH allerdings schon seit langer Zeit anerkannt.470 Voraussetzung ist, dass eine Verpflichtung des in Anspruch Genommenen bestand, den Täter vor der Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit und deren Folgen zu schützen.471 Eine derartige Verpflichtung stellt auch die Legalitätspflicht der Organe von Kapitalgesellschaften dar.472 Ein Ausschluss des Regressanspruchs bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung.473 Aus diesen Gründen werden die gegen den Ausschluss des Regressanspruchs vorgebrachten Gründe (vgl. Rn. 122) vielfach abgelehnt.474 Das Ordnungswidrigkeitenrecht gebe nicht vor, wie mit einer kumulativen Verantwortlichkeit auf der Ebene des Ordnungswidrigkeitenrechts zivilrechtlich umzugehen ist. Es sei mit anderen Worten nicht der Entscheidung der zuständigen Behörden überantwortet, wer die Geldbuße letztlich (zivilrechtlich) zu tragen habe.475 Das gilt gleichermaßen für die Verbandsgeldbuße wie auch für die gegen ein Organmitglied persönlich festgesetzte Geldbuße. 117 Die Autoren, die den Innenregress nach der Verhängunng einer Verbandsgeldbuße für zulässig gehalten, sprechen sich überwiegend dafür aus, dass der Regressanspruch der Gesellschaft der Höhe nach durch den Bußgeldrahmen, der für eine Geldbuße gegen das Organmitglied persönlich gilt, zu begrenzen ist.476 Als dogmatische Grundlage für eine derartige Begrenzung wird überwiegend nicht mehr auf sanktionsrechtliche Erwägungen abgestellt, sondern auf die Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Organen.477 Die schadensmultiplizierende Wirkung des Unternehmenskontextes ließe es als treuwidrig erscheinen, wenn die Gesellschaft ihren Schaden vollumfänglich auf ihre Organmitglieder abwälzte.478 Gegen diese Auffassung wird teilweise vorgebracht, dass im Vordergrund von § 93 Abs. 2 AktG die Kompensation des Schadens der Gesellschaft stehe, der bei einer entsprechenden Begrenzung nicht vollständig kompensiert würde.479 Darüber hinaus gälten die Zumessungskriterien der §§ 17

470 Vgl. BGH 15.4.2010 – IX ZR 189/09, WM 2010 993, 993 f.; BGH 14.11.1996 – IX ZR 215/95, NJW 1997 518, 519; BGH 31.1.1957 – II ZR 41/56, NJW 1957 586, 586; BAG 25.1.2001 – 8 AZR 465/00, NJW 2001 1962, 1963. Bei den Steuerberaterhaftungsfällen ging es dabei stets um eine vertragliche Verpflichtung, vgl. etwa BGH 15.4.2010 – IX ZR 189/09, WM 2010 993, 994. 471 Ebd. 472 So auch Thole ZHR 173 (2009) 504, 532. 473 Ebd. 474 Vgl. dazu z. B. Grau/Dust ZRP 2020 134, 136; MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 194; Kersting ZIP 2016 1266, 1268; R. Koch VersR 2015 655, 658 f.; J. Koch AG 2012 429, 433; ders. Liber Amicorum M. Winter (2011) 327, 333 ff.; Fabisch ZWeR 2013 91, 104, 106; Krieger/Schneider/Wilsing § 27 Rn. 39 ff.; Michalski/Haas/Ziemons, § 43 Rn. 205a; Werner CCZ 2010 143, 144 ff.; Marsch-Barner ZHR 173 (2009) 723, 730; Thole ZHR 173 (2009) 504, 525 ff., 532 ff.; Bayer FS K. Schmidt (2009) 85, 95 ff., insbes. 97; Zimmermann WM 2008 433, 436 f.; Fleischer BB 2008 1070, 1073; Glöckner/ Müller-Tautphaeus AG 2001 344, 345 f. 475 Fabisch ZWeR 2013 91, 106; Krieger/Schneider/Wilsing § 27 Rn. 39; Zimmermann WM 2008 433, 437; Fleischer BB 2008 1070, 1073; Glöckner/Müller-Tautphaeus AG 2001 344, 345 f. 476 Dafür z. B. Grau/Dust ZRP 2020 134, 136 f.; Hüffer/Koch § 93 Rn. 51b; MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 194; R. Koch VersR 2015 655, 659 f.; J. Koch AG 2012 429, 433 (mit allgemeinen Überlegungen zur Begrenzung der Regressfolgen); Fabisch ZWeR 2013 91, 111; Thole ZHR 173 (2009) 504, 533 f.; Bayer FS K. Schmidt (2009) 85, 97 f.; Fleischer BB 2008 1070, 1073; Dreher FS Konzen (2006) 85, 105. Dagegen Krieger/Schneider/Wilsing § 27 Rn. 41; Michalski/Haas/ Ziemons, § 43 Rn. 205a; Zimmermann WM 2008 433, 437 f. 477 Vgl. J. Koch AG 2012 429, 433; Hüffer § 93 Rn. 15; Thole ZHR 173 (2009) 504, 534; Bayer FS K. Schmidt (2009) 85, 97. 478 J. Koch AG 2012 429, 433. 479 Krieger/Schneider/Wilsing § 27 Rn. 41. Gädtke

1006

K. Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „punitive damages“, Ziff. A-7.10

AVB D&O A-7

Abs. 3 S. 2 OWiG, 81 GWB und das ihnen zugrunde liegende Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen der §§ 249 ff. BGB nicht.480 Sofern das Unternehmen den Gesamtbetrag der Geldbuße, also Ahndungs- und Abschöp- 118 fungsteil (vgl. Rn. 109) geltend macht, kommt allerdings ohnehin regelmäßig eine Vorteilsausgleichung in Betracht.481 Es liefe dem Zweck der Verbandsgeldbuße grundsätzlich zuwider, wenn wirtschaftliche Vorteile, die eine Gesellschaft im Vorfeld der Verhängung einer Verbandsgeldbuße aufgrund eines Gesetzesverstoßes erlangt hat, nicht auf ihren Ersatzanspruch gegen das Organmitglied angerechnet würden, da der unrechtmäßige Vorteil so letztlich doch bei ihr verbliebe.482 Das ist allerdings letztlich – auch hinsichtlich der Höhe des wirtschaftlichen Vorteils, der höher, aber auch niedriger als der in der Verbandsgeldbuße festgesetzte Abschöpfungsbetrag sein kann – eine Frage des Einzelfalls.483 Je nachdem, wie diese Frage zu beantworten ist, verbleibt ggf. nur der auf den Ahndungsteil entfallende Betrag als Gegenstand des Schadensersatzanspruchs.484

b) Versicherbarkeit des Regressanspruchs. Der Regressanspruch der Gesellschaft gegen 119 seine Organmitglieder ist nicht nur haftungsrechtlich zulässig, sondern auch versicherbar.485 Die für die Versicherbarkeit sprechenden Gründe resultieren dabei teilweise unmittelbar aus den für die Zulassung des Regressanspruchs genannten Überlegungen. Mit der Verhängung und Begleichung der Verbandsgeldbuße ist der Sanktionszweck der Verbandsgeldbuße erfüllt. Sofern man der Auffassung ist, dass der zivilrechtliche Ausgleich durch das Ordnungswidrigkeitenrecht nicht präjudiziert wird, sondern ein Regress gegen Geschäftsleiter zulässig ist, muss es auch zulässig sein, diesen zivilrechtlichen Haftungsanspruch zu versichern. Die mit der Verhängung der Geldbuße wie auch mit dem Haftungsanspruch gegen den Geschäftsleiter verbundene Steuerungsfunktion wird durch den D&O-Versicherungsschutz nicht aufgehoben.486 Das Bestehen einer D&O-Versicherung führt regelmäßig nicht dazu, dass die Organmitglieder ihre Legalitätspflicht nicht mit gleicher Sorgfalt erfüllen. Selbst wenn die Organmitglieder von einem grundsätzlich bestehenden Versicherungsschutz für derartige Regressansprüche Kenntnis haben, sind schon die Unwägbarkeit, ob im Schadenfall alle Voraussetzungen des Versicherungsschutzes erfüllt sind, und die mit solchen Regressansprüchen verbundene persönliche Belastung, die nicht zuletzt aus den häufig existenzbedrohlichen Schadensummen resultiert, Gründe genug, um die präventive Verhaltenssteuerung von vornherein zu gewährleisten. Die Versicherung des Regressanspruchs ist daher nicht gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig.487 4. Versicherbarkeit von im Ausland verhängten Geldstrafen und Geldbußen Bei D&O-Policen mit weltweiter Deckung, für die deutsches Recht als Versicherungsvertragssta- 120 tut bestimmt ist, stellt sich über die Versicherbarkeit von Geldstrafen und -bußen nach deutschem Recht hinaus auch die Frage nach der Versicherbarkeit im Ausland verhängter Geldstrafen und -bußen. Einige VR bieten mittlerweile beispielsweise (meist sublimitierten) 480 Zimmermann WM 2008 433, 437 f. 481 MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 194; Thomas NZG 2015 1409, 1414 f.; Fabisch ZWeR 2013 91, 106 ff.; Krieger/ Schneider/Wilsing § 27 Rn. 37 f.; Zimmermann WM 2008 433, 438 f.

482 Krieger/Schneider/Wilsing § 27 Rn. 37. 483 Vgl. dazu auch die Überlegungen bei Zimmermann WM 2008 433, 438 f.; Krieger/Schneider/Wilsing § 27 Rn. 38. 484 Vgl. Krieger/Schneider/Wilsing § 27 Rn. 37 f.; Michalski/Haas/Ziemons § 43 Rn. 205a; Zimmermann WM 2008 433, 439; Fleischer BB 2008 1070, 1073.

485 So auch Thomas NZG 2015 1409, 1416 f.; Dreher VersR 2015 781, 788 ff.; R. Koch VersR 2015 655, 660 f. 486 Vgl. dazu im Einzelnen Dreher VersR 2015 781, 789. 487 So auch Dreher VersR 2015 781, 789. 1007

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

Versicherungsschutz für civil penalties in deutschem Recht unterliegenden D&O-Policen mit weltweitem Deckungsbereich an, die aus fahrlässig begangenen Verstößen gegen Abschnitt 15 U.S.C. § 78dd-2(g) des Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) der USA resultieren, sofern ihnen dort kein Versicherungsverbot entgegensteht. Sie folgen damit der Praxis der VR in den USA, die für civil penalties aus dem FCPA, abweichend von der früheren Handhabung, inzwischen teilweise Versicherungsschutz in D&O-Policen oder Zusatzdeckungen bereitstellen, soweit gesetzlich gestattet. 121 Sofern kein ausländisches Versicherungsverbot vorliegt, das als Eingriffsnorm gem. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO berücksichtigungsfähig ist, bildet das deutsche materielle Recht und dort insbesondere § 138 BGB den Maßstab für die Beurteilung derartiger Regelungen.488 Bei dessen Anwendung ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Sachverhalt international ist, er also Berührungspunkte zu Staaten aufweist, in denen, verglichen mit der Situation in Deutschland, möglicherweise andere Moral- und Rechtsvorstellungen gelten.489 Eine Akzeptanz der ausländischen Wertvorstellungen ist gerechtfertigt, wenn und soweit einer Vertragspartei ein „moralischeres“ Verhalten wegen der Einbettung des an sich deutschen Vertrags in eine ausländische Umwelt nicht zugemutet werden kann.490 Andererseits soll aber ohne Not auch keine Anpassung an die ausländischen Sitten erfolgen, wenn diese nach inländischen Maßstäben an sich nicht gebilligt werden können.491 Allgemein ist die Abweichung vom inländischen Maßstab umso weniger berechtigt, je anstößiger das Verhalten nach deutschen Maßstäben ist und je enger der Bezug zum Inland ist.492 122 Die Versicherbarkeit ausländischer Geldstrafen und -bußen hängt damit in einem ersten Schritt davon ab, welche Zwecke mit ihnen nach der ausländischen Rechtsordnung verfolgt werden und ob diese selbst die Versicherbarkeit der Geldstrafen und -bußen zulässt. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die ausländische Sicht dem deutschen Verständnis in derartigem Maß widerspricht, dass die Versicherbarkeit nach deutschem Recht ausscheidet. 123 Ob civil penalties gem. dem FCPA nach US-Recht versicherbar sind, ist umstritten.493 Ein explizites Versicherungsverbot besteht bislang nicht. Bedenken resultieren insbesondere aus public policy-Grundsätzen.494 Sofern die Versicherbarkeit nach US-Recht bejaht wird, ist sie auch in einem deutschen Recht unterstehenden Versicherungsvertrag statthaft. Dafür spricht schon, dass die Versicherung von Geldbußen, die auf einer fahrlässig begangenen Aufsichtspflichtverletzung beruhen, auch nach deutschem Recht nicht sittenwidrig ist (vgl. oben Rn. 118), jedenfalls aber, dass die Zulässigkeit der Versicherung nach US-Recht selbst dann, wenn sie nach deutschem Recht eher als nicht statthaft anzusehen wäre, (graduell) keinen derartig starken Widerspruch zum deutschen Rechtsverständnis beinhaltet, dass die Versicherbarkeit nach deutschem Recht ausscheiden muss.

488 Ferrari u. a./Ferrari VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 13; MüKo-BGB/Spellenberg VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 150; zur Beachtung ausländischer Verbotsnormen über § 138 Abs. 1 BGB vgl. R. Koch VersR 2009 141, 143. 489 Ferrari u. a./Ferrari VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 13; MüKo-BGB/Spellenberg VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 150. 490 MüKo-BGB/Spellenberg VO (EG) 593/2008 Art. 10 Rn. 152 f. 491 Ebd. 492 Ebd. 493 Mast Murray/Podolsky John Liner Review 2011 67, 69, 74. 494 Ebd. Gädtke

1008

K. Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „punitive damages“, Ziff. A-7.10

AVB D&O A-7

5. Versicherbarkeit von Strafschadensersatz (punitive damages) Die Versicherbarkeit von Strafschadensersatz495 ist grundsätzlich nach denselben Grundsätzen 124 zu beurteilen, wie sie für die Versicherbarkeit im Ausland verhängter Geldstrafen und -bußen gelten (vgl. Rn. 122).

a) Begriff und Zweck des Strafschadensersatzes (punitive damages). Strafschadenser- 125 satz oder Entschädigung mit Strafcharakter (vgl. Ziff. A-7.10) sind die deutschen Ausdrücke für die Begriffe punitive bzw. (gleichbedeutend)496 exemplary damages. Beide bezeichnen eine Form der Bestrafung des Beklagten im Zivilprozess im Common Law, sind aber insbesondere im USRecht von Bedeutung. Eine Entsprechung im deutschen Recht existiert nicht. Inhaltlich handelt es sich um eine Zahlungsverpflichtung, die dem Beklagten im Urteil zusätzlich zu der Schadensersatzverpflichtung, die den Schaden des Klägers kompensieren soll, auferlegt wird.497 Teilweise werden in deutschen D&O-Policen mit weltweiter Deckung auch aggravated damages ausgeschlossen; diese bezeichnen eine besondere Form des kompensatorischen Schadensersatzes für immaterielle Schäden.498 Strafschadensersatz wird im US-Recht grundsätzlich dann verhängt, wenn die Pflichtverlet- 126 zung des Beklagten von besonderer Schwere war.499 Welcher Schweregrad den Anspruch auf Strafschadensersatz begründet, wird in den verschiedenen US-Bundesstaten unterschiedlich beantwortet; teilweise ist arglistiges Verhalten erforderlich, in der Regel genügt jedoch grobe Fahrlässigkeit.500 Des Weiteren muss ein Schaden des Klägers vorliegen, auch wenn der Strafschadensersatz selbst keine Kompensation dieses Schadens darstellt. Der Zweck des Strafschadensersatzes ist generell die Sanktionierung besonders schwerwiegender Pflichtverletzungen und der daraus resultierenden Gefahren für die Gesellschaft.501 Die näheren Zwecke des Strafschadensersatzes sind im Detail umstritten. Neben der Bestrafung des Schädigers502 sowie spezial- und generalpräventiven Zwecken503 soll der Strafschadensersatz auch einen Anreiz zur gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen für den Kläger beinhalten.504 Daneben werden dem Strafschadensersatz weitere Zielsetzungen zugerechnet, die jedoch nicht allgemein anerkannt sind, etwa die Funktion als mittelbarer Ersatz für die Prozesskosten des Klägers, die dieser nach US-Recht trotz Obsiegens grundsätzlich selbst zu tragen hat.505 Grundsätzlich ist der Kläger Gläubiger des Strafschadensersatzanspruches.506 In derzeit 127 acht US-Bundesstaaten gilt jedoch ein sog. split-recovery statute,507 was bedeutet, dass bei Verhängung von Strafschadensersatz ein bestimmter Anteil der Gesamtsumme an den Staat bzw. eine gemeinnützige staatliche Einrichtung abzuführen ist. In diesen Bundesstaaten ist folg495 Vgl. hierzu ausführlich Ruttmann Versicherbarkeit 225 ff.; Höra/Stempfle § 36 Rn. 91 ff.; F. Reif/Kapteina PHi 2000 193 ff.; Hoechst VersR 1983 13 ff.; vgl. auch van Bühren/Lenz § 25 Rn. 168. 496 TWNA v Clarke 2003 BCCA 670. 497 Höra/Stempfle § 36 Rn. 92; Ruttmann Versicherbarkeit 226. 498 TWNA v Clarke 2003 BCCA 670; Ruttmann a. a. O. 499 Vgl. Höra/Stempfle § 36 Rn. 99. 500 Zu den Kriterien der Verhängung von Strafschadensersatz vgl. Höra/Stempfle § 36 Rn. 92 ff., 100; Ruttmann Versicherbarkeit 226. 501 Höra/Stempfle § 36 Rn. 95; ausführlich Ruttmann Versicherbarkeit 227 ff. 502 Stevens, 21 Pepp. L. Rev. 857, 861; Ruttmann Versicherbarkeit 227. 503 Stevens, 21 Pepp. L. Rev. 857, 861; Ruttmann Versicherbarkeit 228. 504 Stevens, 21 Pepp. L. Rev. 857, 862. 505 Vgl. auch Ruttmann Versicherbarkeit 229 f. 506 Höra/Stempfle § 36 Rn. 92. 507 Alaska, Georgia, Illinois, Indiana, Iowa, Missouri, Oregon und Utah. Vgl. Ruttmann Versicherbarkeit 231 und https://www.americanbar.org/groups/litigation/committees/commercial-business/articles/2017/understanding-split-re covery-punitive-damages-statutes. 1009

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

lich auch die Staatskasse oder eine benannte staatliche Einrichtung Gläubiger des Strafschadensersatzanspruchs.

128 b) Versicherbarkeit des Strafschadensersatzes. Die Versicherbarkeit von Strafschadensersatzansprüchen wird in den einzelnen US-Bundesstaaten unterschiedlich beurteilt.508 Dabei wird teilweise zwischen der Haftung für eigenes Verschulden (direct liability) und der Haftung für zurechenbares Fremdverschulden (vicarious liability) differenziert. Die Versicherbarkeit von Strafschadensersatz, der aufgrund einer Haftung für zurechenbares Fremdverschulden verhängt wird, wird mit ganz wenigen Ausnahmen bejaht. Bei der Haftung für eigenes Verschulden ist die Versicherung in der Mehrzahl der Staaten zulässig; in einigen Bundesstaaten wird dementsprechend die Versicherung nur hinsichtlich der Haftung für zurechenbares Fremdverschulden zugelassen (sog. Hybrid-Lösung).509 129 Jedenfalls soweit die Versicherung von Strafschadensersatz nach US-Recht zulässig ist, ist sie es auch in einer deutschem Recht unterliegenden D&O-Police mit weltweiter Deckung. Dies ist mittlerweile – abweichend von Ziff. A.7.10 – auch in den AVB einiger D&O-VR so vorgesehen. Darüber hinaus lässt sich die Zulässigkeit der Versicherung von Strafschadensersatz auch in den Fällen begründen, in denen in den US-Bundesstaaten ein Versicherungsverbot besteht. Nach ganz überwiegender Auffassung scheitert eine Anerkennung von Strafschadensersatzansprüchen gem. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, weil diese mit dem deutschen ordre public unvereinbar sind.510 Die Versicherungsverbote in den US-Bundesstaaten dienen der Durchsetzung der Sanktionszwecke solcher Strafschadensersatzansprüche. Sie lassen sich im deutschen Recht weder über eine Sonderanknüpfung gem. Art. 9 Abs. 3 Rom-I-VO noch über § 138 Abs. 1 BGB zur Geltung bringen, da sie Ansprüche durchsetzen sollen, die mit den Wertungen des deutschen Rechts nicht kompatibel sind und damit dem Gebot der Wertungskonformität511 widersprechen. In diesem Fall kann es auch nicht den Wertungen des deutschen Rechts entgegenstehen, wenn eine Versicherung in einer deutschen D&O-Police mit weltweiter Deckung dem US-Versicherungsverbot zuwiderläuft und damit die US-Sanktionszwecke des Strafschadensersatzes einschränkt. Da es nach deutschem Recht grundsätzlich möglich sein muss, sich gegen bestehende Haftungsrisiken zu versichern, muss auch in diesem Fall eine Versicherung gegen Strafschadensersatzansprüche zulässig sein. Insofern ist allerdings zu beachten, dass die Versicherungsfalldefinition den Besonderheiten des Strafschadensersatzes Rechnung tragen muss, indem im Hinblick auf die Versicherung von Strafschadensersatz in Abweichung von Ziff. 1.1 bei Außenhaftungsansprüchen darauf verzichtet wird, dass beim Dritten ein Vermögensschaden eingetreten ist.512

508 Für die folgenden Ausführungen Gädtke/Ruttmann Die Versicherung von Geldstrafen, Geldbußen und Strafschadensersatz in der D&O-Versicherung Vortrag 3. Hamburger Forum Haftpflichtversicherung (2012), http:// www.hzv-uhh.de/allgemein/veranstaltungen/hamburger-forum-haftpflicht.html. Ausführlich Ruttmann Versicherbarkeit 233 ff. 509 Ebd. sowie Ruttmann Versicherbarkeit 236 ff. 510 Staudinger/Magnus Art. 3 Rom I-VO Rn. 24; Baumbach/Hartmann § 328 Rn. 44 m. w. N. zum Diskussionsstand; BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91, NJW 1992 3096, 3102 ff.; kritisch Höra/Stempfle § 36 Rn. 71 ff. 511 R. Koch VersR 2009 141, 143; Armbrüster VersR 2006 1, 4; Ruttmann Versicherbarkeit 128. 512 Vgl. Gädtke/Ruttmann Die Versicherung von Geldstrafen, Geldbußen und Strafschadensersatz in der D&OVersicherung Vortrag 3. Hamburger Forum Haftpflichtversicherung (2012), http://www.hzv-uhh.de/allgemein/veranstaltungen/hamburger-forum-haftpflicht.html; Ruttmann Versicherbarkeit 129. Gädtke

1010

K. Vertrags-, Geldstrafen, Geldbußen und „punitive damages“, Ziff. A-7.10

AVB D&O A-7

III. Ausschluss jeglichen Versicherungsschutzes in Ziff. A-7.10 Sollen Geldbußen, die in Deutschland oder im Ausland verhängt wurden, oder Strafschadenser- 130 satzansprüche (mangels korrespondierenden Vermögensschadens) – soweit zulässig – mit unter der D&O-Police versichert werden, ist (zumindest zur Behebung von Zweifeln)513 ein ausdrücklicher Einschluss in der jeweiligen Versicherungsfalldefinition erforderlich. So fehlt es etwa bei Geldbußen, die gegen eine versicherte Person im Außenverhältnis festgesetzt werden, begrifflich am Vermögensschaden eines Dritten.514 Die Zahlungspflicht der versicherten Person entsteht – ohne dass der vollziehenden Staatsgewalt ein Vermögensschaden entstanden ist – aufgrund einer hoheitlichen Anordnung, die die Begehung einer Straftat sanktioniert. Hat die versicherte Person ihrerseits einen Erstattungsanspruch gem. § 670 BGB gegen die Gesellschaft auf Zahlung des Vermögensschadens, der ihr aus der Geldstrafe entstanden ist,515 bzw. entschließt sich die Gesellschaft, die dem Geschäftsleiter auferlegte und von diesem getragene Geldstrafe/-buße im Nachhinein zu erstatten,516 liegt auch dann kein Versicherungsfall vor, wenn die D&O-Police eine sog. Company Reimbursement-Klausel (vgl. Ziff. A-3) enthält, da die Klausel voraussetzt, dass die versicherte Person selbst einen Anspruch auf Versicherungsschutz hat, der bei Freistellung durch den VN auf den VN übergeht. Auch insoweit bedarf die Deckung (sofern gewollt) also einer Modifikation der Versicherungsfalldefinition. Innenverhältnisansprüche des VN gegen die versicherten Personen aufgrund der Verhängung einer Verbandsgeldbuße werden hingegen von den in der Praxis üblichen Versicherungsfalldefinitionen grundsätzlich erfasst, sofern der Vermögensschadenbegriff insoweit nicht eine Ausklammerung derartiger Ansprüche vorsieht.517 In der Praxis variieren die (nicht immer schlüssig formulierten) Regelungen zur Aus- 131 klammerung von Geldstrafen, bußen und Verbandsgeldbußen aus dem Versicherungsschutz teilweise erheblich. Entsprechende Klauseln finden sich teilweise in der Definition des Vermögensschadensbegriffs, teilweise in den Ausschlüssen und teilweise an beiden Stellen. Zum Teil schließen sie nur Geldstrafen und -bußen im Außenverhältnis, zum Teil nur den Innenverhältnisanspruch gegen die Organmitglieder aus; teilweise bieten sie dem Organmitglied Kostenschutz für die Verteidigung gegen einen Innenverhältnisanspruch. Es ist also jeweils im Wege der Auslegung zu ermitteln, in welchem Umfang Ansprüche ausgeschlossen sind, die entweder im Innenverhältnis Vermögensschäden des VN aus der Zahlung einer Verbandsgeldbuße kompensieren sollen oder sich auf Befreiung von der Zahlungspflicht einer im Außenverhältnis gegen das Organmitglied festgesetzten Geldbuße richten. Darüber hinaus stellt sich auch im Kontext von Ziff. A-7.10 (vgl. schon Rn. 77 i. R. der Kom- 132 mentierung zu Ziff. A-7.3) die Frage, ob eine fahrlässige Verletzung der Aufsichtspflicht aufgrund des Umstands, dass sie nicht nur zivilrechtliche Folgen hat, sondern auch zur Verhängung einer öffentlich-rechtlichen Sanktion (d. h. der Verbandsgeldbuße) führt, zulässiger Weise vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden kann. Da die Aufsichtspflicht zum Kern der Pflichten jedes Organmitglieds gehört, bedeutet dies eine erhebliche Beschränkung des Versicherungsschutzes, die eine unangemessene Benachteiligung der begünstigten versicherten Person i. S. v. § 307 BGB beinhalten kann (vgl. dazu die in Rn. 77 genannten Grundsätze).

513 Solche Zweifel könnten entstehen, wenn Versicherungsschutz für die verhängte Geldbuße nach der Versicherungsfalldefinition nicht bestünde, aber explizit in den Ausschlüssen als Wiedereinschluss vorgesehen wäre.

514 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 131; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 796 (ohne Begründung). 515 Zu möglichen Konstellationen s. Krieger/Schneider/Marsch-Barner § 21 Rn. 6 ff. m. w. N.; vgl. auch BAG 25.1.2001 – 8 AZR 465/00, NJW 2001 1962, 1963 und Dreher FS Konzen (2006) 85, 100. 516 Vgl. BGH 8.7.2014 – II ZR 174/13, NZG 2014 1058, 1059 ff. 517 Vgl. hierzu auch Dreher VersR 2015 781, 788. 1011

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

L. Vermögensvorteil einer Konzerngesellschaft, Ziff. A-7.11 133 Ziff. A-7.11 schließt Haftpflichtansprüche des VN, einer Tochtergesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft gegen die versicherten Personen aus, wenn zwar eine dieser Gesellschaften einen Schaden erlitten hat, in einer anderen Konzerngesellschaft jedoch durch die diesen Schaden begründende Pflichtverletzung ein Vermögensvorteil entstanden ist. Ersatzfähig ist damit nur die nach der Quantifizierung der Vermögensverschiebung verbleibende Differenz gem. der Saldotheorie.518 Der Vermögensvorteil gleichen Umfangs soll nicht von Dauer sein müssen.519 In der Praxis wird der Ausschluss selten verwendet.520 Ziff. A-7.11 bzw. entsprechende Klauseln sind nach ganz überwiegender Auffassung wirk134 sam.521 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass bei Mitversicherung von Innenverhältnisansprüchen für den VR die Gefahr eines kollusiven Zusammenwirkens von VN und versicherter Personen bestehe, die versuchen könnten, unternehmerische Risiken auf den VR abzuwälzen.522 Der Ausschluss entspreche daher einem berechtigten Interesse des VR.523

M. Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung, Ziff. A-7.12 135 Ziff. A.7–12 schließt Haftpflichtansprüche im Zusammenhang mit Bestechungen, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung oder ähnlichen Zuwendungen vom Deckungsumfang aus. Der Ausschluss soll vorrangig Straftaten gem. den §§ 331 ff. StGB erfassen, insbesondere Vorteilsgewährung gem. § 333 StGB und Bestechung gem. § 334 StGB.524 Werden die Straftatbestände von den Organmitgliedern (als Täter oder Teilnehmer i. S. v. § 27 StGB) selbst verwirklicht, ist zugleich der Ausschluss der vorsätzlichen Schadenverursachung bzw. wissentlichen Pflichtverletzung i. S. v. Ziff. A-7.1 erfüllt.525 Darüber hinaus ist Ziff. A-7.10 anwendbar. Der Ausschluss wird in der Praxis selten in D&O-Policen aufgenommen.526 Der Tatbestand des Ausschlusses ist von seinem Wortlaut her sehr weit gefasst („im Zusam136 menhang“). Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass er auch solche Pflichtenkreise betrifft, die gerade der Vermeidung (sowie der Entdeckung, Bewältigung und Kommunikation) von Korruption dienen sollen.527 Die gesetzlichen Pflichten zur Überwachung, Organisation, Buchführung und Bilanzierung bedürfen aber des D&O-Versicherungsschutzes.528 An der Wirksamkeit des Ausschlusses bestehen daher unter dem Gesichtspunkt der Vertragszweckgefährdung (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) Zweifel.529

518 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 577 f. 519 LG Wiesbaden 14.12.2004 – 1 O 180/03, VersR 2005 545, 546. 520 Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 30; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 130; Olbrich 192 f.; Lattwein/Krüger VW 1997 1366, 1373. 521 LG Wiesbaden 14.12.2004 – 1 O 180/03, VersR 2005 545, 546; Prölss/Martin/Voit A-7.11 Rn. 1; Langheid/Wandt/ Ihlas D&O Rn. 809; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 30; a. A. offenbar Jula FS Baumann (1999) 119, 122 f. 522 LG Wiesbaden 14.12.2004 – 1 O 180/03, VersR 2005 545, 546. 523 Ebd. 524 Erläuterungen des GDV zu A-7.12 (Stand Dezember 2020); Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 812; Olbrich 193. 525 Ebd.; Prölss/Martin/Voit A-7.12 Rn. 1. 526 Ebd. 527 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 813. 528 Ebd. 529 Vgl. auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 813: „[Bestechlichkeits- und Korruptionsausschlüsse] sind im strafrechtlichen Bereich überflüssig und im Bereich der Bewältigung und Prävention zu weit gehend.“. Gädtke

1012

N. Spekulationsgeschäfte, Ziff. A-7.13

AVB D&O A-7

N. Spekulationsgeschäfte, Ziff. A-7.13 Ziff. A-7.13 schließt Haftpflichtansprüche aufgrund von Schäden aus Spekulationsgeschäften 137 aus, soweit diese nicht innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs erforderlich und üblich sind, was der Klausel zufolge beispielsweise bei Kurssicherungsgeschäften erfüllt ist. Der Ausschluss wird mit den hohen Schäden begründet, die spekulative Geschäfte auslösen können.530 Für seine Anwendung sei unerheblich, ob die versicherte Person die Spekulationsgeschäfte selbst vornehme oder ob es sich um Haftpflichtansprüche aufgrund fehlender Überwachung der unternehmensinternen Abläufe handele.531 In der Praxis findet sich der Ausschlusstatbestand teilweise ohne den in Ziff. A-7.13enthaltenen Wiedereinschluss („soweit …“) und schließt dementsprechend dann Haftpflichtansprüche „wegen Schäden aus Spekulationsgeschäften“ aus.532 Teilweise werden auch Formulierungen verwendet, die Haftpflichtansprüche aus Geschäften ausklammern sollen, die „mit dem Gegenstand des Unternehmens nicht vereinbar sind“.533 Oftmals wird in der Praxis jedoch überhaupt keine entsprechende Klausel in den Ausschlusskatalog aufgenommen.534

I. Grundsätze Spekulationsgeschäfte sind Rechtsgeschäfte (Kauf oder Tausch), bei denen beide Parteien da- 138 durch einen Gewinn zu erzielen beabsichtigen, dass die jeweils andere die Differenz zwischen dem Preis bei Abschluss des Rechtsgeschäfts und dem zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzten Preis auszugleichen hat.535 Die Schwankungen des Markts werden also zur Gewinnerzielung eingesetzt. Der Ausdruck erfasst dabei sowohl Termingeschäfte/Swaps wie auch einfache Fixgeschäfte; ein Güterumsatz soll nicht zwingend und auch nicht beabsichtigt sein müssen.536 Die Kriterien, nach denen zu bestimmen ist, ob die Vornahme eines bestimmten Spekula- 139 tionsgeschäfts eine Sorgfaltspflichtverletzung des Organmitglieds beinhaltet, sind umstritten bzw. müssen erst noch vollständig entwickelt werden.537 Grundsätzlich hat die Abgrenzung zwischen zulässigen und sorgfaltswidrigen Umständen im Einzelfall anhand einer umfassenden Würdigung aller Fallumstände zu erfolgen.538 Ergibt sich dabei, dass das Organmitglied die Bereitschaft, unternehmerische Risiken zu übernehmen, in unverantwortlicher Weise überspannt hat, ist die Grenze zur Sorgfaltspflichtverletzung überschritten.539 Das kann etwa der Fall sein, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschlags überwiegt, das Geschäftsrisiko außer Verhältnis zu den Gewinnaussichten steht oder die Spekulation nicht mehr vom Unternehmensgegenstand gedeckt ist.540 Umstritten ist, ob der Umstand, dass das Geschäft existenzgefährdende Risiken beinhaltet und zum Untergang des Unternehmens führen könnte, als Grund für die Annahme einer Sorgfaltspflichtverletzung ausreicht.541 Dem wird entgegen530 531 532 533 534

Erläuterungen des GDV zu A-7.13 (Stand Dezember 2020). Ebd. Lenz FS von Westphalen (2010) 469, 482. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 819; Lenz FS von Westphalen (2010) 469, 485. Olbrich 194 verweist darauf, dass sich die Klausel am Markt nicht durchgesetzt hat; zurückhaltender Lenz FS von Westphalen (2010) 469, 483 (mit Fn. 52). 535 Lenz FS von Westphalen (2010) 469, 482 f. 536 Ebd. 537 Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 81. 538 Meyer CCZ 2011 41, 46; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 80; Fleischer NJW 2010 1504, 1505; Böttcher NZG 2009 1047, 1049 f. (zur Ermittlung des Vergleichsmaßstabs); MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 79. 539 Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 80. 540 Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 80, 82; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 79. 541 OLG Düsseldorf 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010 28, 32, dazu Fleischer NJW 2010 1504 ff.; Lutter ZIP 2009 197, 199. 1013

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

gehalten, dass gerade im Bankensektor jedem Wertpapier- und Kreditgeschäft das Risiko eines Totalverlustes innewohne und das Kriterium der Existenzgefährdung daher für sich genommen zu grob sei.542

II. Auslegung/AVB-Kontrolle 140 Ob Ziff. A-7.13den Anforderungen einer AVB-Kontrolle genügt, ist zweifelhaft.543 Die Bedenken richten sich dabei vorrangig gegen die Form des Ausschlusses, d. h. auf die Erfüllung des Transparenzgebots (i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB), weniger auf den Inhalt der Klausel. Inhalt bzw. Zweck des Ausschlusses soll es sein, zumindest hochspekulative Geschäfte, die existenzgefährdende Liquiditätskrisen verursachen und im äußersten Fall zum Zusammenbruch der Unternehmen oder gar zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Finanzmarkts führen können, vom Versicherungsschutz auszuschließen.544 Diese Begrenzung ist plausibel, schon allein, weil die mit derartigen Fällen verbundenen Risiken für den VR kaum prognostizierbar und im Übrigen untragbar sind. Ziff. A-7.13 trägt dem Gedanken, außergewöhnliche Risiken auszuschließen, grundsätzlich durch den Wiedereinschluss „erforderlicher“ und „üblicher“ Spekulationsgeschäfte Rechnung. Fehlt es allerdings an dieser Einschränkung, ist es naheliegend, von einer unangemessenen Benachteiligung in Form einer Vertragszweckgefährdung (i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) auszugehen, da dann auch Haftpflichtansprüche aufgrund von Spekulationsgeschäften, die in einer bestimmten Branche zum Tagesgeschäft gehören, ausgeschlossen wären. In diesem Fall wäre insbesondere auch der Ausschluss jeglicher Innenverhältnisansprüche gegen die Organmitglieder aufgrund einer fahrlässigen Vernachlässigung von Organisations- und Überwachungspflichten bei Pflichtverletzungen von Mitarbeitern des Unternehmens unwirksam. 141 Die Bedenken in puncto Transparenz resultieren vor allem daraus, dass ein durchschnittlicher VN dem Ausdruck „Spekulationsgeschäft“ bzw. der Klausel kaum entnehmen kann, welche Rechtsgeschäfte von ihm/von ihr umfasst und damit vom Versicherungsschutz ausgenommen sind. „Spekulationsgeschäft“ ist kein spezifisch juristischer Begriff mit einem fest umrissenen, d. h. gefestigten Begriffsverständnis. Jedenfalls handelt es sich um einen Begriff, der auch der Alltagssprache angehört und dem die versicherte Person daher keinen eigenen juristischen Inhalt zuerkennt. In einem solchen Fall ist maßgeblich, wie ein durchschnittlicher VN den Ausdruck im Sinnzusammenhang der Regelung versteht.545 Dass dieser eine genaue Vorstellung von der Abgrenzung der für den Ausschluss relevanten Geschäfte und vom Zweck der Klausel zu entwickeln vermag und damit erfasst, inwieweit die Klausel noch Versicherungsschutz bietet, erscheint wenig wahrscheinlich. Der Wiedereinschluss mit seinen unbestimmten, stark wertungsabhängigen Begriffen „erforderlich“ und „üblich“ trägt insoweit ebenfalls nicht zur Klarheit bei.546 Konturenlose Tatbestände, die dem VN gerade nicht deutlich vor Augen führen, in welchem Umfang noch Versicherungsschutz besteht,547 eröffnen dem VR nicht gerechtfertigte

542 Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 80; Fleischer NJW 2010 1504, 1505; Meyer CCZ 2011 41, 46 („wesensimmanent“). 543 Anders Lenz FS von Westphalen (2010) 469, 483 ff. Seiner Auffassung nach überschreiten allerdings Ausschlussformulierungen, mit denen Schäden aus Geschäften erfasst werden sollen, die „mit dem Geschäftsgegenstand des Unternehmens nicht vereinbar sind“ im Zweifel die Grenzen zur Unklarheit i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB, vgl. a. a. O. 485. Kritisch zu dieser Ausschlussformulierung auch Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 819. 544 Van Bühren/Lenz § 25 Rn. 164 (u. a. m. w. N. zu Beispielsfällen); Lenz FS von Westphalen (2010) 469, 483 f.; vgl. auch OLG Frankfurt 22.3.2011 – 5 U 29/06, AG 2011 595 ff. und Säcker NJW 2008 3313 ff. 545 BGH 8.12.1999 – IV ZR 40/99, RuS 2000 100, 101; Römer/Langheid/Römer Vor § 1 Rn. 29. 546 A. A. Lenz FS von Westphalen (2010) 469, 484; vgl. aber auch Lattwein/Krüger VW 1997 1366, 1373. 547 BGH 22.11.2000 – IV ZR 235/99, RuS 2001 124, 125; OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06-81, RuS 2008 478, 480. Gädtke

1014

P. Diskriminierungen, Ziff. A-7.15

AVB D&O A-7

Beurteilungsspielräume bei der Anwendung der Klausel548 und sind daher wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).549 Eine wirksame Fassung der Klausel bedarf daher einer genaueren tatbestandlichen Eingrenzung der versicherungsrechtlich geschützten bzw. nicht geschützten Sachverhalte.

O. Einbußen bei Darlehen und Krediten, Ziff. A-7.14 Ziff. A-7.14 schließt Haftpflichtansprüche aufgrund von Schäden des VN oder einer mitversicher- 142 ten Tochtergesellschaft durch Einbußen bei Darlehen und Krediten aus. Erfasst ist nur der Forderungsausfall bei Krediten und Darlehen, die von dem VN bzw. seinen Tochterunternehmen selbst gewährt wurden. Sofern die Haftpflichtansprüche aus Darlehen und Krediten herrühren, die bei Dritten aufgenommen wurden, ist der Ausschluss nicht anwendbar.550 Unklar ist, ob der Ausschluss auch Schäden aus Warenkrediten erfasst, die die versicherten Unternehmen ihren Kunden gewährt haben. Die für Ausschlusstatbestände geltenden Auslegungsregeln sprechen insoweit eher für eine Begrenzung des Ausschlusses, womit die entsprechenden Schäden versichert wären.551 Der Ausschluss ist nach der Rechtsprechung wirksam.552 In der Praxis findet er sich eher selten.553

P. Diskriminierungen, Ziff. A-7.15 Ziff. A-7.15 schließt Haftpflichtansprüche wegen Schäden aus Anfeindung, Schikane, Belästi- 143 gung, Ungleichbehandlung oder sonstiger Diskriminierungen aus. Nach den Erläuterungen des GDV verfolgt der Ausschluss vorrangig zwei Zwecke.554 Er soll zum einen der (erwarteten)555 wachsenden Anspruchsmentalität und zunehmenden Klagebereitschaft bei Diskriminierungen sowie der erhöhten Publizität des Themas Rechnung tragen.556 Zum anderen grenzt er die D&OVersicherungen von anderen Versicherungen, insbesondere der AVB Benachteiligungen557 oder EPL- bzw. AGG-Policen558 ab.559 Darüber hinaus wird in der Literatur zur Begründung des Ausschlusses darauf verwiesen, 144 dass das Haftungsrisiko wegen Diskriminierung in Beschäftigungsverhältnissen nicht nur Or548 OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06-81, RuS 2008 478, 480. 549 BGH 16.9.2009 – IV ZR 246/08, VersR 2009 1659, 1662; OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06-81, RuS 2008 478, 480.

550 Erläuterungen des GDV zu A-7.14 (Stand Dezember 2020); Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 821; Mitterlechner/ Wax/Witsch § 7 Rn. 46; Olbrich 194 f.; Lattwein/Krüger VW 1997 1366, 1373.

551 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 821. 552 LG Wiesbaden 14.12.2004 – 1 O 180/03, VersR 2005 545, 546; Prölss/Martin/Voit A-7.14 Rn. 1; Langheid/Wandt/ Ihlas D&O Rn. 822; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 47. 553 So auch Olbrich 195; zurückhaltender Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 589. 554 Erläuterungen des GDV zu A.7–15 (Stand Dezember 2020). 555 Vgl. dazu Ihlas 81 f.; Bartl/Lattwein VersPrax 2008 41 ff. 556 Ebd. 557 Allgemeine Bedingungen zur Haftpflichtversicherung von Ansprüchen aus Benachteiligungen – AVB Benachteiligungen (Stand Mai 2012). 558 Zu Ansprüchen aus dem AGG und deren Versicherbarkeit (EPL/AGG) ausführlich R. Koch VersR 2007 288, 288 ff. (Haftung), 295 ff. (Versicherung); außerdem Ihlas 78 ff. (auch zur Entwicklung des EPL-Risikos in den USA); Mitterlechner/Wax/Witsch § 12 Rn. 237 ff. und § 7 Rn. 49 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn 823 ff.; ausführlich zur Haftung wegen Diskriminierung in den USA Raphael Arbeitgeberhaftung wegen Diskriminierung, sexueller Belästigung und fehlerhafter Kündigung in den USA, Diss. Köln 2008; Bartl/Lattwein VersPrax 2008 41 ff.; Weyerstall VW 2001 395 ff.; Fausten VersR 1996 17 ff. 559 Erläuterungen des GDV zu A-7.15 (Stand Dezember 2020). 1015

Gädtke

A-7 AVB D&O

Ausschlüsse

ganmitglieder, sondern auch Mitarbeiter und Unternehmen selbst betreffe.560 Die D&O-Versicherung sei daher zu eng gefasst, um effizienten Schutz gegen das Diskriminierungsrisiko gewähren zu können;561 dazu bedürfe es einer eigenständigen Versicherung. Außerdem gewähre die D&O-Versicherung nur für reine Vermögensschäden Schutz, während sich die Schadensersatzansprüche wegen Diskriminierungen insbesondere auf Personenschäden bezögen.562 145 Der Ausschluss erfasst in Deutschland insbesondere Ansprüche aufgrund des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), aber auch alle sonstigen Ansprüche aufgrund diskriminierender Verhaltensweisen.563 Anspruchsteller können nach einer Entscheidung des BGH neben Arbeitnehmern auch Organmitglieder sein.564 Da sich derartige Ansprüche gegen die Unternehmen richten, kommen in einem zweiten Schritt ggf. auch Regressansprüche gegen Organmitglieder aufgrund einer fahrlässigen Verletzung von Organisations- und Überwachungspflichten in Betracht. Für solche Regressansprüche wirkt der Ausschluss konstitutiv.565

Q. Asbest, Ziff. A-7.16 146 Ziff. A-7.16 schließt Haftpflichtansprüche wegen Schäden aus, die direkt oder indirekt auf Asbest, asbesthaltige Substanzen oder Erzeugnisse zurückzuführen sind oder mit diesen in Zusammenhang stehen. Grund des Ausschlusses sind die sehr hohen bis teilweise existenzbedrohenden Vermögensschäden, die aus Asbestschäden herrühren können.566 Der GDV verweist in seinen Erläuterungen explizit auf einen Unternehmenskauf in den USA, der durch das Vorhandensein entsprechender Schäden belastet war.

R. Anhängige Rechtssachen, Ziff. A-7.17 147 Ziff. A-7.17 schließt Haftpflichtansprüche vom Versicherungsschutz aus, in denen Ansprüche, Verfahren etc. bereits vor oder zu Beginn des Versicherungsvertrags erhoben bzw. anhängig waren. Relevant ist dies vor allem dann, wenn Ansprüche zunächst gegen das Unternehmen gerichtet und anschließend – während der Laufzeit des D&O-Versicherungsvertrags – im Innenverhältnis gegen eine versicherte Person im Regresswege geltend gemacht werden. Der Ausschluss schränkt daher de facto das Claims-Made-Prinzip ein567 und erleichtert dem VR den Nachweis,568 dass der VN bzw. die versicherte Person bei Abschluss des Vertrags positive Kenntnis von den anspruchs- oder verfahrensrelevanten Umständen hatte. Unstimmig ist Ziff. 5.18 insoweit, als in ihr auf den Beginn des D&O-Versicherungsvertrags abgestellt wird, während sich der typischerweise in D&O-Policen enthaltene Kenntnisausschluss569 auf den (i. d. R. zeitlich früheren) Abschluss des Versicherungsvertrags bezieht.570

560 561 562 563 564

Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 50. Ebd. Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 50; Olbrich 196. R. Koch VersR 2007 288, 295 (zu Ziff. 7.17 AHB 04/06), 296; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 49. BGH 23.4.2012 – II ZR 163/10, NJW 2012 2346, 2347; vgl. auch OLG München 25.11.2020 – 7 U 1297/20, NZG 2021 244, 246 (dort Rn. 31); Löw BB 2012 2078 ff.; Ring NJ 2012 422 f.; Maschmann LMK 2012 337958; Sieg/Schramm PHi 2012 104 f.; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 170. 565 Prölss/Martin/Voit A-7.15 Rn. 1. 566 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 829; Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 48; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 171. 567 Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 52. 568 Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 732 f. und Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 54. 569 Vgl. dazu Ziff. 3.2 S. 2. 570 Mitterlechner/Wax/Witsch § 7 Rn. 54. Gädtke

1016

A-8 Versicherung für fremde Rechnung A-8.1 Die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag steht ausschließlich den versicherten Personen zu; dies gilt nicht in den Fällen gem. A-3. A-8.2 Rückgriffsansprüche der versicherten Personen und deren Ansprüche auf Kostenersatz, auf Rückgabe hinterlegter und auf Rückerstattung bezahlter Beträge sowie auf Abtretung gem. § 255 BGB gehen in Höhe der vom Versicherer geleisteten Zahlung ohne weiteres auf diesen über. Der Versicherer kann die Ausstellung einer den Forderungsübergang nachweisenden Urkunde verlangen. A-8.3 Hat eine versicherte Person auf einen Anspruch gem. A-8.2 oder ein zu dessen Sicherung dienendes Recht verzichtet, bleibt der Versicherer dieser gegenüber nur insoweit verpflichtet, als die versicherte Person nachweist, dass die Verfolgung des Anspruchs ergebnislos geblieben wäre.

Schrifttum (s. zunächst Schrifttum Einf. AVB D&O) Armbrüster Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 441; R. Koch Das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer, Versicherungsnehmer und versicherten Personen in Innenhaftungsfällen der D&OVersicherung, ZVersWiss 2012 151; Lange Die Prozessführungsbefugnis der Versicherungsnehmerin einer D&O-Versicherung, VersR 2007 893; Langheid Ausweg aus der Anerkenntnis- und Abtretungsfalle, FS Winter (2007) S. 367; Langheid/Goergen Auswirkungen der VVG-Reform auf die D&O-Versicherung, VP 2007 161; Looschelders/Derkum Befugnis zur Geltendmachung des Versicherungsschutzes und Rechtsmissbrauch bei der D&O-Versicherung, ZIP 2017 1249; Mehring Kommunale Vertreter in der D&O-Versicherung, VersR 2021 1206. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-8 Versicherung für fremde Rechnung

Ziff. 10 Versicherung für fremde Rechnung, Abtretung des Versicherungsanspruches

A-8.1 Die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag steht ausschließlich den versicherten Personen zu; dies gilt nicht in den Fällen gem. A-3.

Ziff. 10.1 Die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag steht ausschließlich den versicherten Personen zu; dies gilt nicht in den Fällen der Ziffer 1.2.

A-8.2 Rückgriffsansprüche der versicherten Personen und deren Ansprüche auf Kostenersatz, auf Rückgabe hinterlegter und auf Rückerstattung bezahlter Beträge sowie auf Abtretung gem. § 255 BGB gehen in Höhe der vom Versicherer geleisteten Zahlung ohne weiteres auf diesen über. Der Versicherer kann die Ausstellung einer den Forderungsübergang nachweisenden Urkunde verlangen.

Ziff. 10.3 Rückgriffsansprüche der versicherten Personen und deren Ansprüche auf Kostenersatz, auf Rückgabe hinterlegter und auf Rückerstattung bezahlter Beträge sowie auf Abtretung gem. § 255 BGB gehen in Höhe der vom Versicherer geleisteten Zahlung ohne weiteres auf diesen über. Der Versicherer kann die Ausstellung einer den Forderungsübergang nachweisenden Urkunde verlangen.

A-8.3 Hat eine versicherte Person auf einen Anspruch gem. A-8.2 oder ein zu dessen Sicherung dienendes Recht verzichtet, bleibt der Versicherer dieser gegenüber nur insoweit verpflichtet, als die versicherte Person nachweist, dass die Verfolgung des Anspruchs ergebnislos geblieben wäre.

Ziff. 10.4 Hat eine versicherte Person auf einen Anspruch gem. Ziffer 10.3 oder ein zu dessen Sicherung dienendes Recht verzichtet, bleibt der Versicherer dieser gegenüber nur insoweit verpflichtet, als die versicherte Person nachweist, dass die Verfolgung des Anspruchs ergebnislos geblieben wäre.

Übersicht A.

Überblick

1

1017 https://doi.org/10.1515/9783110522662-038

B.

Verfügungsbefugnis der versicherten Perso4 nen (Ziff. A-8.1) Armbrüster

A-8 AVB D&O

Versicherung für fremde Rechnung

I.

Grundregeln

4

II. 1. 2.

10 Ausnahmen 10 Company Reimbursement Untätigkeit der versicherten Personen

C.

Übergang von Rückgriffsansprüchen 13 (Ziff. A-8.2)

I.

Grundregeln

II. 1. 2.

Übergangsfähige Ansprüche (S. 1) 14 Rückgriffsansprüche 16 Ansprüche auf Kostenersatz

3.

Ansprüche auf Rückgabe hinterlegter Beträge 17 usw.

III.

Ausstellung einer Urkunde (S. 2)

D.

Verzicht auf Rückgriffsansprüche 22 (Ziff. A-8.3)

E.

Abweichende AVB

I.

Verfügungsbefugnis des VN

II.

Vertragliche Einräumung eines Direktanspruchs 31 des VN

20

12

27

13 27

14

A. Überblick 1 Bei der D&O-Versicherung in ihrer klassischen Ausprägung (Side A) handelt es sich um eine Versicherung für fremde Rechnung, nämlich zugunsten der versicherten Organmitglieder (s. Einf Rn. 89). Dabei folgen die AVB nicht der Terminologie des Gesetzgebers, der in §§ 43 ff. VVG vom „Versicherten“ spricht, sondern verwenden den Ausdruck „versicherte Personen“, ohne dass damit ein sachlicher Unterschied verbunden wäre. Im Grundsatz sind damit die §§ 43 ff. VVG anwendbar, die für diesen Spezialfall eines Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) besondere Regeln aufstellen. 2 Ziff. A-8 dient dazu, die Rechtsstellung der versicherten Personen näher zu konkretisieren und sie zudem gegenüber dem dispositiven Gesetzesrecht zu modifizieren. Eine wichtige und für die D&O-Versicherung prägende Abweichung vom Gesetz enthält Ziff. A-8.1: Entgegen § 45 Abs. 1 VVG ist nicht der VN, sondern die versicherte Person zur Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag befugt. 3 Ziff. A-8.2 und Ziff. A-8.3 betreffen den Übergang von Rückgriffsansprüchen der versicherten Person gegen Dritte auf den VR. Die Regelung in Ziff. A-8.2 orientiert sich an § 86 VVG: Soweit der VR zahlt, gehen Rückgriffsansprüche und einige sonstige Ansprüche der versicherten Person auf ihn über (s. Rn. 13 ff.). Hat die versicherte Person auf solche Ansprüche verzichtet, ist der VR nur insoweit leistungspflichtig, als der Rückgriff erwiesenermaßen erfolglos geblieben wäre (Ziff. A-8.3; s. Rn. 22 ff.).

B. Verfügungsbefugnis der versicherten Personen (Ziff. A-8.1) I. Grundregeln 4 Der Umstand, dass es sich bei der D&O-Versicherung um eine Versicherung für fremde Rechnung (Fremdversicherung) handelt,1 geht bereits aus Ziff. A-1 Abs. 1 hervor (Einf Rn. 89). Daher ist die Überschrift von Ziff. A-8 zumindest unpräzise; die Regelung in Ziff. A-8.1 betrifft allein eine Abweichung von den für die Fremdversicherung geltenden Regeln zur Verfügungsbefugnis; die weiteren Klauseln in Ziff. A-8.2 und Ziff. A-8.3 behandeln mit der Fremdversicherung nicht zusammenhängende Regressfragen. 1 St. Rspr.; BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 20; BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, BGHZ 214 314 = VersR 2017 683 Rn. 15; BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 10; Seitz/Finkel/Klimke/ Finkel/Seitz Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 7, Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 161; Looschelders/Derkum ZIP 2017 1249, 1250; Prölss/Martin/Voit A-8.1 Rn. 1. Armbrüster

1018

B. Verfügungsbefugnis der versicherten Personen (Ziff. A-8.1)

AVB D&O A-8

Bei der Versicherung für fremde Rechnung stehen die Rechte aus dem Versicherungsvertrag, 5 insbes. der Anspruch auf die Versicherungsleistung, der versicherten Person zu (§ 44 Abs. 1 VVG). Diese Regelung prägt den Charakter der Fremdversicherung; sie ist unabdingbar.2 Der VN kann allerdings über diese Rechte grds. im eigenen Namen verfügen (§ 45 Abs. 1 VVG). Der versicherten Person steht die Verfügungsbefugnis in zwei Fällen zu, nämlich wenn sie im Besitz des Versicherungsscheins ist oder wenn der VN zustimmt (§ 44 Abs. 2 VVG).3 Diese Regeln, die den gesetzlichen Regelfall der Rechtsverhältnisse bei der Fremdversicherung bilden, sind in erster Linie auf die Sachversicherung zugeschnitten (s. etwa § 46 VVG); sie werden in der Haftpflichtversicherung ohnehin durch die §§ 100 ff. VVG modifiziert.4 Darauf kommt es hier aber nicht an, da vorrangig vor dem dispositiven Gesetzesrecht vertragliche Modifikationen zu beachten sind. Eine solche Modifikation enthält Ziff. A-8.1.5 Die dortige Formulierung, wonach die Aus- 6 übung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausschließlich den versicherten Personen zusteht, bedeutet, dass die versicherten Personen abweichend von §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG verfügungsbefugt sind.6 Diese Abweichung vom Gesetzesrecht ist zulässig.7 Sie entspricht sogar einer Vorgabe des BaFin-Rundschreibens 03/2021 zu echten Gruppenversicherungen, das freilich nach seiner Ziff. 6 nicht für die D&O-Versicherung gilt. Ziff. A-8.1 führt dazu, dass materielle Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis bei der versicherten Person vereinigt sind. Die versicherte Person kann mithin die vom VR nach Ziff. A-6.1 Abs. 1 geschuldeten Leis- 7 tungen (s. Ziff. A-6 Rn. 2 ff.) verlangen. Die Formulierung in Ziff. A-8.1, wonach die Verfügungsbefugnis sich auf die „Rechte aus dem Versicherungsvertrag“ bezieht, führt zu der Frage, ob damit darüber hinaus auch die vertragsbezogenen Rechte gemeint sind. Dies betrifft etwa das Recht zur Kündigung nach Ziff. B2-1.2 oder Ziff. B2-2.1. In Ziff. 11.1 Halbs. 1 AVB-AVG 97 war die Verfügungsbefugnis noch auf die „Ansprüche auf Versicherungsschutz“ bezogen. Die seit der Fassung in Ziff. 10.1 der AVB-AVG 2011 verwendete weitere Formulierung sollte einen Gleichklang mit Ziff. 27.2 S. 1 AHB herstellen,8 wo es allerdings um die Eigenversicherung geht, sodass sich die Frage einer Aufspaltung von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis dort nicht stellt.9 Davon abgesehen ist die Historie der AVB für deren Auslegung grds. unbeachtlich.10 Die Überschrift zu Ziff. A-8 verdeutlicht indessen, dass es dem Verwender in Ziff. A-8.1 allein darum geht, die Rechtsstellung der versicherten Personen gegenüber den §§ 44, 45 VVG, also in Bezug auf den Anspruch auf die Versicherungsleistung, zu modifizieren. Dementsprechend ist dort, wo es um vertragsbezogene Rechte geht, auch vom VN und nicht von den versicherten Personen die Rede (s. etwa Ziff. B2-1.4; Ziff. B2-2.3). Dies entspricht der Grundregel, dass die Rechte, die dem VN in seiner Eigenschaft als Vertragspartei zustehen – z. B. Ausübung von Gestaltungsrechten (Widerruf, Kündigung etc.), Mitwirkung bei Vertragsänderungen oder Vertragsaufhebung –, ihm zugeordnet sind; sie können grds. von Nicht-Vertragsparteien wie den Versicherten nicht ausgeübt werden.11

2 Prölss/Martin/Klimke § 44 Rn. 24. 3 Allg. dazu Bruck/Möller/Brand9 § 44 Rn. 4 ff., § 45 Rn. 5 ff.; Prölss/Martin/Klimke § 44 Rn. 7 ff., § 45 Rn. 26 ff.; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 3, § 45 Rn. 3 ff. 4 Näher Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 8. 5 Prölss/Martin/Voit A-8.1 Rn. 1. So auch BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 12 zu einer enger gefassten Klausel, wonach nur die versicherten Personen Ansprüche auf Versicherungsschutz geltend machen können. 6 BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 Rn. 15 m. zust. Anm. Looschelders/Derkum ZIP 2017 1249, 1253 f.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh. C/D&O-Versicherung Rn. 161; Prölss/Martin/Voit A-8.1 Rn. 1. 7 BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 Rn. 15 m. zust. Anm. Looschelders/Derkum ZIP 2017 1249, 1253 f.; BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 12; Bruck/Möller/Brand9 § 44 Rn. 38; Lange VersR 2007 893, 895; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 34; Prölss/Martin/Klimke § 44 Rn. 27; Prölss/Martin/Voit A-8.1 Rn. 1. 8 GDV-Erl. zu Ziff. 10.1 AVB-AVG 2011; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 898. 9 Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 7. 10 S. nur Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 546; vgl. aber auch R. Koch VersR 2015 133, 139 f. 11 Allg. Bruck/Möller/Brand9 § 45 Rn. 5 i. V. m. § 44 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 44 Rn. 4. 1019

Armbrüster

A-8 AVB D&O

Versicherung für fremde Rechnung

Die Gewährung der Verfügungsbefugnis in Ziff. A-8.1 führt allerdings nicht dazu, dass die versicherte Person vor jeglichem Einfluss des VN oder Dritter auf ihren Anspruch geschützt wäre. Durch Ziff. A-8.1 wird vielmehr lediglich der Regelfall des § 328 BGB hergestellt, wonach Anspruchsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis nicht getrennt sind. Daher können die materielle Rechtsinhaberschaft der versicherten Person und zugleich ihre Verfügungsbefugnis dadurch entfallen, das der VN den Versicherungsvertrag wirksam kündigt; eine solche Kündigung wirkt gem. 334 BGB auch zulasten der versicherten Personen.12 Entgegen dem BGH13 wird zudem die Anwendung von § 103 Abs. 1 InsO (Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters) nicht dadurch berührt, dass der versicherten Person die Verfügungsbefugnis eingeräumt ist.14 Insofern lässt eine Insolvenz des VN angesichts des Synallagmas zwischen seiner Prämienschuld und der Leistungspflicht des VR die Stellung der versicherten Personen keineswegs unberührt. 9 Ziff. A-8.1 regelt nicht, ob der VR bei Innenhaftungsansprüchen vorrangig den VR in Anspruch zu nehmen hat. Der BGH hat diese Frage bislang offen gelassen.15 Das LG Bonn hat hingegen zugunsten des Vorstandsmitglieds eines Vereins entschieden, dass der Verein als VN vorrangig den Freistellungsanspruch gegenüber dem VR geltend machen musste, statt das Vorstandsmitglied persönlich in Anspruch zu nehmen.16 Dies ist dann grds. unabhängig von der Rechtsform des VN zutreffend, wenn die Verfügungsbefugnis abweichend von Ziff. A-8.1 beim VN belassen wird und dieser gegenüber der betreffenden versicherten Person eine Verschaffungspflicht (s. Einf Rn. 49) übernommen hat.17 Ist die versicherte Person indessen gem. Ziff. A8.1 selbst verfügungsbefugt, kann sie dann, wenn der VN ihr gegenüber einen Anspruch geltend macht, dies selbst dem VR als Eintritt des Versicherungsfalls (vgl. Ziff. A-2) melden.

8

II. Ausnahmen 1. Company Reimbursement 10 Nach Ziff. A-8.1 Halbs. 2 gilt beim Company Reimbursement gem. Ziff. A-3 hinsichtlich des Verfügungsrechts die Zuweisung an die versicherten Personen nach Halbs. 1 nicht. Darin liegt eine Klarstellung, die sich daraus erklärt, dass es sich beim Company Reimbursement um eine Eigenversicherung des VN handelt: Erfüllt er eine gegenüber einer versicherten Person bestehende Freistellungsverpflichtung, geht der Anspruch auf Versicherungsschutz insoweit von der versicherten Person auf ihn über. Unabhängig davon, ob man darin eine Vorausabtretung des Deckungsanspruchs oder mit der hier vertretenen Ansicht eine Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ erblickt (s. dazu Ziff. A-3 Rn. 9), wird der VN materieller Inhaber des Anspruchs gegen den VR. Es ist dann nur konsequent, dass dem VR auch der Verfügungsanspruch zusteht, es also bei der für die Eigenversicherung geltenden Grundregel eines Zusammenfallens von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis bleibt. Geht es um eine Freistellungsverpflichtung einer Tochtergesellschaft, so erwirbt diese materiell den Deckungsanspruch und die Verfügungsbefugnis. 11 Der VN (oder seine Tochtergesellschaft) kann beim Company Reimbursement gem. Ziff. A-3 direkt gegen den VR klagen. Die Haftpflichtfrage ist dann ggf. in diesem Prozess zu klären. Für die Fälligkeit der Leistung des VR ist § 106 S. 2 VVG maßgeblich, da es sich um eine Befriedigung des Dritten durch den VN handelt.18 12 13 14 15 16 17 18

Armbrüster NJW 2020 1887, 1888; Prölss/Martin/Voit A-8.1 Rn. 1. BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 13; zust. Kauffeld/Vollmer/Brugger NZG 2021 717, 723. Armbrüster NJW 2020 1887, 1888; Buntenbroich/Schneider RuS 2020 270 f.; a. A. Prölss/Martin/Voit A-8.1 Rn. 1. BGH 16.3.2009 – II ZR 280/07, VersR 2009 1635 Rn. 21. LG Bonn 10.4.1995 – 10 O 390/94, NJW-RR 1995 1435 f.; s. auch Casper ZHR 176 (2012) 617, 648. Prölss/Martin/Voit A-1 Rn. 6. Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 17.

Armbrüster

1020

C. Übergang von Rückgriffsansprüchen (Ziff. A-8.2)

AVB D&O A-8

2. Untätigkeit der versicherten Personen Eine weitere, nicht in den AVB geregelte Ausnahme von der Verfügungsbefugnis der versicher- 12 ten Person nimmt der BGH an, wenn der VR den Deckungsanspruch abgelehnt hat, die versicherten Personen keinen Versicherungsschutz geltend machen, also untätig bleiben, und einer Geltendmachung durch den VN keine schutzwürdigen Interessen des VR entgegenstehen.19 Unter diesen Voraussetzungen soll es dem VR gem. § 242 BGB verwehrt sein, sich gegenüber dem VN auf dessen nach den AVB (hier: Ziff. A-8.1) fehlende Prozessführungsbefugnis zu berufen. Diese Rspr. verdient Zustimmung.20 Sie ist freilich auf bes. Ausnahmefälle beschränkt und stellt die Wirksamkeit von Ziff. A-8.1 nicht in Frage.21

C. Übergang von Rückgriffsansprüchen (Ziff. A-8.2) I. Grundregeln Ziff. A-8.2 sieht einen Übergang von Rückgriffsansprüchen der versicherten Personen auf 13 den VR vor. Damit knüpft die Klausel inhaltlich an die Legalzession gem. § 86 VVG an und konkretisiert diese Norm.22 Zweck ist es jeweils, eine ungerechtfertigte Bereicherung des Empfängers der Versicherungsleistung (hier: der versicherten Person) und eine Befreiung des Regressschuldners zu verhindern.23 Bereits § 86 VVG umfasst bei sachgerechter Auslegung auch Ersatzansprüche, welche bei der Fremdversicherung den (Mit-)Versicherten zustehen, die von einem Dritten in Anspruch genommen werden, gegen Vierte.24 § 86 VVG erstreckt die cessio legis auf alle Ersatzansprüche gegen Dritte. Dies ist weit zu verstehen; erfasst wird grds. jeder Anspruch, der dem Ausgleich derjenigen Vermögenseinbuße dient, welche die Versicherungsleistung auslöst.25 Soweit § 86 VVG gleichwohl nicht eingreifen sollte, kann u. U. auf Ziff. A-8.2 als Grundlage einer vertraglichen Anspruchsüberleitung zugegriffen werden. Zu beachten ist allerdings, dass die Vorgaben des § 86 zum Schutz des VN (und des Versicherten) gem. § 87 VVG auch bei vertraglichen Überleitungen zum Tragen kommen.26 § 87 VVG ist freilich auf Großrisiken i. S. v. § 210 VVG nicht anzuwenden (zur Leitbildkontrolle in solchen Fällen s. Einf Rn. 82 ff.). Zudem kann eine ergänzende Auslegung des D&O-Versicherungsvertrags zu einem konkludenten Regressverzicht des VR führen. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn einer versicherten Person öffentlich-rechtliche Freistellungsansprüche gegen den kommunalen Allein- oder Mehrheitsgesellschafter eines privatrechtlich organisierten kommunalen Unternehmens als des VN zustehen. In solchen Fällen finanziert der kommunale Gesellschafter wirtschaftlich betrachtet den Versicherungsschutz; zudem werden die gegen ihn bestehenden Freistellungsansprüche der versicherten Personen regelmäßig nicht bei der Prämienbemessung berücksichtigt. Die den Versicherungsschutz finanzierende Kommune darf daher davon ausgehen, dass sich der VR nicht im Regresswege bei ihr schadlos hält.27 19 20 21 22 23 24

BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683 Rn. 17 ff. Dreher EWiR 2017 369 f.; Thiel/Seitz NJW 2017 2468 f.; Prölss/Martin/Voit A-8.1 Rn. 1. GDV-Erl. zu A-8.1. Ihlas 572. Prölss/Martin/Armbrüster § 86 VVG Rn. 1; s. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 43. BGH 14.3.1985 – I ZR 168/82, VersR 1985 753; OLG Hamburg 19.11.1981 – 6 U 117/81, VersR 1982 800; Prölss/ Martin/Armbrüster § 86 Rn. 21; Langheid/Wandt/Möller/Segger § 86 Rn. 77 ff.; a.A. offenbar Prölss/Martin/Voit A-8.2 Rn. 1 (im Erg. aber wie hier). 25 Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 6; s. auch BGH 24.11.1971 – IV ZR 71/70, VersR 1972 194; Bruck/Möller/Voit9 § 86 Rn. 47 ff.; Langheid/Wandt/Möller/Segger § 86 Rn. 54 ff. 26 Prölss/Martin/Armbrüster § 87 Rn. 1; s. auch Rn. 2 zur AGB-Kontrolle. 27 Mehring VersR 2021 1206, 1209 ff.; im Erg. gegen Regress auch VG München 28.5.2019 – M – 5 K 17.1499, RuS 2020 151 Rn. 29 ff. m. Anm. Fortmann. 1021

Armbrüster

A-8 AVB D&O

Versicherung für fremde Rechnung

II. Übergangsfähige Ansprüche (S. 1) 1. Rückgriffsansprüche 14 Als „Rückgriffsansprüche“ der versicherten Personen kommen z. B. Ansprüche auf Gesamtschuldnerausgleich gem. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB und aus § 426 Abs. 2 BGB i. V. m. den jeweiligen Ersatzansprüchen in Betracht, die der Versicherte ggf. gegen einen Mitschuldner hat.28 Allerdings gilt dies nur, soweit der Mitschuldner nicht seinerseits durch dieselbe D&O-Police geschützt ist.29 Eine solche Deckung wird im Hinblick auf andere versicherte Personen häufig der Fall sein. Dies gilt etwa dann, wenn Vorstandsmitgliedern einer AG eine fehlerhafte Geschäftsführung und zugleich Aufsichtsratsmitgliedern eine unzureichende Überwachung vorgeworfen wird (zur gesamtschuldnerischen Haftung in solchen Fällen s. Einf Rn. 158). Als Schuldner eines Rückgriffsanspruchs kommt grds. auch der VN in Betracht, dessen Interesse nicht mitversichert ist (s. Einf Rn. 89).30 Freilich ist insoweit die Company reimbursement-Klausel zu beachten (s. Rn. 15). Ein Rückgriffsanspruch einer versicherten Person kann auch gegen Berater bestehen.31 15 Übergangsfähig sind auch Freistellungsansprüche (im Hinblick auf Ersatzansprüche).32 Darunter fallen auch öffentlich-rechtliche Befreiungsansprüche von Beamten.33 Geht es um Freistellungsansprüche gegen den VN oder eine Tochtergesellschaft, so ist allerdings wiederum die Regelung zum Company Reimbursement in Ziff. A-3 zu beachten. Demnach geht der Anspruch auf Versicherungsschutz im Falle eines durch den VR erfüllten Freistellungsanspruchs von der versicherten Person auf den VN über. Durch diese Klausel wird ein eigener Anspruch des VN oder einer mitversicherten Tochtergesellschaft begründet (s. Ziff. A-3 Rn. 2).34

2. Ansprüche auf Kostenersatz 16 Unter den Ansprüchen auf Kostenersatz sind insbes. prozessuale Kostenerstattungsansprüche zu nennen. Hat der VR erfolgreich die gegen die versicherte Person geltend gemachten Ansprüche abgewehrt und hierfür Verfahrenskosten vorgestreckt, so gehen die Erstattungsansprüche gegen den Prozessgegner auf den VR in der Höhe der vorgestreckten Kosten über. Auch soweit der VR für andere Verfahrenskosten Zahlungen geleistet hat, gehen kongruente35 Erstattungsansprüche der versicherten Personen auf ihn über.

3. Ansprüche auf Rückgabe hinterlegter Beträge usw. 17 Was Ansprüche auf Rückgabe hinterlegter Beträge angeht, knüpft Ziff. A-6.2 damit an die Verpflichtung des VR gem. § 101 Abs. 3 VVG an: Der VR hat unter den dort genannten Voraussetzungen Hinterlegung (oder Sicherheitsleistung) zugunsten der versicherten Person zu bewirken, um die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung abzuwenden.36 Ansprüche auf „Rückga28 Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 7; Langheid/Wandt/Möller/Segger § 86 Rn. 72. 29 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 45. 30 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 45; R. Koch GmbHR 2004 18, 26; Prölss/Martin/Voit A-8.2 Rn. 1.

31 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 45. 32 Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 12; Bruck/Möller/Voit § 86 Rn. 62. 33 Mehring VersR 2021 1206, 1208 f.; a. A. VG München 28.5.2019 – M – 5 K 17.1499, RuS 2020 151 m. insoweit abl. Anm. Fortmann RuS 2020 153, 154.

34 Prölss/Martin/Voit A-8.2 Rn. 1 a. E. 35 Zum Erfordernis der Kongruenz s. allg. Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 13 ff.; Bruck/Möller/Voit9 § 86 Rn. 112 ff.

36 Näher Prölss/Martin/Lücke § 101 Rn. 32; Bruck/Möller/R. Koch § 101 VVG Rn. 59 ff. Armbrüster

1022

D. Verzicht auf Rückgriffsansprüche (Ziff. A-8.3)

AVB D&O A-8

be“ – korrekter: Ersatz oder Erstattung – hinterlegter Beträge können nach Maßgabe von § 717 Abs. 2 oder 3 ZPO entstehen, wenn ein vorläufig vollstreckbares Urteil aufgehoben oder geändert wird. Zu einer Rückerstattung bezahlter Beträge kann es etwa dann kommen, wenn Schadens- 18 ersatzzahlungen unter Vorbehalt erfolgt sind, später aber festgestellt wird, dass eine Schadensersatzpflicht gar nicht besteht.37 Ein Anspruch auf Abtretung gem. § 255 BGB entsteht dann, wenn die versicherte Person 19 für den Verlust einer Sache oder eines Rechts Schadensersatz zu leisten hat und der Ersatzberechtigte seinerseits aufgrund seines Sacheigentums oder seiner Rechtsinhaberschaft einen Anspruch gegen einen Dritten hat. Der Anwendungsbereich von § 255 BGB ist sehr begrenzt. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil Spezialregeln wie § 86 Abs. 1 VVG und die Vorschriften zur Gesamtschuld (insbes. § 426 BGB) vorrangig sind.38

III. Ausstellung einer Urkunde (S. 2) Ziff. A-8.2 S. 2 sieht vor, dass der VR die Vorlage einer Urkunde verlangen kann, die den Forde- 20 rungsübergang nachweist. Diese Klausel ist an § 403 S. 1 BGB angelehnt, der über § 412 BGB auch für den gesetzlichen Forderungsübergang gilt. Die Klausel soll dem VR die Durchsetzung seines Rückgriffsanspruchs erleichtern. Schuldner der Urkunde ist derjenige, auf dessen Deckungsanspruch der VR die Leistungen erbracht hat, welche nach S. 1 den jeweiligen Rückgriffsanspruch auslösen. Für die Erstellung der Urkunde ist (anders als in § 403 S. 1 BGB, der eine öffentlich beglaubigte 21 Urkunde vorsieht) keine bestimmte Form vorgeschrieben. Bedarf es freilich zur sachgerechten Geltendmachung eines Rückgriffsanspruchs einer bestimmten Form, so hat der Verpflichtete diese einzuhalten. Dies folgt aus dem durch § 242 BGB geprägten bes. Kooperationsverhältnis zwischen VR und VN bzw. versicherten Personen.39 Etwaige Kosten hat der VR zu tragen und vorzuschießen. Dies folgt aus dem in § 403 S. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, der wiederum dem Umstand Rechnung trägt, dass die Ausstellung der Urkunde im Interesse des VR liegt.

D. Verzicht auf Rückgriffsansprüche (Ziff. A-8.3) Nach Ziff. A-8.3 wird der VR davor geschützt, dass eine versicherte Person seinen aus Ziff. A-8.2 22 folgenden Rückgriffsanspruch durch einen Verzicht vereitelt.40 Die Regelung konkretisiert § 86 Abs. 2 VVG.41 Allerdings schadet der versicherten Person in Abweichung von dieser Vorschrift nur ein Verzicht auf einen Anspruch gem. Ziff. A-8.3 (oder auf ein seiner Sicherung dienendes Recht), während § 86 Abs. 2 VVG weitergehend eine Obliegenheit zur Anspruchswahrung vorsieht.42 Unter Verzicht ist jedes Verhalten zu verstehen, das zum (teilweisen oder vollständigen) 23 Verlust des Anspruchs führt. Ein solcher Verlust kann insbes. durch einen Erlassvertrag gem. § 397 BGB oder durch einen in einem Vergleichsvertrag enthaltenen Forderungsverzicht bewirkt werden.

37 38 39 40 41 42

Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 54. S. nur HK BGB/Schulze § 255 Rn. 2. Zum Kooperationsgebot s. allg. Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 292 ff. Zu einer möglichen Fallkonstellation vgl. Dittert/Regelsberger DStR 2021 672, 678. Prölss/Martin/Voit A-8.3 Rn. 1. Zu dieser Obliegenheit s. Begr. zu § 86, BTDrucks. 16/3945 S. 82; Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 69; Bruck/ Möller/Voit9 § 86 Rn. 148. 1023

Armbrüster

A-8 AVB D&O

Versicherung für fremde Rechnung

Rechtsfolge des Verzichts ist, dass der VR gegenüber der versicherten Person nur insoweit verpflichtet bleibt, als die Verfolgung des Rückgriffsanspruchs erfolglos („ergebnislos“) geblieben wäre. Dieses Kausalitätserfordernis ist § 86 Abs. 2 S. 2 letzter Halbs. VVG nachgebildet. Insoweit weist Ziff. A-8.3 die Beweislast der versicherten Person zu. 25 Für die Anspruchswahrungsobliegenheit gem. § 86 Abs. 2 S. 1, 2 VVG ist es streitig, ob der VN oder der VR hinsichtlich der Werthaltigkeit des Rückgriffsanspruchs die Beweislast trägt.43 Die besseren Argumente sprechen dafür, die Beweislast dem VN (bzw. hier der versicherten Person) zuzuordnen. Es geht nämlich um den Kausalzusammenhang zwischen einer Obliegenheitsverletzung und bestimmten Rechtsfolgen; zudem handelt es sich bei fehlender Kausalität um einen dem VN (bzw. der versicherten Person) günstigen Umstand.44 Die Beweislastregel in Ziff. A-8.3 stimmt mit dieser Regel überein; sie ist daher nicht etwa wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Leitbild gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.45 Im Schrifttum wird Ziff. A-8.3 teils im Hinblick darauf für nach § 87 VVG unwirksam gehal26 ten, dass die Leistungsfreiheit abweichend von § 86 Abs. 2 S. 2 VVG nicht ausdrücklich an Vorsatz geknüpft ist.46 Ein weiterer Verstoß wird teils darin gesehen, dass in der Klausel grobe Fahrlässigkeit unerwähnt bleibt, während § 86 Abs. 2 S. 3 VVG insoweit eine Quotelung vorsieht.47 Indessen genügt für § 86 Abs. 2 S. 2 VVG bedingter Vorsatz, und ein Handeln im Bewusstsein der Übergangsvereitelung oder in Kenntnis des bestehenden Versicherungsvertrags ist nicht erforderlich.48 Wer einen Verzicht erklärt, kennt und will den Anspruchsverlust; dies genügt für Vorsatz i. S. v. § 86 Abs. 2 S. 3 VVG.49 Die Gegenansicht dürfte daher über die Anwendung von § 86 Abs. 2 S. 2, 3 VVG anstelle von Ziff. A-8.3 nicht zu abweichenden Ergebnissen gelangen. Dies gilt auch, soweit sie vereinzelt annimmt, dass grob fahrlässiges Verhalten sanktionslos bleibe.50

24

E. Abweichende AVB I. Verfügungsbefugnis des VN 27 Die Verfügungsbefugnis kann abweichend von B-8.1 beim VN belassen werden.51 Davon ist nicht nur dann auszugehen, wenn die AVB dies ausdrücklich vorsehen, sondern auch dann, wenn sie zu dieser Frage schweigen. Dies folgt daraus, dass es sich bei der Verfügungsbefugnis des VN um den im VVG vorgesehenen Regelfall handelt (s. Rn. 5). Der versicherten Person steht in diesem Fall gegen den VR kein selbstständiger, neben den 28 Freistellungsanspruch tretender Abwehranspruch zu, der von der Verfügungsbeschränkung des § 44 Abs. 2 VVG ausgenommen wäre.52 Dies folgt bereits daraus, dass es sich bei dem An43 S. etwa Bruck/Möller/Voit9 § 86 Rn. 160 (Beweislast des VR); Langheid/Wandt/Möller/Segger § 86 Rn. 328 (Beweislast des VN); näher Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 83.

44 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 48, 50; allg. Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 83. 45 Für Unwirksamkeit jenseits der Großrisikoversicherung hingegen Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 57 (auf Grundlage seiner Annahme, dass bei § 86 Abs. 2 S. 2 letzter Halbs. VVG der VR die Beweislast trage). 46 Prölss/Martin/Voit A-8.3 Rn. 1. 47 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 49; Prölss/Martin/Voit A-8.3 Rn. 2. 48 Prölss/Martin/Armbrüster § 86 Rn. 78; s. auch Langheid/Rixecker/Langheid § 86 Rn. 53. 49 Vgl. auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 49: Vorsatz liege „in aller Regel“ vor. 50 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 49; dagegen zu Recht Prölss/Martin/Voit A-8.3 Rn. 2. 51 Diese Möglichkeit übergeht R. Koch LMK 2014 361886. 52 Prölss/Martin/Voit A-1 Rn. 15; Lange VersR 2007 893, 896 ff.; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1171; R. Koch WM 2007 2173, 2176 f.; missverständlich hingegen LG Marburg 3.6.2004 – 4 O 2/03, BeckRS 2004 15685 Rn. 33 = DB 2005 437, 438; R. Koch GmbHR 2004 18, 24 f. (die §§ 100 ff. [149 ff. a. F.] VVG verdrängten § 44 Abs. 2 [§ 75 Abs. 2 a. F.] VVG); Graf v. Westphalen DB 2005 431, 436. Armbrüster

1024

E. Abweichende AVB

AVB D&O A-8

spruch gegen den VR um einen einheitlichen Deckungsanspruch handelt, bei dem der VR grds. ein Wahlrecht hat, in welcher Weise er es erfüllt (s. Ziff. A-6 Rn. 6 ff.). Für den Fall, dass die Verfügungsbefugnis nach den AVB beim VN verbleibt, wird im Schrift- 29 tum vereinzelt die Auffassung vertreten, dass dann der VN unmittelbar Leistung vom VR verlangen könne.53 Teils wird eine Zahlungsklage des VN gegen den VR für zulässig, aber so lange unbegründet gehalten, wie dieser sich auf sein Erfüllungswahlrecht (s. Ziff. A-6 Rn. 6 ff.) berufen und Abwehr des vom VN gegen einen Versicherten erhobenen Haftpflichtanspruchs erbringen könne.54 Überwiegend wird hingegen davon ausgegangen, dass der VN nicht direkt gegen den VR vorgehen kann.55 Angesichts der im Zuge der VVG-Reform eingeführten Regelung in § 108 Abs. 2 VVG, wonach die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten nicht durch AVB ausgeschlossen werden kann (s. dazu Ziff. A-9 Rn. 8 ff.), hat sich die praktische Bedeutung dieser Frage stark relativiert.56 Richtigerweise bedarf es angesichts der in § 108 Abs. 2 VVG zum Ausdruck kommenden Wertung für einen Direktanspruch des VN gegen den VR einer besonderen Zustimmung der versicherten Person.57 Ist das Wahlrecht des VR entfallen, so steht seiner auf die Verfügungsbefugnis des VN gestützten direkten Inanspruchnahme durch diesen hingegen nichts mehr im Wege. Davon ist insbes. nach rechtskräftigem Abschluss des Haftpflichtprozesses auszugehen, sodass dann der VN den VR unmittelbar in Anspruch nehmen kann.58 Liegt die Verfügungsbefugnis beim VN und stimmt er der gerichtlichen Geltendmachung 30 von Ansprüchen gegen den VR durch die versicherten Personen zu, so umfasst diese Zustimmung i. S. v. § 44 Abs. 2 VVG (s. Rn. 5) dann, wenn der VN nach den AVB statt des Gerichts auch ein Schiedsgericht anrufen kann, auch diese Option. Die versicherten Personen sind bei dieser Gestaltung mithin nach erteilter Zustimmung auch zur Einleitung eines Schiedsverfahrens befugt.59 Für den VN birgt dies das Risiko, dass verschiedene versicherte Personen von der Befugnis in unterschiedlicher Weise Gebrauch machen, wenngleich sie sich in der Praxis regelmäßig auf ein einheitliches Vorgehen verständigen werden.60

II. Vertragliche Einräumung eines Direktanspruchs des VN Wird dem VN in den AVB ein Direktanspruch gegen den VR eingeräumt, so sind dieselben Re- 31 geln heranzuziehen, die auch bei einer (dem gesetzlichen Regelfall entsprechenden) Verfügungsbefugnis des VN maßgeblich sind (zu ihnen s. Rn. 5). Daher ist auch in diesem Fall für ein direktes Vorgehen des VN gegen den VR die Zustimmung der versicherten Person erforderlich (s. Rn. 5). Die vertragliche Gewährung eines Direktanspruchs begegnet aus versicherungsvertragsrechtlichen (Trennungsprinzip; Interessen der versicherten Personen) wie aus gesellschaftsrechtlichen Gründen erheblichen Bedenken.61 Für diese Vertragsgestaltung besteht mittlerweile auch kein Bedürfnis mehr, nachdem der BGH die Abtretung des Freistellungsanspruchs durch die versicherte Person an den VN zugelassen hat (s. Ziff. A-9 Rn. 9). Zwar lassen sich dagegen teils ähnliche Einwände erheben wie hinsichtlich der Einräumung des Direktan53 Säcker VersR 2005 10, 11; offenbar auch Bruck/Möller/Brand9 § 44 Rn. 28 a. E. 54 Lange VersR 2007 893, 897 f. 55 S. nur Mitterlechner/Wax/Witsch § 2 Rn. 24 ff., 30; R. Koch ZVersWiss 2012 151, 156 (in Auseinandersetzung mit OLG München 3.2.1993 – 7 U 3993/91, VersR 1994 422 zur CMR-Versicherung; s. dazu auch Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 14; Ingwersen 71 ff.); Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1169 ff.; eingehende Darstellung des Streitstands bei Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 8. 56 Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 10; vgl. auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 2 Rn. 32 f. 57 Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 10 Rn. 9 ff., 12. 58 OLG Frankfurt/M. 9.6.2011 – 7 U 127/09, RuS 2011 509, 511 (zu § 76 VVG a. F. = § 45 VVG); Mitterlechner/Wax/ Witsch § 2 Rn. 31. 59 BGH 8.11.2018 – I ZB 24/18, VersR 2019 1387 Rn. 23. 60 Vgl. zu Letzterem BGH 8.11.2018 – I ZB 24/18, VersR 2019 1387 Rn. 23. 61 Näher MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 179 ff. 1025

Armbrüster

A-8 AVB D&O

Versicherung für fremde Rechnung

spruchs für den VN. Allerdings gilt dies nicht im Hinblick auf die Gefährdung der Schutzinteressen der versicherten Person,62 denn diese kann frei darüber entscheiden, ob sie ihren Freistellungsanspruch abtritt.

62 Vgl. dazu MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 183. Armbrüster

1026

A-9 Abtretung des Versicherungsanspruches Der Freistellungsanspruch darf vor seiner endgültigen Feststellung ohne Zustimmung des Versicherers weder abgetreten noch verpfändet werden. Eine Abtretung an den geschädigten Dritten ist zulässig.

Schrifttum Baumann Die Überwindung des Trennungsprinzips durch das Verbot des Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, VersR 2010 984; ders. Die Problematik der Abtretbarkeit von Freistellungsansprüchen in der D&O-Versicherung, insbesondere an die geschädigte Versicherungsnehmerin – Zugleich Grundsatzbetrachtungen zu § 108 Abs. 2 VVG –, RuS 2011 229; Böttcher Direktanspruch gegen den D&O-Versicherer – Neue Spielregeln im Managerhaftungsprozess? NZG 2008 645; Brinkmann Die prozessualen Konsequenzen der Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung, ZIP 2017 301; Grooterhorst/Looman Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs gegen den Versicherer im Rahmen der D&O-Versicherung, NZG 2015 215; Harzenetter Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung nach den BGH-Urteilen vom 13.4.2016, NZG 2016 728; Herdter Abtretung des Freistellungsanspruchs in der D&O-Versicherung, VersPrax 2012 168; R. Koch VVG-Reform: Zu den Folgen der Untersagung des Anerkenntnis- und Abtretungsverbots in der Haftpflichtversicherung, FS Winter (2007) S. 345; ders. Der Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung, RuS 2009 133; ders. Das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer, Versicherungsnehmer und versicherten Personen in Innenhaftungsfällen der D&O-Versicherung, ZVersWiss 2012 151; ders. Abtretung des Freistellungsanspruchs in D&O-Innenhaftungsfällen, VersR 2016 765; Lange Der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (am Beispiel der D&O-Versicherung), RuS 2011 185; Löbbe Abtretungslösung – Königsweg zur Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen? FS Marsch-Barner (2018) 317; v. Rintelen Die Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des abgetretenen Freistellungsanspruchs in der Haftpflichtversicherung, RuS 2010 133; Schimmer Die D&O-Versicherung und §§ 105, 108 Abs. 2 VVG – kann die Versicherungsnehmerin geschädigte Dritte sein? VersR 2008 875; Schramm Grenzen der Abtretung bei der D&O-Versicherung im Lichte des neuen VVG, PHi 2008 24; Schramm/Wolf Das Abtretungsverbot nach der VVG-Reform, RuS 2009 358. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

A-9 Abtretung des Versicherungsanspruches

Ziff. 10.2

Der Freistellungsanspruch darf vor seiner endgültigen Feststellung ohne Zustimmung des Versicherers weder abgetreten noch verpfändet werden. Eine Abtretung an den geschädigten Dritten ist zulässig.

Der Freistellungsanspruch darf vor seiner endgültigen Feststellung ohne Zustimmung des Versicherers weder abgetreten noch verpfändet werden. Eine Abtretung an den geschädigten Dritten ist zulässig.

Übersicht 1

A.

Überblick

B.

Abtretungs- und Verpfändungsverbot 5 (S. 1)

C.

Abtretung an den Dritten (S. 2)

I. 1. 2.

8 Voraussetzungen 8 Außenhaftung 9 Innenhaftung 9 a) Streitstand 10 b) Stellungnahme 13 c) Praktische Folgen

II. 1.

Ausschluss der Abtretung Individualvereinbarung

8

2. 3. 4.

Sittenwidrigkeit 15 16 Treuwidrigkeit Gesellschaftsrechtliche Schranken

III. 1.

18 Rechtsfolgen Umwandlung in Zahlungsanspruch 18 a) Grundregeln 20 b) Fälligkeit 20 aa) Streitfrage 21 bb) Meinungsstand 22 cc) Stellungnahme 23 Prozessuales 23 a) Einheitliches Verfahren 25 b) Zuständigkeit 26 c) Klageart 27 d) Rechtskraftwirkung

2.

14 14

1027 https://doi.org/10.1515/9783110522662-039

17

18

Armbrüster

A-9 AVB D&O

Abtretung des Versicherungsanspruches

e) f) g)

3. 4.

Gesetzlicher Vertreter des VN 28 31 Zeugenstellung des Zedenten 32 Beweislast bei Innenhaftung 32 aa) Streitfrage 33 bb) Meinungsstand 34 cc) Stellungnahme Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 36 Abs. 2 BGB Prozess der Gesellschaft gegen das Organmit37 glied

D.

Rechtslage bei unterbliebener Abtre38 tung

E.

Verpfändung an den Dritten

40

F.

Abweichende AVB

I.

Muster-AVB

II. 1.

43 Unternehmens-AVB Verbot der Abtretung des Freistellungsan43 spruchs 43 a) Überblick 44 b) Rechtslage bei Großrisiken 44 aa) Meinungsbild 45 bb) Stellungnahme 48 cc) Praktische Folgen c) Rechtslage bei der laufenden Versiche49 rung

40

39

A. Überblick 1 Ziff. A-9 betrifft die Frage, inwiefern eine versicherte Person den Freistellungsanspruch abtreten oder verpfänden kann. Die versicherte Person ist nicht nur Anspruchsinhaberin (§ 44 Abs. 1 S. 1 VVG; s. Einf Rn. 89), sondern darüber hinaus – abweichend von § 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG – auch Verfügungsberechtigte (Ziff. A-8.1; s. Ziff. A-8 Rn. 6). Ziff. A-9 S. 1 untersagt es der versicherten Person, ohne Zustimmung des VR von dieser Verfügungsberechtigung durch Abtretung oder Verpfändung Gebrauch zu machen, bevor der Anspruch endgültig festgestellt ist (s. Rn. 5). 2 Die für die Praxis entscheidende Aussage zur Abtretung steht in Ziff. A-9 S. 2: Die versicherte Person kann den Anspruch demnach (anders als noch nach Ziff. 11.2 AVB-AVG 97) an den geschädigten Dritten abtreten. Dies entspricht der Regelung in § 108 Abs. 2 VVG, wonach die Abtretung an den Dritten nicht durch AVB – und damit angesichts deren Bedeutung für die Vertragspraxis faktisch überhaupt nicht – ausgeschlossen werden kann. Die Klausel hat nach Ansicht des BGH und der h. L. zur Folge, dass die versicherte Person ihren gegenüber dem VR bestehenden Freistellungsanspruch auch an den VN abtreten kann (s. Rn. 9). Durch die Abtretung verwandelt sich der Anspruch in einen Zahlungsanspruch (s. Rn. 18). Dies ermöglicht es, Haftpflicht- und Deckungsfrage in einem einheitlichen Verfahren klären zu lassen (s. Rn. 23 f.). Die Abtretbarkeit dient insoweit der Vereinfachung. 3 Bei § 108 Abs. 2 VVG handelt es sich nicht lediglich um eine halbzwingende Vorschrift (vgl. § 112), sondern im Hinblick auf Vereinbarungen in AVB weitergehend um eine zwingende Regelung (absolute Schranke der Privatautonomie).1 Dies ist konsequent, da die Regelung nicht zuletzt den Interessen des Geschädigten dient.2 Die Abtretung ist auch nicht nach der zessionsrechtlichen Vorgabe in § 399 Fall 1 BGB wegen Inhaltsänderung ausgeschlossen. Vielmehr wandelt sich der Freistellungsanspruch in der Hand des Zessionars als desjenigen, dem gegenüber der VR freizustellen hat, in einen Zahlungsanspruch gegen den VR um (s. Rn. 18). Der Abwehranspruch (Ziff. A-6.1 lit. b) ist in Ziff. A-9 nicht erwähnt. Er ist als höchstper4 sönlicher Anspruch nach § 399 Fall 1 BGB generell nicht abtretbar.3 Dasselbe gilt für den Anspruch auf Prüfung der Haftpflichtfrage (Ziff. A-6.1 lit. a).

1 Begr. zu § 210 Abs. 2 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 115; HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 9. 2 Vgl. Begr. zu § 108 Abs. 2, BTDrucks. 16/3945 S. 87; s. auch BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 25.

3 Looschelders/Pohlmann/Hachling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh C Rn. 51; Höra/Sieg § 17 Rn. 179. Armbrüster

1028

C. Abtretung an den Dritten (S. 2)

AVB D&O A-9

B. Abtretungs- und Verpfändungsverbot (S. 1) S. 1 untersagt es, den Freistellungsanspruch vor seiner endgültigen Feststellung ohne Zustim- 5 mung des VR abzutreten oder zu verpfänden. Insoweit knüpft die Klausel an die allg. gesetzliche Regel in § 108 Abs. 1 S. 1 VVG an. Demnach sind Verfügungen des VN über den Freistellungsanspruch dem geschädigten Dritten gegenüber unwirksam. Dieses relative Verfügungsverbot i. S. v. § 135 BGB4 soll nach dem Willen des Gesetzgebers sicherstellen, dass die Entschädigung unter allen Umständen dem Dritten zugutekommt.5 Das Verfügungsverbot des § 108 Abs. 1 S. 1 VVG ist freilich für den Normalfall einer Haft- 6 pflichtversicherung auf eigene Rechnung formuliert. Bei der D&O-Versicherung tritt die versicherte Person als Inhaberin des versicherten Interesses an die Stelle des VN (s. Einf Rn. 89). Hinzu kommt die Besonderheit, dass im Fall der Innenhaftung der geschädigte Dritte zugleich der VN ist. Eine verbotswidrige Verfügung durch die versicherte Person ist mithin bereits nach § 108 Abs. 1 S. 1 VVG gegenüber dem VN als dem Geschädigten unwirksam. Ziff. A-9 S. 1 tritt zu § 108 Abs. 1 S. 1 VVG hinzu, indem darin zusätzlich ein vertragliches 7 Abtretungs- und Verpfändungsverbot vorgesehen wird. Dies führt über § 399 Fall 2 BGB grds. zu einem absoluten Abtretungs- und Verpfändungsverbot (mit Zustimmungsmöglichkeit seitens des VR). Eine Schranke dieses Verbots bildet aber § 108 Abs. 2 VVG: Die Abtretung an den geschädigten Dritten kann nicht durch AVB (sondern nur durch Individualabrede; s. Rn. 14) ausgeschlossen werden. Danach ist der aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag folgende Freistellungsanspruch grds. nach §§ 398, 399 Fall 2 BGB an den Dritten abtretbar. Die eigenständige Bedeutung von S. 1 gegenüber § 108 Abs. 1 S. 1 VVG liegt darin, dass sich nicht nur der Geschädigte (hier: VN), sondern auch der VR darauf berufen kann.6 Diese Klausel in S. 1 ist ohne Weiteres wirksam.7

C. Abtretung an den Dritten (S. 2) I. Voraussetzungen 1. Außenhaftung Steht die Außenhaftung einer versicherten Person gegenüber einem außenstehenden Dritten 8 in Rede, so ist die Abtretung nach Ziff. A-9 S. 2 ohne Weiteres zulässig. Praktisch bedeutsam ist die Regelung allerdings hauptsächlich bei der Innenhaftung (zu ihr s. Rn. 9 ff.).8

2. Innenhaftung a) Streitstand. Umstritten ist die Frage, ob § 108 Abs. 2 VVG und Ziff. A-9 S. 2 auch für die 9 praktisch ganz im Vordergrund stehenden Fälle der Innenhaftung gelten. Es geht also darum, ob die Abtretung auch dann an den geschädigten Dritten zulässig sein muss, wenn es sich bei ihm um den VN handelt (was zur Folge hätte, dass Ziff. A-9 S. 2 dementsprechend gesetzeskon-

4 5 6 7 8

MüKo-BGB/Armbrüster9 § 135 Rn. 29; Prölss/Martin/Lüke § 108 Rn. 15. Motive zum VVG 639. Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 24. Lange VersR 2011 429, 430 m. Fn. 13; Prölss/Martin/Voit Ziff. A-9 Rn. 1. Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 398.

1029

Armbrüster

A-9 AVB D&O

Abtretung des Versicherungsanspruches

form in diesem Sinne auszulegen ist). Der BGH9 und die h. L.10 bejahen dies. Der BGH hat dazu ausgeführt, dass Wortlaut und Zweck des § 108 Abs. 2 VVG und entsprechender Klauseln keine einschränkende Auslegung gebieten, welche die Anwendung auf eine Abtretung durch die versicherte Person an den VN in der D&O-Versicherung ausschließen würde. Nach der Gegenansicht11 ist § 108 Abs. 2 VVG nicht auf den Fall zugeschnitten, dass geschädigter Dritter und VN identisch sind. Im Folgenden soll zunächst der Normzweck wiedergegeben und sodann zu der Streitfrage Stellung genommen werden, ob die Vorschrift im Wege teleologischer Reduktion auf die D&O-Versicherung unanwendbar ist.

10 b) Stellungnahme. § 108 Abs. 2 VVG soll es dem Dritten ermöglichen, den VR unmittelbar in Anspruch zu nehmen. Die Regierungsbegründung12 nennt dafür zwei Gründe: Der VN (hier jeweils: die versicherte Person) könne ein Interesse daran haben, den Geschädigten an den VR zu verweisen, wenn dieser einen Haftpflichtanspruch in Frage stellt, den der VN – vielleicht wegen seiner Beziehungen zum Geschädigten – nicht einfach zurückweisen wolle. Zudem entspreche das Verbot des Abtretungsverbots den Interessen des Geschädigten, der häufig das Innenverhältnis zwischen Schädiger und Haftpflichtversicherer nicht kenne. Ihm drohten Nachteile, wenn sich der VN nicht um die Angelegenheit kümmere; zudem sei ihm bei Insolvenz des Schädigers die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den VR erschwert. Diese Zwecke sind auf die Situation zugeschnitten, dass zwischen Schädiger und geschädigtem Drittem vor dem Schadensereignis keine Rechtsbeziehung bestanden hat. Den Fall, dass der Geschädigte mit dem VN identisch ist, hat der Gesetzgeber dabei offenkundig nicht bedacht. Die ges. Vorgaben passen für diesen Fall nämlich nicht: Der VN braucht keine Nachteile zu befürchten, und er hat den VR bei der Abwehr unbegründeter Ansprüche zu unterstützen (s. Ziff. A-6 Rn. 18). 11 Zudem besteht bei einer Abtretung in erhöhtem Maße die Gefahr, dass das versicherte Organmitglied und die Gesellschaft als VN zum Nachteil des VR kollusiv zusammenwirken könnten (s. allg. zu dieser Gefahr Einf Rn. 11).13 Dies gilt etwa im Hinblick auf die Möglichkeit, dass die versicherte Person Schadenersatzansprüche in freundlichem Einvernehmen anerkennt (sog. „friendly understanding“; vgl. § 105 VVG). Der versicherten Person kann infolge der Abtretung im Prozess zudem eine Zeugenstellung verschafft werden (s. Rn. 15, 31), womit eine erleichterte Durchsetzung auch fragwürdiger Ansprüche droht. Gewiss werden verantwortungsbewusste Organmitglieder, die den Sorgfaltsmaßstab des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG verinnerlicht haben, so nicht agieren. Auch wird das Risiko etwa bei einer börsennotierten AG wesentlich geringer sein als bei einer Einpersonen-GmbH ohne Kontrollorgan. Dies gilt schon im Hinblick auf den drohenden Re-

9 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 19 ff. m. zust. Anm. Harzenetter NZG 2016 728 und krit. Anm. Armbrüster NJW 2016 2155. 10 Baumann RuS 2011 229, 230 ff.; Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 26 ff., 31; Beckmann/MatuscheBeckmann/Beckmann § 28 Rn. 7c; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 41 ff.; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVBAVG Rn. 19; Klimke RuS 2014 105, 114 f.; Bruck/Möller/R. Koch § 108 Rn. 36; R. Koch RuS 2009 133, 134 ff.; Lange RuS 2011 185, 187 f.; Veith/Gräfe/Gebert/Lange § 21 Rn. 20; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 20; MAH-VersR/ Sieg § 17 Rn. 190; Prölss/Martin/Voit Rn. 1; Thomas 450 ff.; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 77; Mitterlechner/Wax/ Witsch § 10 Rn. 1. 11 Armbrüster RuS 2010 441, 448; ders. NJW 2016 2155, 2156; Ihlas 408 ff.; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 435 f.; Schimmer VersR 2008 875, 878; wohl auch Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh C Rn. 54 f.; tendenziell auch HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 7 (durch die Abtretung werde die Versicherung zur „Bilanzschutzdeckung“). 12 Begr. zu § 108 Abs. 2 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 87. 13 Ihlas 408 ff.; Schimmer VersR 2008 875, 877 ff.; vgl. auch zur früheren Rechtslage LG Wiesbaden 14.12.2004 VersR 2005 545, 546. Armbrüster

1030

C. Abtretung an den Dritten (S. 2)

AVB D&O A-9

putationsverlust, wenn sich ein Organmitglied dem Vorwurf einer Pflichtverletzung nicht widersetzt. Gleichwohl bleiben hier Manipulationsgefahren, die höher sind als ohne Abtretung.14 Soweit die h. M. demgegenüber darauf verweist, dass die Abtretung bei Insolvenz der versi- 12 cherten Person wichtig sei, um dem VN den Schutz zu erhalten,15 verkennt dies, dass § 110 VVG ein Absonderungsrecht vorsieht (s. Einf Rn. 118) und dass die Interessen des VN nicht vom Deckungsumfang der D&O-Versicherung umfasst sind (s. Einf Rn. 89). Auch das Interesse der versicherten Person daran, sich aus dem Streit herauszuziehen,16 vermag nichts daran zu ändern, dass der Zweck des § 108 Abs. 2 VVG für die D&O-Versicherung nicht passt.

c) Praktische Folgen. Für die Praxis ist allerdings die vom BGH vertretene weite Auslegung 13 des Begriffs „Dritter“ (s. Rn. 9) maßgeblich. Der BGH17 hat diese Auslegung ausdrücklich sowohl auf die zwingende Regelung des § 108 Abs. 2 VVG als auch auf entsprechende Klauseln bezogen; in dem Rechtsstreit ging es um eine Ziff. A-9 S. 2 inhaltsgleiche Klausel. Demnach ist Ziff. A-9 S. 2 so zu verstehen, dass auch die Abtretung von Innenhaftungsansprüchen an den VN zulässig ist. Sofern die Klausel in Großrisikoverträgen verwendet wird, gilt sie ohne Weiteres, da sie insoweit keine Einschränkung vorsieht (zur Rechtslage in abweichenden AVB s. Rn. 44 ff.). Im Schrifttum wird freilich zu Recht darauf hingewiesen, dass sich mit einer Abtretung die von den daran Beteiligten damit erhofften Vorteile keineswegs stets erzielen lassen.18 II. Ausschluss der Abtretung 1. Individualvereinbarung § 108 Abs. 2 VVG untersagt allein ein in AVB vorgesehenes Abtretungsverbot. Mithin kann durch 14 Individualvereinbarung von Ziff. A-9 S. 2 abweichend die Abtretung an den Dritten ausgeschlossen werden.19 In der Praxis werden allerdings üblicherweise AVB verwendet, so dass es sich um Ausnahmefälle handelt.20 Zum Ausschluss der Abtretung in AVB bei Großrisikoverträgen s. Rn. 44 ff.

2. Sittenwidrigkeit Hält man mit dem BGH und der h. M. ein Abtretungsverbot in AVB auch bei der Innenhaftung 15 für unzulässig (krit. dazu Rn. 10 ff.), so kommt es gleichwohl in Einzelfällen in Betracht, dass die Abtretung nichtig ist, und zwar wegen Sittenwidrigkeit. Allerdings führt nach den allg. Regeln allein der mit einer Abtretung verfolgte Zweck, einer bestimmten Person vor Gericht eine Zeugenstellung zu verschaffen, nicht zu einem Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB.21 Anders ist 14 Schimikowski RuS 2014 125; a. A. Hösker VersR 2013 952, 955. Der BGH (BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 20; ebenso das im Wesentlichen gleich lautende Parallelurteil BGH 13.4.2016 – IV ZR 51/14, BeckRS 2015 7881 Rn. 27) verweist lediglich darauf, dass eine Missbrauchsgefahr auch ohne Abtretung bestehe. 15 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 30 (s. aber auch Rn. 41). 16 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 33. 17 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 17. 18 A. Reuter FS Pannen (2017) 655, 664 f. 19 GDV-Erl. zu Ziff. A-9; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 193; allg. HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 108 Rn. 5. 20 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 193 („In der Praxis spielen solche Vereinbarungen gegenwärtig keine Rolle.“). 21 BGH 8.1.1976 – III ZR 148/73, WM 1976 424; OLG Nürnberg 30.4.1968 – 3 U 102/67, VersR 1969 46; MüKo-BGB/ Armbrüster9 § 138 Rn. 190; jurisPK-BGB/Nassall 9. Aufl. (2020) § 138 Rn. 187. 1031

Armbrüster

A-9 AVB D&O

Abtretung des Versicherungsanspruches

die Lage, wenn VN und versicherte Person mit der Abtretung bezwecken den Prozess durch Falschaussagen zu beeinflussen. In diesem Fall ist die Abtretung nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Kollusion nichtig.22 Sittenwidrig kann zudem eine Abtretung sein, zu der die versicherte Person unter Einsatz unangemessenen Drucks (etwa durch Androhung überhöhter Schadensersatzansprüche)23 genötigt wurde. Allerdings kann § 138 Abs. 1 BGB in solchen Fällen nur dann zum Zuge kommen, wenn zu einer widerrechtlichen Drohung weitere Umstände hinzukommen, etwa die Ausnutzung einer gegenwärtigen Zwangslage. Anderenfalls ist die versicherte Person auf die Anfechtung gem. § 123 Abs. 1 Fall 2 BGB verwiesen.24

3. Treuwidrigkeit 16 Die Ausübung der in Ziff. A-9 S. 2 eingeräumten Abtretungsbefugnis kann im Einzelfall treuwidrig i. S. v. § 242 BGB sein mit der Folge, dass die Geltendmachung der Forderung durch den Zessionar eine unzulässige Rechtsausübung darstellt.25 Dies wird teils für den Fall bejaht, dass die versicherte Person bereits Abwehrdeckung in Anspruch genommen hat.26 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass dann das Vertrauen der versicherten Person auf die durch § 108 Abs. 2 VVG gesicherte Abtretungsmöglichkeit hinter das Vertrauen des VR darauf, dass nach „Annahme der gewährten Rechtsschutzdeckung“27 eine Abtretung des Freistellungsanspruchs nicht mehr erfolgt, zurücktritt. Indessen gilt es zu beachten, dass dem VR ein Wahlrecht zusteht, in welcher Weise er Deckung gewährt (sog. Erfüllungswahlrecht; s. Ziff. A-6 Rn. 6 ff.). Allein der Umstand, dass eine versicherte Person sich Abwehrdeckung gewähren lässt, begründet daher keinen Vertrauenstatbestand, der zur Treuwidrigkeit einer späteren Abtretung führt.28 Ein Verstoß gegen § 242 BGB erfordert vielmehr eine Inanspruchnahme besonderen Vertrauens, indem der Eindruck erweckt wird, den Freistellungsanspruch auch künftig nicht abtreten zu wollen. Möchte der VR sich dagegen absichern, dass er zunächst Abwehrdeckung leistet und sodann der Freistellungsanspruch abgetreten wird, kann er versuchen die Abtretung durch individuelle Vereinbarung – welche durch § 108 Abs. 2 VVG nicht untersagt wird (s. Rn. 14) – mit der versicherten Person auszuschließen. Im Übrigen führt die Abtretung des Freistellungsanspruchs keineswegs dazu, dass zuvor erbrachte Abwehrleistungen damit nutzlos würden. Vielmehr kann der VR auch nach der Abtretung den geltend gemachten Schadensersatzanspruch abwehren, da der Abwehranspruch durch die Abtretung nicht berührt wird (s. Rn. 4).

4. Gesellschaftsrechtliche Schranken 17 Nach § 93 Abs. 4 S. 3 AktG bedarf es für einen Verzicht oder Vergleich hinsichtlich der Ersatzpflicht von Vorstandsmitgliedern eines Hauptversammlungsbeschlusses; zudem kann eine Minderheit Widerspruch erheben und es ist eine Dreijahresfrist ab Anspruchsentstehung einzuhalten. Diese Anforderungen gelten allerdings nur für den Haftpflichtanspruch. Auf den Freistellungsanspruch sind sie nicht zu erstrecken. Sofern dessen Abtretung nur erfüllungshalber (und nicht an Erfüllungs statt) erfolgt, wovon regelmäßig auszugehen ist (s. Rn. 19), greift § 93 Abs. 4 S. 3 AktG mithin nicht ein.29 Mit der Abtretung ist regelmäßig auch keine konkludente Stillhaltevereinbarung hin22 23 24 25 26 27 28 29

BGH 8.1.1976 – III ZR 148/73, WM 1976 424; vgl. allg. zur Kollusion MüKo-BGB/Armbrüster9 § 138 Rn. 165. Vgl. Schimmer VersR 2008 875, 879. MüKo-BGB/Armbrüster9 § 138 Rn. 10. Vgl. dazu allg. BGH 20.12.1956 – VII ZR 279/56, BGHZ 23 53, 55; Baumgärtel AcP 156 (1957) 265, 268. Mitterlechner/Wax/Witsch § 10 Rn. 36 f. Mitterlechner/Wax/Witsch § 10 Rn. 36 f. Krit. zur Ansicht von Mitterlechner/Wax/Witsch auch Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 34 Fn. 107. Brinkmann ZIP 2017 301, 303; Harzenetter NZG 2016 729 (730 f.); Hüffer/Koch § 93 Rn. 58d.

Armbrüster

1032

C. Abtretung an den Dritten (S. 2)

AVB D&O A-9

sichtlich des Haftpflichtanspruchs verbunden, so dass eine Anwendung von § 93 Abs. 4 S. 3 AktG auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt.30 Soll nach der Abtretung ein Vergleich über den Haftpflichtanspruch geschlossen werden, greift die Regelung hingegen ein.

III. Rechtsfolgen 1. Umwandlung in Zahlungsanspruch a) Grundregeln. Die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten als demjenigen, dem 18 gegenüber freizustellen ist, führt dazu, dass sich der Anspruch in einen Zahlungsanspruch umwandelt.31 Der Geschädigte – sei es der VN oder ein Dritter – erlangt mithin einen Direktanspruch gegen den VR.32 Auf rechtsgeschäftlichem Wege, nämlich durch die Abtretung, wird damit ein Ergebnis erreicht, das nach objektivem Recht nur in wenigen Fällen vorgesehen ist (s. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG, dessen Nr. 1 von vornherein nicht eingreift, da es sich bei der D&OVersicherung, wie in Einf Rn. 44 f. dargelegt, nicht um eine Pflichtversicherung handelt).33 Der VN kann dann eine Direktklage gegen den VR erheben (s. Rn. 24). In diesem Verfahren ist inzident auch die Haftung zu prüfen (s. Rn. 24). Die Abtretung ist regelmäßig als Leistung erfüllungshalber (vgl. § 364 Abs. 2 BGB)34 auf den 19 vom VN geltend gemachten Anspruch aufzufassen.35 Dies folgt daraus, dass der VN regelmäßig nicht das Risiko übernehmen möchte, dass die Inanspruchnahme des VR insbes. aus deckungsrechtlichen Gründen fehlschlägt (vgl. Rn. 37). so dass der VN anschließend nicht mehr gegen die versicherte Person vorgehen kann, solange und soweit eine Eintrittspflicht des VR nicht rechtskräftig verneint oder die Abtretung rückgängig gemacht ist (pactum de non petendo).36

b) Fälligkeit aa) Streitfrage. Wann der Zahlungsanspruch fällig wird, ist umstritten. In Betracht kommen 20 die haftpflichtversicherungsrechtliche Spezialvorschrift des § 106 S. 1 VVG oder die allgemeine Fälligkeitsregel des § 14 Abs. 1 VVG. Hierzu werden im Wesentlichen drei Ansichten vertreten.

bb) Meinungsstand. Teils wird auf § 106 S. 1 VVG abgestellt, wonach für die Fälligkeit ein 21 rechtskräftiges Urteil, ein Anerkenntnis oder ein Vergleich erforderlich ist.37 Dies bedeutet, dass nur und erst ein rechtskräftiges Urteil im Verhältnis von Schädiger und Geschädigtem die Fälligkeit herbeiführen könne. Andere wollen § 106 S. 1 VVG analog in dem Sinne anwenden, dass rechtskräftiges Urteil i. S. der Vorschrift das Urteil im Prozess des Geschädigten gegen den VR 30 Unmuth AG 2020 890. 31 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 22; Dreher/Thomas ZGR 2008 31, 42; R. Koch RuS 2009 133, 134 f.; Langheid VersR 2009 1043, 1044; HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 11; Prölss/Martin/Voit Rn. 2; a. A. Lange VersR 2008 713; Schramm/Wolf RuS 2009 358, 361. 32 Krit. zur Verwendung dieses Ausdrucks außerhalb von § 115 VVG Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVBAVG Rn. 20. 33 S. nur Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 16, weitere Nachw. bei Einf Rn. 44 f. 34 S. dazu HK BGB/Schulze § 364 Rn. 10. 35 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 26. 36 Prölss/Martin/Voit Ziff. A-1 Rn. 6; Langheid VersR 2009 1043, 1045. 37 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh C Rn. 55 f., 162; Schramm/Wolf RuS 2009 358, 360; wohl auch Prölss/Martin/Voit Rn. 2 (s. aber auch Ziff. A-1 Rn. 16 a. E.: fehlende Fälligkeit nach § 106 VVG könne dem Zahlungsanspruch nicht mehr entgegengehalten werden); zu § 154 Abs. 1 S. 1 VVG a. F. so bereits KG 17.1.2006 – 6 U 275/04, VersR 2007 349, 350; s. auch GDV-Erl. zu Ziff. A-9. 1033

Armbrüster

A-9 AVB D&O

Abtretung des Versicherungsanspruches

sei. Mit der Zahlung an den Geschädigten werde nämlich zugleich der Schädiger von seiner Haftpflichtschuld befreit, was die Analogie rechtfertige.38 Beide Ansichten übergehen nach einer dritten Ansicht den Umstand, dass es nicht mehr um die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs, sondern um diejenige des infolge der Abtretung an seine Stelle getretenen Zahlungsanspruchs geht. Für Zahlungsansprüche gegen den VR gelte aber nicht § 106 S. 1 VVG, sondern § 14 Abs. 1 VVG. Diese Vorschrift sei somit auch hier anwendbar.39

22 cc) Stellungnahme. Die für die Anwendung von § 14 Abs. 1 VVG vorgebrachten Argumente überzeugen. Die Anwendung dieser Norm anstelle von § 106 VVG ist auch sachgerecht, da die in letzterer Norm vorgesehene Zweiwochenfrist es dem VR ermöglichen soll die Anspruchsberechtigung zu prüfen, was nach Abschaffung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots im Zuge der VVG-Reform erforderlich ist.40 Für eine solche Prüfung besteht hier kein Bedürfnis, da die Haftpflichtfrage inzident im Prozess des Geschädigten gegen den VR geklärt wird (s. Rn. 24).41 Spätestens am Schluss der mündlichen Verhandlung sind die erforderlichen Feststellungen abgeschlossen. Aus diesem Grund greift auch der gegen die Anwendung von § 14 Abs. 1 VVG vorgebrachte Einwand nicht durch, dass der (abgetretene) Freistellungsanspruch noch durch die verbindlichen Feststellungen i. S. v. § 106 VVG rechtsbedingt sei.42 Dementsprechend hat auch der BGH nach der Abtretung des Freistellungsanspruchs die Fälligkeit des eingeklagten Zahlungsanspruchs nicht in Frage gestellt.43

2. Prozessuales 23 a) Einheitliches Verfahren. Durch die Umwandlung in einen Zahlungsanspruch des Dritten gegen den VR wird das in der Haftpflichtversicherung geltende Trennungsprinzip (s. Einf Rn. 162 ff.) in gewissem Umfang überwunden.44 Nach diesem Prinzip ist materiell und verfahrensrechtlich das Haftpflichtverhältnis des versicherten Schädigers zum geschädigten Dritten von seinem Haftpflichtversicherungsverhältnis (Deckungsverhältnis) zum VR zu trennen.45 Infolge der Abtretung sind die Haftpflicht- und die Deckungsfrage in einem einheitlichen Verfahren zwischen geschädigtem Dritten (als Zessionar des Freistellungsanspruchs) und VR zu prüfen. Nach Abtretung des Freistellungsanspruchs kann der Dritte (also auch der VN) unmittelbar 24 vom VR Zahlung verlangen (Direktklage).46 In diesem Verfahren muss das Gericht inzident als Vorfrage den Haftpflichtanspruch prüfen.47 Der VR kann den Dritten entgegen einer unter Hinweis auf das Erfüllungswahlrecht des VR (s. Ziff. A-6 Rn. 6 ff.) und § 404 BGB vertretenen Ansicht48 38 Baumann VersR 2010 984, 987; Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 20. 39 Armbrüster RuS 2010 441, 450; v. Rintelen RuS 2010 133, 137 f.; R. Koch RuS 2009 133, 135; gegen Heranziehung von § 106 S. 1 VVG auch Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 33 f. 40 Begr. zu § 106 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 86. 41 R. Koch RuS 2009 133, 135. 42 Baumann VersR 2010 984, 985. 43 Vgl. BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 14 ff.; so verstehen das Urteil auch MAHVersR/Sieg § 17 Rn. 191; R. Koch VersR 2016 765, 766. 44 HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 11. 45 Armbrüster RuS 2010 441, 448 ff.; Baumann VersR 2010 2010, 984 ff. 46 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 14 ff.; s. auch BGH 20.4.2016 – IV ZR 531/14, VersR 2016 783 Rn. 17 ff. (betr. Anwaltshaftpflichtversicherung). 47 Baumann VersR 2010 984, 988; Harzenetter NZG 2016 728, 731; Prölss/Martin/Voit Rn. 2; s. auch Seitz/Finkel/ Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 40 (zum Zusammentreffen von Anerkenntnis und Abtretung). 48 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh C Rn. 52 f., 55 f.; Lange RuS 2011 185, 192 ff. (dazu krit. Baumann RuS 2011 229, 234 ff.); Schramm/Wolf RuS 2009 358, 361. Armbrüster

1034

C. Abtretung an den Dritten (S. 2)

AVB D&O A-9

nicht darauf verweisen, er werde Abwehrdeckung gewähren.49 Allerdings riskiert der Dritte, dass seine Zahlungsklage aus deckungsrechtlichen Gründen abgewiesen wird. In diesem Fall bleibt ihm nichts anderes übrig als gegen den Schädiger vorzugehen, wozu er ohne Weiteres in der Lage ist (s. Rn. 37).

b) Zuständigkeit. Für die Zuständigkeit der Gerichte und ggf. auch eines Schiedsgerichts 25 kommt es darauf an, ob der Direktanspruch sich vorrangig nach den haftungs- oder nach den versicherungsrechtlichen Regeln richtet. Dies ist etwa bedeutsam für die örtliche Zuständigkeit nach § 29 ZPO bzw. § 215 VVG, für die Abgrenzung von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgericht oder für die Zuständigkeit zur Rechtsverfolgung in einer AG (§§ 78, 112 AktG).50 Dafür, den Direktanspruch als versicherungsrechtlichen Anspruch zu qualifizieren, lässt sich darauf verweisen, dass der BGH davon spricht, der „Deckungsanspruch“51 wandele sich in einen Zahlungsanspruch um. Freilich wird im Schrifttum zu Recht darauf hingewiesen, dass in den Fällen des Direktanspruchs nach § 115 VVG das Haftungs- und nicht das Deckungsverhältnis maßgeblich sein soll.52 Daraus lässt sich indessen keine allg. Regel herleiten. Hier geht es um den Fall der Abtretung eines als versicherungsrechtlich zu qualifizierenden Anspruchs, während es in § 115 VVG heißt, dass der Dritte „seinen Anspruch auf Schadenersatz“ auch gegen den VR geltend machen kann. Die besseren Argumente sprechen mithin dafür, den Direktanspruch als versicherungsrechtlich einzuordnen. Für die Praxis wird es im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit freilich darauf ankommen, wie die jeweils in Betracht kommenden Eingangsinstanzen die Frage handhaben. c) Klageart. Statthaft ist die auf Zahlung gerichtete Leistungsklage. Da die Fälligkeit des Zah- 26 lungsanspruchs regelmäßig bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eintritt (s. Rn. 22), ist der Geschädigte nicht darauf verwiesen eine Klage auf künftige Leistung nach § 259 ZPO zu erheben.53 d) Rechtskraftwirkung. Die gerichtlichen Feststellungen zum Haftpflichtanspruch können 27 zwischen VN und VR nur im Wege einer Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft erwachsen. Gegenüber der versicherten Person kann auch auf diesem Weg keine Rechtskraft erzielt werden.54 Selbst durch eine Nebenintervention nach §§ 72 ff. ZPO lässt sich keine Bindungswirkung erreichen, sofern die Entscheidung nicht auf den Ausführungen zur Haftungsfrage beruht.55 Freilich entfalten die Entscheidungsgründe regelmäßig eine faktische Präjudizwirkung. Zudem kann es für Schädiger und Geschädigten womöglich sinnvoll sein, eine Bindungswirkung vertraglich festzulegen.56 Allein aus der Abtretungsvereinbarung lässt sich eine solche Abrede indessen nicht im Wege der (ergänzenden) Auslegung entnehmen.57 49 HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 11. 50 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 192 mit Fn. 336. Zu weiteren verfahrensrechtlichen Fragen s. Grooterhorst/Looman NZG 2015 215, 218; Harzenetter NZG 2016 728, 731. 51 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209 373 = VersR 2016 786 Rn. 22. 52 MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 192. 53 Armbrüster RuS 2010 441, 450; v. Rintelen RuS 2010 133, 137; im Erg. auch Baumann VersR 2010 984, 988. 54 Armbrüster RuS 2010 441, 451; Baumann VersR 2010 984, 988 ff.; vgl. Bruck/Möller/Koch § 108 Rn. 68. 55 Armbrüster RuS 2010 441, 451; Hüffer/Koch AktG § 93 Rn. 58 f. 56 Lange RuS 2007 401, 404; Langheid VersR 2007 865, 868; vgl. aber Böttcher NZG 2008 645, 650 (offenbar generell keine Bindungswirkung annehmend). 57 Armbrüster RuS 2010 441, 451; a.A. Brinkmann ZIP 2017 301, 305 f.; Looschelders/Pohlmann/Schulze Schwienhorst § 108 Rn. 15; grds. auch Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 139 (vorbehaltlich bes. Fälle wie § 93 AktG). 1035

Armbrüster

A-9 AVB D&O

Abtretung des Versicherungsanspruches

28 e) Gesetzlicher Vertreter des VN. Wer den VN im Direktprozess vertritt, richtet sich nach den gesellschaftsrechtlichen Regeln. Streit besteht darüber, wie diese hier anzuwenden sind, wenn der Direktanspruch infolge der Abtretung durch ein Vorstandsmitglied einer AG entstanden ist. Nach h. L.58 ist gem. der Grundregel des § 78 AktG der Vorstand zuständig. Dafür wird insbes. vorgebracht, dass das Vorstandsmitglied nicht Partei des Direktklageverfahrens ist. Für eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats59 analog § 112 AktG spricht indessen, dass beim unmittelbaren Vorgehen des VN gegen den VR die Haftpflicht des Vorstandsmitglieds als Vorfrage inzident zu prüfen ist (s. dazu Rn. 24). Die Interessenlage des Vorstandsmitglieds ist durch die Möglichkeit einer Zwischenfeststellungsklage und durch die davon unabhängig eintretende faktische Präjudizwirkung des Verfahrens (s. Rn. 27) in erheblichem Maße betroffen.60 Der Zweck von § 112 AktG, eine unbefangene Wahrung der Gesellschaftsbelange sicherzustellen,61 greift daher auch bei der Direktklage ein.62 29 Die Zuständigkeitsregel des § 112 AktG gilt generell auch für bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder.63 Bei der Direktklage spricht die Gefahr einer Solidarisierung des gegenwärtigen Vorstands mit ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern dafür § 112 AktG analog auch in diesem Fall anzuwenden.64 Solange eine gerichtliche Klärung aussteht, ist freilich generell Doppelvertretung zu empfehlen.65 Steht eine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern in Rede, so greift grds. die Regel des § 78 30 AktG ein, wonach die AG durch den Vorstand vertreten wird.66 Dies wirft dann Probleme auf, wenn aus demselben Sachverhalt zugleich Ansprüche gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder geltend gemacht werden.67

31 f) Zeugenstellung des Zedenten. Die in Anspruch genommene versicherte Person ist infolge der Abtretung nicht aktivlegitimiert und mithin nicht Partei des Rechtsstreits. Ist diese Person als Organmitglied gesetzlicher Vertreter des VN (insbes. Vorstandsmitglied der AG; Geschäftsführer der GmbH), so kommt eine Parteivernehmung gem. § 455 Abs. 1 ZPO in Betracht.68 Anderenfalls kann die versicherte Person als Zeuge auftreten.69 Der Umstand, dass die Zedenten als versicherte Personen dem Ausgang des Verfahrens typischerweise nicht gleichgültig gegenüberstehen, hat das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.70 Im Übrigen trifft die versicherten Personen als Zeugen eine gem. §§ 153 ff. StGB strafbewehrte Wahrheitspflicht.71 58 Brinkmann ZIP 2017 301, 304; Spindler/Stilz/Fleischer § 93 Rn. 234; Ingwersen Die Stellung des VN bei Innenhaftungsfällen in der D&O-Versicherung (2011) 85 ff.; Lange § 21 Rn. 36.

59 Grooterhorst/Looman NZG 2015 215, 218 (offenbar aber nur für gegenwärtige Vorstandsmitglieder); BeckOGKAktG/Spindler 1.2.2021 § 112 Rn. 31.

60 Vgl. Baumann VersR 2010 984, 990 f. 61 Hüffer/Koch AktG § 112 Rn. 1. 62 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 48; Hüffer/Koch AktG § 93 Rn. 58d; tendenziell auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 10 Rn. 52. 63 St. Rspr.; BGH 30.4.2019 – II ZR 317/17, NJW 2019 2473 Rn. 5; Grooterhorst/Looman NZG 2015 215, 218; Hüffer/ Koch AktG § 112 Rn. 2. 64 Insofern zweifelnd Hüffer/ Koch AktG § 93 Rn. 58d. 65 Harzenetter NZG 2016 728, 731 f.; Hüffer/Koch AktG § 93 Rn. 58d. 66 Mitterlechner/Wax/Witsch § 10 Rn. 53. 67 Vgl. auch BeckOGK-AktG/Spindler 1.6.2021 § 112 Rn. 31. 68 Vgl. Barfuß NJW 1977 1273, 1274; a.A. offenbar Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 47. 69 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 35; allg. MüKo-ZPO/Damrau/Weinland § 373 Rn. 16; Musielak/Voit § 373 Rn. 8; s, auch Barfuß NJW 1977 1273, 1274. 70 Baumann VersR 2010 984, 989; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 37; HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 10. 71 Böttcher NZG 2008 645, 648; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 37. Armbrüster

1036

C. Abtretung an den Dritten (S. 2)

AVB D&O A-9

g) Beweislast bei Innenhaftung aa) Streitfrage. Bei den praktisch besonders bedeutsamen Innenhaftungsansprüchen aus § 93 32 Abs. 2 S. 1 AktG gegen Vorstandsmitglieder einer AG ist es umstritten, ob im Direktprozess von den aktienrechtlichen Beweisregeln abzuweichen ist. Wird ein Vorstandsmitglied wegen pflichtwidrigen Verhaltens in Anspruch genommen, gilt für die Beweislastverteilung § 93 Abs. 2 S. 2 AktG (s. Anh Ziff. A-1 Rn. 33). Demnach trifft das Vorstandsmitglied die Beweislast, wenn streitig ist, ob es die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG) angewandt hat. Mithin hat die AG lediglich darzulegen und zu beweisen, dass und in welcher Höhe ihr durch ein möglicherweise pflichtwidriges Tun oder Unterlassen im Pflichtenkreis des in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieds ein Schaden entstanden ist. Es obliegt dann dem Vorstandsmitglied, sich hinsichtlich der objektiven Pflichtverletzung und des Verschuldens zu entlasten (näher Anh Ziff. A-1 Rn. 33). Durch diese Beweislastumkehr soll der Gesellschaft die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtert werden; sie wäre anderenfalls in Beweisnot.72 Die Regelung gilt gem. § 116 S. 1 AktG auch für die Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern. Zudem hat der BGH73 sie auf die Haftung von GmbH-Geschäftsführern erstreckt. Die Beweiserleichterung gilt nach h. M. auch für den Fall, dass das Organmitglied aus seinem Amt ausgeschieden ist.74

bb) Meinungsstand. Nach verbreiteter Ansicht75 gilt die gesetzliche Beweislastumkehr zumin- 33 dest analog auch bei der Direktklage des VN gegen den VR, soweit dabei die Haftpflicht streitig ist. Dafür wird der Grundgedanke des Zessionsrechts angeführt, dass sich durch die Abtretung die Rechtsstellung des Schuldners nicht verändern soll (vgl. § 404 BGB). Zudem lässt sich darauf verweisen, dass § 93 Abs. 2 S. 2 AktG der allgemeineren Beweislastregel in § 280 Abs. 1 BGB entspricht, für die § 619a BGB lediglich zugunsten von Arbeitnehmern eine Ausnahme vorsieht. Die Gegenansicht76 meint, dass § 93 Abs. 2 S. 2 AktG auf den Fall einer Inanspruchnahme des Organmitglieds durch die Gesellschaft zugeschnitten sei und hier nicht passe. Dabei wird auch auf die Parallele zum Erbfall verwiesen.77 Überdies wird angeführt, dass der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO als höchstpersönlicher Anspruch nicht abtretbar sei, so dass sich dadurch die Prozesslage des direkt in Anspruch genommenen VR nicht verbessere.78

cc) Stellungnahme. Beide Ansichten können gute Argumente vorbringen.79 Allerdings ist die 34 hier interessierende Fallkonstellation durch eine wesentliche Besonderheit gekennzeichnet:

72 Vgl. BGH 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152 280 = NJW 2003 358 f. 73 BGH 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152 280 = NJW 2003 358 f.; BGH 18.2.2008 – II ZR 62/07, VersR 2008, 1355 Rn. 5. 74 Näher (auch zur Gegenansicht) Groh ZIP 2021 724 ff. 75 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 50; Baur/Holle AG 2017 141, 143 ff.; Harzenetter NZG 2016 728, 732; Herdter ZVersWiss 2011 655, 664 f.; R. Koch VersR 2016 765, 768; Lange RuS 2011 185, 189 f.; Prölss/Martin/Voit Rn. 2 (allerdings unzutr. den BGH anführend); offen lassend, freilich darauf verweisend, dass nach der Gegenansicht der Direktanspruch unattraktiver wird, MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 192. 76 Armbrüster NJW 2016 2155, 2157; Böttcher NZG 2008 645, 648 f.; Bonn D&O-Versicherung und Eigenschadendeckung (2017) 6 ff.; Brinkmann ZIP 2017 301, 306 ff.; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 43; Grooterhorst/Looman NZG 2015 215, 217; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2699; Hirschfeld/Gerhold ZIP 2021 397, 402; Ingwersen Die Stellung des VN bei Innenhaftungsfällen in der D&O-Versicherung (2011) 96, 176; MüKo-AktG/Spindler § 93 Rn. 214; offen lassend Hüffer/Koch AktG § 93 Rn. 58e; Langheid/Rixecker/Langheid § 108 Rn. 23. 77 Armbrüster NJW 2016 2155, 2157; zur Lage im Erbrecht s. Wentz/Döding WM 2020 1458 ff. 78 Hirschfeld/Gerhold ZIP 2021 397, 402. 79 Eingehend MünchHdbGesR6/Armbrüster Bd. 7 (2020) § 108 Rn. 107 ff. 1037

Armbrüster

A-9 AVB D&O

Abtretung des Versicherungsanspruches

Dem (gegenwärtigen oder ausgeschiedenen80) Organmitglied ist die Beweislast im Hinblick auf seine besondere Sachnähe zumutbar. Daher ist § 93 Abs. 2 S. 2 AktG zulasten von Rechtsnachfolgern des Organmitglieds, insbes. Erben, nicht anwendbar.81 Der VR ist zwar nicht Rechtsnachfolger der versicherten Person,82 aber er ist ebenso wenig wie ein Erbe mit den internen Geschehensabläufen bei der Gesellschaft vertraut. Soweit die h. L. demgegenüber auf die versicherungsrechtliche Aufklärungsobliegenheit des Organmitglieds gegenüber dem VR (vgl. Ziff. B3-3.2; § 31 VVG) verweist,83 trifft es zwar zu, dass diese auch nach der Abtretung bestehen bleibt.84 Daraus ergeben sich aber jedenfalls keine weiter reichenden Informationsobliegenheiten in Bezug auf den haftungsrelevanten Sachverhalt, als das Organmitglied sie gegenüber der Gesellschaft hat.85 Damit entfällt bei der Direktklage der Grund dafür, der Gesellschaft eine Beweiserleichterung zu gewähren. 35 § 93 Abs. 2 S. 2 AktG ist mithin im Wege teleologischer Reduktion nach Abtretung des Freistellungsanspruchs nicht anzuwenden. Vielmehr gelten die allg. Regeln. Scheitert die Gesellschaft mit der Direktklage, so bleibt es ihr i. Ü. dann, wenn der Anspruch – wovon regelmäßig auszugehen ist – nur erfüllungshalber abgetreten wurde (s. Rn. 19), unbenommen das Organmitglied zu verklagen; in diesem Prozess greift § 93 Abs. 2 S. 2 AktG ohne Weiteres ein.86 Teils wird aus diesem Unterschied ein weiteres Argument für die Anwendung der Norm hergeleitet, da der VN dann, wenn er im Direktprozess wegen Beweisfälligkeit unterliegt, einen zweiten Prozess gegen das Organmitglied gewinnen könnte und der VR diesem dann Freistellung schuldete.87 Dieses Argument hat Gewicht. Allerdings folgt das Risiko divergierender Entscheidung daraus, dass durch die Abtretung des Freistellungsanspruchs das Trennungsprinzip (s. Rn. 23) durchbrochen wird. Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber mit § 108 Abs. 2 VVG die Abtretung erleichtern wollte, während sie nach der hier vertretenen Ansicht faktisch unattraktiver wird,88 streitet nicht für die Anwendung von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG. Der Gesetzgeber hatte den hier interessierenden Fall, dass der Dritte zugleich der VN ist und dass damit infolge der Abtretung die von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG vorausgesetzte prozessuale Gegnerschaft von Gesellschaft und Organmitglied entfällt, nicht vor Augen. Die Befürworter einer Heranziehung von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG versuchen demgegenüber teils die fehlende Sachnähe des VR im Direktprozess durch die Annahme einer gesteigerten sekundären Darlegungslast89 sowie einer Auskunftsobliegenheit des VN ihm gegenüber zu kompensieren.90

3. Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB 36 In bestimmten Fällen kommt es in Betracht, dass die versicherte Person durch die Abtretung des Freistellungsanspruchs das Rücksichtnahmegebot aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Dies gilt insbes. dann, wenn der Haftpflichtanspruch zwischen VN und versicherter Person bereits vor Gericht rechtshängig ist und über den Deckungsanspruch kein Streit besteht. Tritt die versicherte Person den Anspruch in dieser Situation ab, so dass der VN den VR direkt in Anspruch neh80 Vgl. dazu BGH 4.11.2002 – II ZR 224/00, NZG 2003 81, 82; zum Einsichtsrecht Grooterhorst AG 2011 389, 390 ff. 81 Hüffer/Koch AktG § 93 Rn. 56; Krieger FS U. Schneider (2011) 717, 719; Spindler/Stilz/Fleischer AktG § 93 Rn. 224; a. A. Krieger/Schneider/Born Managerhaftung-Hdb. § 14 Rn. 21; Wentz/Döding WM 2020 1458. 82 Darauf verweist insoweit zutr. Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 50. 83 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 50. 84 Darauf verweist R. Koch VersR 2016 765, 768. 85 MünchHdbGesR6/Armbrüster Bd. 7 (2020) § 108 Rn. 109. 86 Armbrüster NJW 2016 2155, 2157; insoweit wie hier R. Koch VersR 2016 765, 768. 87 R. Koch VersR 2016 765, 768. 88 Darauf abhebend etwa Löbbe FS Marsch-Barner (2018) 317, 333. 89 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 50; Harzenetter NZG 2016 728, 732; vgl. allg. zu dieser Darlegungslast BGH 4.11.2002 – II ZR 224/00, NZG 2003 81, 82. 90 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 50; s. auch Prölss/Martin/Voit Rn. 2 a. E. Armbrüster

1038

F. Abweichende AVB

AVB D&O A-9

men kann, so hat die versicherte Person grds. für die durch die Zession verursachten weiteren Verfahrenskosten nach § 280 Abs. 1 BGB aufzukommen.91

4. Prozess der Gesellschaft gegen das Organmitglied Ist die Direktklage gescheitert, so steht es der Gesellschaft ohne Weiteres offen gegen das Organ- 37 mitglied vorzugehen.92 Die Abtretung des Freistellungsanspruchs erfolgt nämlich regelmäßig nur erfüllungshalber (s. Rn. 19). Bei der AG ist dies aufgrund der Beschränkungen des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG sogar gesellschaftsrechtlich zwingend geboten.93

D. Rechtslage bei unterbliebener Abtretung Tritt die versicherte Person ihren Freistellungsanspruch nicht an den geschädigten Dritten ab, 38 kann dieser darauf nur im Wege der Pfändung und Überweisung (§§ 829, 835, 836 ZPO) an sich zugreifen, nachdem er im Haftpflichtprozess einen vollstreckbaren Titel erlangt hat. In diesem Fall wandelt sich der Befreiungsanspruch in der Hand des Dritten – ebenso wie bei der Abtretung (s. Rn. 18) – in einen Zahlungsanspruch gegen den VR um.94 Der Dritte muss dann diesen Anspruch ggf. in einem weiteren (Deckungs-)Prozess gegen den VR durchsetzen.

E. Verpfändung an den Dritten Ziff. A-9 regelt nicht ausdrücklich, ob eine Verpfändung an den geschädigten Dritten möglich 39 ist. Dies ist zu bejahen.95

F. Abweichende AVB I. Muster-AVB In Ziff. 11.2 AVB-AVG 1997 wird die Abtretung auch an den Dritten noch untersagt. Diese 40 Klausel entspricht noch nicht den Vorgaben des im Zuge der VVG-Reform neu eingefügten § 108 Abs. 2 VVG (zu ihnen s. Rn. 2). In den AVB-AVG 2011 wird zwischen einer Inanspruchnahme durch Dritte und durch den 41 VN differenziert (s. etwa Ziff. 1.1 Abs. 1 AVB-AVG 2011). Zudem wird im zweiten Fall grds. nur Abwehrkostenschutz versprochen (s. Ziff. 1.3 AVB-AVG 2011). Aus diesen Differenzierungen könnte in dem Streit um die Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs an den VN ein Argument für die sie ablehnende Ansicht gesehen werden. Jedenfalls ließe sich Ziff. 10.2 S. 2 AVBAVG 2011 entsprechend eng auslegen, so dass die Abtretung an den VN nicht zulässig wäre.96 Indessen könnte durch eine solche Gestaltung die zwingende Regelung des § 108 Abs. 2 VVG nicht ausgehebelt werden. Folgt man daher der Linie des BGH (s. Rn. 9), so ergibt sich auch aus

91 92 93 94

R. Koch FS Winter (2007) 345, 356. HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 12; Prölss/Martin/Lücke § 108 Rn. 29; s. auch Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 44. Armbrüster NJW 2016 2155, 2157. BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, VersR 2007 1116 Rn. 31; BGH 17.3.2004 – IV ZR 268/03, VersR 2004 634 f.; Bruck/ Möller/R. Koch § 100 VVG Rn. 133; Prölss/Martin/Lücke § 100 Rn. 7. 95 Prölss/Martin/Voit Rn. 1. 96 Unentschieden GDV-Erläuterungen zu Ziff. 10.2. 1039

Armbrüster

A-9 AVB D&O

Abtretung des Versicherungsanspruches

der genannten AVB-Gestaltung nichts Abweichendes.97 Mithin ist Ziff. 10.2 S. 2 AVB-AVG 2011 auf der Grundlage dieser Ansicht so auszulegen, dass die versicherte Person den Anspruch an den VN abtreten kann. 42 Nach Ziff. 1.3 AVB-AVG 2011 ist bei Innenhaftungsansprüchen die Hauptversammlung der AG für die Initiierung und gerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs einzuschalten. Diese Zuständigkeitsregel wirkt sich auch auf den Prozess aus. Es ist dann ein besonderer Vertreter nach § 147 Abs. 2 S. 1 AktG zu bestellen, der die AG vor Gericht vertritt. Der besondere Vertreter tritt insoweit an die Stelle von Vorstand und ggf. Aufsichtsrat als gesetzlicher Vertreter der AG.98 Die Mitglieder dieser Organe fallen dann auch für die Parteivernehmung als gesetzlicher Vertreter i. S. v. § 455 Abs. 1 ZPO aus.99 Damit können sie aber Zeuge sein.100

II. Unternehmens-AVB 1. Verbot der Abtretung des Freistellungsanspruchs 43 a) Überblick. Bisweilen untersagen Unternehmens-AVB es der versicherten Person, ihren Freistellungsanspruch an den VN abzutreten. Nach der absolut zwingenden Vorschrift des § 108 Abs. 2 VVG kann ein solches Abtretungsverbot nicht durch AVB vereinbart werden (s. Rn. 3). Umstritten ist allerdings, ob sich diese Untersagung vorformulierter Abtretungsverbote auch auf Verträge über Großrisiken i. S. v. § 210 VVG erstreckt (s. Rn. 44 ff.).

b) Rechtslage bei Großrisiken 44 aa) Meinungsbild. Die Vorgabe in § 108 Abs. 2 VVG gilt nach § 210 Abs. 1 VVG, der auch absolut zwingende Vorschriften wie dieses Verbot umfasst, nicht für Großrisikoverträge.101 Bei der D&O-Versicherung handelt es sich häufig um solche Verträge (s. Einf Rn. 79). Allerdings kommt es in Betracht, dass ein in den AVB enthaltenes Abtretungsverbot auch in einem Großrisikovertrag wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Leitbild gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist (s. allg. Einf Rn. 79 ff.). Als ein solches Leitbild wird teils § 108 Abs. 2 VVG,102 teils § 398 BGB103 erörtert. Vereinzelt wird eine Unwirksamkeit angenommen.104 Nach überwiegender Ansicht105 ist sie hingegen zu verneinen.

97 Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 24. 98 Hüffer/Koch AktG § 78 Rn. 8; § 147 Rn. 1. 99 Vgl. MüKo-ZPO/Lindacher/Hau § 52 Rn. 23. 100 MüKo-ZPO/Damrau/Weinland § 373 Rn. 14; Musielak/Voit § 373 Rn. 8. 101 Begr. zu § 210, BTDrucks. 16/3945 S. 115. 102 Bruck/Möller/R. Koch § 108 Rn. 79 ff.; R. Koch VersR 2016 765, 767; Prölss/Martin/Voit Rn. 1. 103 Bruck/Möller/R. Koch § 108 Rn. 84, 86; vgl. auch Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 18; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 111 (im Erg. aber beide für Wirksamkeit).

104 R. Koch WM 2007 2173, 2177; ders. VersR 2016 765, 766 f.; Bruck/Möller/R. Koch § 108 Rn. 90 ff. 105 Armbrüster RuS 2010 441, 448; Baumann RuS 2011 229, 233 f.; Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 35 ff., 43 f.; Dreher/Thomas ZGR 2008 31, 47 f.; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh C Rn. 54; Langheid/Wandt/Ihlas D&O Rn. 446 ff.; Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 18; Lange RuS 2011 185, 187 f. mit Fn. 9; Mitterlechner/Wax/Witsch § 10 Rn. 3 ff.; HK VVG/Schimikowski § 108 Rn. 15; Schramm PHi 2008 24, 25; Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 14; MAH-VersR/Sieg § 17 Rn. 194; Thume VersR 2010 849, 853; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 111; Mitterlechner/Wax/Witsch § 10 Rn. 3 ff.; GDV-Erl. zu Ziff. A-9; offen lassend Grunwald VersR 2020 1423, 1426 f. (es kämen Konstellationen in Betracht, in denen die Interessen des Gesetzgebers nicht berührt seien). Armbrüster

1040

F. Abweichende AVB

AVB D&O A-9

bb) Stellungnahme. Nach der hier vertretenen Ansicht ist für die Reichweite dieser Leitbild- 45 kontrolle bei Großrisiken ein differenzierender Ansatz geboten (s. Einf. Rn. 81). Demnach kommt es darauf an, ob die jeweilige für Großrisikoverträge dispositive Regelung eine grundlegende Schutzfunktion für den VN und/oder die versicherten Personen hat. Dabei stellt sich hier zunächst die Frage, welcher Norm das als Prüfungsmaßstab bei der AGB-Kontrolle heranzuziehende ges. Leitbild zu entnehmen ist. Teils wird insoweit auf § 108 Abs. 2 VVG abgehoben,106 teils auf § 398 BGB.107 Vorzugswürdig ist die zweite Ansicht. Indem § 108 Abs. 2 VVG eine bestimmte Gestaltung untersagt, ordnet diese Vorschrift lediglich eine Beschränkung der Vertragsfreiheit nach dem VVG an, welche gem. § 210 VVG für Großrisiken gerade nicht gilt. Anders als andere (halb)zwingende Normen des VVG enthält § 108 Abs. 2 VVG keine Regel, die bei einer fehlenden Verbindlichkeit als dispositives Recht zum Vertragsinhalt werden könnte. Das für die Prüfung eines Abtretungsverbots maßgebliche Leitbild ist daher der in § 398 BGB zum Ausdruck kommende Grundsatz der freien Abtretbarkeit von Forderungen. Dieser Grundsatz wird indessen schon dadurch relativiert, dass aufgrund von § 399 Fall 1 46 BGB (Inhaltsänderung) die Abtretung des Freistellungsanspruchs von vornherein nicht frei, sondern allein an diejenige Person möglich ist, der gegenüber der Schuldner den Zedenten freizustellen hat. Eine weitere Beschränkung sieht § 399 Fall 2 BGB vor, indem vertragliche Abtretungsverbote zur Unabtretbarkeit führen. Diese wesentlichen Einschränkungen der freien Abtretbarkeit von Forderungen führen dazu, dass in § 398 BGB kein Leitbild erblickt werden kann, dessen Durchsetzung über § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB geboten wäre. Berücksichtigt man zudem, dass gegen die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den 47 VN ohnehin gewichtige Bedenken bestehen und dass der Gesetzgeber diese Konstellation bei der Schaffung von § 108 Abs. 2 VVG offenkundig nicht bedacht hat (s. Rn. 10), folgt auch aus dieser Norm – sofern man sie bei der Leitbildkontrolle zumindest ergänzend heranziehen wollte –108 nichts Abweichendes. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er den VN (und die Versicherten) im Bereich der Großrisikoversicherung, in dem sich regelmäßig besonders geschäftserfahrene Partner gegenüberstehen, für nicht schutzbedürftig hält.109 In der Regierungsbegründung wird § 108 VVG sogar ausdrücklich als ein Fall genannt, in dem die Parteien eines Großrisikovertrags von einer zwingenden Bestimmung abweichen können.110 Soweit die Gegenansicht anführt, § 108 Abs. 2 VVG sei Ausdruck von Gerechtigkeitserwägungen, kann damit nicht der genannte Zweck des § 210 Abs. 1 VVG konterkariert werden.111 Im Ergebnis kann in Großrisikoverträgen daher auch in AVB ein Abtretungsverbot wirksam vereinbart werden. Dies gilt nicht allein für die Innenhaftung, sondern auch für die Außenhaftung.112

cc) Praktische Folgen. Ist in AVB ein Abtretungsverbot enthalten, so hängt dessen Wirksam- 48 keit nach den obigen Ausführungen (s. Rn. 44 ff.) davon ab, dass es sich um einen Großrisikovertrag handelt. Streit besteht darüber, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzung vorliegen muss. Nach der h. L.113 kommt es allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (und zudem auf denjenigen etwaiger Vertragsverlängerungen) an. Die Gegenansicht114 meint, dass die Vo106 107 108 109

So etwa Grunwald VersR 2020 1423, 1426; R. Koch RuS 2009 313, 316. So etwa Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 18. Dafür etwa Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 36 a. E. Vgl. allg. BGH 1.12.2004 – IV ZR 291/03, VersR 2005 266, 267 (sub II 1 a); Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 1; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 2. 110 Begr. zu § 210 Abs. 2 VVG, BTDrucks. 16/3945 S. 115. 111 Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp Anh C Rn. 54. 112 Zu Letzterer Bruck/Möller/Baumann9 Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 44. 113 Dreher/Thomas ZGR 2008 31, 47 f.; Thomas 480; Prölss/Martin/Voit Rn. 1; Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 110. 114 Bruck/Möller/R. Koch § 108 Rn. 97. 1041

Armbrüster

A-9 AVB D&O

Abtretung des Versicherungsanspruches

raussetzungen eines Großrisikos zusätzlich auch noch bei Eintritt des Versicherungsfalls erfüllt sein müssen. Indessen soll die Regelung in § 210 Abs. 1 VVG der mangelnden Schutzbedürftigkeit des VN bei Vertragsschluss Rechnung tragen. Nach der gesetzgeberischen Wertung vermag der VN zu diesem Zeitpunkt seine Interessen hinsichtlich des Vertragsinhalts privatautonom selbst zu wahren. Daher ist der h. L. zu folgen.

49 c) Rechtslage bei der laufenden Versicherung. Bei der laufenden Versicherung (§ 53 VVG) gelten ebenso wie bei Großrisiken die Beschränkungen der Privatautonomie nach § 210 Abs. 1 VVG nicht. Die zu Großrisiken entwickelten Regeln (s. Rn. 44 ff.) sind daher auch auf die laufende Versicherung anwendbar.115

115 S. nur Langheid/Wandt/Wandt § 108 Rn. 110. Armbrüster

1042

Teil B – D&O-Versicherung B1 Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung B1-1

B1-2 B1-2.1

B1-2.2

B1-2.3

B1-3 B1-3.1

B1-3.2

B1-3.3

Beginn des Versicherungsschutzes Der Versicherungsschutz beginnt zu dem im Versicherungsschein angegebenen Zeitpunkt. Dies gilt vorbehaltlich der Regelungen über die Folgen verspäteter Zahlung oder Nichtzahlung des Erst- oder Einmalbeitrags. Beitragszahlung, Versicherungsperiode Beitragszahlung Je nach Vereinbarung werden die Beiträge im Voraus gezahlt, entweder durch laufende Zahlungen monatlich, vierteljährlich, halbjährlich, jährlich oder als Einmalbeitrag. Versicherungsperiode Die Versicherungsperiode beträgt ein Jahr. Das gilt auch, wenn die vereinbarte Vertragsdauer länger als ein Jahr ist. Ist die vereinbarte Vertragsdauer kürzer als ein Jahr, so entspricht die Versicherungsperiode der Vertragsdauer. Versicherungsjahr Das Versicherungsjahr beträgt ein Jahr. Besteht die vereinbarte Vertragsdauer nicht aus ganzen Jahren, wird das erste Versicherungsjahr entsprechend verkürzt. Die folgenden Versicherungsjahre bis zum vereinbarten Vertragsablauf sind jeweils ganze Jahre. Fälligkeit des Erst- oder Einmalbeitrags, Folgen verspäteter Zahlung oder Nichtzahlung Fälligkeit des Erst- oder Einmalbeitrags Der erste oder einmalige Beitrag ist unverzüglich nach dem Zeitpunkt des vereinbarten und im Versicherungsschein angegebenen Versicherungsbeginns zu zahlen. Dies gilt unabhängig von dem Bestehen eines Widerrufrechts. Liegt der vereinbarte Zeitpunkt des Versicherungsbeginns vor Vertragsschluss, ist der erste oder einmalige Beitrag unverzüglich nach Vertragsschluss zu zahlen. Zahlt der Versicherungsnehmer nicht unverzüglich nach dem in Absatz 1 oder 2 bestimmten Zeitpunkt, beginnt der Versicherungsschutz erst, nachdem die Zahlung veranlasst ist. Weicht der Versicherungsschein vom Antrag des Versicherungsnehmers oder getroffenen Vereinbarungen ab, ist der erste oder einmalige Beitrag frühestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. Rücktrittsrecht des Versicherers bei Zahlungsverzug Wird der erste oder einmalige Beitrag nicht rechtzeitig nach B1-3.1 gezahlt, so kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, solange der Versicherungsnehmer die Zahlung nicht veranlasst hat. Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat. Leistungsfreiheit des Versicherers Wenn der Versicherungsnehmer den ersten oder einmaligen Beitrag nicht rechtzeitig nach B1-3.1 zahlt, so ist der Versicherer für einen vor Zahlung des Beitrags eingetretenen Versicherungsfall nicht zur Leistung verpflichtet. Voraussetzung ist, dass er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge der Nichtzahlung des Beitrags aufmerksam gemacht hat.

1043 https://doi.org/10.1515/9783110522662-040

Gädtke

B1 AVB D&O

B1-4 B1-4.1

B1-4.2

B1-4.3

B1-4.4

B1-4.5

B1-4.6

B1-5 B1-5.1

Gädtke

Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung

Die Leistungsfreiheit tritt nur ein, wenn der Versicherungsnehmer die Nichtzahlung zu vertreten hat. Folgebeitrag Fälligkeit Ein Folgebeitrag wird entsprechend der vereinbarten Zahlungsweise jeweils zu Monats-, Viertel-jahres-, Halbjahres- oder Jahresbeginn oder zu einem anderen vereinbarten Zeitpunkt fällig. Die Zahlung gilt als rechtzeitig, wenn sie zur Fälligkeit veranlasst wird. Verzug und Schadensersatz Wird ein Folgebeitrag nicht rechtzeitig gezahlt, gerät der Versicherungsnehmer ohne Mahnung in Verzug. Dies gilt nur, wenn er die verspätete Zahlung zu vertreten hat. Ist der Versicherungsnehmer mit der Zahlung eines Folgebeitrags in Verzug, ist der Versicherer berechtigt, Ersatz des ihm durch den Verzug entstandenen Schadens zu verlangen. Mahnung Wird ein Folgebeitrag nicht rechtzeitig gezahlt, kann der Versicherer den Versicherungsnehmer auf dessen Kosten in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) zur Zahlung auffordern und eine Zahlungsfrist bestimmen (Mahnung). Die Zahlungsfrist muss mindestens zwei Wochen ab Zugang der Zahlungsaufforderung betragen. Die Mahnung ist nur wirksam, wenn der Versicherer je Vertrag die rückständigen Beträge des Beitrags sowie der Zinsen und Kosten im Einzelnen beziffert und auf die Rechtsfolgen (Leistungsfreiheit und Kündigungsrecht) hinweist. Leistungsfreiheit nach Mahnung Tritt nach Ablauf der in der Mahnung gesetzten Zahlungsfrist ein Versicherungsfall ein und ist der Versicherungsnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalles mit der Zahlung des Beitrags oder der Zinsen oder Kosten in Verzug, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei. Kündigung nach Mahnung Ist der Versicherungsnehmer mit der Zahlung der geschuldeten Beträge in Verzug, kann der Versicherer nach Ablauf der in der Mahnung gesetzten Zahlungsfrist den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit sofortiger Wirkung kündigen. Die Kündigung kann mit der Bestimmung der Zahlungsfrist verbunden werden. Mit Fristablauf wird die Kündigung wirksam, wenn der Versicherungsnehmer zu diesem Zeitpunkt mit der Zahlung in Verzug ist. Hierauf ist der Versicherungsnehmer bei der Kündigung ausdrücklich hinzuweisen. Zahlung des Beitrags nach Kündigung Die Kündigung wird unwirksam, wenn die Zahlung innerhalb eines Monats nach der Kündigung veranlasst wird. Wenn die Kündigung mit der Zahlungsfrist verbunden worden ist, wird sie unwirksam, wenn die Zahlung innerhalb eines Monats nach Fristablauf veranlasst wird. Die Leistungsfreiheit des Versicherers nach B1-4.4 bleibt bis zur Zahlung bestehen. Lastschriftverfahren Pflichten des Versicherungsnehmers Ist zur Einziehung des Beitrags das Lastschriftverfahren vereinbart worden, hat der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Beitrags für eine ausreichende Deckung des Kontos zu sorgen. Konnte der fällige Beitrag ohne Verschulden des Versicherungsnehmers vom Versicherer nicht eingezogen werden, ist die Zahlung auch dann noch rechtzei1044

Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung

B1-5.2

B1–6 B1-6.1

B1-6.2 B1-6.2.1

B1-6.2.2

B1-6.2.3

B1-6.2.4

B1-6.2.5

1045

AVB D&O B1

tig, wenn sie unverzüglich nach einer in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) abgegebenen Zahlungsaufforderung des Versicherers erfolgt. Fehlgeschlagener Lastschrifteinzug Hat es der Versicherungsnehmer zu vertreten, dass ein oder mehrere Beiträge, trotz wiederholtem Einziehungsversuch, nicht eingezogen werden können, ist der Versicherer berechtigt, das SEPA-Lastschriftmandat in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) zu kündigen. Der Versicherer hat in der Kündigung darauf hinzuweisen, dass der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, den ausstehenden Beitrag und zukünftige Beiträge selbst zu übermitteln. Von Kreditinstituten erhobene Bearbeitungsgebühren für fehlgeschlagenen Lastschrifteinzug können dem Versicherungsnehmer in Rechnung gestellt werden. Beitrag bei vorzeitiger Vertragsbeendigung Allgemeiner Grundsatz Bei vorzeitiger Beendigung des Vertrags steht dem Versicherer nur derjenige Teil des Beitrags zu, der dem Zeitraum entspricht, in dem der Versicherungsschutz bestanden hat. Beitrag oder Geschäftsgebühr bei Widerruf, Rücktritt, Anfechtung und fehlendem versicherten Interesse Widerruft der Versicherungsnehmer seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen, hat der Versicherer nur den auf die Zeit nach Zugang der Widerrufserklärung entfallenden Teil der Beiträge zu erstatten. Voraussetzung ist, dass der Versicherer in der Widerrufsbelehrung auf das Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen und der Versicherungsnehmer zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt. Ist die Widerrufsbelehrung nach Satz 2 unterblieben, hat der Versicherer zusätzlich den für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Beitrag zu erstatten. Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch genommen hat. Tritt der Versicherer wegen Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht vom Versicherungsvertrag zurück, so steht ihm der Beitrag bis zum Zugang der Rücktrittserklärung zu. Wird der Versicherungsvertrag durch Rücktritt des Versicherers beendet, weil der einmalige oder der erste Beitrag nicht rechtzeitig gezahlt worden ist, so steht dem Versicherer eine angemessene Geschäftsgebühr zu. Wird der Versicherungsvertrag durch Anfechtung des Versicherers wegen arglistiger Täuschung beendet, so steht dem Versicherer der Beitrag bis zum Zugang der Anfechtungserklärung zu. Fällt das versicherte Interesse nach dem Beginn der Versicherung vollständig und dauerhaft weg, steht dem Versicherer der Beitrag zu, den er hätte beanspruchen können, wenn die Versicherung nur bis zu dem Zeitpunkt beantragt worden wäre, zu dem der Versicherer vom Wegfall des Interesses Kenntnis erlangt hat. Der Versicherungsnehmer ist nicht zur Zahlung des Beitrags verpflichtet, wenn das versicherte Interesse bei Beginn der Versicherung nicht besteht, oder wenn das Interesse bei einer Versicherung, die für ein künftiges Unternehmen oder für ein anderes künftiges Interesse genommen ist, nicht entsteht. Der Versicherer kann jedoch eine angemessene Geschäftsgebühr verlangen. Hat der Versicherungsnehmer ein nicht bestehendes Interesse in der Absicht versichert, sich dadurch einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, ist der Vertrag nichtig. Dem Versicherer steht in diesem Fall der Beitrag bis zu Gädtke

B1 AVB D&O

Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung

dem Zeitpunkt zu, zu dem er von den die Nichtigkeit begründenden Umständen Kenntnis erlangt.

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Allg. Einführung vor Ziff. A-1) Lange Praxisfragen der D&O-Versicherung (Teil I), DStR 2002 1626. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

B1–1 Beginn des Versicherungsschutzes Der Versicherungsschutz beginnt zu dem im Versicherungsschein angegebenen Zeitpunkt. Dies gilt vorbehaltlich der Regelungen über die Folgen verspäteter Zahlung oder Nichtzahlung des Erst- oder Einmalbeitrags. B1–2 Beitragszahlung, Versicherungsperiode

[fehlt]

Ziff. 12 Beitrag [Die AVB-AVG enthalten keine (speziellen) Regelungen für die Erst- oder Einmalprämie, sodass die dortigen allg. Regeln (Ziff. 12) wohl auch auf diese anzuwenden sind.]

B1-2.1 Beitragszahlung Je nach Vereinbarung werden die Beiträge im Voraus [fehlt] gezahlt, entweder durch laufende Zahlungen monatlich, vierteljährlich, halbjährlich, jährlich oder als Einmalbeitrag. B1-2.2 Versicherungsperiode Die Versicherungsperiode beträgt ein Jahr. Das gilt [fehlt] auch, wenn die vereinbarte Vertragsdauer länger als ein Jahr ist. Ist die vereinbarte Vertragsdauer kürzer als ein Jahr, so entspricht die Versicherungsperiode der Vertragsdauer. B1-2.3 Versicherungsjahr Das Versicherungsjahr beträgt ein Jahr. Besteht die vereinbarte Vertragsdauer nicht aus ganzen Jahren, wird das erste Versicherungsjahr entsprechend verkürzt. Die folgenden Versicherungsjahre bis zum vereinbarten Vertragsablauf sind jeweils ganze Jahre.

[fehlt]

B1–3 Fälligkeit des Erst- oder Einmalbeitrags, Folgen verspäteter Zahlung oder Nichtzahlung B1-3.1 Fälligkeit des Erst- oder Einmalbeitrags

Ziff. 12.1

Der erste oder einmalige Beitrag ist unverzüglich nach dem Zeitpunkt des vereinbarten und im Versicherungsschein angegebenen Versicherungsbeginns zu zahlen. Dies gilt unabhängig von dem Bestehen eines Widerrufrechts.

Der Beitrag wird unverzüglich nach Ablauf von zwei Wochen nach Zugang des Versicherungsscheins fällig.

Liegt der vereinbarte Zeitpunkt des Versicherungsbeginns vor Vertragsschluss, ist der erste oder einmalige Beitrag unverzüglich nach Vertragsschluss zu zahlen.

Gädtke

1046

Schrifttum

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB D&O B1

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Zahlt der Versicherungsnehmer nicht unverzüglich nach dem in Absatz 1 oder 2 bestimmten Zeitpunkt, beginnt der Versicherungsschutz erst, nachdem die Zahlung veranlasst ist. Weicht der Versicherungsschein vom Antrag des Versicherungsnehmers oder getroffenen Vereinbarungen ab, ist der erste oder einmalige Beitrag frühestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. B1-3.2 Rücktrittsrecht des Versicherers bei Zahlungsverzug

Ziff. 12.3

Wird der erste oder einmalige Beitrag nicht rechtzeitig nach B1-3.1 gezahlt, so kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, solange der Versicherungsnehmer die Zahlung nicht veranlasst hat.

Zahlt die Versicherungsnehmerin den Beitrag nicht rechtzeitig, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, solange der Beitrag nicht gezahlt ist, es sei denn, die Versicherungsnehmerin hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten.

Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat. B1-3.3 Leistungsfreiheit des Versicherers

Ziff. 12.2

Wenn der Versicherungsnehmer den ersten oder einmaligen Beitrag nicht rechtzeitig nach B1-3.1 zahlt, so ist der Versicherer für einen vor Zahlung des Beitrags eingetretenen Versicherungsfall nicht zur Leistung verpflichtet. Voraussetzung ist, dass er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge der Nichtzahlung des Beitrags aufmerksam gemacht hat.

Zahlt die Versicherungsnehmerin den Beitrag nicht rechtzeitig, ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, es sei denn, die Versicherungsnehmerin hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten. Für Versicherungsfälle, die bis zur Zahlung des Beitrags eintreten, ist der Versicherer nur dann nicht zur Leistung verpflichtet, wenn er die Versicherungsnehmerin durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat Ziff. 12.3: Zahlt die Versicherungsnehmerin den Beitrag nicht rechtzeitig, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, solange der Beitrag nicht gezahlt ist, es sei denn, die Versicherungsnehmerin hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten.

Die Leistungsfreiheit tritt nur ein, wenn der Versicherungsnehmer die Nichtzahlung zu vertreten hat.

B1–4 Folgebeitrag B1-4.1 Fälligkeit Ein Folgebeitrag wird entsprechend der vereinbarten Zahlungsweise jeweils zu Monats-, Viertel-jahres-, Halbjahres- oder Jahresbeginn oder zu einem anderen vereinbarten Zeitpunkt fällig. Die Zahlung gilt als rechtzeitig, wenn sie zur Fälligkeit veranlasst wird.

[fehlt]

B1-4.2 Verzug und Schadensersatz Wird ein Folgebeitrag nicht rechtzeitig gezahlt, gerät der Versicherungsnehmer ohne Mahnung in Verzug. Dies gilt nur, wenn er die verspätete Zahlung zu vertreten hat.

1047

[fehlt]

Gädtke

B1 AVB D&O

Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Ist der Versicherungsnehmer mit der Zahlung eines Folgebeitrags in Verzug, ist der Versicherer berechtigt, Ersatz des ihm durch den Verzug entstandenen Schadens zu verlangen. B1-4.3 Mahnung Wird ein Folgebeitrag nicht rechtzeitig gezahlt, kann der Versicherer den Versicherungsnehmer auf dessen Kosten in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) zur Zahlung auffordern und eine Zahlungsfrist bestimmen (Mahnung). Die Zahlungsfrist muss mindestens zwei Wochen ab Zugang der Zahlungsaufforderung betragen. Die Mahnung ist nur wirksam, wenn der Versicherer je Vertrag die rückständigen Beträge des Beitrags sowie der Zinsen und Kosten im Einzelnen beziffert und auf die Rechtsfolgen (Leistungsfreiheit und Kündigungsrecht) hinweist.

[fehlt]

B1-4.4 Leistungsfreiheit nach Mahnung Tritt nach Ablauf der in der Mahnung gesetzten Zahlungsfrist ein Versicherungsfall ein und ist der Versicherungsnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalles mit der Zahlung des Beitrags oder der Zinsen oder Kosten in Verzug, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei.

[fehlt]

B1-4.5 Kündigung nach Mahnung Ist der Versicherungsnehmer mit der Zahlung der geschuldeten Beträge in Verzug, kann der Versicherer nach Ablauf der in der Mahnung gesetzten Zahlungsfrist den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit sofortiger Wirkung kündigen. Die Kündigung kann mit der Bestimmung der Zahlungsfrist verbunden werden. Mit Fristablauf wird die Kündigung wirksam, wenn der Versicherungsnehmer zu diesem Zeitpunkt mit der Zahlung in Verzug ist. Hierauf ist der Versicherungsnehmer bei der Kündigung ausdrücklich hinzuweisen.

[fehlt]

B1-4.6 Zahlung des Beitrags nach Kündigung Die Kündigung wird unwirksam, wenn die Zahlung innerhalb eines Monats nach der Kündigung veranlasst wird. Wenn die Kündigung mit der Zahlungsfrist verbunden worden ist, wird sie unwirksam, wenn die Zahlung innerhalb eines Monats nach Fristablauf veranlasst wird. Die Leistungsfreiheit des Versicherers nach B1-4.4 bleibt bis zur Zahlung bestehen.

[fehlt]

B1–5 Lastschriftverfahren B1-5.1 Pflichten des Versicherungsnehmers Ist zur Einziehung des Beitrags das Lastschriftverfahren vereinbart worden, hat der Versicherungsnehmer zum

Gädtke

[fehlt]

1048

Schrifttum

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB D&O B1

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Zeitpunkt der Fälligkeit des Beitrags für eine ausreichende Deckung des Kontos zu sorgen. Konnte der fällige Beitrag ohne Verschulden des Versicherungsnehmers vom Versicherer nicht eingezogen werden, ist die Zahlung auch dann noch rechtzeitig, wenn sie unverzüglich nach einer in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) abgegebenen Zahlungsaufforderung des Versicherers erfolgt. B1-5.2 Fehlgeschlagener Lastschrifteinzug Hat es der Versicherungsnehmer zu vertreten, dass ein oder mehrere Beiträge, trotz wiederholtem Einziehungsversuch, nicht eingezogen werden können, ist der Versicherer berechtigt, das SEPALastschriftmandat in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) zu kündigen. Der Versicherer hat in der Kündigung darauf hinzuweisen, dass der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, den ausstehenden Beitrag und zukünftige Beiträge selbst zu übermitteln. Von Kreditinstituten erhobene Bearbeitungsgebühren für fehlgeschlagenen Lastschrifteinzug können dem Versicherungsnehmer in Rechnung gestellt werden.

[fehlt]

B1–6 Beitrag bei vorzeitiger Vertragsbeendigung B1-6.1 Allgemeiner Grundsatz

Ziff. 12.4

Bei vorzeitiger Beendigung des Vertrags steht dem Versicherer nur derjenige Teil des Beitrags zu, der dem Zeitraum entspricht, in dem der Versicherungsschutz bestanden hat.

Endet das Versicherungsverhältnis vor Ablauf der Vertragszeit oder wird es nach Beginn der Versicherung rückwirkend aufgehoben oder ist es von Anfang an nichtig, gebührt dem Versicherer Beitrag oder Geschäftsgebühr nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen (z. B. § 39 und § 80 VVG) – speziell auch geregelt in – Ziff. 7.1.2 Dem Versicherer steht der Teil des Beitrages zu, der der bis zum Wirksamwerden der Rücktrittserklärung abgelaufenen Vertragszeit entspricht.

B1-6.2 Beitrag oder Geschäftsgebühr bei Widerruf, Rücktritt, Anfechtung und fehlendem versicherten Interesse B1-6.2.1 Widerruft der Versicherungsnehmer seine [fehlt] Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen, hat der Versicherer nur den auf die Zeit nach Zugang der Widerrufserklärung entfallenden Teil der Beiträge zu erstatten. Voraussetzung ist, dass der Versicherer in der Widerrufsbelehrung auf das Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen und der Versicherungsnehmer zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt.

1049

Gädtke

B1 AVB D&O

Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Ist die Widerrufsbelehrung nach Satz 2 unterblieben, hat der Versicherer zusätzlich den für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Beitrag zu erstatten. Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch genommen hat.

[Die obige Regelung in Ziff. 12.4 ist auch auf diesen Fall anzuwenden, wurde aber hier nicht erneut aufgenommen. So auch die folgenden Ziff. unter B1-6.2]

B1-6.2.2 Tritt der Versicherer wegen Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht vom Versicherungsvertrag zurück, so steht ihm der Beitrag bis zum Zugang der Rücktrittserklärung zu.

[fehlt]

Wird der Versicherungsvertrag durch Rücktritt des Versicherers beendet, weil der einmalige oder der erste Beitrag nicht rechtzeitig gezahlt worden ist, so steht dem Versicherer eine angemessene Geschäftsgebühr zu. B1-6.2.3 Wird der Versicherungsvertrag durch Anfechtung des Versicherers wegen arglistiger Täuschung beendet, so steht dem Versicherer der Beitrag bis zum Zugang der Anfechtungserklärung zu.

[fehlt]

B1-6.2.4 Fällt das versicherte Interesse nach dem Beginn der Versicherung vollständig und dauerhaft weg, steht dem Versicherer der Beitrag zu, den er hätte beanspruchen können, wenn die Versicherung nur bis zu dem Zeitpunkt beantragt worden wäre, zu dem der Versicherer vom Wegfall des Interesses Kenntnis erlangt hat.

[fehlt]

B1-6.2.5 Der Versicherungsnehmer ist nicht zur Zahlung des Beitrags verpflichtet, wenn das versicherte Interesse bei Beginn der Versicherung nicht besteht, oder wenn das Interesse bei einer Versicherung, die für ein künftiges Unternehmen oder für ein anderes künftiges Interesse genommen ist, nicht entsteht. Der Versicherer kann jedoch eine angemessene Geschäftsgebühr verlangen. Hat der Versicherungsnehmer ein nicht bestehendes Interesse in der Absicht versichert, sich dadurch einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, ist der Vertrag nichtig. Dem Versicherer steht in diesem Fall der Beitrag bis zu dem Zeitpunkt zu, zu dem er von den die Nichtigkeit begründenden Umständen Kenntnis erlangt.

[fehlt]

Gädtke

1050

Schrifttum

AVB D&O B1

Einleitung: Während die AVB-AVG in der letzten kommentierten Fassung keine spezielleren Regelungen für die Beitragszahlungen im Fall von Widerruf, Rücktritt, Anfechtung und fehlendem versicherten Interesse beinhalteten und stattdessen in Ziff. 12 a. F. auf die gesetzlichen Bestimmungen verwiesen haben, wurden diese Regelungen mit Ziff. B1 in die AVB D&O aufgenommen. Teil B als Allgemeiner Teil enthält nun die VVG-basierten Bestimmungen. Er ist in allen neu strukturierten GDV-Musterbedingungen für die Allgemeine Haftpflichtversicherung identisch und soll damit innerhalb der Sparte Allgemeine Haftpflichtversicherung die „Bündelfähigkeit“ herstellen.1 Ziff. B1–1 konkretisiert den Beginn des Versicherungsschutzes anhand des im Versicherungsschein angegebenen Zeitpunkts und entspricht damit inhaltlich Ziff. 8 AHB. Auf die dortige Kommentierung wird verwiesen.2 Ziff. B1–2 überlässt die Ausgestaltung der Beitragszahlungen der Vereinbarung der Parteien und orientiert sich dabei an Ziff. 8.2 AHB, sieht jedoch abweichend davon eine Beitragszahlung gem. Ziff. B1-1.2.1 „im Voraus“ vor. Gem. Ziff. B1-2.2 soll die Versicherungsperiode grundsätzlich 1 Jahr betragen. Dies gilt auch, wenn die vereinbarte Vertragsdauer länger als ein Jahr ist. Ist die vereinbarte Vertragsdauer kürzer als ein Jahr, so entspricht die Versicherungsperiode der Vertragsdauer, wobei Ziff. B1-2.3 das Versicherungsjahr konkretisiert. Ziff. B1-3.1 konkretisiert den Fälligkeitszeitpunkt der Beitragszahlungen für den Erst- oder Einmalbeitrag dahingehend, dass abweichend von der gesetzlichen Regelung in § 33 VVG nicht mehr der Zugang des Versicherungsscheines fristauslösend ist, sondern nun der im Versicherungsschein vereinbarte und angegebene Versicherungsbeginn den Fälligkeitszeitpunkt der Beiträge bestimmt. Der Ausdruck „Beitrag“ in Ziff. B1-3.1 stimmt insofern nicht mit der vom VVG gewählten Bezeichnung für das von dem VN zu entrichtende Entgelt überein, das in § 33 VVG als „Prämie“ bezeichnet wird. „Beitrag“ wird aber insbesondere in AVB häufig als Synonym zu „Prämie“ verwendet.3 Wichtigstes Berechnungskriterium für die Bemessung der Prämie in der D&O-Versicherung ist die Bilanzsumme des VN.4 Darüber hinaus berücksichtigt die Prämienfindung eine Vielzahl weiterer Faktoren, z. B. Branche, Rechtsform, Gesellschafterstruktur, Gründungsjahr, Auslandsaktivitäten etc.5 Ziff. B-1-3.2 entspricht inhaltlich Ziff. 9.3 AHB bzw. § 37 VVG. Auf die dortige Kommentierung wird verwiesen.6 Ziff. B1-3.3 entspricht inhaltlich § 37 Abs. 2 bzw. § 37 Abs. 1 VVG (vgl. dazu die Kommentierung von Bruck/Möller/Beckmann zu § 37 VVG). Ziff. B1–4 regelt die Fälligkeit der Folgebeiträge sowie die Rechtsfolgen (Schadensersatz) bei Zahlungsverzug der Folgebeiträge und orientiert sich dabei inhaltlich an Ziff. 10 AHB. Auf die dortige Kommentierung wird verwiesen (vgl. dazu die Kommentierung von Bruck/Möller7). Das Erfordernis einer Mahnung ist in Ziff. B1-4.3 konkretisiert worden und löst die Rechtsfolgen von Ziff. B1-4.4 (Leistungsfreiheit) bis B1-4.5 (Kündigungsrecht des Versicherers) aus. Bei einer Mehrheit von VN muss die Mahnung durch gesonderte schriftliche Mitteilung gegenüber jedem der VN erfolgen.8 Ziff. B1–5 konkretisiert die Zahlungspflichten im Lastschriftverfahren und orientiert sich inhaltlich an Ziff. 11 AHB mit der Ergänzung, dass die Zahlung des Beitrages auch dann noch 1 Vgl. Erläuterungen des GDV zu Teil B (Stand Dezember 2020). 2 Bruck/Möller/R. Koch9 AHB Ziff. 8 Rn. 1. 3 Näher zur Herkunft und Verwendung der Begriffe Bruck/Möller/Beckmann9 § 33 Rn. 10 ff. (zum Begriff „Beitrag“ vgl. Rn. 12); auch Langheid/Rixecker/Rixecker § 33 Rn. 2. 4 MüKo-AktG/Spindler § 87 Rn. 30; Beispiele bei Lange DStR 2002 1626, 1628. 5 Ebd. 6 Bruck/Möller/R. Koch9AHB Ziff. 9 Rn. 3. 7 Bruck/Möller/R. Koch9 AHB Ziff. 10 Rn. 1. 8 BGH 8.1.2014 – IV ZR 206/13, VersR 2014, 229, 229. 1051

Gädtke

1

2

3

4 5 6

7

B1 AVB D&O

Beginn des Versicherungsschutzes, Beitragszahlung

rechtzeitig erfolgt, wenn sie unverzüglich nach einer in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) abgegebenen Zahlungsaufforderung des Versicherers erfolgt. Unter den Voraussetzungen von Ziff. B1-5.2 kann auch ein fehlgeschlagener Lastschrifteinzug den VR zur Kündigung berechtigen. 8 Gem. Ziff. B1–6 regelt die Zahlungspflichten im Falle der vorzeitigen Vertragsbeendigung, insbesondere im Fall von Widerruf, Rücktritt, Anfechtung oder fehlendem versicherten Interesse. Während die AVB-AVG in der letzten kommentierten Fassung bei vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses auf die gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere auf §§ 39 und § 80 VVG verwiesen haben, enthalten die AVB D&O diese Regelungen nun selbst in Teil B. Das Tatbestandsmerkmal der „vorzeitigen Beendigung“ in Ziff B1-6.1 entspricht inhaltlich der Regelung in § 39 Abs. 1 S. 1 VVG („vor Ablauf der Versicherungsperiode“).9 Die Prämie ist in diesem Fall pro rata temporis zu entrichten, d. h. proportional zu der Zeit, in der der VR tatsächlich die Gefahr getragen hat.10 Zu einer proportionalen Beitragserstattung verpflichtet Ziff. B1-6.2 auch im Fall eines Widerrufs, Rücktritts oder im Fall der Anfechtung. Die in Ziff. B1-6.2.1 geregelten Rechtsfolgen des Widerrufs entsprechen dabei inhaltlich § 9 VVG.11 Im Fall eines Rücktritts nach B1-6.2.2 ist die Rechtsfolge die Umwandlung des Versicherungsvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis,12 das dazu führt, dass der vom VR gewährte Versicherungsschutz rückwirkend beseitigt wird und die Zahlungspflicht des VN erlischt.13 In diesem Fall kann der VR gem. Ziff. B1-6.2.5 eine Geschäftsgebühr für seine Aufwendungen verlangen.14 Ziff. B1-6.2.5 entspricht inhaltlich § 80 VVG.15 Ziff. B1-6.2.3 entspricht inhaltlich § 39 Abs. 1 S. 2 VVG.16 Der VR hat in derartigen Fällen – z. B. nach Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, die zur Nichtigkeit des Vertrags ex tunc führt – aus Billigkeitsgründen gleichwohl einen Anspruch auf Zahlung der Prämie bis zum Wirksamwerden der Anfechtungserklärung.17 Ein Wegfall des versicherten Interesses gem. § 80 VVG ist in der D&O-Versicherung regelmäßig nicht relevant.

9 Bruck/Möller/Beckmann9 § 39 Rn. 8 ff. 10 Bruck/Möller/Beckmann9 § 39 Rn. 8. 11 Zu Einzelheiten vgl. Bruck/Möller/Knops § 9 Rn. 10 ff. 12 Bruck/Möller/Beckmann9 § 37 Rn. 51. 13 Kritisch zur rückwirkenden Beseitigung des Versicherungsschutzes durch Rücktritt Bruck/Möller/Beckmann9 § 37 Rn. 52 m. w. N. zum Meinungsstand. 14 Bruck/Möller/Beckmann9 § 37 Rn. 51, § 39 Rn. 14. 15 Zu Einzelheiten vgl. Bruck/Möller/Schnepp9 § 80 Rn. 1 ff. 16 Vgl. dazu Bruck/Möller/Beckmann9 zu § 39 Rn. 12 f. 17 Bruck/Möller/Beckmann9 § 39 Rn. 12. Gädtke

1052

B2 Dauer und Ende des Vertrags, Kündigung B2-1 Dauer und Ende des Vertrags B2-1.1 Vertragsdauer Der Vertrag ist für den im Versicherungsschein angegebenen Zeitraum abgeschlossen. B2-1.2 Stillschweigende Verlängerung Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils ein Jahr. Er verlängert sich nicht, wenn einer der Vertragsparteien spätestens drei Monate vor dem Ablauf der jeweiligen Vertragslaufzeit eine Kündigung zugegangen ist. B2-1.3 Vertragsdauer von weniger als einem Jahr Bei einer Vertragsdauer von weniger als einem Jahr endet der Vertrag zum vereinbarten Zeitpunkt, ohne dass es einer Kündigung bedarf. B2-1.4 Kündigung bei mehrjährigen Verträgen Bei einer Vertragsdauer von mehr als drei Jahren kann der Versicherungsnehmer den Vertrag zum Ablauf des dritten Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres kündigen; die Kündigung muss dem Versicherer spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Jahres zugegangen sein. B2-2 Kündigung nach Versicherungsfall B2-2.1 Kündigungsrecht Der Versicherungsvertrag kann gekündigt werden, wenn – der Versicherer einen Anspruch auf Freistellung anerkannt oder zu Unrecht abgelehnt hat oder – der Versicherer den versicherten Personen die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch kommen zu lassen. Die Kündigung muss dem Vertragspartner in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) spätestens einen Monat nach der Anerkennung oder Ablehnung des Freistellungsanspruchs oder nach der Rechtskraft des im Rechtsstreit mit dem Dritten ergangenen Urteils zugegangen sein. B2-2.2 Kündigung durch Versicherungsnehmer Kündigt der Versicherungsnehmer, wird seine Kündigung mit ihrem Zugang beim Versicherer wirksam. Der Versicherungsnehmer kann jedoch bestimmen, dass die Kündigung zu einem späteren Zeitpunkt, spätestens jedoch zum Ende der laufenden Versicherungsperiode, wirksam wird. B2-2.3 Kündigung durch Versicherer Eine Kündigung des Versicherers wird einen Monat nach ihrem Zugang beim Versicherungsnehmer wirksam. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

B2–1 Dauer und Ende des Vertrags B2-1.1 Vertragsdauer

Ziff. 9.1

Der Vertrag ist für den im Versicherungsschein angegebenen Zeitraum abgeschlossen.

Der Vertrag ist für die im Versicherungsschein angegebene Zeit abgeschlossen.

B2-1.2 Stillschweigende Verlängerung Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils ein Jahr. Er verlängert sich nicht, wenn einer der Vertragsparteien spätestens drei Monate vor dem Ablauf der jeweiligen Vertragslaufzeit eine Kündigung zugegangen ist.

1053 https://doi.org/10.1515/9783110522662-041

Ziff. 9.1 Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils ein Jahr, wenn nicht dem Vertragspartner spätestens drei Monate vor dem Ablauf der jeweiligen Vertragsdauer eine Kündigung zugegangen ist.

Gädtke

B2 AVB D&O

Dauer und Ende des Vertrags, Kündigung

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

B2-1.3 Vertragsdauer von weniger als einem Jahr Bei einer Vertragsdauer von weniger als einem Jahr endet der Vertrag zum vereinbarten Zeitpunkt, ohne dass es einer Kündigung bedarf.

Ziff. 9.1 Bei einer Vertragsdauer von weniger als einem Jahr endet der Vertrag, ohne dass es einer Kündigung bedarf, zum vorgesehenen Zeitpunkt.

B2-1.4 Kündigung bei mehrjährigen Verträgen Bei einer Vertragsdauer von mehr als drei Jahren kann der Versicherungsnehmer den Vertrag zum Ablauf des dritten Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres kündigen; die Kündigung muss dem Versicherer spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Jahres zugegangen sein.

Ziff. 9.1 Bei einer Vertragsdauer von mehr als drei Jahren kann der Versicherungsnehmer den Vertrag zum Ablauf des dritten Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres kündigen; die Kündigung muss dem Versicherer spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Jahres zugegangen sein.

B2–2 Kündigung nach Versicherungsfall B2-2.1 Kündigungsrecht

Ziff. 9.2

Der Versicherungsvertrag kann gekündigt werden, wenn – der Versicherer einen Anspruch auf Freistellung anerkannt oder zu Unrecht abgelehnt hat oder – der Versicherer den versicherten Personen die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch kommen zu lassen. Die Kündigung muss dem Vertragspartner in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) spätestens einen Monat nach der Anerkennung oder Ablehnung des Freistellungsanspruchs oder nach der Rechtskraft des im Rechtsstreit mit dem Dritten ergangenen Urteils zugegangen sein.

Hat der Versicherer nach dem Eintritt des Versicherungsfalles den Anspruch der versicherten Person auf Freistellung anerkannt oder zu Unrecht abgelehnt, kann jede Vertragspartei das Versicherungsverhältnis kündigen. Dies gilt auch, wenn der Versicherer der versicherten Person die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch kommen zu lassen.Die Kündigung ist nur innerhalb eines Monats seit der Anerkennung oder Ablehnung des Freistellungsanspruchs oder seit der Rechtskraft des im Rechtsstreit mit dem Dritten ergangenen Urteils zulässig. § 92 Abs. 2 S. 2 und S. 3 VVG ist anzuwenden.

B2-2.2 Kündigung durch Versicherungsnehmer Kündigt der Versicherungsnehmer, wird seine [fehlt] Kündigung mit ihrem Zugang beim Versicherer wirksam. Der Versicherungsnehmer kann jedoch bestimmen, dass die Kündigung zu einem späteren Zeitpunkt, spätestens jedoch zum Ende der laufenden Versicherungsperiode, wirksam wird. B2-2.3 Kündigung durch Versicherer Eine Kündigung des Versicherers wird einen Monat nach ihrem Zugang beim Versicherungsnehmer wirksam. Ziff. 9.3 [fehlt hier – jetzt in A-5.6 Liquidation und Neubeherrschung]

Gädtke

Wird die Versicherungsnehmerin selbst freiwillig liquidiert, endet der Versicherungsvertrag mit Abschluss der Liquidation automatisch.Wird die Versicherungsnehmerin neu beherrscht, endet der Versicherungsvertrag automatisch spätestens nach Ablauf einer Frist von _____ Monaten. Versichert sind in diesem Fall nur Versicherungsfälle aufgrund von Pflichtverletzungen, die bis zum Zeitpunkt der Neubeherrschung begangen wurden.

1054

B. Kündigung nach Versicherungsfall, Ziff. B.2-2.1

AVB D&O B2

A. Vertragsdauer Ziff. B2-1.2 sieht vor, dass sich der Versicherungsvertrag automatisch um ein Jahr verlängert, 1 wenn dem Vertragspartner nicht spätestens drei Monate vor Ablauf der jeweiligen Vertragsdauer eine Kündigung zugegangen ist. Diese Regelung ist in der D&O-Praxis üblich und hält sich in den Grenzen des § 11 Abs. 1 VVG. Versicherungsverträge, deren Laufzeit weniger als ein Jahr beträgt, enden gem. Ziff. B2-1.3 zum vorgesehenen Zeitpunkt, ohne dass es einer Kündigung bedarf; eine automatische Verlängerung kommt nicht in Betracht. Unter diese Regelung fällt z. B. auch eine kurzzeitige Verlängerung des Versicherungsvertrags über das eigentliche Ablaufdatum hinaus, durch die dem VN bei einer noch nicht (vollständig) vollzogenen Umdeckung Versicherungsschutz für die Zeit bis zum Abschluss des neuen D&O-Versicherungsvertrags bzw. -Programms gewährt wird. Ziff. B2-1.4 entspricht § 11 Abs. 4 VVG. Insoweit wird auf die dortige Kommentierung verwiesen.

B. Kündigung nach Versicherungsfall, Ziff. B.2-2.1 Ziff. B2-2.1 entspricht § 111 Abs. 1, 2 VVG, ist aber der Struktur der D&O-Versicherung als Versicherung für fremde Rechnung angepasst.1 Da der deckungsrechtliche Anspruch materiell-rechtlich der versicherten Person zusteht (vgl. § 44 Abs. 1 S. 1 VVG), ist der Tatbestand von Ziff. B2-2.1 auf sie bezogen: Das Kündigungsrecht entsteht, wenn der VR den Freistellungsanspruch der versicherten Person anerkennt oder zu Unrecht ablehnt (Ziff. B2-2.1 Abs. 1 Spiegelstrich 1) oder ihr die Weisung erteilt, es zum Rechtsstreit über den Anspruch kommen zu lassen (Ziff. B2-2.1 Abs. 1 Spiegelstrich 2). Zur Ausübung des Kündigungsrechts (als Rechtsfolge) sind die beiden Vertragspartner berechtigt, also VR und VN (vgl. Ziff. B2-2.1 Abs. 2). Der Wortlaut der Klausel ist allerdings in Ziff. B2-2.1 redaktionell nicht vollständig gelungen. In Ziff. B.2-2.1 Abs. 1 Spiegelstrich 2 ist anders als in § 111 Abs. 1 S. 2 VVG („Anspruch des Dritten“) allein von „Anspruch“ die Rede. Das ist zwar konsequent, weil die Weisung an die versicherte Person in der D&O-Versicherung nicht nur in Bezug auf den Außenhaftungsanspruch eines Dritten, sondern auch bzgl. des Innenhaftungsanspruchs des VN erteilt werden kann. Dadurch, dass Ziff. B2-2.1 Abs. 1 Spiegelstrich 2 auf einen erläuternden Zusatz zu „Anspruch“ verzichtet, ist der Ausdruck allerdings nicht mehr eindeutig bestimmt: Wörtlich lässt er sich wie in Ziff. B2-2.1 Abs. 1 Spiegelstrich 1 auf den deckungsrechtlichen Anspruch der versicherten Person beziehen, während nach dem Sinn von Ziff. B2-2.1 Abs. 1 Spiegelstrich 2 nur der Haftpflichtanspruch des VN oder des Dritten gemeint sein kann. – Vgl. im Übrigen die Kommentierung von Bruck/Möller/R. Koch zu § 111 VVG. Ziff. B2-2.2 bestimmt, dass die Kündigung mit Zugang beim Versicherer wirksam wird. Der Versicherungsnehmer hat jedoch ein Wahlrecht. Er kann abweichend hiervon bestimmen, dass die Kündigung zu einem späteren Zeitpunkt, spätestens jedoch zum Ende der laufenden Versicherungsperiode wirksam werden soll. Er besitzt also einen Gestaltungsspielraum, der ihm erlaubt, das Ende des Versicherungsverhältnisses an den Beginn einer anschließenden Versicherung anzupassen.2 Die Vorschrift entspricht inhaltlich der Regelung des § 92 Abs. 2 S. 3 VVG. Auf die dortige Kommentierung wird verwiesen. Ziff. B2-2.3 legt fest, dass die Kündigung des Versicherers einen Monat nach Zugang beim Versicherungsnehmer wirksam wird. Die Vorschrift weicht ihrem Wortlaut nach von § 92 Abs. 2 S. 2 VVG ab, entspricht ihr jedoch inhaltlich. Auf die dortige Kommentierung wird verwiesen. Die ursprünglich in Ziff. 9.2 AVB-AVG Mai 2013 enthaltene Regelung zur Frist für das automatische Erlöschen des Versicherungsvertrags für den Fall der Neubeherrschung des VN oder

1 Vgl. GDV Erläuterungen, Teil B, Einführung (Stand Dezember 2020). 2 BeckOK VVG/Rust § 92 Rn. 28. 1055

Gädtke

2

3

4

5

6

B2 AVB D&O

Dauer und Ende des Vertrags, Kündigung

freiwilligen Liquidation ist nunmehr in Ziff. A-5.6 enthalten. Auf die dortige Kommentierung wird verwiesen.

Gädtke

1056

B3 Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten B3-1

Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers oder seines Vertreters bis zum Vertragsschluss B3-1.1 Vollständigkeit und Richtigkeit von Angaben über gefahrerhebliche Umstände Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung dem Versicherer alle ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, nach denen der Versicherer in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) gefragt hat und die für den Entschluss des Versicherers erheblich sind, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen. Diese Anzeigepflicht gilt auch dann, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer nach seiner Vertragserklärung, aber vor der Vertragsannahme Fragen im Sinn von Satz 1 in Textform stellt. Wird der Vertrag von einem Vertreter des Versicherungsnehmers geschlossen, so sind bei der Anwendung von Absatz 1 und B3-1.2 sowohl die Kenntnis und die Arglist des Vertreters als auch die Kenntnis und die Arglist des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen. Der Versicherungsnehmer kann sich darauf, dass die Anzeigepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt worden ist, nur berufen, wenn weder dem Vertreter noch dem Versicherungsnehmer Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. B3-1.2 Rechtsfolgen der Verletzung der Anzeigepflicht B3-1.2.1 Rücktritt und Wegfall des Versicherungsschutzes Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach B3-1.1 Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten. Im Fall des Rücktritts besteht auch für die Vergangenheit kein Versicherungsschutz. Der Versicherer hat jedoch kein Rücktrittsrecht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass er die unrichtigen oder unvollständigen Angaben weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gemacht hat. Das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht besteht nicht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände zu gleichen oder anderen Bedingungen geschlossen hätte. Tritt der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls zurück, darf er den Versicherungsschutz nicht versagen, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass der unvollständig oder unrichtig angezeigte Umstand weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich war. Auch in diesem Fall besteht aber kein Versicherungsschutz, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht arglistig verletzt hat. B3-1.2.2 Kündigung Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach B3-1.1 Absatz 1 einfach fahrlässig oder schuldlos, kann der Versicherer den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. Das Kündigungsrecht ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände zu gleichen oder anderen Bedingungen geschlossen hätte. B3-1.2.3 Vertragsänderung Hat der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach B3-1.1 Absatz 1 nicht vorsätzlich verletzt und hätte der Versicherer bei Kenntnis der nicht angezeigten Gefahrumstände den Vertrag auch zu anderen Bedingungen geschlossen, so werden die anderen Bedingungen auf Verlangen des Versicherers rückwirkend Vertragsbestandteil. 1057 https://doi.org/10.1515/9783110522662-042

Gädtke

B3 AVB D&O

B3-1.3

B3-1.4

B3-1.5

B3-1.6

B3-1.7

B3-2 B3-2.1 B3-2.1.1

B3-2.1.2

B3-2.1.3 B3-2.2 B3-2.2.1

Gädtke

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

Bei einer vom Versicherungsnehmer unverschuldeten Pflichtverletzung werden die anderen Bedingungen ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil. Erhöht sich durch eine Vertragsänderung der Beitrag um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, so kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. In dieser Mitteilung hat der Versicherer den Versicherungsnehmer auf dessen Kündigungsrecht hinzuweisen. Frist und Form für die Ausübung der Rechte des Versicherers Die Rechte zum Rücktritt, zur Kündigung oder zur Vertragsänderung muss der Versicherer innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Dabei hat er die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt. Zur Begründung kann er nachträglich weitere Umstände innerhalb eines Monats nach deren Kenntniserlangung angeben. Die Monatsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht und der Umstände Kenntnis erlangt, die das von ihm jeweils geltend gemachte Recht begründen. Hinweispflicht des Versicherers Die Rechte zum Rücktritt, zur Kündigung oder zur Vertragsänderung stehen dem Versicherer nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) auf die Folgen der Verletzung der Anzeigepflicht hingewiesen hat. Ausschluss von Rechten des Versicherers Der Versicherer kann sich auf seine Rechte zum Rücktritt, zur Kündigung oder zur Vertragsänderung nicht berufen, wenn er den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte. Anfechtung Das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, bleibt bestehen. Erlöschen der Rechte des Versicherers Die Rechte des Versicherers zum Rücktritt, zur Kündigung und zur Vertragsänderung erlöschen mit Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss. Diese Rechte erlöschen nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. Die Frist beträgt zehn Jahre, wenn der Versicherungsnehmer oder sein Vertreter die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt hat. Gefahrerhöhung Begriff der Gefahrerhöhung Eine Gefahrerhöhung liegt vor, wenn nach Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers die tatsächlich vorhandenen Umstände so verändert werden, dass der Eintritt des Versicherungsfalles oder eine Vergrößerung des Schadens oder die ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Versicherers wahrscheinlicher wird. Eine Gefahrerhöhung kann insbesondere – aber nicht nur – vorliegen, wenn sich ein gefahr-erheblicher Umstand ändert, nach dem der Versicherer vor Vertragsschluss gefragt hat. Eine Gefahrerhöhung nach B3-2.1.1 liegt nicht vor, wenn sich die Gefahr nur unerheblich erhöht hat oder nach den Umständen als mitversichert gelten soll. Pflichten des Versicherungsnehmers Nach Abgabe seiner Vertragserklärung darf der Versicherungsnehmer ohne vorherige Zustimmung des Versicherers keine Gefahrerhöhung vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten.

1058

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

AVB D&O B3

B3-2.2.2 Erkennt der Versicherungsnehmer nachträglich, dass er ohne vorherige Zustimmung des Versicherers eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder gestattet hat, so muss er diese dem Versicherer unverzüglich anzeigen. B3-2.2.3 Eine Gefahrerhöhung, die nach Abgabe seiner Vertragserklärung unabhängig von seinem Willen eintritt, muss der Versicherungsnehmer dem Versicherer unverzüglich anzeigen, nachdem er von ihr Kenntnis erlangt hat. B3-2.3 Kündigung oder Vertragsänderung durch den Versicherer B3-2.3.1 Kündigungsrecht Verletzt der Versicherungsnehmer seine Verpflichtung nach B3-2.2.1, kann der Versicherer den Vertrag fristlos kündigen, wenn der Versicherungsnehmer seine Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Das Nichtvorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit hat der Versicherungsnehmer zu beweisen. Beruht die Verletzung auf einfacher Fahrlässigkeit, kann der Versicherer unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. Wird dem Versicherer eine Gefahrerhöhung in den Fällen nach B3-2.2.2 und B32.2.3 bekannt, kann er den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. B3-2.3.2 Vertragsänderung Statt der Kündigung kann der Versicherer ab dem Zeitpunkt der Gefahrerhöhung einen seinen Geschäftsgrundsätzen entsprechenden erhöhten Beitrag verlangen oder die Absicherung der erhöhten Gefahr ausschließen. Erhöht sich der Beitrag als Folge der Gefahrerhöhung um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Absicherung der erhöhten Gefahr aus, so kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. In der Mitteilung hat der Versicherer den Versicherungsnehmer auf dieses Kündigungsrecht hinzuweisen. B3-2.4 Erlöschen der Rechte des Versicherers Die Rechte des Versicherers zur Kündigung oder Vertragsanpassung nach B3-2.3 erlöschen, wenn diese nicht innerhalb eines Monats ab Kenntnis des Versicherers von der Gefahrerhöhung ausgeübt werden oder wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat. B3-2.5 Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung B3-2.5.1 Tritt nach einer Gefahrerhöhung der Versicherungsfall ein, so ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer seine Pflichten nach B3-2.2.1 vorsätzlich verletzt hat. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Pflichten grob fahrlässig, so ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in dem Verhältnis zu kürzen, das der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entspricht. Das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit hat der Versicherungsnehmer zu beweisen. B3-2.5.2 Nach einer Gefahrerhöhung nach B3-2.2.2 und B3-2.2.3 ist der Versicherer für einen Versicherungsfall, der später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Anzeige dem Versicherer hätte zugegangen sein müssen, leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt hat. Hat der Versicherungsnehmer seine Pflicht grob fahrlässig verletzt, so gilt B3-2.5.1 Satz 2 und 3 entsprechend. Die Leistungspflicht des Versicherers bleibt bestehen, wenn ihm die Gefahrerhöhung zu dem Zeitpunkt, zu dem ihm die Anzeige hätte zugegangen sein müssen, bekannt war.

1059

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

B3-2.5.3 Die Leistungspflicht des Versicherers bleibt bestehen, a) soweit der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Gefahrerhöhung nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war oder b) wenn zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles die Frist für die Kündigung des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt war oder c) wenn der Versicherer statt der Kündigung ab dem Zeitpunkt der Gefahrerhöhung einen seinen Geschäftsgrundsätzen entsprechend erhöhten Beitrag verlangt. B3-3 Obliegenheiten des Versicherungsnehmers B3-3.1 Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls B3-3.1.1 Besonders gefahrdrohende Umstände hat der Versicherungsnehmer auf Verlangen des Versicherers innerhalb angemessener Frist zu beseitigen. Dies gilt nicht, soweit die Beseitigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen unzumutbar ist. Ein Umstand, der zu einem Schaden geführt hat, gilt ohne weiteres als besonders gefahrdrohend. B3-3.1.2 Rechtsfolgen Verletzt der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Obliegenheit, die er vor Eintritt des Versicherungsfalles gegenüber dem Versicherer zu erfüllen hat, so kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, den Vertrag fristlos kündigen. Der Versicherer hat kein Kündigungsrecht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass er die Obliegenheit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. B3-3.2 Obliegenheiten bei und nach Eintritt des Versicherungsfalls Der Versicherungsnehmer hat bei und nach Eintritt des Versicherungsfalls nachfolgende Obliegenheiten zu erfüllen. Diese und die Rechtsfolgen bei Verletzung gelten sinngemäß auch für die versicherten Personen. a) Er hat nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen. Dabei hat der Versicherungsnehmer Weisungen des Versicherers, soweit für ihn zumutbar, zu befolgen sowie Weisungen – ggf. auch mündlich oder telefonisch – einzuholen, wenn die Umstände dies gestatten. Erteilen mehrere an dem Versicherungsvertrag beteiligte Versicherer unterschiedliche Weisungen, hat der Versicherungsnehmer nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln. b) Jeder Versicherungsfall ist dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. c) Er hat dem Versicherer ausführliche und wahrheitsgemäße Schadenberichte zu erstatten und ihn bei der Schadensermittlung und -regulierung zu unterstützen. Alle Umstände, die nach Ansicht des Versicherers für die Bearbeitung des Schadens wichtig sind, müssen mitgeteilt sowie alle dafür angeforderten Schriftstücke übersandt werden. d) Wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, ein selbständiges Beweisverfahren angeordnet oder ergeht ein Strafbefehl oder Bescheid, der den Ersatz eines Vermögensschadens zum Gegenstand hat oder zur Folge haben könnte, so hat der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu erstatten, auch wenn der Versicherungsfall selbst bereits angezeigt wurde. e) Wird gegen eine versicherte Person ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, Prozesskostenhilfe beantragt oder gegen diese gerichtlich der Streit verkündet, so ist dies ebenfalls unverzüglich anzuzeigen. Das gleiche gilt im Falle eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung. Gegen einen Mahn-

Gädtke

1060

Schrifttum

AVB D&O B3

bescheid muss die versicherte Person fristgemäß Widerspruch einlegen, ohne dass es einer Weisung des Versicherers bedarf. f) Wird gegen eine versicherte Person ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, hat sie die Führung des Verfahrens dem Versicherer zu überlassen. Der Versicherer beauftragt im Namen der versicherten Person einen Rechtsanwalt. Die versicherte Person muss dem Rechtsanwalt Vollmacht sowie alle erforderlichen Auskünfte erteilen und die angeforderten Unterlagen zur Verfügung stellen B3-3.3 Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzung B3-3.3.1 Verletzt der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit nach B3-3.1 oder B3-3.2 vorsätzlich, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei. Bei grob fahrlässiger Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in dem Verhältnis zu kürzen, das der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entspricht. B3-3.3.2 Verletzt der Versicherungsnehmer eine nach Eintritt des Versicherungsfalls bestehende Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheit, ist der Versicherer nur dann vollständig oder teilweise leistungsfrei, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat. B3-3.3.3 Der Versicherer bleibt zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass er die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt hat. Dies gilt auch, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung ursächlich war. Das gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Allg. Einführung vor Ziff. 1) Armbrüster Interessenkonflikte in der D&O-Versicherung, NJW 2016 897; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung des Versicherungsnehmers im VVG, Diss. Bielefeld 2008; Bastuck/Stelmaszczyk Gestaltung des D&O-Versicherungsschutzes in M&A-Transaktionen, NZG 2011 241; Böhm/Nugel Die Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Leistungskürzung nach dem VVG 2008, MDR 2012 693; Brand Grenzen der vorvertraglichen Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers, VersR 2009 715; Bruns Voraussetzungen und Auswirkungen der Zurechnung von Wissen und Wissenserklärungen im allgemeinen Privatrecht und im Privatversicherungsrecht (2007); Felsch Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Transportversicherung, RuS 2012 223; Gädtke Schutz gutgläubiger Organmitglieder bei Anfechtung des Versicherers – nach der Entscheidung des BGH „Heros II“? RuS 2013 313; Grote/Finkel Der Rücktritt vom Altvertrag – altes oder neues Recht? VersR 2009 312; Grote/Schneider VVG 2008: Das neue Versicherungsvertragsrecht, VersR 2007 2689; Grunewald Wissenszurechnung bei juristischen Personen, Festschrift Beusch (1993) 301; Grunwald Leitbilder des VVG in der Großrisikoversicherung VersR 2020 1423; Günther/Spielmann Vollständige und teilweise Leistungsfreiheit nach dem VVG 2008 am Beispiel der Sachversicherung (Teil 1), RuS 2008 133; Herdter Grenzen der Auskunfts- und Belegpflicht in der D&O-Versicherung, ZVersWiss 2011 655; Karczewski Vorvertragliche Anzeigepflichten, §§ 19 ff. VVG n. F., §§ 16 ff. VVG a. F., RuS 2012 521; Knappmann Rechtliche Stellung des arglistigen Versicherungsnehmers, VersR 2011 724; R. Koch Zur Qualifikation des Wechsels in der Beherrschung der Versicherungsnehmerin und der erstmaligen Begründung eines Beherrschungsverhältnisses in der D&O-Versicherung als Gefahrerhöhung, Gedächtnisschrift Hübner (2012) 123; ders. Aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der D&O-Versicherung, WM 2007 2173; Lange Die vorvertragliche Anzeigepflicht nach der VVG-Reform, RuS 2008 56; ders. Die vorvertragliche Anzeigepflicht in der D&O-Versicherung, VersR 2006 605; ders. Auswirkungen eines Kontrollwechsels (change of control) auf die D&OVersicherung, AG 2005 459; Langheid Das Wissen der Manager ist ihrem Unternehmen zuzurechnen, VW 2012 1768; ders. AVB-Kontrolle im Lichte der neueren Rechtsprechung, Gedächtnisschrift Hübner (2012) 137; ders. Wissentliche und fahrlässige Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2017 1365 Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Lenz/Weitzel Zur Unwirksamkeit von Anfechtungsverzichtsklauseln in der D&OVersicherung, PHi 2012 122; Liedtke Ein Zwischenfazit zu den Entwicklungen von unwirksamen Anfechtungsverzichts-

1061

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

klauseln im Rahmen der D&O-Versicherung, VP 2012 229; de Lippe Probleme wissentlicher Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung, VersR 2021 69; Looschelders Aktuelle Probleme der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, VersR 2011 697; ders. Der Risikoausschluss bei vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzung – Auswirkungen auf die Rechtsstellung der VN und anderer Versicherte, VersR 2018 1413; Mayer Lüttringhausen/Genz Gefahrerhöhung durch Pandemien – Das Beispiel des Coronavirus, RuS 2020 258; Mayer Kein wirksamer Ausschluss des Anfechtungsrechts wegen arglistiger Täuschung in der D&O-Versicherung? VP 2012 12; Medicus Probleme der Wissenszurechnung, Karlsruher Forum (1994) 4; Naujoks/Heydorn Vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung und § 5 VVG im Rahmen der „offenen Mitversicherung“, ZfV 2011 115; Neuhaus Kenntnis und Textform der Antragsfragen bei der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, VersR 2012 1477; ders. Das Argument des „Vergessens“ bei der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, RuS 2011 273; ders. Vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung: Ausnahmen der „Auge-undOhr“-Wissenszurechnung, ZfSch 2011 543; ders. Versicherungsvertrag – aktuelle Fragen der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, MDR 2010 1360; ders. Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung im neuen VVG, RuS 2008 45; ders. Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Berufsunfähigkeitsversicherung, VersR 2021 205; Notthoff Die spontane Anzeigepflicht des VN vor dem Hintergrund der aktuellen obergerichtlichen Rspr. – eine Bestandsaufnahme, RuS 2018 169; Nugel Die aktuelle Entwicklung in der Rechtsprechung zur quotalen Leistungskürzung nach dem VVG, MDR 2011 1148; ders. Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers im Hinblick auf gefahrerhebliche Umstände nach der VVG-Reform, MDR 2009 186; Osswald Die D&O-Versicherung beim Unternehmenskauf, Diss. Freiburg 2008; Pagel Das Ende der spontanen Anzeigepflicht, VuR 2019 258; Reusch Hat der Versicherungsnehmer trotz des Wegfalls der Nachmeldeobliegenheit wegen der Möglichkeit der Arglistanfechtung durch den Versicherer auch nach dem VVG 2008 eine spontane Anzeigepflicht vor und nach Abgabe seiner Vertragserklärung? VersR 2008 1179; Rudzio Vorvertragliche Anzeigepflicht bei der D&O-Versicherung der Aktiengesellschaft, Diss. Konstanz 2010; Schäfer Das Verhältnis der vorvertraglichen Anzeigepflicht (§§ 19 ff. VVG) zur Culpa in contrahendo, VersR 2010 301; Schimikowski Vorvertragliche Informationspflichten des Versicherers und des Versicherungsnehmers – Ausgewählte Fragen, RuS-Beil. 2011 96; ders. Die vorvertragliche Anzeigepflicht, RuS 2009 353; ders. Die Rechtsfolgen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung nach dem neuen VVG, VersR 2009 1304; Schirmer Arglistiges Verhalten des VN im neuen VVG, RuS 2014 533; Schreier Versicherungsschutz für Seuchen am Beispiel der COVID-19-Pandemie, VersR 2020 513; Schürnbrand Wissenszurechnung im Konzern – unter Berücksichtigung von Doppelmandanten, ZHR 2017 357; Seidel Die Wissenszurechnung im einzelkaufmännischen Unternehmen, ZIP 2020 1506; Sommer Verzicht auf das Recht zur Arglistanfechtung in AGB/AVB – zur Rechtsprechung des BGH und ihrer Auswirkung auf die D&O-Versicherung, ZVersWiss 2013 Digital Objects Identifier 10.1007/s12297-013-0240–8 (zitiert Sommer ZVersWiss 2013 (DOI)); Spindler Wissenszurechnung in der GmbH, der AG und im Konzern, ZHR 2017 311; Schwintowski Bemerkungen zur spontanen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers vor Vertragsschluss, VuR 2018 220; Taupitz Wissenszurechnung nach englischem und deutschem Recht, Karlsruher Forum (1994) 16; Tschersich Rechtsfragen der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung und der vertraglichen Obliegenheiten, RuS 2012 53; Wandt Anlasslose Auskunftsverlangen des Versicherers zur Überprüfung der Erfüllung der vorvertraglichen Anzeigepflicht im Versicherungsfall, VersR 2017 458; Wirth/Kuballa Anzeigepflicht bei einer nicht veranlassten Gefahrerhöhung in der D&O-Vers., RuS 2013 17. AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

B3–1 Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers oder seines Vertreters bis zum Vertragsschluss

Ziff. 7.1 Vorvertragliche Anzeigepflichten

B3-1.1 Vollständigkeit und Richtigkeit von Angaben über gefahrerhebliche Umstände

Ziff. 7.1.1 Vollständigkeit und Richtigkeit von Angaben über gefahrerhebliche Umstände

Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung dem Versicherer alle ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, nach denen der Versicherer in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) gefragt hat und die für den Entschluss des Versicherers erheblich sind, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen. Diese Anzeigepflicht gilt auch dann, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer nach seiner Vertragserklärung, aber vor der Vertragsannahme Fragen im Sinn von Satz 1 in Textform stellt. Wird der Vertrag von einem Vertreter des Versicherungsnehmers geschlossen, so sind bei der Anwendung von Absatz 1 und B3-1.2 sowohl die

Wird der Vertrag von einem Vertreter der Versicherungsnehmerin geschlossen und kennt dieser den gefahrerheblichen Umstand, muss sich die Versicherungsnehmerin so behandeln lassen, als habe sie selbst davon Kenntnis gehabt oder dies arglistig verschwiegen.

Gädtke

1062

Schrifttum

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB D&O B3

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Kenntnis und die Arglist des Vertreters als auch die Kenntnis und die Arglist des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen.Der Versicherungsnehmer kann sich darauf, dass die Anzeigepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt worden ist, nur berufen, wenn weder dem Vertreter noch dem Versicherungsnehmer Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Die Versicherungsnehmerin hat bis zur Abgabe ihrer Vertragserklärung dem Versicherer alle ihr bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat und die für den Entschluss des Versicherers erheblich sind, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen. Die Versicherungsnehmerin ist auch insoweit zur Anzeige verpflichtet, als nach ihrer Vertragserklärung, aber vor Vertragsannahme der Versicherer Fragen im Sinne des Satzes 1 stellt. Gefahrerheblich sind die Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers Einfluss auszuüben, den Vertrag überhaupt oder mit dem vereinbarten Inhalt abzuschließen – in Ziff. 7.1.2 nur speziell für den Rücktritt geregelt – Ziff. 7.1.2: Der Versicherer hat kein Rücktrittsrecht, wenn die Versicherungsnehmerin nachweist, dass sie oder ihr Vertreter die unrichtigen oder unvollständigen Angaben weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gemacht hat. [Für die Beitragsänderung oder das Kündigungsrecht ergibt sich das Verschuldenserfordernis aus 7.1.3 Uabs. 1: „Ist das Rücktrittsrecht des Versicherers ausgeschlossen, weil die Verletzung einer Anzeigepflicht weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruhte, kann der Versicherer den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen.“] B3-1.2 Rechtsfolgen der Verletzung der Anzeigepflicht B3-1.2.1 Rücktritt und Wegfall des Versicherungsschutzes

Ziff. 7.1.2 Rücktritt

Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach B3-1.1 Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten. Im Fall des Rücktritts besteht auch für die Vergangenheit kein Versicherungsschutz. Der Versicherer hat jedoch kein Rücktrittsrecht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass er die unrichtigen oder unvollständigen Angaben weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gemacht hat. Das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht besteht nicht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände zu gleichen oder anderen Bedingungen geschlossen hätte. Tritt der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls

Unvollständige oder unrichtige Angaben zu den gefahrerheblichen Umständen berechtigen den Versicherer, vom Versicherungsvertrag zurückzutreten.

1063

Der Versicherer hat kein Rücktrittsrecht, wenn die Versicherungsnehmerin nachweist, dass sie oder ihr Vertreter die unrichtigen oder unvollständigen Angaben weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gemacht hat. Das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht besteht nicht, wenn die Versicherungsnehmerin nachweist, dass der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte. Tritt der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

zurück, darf er den Versicherungsschutz nicht versagen, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass der unvollständig oder unrichtig angezeigte Umstand weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich war. Auch in diesem Fall besteht aber kein Versicherungsschutz, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht arglistig verletzt hat.

zurück, darf er den Versicherungsschutz nicht versagen, wenn die Versicherungsnehmerin nachweist, dass der unvollständig oder unrichtig angezeigte Umstand weder für den Eintritt des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistung ursächlich war. Auch in diesem Fall besteht aber kein Versicherungsschutz, wenn die Versicherungsnehmerin die Anzeigepflicht arglistig verletzt hat.

B3-1.2.2 Kündigung

Ziff. 7.1.3 Beitragsänderung oder Kündigungsrecht

Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach B3-1.1 Absatz 1 einfach fahrlässig oder schuldlos, kann der Versicherer den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen.

Das Kündigungsrecht ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände zu gleichen oder anderen Bedingungen geschlossen hätte.

Ist das Rücktrittsrecht des Versicherers ausgeschlossen, weil die Verletzung einer Anzeigepflicht weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruhte, kann der Versicherer den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. Das Kündigungsrecht ist ausgeschlossen, wenn die Versicherungsnehmerin nachweist, dass der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte.

B3-1.2.3 Vertragsänderung

Fortsetzung Ziff. 7.1.3

Hat der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach B3-1.1 Absatz 1 nicht vorsätzlich verletzt und hätte der Versicherer bei Kenntnis der nicht angezeigten Gefahrumstände den Vertrag auch zu anderen Bedingungen geschlossen, so werden die anderen Bedingungen auf Verlangen des Versicherers rückwirkend Vertragsbestandteil.

Kann der Versicherer nicht zurücktreten oder kündigen, weil er den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, aber zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte, werden die anderen Bedingungen auf Verlangen des Versicherers rückwirkend Vertragsbestandteil. Hat die Versicherungsnehmerin die Pflichtverletzung nicht zu vertreten, werden die anderen Bedingungen ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil. Erhöht sich durch die Vertragsanpassung der Beitrag um mehr als 10 % oder schließt der Versicherer die Risikoübernahme für den nicht angezeigten Umstand aus, kann die Versicherungsnehmerin den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers fristlos kündigen.– Hinweispflicht fehlt –

Bei einer vom Versicherungsnehmer unverschuldeten Pflichtverletzung werden die anderen Bedingungen ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil. Erhöht sich durch eine Vertragsänderung der Beitrag um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, so kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. In dieser Mitteilung hat der Versicherer den Versicherungsnehmer auf dessen Kündigungsrecht hinzuweisen. B3-1.3 Frist und Form für die Ausübung der Rechte des Versicherers

Fortsetzung Ziff. 7.1.3

Die Rechte zum Rücktritt, zur Kündigung oder zur Vertragsänderung muss der Versicherer innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Dabei hat er die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt.

Der Versicherer muss die ihm nach Ziffer 7.1.2 und 7.1.3 zustehenden Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem er von der Verletzung der

Gädtke

1064

Schrifttum

AVB D&O B3

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Zur Begründung kann er nachträglich weitere Umstände innerhalb eines Monats nach deren Kenntniserlangung angeben. Die Monatsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht und der Umstände Kenntnis erlangt, die das von ihm jeweils geltend gemachte Recht begründen.

Anzeigepflicht, die das von ihm geltend gemachte Recht begründet, Kenntnis erlangt. Er hat die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt; er darf nachträglich weitere Umstände zur Begründung seiner Erklärung abgeben, wenn für diese die Monatsfrist nicht verstrichen ist.

B3-1.4 Hinweispflicht des Versicherers

Fortsetzung Ziff. 7.1.3

Die Rechte zum Rücktritt, zur Kündigung oder zur Vertragsänderung stehen dem Versicherer nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) auf die Folgen der Verletzung der Anzeigepflicht hingewiesen hat.

Dem Versicherer stehen die Rechte nach Ziffer 7.1.2 und 7.1.3 nur zu, wenn er die Versicherungsnehmerin durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat.

B3-1.5 Ausschluss von Rechten des Versicherers

Fortsetzung Ziff. 7.1.3

Der Versicherer kann sich auf seine Rechte zum Rücktritt, zur Kündigung oder zur Vertragsänderung nicht berufen, wenn er den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte.

Der Versicherer kann sich auf die in den Ziffern 7.1.2 und 7.1.3 genannten Rechte nicht berufen, wenn er den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte.

B3-1.6 Anfechtung Das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, bleibt bestehen.

[fehlt]

B3-1.7 Erlöschen der Rechte des Versicherers

Ziff. 7.2.2. Kündigung

Die Rechte des Versicherers zum Rücktritt, zur Kündigung und zur Vertragsänderung erlöschen mit Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss. Diese Rechte erlöschen nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. Die Frist beträgt zehn Jahre, wenn der Versicherungsnehmer oder sein Vertreter die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt hat.

Das Kündigungsrecht erlischt, wenn es nicht innerhalb eines Monats ab der Kenntnis des Versicherers von der Erhöhung der Gefahr ausgeübt wird oder wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat.

B3–2 Gefahrerhöhung

Ziff. 7.2 Gefahrerhöhung

B3-2.1 Begriff der Gefahrerhöhung B3-2.1.1 Eine Gefahrerhöhung liegt vor, wenn nach Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers die tatsächlich vorhandenen Umstände so verändert werden, dass der Eintritt des Versicherungsfalles oder eine Vergrößerung des Schadens oder die ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Versicherers wahrscheinlicher wird.

[fehlt, gleichwohl enthalten die alten Bedingungen eine Definition der Gefahrerheblichkeit in Ziff. 7.1.1]

B3-2.1.2 Eine Gefahrerhöhung kann insbesondere – aber nicht nur – vorliegen, wenn sich ein gefahrerheblicher Umstand ändert, nach dem der Versicherer vor Vertragsschluss gefragt hat.

[fehlt]

1065

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

B3-2.1.3 Eine Gefahrerhöhung nach B3-2.1.1 liegt nicht vor, wenn sich die Gefahr nur unerheblich erhöht hat oder nach den Umständen als mitversichert gelten soll.

Ziff. 7.2.5 Unerhebliche Gefahrerhöhung: Die Ziffern 7.2.1 bis 7.2.4 sind nicht anzuwenden, wenn nur eine unerhebliche Erhöhung der Gefahr vorliegt oder wenn nach den Umständen als vereinbart anzusehen ist, dass die Gefahrerhöhung mitversichert sein soll.

B3-2.2 Pflichten des Versicherungsnehmers

Ziff. 7.2.1 Anzeigepflicht

B3-2.2.1 Nach Abgabe seiner Vertragserklärung darf der Versicherungsnehmer ohne vorherige Zustimmung des Versicherers keine Gefahrerhöhung vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten B3-2.2.2 Erkennt der Versicherungsnehmer nachträglich, dass er ohne vorherige Zustimmung des Versicherers eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder gestattet hat, so muss er diese dem Versicherer unverzüglich anzeigen.

Ziff. 7.2.1 Erkennt die Versicherungsnehmerin nachträglich, dass sie eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder gestattet hat, hat sie die Gefahrerhöhung dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen.

B3-2.2.3 Eine Gefahrerhöhung, die nach Abgabe seiner Vertragserklärung unabhängig von seinem Willen eintritt, muss der Versicherungsnehmer dem Versicherer unverzüglich anzeigen, nachdem er von ihr Kenntnis erlangt hat.

Ziff. 7.2.1 Tritt nach Abgabe der Vertragserklärung der Versicherungsnehmerin eine Gefahrerhöhung unabhängig von ihrem Willen ein, hat sie die Gefahrerhöhung, nachdem sie von ihr Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen.

B3-2.3 Kündigung oder Vertragsänderung durch den Versicherer

Ziff. 7.2.2 KündigungZiff. 7.2.3 Prämienerhöhung

B3-2.3.1 Kündigungsrecht

Ziff. 7.2.2 Kündigung

Verletzt der Versicherungsnehmer seine Verpflichtung nach B3-2.2.1, kann der Versicherer den Vertrag fristlos kündigen, wenn der Versicherungsnehmer seine Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Das Nichtvorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit hat der Versicherungsnehmer zu beweisen. Beruht die Verletzung auf einfacher Fahrlässigkeit, kann der Versicherer unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. Wird dem Versicherer eine Gefahrerhöhung in den Fällen nach B3-2.2.2 und B3-2.2.3 bekannt, kann er den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen.

In den Fällen einer Gefahrerhöhung nach Ziffer 7.2.1 kann der Versicherer den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen, und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen für die Kündigung nur bei einem Teil der versicherten Personen oder Tochterunternehmen erfüllt sind.

B3-2.3.2 Vertragsänderung

Ziff. 7.2.3 Prämienerhöhung

Statt der Kündigung kann der Versicherer ab dem Zeitpunkt der Gefahrerhöhung einen seinen Geschäftsgrundsätzen entsprechenden erhöhten Beitrag verlangen oder die Absicherung der erhöhten Gefahr ausschließen.

Der Versicherer kann an Stelle einer Kündigung ab dem Zeitpunkt der Gefahrerhöhung eine seinen Geschäftsgrundsätzen für diese höhere Gefahr entsprechende Prämie verlangen oder die Absicherung der höheren Gefahr ausschließen. Für das Erlöschen dieses Rechtes gilt Ziffer 7.2.2 Abs. 2 entsprechend. Erhöht sich die Prämie als Folge der Gefahrerhöhung um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Absicherung der höheren Gefahr aus, kann die Versicherungsnehmerin den Vertrag innerhalb eines

Erhöht sich der Beitrag als Folge der Gefahrerhöhung um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Absicherung der erhöhten Gefahr aus, so kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines

Gädtke

[fehlt]

1066

Schrifttum

AVB D&O B3

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. In der Mitteilung hat der Versicherer den Versicherungsnehmer auf dieses Kündigungsrecht hinzuweisen.

Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Der Versicherer hat die Versicherungsnehmerin in der Mitteilung auf dieses Recht hinzuweisen.

B3-2.4 Erlöschen der Rechte des Versicherers

Ziff. 7.2.2 Kündigung

Die Rechte des Versicherers zur Kündigung oder Vertragsanpassung nach B3-2.3 erlöschen, wenn diese nicht innerhalb eines Monats ab Kenntnis des Versicherers von der Gefahrerhöhung ausgeübt werden oder wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat.

Das Kündigungsrecht erlischt, wenn es nicht innerhalb eines Monats ab der Kenntnis des Versicherers von der Erhöhung der Gefahr ausgeübt wird oder wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat.

B3-2.5 Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung

Ziff. 7.2.4 Leistungsfreiheit

B3-2.5.1 Tritt nach einer Gefahrerhöhung der Versicherungsfall ein, so ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer seine Pflichten nach B3-2.2.1 vorsätzlich verletzt hat. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Pflichten grob fahrlässig, so ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in dem Verhältnis zu kürzen, das der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entspricht. Das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit hat der Versicherungsnehmer zu beweisen.

In den Fällen einer Gefahrerhöhung nach Ziffer 7.2.1 Abs. 1 und 2 ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Anzeige dem Versicherer hätte zugehen müssen, es sei denn, dem Versicherer war die Gefahrerhöhung zu diesem Zeitpunkt bekannt. [siehe unten B3-2.5.2 ] Er ist zur Leistung verpflichtet, wenn die Verletzung der Anzeigepflicht nach Ziffer 7.2.1 Abs. 1 und 2 nicht auf Vorsatz beruht; im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens der Versicherungsnehmerin entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt die Versicherungsnehmerin.

B3-2.5.2 Nach einer Gefahrerhöhung nach B3-2.2.2 und B3-2.2.3 ist der Versicherer für einen Versicherungsfall, der später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Anzeige dem Versicherer hätte zugegangen sein müssen, leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt hat. Hat der Versicherungsnehmer seine Pflicht grob fahrlässig verletzt, so gilt B3-2.5.1 Satz 2 und 3 entsprechend. Die Leistungspflicht des Versicherers bleibt bestehen, wenn ihm die Gefahrerhöhung zu dem Zeitpunkt, zu dem ihm die Anzeige hätte zugegangen sein müssen, bekannt war. B3-2.5.3 Die Leistungspflicht des Versicherers bleibt bestehen, a) soweit der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Gefahrerhöhung nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war oder b) wenn zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles die Frist für die Kündigung des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt war oder

1067

Fortsetzung Ziff. 7.2.4Abweichend von Abs. 1 Satz 1 ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, 1. soweit die Gefahrerhöhung nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war, oder 2. wenn zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles die Frist für die Kündigung des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt war.

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

c) wenn der Versicherer statt der Kündigung ab dem Zeitpunkt der Gefahrerhöhung einen seinen Geschäftsgrundsätzen entsprechend erhöhten Beitrag verlangt. B3–3 Obliegenheiten des Versicherungsnehmers

Ziff. 7.3 Obliegenheiten der Versicherungsnehmerin

B3-3.1 Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls

Ziff. 7.3.1 Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalles

B3-3.1.1 Besonders gefahrdrohende Umstände hat der Versicherungsnehmer auf Verlangen des Versicherers innerhalb angemessener Frist zu beseitigen. Dies gilt nicht, soweit die Beseitigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen unzumutbar ist. Ein Umstand, der zu einem Schaden geführt hat, gilt ohne weiteres als besonders gefahrdrohend.

Besonders gefahrdrohende Umstände hat die Versicherungsnehmerin auf Verlangen des Versicherers innerhalb angemessener Frist zu beseitigen. Dies gilt nicht, soweit die Beseitigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen unzumutbar ist. Ein Umstand, der zu einem Schaden geführt hat, gilt ohne weiteres als besonders gefahrdrohend. Ziff. 8 Rechtsfolgen bei Verletzung von Obliegenheiten

B3-3.1.2 Verletzt der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Obliegenheit, die er vor Eintritt des Versicherungsfalles gegenüber dem Versicherer zu erfüllen hat, so kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, den Vertrag fristlos kündigen.Der Versicherer hat kein Kündigungsrecht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass er die Obliegenheit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat.

Ziff. 8.1 Verletzt die Versicherungsnehmerin eine Obliegenheit aus diesem Vertrag, die sie vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllen hat, kann der Versicherer den Vertrag innerhalb eines Monats ab Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung fristlos kündigen. Der Versicherer hat kein Kündigungsrecht, wenn die Versicherungsnehmerin nachweist, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruhte.

B3-3.2 Obliegenheiten bei und nach Eintritt des Versicherungsfalls

Ziff. 7.3.2 Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalles

Der Versicherungsnehmer hat bei und nach Eintritt des Versicherungsfalls nachfolgende Obliegenheiten zu erfüllen. Diese und die Rechtsfolgen bei Verletzung gelten sinngemäß auch für die versicherten Personen. a) Er hat nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen. Dabei hat der Versicherungsnehmer Weisungen des Versicherers, soweit für ihn zumutbar, zu befolgen sowie Weisungen – ggf. auch mündlich oder telefonisch – einzuholen, wenn die Umstände dies gestatten. Erteilen mehrere an dem Versicherungsvertrag beteiligte Versicherer unterschiedliche Weisungen, hat der Versicherungsnehmer nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln. b) Jeder Versicherungsfall ist dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. c) Er hat dem Versicherer ausführliche und wahrheitsgemäße Schadenberichte zu erstatten und ihn bei der Schadensermittlung und -regulierung zu unterstützen. Alle Umstände, die nach Ansicht des Versicherers für die Bearbeitung des Schadens wichtig sind, müssen mitgeteilt sowie alle dafür angeforderten Schriftstücke übersandt werden.

Ziff. 7.3.2.2: Die Versicherungsnehmerin und die versicherten Personen müssen im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Abwendung und Minderung des Schadens sorgen. Weisungen des Versicherers sind dabei zu befolgen, soweit es für die Versicherungsnehmerin zumutbar ist. Sie haben dem Versicherer ausführliche und wahrheitsgemäße Schadenberichte zu erstellen und ihn bei der Schadenermittlung und regulierung zu unterstützen. Alle Umstände, die nach Ansicht des Versicherers für die Bearbeitung des Schadens wichtig sind, müssen mitgeteilt sowie alle dafür angeforderten Informationen in Textform zur Verfügung gestellt werden (vgl. c)).Ziff. 7.3.2.1: Jeder Versicherungsfall ist dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. Dieses soll in Textform erfolgen.Wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, ein selbständiges Beweisverfahren angeordnet oder ergeht ein Strafbefehl oder Bescheid, der den Ersatz eines Vermögensschadens zum Gegenstand hat oder zur Folge haben könnte, so hat die Versicherungsnehmerin oder die versicherte Person dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu erstatten, auch wenn der Versicherungsfall selbst bereits

Gädtke

1068

Schrifttum

AVB D&O (Stand: Mai 2020) d) Wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, ein selbständiges Beweisverfahren angeordnet oder ergeht ein Strafbefehl oder Bescheid, der den Ersatz eines Vermögensschadens zum Gegenstand hat oder zur Folge haben könnte, so hat der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu erstatten, auch wenn der Versicherungsfall selbst bereits angezeigt wurde. e) Wird gegen eine versicherte Person ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, Prozesskostenhilfe beantragt oder gegen diese gerichtlich der Streit verkündet, so ist dies ebenfalls unverzüglich anzuzeigen. Das gleiche gilt im Falle eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung. Gegen einen Mahnbescheid muss die versicherte Person fristgemäß Widerspruch einlegen, ohne dass es einer Weisung des Versicherers bedarf. f) Wird gegen eine versicherte Person ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, hat sie die Führung des Verfahrens dem Versicherer zu überlassen. Der Versicherer beauftragt im Namen der versicherten Person einen Rechtsanwalt. Die versicherte Person muss dem Rechtsanwalt Vollmacht sowie alle erforderlichen Auskünfte erteilen und die angeforderten Unterlagen zur Verfügung stellen

AVB D&O B3

AVB-AVG (Stand: Mai 2013) angezeigt wurde.Wird gegen eine versicherte Person ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, Prozesskostenhilfe beantragt oder gegen diese gerichtlich der Streit verkündet, so ist dies ebenfalls unverzüglich anzuzeigen. Das gleiche gilt im Falle eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung. Gegen einen Mahnbescheid muss die versicherte Person fristgemäß Widerspruch einlegen, ohne dass es einer Weisung des Versicherers bedarf.

B3-3.3 Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzung

Ziff. 8.2

B3-3.3.1 Verletzt der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit nach B3-3.1 oder B3-3.2 vorsätzlich, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei. Bei grob fahrlässiger Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in dem Verhältnis zu kürzen, das der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entspricht.

Wird eine Obliegenheit aus diesem Vertrag vorsätzlich verletzt, verliert die Versicherungsnehmerin ihren Versicherungsschutz. Bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens der Versicherungsnehmerin entsprechenden Verhältnis zu kürzen.

B3-3.3.2 Verletzt der Versicherungsnehmer eine nach Eintritt des Versicherungsfalls bestehende Auskunftsoder Aufklärungsobliegenheit, ist der Versicherer nur dann vollständig oder teilweise leistungsfrei, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform (z. B. E-Mail, Telefax oder Brief) auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat.

[fehlt]

B3-3.3.3 Der Versicherer bleibt zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass er die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt hat. Dies gilt auch, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung ursächlich war. Das gilt nicht, wenn

Weist die Versicherungsnehmerin nach, dass sie die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt hat, bleibt der Versicherungsschutz bestehen. Der Versicherungsschutz bleibt auch bestehen, wenn die Versicherungsnehmerin nachweist, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer

1069

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

AVB D&O (Stand: Mai 2020)

AVB-AVG (Stand: Mai 2013)

der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat

obliegenden Leistung ursächlich war. Das gilt nicht, wenn die Versicherungsnehmerin die Obliegenheit arglistig verletzt hat.

Übersicht 1

1.

A.

Einführung

B.

Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers oder seines Vertreters bis zum Vertrags2 schluss, Ziff. B3-1/Zurechnung

I. 1.

4 Zurechnung Allgemeine zivilrechtliche Grundsätze der Wis5 senszurechnung zur juristischen Person 9 § 47 VVG 9 a) Normzweck des § 47 VVG b) Verhältnis der allgemeinen zivilrechtlichen 15 Zurechnungsregeln zu § 47 VVG 19 c) Einschränkung der Zurechnung aa) Vollständige Abdingbarkeit des § 47 VVG bzw. der zivilrechtlichen Zurech20 nungsregeln? 22 bb) Repräsentantenklausel cc) Einfache Severability-Klau26 seln dd) Anwendung von § 47 Abs. 2 S. 2 VVG 28 in der D&O-Versicherung? Vertretung des VN bei Abgabe seiner Vertragserklärung, Ziff. B3-1.1 Abs. 2, 3 bzw. § 20 S. 1, 2 30 VVG

2.

3.

3. E.

Rechtsfolgen bei Verletzung der Anzeige68 pflicht, Ziff. B3-1.2

F.

Gefahrerhöhung, Ziff. B3-2

I.

Zweck der Regelung/Begriff der Gefahrerhö71 hung, Ziff. B3-2

II. 1. 2.

74 Neubeherrschung des VN 74 Begriff des Kontrollwechsels Neubeherrschung des VN als subjektive oder ob77 jektive Gefahrerhöhung? Neubeherrschung in laufender Nachmelde81 frist

3.

71

82

III.

Rechtsfolgen

G.

Obliegenheiten des VN, Ziff. B3-3

I.

Überblick

II. 1.

86 Auskunftsobliegenheit, Ziff. B3-3.2 c) Sinn und Zweck/Maßstab der Auskunftsoblie86 genheit gem. § 31 VVG 90 Ziff. B3-3.2 c)

33

C.

Spontane Anzeigepflicht

I.

Zweck/Rechtsgrundlage

II.

Voraussetzungen

III.

Vertragsänderung

D.

Im Voraus erklärter Verzicht des VR auf das Anfechtungsrecht bei arglistiger Täuschung 39 durch den VN

84

33 84

35 37

2. H.

Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverlet96 zung, Ziff. B3-3.3

39

I.

Problemstellung/Stand der Diskussion

II.

Gutglaubensschutz nach der „Heros II“-Entschei46 dung des BGH?

Gädtke

2.

Wirksamkeit der qualifizierten Severability-Klau46 sel 56 Rechtsfolgenlösungen a) Teilnichtigkeit gem. § 139 BGB ana57 log b) Beschränkung der Gesamtwirkung gem. 61 § 242 BGB 62 c) Vertragliche Rechtsfolgenlösungen 65 Einschränkung der Zurechnung

1070

B. Anzeigepflichten des VN bis zum Vertragsschluss

AVB D&O B3

A. Einführung Ziff. B3 regelt Anzeigepflichten, Gefahrerhöhung und andere Obliegenheiten des VN und enthält 1 zudem auch die Bestimmungen über die Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen. Ziff. B31, B3-2, B3–3 sind inhaltlich weitgehend deckungsgleich mit den Ziff. 23, 25 und 26 AHB, wenn auch sprachlich teilweise verschieden ausgestaltet (vgl. z. B. Ziff. 25 AHB und Ziff. B3-3). Die in Ziff. B3-3.2 geregelten Obliegenheiten bei und nach Eintritt des Versicherungsfalls sowie die Rechtsfolgen bei deren Verletzung sollen dabei „sinngemäß“ auch für die versicherten Personen gelten. Die vorvertraglichen Anzeigepflichten werden hingegen nicht – anders als noch in der letzten kommentierten Fassung (AVB-AVG 2013) – auf die versicherten Personen erstreckt. Ziff. B3–2 ist weitgehend an den §§ 23–27 VVG orientiert. Generell bilden die Klauseln zu den Anzeigepflichten und Obliegenheiten in den AHB und den AVB-AVG im Wesentlichen die Regelungen in den §§ 19 ff. VVG ab, gehen aber teilweise, etwa i. R. der Auskunftsobliegenheit, auch erheblich über die Gesetzesfassung hinaus. Im Folgenden werden die für die D&O-Versicherung relevanten Konstellationen aufgegriffen, im Übrigen wird auf die Kommentierung zu den §§ 19, 23 ff. VVG sowie zu den Ziff. 23 ff. AHB verwiesen.

B. Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers oder seines Vertreters bis zum Vertragsschluss, Ziff. B3-1/Zurechnung Ziff. B3–1 regelt die Voraussetzungen für die Pflicht zur Anzeige gefahrerheblicher Umstände 2 bis zur Abgabe der Vertragserklärung in Übereinstimmung mit § 19 Abs. 1 VVG und baut dabei auf der sich aus Ziff. B3-1.1 ergebenden Definition der Gefahrerheblichkeit auf. Die Zurechnung eines Vertreter des Versicherungsnehmers in Ziff. B3-1.1, Abs. 2 entspricht inhaltlich § 20 VVG. In der Praxis wird Ziff. B3-1.1 regelmäßig nicht mit in die D&O-Policen aufgenommen, weil dafür kein Bedürfnis besteht. Vor Abschluss des D&O-Versicherungsvertrags richten sich die Pflichten des Antragstellers (d. h. des zukünftigen VN) nach den §§ 19 ff. VVG; die AVB sind in diesem Stadium nicht relevant, weil sie noch nicht vereinbart sind (vgl. auch Rn. 20, 34). Adressat der vorvertraglichen Anzeigepflicht ist zunächst der VN. Er muss sich dabei 3 das Wissen verschiedener Personen zurechnen lassen. Dazu gehört das Wissen seiner Organe bzw. sonstigen gesetzlichen Vertreter (§§ 31 bzw. 166 BGB), das Wissen von versicherten Personen (§ 47 VVG), der rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten des VN (Ziff. 7.1.1 Abs. 2, § 20 VVG; vgl. dazu Rn. 30 ff.) sowie ggf. ihrer Repräsentanten,1 Wissenserklärungs-2 und Wissensvertreter.3

1 Vgl. dazu BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, RuS 1993 321, 323; OLG Brandenburg 9.10.2012 – 11 U 172/11, RuS 2013 24, 24; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 77 ff., 83 ff.; Langheid/Wandt/Wandt § 28 Rn. 117 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 62 ff.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 28 Rn. 64, 69 ff.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 39 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 28 Rn. 142 ff. 2 Vgl. dazu BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, RuS 1993 281, 282; OLG Köln 7.2.2012 – 9 U 61/11, RuS 2012 243, 244 f.; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 96 ff.; Langheid/Wandt/Wandt § 28 Rn. 145 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 62 ff.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 28 Rn. 94 ff.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 50 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 28 Rn. 147 ff. 3 Vgl. dazu BGH 23.6.2004 – IV ZR 219/03, RuS 2004 376, 378; OLG Dresden 13.10.2020 – 4 U 2750/19, NJW-RR 2021 288, 290; Bruck/Möller/Heiss9 § 28 Rn. 113 ff.; Langheid/Wandt/Wandt § 28 Rn. 145 ff., 159 ff.; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 63, § 28 Rn. 132 ff.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 28 Rn. 88 ff.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 55 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 28 Rn. 151 ff. 1071

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

I. Zurechnung 4 Wie weit die verschiedenen Zurechnungstatbestände reichen und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist im Einzelnen umstritten:

1. Allgemeine zivilrechtliche Grundsätze der Wissenszurechnung zur juristischen Person 5 Die juristische Person ist selbst weder handlungsfähig noch verfügt sie über originäres Wissen.4 Ihr werden vielmehr das Handeln und die Kenntnis ihrer Organe zugerechnet.5 Ob die Zurechnung dabei auf § 166 BGB6 oder § 31 BGB7 oder ggf. auch auf weitere Normen8 zu stützen ist, ist umstritten, im Ergebnis aber ohne Auswirkungen. Die Zurechnung kann sich allerdings nicht auf das Wissen der im konkreten Haftungsfall 6 handelnden bzw. der gegenwärtig aktiven Organmitglieder beschränken. Anderenfalls würden arbeitsteilig funktionierende Organisationen, bei denen das vorhandene Wissen auf verschiedene Funktionsträger verteilt ist, gegenüber im Rechtsverkehr auftretenden Einzelpersonen ungerechtfertigte Vorteile genießen (sog. Gleichstellungsargument).9 Arbeitsteilig funktionierende Organisationen müssen daher so strukturiert sein, dass Informationen, die für andere Personen innerhalb der Organisation erkennbar relevant sind, tatsächlich auch an diese Personen weitergegeben werden (Informationsweiterleitungspflicht).10 Umgekehrt muss sichergestellt sein, dass nach solchen Informationen gefragt wird, die erkennbar anderswo innerhalb der Organisation vorhanden und für den eigenen Bereich wesentlich sind (Informationsabfragepflicht).11 Ähnlich wie bei einer Verkehrspflicht geht es damit um die Beherrschung eines selbsteröffneten Verkehrsbereichs.12 Grund der Zurechnung ist dementsprechend der Schutz des Rechtsverkehrs. Daraus folgt, dass die Zurechnung nicht mit „logisch-begrifflicher Stringenz“13 erfolgen kann, sondern stets eine Wertung erfordert.14 Gegenstand dieser Wertung ist die Frage, ob dem im konkreten Fall handelnden Organ das in 7 der Organisation vorhandene Wissen bei ordnungsgemäßem Funktionieren des gesellschaftsinternen Austauschs verfügbar gewesen wäre. Die Grenzen der Wissenszurechnung, die dafür sor4 Taupitz Karlsruher Forum 1994 16, 29 f. 5 Anders noch die frühere Rspr. auf der Basis der Organtheorie, die Wissen der Organmitglieder automatisch als Wissen der juristischen Person angesehen hat; vgl. dazu Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 54 m. w. N. zur BGH-Rspr.; Überblick bei Rudzio 140 ff., insbes. 142 f. 6 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1340; BGH 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997 1917, 1917 f.; OLG Düsseldorf 23.8.2005 – 4 U 140/04, NJW-RR 2006 1260, 1261; Roth/Altmeppen/Altmeppen § 35 Rn. 111 ff. 7 Hüffer/J. Koch/J. Koch § 78 Rn. 3, 24 ff.; Großkomm-AktG/Habersack § 78 Rn. 38 f.; Hölters/Weber § 78 Rn. 15; Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 53. 8 Vgl. MüKo-AktG/Spindler § 78 Rn. 94 (§§ 26 Abs. 2, 31 BGB, 78 Abs. 2 AktG analog). 9 BGH 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990 975, 976; BGH 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992 1099, 1100; BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1340; Medicus Karlsruher Forum 1994 4, 11 f., 15 f.; guter Überblick über die aus dem Gleichstellungsargument resultierenden Grundsätze bei Rudzio 146 ff. 10 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1340 f. (im Anschluss insbes. an Taupitz und Medicus); BGH 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997 1917, 1917; BGH 13.10.2001 – V ZR 349/99, NJW 2001 359, 360; Grunewald FS Beusch (1993) 301, 304 ff.; Taupitz Karlsruher Forum 1994 16, 25 f., 28 f.; Medicus Karlsruher Forum 1994 4, 11 f.; Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 54; Hölters/Weber § 78 Rn. 15; Rudzio 146. 11 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1340 f.; BGH 15.4.1997 – V ZR 218/98, NJW 1999 3777, 3778; BGH 13.10.2001 – V ZR 349/99, NJW 2001 359, 360; Taupitz Karlsruher Forum 1994 16, 28 f.; Großkomm-AktG/Habersack § 78 Rn. 39; Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 54; Hölters/Weber § 78 Rn. 15; Rudzio 147. 12 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1340 f.; BGH 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997 1917, 1917; BGH 13.10.2001 – V ZR 349/99, NJW 2001 359, 360. 13 BGH 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990 975, 976; BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1340. 14 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1340; Seidel ZIP 2020 1506. Gädtke

1072

B. Anzeigepflichten des VN bis zum Vertragsschluss

AVB D&O B3

gen sollen, dass die juristische Person ihrerseits nicht schlechter gestellt wird als eine natürliche Person, sind dabei unter Berücksichtigung des beschränkten menschlichen Erinnerungsvermögens und der berechtigten Erwartungen des Rechtsverkehrs zu ziehen.15 Besteht im Zeitpunkt der Informationsgewinnung aus Sicht eines objektiven Dritten eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die Informationen später rechtserheblich werden können, sind diese (wie typischerweise) in Akten oder Dateien zu erfassen und verfügbar zu halten.16 Wie lange die Informationen zu bewahren sind, hängt von ihrer Bedeutung ab: Je erkennbar wichtiger ein Umstand ist, umso länger muss er gespeichert bleiben.17 Wird die Speicherung zu früh aufgehoben, so beendet das die Wissenszurechnung nicht.18 Als Korrektiv dienen Annahmen über das menschliche Erinnerungsvermögen, die letztlich aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten abgeleitet sind.19 Dem Erinnerungsvermögen sind nicht nur zeitliche Grenzen gesetzt. Es ist vielmehr auch in erheblichem Umfang situationsabhängig. Bei der Erledigung unbedeutender Geschäfte ist es gering.20 Als Wissen kann man den Inhalt gespeicherter Daten daher nur zurechnen, soweit ein besonderer Anlass besteht, sich dieses Inhalts in der konkreten Situation (noch) zu vergewissern.21 Eine solche Vergewisserung muss zumutbar sein: Maßgeblich sind insoweit vor allem die Bedeutung des Anlasses und der erforderliche Aufwand zur Beschaffung der relevanten Informationen.22 Diese Grundsätze werden nach h. L. nicht nur auf das unterhalb der Organebene vorhande- 8 ne Wissen angewandt, sondern bestimmen auch die Wissenszurechnung zwischen Organmitgliedern.23 Darüber hinaus soll auch das Wissen ausgeschiedener Organmitglieder zugerechnet werden, wenn es sich um aktenmäßig festzuhaltendes Wissen handelt und eine Verletzung der Informationsabfragepflicht durch die amtierenden Organmitglieder vorliegt.24 Inwieweit Wissen innerhalb eines Konzerns zuzurechnen ist, ist noch weitgehend offen.25 Eine Wissenszurechnung kommt ggf. bei Vorstandsdoppelmandaten oder bei einem aktiven Datenaustausch zwischen verbundenen Unternehmen in Betracht, setzt aber stets eine rechtlich abgesicherte Zugriffsmöglichkeit auf die Daten des konzernverbundenen Unternehmens voraus. Privates Wissen der Organmitglieder ist der juristischen Person zuzuschreiben, wenn jene an dem jeweiligen Rechtsgeschäft mitgewirkt haben. Dagegen verlangen die berechtigten Verhaltenserwartungen des Rechtsverkehrs in aller Regel nicht, dass private Kenntnisse oder Beobachtungen eines unbeteiligten Vorstandsmitglieds vorsorglich in die gesellschaftsinternen Informationskanäle eingespeist werden.26

15 BGH 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997 1917, 1917 f.; BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1341; Medicus Karlsruher Forum 1994 4, 7, 12, 14. 16 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1340 f.; Medicus Karlsruher Forum 1994 4, 12; Taupitz Karlsruher Forum 1994 16, 28 f.; Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 54. 17 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1341; Medicus Karlsruher Forum 1994 4, 12. 18 Ebd. 19 BGH 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997 1917, 1917 f.; BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1341; Medicus Karlsruher Forum 1994 4, 12. 20 BGH 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997 1917, 1917 f. 21 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996 1339, 1341; Medicus Karlsruher Forum 1994 4, 12; Taupitz Karlsruher Forum 1994 16, 29. 22 BGH a. a. O. 23 Großkomm-AktG/Habersack § 78 Rn. 39, 42; Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 55. 24 Großkomm-AktG/Habersack § 78 Rn. 43; Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 55; Hölters/Weber § 78 Rn. 16. 25 Vgl. dazu Großkomm-AktG/Habersack § 78 Rn. 44; Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 56a ff. m. w. N.; Rudzio 148 f.; ablehnend: Hölters/Weber § 78 Rn. 16. 26 Str.; für die im Text wiedergegebene Auffassung Spindler/Stilz/Fleischer § 78 Rn. 56 m. w. N. zum Streitstand; Schürnbrand ZHR 2017 357, 376; Spindler ZHR 2017 311, 326; zurückhaltend auch Taupitz Karlsruher Forum 1994 16, 27; Grunewald FS Beusch (1993) 301, 306 f.; Rudzio 148. 1073

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

2. § 47 VVG 9 a) Normzweck des § 47 VVG. Soweit die Kenntnis und das Verhalten des VN von rechtlicher Bedeutung sind, sind nach § 47 Abs. 1 VVG gleichermaßen – von Ausnahmen (vgl. § 47 Abs. 2 VVG) abgesehen – auch Kenntnis und Verhalten der versicherten Personen zu berücksichtigen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass sich die rechtliche Position des VR durch die in der Versicherung für fremde Rechnung typische Trennung zwischen der materiellen Berechtigung der Versicherten und der gesetzlich vorgesehenen Verfügungsbefugnis des VN über den Versicherungsvertrag bzw. den deckungsrechtlichen Anspruch (§§ 44 f. VVG) nicht verschlechtert.27 Der genaue Regelungsgehalt des § 47 Abs. 1 VVG ist allerdings aufgrund seines nicht ein10 deutig gefassten Wortlauts („… zu berücksichtigen“) umstritten. Zu dessen Konkretisierung werden drei Auffassungen vertreten, wobei es teilweise zu Mischformen kommt. Wesentlicher Bezugspunkt des Meinungsstreits ist die Frage, welche Konsequenzen eine vorvertragliche arglistige Täuschung des VR über relevante Gefahrumstände durch eine einzelne versicherte Person nach sich zieht. Nach wohl überwiegender Auffassung ist § 47 VVG als Zurechnungsnorm zu qualifizie11 ren.28 Soweit einer versicherten Person gefahrerhebliche Umstände bekannt sind, sind sie dem VN dementsprechend als eigenes Wissen zuzurechnen. Dies hat zur Konsequenz, dass der Versicherungsschutz aller versicherten Personen bereits durch die arglistige Täuschung einer versicherten Person (über deren Zurechnung zur VN) entfallen kann, sofern der VR daraufhin von seinem Anfechtungsrecht gegenüber dem VN Gebrauch macht (vgl. dazu ausführlich Rn. 50 ff.). Nach anderer Ansicht ist § 47 VVG zu entnehmen, dass sich die Obliegenheiten bei der 12 Versicherung für fremde Rechnung grundsätzlich sowohl an den VN als auch an die versicherten Personen richten, soweit sie deren versichertes Interesse betreffen.29 Teilweise wird § 47 VVG dabei zugleich als Zurechnungsnorm angesehen.30 Nach einer dritten Auffassung wird der Normzweck des § 47 VVG durch die beiden voranste13 henden Alternativen (Zurechnung bzw. eigenständige Obliegenheiten der versicherten Personen) nicht befriedigend erfasst. In der Sache gehe es darum, unter welchen Voraussetzungen die versicherte Person ihren Anspruch gegen den VR verliere, sowie um die Frage, ob in diesem Fall auch der VN und/oder andere versicherte Personen ihre Ansprüche verlören oder anderen gesetzlichen Sanktionen ausgesetzt seien.31 Diese Fragen ließen sich jeweils nur durch eine Wertung im Einzelfall beantworten: Maßgeblich sei, ob es der Schutz des VR vor den „an sich“ gegebenen konstruktiven Folgen der Aufspaltung von Vertragspartnerschaft und Vertragsinteresse erfordere, die Kenntnisse und das Verhalten der versicherten Person so zu behandeln, als seien sie Kenntnisse und Verhalten des VN.32 Der Wortlaut des § 47 VVG bietet für eine derartige Einschränkung allerdings keine Grundlage. Der Sache nach handelt es sich um eine teleologische Reduktion des § 47 Abs. 1 VVG. Eine solche teleologische Reduktion würde aber die Lage des VN und der versicherten Personen gerade in den Fällen arglistiger Täuschung durch eine einzelne versicherte Person, auf die diese Auffassung abzielt, nicht verbessern. Regelmäßig er27 Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 3; Langheid/Wandt/Dageförde § 47 Rn. 1. 28 BGH 18.9.1991 – IV ZR 189/90, RuS 1991 423, 424 (zu § 79 VVG a. F.); OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1201; Langheid/Wandt/Dageförde § 47 Rn. 2; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 178; Schimikowski Rn. 285; Langheid/Wandt/Dageförde § 47 Rn. 2; Langheid VersPrax 2012 1768, 1769; Dreher/Thomas ZGR 2009 32, 63; Lange VersR 2006 605, 606; offen Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1167: zumindest Zurechnung, wenn nicht sogar eigene Anzeigepflicht. 29 BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, RuS 2003 186, 186 f.; OLG Köln 14.1.1997 – 9 U 111/96, VersR 1998 184, 185; Bruck/ Möller/Brand9 § 47 Rn. 8; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 155; Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 3, 5. 30 Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 155a; a. A. Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 8. 31 Prölss/Martin/Klimke § 47 Rn. 4. 32 Langheid/Rixecker/Rixecker § 47 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke § 47 Rn. 4 ff. Gädtke

1074

B. Anzeigepflichten des VN bis zum Vertragsschluss

AVB D&O B3

gibt sich die Anfechtbarkeit nämlich insoweit schon aus § 123 Abs. 2 S. 1 BGB, ohne dass es auf eine Zurechnung ankommt (vgl. dazu noch unten Rn. 42 f.). Dann kann aber auch kein Bedürfnis für die vorgeschlagene teleologische Reduktion von § 47 VVG bestehen. Trotz der Anhaltspunkte, die für die Annahme eigenständiger Obliegenheiten der versi- 14 cherten Personen gegenüber dem VR sprechen,33 ist eine entsprechende Auslegung des § 47 Abs. 1 VVG letztlich ebenfalls nicht überzeugend. Die Gesetzgebungsmaterialien zur VVG-Reform enthalten keinen Hinweis zur Entscheidung der Streitfrage.34 Der Wortlaut „(…) auch (…) zu berücksichtigen“ lässt Kenntnis und Verhalten der versicherten Personen eher als Bestandteil von Kenntnis und Verhalten des VN denn als Gegenstand eigenständiger Obliegenheiten gegenüber dem VR erscheinen.35 Dass § 47 Abs. 1 VVG auf das Verhalten der versicherten Person abstellt, ist dabei schon deswegen nicht aussagekräftig,36 weil unklar ist, welche Verhaltensweisen dadurch überhaupt erfasst werden.37 In systematischer Hinsicht weicht die Annahme eigenständiger Obliegenheiten der versicherten Personen von den Grundsätzen der §§ 44 f. VVG ab, die dem VN die Verfügungsbefugnis über das Vertragsverhältnis und die Erfüllung der damit verbundenen Obliegenheiten übertragen. Eine Ausnahme zu diesen Grundsätzen bedürfte einer eindeutigeren Grundlage, als sie § 47 Abs. 1 VVG mit seinem unklaren Wortlaut bietet. Schließlich resultiert auch aus dem Zweck des § 47 Abs. 1 VVG, den VR vor Nachteilen aus der Aufspaltung von formeller Verfügungsbefugnis und materieller Berechtigung zu schützen, kein Postulat eigenständiger Obliegenheiten der versicherten Person gegenüber dem VR.38 Dieser Zweck ist bei Annahme einer Zurechnungsnorm erfüllt.

b) Verhältnis der allgemeinen zivilrechtlichen Zurechnungsregeln zu § 47 VVG. Das 15 Verhältnis zwischen den allgemeinen Regeln der Wissenszurechnung zur juristischen Person (vgl. Rn. 5 ff.) und § 47 VVG ist umstritten.39 Teilweise wird vertreten, dass § 47 VVG den allgemeinen Regeln als lex specialis vorgehe.40 Begründet wird dies mit der (angeblich) „größeren Sachnähe“ von § 47 VVG, der anders als die übrigen Wissenszurechnungsnormen für einen angemessenen Ausgleich im Hinblick auf die Informationsasymmetrie zwischen dem VN und den versicherten Personen einerseits und dem VR andererseits sorge.41 Außerdem wird darauf verwiesen, dass § 47 VVG in seinen Wirkungen über die allgemeinen zivil- und die besonderen versrechtlichen Wissens- und Verhaltenszurechnungsregeln hinausgehe.42 Nach anderer Auffassung sind die Zurechnung nach § 47 VVG und die Wissenszurechnung zur juristischen Person jeweils eigenständige Kategorien.43 § 47 VVG sei daher keine lex specialis; auf eine Zurechnung nach § 47 VVG komme es bei der D&O-Versicherung nur an, wenn das Wissen der betreffenden

Vgl. dazu Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 5 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 155. Vgl. BTDrucks. 16/3945 zu § 47. So im Ergebnis auch Lange VersR 2006 605, 606; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 178. A. A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 155. Nur sog. selbständige Verhaltensweisen, bei denen es auf die Kenntnis der versicherten Person von der Versicherung gar nicht ankommt (so Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 7) oder auch sog. unselbständige Verhaltensweisen, also Tun oder Unterlassen vor oder nach Vertragsschluss oder nach Eintritt des Versicherungsfalls (so Looschelders/ Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 6). 38 So auch Lange VersR 2006 605, 606; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 178. 39 Vgl. dazu schon Gädtke RuS 2013 313, 318 ff. 40 Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 135 f.; Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1794 (ohne Begründung). 41 Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 136. 42 R. Koch WM 2007 2173, 2181, der dort zwar nicht ausdrücklich ausführt, dass § 47 VVG lex specialis zu den genannten Wissenszurechnungsregeln sei; diese Schlussfolgerung liegt aber nahe und wird auch von Rudzio 150 gezogen. 43 Rudzio 150; Thomas 340.

33 34 35 36 37

1075

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

versicherten Person nicht schon infolge einer Zurechnung auf der (höheren) Ebene der Organwalter als eigenes Wissen der juristischen Person anzusehen sei.44 16 Der Streit ist nur dann bedeutsam, wenn die (angebliche) Spezialität von § 47 VVG eine vollständige Verdrängung der Regeln impliziert, die für die Wissenszurechnung zur juristischen Person bestehen. Dieser Punkt bleibt bei den Anhängern der Spezialitätsthese allerdings offen. Wäre eine solche Verdrängung anzunehmen, böte sich die Möglichkeit, die Zurechnung ggf. vollständig einzuschränken, da § 47 VVG abdingbar ist.45 Ergänzten oder modifizierten die Rechtsfolgen des § 47 VVG die Regeln der Wissenszurechnung zur juristischen Person hingegen nur, wären beide also – trotz Spezialität des § 47 VVG – nebeneinander anwendbar,46 bliebe der Streit folgenlos. Richtigerweise ist § 47 VVG schon nicht als lex specialis anzusehen. Spezialität setzt 17 voraus, dass die speziellere Regel alle Merkmale der allgemeineren Regel und darüber hinaus noch mindestens ein zusätzliches Merkmal enthält.47 Diese Voraussetzungen sind für das Verhältnis von § 47 VVG und den Regeln der Wissenszurechnung zur juristischen Person nicht erfüllt. Letztere beantworten die normative Frage, wie das zurechenbare Organwissen zu fassen ist, um unter Verkehrsschutzgesichtspunkten ein lückenloses Wissen der juristischen Person selbst zu konstituieren. § 47 VVG bezweckt hingegen, Nachteile des VR aus der Aufspaltung zwischen der Vertragspartnerschaft des VN und der materiellen Berechtigung der versicherten Personen zu verhindern, den VR also letztlich so zu stellen, als begründe der VN nicht für die versicherten Personen, sondern für sich selbst Rechte. Die Norm erweitert die Zurechnung diesem Zweck entsprechend quantitativ auf das positive48 Wissen und das Verhalten aller versicherten Personen. Angesichts dieses Zwecks ist es plausibler anzunehmen, dass sie eine Erweiterung des Verkehrsschutzgedankens im Bereich des Versicherungsrechts darstellt und auf den Regeln der Wissenszurechnung zur juristischen Person aufbaut, als dass sie selbst als spezielle, versicherungsrechtliche Ausprägung dieser Regeln anzusehen ist. Dementsprechend weisen die Regelungsgehalte von § 47 VVG und der zivilrechtlichen Wissenszurechnung zur juristischen Person eine Schnittmenge im positiven Wissen der Organmitglieder des VN auf, sind aber im Übrigen eigenständig. Sie überlappen, stehen aber allenfalls in der Schnittmenge im Verhältnis der Spezialität. Damit sind sie nebeneinander anwendbar. Selbst wenn man § 47 VVG als speziellere Regelung ansehen wollte, wären die Regeln der 18 Wissenszurechnung an die juristische Person nicht zwangsläufig verdrängt. Soweit die Rechtsfolgen konkurrierender Rechtssätze miteinander verträglich sind, kommt es bei der Bestimmung ihres Verhältnisses darauf an, ob die Rechtsfolgen der spezielleren Norm für deren Anwendungsbereich die der allgemeineren Norm nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers nur ergänzen, sie modifizieren oder an deren Stelle treten sollen.49 Dies ist insbesondere eine Frage der teleologischen Auslegung.50 Danach kann die Zurechnung nach § 47 VVG die Regeln der Wissenszurechnung zur juristischen Person nur ergänzen. Träten sie an deren Stelle, würde die Möglichkeit, § 47 VVG abzubedingen, aufgrund der Sperrwirkung der speziellen Zurechnungsvorschrift51 dazu führen, dass auch die Regeln der Zurechnung zur juristischen Person nicht mehr anwendbar wären; letztere lebten bei Ausschluss von § 47 VVG nicht wieder auf. Diese Konsequenz ist nicht haltbar (vgl. unten Rn. 21).

44 Rudzio 150. 45 Prölss/Martin/Klimke § 47 Rn. 23; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 29; nach Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 42 ist § 47 Abs. 2 S. 1 VVG zwingendes Recht. 46 Larenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft 3. Aufl. (1996) 88. 47 Ebd. 48 Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 7. 49 Larenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft 3. Aufl. (1996) 88. 50 Ebd. 51 Rudzio 158. Gädtke

1076

B. Anzeigepflichten des VN bis zum Vertragsschluss

AVB D&O B3

c) Einschränkung der Zurechnung. In der D&O-Praxis wird die Zurechnung regelmäßig ver- 19 traglich eingeschränkt. Hierzu werden verschiedene Ansätze verfolgt. Wie weit die Zurechnung dadurch begrenzt werden kann, ist im Einzelnen umstritten.

aa) Vollständige Abdingbarkeit des § 47 VVG bzw. der zivilrechtlichen Zurechnungs- 20 regeln? § 47 VVG kann prinzipiell vollständig abbedungen werden.52 Ein Ausschluss von § 47 VVG (erst) in der D&O-Police entfaltet allerdings für die praktisch besonders bedeutsamen vorvertraglichen Anzeigepflichten keine Wirkung, da diese erfüllt sein müssen, bevor der Versicherungsvertrag zustande kommt (vgl. auch Rn. 2, 34). Um die entsprechende Wirkung zu erzielen, ist eine Abrede darüber erforderlich, dass § 47 VVG bereits im vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen den Parteien keine Anwendung findet. Dies kann ggf. durch bloße Bezugnahme auf die noch zu vereinbarende Klausel der D&O-Police geschehen, falls die Parteien insoweit von Anfang an übereinstimmende Vorstellungen haben.53 Dementsprechend werden die praktisch bedeutsamen Repräsentantenklauseln (vgl. Rn. 22 ff.) häufig bereits in die Fragebögen der VR integriert. Bei vollständigem Ausschluss von § 47 VVG kann das Wissen und Verhalten der versicher- 21 ten Personen dem VN (außer ggf. über § 20 VVG) nur noch über die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln der Wissenszurechnung zur juristischen Person zugeschrieben werden.54 Diese Regeln lassen sich vertraglich nicht vollständig ausschließen. Sie weisen nicht nur fremdes Wissen zu, sondern begründen erst Eigenwissen und Eigenhandeln des VN. Ohne sie wäre der VN bezüglich der vorvertraglichen Anzeigepflichten bar jeden Wissens und Verhaltens, und damit nicht handlungsfähig. Abgesehen davon entstünde so eine Situation, in der der VR keine Handhabe gegen fehlende Informationen über gefahrerhebliche Umstände hätte. Es liegt daher nahe, den vollständigen Ausschluss der Zurechnungsregeln zur juristischen Person der Dispositionsbefugnis der Parteien zu entziehen und Vereinbarungen, die einen solchen Ausschluss vorsehen, als unwirksam anzusehen (gem. § 123 BGB entsprechend den Grundsätzen des BGH zum Schutz der Entschließungsfreiheit bzw. gem. § 138 Abs. 1 BGB, vgl. dazu unten Rn. 50 ff.).

bb) Repräsentantenklausel. Zur Begrenzung der Zurechnung gem. § 47 VVG werden in der 22 Praxis sehr häufig sog. Repräsentantenklauseln vereinbart. Ihr Zweck ist es, das für eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht relevante Wissen des VN durch eine verbindliche Festlegung derjenigen Personen zu beschränken, deren Wissen im Verhältnis zum VR allein relevant ist.55 Sie bedingen damit § 47 VVG ab und setzen an dessen Stelle eine vertragliche Ersatzregelung für die Zurechnung. Wissensträger sind regelmäßig Personen, die eine herausragende Position innerhalb des Unternehmens innehaben.56 Zu ihnen zählen i. d. R. (bei der AG) der Vorstandsvorsitzende, der Aufsichtsratsvorsitzende, der Finanzvorstand und der Leiter der Rechts- oder der Versicherungsabteilung.57

52 Vgl. Prölss/Martin/Klimke § 47 Rn. 23; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 29; Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 42.

53 Ähnlich Rudzio 198 für die Begründung eigenständiger vorvertraglichen Anzeigepflichten der versicherten Personen. Rn. 20 gilt generell für eine Veränderung der Zurechnungsregeln, sofern sie Wirkung für die Erfüllung vorvertraglicher Anzeigepflichten entfalten soll. 54 So auch Rudzio 213. 55 Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 71; Veith/Gräfe/Lange § 21 Rn. 113 ff.; Looschelders VersR 2018 1413, 1419; Rudzio 214; Seibt/Saame AG 2006 901, 911. 56 Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 152. 57 Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 152; Veith/Gräfe/Lange § 21 Rn. 114. 1077

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

Umstritten ist, ob Repräsentantenklauseln auch die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln der Wissenszurechnung zur juristischen Person modifizieren können.58 Zu dieser Frage hat sich bislang noch keine Auffassung durchsetzen können. Teilweise wird angemerkt, dass Repräsentantenklauseln deswegen problematisch seien, weil den Repräsentanten nicht einmal solches Wissen zugerechnet werde, dass nach Maßgabe der Rechtsprechung zur Wissenszurechnung in arbeitsteilig funktionierenden Organisationen hätte aktenmäßig festgehalten und an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden müssen.59 Das impliziert, dass die Regeln der Zurechnung zur juristischen Person verdrängt sind.60 Nach einer anderen Auffassung muss die Repräsentantenklausel auch die Zurechnung zur juristischen Person, die zu deren Eigenwissen und Eigenhandeln führt, beschränken können, weil die Klausel sonst ihren Zweck nicht erfüllen könne. Eine solche Einschränkung sei aus Gründen der Privatautonomie zulässig.61 Dreher/Thomas schließlich vertreten, dass der VN durch die Repräsentantenklausel nicht davon entbunden werde, auch außerhalb des Kreises der Repräsentanten das Vorliegen von gefahrerheblichen Umständen zu prüfen. Ergäben diese Untersuchungen, beispielsweise die Befragung leitender Angestellter, relevante Umstände, müssten diese durch die Repräsentanten mitgeteilt werden. Unterbleibe dies, liege eine – regelmäßig dann sogar bedingt vorsätzliche – Verletzung der Anzeigepflichten vor. Hätten die Repräsentanten hingegen nach Durchführung entsprechender Ermittlungen keine Anhaltspunkte für gefahrerhebliche Umstände im Unternehmen, gereiche es dem VN nicht zum Nachteil, wenn Personen außerhalb des Repräsentantenkreises Wissen trotz Befragung nicht mitgeteilt hätten.62 Dreher/Thomas korrigieren die Repräsentantenklausel, die selbst nur das Wissen bestimm24 ter Repräsentanten für maßgeblich erklärt, damit der Sache nach wertend im Sinne der Grundsätze, die für die zivilrechtliche Wissenszurechnung zur juristischen Person gelten.63 Diese sind damit nicht verdrängt, werden aber ihrerseits modifiziert. Im Prinzip ist das eine überzeugende Lösung. Der Verkehrsschutz erfordert nicht zwangsläufig, dass alle bzw. nur Organmitglieder als Wissensträger der juristischen Person behandelt werden. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass die Repräsentanten wesentliche Funktionen auf der Leitungsebene des Unternehmens64 ausüben. Fraglich ist allerdings, ob und ggf. inwieweit auch die tragenden Gedanken der Wissenszu25 rechnung zur juristischen Person, d. h. die Informationsweiterleitungs- und abfragepflicht, modifiziert werden können. Soll dem VN das Wissen von Personen außerhalb des Repräsentantenkreises nicht zum Nachteil gereichen, wenn dieses bei internen Befragungen nicht offenbart wird, ist die Zurechnung bei Verletzungen der Informationsweiterleitungspflicht letztlich abbedungen. Damit wird faktisch auch die Bedeutung der Informationsabfragepflicht gemindert. Andererseits würde die Repräsentantenklausel an Wert verlieren, wenn dem VN Wissen, das den Repräsentanten im Rahmen von internen Befragungen nicht mitgeteilt wurde, gleichwohl zugerechnet würde. Es verbliebe dann nur der Vorteil, dass das Wissen von versicherten Personen in Tochterunternehmen von der Zurechnung ausgenommen wäre. Das spricht dafür, die wertende Korrektur nicht über das von Dreher/Thomas befürwortete Maß hinausgehen zu lassen, zumal sich die Repräsentantenklausel allein im bilateralen Verhältnis zwischen VR und VN auswirkt und vorrangig bei der vorvertraglichen Wissenszurechnung von Bedeutung ist. Die Grenze für die Auslegung bzw. Wirksamkeit derartiger Klauseln bilden grundsätzlich der – zutreffend verstandene (vgl. Rn. 58 ff.) – Schutz der Entschließungsfreiheit (zum Verständnis des BGH vgl. Rn. 50 ff.) sowie § 138 Abs. 1 BGB. 23

58 59 60 61 62 63 64

Vgl. dazu schon Gädtke RuS 2013 313, 320. Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 155, die diese Konsequenz allerdings selbst nicht ziehen. Vgl. dies. § 9 Rn. 136. So Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 136. Rudzio 215. Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 71 f.; Thomas 332. Vgl. zu diesem Gedanken auch Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1794. Vor allem auf Organebene, aber auch auf der Leitungsebene im weiteren Sinn (z. B. Leiter der Rechtsabteilung).

Gädtke

1078

B. Anzeigepflichten des VN bis zum Vertragsschluss

AVB D&O B3

cc) Einfache Severability-Klauseln. Teilweise werden in der Praxis Klauseln verwendet, die 26 bestimmen, dass einer versicherten Person Kenntnis oder Verhalten anderer versicherter Personen nicht zugeschrieben wird. Solche Klauseln werden entsprechend ihrer Herkunft aus dem angelsächsischen Recht als einfache Severability65-Klauseln bezeichnet.66 Sie können zwar die Zurechnung unter Organmitgliedern einschränken, verbessern aber die Stellung der versicherten Person im kritischen Fall einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung durch eine andere versicherte Person nicht. Eine direkte Zurechnung von Kenntnissen oder Verhalten einer versicherten Person zu einer anderen lässt sich § 47 Abs. 1 VVG nicht entnehmen.67 Sie kann im Rahmen der vorvertraglichen Anzeigepflicht aber dann erfolgen, wenn eine versicherte Person Repräsentant, Wissensvertreter oder Wissenserklärungsvertreter (vgl. Rn. 3) einer anderen versicherten Person ist, was selten der Fall sein dürfte,68 oder aber dann, wenn sich die Zurechnung aus der Anwendung der Grundsätze über die Wissenszurechnung zwischen Organmitgliedern (vgl. Rn. 8) ergibt.69 Diese Zurechnungsgründe können durch die einfache Severability-Klausel im Verhältnis zum VR abbedungen werden. Das erscheint schon deswegen zulässig, weil die Zurechnung zur juristischen Person dadurch nicht angetastet wird und letztere das rechtliche Institut ist, auf das sich der VR berufen kann, wenn er sich im Fall einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung vom Versicherungsvertrag lösen will. Die einfache Severability-Klausel führt dementsprechend nicht dazu, dass die Gesamtwir- 27 kung der Anfechtung (vgl. Rn. 50) gegenüber dem VN und allen versicherten Personen bei arglistiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch eine versicherte Person beschränkt wird.70 Der Ausschluss des Versicherungsschutzes für die versicherten Personen, die an der arglistigen Täuschung nicht beteiligt waren, lässt sich nicht als gleichsam mittelbare Zurechnung des Wissens der täuschenden versicherten Person an die gutgläubigen versicherten Personen über den Zwischenschritt der Zurechnung der arglistigen Täuschung zum VN deuten,71 die ggf. dazu Anlass gäbe, die Gesamtwirkung wertend zu korrigieren. Das folgt schon daraus, dass eine Zurechnung von Wissen des VN an die versicherten Personen gar nicht erfolgt72 und für die Gesamtwirkung der Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB im Übrigen auch nicht erforderlich ist.73 Vielmehr handelt es sich um eine Zurechnung des Wissens der versicherten Person an den VN, der gegenüber die Anfechtung des Vertrags mit Gesamtwirkung für den VN und alle versicherten Personen erklärt wird. dd) Anwendung von § 47 Abs. 2 S. 2 VVG in der D&O-Versicherung? Teilweise wird dis- 28 kutiert, ob nicht „aus den Besonderheiten der D&O-Versicherung auf eine Abbedingung zumindest des § 79 Abs. 3 VVG [a. F. = § 47 Abs. 2 S. 2 VVG n. F.] geschlossen werden kann.“74 Für Konzernpolicen erscheint diese Überlegung auf den ersten Blick nicht unplausibel. Sie beruht auf dem

65 „Severability“ bedeutet im Zusammenhang mit den verschiedenen Formen der Severability-Klauseln (vgl. dazu noch unten Rn. 52 ff.) „Trennung zwischen bösgläubigen und gutgläubigen versicherten Personen“, Veith/Gräfe/Lange § 21 Rn. 117. 66 Looschelders VersR 2018 1413, 1419; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 69; Thomas 328; Rudzio 189; Seibt/Saame AG 2006 901, 911. 67 Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 156; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 69. 68 Rudzio 190 (mit Fn. 298). 69 Eine Zurechnung des Wissens der AG zum Organmitglied kommt nicht in Betracht, vgl. MüKo-AktG/Spindler § 78 Rn. 103; auch BGH 13.10.2000 – V ZR 349/99, NJW 2001 359, 360; MüKo-HGB/Schmidt § 125 Rn. 13. 70 OLG Düsseldorf 23.8.2005 – 4 U 140/04, NJW-RR 2006 1260, 1261 (dazu noch unten Rn. 51); Mitterlechner/Wax/ Witsch § 9 Rn. 139 f., 150; Thomas 328 f.; Rudzio 190; a. A. Lange ZIP 2006 1680, 1680 f. 71 A. A. Lange ZIP 2006 1680, 1680 f. 72 Vgl. MüKo-AktG/Spindler § 78 Rn. 103; auch BGH 13.10.2000 – V ZR 349/99, NJW 2001 359, 360. 73 So auch Thomas 329; Rudzio 190. 74 Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1167 (zu § 79 VVG a. F.). 1079

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

Umstand, dass die von § 47 VVG unterstellte75 Abstimmung zwischen VN und versicherter Person vor Vertragsschluss einschließlich des Wissenstransfers bzgl. relevanter Gefahrumstände i. R.v. Konzernpolicen aufgrund der Vielzahl von versicherten Personen gar nicht stattfinden kann. Statt einer konkludenten Abbedingung könnte auch eine teleologische Reduktion von § 47 Abs. 2 S. 2 VVG erwogen werden. Beides hätte die Wirkung, dass dem VN die Kenntnis der versicherten Personen gem. § 47 Abs. 2 S. 1 VVG nicht zuzurechnen wäre. 29 Letztlich sind aber weder ein konkludenter Ausschluss des § 47 Abs. 2 S. 2 VVG noch die Annahme einer teleologischen Reduktion überzeugend.76 VN und VR gehen bei Vertragsschluss regelmäßig nicht stillschweigend davon aus, dass die relevanten Vorschriften der Versicherung für fremde Rechnung aufgrund der Besonderheiten der D&O-Versicherung nur modifiziert gelten; die Annahme eines stillschweigenden Ausschlusses von § 47 Abs. 2 S. 2 VVG ist also eine Fiktion.77 Für eine teleologische Reduktion des § 47 Abs. 2 S. 2 VVG besteht kein Bedürfnis. Zum einen stehen den Vertragsparteien Möglichkeiten zur Einschränkung der Zurechnung (wie z. B. die Repräsentantenklausel) zur Verfügung, ohne dass ein korrigierender Eingriff in § 47 Abs. 2 VVG erforderlich ist. Zum anderen würde dem VR bei teleologischer Reduktion des § 47 Abs. 2 S. 2 VVG letztlich – ggf. nach Anwendung der Regeln über die sekundäre Darlegungslast – die Beweislast aufgebürdet, nachzuweisen, welche der versicherten Personen Kenntnis vom Vertragsschluss hatten, um zu erreichen, dass es mangels Anwendbarkeit von § 47 Abs. 2 S. 1 VVG bei der Zurechnung gem. § 47 Abs. 1 VVG bliebe. Das aber widerspräche dem Sinn des § 47 Abs. 2 S. 1 VVG,78 der den VR gerade von der Kenntnis der vorvertraglichen Kommunikation zwischen VN und versicherten Personen entlasten soll.

3. Vertretung des VN bei Abgabe seiner Vertragserklärung, Ziff. B3-1.1 Abs. 2, 3 bzw. § 20 S. 1, 2 VVG 30 Ist der VN bei Vertragsschluss vertreten worden, stellt sich die Frage, wessen Kenntnis von den Gefahrumständen und wessen Verschulden bei der Obliegenheitsverletzung maßgeblich ist.79 § 20 S. 1 VVG ordnet insoweit abweichend von § 166 BGB an, dass es hins. Kenntnis, Verschulden und/oder Arglist sowohl auf den VN als auch auf seinen Vertreter ankommt.80 Ziff. B31.1 Abs. 2, 3 entspricht in der Formulierung § 20 Abs. 1 VVG: Schließt ein Vertreter des VN den Versicherungsvertrag, so sind sowohl die Kenntnis und die Arglist des Vertreters als auch die Kenntnis und die Arglist des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen. Nur dann, wenn weder dem Vertreter noch dem VN Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, also VN und Vertreter nur einfach fahrlässig gehandelt haben, kann sich der Versicherungsnehmer darauf berufen, dass die Anzeigepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt worden ist. 31 Ob § 20 VVG nur auf den rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten81 oder auch auf den gesetzlichen Vertreter82 anwendbar ist, ist umstritten. Das Problem stellt sich gleichermaßen auch in Ziff. B3-1.1. Abs. 2. Vor der VVG-Reform erfasste die entsprechende Regelung (§ 19 VVG a. F.) nur den rechtgeschäftlich Bevollmächtigten.83 Nach der VVG-Reform lassen sich Wortlaut

75 76 77 78 79 80

Ebd. (zu § 79 VVG a. F.). Ablehnend auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 121 ff.; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 71; Rudzio 195. So auch Rudzio 195. Vgl. dazu Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1167 (zu § 79 VVG a. F.). Bruck/Möller/Rolfs9 § 20 Rn. 2. Bruck/Möller/Rolfs9 § 20 Rn. 2. In seinem Anwendungsbereich ist § 20 VVG gegenüber § 166 BGB lex specialis, vgl. Rudzio 151. 81 Bruck/Möller/Rolfs9 § 20 Rn. 5; Prölss/Martin/Armbrüster § 20 Rn. 2. 82 Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 20 Rn. 4; van Bühren/Lenz § 25 Rn. 178; Rudzio 151; offen lassend Langheid/Rixecker/Langheid § 20 Rn. 1. 83 Bruck/Möller/Rolfs9 § 20 Rn. 5. Gädtke

1080

C. Spontane Anzeigepflicht

AVB D&O B3

(§ 20 VVG n. F.)84 und Normzweck85 auch auf den gesetzlichen Vertreter ausdehnen. Ob der Gesetzgeber es im Rahmen der VVG-Reform bei dem bis zur Reform geltenden Anwendungsbereich belassen wollte, ist umstritten. Das wird zum Teil unter Hinweis auf die kurze Begründung des Gesetzgebers86 zu § 20 VVG n. F. bejaht;87 zum Teil wird diese als nicht aussagekräftig genug betrachtet.88 In der Begründung wird die Unterscheidung zwischen Bevollmächtigtem und Vertreter ohne Vertretungsmacht in § 19 VVG a. F. als entbehrlich bezeichnet; § 20 VVG n. F. verwendet daher nur noch den Ausdruck „Vertreter“.89 Daraus lässt sich tatsächlich der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber es – abgesehen von der genannten Anpassung – bei der Anwendung der Norm auf rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte belassen wollte. Die Auslegung nach dem Willen des historischen Gesetzgebers steht also der Wortlautauslegung entgegen; der Normzweck ist mit beiden Varianten vereinbar. Die Entscheidung ist damit grundsätzlich davon abhängig, in welcher Rangfolge die verschiedenen Auslegungsregeln stehen. Diese Frage ist umstritten.90 Im vorliegenden Fall erscheint es angesichts der Eindeutigkeit des gesetzgeberischen Willens vorzugswürdig, § 20 VVG – und entsprechend auch Ziff. B3-1.1. Abs. 2 – nur auf den rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten anzuwenden.91 Für gesetzliche Vertreter gilt § 166 Abs. 1 BGB,92 bei Organmitgliedern je nach bevorzugter Auffassung § 31 oder § 166 BGB (vgl. Rn. 5). In der letzten kommentierten Fassung der AVB-AVG (Stand Mai 2013) galten die Anzeige- 32 pflichten und Obliegenheiten des VN sinngemäß auch für die versicherten Personen (Ziff. 7.1.1 iVm 8.3). Ob diese Regelung wirksam war und welche Wirkungen mit ihr im Fall ihrer Wirksamkeit verbunden waren, war umstritten.93 In der aktuellen Fassung der AVB D&O gelten für die versicherten Personen sinngemäß ausschließlich die Obliegenheiten bei und nach Eintritt des Versicherungsfalls sowie deren Rechtsfolgen (vgl. dazu unter Rn. 84 ff.), nicht aber die vorvertraglichen Anzeigepflichten des VN.

C. Spontane Anzeigepflicht I. Zweck/Rechtsgrundlage Nach Ziff. B3-1.1 bzw. § 19 Abs. 1 VVG ist der VN grundsätzlich nur zur Beantwortung von Fragen 33 verpflichtet, die der VR in Textform stellt, wobei das Formerfordernis in den AVB D&O für den VN nun durch die Ergänzung „z. B. E-Mail, Telefax oder Brief“ konkretisiert wurde. Diese Beschränkung der Anzeige- auf eine Antwortpflicht auf die in Textform erfragten Umstände soll den VN davor bewahren, die Anzeigepflicht durch eine fehlerhafte Einschätzung der Gefahrerheblichkeit eines Umstands zu verletzen, wie es unter Geltung der früheren Rechtslage (§ 16 VVG a. F.), nach der der VN ungefragt alles tun musste, um den VR korrekt über das Risiko zu informieren, der Fall sein konnte.94 Die vorvertragliche Anzeigepflicht dient einerseits dem Schutz des VN vor dem Verlust der Deckung durch den VR, bezweckt anderseits aber auch den

84 85 86 87 88 89 90 91 92

Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Langheid § 20 Rn. 1; Rudzio 151. Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 20 Rn. 4; Rudzio 151. Vgl. BTDrucks. 16/3945 zu § 20 VVG; Langheid/Rixecker/Langheid § 20 Rn. 1. Bruck/Möller/Rolfs9 § 20 Rn. 5, 8 f.; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 20 Rn. 1 f.; Barg 31 ff., 33. Rudzio 151. BTDrucks. 16/3945 zu § 20 VVG. Vgl. dazu Larenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft 3. Aufl. (1996) 166 m. w. N. So auch Bruck/Möller/Rolfs9 § 20 Rn. 5. Bruck/Möller/Rolfs9 § 20 Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster § 20 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 20 Rn. 1. 93 Vgl. dazu die Vorauflage Rz. 33 ff. 94 Vgl. BTDrucks. 16/3945 zu § 19 VVG; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 3; Notthoff RuS 2018 169, 170. 1081

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

Ausgleich des anfänglichen Informationsdefizit auf Seiten des VR.95 Aus der Neuregelung wurde zunächst teilweise geschlossen, dass der VR bei fehlender Offenbarung von gefahrerheblichen, aber nicht (oder nicht formgerecht) erfragten Umständen von vornherein mangels einer Offenbarungspflicht des VN weder ein Rücktritts- noch ggf. ein Anfechtungsrecht habe.96 Mittlerweile hat sich allerdings zu Recht die Auffassung durchgesetzt, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Offenbarung auch solcher Umstände annimmt, die der VR nicht in Textform erfragt hat.97 Die §§ 19 bis 21 VVG entfalten keine Sperrwirkung für die Anwendung der §§ 123, 124, 142 BGB, auf die in § 22 VVG verwiesen wird.98 Der Gesetzgeber wollte dem VN bei der Neugestaltung der Anzeigepflicht im Rahmen der VVG-Reform 2008 zwar das Risiko abnehmen, eine Anzeigepflichtverletzung aufgrund fehlerhafter Einschätzung der Gefahrerheblichkeit von bestimmten Umständen zu begehen, beabsichtigte aber nicht, gleichzeitig die Regelungen über die Anfechtung von Willenserklärungen zu modifizieren.99 Die Regelungen des VVG und des BGB sind damit nebeneinander anwendbar. 34 Das bedeutet, dass die frühere spontane Anzeigepflicht (§ 16 VVG a. F.) in gewissem Umfang und bei Vorliegen besonderer Umstände weiter besteht, wenn sie auch jetzt nicht mehr aus dem VVG, sondern aus den §§ 241 Abs. 2, 242 BGB100 und letztlich Art. 12 GG101 abzuleiten ist. Da der VN grundsätzlich die nach Ziff. B-3.1.1 bzw. § 19 Abs. 1 VVG berechtigte Erwartung hegen kann, der VR werde alle für ihn relevanten Umstände in Textform erfragen, kann die spontane Anzeigepflicht allerdings schon aus rechtlichen Gründen nur noch einen Ausnahmefall darstellen. Angesichts der detaillierten Fragebögen, mit denen der VR vorvertraglich die relevanten Risikoinformationen102 bei dem VN anfordert, wird sie darüber hinaus in der Praxis selten bestehen, weil ihre Voraussetzungen (vgl. dazu Rn. 46 f.) regelmäßig nicht erfüllt sein werden. Eine spontane vorvertragliche Anzeigepflicht kann etwa bestehen, wenn im Fragebogen zwar die Frage nach bestehenden Tochterunternehmen in den USA nach status quo zum Abschluss des D&O-Versicherungsvertrags zutreffend verneint werden kann, aber Verhandlungen zum Erwerb einer Tochtergesellschaft in den USA bereits angelaufen sind. Für die laufende Versicherungsperiode ist das Bestehen spontaner Anzeigepflichten häufig vertraglich ausgeschlossen, indem die während der Versicherungsperiode zu erfüllenden Anzeigepflichten enumerativ aufgeführt werden und ausdrücklich hinzugefügt wird, dass keine weiteren Anzeigepflichten bestehen. Damit können etwaige spontane Anzeigepflichten erst wieder bei Vertragsänderung entstehen (vgl. unten Rn. 48 f.)

II. Voraussetzungen 35 Der Ausnahmecharakter der spontanen Anzeigepflicht spiegelt sich in den Voraussetzungen wider, die für ihre Annahme im konkreten Fall erforderlich sind. Sie soll nur dann bestehen, wenn die Gefahrerheblichkeit des nicht erfragten Umstands auf der Hand liegt103 bzw. evi-

95 Notthoff RuS 2018 169, 170. 96 Marlow/Spuhl Rn. 168; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 126 (vgl. aber ders. VersR 2011 724, 726); Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 22 Rn. 10.

97 Bruck/Möller/Rolfs9 § 22 Rn. 5, 10 f.; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 6 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 3; MüKo-BGB/Armbrüster § 123 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 2; Neuhaus VersR 2012 1477, 1482; Knappmann VersR 2011 724, 726; OLG Karlsruhe 20.4.2018 – 12 U 156/16, VersR 2018, 866 (verneinend); OLG Celle 9.11.2015 – 8 U 101/15, VersR 2017 211 (bejahend). 98 Bruck/Möller/Rolfs9 § 22 Rn. 4; Brand VersR 2009 715, 721. 99 Vgl. BTDrucks. 16/3945 zu § 19 VVG; Bruck/Möller/Rolfs9 § 22 Rn. 4. 100 Vgl. Knappmann VersR 2011 724, 726; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2693; Reusch VersR 2008 1179, 1183. 101 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, VersR 2017 469, 470. 102 Vgl. dazu die Kommentierung zu Ziff. 11 Rn. 4 f. 103 Bruck/Möller/Rolfs9 § 22 Rn. 10; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 6; Neuhaus VersR 2012 1477, 1482. Gädtke

1082

C. Spontane Anzeigepflicht

AVB D&O B3

dent104 ist bzw. es sich um so gravierende Umstände handelt, dass sich dem VN das (berechtigte) Interesse des VR an deren Anzeige geradezu aufdrängt.105 Teilweise wird hinzugefügt, dass der relevante Umstand so selten und fernliegend sein muss, dass es verständlich und dem VR nicht vorzuwerfen ist, wenn er ihn nicht erfragte.106 Liegen diese Voraussetzungen vor, besteht die Gefahr einer Fehleinschätzung der Gefahrerheblichkeit, vor der der Gesetzgeber den VN im Zuge der VVG-Reform schützen wollte, nicht, so dass es angemessen erscheint, wenn der VR sich bei arglistiger Täuschung durch den VN über einen solchen evident gefahrerheblichen Umstand durch Anfechtung vom Vertrag lösen kann. Darüber, ob die Anzeigepflicht ordnungsgemäß erfüllt wurde, soll auch dann eine Auskunftsobliegenheit des VN bestehen, wenn keine konkrete Verdachtslage für eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit bestehe.107 Diese Grundsätze gelten nicht nur, wenn der VR einen Umstand nicht erfragt hat, sondern 36 auch dann, wenn die Fragen dem VN nicht ordnungsgemäß „nahe gebracht“ wurden (Beispiel: einmaliges Vorlesen eines komplizierten und langen Ausschlusskatalogs),108 ein Umstand entgegen der Ansicht des VR bei objektiver Auslegung nicht von der Frage erfasst ist109 oder es sich um sonstige Fälle unpräziser oder unklarer Antragsfragen handelt.110

III. Vertragsänderung Eine spontane Anzeigepflicht kann nicht nur vor Abschluss des D&O-Versicherungsvertrags, 37 sondern auch bei Vertragsänderungen bzw. verlängerungen bestehen. Nach § 16 VVG a. F. wurde in einer solchen Situation eine spontane Anzeigepflicht angenommen, wenn der VR zu erkennen gab, eine erneute Risikoprüfung vornehmen zu wollen.111 Das konnte etwa bei einer Erhöhung der Versicherungssumme oder auch einer Verlängerung der Laufzeit der Fall sein, wenn deutlich wurde, dass der neue Vertrag den vorangehenden ersetzen sollte oder der VR erneut Gefahrfragen stellte.112 Vertragsverlängerungen aufgrund von Verlängerungsklauseln sollten hingegen keine erneute Anzeigepflicht auslösen, wenn nicht ausdrücklich ein Anschlussvertrag nach Ablauf des früheren geschlossen wurde und der VR damit zu erkennen gab, eine erneute Risikoprüfung vornehmen zu wollen.113 Eine erneute Risikoprüfung ist nach § 19 VVG n. F. nunmehr immer dann indiziert, wenn der 38 Versicherer erneut Fragen in Textform stellt und den Versicherungsnehmer ordnungsgemäß belehrt.114 Mit dieser Maßgabe dürften die Grundsätze zu § 16 VVG a. F. auch unter Geltung des VVG n. F. weiter anwendbar sein.115 Tritt der VR in eine neue Risikoprüfung ein, ist danach neben einer Pflicht zur Beantwortung der gestellten Fragen auch eine spontane Anzeigepflicht des VN anzunehmen, wenn die Gefahrerheblichkeit eines Umstands für den VN auch ohne explizite Nachfrage „auf der Hand“ liegt. Resultiert die Vertragsverlängerung hingegen (wie häufig) aus einer Klausel 104 Knappmann VersR 2011 724, 726 („offensichtlich“); Günther/Spielmann RuS 2008 133, 135; Langheid/Wandt/ Müller-Frank § 22 Rn. 6; vgl. auch Reusch VersR 2008 1179, 1183. 105 BGH 19.5.2011 – IV ZR 254/10, VersR 2011 1549, 1549; OLG Hamm 27.2.2015 – 20 U 26/15, RuS 2017 68, 69; Neuhaus VersR 2012 1477, 1482. 106 Knappmann VersR 2011 724, 726; OLG Celle 9.11.2015 – 8 U 101/15, VersR 2017, 211, 213; vgl. zur Diskussion Pagel VuR 2019 258, 259; Schwintowski VuR 2018 220, 221 f.; Notthoff RuS 2018 169, 173; Schirmer RuS 2014 533, 534. 107 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, VersR 2017 469, 472; Wandt, VersR 2017 458. 108 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 52. 109 Bruck/Möller/Rolfs9 § 19 Rn. 28 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 3. 110 Bruck/Möller/Rolfs9 § 19 Rn. 28 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 36 ff. 111 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 51 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 19 Rn. 3. 112 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 51 f. 113 Ebd. 114 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 53; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 19 Rn. 3. 115 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 53. 1083

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

in der D&O-Police der vorangehenden Versicherungsperiode, die bei Ablauf der Kündigungsfrist eine automatische Verlängerung der Police anordnet, und unterlässt der VN bei Verlängerung, ohne dass der VR vor Eingreifen dieser Regelung Fragen in Textform gestellt hat, den Hinweis auf einen neuen gefahrerheblichen Umstand, kann dieser nicht kausal für den Abschluss des Vertrags sein und deshalb nicht zur Arglistanfechtung berechtigen. Auch die Verlängerung des Vertrags beruht nämlich dann noch auf den ursprünglichen Willenserklärungen, die dem Vertragsschluss der vorangehenden D&O-Police zugrunde liegen. Es handelt sich somit um eine Täuschung nach Vertragsschluss, die nach §§ 23 f. VVG bzw. entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen zur Anzeigepflicht bei Gefahrerhöhungen (wie Ziff. 7.2) nur zu einem Kündigungsrecht oder zur Berechtigung des VR, sich auf Leistungsfreiheit zu berufen, führen kann.

D. Im Voraus erklärter Verzicht des VR auf das Anfechtungsrecht bei arglistiger Täuschung durch den VN I. Problemstellung/Stand der Diskussion 39 Täuscht der VN den VR arglistig über das Bestehen gefahrerheblicher Umstände, ist der VR zur Anfechtung des D&O-Versicherungsvertrags berechtigt (§§ 22 VVG, 123 BGB). Die wirksame Anfechtung hat grundsätzlich Gesamtwirkung, d. h. sie führt zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrags ex tunc (§ 142 Abs. 1 BGB) und wirkt grundsätzlich gegenüber jedermann,116 d. h. sowohl gegenüber dem VN als auch gegenüber allen versicherten Personen. Angesichts der weitreichenden Zurechnung von Wissen und Verhalten insbesondere nach den zivilrechtlichen Regeln der Wissenszurechnung zur juristischen Person (vgl. Rn. 5 ff.) und § 47 Abs. 1 VVG ist diese Konsequenz für die versicherten Personen überaus risikoreich. Gerade in DAX-Unternehmen ist die Anzahl der versicherten Personen in Konzernobergesellschaft und mitversicherten Tochterunternehmen häufig nur schwer überschaubar. Abgesehen von den organisatorischen Schwierigkeiten, das Wissen der versicherten Personen zu sammeln und dem VR verfügbar zu machen, kann der VN kaum sicherstellen, dass die versicherten Personen die Relevanz ihres Wissens zutreffend einschätzen oder dieses nicht vorsätzlich für sich behalten.117 Dass bereits die arglistige Täuschung einer versicherten Person zur Anfechtung des Versicherungsvertrags führen und den Versicherungsschutz aller übrigen versicherten Personen entfallen lassen kann, gleichgültig ob sie Kenntnis von der Täuschung hatten oder nicht, wird daher überwiegend als unangemessen angesehen.118 Prägnant zeigte sich dieses Risiko in einer Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem 40 Jahr 2006.119 Im zugrunde liegenden Fall hatte der Vorstandsvorsitzende einer AG, der die Ver116 MüKo-BGB/Busche § 142 Rn. 14. § 334 BGB hat insoweit keine eigenständige Funktion, so auch Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 12 (Abschn. 6).

117 Rudzio 167. 118 Es gibt daher etliche Vorschläge in Praxis und Literatur zur Vermeidung dieser Situation und zum Schutz gutgläubiger versicherter Personen, vgl. dazu etwa Armbrüster NJW 2016 897, 899 ff.; Gädtke RuS 2013 313 ff.; Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 12 ff. (Abschn. 6); Langheid VW 2012 1768, 1768 f.; Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 137 ff.; Veith/Gräfe/Lange § 21 Rn. 116 ff. (der allerdings in Rn. 117 darauf verweist, dass der VR ein auch für redliche versicherte Personen akzeptables Interesse habe, einen durch arglistige Täuschung herbeigeführten Vertrag vollständig und „rückstandslos“ zu beseitigen); Thomas 336 ff.; Rudzio 166 ff.; Steinkühler/Kassing VersPrax 2009 31 f.; R. Koch WM 2007 2173, 2182 ff.; Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1794 f.; Lange VersR 2006 605, 609 f.; Lange ZIP 2006 1680, 1680 ff.; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1167 f. 119 OLG Düsseldorf 23.8.2005 – 4 U 140/04, NJW-RR 2006 1260 ff. („ComRoad“); vgl. dazu auch OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1202 f.; ausführlich zur Entscheidung des OLG Düsseldorf Rudzio 185 ff. und Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 138 ff.; außerdem R. Koch WM 2007 2173, 2181 f.; Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1794; Lange ZIP 2006 1680, 1680 ff.; Sieg/Schramm PHi 2005 234 ff.; Schmitt 160. Gädtke

1084

D. Verzicht des VR auf das Anfechtungsrecht

AVB D&O B3

tragsverhandlungen mit dem VR führte, vor Vertragsschluss angegeben, keine Umstände zu kennen, die zu einem Versicherungsfall führen könnten. Tatsächlich aber wusste er, dass die Gesellschaft unter anderem falsche Bilanzen ausgewiesen, Scheinrechnungen erstellt und Eingangsrechnungen fingiert hatte, um Anleger über ihre Umsätze zu täuschen. Als der VR dies erfuhr, focht er den Versicherungsvertrag gegenüber der AG wegen arglistiger Täuschung an und berief sich in einem mittlerweile eingetretenen Schadenfall, in dem Ansprüche gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden der AG geltend gemacht wurden, auf die Nichtigkeit des D&O-Versicherungsvertrags. Die D&O-Police enthielt eine einfache Severability-Klausel (vgl. dazu Rn. 26 f.), d. h. eine Klausel, die bestimmte, dass Kenntnisse einer versicherten Person den anderen versicherten Personen nicht zugerechnet würden. Da der Aufsichtsratsvorsitzende keine Kenntnis der durch den Vorstandsvorsitzenden arglistig verschwiegenen Umstände hatte, war ihm dessen Kenntnis damit grundsätzlich nicht (direkt) zuzurechnen.120 Die Frage, ob damit zugleich ein partieller Verzicht des VR auf die Wirkung der Anfechtung verbunden sei, verneinte das OLG Düsseldorf jedoch.121 Die Klausel sage nichts darüber aus, wie sich eine arglistige Täuschung durch den VN aufgrund der ihm zurechenbaren Täuschung einer versicherten Person auf die weiteren (gutgläubigen) versicherten Personen auswirke. Es sei zudem gerade nicht anzunehmen, dass sich der Versicherer bei arglistiger Täuschung durch den VN des Rechts begeben wolle, das treuwidrige Verhalten allen versicherten Personen entgegenzuhalten.122 Dieses Ergebnis sei auch nicht aus Vertrauensgesichtspunkten zu korrigieren.123 Die D&O-Praxis suchte im Anschluss an die Entscheidung des OLG Düsseldorf nach Mög- 41 lichkeiten, den Versicherungsschutz gutgläubiger versicherter Personen in derartigen Konstellationen zu erhalten.124 Durch Anwendung gesetzlicher Vorschriften wie etwa § 29 VVG analog125 oder § 123 Abs. 2 S. 2 BGB126 lässt sich der Schutz nicht bewirken.127 Daher rückte insbesondere eine vertragliche Lösung über sog. qualifizierte Severability-Klauseln128 in den Blickpunkt.129 Diese Klauseln werden in der Praxis in ganz unterschiedlichen Varianten verwendet. Häufig verzichtet der VR darin auf sein Anfechtungsrecht und sieht zugleich einen Risikoausschluss bei Vorliegen von Umständen vor, die den VR grundsätzlich zur Anfechtung des Vertrags berechtigen würden. Von diesem Risikoausschluss werden wiederum diejenigen versicherten Per120 Richtigerweise erfolgt eine solche Zurechnung im Rahmen der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung – von Ausnahmefällen abgesehen – ohnehin nicht; vgl. Rudzio 190; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann § 28 Rn. 156. 121 Die h. L. sieht das zu Recht ebenso, vgl. Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 138 ff.; Rudzio 189 ff.; R. Koch WM 2007 2173, 2181 f.; Sieg/Schramm PHi 2005 234, 235; Schmitt 160; a. A. Lange ZIP 2006 1680, 1680 f., der dem Urteil aber im Ergebnis zustimmt. 122 OLG Düsseldorf 23.8.2005 – 4 U 140/04, NJW-RR 2006 1260, 1262. 123 Ebd. 124 Überblicke m. w. N. bei Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 140 f.; Veith/Gräfe/Lange § 21 Rn. 116 ff.; Thomas 333 ff.; Rudzio 166 ff. 125 Dass § 29 VVG analog keine Lösung ist, ist ganz h. M., vgl. etwa OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1201; Bruck/Möller/Heiss9 § 29 Rn. 11; Langheid/Wandt/Wandt § 29 Rn. 6; Prölss/Martin/Armbrüster § 29 Rn. 9. 126 Vgl. oben Rn. 43. Wie hier Rudzio 175 f.; Lange ZIP 2006 1680, 1681; a. A. Prölss/Martin/Klimke § 47 Rn. 8, 13 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 47 Rn. 1. 127 Das Kausalitätserfordernis gem. § 21 Abs. 2 VVG kann bei der arglistigen Täuschung nicht zur Begrenzung herangezogen werden, vgl. § 21 Abs. 2 S. 2 VVG. Das wurde unter dem VVG a. F. vereinzelt anders gesehen, dagegen zu Recht die ganz h. M., z. B. Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1167 f.; Rudzio 171 f.; a. A. OLG Nürnberg 23.12.1999 – 8 U 3364/99, RuS 2000 397, 397 ff. 128 Dazu OLG Frankfurt 11.12.2020 – 7 W 29/20, BeckRS 2020, 48390 Rn. 47 ff.; Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 12 ff. (Abschn. 6); Gädtke RuS 2013 313, 314 ff.; Liedtke VersPrax 2012 229, 230; Veith/Gräfe/Lange § 21 Rn. 117 f.; Thomas 329 f.; Rudzio 191 ff.; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 69; Lange ZIP 2006 1680, 1681; Seibt/Saame AG 2006 901, 911; Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1794 f. Teilweise werden derartige Klauseln auch als „full severability clauses“ bezeichnet. 129 Vgl. auch Liedtke VersPrax 2012 229, 229 („marktüblich“). 1085

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

sonen ausgenommen, die die arglistige Täuschung nicht selbst begangen haben und zum Zeitpunkt des Abschlusses oder der Verlängerung des Versicherungsvertrags keine Kenntnis von der arglistigen Täuschung hatten. Teilweise schließen qualifizierte Severability-Klauseln aber auch nur den Einwand der Anfechtung gegenüber den redlichen versicherten Personen aus.130 Sie enthalten dann keinen Verzicht auf das Anfechtungsrecht des VR, sondern begrenzen dieses nur in seinen Rechtsfolgen (vgl. dazu Rn. 67 ff.). Diese letztere Form wird im Folgenden als „Rechtsfolgenlösung“ bezeichnet; der Ausdruck „qualifizierte Severability-Klausel“ wird nur für Klauseln verwendet, die die oben beschriebene Kombination von Anfechtungsverzicht und Risikoausschluss vorsehen. 42 Zweifel an der Wirksamkeit qualifizierter Severability-Klauseln bestehen schon seit einer Entscheidung des VIII. Senats des BGH aus dem Jahr 2007.131 Im zugrunde liegenden Fall hatte der Käufer im Rahmen eines Unternehmenskaufvertrags auf sein Recht zur Rückabwicklung verzichtet.132 Der BGH legte diese Regelung als einen im Voraus erklärten Verzicht auf das Recht zur Anfechtung des Vertrags aus.133 Ein solcher Verzicht sei unwirksam, wenn die Täuschung vom Geschäftspartner selbst oder von einer Person verübt werde, die nicht Dritter i. S. v. § 123 Abs. 2 BGB sei, weil der Erklärende sich damit der Willkür seines Vertragspartners ausliefere und seine durch § 123 BGB geschützte freie Selbstbestimmung vollständig aufgebe.134 Das soll selbst dann gelten, wenn der Verkäufer im Vertrag Garantien für verschiedene Umstände übernimmt, die für die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses des Kaufgegenstandes von Bedeutung sein können, und auf Herstellung des garantierten Zustands haftet.135 Der getäuschte Käufer werde damit auf das Erfüllungsinteresse verwiesen und vor kaum zu überwindende Schwierigkeiten gestellt, wenn er darlegen und beweisen müsse, inwiefern sich seine wirtschaftliche Situation günstiger gestaltet hätte, sofern die Umstände, über die er arglistig getäuscht wurde, tatsächlich vorgelegen hätten.136 Der BGH sieht den Verzicht auf das Anfechtungsrecht also grundsätzlich auch dann als unwirksam an, wenn dafür andere vertragliche Rechte eingeräumt werden, selbst wenn dies den Besonderheiten eines bestimmten Rechtsgebiets, etwa den gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten im Rahmen des Erwerbs von GmbHAnteilen, Rechnung trägt.137 Diese Wirksamkeitsbedenken sind seit der Entscheidung des IV. Senats des BGH zu einer 43 Valorenversicherung („Heros II“)138 – einer Versicherung gegen den Verlust und Diebstahl beim Versand und Transport von Wertsachen, die wie die D&O-Versicherung eine Versicherung für fremde Rechnung ist – stärker geworden.139 Mit ihr bestätigt der IV. Senat zunächst die frühere Rspr. des VIII. Senats zur Unwirksamkeit eines im Voraus erklärten Verzichts auf das Anfechtungsrecht. Darüber hinausgehende Bedeutung erlangt die Entscheidung dadurch, dass sie zu einer Versicherung für fremde Rechnung ergeht und die Gesamtwirkung der Anfechtung 130 Steinkühler/Kassing VersPrax 2009 31, 32; Rudzio 191 f. 131 BGH 17.1.2007 – VIII ZR 37/06, NJW 2007 1058, 1058 f.; Steinkühler/Kassing VersPrax 2009 31, 32; Looschelders VersR 2018, 1413, 1420 („aus dogmatischer Sicht möglich“); de Lippe VersR 2021, 69, 76 („problematisch“). 132 BGH 17.1.2007 – VIII ZR 37/06, NJW 2007 1058, 1058. 133 BGH 17.1.2007 – VIII ZR 37/06, NJW 2007 1058, 1058 f. 134 BGH 17.1.2007 – VIII ZR 37/06, NJW 2007 1058, 1059. Der BGH leitet die Unwirksamkeit eines im Voraus vereinbarten Verzichts auf das Anfechtungsrecht direkt aus § 123 BGB ab. Damit steht der Verzicht von vornherein außerhalb der im Rahmen der Privatautonomie gewährleisteten Gestaltungs- und Verfügungsmacht des Einzelnen. Vgl. Lenz/Weitzel PHI 2012 122, 125. 135 BGH 17.1.2007 – VIII ZR 37/06, NJW 2007 1058, 1059. 136 Ebd. 137 Ebd. 138 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, NJW 2012 296 ff. („Heros II“); vgl. auch BGH 9.11.2011 – IV ZR 40/09, VersR 2012 615 ff. 139 Zu dieser Entscheidung vgl. Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1 ff.; Lenz/Weitzel PHi 2012 122 ff.; Langheid VW 2012 1768 ff.; ders. GS Hübner (2012) 137 ff., 141 ff.; Felsch RuS 2012 223 ff., zum Verzicht auf das Anfechtungsrecht 230; Liedtke VersPrax 2012 229 ff. Gädtke

1086

D. Verzicht des VR auf das Anfechtungsrecht

AVB D&O B3

ohne Differenzierung nach Gut- und Bösgläubigkeit auf alle Versicherten erstreckt. Das begründet der BGH folgendermaßen:140 „Auch wenn den Versicherern die Berufung auf eine Arglistanfechtung lediglich gegenüber den Versicherten verwehrt bliebe, wären Erstere der Willkür der täuschenden Versicherungsnehmerin ausgeliefert und ihrer freien rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung beraubt. Da Versicherungsleistungen nach Nr. 11.3.1 I 1 VB an die Versicherten zu erbringen sind, liefe der Schutz des § 123 BGB gerade dann ins Leere, wenn die durch Täuschung geschaffene Verpflichtung gegenüber den Versicherten bestehen bliebe.“

Da diese Begründung nicht allein auf die Valorenversicherung bzw. die streitgegenständliche 44 Klausel bezogen ist, sondern eine generelle Schutzzweckerwägung enthält, ist davon auszugehen, dass der BGH auch hinsichtlich anderer Typen von Versicherung für fremde Rechnung entsprechend argumentieren würde.141 Entscheidung und Begründung des BGH sind daher auf die D&O-Versicherung übertragbar.142 Damit scheint der häufig beschrittene Weg, mittels einer qualifizierten Severability-Klausel eine vertragliche Ersatzregelung an die Stelle der Anfechtung zu setzen, die den Versicherungsschutz der gutgläubigen versicherten Personen bewahrt, auf den ersten Blick verbaut zu sein. Dieser Umstand hat in der Praxis neben der Einschränkung der Wissenszurechnung auch 45 alternative Gestaltungen wieder in den Blickpunkt gerückt. Dazu zählen insbesondere vertragliche Lösungen auf der Rechtsfolgenseite der Anfechtung (vgl. unten Rn. 67 ff.). Dabei wird zum Schutz der redlichen versicherten Personen in den durch § 139 BGB gezogenen Grenzen eine vertraglich näher ausgestaltete Begrenzung der Gesamtwirkung vorgenommen. Derartige vertragliche Gestaltungen gehören also zur Gruppe der qualifizierten Severability-Klauseln, versuchen den beabsichtigten Effekt aber ohne Verzicht auf das Anfechtungsrecht allein auf dessen Rechtsfolgenseite zu erzielen (vgl. schon oben Rn. 52). Darüber hinaus werden auch andere Wege, z. B. über Schattenverträge bzw. Auffangdeckungen143 oder Individualpolicen,144 beschritten bzw. Überlegungen angestellt, den Versicherungsvertrag einem anderen als dem deutschen Recht zu unterstellen. Bei Schattenverträgen und Auffangdeckungen stellen sich im Einzelnen erhebliche praktische Probleme bzgl. der Abstimmung zwischen Haupt- und Auffangbzw. Schattenvertrag. Individualpolicen können mit vergleichsweise hohen Prämien verbunden sein. Wird der Vertrag im Ganzen einem anderen Recht bzw. Rechtssystem (Common Law) unterstellt, kann sich der Inhalt der D&O-Versicherung abhängig von den nach diesem Recht geltenden Grundsätzen für die D&O-Versicherung erheblich ändern. Ob dies für den VN vorteilhaft ist, erfordert also eine Gesamtabwägung bzw. -vergleich aller Regelungen des D&O-Vertrags.

II. Gutglaubensschutz nach der „Heros II“-Entscheidung des BGH? 1. Wirksamkeit der qualifizierten Severability-Klausel Richtigerweise führt die Auffassung des BGH allerdings nicht zur Unwirksamkeit der qualifizier- 46 ten Severability-Klausel:145 140 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, NJW 2012 296, 298 (Rn. 31). 141 Lenz/Weitzel PHi 2012 122, 124; Liedtke VersPrax 2012 229, 230; Mayer VersPrax 2012 12, 13. 142 So auch Lenz/Weitzel PHi 2012 122, 124; Langheid GS Hübner (2012) 142; Liedtke VersPrax 2012 229, 230; Mayer VersPrax 2012 12, 13; BGH 27.5.2015 – IV ZR 322/14, VersR 2015 1156. 143 Dazu Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 164 f.; Liedtke VersPrax 2012 229, 230. 144 Liedtke VersPrax 2012 229, 232, Armbrüster NJW 2016 897, 899 zur Lösung über die Eigenversicherung („Personal D&O“). 145 Vgl. dazu schon Gädtke RuS 2013 313, 315 ff.; im Ergebnis ebenso Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 19 ff. (Abschn. 6.2); a. A. Liedtke VersPrax 2012 229, 229 f. 1087

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

Von seiner freien Selbstbestimmung macht der VR sowohl dann Gebrauch, wenn er sich – nach Würdigung von tatsächlichen Umständen, die auf eine arglistige Täuschung hindeuten – zu einer Anfechtung des Versicherungsvertrags entschließt, als auch dann, wenn er sich im Stadium der Vertragsverhandlungen mit dem VN dafür entscheidet, in der D&O-Police einen Verzicht auf sein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung in Form einer qualifizierten Severability-Klausel zu vereinbaren. In seinen bisherigen Entscheidungen zum Verzicht auf das Anfechtungsrecht privilegiert der BGH generell die erste Form der freien Willensausübung zu Lasten der zweiten, indem er den Parteien die Gestaltungsmacht für die Vereinbarung des Anfechtungsverzichts entzieht. Eine ausdrückliche Begründung dafür, warum diese zweite Form der Ausübung freier Selbstbestimmung nicht geschützt ist, liefert er dabei nicht. Die Begründung erschließt sich allerdings aus dem zentralen Gedanken des BGH, dass der aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Zweck des § 123 BGB, d. h. der Schutz der rechtgeschäftlichen Entschließungsfreiheit, bei einem im Voraus erklärten Verzicht auf das Anfechtungsrecht entwertet ist, weil der Erklärende seine freie Selbstbestimmung aufgibt.146 Würde dies zugelassen, scheinen nach Auffassung des BGH die aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates – verstanden als die Idee, dass der Staat bei der Rechtsanwendung gehalten ist, auch zu Lasten Dritter für ein ausreichendes Maß an positivem Schutz des Grundrechtsträgers zu sorgen – verletzt zu sein.147 Diese grundrechtlichen Schutzpflichten148 gelten auch für die nähere Ausgestaltung der 48 Privatrechtsordnung und damit u. a. für Gesetzesinterpretationen auf der Ebene des Zivilrechts, insbesondere wenn diese darauf gerichtet sind, die Willensfreiheit im konkreten Einzelfall einzuschränken.149 Den Zivilrichter kann danach die Pflicht treffen, dafür Sorge zu tragen, dass es nicht aufgrund eines fehlenden Kräftegleichgewichts und einer dadurch gestörten Vertragsparität zwischen den Vertragspartnern im Ergebnis zu einer Fremdbestimmung des „Schwächeren“ durch den „Stärkeren“ kommt.150 Der Schutz vor Fremdbestimmung besteht dann in einem bestimmten „verfassungsrechtlich gebotenen Untermaß“,151 was nichts anderes als die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf die Schutzpflicht bedeutet.152 Fälle gestörter Vertragsparität setzen jedoch regelmäßig voraus, dass einer der Vertragspartner durch den Vertrag ungewöhnlich belastet wird und dies das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist.153 Ein solches strukturelles Ungleichgewicht besteht zwischen VR und VN von vornherein nicht. Der BGH scheint den Fällen gestörter Vertragsparität daher offenbar den Fall gleichzustellen, dass sich der VR mit der Vereinbarung des Anfechtungsverzichts erst noch in eine Lage manövriert, die als Ausdruck eines fehlenden Kräftegleichgewichts gelten kann, weil (so der BGH) sich der Erklärende der Willkür des Vertragspartners ausliefert und seine freie Selbstbestimmung aufgibt.154 Unklar ist, ob der BGH mit diesem Gedanken zugleich – neben Vertragsfreiheit und Privat49 autonomie als spezieller Ausprägung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG – auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Blick hat, das eine weitere spezielle Ausprägung des Art. 2 Abs. 1 GG darstellt und in seinem Schutzumfang in unterschiedlicher Intensität durch Art. 1 Abs. 1 GG (mit)bestimmt wird.155 Liefert sich der Erklärende nämlich der Willkür seines Gegenüber aus, 47

146 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, NJW 2012 296, 298. 147 Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 61; vgl. auch Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 5 ff. (Abschn. 3.1). 148 Vgl. zu den grundrechtlichen Schutzpflichten Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 61 ff., 107 ff.; Sachs/Rixen Art. 2 Rn. 24 ff. 149 Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 106. 150 Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 107, 111. 151 Ebd. 152 Sachs/Rixen Art. 2 Rn. 33 (mit Fn. 48). 153 Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 107 f., 112, 113 (mit den Beispielen Bürgschaft unter Familienangehörigen und Ehevertrag zu Lasten der bei Vertragsschluss schwangeren Ehefrau). 154 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, NJW 2012 296, 298. 155 Vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 128, 130; Sachs/Rixen Art. 2 Rn. 63. Gädtke

1088

D. Verzicht des VR auf das Anfechtungsrecht

AVB D&O B3

wird er zum bloßen Objekt von dessen Handlungen und damit in seiner Würde i. S. v. Art. 1 Abs. 1 GG beeinträchtigt.156 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. die hierauf bezogenen grundrechtlichen Schutzpflichten kommen grundsätzlich – anders als der Schutz aus Art. 1 Abs. 1 GG – auch juristischen Personen zugute, wenn auch mit abgesenktem Schutzniveau.157 Je stärker der Schutz aus Art. 2 Abs. 1 GG allerdings auf dem Schutz der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG beruht, desto eher ist er für juristische Personen abzulehnen.158 Welche grundrechtliche Schutzpflicht der BGH genau verfolgt, bleibt letztlich unklar, ist für 50 die Beurteilung der qualifizierten Severability-Klausel allerdings im Ergebnis auch unerheblich. Ist ein Eingriff in die Vertragsfreiheit von VR und VN aufgrund grundrechtlicher Schutzpflichten nicht schon deswegen unzulässig, weil der VR die qualifizierte Severability-Klausel gerade als Ausdruck einer angemessenen Lösung für eine komplexe rechtliche Situation begreift, in der die gesetzlichen Folgen zu weitreichend sind, und daher aufgrund seiner Einwilligung159 keines Schutzes vor Fremdbestimmung bedarf, steht die Berechtigung des Staats (bzw. des Zivilrichters), aufgrund grundrechtlicher Schutzpflichten (Schutz vor Willkür, Fortgeltung des Anfechtungsrechts) in die Privatautonomie von VR und VN (Freiheit zur Vereinbarung des Anfechtungsverzichts) einzugreifen, unter dem Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.160 Ein solcher Eingriff ist gerechtfertigt, wenn er einen legitimen Zweck verfolgt und geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinne ist.161 Bei Vereinbarung einer qualifizierten Severability-Klausel wird teilweise bereits der legitime Zweck eines Eingriffs verneint, weil die Klausel de facto nur die Ansprüche redlicher Dritter auf Gewähr von Versicherungsschutz aufrechterhält.162 Damit sei aber die Schutzpflichtendimension des § 123 BGB gar nicht betroffen; denn § 123 BGB diene allein dem Schutz der Entschließungsfreiheit, nicht des Vermögens.163 Das erscheint zumindest zweifelhaft. Die Entschließungsfreiheit, deren Schutz der Eingriff bezweckt, ist deswegen tangiert, weil sich der VR bei Vereinbarung der qualifizierten SeverabilityKlausel nicht mehr vollständig vom Vertrag lösen kann. Gerade durch diese Einschränkung, die mittels des Anfechtungsverzichts zugunsten des (qua Zurechnung) täuschenden VN erreicht wird, wird letztlich auch der Schutz der gutgläubigen versicherten Personen bewirkt. Bei Annahme eines legitimen Zwecks ist der Eingriff darüber hinaus geeignet zur Errei- 51 chung dieses Zwecks und erforderlich, weil kein milderes Mittel ersichtlich ist, dass den VR gleichermaßen vor möglicher Willkür des Vertragspartners schützt. Er ist aber letztlich nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Für die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs spricht zwar, dass die qualifizierte Severability-Klausel die Position des VR gegenüber einer möglichen Anfechtung verschlechtert. Während ihm im Rahmen der Anfechtung schon der Nachweis einer einzigen arglistigen Täuschung hilft, muss er nach der qualifizierten Severability-Klausel ggf. mit den einzelnen versicherten Personen in einen Indizienstreit darüber eintreten, ob diese Kenntnis von der arglistigen Täuschung hatten oder nicht.164 Darüber hinaus profitiert der (qua Zurechnung) täuschende VN ggf. von der Regelung, wenn er eine redliche versicherte Person im Wege der Innenhaftung in Anspruch nimmt und die Inanspruchnahme mit dem Anfechtungsgrund zusammenhängt.165 Ist der VR zur Deckung verpflichtet, ist der VN letztlich Nutznie156 Ein Hinweis in dieser Hinsicht könnte auch in der Bezugnahme des BGH auf die Entscheidung des BVerfG vom 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, NJW 2002 3619, 3622 liegen, in der dieses zur Anwendbarkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf juristische Personen des Privatrechts Stellung nimmt. 157 Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 224; Maunz/Dürig/Herdegen Art. 1 Abs. 1 Rn. 84. 158 Ebd. 159 Vgl. dazu Sachs/Sachs Vor Art. 1 Rn. 53 ff. 160 Sachs/Murswiek Art. 2 Rn. 103; Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 131. 161 Maunz/Dürig/Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 41; Maunz/Dürig/Grzeszick Art. 20 Teil VII. Rn. 110 ff. 162 Vgl. Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 23 f. (Abschn. 6.2.1), der deswegen eine Nichtigkeit der qualifizierten Severability-Klausel gem. § 138 BGB prüft. Vgl. dazu unten Rn. 66. 163 Ebd. 164 Vgl. auch Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1793. 165 Veith/Gräfe/Lange § 16 Rn. 117. 1089

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

ßerin eines Versicherungsschutzes, der bei Offenbarung der wahren Umstände vor Vertragsschluss möglicherweise nicht oder nur mit geringerer Versicherungssumme, zusätzlichen Ausschlüssen oder zu höheren Prämien gewährt worden wäre. 52 Gegen die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs spricht allerdings, dass die qualifizierte Severability-Klausel gerade die Vorstellungen der konkreten Vertragsparteien (wie der überwiegenden Praxis) von einer angemessenen Auflösung der zu weitreichenden gesetzlichen Konsequenzen widerspiegelt, die aus der besonderen Konstellation in der D&O-Versicherung resultieren. Wird sie im konkreten Fall vereinbart, trägt der VR sie um dieser Auflösung willen in Kenntnis der möglichen Folgen mit. Dabei kalkuliert er ein, dass der Anfechtungsgrund im äußersten Fall auch ein den Gesamtvertrag bzw. den konkreten Versicherungsfall betreffendes Risiko enthalten kann. Diese Entscheidung (regelmäßig eines Großunternehmens) zunichte zu machen, trüge – jedenfalls im speziellen Fall der D&O-Versicherung – eher paternalistische Züge und verkehrte damit den Grundrechtsschutz in sein Gegenteil. Die Verantwortung für seine Risikoabwägung und die von ihm getroffene Geschäftsentscheidung kann dem VR nicht durch eine Ausdehnung grundrechtlicher Schutzpflichten letztlich (im Schadenfall) wieder abgenommen werden. Die verbleibende Belastung des VR mit Zahlungsansprüchen der gutgläubigen versicherten Personen ist zudem ein Aspekt des Vermögensschutzes, der außerhalb des Schutzzwecks des § 123 BGB steht166 und daher einen Eingriff nicht rechtfertigen kann. 53 In welcher Weise der VR bei einer bösgläubigen versicherten Person und/oder dem VN Regress nehmen kann, wenn er gegenüber einer gutgläubigen versicherten Person aufgrund der in der D&O-Police vereinbarten qualifizierten Severability-Klausel leistungspflichtig bleibt, ist umstritten. Dem VR steht ein Anspruch gegen die gutgläubige versicherte Person auf Abtretung ihres etwaigen Ausgleichsanspruchs gem. § 426 Abs. 1 BGB (bzw. des im Wege der Legalzession gem. § 426 Abs. 2 S. 1 BGB übergehenden Schadensersatzanspruchs des Dritten bzw. des VN) gegen die bösgläubige versicherte Person zu. In Betracht kommt insoweit schon ein gesetzlicher Anspruchsübergang gem. § 86 Abs. 1 VVG, was allerdings voraussetzt, dass die bösgläubige versicherte Person als „Dritter“ i. S. d. § 86 Abs. 1 VVG anzusehen ist;167 wird dies verneint, ist § 255 BGB analog heranzuziehen. Die bösgläubige versicherte Person haftet allerdings gem. § 426 Abs. 1 BGB nur nach ihrem Verursachungsbeitrag im konkreten Versicherungsfall.168 Ob Ansprüche des VR gegen die bösgläubige versicherte Person und den (formal qua Zurechnung ebenfalls täuschende) VN aus §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB sowie §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB bestehen, wird unterschiedlich beurteilt.169 Teilweise werden solche Ansprüche aufgrund fehlender Kausalität verneint, weil der Schaden des VR nicht auf der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, sondern letztlich auf der Vereinbarung der qualifizierten Severability-Klausel beruht.170 Dagegen wird eingewandt,171 dass der Kausalverlauf durch eine vom Geschädigten gesetzte Zweitursache nicht unterbrochen werde, sofern es sich nicht um ein vorwerfbares Fehlverhalten des Geschädigten handele.172 Sofern es allerdings überhaupt zutreffend ist, von einer Kausalkette zu sprechen, weil der Fortbestand des Versicherungsschutzes zugunsten der gutgläubigen versicherten Personen abstrakt und unabhängig vom Vorliegen einer konkreten vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung vereinbart war, dürfte 166 Staudinger/Singer (2012) § 123 Rn. 1 (zum Schutzzweck der Entscheidungsfreiheit); Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 23 f. (Abschn. 6.2.1 m. w. N.); vgl. auch BGH 17.1.2008 – III ZR 224/06, NJW-RR 2008 564, 565.

167 So Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 22 (dort Fn. 120) unter Bezug auf BGH 13.6.1957 – II ZR 35/57, VersR 1957 458, 459. 168 Zum Inhalt der Ausgleichspflicht MüKo-BGB/Heinemeyer § 426 Rn. 13 f. 169 Für das Bestehen eines solchen Schadensersatzanspruchs Thomas 329 f.; Veith/Gräfe/Lange § 16 Rn. 117 (§ 826 BGB); Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1794 (§§ 823 Abs. 2 i. V.m 263 StGB, 826 BGB); tendenziell auch Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 22 (dort Fn. 120); dagegen Rudzio 193. Vgl. zu den Voraussetzungen für die Verwirklichung von § 826 BGB bei unterlassener Aufklärung BGH 20.11.2012 – VI ZR 268/11, NZG 2013 305, 307 f. 170 Rudzio 193. 171 Vgl. Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 22 (dort Fn. 120). 172 Vgl. MüKo-BGB/Oetker § 249 Rn. 168 f. Gädtke

1090

D. Verzicht des VR auf das Anfechtungsrecht

AVB D&O B3

die Zweitursache (Vereinbarung der qualifizierten Severability-Klausel) so stark in den Vordergrund treten, dass die Erstursache (konkrete vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung) verdrängt wird.173 Es sprechen daher die besseren Gründe gegen das Bestehen der oben genannten Ersatzansprüche. Ein vertraglicher Regressanspruch des VR gegen den VN für den Fall, dass dieser trotz 54 arglistiger Täuschung aufgrund der qualifizierten Severability-Klausel einstandspflichtig bleibt, wird in der Praxis regelmäßig nicht vereinbart. Eine solche Vereinbarung hätte zur Folge, dass der VN letztlich den Schaden in Höhe der gewährten Deckung zu tragen hätte (Regreßkreisel).174 Im Ergebnis würde sie damit sogar schlechter stehen, als wenn sie auf die Vereinbarung der qualifizierten Severability-Klausel ganz verzichtete. Ohne D&O-Versicherungsschutz (nach Anfechtung des VR und Erlöschen der deckungsrechtlichen Ansprüche aller versicherten Personen) würde der VN bei Inanspruchnahme einer gutgläubigen versicherten Person zumindest Schadensersatz nach deren finanzieller Leistungsfähigkeit erhalten. Besteht der Versicherungsschutz der versicherten Person fort und tritt der VR in voller Höhe ein, kann sich diesen Betrag aber über die Regressabrede zurückholen, erhielte der VN hingegen nicht einmal den Betrag, den die versicherte Person nach ihrer Leistungsfähigkeit zahlen müsste. Ein vertraglich vereinbarter Regressanspruch des VR ist daher aus Sicht des VN nicht akzeptabel.175 Angesichts dieser Regresssituation (vgl. Rn. 64 f.) stellt sich die Frage, ob die qualifizierte 55 Severability-Klausel letztlich nicht gem. § 138 BGB als sittenwidrig angesehen werden muss. Sittenwidrig ist eine Klausel, wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden des maßgeblichen Verkehrskreises verstößt. Die Sittenwidrigkeit kann sich dabei nicht nur aus dem objektiven Inhalt als solchem, sondern auch aus den Begleitumständen, insbesondere aus dem Zweck und den Beweggründen, ergeben.176 Bzgl. der qualifizierten SeverabilityKlausel kann sie u. U. daraus resultieren, dass neben den gutgläubigen versicherten Personen auch der (qua Zurechnung täuschende) VN in Innenhaftungsfällen von der Leistung des VR profitiert, sofern es im konkreten Schadenfall bei einer Inanspruchnahme gutgläubiger wie bösgläubiger versicherter Personen i. R. des Gesamtschuldnerausgleichs zu einer Haftung aller versicherter Personen kommt. In einer solchen Konstellation wird der Innenhaftungsanspruch durch den fortbestehenden Versicherungsschutz der gutgläubigen versicherten Personen ggf. erst werthaltig oder zumindest werthaltiger als ohne D&O-Versicherungsschutz. Gleichwohl verstößt die Klausel im Ergebnis nicht gegen § 138 Abs. 1 BGB. Maßgeblich dafür ist, dass sie einem anzuerkennenden Sicherheitsbedürfnis der gutgläubigen versicherten Personen dient.177 Dies führt dazu, dass der VR eine grundrechtlich geschützte Entscheidung zugunsten der Vereinbarung der Klausel treffen kann (vgl. oben Rn. 58 ff.). Allein der Umstand, dass sich die Position des VN als Reflex aus dieser Entscheidung178 verbessert, rechtfertigt es nicht, von einem sittenwidrigen Inhalt der Klausel auszugehen und dadurch in die grundrechtlich geschützte Position von VN und VR einzugreifen.

2. Rechtsfolgenlösungen Eine Alternative zur qualifizierten Severability-Klausel stellen Rechtsfolgenlösungen dar (vgl. 56 zur Terminologie Rn. 52), die die Anfechtung nicht ausschließen, sondern darauf abzielen, de173 Zur Unterbrechung des Kausalzusammenhangs MüKo-BGB/Oetker § 249 Rn. 143 und MüKo-AktG/Schröer § 147 Rn. 30; Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 22 (dort Fn. 120).

174 Thomas 330. 175 Seibt/Saame AG 2006 901, 911; Rudzio 194; Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 22 (dort Fn. 120). 176 BGH 4.6.2013 – VI ZR 288/12, NZG 2013 992, 993; BGH 20.11.2012 – VI ZR 268/11, NZG 2013 305, 307 m. w. N.; Staudinger/Sack/Fischinger (2011) § 138 Rn. 10. 177 So auch Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 24; Thomas 338. 178 Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 24, 27: „Produktgestaltungsfreiheit“. 1091

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

ren Rechtsfolgen, d. h. die Gesamtwirkung der Anfechtung, zu begrenzen und dadurch den Versicherungsschutz gutgläubiger versicherter Personen zu erhalten. Teilweise wird vertreten, dass dieses Ziel bereits durch eine Anwendung gesetzlicher Vorschriften wie § 139 BGB analog bzw. § 242 BGB erreicht wird. Teilweise werden Rechtsfolgenlösungen – insbesondere nach der „Heros II“-Entscheidung des BGH – auch vertraglich umgesetzt und in den entsprechenden Klauseln im Einzelnen ausgestaltet. Soweit darauf verwiesen wird, dass durch derartige Rechtsfolgenlösungen § 334 BGB abbedungen ist,179 führt dies allein jedenfalls nicht zur gewünschten Beschränkung der Gesamtwirkung, da die von § 334 BGB vorgesehene Erstreckung von Einwendungen gegenüber dem Versprechensempfänger (i. S. v. § 328 BGB), d. h. dem VN, auf die begünstigte versicherte Person ohnehin schon Teil der Gesamtwirkung der Anfechtung ist. § 334 BGB stützt daher nur ein ohnehin schon bestehendes Ergebnis. Seine Abbedingung reduziert also nur eine der mehrfachen Begründungen der Rechtsfolge, greift aber nicht in die Gesamtwirkung ein.

57 a) Teilnichtigkeit gem. § 139 BGB analog. Nach der Rspr. des BGH ist trotz der Gesamtwirkung der Anfechtung grundsätzlich eine Anwendung von § 139 BGB möglich, wenn der Anfechtungsgrund nur einen Teil des Rechtsgeschäfts erfasst. Liegt diese Voraussetzung vor, ist zu prüfen, ob die Parteien es auch ohne den nichtigen Teil hätten gelten lassen, wenn sie bei Abschluss des Vertrags um die Nichtigkeit des Vertragsteils gewusst hätten.180 Die Teilung des einheitlichen Rechtsgeschäfts und deren teilweise Aufrechterhaltung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn auf der einen Seite mehrere Personen beteiligt sind, der Nichtigkeitsgrund aber nur im Verhältnis zu einzelnen Personen vorliegt und der mutmaßliche Parteiwille darauf gerichtet ist, das Geschäft in Bezug auf die anderen bestehen zu lassen.181 58 Das OLG Saarbrücken hat in einem neueren Urteil zur Unfallversicherung an diese Rechtsprechung angeknüpft und vertreten, dass die Wirkung der Anfechtung gem. § 139 BGB analog zu beschränken sei, wenn die arglistige Täuschung einen abgrenzbaren Vertragsbestandteil betreffe und die Vertragsparteien den restlichen Teil der Vereinbarung auch unabhängig von diesem Vertragsteil geschlossen hätten.182 Im zugrunde liegenden Fall hatte einer der Versicherten dem VR vorvertraglich eine Krankheit verschwiegen, ohne dass sich dies nach Auffassung des Gerichts auf das Verhältnis zu den weiteren Versicherten der Unfallversicherung auswirkte.183 Die Parteien hätten daher – so das OLG – den Versicherungsvertrag auch ohne das von der arglistigen Täuschung betroffene Vertragssegment geschlossen, wenn sie bei Abschluss des Vertrags vor die Frage gestellt worden wären, ob sie es auch ohne den nichtigen Teil gelten lassen wollten.184 Gleichzeitig macht das OLG aber deutlich, dass eine derartige Beschränkung der Gesamtwirkung nicht in Betracht kommt, wenn die Täuschung das gesamte vom VR zu übernehmende Vertragsrisiko betrifft,185 und geht dazu explizit auf prominente Fälle186 arglistiger Täuschung ein. 59 Gegen eine solche Begrenzung der Anfechtungsfolgen sind im Rahmen der D&O-Versicherung verschiedene Einwände erhoben worden, die sich alle auf die Teilbarkeit des Versiche-

179 Vgl. etwa Steinkühler/Kassing VersPrax 2009 31, 32; Rudzio 184. 180 BGH 12.7.2001 – IX ZR 358/00, NJW 2001 3327, 3328 f.; BGH 27.6.1969 – V ZR 74/66, NJW 1969 1759, 1760; OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1203. 181 BGH 12.7.2001 – IX ZR 358/00, NJW 2001 3327, 3328 f. 182 OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1202; so auch BGH 12.7.2001 – IX ZR 358/00, NJW 2001 3327, 3328 f.; BGH 27.6.1969 – V ZR 74/66, NJW 1969 1759, 1760. 183 Ebd. 184 OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1203. 185 OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1202 f. 186 OLG Düsseldorf 23.8.2005 – 4 U 140/04, NJW-RR 2006 1260 ff.; OLG Celle 19.11.2009 – 8 U 238/08, RuS 2010 424 ff. (Heros). Gädtke

1092

D. Verzicht des VR auf das Anfechtungsrecht

AVB D&O B3

rungsvertrags als grundlegender Voraussetzung von § 139 BGB analog beziehen. So soll der Versicherungsvertrag nicht subjektiv teilbar sein, weil die versicherten Personen dem VR bei der Versicherung für fremde Rechnung nicht als Vertragspartner gegenüberstehen, sondern dem Vertrag als begünstigte Dritte gerade nicht beitreten.187 Das erscheint grundsätzlich zutreffend. Würde nämlich der Fall mehrerer Versicherter bei der Fremdversicherung der Beteiligung mehrerer Personen, die als Vertragspartner auf einer Seite stehen, gleichgestellt,188 bliebe die Abhängigkeit des Zuwendungsverhältnisses vom Deckungsverhältnis zwischen dem VN und dem VR unberücksichtigt. Diese Abhängigkeit, die am deutlichsten in der Verfügungsbefugnis des VN über den Versicherungsvertrag (vgl. §§ 44 f. VVG) zum Ausdruck kommt, prägt aber die gesamte Struktur des D&O-Versicherungsvertrags. Die Teilbarkeit setzt zudem stets voraus, dass das Rechtsgeschäft nach Herauslösung des nichtigen Teils noch ein selbständig existenzfähiges Rechtsgeschäft bleibt, das dem von den Parteien beabsichtigten Gesamtcharakter entspricht.189 Da eine Anfechtung gegen den VN nach § 123 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB regelmäßig in Betracht kommt, entfiele mit dem Deckungsverhältnis rückwirkend auch die grundlegende Vertragsbeziehung zwischen VR und VN, ohne die die Beziehung zu den begünstigten versicherten Personen nicht bestehen kann.190 Insofern lässt sich auch keine objektive Teilbarkeit des Versicherungsvertrags annehmen. Selbst wenn die Funktion, die der Stellung des VN in der Versicherung für fremde Rechnung 60 zukommt, im Wesentlichen in der Bündelung von Risiken bzw. Rechtsverhältnissen zu den versicherten Personen zu begreifen wäre und sich die Anfechtungserklärung gegenüber dem VN damit darauf begrenzen ließe, allein eines dieser Risiken herauszulösen und den Vertrag im Übrigen mit dem VN und den weiteren versicherten Personen fortzusetzen, wäre dies für die D&O-Versicherung allenfalls ein beschränkt gangbarer Weg. Anders als in der Unfallversicherung stehen – worauf das OLG Saarbrücken zu Recht hingewiesen hat191 – die Risiken in der D&O-Versicherung nämlich nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind – wie die grundsätzlich gesamtschuldnerische Haftung der Organmitglieder deutlich macht – aufeinander bezogen. Das gilt jedenfalls, soweit der VN betroffen ist; eine solche Teilbarkeit mag hingegen für die Rechtsverhältnisse der versicherten Personen in Tochtergesellschaften in Betracht kommen. Damit ist der Anwendungsbereich einer Rechtsfolgenlösung über § 139 BGB analog allerdings begrenzt.

b) Beschränkung der Gesamtwirkung gem. § 242 BGB. Viele Autoren schlagen vor, die 61 Gesamtwirkung über eine Anwendung von § 242 BGB zugunsten der redlichen versicherten Personen zu korrigieren.192 Dabei wird allerdings meist darauf hingewiesen, dass es sich um besonders gelagerte Ausnahmefälle handeln muss, die in der Regel nicht näher definiert werden.193 187 188 189 190 191 192

Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 14 (Abschn. 6.1.3). So das OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1201 (ohne nähere Begründung). Bamberger/Roth/Wendtland § 139 Rn. 13 f. Rudzio 177. OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200, 1202 f. Vgl. im Einzelnen Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 27; Langheid/Wandt/Dageförde § 47 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 15 („Rechtsfolgenbegrenzung i. S. v. § 139 BGB durch § 242 BGB“); Langheid VersPrax 2012 1768, 1769 (Grundsatz des betroffenen versicherten Interesses; mit dem unzutreffenden Hinweis, dass die zur Unfallversicherung ergangene Entscheidung des OLG Saarbrücken (5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200 ff.) insoweit uneingeschränkt anwendbar sei, weil die Unterschiede zur D&O-Versicherung sich im entscheidenden Punkt nicht auswirkten); Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1169 (Grundsatz vom betroffenen versicherten Interesse); Rudzio 177 f.; Thomas 336. Sommer ZVersWiss 2013 (DOI) 1, 16 ff. (Abschn. 6.1.4) schlägt vor, den Einwand unzulässiger Rechtsausübung auf das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB zu stützen, und will letztlich eine an den Umständen des Einzelfalls orientierte Billigkeitsentscheidung vornehmen. 193 Vgl. etwa Bruck/Möller/Brand9 § 47 Rn. 27 („in besonders gelagerten Ausnahmefällen“); Langheid/Wandt/Dageförde § 47 Rn. 12 („in krassen Fällen“); Looschelders/Pohlmann/R. Koch § 47 Rn. 15 („ausnahmsweise“); Rudzio 178 1093

Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

Für die D&O-Praxis sind diese Auffassungen schon angesichts ihrer Vagheit, aber auch, weil sie nur Ausnahmefälle erfassen sollen, nicht ausreichend. Anders ist dies bei der Auffassung, die von dem Grundsatz ausgeht, dass nur dasjenige versicherte Interesse von der Gestaltungsmacht des VR betroffen sein soll, in Ansehung dessen die Leistungsstörung eingetreten ist.194 Das wäre im Fall der arglistigen Täuschung nur das Interesse derjenigen versicherten Person, die die arglistige Täuschung selbst begangen hat. Für diesen Grundsatz des betroffenen versicherten Interesses fehlt es allerdings an einer Rechtsgrundlage.195 Es erscheint darüber hinaus im Ergebnis nicht plausibel, VN und VR den Schutz gutgläubiger versicherter Personen einerseits mit vertraglichen Mitteln, insbesondere durch Vereinbarung der qualifizierten Severability-Klausel, zu verwehren, um ihn dann andererseits über Billigkeitserwägungen letztlich doch sicherzustellen.

62 c) Vertragliche Rechtsfolgenlösungen. Seit der „Heros II“-Entscheidung des BGH bieten die D&O-VR teilweise Klauseln an, die den Versicherungsschutz von redlichen versicherten Personen bei Anfechtung gegenüber dem VN aufrechterhalten, dies als Lösung i. S. v. § 139 BGB darstellen und diese Teilbarkeit näher ausgestalten. Derartige Klauseln sind de facto nicht neu, sondern nur expliziter als frühere Versionen, die den Einwand der Anfechtbarkeit gegenüber redlichen versicherten Personen ausschlossen. Sie bauten schon immer auf der unzutreffenden These auf, dass der D&O-Versicherungsvertrag bei Anfechtung gegenüber dem VN teilbar ist und auch nach Wegfall des Deckungsverhältnisses zum VN weiter bestehen könne (vgl. oben Rn. 70 f.). Selbst wenn eine solche Teilbarkeit anzunehmen wäre, bliebe unklar, welcher Art das aufrecht erhaltene Rechtsverhältnis zu den redlichen versicherten Personen sein und wie das Pflichtengefüge aussehen soll, da infolge der Anfechtung gegenüber dem VN keine Versicherung für fremde Rechnung mehr vorliegt. Der Sinn solcher Klauseln kann daher hauptsächlich in der Klarstellung bestehen, dass es dem Willen der Parteien bei Vertragsschluss entspricht, den Versicherungsvertrag auch mit den gutgläubigen versicherten Personen fortzusetzen, sofern der Vertrag teilbar ist. Kommt es zur Anfechtung des Versicherungsfalls, ist eine Prüfung des hypothetischen Willens der Parteien bei Vertragsschluss damit nicht mehr erforderlich. 63 Darüber hinaus enthalten vertragliche Rechtsfolgenlösungen die weitere Vereinbarung, dass sich die Anfechtung bei arglistiger Täuschung durch solche Personen, die keine Organmitglieder oder Repräsentanten des VN sind, nur auf diese Personen selbst auswirke. Das würde Sinn ergeben, wenn sich die Wirkung der Anfechtung gegenüber dem VN auf das „infizierte“ Vertragssegment beschränken ließe, der Vertrag mit dem VN und den weiteren versicherten Personen im Übrigen also unangetastet bliebe (vgl. Rn. 70 f.). Die Vereinbarung könnte alternativ auch so ausgelegt werden, dass der VR in einem derartigen Fall von einer Anfechtung gegenüber dem VN absieht und nur gegenüber der arglistig täuschenden versicherten Person anficht (§ 123 Abs. 2 S. 2 BGB). Die Frage, ob eine solche Vereinbarung wirksam ist, ist genauso (positiv) zu beantworten ist wie für die qualifizierte Severability-Klausel, d. h. für den Fall, dass die Klausel einen ausdrücklichen Anfechtungsverzicht vorsieht (vgl. oben Rn. 57 ff.). 64 Schließlich werden in einigen vertraglich ausgestalteten Rechtsfolgenlösungen generell alle Sachverhalte aus dem Versicherungsschutz (d. h. auch mit Wirkung für gutgläubige versicherte Personen) herausgenommen, die mit dem Anfechtungsgrund in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Dies ist für die gutgläubigen versicherten Personen eine erhebliche Einschränkung, die für den VN bei Vertragsschluss nur schwer akzeptabel sein dürfte.

(„Konsequenzen, die mit der Einzelfallgerechtigkeit unvereinbar erscheinen“), der dafür den Fall nennt, dass der VR im Vorfeld des Vertragsschlusses durch seine Werbeaussagen eine besondere Vertrauensgrundlage geschaffen hat. 194 Langheid VersPrax 2012 1768, 1769. 195 Vgl. schon Fn. 228. Im Übrigen Rudzio 178 f. Gädtke

1094

E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Anzeigepflicht, Ziff. B3-1.2

AVB D&O B3

3. Einschränkung der Zurechnung Die weitreichende Wissenszurechnung zum VN ist die Hauptursache, die das besondere Risiko- 65 potential der vorvertraglichen Anzeigepflichten für den VN und die (redlichen) versicherten Personen begründet. Dementsprechend werden in der D&O-Praxis regelmäßig – kumulativ oder alternativ zu anderen Gestaltungen – Klauseln zur Begrenzung der Wissenszurechnung in D&OPolicen aufgenommen. Dazu zählen einfache Severability-Klauseln (vgl. Rn. 26 f.) und insbesondere Repräsentantenklauseln (vgl. dazu Rn. 22 ff.). Zum Vorschlag, die Problematik über eine teleologische Reduktion von § 47 VVG zu lösen, vgl. oben Rn. 13. Teilweise wird vorgeschlagen, dass der VN in Anwendung von § 47 Abs. 2 S. 2 VVG stets 66 darauf hinweisen solle, dass er nicht mit Wissen und Wollen der versicherten Personen handele.196 Dann sei es wiederum Sache des VR, den versicherten Personen entsprechende Fragen zu stellen.197 Das kann für diejenigen versicherten Personen, die keine Organmitglieder des VN sind oder die keine Klausel in ihrem Anstellungsvertrag haben, die ihnen den Abschluss einer D&O-Versicherung zusagt, eine Lösung sein. Da zur Begründung des Privilegs aus § 47 Abs. 2 S. 1 VVG keine pauschale Mitteilung genügt,198 müsste jedoch zu jedem Zeitpunkt, zu dem es auf das Wissen der versicherten Personen im Rahmen vorvertraglicher Anzeigepflichten ankommen könnte (z. B. bei einer Umdeckung, soweit keine Kontinuitätsvereinbarung getroffen wird), sichergestellt werden, dass dem VR eine aktuelle Liste derjenigen versicherten Personen vorliegt, ohne deren Wissen und Wollen der VN handele. Anderenfalls ist es dem VR nicht möglich, festzustellen, bezüglich welcher versicherter Personen sich der VN mit Erfolg auf das Privileg des § 47 Abs. 2 S. 1 VVG berufen kann.199 Allen Vorschlägen zur Einschränkung der Wissenszurechnung ist gemeinsam, dass sie gut- 67 gläubigen versicherten Personen keinen vergleichbaren Schutz vor arglistig begangenen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzungen einer unredlichen versicherten Person bieten können wie eine qualifizierte Severability-Klausel. Es verbleibt selbst bei Repräsentantenklauseln, durch die die Wissenszurechnung nachhaltig eingeschränkt werden kann, Raum für deckungsschädliches Wissen, das zum Verlust des Versicherungsschutzes gutgläubiger versicherter Personen führen kann.200 Solche Klauseln bieten allerdings im Hinblick auf Wirksamkeitsbedenken, die gegenüber qualifizierten Severability-Klauseln aus der „Heros II“-Entscheidung des BGH folgen, ein zumindest höheres Maß an Sicherheit. Nach zutreffender Auffassung sind sie keinen entsprechenden Bedenken ausgesetzt, solange es nicht um eine vollständige Abbedingung der zivilrechtlichen Wissenszurechnung zur juristischen Person geht (vgl. Rn. 21, 23 ff.).

E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Anzeigepflicht, Ziff. B3-1.2 Die Regelung des Rücktritts in Ziff. B3-1.2.1 Abs. 1 bis 4 stimmt mit derjenigen in Ziff. 23.2 68 Abs. 1 bis 3 AHB überein. Gegen die Fassung der entsprechenden Klauseln bestehen erhebliche Bedenken.201 Vertragsänderung und Kündigungsrecht in Ziff. B3-1.2.2 (Kündigung) und B3-1.2.3 (Ver- 69 tragsänderung) sind inhaltsgleich zu Ziff. 23.3 AHB ausgestaltet. Die Wirksamkeitsbedenken gegen Ziff. 23 Abs. 3 AHB richten sich dementsprechend auch gegen Ziff. 7.1.3 Abs. 3.202 Ziff. B3-1.3 regelt in Übereinstimmung mit Ziff. 23.3, Abs. 5 den Beginn der Monatsfrist. Ziff. B3-1.6 ent196 197 198 199 200 201 202 1095

Langheid VW 2012 1768, 1769; ders. GS Hübner (2012) 143. Ebd. Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 122; Lange VersR 2006 605, 608. Ebd. So auch Mitterlechner/Wax/Witsch § 9 Rn. 155. Vgl. dazu Bruck/Möller/R. Koch9 Ziff. 23 AHB Rn. 3 ff. Vgl. Schimikowski RuS 2009 353, 355; Prölss/Martin/Lücke Ziff. 23 AHB Rn. 8. Gädtke

B3 AVB D&O

Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten

spricht Ziff. 23.4 AHB. Die Hinweispflicht in Ziff. B3-1.4 entspricht inhatlich der auch in Ziff. 9.2, 23.3 AHB enthaltenen Pflicht, den Versicherungsnehmer über die Folgen