VVG: Band 2 §§ 19-73 VVG [10 ed.] 9783110522624, 9783110520361

Volume 2 addresses divisions 2 to 7 of the German Insurance Contract Act (VVG; §§ 19–73). Umfassende Kommentierung de

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VVG: Band 2 §§ 19-73 VVG [10 ed.]
 9783110522624, 9783110520361

Table of contents :
Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur
Versicherungsvertragsgesetz
Abschnitt 2 Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten
§ 19 Anzeigepflicht
§ 20 Vertreter des Versicherungsnehmers
§ 21 Ausübung der Rechte des Versicherers
§ 22 Arglistige Täuschung
Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27
§ 23 Gefahrerhöhung
§ 24 Kündigung wegen Gefahrerhöhung
§ 25 Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung
§ 26 Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung
§ 27 Unerhebliche Gefahrerhöhung
§ 28 Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit
§ 29 Teilrücktritt, Teilkündigung, teilweise Leistungsfreiheit
§ 30 Anzeige des Versicherungsfalls
§ 31 Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers
§ 32 Abweichende Vereinbarungen
Abschnitt 3 Prämie
§ 33 Fälligkeit
§ 34 Zahlung durch Dritte
§ 35 Aufrechnung durch den Versicherer
§ 36 Leistungsort
§ 37 Zahlungsverzug bei Erstprämie
§ 38 Zahlungsverzug bei Folgeprämie
§ 39 Vorzeitige Vertragsbeendigung
§ 40 Kündigung bei Prämienerhöhung
§ 41 Herabsetzung der Prämie
§ 42 Abweichende Vereinbarungen
Abschnitt 4 Versicherung für fremde Rechnung
Vorbemerkungen zu §§ 43–48
§ 43 Begriffsbestimmung
§ 44 Rechte des Versicherten
§ 45 Rechte des Versicherungsnehmers
§ 46 Rechte zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem
§ 47 Kenntnis und Verhalten des Versicherten
§ 48 Versicherung für Rechnung „wen es angeht“
Abschnitt 5 Vorläufige Deckung
Vorbemerkung zu §§ 49 bis 52
§ 49 Inhalt des Vertrags
§ 50 Nichtzustandekommen des Hauptvertrags
§ 51 Prämienzahlung
§ 52 Beendigung des Vertrags
Anh. zu § 52
Abschnitt 6 Laufende Versicherung
Vorbemerkung zu §§ 53 bis 58
§ 53 Anmeldepflicht
§ 54 Verletzung der Anmeldepflicht
§ 55 Einzelpolice
§ 56 Verletzung der Anzeigepflicht
§ 57 Gefahränderung
§ 58 Obliegenheitsverletzung
Abschnitt 7 Versicherungsvermittler, Versicherungsberater
Unterabschnitt 1 Mitteilungs- und Beratungspflichten
§ 59 Begriffsbestimmungen
§ 60 Beratungsgrundlage des Versicherungsvermittlers
§ 61 Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers
§ 62 Zeitpunkt und Form der Information
§ 63 Schadensersatzpflicht
§ 64 Zahlungssicherung zugunsten des Versicherungsnehmers
§ 65 Großrisiken
§ 66 Sonstige Ausnahmen
§ 67 Abweichende Vereinbarungen
§ 68 Versicherungsberater
Unterabschnitt 2 Vertretungsmacht
§ 69 Gesetzliche Vollmacht
§ 70 Kenntnis des Versicherungsvertreters
§ 71 Abschlussvollmacht
§ 72 Beschränkung der Vertretungsmacht
§ 73 Angestellte und nicht gewerbsmäßig tätige Vermittler
Sachregister

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Großkommentare der Praxis

BRUCK/MÖLLER

Versicherungsvertragsgesetz

Großkommentar 10., völlig neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Roland Michael Beckmann und Robert Koch vormals mit herausgegeben von Horst Baumann (†), Katharina Johannsen (†) und Ralf Johannsen (†) Zweiter Band §§ 19–73 Bearbeiter: §§ 19–22: Christian Rolfs §§ 23–27: Annemarie Matusche-Beckmann §§ 28–29: Helmut Heiss §§ 30–32: Christoph Brömmelmeyer §§ 33–42: Roland Michael Beckmann §§ 43–48: Oliver Brand §§ 49–58: Winfried Schnepp §§ 59–73: Hans-Peter Schwintowski Sachregister: Christian Klie

Stand der Bearbeitung: August 2021 Zitiervorschlag: Bruck/Möller/Rolfs § 19 VVG Rn. 6

ISBN 978-3-11-052036-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052262-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052060-6 Library of Congress Control Number: 2021949756 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage Erwin Abele, Rechtsanwalt in München Dr. Christian Armbrüster, Professor an der Freien Universität Berlin, Richter am Kammergericht a.D. Dr. Frank Baumann, LL.M., Rechtanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamm Dr. Horst Baumann (†), emeritierter Professor an der Technischen Universität Berlin Dr. Roland Michael Beckmann, Professor an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Oliver Brand, LL.M. (Cambridge), Professor an der Universität Mannheim Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke Univ.), Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Dr. Christoph Brömmelmeyer, Professor an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Dr. Jan Dreyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamburg Charlotte Echarti, Bereichsleiterin Run Off Solutions, E+S Rückversicherung AG, Hannover Christiane Eifler, LL.M., Rechtsanwältin in Nürnberg Dr. Alexander Figl, Rechtsanwaltsanwärter in Wien Anne Fischer, LL.M., Rechtsanwältin in Düsseldorf Dr. Thomas Gädtke, Rechtsanwalt in München und Lehrbeauftragter an der LudwigMaximilians Universität München Dr. Jens Gal, Maître en droit (Lyon 2), Privatdozent und Lehrstuhlvertreter an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main Dr. Maximilian Guth, LL.M. (Southampton), Rechtsanwalt in Hamburg, Solicitor of England & Wales Dr. Olaf Hartenstein, D.E.A. (Sorbonne), LL.M. (Assas), Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Dr. h.c. Helmut Heiss, LL.M., Professor an der Universität Zürich und Rechtsanwalt in Zürich Dr. Jörg Henzler, Rechtsanwalt in Stuttgart Dr. Harald Herrmann, emeritierter Professor an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg Dr. Detlef A. Huber, Rechtsanwalt in Freiburg i.Br. Jens Jaeger, Rechtsanwalt in Hamburg, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg Dr. Ralf Johannsen (†), Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Katharina Johannsen (†), Vorsitzende Richterin am Hanseatischen OLG a. D., Hamburg Dr. Rocco Jula, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Berlin Dr. Kai-Oliver Knops, Professor an der Universität Hamburg Dr. Robert Koch, LL.M. (McGill), Professor an der Universität Hamburg Dr. Hubertus W. Labes, Rechtsanwalt in Hamburg, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg Dr. Mark Makowsky, Professor an der Universität Mannheim Dr. Annemarie Matusche-Beckmann, Professorin an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Ernst Niederleithinger, Ministerialdirektor beim Bundesministerium der Justiz a. D., Honorarprofessor der Ruhr-Universität Bochum Dr. Stefan Perner, Professor und Vorstand am Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien Jürgen Raab, Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Jens-Berghe Riemer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht sowie Transport- und Speditionsrecht in München Dr. Claus von Rintelen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamburg Dr. Christian Rolfs, Professor an der Universität zu Köln Dr. Christian Schneider, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Köln Dr. Winfried Schnepp, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Köln V https://doi.org/10.1515/9783110522624-201

Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage

Arno Schubach, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Frankfurt am Main Dr. Dieter Schwampe, Professor an der Universität Hamburg, Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Hans-Peter Schwintowski, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Torsten Sommer, Richter am Landgericht Hamburg Dr. Ansgar Staudinger, Professor an der Universität Bielefeld Dr. Wolfgang Voit, Professor an der Philipps-Universität Marburg Dr. Conrad Waldkirch, akademischer Rat a. Z. an der Universität Mannheim Dr. Gerrit Winter (†), emeritierter Professor an der Universität Hamburg

VI

Vorwort Mit der 10. Auflage des Bruck/Möller geht eine Anpassung der Bandzuschnitte einher, die zum einen sachlichen Gesichtspunkten geschuldet ist und zum anderen dazu dient, den Seitenumfang der einzelnen Bände zu vereinheitlichen. Dies betrifft auch Band 2, der nun die Kommentierung der §§ 19–73 VVG umfasst. Seit dem Erscheinen der Vorauflage haben sich Rechtsprechung und Literatur, insbesondere in dem von der VVG-Reform besonders betroffenen Bereich der Obliegenheiten (Abschnitt 2 – Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten [§§ 19– 32]) und der Versicherungsvermittlung (Abschnitt 7 – Versicherungsvermittler, Versicherungsberater [§§ 59–73]) fortentwickelt und Streitfragen geklärt. Der vorliegende Band beleuchtet auch diese praxisrelevanten Entwicklungen. Der Abschied von Katharina Johannsen und von Horst Baumann im Herausgeberkreis ist zu beklagen. Beide sind im Jahr 2021 leider verstorben. Sie haben als Mitherausgeber die Gesamtkonzeption der 9. Auflage und auch noch der 10. Auflage maßgeblich mitgeprägt. Nach dem vollständigen Erscheinen der 9. Auflage im Jahre 2020 hatten sie auch die Fertigstellung von Band 1 der 10. Auflage und die Vorarbeiten zu diesem Band erlebt und begleitet. Ihnen werden der Verlag, die Herausgeber und die Autorinnen und Autoren ein ehrendes Andenken bewahren. Unter den Autoren dieses Bandes hat sich eine Änderung ergeben. Winfried Schnepp führt nun die Kommentierung der §§ 49–52 VVG zur vorläufigen Deckung fort. Rechtsprechung und Schrifttum sind auf dem Stand August 2021. Soweit möglich, wurden auch spätere Entscheidungen und Aufsätze berücksichtigt. Für Kritik und Verbesserungsvorschläge sind Verlag und Herausgeber dankbar. Saarbrücken und Hamburg im November 2021 Roland Michael Beckmann

VII https://doi.org/10.1515/9783110522624-202

Robert Koch

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Bearbeiter der 10. Auflage V VII Vorwort Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur Versicherungsvertragsgesetz

XI

1

Abschnitt 2 1 Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten 1 § 19 Anzeigepflicht 73 § 20 Vertreter des Versicherungsnehmers 78 § 21 Ausübung der Rechte des Versicherers 99 § 22 Arglistige Täuschung 122 Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27 126 § 23 Gefahrerhöhung 167 § 24 Kündigung wegen Gefahrerhöhung 179 § 25 Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 186 § 26 Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 199 § 27 Unerhebliche Gefahrerhöhung 206 § 28 Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit § 29 Teilrücktritt, Teilkündigung, teilweise Leistungsfreiheit 338 § 30 Anzeige des Versicherungsfalls 359 § 31 Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers 399 § 32 Abweichende Vereinbarungen

326

Abschnitt 3 413 Prämie 413 § 33 Fälligkeit 444 § 34 Zahlung durch Dritte 451 § 35 Aufrechnung durch den Versicherer 458 § 36 Leistungsort 475 § 37 Zahlungsverzug bei Erstprämie 501 § 38 Zahlungsverzug bei Folgeprämie 530 § 39 Vorzeitige Vertragsbeendigung 539 § 40 Kündigung bei Prämienerhöhung 562 § 41 Herabsetzung der Prämie 569 § 42 Abweichende Vereinbarungen Abschnitt 4 573 Versicherung für fremde Rechnung 573 Vorbemerkungen zu §§ 43–48 592 § 43 Begriffsbestimmung 616 § 44 Rechte des Versicherten 635 § 45 Rechte des Versicherungsnehmers § 46 Rechte zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem 666 § 47 Kenntnis und Verhalten des Versicherten 686 § 48 Versicherung für Rechnung „wen es angeht“

IX

652

Inhaltsverzeichnis

Abschnitt 5 699 Vorläufige Deckung 699 Vorbemerkung zu §§ 49 bis 52 720 § 49 Inhalt des Vertrags § 50 Nichtzustandekommen des Hauptvertrags 732 § 51 Prämienzahlung 737 § 52 Beendigung des Vertrags 753 Anh. zu § 52

728

Abschnitt 6 758 Laufende Versicherung 758 Vorbemerkung zu §§ 53 bis 58 762 § 53 Anmeldepflicht 776 § 54 Verletzung der Anmeldepflicht 781 § 55 Einzelpolice 788 § 56 Verletzung der Anzeigepflicht 795 § 57 Gefahränderung 801 § 58 Obliegenheitsverletzung Abschnitt 7 Versicherungsvermittler, Versicherungsberater

806

Unterabschnitt 1 806 Mitteilungs- und Beratungspflichten 806 § 59 Begriffsbestimmungen 888 § 60 Beratungsgrundlage des Versicherungsvermittlers § 61 Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers 914 § 62 Zeitpunkt und Form der Information 918 § 63 Schadensersatzpflicht 943 § 64 Zahlungssicherung zugunsten des Versicherungsnehmers 946 § 65 Großrisiken 947 § 66 Sonstige Ausnahmen 949 § 67 Abweichende Vereinbarungen 955 § 68 Versicherungsberater Unterabschnitt 2 956 Vertretungsmacht 956 § 69 Gesetzliche Vollmacht 972 § 70 Kenntnis des Versicherungsvertreters 978 § 71 Abschlussvollmacht 981 § 72 Beschränkung der Vertretungsmacht § 73 Angestellte und nicht gewerbsmäßig tätige Vermittler Sachregister

896

985

987

X

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur a.A. a.a.O. ABBV ABE ABG ABGB abgedr. ABGF Abk. abl. ABl. ABMG ABN ABRK ABRV ABS Abs. Abschlussbericht Abschn. ABU ABVerm abw. AcP a.E. AEB ÄndG ÄndVO AERB AEUV AFB a.F. AG AGG AGBG AGlB AGS AHagB AHB AKB AktG ALB allg. allg.M. Alt. AltZertG a.M. AMB AMBUB

anderer Ansicht am angegebenen Ort Allgemeine Bedingungen für die Baubestandsversicherung Allgemeine Bedingungen für die Elektronikversicherung Allgemeine Bedingungen für die Kaskoversicherung von Baugeräten Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) abgedruckt Allgemeine Bedingungen für die dynamische Sachversicherung des Gewerbes und der Freien Berufe Abkommen ablehnend Amtsblatt Allgemeine Bedingungen für die Maschinen- und Kasko-Versicherung von fahrbaren und transportablen Geräten Allgemeine Bedingungen für die Bauleistungsversicherung von Gebäudeneubauten durch Auftraggeber Allgemeine Bedingungen für die Reparaturkosten von Kraftwagen Allgemeine Bedingungen für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung (Österreich) Absatz siehe KomE Abschnitt Allgemeine Bedingungen für die Bauleistungsversicherung von Unternehmerleistungen Allgemeine Bedingungen für die Vermögenshaftpflichtversicherung abweichend Archiv für civilistische Praxis (zit. nach Band, Jahr u. Seite) am Ende Allgemeine Einbruchdiebstahlversicherungsbedingungen Änderungsgesetz Änderungsverordnung Allgemeine Bedingungen für die Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Allgemeine Bedingungen für die Feuerversicherung alte Fassung Amtsgericht; Aktiengesellschaft Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGesetz) Allgemeine Bedingungen für die Glasversicherung Anwaltsgebühren Spezial (Zeitschrift) Allgemeine Hagelversicherungs-Bedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung Allgemeine Bedingungen für die Kfz-Versicherung Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien Allgemeine Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung allgemein allgemeine Meinung Alternative Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen anderer Meinung Allgemeine Maschinen-Versicherungsbedingungen; ab 2008: Allgemeine Bedingungen für die Maschinenversicherung von stationären Maschinen Allgemeine Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen

XI https://doi.org/10.1515/9783110522624-203

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

AMG AMoB amtl.Begr. Anh. Anl. Anm. AnwBl. AnwKom ao AO ARB Art. Armbrüster AStB AT AtomG AUB Auff. Aufl. AuR ausdrückl. ausführl. AusfVO ausl. AuslG AuslKfzPflVV AuslPflVG AusnVO ausschl. Ausschussbericht AV AVB AVB-AVG AVB BU AVB BUZ AVB MaV AVBR AVBSP AVB Vermögen AVBW AVFE AVFEBU AVFEM AVG

Arzneimittelgesetz Allgemeine Montageversicherungsbedingungen amtliche Begründung Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt siehe NK-BGB außerordentlich Abgabenordnung Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung Artikel Privatversicherungsrecht, 2. Aufl. (2019) Allgemeine Bedingungen für die Sturmversicherung Allgemeiner Teil Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen Auffassung Auflage Arbeit und Recht ausdrücklich ausführlich Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Verordnung über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ausländischer Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger Gesetz über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger Ausnahmeverordnung ausschließlich Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (BTDrucks. 16/5862) Allgemeine Verfügung Allgemeine Versicherungsbedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die VermögensschadenHaftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Versicherung Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Maschinen, maschinellen Einrichtungen und Apparaten Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Reisegepäck Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Juwelen, Schmuck- und Pelzsachen im Privatbesitz Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden Allgemeine Bedingungen für die Kasko-Versicherung von Wassersportfahrzeugen Allgemeine Versicherungsbedingungen für Fernmelde- und sonstige elektronische Anlagen Allgemeine Betriebsunterbrechungs-Bedingungen bei Fernmelde- und sonstigen elektrotechnischen Anlagen Allgemeine Bedingungen für die Mehrkostenversicherung bei Fernmeldeanlagen und sonstigen elektrotechnischen Anlagen Angestelltenversicherungsgesetz

XII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

AVP AVR AVSZ AVTHK AWaB AWB AWG Az. Bach/Moser/Bearbeiter BaFin BAG

Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Pferden und anderen Einhufern Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Rindern Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Schweinen, Schafen und Ziegen Allgemeine Bedingungen für die Tierkrankenversicherung von Hunden und Katzen Allgemeine Versicherungs-Bedingungen für die Waldbrandversicherung Allgemeine Bedingungen für die Leitungswasserversicherung Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen Private Krankenversicherung, MB/KK- und MB/KT-Kommentar, 5. Aufl. (2015) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 1. Bundesarbeitsgericht 2. Bundesamt für Güterverkehr Bähr/Bearbeiter Handbuch des Versicherungsaufsichtsrechts: VAG-Handbuch, hrsg. v. Bähr (2011) Bamberger/Roth/Hau/ Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch in fünf Bänden, 4. Aufl. (2019); auch Poseck/Bearbeiter zitiert: BRHP/Bearbeiter BAnz. Bundesanzeiger Basedow/Fock Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bd. I–III (2002/03) Bauer Die Kraftfahrtversicherung, 6. Aufl. (2010) BauGB Baugesetzbuch Baumbach/Hopt/Bearbeiter Handelsgesetzbuch: HGB, 40. Aufl. (2021) Baumbach/Hueck/Bearbeiter GmbHG, Kommentar, 22. Aufl. (2019) BAV (BAA) Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- (bis 1973) und Bausparwesen (bis 2001) BayGaStellv Bayerische Garagen- und Stellplatzverordnung BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BB Der Betriebs-Berater BBG Bundesbeamtengesetz BBR Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen BBR ITD Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Haftpflichtversicherung von IT-Dienstleistern Bd. Band BDSG Bundesdatenschutzgesetz Bearb. Bearbeitung Beckmann/MatuscheVersicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. (2015) Beckmann/Bearbeiter BeckOGK-BGB/Bearbeiter beck-online.GROSSKOMMENTAR zum Zivilrecht, hrsg. von Gsell/Krüger/Lorenz/ Reymann (2015 ff.) BeckOK-BGB/Bearbeiter Beck’scher Online-Kommentar BGB, hrsg. von Hau/Poseck (Stand: 1.5.2021) BeckOK-GG/Bearbeiter Beck’scher Online-Kommentar GG, hrsg. von Epping/Hillgruber (Stand 15.5.2021) BeckOK IT-Recht/Bearbeiter Beck’scher Online-Kommentar IT-Recht, hrsg. von Borges/Hilber (Stand: 1.5.2021) BeckOK-ZPO/Bearbeiter Beck’scher Online-Kommentar ZPO, hrsg. von Vorwerk/Wolf (Stand: 1.7.2021) BeckOK-VVG/Bearbeiter Beck’scher Online-Kommentar VVG, hrsg. von Marlow/Spuhl (Stand: 3.5.2021) BeckRS Elektronische Entscheidungsdatenbank in beck-online (zitiert mit Jahrgang und lfd. Nummer) begl. beglaubigt Begr. Begründung Bek. Bekanntmachung Bekl. Beklagter Bem. Bemerkung Benkel/Hirschberg Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung, ALB- und BUZ-Kommentar, 2. Aufl. (2011) ber. berichtigt Berliner Kommentar/ Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz: Kommentar zum deutschen Bearbeiter und österreichischen VVG, hrsg. von H. Honsell (2012) Berz/Burmann/Bearbeiter Handbuch des Straßenverkehrsrechts, hrsg. von Berz/Burmann, 43. EL Februar 2021

XIII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

bes. BesBed Priv Beschl. Beschw. Bespr. Best. bestr. betr. BeurkG BFH BGB BGBl. BGH BGHGrS BGHR BGHSt BGHZ BHHJJ/Bearbeiter BMI BMJ Böhme/Biela/Tomson BR BRAK Brand/Baroch Castellvi/ Bearbeiter BRAO BRDrucks. BReg. BRHP/Bearbeiter BRProt. BRRG Bruck Bruck Versicherungsvertrag Bruck/Möller/Bearbeiter8

Bruck/Möller/Bearbeiter9

Bruck/Möller/Bearbeiter

BSG BSHG Bsp. BStBl. BT BTDrucks. BU Buchst. BuVAB van Bühren/Bearbeiter Hdb van Bühren van Bühren/Plote/Bearbeiter

besonders Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Privathaftpflichtversicherung Beschluss Beschwerde Besprechung Bestimmung bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Großer Senat BGH-Rechtsprechung Zivilsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. (2020) Bundesminister(ium) des Inneren Bundesminister(ium) der Justiz Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Handbuch für die Praxis, 26. Aufl. (2018) (bis zur 22. Aufl. Becker/Böhme) Bundesrat Bundesrechtsanwaltskammer Versicherungsaufsichtsgesetz (2018) Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Bundesregierung siehe Bamberger/Roth/Hau/Poseck Protokolle des Bundesrates Beamtenrechtsrahmengesetz Das Privatversicherungsrecht (1930) Kommentar zum Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag, 7. Aufl. (1932) Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter Einschluss des Versicherungsvermittlerrechtes, 8. Aufl. (1961–2002) Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, herausgegeben von Horst Baumann/Roland Michael Beckmann/Katharina Johannsen/Ralf Johannsen/Robert Koch, 9. Aufl. (2008–2020) Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, herausgegeben von Roland Michael Beckmann und Robert Koch, 10. Aufl. (2021 ff.) Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Beispiel Bundessteuerblatt Besonderer Teil, Bundestag Bundestagsdrucksache Betriebsunterbrechung Buchstabe AVB Berufsunfähigkeitsversicherung Handbuch Versicherungsrecht, 7. Aufl. (2017) Das versicherungsrechtliche Mandat, 5. Aufl. (2015) Allg. Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung: ARB, 3. Aufl. (2013)

XIV

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Buschbell/Hering/Bearbeiter BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. ca. CR dagg. DAR DAV Dauses/Ludwigs/Bearbeiter DB DBKG Derleder/Knops/Bamberger/ Bearbeiter ders. Deutsch/Iversen dgl. d.h. dies. Diff., diff. Dig. DIN Diss. DJ DJT DöV D&O DR DRechtsw. DRiB DRiG DRiZ Drucks. DS DSB DStrR dt. DTV-VHV DVBl. DVO DZWIR E ebd. ebso. ECB ECBUB ED ed(s) EG EGBGB

XV

Handbuch Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl. (2015) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) bezüglich beziehungsweise circa Computer und Recht dagegen Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein; Deutsche Aktuarvereinigung Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblattsammlung) Der Betrieb Deutsches Büro Grüne Karte e.V. Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2017) derselbe Versicherungsvertragsrecht, 7. Aufl. (2015) dergleichen das heißt dieselbe(n) Differenzierung, differenzierend Digesta Deutsche Industrie Norm Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche öffentlich-rechtliche Versicherung Directors and Officers (Liability Insurance) Deutsches Recht, Wochenausgabe (vereinigt mit Juristische Wochenschrift) (1931–1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936–1943) Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Drucksache Der Sachverständige Datenschutzberater Deutsches Steuerrecht deutsch DTV-Verkehrshaftungsversicherung Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entwurf bzw. Entscheidung ebenda ebenso Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur Feuerversicherung für Industrie- und Handelsbetriebe Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur FeuerBetriebsunterbrechungs-Versicherung für Industrie- und Handelsbetriebe Einbruchdiebstahl editor(s) Einführungsgesetz bzw. Europäische Gemeinschaft(en) bzw. Erinnerungsgabe Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

EGGVG EGV EGVVG ehem. Einf. eingeh. einschl. einschr. Einl. EL entgg. Entsch. entspr. Entw. ErfK/Bearbeiter Erg. ErgBd. Erl. Erdmann/Kaulbach Erman/Bearbeiter Erw. EStG etc. EU EuGH EuGHE EuGVVO

EuR europ. EUV EuZW evtl. EWG EWGV EWiR EWR f., ff. FAG FamRZ FAO Farny FBUB Fenyves/Perner/Riedler/ Bearbeiter FeV FG FGG FGO FHB

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz v. 27.1.1877 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum VVG ehemalig Einführung eingehend einschließlich einschränkend Einleitung Ergänzungslieferung entgegen Entscheidung entsprechend Entwurf Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. von Müller-Glöge/Preis/Schmidt, 21. Aufl. (2021) Ergebnis bzw. Ergänzung Ergänzungsband Erläuterung Grundzüge des Versicherungsaufsichtsrechts, 2. Aufl. (2019) Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Grunewald, 16. Aufl. (2020) Erwiderung Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – Amtliche Sammlung Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EG-Verordnung Nr. 44/2001) Europarecht europäisch Vertrag über die Europäische Union (Lissabon-Vertrag) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum folgende Gesetz über Fernmeldeanlagen Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung Versicherungsbetriebslehre, 5. Aufl. (2011) Allgemeine Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen VersVG – Versicherungsvertragsgesetz, Loseblattwerk mit 5. Aktualisierung (bis zur 4. Aktualisierung Fenyves/Schauer/Bearbeiter), hrsg. v. Fenyves/Perner (2014 ff.) (vormals hrsg. von Fenyves/Schauer) Fahrerlaubnis-Verordnung Finanzgericht Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Feuerhaftungs-Versicherungsbedingung

XVI

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

FinDAG Feyock/Jacobsen/Lemor/ Bearbeiter Fn. fragl. FS v. Fürstenwerth/Weiß/ Consten/Präve FZV G GB BAV GB GDV GBl. GbR GDV GE Geigel/Bearbeiter gem. GenG GeschO gesetzl. GewArch GewO gg. GG ggf. GKG GKV gl. GmbHG GmbHR grdl. grds. Grigoleit/Bearbeiter Grimm/Kloth GrS GrSZ GRUR GS GüKG GVBl. GVG GWB Halbs. Halm/Engelbrecht/Krahe/ Bearbeiter Halm/Kreuter/Schwab/ Bearbeiter Hansen Beweislast HansRGZ HansRZ Harbauer HbgGarVO

XVII

Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. (2009) Fußnote fraglich Festschrift VersicherungsAlphabet (VA), 11. Aufl. (2019) Fahrzeug-Zulassungsverordnung Gesetz Geschäftsbericht des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Geschäftsbericht des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Geschäftsplanmäßige Erklärung Haftpflichtprozess, 28. Aufl. (2020) gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Geschäftsordnung gesetzlich Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- u. Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung gegen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesetzliche Krankenversicherung gleich Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (vorher: Rundschau für GmbH) grundlegend grundsätzlich Aktiengesetz, Kommentar, 2. Aufl. (2020) Unfallversicherung: AUB, 6. Aufl. (2021) Großer Senat Großer Senat in Zivilsachen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Halbsatz Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2018) Allgemeine Kraftfahrtbedingungen (AKB), hrsg. von Halm/Kreuter/Schwab, 2. Aufl. (2015) Beweislast und Beweiswürdigung im Versicherungsrecht (1990) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift Hanseatische Rechtszeitschrift Rechtsschutzversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB), 9. Aufl. (2018) Hamburger Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen und offenen Stellplätzen

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Hdb. HdV Hentschel/König/Dauer/ Bearbeiter HGB hins. Hinw. HK-BGB/Bearbeiter HK-ZPO/Bearbeiter HK-BU/Bearbeiter HK-VVG h.A. h.L. h.M. Hofmann Hofmann Hölters/Bearbeiter Hrsg./hrsg. h.Rspr. Hüffer/Koch i.Allg. i.d.F. i.d.R. i.d.S. i.E. i.e.S. IFG i.gl.S. i.Grds. IHK i.H.v. InfoV inl. insbes. insges. InsO inzw. i.R.d. i.R.v. i.S. i.S.d. i.S.e. i.S.v. i.techn.S. i.U. i.Ü. i.V.m. i.w. i.w.S. i.Z.m. JA Jauernig/Bearbeiter jew. Jura

Handbuch Handwörterbuch der Versicherung, hrsg. von Farny/Helten/Koch/Schmidt (1988) Straßenverkehrsrecht, hrsg. von Hentschel/König/Dauer, 46. Aufl. (2021) Handelsgesetzbuch hinsichtlich Hinweis Bürgerliches Gesetzbuch Handkommentar, hrsg. von Schulze/Dörner/Ebert et. al., 10. Aufl. (2019) Zivilprozessordnung Handkommentar, hrsg. von Saenger, 9. Aufl. (2021) Berufsunfähigkeitsversicherung Handkommentar, hrsg. von Ernst/Rogler (2018) siehe Rüffer/Halbach/Schimikowski herrschende Ansicht, herrschende Auffassung herrschende Lehre herrschende Meinung Privatversicherungsrecht, 4. Aufl. (1998) Schutzbriefversicherung (1996) Aktiengesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2017) Herausgeber/herausgegeben herrschende Rechtsprechung Aktiengesetz, 15. Aufl. (2021) im Allgemeinen in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Informationsfreiheitsgesetz im gleichen Sinne im Grundsatz Industrie- und Handelskammer in Höhe von siehe VVG-InfoV inländisch insbesondere insgesamt Insolvenzordnung inzwischen im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne einer(s) im Sinne von im technischen Sinne im Unterschied im Übrigen in Verbindung mit im Wesentlichen im weiteren Sinne im Zusammenhang mit Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 18. Aufl. (2021) jeweils Juristische Ausbildung

XVIII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

JurBüro jurisPK/Bearbeiter jurisPR JuS JW JZ KalV

Kap. Kaulbach/Bähr/Pohlmann Kfz KfzEFondsV KfzPflVV KfzSBHH KG KH KHVG KK-OWiG/Bearbeiter Kl. KomE

K&R krit. KritVj KSchG KStG KVAV Lackner/Kühl/Bearbeiter Langheid/Rixecker/ Bearbeiter Langheid/Wandt/Bearbeiter

LG lit. Lit. LM LMK Looschelders/Pohlmann/ Bearbeiter LPK-SGB VI LS lt. Littbarski AHB LugÜ

XIX

Das Juristische Büro juris Praxiskommentar BGB, hrsg. von Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger, 9. Aufl. (2020) juris PraxisReport Juristische Schulung. Zeitschrift für Studium und Ausbildung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung – KalV) (aufgehoben m.W.v. 1.1.2016) Kapitel Versicherungsaufsichtsgesetz, 6. Aufl. (2019) (bis zur 4. Aufl. Fahr/Kaulbach/Bähr) Kraftfahrzeug Verordnung über den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen Kraftfahrzeugpflichtversicherungsverordnung Sonderbedingungen zur Kfz-Haftpflicht- und Kaskoversicherung für Kfz-Handel und -Handwerk Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kraftfahrzeug-Haftpflicht Österreichisches Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz (1994) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 5. Aufl. (2018) 1. Klausel 2. Kläger/in Kommissionsentwurf zur Reform des Versicherungsvertragsrechts; zitiert nach: Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April (2004), hrsg. von Egon Lorenz (2004) Kommunikation und Recht kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Österreichisches Konsumentenschutzgesetz (1979) Körperschaftsteuergesetz Verordnung betreffend die Aufsicht über die Geschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung (Krankenversicherungsaufsichtsverordnung – KVAV) StGB, 29. Aufl. (2018) Versicherungsvertragsgesetz, 6. Aufl. (2019) (vormals Römer/Langheid) Münchener Kommentar Versicherungsvertragsgesetz: VVG; Band 1: §§ 1–99 VVG und VVG-InfoV, 2. Auflage (2016); Band 2: §§ 100–216 VVG, 2. Auflage (2017); Band 3: Nebengesetze, Systematische Darstellungen, 2. Auflage (2017) Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier/Möhring u.a. (zit. nach Paragraph u. Nummer) Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring VVG Versicherungsvertragsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2016) Sozialgesetzbuch VI: SGB VI. Gesetzliche Rentenversicherung. Lehr- und Praxiskommentar, hrsg. von Reinhardt/Silber, 5. Aufl. (2021) Leitsatz laut Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) (2001) Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LuganoÜbereinkommen)

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

Lutter/Hommelhoff/ Bearbeiter m. Martin SVR MAH Versicherungsrecht/ Bearbeiter Maunz/Dürig/Bearbeiter m.a.W. m.Bespr. MB/KK MB/KT MB/PPV MBUB MdB MDR MedR Meixner/Steinbeck missverst. m.krit.Anm. MMR MMW MontÜG Motive MÜ MüKoAktG/Bearbeiter MüKoBGB/Bearbeiter MüKoGmbHG MüKoInsO MüKoStGB/Bearbeiter MüKoStVR/Bearbeiter MüKoZPO/Bearbeiter MünchHdbGesR Musielak/Voit/Bearbeiter m.w.N. m.W.v. m.zust.Anm. N. Nachtr. Neuhaus n.F. Niederleithinger NJ NJOZ NJW NJWE-VHR NJW-RR

GmbH-Gesetz, Kommentar, 20. Aufl. (2020) mit Sachversicherungsrecht, Kommentar, 3. Aufl. (1992) Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, hrsg. von Höra, 4. Auflage (2017) Grundgesetz, Loseblatt-Kommentar, 94. EL (1/2021) mit anderen Worten mit Besprechung Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung Musterbedingungen für die private Pflegeversicherung Allgemeine Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen Mitglied des Bundestags Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl. (2011) missverständlich mit kritischer Anmerkung (von) MultiMedia und Recht Münchner Medizinische Wochenschrift Montrealer-Übereinkommen-Durchführungsgesetz vom 6.4.2004 Motive zum VVG, Nachdruck (1963) Montrealer Übereinkommen (Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von Goette/Habersack/Kalss, Band 2, 5. Aufl. (2019); Band 3, 4. Aufl. (2018) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Rebmann/Säcker/ Rixecker: Band 1, 8. Aufl. (2018), Band 5, 8. Aufl. (2020), Band 7, 8. Aufl. (2020) Münchener Kommentar zum Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, hrsg. von Fleischer/Goette, 3. Aufl. (2018) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. von Stürner/Eidenmüller/ Schoppmeyer, 4. Auflage (2019 ff.) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Joecks/Miebach, 3. Aufl. (2016 ff.), 4. Aufl. (2020 ff.) Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. von Bender/König, Bd. 1 (2016) Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, hrsg. von Rauscher/Wax/Wenzel, Band 1 und 2, 6. Aufl. (2020) Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 7: Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, 6. Aufl. (2020) Kommentar zur Zivilprozessordnung, 18. Aufl. (2021) mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom mit zustimmender Anmerkung Nachweise Nachtrag Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. (2020) neue Fassung Das neue VVG. Erläuterungen, Texte, Synopse (2007) Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Versicherungs-/Haftungsrecht NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht

XX

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

NK-BGB/Bearbeiter Nr. NStZ NTS-ZA NVersZ NVwZ NZA NZG NZI NZS NZV o. o.ä. ob.dict. Oetker/Bearbeiter ÖBGBl öffentl. o.g. ÖOGH OHG OLG OLGZ OVG OWiG Palandt/Bearbeiter PartGG PflVG PfP-Truppenstatut

PHi PKV polit. Präve/Bearbeiter ProdHM Prölss/Martin/Bearbeiter Prölss/Dreher/Bearbeiter PStG psych. PsyErkr.

PWW/Bearbeiter RAA RBerG RdA RdErl. RDG RdK RDV

XXI

NomosKommentar BGB, hrsg. von Dauner-Lieb/Heidel/Ring, 4. Aufl. (2014 ff.) (ehemaliger AnwaltKommentar BGB) Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Nato-Truppenstatut-Zusatzabkommen Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht oben oder ähnlich obiter dictum Handelsgesetzbuch, 7. Aufl. (2021) österreichisches Bundesgesetzblatt öffentlich oben genannt Österreichischer Oberster Gerichtshof Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen, einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl. (2020) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Pflichtversicherungsgesetz Übereinkommen zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen (PfP-Truppenstatut) Haftpflicht international (vormals Produkthaftpflicht international) Private Krankenversicherung Politisch Lebensversicherung, Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen der Lebensund der Rentenversicherung (2016) Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben Versicherungsvertragsgesetz, 31. Aufl. (2021) Versicherungsaufsichtsgesetz, hrsg. von Dreher, 13. Aufl. (2018) Personenstandsgesetz psychisch Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, hrsg. von Schneider/Henningsen/Dohrenbusch/Freyberger/Irle/Köllner/Widder, 2. Aufl. (2016) BGB-Kommentar, hrsg. von Prütting/Wegen/Weinreich, 16. Aufl. (2021) Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung Rechtsberatungsgesetz (bis 1962: Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung) Recht der Arbeit Runderlaß/Runderlass Rechtsdienstleistungsgesetz Das Recht des Kraftfahrers, Unabhängige Monatsschrift des Kraftverkehrsrechts (1926–43, 1949–55) Recht der Datenverarbeitung

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

RdW rechtspol. rechtsvergl. RefE

ReformG Reg. RegE RegBl. rel. RG RGBl. RGRK/Bearbeiter RGZ RHG RL Rn. Rom I-VO Rom II-Verordnung Römer/Langheid Rpfleger RpflG Rspr. RStBl. RT RTDrucks. RuS Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Bearbeiter RVerkBl. RVG RVO s. S. s.a. Sachs/Bearbeiter SB ScheckG SchiedsVZ Schimikowski Schmidt/Bearbeiter Schmidt/Lutter/Bearbeiter Schönke/Schröder/ Bearbeiter Schwintowski/ Brömmelmeyer/Bearbeiter Sen. Seuff. Arch. SF

Recht der Wirtschaft (Österreich) rechtspolitisch rechtsvergleichend Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts mit Begründung (nicht veröffentlicht; zitiert nach der vom BMJ online zur Verfügung gestellten PDF-Datei) Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) (siehe auch VVG-Reform 2008) Regierung Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (BTDrucks. 16/3945); siehe auch Ausschussbericht Regierungsblatt relativ Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsrätekommentar – Das Bürgerliche Gesetzbuch. Kommentar, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, 12. Aufl. (1975 ff.) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Reichshaftpflichtgesetz Richtlinie Randnummer(n) Rom I-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) Rom II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) siehe Langheid/Rixecker Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Reichssteuerblatt Reichstag Drucksachen des Reichstags Recht und Schaden Versicherungsvertragsgesetz Handkommentar, hrsg. von Rüffer/Halbach/ Schimikowski, 4. Aufl. (2020) Reichsverkehrsblatt Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Reichsversicherungsordnung siehe Satz, Seite siehe auch Grundgesetz, Kommentar, hrsg. von Sachs, 9. Aufl. (2021) Selbstbeteiligung Scheckgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren – German Arbitration Journal Versicherungsvertragsrecht, 6. Aufl. (2017) COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. (2021) Aktiengesetz, Kommentar, hrsg. von Schmidt/Lutter, 4. Aufl. (2020) Strafgesetzbuch, Kommentar, 30. Aufl. (2019) Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl. (2017) Senat Seuffert’s Archiv für die Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten, (8.1855) Schadensfreiheit

XXII

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

SGB I, IV, V, VIII, X, XI

SGb. SGG SGlN SkAufG s.o. Soergel/Bearbeiter sog. SP Späte/Schimikowski/ Bearbeiter spez. Spindler/Stilz/Bearbeiter SpV Stadler/Gail Staudinger/Bearbeiter Staudinger/Halm/Wendt/ Bearbeiter Stein/Jonas/Bearbeiter StGB Stiefel/Maier

StPO str. st.Rspr. StuR StVG StVj StVO SLVS SVS SVS/RVS StVZO s.u. SV SZ t TarifVO TB TDG Tit. TKG TranspR TumSchG TV Tz.

XXIII

I: Sozialgesetzbuch, Allg. Teil IV: Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung V: Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung VIII: Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe X: Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehung zu Dritten XI: Soziale Pflegeversicherung Sozialgerichtsbarkeit/Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgerichtsgesetz Sonderbedingungen für die gleitende Neuwertversicherung von Wohn-, Geschäftsund landwirtschaftlichen Gebäuden Streitkräfteaufenthaltsgesetz siehe oben Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. (2000 ff.) sogenannt(e) Schaden-Praxis Haftpflichtversicherung, 2. Aufl. (2015) speziell Aktiengesetz, 4. Aufl. (2019) Spektrum für Versicherungsrecht Die Kfz-Versicherung (2015) Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung (1993 ff.) Versicherungsrechtskommentar, 2. Aufl. (2017) Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23. Aufl. (2013 ff.) Strafgesetzbuch Kraftfahrtversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung – AKB sowie zu weiteren Gesetzes- und Regelwerken in der Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl. (2017) Strafprozessordnung strittig, streitig ständige Rechtsprechung Staat und Recht Straßenverkehrsgesetz Steuerliche Vierteljahresschrift Straßenverkehrsordnung Speditions-, Logistik- und Lagerversicherungsschein Speditions-Versicherungsschein Speditions- und Rollfuhr-Versicherungsschein Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Sachverhalt Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen Tonne Verordnung über die Tarife in der Kfz-Haftpflichtversicherung Tarifbestimmung Gesetz über die Nutzung von Telediensten Titel Telekommunikationsgesetz Transportrecht Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12.5.1920 Truppenvertrag Textzahl

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

u. u.a. u.ä. u.a.m. Üb. ÜbergangsAO Übk. ü.M. Ulmer/Brandner/Hensen/ Bearbeiter umstr. UmweltHM UN/UNO unv. u.ö. UrhG UStG USV usw. u.U. UWG VA VAG v.A.w. VD VE Veith/Gräfe/Gebert/ Bearbeiter VerBAV/VerBaFin

VerfGH VerglO Verh. VerkMitt vermitt. VersG VersAG VersArch VersM VersPrax, VP VersR VersRAI VersRdsch. VersStG VersVermV VersVG VersWissArch VersWiss. Stud.

unten unter anderem und ähnlich und anderes mehr Überblick, Übersicht Übergangsanordnung Übereinkommen überwiegende Meinung AGB-Recht, 12. Aufl. (2016) umstritten Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Versicherung der Haftpflicht wegen Schäden durch Umwelteinwirkung United Nations Organization (Vereinte Nationen) unveröffentlicht und öfter Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Umweltschadensversicherung und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung, ab 1947: … des Zonenamtes des Reichsaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (Hamburg) Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmungen (Versicherungsaufsichtsgesetz) von Amts wegen Verkehrsdienst Vorentwurf Versicherungsprozess, 4. Aufl. (2020) Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen, ab 1973: … des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, ab Mai 2002: VerBAFin = Veröffentlichungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Versicherungsbereich) Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Verkehrsrechtliche Mitteilungen vermittelnd Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsaktiengesellschaft Versicherungsarchiv Versicherungsmedizin Die Versicherungspraxis Versicherungsrecht, Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Versicherungsrecht, Beilage Ausland Versicherungsrundschau (Österreich) Versicherungsteuergesetz Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung österreichisches Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswissenschaftliches Archiv Versicherungswissenschaftliche Studien, hrsg. von Brömmelmeyer et. al.

XXIV

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

VerwArch. VG VGB VGB 2008, 2010 VGH vgl. VGS VHB

VHB 2008 VHV VN VO VOBl. VomVO vorangeh. Voraufl. Vorbem. vorgen. VRR VR VRS VU VuR VVaG VVG VVG-InfoV VVGE

VVG-Kommission VVGRefG bzw. VVG-Reform 2008 VVV VW VwGO VwV VwVfG VwVG VwZG Wandt WaffG weitergeh. WM Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Bearbeiter WRP WuM Wussow (Z) z.B. ZEuP

XXV

Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung von Wohngebäuden gegen Feuer-, Leitungswasser- und Sturmschäden Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vereinigter Großer Senat Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung des Hausrats gegen Feuer-, Einbruchdiebstahl-, Beraubungs-, Leitungswasser-, Sturm- und Glasbruchschäden/ Allgemeine Hausratversicherungsbedingungen Allgemeine Hausrat-Versicherungsbedingungen 2008 Verkehrshaftungsversicherung Versicherungsnehmer/in Verordnung Verordnungsblatt Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns vorangehend Vorauflage Vorbemerkung vorgenannt Verkehrsrechtliche Rundschau Versicherer Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts (zit. nach Band u. Seite) Versicherungsunternehmen Verbraucher und Recht Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen Entscheidungssammlung zum Versicherungsvertragsrecht (VVGE): Entscheidungen zum Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), hrsg. von Dietrich Müller Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) (siehe auch ReformG) Versicherungswissenschaft, Versicherungspraxis, insbesondere Versicherungsmedizin; später DVZ Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsvorschrift Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016) Waffengesetz weitergehend Wertpapier-Mitteilungen AGB-Recht, Kommentar, 7. Aufl. (2020) Wettbewerb in Recht und Praxis Wohnungswirtschaft und Mietrecht Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl. (2014) Entscheidung in Zivilsachen zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur

ZfRV ZfS/zfs ZfV ZGR Ziff. ZIP zit. ZMR Zöller/Bearbeiter ZollG ZPO ZRP ZSW z.T. ZusBedIT zusf. zust. ZustG zutr. z.V.b. ZVersWiss ZVG zw. zz. ZZP ZZPInt

Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht u. Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Miet- und Raumrecht ZPO – Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, 33. Aufl. (2020) Zollgesetz Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen zum Teil Zusatzbedingungen zur Betriebshaftpflichtversicherung für die Nutzer von InternetTechnologien zusammenfassend zustimmend Zustimmungsgesetz zutreffend zur Veröffentlichung bestimmt Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (zitiert nach Jahr und Seite) Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) zweifelhaft zurzeit Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

XXVI

Versicherungsvertragsgesetz Artikel 1 des Gesetzes vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631), in Kraft getreten am 1.1.2008, zuletzt geändert durch Art. 4 GesundheitsversorgungsweiterentwicklungsG vom 11.7.2021 (BGBl. I S. 2754)

Abschnitt 2 Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten § 19 Anzeigepflicht (1)

(2) (3)

(4)

(5)

(6)

1

Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. 2Stellt der Versicherer nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, aber vor Vertragsannahme Fragen im Sinn des Satzes 1, ist der Versicherungsnehmer auch insoweit zur Anzeige verpflichtet. Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten. 1 Das Rücktrittsrecht des Versicherers ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. 2In diesem Fall hat der Versicherer das Recht, den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu kündigen. 1 Das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht und sein Kündigungsrecht nach Absatz 3 Satz 2 sind ausgeschlossen, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte. 2Die anderen Bedingungen werden auf Verlangen des Versicherers rückwirkend, bei einer vom Versicherungsnehmer nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil. 1 Dem Versicherer stehen die Rechte nach den Absätzen 2 bis 4 nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. 2Die Rechte sind ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte. 1 Erhöht sich im Fall des Absatzes 4 Satz 2 durch eine Vertragsänderung die Prämie um mehr als zehn Prozent oder schließt der Versicherer die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. 2Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer in der Mitteilung auf dieses Recht hinzuweisen.

Schrifttum ab 2000 (ältere Literatur siehe Vorauflage) Armbrüster Abschließende Regelung der §§ 16 ff. VVG bei Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten, LMK 2007 223881; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers im VVG 2008 (2008); Baumann Zur Bedeutung von Gentests beim Abschluss von Lebens- und Krankenversicherungsverträgen, ZVersWiss 2002 169; Becker Rücktritt ohne Belehrung – kein Schutz für arglistige Versicherungsnehmer, VP 2014 84; Berberich Zur aktuellen Bedeutung genetischer Tests in der Privatversicherung, VW 1998 1190; Brandt Grenzen der vorvertraglichen Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers, VersR 2009 715; Britz Die vorvertragliche Anzeigepflicht in der Leistungsprüfung einer Lebensversicherung, VersR 2015 410; Buyten/Simon Gendiagnostik beim Abschluss privater 1 https://doi.org/10.1515/9783110522624-001

Rolfs

§ 19 VVG

Anzeigepflicht

Kranken- und Lebensversicherungsverträge, VersR 2003 813; Egger Auskunftspflicht und Schweigerecht in privater Berufsunfähigkeits- und Krankheitskostenversicherung, VersR 2012 810; ders. Die vorvertragliche Anzeigepflicht in der Leistungsprüfung einer Lebensversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung und Krankheitskostenversicherung, VersR 2015 1209; ders. Rechts(weg)verkürzung durch selektive Wahrnehmung – Zur Frage der Mitwirkungspflicht des VN zur Aufklärung vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzungen, VersR 2016 557; ders. Die Überprüfung der vorvertraglichen Anzeigepflicht im Rahmen der Leistungsprüfung anlässlich eines Versicherungsfalls – Divergenzen in der Rechtsprechung des IV. Zivilsenat des BGH, VersR 2017 785; Elsner Gesundheitsfragen in der Personenversicherung – der Joker der Versicherer, RuS 2019 62; Fenger Genmedizin und Haftungsrecht, VersR 2004 307; Fenger/Schöffski Gentests und Lebensversicherung: Juristische und ökonomische Aspekte, NVersZ 2000 449; Fricke Beweislast und Beweisführung bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht, VersR 2007 1614; Genenger Das neue Gendianostikgesetz, NJW 2010 113; Grote/Schneider VVG 2008: Das neue Versicherungsvertragsrecht, BB 2007 2689; Günther/Spielmann, Vollständige und teilweise Leistungsfreiheit nach dem VVG 2008 am Beispiel der Sachversicherung, RuS 2008 133 (Teil 1) und RuS 2008 177 (Teil 2); Harke Versicherungsvertragliche Anzeigepflichtverletzung und Garantiehaftung für culpa in contrahendo, ZVersWiss 2006 391; Heinemann Vorvertragliche Anzeigepflicht – Irreführung des Verbrauchers durch Gestaltung von Antragsformularen? VersR 1992 1319; Hellwig Informationsobliegenheiten des Versicherungsnehmers, PVR 2001 301; Huber Die vorvertragliche Anzeigepflicht in der Rückversicherung – Anmerkungen zu Theorie und Praxis, Liber amicorum für Gerrit Winter 2007 663; Karczewski Vorvertragliche Anzeigepflichten, §§ 19 ff. VVG n.F., §§ 16 ff. VVG a.F., RuS 2012 521; Katzenmeier/Arnade/Franck Gentests beim Abschluss von Kranken- und Lebensversicherungen, ZGMR 2004 139; Keinert Vorvertragliche Anzeigepflicht (1983); Knappmann Beteiligung von Ärzten beim Abschluss eines Versicherungsvertrags oder bei der Regulierung von Versicherungsfällen, VersR 2005 199; Klimke Anzeigepflichten des VN bei Abschluss einer Rückwärtsversicherung, VersR 2004 287; von Koppenfels-Spies Zum Verhältnis der sog. Nachfrageobliegenheit des Versicherers zur vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, ZfS 2004 489; Köther Die vorvertragliche Anzeigepflicht in der privaten Krankenversicherung, VersR 2016 831; Lange Die vorvertragliche Anzeigepflicht nach der VVG-Reform, RuS 2008 56; Langheid Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, NJW 2007 3665; ders. Erste Rechtsprechung zum reformierten VVG, NJW 2011 3265; Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Lensing Gendiagnostik in der Versicherungswirtschaft: Persönlichkeitsrecht versus unternehmerische Freiheit, VuR 2009 411; Leverenz, Anforderungen an eine „gesonderte Mitteilung“ nach dem VVG 2008, VersR 2008 709; Loacker Große Erwartungen oder: Vorvertragliche Informationspflichten und Verhältnismäßigkeit, Der Forschung – der Lehre – der Bildung. 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft und Versicherungswissenschaftlicher Verein in Hamburg e.V. 2016 189; Looschelders Aktuelle Probleme der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, VersR 2011 697; ders. Der Risikoausschluss bei vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzung – Auswirkungen auf die Rechtsstellung der VN und anderer Versicherter, VersR 2018 1413; Meyer-Reim/Testorf Wissenszurechnung im Versicherungsunternehmen, VersR 1994 1137; Morisse Vorvertragliche Anzeigepflicht und vertragliche Obliegenheit, NVersZ 2000 209; Neuhaus Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung im neuen VVG, RuS 2008 45; ders. Aktuelle Probleme in der Personenversicherung – unter besonderer Berücksichtigung der Berufsunfähigkeitsversicherung, RuS 2009 309; ders. Das Argument des „Vergessens“ bei der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, RuS 2011 273; ders. Vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung: Ausnahmen der „Auge-und-Ohr“-Wissenszurechnung, ZfS 2011 543; ders. Kenntnis und Textform der Antragsfragen bei der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, VersR 2012 1477; ders. Genetische Defekte und vorvertragliche Anzeigepflichten, ZfS 2013 64; ders. Anzeigepflichten bei Änderungen und Wieder-Inkraftsetzen des Versicherungsvertrages, RuS 2013 583; ders. Vorvertragliche Anzeigepflicht – Die „eigene“ Frage des Versicherers nach § 19 Abs. 1 VVG, VersR 2014 432; Nies Vorerkrankung und Ausschluss der Leistungspflicht des Versicherers in der AuslandsreiseKrankenversicherung, NVersZ 2001 535; Notthoff Anforderungen an die Belehrungspflicht aus § 19 Abs. 5 VVG, RuS 2016 61; Pohlmann Beweislast für das Verschulden des Versicherungsnehmers bei Obliegenheitsverletzungen, VersR 2008 437; Präve Das Gendiagnostikgesetz aus versicherungsrechtlicher Sicht, VersR 2009 857; Prölss Anzeigeobliegenheiten des Versicherungsnehmers bei Drohungen Dritter – Zugleich ein Beitrag zur Mitversicherung von Gefahrerhöhungen, NVersZ 2000 153; ders. Künftige Sanktionen der Verletzung von Obliegenheiten des Versicherungsnehmers – die Reform des § 6 VVG sowie der §§ 16 ff. und der §§ 23 ff VVG, ZVersWiss 2001 471; Reusch Wie weit reicht der Auge- und Ohr-Grundsatz, NVersZ 2000 120; ders. Die vorvertraglichen Anzeigepflichten im neuen VVG 2008, VersR 2007 1313; ders. Zu ausgewählten Problemen der VVG-Reform nach dem Referentenentwurf vom 13. März 2006 (Teil I), VersR 2006 740; Rolfs Die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit nach der Reform des VVG, Festschrift für Egon Lorenz 2014 389; Romahn Vorvertragliche Anzeigepflicht und Gesundheitsfragen – ein kritischer Blick auf die Gefahren des Antragsgesprächs für den Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der besonderen Rolle des Versicherungsvertreters, VersR 2015 1481; ders. Vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung und effektiver Schutz des Versicherungsnehmers (2020); Schäfers Das Verhältnis der vorvertraglichen Anzeigepflicht (§§ 19 ff. VVG) zur Culpa in contrahendo, VersR 2010 301; ders. Die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers und das allgeRolfs

2

VVG § 19

Übersicht

meine Leistungsstörungsrecht (2014); ders., Neue Entwicklungen zur spontanen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers – Zugleich Anmerkung zum Urteil des OLG Celle vom 9.11.2015 (8 U 101/15), VersR 2017, 989; Schimikowski Die vorvertragliche Anzeigepflicht – Ausgewählte Themen –, RuS 2009 353; Schürger Informationsobliegenheiten bzw. -pflichten von VN und VR bei jeweils bereits bestehender Kenntnis der anderen Partei, RuS 2021 196; Schwintowski Neuerungen im Versicherungsvertragsrecht, ZRP 2006 139; ders. Bemerkungen zur spontanen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers vor Vertragsschluss, VuR 2018 220; Tschersich Rechtsfragen der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung und der vertraglichen Obliegenheiten – Schwerpunkt: Die Hinweispflichten des Versicherers, RuS 2012 53; Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer (2005); Wagner/Rattay Die Belehrung nach § 19 Abs. 5 VVG – der grenzenlose Verbraucherschutz, VersR 2011 178; Wandt Anlasslose Auskunftsverlangen des Versicherers zur Überprüfung der Erfüllung der vorvertraglichen Anzeigepflicht im Versicherungsfall, VersR 2017 458; Washausen Der Gesundheitsdatenschutz im Privatversicherungsrecht (2016); Wegmann Obliegenheiten in der privaten Krankenversicherung (1997); Wussow Obliegenheiten in der privaten Unfallversicherung, VersR 2003 1481.

Übersicht Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Übergangsrecht zum VVG 2008

4

III. 1. 2.

Inhalt und Zweck der Regelung 6 Normzweck 7 Regelungsinhalt

6

IV. 1. 2. 3.

Anwendungsbereich 13 Sachlich 15 Zeitlich Vorläufige Deckung

B.

Anzeigeobliegenheit

I.

Voraussetzungen der Anzeigeobliegenheit (Ab19 satz 1) 19 Anzeigepflichtiger 26 Anzeigepflichtige Umstände 27 a) Frage des Versicherers aa) Auslegung von Fragen, unklare Fra28 gen 33 bb) Person des Fragestellers 34 cc) Textform 37 b) Gefahrumstände aa) Objektive Umstände: Personenversi38 cherung bb) Allgemeines Gleichbehandlungsge46 setz cc) Die Genomanalyse insbeson47 dere dd) Objektive Umstände: Sachversiche49 rung 51 ee) Subjektive Umstände 53 ff) Indizierende Umstände 55 c) Positive Kenntnis der Umstände 56 aa) Maßgebender Zeitpunkt

1. 2.

3

3.

57 bb) Gefahrumstände cc) Kenntnis und Kenntniszurech61 nung 63 d) Erheblichkeit der Umstände 67 Zeitpunkt der Anzeigeobliegenheit a) Bis zur Abgabe der Vertragserklä67 rung b) Bis zur Annahme durch den Versicherer 71 (Nachmeldepflicht; Absatz 1 Satz 2)

II. 1. 2. 3.

Erklärungsempfänger 74 Versicherer Versicherungsvermittler 77 Dritte

III.

Objektive Verletzung der Anzeigeobliegenheit 79 (Absatz 2) 79 Verstoß gegen die Anzeigeobliegenheit Nichtbeantwortung von Fragen, Streichun82 gen 85 Blankoerklärungen Missbräuchliche Berufung auf die Erfüllung der 87 Anzeigeobliegenheit

1

A.

1

13

17 19

1. 2. 3. 4.

74 75

IV. 1. 2.

91 Antragsprüfung Nachfrageobliegenheit des Versicherers Gewährung des Versicherungsschutzes

V.

Rücktrittsrecht des Versicherers (Absätze 2 97 bis 5) 98 Voraussetzungen a) Objektive Verletzung der Anzeigeobliegen98 heit b) Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit (Absatz 3 99 Satz 1) c) Keine Möglichkeit der Vertragsanpassung 108 (Absatz 4 Satz 1) d) Rechtsfolgenbelehrung (Absatz 5 114 Satz 1)

1.

91 95

Rolfs

§ 19 VVG

Anzeigepflicht

e)

2.

3. 4. 5. VI. 1. 2. 3. 4.

Keine positive Kenntnis des Versicherers von der Unrichtigkeit (Absatz 5 118 Satz 2) aa) Positive Kenntnis durch Abruf von Da120 tenbanken bb) Positive Kenntnis des Versicherungs123 agenten 124 f) Erklärung des Rücktritts 125 Rechtsfolgen 125 a) Wirkung 130 b) Umdeutung 131 Unberechtigter Rücktritt Sonderregelungen in einzelnen Versicherungs132 sparten 134 Konkurrenzen

3.

C.

Allgemeine Versicherungsbedingun164 gen

Kündigungsrecht des Versicherers (Absätze 3 136 bis 5) 137 Voraussetzungen 138 Kündigungsfrist 140 Rechtsfolgen Sonderregelungen in einzelnen Versicherungs143 sparten

I.

Allgemeines

II.

Erweiterung des Risikoausschlusses

III.

Form von Anzeigen und Erklärungen (§ 32 167 Satz 2)

IV.

Beweislastklauseln

D.

Darlegungs- und Beweislast

I.

Beweislast des Versicherers

II.

Beweislast des Versicherungsnehmers

VII. Vertragsanpassung (Absatz 4 Satz 2, Ab144 satz 6) 144 1. Allgemeines 147 2. Einzelne Anpassungsmöglichkeiten a) Leistungsausschlüsse und -beschränkun147 gen 150 b) Risikozuschläge

4.

5.

151 Zeitpunkt der Anpassung a) Ab Beginn des Versicherungsverhältnis151 ses b) Ab Beginn der laufenden Versicherungspe153 riode Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers 155 (Absatz 6) 157 a) Voraussetzungen 161 b) Hinweispflicht des Versicherers 162 c) Kündigungserklärungsfrist Sonderregelungen in einzelnen Versicherungs163 sparten

164 166

171 172 172 175

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Die Bestimmungen betreffend die Anzeigepflicht des VN und das Rücktrittsrecht des VR bei Verletzung dieser Pflicht waren ursprünglich in den §§ 16 und 17 beheimatet. Die Vorschriften waren seit Inkrafttreten des VVG am 1.1.1910 im Wesentlichen unverändert geblieben, lediglich die Sätze 2 und 3 des § 16 Abs. 1 hatten durch die VO vom 19.12.19391 ihre bis zum 31.12.2007 geltende Fassung gefunden. Die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts hat in ihrem Abschluss2 bericht die Zusammenfassung der bisherigen §§ 16 und 17 unter Einbeziehung von Teilen des alten § 18 (Schriftliche Fragen) und des bisherigen § 41 (Prämienverbesserung) vorgeschlagen. Dabei hat sie im Kern an der Anzeigepflicht des VN und dem Rücktrittsrecht des VR bei Verletzung dieser Pflicht festgehalten, jedoch eine Reihe von Modifikationen vorgeschlagen: Erstens soll der VN nur noch für solche ihm bekannten Umstände anzeigepflichtig sein, nach denen der VR in Textform gefragt hat. Zweitens soll maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfüllung der Anzeigepflicht nicht mehr der Vertragsschluss, sondern die auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung des VN sein. Der durchschnittliche VN gehe davon aus, dass er seiner Pflicht gegenüber dem VR nachgekommen ist, wenn er die ihm vorgelegten Fragen zum Zeitpunkt seiner 1 RGBl. I 2443. Rolfs

4

A. Einführung

VVG § 19

Antragstellung zutreffend beantwortet hat. Nur bei ausdrücklicher Nachfrage des VR müsse er auch solche Umstände mitteilen, die ihm zwischen der Abgabe seiner Vertragserklärung und der Annahme seitens des VR bekannt geworden sind. Drittens soll das im Grundsatz bestehen bleibende Rücktrittsrecht des VR zwei Einschränkungen erfahren, nämlich bei bloß einfacher Fahrlässigkeit des VN2 (dann kann der VR zwar mit Wirkung für die Zukunft kündigen, nicht aber zurücktreten) und für den Fall, dass der VR den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht richtig angezeigten Umstände – wenn auch zu anderen Bedingungen – abgeschlossen hätte; diese werden dann auf Verlangen des VR rückwirkend Vertragsinhalt, verbunden mit einem Sonderkündigungsrecht des VN.3 Der RegE VVGRefG ist dem Vorschlag der Reformkommission im Wesentlichen gefolgt. 3 Sachliche Änderungen betreffen v.a. Absatz 4 Satz 2 (die neuen Bedingungen werden nur auf Verlangen des VR rückwirkend, bei einer vom VN nicht zu vertretenden Pflichtverletzung zwingend erst ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil) und Absatz 6 Satz 1 (Sonderkündigungsrecht des VN schon bei einer Prämienerhöhung von mehr als 10 %, nicht erst bei mehr als 20 %). Auf die von der Kommission vorgeschlagene gesonderte Erwähnung arglistigen Verhaltens des VN wurde mit Blick auf § 22 verzichtet.4

II. Übergangsrecht zum VVG 2008 Das neue VVG ist am 1.1.2008 in Kraft getreten (Art. 12 Abs. 1 Satz 3 VVG-Reformgesetz). Es ist 4 daher unzweifelhaft dann anzuwenden, wenn der VN seine Vertragserklärung nach dem 31.12.2007 abgegeben hat. Fraglich ist allerdings, ob altes oder neues Recht Anwendung findet, wenn der VN seine auf den Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung noch vor dem 1.1.2008 abgegeben, der VR sie aber erst nach dem Jahreswechsel 2007/08 angenommen hat, sog. Interims-Verträge.5 Diese Frage kann insbesondere deshalb von Bedeutung sein, weil die Anzeigepflicht nach § 16 a.F. „bei der Schließung des Vertrages“, also bis zur Annahmeerklärung des VR auch dann bestand, wenn dieser nicht – nochmals – gesondert Fragen zu Gefahrumständen gestellt hatte. Da der Vertrag in diesen Fällen erst nach dem 31.12.2007 abgeschlossen wurde, kommt die einjährige Fortgeltung alten Rechts (Art. 1 Abs. 1 EGVVG) nicht in Betracht. Daher gilt: Der VN muss Gefahrumstände, die ihm bis zum 31.12.2007 bekannt geworden sind, auch ohne Nachfrage des VR mitteilen; bis zu diesem Zeitpunkt trifft ihn die erweiterte Anzeigepflicht des früheren Rechts noch voraussetzungslos. Gefahrumstände, von denen er erst ab dem 1.1.2008 Kenntnis erlangt hat, braucht er dagegen nur unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 2 n.F. anzuzeigen.6 Den VR trifft bei einem im Dezember 2007 beantragten und im Januar 2008 geschlossenen Versicherungsvertrag die Hinweispflicht nach Absatz 5 Satz 1.7 Auf Versicherungsverträge, die vor dem 1.1.2008 abgeschlossen worden sind, war im Jahre 5 2008 noch altes Recht anzuwenden (Art. 1 Abs. 1 EGVVG).8 Insoweit richtete sich das Rücktrittsrecht des VR und das Recht zur Prämienerhöhung bei unverschuldeter Verletzung der Anzeigeobliegenheit noch nach den bisherigen Bestimmungen (§§ 16 ff., 41 a.F.). Seit dem 1.1.2009 gilt aber auch für Altverträge neues Recht.9 Dies darf allerdings nicht so verstanden werden, 2 3 4 5 6

Kritisch dazu Prölss ZVersWiss 2001 471, 492. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, Ziff. 1.2.2.10.1. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64 ff. Neuhaus jurisPR-VersR 8/2012 Anm. 2. S.a. OLG Hamm 12.10.2012 – I-20 U 139/12, VersR 2013 437; wohl a.A. Funck VersR 2008 163, 168; Neuhaus jurisPRVersR 8/2012 Anm. 2; Schneider VersR 2008 859, 862. 7 LG Dortmund 24.5.2012 – 2 O 319/10, RuS 2012 429. 8 LG Dortmund 16.11.2009 – 2 S 27/09, VersR 2010 515; 28.12.2009 – 2 S 27/09, NJW-RR 2010 457; dazu Marlow VersR 2010 516. 9 LG Köln 7.10.2009 – 23 O 154/09, VersR 2010 199; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 5. 5

Rolfs

§ 19 VVG

Anzeigepflicht

dass ein Rücktritt dann auch in Bezug auf vor dem 1.1.2008 abgeschlossene Verträge nur noch in Betracht kommt, wenn der VR die Gefahrumstände in Textform erfragt und auf die Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung hingewiesen hatte. Denn insoweit ist der Sachverhalt (die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit und ggf. ihre Verletzung) abgeschlossen,10 eine Erstreckung des VVG 2008 auf diesen Sachverhalt hätte eine verfassungsrechtlich bedenkliche echte Rückwirkung11 zur Folge.12 Das Vorliegen einer Anzeigepflichtverletzung ist also weiter nach altem Recht zu beurteilen.13 Demgegenüber ist in Bezug auf die Rechtsfolgen, die an die Obliegenheitsverletzung des VN anknüpfen, ab dem 1.1.2009 auch für Altverträge neues Recht zu beachten;14 sog. Spaltungsmodell.15 Der VR darf also nicht schon bei leicht, sondern nur bei grob fahrlässiger Pflichtverletzung des VN zurücktreten, im Übrigen ist er auf das Kündigungsrecht des Absatzes 3 Satz 2 beschränkt. Rücktritts- wie Kündigungsrecht sind ausgeschlossen, wenn eine Anpassung des Vertrages möglich ist. Insoweit handelt es sich lediglich um eine tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung).16 Maßgebend ist, ob die Erklärung des VR dem VN noch bis zum 31.12.2008 oder erst danach zugegangen ist.

III. Inhalt und Zweck der Regelung 1. Normzweck 6 Für eine umfassende und zutreffende Einschätzung des zu übernehmenden Risikos benötigt der VR – je nach Art des Risikos mehr oder minder umfangreiche – Informationen aus der Sphäre des Antragstellers. Diese kann er sich häufig gar nicht oder jedenfalls nur mit erheblichem Aufwand und damit wesentlich schwerer als der Antragsteller selbst verschaffen. Sie sind aber erforderlich, um die Zuordnung des Antragstellers zu einer bestimmten Risikogruppe vornehmen, die Prämie zutreffend berechnen und ggf. Leistungsausschlüsse festlegen zu können.17 Der VR ist daher auf vollständige und wahrheitsgemäße Angaben des Antragstellers angewiesen. Zweck des § 19 ist es daher, die korrekte Beantwortung der Fragen des VR sicherzustellen und die fehlerhafte (unkorrekte und/oder unvollständige) Beantwortung in Abhängigkeit vom Maß des den Antragsteller treffenden Verschuldens zu sanktionieren. Die Vorschrift normiert eine gesetzliche Obliegenheit des Antragstellers und künftigen VN18 (§ 28 gilt nicht),19 sie wird 10 Funck VersR 2008 163, 168; Neuhaus RuS 2007 441, 442; ders. RuS 2008 45, 46. 11 Vgl. BVerfG 15.10.1996 BVerfGE 95 64, 86; 23.11.1999 BVerfGE 101 239, 263; 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109 133, 181; 27.9.2005 – 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114 258, 300.

12 KG 5.6.2012 – 6 U 150/11, VersR 2014 181. 13 Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 118; OLG Frankfurt/Main 16.2.2012 – 7 U 72/11, VersR 2012 1107; KG 5.6.2012 – 6 U 150/11, VersR 2014 181; OLG Stuttgart 31.3.2016 – 7 U 149/15, VersR 2016 1488; LG Köln 7.3.2012 – 26 O 237/11, VersR 2012 1108; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 5. 14 Funck VersR 2008 163, 168; Neuhaus RuS 2007 441, 446. 15 OLG Frankfurt/Main 16.2.2012 – 7 U 72/11, VersR 2012 1107; OLG Hamm 12.10.2012 – I-20 U 139/12, VersR 2013 437; LG Köln 7.3.2012 – 26 O 237/11, VersR 2012 1108; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 5. 16 Vgl. BVerfG 16.7.1985 BVerfGE 69 272, 309; 13.5.1986 BVerfGE 72 141, 154 f.; 18.2.1998 BVerfGE 97 271, 289; 24.3.1998 BVerfGE 97 378, 388 ff.; 23.11.1999 BVerfGE 101 239, 263; 22.5.2001 – 1 BvL 4/96, BVerfGE 103 392, 403; 9.12.2003 – 1 BvR 558/99, BVerfGE 109 96, 122. 17 BGH 9.12.1992 BGHZ 121 6, 10; 2.3.1994 VersR 1994 549; Bruns § 8 Rn. 14; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 1; Knappmann RuS 1996 81, 81; von Koppenfels-Spies ZfS 2004 489, 489; Langheid/Rixecker/ Langheid § 19 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 3; Neuhaus RuS 2008 45, 46; Wandt Rn. 815. 18 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64; von Koppenfels-Spies ZfS 2004 489, 489; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 1; Schimikowski RuS 2000 353, 357; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 511; Schürger RuS 2021 196, 197; ausführlich Harke ZVersWiss 2006 391, 392 ff., 410 ff. 19 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 60; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 2; a.A. OGH Wien 9.3.1999 VersR 2000 391; 31.7.2001 – 7 Ob 174/01, VersR 2003 226. Rolfs

6

A. Einführung

VVG § 19

ergänzt durch die Regelungen der §§ 20 bis 22 sowie die Vorschriften des BGB über die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§§ 123, 124, 142 BGB).

2. Regelungsinhalt Absatz 1 normiert Umfang und Zeitpunkt der Anzeigepflicht. Gegenüber der bis zum 31.12.2007 geltenden Rechtslage ergeben sich zwei Änderungen. Der Antragsteller muss grundsätzlich (d.h., solange ihm nicht arglistiges Verhalten i.S.v. § 22, § 123 BGB zur Last fällt) nur diejenigen ihm bekannten Umstände anzeigen, nach denen der VR in Textform gefragt hat.20 Das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand gefahrrelevant ist, liegt also beim VR, nicht mehr beim VN.21 Bezüglich des Zeitpunktes für die Erfüllung der Anzeigepflicht stellt Satz 1 nicht mehr auf den Vertragsabschluss, sondern auf die auf den Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung des VN ab.22 Eine erweiterte Anzeigepflicht auch für zwischen seiner Vertragserklärung und derjenigen des VR bekannt gewordene Umstände trifft den VN nur, wenn der VR vor Vertragsannahme die in Satz 1 umschriebenen Fragen in Textform wiederholt oder auch erstmalig stellt. Absatz 2 trifft die Grundsatzbestimmung über die Rechtsfolge einer Anzeigepflichtverletzung des VN: Der VR kann vom Vertrag zurücktreten.23 Durch den Rücktritt, der gegenüber dem VN zu erklären ist (vgl. § 349 BGB), wird der Vertrag ex tunc beseitigt.24 Die Bedingungen für die Ausübung des Rücktrittsrechts sind in § 21 sowie bezüglich der Prämie in § 39 Abs. 1 Satz 2 geregelt. Im Übrigen bestimmen sich die Wirkungen des Rücktrittes nach § 346 BGB. Eine erste Einschränkung des Rücktrittsrechts normiert Absatz 3, der zugleich vom früheren § 16 Abs. 3 inhaltlich zugunsten des VN abweicht: Das Rücktrittsrecht des VR ist ausgeschlossen, wenn der VN seine Anzeigepflicht schuldlos oder – insoweit neu – nur mit einfacher Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB) verletzt hat. Der Gesetzgeber hielt auch bei leichter Fahrlässigkeit eine so weit reichende Sanktion, wie sie das Rücktrittsrecht darstellt, nicht für gerechtfertigt.25 Ist das Rücktrittsrecht ausgeschlossen, weil der VN die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat, muss der VR vorrangig eine Vertragsanpassung nach Absatz 4 in Erwägung ziehen.26 Nur wenn eine solche nicht möglich ist, kann der VR nach Absatz 3 Satz 2 den Vertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat mit Wirkung für die Zukunft beenden. Eine zweite Einschränkung für das Rücktrittsrecht statuiert Absatz 4, der zugleich das Kündigungsrecht des VR nach Absatz 3 Satz 2 beschränkt.27 Hätte der VR den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen, kann der VR sich weder mit ex-tunc- noch mit ex-nunc-Wirkung vom Vertrag lösen.28 Vielmehr ist der Versicherungsvertrag an das tatsächliche Risiko anzupassen. Die Bedingungen, zu denen der VR in Kenntnis der nicht angezeigten Umstände den Vertrag geschlossen hätte, werden auf Verlangen des VR rückwirkend, bei einer vom VN nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil. Nur bei einer vorsätzlichen Anzeigepflichtverletzung durch den VN bleibt dem VR das Rücktrittsrecht erhalten; ihm kann nicht zugemutet werden, an einem Vertrag mit einem VN festgehalten zu werden, der seine Pflicht nach Absatz 1 bewusst verletzt hat. 20 21 22 23 24 25 26 27 28 7

Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 19. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2692; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 19. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 47; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 20. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 2. Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 7. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 2. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 137. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 2. Rolfs

7

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10

§ 19 VVG

Anzeigepflicht

Zum Schutz des VN wird in Absatz 5 Satz 1 der VR verpflichtet, den VN über die Folgen einer Verletzung seiner Anzeigepflicht nach Absatz 1 durch eine gesonderte Mitteilung in Textform zu belehren.29 Die Belehrung muss so rechtzeitig vor Vertragsschluss erfolgen, dass der VN seine Anzeigepflicht noch erfüllen kann. Unterlässt der VR diese Belehrung, kann er sich auf die Pflichtverletzung des VN nicht berufen. Kannte der VR den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige, sind seine Rechte nach den Absätzen 2 bis 4 trotz der Anzeigepflichtverletzung des VN ausgeschlossen. Absatz 6 räumt dem VN ein Sonderkündigungsrecht für den Fall ein, dass sich durch die 12 Vertragsanpassung nach Absatz 4 Satz 2 die Prämie um mehr als 10 % erhöht oder die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand ausgeschlossen wird.30 Unter diesen Umständen ist es dem VN nicht zumutbar, am Vertrag festhalten zu müssen (vgl. auch § 40). Die Kündigung lässt die sich aus dem geänderten Vertrag ergebenden Verpflichtungen des VN für die Vergangenheit unberührt, da die Anpassung mit ex-tunc-Wirkung erfolgt. Über das Kündigungsrecht hat der VR den VN zu belehren. 11

IV. Anwendungsbereich 1. Sachlich 13 Die Vorschrift gilt für alle Versicherungssparten mit Ausnahme der Rückversicherung und der Seeversicherung (§ 209).31 In der Transportversicherung ist abweichend von Absatz 2 das Rücktrittsrecht des VR ausge14 schlossen und durch ein Kündigungs- und Leistungsverweigerungsrecht ersetzt (§ 131). Ähnliches gilt für die laufende Versicherung (§ 56). In der Lebensversicherung hat eine unrichtige Altersangabe des VN ein Rücktrittsrecht des VR nur dann zur Folge, wenn er bei korrekter Altersangabe den Vertrag nicht abgeschlossen hätte; im Übrigen wird die Leistung des VR im Verhältnis des angezeigten zum tatsächlichen Alter des VN angepasst (§ 157).32 Dasselbe gilt für die Berufsunfähigkeitsversicherung (§ 176 i.V.m. § 157). § 19 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 ist in der Krankenversicherung nicht anzuwenden, wenn der VN die Verletzung der Anzeigepflicht nicht zu vertreten hat (§ 194 Abs. 1 Satz 3). Für die Rückwärtsversicherung trifft § 2 Abs. 2 und 3 ergänzende Bestimmungen.33

2. Zeitlich 15 Die Anzeigeobliegenheit besteht bis zur Abgabe der Vertragserklärung durch den VN, in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 bis zur Vertragsannahme seitens des VR. Mit diesem Zeitpunkt endet sie. Bei späteren Vertragsänderungen ist zu differenzieren: Sind sie bereits im Ausgangsvertrag angelegt, weil dort z.B. vereinbart ist, dass sich die Leistungen des VR und die Prämien während der Laufzeit des Vertrages erhöhen, lösen sie keine erneute Anzeigepflicht aus.34 Werden sie dagegen selbständig vereinbart, indem z.B. neue oder erhöhte Gefahren in den Deckungsschutz einbezogen,35 die Versicherungssumme erhöht,36 eine gewöhnliche Versicherung in eine solche auf ers29 30 31 32 33 34 35 36

Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 8. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 2. Vgl. Grote/Schneider BB 2007 2689, 2689. Langheid/Wandt/Heiss § 157 Rn. 16. Ausführlich Klimke VersR 2004 287, 288 ff.; vgl. auch BGH 21.3.1990 BGHZ 111 29, 35 f.; 21.3.1990 BGHZ 111 44, 51. Römer RuS 1998 45, 46 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 51. Zum Umfang der erforderlichen Gefahrerhöhung OLG Hamm 11.11.1998 VersR 1999 1409. BGH 9.12.1992 BGHZ 121 6, 8; diff. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 51; a.A. OGH Wien 15.6.1989 VersR 1990 549.

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A. Einführung

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tes Risiko umgewandelt37 oder eine beitragsfrei gestellte Versicherung wieder in Kraft gesetzt wird,38 lösen sie die Anzeigepflicht erneut aus, wenn sie zu einer Erweiterung der Verpflichtung des VR führen.39 Dies gilt auch bei Wegfall eines ursprünglich vereinbarten Risikoausschlusses.40 Die Rechte des § 19 Abs. 2 bis 4 stehen dem VR nur in Bezug auf die Vertragsänderung zu; ein Rücktritt vom Ausgangsvertrag ist ausgeschlossen, wenn der VN nicht auch insoweit seine Obliegenheiten verletzt hat.41 Bleiben die Verpflichtungen des VR durch die Vertragsänderung unverändert oder werden sie bei unveränderter Prämie sogar reduziert,42 weil beispielsweise die vertragliche Laufzeit verkürzt oder die bisherige Versicherungssumme vermindert wird, kann es keine neuen Umstände geben, die geeignet sind, auf den Entschluss des VR Einfluss zu nehmen. Eine erneute Anzeigepflicht besteht dann nicht.43 Ermittelt der VR mithilfe sog. „Renewal-Fragebögen“ während der Vertragslaufzeit das Risiko zur Berechnung der Prämie für die nächste Versicherungsperiode, besteht keine Anzeigepflicht nach § 19, da gerade keine vorvertragliche Situation besteht. Eine etwaige Falschauskunft stellt also vielmehr eine Pflichtverletzung des laufenden Versicherungsvertrages dar, die den VR zu Schadensersatz berechtigen kann.44 Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn eine Vertragsverlängerung verein- 16 bart werden soll.45 Während im Ausgangsvertrag bereits angelegte Verlängerungen (z.B. solche, die stillschweigend zustande kommen, wenn nicht einer der Vertragspartner ihnen rechtzeitig widerspricht) keine erneute Anzeigeobliegenheit auslösen, sind die §§ 19 bis 22 bei selbständigen Anschlussverträgen selbst dann erneut zu beachten, wenn der Vertrag im Übrigen unverändert fortgesetzt wird.46 Von einem solchen selbständigen Anschlussvertrag ist z.B. auszugehen, wenn es sich um einen Neuabschluss nach Beendigung oder Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung handelt.47 Dagegen führt die Wiederaufnahme einer ruhenden Versicherung nicht zur erneuten Anzeigeobliegenheit.48

3. Vorläufige Deckung Grundsätzlich gelten die §§ 19 bis 22 auch für die vorläufige Deckung (§§ 49 ff.).49 Allerdings 17 bedarf es im Einzelfall der genauen Prüfung, ob die Fragen des VR (nur) in Bezug auf den Abschluss des Hauptvertrages gestellt worden waren oder ob sie sich (zugleich oder allein) auf den Vertrag über die vorläufige Deckung des Risikos bezogen. Wird die vorläufige Deckung – 37 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 106. 38 OLG Karlsruhe 19.10.1995 RuS 1996 286. 39 BGH 16.10.1991 VersR 1991 1397; 9.12.1992 BGHZ 121 6, 9; 23.6.1993 VersR 1994 39; OLG Karlsruhe 29.8.1991 VersR 1992 1250; KG 21.9.2010 – 6 U 8/10, VersR 2011 993; OLG Hamm 3.4.2020 – 20 U 37/20, VersR 2021 238; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 51. 40 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 51. 41 OLG Saarbrücken 16.5.2007 – 5 U 590/06, VersR 2007 1681; a.A. LG Hannover 18.10.1990 VersR 1991 1281 (beide zu § 22 VVG). 42 Anders, wenn auch die Prämie sinkt: OLG Karlsruhe 7.7.1988 VersR 1990 781. 43 BGH 9.12.1992 BGHZ 121 6, 9; 23.6.1993 VersR 1994 39; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 51; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 54; Neuhaus RuS 2013 583, 584. 44 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 51; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 117; a.A. Neuhaus RuS 2013 583, 585. 45 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 105. 46 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 52. 47 BGH 23.6.1993 VersR 1994 39; OLG Karlsruhe 29.8.1991 VersR 1992 1250; OLG Köln 9.1.1992 VersR 1992 1252; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 52; Neuhaus RuS 2013 583, 585 f. 48 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 52; Neuhaus RuS 2013 583, 585. 49 OLG Saarbrücken 12.3.2003 – 5 U 460/01, VersR 2004 50; OLG Karlsruhe 20.7.2006 – 12 U 86/06, RuS 2006 414; LG Münster 7.4.2003 – 15 O 466/02, VersR 2004 106; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 56; a.A. OLG Köln 23.10.1996 RuS 1997 211; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 50. 9

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wie häufig – ohne jede vorhergehende Prüfung des Risikos pauschal erteilt, besteht auch keine Anzeigeobliegenheit, weil es dann keine Umstände gibt, „die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind“ (§ 19 Abs. 1 Satz 1).50 Eine etwaige den Hauptvertrag betreffende Verletzung des § 19 Abs. 1 durch den VN bleibt dann für die vorläufige Deckung ohne Belang. 18 Umstände, die der VN bereits im Zusammenhang mit dem vorläufigen Deckungsschutz angezeigt hat, sind dem VR bekannt und berechtigen ihn daher weder zum Rücktritt noch zur Kündigung noch zur Anpassung des Hauptvertrages (§ 19 Abs. 5 Satz 2). Legen die Umstände es nahe, dass im Zusammenhang mit dem Antrag auf Gewährung vorläufiger Deckung mitgeteilte Gefahrumstände zwischenzeitlich entfallen sein könnten, trifft den VR eine Nachfrageobliegenheit, wenn der VN sie vor Abschluss des Hauptvertrages nicht erneut anzeigt.51

B. Anzeigeobliegenheit I. Voraussetzungen der Anzeigeobliegenheit (Absatz 1) 1. Anzeigepflichtiger 19 Anzeigepflichtig ist der (künftige) VN, also derjenige, der Partei des Versicherungsvertrages werden soll. Es liegt in seiner primären Verantwortung, die vom VR gestellten Risikofragen zutreffend zu beantworten. Stehen auf der Seite des VN mehrere Personen, so ist jede einzelne von ihnen anzeigepflichtig;52 allerdings bleibt eine Verletzung dieser Obliegenheit durch einzelne VN wegen § 19 Abs. 5 Satz 2 folgenlos, wenn sie von anderen erfüllt wird.53 Ist der VN eine juristische Person, eine Personenhandelsgesellschaft oder wird der VN gesetzlich vertreten, trifft die Anzeigepflicht deren gesetzlichen Vertreter (jeden von ihnen, also z.B. beide Elternteile des minderjährigen Kindes54 oder alle Geschäftsführer der GmbH). Handelt für den VN dessen gewillkürter Vertreter, so ist dieser anzeigepflichtig. Wegen 20 § 20 ist aber abweichend von § 166 BGB stets auch die Kenntnis und die etwaige Arglist des VN zu berücksichtigen (näher § 20 Rn. 11 ff.). Der VN steht ferner für seine Repräsentanten ein.55 Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des VN getreten ist56 bzw. zu treten beabsichtigt. Auf diese Weise wird verhindert, dass sich derjenige, in dessen wirtschaftlichem Interesse der Abschluss der Versicherung liegt und der lediglich aus formalen Gründen den Vertrag nicht selbst abschließt, sondern durch einen Dritten eingehen lässt, der Anzeigepflicht entziehen kann. Repräsentant kann nach neuerer Rechtsprechung nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den VN zu handeln (Risikoverwaltung).57 Es braucht aber nicht noch hinzuzutreten, dass der Dritte auch Rechte und

50 OLG Saarbrücken 12.3.2003 – 5 U 460/01, VersR 2004 50; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 54. 51 Vgl. BGH 2.3.1994 VersR 1994 549; 7.2.1996 VersR 1996 486. 52 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 61; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 46; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 22. 53 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 61; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 11. 54 Vgl. OLG Dresden 31.1.2006 – 4 U 2298/05, VersR 2006 1526. 55 Bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht nicht von Bedeutung: Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 16. 56 BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250, 252 f.; 14.3.2007 – IV ZR 102/03, BGHZ 171 304, 307; dazu Staudinger NJW 2007 2040 f.; OLG Köln 6.12.1990 VersR 1991 533; Knappmann NJW 1994 3147, 3148; ders. VersR 1997 261, 262; zum Repräsentantenbegriff und seiner Entwicklung: Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 99; Langheid/Rixecker/Langheid § 81 Rn. 19 ff. 57 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 43 f. Rolfs

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Pflichten aus dem Versicherungsvertrag wahrzunehmen hat.58 Soll der Dritte aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses die Verwaltung des Versicherungsvertrages allerdings eigenverantwortlich ausüben, kann dies unabhängig von einer (beabsichtigten) Übergabe der versicherten Sache für seine Repräsentantenstellung sprechen.59 Anzeigepflichtig sind ferner Wissenserklärungsvertreter des (künftigen) VN.60 Es ent- 21 spricht ständiger Rechtsprechung des BGH und herrschender Literatur, dass sich der VN falsche Angaben dritter Personen in analoger Anwendung des § 166 BGB zurechnen lassen muss, wenn er diese Personen zur Erfüllung seiner Aufklärungsobliegenheit beauftragt hat.61 Bei dieser Haftung für einen Wissenserklärungsvertreter handelt es sich um keinen Anwendungsfall der Repräsentantenhaftung, sondern um eine Haftung kraft eigenen Zurechnungsgrundes. Wissenserklärungsvertreter ist nicht nur, wer vom VN zu dessen rechtsgeschäftlichem Vertreter bestellt ist. Es genügt, dass der VN den Dritten mit der Erfüllung seiner Obliegenheiten gegenüber dem VR betraut hat und dass der Dritte die Erklärungen anstelle des VN abgibt. Ob dieser Dritte die Erklärung aus eigenem Wissen abgibt oder ob er den Inhalt der Erklärung vom VN mitgeteilt bekommen hat, ist unerheblich.62 Erst in der Übertragung bestimmter Aufgaben liegt – wenn zu ihnen die Abgabe von Erklärungen gegenüber dem VR gehören – der Grund, weshalb es gerechtfertigt ist, diese Erklärungen des Dritten dem VN zuzurechnen.63 Vom Wissenserklärungsvertreter zu unterscheiden ist der bloße Gehilfe beim Ausfüllen 22 des Antragsformulars: Derjenige, der das Formular eigenhändig ausfüllt, ist nicht Wissenserklärungsvertreter, wenn der VN es anschließend eigenhändig unterschreibt.64 In einem solchen Falle verletzt der VN selbst (objektiv) seine Anzeigepflicht, wenn die Angaben unvollständig oder falsch sind, und zwar unabhängig davon, ob der Dritte Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben hat oder nicht.65 Welches Maß an Verschulden dem VN zur Last fällt, ist eine Frage des Einzelfalls. Dasselbe gilt, wenn er das Formular blanko unterzeichnet und es anschließend von dem Dritten ausfüllen lässt (dazu näher Rn. 85 f.).66 Darüber hinaus wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, der VN hafte gene- 23 rell gemäß oder analog § 278 BGB, wenn der Dritte damit betraut war, dem VN bekannte Umstände dem VR mitzuteilen.67 Dem könnte nur beigetreten werden, wenn der VN die Erklärungen i.S.d. § 19 „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit“ aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB) abzugeben hätte. Dies aber wird von der ganz h.M. zu Recht verneint.68 Der VR kann vom VN vorvertraglich weder die Erfüllung der Anzeigepflicht verlangen noch kann er Schadensersatz im Falle ihrer Verletzung fordern. Er ist darauf beschränkt, den Vertragsabschluss bei unvollständigen Angaben abzulehnen oder im Falle unrich58 BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250, 253, insoweit unter Aufgabe von BGH 17.12.1964 VersR 1965 149; 27.2.1964 VersR 1964 475; 24.2.1986 VersR 1986 696; 26.4.1989 BGHZ 107 229, 231; ferner Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 102. 59 BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250, 253; näher Römer NZV 1993 249, 250 ff. 60 S.a. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 80. 61 BGH 19.1.1967 VersR 1967 343; 30.4.1981 VersR 1981 948; 2.6.1993 BGHZ 122 388, 389; Knappmann VersR 1997 261, 265; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 43; Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 50 ff.; zu einem Wissenserklärungsvertreter des VN, der zugleich Agent des VR ist, vgl. OLG Dresden 31.1.2006 – 4 U 298/05, VersR 2006 1526. 62 OLG Hamm 31.5.1996 NJW-RR 1997 91; Knappmann VersR 1997 261, 265; a.A. Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 46 ff. 63 BGH 2.6.1993 BGHZ 122 388, 389; Knappmann NJW 1994 3147, 3148. 64 BGH 14.12.1994 BGHZ 128 167, 169; Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 51; a.A. OLG Stuttgart 24.6.1975 VersR 1979 366. 65 OLG Frankfurt/Main 28.7.1998 NVersZ 1998 114. 66 OLG Hamm 1.12.1999 VersR 2000 1135. 67 LG Stuttgart 30.12.1998 RuS 1999 298; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 62. 68 BGH 25.11.1953 BGHZ 11, 120, 122 f.; 8.1.1981 VersR 1981 321; 30.4.1981 VersR 1981 948; 14.12.1994 BGHZ 128 167, 169; Knappmann NJW 1994 3147, 3147; ders. VersR 1997 261, 262; Looschelders VersR 1999 666, 670; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 273; Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 38. 11

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tiger Angaben seine Rechte aus § 19 Abs. 2 bis 5 geltend zu machen. Eine allgemeine Zurechnung des Verhaltens von Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB kommt daher nicht in Betracht. 24 Nicht verantwortlich ist der VN für das Verhalten von Personen, die vom VR in die Anbahnung des Vertragsverhältnisses eingeschaltet worden sind. Hat beispielsweise ein vom VR mit der Gesundheitsuntersuchung des VN beauftragter Arzt eine unzutreffende Diagnose erstellt, so handelt es sich dabei nicht um eine dem Antragsteller und künftigen VN zurechenbare Erklärung bzw. Fragebeantwortung im Rahmen der Antragstellung.69 Ein Rücktritt des VR scheidet damit aus. Ob bei der Versicherung für fremde Rechnung nach § 47 neben dem VN auch der Versi25 cherte anzeigepflichtig ist, ist zweifelhaft. Das Gesetz ordnet lediglich an, dass auch die Kenntnis und das Verhalten des Versicherten zu berücksichtigen sind, soweit die Kenntnis und das Verhalten des VN von rechtlicher Bedeutung sind. Es geht also in erster Linie (nur) um Kenntniszurechnung.70 Der BGH ist darüber aber hinweggegangen und hat gemeint, es sei Sache des Versicherten, dafür zu sorgen, dass seine Kenntnis von den Gefahrumständen entweder unmittelbar durch ihn oder über den VN an den künftigen VR gelange. Insoweit sei die Kenntnis des Versicherten von den gefahrerheblichen Umständen dem VN nach § 47 Abs. 1 zuzurechnen.71 Darauf, ob der Versicherte den Versicherungsantrag selbst mit unterzeichnet und sich rechtsgeschäftlich binden will, kommt es danach nicht an.72 Auch das Schrifttum geht teilweise von einer eigenen Anzeigepflicht des Versicherten neben dem VN aus.73 Hierfür wird aber überwiegend für erforderlich erachtet, dass der VR seine Fragen (auch) an den Versicherten richtet.74 Dasselbe gilt in der Lebens- (§ 156), in der Berufsunfähigkeits- (§ 176 i.V.m. § 156), in der Unfall- (§ 179 Abs. 3) und in der Krankenversicherung (§ 193 Abs. 2), wenn diese auf die Person eines anderen genommen worden ist.

2. Anzeigepflichtige Umstände 26 Der Umfang der Anzeigepflicht ist durch die Reform des VVG zum 1.1.2008 modifiziert worden. Nach § 16 Abs. 1 a.F. musste der VN grundsätzlich alle ihm bekannten und für den Vertragsentschluss des VR erheblichen Gefahrumstände anzeigen; nur wenn der VR schriftliche Fragen gestellt hatte, konnte der VN sich bis zur Grenze der arglistigen Täuschung auf deren Beantwortung beschränken (§ 18 Abs. 2 a.F.). Nach Auffassung des Reformgesetzgebers berücksichtigte die frühere Regelung nicht hinreichend die berechtigten Interessen des VN. Die Verpflichtung, alle ihm bekannten Umstände, die für die Gefahrübernahme erheblich sind, dem VR anzuzeigen, bürde ihm ein unangemessenes Risiko auf. Die Beurteilung, ob ein Umstand gefahrerheblich ist, sei für den VN unter Umständen sehr schwierig. Daher liege eine wichtige Neuerung darin, dass der VN nunmehr grundsätzlich nur solche ihm bekannten Umstände anzeigen muss, nach denen der VR in Textform gefragt hat. Die Nachfrage nach einem bestimmten Umstand spreche dafür, dass dieser Umstand für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sei. Er müsse aber auch objektiv erheblich sein; dies werde z.B. bei Nachfragen, die sich auf einen sehr lange zurückliegenden Zeitraum beziehen, in der Regel zu verneinen sein. Das Verschweigen eines gefahrerheblichen Umstandes, den der VR

69 BGH 8.3.1989 NJW-RR 1989 675; 10.5.2017 – IV ZR 30/16, VersR 2017 937. 70 A.A. Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 180; Wegmann Obliegenheiten in der privaten Krankenversicherung, S. 108. 71 BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404; a.A. Lange VersR 2006 605, 606. 72 A.A. OLG Köln 11.10.1982 VersR 1983 772. 73 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 40; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 11. 74 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 61; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 46; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 11. Rolfs

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nicht oder nur mündlich nachgefragt hat, könne (nur) bei Arglist des VN ein Anfechtungsrecht des VR nach § 123 BGB begründen (§ 22).75

a) Frage des Versicherers. Nach der Systematik des § 19 Abs. 1 hat am Anfang der Prüfung 27 zu stehen, wonach der VR (in Textform, dazu Rn. 34 ff.) gefragt hat. Anders als nach § 16 a.F. existiert nämlich – bis zur Grenze der arglistigen Täuschung des VR (§ 22 i.V.m. § 123 BGB, dazu § 22 Rn. 10 f.)76 – keine Obliegenheit des Antragstellers mehr, dem VR auch ungefragt Umstände irgendwelcher Art anzuzeigen.77 Ob ein Umstand ein „Gefahrumstand“ ist, ob der VN ihn gekannt hat und ob er für den Entschluss des VR, den Vertrag mit diesem Inhalt abzuschließen, erheblich ist, bedarf erst dann der Beurteilung, wenn feststeht, dass der VR überhaupt nach ihm gefragt hat.78

aa) Auslegung von Fragen, unklare Fragen. Wenn das Gesetz verlangt, dass der VR nach 28 dem Umstand gefragt hat, so bedeutet dies nicht, dass er bei seiner Formulierung zwingend die Frageform benutzt hat. Vielmehr reicht es z.B., wenn ein Raum unter einer Rubrik auszufüllen ist.79 Keine „Frage“ stellt es demgegenüber dar, wenn der Antragsteller lediglich eine vorgedruckte Erklärung, etwa des Inhalts, dass ihm keine Krankheiten bekannt seien, zu unterschreiben hatte80 oder wenn im Zuge der Antragstellung auf Abschluss eines Versicherungsvertrages der Versicherungsvertreter das Formular, in dem der VR Fragen nach Gefahrumständen stellt, eigenmächtig ohne Rückfragen an den VN ausgefüllt und ihm das Formular anschließend lediglich zur Unterschrift und nicht auch zur Durchsicht vorgelegt, weil dann die Formularfragen gar nicht zur Kenntnis des VN gelangt sind.81 An der Frage fehlt es auch dann, wenn einem VN im Zuge der Verhandlungen über den Abschluss eines Versicherungsvertrages von dem die Eintragungen im Antragsformular des VR vornehmenden Vertreter ein komplizierter Fragenkatalog, der sich erst bei sorgfältiger, gegebenenfalls wiederholter Lektüre dem Verständnis eines VN erschließt, nur vorgelesen worden ist82 oder wenn der VR nicht nach konkreten Tatsachen, sondern unspezifisch nach „Umständen“ gefragt hat, die „zu einem Schadensereignis führen können“.83 Dafür, wie die Formularfragen zu verstehen sind, ist die Verständnismöglichkeit eines 29 verständigen VN maßgeblich,84 sie darf nicht zu niedrig angesetzt werden.85 Sprachunkundige Ausländer müssen sich den Fragetext nötigenfalls ebenso übersetzen lassen wie Blinde oder

75 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 155; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 17; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 10. 76 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 54. 77 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 34; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2692; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 15; Langheid NJW 2007 3665, 3667; Reusch VersR 2007 1313, 1321; Schwintowski VuR 2018 220, 220; zur Rechtslage in Österreich OGH Wien 13.11.2013 – 7 OB 170/13 w, VersR 2014 650; 25.1.2017 – 7 OB 209/16 k, VersR 2017 1299; 21.11.2018 – 7 Ob 159/18 k, VersR 2020 126. 78 OLG Düsseldorf 29.6.2009 – I-4 W 20/09, VersR 2010 663; LG Offenburg 21.2.2020 – 2 S 6/18, BeckRS 2020 16669. 79 S.a. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 40. 80 RG 18.10.1927 RGZ 118 217, 217 f. 81 BGH 13.3.1991 VersR 1991 575; 24.11.2010 – IV ZR 252/08, VersR 2011 338; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 56; Neuhaus VersR 2012 1477, 1480. 82 BGH 11.7.1990 VersR 1990 1002; OLG Karlsruhe 19.12.1990 VersR 1991 988; OLG Stuttgart 15.2.2007 – 10 U 168/ 06, VersR 2008 197; Neuhaus VersR 2012 1477, 1479; diff. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 52. 83 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 36; vgl. auch OLG Frankfurt/Main 14.5.1974 VersR 1975 632. 84 BGH 16.6.1982 VersR 1982 841; 15.6.1983 VersR 1983 850; 26.10.1988 RuS 1989 5; Römer RuS 1998 45, 46. 85 OLG Nürnberg 30.8.1979 VersR 1980 36; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 76. 13

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

Analphabeten,86 die Hinderungsgründe sind allenfalls beim Maß des Verschuldens (Rn. 102) zu berücksichtigen. Bestehen hinsichtlich des genauen Inhalts der gestellten Frage Zweifel, bedarf sie analog §§ 133, 157 BGB der Auslegung.87 Verbleiben nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden nicht behebbare Zweifel und sind mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar,88 gehen verbleibende Unklarheiten der Frage zu Lasten des VR, da es seine Sache ist, die Fragen so zu formulieren, dass er bei ihrer korrekten Beantwortung eine vollständige Kenntnis der für ihn gefahrerheblichen Umstände erhält. Dies ist im Ergebnis unstreitig,89 streitig ist nur, ob auf die Antragsfragen des VR das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (zumindest analoge) Anwendung findet und sich dieses Ergebnis daher auf § 305c Abs. 2 BGB stützen lässt90 oder nicht.91 Die Anwendung der Unklarheitenregel hat aber – entgegen der Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte92 – nur zur Folge, dass der VN lediglich dasjenige anzuzeigen braucht, nach dem zweifellos gefragt ist, nicht hingegen, dass die Frage – solange sie nicht völlig unverständlich ist – als nicht gestellt zu behandeln wäre.93 Allgemein umfasst die Frage nach anderen Versicherungen nicht Versicherungen, die der 30 VN in Bezug auf andere Objekte94 oder die der Ehegatte oder Lebensgefährte in Bezug auf die zu versichernde Sache abgeschlossen hat95 oder die vom VN erst beantragt sind,96 wohl aber solche, die ein Dritter (z.B. der Arbeitgeber) zugunsten des VN abgeschlossen hatte.97 „Gekündigte“ Versicherungsverträge sind nicht solche, die durch Rücktritt beendet worden sind.98 Ist nach „Unfallanträgen“ gefragt, darf der VN dies jedoch nicht nur auf Anträge auf Abschluss eines Versicherungsvertrages beziehen, sondern muss auch Leistungsanträge aus einer bestehenden Unfallversicherung angeben.99 Fragt der VR nach Vorschäden des VN, so muss der Antragsteller weder Vorschäden angeben, die (nur) seinem Ehegatten100 oder einem Voreigentü-

86 OLG Karlsruhe 16.4.1981 VersR 1983 169; OLG Frankfurt/Main 21.5.1987 VersR 1988 714; OLG Köln 4.10.1990 VersR 1990 1381; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 76; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 514; vgl. auch BGH 10.3.1983 BGHZ 87, 112, 114 f.; a.A. OLG Hamm 17.1.1990 VersR 1991 212. 87 BGH 22.9.1999 VersR 1999 1481; OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227; OLG Hamm 21.2.2000 – 20 U 114/00, VersR 2001 1503; Heinemann VersR 1992 1319, 1321. 88 Zu dieser Voraussetzung vgl. BGH 4.7.1990 BGHZ 112 65, 68; 3.7.2002 – XII ZR 327/00, NJW 2002 3232; 15.11.2006 – VIII ZR 166/06, NJW 2007 504. 89 BGH 26.10.1988 RuS 1989 5; OLG Hamm 23.9.1992 RuS 1993 351; 29.1.1993 VersR 1993 1135; OLG Düsseldorf 30.5.2017 – I-4 U 41/16, RuS 2018 126; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 41; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 27; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 24. 90 So OLG Frankfurt/Main 23.6.1989 VersR 1990 1103; OLG Saarbrücken 1.2.2006 – 5 U 207/05, VersR 2006 1482; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 VVG Rn. 30; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 24; Römer RuS 1998 45, 46. 91 So OLG Bremen 16.11.1993 VersR 1996 314; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 58; Heinemann VersR 1992 1319, 1321; Romahn S. 105 ff. 92 OLG Hamm 19.6.1991 NJW-RR 1991 1184; OLG Oldenburg 8.10.1993 VersR 1994 1169; OLG Nürnberg 18.4.1996 VersR 1997 1137. 93 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 41. 94 OLG Hamm 16.10.1989 NJW-RR 1990 163. 95 OLG Köln 13.9.1990 VersR 1992 231; a.A. vorgehend LG Köln 6.12.1989 VersR 1990 1350 sowie OLG Frankfurt/ Main 10.6.2005 – 25 U 115/04, VersR 2005 1429; OLG Saarbrücken 4.7.2005 – 5 W 151/05, VersR 2006 254 (Vorversicherung durch GmbH, deren Gesellschafter der VN war). 96 OLG Hamm 29.1.1993 VersR 1993 1135. 97 OLG Hamm 25.8.2000 – 20 U 178/98, RuS 2001 140; LG Oldenburg 26.9.2003 – 13 O 3224/02, VersR 2004 1264; AG München 8.1.2002 – 163 C 27293/01, VersR 2002 1232. 98 OLG Köln 19.10.1992 RuS 1993 72. 99 OLG Frankfurt/Main 29.1.1991 VersR 1992 41. 100 OLG Köln 13.9.1990 VersR 1992 231. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

mer entstanden sind,101 noch solche, die nicht reguliert worden sind;102 anders jedoch bezüglich Vorschäden, die keine Unfallschäden im engeren Sinne waren.103 Wurde in der Personenversicherung nur nach Krankheiten gefragt, brauchen Beschwer- 31 den, die noch keinen Krankheitswert haben, nicht angegeben zu werden,104 bei der Frage nach Gesundheitsstörungen nur organische, pathologische Veränderungen, die von gewisser Dauer sind und eine ärztliche Behandlung indizieren.105 Stellt der VR die Frage dagegen – wie in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung üblich – umfassend, nämlich nach Krankheiten, Störungen, Beschwerden und Leiden, hat der VN bis auf Bagatellen alles anzugeben, also auch jede Beeinträchtigung unterhalb eines Krankheitswertes106 und solche, die er für alterstypische Entwicklungsstörungen (Pubertät) hält,107 nicht aber Kinderkrankheiten ohne ernsthaften Krankheitswert (z.B. Erkältungen, Blähungen)108 oder Sprachleistungsstörungen eines Kleinkindes.109 Solche „Generalfragen“ sollen nach einer teilweise im Schrifttum zum neuen VVG vertretenen Meinung nicht mehr zulässig sein, da sie nicht konkret genug gestellt und daher nicht vereinbar seien mit dem gesetzgeberischen Zweck, dem VR das Risiko einer Fehleinschätzung über die Gefahrerheblichkeit eines Umstands aufzuerlegen.110 Überwiegend wird jedoch an der bisherigen Praxis festgehalten und keine darüber hinausgehende Konkretisierung verlangt.111 Zu detaillierte Fragekataloge sind nicht praktikabel und dem Verständnis des VN abträglich.112 Dem VR ist es nicht zuzumuten, jede einzelne Gefahr abfragen zu müssen. Generalfragen müssen daher weiter zulässig sein,113 wobei das Risiko, dass sich nicht klären lässt, ob ein Gefahrumstand von der weit gefassten Frage umfasst ist, dann der VR trägt.114 Hat der VR auch nach ausgeheilten Beschwerden gefragt, sind sie selbst dann anzugeben, wenn sie nach kurzfristiger Tablettenbehandlung verschwunden und nie wieder in Erscheinung getreten sind;115 die Frage nach „Beschwerden bzw. Krankheiten der Wirbelsäule“ umfasst auch solche, denen muskuläre Probleme zugrunde liegen,116 solche nach „Beratungen oder Behandlungen“ im Zusammenhang mit Alkoholgenuss auch eine medizinisch-psychologische Untersuchung aufgrund des Entzugs einer Fahrerlaubnis.117 Hat der VR nach Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen der Psyche gefragt, hat der VN auch eine Verdachtsdiagnose seines Hausarztes anzuzeigen, wenn diese nicht durch Hinzuziehung eines Spezialisten widerlegt worden ist.118 Sind im Antragsformular zur Erläuterung und als Beispiele einige Krankheiten aufgeführt, so lässt sich daraus nicht schließen, der VR wolle nur Krankheiten von einigem Gewicht angegeben haben, wenn 101 OLG Hamm 16.12.1987 VersR 1988 709; OLG Stuttgart 15.12.1989 VersR 1991 1162. 102 KG 16.9.1997 NJWE-VHR 1998 174; a.A. LG Hamburg 4.6.1984 VersR 1985 132; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 46. 103 Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 32. 104 Heinemann VersR 1992 1319, 1321 f.; Römer RuS 1998 45, 46. 105 OLG Koblenz 24.11.2000 – 10 U 1220/99, NVersZ 2001 355. 106 Vgl. BGH 2.3.1994 VersR 1994 711; 26.10.1994 VersR 1994 1457; OLG Karlsruhe 9.7.2003 – 12 U 40/03, VersR 2004 186; KG 27.1.2005 – 6 U 233/04, RuS 2006 463; OLG Celle 15.3.2007 – 8 U 196/06, VersR 2007 1355; OLG Dresden 29.4.2021 – 4 U 2453/20, RuS 2021 529; Fricke VersR 2007 1614, 1615. 107 OLG Koblenz 8.9.2003 – 10 U 1649/02, VersR 2004 228. 108 LG Köln 30.7.2003 – 23 S 27/03, VersR 2005 393. 109 OLG Köln 21.8.1996 VersR 1997 1262; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 76. 110 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 28; Romahn S. 111 ff. 111 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 38; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 55; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 25; Looschelders VersR 2011 697; Neuhaus RuS 2008 45, 47. 112 OLG Frankfurt/Main 19.1.2011 – 7 U 77/10, BeckRS 2011 28322; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 23. 113 Bruns § 8 Rn. 17. 114 Neuhaus RuS 2008 45, 47. 115 OLG Hamm 28.9.1990 VersR 1991 988. 116 OLG Dresden 18.9.2020 – 4 U 1059/20, RuS 2021 469. 117 OLG Koblenz 3.6.2005 – 10 U 939/04, VersR 2005 1671. 118 LG Berlin 15.1.2020 – 7 O 35/19, RuS 2020 654. 15

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

vorher auch nach Störungen und Beschwerden gefragt worden ist.119 Die Frage nach „Lähmungen“ erfasst nicht neurologische Ausfälle und eine Fußhebeschwäche,120 diejenige nach Behandlungen aber auch die Behandlung von Krankheiten, die als solche nicht angezeigt zu werden brauchen.121 Ist nach „ärztlichen Behandlungen“ gefragt, braucht Krankengymnastik, die nicht unter ärztlicher Kontrolle oder Anleitung erfolgt, nicht angezeigt zu werden,122 bei „Krankenhausbehandlungen“ nicht Krankenhausaufenthalte, die der Klärung einer unsicheren Diagnose dienten, bei denen aber keine Behandlung vorgenommen wurde.123 Bei der Frage nach „Untersuchungen“ sind auch solche mitzuteilen, die auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgt waren.124 Unklar kann es sein, wenn in derselben Frage zeitlich unbegrenzt nach Krankheiten und gleichzeitig nach ärztlicher Behandlung innerhalb der letzten fünf Jahre gefragt wird, der VN verletzt dann nicht seine Anzeigeobliegenheit, wenn er länger als fünf Jahre zurückliegende Krankheiten nicht angibt.125 Die Frage nach „gewohnheitsmäßiger“ Medikamenteneinnahme hat das OLG Oldenburg für unklar und nicht deutlich genug gehalten, weil damit ein Werturteil verbunden sei.126 Fragt der VR, ob der Antragsteller vollkommen gesund ist, braucht er ärztliche Empfehlungen zu seiner Lebensführung (hier: „trockener Alkoholiker“) nicht anzuzeigen;127 fragt er nach „angeratenen Operationen“ gilt dasselbe für die bloße Empfehlung, sich gelegentlich operieren zu lassen.128 Die im Rahmen von Absatz 1 Satz 2 gestellte Frage, ob sich am Gesundheitszustand etwas geändert habe, verpflichtet den VN nicht, zwischenzeitliche Untersuchungen anzugeben, deren Ergebnis ihm noch nicht bekannt ist.129 Fragt der VR nach Reisen in außereuropäische Länder, besteht kein Beurteilungsspielraum des VN hinsichtlich der Gefährlichkeit des jeweiligen außereuropäischen Landes.130 Sachversicherung: Wurde beim Abschluss einer Feuerversicherung nach der Art der Hei32 zung gefragt, braucht ein zusätzlich vorhandener offener Kamin nicht angezeigt zu werden.131 Eindeutig ist die Frage nach „Verlust eines Bootes“, sie umfasst nicht nur Havarie, sondern auch Diebstahl.132 Fragt der VR, ob die Baubehörde die Bauausführung genehmigt und ohne Beanstandungen abgenommen hat, brauchen nach der Abnahme vorgenommene bauliche Veränderungen, die öffentlich-rechtlich keiner Genehmigung bedürfen, nicht angezeigt zu werden.133

33 bb) Person des Fragestellers. Die Fragen müssen vom VR, seinem Agenten oder einer vom VR dazu befugten Person gestellt worden sein.134 Die in einem Formular des Maklers, dem

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BGH 2.3.1994 VersR 1994 711; Römer RuS 1998 45, 46. OLG Düsseldorf 23.3.1999 VersR 2000 310. OLG Frankfurt/Main 23.6.1989 VersR 1990 1103. OLG Hamm 27.1.1993 VersR 1994 293. BGH 17.10.1990 VersR 1990 1382; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 19; a.A. KG 27.1.2005 – 6 U 233/04, RuS 2006 463. 124 BGH 7.3.2007 – IV ZR 133/06, VersR 2007 821. 125 OLG Oldenburg 5.7.1996 RuS 1998 127; 26.3.1997 VersR 1998 835; vgl. auch OLG Stuttgart 15.2.2007 – 10 U 168/ 06, VersR 2008 197. 126 OLG Oldenburg 1.2.1993 VersR 1994 1169; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 76. 127 OLG Düsseldorf 17.6.1997 VersR 1998 349. 128 OLG Hamm 22.3.1995 VersR 1996 441. 129 LG Berlin 29.7.1999 VersR 2001 1413 (HIV-Test). 130 OGH Wien 24.4.2020 – 7 Ob 33/20h, ZVers 2020 270, 272. 131 OLG Hamm 18.5.1988 RuS 1991 275. 132 BGH 18.12.1989 VersR 1990 384; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 76. 133 OLG Hamm 23.9.1992 RuS 1993 351. 134 BGH 29.5.1980 VersR 1980 762. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

Interessenwalter des VN, gestellten Fragen sind grundsätzlich keine Fragen des VR.135 Diesem Grundsatz liegt die Entscheidung des OLG Hamm zur Industrieversicherung zugrunde.136 Eine Gleichstellung von Fragen des im Lager des VN stehenden Maklers mit Fragen des VR würde einer Wiedereinführung der spontanen Anzeigepflicht des VN gleichkommen.137 Entsprechendes gilt für andere dritte Personen, die nicht „im Lager“ des VR stehen.138 Anders ist dies nur dann zu beurteilen, wenn der VR sich die Fragen zu eigen macht und dies für den VN im Zeitpunkt der Beantwortung erkennbar ist.139 Dem VN muss im Zeitpunkt der Beantwortung bewusst sein, dass er eine rechtserhebliche Erklärung gegenüber dem VR abgibt.140 Der VR muss ausdrücklich oder konkludent erklären (Rn. 36), dass die Fragen als die seinigen gelten sollten.141 Dies kann auch aus den Begleitumständen im Antragsgespräch erkennbar sein, denn § 19 Abs. 1 zufolge muss sich dies nicht aus dem Antragsformular ergeben.142 Teilweise wird streng formal angenommen, dass es hierfür nicht ausreichend ist, wenn der VR nur innerhalb einer einzelnen Frage benannt ist und im übrigen Formulartext keine sonstigen Hinweise erfolgen.143 Dagegen ist aber auf Grundlage eines weiteren Verständnisses das Vorliegen von Fragen des VR bejaht worden, wenn sich dies aus der Zielrichtung der Fragen und dem Inhalt des Antragsformulars für den VN erkennbar ergab.144 Nicht erforderlich sei, dass der konkrete VR erkennbar sei.145 So kann sich die Erkennbarkeit zB aus der im Antragsformular enthaltenen Belehrung nach § 19 Abs. 5 ergeben.146 Verwendet der Makler ein neutrales Antragsformular aus seinem PC, stellt der VR aber die Beratungstechnologie als Software-Programm zur Verfügung, ist dies ebenfalls als Fragen des VR qualifiziert worden.147 Fraglich erscheint hier jedoch, wie dies für den VN erkennbar sein soll.148 In der privaten Krankenversicherung als „Massenversicherung“ ist angenommen worden, dass bei vom Makler gestellten weitgehend standardisierten Gesundheitsfragen für den VN erkennbar sei, dass diese generell vom Versicherer gestellt seien.149 Zusammenfassend erscheint es sinnvoll, § 19 Abs. 1 lebensnah anzuwenden und zu fordern, dass keine relevanten „Erkennbarkeitsmängel“ im Fragenkatalog des Maklers begründet sind und nach den Gesamtumständen analog §§ 133, 157 BGB von Fragen des VR auszugehen ist.150 Hat sich der VR die Fragen zu eigen gemacht, gehen etwaige Unvollständigkeiten des 135 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469; LG Dortmund 24.2.2012 – 2 O 144/11, RuS 2012 426; 2.1.2013 – 2 O 213/12, RuS 2013 324; 14.3.2013 – 2 O 321/12, RuS 2013 322; LG Hagen 16.12.2009 – 23 O 40/09, RuS 2010 276; Armbrüster Rn. 918; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 32; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 23; Neuhaus VersR 2014 432, 433 f.; Romahn S. 78 ff.; Tschersich RuS 2012 53, 55; krit. Schaloske RuS 2010 279; Wandt Rn. 825. 136 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469. 137 LG Dortmund 24.2.2012 – 2 O 144/11, RuS 2012 426. 138 Neuhaus VersR 2014 432, 433. 139 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469; LG Dortmund 24.2.2012 – 2 O 144/11, RuS 2012 426; OLG Frankfurt/Main 17.9.2015 – 12 U 172/13, ZfS 2018 153; Armbrüster Rn. 918; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 32; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 23; Neuhaus VersR 2014 432, 434 f.; Romahn S. 80; Tschersich RuS 2012 53, 55; krit. Langheid NJW 2011 3266; Looschelders VersR 2011 697, 698; Naujoks/Heydorn VersR 2011 477, 480. 140 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 23; Looschelders VersR 2011 697, 698; Naujoks/Heydorn VersR 2011 477, 479. 141 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469; weiter KG 29.4.2014 – 6 U 172/13, VersR 2014 1315. 142 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 23; Neuhaus VersR 2014 432, 434. 143 LG Dortmund 2.1.2013 – 2 O 213/12, RuS 2013 324; krit. Neuhaus VersR 2014 432, 434 f. 144 OLG Köln 15.2.2013 – I-20 U 207/12, VersR 2013 745; 6.6.2014 – I-20 U 210/13, VersR 2015 477; Langheid/Wandt/ Langheid § 19 Rn. 67. 145 Neuhaus VersR 2014 432, 435. 146 OLG Köln 15.3.2013 – I-20 U 207/12, VersR 2013 745; Neuhaus VersR 2014 432, 435. 147 LG Dortmund 14.3.2013 – 2 O 321/12, RuS 2013 322. 148 Neuhaus VersR 2014 432, 434. 149 LG Tübingen 23.11.2011 – 4 O 124/11, BeckRS 2013 15130. 150 Neuhaus VersR 2014 432, 434. 17

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

Fragekatalogs zu seinen Lasten.151 Im Schrifttum ist darauf hingewiesen worden, dass die Zuordnung von Fragen eines Mehrfachagenten nach diesen Grundsätzen problematisch sei, da der Mehrfachagent in der Auswahlphase im Interesse des VN handele, in der Anbahnungsphase aber einem Agenten des VR gleichstehe.152 Ordnet man die Antragsfragen dem Bereich der Maklertätigkeit zu, ist zweifelhaft, ob ein „Zu-eigen-Machen“ durch Verwendung der Antragsfragen in der Anbahnungsphase erfolgt.153 Falsche Angaben in einem ärztlichen Gesundheitszeugnis stehen einer falschen Beantwortung von Gesundheitsfragen im Antrag selbst gleich, wenn das ärztliche Zeugnis im Zusammenhang mit dem Versicherungsantrag erstellt worden ist. Macht der Antragsteller gegenüber dem mit seiner Untersuchung beauftragten Arzt falsche Angaben, so ist dies ebenso zu behandeln, wie wenn er die unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Versicherungsantrag selbst gemacht hätte.154

34 cc) Textform. Die Frage muss in Textform gestellt worden sein.155 Gemäß § 126b BGB ist zur Wahrung der Textform erforderlich, dass die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht worden ist. Dementsprechend genügt es nicht, dass der VR, sein Vertreter oder die sonst vom VR betraute Person (Rn. 74 ff.) dem Antragsteller schriftliche Fragen nur vorliest und anschließend vom VN unterzeichnen lässt,156 es sei denn, dass das Durchgehen des Fragebogens sorgsam und ohne Zeitdruck erfolgt und durch klärende Rückfragen ergänzt werden kann.157 Bloßes Mitlesenlassen genügt nicht.158 Ungenügend ist es auch, wenn der Versicherungsvertreter dem VN die Fragen so schnell vorliest, dass dieser sie nicht erfassen kann.159 Die Fragen müssen dem VN im Nachgang dauerhaft zur Verfügung gestellt werden.160 Formuliert der Versicherungsvertreter die im Fragenkatalog gestellte Frage um und verändert er sie dadurch inhaltlich, gilt die schriftliche Frage in der veränderten Form als gestellt.161 Nutzt der Versicherungsvertreter ein Notebook zum Vorlesen der Fragen und anschließendem Eintippen der Antworten, müssen die Fragen dem VN auch hier rechtzeitig in Textform vorgelegt werden.162 Die Textform ist gewahrt, wenn der aufseiten des VN tätige Versicherungsmakler über ein Softwareprogramm des VR das Antragsformular herunterladen und ausdrucken kann.163 151 152 153 154 155 156 157

Looschelders VersR 2011 697, 698; vgl. Schimikowski RuS 2009 353, 354. Tschersich RuS 2012 53, 55. Tschersich RuS 2012 53, 55. OLG Köln 25.3.1996 VersR 1998 222; Knappmann VersR 2005 199, 199. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 19; Wandt Rn. 822. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 33. BGH 21.11.1989 VersR 1990 77; 11.7.1990 VersR 1990 1002; 25.5.1994 RuS 1994 444; 16.10.1996 VersR 1996 1529; OLG Hamm 24.7.1998 VersR 1999 1226; OLG Saarbrücken 12.10.2005 – 5 U 31/05, VersR 2007 93; OLG Brandenburg 21.12.2018 – 11 U 149/16, RuS 2020 145; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 75; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 20. 158 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 19 Rn. 11; Romahn S. 54; ders. VersR 2015 1481, 1483; a.A. LG Berlin 25.1.2013 – 23 O 238/11, RuS 2014 7. 159 OLG Stuttgart 19.4.2012 – 7 U 157/11, NJW 2012 2526; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 19 Rn. 12. 160 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 20; krit. Romahn S. 55: vor Abgabe der Vertragserklärung. 161 OLG Karlsruhe 19.12.1990 VersR 1991 988; OLG Saarbrücken 12.10.2005 – 5 U 31/05, VersR 2007 93; Prölss/ Martin/Armbrüster § 19 Rn. 54; Knappmann VersR 2005 199, 200; Neuhaus VersR 2012 1477, 1480; vgl. auch OLG Saarbrücken 29.11.2006 – 5 U 105/06, VersR 2007 826; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 75: Verletzung der Textform. 162 KG VersR 2014 1357; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 55; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 VVG Rn. 25; Karczewski RuS 2012 521, 525; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 57; Romahn S. 55. 163 KG 14.12.2018 – 6 U 27/17, VersR 2019 666. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

Textform kann auch bei elektronischer Kommunikation gewahrt werden. Den Anforde- 35 rungen des § 126b BGB genügt nämlich neben einer Verkörperung der Fragen auf Papier auch solche auf einem Datenträger (Diskette, CD-ROM, USB-Stick etc.) oder in einer E-Mail oder einem Computerfax,164 wobei es bei einem via E-Mail übermittelten Fragenkatalog ausreicht, dass der Antragsteller ihn speichern und ausdrucken kann; ob er ihn tatsächlich ausdruckt (oder – wenn technisch möglich – direkt am Bildschirm bearbeitet), ist ohne Belang.165 Ist zB beim Onlineabschluss der Fragenkatalog dagegen dem Antragsteller nicht individuell übermittelt worden, sondern lediglich auf der Homepage des VR verfügbar, ist dem Textformerfordernis nur dann Genüge getan, wenn der VN ihn tatsächlich heruntergeladen hat.166 Auch eine Website kann aber einen dauerhaften Datenträger darstellen, wenn der VN die Informationen dort eine angemessene Zeit lang einsehen kann und der Inhalt nicht einseitig durch den VR geändert werden kann.167 Umstritten ist, ob im Fall des sog. Tele-Underwriting, bei welchem dem VN die Gesundheitsfragen telefonisch gestellt werden und ihm anschließend ein Protokoll zur Gegenzeichnung zugesandt wird, die Fragen wirksam gestellt sind.168 Nach § 126b BGB muss die Person des „Erklärenden“ genannt sein. „Erklärender“ in die- 36 sem Sinne ist im Rahmen des § 19 nicht der VN, sondern der VR, der die Frage in Textform zu stellen hat. Diesem Erfordernis wird beispielsweise dadurch entsprochen, dass im Kopf des Fragenkataloges der Name des VR genannt ist (Rn. 33). Außerdem muss der Abschluss des Fragenkatalogs durch Nachbildung der Namensunterschrift einer Person, die den VR zu vertreten berechtigt ist, oder auf andere Weise – z.B. durch einen Abschlussstrich169 – erkennbar gemacht werden.

b) Gefahrumstände. Umstände i.S.v. § 19 Abs. 1 können objektive Tatsachen sein, gleichgül- 37 tig, ob sie Einfluss auf das objektive Risiko (z.B. Vorschäden der versicherten Sache,170 Vorerkrankungen in der Lebens- oder Krankenversicherung)171 oder das subjektive Risiko (z.B. einschlägige Vorstrafe des VN, etwa wegen Brandstiftung,172 Ablehnung der Gefahrübernahme durch einen anderen VR)173 haben. Aber auch subjektive Momente wie etwa die Absicht, den Versicherungsfall herbeiführen zu wollen, sind anzeigepflichtig.174 Die Anzeigepflicht erstreckt sich ferner auf Rechtstatsachen wie z.B. die Eigentumsverhältnisse an der versicherten Sache,175 sowie auch bloß indizierende Umstände.176 Hierbei handelt es sich um solche, die auf 164 LG Kleve 22.11.2002 – 5 S 90/02, NJW-RR 2003 196. 165 Palandt/Ellenberger § 126b BGB Rn. 3. 166 KG 18.7.2006 – 5 W 156/06, NJW 2006 3215; 14.12.2018 – 6 U 27/17, VersR 2019 666; OLG Hamburg 24.8.2006 – 3 U 103/06, NJW-RR 2007 839; Armbrüster RuS 2017 57, 61 f.; Bonke/Gellmann NJW 2006 3169, 3170; Langheid/ Rixecker/Langheid § 19 Rn. 58; Romahn S. 72; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 25; Zenker JZ 2007 816, 819 f.: Download wahrt Textform nicht; a.A. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 22: Möglichkeit ausreichend. 167 EuGH 5.7.2012 – C-49/11 „Content Services Ltd“, ECLI:EU:C:2012:419 = NJW 2012 2637; 25.1.2017 – C-375/15 „BAWAG“, ECLI:EU:C:2017:38 = NJW 2017 871; BGH 15.5.2014 – III ZR 368/13, VersR 2014 838; Langheid/Rixecker/ Langheid § 19 Rn. 58. 168 Bejahend OLG Brandenburg 21.12.2018 – 11 U 149/16, RuS 2020 145; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 VVG Rn. 25; Bornemann/Schwer/Hefer VW 2008 676; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 67; verneinend Romahn S. 70. 169 Staudinger/Hertel § 126b BGB Rn. 32. 170 RG 15.5.1931 RGZ 132 386, 390; OLG Karlsruhe 18.10.1990 RuS 1991 81; LG Hamburg 27.11.1990 VersR 1991 1051. 171 Dazu näher Rn. 38 ff. 172 BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404. 173 RG 15.5.1931 RGZ 132 386, 390. 174 BGH 8.2.1989 VersR 1989 465; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 2. 175 Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 10. 176 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 2; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 77. 19

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

das Vorliegen eines gefahrerheblichen Umstandes (lediglich) schließen lassen, auch wenn dieser Umstand selbst (noch) nicht festgestellt werden kann.177 Für die Beurteilung der Frage, ob ein Umstand einen Gefahrumstand darstellt, ist stets ein objektiver Maßstab anzulegen,178 auf die Vorstellung des VR kommt es ebenso wenig an wie auf diejenige des VN. Umstritten ist, ob Fragen nach unentdeckten eigenen Straftaten des VN wegen des nemo-tenetur-Grundsatzes unzumutbar und nicht zu beantworten sind179 oder dieser Grundsatz im Vertragsrecht keine Anwendung findet.180

38 aa) Objektive Umstände: Personenversicherung. In der Lebensversicherung sind beispielsweise objektiv gefahrrelevant: Starke Alkoholabhängigkeit des VN,181 eine HIV-Infektion,182 auch wenn die AIDS-Krankheit noch nicht ausgebrochen war,183 eine vorangegangene Bandscheibenoperation,184 ärztlich behandelter Bluthochdruck,185 eine Bypass-Operation,186 Colitis ulcerosa,187 täglich auftretendes Fieber mit 11 kg Gewichtsverlust in zwei Jahren,188 unerklärlicher starker Gewichtsverlust und Störungen des Geschmacksempfindens,189 eine alkoholbedingte Leberschädigung,190 eine ernste Herzerkrankung,191 ein Herzinfarkt,192 organisch bedingte Herzbeschwerden,193 ein Hodenkarzinom,194 eine Leberzellenverfettung,195 die operative Entfernung eines malignen Melanoms,196 eine chronisch rezidivierende Raucherbronchitis,197 Rauschgiftabhängigkeit (regelmäßiger Haschischkonsum),198 ein gescheiterter Selbstmordversuch,199 eine arterielle Verschlusserkrankung,200 Verspannungsschmerzen im Schulter-Nacken-

177 BGH 2.3.1994 VersR 1994 711; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 2. 178 Reusch VersR 2007 1313, 1314; Romahn S. 95; Wegmann Obliegenheiten in der privaten Krankenversicherung, S. 101; diff. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 26, 29; a.A. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 64; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 28; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 82 ff.; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 513; Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 22. 179 Brand VersR 2009 715, 717; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 VVG Rn. 45. 180 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 12; Looschelders VersR 2011 697, 700; Metz VersR 2010 1265, 1266 ff.; Romahn S. 150 ff.: Schutz vor Selbstbelastungszwang durch Beweisverwertungsverbot; Thiel VersR 2009 1488, 1492. 181 BGH 25.10.1989 VersR 1990 297; OLG Koblenz 28.11.1997 VersR 1998 1094; OLG München 7.7.1997 VersR 1998 1361; OLG Köln 20.10.1998 NVersZ 1999 183; OLG Celle 3.2.2000 – 8 U 263/98, VersR 2001 357; a.A. OLG Saarbrücken 14.6.2006 – 5 U 697/05, VersR 2007 193 (wenn nur nach „Krankheiten, Beschwerden und Störungen“ gefragt war); vgl. auch LG Berlin 9.11.1989 RuS 1990 286. 182 LG Hamburg 4.11.1988 ZfS 1989 127; näher Werber ZVersWiss 1991 187, 194; vgl. auch Weichert VersR 1997 1465, 1466. 183 LG Frankfurt/Main 4.2.1991 VersR 1992 563. 184 OLG Hamm 8.3.1989 VersR 1990 76. 185 OLG Hamm 19.6.1991 NJW-RR 1991 1184. 186 OLG Düsseldorf 4.12.2001 – 4 U 76/01, NVersZ 2002 500. 187 OLG Koblenz 20.9.2002 – 10 U 333/02, VersR 2004 849; OLG Saarbrücken 12.10.2005 – 5 U 82/05, VersR 2006 824. 188 OLG Frankfurt/Main 25.1.1995 RuS 1997 172. 189 OLG Saarbrücken 25.1.2007 – 5 W 310/06, VersR 2007 1684. 190 BGH 25.10.1989 VersR 1990 297; OLG Karlsruhe 1.4.1993 RuS 1994 234. 191 BGH 26.10.1994 VersR 1994 1457. 192 OLG Stuttgart 30.11.1988 VersR 1990 76; OLG Karlsruhe 25.7.1996 VersR 1997 861. 193 OLG Köln 14.1.1993 VersR 1993 1261; OLG Koblenz 11.11.1994 VersR 1995 689. 194 OLG Jena 28.7.1999 VersR 1999 1526. 195 OLG Düsseldorf 28.3.1995 RuS 1997 126. 196 OLG Köln 11.4.1994 VersR 1994 1413. 197 OLG Frankfurt/Main 10.5.2000 – 7 U 157/99, VersR 2001 1097. 198 OLG Karlsruhe 19.3.1992 VersR 1993 1220; LG Duisburg 6.5.1999 VersR 2000 834. 199 OLG Bremen 2.8.1991 RuS 1992 31; OLG Frankfurt/Main 7.2.2002 – 15 U 138/01, VersR 2002 1134. 200 LG Darmstadt 16.1.1997 VersR 1997 1218. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

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Bereich mit ärztlich verordneten Massagen, Fangopackungen und Krankengymnastik.201 Ist im Antragsformular ausdrücklich nach ärztlicher Untersuchung, Beratung oder Behandlung gefragt, sind Arztbesuche auch dann anzugeben, wenn dem VN die Diagnose nicht bekannt ist.202 Auch Beschwerden, die zwar noch keiner bestimmten Krankheit zugeordnet werden können, aber erheblich sind, sind objektiv gefahrrelevant.203 Nicht anzeigepflichtig können demgegenüber sein: Brustschmerzen ohne Bezug zu einer 39 Herzerkrankung,204 altersentsprechende Verschleißerscheinungen,205 depressive Stimmungen, wenn der Arzt die Befürchtungen des VN nicht bestätigt hat,206 erhöhte Cholesterinwerte,207 der erstmalige Befund von Zucker in Blut und Urin sowie die Einleitung diagnostischer Maßnahmen zur Abklärung des vermuteten Krankheitsbildes, wenn lediglich nach „nicht unerheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes“ gefragt war,208 Homosexualität (trotz erhöhten HIVInfektionsrisikos),209 die einmalige Behandlung eines LWS-Syndroms,210 eine Magengrippe211 und die geplante Abtretung der Ansprüche auf Versicherungsleistungen.212 In der Berufsunfähigkeits(zusatz)versicherung sind anzuzeigen: Alkoholabhängigkeit,213 40 eine über drei Monate andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit,214 eine Bandscheibenoperation215 ebenso wie ein Bandscheibenvorfall,216 Befindlichkeitsstörungen, deretwegen der VN innerhalb von drei Monaten vor der Antragstellung zehnmal einen Psychiater aufgesucht hat,217 dilatative Kardiomyopathie, die Anlass zu kardiologischen Kontrollen und laufender Medikamenteneinnahme gibt,218 Krankheitszeichen, die für das Vorliegen von Chorea Huntington sprechen und ihre Bestätigung durch einen diagnostischen Gentest,219 Morbus Crohn auch bei mehrjährig beschwerdefreiem Verlauf,220 multiple Beschwerden des Bewegungsapparats,221 Gicht,222 Bewegungseinschränkungen der Schulter mit Versteifung des linken Handgelenks,223 auf Arbeitsüberbelastung beruhende Rückenbeschwerden und psychische Probleme, wegen derer ärztliche bzw. psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen wurde,224 eine Schlafapnoe bzw. ernsthafte Schlafstörungen,225 dyshidorsiforme Effloreszenzen (Hauterkrankung),226 ein mehrwöchiger Kuraufenthalt wegen HWS-Beschwerden,227 über viele Jahre hinaus behandelte 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 21

OLG Frankfurt/Main 28.1.1998 NVersZ 2000 130. OLG Köln 4.3.1993 RuS 1994 315. OGH Wien 29.10.1992 VersR 1994 203. OLG Köln 14.1.1993 VersR 1993 1261. BGH 30.9.1998 VersR 1999 217. BGH 17.2.1993 RuS 1993 392. OLG Köln 8.11.1990 VersR 1991 871. BGH 27.6.1984 VersR 1984 884. Weichert VersR 1997 1465, 1466. OLG Hamm 29.5.1990 RuS 1990 357; OLG Koblenz 24.11.2000 – 10 U 1220/99, RuS 2003 376. OLG Hamm 29.5.1990 RuS 1990 357. OLG Karlsruhe 19.3.1992 VersR 1992 1208. KG 28.4.2006 – 6 U 41/06, VersR 2007 234. OLG Hamm 4.12.1992 VersR 1993 999. OLG Hamm 8.3.1989 VersR 1990 76. BGH 20.2.1991 VersR 1991 578. OLG Saarbrücken 15.4.1998 NVersZ 1999 420. OLG Frankfurt/Main 20.5.2009 – 7 U 197/06, VersR 2010 1357. OLG Saarbrücken 20.10.2011 – 5 W 220/11, VersR 2012 557. OLG Karlsruhe 2.3.2015 – 9 U 14/14, NJW-RR 2015 806. OLG Celle 15.3.2007 – 8 U 196/06, RuS 2009 73. OLG Dresden 4.5.1999 RuS 2000 432. OLG Koblenz 3.6.2005 – 10 U 939/04, VersR 2005 1671. OLG Köln 5.6.2012 – 20 U 1/12, VersR 2013 487. LG Offenburg 11.10.2019 – 2 O 49/19, BeckRS 2019 40254. OLG Köln 25.3.1996 VersR 1998 222. OLG Koblenz 28.1.2000 – 10 U 369/99, RuS 2000 300. Rolfs

§ 19 VVG

Anzeigepflicht

Rückenbeschwerden (Lumbalgien),228 auf muskulären Problemen gründende Rückenschmerzen, die zu einer längeren Krankschreibung und mehrwöchigen Behandlung mit Physiotherapie geführt haben,229 langjährig erhöhte und ärztlich behandelte Leberwerte,230 Kniebeschwerden bei einem VN mit häufig kniender beruflicher Tätigkeit,231 auch ein bloß Diagnosezwecken dienender Krankenhausaufenthalt, wenn im Antragsformular allgemein nach „Krankenhausaufenthalten“ innerhalb der letzten zehn Jahre gefragt war,232 ein langwieriges, häufig ärztlich behandeltes Leiden,233 ein behandlungsbedürftiges Lendenwirbelsyndrom und Präkordialschmerzsyndrom,234 eine vasovegetative Migräne, eine psychische Erkrankung mit lang andauernder Behandlung,235 eine von einem Psychologen für notwendig erachtete und aktuell anstehende Untersuchung in einer Psychiatrischen Universitätsklinik,236 vegetative Störungen und Labilität bei gleichzeitiger Verordnung von Psychopharmaka,237 ein paroxysmales Vorhofflimmern,238 Wirbelsäulenerkrankungen.239 Nicht anzeigepflichtig können demgegenüber sein: Erstmalige, keine längere Behandlung 41 erfordernde Beschwerden,240 erstmalige Lumbalgie,241 mehrwöchige Arbeitsunfähigkeit wegen „Erschöpfung“, die aber nicht ärztlich behandelt wurde und der eine Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber vorangegangen war.242 Nicht gefolgt werden kann allerdings der Auffassung des OLG Saarbrücken, dass Magen- und Darmbeschwerden sowie Angstzustände einer Lehramtsanwärterin vor Unterrichtsbeginn nicht anzeigepflichtig sein sollen.243 In der Krankenversicherung (Krankheitskosten-, Krankentagegeldversicherung) sind an42 zuzeigen: Psychogene Anfälle,244 eine Fettleber,245 Beschwerden an der Halswirbelsäule, wenn im Versicherungsantrag deutlich darauf hingewiesen wird, dass auch Beschwerden anzugeben sind, die als unwesentlich angesehen werden,246 Hautekzeme,247 Herz- und Kreislaufbeschwerden,248 langjährige, therapieresistente Kopfschmerzen (Migräne),249 eine neun Wochen dauernde Magenerkrankung mit entsprechend langer Arbeitsunfähigkeit infolge einer Virusinfektion,250 eine Fußwarze, die eine stationäre Behandlung erforderlich machte,251 Fußpilz,252 Blutbeimischung im Urin (Makrohämaturie),253 eine Operation wegen endokrinen Hidrozystoms 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 2013

243 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 Rolfs

OLG Koblenz 19.6.1998 NVersZ 1999 125; 9.4.1999 VersR 2000 174; OLG Naumburg 4.6.1999 VersR 2001 222. OLG Dresden 26.10.2020 – 4 U 1059/20, VuR 2021 39. BGH 2.3.1994 VersR 1994 711. OLG Hamm 5.1.1996 RuS 1997 215. KG 11.3.2005 – 6 U 233/04, NJW-RR 2005 1616. OLG Köln 4.3.1993 RuS 1994 315. KG 23.2.1996 VersR 1997 94. OLG Köln 29.6.1995 VersR 1998 85; vgl. auch OLG Koblenz 28.1.2000 – 10 U 369/99, RuS 2000 300. OLG Karlsruhe 11.5.2006 – 19 U 208/04, VersR 2007 385. BGH 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486. OLG Hamm 21.2.2001 – 20 U 114/00, VersR 2001 1503. OLG Frankfurt/Main 7.6.2000 – 7 U 249/98, NVersZ 2001 115; OLG Jena 7.3.2001 – 4 U 945/00, RuS 2002 32. BGH 17.2.1993 RuS 1993 393. BGH 20.2.1991 VersR 1991 578. OLG Saarbrücken 8.10.2004 – 5 U 736/03, NJW-RR 2005 334; strenger OLG Köln 5.6.2012 – 20 U 1/12, VersR 487. OLG Saarbrücken 2.11.2006 – 5 W 220/06, VersR 2007 974. OLG Frankfurt/Main 23.6.1989 VersR 1990 1103. OLG Düsseldorf 19.11.2002 – 4 U 81/02, VersR 2003 987; KG 29.9.2006 – 6 U 18/06, VersR 2007 933. OLG Köln 13.4.1989 RuS 1990 65. OLG Dresden 31.1.2006 – 4 U 2298/05, VersR 2006 1526. OLG Celle 14.11.1990 RuS 1991 428. OLG Hamm 9.2.1996 RuS 1997 34. KG 14.5.2004 – 6 W 8/04, VersR 2004 1298. LG Limburg 6.12.1991 VersR 1992 345. OLG Karlsruhe 19.3.1992 VersR 1993 174. KG 27.7.2004 – 6 W 101/04, VersR 2005 1068. 22

B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

(Schweißdrüsenzyste),254 Hyperventilationstetanie,255 ein Magengeschwür,256 Hautveränderungen,257 disseminierte Marklagerläsionen,258 eine Nierenentzündung,259 Nikotinabhängigkeit (Raucher),260 eine Bronchialerkrankung,261 Rückenbeschwerden,262 langjährige Rückenschmerzen,263 Sterilität,264 das Fehlen zweier Zähne, die noch nicht ersetzt sind.265 Nicht anzeigepflichtig können demgegenüber sein: Ein HWS-Syndrom,266 Konzentrations- 43 störungen und vergleichbare, vom VN als bloße „Empfindlichkeitsstörungen“ empfundene Beeinträchtigungen, die in Wahrheit bereits Vorboten einer späteren psychiatrischen Erkrankung waren,267 neun Monate vor der Antragstellung nach einem Fußballspiel erstmalig aufgetretene, leichte und vorübergehende Schmerzen in der Lendengegend,268 ein keine Beschwerden verursachendes Myom269 sowie Krampfadern.270 In der Unfallversicherung271 anzuzeigen sind regelmäßig auftretende Anfälle kurzzeitiger 44 Bewusstlosigkeit,272 die Amputation der Daumenkuppe,273 Knieverletzungen, auch soweit diese länger zurückliegen,274 sowie eine Frühverrentung des VN.275 Soll der Versicherungsschutz auch die Zahlung von Krankentagegeld umfassen, darf ein Rentner auf die Frage „Beschäftigt bei:“ nicht verschweigen, dass er pensioniert ist.276 Nicht anzeigepflichtig können demgegenüber sein: Schmerzen und Beschwerden, wenn nur 45 nach Erkrankungen, Gebrechen und früheren Unfällen gefragt war.277

bb) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG sind Benachteili- 46 gungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung von Versicherungsverträgen untersagt. Diese Merkmale sind nicht gefahrerheblich i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG und müssen somit nicht vom VN beantwortet werden. Aus § 19 Abs. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG folgt, dass die Frage nach einer Schwanger-

254 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264

OLG Saarbrücken 9.7.1997 VersR 1998 444. OLG Frankfurt/Main 23.6.1989 VersR 1990 1103. OLG Köln 21.2.1985 RuS 1985 230. OLG Karlsruhe 2.11.1989 VersR 1990 1264. OLG Frankfurt/Main 14.6.2006 – 7 U 81/05, VersR 2006 1629. OLG Frankfurt/Main 31.7.1991 RuS 1991 430. LG Duisburg 7.9.1990 VersR 1991 759. LG Wuppertal 10.10.1991 VersR 1992 174. OLG Hamm 28.9.1990 VersR 1991 988; OLG Celle 28.10.2004 – 8 U 98/04, VersR 2005 1381. OLG Hamm 19.12.1986 RuS 1987 113. OLG Koblenz 28.6.1991 VersR 1992 223; OLG Karlsruhe 9.7.2003 – 12 U 40/03, VersR 2004 186; einschränkend LG Hamburg 14.7.1989 RuS 1990 65; vgl. auch OLG Koblenz 31.7.1998 VersR 1999 840; LG Waldshut-Tiengen 27.11.2003 – 2 O 172/03, VersR 2004 502. 265 AG Recklinghausen 9.10.1996 VersR 1997 997. 266 OLG Düsseldorf 30.11.1993 VersR 1994 844. 267 OGH Wien 24.4.2019 – 7 Ob 54/19 w, RuS 2020 97. 268 OLG Hamburg 18.10.1989 VersR 1990 610. 269 OLG München 13.6.1994 NJW-RR 1995 92. 270 OLG Hamm 12.1.1994 RuS 1994 281; a.A. OGH Wien 20.2.1986 VersR 1987 1125. 271 Zu ihr ausführlich Wussow VersR 2003 1481, 1482 ff. 272 OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 5 U 190/04, VersR 2005 929. 273 OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1531. 274 OLG Hamm 16.1.1991 RuS 1992 358. 275 OGH Wien 4.9.1991 VersR 1993 995. 276 OGH Wien 4.9.1991 VersR 1993 995. 277 OLG Koblenz 22.6.2001 – 10 U 686/99, VersR 2001 1550. 23

Rolfs

§ 19 VVG

Anzeigepflicht

schaft unzulässig ist, eine Rechtfertigung ist insoweit nicht möglich.278 Aus demselben Grund brauchen auch schwangerschaftsbedingte Beschwerden nicht angegeben zu werden.279 Die frühere Rechtsprechung,280 die Fragen nach einer bestehenden Schwangerschaft zuließ, ist seit dem Inkrafttreten des AGG im Jahre 2006 und mit Blick auf die „test achats“-Rechtsprechung des EuGH281 überholt. Nach dieser Entscheidung des EuGH müssen seit Ablauf der Übergangsfrist am 21.12.2012 auch Fragen nach dem Geschlecht nicht mehr beantwortet werden.282 Unzulässig ist auch die Frage nach einer Behinderung als solcher, wenn deren Berücksichtigung nicht nach § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG gerechtfertigt werden kann.283 Die Frage nach zugrundeliegenden Krankheiten verstößt dagegen nicht gegen das AGG.284

47 cc) Die Genomanalyse insbesondere. Die Möglichkeiten, die sich für die VR aus der Anwendung neuer Technologien, insbesondere der Genomanalyse, also der Untersuchung der genetischen Erbanlagen ergeben, sind lange umstritten gewesen.285 Während die Tarifierung in der Lebens- und Krankenversicherung bislang im Wesentlichen auf der Basis der Merkmale „Alter“ und „Geschlecht“ erfolgt, ermöglicht die Genomanalyse mit Hilfe statistisch-empirischer Erfahrungen theoretisch präzisere Einzeltarifierungen des VN auf der Grundlage seines individuellen Gesundheitsstatus. Es bestand freilich weitgehend Einigkeit, dass die VR eine Genomanalyse vor Abschluss des Versicherungsvertrages nicht fordern sollten: Zum einen, weil dies bei signifikant erhöhtem Risiko die Unversicherbarkeit zur Folge haben kann,286 zum anderen, weil der potenzielle VN durch die Kenntnis der Analyse in seiner Lebensplanung in massiver Weise beeinträchtigt werden kann („Recht auf Nichtwissen“).287 Der GDV hatte zunächst eine freiwillige Selbstverpflichtungserklärung der Mitgliedsunternehmen beschlossen, in der diese sich u.a. verpflichteten, weder Gentests zur Voraussetzung eines Vertragsabschlusses zu machen noch von ihren Kunden zu verlangen, freiwillige Gentests vorzulegen.288 Am 1.2.2010 ist das Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)289 in Kraft getreten.290 Danach dürfen die VR gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GenDG weder vor noch nach Abschluss 278 OLG Hamm 12.1.2011 – I-20 U 102/10, VersR 2011 514; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 10: Merkmale nicht gefahrerheblich; Brand VersR 2009 715, 718; Karczewski RuS 2012 521, 524; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 41; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 27; Looschelders VersR 2011 697, 699. 279 Rolfs, in: FS E. Lorenz, S. 389, 392. 280 OLG Hamm 22.3.1995 VersR 1996 441; OLG Düsseldorf 18.12.1997 RuS 1999 120; LG Düsseldorf 10.10.1997 VersR 1998 1408; AG Hannover 26.8.2008 – 534 C 5012/08, VersR 2009 348. 281 EuGH 1.3.2011 – C-236/09 „test achats“, Slg. 2011 I-773 = NJW 2011 907. 282 Karczewski RuS 2012 521, 524; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 27; Romahn S. 133. 283 S. hierzu ausführlich Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung Kap. 2 Rn. 56 ff., Kap. 16 Rn. 49. 284 OLG Karlsruhe 27.5.2010 – 9 U 156/09, VersR 2010 1163; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 40; Romahn S. 136. 285 Dazu etwa Baumann ZVersWiss 2002 169; Berberich Zur Zulässigkeit genetischer Tests in der Lebens- und der privaten Krankenversicherung (1998); dies. VW 1998 1190; Buyten/Simon VersR 2003 813; Deutsch VersR 1991 1206; ders. AcP 192 (1992) 161; ders. VersR 1994 1; Fenger VersR 2004 307; Fenger/Schöffski NVersZ 2000 449; Hausheer ZVersWiss 2001 255; Hofmann Rechtsfragen der Genomanalyse (1999); Koring RPG 2002 90; Lorenz VersR 1999 1309; Meyer ArztR 2001 172; Präve ZfV 1991 82; ders. VersR 1992 279; Sahmer VersMed 1995 5; Schnittler DuD 1993 290; Schmidt Rechtliche Aspekte einer Genomanalyse (1992); Schöffski ZVersWiss 1999 265; Simon MDR 1991 5; Spranger VersR 2000 815; Taupitz Genetische Diagnostik und Versicherungsrecht (2000); Weichert DuD 2002 133; Weidner DOK 1992 68; ders. Der versicherungsrechtliche Rahmen für eine Verwertung von Genomanalysen (1993). 286 Fenger/Schöffski NVersZ 2000 449, 450; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 23; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 14; Schöffski ZVersWiss 1999 265, 278. 287 BGH 20.5.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201 263, 270. 288 Vgl. LG Bielefeld 14.2.2007 – 25 O 105/06, VersR 2007 636 mit Anm. Kubiak VersR 2007 638 f. 289 Gendiagnostikgesetz v. 31.7.2009, BGBl. I S. 2529. 290 Genenger NJW 2010 113, 116; Lensing VuR 2009 411 ff.; ausführlich dazu Präve VersR 2009 857 ff.; Ziegler/ Ziegler ZVersWiss 2011 29 ff. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

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eines Versicherungsvertrages die Durchführung einer genetischen Untersuchung fordern.291 § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GenDG statuiert darüber hinaus das Verbot, Auskünfte über bereits durchgeführte Untersuchungen oder Analysen zu verlangen oder solche Ergebnisse entgegenzunehmen. Für die Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits- und Pflegeversicherung ist bei sehr hohen Versicherungssummen zur Vermeidung von Missbräuchen in § 18 Abs. 1 Satz 2 GenDG aber eine Ausnahme bzgl. des letzteren Verbotes statuiert worden. Die Summengrenze beläuft sich auf eine Leistung von mehr als 300.000 EUR oder mehr als 30.000 EUR Jahresrente und bezieht sich auf die anfänglich vereinbarte Versicherungssumme, nachträgliche Erhöhungen bleiben unberücksichtigt.292 Um eine Umgehung des Verbots zu verhindern, ist auch die Entgegennahme bereits vorliegender Ergebnisse eines Gentests verboten,293 wobei der bloße Eingang solcher Ergebnisse in der Poststelle des VR noch keine Entgegennahme darstellt.294 In der Literatur ist dies als möglicher Nachteil für den einzelnen VN bewertet worden, da diesem die Möglichkeit vorenthalten werde, negative Gesundheitsindizien aus anderer Quelle durch Vorlage eines günstigen Gentests zu widerlegen.295 Nach dem GenDG ist der VN also auch nicht zur Anzeige solcher Umstände verpflichtet, die 48 ihm anlässlich eines freiwillig absolvierten Gentests bekannt geworden sind. Dies wird mit der hohen Sensibilität der Thematik begründet. Das Verbot, vom VN die Anzeige dieser freiwillig absolvierten Gentests zu fordern, umfasst allerdings nur prädiktive Gentests, welche zur Feststellung erblicher Veranlagungen für noch nicht klinisch manifestierte Erkrankungen durchgeführt werden, nicht umfasst sind dagegen diagnostische Tests zur Bestimmung einer genetischen Ursache für ein schon bestehendes Beschwerdebild.296 Gem. § 18 Abs. 2 GenDG wird die Anzeigepflicht für Vorerkrankungen und Erkrankungen durch das GenDG ausdrücklich nicht ausgeschlossen.297 Die VR können also bereits aufgetretene Krankheiten berücksichtigen, die auf einem genetischen Defekt gründen. Nicht entscheidend ist hierbei, ob die Krankheit durch eine genetische Untersuchung oder auf andere Weise festgestellt worden ist.298 Vor dem Inkrafttreten des GenDG plädierte die Literatur überwiegend für eine entsprechende Obliegenheit des VN, da gesetzliche Anhaltspunkte für eine Sonderbehandlung desjenigen Wissens, das der VN anlässlich einer Genomanalyse erlangt hatte, fehlten.299 Aber auch nach der Schaffung einer solchen gesetzlichen Grundlage, wird teilweise gefordert, dass die VR bereits bekannte Ergebnisse von freiwillig durchgeführten Gentests abfragen können sollten, um Antiselektion und Informationsasymmetrie zu vermeiden.300 Verfassungsrechtliche Bedenken, die aus dem Recht des VN auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG)301 resultieren, gelten heute überwiegend als unbegründet, da die vorvertragliche Anzeigepflicht des § 19 Abs. 1 eine recht- und verhältnismäßige Abwägung zwischen den schutzwerten Rechten und Interessen des VN gegen diejenigen des VR vornimmt.302 291 292 293 294 295 296

Bruns § 8 Rn. 15. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 38; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 23. Romahn S. 144 f.; krit. Brand VersR 2009 715, 718 f. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 23. Brand VersR 2009 715, 719. OLG Hamm 21.11.2007 – 20 U 64/07, VersR 2008 773; OLG Saarbrücken 20.10.2011 – 5 W 220/11, VersR 2012 557; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 21; Armbrüster VW 2010 1309; Kubiak VersR 2007 638 f.; Neuhaus RuS 2009 309, 316; Rolfs FS E. Lorenz, 389, 394; Romahn S. 140 ff.; diff. Neuhaus ZfS 2013 64, 65 ff; a.A. LG Bielefeld 14.2.2007 – 25 O 105/06, VersR 2007 636. 297 Neuhaus ZfS 2013 65 f. 298 Vgl. RegE BTDrucks. 16/3233 S. 44; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 39; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 38; Looschelders VersR 2011 697, 700; Präve VersR 2009 857, 861. 299 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 20; Berberich VW 1998 1190, 1192; Lorenz VersR 1999 1309, 1312; Sahmer VersMed 1995 5, 7; Taupitz Genetische Diagnostik und Versicherungsrecht (2000), S. 46. 300 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 23; s.a. Brand VersR 2009 715, 718 f. 301 BVerfG 15.12.1983 BVerfGE 65, 1, 41 ff. 302 Brand VersR 2009 715, 718; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 36; Lorenz VersR 1999 1309, 1314; Taupitz Genetische Diagnostik und Versicherungsrecht (2000), S. 43; a.A. Buyten/Simon VersR 2003 813, 814. 25

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

49 dd) Objektive Umstände: Sachversicherung. In der Einbruchdiebstahlversicherung ist anzugeben, dass der Betrieb insolvenzbedingt stillgelegt ist, und zwar auch dann, wenn es sich um einen reinen Bürobetrieb handelt.303 In der Feuerversicherung darf ein Bordellbetrieb nicht als Fitness-Center304 oder als „Pension“ angezeigt werden,305 ferner darf der VN nicht verschweigen, dass ihm zur Erpressung von Schutzgeld mit Brandstiftung gedroht worden war;306 in der Gebäudeversicherung darf der VN nicht verschweigen, dass er wegen Brandstiftung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war.307 In der Rechtsschutzversicherung muss ein Selbstmordversuch des VN mitgeteilt werden;308 in der Vollkaskoversicherung die Tatsache, dass das zu versichernde Fahrzeug seinen regelmäßigen Standort in Polen hat.309 50 Eine Verletzung der Anzeigepflicht verneint wurde in der Hausratversicherung, wenn der VN einen Vorschaden verschweigt, von dem nicht die zu versichernde, sondern eine andere ihm gehörende Wohnung betroffen war.310

51 ee) Subjektive Umstände. Der VR trägt neben der Gefahr, dass sich das versicherte Risiko verwirklicht, auch die Gefahr der unberechtigten Inanspruchnahme durch den VN, die sog. Vertragsgefahr.311 Er hat daher ein berechtigtes Interesse daran, auch sein diesbezügliches Risiko bei Vertragsabschluss sachgerecht einschätzen zu können und darf daher auch nach Umständen fragen, die zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit und der Vertragstreue des Antragstellers erforderlich sind. Schon das RG hat es den VR daher zugestanden, dass sie „ein Bild von der Persönlichkeit desjenigen bekommen, der als Antragsteller an sie herantritt“.312 Eine Verletzung der Anzeigepflicht ist daher z.B. zu bejahen, wenn der VN im Versicherungsantrag der Unfallversicherung die Frage, ob er wegen einer Verletzung eine Entschädigung erhalten habe, verneint, obwohl er innerhalb weniger Jahre vor der Antragstellung wiederholt Versicherungsleistungen aus Unfallversicherungen in nicht unerheblichem Umfang bezogen hat (im konkreten Fall wurde sogar arglistige Täuschung, § 22, § 123 BGB, bejaht)313 oder wenn er das Bestehen einer Doppelversicherung verschweigt.314 52 Nicht anzeigepflichtig ist es demgegenüber, wenn der VN gleichzeitig auch bei anderen VR um Versicherungsschutz nachsucht,315 wenn die Frage nach „bestehenden Hausratversicherungen“ verneint wird, der VN aber neben der – bislang unversicherten – Wohnung, für die er den Versicherungsschutz beantragt, noch weitere – versicherte – Wohnungen besitzt.316 Ebenso brauchen Vorschäden oder andere Verträge des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht angezeigt zu werden,317 was wegen der selbständigen Anzeigepflicht des Mitversicherten (§ 47 analog, siehe Rn. 25) allerdings nicht unzweifelhaft ist. Streitig ist, ob der VN seine schlechte wirtschaft303 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 25; zweifelnd BGH 22.9.1999 VersR 1999 1481. 304 OLG Köln 20.12.1990 RuS 1991 138. 305 OLG Koblenz 1.3.2002 – 10 U 433/01, VersR 2002 1145; vgl. BGH 20.6.2012 – IV ZR 150/11, VersR 2012 1300: so auch nach Inkrafttreten des ProstG. KG 6.3.1998 VersR 1999 577; dazu Prölss NVersZ 2000 153 ff. BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404. OLG Frankfurt/Main 2.5.1989 ZfS 1989 270. LG Köln 14.10.2004 – 24 O 413/03, VersR 2005 973. OLG Hamm 11.11.1998 VersR 1999 1265; zweifelnd Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 32. OLG Hamm 16.1.1981 VersR 1981 953; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 19; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 81. 312 RG 15.5.1931 RGZ 132 386, 390; vgl. zur Betrugsgefahr auch RG 2.12.1925 RGZ 112 149, 155 ff. 313 OLG Karlsruhe 18.4.1991 RuS 1992 140; ähnlich LG Mannheim 21.6.1990 VersR 1992 1458. 314 OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229; OLG Hamm 29.4.1992 RuS 1992 361; OLG Frankfurt/Main 22.2.1995 VersR 1996 701; OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1531; Wussow VersR 2003 1481, 1484. 315 OLG Hamm 29.1.1993 VersR 1993 1135. 316 OLG Hamm 11.11.1998 VersR 1999 1265. 317 OLG Hamm 6.12.1989 RuS 1990 168; OLG Köln 13.9.1990 VersR 1992 231.

306 307 308 309 310 311

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liche Situation anzuzeigen hat.318 Das OLG Hamm hat dies mit der Begründung verneint, dass der VR gegen Prämienverzug hinreichend durch die besonderen Bestimmungen der §§ 37 ff. geschützt sei und das Prämienrisiko nicht zu den vom VR übernommenen Gefahren i.S.d. § 19 zähle.319 Dem wird entgegen gehalten, dass die Bonität des VN neben dem Prämienrisiko des VR auch das Risiko seiner unberechtigten Inanspruchnahme in betrügerischer Absicht betreffe, einen bestimmten Risikoverlauf daher zumindest befürchten lasse und daher dem VR bei Vertragsabschluss anzuzeigen sei.320 Der Rechtsprechung ist im Ergebnis gleichwohl beizutreten, weil es einen statistisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen schlechter wirtschaftlicher Situation des VN und Versicherungsbetrug – namentlich in der Personenversicherung – nicht gibt und es sozialpolitisch inakzeptabel wäre, Antragstellern mit zweifelhafter Bonität Versicherungsschutz zu versagen.321

ff) Indizierende Umstände. Anzuzeigen sind auf eine entsprechende Frage des VR schließlich 53 auch alle sog. indizierenden Umstände, das sind solche, die zwar nicht ihrerseits unmittelbar gefahrerheblich sind, aber auf die Existenz eines gefahrerheblichen Umstandes schließen lassen.322 Derartige Umstände spielen v.a. in der Personenversicherung eine erhebliche Rolle, weil der Antragsteller häufig lediglich Kenntnis von bestimmten Beschwerden oder (Teil-)Diagnosen hat, die eine ernstere Erkrankung für möglich erscheinen lassen, auch wenn deren Eintritt keineswegs zwingend ist. Dem VN fällt dann eine Verletzung seiner aus § 19 Abs. 1 resultierenden Obliegenheit zur Last, wenn er die ihm bekannten Tatsachen – auch wenn er sie selbst für belanglos hält323 – trotz entsprechender Frage verschweigt und damit eine sachgerechte Einschätzung des Risikos durch den VR vereitelt. Die Prüfung und Bewertung der Indiztatsachen ist Sache des VR, nicht des VN.324 Im Einzelnen hat die Rechtsprechung die Anzeigeobliegenheit in der Lebensversicherung 54 bejaht für arterielle Durchblutungsstörungen als Indiz für einen späteren Herzinfarkt,325 für Bluthochdruck bezüglich einer beginnende Koronarsklerose,326 für ärztliche Behandlungen wegen Depression, psychosomatischen Syndromen und vegetativer Dystönie, die später eine akute paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zur Folge hatten,327 für erhöhte Leberwerte, die einen Leberschaden oder eine beginnende Leberzirrhose indizieren können,328 für überhöhte Cholesterin-, Triglyzerid- und Gamma-GT-Werte bei späterem Herzinfarkt des VN;329 in der Berufsunfähigkeits(zusatz)versicherung für einen „nicht ganz einwandfreien“ EKG-Befund, auch wenn ein konkreter Anhalt für das Vorliegen eines Myocardschadens nicht gegeben war,330 für erhöhte Leberwerte, die später zu einem chronischen 318 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 4: prämiengefahrerhebliche Umstände können unter dem Aspekt der Vertragsgefahr anzeigepflichtig sein.

319 OLG Hamm 16.1.1981 VersR 1981 953; 24.9.1986 VersR 1988 173; ebenso OLG Karlsruhe 19.3.1992 VersR 1992 1208; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 82; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 79. 320 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 21; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 35; Langheid/ Wandt/Langheid § 19 Rn. 84. 321 A.A. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 84. 322 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 18. 323 OGH Wien 25.11.2020 – 7 Ob 189/20z, ZVers 2021 132; OLG Frankfurt/Main 25.1.1995 RuS 1997 172; OLG Koblenz 3.6.2005 – 10 U 939/04, VersR 2005 1671. 324 BGH 2.3.1994 VersR 1994 711; OGH Wien 25.11.2020 – 7 Ob 189/20z, ZVers 2021 132; einschränkend Knappmann RuS 1996 81, 84 f. 325 OLG Schleswig 18.9.1996 RuS 1999 523. 326 Offen lassend OLG Köln 15.9.1988 RuS 1988 322. 327 OLG Hamm 23.11.1990 RuS 1991 66. 328 OLG Köln 20.6.1991 RuS 1991 354. 329 OLG Saarbrücken 8.9.2004 – 5 U 25/04, VersR 2005 1572. 330 BGH 26.5.1980 VersR 1980 762. 27

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

Leberschaden sowie einer labilen Hypertonie mit Berufsunfähigkeit des VN geführt haben,331 für eine kurz vor dem Versicherungsantrag begonnene fachpsychiatrische Behandlung, deren Diagnose (auf einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung beruhende reaktive Depression) dem VN noch nicht bekannt war;332 in der Krankenversicherung für eine Trigeminus-Neuralgie, ein hyperkinetisches Herzsyndrom und ein Cervicalsyndrom, die später eine Operation am Trigeminus-Nerv erforderlich machten.333 Anzeigepflichtig sind auch solche Symptome, wegen derer sich der VN (noch) nicht in ärztlicher Behandlung befindet, z.B. Kopfschmerzen.334

55 c) Positive Kenntnis der Umstände. § 19 Abs. 1 verpflichtet den VN (nur), die „ihm bekannten Gefahrumstände“ anzuzeigen. Das bedeutet grundsätzlich, dass er positive Kenntnis von dem entsprechenden Umstand haben muss.335 Fahrlässige, selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügt demgegenüber nicht.336 Dementsprechend hat die Rechtsprechung beispielsweise einen Rücktritt des VR abgelehnt, wenn der VN unter chronischer Bronchitis mit beginnendem Bronchialasthma litt, im Antrag aber lediglich „Husten, Schnupfen“ angegeben hatte, weil er sich aufgrund der Angaben seines Hausarztes für gesund halten durfte,337 oder wenn er den Arzt wegen Schlafstörungen aufgesucht und dieser ihm – was er angezeigt hat – ein Schlafmittel verordnet, nicht aber gesagt worden war, dass er an einem reaktiven depressiven Symptom litt.338 Nichtwissen steht der positiven Kenntnis nur dann gleich, wenn der VN sich der Kenntnis arglistig entzogen hat.339 Dies findet zwar im Wortlaut des neuen § 19 – anders als im früheren § 16 Abs. 2 Satz 2 – heute keinen Ausdruck mehr, ergibt sich aber aus § 22 i.V.m. § 123 Abs. 1 BGB.340 Näher dazu daher § 22 Rn. 22.

56 aa) Maßgebender Zeitpunkt. Das Gesetz geht von einer bestimmten Reihenfolge der Vertragserklärungen aus, nämlich davon, dass der VN den Antrag i.S.v. § 145 BGB stellt, den der VR sodann annimmt. Bei einer derartigen zeitlichen Abfolge muss die Kenntnis im nach Absatz 1 maßgebenden Zeitpunkt, d.h. bei Abgabe der Vertragserklärung des VN (Satz 1), nur bei Nachfragen des VR vor dessen Annahme bis zu diesem Zeitpunkt (Satz 2), vorliegen. Spätere Erlangung der Kenntnis ist unschädlich, kann aber eine Nachmeldeobliegenheit auslösen (§ 23 Abs. 2 und 3).341 Im Grundsatz nicht angezeigt zu werden brauchen diejenigen Umstände, von

331 332 333 334 335

BGH 2.3.1994 VersR 1994 711. OLG Koblenz 17.11.2000 – 10 U 1979/99, VersR 2001 887. OLG Hamm 9.2.1996 VersR 1997 34. OGH Wien 29.10.1992 VersR 1994 203. BGH 13.10.1982 VersR 1983 25; 11.2.2009 – IV ZR 26/06, VersR 2009 529, 530; 25.9.2019 – IV ZR 247/18, VersR 2020 18; OLG Frankfurt/Main 13.11.2002 – 7 U 31/02, VersR 2003 1384; OLG Saarbrücken 14.6.2006 – 5 U 697/05, VersR 2007 193; Herrmann VersR 2003 1333, 1334 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 54; von Koppenfels-Spies ZfS 2004 489, 490; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 57; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 26; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 39; Prölss ZVersWiss 2001 471, 492. 336 BGH 13.10.1982 VersR 1983 25; 2.3.1994 VersR 1994 711; LG Berlin 19.12.2000 – 7 O 437/99, VersR 2001 1226; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 67 f.; Herrmann VersR 2003 1333, 1334 f.; Armbrüster Rn. 912; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 54; unrichtig daher LG Düsseldorf 10.10.1997 VersR 1998 1408: Verneinung der Frage nach der Schwangerschaft, obwohl sich diese bereits in der fünften Woche befand, was die VN – die sich allerdings in der Phase der „Familienplanung“ befand – aber noch nicht wusste. 337 OLG Hamm 26.11.1993 VersR 1994 1333. 338 KG 8.4.2005 – 6 U 5/05, VersR 2006 1393. 339 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 29; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 57; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 41; a.A. Schwampe VersR 1984 308, 310. 340 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 41: Treu und Glauben, § 242 BGB. 341 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 8. Rolfs

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denen der VN früher einmal Kenntnis hatte, die ihm aber zwischenzeitlich entfallen sind.342 Das bedeutet freilich nicht, dass sich die Anzeigepflicht nur auf solche Umstände bezieht, die dem VN sogleich präsent sind; vielmehr verlangt das Gesetz von ihm, dass er sein Gedächtnis prüft (Nachfrage- und Erkundigungspflicht).343 Der VN kann nicht einwenden, er habe um den Umstand zwar gewusst, jedoch gerade nicht an ihn gedacht. Es wird unter Kenntnis i.S.d. Gefahrenanzeigevorschriften das jederzeit aktualisierbare Wissen des VN verstanden. Zu diesem gehören alle Umstände, deren sich der VN bei gehöriger Gedächtnisanspannung bewusst werden kann.344

bb) Gefahrumstände. In Abhängigkeit von der seitens des VR gestellten Frage hat der Antrag- 57 steller ihm bekannte (Teil-)Umstände auch dann anzuzeigen, wenn er über ihre Zusammenhänge noch im Unklaren ist. Dies betrifft namentlich Krankheitssymptome, die von ihm (oder auch von den behandelnden Ärzten) noch keiner spezifischen Erkrankung zugeordnet werden können.345 Die bloße Vermutung einer bestimmten Krankheit (des VN oder des Arztes) ist keine objektiv oder subjektiv gefahrrelevante Tatsache und daher (wenn nur nach dem Gesundheitszustand des VN gefragt ist) nicht anzeigepflichtig.346 Anzuzeigen sein können aber diejenigen Tatsachen, die die Vermutung begründen; dementsprechend hat der BGH einem VR das Rücktrittsrecht zugestanden, dem der VN die anlässlich einer EKG-Untersuchung festgestellten Unregelmäßigkeiten der Herzfunktion verschwiegen hatte, obwohl ihm noch unbekannt war, dass diese auf einer absoluten Arrhythmie des Herzens mit Vorhofflimmern beruhten.347 Vorauszusetzen ist freilich insoweit, dass der VN zumindest Kenntnis von den Symptomen hatte und er ihnen Krankheitswert beigemessen hat.348 Waren ihm – z.B. infolge einer Bewusstseinsstörung – selbst diese verborgen geblieben, fällt ihm auch keine Obliegenheitsverletzung zur Last.349 Nicht erforderlich ist es, dass der VN die korrekte medizinische Bezeichnung angibt; es genügt vielmehr die Angabe des Krankheitsbildes und der damit einhergehenden Beschwerden.350 Die Kenntnis muss sich aber lediglich auf den Umstand selbst beziehen; Kenntnis der Ge- 58 fahrrelevanz ist nicht erforderlich.351 Dafür sprechen Wortlaut und Zweck des § 19 Abs. 1. Der Wortlaut von Absatz 1 Satz 1 bezieht die Kenntnis des VN nur auf die „Gefahrumstände“, nicht aber auf die Erheblichkeit für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen. Zweck der Vorschrift ist es, dem VR eine umfassende und zutreffende Einschät342 OLG Oldenburg 16.1.1991 VersR 1992 434; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 152. 343 BGH 3.11.1966 VersR 1967 56; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 26; Knappmann RuS 1996 81, 81 f.; Langheid/ Rixecker/Langheid § 19 Rn. 29; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 512; vgl. auch BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250, 252.

344 BGH 11.2.2009 – IV ZR 26/06, VersR 2009 529; OLG Oldenburg 16.1.1991 VersR 1992 434; OLG Hamm 28.2.2020 – 20 U 160/19, VersR 2020 1304; vgl. OLG Hamm 1.12.2017 – I-20 U 64/17, VersR 2018 282; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 26; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 54; Lücke VersR 1996 785, 787; Neuhaus RuS 2011 273, 273 f. 345 BGH 8.3.1989 VersR 1989 689; OLG Hamm 28.11.1984 VersR 1985 958; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 14, 28. 346 BGH 27.6.1984 VersR 1984 884. 347 BGH 26.10.1994 VersR 1994 1457. 348 OLG Koblenz 18.1.2002 – 10 U 374/01, VersR 2002 1091 (Ekel vor Urin, Blut und unhygienischen Umständen als gefahrrelevante Umstände in der Berufsunfähigkeitsversicherung); OLG Saarbrücken 29.10.2003 – 5 U 206/03, VersR 2004 1444 (Konzentrationsstörungen und Antriebsschwäche als „Störungen der Gesundheit [Nerven, Psyche])“. 349 OLG München 25.6.1987 VersR 1988 33. 350 LG Kiel 23.11.2012 – 5 O 46/12, MedR 2013 308; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 58. 351 BGH 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486; 7.3.2007 – IV ZR 133/06, VersR 2007 821; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 30; von Koppenfels-Spies ZfS 2004 489, 490; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 28; Schwampe VersR 1984 308, 313 f.; Wegmann Obliegenheiten in der privaten Krankenversicherung, S. 106; a.A. Romahn S. 160. 29

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zung des zu übernehmenden Risikos zu ermöglichen (Rn. 6); es ist im Rahmen der Vertragsfreiheit ihm überlassen, welche Umstände er für gefahrerheblich hält und deswegen ggf. Prämienzuschläge verlangt, ob er bestimme Risiken ausschließt oder den Abschluss des Vertrages vollständig ablehnt. Ob der Antragsteller die Umstände für wesentlich oder für belanglos hält, ist unerheblich.352 59 Seine Grenze findet der vorgenannte Grundsatz allerdings hinsichtlich offenkundig belangloser Umstände.353 Dazu zählt in der Lebens-, Berufunfähigkeits- und Krankenversicherung beispielsweise, dass beim VN ein EKG gemacht worden ist, wenn dieses ohne jeden Befund geblieben ist;354 dasselbe gilt für Arztbesuche, die zu keinem Befund geführt haben.355 Angedeutet hat der BGH auch, dass gewöhnliche Sportverletzungen356 und weit verbreitete Beschwerden, denen in aller Regel von den Betroffenen Bedeutung nicht beigemessen wird, nicht angezeigt zu werden brauchen.357 Anderes dürfte gelten, wenn Bagatellerkrankungen gehäuft auftreten.358 Fragt der VR nach „Krankheiten, Störungen oder Beschwerden“, so erfasst dies jede Gesundheitsbeeinträchtigung, die nicht offenkundig belanglos ist oder alsbald vergeht.359 60 Unterschiedlich beurteilt wird, ob derjenige VN eine vorvertragliche Obliegenheitsverletzung begeht, der einen in Wahrheit nicht existierenden gefahrrelevanten Umstand zu kennen glaubt, aber nicht anzeigt. Nach Auffassung des BGH hat der VN dem VR, wenn ihm durch Angaben der ihn zuvor behandelnden Ärzte die Kenntnis einer bestimmten Diagnose vermittelt worden ist, diese dem VR auch dann anzuzeigen, wenn sie sich im Nachhinein als objektiv unzutreffend erweisen. Denn § 19 Abs. 1 knüpfe die Obliegenheit zu deren Anzeige allein an die Kenntnis des Antragstellers bei Beantwortung der Antragsfragen. Habe er zu diesem Zeitpunkt nach Maßgabe der ihm offenbarten ärztlichen Einschätzungen Kenntnis von gefahrerheblichen Umständen gehabt, obliege es ihm, sie anzuzeigen, während deren Prüfung und Bewertung Sache des VR sei.360 Dem kann allerdings nicht uneingeschränkt beigetreten werden. Denn eine nicht existierende Krankheit kann nicht gefahrrelevant sein, ihr fehlt objektiv die Erheblichkeit. Dasselbe gilt jedenfalls grundsätzlich auch für die irrige Vorstellung des VN von seiner Erkrankung, solange diese keine neurotischen Zustände (z.B. Rentenneurose) zur Folge hat. Gefahrrelevant und damit anzeigepflichtig können damit in aller Regel nur die ärztlich diagnostizierten Einzelsymptome, nicht aber die – fälschlich – daraus abgeleitete Erkrankung sein.361 Beide Auffassungen führen allerdings zum gleichen Ergebnis, wenn der VR sowohl nach Krankheiten als auch nach Diagnosen fragt, „denn die Existenz der Diagnose bleibt von ihrer Unrichtigkeit unberührt, und wenn der VR seine Entscheidung vom Bestehen einer – wenn auch möglicherweise unrichtigen – Diagnose abhängig macht, dann ist dieser Umstand als solcher gefahrrelevant“.362 Zu einer abweichenden Beurteilung gelangt man nur für den Fall, dass allein nach Krankheiten gefragt wird und daher das Verschweigen der Diagnose dem VR nur bei arglistiger Täuschung (§ 22 i.V.m. § 123 Abs. 1 BGB) eine Möglichkeit der Lösung vom Vertrag ermöglicht. 352 BGH 7.3.2007 – IV ZR 133/06, VersR 2007 821; OLG Frankfurt/Main 25.1.1995 RuS 1997 172; OLG Celle 15.3.2007 – 8 U 196/06, VersR 2007 1355; OLG Dresden 18.9.2020 – 4 U 1059/20, RuS 2021 469; 29.4.2021 – 4 U 2453/ 20, RuS 2021 529; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 512. 353 BGH 9.3.2011 – IV ZR 130/09, VersR 2011 737; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 58. 354 Andeutungsweise BGH 26.10.1994 VersR 1994 1457. 355 OLG Karlsruhe 17.6.1999 RuS 2000 82; LG Berlin 14.8.2001 – 7 O 504/00, VersR 2002 697; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 18; a.A. OLG Koblenz 31.7.1998 VersR 1999 840. 356 BGH 20.2.1991 VersR 1991 578; Wussow VersR 2003 1481, 1482. 357 BGH 26.10.1994 VersR 1994 1457. 358 H. D. Schmidt VersR 1986 511, 512. 359 BGH 2.3.1994 VersR 1994 711; 26.10.1994 VersR 1994 1457; 19.3.2003 – IV ZR 67/02, RuS 2003 336; OLG Frankfurt/Main 17.5.2000 – 7 U 121/99, RuS 2000 517; KG 19.5.2006 – 6 W 14/06, RuS 2007 112. 360 BGH 2.3.1994 VersR 1994 711; OLG Hamm 5.1.1996 RuS 1997 215. 361 Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 48. 362 Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 48. Rolfs

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cc) Kenntnis und Kenntniszurechnung. Bei Personen(handels)gesellschaften und juristi- 61 schen Personen kommt es nicht allein auf die Kenntnis der Organmitglieder (§§ 31, 89 BGB)363 oder des individuellen Sachbearbeiters an, der mit der Stellung des Versicherungsantrages betraut ist. Da das Gesetz darauf abstellt, ob „dem VN“ Umstände bekannt sind, reicht es aus, dass die Kenntnis an irgendeiner Stelle im Unternehmen vorhanden ist, soweit der zuständige Sachbearbeiter bei der von einem gewissenhaften Kaufmann zu verlangenden Sorgfalt die Möglichkeit hatte, sich diese Kenntnis durch Nachfrage selbst zu verschaffen.364 Im Übrigen ist neben der positiven Kenntnis des VN selbst auch diejenige seines Repräsen- 62 tanten maßgeblich (dazu schon Rn. 20 f.). Bei der Versicherung für fremde Rechnung ordnet das Gesetz eine Kenntniszurechnung an: Soweit die Kenntnis des VN von rechtlicher Bedeutung ist, ist auch die Kenntnis des Versicherten zu berücksichtigen (allgemein § 47 Abs. 1;365 ferner in der Lebens- [§ 156], in der Berufsunfähigkeits- [§ 176 i.V.m. § 156], in der Unfall- [§ 179 Abs. 3] und in der Krankenversicherung [§ 193 Abs. 2], wenn die Versicherung auf die Person eines anderen genommen wurde). Nach Maßgabe des § 20 ist ferner die Kenntnis des Vertreters des VN zu berücksichtigen (dazu § 20 Rn. 11 f.). Schließlich wird dem VN auch die Kenntnis des Wissenserklärungsvertreters zugerechnet (vgl. Rn. 21). d) Erheblichkeit der Umstände. Die Anzeigeobliegenheit des VN erstreckt sich nach Absatz 1 63 Satz 1 nur auf diejenigen Gefahrumstände, die für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind. In diesem Sinne erheblich sind alle Umstände, die den VR – hätte er sie gekannt – veranlasst haben könnten, den Versicherungsvertrag entweder gar nicht oder nur mit einem vom Üblichen abweichenden Inhalt (z.B. mit erhöhter Prämie, längeren Wartezeiten, bestimmten Versicherungsausschlüssen) abzuschließen,366 weil sie nach der Lebenserfahrung die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalles oder der unberechtigten Inanspruchnahme des VR (darunter auch der Inanspruchnahme trotz eines Risikoausschlusses) nicht nur völlig unwesentlich erhöhen. Ob der VR im Einzelfall tatsächlich eine andere Entscheidung getroffen hätte, ist demgegenüber ohne Bedeutung.367 Es genügt daher z.B., dass der VR bei Kenntnis der Umstände lediglich weitere Nachforschungen angestellt hätte, selbst wenn er in Abhängigkeit von deren Ergebnis den Vertrag letztlich möglicherweise unverändert eingegangen wäre.368 Ob dies der Fall ist, hängt von den Geschäftsgrundsätzen des VR, von seiner Annahme- 64 politik und damit davon ab, von welchen Umständen sich der konkrete VR bei der Risikoprüfung leiten lässt.369 Insoweit ist, insbesondere hinsichtlich des Maßes der vom VR im Prozess zu verlangenden Substantiierung zu differenzieren: In Bezug auf offenkundig gefahrerhebliche Umstände trifft den VR keine nähere Darlegungslast.370 Dabei handelt es sich um solche, die jeden VR zur Ablehnung des Versicherungsantrags, der Vereinbarung von Leistungsausschlüssen, erweiterten Wartezeiten oder Prämienzuschlägen veranlassen. Offenkundig gefahrerheblich sind nach der Rechtsprechung des BGH in der Lebens- und Berufsunfähigkeits(zusatz)versicherung beispielsweise über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahren ärztlich 363 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 59; Knappmann RuS 1996 81, 84; ders. VersR 1997 261, 261; Lange VersR 2006 605, 607; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 42; Reiff RuS 1998 89, 95. 364 Ähnlich Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 53. 365 Zur D&O-Versicherung: Looschelders VersR 2018 1413, 1419. 366 BGH 28.3.1984 VersR 1984 629; 11.7.1984 VersR 1984 855; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 16; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 64; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 28. 367 OLG Saarbrücken 25.11.1992 VersR 1994 847; Neuhaus RuS 2008 45, 47. 368 OLG Köln 22.8.1994 RuS 1995 242. 369 BGH 11.7.1984 VersR 1984 855; 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486; OLG Köln 8.11.1990 VersR 1991 871; OLG Frankfurt/Main 5.12.2001 – 7 U 40/01, VersR 2002 559; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 5; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 74 f.; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 28; Wandt Rn. 823. 370 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 5. 31

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Anzeigepflicht

behandelte Herzbeschwerden,371 mehrjähriger Alkoholmissbrauch mit ambulanter und stationärer Behandlung,372 vasovegetative Migräne und vegetative Störungen und Labilität bei gleichzeitiger Verordnung von Psychopharmaka,373 ein dreiwöchiger Kuraufenthalt wegen eines psychovegetativen Erschöpfungszustandes.374 65 Demgegenüber ist der VR bei nicht offenkundig gefahrerheblichen Umständen gehalten, seine Risikoprüfungsgrundsätze offen zu legen. Nicht offenkundig in diesem Sinne sind – in der Personenversicherung – Gesundheitsstörungen, die als leicht einzuordnen und nicht wiederholt aufgetreten sind und deshalb von vornherein keinen Anhalt dafür bieten, dass sie für die Risikoeinschätzung des VR hinsichtlich des auf Dauer angelegten Versicherungsvertrags von Bedeutung sein könnten.375 Der BGH hat demgemäß die Offenlegung der Risikoprüfungsgrundsätze des VR in folgenden Fällen für geboten erachtet: Bei Herzbeschwerden ohne klinischen Befund,376 bei einer erstmals infolge einer Sportverletzung aufgetretenen Lumbalgie,377 beim erstmaligen Auftreten von Beschwerden im Gesäß, die nach Massagen keine weitere ärztliche Behandlung geboten378 und bei Ohnmacht, Schwindelanfällen und Übelkeiten eines in der Pubertät befindlichen Jugendlichen.379 Gleiches wurde im Falle einer stationären Behandlung des VN wegen einer Reifungskrise bei schizoider Primärpersönlichkeit angenommen, wenn die Krankheit nicht als chronisch angesehen und durch stützende Psychotherapie sowie mit Psychopharmaka behandelt und der VN mit günstiger Prognose entlassen wurde.380 66 Hat der Antragsteller mehrere Umstände verschwiegen, so darf nicht jeder einzelne von ihnen isoliert betrachtet werden. Vielmehr muss, um ihre Gefahrerheblichkeit und deren Offenkundigkeit beurteilen zu können, die Summe der dem VR verschwiegenen Tatsachen betrachtet werden. Dies gilt insbesondere für Krankheiten. Hier ist stets auf das Gesamtbild abzustellen, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des VN vermitteln.381 Deshalb sind auch auffallend viele, nicht bei Vertragsschluss angegebene Bagatellerkrankungen als gefahrerheblich zu bewerten, da sie als indizierende Umstände auf den allgemeinen Gesundheitszustand rückschließen lassen.382

3. Zeitpunkt der Anzeigeobliegenheit 67 a) Bis zur Abgabe der Vertragserklärung. Eine wesentliche Änderung des § 19 Abs. 1 2008 gegenüber § 16 a.F. besteht darin, dass der Antragsteller grundsätzlich nicht mehr bis zur „Schließung“ des Vertrages zur Anzeige der gefahrerheblichen Umstände verpflichtet ist, sondern nur noch bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung.383 Dies ist in der Praxis meist der Antrag des VN.384 Dieser Änderung liegt die Erwägung des Gesetzgebers zugrunde, dass der durchschnittliche VN davon ausgehen wird, dass er seiner Pflicht gegenüber dem VR nachge-

371 372 373 374 375 376 377 378 379 380 381 382 383 384 Rolfs

BGH 11.7.1990 VersR 1990 1002. BGH 25.10.1989 VersR 1990 297. BGH 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486. BGH 11.2.2009 – IV ZR 26/06, RuS 2009 361. BGH 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486. BGH 17.10.1990 VersR 1990 1382. BGH 20.2.1991 VersR 1991 578. BGH 7.7.1993 RuS 1993 393; s.a. OLG Naumburg 24.11.2011 – 4 U 117/10, VersR 2012 885. BGH 11.5.1998 NJW-RR 1988 1049. BGH 28.3.1984 VersR 1984 629. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 13. OLG Hamm 23.11.1990 RuS 1991 66; LG Berlin 23.10.2001 – 7 O 362/00, VersR 2004 1303. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 100. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 100; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 103; Reusch VersR 2007 1313, 1313. 32

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kommen ist, wenn er die ihm vorgelegten Fragen zum Zeitpunkt seiner Antragstellung zutreffend beantwortet hat. Eine bloße Belehrung durch den VR, dass er auch solche nachgefragten Umstände anzuzeigen hat, die erst nach der Antragstellung entstanden oder ihm bekannt geworden sind, erscheint angesichts des Umfanges der vom VN vor Vertragsschluss zur Kenntnis zu nehmenden Informationen des VR nicht ausreichend.385 Abgabe der Vertragserklärung des VN bedeutet nach allgemeinen Regeln, dass der VN sei- 68 nen rechtsgeschäftlichen Willen, den Versicherungsvertrag einzugehen, erkennbar so geäußert hat, dass an der Endgültigkeit der Erklärung kein Zweifel möglich ist, und dass die Erklärung mit dem Willen des VN in den Verkehr gebracht worden ist.386 Dazu ist in der Regel die Unterzeichnung des Antrags seitens des VN und dessen Übersendung oder Überreichung an den VR erforderlich, wenn dieser nicht – ausnahmsweise – auf einen schriftlichen Antrag des VN verzichtet. Auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der vom VN abgegebenen Erklärung (also ihren Zugang beim VR [§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB] bzw. den Ablauf der zweiwöchigen Widerspruchsfrist des § 8 Abs. 1) kommt es nicht an.387 Besondere Probleme stellen sich, wenn der rechtsgeschäftliche Antrag i.S.v. § 145 BGB 69 ausnahmsweise nicht vom VN, sondern vom VR ausgegangen ist. Das betrifft zum einen das Invitatio-Modell, bei dem der Antragsteller dem VR den ausgefüllten Fragebogen mit der Bitte übersendet, ihm eine Offerte zu unterbreiten. Nach dem Wortlaut des Gesetzes bestünde die Anzeigeobliegenheit weiter, bis der VN seine Vertragserklärung (Annahme) abgibt. Eine solche Interpretation entspräche indessen nicht dem Zweck des Gesetzes, das vom Antragsmodell und damit von einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang der Fragen und ihrer Beantwortung ausgeht.388 Hier verbleibt es also dabei, dass der VN ohne erneute Fragen des VR nur unter den Voraussetzungen von Absatz 1 Satz 2 zur „Nachmeldung“ verpflichtet bleibt, obwohl seine Vertragserklärung der des VR nachfolgt.389 Zum anderen kann der Antrag vom VR beispielsweise dann ausgehen, wenn er dem VN offeriert, das bestehende Vertragsverhältnis zu verlängern oder die Versicherungssumme zu erhöhen. Hier liegen die Dinge anders als beim Invitatio-Modell: Erfolgte dieses Angebot vorbehaltlos, käme eine Anzeige erhöhter Gefahrumstände mit der Annahmeerklärung des VN für den VR zu spät.390 Der BGH löst das Problem, indem er es dem VN in dieser Situation versagt, lediglich das Angebot des VR anzunehmen, wenn er ihm in Erfüllung seiner gesetzlichen Obliegenheit (noch) etwas anzuzeigen hat. Vielmehr kann der VN in derartigen Situationen seiner Obliegenheit nur dadurch nachkommen, dass er zunächst von einer Annahme absieht und den VR wahrheitsgemäß über gefahrerhebliche Umstände informiert. Schon aus Zeitgründen, § 147 Abs. 2 BGB, verliert das Angebot des VR dann seine Wirksamkeit und der VR ist wieder frei, nach erneuter Risikoprüfung seine Entscheidung zu treffen. Im Falle eines neuerlichen Vertragsangebotes steht es dem anderen Teil dann seinerseits frei, dieses anzunehmen oder abzulehnen.391 Ähnlich können die Dinge liegen, wenn der VR den Antrag erst nach Ablauf der Annahme- 70 frist, während derer der VN an den Antrag gebunden ist, annimmt. Nach § 150 Abs. 1 BGB ist in dieser verspäteten Annahme ein neuer Antrag zu sehen, sodass nunmehr die Annahme dieses Antrags durch den VN seine Vertragserklärung i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 darstellt, bis zu der er

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RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65. BGH 30.5.1975 BGHZ 65, 13, 14; Staudinger/Singer/Benedict § 130 BGB Rn. 28. Zu § 8 VVG (§ 5a VVG a.F.) ebenso schon früher Lorenz VersR 1995 616, 620 f.; Schirmer VersR 1996 1045, 1054. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 54; Neuhaus RuS 2008 45, 48. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 100; Brandt VersR 2009 715, 719 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 100; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 47; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 54; Looschelders VersR 2011 697, 701; Schimikowski RuS 2009 353, 354; Wandt Rn. 829; diff. Langheid/Wandt/ Langheid § 19 Rn. 52. 390 Weidner RuS 2007 138, 139; vgl. auch Gaul VersR 2007 21, 26. 391 BGH 9.12.1991 BGHZ 121 6, 12; a.A. Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 60 f. 33

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seine Anzeigeobliegenheit zu erfüllen hat.392 Es erscheint aber äußerst fraglich, ob den VN, dem möglicherweise weder bewusst ist, dass der VR die Annahmefrist hat verstreichen lassen, noch, welche Rechtsfolge dies nach § 150 Abs. 1 BGB für die Vertragserklärung des VR hat, ein Verschulden trifft, wenn er nicht erkennt, dass ihn nun nochmals eine Anzeigeobliegenheit trifft.393 Wenn die wohl h.M. dennoch annimmt, der VN müsse die Umstände bei seiner Annahmeerklärung anzeigen und dem VR Gelegenheit geben, seinen Antrag anzupassen,394 so übersieht sie, dass es nicht zu Lasten des VN gehen kann, wenn der VR dessen ursprünglichen Antrag nicht fristgerecht bearbeitet, sondern die – ja regelmäßig von ihm selbst formularmäßig vorformulierte – Annahmefrist hat verstreichen lassen, ohne die Gefahrfragen erneut zu stellen.

71 b) Bis zur Annahme durch den Versicherer (Nachmeldepflicht; Absatz 1 Satz 2). Umstände, die erst nach Abgabe der Vertragserklärung des VN entstanden oder ihm bekannt geworden sind, braucht er im Rahmen seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht im Grundsatz nicht mehr anzugeben. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz statuiert Absatz 1 Satz 2: Stellt der VR nach der Vertragserklärung des VN, aber vor der Vertragsannahme Fragen nach dem VN bekannten, für den Vertragsentschluss des VR erheblichen Gefahrumständen, so ist der VN auch insoweit zur Anzeige verpflichtet (erweiterte Anzeigepflicht, Nachmeldeobliegenheit).395 Die Voraussetzungen der erweiterten Anzeigepflicht entsprechen im Grundsatz denjenigen 72 nach Satz 1: Der VR muss in Textform Fragen gestellt haben, wobei unerheblich ist, ob er diese Fragen bereits vor Abgabe der Vertragserklärung des VN schon einmal gestellt hatte oder ob er sie nunmehr erstmalig stellt.396 Dabei muss, wenn eine Anzeigepflichtverletzung des VN in Rede steht, exakt geprüft werden, welche Fragen der VR zu diesem späten Zeitpunkt – erstmals oder nochmals – gestellt hat. Wünscht er beispielsweise nur noch über nicht unerhebliche Verschlechterungen der Gesundheit der zu versichernden Person zwischen Vertragsangebot und Angebotsannahme unterrichtet zu werden, braucht der VN lediglich gesicherte Erkrankungen von einigem Gewicht, nicht aber einen bloßen Krankheitsverdacht mitzuteilen.397 Von der erweiterten Anzeigepflicht unberührt bleibt die Obliegenheit des VN, nachträglich 73 erkannte (§ 23 Abs. 2) oder eingetretene (§ 23 Abs. 3) Umstände, die die vom VR zu tragende Gefahr erhöhen, diesem anzuzeigen. Eine Verletzung dieser Obliegenheit kann Leistungsfreiheit des VR zur Folge haben (§ 26 Abs. 2), ihn aber nicht zum Rücktritt berechtigen.

II. Erklärungsempfänger 1. Versicherer 74 Die Anzeige ist dem VR zu erstatten, bei mehreren VR grundsätzlich jedem von ihnen, § 77.398 Tritt einer der VR dem VN gegenüber als Konsortialführer auf, genügt die Anzeige ihm gegenüber. Bei konzernverbundenen Unternehmen genügt die Anzeige bei einer Außenstelle, wenn diese auch die betroffene Versicherungssparte mitbetreut.399 392 BGH 16.10.1991 VersR 1991 1397; 9.12.1991 BGHZ 121 6, 12; OLG Frankfurt/Main 27.11.1992 VersR 1993 1342; a.A. Römer RuS 1998 45, 47.

393 Dies betonend Lücke VersR 1996 785, 786 f. 394 BGH 16.10.1991 VersR 1991 1397. 395 Zur Nachmeldeobliegenheit beim Invitatio-Modell Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 103; Neuhaus VersR 2008 45, 48. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 101. BGH 27.6.1984 VersR 1984 884; 20.4.1994 VersR 1994 799; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 102. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 67; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 92. Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 67.

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2. Versicherungsvermittler Der Versicherungsvertreter gilt gem. § 69 Abs. 1 Nr. 1, § 70 als bevollmächtigt, die vor Vertrags- 75 schluss abzugebenden Anzeigen und sonstigen Erklärungen des VN entgegenzunehmen.400 Diese gesetzliche Vertretungsmacht kann dem VN gegenüber nur einzelvertraglich, nicht aber durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgeschlossen werden (§ 72).401 Entsprechendes gilt gem. § 73 für Angestellte des VR, die mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Versicherungsverträgen betraut sind, sowie für Personen, die als Vertreter selbständig Versicherungsverträge vermitteln oder abschließen, ohne gewerbsmäßig tätig zu sein. Davon zu unterscheiden ist, ob und unter welchen Voraussetzungen sich der VR eine etwaige Kenntnis des Vertreters von Gefahrumständen oder von der Unrichtigkeit der Anzeige zurechnen lassen muss (dazu Rn. 123). Auf Versicherungsmakler und Versicherungsberater (§ 59 Abs. 3 und 4) findet § 69 Abs. 1 76 demgegenüber keine Anwendung.402 Bei ihnen kommt es daher darauf an, ob der VR ihnen – zumindest passive – Vertretungsmacht eingeräumt hat oder sich jedenfalls nach den Grundsätzen über die Duldungsvollmacht403 entsprechend behandeln lassen muss. Letzteres setzt voraus, dass er sich als Vermittler des VR geriert, indem er Erklärungen für ihn abgibt oder entgegennimmt, und der VR das Verhalten kennt, was wohl allenfalls beim Versicherungsmakler, nicht aber beim Versicherungsberater in Betracht kommen kann. Die bloße Überlassung von Antragsformularen an den Makler begründet ebenso wenig den Rechtsschein einer Vertretungsmacht404 wie die Übernahme der Courtage durch den VR,405 wohl aber die Ermächtigung des VR, Anträge für ihn entgegenzunehmen.406

3. Dritte Dritte Personen sind geeignete Empfänger der Anzeige, wenn sie entweder hierzu vom VR aus- 77 drücklich bevollmächtigt worden sind (Empfangsvertretung, § 164 Abs. 3 BGB)407 oder sie mit

400 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 68; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 45. 401 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 79; ebenso schon vor der VVG-Reform BVerwG 25.6.1998 BVerwGE 107 101, 108 ff.; Beckmann NJW 1996 1378, 1379 f.; ders. NVersZ 1998 19, 20; Präve VersR 1998 1141, 1143 f.; a.A. Keinert Vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 50 ff; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 42: Beschränkung der Empfangsvollmacht nicht möglich. 402 Vgl. BGH 22.9.1999 VersR 1999 1481; 12.3.2008 – IV ZR 330/06, VersR 2008 809; 12.3.2014 – IV ZR 306/13, BGHZ 200 286, 292; OLG Köln 21.6.1990 RuS 1991 32; 1.6.1995 VersR 1995 946; OLG Zweibrücken 9.3.2005 – 1 U 100/04, VersR 2005 1373; LG Köln 22.4.1998 VersR 1999 573; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 73; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 93 f.; Fricke VersR 2007 1614, 1615; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 65; Knappmann RuS 1996 81, 82; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 94; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 50. 403 Vgl. BGH 13.5.1992 VersR 1992 989; OLG Karlsruhe 23.10.2001 – 12 U 179/00, VersR 2002 737; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 73; Bork Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (4. Aufl. 2016), Rn. 1550 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 65; Wolf/Neuner Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (11. Aufl. 2016), § 50 Rn. 84 ff.; Duldungs- oder Anscheinsvollmacht: Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 50; a.A. Langheid/ Wandt/Langheid § 19 Rn. 94: ausdrückliche Empfangsvollmacht. 404 BGH 22.9.1999 VersR 1999 1481; 12.3.2008 – IV ZR 330/06, VersR 2008 809; OLG Zweibrücken 9.3.2005 – 1 U 100/04, VersR 2005 1373; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 73; F. Baumann NVersZ 2000 116, 119; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 65; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 50; Matusche-Beckmann VersR 1995 1391, 1398; Reusch NVersZ 2000 120, 121; a.A. OLG Hamm 18.11.1998 RuS 1999 287; OLG Karlsruhe 23.10.2001 – 12 U 179/00, VersR 2002 737. 405 OLG Köln 1.6.1995 VersR 1995 946; OLG Zweibrücken 9.3.2005 – 1 U 100/04, VersR 2005 1373. 406 OLG Hamm 29.12.1993 VersR 1994 1094. 407 Vgl. BGH 11.11.1987 BGHZ 102 194, 195 ff.; 23.5.1989 BGHZ 107 322, 323; Reiff RuS 1998 89, 96. 35

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Anzeigepflicht

Wissen des VR die Rolle eines Versicherungsvermittlers einnehmen und daher jedenfalls über eine Duldungsvollmacht verfügen.408 Dazu kann auch ein vom VR mit der Untersuchung des Antragstellers beauftragter Arzt zählen, der zugleich den Fragebogen auszufüllen und damit auch die Antworten des VN entgegenzunehmen hat.409 Dies gilt auch dann, wenn der VR lediglich die Untersuchung erbeten, die Wahl des konkreten Arztes aber dem VN überlassen hat.410 Das Wissen, das der Arzt aufgrund von früheren Behandlungen des VN erlangt hat, ist dem VR grundsätzlich nicht zuzurechnen,411 wenn der VN den Arzt nicht anweist, dem VR auch diese Informationen mitzuteilen.412 Hat ein Restschuldversicherer die Kredit gewährende Bank mit der Entgegennahme der Versicherungsanträge beauftragt, kann die Anzeige auch ihr gegenüber erstattet werden.413 Ist der Erklärungsempfänger nach dem Vorstehenden nicht zur Entgegennahme befugt, ist 78 die Anzeigeobliegenheit des VN erst dann erfüllt, wenn seine Auskünfte dem VR oder einer berechtigten Person tatsächlich zugehen.414

III. Objektive Verletzung der Anzeigeobliegenheit (Absatz 2) 1. Verstoß gegen die Anzeigeobliegenheit 79 Die in den Absätzen 2 bis 5 bezeichneten Rechte, insbesondere das gesetzliche Rücktrittsrecht, setzen voraus, dass der Antragsteller seine Anzeigeobliegenheit aus Absatz 1 objektiv verletzt hat. Eine derartige Obliegenheitsverletzung kommt sowohl in Form des Verschweigens von Gefahrumständen, ihrer unrichtigen, insbesondere beschönigenden Darstellung als auch der Angabe (positiver, aber) unrichtiger Umstände in Betracht.415 Diese drei Varianten stehen einander gleich; es ist für die Feststellung der Anzeigepflichtverletzung unerheblich, ob der Antragsteller beispielsweise eine Vorerkrankung verschwiegen, sie zwar angegeben, aber wider besseres Wissen verharmlost oder ob er fälschlich ihre vollständige Heilung behauptet hat.416 Auf eine ausdrückliche Klarstellung (wie noch in § 17 Abs. 1 a.F.) hat der Gesetzgeber im Hinblick auf den neuen Wortlaut des Absatzes 1 hier – anders als bei Absatz 5 Satz 2 – verzichtet.417 Eine Falschbeantwortung liegt damit immer dann vor, wenn die Anzeige es entgegen ihrem

408 OLG Hamm 8.3.1996 VersR 1996 697; 10.7.1996 NJW-RR 1997 220; a.A. BGH 11.2.2009 – IV ZR 26/06, RuS 2009 361.

409 BGH 21.11.1989 VersR 1990 77; 7.3.2001 – IV ZR 254/00, VersR 2001 620; OLG Frankfurt/Main 17.8.1992 VersR 1993 425; OLG Hamm 3.8.2005 – 20 U 93/05, VersR 2005 1572; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 71; Fricke VersR 2007 1614, 1615; Knappmann RuS 1996 81, 82; ders. VersR 2005 199, 199; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 101; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 49; Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 135; Wandt Rn. 846. 410 OLG Frankfurt/Main 17.8.1992 VersR 1993 425. 411 BGH 11.2.2009 – IV ZR 26/06, VersR 2009 529, 531; a.A. OLG Celle 12.6.2008 – 8 U 3/08, VuR 2008 438; Knappmann RuS 1996 81, 84. 412 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 71. 413 OLG Hamm 11.12.1990 VersR 1991 798; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 72; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 101; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 49. 414 Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 73. 415 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 44; Langheid/Wandt/ Langheid § 19 Rn. 104. 416 OLG Frankfurt/Main 10.5.2000 – 7 U 157/99, VersR 2001 1097; OLG Koblenz 24.10.2002 – 10 U 338/02, VersR 2003 494; OLG Köln 26.5.2004 – 5 U 53/03, VersR 2004 1255; KG 2.2.2007 – 6 W 6/07, VersR 2008 382; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 44; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 71; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 110. 417 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65. Rolfs

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Sinn und Zweck (Rn. 6) dem VR nicht ermöglicht, das zu übernehmende Risiko im Rahmen der von ihm gestellten Fragen umfassend und zutreffend einzuschätzen.418 Jenseits der Voraussetzungen von § 22 i.V.m. § 123 BGB erschöpfen sich die vorvertraglichen Obliegenheiten des VN aber in der korrekten Beantwortung der Antragsfrage. Sehen beispielsweise die Gesundheitsfragen des VR bei einer umfassenden Frage nach chronischen Krankheiten als Antwortmöglichkeiten nur „ja“ oder „nein“ vor, reicht es aus, wenn der VN das Kästchen „ja“ ankreuzt, ohne die Erkrankungen zu konkretisieren. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Formular keine Zusatzfrage und keinen freien Raum für eine Erläuterung enthält.419 Es ist dann Sache des VR, im Rahmen seiner Nachfrageobliegenheit (Rn. 91 ff.) nähere Erkundigungen einzuziehen. Vgl. im Übrigen Rn. 37 ff. Beruht die fehlerhafte Beantwortung der Frage darauf, dass der VN die vom VR gestellte Frage von ihrem objektiven Inhalt abweichend falsch verstanden hat, so ändert dies nichts daran, dass seine Antwort fehlerhaft ist und er damit seine Anzeigeobliegenheit verletzt hat; sein Missverständnis kann lediglich beim Maß des ihn treffenden Verschuldens zu berücksichtigen sein.420 Keine Obliegenheitsverletzung trifft den VN in aller Regel, wenn er die Frage lediglich 80 mündlich – aber zutreffend – beantwortet hat. § 19 Abs. 1 knüpft die Beantwortung der Frage nicht an eine bestimmte Form, sie ist also nach dem Gesetz formlos möglich.421 Der VR trägt die Negativbeweislast, dass der VN die Fragen auch nicht mündlich korrekt beantwortet hat, wenn der VN dies substantiiert vorträgt (Rn. 173). Zwar kann nach § 32 Satz 2 vereinbart werden, dass der VN seine Anzeige in Schrift- oder Textform abzugeben hat, doch ist eine derartige Abrede nur individualvertraglich möglich. In AGB verstößt sie demgegenüber gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, denn wenn der VR Hilfspersonen wie beispielsweise Ärzte (Rn. 77) einsetzt, um den VN zu befragen und ggf. eine Anamnese durchzuführen, darf er nicht gleichzeitig dem VN die Möglichkeit nehmen, durch mündliche Beantwortung der ihm auf diese Weise gestellten Fragen seiner Anzeigeobliegenheit zu genügen.422 Um feststellen zu können, ob der VN seine Anzeigeobliegenheit erfüllt oder ob er sie objek- 81 tiv verletzt hat, bedürfen seine Angaben ggf. der Auslegung (§ 133 BGB analog). Dabei ist in der Personenversicherung zu berücksichtigen, dass die VN in der Regel medizinische Laien sind, von denen präzise medizinische Diagnosen nicht erwartet werden können.423 Zudem ist der Gesamtzusammenhang der Antworten zu ermitteln, sodass beispielsweise ein VN, der die Frage nach „Leiden oder Gebrechen“ verneint, sich keiner vorvertraglichen Obliegenheitsverletzung schuldig macht, wenn er gleichzeitig auf eine betriebliche Berufserkrankungsanzeige hinweist, die wegen ihrer Geringfügigkeit – Hörbeeinträchtigung von weit unter 10 % – von ihm nicht als „Gebrechen“ empfunden worden ist.424 Ähnliches kann gelten, wenn die vom VN mitgeteilten Umstände denen der ärztlichen Diagnose nicht vollständig entsprechen.425 Im Übrigen kann den VR, wenn er die Anzeige als lückenhaft oder in sich widersprüchlich erkennt, eine Nachfrageobliegenheit treffen (näher dazu Rn. 91 ff.).426

418 BGH 10.5.2017 – IV ZR 30/16, VersR 2017 937; vgl. auch OLG Hamm 18.9.1991 RuS 1991 402; OLG Karlsruhe 2.5.1991 RuS 1995 196; KG 23.2.1996 VersR 1997 94; OLG Frankfurt/Main 28.1.1998 RuS 2000 477; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 83; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 71. 419 OLG Karlsruhe 28.1.2020 – 9 U 13/18, VersR 2020 681. 420 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 84. 421 BGH 11.5.1988 RuS 1988 215; Reiff RuS 1998 89, 95; Wandt Rn. 832. 422 BVerwG 25.6.1998 BVerwGE 107 101, 108 ff.; Beckmann NJW 1996 1378, 1380; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 99. 423 BGH 25.5.1994 RuS 1994 444; OLG Frankfurt/Main 20.7.2005 – 7 U 220/04, VersR 2006 1062; Neuhaus RuS 2008 45, 47. 424 BGH 6.11.1996 NJW-RR 1997 277 (insoweit in VersR 1997 442 nicht abgedruckt). 425 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 82. 426 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 88. 37

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Anzeigepflicht

2. Nichtbeantwortung von Fragen, Streichungen 82 Ob die Nichtbeantwortung von Fragen (das Offenlassen von Antwortfeldern) ihre Verneinung bedeutet, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird dies generell angenommen,427 teilweise jedenfalls dann, wenn die AVB dies vorsehen.428 Teilweise wird nicht auf die AVB, sondern darauf abgestellt, ob auf dem Antragsformular ausdrücklich und deutlich der Hinweis angebracht ist, dass der VR das Offenlassen von Fragen als deren Verneinung interpretiert.429 Dem kann indessen nicht beigetreten werden. Eine Gleichstellung von Nichtbeantwortung und Verneinung durch AVB begegnet bereits deshalb Bedenken, weil diese im Zeitpunkt der Vertragserklärung des VN noch keine Geltung beanspruchen, da der Vertrag noch gar nicht geschlossen ist.430 Im Übrigen wäre – und dieser Einwand betrifft auch entsprechende vorformulierte Hinweise des VR auf dem Antragsformular – § 308 Nr. 5 BGB zu beachten, der in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen für unwirksam erklärt, nach denen eine Erklärung des Vertragspartners des Verwenders bei Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Handlung als von ihm abgegeben gilt, es sei denn, dass dem Vertragspartner eine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt ist und der Verwender sich verpflichtet, den Vertragspartner bei Beginn der Frist auf die vorgesehene Bedeutung seines Verhaltens besonders hinzuweisen.431 Daraus folgt: Die Nichtbeantwortung einer Frage hat keinerlei Erklärungswert.432 Will der VR sich damit nicht zufriedengeben, muss er nachfragen.433 Nichts anderes gilt für Zusatzformulare u.Ä., die nach dem Formularkonzept des VR bei der Antragstellung auszufüllen sind, vom VN aber nicht vorgelegt werden.434 Anders liegen die Dinge bei Streichungen des VN. Aber auch hier ist zu unterscheiden: 83 Streicht der VN schon die Frage selbst, ergibt die Auslegung regelmäßig nicht, dass er sie verneinen will,435 sondern dass er sie für nicht einschlägig (insbesondere bei Fragebögen, die sich auf verschiedene Versicherungssparten beziehen), unzulässig oder ihre Beantwortung für unzumutbar hält. Demgegenüber ist ein Strich im Antwortfeld als Verneinung der Frage zu interpretieren.436 Steht eine Streichung im klaren Widerspruch zu anderen Angaben, besteht eine Nachfrageobliegenheit des VR.437 Problematisch ist, wie ein mögliches Geheimhaltungsinteresse des Antragstellers zu be84 werten ist. Vielfach – insbesondere in der Sachversicherung – vermag er sich damit zu behelfen, dass er dem VR offenlegt, warum er eine bestimmte Frage nicht beantworten will (weil damit z.B. die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen i.S.v. § 2 Nr. 1 GeschGehG, Produktionsverfahren, Lieferanten- oder Kundenbeziehungen verbunden wäre). Es ist dann Sache des VR, die daraus notwendigen Schlüsse zu ziehen, das Risiko sachgerecht einzuschätzen oder die Risiko427 OLG Karlsruhe 21.2.1985 VersR 1986 1179; OLG Frankfurt/Main 10.6.1992 VersR 1993 568; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 106 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 45; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 72, 78; a.A. Romahn S. 194. 428 Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 78. 429 OLG Düsseldorf 2.3.1999 RuS 1999 356; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 86; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 111; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 52. 430 Vgl. aber auch BGH 1.3.1982 NJW 1982 1388; 13.2.1985 BGHZ 94, 1, 10; 23.3.1988 BGHZ 104 95, 98. 431 H. D. Schmidt VersR 1986 511, 512. 432 Romahn S. 193 f. 433 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 45: ansonsten konkludenter Verzicht auf Rechte aus §§ 19 ff. 434 OLG Karlsruhe 28.1.2020 – 9 U 13/18, VersR 2020 681. 435 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 45; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 53; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 87; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 79. 436 OLG Bremen 29.7.1997 VersR 1998 1149; OLG Koblenz 3.7.2008 – 10 U 1262/07, VersR 2009 53; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 87; Keinert Vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 125; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 45; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 53. 437 Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 79; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 53. Rolfs

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übernahme abzulehnen. Schwieriger liegen die Dinge in der Personenversicherung. Hier besteht weitgehend Übereinstimmung, dass die Drittwirkung der Grundrechte, namentlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des VN (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG), ihn nicht dazu berechtigt, dem VR gegenüber Gefahrumstände zu verschweigen, selbst wenn dies in anderen Vertragsbeziehungen anerkannt ist.438 Ist dem VR aber versicherungsaufsichts- oder -vertragsrechtlich (etwa durch § 19 Abs. 1 AGG) eine Benachteiligung des Antragstellers aus bestimmten Gründen ausdrücklich untersagt, darf der VN auf eine gleichwohl unzulässigerweise gestellte Frage falsch antworten, ohne eine Obliegenheitsverletzung zu begehen.439

3. Blankoerklärungen Umstritten ist auch die Behandlung von Blankoerklärungen, also die Unterschrift des VN unter 85 ein noch nicht oder noch nicht vollständig ausgefülltes Formular in dem Vertrauen, dass ein Dritter, insbesondere ein Versicherungsvermittler, die Fragen vollständig und zutreffend beantwortet. Die Rechtsprechung rechnet dem VN – soweit sie nicht schon ein Zustandekommen des Vertrages verneint440 – die Beantwortung der Fragen durch den Dritten zu und gelangt so zu einer Obliegenheitsverletzung, wenn sie falsch beantwortet sind.441 Dem folgt die Literatur überwiegend.442 Teilweise wird aber auch angenommen, dass der VN mit der Blankoerklärung seine Kontrollpflicht bzgl. der fremden Angaben verletze, zu der sich die Antwortpflicht wandle; auf eine Zurechnung fremden Verhalten komme es insoweit nicht an.443 Man wird hier sehr genau auf die Umstände des Einzelfalles abstellen müssen:444 Unter- 86 schreibt beispielsweise der VN schon zu Beginn seines Gesprächs mit dem Versicherungsvertreter den Fragenkatalog und beantwortet er dann die vom Vertreter vorgelesenen Fragen mündlich (zutreffend), hat er seine Anzeigeobliegenheit auch dann erfüllt, wenn der Vertreter die Antworten nicht vollständig oder korrekt in das Formular einträgt.445 Dass sich der VN in dieser Situation des Vertreters als Gehilfen bedient, ändert nichts an der Geltung des § 69 Abs. 1 Nr. 1. Der VN darf regelmäßig darauf vertrauen, dass der Vertreter trotz der Blankounterschrift die Angaben pflichtgemäß übernimmt.446 Auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung kommt es in dieser Situation nicht an.447 Dasselbe gilt, wenn der VN dem Versicherungsvermittler ein nur lückenhaft ausgefülltes Formular überreicht. Denn die Nichtbeantwortung einer Frage hat keinerlei Erklärungswert, der Antragsteller muss nicht damit rechnen, dass der Vermittler das Formular aus eigenem Antrieb (unrichtig) ergänzt.448 Anders liegen die Dinge dagegen, wenn 438 Vgl. zur Frage nach der Schwangerschaft im Arbeitsrecht etwa EuGH 8.11.1990 „Dekker“ Slg. 1990 I-3941 = NJW 1991 628; 27.2.2003 – C-320/01 „Busch“, Slg. 2003 I-2041 = NJW 2003, 1107; BAG 15.10.1992 NZA 1993 257; 6.2.2003 – 2 AZR 621/01, NZA 2003 848, im Versicherungsrecht OLG Hamm 22.3.1995 VersR 1996 441; LG Düsseldorf 10.10.1997 VersR 1998 1408; Keinert Vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 146. 439 Strenger OLG Frankfurt/Main 5.12.2001 – 7 U 40/01, VersR 2002 559 (Transsexualität); vgl. auch OLG Nürnberg 8.10.2007 – 8 U 1031/07, VersR 2008 627; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 81: keine Gefahrerheblichkeit. 440 BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 170 ff. 441 OLG Frankfurt/Main 31.7.1991 RuS 1991 430; 31.3.1993 VersR 1994 713; OLG Hamm 23.6.1989 RuS 1989 370; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 80. 442 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 82; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 113; Langheid/ Rixecker/Langheid § 19 Rn. 80; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 21 unter Verweis auf Treu und Glauben (§ 242 BGB). 443 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 65. 444 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 82. 445 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 82. 446 OLG Hamm 7.6.1989 RuS 1990 313. 447 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 82. 448 A.A. OLG Düsseldorf 9.5.2006 – I-4 U 138/05, VersR 2007 686; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 82; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 113. 39

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Anzeigepflicht

der VN seine Unterschrift blanko leistet, weil ihm die Fragen gleichgültig sind oder er sich ihrer Beantwortung entziehen will. Überlässt er dann dem Vermittler das Formular etwa mit dem Bemerken, dieser werde das schon richtig ausfüllen, muss er sich dessen Antworten zurechnen lassen.

4. Missbräuchliche Berufung auf die Erfüllung der Anzeigeobliegenheit 87 Nach den im Recht der Stellvertretung allgemein anerkannten Regeln trägt das Risiko eines Missbrauchs der Vertretungsmacht grundsätzlich der Vertretene;449 den Vertragspartner trifft keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit der Vertreter im Innenverhältnis gebunden ist, von seiner nach außen unbeschränkten Vertretungsmacht nur begrenzten Gebrauch zu machen. Davon sind allerdings zwei Ausnahmen anerkannt: Das kollusive Zusammenwirken des Vertreters mit dem Dritten (§ 138 BGB)450 und der offensichtliche Missbrauch der Vertretungsmacht (§ 242 BGB).451 Diese Beschränkungen gelten auch im Rahmen des § 19, wobei die Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht immer scharf zwischen beiden Tatbeständen trennt. Ein kollusives Zusammenwirken setzt voraus, dass der VN auf die Auskunft des Agenten, 88 ein bestimmter Umstand sei nicht anzeigepflichtig, nicht vertraut, sondern im Bewusstsein der Anzeigeobliegenheit erkennt und billigt, dass der VR durch das Vorgehen des Agenten getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst wird und er deshalb – im Einvernehmen mit dem Versicherungsagenten – will, dass der betreffende Umstand im Antragsformular unerwähnt bleibt.452 Kollusives Zusammenwirken ist z.B. bejaht worden, wenn der Agent bei der Ausfüllung des Antrages bewusst zum Nachteil des VR handelt und beim VN insoweit begründete Zweifel entstehen müssen, er also aus Fahrlässigkeit nicht erkennt, dass die schriftliche Falschbeantwortung der Antragsfragen durch den Versicherungsvertreter nur den Zweck haben kann, den bei einem korrekten Vorgehen aussichtslosen Versicherungsantrag unter Dach und Fach zu bringen, also den VR zu täuschen,453 wenn der VN auf die Auskunft des Agenten, die Vorerkrankungen seien nicht anzeigepflichtig, nicht vertraut, sondern es im Gegenteil im Bewusstsein der Anzeigepflicht und im Einvernehmen mit dem Agenten gewollt und gebilligt hat, dass dieser die Gefahrumstände im Antragsformular nicht erwähnt und auch nicht anderweitig dem VR zugänglich macht,454 wenn der VN dem Versicherungsvertreter das Ausmaß seiner körperlichen Beeinträchtigungen zwar mitgeteilt hat, dieser aber darauf mit dem Bemerken, „hierüber solle man lieber nichts schreiben“, „diese Beschwerden solle man besser weglassen“455 oder „zu viele Ärzte, zu viele Fragen“ den VN aufgefordert hat, nur den Hausarzt zwecks weiterer Rückfragen anzugeben456 oder wenn der Versicherungsvertreter im Rahmen der Beantragung einer Risiko-Lebensversicherung mit Wissen und Billigung des VN dem VR gefahrerhebliche Umstände (hier: Brustkrebsoperation) vor-

449 BGH 25.10.1994 BGHZ 127 239, 241; 26.6.1999 NJW 1999 2883; Palandt/Ellenberger § 164 BGB Rn. 13. 450 BGH 17.5.1988 NJW 1989 26; 14.6.2000 – VIII ZR 218/99, NJW 2000 2896; 27.2.2008 – IV ZR 270/06, VersR 2008 765; OLG Schleswig 7.7.1994 VersR 1995 406; OLG Naumburg 4.6.1999 VersR 2001 222; OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 5 U 279/04, VersR 2005 675; LG Berlin 20.7.1989 VersR 1990 1107; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 100; Langheid/ Rixecker/Langheid § 19 Rn. 45. 451 BGH 28.4.1992 NJW-RR 1992 1135; 19.4.1994 NJW 1994 2082; 25.10.1994 BGHZ 127 239, 241; 30.1.2002 – IV ZR 23/01, VersR 2002 425; 27.2.2008 – IV ZR 270/06, VersR 2008 765; OLG Hamm 20.3.1998 VersR 1999 435; 6.7.2001 – 20 U 200/99, VersR 2002 180; OLG Düsseldorf 12.12.2000 – 4 U 60/00, VersR 2001 881; Reiff VersR 2001 882, 883. 452 BGH 14.7.2004 – IV ZR 161/03, VersR 2004 1297; 27.2.2008 – IV ZR 270/06, VersR 2008 765. 453 OLG Schleswig 13.6.1994 RuS 1994 322; OLG Zweibrücken 26.9.2001 – 1 U 69/01, VersR 2002 1017; vgl. auch OLG Brandenburg 2.6.1999 VersR 2000 354. 454 OLG Köln 13.11.1996 VersR 1998 351; vgl. auch OLG Schleswig 7.7.1994 VersR 1995 406. 455 OLG Zweibrücken 31.10.2002 – 1 U 66/02, VersR 2004 630. 456 OLG Koblenz 24.10.2002 – 10 U 338/02, VersR 2003 494. Rolfs

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enthält.457 Relativ weitgehend hat das LG Darmstadt Kollusion schon dann angenommen, wenn der Mitarbeiter des VR die Angabe einer schweren Erkrankung (hier: arterielle Verschlusserkrankung) im Versicherungsantrag nicht für notwendig befunden hat.458 Dem steht freilich entgegen, dass der BGH ein kollusives Zusammenwirken verneint hat, wenn der Versicherungsvermittler erkennen ließ, dass er die ihm geschilderten psychischen Beschwerden als unerheblich betrachtete, weil der VN inzwischen völlig gesund und in Ordnung sei, und der VN sich damit zufrieden gab. Dass der Agent seine Angaben nicht im Antragsformular vermerkte, muss in einem solchen Fall beim Antragsteller wegen der vorhergehenden Erklärungen des Agenten keine Zweifel begründen.459 Ebenso wenig geht es bei der Beantwortung von vorformulierten Antragsfragen nicht zu Lasten des künftigen VN, wenn der Agent durch einschränkende Bemerkungen zu den Fragen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist.460 Ein evidenter Missbrauch der Vertretungsmacht ist von der Rechtsprechung etwa ange- 89 nommen worden, wenn der VN bei Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags gegenüber dem Versicherungsvertreter eine arterielle Verschlusserkrankung461 oder einen früher erlittenen Herzinfarkt mündlich anzeigt, dieser ihm daraufhin aber erklärt, dass er dies „gar nicht wissen wolle“462 oder wenn der Versicherungsvertreter eine ihm offenbarte Operation nicht in den Versicherungsantrag aufgenommen und dieses Verhalten dem VN gegenüber mit der Erklärung begründet hat, dass der VR bei Erwähnung der Operation den Antrag ablehnen oder nur gegen Zahlung einer höheren Prämie annehmen werde.463 In der Literatur werden teilweise großzügigere Maßstäbe angelegt. So will Prölss es für 90 einen Missbrauch ausreichen lassen, dass der VN damit rechnet, dass der Agent seine Angaben nicht weiterleiten wird, weil er dann zugleich davon ausgehe, dass dem VR die Unterrichtung des Agenten nichts nützen werde.464 Denn der VN verletze seine Anzeigepflicht objektiv, wenn ihm klar sei, dass seine mündlichen Angaben nicht an den VR gelangen. Ob dem VN diese Verletzung vorgeworfen werden könne, sei demgegenüber eine andere Frage. Die objektive Verletzung einer Pflicht (oder einer Obliegenheit) setze nicht voraus, dass den Pflichtigen ein Vorwurf treffe. Deshalb komme es insoweit auch nicht darauf an, ob der VN mit dem Agenten arglistig zusammenwirke oder vor einer evidenten Pflichtwidrigkeit des Agenten die Augen verschließe.465 In ähnlicher Weise formuliert Reiff, der Vertragspartner – hier der VN – verdiene keinen Schutz, wenn der Vertreter – hier der Agent – von seiner (Empfangs-)Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch mache, sodass beim Vertragspartner begründete Zweifel bestehen mussten, ob der Vertreter nicht treuwidrig handelte.466 Dem kann indessen nicht beigetreten werden. „Der VR“ kann – weil er juristische Person ist (§ 8 Abs. 2 VAG) – Kenntnis ohnehin nie persönlich, sondern nur durch natürliche Personen, die kraft Gesetzes (als Organmitglieder) oder kraft rechtsgeschäftlicher Vollmacht Vertretungsmacht besitzen, erlangen. Eine Unterscheidung zwischen dem Sachbearbeiter im Innendienst und dem Versicherungsvertreter im Außendienst ist dabei schon wegen § 69 Abs. 1 Nr. 1 nicht angezeigt.

457 458 459 460 461 462 463

OLG Hamm 20.3.1988 NJWE-VHR 1998 217. LG Darmstadt 16.1.1997 VersR 1997 1218. BGH 30.1.2002 – IV ZR 23/01, VersR 2002 425. BGH 10.10.2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001 1541. LG Darmstadt 16.1.1997 VersR 1997 1218. OLG Karlsruhe 25.7.1996 VersR 1997 861. OLG Saarbrücken 9.7.1997 VersR 1998 444; 3.11.2004 – 5 U 279/04, VersR 2005 675; LG Duisburg 18.11.1999 VersR 2000 1399. 464 Prölss FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 551, 572 f.; ders. VersR 2002 961, 962; siehe auch Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 74. 465 Prölss VersR 2002 961. 466 Reiff VersR 2002 597. 41

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IV. Antragsprüfung 1. Nachfrageobliegenheit des Versicherers 91 Die Anzeigeobliegenheit des VN soll es dem VR ermöglichen, das zu übernehmende Risiko vor Vertragsabschluss umfassend und zutreffend einschätzen und darauf reagieren zu können (Rn. 6). Sie dient aber nicht dazu, dem VR, der die Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit der ihm gemachten Angaben erkennt oder der aus sonstigen Gründen Zweifel an der ordnungsgemäßen Erfüllung der vorvertraglichen Obliegenheiten des VN hegt, auch noch nach Jahren den Rücktritt vom Vertrag zu ermöglichen. Vielmehr entspricht es versicherungsrechtlichen Grundsätzen, dass zwischen den Vertragsparteien alsbald Klarheit bestehen soll, ob ein durch eine Obliegenheitsverletzung des VN belastetes Versicherungsverhältnis vom VR weiter aufrechterhalten wird oder nicht.467 Diesem Grundgedanken des Gesetzgebers ist gerade dadurch Rechnung getragen, dass die im VVG vorgesehenen, verhältnismäßig kurzen Rücktritts- und Kündigungsfristen mit Kenntnis des VR vom Rücktritts- oder Kündigungsgrund zu laufen beginnen. Diesen Fristbeginn kann ein VR nicht dadurch unterlaufen, dass er trotz ernstlichen Anlasses zu weiteren, ihm lediglich abschließende Klarheit über seine Rücktritts- oder Kündigungsberechtigung verschaffenden Rückfragen diese zunächst unterlässt oder bewusst zurückstellt. Auch ein VN, der (schuldhaft) eine Obliegenheitsverletzung begangen hat, kann beanspruchen, alsbald zu erfahren, ob er Versicherungsschutz bei seinem bisherigen VR behält oder ob er sich anderweitig darum bemühen muss.468 Der BGH spricht daher davon, dass den VR eine Nachfrageobliegenheit treffen kann.469 Die Rechtsprechung des BGH hat in der Literatur beachtliche Kritik erfahren.470 Lorenz bei92 spielsweise betont, eine Risikoprüfung liege allein im Interesse des VR selbst, sie entfalte keine Schutzwirkung zugunsten des VN. Habe der Antragsteller seine Anzeigeobliegenheiten entweder schuldhaft und mit Auswirkung auf den Eintritt des Versicherungsfalls verletzt (§ 19) oder arglistig gehandelt (§ 22), könne aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem VR schon deshalb keine Risikoprüfungsobliegenheit des VR mit Schutzzweck zugunsten des Antragstellers hergeleitet werden, weil die §§ 19 ff. im Rahmen ihres Regelungsbereichs den Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze versperrten.471 Ähnlich haben sich Langheid/Müller-Frank geäußert.472 Dreher hat insbesondere kritisiert, dass die Verletzung der Nachfrageobliegenheit auch gegenüber arglistig handelnden Antragstellern bestehen solle473 und ist damit beim BGH nicht auf taube Ohren gestoßen.474 Zustimmend haben sich dagegen Dehner und Prölss geäußert.475 93 Die Kritik hat die Rechtsprechung nicht unbeeinflusst gelassen. Sie hat klargestellt, dass die Nachfrageobliegenheit des VR keine gegenüber dem VN zu erfüllende Pflicht darstellt, son467 Grundlegend BGH 20.9.1989 BGHZ 108 326, 328; ferner Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 60. 468 BGH 20.9.1989 BGHZ 108 326, 328 f.; vgl. auch OLG Saarbrücken 17.6.1992 VersR 1993 341. 469 BGH 20.9.1989 BGHZ 108 326, 328 f.; 25.3.1992 BGHZ 117 385, 387 f.; 11.11.1992 VersR 1993 871; 2.11.1994 VersR 1995 80 (dazu Langheid/Müller-Frank NJW 1995 2892, 2894); 3.5.1995 VersR 1995 901; 19.3.1996 VersR 1996 772; 30.9.1998 VersR 1999 217; 10.10.2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001 1541; 15.3.2006 – IV ZA 26/05, VersR 2007 96; 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 481 (dazu Langheid VersR 2007 629); 5.3.2008 – IV ZR 119/06, VersR 2008 668; OLG Hamm 2.2.1993 VersR 1994 294; 9.7.2008 – 20 U 195/07, VersR 2009 1649; 10.12.2010 – I-20 U 21/09, RuS 2012 612; OLG Karlsruhe 30.6.2009 – 12 U 6/09, VersR 2010 1641. 470 Zusammenfassend von Koppenfels-Spies ZfS 2004 489, 493 f. 471 Lorenz VersR 1993 513, 516; vgl. auch dens. VersR 1993 871, 872; a.A. Romahn S. 197. 472 Langheid/Müller-Frank NJW 1993 2652, 2655 f. 473 Dreher JZ 1992 926, 927 f. 474 BGH 7.3.2001 – IV ZR 254/00, VersR 2001 620; 10.10.2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001 1541; 15.3.2006 – IV ZA 26/ 05, VersR 2007 96; 4.7.2007 – IV ZR 170/04, VersR 2007 1256; 11.5.2011 – IV ZR 148/09, VersR 2011 909; s.a. OLG Köln 5.6.2012 – 20 U 1/12, VersR 2013 487; OLG Saarbrücken 10.10.2012 – 5 U 408/11, VersR 2013 1157; anders früher BGH 25.3.1992 BGHZ 117 385, 387 f. 475 Dehner NJW 1992 3007, 3007; Prölss ZVersWiss 2001 471, 493; vgl. aber auch dens. FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. II, S. 551, 565. Rolfs

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dern eine Obliegenheit zur Erhaltung eines eventuellen Rücktrittrechts.476 Die Rechtsprechung betont heute, dass die Nachfrageobliegenheit nur besteht, wenn der VR ernsthafte Anhaltspunkte dafür hat, dass die Anzeige (in einem für die Gefahrprüfung erheblichen Aspekt)477 nicht abschließend oder nicht vollständig richtig sein kann.478 Die Literatur hat sich der reformierten Rechtsprechung inzwischen angeschlossen.479 Der VR muss aus den Antworten des VN auf die Antragsfragen nach gefahrerheblichen Umständen den Schluss ziehen können, dass eine sachgerechte Risikoprüfung vor Abschluss des Versicherungsvertrags noch nicht möglich ist, sondern er weiterer Informationen bedarf.480 Die Obliegenheit kann auch schon den Versicherungsagenten treffen, wenn der Antragsteller bei der mündlichen Beantwortung der Antragsfragen erkennbar unvollständige Angaben macht; eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit durch den Agenten muss sich der VR zurechnen lassen.481 Hat beispielsweise der VN bei Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags mit Berufsunfähigkeitsschutz gegenüber dem Versicherungsagenten auf das Vorliegen einer Erbkrankheit (hier: Kleinwüchsigkeit) hingewiesen, ohne diese und ihre medizinischen Auswirkungen näher bezeichnen zu können, löst dies die Nachfrageobliegenheit des VR aus.482 Dasselbe gilt, wenn die Angaben des VN von den beigefügten ärztlichen Unterlagen abweichen, der VN beispielsweise angibt, nach einer früheren Operation (hier: an der Bandscheibe) seien „keine Beschwerden“ mehr aufgetreten, ausweislich des beigefügten ärztlichen Attestes aber nur keine „wesentlichen Beschwerden mehr“ bestanden.483 Gibt der Antragsteller in der Kfz-Kaskoversicherung einen „Parkierschaden“ an, so löst dies ebenfalls die Nachfrageobliegenheit des VR aus, weil sich aus der Anzeige weder eine maximale Schadenshöhe noch Eindeutiges zur Entstehung des Schadens entnehmen lässt.484 Ebenso wurde eine Nachfrageobliegenheit angenommen bei unterschiedlichen Angaben zur Baueinstufung eines Gebäudes;485 bei Kenntnis von Verspannungen im Halsbereich486 und bei der Angabe, „immer mal wieder beim Arzt“ gewesen zu sein.487 Beantwortet ein Dritter (hier: Makler) die Nachfrage des VR falsch und steht dem VR aufgrund dessen ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht zu, kann der Dritte sich dem VN gegenüber schadensersatzpflichtig machen.488 Auf klare Fragen des VR gegebene klare Antworten des VN begründen hingegen – mit 94 Ausnahme des Falls, dass dem VR die Unrichtigkeit der Antwort des VN aus anderen Quellen bekannt ist – keine Nachfragepflicht des VR.489 Gibt beispielsweise der Antragsteller bei den Gesundheitsfragen die stationäre Entfernung eines eingewachsenen Zehennagels an und beantwortet er die anschließende Formularfrage nach durchgeführten Behandlungen/Therapien mit „ohne Befund“ und die weitere Frage nach bestehenden Folgen mit „keine“, kann der VR davon 476 BGH 2.11.1994 VersR 1995 80. 477 LG Kempten 12.7.1995 VersR 1996 830. 478 BGH 30.9.1998 VersR 1999 217; OLG Saarbrücken 17.6.1992 VersR 1993 341; OLG Köln 5.6.2012 – 20 U 1/12, VersR 2013 487.

479 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 88; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 74; Langheid/ Wandt/Langheid § 19 Rn. 100; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 62; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 50. 480 OLG Saarbrücken 12.10.2005 – 5 U 31/05, VersR 2007 93. 481 OLG Hamm 10.12.2010 – 20 U 21/09, NJW-RR 2011 827. 482 OLG Stuttgart 1.7.2004 – 7 U 18/04, VersR 2005 819. 483 OLG Nürnberg 22.10.1998 VersR 1999 609. 484 OLG Hamm 6.10.2004 – 20 U 61/04, VersR 2005 1234. 485 OLG Karlsruhe 30.6.2009 – 12 U 6/09, VersR 2010 1641. 486 OLG Hamm 9.7.2008 – 20 U 195/07, VersR 2009 1649. 487 OLG Hamm 10.12.2010 – I-20 U 21/09, RuS 2012 612. 488 OLG Karlsruhe 30.5.2014 – 9 W 14/14, BeckRS 2014 13791. 489 BGH 3.5.1995 VersR 1995 901; OLG München 7.7.1997 VersR 1998 1361; OLG Düsseldorf 29.2.2000 – 4 U 47/99, VersR 2001 1408; OLG Koblenz 20.9.2002 – 10 U 333/02, VersR 2004 849; OLG Oldenburg 2.2.2005 – 3 U 109/04, VersR 2005 921; OLG Köln 5.6.2012 – 20 U 1/12, VersR 2013 487; KG 11.3.2005 – 6 U 233/04, NJW-RR 2005 1616; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 88; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 63. 43

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ausgehen, dass es sich um eine abgeschlossene Sache ohne Auswirkung auf den Gesundheitszustand des Antragstellers handelt. Eine Veranlassung zu weiterer Recherche ergibt sich für den VR nicht.490 Hat der VR nach Vertragsschluss entdeckt, dass der VN in seinem Antrag auf Abschluss einer Krankenversicherung eine kurz zuvor durchgeführte Magnetresonanztomographie der HWS verschwiegen hat, und bietet er ihm gegen Zahlung eines Risikozuschlags die Fortführung des Vertrags an, so wird hierdurch eine Nachfrageobliegenheit des VR (nur) dahin begründet, dass er den VN zu befragen hat, ob die übrigen Angaben im seinerzeitigen Versicherungsantrag zutreffend waren. Bejaht der VN diese Frage sodann uneingeschränkt, so ist der VR zu weiteren Nachforschungen bei Dritten (Ärzten und Versicherungsunternehmen) nicht mehr verpflichtet.491 Dasselbe gilt auch, wenn der VN auf Nachfrage des VR bestimmte Erkrankungen erstmals angibt oder präzisiert. Inhalt einer solchen Erklärung ist zugleich, dass weitere anzeigepflichtige Umstände dem VN nicht bekannt sind.492

2. Gewährung des Versicherungsschutzes 95 Kommt der VR trotz entsprechender Anhaltspunkte seiner Nachfrageobliegenheit nicht nach, ist ihm ein späterer Rücktritt vom Versicherungsvertrag verwehrt.493 Die Versagung des Rücktrittsrechts des VR wegen Verletzung der Nachfrageobliegenheit beruht auf dem Rechtsgedanken unzulässiger Rechtsausübung in Fällen, in denen zu dem Entstehen eines Rechts eigenes Fehlverhalten dem sich fehl verhaltenden Vertragspartner gegenüber beigetragen hat.494 Dem VR ist es daher untersagt, anstelle der Aufnahme von Nachforschungen den Vertrag mit dem VN abzuschließen und zeitgleich eine Überprüfung zum Zweck des Rücktritts einzuleiten.495 Ursprünglich hatte der BGH dem VR bei unterlassener Nachfrage trotz entsprechender An96 haltspunkte auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 22, § 123 BGB) verwehrt.496 Davon ist das Gericht aber zunächst in der Sache497 und zuletzt auch ausdrücklich abgerückt.498 Siehe dazu näher noch § 22 Rn. 12.

V. Rücktrittsrecht des Versicherers (Absätze 2 bis 5) 97 Die Verletzung der Anzeigeobliegenheit durch den Antragsteller begründet ein gesetzliches Rücktrittsrecht des VR. An diesem Grundsatz (§ 16 Abs. 2 Satz 1 a.F.) hält auch das VVG 2008 490 491 492 493

OLG Köln 5.11.2003 – 5 U 205/02, VersR 2004 851. OLG Oldenburg 2.2.2005 – 3 U 109/04, VersR 2005 921. LG Duisburg 19.7.1995 VersR 1997 347. BGH 25.3.1992 BGHZ 117 385, 387 f.; 2.11.1994 VersR 1995 80; 3.5.1995 VersR 1995 901; 30.9.1998 VersR 1999 217; OLG Hamm 23.7.1999 VersR 2000 878; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 88; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 74; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 61. 494 OLG Saarbrücken 1.2.2006 – 5 U 207/05, VersR 2006 1482. 495 A.A. OLG Saarbrücken 25.11.1992 VersR 1994 847; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 98; Beckmann/MatuscheBeckmann/Knappmann § 14 Rn. 78; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 62: Vertrag kann unter den Vorbehalt einer alsbald nach Vertragsschluss erfolgenden Risikoprüfung gestellt werden. 496 BGH 25.3.1992 BGHZ 117 385, 387 f.; ebenso OLG Koblenz 29.11.1996 RuS 1998 50; KG 30.9.1997 VersR 1998 1362; OLG Nürnberg 22.10.1998 VersR 1999 609; a.A. LG Konstanz 15.3.1996 VersR 1997 1082. 497 BGH 7.3.2001 – IV ZR 254/00, VersR 2001 620; 10.10.2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001 1541 (allerdings ausdrücklich offen lassend). 498 BGH 15.3.2006 – IV ZA 26/05, VersR 2007 96; 4.7.2007 – IV ZR 170/04, VersR 2007 1256; 11.5.2011 – IV ZR 148/ 09, VersR 2011 909; s.a. OLG Köln 5.6.2012 – 20 U 1/12, VersR 2013 487; OLG Saarbrücken 10.10.2012 – 5 U 408/11, VersR 2013 1157; ebenso zuvor bereits OLG Düsseldorf 14.5.2002 – 4 U 181/01, RuS 2003 252; OLG Saarbrücken 12.10.2005 – 5 U 82/05, VersR 2006 824; LG Berlin 15.10.2002 – 7 O 142/02, VersR 2003 458; vgl. Langheid/Rixecker/ Langheid § 22 Rn. 15 f. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

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fest. Allerdings erfährt dieses Recht eine erhebliche neue Einschränkung: War es früher nur dann ausgeschlossen, wenn der VR den nicht angezeigten Umstand kannte oder wenn die Anzeige ohne Verschulden des VN unterblieben war (§ 16 Abs. 3 a.F.), ist es nunmehr auch bei einfacher Fahrlässigkeit des VN ausgeschlossen. Dem Gesetzgeber des VVGRefG erschien eine so weit reichende Sanktion, wie sie das Rücktrittsrecht darstellt, nicht gerechtfertigt, wenn dem VN weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.499 Die Absätze 4 und 5 des § 19 enthalten darüber hinaus weitere Einschränkungen des Rücktrittsrechts.

1. Voraussetzungen a) Objektive Verletzung der Anzeigeobliegenheit. Erste Voraussetzung des Rücktritts- 98 rechts des VR ist, dass der Antragsteller seine Anzeigeobliegenheit objektiv verletzt, also den Tatbestand des Absatzes 1 verwirklicht hat. Er muss also bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung – bei entsprechender Nachfrage des VR auch bis zu dessen Vertragsannahme – ihm bekannte Gefahrumstände, die für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der VR in Textform gefragt hat, nicht, nicht vollständig oder nicht richtig angezeigt haben. Siehe dazu im Einzelnen Rn. 26 ff.

b) Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit (Absatz 3 Satz 1). Vorsätzlich (§ 276 Abs. 1 BGB) 99 handelt, wer einen widerrechtlichen Erfolg mit Wissen und Willen verwirklicht, obwohl ihm ein rechtmäßiges Handeln zugemutet werden kann, sodass auch das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit oder des Unerlaubten erforderlich ist. Dabei genügt es, wenn der Täter nur mit der Möglichkeit des pflichtwidrigen Erfolgs rechnet, den Eintritt aber billigt.500 Grobe Fahrlässigkeit (§ 277 BGB) fällt demjenigen zur Last, der die erforderliche Sorgfalt 100 nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wobei auch subjektive, in der Person des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen sind.501 Erforderlich ist dabei nicht nur, dass zur objektiven Schwere der Pflichtwidrigkeit, sondern auch zur subjektiven (personalen) Seite konkrete Feststellungen getroffen werden. Es darf nicht schon aus einem objektiv groben Pflichtverstoß allein deshalb auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden geschlossen werden, weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr muss eine besonders krasse und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Obliegenheitsverletzung vorliegen, die das in § 276 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet.502 Bezugspunkte des groben Verschuldens des VN sind alle Tatbestandsmerkmale der objek- 101 tiven Anzeigepflichtverletzung, beginnend mit der Kenntnisnahme der vom VR gestellten Fragen über deren objektiv richtiges inhaltliches Verständnis, die inhaltliche Richtigkeit der dem VR erteilten Auskünfte und die zutreffende Einschätzung ihrer Gefahrerheblichkeit bis hin zum Zugang der Anzeige beim VR. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Kenntnisnahme der vom VR gestellten 102 Fragen fällt dem Antragsteller zur Last, wenn er (z.B. als Analphabet, Sehbehinderter oder der deutschen Sprache nicht hinreichend Mächtiger) erkennt, dass der VR einen Fragenkatalog be499 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; krit. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 129 ff.; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 85 ff.

500 BGH 8.2.1965 NJW 1965 962; MünchKomm-BGB/Grundmann § 276 Rn. 154; Palandt/Grüneberg § 276 BGB Rn. 10. 501 BGH 11.5.1953 BGHZ 10, 14, 16; 5.12.1983 BGHZ 89, 153, 161; 29.9.1992 NJW 1992 3235; 13.12.2004 – II ZR 17/03, NJW 2005 981; Staudinger/Caspers § 276 BGB Rn. 93, Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 135; Langheid/Rixecker/ Langheid § 19 Rn. 90; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 58. 502 BGH 18.10.1988 NJW-RR 1989 339; 30.1.2001 – VI ZR 49/00, NJW 2001 2092; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 135 f.; Staudinger/Caspers § 276 BGB Rn. 94. 45

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antwortet wissen möchte, sich diesen aber nicht vorlesen oder übersetzen lässt.503 Besonders sorgfältig zu prüfen ist das grobe Verschulden, wenn der Antragsteller das Formular blanko unterschrieben und seine Ausfüllung dem Versicherungsagenten überlassen hat. Hier wird ihm zwar regelmäßig einfache Fahrlässigkeit zur Last fallen, ob ihn aber auch der Vorwurf groben Verschuldens trifft, hängt von den Umständen des Einzelfalles, z.B. der Vertrauenswürdigkeit des Agenten und davon ab, ob der VN annehmen darf, der Agent könne die Fragen aus eigener Kenntnis beantworten und werde im Zweifel Rücksprache mit ihm nehmen.504 Der Verschuldensvorwurf kann sich auch auf ein objektiv nicht richtiges inhaltliches Ver103 ständnis der Antragsfragen beziehen. Da der Verschuldensmaßstab der „groben Fahrlässigkeit“ stärker als derjenige der einfachen Fahrlässigkeit subjektiviert ist (siehe Rn. 100), kann sich der VN selbst bei klaren und eindeutigen Fragen auf seine individuell mangelnde Verständnisfähigkeit berufen, so z.B., wenn er an einer unzureichenden Hirndurchblutung leidet und deshalb die genaue medizinische Diagnose nicht verstanden hat.505 Insbesondere kann ihn nur leichte oder gar keine Fahrlässigkeit treffen, wenn Fragen zwar nicht generell unklar (dazu Rn. 28 ff.), im Einzelfall aber missverständlich sind.506 Hat der Versicherungsagent eine schriftliche Frage umformuliert und hat der VN die ihm so zur Kenntnis gebrachte Frage alsdann vollständig und zutreffend beantwortet, trifft ihn schon objektiv keine Obliegenheitsverletzung (Rn. 34), sodass sich die Frage des Verschuldens nicht stellt. 104 Die inhaltliche Richtigkeit der vom VN erteilten Auskünfte ist dritter möglicher Bezugspunkt des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit. Hier wird dem VN Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit z.B. nicht zur Last fallen, wenn er die Fragen nicht aus eigener Kenntnis beantworten kann und sich auf die Angaben eines Fachmannes (je nach Art der abzuschließenden Versicherung etwa einen Arzt, Architekt oder Statiker) verlässt.507 Der Vorwurf groben Verschuldens kann auch dann entfallen, wenn der VR längere Zeit (z.B. bis zu zehn Jahre) zurückliegende Umstände erfragt, an die der VN auch bei der gebotenen Anspannung seines Gedächtnisses keine aktuelle Erinnerung mehr hatte oder wenn es sich um unbedeutende und folgenlos gebliebene Vorfälle handelt.508 Dies ist allerdings stets eine Frage des Einzelfalles. Hat der VN beispielsweise das Verlangen des VR nach umfassender Erklärung über frühere Gesundheitsbeschwerden erkannt und selbst eine weit zurückliegende (hier: 37 Jahre) und für die Risikoeinschätzung des VR unbedeutende Erkrankung (hier: Grippe) angegeben, spricht es für grobe Fahrlässigkeit, wenn er nicht einmal ein Jahr zurückliegende Hautveränderungen (Papulosis maligna atrophicans), wegen derer er ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hatte, verschweigt.509 Dasselbe gilt, wenn die VN länger zurückliegende Krankenhausaufenthalte wegen der Geburt ihrer Kinder anzeigt, einen erst fünf Jahre zurückliegenden Suizidversuch aber verschweigt.510 Ist auf dem Formular nur wenig Raum und weist der VR nicht ausdrücklich darauf hin, dass weitere Erkrankungen ggf. auf einem Beiblatt mitzuteilen sind, kann dem Antragsteller u.U. nur einfache, nicht aber grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen, wenn er ledig-

503 OLG Karlsruhe 16.4.1981 VersR 1983 169; OLG Frankfurt/Main 21.5.1987 VersR 1988 714; OLG Köln 4.10.1990 VersR 1990 1381; 6.3.2001 – 9 U 153/00, NVersZ 2001 562, 563; OLG Hamm 3.2.2015 – 26 U 153/13, VersR 2016 580; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 111; Neuhaus VersR 2012 1477, 1483 f.; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 514; vgl. auch BGH 10.3.1983 BGHZ 87, 112, 114 f.; a.A. OLG Hamm 17.1.1990 VersR 1991 212. 504 Vgl. OLG Hamm 1.12.1999 VersR 2000 1135; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 66. 505 Vgl. OLG Koblenz 19.12.1996 RuS 1997 431. 506 Vgl. OLG Hamm 20.3.1992 RuS 1993 351; ferner RG 16.1.1906 JW 1906 145; 4.3.1910 VA 1911 14; Heinemann VersR 1992 1319, 1321. 507 Vgl. OLG Hamm 4.5.1984 VersR 1984 979; 6.2.1985 VersR 1985 1032; Knappmann VersR 2005 199, 201. 508 OLG Hamburg 18.10.1989 VersR 1990 610; vgl. auch OGH Wien 20.2.1986 VersR 1987 1125. 509 OLG Karlsruhe 2.11.1989 VersR 1990 1264; ähnlich KG 27.1.2005 – 6 U 233/04, RuS 2006 463; LG Mannheim 21.6.1990 VersR 1992 1458. 510 LG Heidelberg 16.6.1988 RuS 1989 163; s.a. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 113. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

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lich die von ihm für besonders bedeutsam gehaltenen Erkrankungen angibt und andere weglässt.511 Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit müssen sich auch auf die Gefahrerheblichkeit der 105 Umstände erstrecken. Zwar verlangt das Gesetz für die Anzeigeobliegenheit nicht, dass der VN diese objektiv kennt. Er muss daher auch diejenigen Gefahrumstände angeben, die er selbst für unerheblich hält, nach denen er aber gefragt worden ist.512 Ihm können aber fehlerhafte Einschätzungen hinsichtlich der offenkundigen Unerheblichkeit der Umstände (Rn. 59) zur Last fallen. Diese berechtigen den VR nur dann zum Rücktritt, wenn sie nicht schuldlos oder nur infolge leichter Fahrlässigkeit erfolgt sind. So ist ein Rücktritt z.B. ausgeschlossen, wenn während der Besichtigung der Versicherungsräume zwischen dem Versicherungsagenten und dem VN ohne weitere Erläuterung durch den Versicherungsagenten beiläufig über frühere Schäden gesprochen wird und der VN von vier früheren Schäden nur den nicht angibt, bei dem der Vorversicherer keine Entschädigung geleistet hat.513 Hält der VN trotz eindeutiger und auch richtig verstandener Frage nach einer objektiv gefahrerheblichen Tatsache einen Umstand dennoch fälschlicherweise für nicht gefahrerheblich, geht diese Einschätzung zu seinen Lasten, weil die Beurteilung der Gefahrerheblichkeit dem VR obliegt.514 Schließlich ist der Vorwurf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns auch in Bezug 106 auf die Abgabe oder den Zugang der Anzeige durch den VN und beim VR zu prüfen. Dies betrifft insbesondere diejenigen Fälle, in denen Atteste oder sonstige Unterlagen über die zu versichernde Person oder Sache beigefügt oder nachgereicht werden sollen, aber den Machtbereich des Erklärenden nicht verlassen. Hat der VN seine Anzeigeobliegenheit objektiv verletzt, so vermutet das Gesetz, dass ihm 107 grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.515 Die Darlegungs- und Beweislast für nur leichtes oder sogar fehlendes Verschulden trifft daher den VN,516 diejenige für Vorsatz (die mit Blick auf Absatz 4 Satz 1 von Relevanz ist), den VR.517

c) Keine Möglichkeit der Vertragsanpassung (Absatz 4 Satz 1). Der durch die VVG-Re- 108 form 2008 inhaltlich vollständig neue Absatz 4 enthält einen weiteren Ausschlussgrund für das Rücktrittsrecht des VR. Früher ordnete § 41 a.F. lediglich auf der Ebene der Rechtsfolgen an, dass der VR eine höhere Prämie verlangen konnte, wenn dem VN der Gefahrumstand bei Schließung des Vertrages nicht bekannt war oder ihn an der Verletzung seiner Anzeigeobliegenheit kein Verschulden traf und der Rücktritt des VR daher ausgeschlossen war. Nunmehr erschien dem Reformgesetzgeber der Rücktritt schon tatbestandlich nicht gerechtfertigt, wenn der VR den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte. Diese sog. vertragsändernden Umstände sind abzugrenzen von vertragshindernden Umständen, bei deren Kenntnis der VR den Vertrag überhaupt nicht geschlossen hätte.518 Der Ausschluss des Rücktrittsrechts des VR sei nur dann unbillig, wenn der VN seine Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt habe. Dem VR könne nicht zugemutet werden, an ei-

511 Vgl. OLG Düsseldorf 19.10.1982 VersR 1984 1032; s.a. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 40. 512 OLG Köln 13.2.1973 VersR 1973 1017; 31.1.1974 VersR 1974 849; OLG Düsseldorf 19.10.1982 VersR 1984 1034; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 113. OLG Karlsruhe 7.11.1996 VersR 1997 1484. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 85. A.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 80: Vorsatz. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 90. A.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 80; Lange RuS 2008 56, 59; Langheid/Rixecker/ Langheid § 19 Rn. 89. 518 Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 99; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 65.

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nem Vertrag mit einem VN festgehalten zu werden, der seine Pflicht nach Absatz 1, die für den VR erheblichen Umstände anzuzeigen, bewusst verletzt habe.519 Erste Voraussetzung einer Vertragsanpassung ist damit, dass der Antragsteller seine Anzeigeobliegenheit nicht vorsätzlich verletzt hat.520 Auf den Grad des Verschuldens im Übrigen – grobe oder einfache Fahrlässigkeit oder fehlendes Verschulden – kommt es insoweit nicht an. Dieser Feststellung bedarf es lediglich im Hinblick darauf, ob überhaupt ein Rücktritt (oder nur ein Kündigungsrecht, Absatz 3 Satz 2) des VR in Rede steht und ob die neuen Bedingungen rückwirkend521 oder erst ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil werden (Absatz 4 Satz 2). Zweitens ist das Rücktrittsrecht des VR nur dann ausgeschlossen, wenn eine Anpassung des Versicherungsvertrages an das erhöhte Risiko möglich ist. Ob eine solche Möglichkeit besteht, richtet sich nach den AVB des VR und seiner Annahmepraxis.522 Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen können einer Vertragsanpassung entgegenstehen, wenn der nicht angezeigte Gefahrumstand zur Unversicherbarkeit des Risikos führt. So waren beispielsweise früher in der privaten Unfallversicherung dauernd pflegebedürftige Personen sowie Geisteskranke grundsätzlich ebenso wenig versicherbar (§ 3 Abs. 1 AUB 1994; eine entsprechende Bestimmung ist in den AUB 2014 nicht mehr vorhanden) wie Berufsunfähige;523 in der Betriebshaftpflichtversicherung ist ein rechtswidriger Dauerbetrieb umweltbelastender Anlagen nicht versicherbar,524 in der Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung können nur ganze Betriebe, nicht aber unselbständige Betriebsteile oder Abteilungen versichert werden (§ 1 FBUB 2010).525 Größere praktische Bedeutung dürfte haben, dass die VR nach ihrer – im Einzelnen sehr unterschiedlichen526 – Geschäftspraxis den Abschluss von Versicherungsverträgen unter bestimmten Voraussetzungen ablehnen. Wesentliche Gründe hierfür sind die Größe des Risikos (z.B. die Höhe der Versicherungssumme) im Verhältnis zur Zeichnungskapazität des VR und den Möglichkeiten der Risikoverteilung, die Einschätzung des objektiven und des subjektiven Risikos durch den VR sowie schließlich die Wettbewerbssituation. Als Beispiele mögen genügen: Die Ablehnung des Vertragsabschlusses mit Personen, die einschlägig vorbestraft sind (Versicherungsbetrug, Brandstiftung etc.) oder bei denen in der Vergangenheit eine außergewöhnliche Häufung von Versicherungsfällen eingetreten ist; in der Lebens-, Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung mit Personen, die erhebliche Vorerkrankungen aufzuweisen haben oder bei denen infolge ihres Berufes oder aus anderen Gründen die Schadenswahrscheinlichkeit so hoch ist, dass dem nicht mehr mit Risikozuschlägen begegnet werden kann; in der Sachversicherung in Bezug auf Gegenstände mit besonders hohem Schadensrisiko (Gebäude in Hochwasserlagen, aus leicht brennbarem Material errichtet, in der Nähe feuergefährlicher Betriebe belegen, wiederholte Einbrüche in dasselbe Gebäude etc.). Da das Rücktrittsrecht des VR die regelmäßige Folge der Obliegenheitsverletzung des Antragstellers und die Anpassung des Vertrages eine Ausnahme hiervon darstellt, ist es Sache des VN, darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass der nicht angezeigte Umstand nach den AVB und allgemeinen Geschäftsgrundsätzen des VR nicht zu einer Versagung des Versiche-

519 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 141 f.; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 66.

520 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 144. 521 OLG Hamm 5.5.2021 – 20 U 22/21, VersR 2021 1220. 522 OLG Köln 15.2.2013 – 20 U 207/12, VersR 2013 745; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 115; Beckmann/MatuscheBeckmann/Knappmann § 14 Rn. 87; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 67. Vgl. OGH Wien 2.3.2005 – 7 Ob 316/04 b, VersR 2006 1711. Wagner VersR 1991, 249, 255. Vgl. OLG Hamm 9.3.1977 VersR 1997 578. Vgl. BGH 28.3.1984 VersR 1984 629; 27.6.1984 VersR 1984 884; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 513.

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

rungsschutzes geführt hätte.527 Hinsichtlich der Darlegung der Geschäftspraxis des VR wird man aber mit einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast arbeiten müssen.528 Näher dazu Rn. 176.

d) Rechtsfolgenbelehrung (Absatz 5 Satz 1). Das Rücktrittsrecht sowie die übrigen dem VR 114 in § 19 Abs. 2 bis 4 eingeräumten Rechte stehen ihm gem. Absatz 5 Satz 1 nur zu, wenn er den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Verletzung seiner Anzeigeobliegenheit hingewiesen hat. Diese Regelung ist im VVG 2008 neu, sie fand in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung des VVG keine Entsprechung.529 Gelegentlich hatten die VR sich entsprechende Verpflichtungen in ihren AVB auferlegt (§ 6 Abs. 1 ALB 1957,530 nicht aber in neueren Fassungen der ALB). Die Rechtsbelehrung dient dem Schutz des VN; sie muss so rechtzeitig vor Vertragsschluss erfolgen, dass er seine Anzeigepflicht noch erfüllen kann. Unterlässt der VR diese Belehrung, kann er sich auf die Pflichtverletzung des VN nicht berufen.531 Die Belehrungspflicht gilt nicht für den arglistig handelnden VN, weil dieser nicht schutzwürdig ist.532 Fraglich ist, was genau die Formulierung „gesonderte Mitteilung“ voraussetzt.533 Der BGH 115 hat sich zunächst zu der gleichlautenden Formulierung in § 28 Abs. 4534 – und später auch für § 19 Abs. 5535 – auf den Standpunkt gestellt, dass sowohl ein eigens für die Belehrung erstelltes Dokument („Extra-Blatt“) als auch eine anlassbezogene Belehrung im unmittelbaren Kontext mit den an den VN gerichteten Fragen ausreichend ist, wenn die Belehrung drucktechnisch so gestaltet sei, dass sie sich deutlich vom übrigen Text abhebt und vom VN nicht übersehen werden kann. Gerade in letzterem Fall wird die Belehrung der vom Gesetz bezweckten Warnfunktion gerecht.536 Damit ist der BGH etwas großzügiger als Rechtsprechung und Rechtslehre zu vergleichbaren Bestimmungen im alten VVG (§ 5 Abs. 2, § 5a Abs. 2, § 12 Abs. 3 Satz 2 a.F.), wo eine gesonderte Mitteilung des VR noch voraussetzte, dass dem Antragsteller neben dem eigentlichen Fragenkatalog ein weiteres Schriftstück des VR zugeht, in dem ausschließlich die erforderliche Belehrung enthalten ist.537 Der neueren Auffassung des BGH haben sich instanzgerichtliche Rechtsprechung und Literatur überwiegend angeschlossen.538 Den Anforderungen des Gesetzes nicht genügend ist aber der Verweis auf eine in einem umfangreichen Klauselwerk 527 528 529 530 531 532

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 68. Vgl. OLG Düsseldorf 14.5.2002 – 4 U 181/01, NVersZ 2002 554. Vgl. BGH 29.5.1980 VersR 1980 762. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65 f. BGH 12.3.2014 – IV ZR 306/13, BGHZ 200 286, 289 ff.; OLG Hamm 13.2.2015 – 20 U 169/14, VersR 2016 103; OLG Brandenburg 21.12.2018 – 11 U 149/16, RuS 2020 145; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 133; Becker VP 2014 84, 85; Köther VersR 2016 831, 836; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 76; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 14; ders. VersR 2011 724, 725. 533 Übersichtlich zum Streitstand Armbrüster Rn. 931 ff. 534 BGH 9.1.2013 – IV ZR 197/11, BGHZ 196 67, 70 ff. 535 BGH 27.4.2016 – IV ZR 372/15, BGHZ 210 113, 117 ff.; 6.12.2017 – IV ZR 16/17, VersR 2018 281. 536 OLG Brandenburg 21.12.2018 – 11 U 149/16, RuS 2020 145; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 160; Leverenz VersR 2008 709, 712; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 73; Schimikowski RuS 2009 353, 356; Wandt Rn. 844. 537 LG Heidelberg 29.6.1990 VersR 1992 227; OLG Hamm 31.5.1995 VersR 1996 829; Funck VersR 2008 163, 166; Neuhaus RuS 2008 45, 52; Präve VersR 2007 1046, 1046; Reusch VersR 2007 1313, 1319 f. 538 OLG Hamburg 6.8.2013 – 9 U 31/13, ZfS 2014 450; OLG Stuttgart 26.9.2013 – 7 U 101/13, VersR 2014 691; 13.3.2014 – 7 U 216/13, VersR 2014 1441; 17.4.2014 – 7 U 253/13, VersR 2014 985; OLG Saarbrücken 7.5.2014 – 5 U 45/ 13, VersR 2015 91; KG 23.5.2014 – 6 U 210/13, VersR 2014 1357; OLG Hamm 13.2.2015 – I-20 U 169/14, VersR 2016 103; OLG München 8.9.2015 – 25 U 2870/15, VersR 2016 515; OLG Karlsruhe 22.10.2015 – 12 U 53/15, VersR 2016 105; OLG Dresden 6.6.2017 – 4 U 1460/16, VersR 2017 1065; LG Dortmund 17.12.2009 – 2 O 399/09, VersR 2010 465; 13.6.2013 – 2 O 450/12, NJOZ 2014 1652; LG Hagen 16.12.2009 – 23 O 40/09, RuS 2010 276; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 132; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2692; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 10; Köther VersR 2016 831, 834; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 160; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 118, 120; Leve49

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

enthaltene Belehrung539 oder ein nur allgemeiner Hinweis ohne Angabe des genauen Fundortes der Informationen.540 Nicht ausreichend ist auch eine Belehrung lediglich in den AVB, weil diese nicht in dem erforderlichen Kontext mit den Fragen steht.541 Wann eine drucktechnische Hervorhebung unübersehbar gestaltet ist, ist eine im Einzelfall zu beantwortende Frage.542 So soll die Hervorhebung bspw. dann entfallen, wenn die Rechtsfolgenbelehrung aufgrund mehrerer in ähnlicher Weise hervorgehobener Textpassagen dem VN nicht mehr ins Auge fällt.543 Erfolgt die Belehrung auf einem sog. Extra-Blatt, muss der Zusammenhang mit dem Fragenkatalog für den VN hinreichend deutlich sein. Daher ist im Fragenkatalog auf die gesonderte Belehrung hinzuweisen.544 Die Mitteilung muss in Textform erfolgen, also den Anforderungen des § 126b BGB genügen (siehe dazu Rn. 34 ff.).545 Fraglich ist, ob die Belehrung entbehrlich ist, wenn für den VN ein Makler tätig ist.546 Hier kann ein konkludentes Abbedingen der Pflicht des Absatzes 5 Satz 1 angenommen werden, wenn ein Maklerfragebogen genutzt wird und der Makler die Fragen als rechtsgeschäftlicher Vertreter des VN beantwortet.547 Ob in diesem Zusammenhang zu fordern ist, dass der Hinweis den Antragsteller räumlich116 zeitlich vor der Beantwortung der Fragen erreichen muss, mithin im Text vor diesen zu stehen hat und es nicht ausreichen würde, wenn der Antragsteller den belehrenden Hinweis erst mit der Unterzeichnung des Antrags zur Kenntnis nimmt, ist fraglich.548 Der gesetzgeberischen Intention zufolge soll die Belehrung so rechtzeitig vor Vertragsschluss erfolgen, dass der VN seine Anzeigepflicht noch erfüllen kann.549 Um die Warnfunktion zu erfüllen, hat die Belehrung grundsätzlich vor der Beantwortung der Fragen zu erfolgen.550 So wird teilweise vertreten, dass die Belehrung im direkten Zusammenhang mit den Antragsfragen stehen müsse, um der Warnfunktion des Absatzes 5 Satz 1 gerecht zu werden.551 Die Kenntnisnahme des Hinweises ist aber auch oder sogar besser gewährleistet, wenn sich die Rechtsfolgenbelehrung zumindest auch unmittelbar vor oder unter der Unterschriftenleiste befindet, weil der VN diesen Bereich bei der notwendigen Unterzeichnung nicht übersehen kann.552 Entscheidend ist, dass der Hinweis vom VN bis zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Vertragserklärung nicht übersehen werden kann.553 Der VN kann zuvor falsch beantwortete Fragen noch rechtzeitig korrigieren, wenn ihm die Bedeutung der wahrheitsgemäßen Beantwortung bei Unterzeichnung deutlich vor Augen geführt wird.554 Hierfür ist es nicht ausreichend, wenn die Belehrung erst mehrere Seiten nach den renz VersR 2008 709, 710 ff.; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 73; Marlow VersR 2010 468; Notthoff RuS 2016 61, 62; Rixecker ZfS 2007 369, 370; Romahn S. 232; Schimikowski RuS 2009 353, 356; Wagner/Rattay VersR 2011 178 ff. 539 OLG Stuttgart 13.3.2014 – 7 U 216/13, VersR 2014 1441; LG Hagen 16.12.2009 – 23 O 40/09, RuS 2010 276; a.A. OLG Saarbrücken 13.11.1991 VersR 1992 687. 540 OLG Saarbrücken 9.5.2018 – 5 U 23/16, RuS 2019 214; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 19 Rn. 72. 541 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469; OLG Stuttgart 17.4.2014 – 7 U 253/13, VersR 2014 985. 542 Köther VersR 2016 831, 834. 543 OLG Karlsruhe 22.10.2015 – 12 U 53/15, VersR 2016 105; Notthoff RuS 2016 61, 62. 544 OLG Saarbrücken 7.5.2014 – 5 U 45/13, VersR 2015 91. 545 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 127. 546 So OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469. 547 Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 120. 548 Armbrüster Rn. 933. 549 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. 550 Romahn S. 233; Schimikowski RuS 2009 353, 356. 551 Grote/Schneider BB 2007 2689, 2692; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 8; Marlow VersR 2010 468; Notthoff RuS 2016 61, 62; Tschersich RuS 2012 53, 55: für den Fall der Antragstellung noch in 2007 und des Vertragsschlusses in 2008. 552 LG Dortmund 17.12.2009 – 2 O 399/09, VersR 2010 465; LG Köln 14.7.2010 – 23 O 377/09, VersR 2011 336; Prölss/ Martin/Armbrüster § 19 Rn. 127a; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 120; Wagner/Rattay VersR 2011 178, 180 f. 553 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 127a. 554 LG Dortmund 17.12.2009 – 2 O 399/09, VersR 2010 465; Schimikowski RuS 2009 353, 356; a.A. Beckmann/ Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 8. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

Fragen und der Unterschriftenzeile aufgeführt ist, weil dann die Gefahr besteht, dass der VN die Belehrung erst gar nicht zur Kenntnis nimmt oder davon ausgeht, dass jeder Text nach seiner Unterschrift irrelevant ist.555 Möglich ist auch eine sog. Doppelbelehrung, nämlich als Kurzbelehrung über wesentliche Kernpunkte vor sowie ergänzend nach den Fragen mit konkreter Verweisung auf die ausführliche nachfolgende Belehrung.556 Es ist fraglich, ob der VR eine versäumte Rechtsfolgenbelehrung noch bis zum Vertragsschluss nachholen kann. Grundsätzlich ist eine nach vollendeter Beantwortung der Fragen erfolgte Belehrung verspätet und kann den Schutzzweck des Absatzes 5 Satz 1 nicht erfüllen. Dies kann nur ausnahmsweise anders zu beurteilen sein, wenn dem VN mit der verspäteten Belehrung Gelegenheit gegeben wird, die bereits beantworteten Fragen zu überprüfen und ggf. zu korrigieren.557 Inhaltlich fordert § 19 Abs. 5 Satz 1 eine umfassende, unmissverständliche und aus dem 117 Verständnis des VN eindeutige Belehrung.558 Dies macht es erforderlich, dass der VR sowohl auf sein Rücktritts- als auch sein Kündigungsrecht und die Möglichkeit der Vertragsanpassung in Abhängigkeit von dem den VN jeweils treffenden Grad des Verschuldens und die übrigen Voraussetzungen der Rechte einschließlich ihres Ausschlusses bei positiver Kenntnis des Gefahrumstandes durch den VR oder dessen Kenntnis von der Unrichtigkeit der Gefahranzeige (Absatz 5 Satz 2) hinweist.559 Früher übliche Formulierungen wie „Sie gefährden sonst Ihren Versicherungsschutz“560 sind demgegenüber nicht ausreichend, weil sie den VN über die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Unklaren lassen.561 Insbesondere wird man den VR für verpflichtet halten müssen, darauf hinzuweisen, dass sein Rücktritt nicht notwendig auch seine Leistungsfreiheit zur Folge hat (§ 21 Abs. 2).562 Anderenfalls würden dem VN einseitig nur die ihn treffenden Nachteile bekannt gegeben und er u.U. davon abgehalten, trotz wirksamen Rücktritts die Versicherungsleistung zu beanspruchen.563 Mit der Belehrung nicht erweckt werden darf der Eindruck, dass leichte Fahrlässigkeit folgenlos bleibe.564 Zur Überzeugung des BGH ist es allerdings nicht erforderlich, dass der VR bei der Darlegung der Rechtsfolgen einer Vertragsanpassung darauf hinweist, dass ggf. kein Versicherungsschutz für einen bereits eingetretenen Versicherungsfall besteht, wenn ein diesbezüglicher Risikoausschluss rückwirkend Vertragsbestandteil wird. Ausreichend ist der Hinweis auf die Möglichkeit der rückwirkenden Einführung eines Risikoausschlusses, wenn bei der Darlegung der Rücktrittsfolgen der Hinweis auf den Wegfall des Versicherungsschutzes ausdrücklich erfolgt.565 Unrichtig ist in der Krankenversicherung auch eine Belehrung ohne Hinweis auf die Sanktionslosigkeit bei nicht zu vertre-

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OLG Stuttgart 26.9.2013 – 7 U 101/13, VersR 2014 691. OLG München 5.10.2015 – 25 U 2870/15, VersR 2016 515. Schimikowski RuS 2009 353, 356. LG Dortmund 17.12.2009 – 2 O 399/09, VersR 2010 465; vgl. BGH 4.7.2002 – I ZR 55/00, NJW 2002 3396; 12.4.2007 – VII ZR 122/06, NJW 2007 1946; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 11; Köther VersR 2016 831, 834; Lange RuS 2008 56, 57 f.; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 119; Reusch VersR 2007 1313, 1320 f. 559 OLG Brandenburg 17.12.2009 – 12 W 57/09, VersR 2010 1301; OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469; LG Dortmund 17.12.2009 – 2 O 399/09, VersR 2010 465; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 164; a.A. Prölss/ Martin/Armbrüster § 19 Rn. 131; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 75; Notthoff RuS 2016 61, 62. 560 Vgl. BVerwG 25.6.1998 BVerwGE 107 101, 102, 112 ff. 561 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 11; zweifelnd Lange RuS 2008 56, 58. 562 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 11. 563 Vgl. BGH 12.4.2007 – VII ZR 122/06, NJW 2007 1946. 564 OLG Brandenburg 17.12.2009 – 12 W 57/09, VersR 2010 1301; LG Dortmund 17.12.2009 – 2 O 399/09, VersR 2010 465; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 75; Looschelders VersR 2011 697, 704; Notthoff RuS 2016 61, 62. 565 BGH 27.4.2016 – IV ZR 372/15, BGHZ 210 113, 119 f.; so auch KG 23.5.2014 – 6 U 210/13, VersR 2014 1357; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 134; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 119; a.A. OLG Dresden 6.6.2017 – 4 U 1460/16, VersR 2017 1065; LG Dortmund 14.3.2013 – 2 O 321/12, RuS 2013 322; 8.11.2013 – 2 O 452/12, VuR 2014 75; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 164. 51

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

tender Anzeigepflichtverletzung (§ 194 Abs. 1 Satz 3).566 Ungenügend ist weiter eine Belehrung in Form der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts.567 Nicht erforderlich ist es demgegenüber, dass der VR bereits in diesem Zeitpunkt auf das dem VN nach Absatz 6 Satz 1 zustehende Sonderkündigungsrecht bei Anhebung der Prämie um mehr als 10 % oder den Risikoausschluss aufmerksam macht. Insoweit beinhaltet § 19 Abs. 6 Satz 2 eine selbständige Belehrungspflicht. Eine unrichtige Belehrung hat zur Folge, dass der VR keines der in § 19 Abs. 2 bis 4 geregelten Rechte ausüben darf.568

118 e) Keine positive Kenntnis des Versicherers von der Unrichtigkeit (Absatz 5 Satz 2). Der Rücktritt des VR ist ausgeschlossen, wenn er den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte (§ 19 Abs. 5 Satz 2). Dies entspricht der Regelung in den früheren § 16 Abs. 3 und § 17 Abs. 2. Die ausdrückliche Erfassung der Kenntnis des VR von der Unrichtigkeit der Anzeige erschien dem Gesetzgeber hier aus Gründen der Klarstellung notwendig.569 Die Normzwecke der beiden Tatbestandsalternativen sind verschieden: Ist dem VR der nicht angezeigte Umstand positiv bekannt, ist er auf die Angaben des VN bei der Antragstellung zur Einschätzung des Risikos und damit zur Beurteilung der Frage, ob der Vertrag mit dem vom VN beantragten Inhalt abgeschlossen werden kann, nicht angewiesen.570 Ist ihm zwar der angezeigte Umstand nicht positiv bekannt, weiß der VR aber negativ, dass die Anzeige des VN unrichtig, insbesondere nicht vollständig ist, stellte es eine unzulässige Rechtsausübung wegen Verstoßes gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens dar, wenn er – statt den VN zur Richtigstellung seiner Anzeige aufzufordern – den Vertrag kommentarlos abschlösse und später zurückträte. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses.571 119 In beiden Tatbestandsalternativen ist die sichere Kenntnis des VR erforderlich.572 Bloße Vermutungen oder Verdachtsmomente lösen lediglich die Rückfrageobliegenheit aus (Rn. 91 ff.), deren Verletzung dann allerdings ihrerseits dem Rücktritt entgegenstehen kann.573 Erforderlich ist dabei im Grundsatz die Kenntnis entweder des Organs oder eines Organmitglieds des VR oder desjenigen Sachbearbeiters, der über den Versicherungsantrag des Antragstellers entscheidet,574 die Kenntnis anderer Personen (etwa des Sachbearbeiters in der Schadensabteilung) genügt demgegenüber im Regelfall nicht.575 Auch die Kenntnis eines Vorstandsmitglieds, das nicht mit der Sache befasst war, schadet nicht.576 Praktische Bedeutung haben vor allem zwei Fallgruppen: Die „Kenntnis“ des VR aufgrund aktenmäßig festgehaltener Informationen, etwa in Bezug auf Vorschäden, die er selbst reguliert hat, und die Zurechnung der Kenntnis Dritter, insbesondere des Versicherungsagenten, der den Vertrag vermittelt hat.577 Bei einer Mitversiche566 LG Nürnberg-Fürth 12.11.2015 – 8 O 9622/13, RuS 2016 173; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 129; s.a. LG Dortmund 10.3.2011 – 2 O 105/10, VuR 2011 238.

567 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 11; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 162 f.; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 75; Reusch VersR 2007 1313, 1320; Römer VersR 2006 740, 744; krit. Neuhaus RuS 2008 45, 52; a.A. Lange RuS 2008 56, 58. 568 LG Dortmund 24.2.2011 – 2 O 250/10, RuS 2011 241. 569 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. 570 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 64. 571 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 123. 572 BGH 28.11.1990 VersR 1991 170; 17.4.1996 VersR 1996 742; 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 64; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 77; H.D. Schmidt VersR 1986 511, 514. 573 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 167. 574 Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1166; Lücke VersR 1996 785, 788; Meyer-Reim/Testorf VersR 1994 1137, 1139. 575 OLG Hamm 12.12.1990 RuS 1991 322; OLG Köln 13.11.1996 VersR 1998 351; ausführlich: Beckmann/MatuscheBeckmann/Knappmann § 14 Rn. 64. 576 OLG Oldenburg 21.4.2010 – 5 U 78/09, RuS 2012 38. 577 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 125. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

rung wird bei einer dahingehenden Bevollmächtigung analog § 166 Abs. 3 BGB das Wissen des führenden VR den übrigen VR zugerechnet.578 Für die vorvertragliche Anzeigepflicht unerheblich ist aber die sich aus der Führungsklausel ergebende Bevollmächtigung, da diese erst mit Vertragsschluss wirksam wird.579

aa) Positive Kenntnis durch Abruf von Datenbanken. In seinem Grundsatzurteil vom 120 14.7.1993 hat der BGH erkannt, dass dem VR all diejenigen Daten über einen VN bekannt sind, die er in Datenbanken gesammelt hat, soweit Anlass besteht, sie abzurufen. Ein derartiger Anlass bestehe, wenn der Antragsteller im Antrag auf Abschluss oder Änderung eines Versicherungsvertrages hinreichend deutlich auf das Vorhandensein der Daten in der Datensammlung des VR hinweise. Mit dem Hinweis auf Daten in einer Datensammlung eines anderen VR genügt der Antragsteller seiner Anzeigeobliegenheit ebenfalls, wenn sich der VR im Antragsformular die Einwilligung des Antragstellers hat geben lassen, im Verbund mit dem anderen VR die Daten des Antragstellers zu sammeln.580 Diese Rechtsprechung hat das Gericht im Folgenden bestätigt und präzisiert: Ein VR könne sich der dokumentierten Kenntnis von bestehenden Verträgen nicht dadurch entziehen, dass er mehrere Verträge, in denen dieselbe Person versichert ist und auf deren Gesundheitsverhältnisse es für Rücktritt und Arglistanfechtung ankommt, in verschiedenen Abteilungen so verwalte, als handele es sich bei diesen um jeweils selbständige Unternehmen, die nichts miteinander zu tun hätten.581 Die zwischenzeitlich vertretene – strengere – Auffassung, dass für den VR kein Anlass bestehe, die Daten abzurufen, wenn der VN nicht auf eine andere beim VR oder einem mit diesem konzernverbundenen Unternehmen bestehende Versicherung hingewiesen habe,582 ist damit wohl überholt. Andererseits hat das Gericht aber auch klargestellt, dass Erkenntnismöglichkeiten des VR aus der Wagnisdatei die Aufklärungsobliegenheiten des VN unberührt lassen.583 Der Gesetzgeber hat sich anlässlich der Reform des VVG nicht veranlasst gesehen, die von 121 der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu präzisieren oder abzuändern. In der amtlichen Begründung zum VVGRefG heißt es lediglich, dass es „zur Frage der Wissenszurechnung bezüglich EDV-gespeicherter Daten bei konzernverbundenen Unternehmen […] bei der höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach welcher der VR sich die gespeicherten Kenntnisse eines Konzernunternehmens zurechnen lassen muss, wenn er Veranlassung hatte und in der Lage war, die entsprechenden Daten abzurufen“, verbleibe.584 Offen ist damit weiterhin, ob vom VR eine routinemäßige Abfrage der ihm zugänglichen 122 Daten verlangt werden kann und ob Unkenntnis infolge des Unterlassens dieser Abfrage positiver Kenntnis gleichzustellen ist. Die Rechtsprechung ist hier trotz des Satzes des BGH, es sei davon auszugehen, dass die „anderweitigen Angaben den Sachbearbeitern der Beklagten entweder unmittelbar mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Datenverarbeitungsanlage zugänglich waren oder sie die betreffende Akte [des VR], die nach dem Vorbringen des Klägers in demselben Gebäude geführt wurde, anhand der auf dem Bildschirm erscheinenden Versicherungsnummer beiziehen und sich daraus unterrichten konnten“,585 zurückhaltend. So hat sich

578 LG Hagen 16.12.2009 – 23 O 40/09, RuS 2010 276; vgl. zu § 21 Abs. 1 OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469. 579 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 77; Schaloske RuS 2010 279, 280. 580 BGH 14.7.1993 BGHZ 123 224, 229; s.a. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 167. 581 BGH 10.9.2003 – IV ZR 198/02, NJW-RR 2003 1603. 582 BGH 13.12.1989 VersR 1990 258; 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486; vgl. auch OLG Köln 4.6.1992 RuS 1994 75. 583 BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 481; daran anschließend OLG Hamm 23.1.2008 – I-20 U 109/07, VersR 2008 958. 584 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 77; s.a. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 66. 585 BGH 14.7.1993 BGHZ 123 224, 229. 53

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

das OLG Hamm etwa auf den Standpunkt gestellt, der VN könne sich, wenn er im Antragsformular Vorschäden verschwiegen habe, nicht ohne weiteres darauf berufen, dass alles dem VR bekannt gewesen sei, da auch bei ihm Vorversicherungen bestanden hätten. Allein der Umstand, dass diese Versicherungen im Datenbestand des VR registriert sind, reiche für eine positive Kenntnis nicht aus.586 Demgegenüber wird in der Literatur eine strengere Linie vertreten: So hätten die deutschen Lebens-, Kranken- und Unfallversicherer eine gemeinsame Wagnisdatei angelegt, in der sie beispielsweise diejenigen Anträge speicherten, die aus versicherungsmedizinischen Gründen abgelehnt oder nur mit einem Beitragszuschlag versehen angenommen worden sind.587 Man werde bei derartigen Dateien, die von den VR gerade zum Zweck der wechselseitigen Information angelegt worden seien, eine routinemäßige Abfrage bei Vertragsschluss für erforderlich halten müssen.588 Jedoch können die Zugriffsmöglichkeiten aus Gründen des Datenschutzes eingeschränkt sein.589 Der VN muss daher im Antragsfragebogen auf diese Daten hinweisen; er erklärt somit sein Einverständnis in die Einsichtnahme.590 Für solche Fälle hat der BGH – zumindest für das Obliegenheitsrecht – eine Informationsorganisationspflicht des VR angenommen.591

123 bb) Positive Kenntnis des Versicherungsagenten. In Bezug auf Hilfspersonen, die in den Abschluss des Versicherungsvertrages eingeschaltet sind, ist zu differenzieren: Für Versicherungsvertreter ordnet § 70 an, dass deren Kenntnis der Kenntnis des VR gleichsteht, es sei denn, dass der Vertreter diese Kenntnis außerhalb seiner Tätigkeit als Vertreter und ohne Zusammenhang mit dem betreffenden Versicherungsvertrag erlangt hat. Damit greift das Gesetz die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung des BGH592 auf.593 Außerhalb der Tätigkeit als Vertreter erlangt sind private Kenntnisse.594 Ohne Zusammenhang mit dem betreffenden Versicherungsvertrag erlangt sind Informationen, die der Vertreter irgendwann einmal im Rahmen seiner Tätigkeit für einen anderen VR erlangt hat.595 Ebenso sind Umstände zu behandeln, von denen der Vertreter im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Antrag des VN erfahren hat, wenn der VN schließlich ein von ihm neu angefordertes Antragsformular selbst ausfüllt.596 Ausnahmsweise können auch außerhalb der konkreten Vertragsanbahnung erlangte Kenntnisse zu berücksichtigen sein, wenn der VN hiermit rechnen kann; so bspw., wenn der Vertreter anhand seiner Kenntnisse den Fragenkatalog ausfüllen soll.597 Für Versicherungsmakler und Versicherungsberater gilt § 70 demgegenüber nicht. Sie sind nicht als Sachwalter des VR, sondern des VN

586 OLG Hamm 10.12.1997 RuS 1998 473; ähnlich OLG Hamm 7.7.1995 NJW-RR 1996 406 für den Fall, dass die Abfrage ergebnislos geblieben war, weil der erste Antrag des VN irrtümlich unter dessen Vornamen gespeichert war. 587 Vgl. Präve VersR 1992 279, 280. 588 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 66; Lücke VersR 1996 785, 788. 589 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 66. 590 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 66; s.a. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 102; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 78. 591 BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, VersR 2007 1267; s.a. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 102. 592 BGH 11.11.1987 BGHZ 102 194, 195 ff.; 23.5.1989 BGHZ 107 322, 323; 18.12.1991 BGHZ 116 387, 389; 11.11.1992 VersR 1993 871; 14.7.1993 BGHZ 123 224, 230 f.; 19.9.2001 – IV ZR 224/00, VersR 2001 1498; 30.1.2002 – IV ZR 23/01, VersR 2002 425; 3.7.2002 – IV ZR 145/00, VersR 2002 1089; 6.12.2006 – IV ZR 124/06, VersR 2007 537; 7.11.2007 – IV ZR 103/06, VersR 2008 242; 5.3.2008 – IV ZR 119/06, VersR 2008 668; Büsken VersR 1992 272 ff.; Langheid/ Wandt/Langheid § 19 Rn. 95; Meyer-Reim/Testorf VersR 1994 1137, 1139. 593 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 77; Fricke VersR 2007 1614, 1615; Neuhaus ZfS 2011 543, 543 f. 594 OGH Wien 28.10.2009 – 7 Ob 94/09 p, VersR 2010 1342. 595 OLG München 30.9.2003 – 25 U 2913/03, VersR 2004 181; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 70. 596 OLG Saarbrücken 29.11.2006 – 5 U 105/06, VersR 2007 826. 597 OGH Wien 19.3.2003 – 7 Ob 266/02 x, VersR 2004 538. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

tätig.598 Auch dies entspricht der früheren Rechtsprechung und Literatur.599 Zu weiteren Einzelheiten siehe § 70. Das Wissen anderer Dritter muss der VR sich nur unter den Voraussetzungen des § 164 Abs. 3 BGB zurechnen lassen, also dann, wenn diese Personen Empfangsvertreter sind oder jedenfalls nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht wie solche behandelt werden (siehe dazu Rn. 77).

f) Erklärung des Rücktritts. Der VR muss den Rücktritt dem VN gegenüber erklären (§ 349 124 BGB). Hierfür steht ihm gem. § 21 Abs. 1 eine Frist von einem Monat zu. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der VR von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das Rücktrittsrecht begründet, Kenntnis erlangt. Der VR hat die Umstände anzugeben, auf die er seinen Rücktritt stützt; er darf nachträglich weitere Umstände zur Begründung seiner Erklärung angeben, wenn für diese die Monatsfrist nicht verstrichen ist. Nähere Einzelheiten bei § 21 Rn. 20 f.

2. Rechtsfolgen a) Wirkung. Die Wirkungen des Rücktritts ergeben sich im Wesentlichen nicht aus dem VVG, 125 sondern aus den Bestimmungen des BGB. Danach wird – im Gegensatz zu der in der amtlichen Begründung zum VVG-Reformgesetz zum Ausdruck gelangten Auffassung600 – der Vertrag nicht etwa rückwirkend beseitigt. Vielmehr besteht er in umgewandelter Form mit der sich aus § 346 BGB ergebenden Grundregel fort, dass die noch ausstehenden Leistungen nicht erbracht und die bereits bewirkten Leistungen zurückgewährt werden müssen.601 Der Rücktritt begründet also ein Rückgewährschuldverhältnis, das die Parteien – im Grundsatz beide – verpflichtet, die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben (§ 346 Abs. 1 BGB).602 Auf zwei wichtige versicherungsrechtliche Einschränkungen dieses Grundsatzes ist jedoch 126 schon an dieser Stelle hinzuweisen. Erstens hat der Rücktritt des VR nicht zwingend auch dessen Leistungsfreiheit für bis zur Rücktrittserklärung eingetretene Versicherungsfälle zur Folge. Dies ist für die Praxis besonders deshalb bedeutsam, weil der Rücktritt häufig nach einem Versicherungsfall erklärt wird, wenn dem VR aus diesem Anlass Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des VN gekommen sind und er daher Nachforschungen angestellt hatte.603 Nach § 21 Abs. 2 bleibt der VR aber – außer bei Arglist des VN – trotz des Rücktritts zur Leistung verpflichtet, wenn sich die Verletzung der Anzeigepflicht auf einen Umstand bezieht, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist (dazu näher § 21 Rn. 31 ff.).604 Daher darf im Leistungsprozess die Frage der Wirksamkeit des Rücktritts nicht mit derjenigen der Begründetheit des Versicherungsanspruchs vermengt werden. Zweitens braucht der VR die vom VN in der Vergangenheit gezahlten Prämien größtenteils nicht zurückzuerstatten, weil ihm nach § 39 598 BGH 7.11.2007 – IV ZR 103/06, VersR 2008 242; Fricke VersR 2007 1614, 1615. 599 BGH 22.9.1999 VersR 1999 1481; OLG Köln 1.6.1995 VersR 1995 946; LG Köln 22.4.1998 VersR 1999 573; Heinemann VersR 1992 1319, 1322 f.; Meyer-Reim/Testorf VersR 1994 1137, 1140; Reiff RuS 1998 89, 90; Reusch NVersZ 2000 120, 121 f.; andeutungsweise auch BGH 19.2.1992 VersR 1992 484; a.A. OLG Hamm 6.5.1992 VersR 1992 1462. 600 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65. 601 BGH 8.12.1989 NJW 1990 2068; 21.1.1994 NJW 1994 1161; 10.7.1998 NJW 1998 3268; Palandt/Grüneberg § 346 BGB Rn. 6; Staudinger/Kaiser § 346 BGB Rn. 69; a.A. früher RG 11.4.1902 RGZ 50, 255, 266 f.; 14.7.1923 RGZ 107 345, 348. 602 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Armbrüster Rn. 924; Lange VersR 2006 605, 608; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 116; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 82; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 60; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 518. 603 Vgl. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127, 132; dazu Egger VersR 2017 785; Looschelders NJW 2017 1396 f. 604 Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 8. 55

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

Abs. 1 Satz 2 die Prämie bis zum Wirksamwerden der Rücktrittserklärung zusteht605 (Näheres dazu bei § 39). Eine bedeutsame Ausnahme bildet allerdings die Lebensversicherung, bei der dem VN der Rückkaufswert zurückzugewähren ist (§ 169, siehe dort und Rn. 133). Der Rücktritt muss sich nicht zwingend auf den gesamten Versicherungsvertrag erstrecken, sondern kann nach Maßgabe des § 29 auch nur als Teilrücktritt zulässig sein; das gilt auch für verbundene Versicherungsverträge wie die Lebens- und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.606 Bezieht sich die Verletzung der Anzeigeobliegenheit nur auf einen Änderungsvertrag, steht dem VR nur in Bezug auf diesen das Rücktrittsrecht zu (Rn. 15). 127 Die Verpflichtung zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen (§ 346 Abs. 1 BGB) bezieht sich auch auf Leistungen für frühere Versicherungsfälle, die der VR aus diesem Vertrag in Unkenntnis seines Rücktrittsrechts erbracht hat. Davon ausgenommen sind nur diejenigen Leistungen, die der VR nach § 21 Abs. 2 trotz der Anzeigepflichtverletzung zu erbringen hatte.607 Kann der VN die empfangenen Leistungen ihrer Natur nach nicht zurückerstatten, weil beispielsweise der VR Dienst- oder Werkleistungen erbracht hat, muss er gem. § 346 Abs. 2 BGB Wertersatz leisten. Zinsen sind, nachdem das VVG 2008 eine § 20 Abs. 2 Satz 2 a.F. entsprechende Bestimmung nicht mehr enthält, auf den zurückzugewährenden Betrag nur zu entrichten, wenn der Rückgewährpflichtige entsprechende Nutzungen gezogen hat (§ 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB) oder entgegen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft nicht gezogen hat, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre (§ 347 Abs. 1 BGB); eine darüber hinausgehende allgemeine Verzinsungspflicht kennt das Rücktrittsrecht seit der Schuldrechtsreform 2002 nicht mehr.608 128 Rückgewährschuldner ist der Vertragspartner, also hinsichtlich zurückzuerstattender Prämienanteile der VR, hinsichtlich gezahlter Versicherungsleistungen der VN. Dies gilt auch bei der Versicherung für fremde Rechnung sowie dann, wenn der VN den Anspruch abgetreten oder verpfändet hatte.609 Ist der VN verstorben, trifft die Rückgewährpflicht die Erben.610 Wenn der VR an einen Bezugsberechtigten geleistet hat, ist nach überwiegender Meinung der Bezugsberechtigte neben dem VN rückgewährpflichtig.611 Seine Wertung, der Bezugsberechtigte sei insbesondere mit Blick auf eine mögliche Entreicherung schutzbedürftig, dieser Schutz werde aber durch die §§ 346 ff. BGB nicht gewährt, sodass die Rückgewährpflicht allein den VN treffe, der dann ggf. seinerseits beim Bezugsberechtigten kondizieren könne, steht allerdings mit § 334 BGB nicht in Einklang. Danach stehen dem Versprechenden (dem VR) „Einwendungen“ aus dem Vertrag auch gegenüber dem Dritten, also dem Bezugsberechtigten,612 zu. „Einwendungen“ in diesem Sinne sind aber auch gesetzliche Rücktrittsrechte.613 129 Vertrauensschutz gewährt das Gesetz an einigen Stellen Dritten, die Vorteile aus dem Bestehen des Versicherungsvertrages ziehen, für die Verletzung der Anzeigeobliegenheit aber nicht verantwortlich sind. Dies betrifft beispielsweise (zeitlich begrenzt) § 117 Abs. 2 Satz 1 für die Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss eine gesetzliche Verpflichtung besteht, wie etwa die Kfz-Haftpflichtversicherung. Hiernach wirkt ein Umstand, der das Nichtbestehen oder die 605 Dies verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG: BGH 1.6.2005 – IV ZR 46/04, BGHZ 163 148, 150 ff.; Langheid/ Rixecker/Langheid § 19 Rn. 82; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 61.

606 Vgl. OLG Hamm 29.5.1990 RuS 1990 357; KG 23.2.1996 VersR 1997 94; OLG Koblenz 8.9.2003 – 10 U 1649/02, VersR 2004 228; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1168; a.A. OLG Koblenz 17.11.2000 – 10 U 1979/99, VersR 2001 887. 607 Berliner Kommentar/Voit § 20 Rn. 19. 608 BGH 29.11.2006 – VIII ZR 92/06, NJW 2007 1346; Palandt/Grüneberg § 346 BGB Rn. 5; Staudinger/Kaiser § 346 BGB Rn. 244. 609 BGH 10.3.1993 VersR 1994 208; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 151; Staudinger/Kaiser § 346 BGB Rn. 114 f.; ebenso für den Bereicherungsanspruch BGH 2.11.1988 BGHZ 105 365, 369 ff. 610 OLG Düsseldorf 24.6.1975 VersR 1975 1020; 14.5.2002 – 4 U 181/01, RuS 2003 252. 611 Im Anschluss an OLG Düsseldorf 28.10.1969 VersR 1970 738: Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 61; a.A. Berliner Kommentar/Voit § 20 Rn. 20. 612 BGH 8.5.1954 BGHZ 13, 226, 232; 8.2.1960 BGHZ 32, 44, 47; 20.9.1995 BGHZ 130 377, 381. 613 MünchKomm-BGB/Gottwald § 334 Rn. 5; Palandt/Grüneberg § 334 BGB Rn. 3. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

Beendigung des Versicherungsverhältnisses zur Folge hat, in Ansehung des Dritten erst mit dem Ablauf eines Monats, nachdem der VR diesen Umstand der hierfür zuständigen Stelle angezeigt hat. In ähnlicher Weise ordnet § 143 Abs. 2 an, dass die Beendigung des Versicherungsverhältnisses gegenüber einem Hypothekengläubiger, der seine Hypothek angemeldet hat, erst mit dem Ablauf von zwei Monaten wirksam wird, nachdem ihm die Beendigung und, sofern diese noch nicht eingetreten war, der Zeitpunkt der Beendigung durch den VR mitgeteilt worden ist oder er auf andere Weise hiervon Kenntnis erlangt hat.614

b) Umdeutung. Ist der Rücktritt unwirksam, weil es an seinen Voraussetzungen fehlt, ist zu 130 erwägen, ob die Rücktrittserklärung des VR nach § 140 BGB umgedeutet werden kann. Eine Umdeutung in eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 22, § 123 BGB) kommt nicht in Betracht, da eine Anfechtung weitergehende Rechtsfolgen (Ausschluss des § 21) hat als der Rücktritt.615 Aus demselben Grunde können auch eine bloße Leistungsablehnung616 oder eine Kündigung nicht in einen Rücktritt umgedeutet werden.617 Umgekehrt ist aber möglich, einen unberechtigten Rücktritt in eine Kündigung umzudeuten, was insbesondere wegen des vom VR ja oft nicht leicht festzustellenden Grades des Verschuldens des VN (grobe Fahrlässigkeit berechtigt zum Rücktritt, einfache nur zur Kündigung) von Bedeutung ist.618 Da jedoch auch sein Kündigungsrecht ausgeschlossen ist, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis der angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte (Absatz 4 Satz 1), kommt eine Umdeutung in eine Kündigung nur in Betracht, wenn der VR das zu versichernde Risiko in der nunmehr angetragenen Weise grundsätzlich nicht übernimmt.619 Sein bloß mangelndes Interesse, das konkrete Risiko zu versichern, ist demgegenüber unbeachtlich.620 3. Unberechtigter Rücktritt Tritt der VR zurück, ohne dass die Voraussetzungen für sein Rücktrittsrecht vorliegen, so wird der 131 Vertrag nicht beendet, und zwar selbst dann nicht, wenn der VN den Rücktritt akzeptiert.621 Vielmehr begeht der VR seinerseits eine Pflichtverletzung. Dies gilt beispielsweise für den Fall, dass der VR wegen der Nichtangabe von Schwangerschaftskomplikationen den Rücktritt erklärt, weil er damit gegen § 19 Abs. 1 AGG verstößt.622 Eine solche Pflichtverletzung kann nach allgemeinen Regeln (§ 280 Abs. 1 BGB) Schadensersatzansprüche des VN begründen, wenn der VR sein Fehlverhalten zu vertreten (was bei objektiv unberechtigtem Rücktritt vermutet wird, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) und der VN durch den unberechtigten Rücktritt einen Schaden erlitten hat, z.B. Mehraufwendungen erbringen musste, um gleichartigen Versicherungsschutz zu erlangen.623 Allerdings kann der VR diesem Schadensersatzanspruch seinerseits aus § 242 BGB die Einrede eigenen Fehlverhal614 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 62. 615 BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404; 9.4.1997 RuS 1997 294; OLG Köln 14.9.1989 VersR 1990 769; Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 184. 616 BGH 22.2.1984 VersR 1984 630. 617 OLG Hamm 27.5.1987 VersR 1988 458; OLG Köln 14.9.1989 VersR 1990 769; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 8. 618 OLG Hamm 6.2.1985 VersR 1985 1033; KG 9.11.1999 RuS 2000 122, 125; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 108; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 64; Langheid/ Wandt/Muschner § 21 Rn. 31; Neuhaus VersR 2008 45, 51; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 516; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 100. 619 Bach VersR 1977 881, 884 f.; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 216; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 516. 620 OLG Hamm 6.2.1985 VersR 1985 1032. 621 OLG Karlsruhe 17.10.2002 – 12 U 177/01, VersR 2003 1381. 622 OLG Hamm 12.1.2011 – I-20 U 102/10, VersR 2011 514; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 84. 623 Vgl. BGH 11.1.1984 BGHZ 89, 296, 301 ff.; 30.4.1986 NJW 1986 2243; 14.1.1988 NJW 1988 1268; 18.5.2005 – VIII ZR 368/03, NJW 2005 2395 (jeweils zur unberechtigten Kündigung); Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 84. 57

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

tens des VN entgegenhalten, wenn dieser seine Anzeigeobliegenheit objektiv verletzt hatte.624 Der unberechtigte Rücktritt kann den VN auch berechtigen, den Versicherungsvertrag nunmehr seinerseits fristlos zu kündigen (§ 314 BGB), was jedoch nur selten praktisch werden wird.

4. Sonderregelungen in einzelnen Versicherungssparten 132 In der Transportversicherung ist abweichend von § 19 Abs. 2 bei Verletzung der Anzeigepflicht der Rücktritt des VR ausgeschlossen; der VR kann innerhalb eines Monats von dem Zeitpunkt an, zu dem er Kenntnis von dem nicht oder unrichtig angezeigten Umstand erlangt hat, den Vertrag kündigen und die Leistung verweigern. Er bleibt zur Leistung verpflichtet, soweit der nicht oder unrichtig angezeigte Umstand nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war (§ 131). 133 Ist in der Lebensversicherung das Alter der versicherten Person unrichtig angegeben worden, verändert sich die Leistung des VR nach dem Verhältnis, in welchem die dem wirklichen Alter entsprechende Prämie zu der vereinbarten Prämie steht. Das Recht, wegen der Verletzung der Anzeigepflicht von dem Vertrag zurückzutreten, steht dem VR abweichend von § 19 Abs. 2 nur zu, wenn er den Vertrag bei richtiger Altersangabe nicht geschlossen hätte (§ 157). Dasselbe gilt kraft der Verweisung des § 176 für die Berufsunfähigkeitsversicherung. Auch hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Rücktritts ist im Recht der Lebensversicherung eine abweichende Bestimmung getroffen: Wird eine Versicherung, die Versicherungsschutz für ein Risiko bietet, bei dem der Eintritt der Verpflichtung des VR gewiss ist, durch Rücktritt des VR beendet, hat der VR den vollen Rückkaufswert zu zahlen (§ 169 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3). Nach Abschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung kann der VR seinen Rücktritt auf diese beschränken und die als Hauptversicherung geschlossene Lebensversicherung weiterführen,625 während hingegen ein Fortbestehen der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nach einem Rücktritt von der Hauptversicherung nicht möglich ist.626

5. Konkurrenzen 134 Die §§ 19 bis 22 enthalten eine im Grundsatz abschließende Regelung der Rechtsfolgen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzungen.627 Sie schließen daher eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (§ 119 Abs. 2 BGB) durch den VR aus, soweit sich der Irrtum auf einen gefahrerheblichen Umstand bezog.628 Demgegenüber bleibt die Möglichkeit der Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB wegen eines Erklärungs- oder Inhaltsirrtums unberührt,629 allerdings muss der VR, der den Versicherungsvertrag anfechten will, substantiiert darlegen, dass sein Irrtum gefahrer624 OLG Oldenburg 8.2.1995 VersR 1995 819. 625 OLG Düsseldorf 29.2.2000 – 4 U 47/99, VersR 2001 1408; OLG Koblenz 8.9.2003 – 10 U 1649/02, VersR 2004 228; Langheid/Wandt/Dörner § 172 Rn. 21. 626 OLG Koblenz 17.11.2000 – 10 U 1979/99, VersR 2001 887; Langheid/Wandt/Dörner § 172 Rn. 21. 627 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64; RG 15.5.1931 RGZ 132 386, 389; BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404; Brand VersR 2009 715 f.; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 3. 628 BGH 24.9.1986 VersR 1986 1089; 22.2.1995 VersR 1995 457; OLG Köln 14.9.1989 VersR 1990 769; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 152; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 144; Knappmann RuS 1996 81, 81; von Koppenfels-Spies ZfS 2004 489, 492; Langheid/Müller-Frank NJW 1995 2892, 2894 f.; Looschelders/Pohlmann/ Looschelders § 19 Rn. 3; Lücke VersR 1996 785, 785; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 277; Wrabetz ZfV 1992 147, 147; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 11: Irrtumsanfechtung generell ausgeschlossen; a.A. Schäfers VersR 2010 301, 301 ff. 629 BGH 14.11.2001 – IV ZR 181/00, VersR 2002 88; OLG Frankfurt/Main 9.2.1996 VersR 1996 1353; OLG Köln 20.2.2001 – 9 U 173/99, VersR 2002 85; OLG Hamm 28.9.2005 – 20 U 105/05, NJW-RR 2006 818; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 152; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 16; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 144; Wrabetz ZfV 1992 147, 148; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 11. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

hebliche Umstände nicht betroffen hat.630 Infolge einer wirksamen Anfechtung kann der VR nach § 122 BGB zur Regulierung eines Versicherungsfalls als Schadensersatz verpflichtet sein, wenn der VN sich bei einem anderen VR hätte versichern können.631 Ausgeschlossen sind auch Ansprüche aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB (culpa in contrahendo) wegen Täuschung oder falscher Angaben bzgl. gefahrerheblicher Umstände.632 Folgeschäden, wie bspw. Kosten für ein Sachverständigengutachten, sollen aber ersatzfähig sein.633 Zwar trägt angesichts der gesetzlichen Regelung dieses Rechtsinstruments im Zuge der Schuldrechtsreform 2002 die frühere Begründung, es fehle eine Lücke im Gesetz, die die Heranziehung dieser ungeschriebenen Rechtsregeln rechtfertige, nicht mehr,634 doch verbleibt es dabei, dass die §§ 19 ff. vom Gesetzgeber als abschließend gewollt sind.635 Deliktische Ansprüche des VR (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB; § 826 BGB) sind demge- 135 genüber nicht generell ausgeschlossen,636 wohl aber insoweit, als die Interessen des VR durch die §§ 19 ff. abschließend geschützt sind.637 So liegen die Dinge beispielsweise, wenn die gefahrerhöhenden Umstände in der Person eines Repräsentanten des VN begründet sind,638 nicht aber, wenn die Täuschung (hier: Absicht, den VN zu ermorden) durch einen nicht der Anzeigepflicht unterliegenden bloßen Verhandlungsgehilfen des VN begangen worden war.639

VI. Kündigungsrecht des Versicherers (Absätze 3 bis 5) Das dem VR in den Absätzen 3 bis 6 eingeräumte Kündigungsrecht fand sich bereits in § 41 Abs. 2 136 a.F. Es war dort aber davon abhängig, dass den VN an der Verletzung seiner Anzeigeobliegenheit kein Verschulden traf (§ 41 Abs. 1 a.F.), weil schon einfache Fahrlässigkeit ein Rücktrittsrecht des VR begründete (§ 16 Abs. 3 a.F.). Demgegenüber kommt eine Kündigung des Vertrages durch den VR heute auch bei einfacher Fahrlässigkeit des VN in Betracht. Zudem normierte § 41 Abs. 1 a.F. nur den Vorrang der Prämienerhöhung vor der Kündigung, während nunmehr jede mögliche Anpassung des Vertrages – also namentlich auch die Verlängerung von Wartezeiten und/oder der Ausschluss einzelner Risiken – dem Kündigungsrecht vorgeht (Absatz 4 Satz 1).

1. Voraussetzungen Die Voraussetzungen des Kündigungsrechts entsprechen mit Ausnahme des Erfordernisses min- 137 destens grober Fahrlässigkeit des VN denjenigen des Rücktrittsrechts: Der Antragsteller muss 630 BGH 22.2.1995 VersR 1995 457; 7.2.2007 – IV ZR 5/06, VersR 2007 630; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 152; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 144. 631 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 144. 632 BGH 22.2.1984 VersR 1984 630; 8.2.1989 VersR 1989 465; 18.9.1991 VersR 1991 1404; 7.2.2007 – IV ZR 5/06, VersR 2007 630; 25.11.2015 – IV ZR 277/14, VersR 2016 101; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 152; Fricke VersR 2007 1614, 1614; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 145; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 3; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 511; diff. Schäfers VersR 2010 301, 301 ff.; a.A. Armbrüster LMK 2007 223881. 633 OLG Hamm VersR 2004 1398, 1399; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 3. 634 Harke ZVersWiss 2006 391, 410. 635 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64. Das Urteil BGH 7.2.2007 – IV ZR 5/06, VersR 2007 630 betrifft noch einen Sachverhalt vor der Schuldrechtsreform. 636 BGH 22.2.1984 VersR 1984 630; 8.2.1989 VersR 1989 465; 18.9.1991 VersR 1991 1404; 7.2.2007 – IV ZR 5/06, VersR 2007 630; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 152; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 145; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 3. 637 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 152; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 11. 638 BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404. 639 BGH 8.2.1989 VersR 1989 465. 59

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

(1.) seine Anzeigeobliegenheit objektiv verletzt haben (Rn. 19 ff.), (2.) ohne, dass ihn hierbei grobes Verschulden zur Last fiel. Das Kündigungsrecht besteht also sowohl bei einfacher Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB) als auch bei schuldloser Verletzung der Anzeigeobliegenheit.640 Diesbezügliche Feststellungen brauchen mithin (außer in der Krankenversicherung, § 194 Abs. 1 Satz 3 und Rn. 143) nicht getroffen zu werden, entscheidend ist nur die Abgrenzung von einfacher und grober Fahrlässigkeit. Es darf (3.) keine Möglichkeit geben, den Vertrag an die erhöhte Gefahr anzupassen (Rn. 108 ff., 144 ff.);641 der VR muss (4.) den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen haben (Absatz 5 Satz 1, Rn. 114 ff.) und er darf (5.) weder den nicht angezeigten Gefahrumstand noch die Unrichtigkeit der Anzeige gekannt haben (Absatz 5 Satz 2, Rn. 118 ff.). Schließlich muss (6.) der VR die Kündigung fristgerecht und unter Angabe der maßgebenden Gründe dem VN gegenüber erklären (§ 21 Abs. 1).

2. Kündigungsfrist 138 Die Kündigung beendet das Versicherungsverhältnis mit Wirkung für die Zukunft. Zum Schutz des VN wird sie jedoch nicht schon mit ihrem Zugang, sondern erst mit Ablauf einer Frist von einem Monat wirksam (Absatz 3 Satz 2). Die Monatsfrist ist notwendig, um dem VN die Möglichkeit zu geben, sich anderweitig Versicherungsschutz zu verschaffen.642 Die Frist – die streng von der (ebenfalls einmonatigen) Kündigungserklärungsfrist des § 21 Abs. 2 zu unterscheiden ist – beginnt mit dem Zugang der Kündigungserklärung beim VN, insoweit gelten die allgemeinen Regeln des § 130 BGB. Zugegangen ist die Kündigung, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.643 Dies ist anzunehmen, wenn ihm das Kündigungsschreiben ausgehändigt wird, auch wenn er es nicht sofort liest.644 Sind Empfangsvorrichtungen wie ein Briefkasten vorhanden, geht die Kündigung mit dem Einwurf zu, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme gerechnet werden kann. Da hierfür ein objektiver Maßstab gilt, nicht aber besondere persönliche Verhältnisse entscheidend sind, kann die Kündigung auch während einer urlaubsbedingten Abwesenheit des Empfängers zugehen.645 Die Kündigungsfrist beginnt auch dann mit dem Zugang der Kündigungserklärung, wenn das materielle Versicherungsverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht begonnen hatte;646 eine in einem sehr frühen Stadium nach Vertragsabschluss erklärte Kündigung kann also u.U. zur Folge haben, dass der VR erst gar nicht zur Übernahme des Risikos verpflichtet wird. Stehen auf Seiten des VN mehrere Personen, muss die Kündigungserklärung jedem von ihnen zugehen;647 da das Versicherungsverhältnis grundsätzlich (zu Ausnahmen siehe § 29) nur einheitlich kündbar ist, beginnt die Kündigungsfrist erst, wenn die Kündigung auch dem letzten VN zugegangen ist. Die Kündigungsfrist beträgt einen Monat, die Fristberechung erfolgt nach den § 187 Abs. 1, 139 § 188 Abs. 2 BGB. Die Frist kann an jedem beliebigen Tag enden, nicht nur zum Monatsende. Eine dem VN am 5.2. zugegangene Kündigung beendet das Versicherungsverhältnis folglich mit

640 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 120; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 137; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 63.

641 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65. 642 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 138; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 91. 643 RG 3.5.1934 RGZ 144 289, 292; BGH 3.11.1976 BGHZ 67 271, 275; 26.11.1997 BGHZ 137 205, 208; 21.1.2004 – XII ZR 214/00, NJW 2004 1320. 644 Staudinger/Rolfs § 542 BGB Rn. 32. 645 BGH 21.1.2004 – XII ZR 214/00, NJW 2004 1320. 646 Vgl. BGH 21.2.1979 BGHZ 73 350, 353; 29.10.1986 BGHZ 99 54, 60. 647 BGH 15.6.2005 – XII ZR 238/02, NJW-RR 2005 1258. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

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Ablauf des 5.3. Problematisch ist der Einfluss des § 193 BGB auf die Bestimmung des Kündigungstags. Diese Vorschrift schließt es grundsätzlich nicht aus, dass der Kündigende seine Erklärung an einem Sonn- oder Feiertag abgibt, da er nur begünstigt werden soll.648 § 193 BGB hat auch nicht zur Folge, dass eine Kündigungserklärung, die dem Empfänger an einem solchen Tag tatsächlich zugeht, rechtlich noch nicht zugegangen ist und dass an die Stelle dieses Tags der nächste Werktag tritt. Die Kündigungserklärung kann deshalb an jedem beliebigen Wochentag wirksam werden.649

3. Rechtsfolgen Bis zum Wirksamwerden der Kündigung besteht das Vertragsverhältnis mit allen seinen 140 Rechten und Pflichten fort. Der VN muss also die vereinbarte Prämie entrichten sowie seine vertraglichen Nebenpflichten und Obliegenheiten (z.B. Anzeige einer – weiteren – Gefahrerhöhung, § 23 Abs. 2) erfüllen. Der VR trägt bis zum Ablauf der einmonatigen Kündigungsfrist weiterhin die übernommene Gefahr, er hat daher die vereinbarte Versicherungsleistung sowohl für Versicherungsfälle zu erbringen, die vor seiner Kündigungserklärung eingetreten sind, als auch für solche, die sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist noch ereignen. Ein Anspruch auf Rückerstattung der bereits erbrachten Leistungen besteht nicht.650 Nach Ablauf der Kündigungsfrist (also um 0.00 Uhr des auf den letzten Tag der Kündi- 141 gungsfrist folgenden Tages, im Beispielsfall von Rn. 139 also mit Beginn des 6.3.) endet das Versicherungsverhältnis, es sei denn, dass der VR nur eine – hier gem. § 29 Abs. 1 gesetzlich zugelassene – Teilkündigung erklärt hat. Der VN schuldet keine Prämien mehr, ihn treffen keine vertraglichen Nebenpflichten und Obliegenheiten mehr. Dauerte die Versicherungsperiode über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus (z.B. bis zum Monats-, Quartals-, Halbjahres- oder Jahresende), schuldet der VN die Prämie nur zeitanteilig (§ 39 Abs. 1 Satz 1). Hat er – wie regelmäßig – die Prämie bereits zu Beginn der Versicherungsperiode vollständig gezahlt, kann er sie für den auf die Zeit nach der Beendigung des Versicherungsverhältnisses entfallenden Teil zurückfordern, allerdings darf der VR die von ihm für diese Zeit aufgewendeten Kosten in Abzug bringen (§ 39 Abs. 2). Der VR trägt nach Ablauf der Kündigungsfrist das übernommene Risiko nicht mehr. Für Risi- 142 ken, die sich von diesem Zeitpunkt an realisieren, ist er nicht mehr leistungspflichtig. Allerdings muss er auch nach dem Wirksamwerden der Kündigung die bis zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Versicherungsfälle regulieren. Dies gilt auch in Bezug auf gedehnte Versicherungsfälle, also solche, bei denen der mit seinem Eintritt geschaffene Zustand über einen mehr oder weniger langen Zeitraum fortdauert, sofern diese Fortdauer nicht nur für die Pflicht des VR zur Erbringung einer einmaligen Versicherungsleistung maßgebend ist, sondern deren Umfang im Einzelfall erst bestimmt.651 Gedehnte Versicherungsfälle können z.B. in einer Krankheitskostenversicherung, die auf die Dauer der notwendigen medizinischen Heilbehandlung abstellt, auftreten; es gibt sie ferner in der Unfall- und der Berufsunfähigkeitsversicherung, in denen Rentenleistungen für den Fall und die Dauer einer näher umschriebenen Arbeits- oder Berufsunfähigkeit zugesagt sind, und ebenso in der Betriebsunterbrechungsversicherung. Hier bleibt die Leistungspflicht des VR auch für solche Kosten bestehen, die erst nach Wirksamwerden der Kündigung entstehen, aber auf einer bereits zuvor eingetretenen Erkrankung usw. beruhen.652 648 649 650 651

Staudinger/Rolfs § 573c BGB Rn. 10. Vgl. BGH 17.2.2005 – III ZR 172/04, BGHZ 162 175, 179 f. Vgl. BGH 21.2.1979 BGHZ 73 350, 354. BGH 13.3.1974 VersR 1974 741; 3.6.1981 VersR 1981 875; 12.4.1989 BGHZ 107 170, 173; OLG Köln 14.12.1989 VersR 1990 612. 652 BGH 16.6.1971 VersR 1971 810; OLG Hamm 13.12.1978 VersR 1980 135; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 117; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 52; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 43. 61

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

4. Sonderregelungen in einzelnen Versicherungssparten 143 In der Krankenversicherung besteht das Kündigungsrecht gem. § 194 Abs. 1 Satz 3 nicht, wenn der VN die Verletzung der Anzeigepflicht nicht zu vertreten hat. Positiv formuliert: Der VR kann nur bei einer fahrlässigen Verletzung der Anzeigeobliegenheit durch den VN kündigen.653 In der Lebensversicherung hat eine Kündigung des Vertragsverhältnisses durch den VR die Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung zur Folge (§ 166 Abs. 1). In der Sachversicherung hat das Kündigungsrecht des VR nach Eintritt des Versicherungsfalls kaum Bedeutung, da § 92 für diesen Fall ein generelles Kündigungsrecht vorsieht.654

VII. Vertragsanpassung (Absatz 4 Satz 2, Absatz 6) 1. Allgemeines 144 Fällt dem VN bei der Verletzung seiner Anzeigeobliegenheit kein Vorsatz zur Last, sind das Rücktritts- (bei grober Fahrlässigkeit) bzw. Kündigungsrecht (bei einfacher Fahrlässigkeit oder schuldlosem Fehlverhalten des VN) des VR ausgeschlossen, wenn eine Anpassung des Vertrages an das nicht angezeigte erhöhte Risiko möglich ist. Mit dieser Bestimmung erweitert § 19 Abs. 4 Satz 1 den Grundsatz des Vorrangs der Vertragsanpassung vor der Vertragsbeendigung,655 der in der wenig praxisrelevanten Bestimmung des § 41 a.F. früher nur angedeutet war. Der Kontrahierungszwang des Krankenversicherers zum Abschluss einer Krankenversicherung im Basistarif schließt das Rücktrittsrecht nach § 19 Abs. 4 nicht aus.656 Die Anpassung des Vertrages kommt nur in Betracht, wenn sie nach den AVB und der Ge145 schäftspraxis des VR möglich ist (Rn. 110 ff.). Sie scheidet daher aus, wenn die Kenntnis der Umstände zur Vertragsablehnung durch den VR geführt hätte. Dass die notwendige Feststellung, zu welchen Bedingungen, insbesondere zu welcher Prämie der Vertrag mit dem nicht angezeigten Umstand geschlossen worden wäre, im Einzelfall zu praktischen Schwierigkeiten führen kann, hat der Gesetzgeber zwar gesehen, sie aber in aller Regel für ebenso überwindbar gehalten, wie dies bei der Regelung des § 41 a.F. der Fall war.657 Die Anpassung erfolgt durch einseitige Erklärung des VR. Dies folgt mittelbar aus Ab146 satz 6 Satz 1 („nach Zugang der Mitteilung des Versicherers“).658 Der VR muss auf der Basis der von ihm im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verwendeten AVB und seiner damaligen Geschäftsgrundsätze (Annahmepraxis) ermitteln, ob und mit welchem Inhalt er den Vertrag mit dem VN abgeschlossen hätte, wenn dieser seine Anzeigeobliegenheit korrekt erfüllt hätte.659 Diese Prüfung kann dazu führen, dass der VR vom Vertrag zurücktritt bzw. ihn kündigt, weil er die Risikoübernahme abgelehnt hätte, sie kann zur Folge haben, dass der Vertrag ohne jede Veränderung fortgesetzt wird, weil der nicht mitgeteilte Gefahrumstand den Inhalt des Vertrages im Ergebnis nicht beeinflusst hätte, sie kann aber auch ergeben, dass der Vertrag an die tatsächliche Gefahrenlage anzupassen ist. Da eine derartige Anpassung regelmäßig auf unterschiedliche Weise (Risikoausschlüsse, Prämienerhöhung etc., siehe dazu sogleich Rn. 147 ff.) möglich ist, steht dem VR insoweit ein einseitiges Bestimmungsrecht (§ 315 BGB)

653 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 189; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 93; Looschelders/Pohlmann/ Looschelders § 19 Rn. 63; Köther VersR 2016 831, 832. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 95. Ausführlich Bruns § 8 Rn. 21 ff.; Reusch VersR 2007 1313, 1314 f. OLG Frankfurt/Main 9.7.2015 – 3 U 122/14, VersR 2015 1279; LG Dortmund 17.7.2014 – 2 O 31/14, RuS 2015 244. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 150. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 151. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 150.

654 655 656 657 658 659

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

zu,660 das er nach billigem Ermessen auszuüben hat.661 Teilweise wird dagegen ein Wahlrecht des VN zwischen mehreren Vertragsbedingungen noch nach Eintritt des Versicherungsfalls – z.B. Risikoausschluss oder Prämienerhöhung – angenommen, wenn diese Möglichkeit auch bei Vertragsschluss bestanden hätte.662 Hierfür wird angeführt, dass maßgeblich die Geschäftsgrundsätze zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses seien,663 und der VR dem VN zu diesem Zeitpunkt das Wahlrecht gelassen hätte.664 Dagegen spricht allerdings zum einen der eindeutige Wortlaut des Absatz 4 Satz 2665 und zum anderen, dass der VN sich dann für oder gegen einen Risikozuschlag entscheiden könnte, wenn sich der verschwiegene Umstand bereits realisiert hat. Der VN ist im Falle gravierender Veränderungen durch sein nach Absatz 6 bestehendes Kündigungsrecht ausreichend geschützt.666 Zu berücksichtigen ist auch, dass der VR, der schon zur Fortführung des Vertrages gezwungen wird, nicht auch noch gehalten sein kann, dem VN die gleichen freiwilligen Wahlmöglichkeiten wie zur Kundengewinnung bei Vertragsschluss zu gewähren.667 Die vom VR getroffene Bestimmung ist gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB für den VN verbindlich, es sei denn, dass sie nicht der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit oder verzögert der VR die Mitteilung der neuen Bedingungen, so werden sie durch Urteil bestimmt (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB).

2. Einzelne Anpassungsmöglichkeiten a) Leistungsausschlüsse und -beschränkungen. In Betracht kommt, dass der VR das nicht 147 angezeigte Risiko aus dem Versicherungsschutz sachlich ausschließt.668 Diese Möglichkeit kann sich insbesondere in der Berufsunfähigkeits(zusatz)versicherung und der Krankenversicherung hinsichtlich nicht angezeigter Vorerkrankungen sowie in der Sachversicherung eröffnen. Sie setzt in der Regel voraus, dass der Kausalzusammenhang zwischen dem Gefahrumstand und dem Eintritt des Versicherungsfalles leicht feststellbar ist. Bei der Nichtanzeige subjektiver Umstände wie einer einschlägigen strafrechtlichen Verurteilung des VN kommt ein Leistungsausschluss dagegen nicht in Betracht, weil der VR insoweit ohnehin (nur) das Risiko einer unberechtigten Inanspruchnahme trägt, das sich sachlogisch nicht ausschließen lässt. Der Versicherungsschutz kann zeitlich beschränkt werden. Insbesondere können Warte- 148 zeiten vereinbart oder bereits bestehende Wartezeiten verlängert werden.669 Diese Möglichkeit bietet sich insbesondere hinsichtlich solcher nicht angezeigter Risiken an, die sich erfahrungsgemäß innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes zu realisieren pflegen. Hat beispielsweise der VN in der Lebensversicherung eine Krankheit nicht angezeigt, weil er sie für unwesentlich und ausgeheilt hielt, kann ein zeitlich (und ggf. zusätzlich sachlich) beschränkter Leistungsausschluss für einen Zeitraum von einigen Jahren zu erwägen sein. Wohl nicht in Betracht kommt dieser Weg der Vertragsanpassung in Bezug auf Gefahrumstände, die auch nach langer Zeit noch (mit)ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles werden können. Die Leistung des VR kann sachlich beschränkt, insbesondere der Höhe nach begrenzt wer- 149 den. Zu erwägen ist, ob der erhöhten Gefahr angemessen dadurch begegnet werden kann, dass 660 Armbrüster Rn. 928; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 116; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 158; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 71.

661 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 116. 662 Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 127; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 132; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 150; Romahn S. 264. 663 Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 127. 664 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 132. 665 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 116. 666 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 116. 667 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 116. 668 Lange RuS 2008 56, 60 f.; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 69. 669 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 69; zu Folgeproblemen Wandt Rn. 842. 63

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

die Versicherungssumme reduziert oder die vom VN im Schadensfall zu tragende Eigenbeteiligung quotal oder in absoluten Beträgen erhöht wird.670

150 b) Risikozuschläge. Anstelle der oder zusätzlich zu den beschriebenen Leistungsbeschränkungen des VR kommt auch eine angemessene Erhöhung der Gegenleistung des VN in Betracht. Als solche ist namentlich ein konkret auf das nicht angezeigte Risiko bezogener Risikozuschlag zu erwägen, mit dem das nunmehr ungünstigere objektive oder subjektive Risiko ausgeglichen wird.

3. Zeitpunkt der Anpassung 151 a) Ab Beginn des Versicherungsverhältnisses. Der Zeitpunkt, zu dem die Anpassung des Vertrages in Kraft tritt, hängt davon ab, ob der VN die Anzeigepflichtverletzung zu vertreten hat671 oder nicht. Bei (leicht oder grob) fahrlässiger Obliegenheitsverletzung werden die neuen Bedingungen nach dem Wortlaut des Gesetzes „auf Verlangen“ des VR rückwirkend Vertragsbestandteil.672 Die amtliche Begründung zum VVG-Reformgesetz geht darüber hinaus und nimmt an, dass die Rückwirkung stets eintrete.673 Für diese Interpretation spricht, dass auch der Rücktritt, an dessen Stelle die Vertragsanpassung bei grober Fahrlässigkeit des VN ja tritt, rückwirkende Kraft hätte. Andererseits besteht kein Anlass, sich über den klaren Wortlaut des Gesetzes hinwegzusetzen: Der VN hat das Recht, die rückwirkende Anpassung des Vertrages zu verlangen, er muss hiervon aber nicht Gebrauch machen. Dies kann insbesondere dann sachgerecht sein, wenn zweifelhaft ist, ob den VN ein Verschulden trifft oder nicht. Um unnötige Auseinandersetzungen mit dem VN über die Berechtigung rückwirkender Vertragsanpassung zu vermeiden, kann der VR auf das Verlangen verzichten, auch wenn es seiner Überzeugung nach oder sogar objektiv berechtigt wäre. 152 Die rückwirkende Änderung der Vertragsbedingungen bedeutet, dass sie ab Beginn des Vertragsverhältnisses Anwendung finden. Welche Konsequenzen daraus resultieren, hängt vom Inhalt des geänderten Vertrages ab. Bei einer Prämienerhöhung hat der VN die rückständigen Beträge in einer Summe nachzuentrichten, was – trotz des Kündigungsrechts in Absatz 6 Satz 1 – bei einem bereits seit längerer Zeit bestehenden Versicherungsverhältnis eine erhebliche wirtschaftliche Belastung zur Folge haben kann.674 Werden rückwirkend Leistungsausschlüsse oder -beschränkungen vereinbart, kann der VN auch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB (condictio ob causam finitam) zur Rückzahlung von Versicherungsleistungen verpflichtet sein, die er bei der Realisierung – nachträglich, aber eben rückwirkend – ausgeschlossener Risiken oder (bei Reduzierung der Versicherungssumme oder Erhöhung der Selbstbeteiligung des VN) über den vom VR zu tragenden Schadensanteil hinaus von diesem erhalten hatte. Allerdings dürfte die Schutzbestimmung des § 21 Abs. 2 analoge Anwendung finden (§ 21 Rn. 33).

153 b) Ab Beginn der laufenden Versicherungsperiode. Hatte der VN die Verletzung seiner vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit nicht zu vertreten, werden die geänderten Vertragsbedingungen „ab der laufenden Versicherungsperiode“ Vertragsbestandteil. Die Rückwirkung einer Anpassung des Vertrages hätte im Fall einer unverschuldeten Verletzung der Anzeigepflicht 670 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 69. 671 Unkenntnis der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit hat der VN zu vertreten: OLG Hamm 8.3.1989 VersR 1990 76.

672 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 117; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 152. 673 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65. 674 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 133. Rolfs

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B. Anzeigeobliegenheit

VVG § 19

zu einer Schlechterstellung des VN gegenüber dem bis zum 31.12.2007 geltenden Recht geführt. Diese Abweichung zu Ungunsten des VN erschien dem Gesetzgeber auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des VR unbillig, zumal es sich eher um seltene Ausnahmefälle handelt. Daher übernimmt Absatz 4 Satz 2 für den Fall einer Anzeigepflichtverletzung ohne Verschulden des VN die Bestimmung des § 41 Abs. 1 Satz 1 a.F., wonach die bei richtiger und vollständiger Anzeige maßgeblichen Bedingungen des VR, insbesondere eine erhöhte Prämie, ab Beginn der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil werden.675 Die Vertragsanpassung führt also auch bei einer vom VN nicht zu vertretenden Anzeige- 154 pflichtverletzung zu einer – wenn auch zeitlich weit enger begrenzten – Rückwirkung, nämlich auf den Beginn der laufenden Versicherungsperiode.676 Gem. § 12 gilt als Versicherungsperiode, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres. Wann die laufende Versicherungsperiode begonnen hat, hängt vom Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen ab, regelmäßig beginnt sie am Jahres-, Quartals- oder Monatsbeginn. Soweit die Rückwirkung reicht, gelten für sie dieselben Regeln wie für die auf den Vertragsabschluss bezogene Rückwirkung bei schuldhafter Obliegenheitsverletzung (Rn. 152).

4. Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers (Absatz 6) Macht der VR von seinem Recht nach Absatz 4 Satz 2 zur Vertragsänderung Gebrauch, können 155 sich hieraus für den VN Verschlechterungen ergeben, die sein Festhalten an dem geänderten Vertrag als nicht zumutbar erscheinen lassen. § 19 Abs. 6 räumt ihm daher das Recht ein, den Versicherungsvertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des VR ohne Einhaltung einer Frist außerordentlich zu kündigen.677 Die Kündigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit keiner Form,678 soweit nicht in den AVB abweichende Vereinbarungen getroffen sind (Rn. 168). Die Kündigung lässt allerdings die sich aus dem geänderten Vertrag ergebenden Verpflich- 156 tungen des VN bei schuldhafter Anzeigepflichtverletzung für die Vergangenheit unberührt, da die Anpassung mit Ex-tunc-, die Kündigung aber nur mit Ex-nunc-Wirkung erfolgt.679 Der VN muss also insbesondere die erhöhte Prämie nachentrichten und ggf. zu Unrecht empfangene Versicherungsleistungen gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB herausgeben (Rn. 152).

a) Voraussetzungen. Das Kündigungsrecht des VN besteht, wenn er durch die Vertragsanpas- 157 sung zur Zahlung einer um mehr als zehn Prozent höheren Prämie als zunächst vorgesehen verpflichtet ist oder wenn die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand vom VR ausgeschlossen wird.680 Hinsichtlich der Prämienerhöhung ist lediglich auf den für eine Versicherungsperiode zu 158 entrichtenden Betrag abzustellen und die ursprünglich vereinbarte Prämie mit der nunmehr vom VR verlangten zu vergleichen. Dass der VN wegen der Rückwirkung der Anpassung bei schuldhafter Anzeigepflichtverletzung (Absatz 4 Satz 2 Halbsatz 1) ggf. für einen längeren Zeitraum (bis zu fünf Jahre, vgl. § 21 Abs. 3) Prämien nachentrichten muss und diese Nachzahlung in ihrer Summe zehn Prozent einer Versicherungsprämie übersteigt, ist demgegenüber unerheblich.681 675 676 677 678 679

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 153. Grote/Schneider BB 2007 2689, 2692. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 172. Neuhaus RuS 2008 45, 50; Reusch VersR 2007 1313, 1321. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 172; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 79. 680 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 118; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 79. 681 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 169. 65

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

Bei einem Risikoausschluss besteht das Kündigungsrecht des VN unabhängig davon, ob das Risiko vollständig oder nur teilweise, zeitlich unbegrenzt oder nur befristet (durch Einführung oder Verlängerung einer Wartezeit) ausgeschlossen wird. Eine Ausnahme ist nur für den Fall zu machen, dass die verlängerte Wartezeit im Zeitpunkt der Vertragsanpassung bereits abgelaufen ist. Eine derartige Vertragsänderung kann für den VR sinnvoll sein, weil er dann vom VN Leistungen, die er während der (verlängerten) Wartezeit erbracht hat, zurückfordern kann. Sie ist aber für den zukünftigen Bestand des Vertragsverhältnisses ohne Belang, sodass das nach dem Wortlaut des Absatzes 6 Satz 1 bestehende Kündigungsrecht in Ermangelung eines anerkennenswerten rechtlichen Interesses an der außerordentlichen Vertragsbeendigung nach § 242 BGB ausgeschlossen ist. 160 Kein Kündigungsrecht besteht nach dem Wortlaut der Vorschrift, wenn der VR anlässlich der Vertragsänderung (lediglich) seine Leistungspflicht im Falle des Eintritts des Versicherungsfalls beschränkt, also beispielsweise die Versicherungssumme reduziert oder die Selbstbeteiligung des VN ihrem prozentualen Anteil und/oder ihrem absoluten Betrag nach erhöht. Hierbei dürfte es sich freilich um eine vom Gesetzgeber nicht bedachte und nicht gewollte Lücke handeln. Der VN ist hier in gleicher Weise schutzwürdig wie in den vom Gesetz ausdrücklich genannten Fällen, sodass ihm das Kündigungsrecht in zumindest analoger Anwendung von § 19 Abs. 6 Satz 1 auch hier zu gewähren ist.682 Ein anerkennenswertes Interesse des VR, den VN bis zur nächsten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit an dem Vertrag festzuhalten, ist nicht ersichtlich. Langheid möchte dem VN auch dann sein Kündigungsrecht absprechen, wenn er im Fall einer unverschuldeten Pflichtverletzung für einen bereits eingetretenen Versicherungsfall noch Versicherungsschutz genießt und bei Gewährung des Kündigungsrechts zukünftig keine Prämien zahlen müsste.683 Dies ist jedoch vom Wortlaut des § 19 Abs. 6 nicht vorgesehen. 159

161 b) Hinweispflicht des Versicherers. Über das Kündigungsrecht hat der VR den VN zu belehren; die Belehrung ist mit der Mitteilung der Vertragsänderung zu verbinden.684 Eine gesonderte Belehrung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen nicht.685 Sie muss enthalten: Den Hinweis, dass der VN zur Kündigung berechtigt ist, dass diese Kündigung keiner Form bedarf, dass sie innerhalb eines Monats nach Zugang der Änderungsmitteilung zu erfolgen hat, an wen sie zu richten ist und welche Wirkungen686 sie hat. Unterlässt der VR die Rechtsbelehrung, beginnt die Monatsfrist des Absatzes 6 Satz 1 nicht zu laufen.687 Der VN kann dann von seinem außerordentlichen Kündigungsrecht zeitlich unbegrenzt – nur durch die Grundsätze über die Verwirkung (§ 242 BGB) beschränkt688 – Gebrauch machen. Teilweise wird zudem ein Schadensersatzanspruch des VN für die in der Zwischenzeit gezahlten Prämien angenommen.689

162 c) Kündigungserklärungsfrist. Das Sonderkündigungsrecht muss der VN innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des VR ausüben. Die Monatsfrist verschafft ihm die Möglichkeit, die Vor- und Nachteile einer Beendigung dieses Versicherungsverhältnisses gegeneinander abzuwägen und sich ggf. um anderweitigen Versicherungsschutz zu bemühen. Die Frist beginnt, sobald dem VN die Mitteilung über die neuen Vertragsbedingungen mit der ordnungs682 683 684 685 686 687 688

A.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 118; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 19 Rn. 85. Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 130. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 75. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 75; a.A. Neuhaus RuS 2008 45, 50. A.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 118. Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 119; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 80. Vgl. BGH 25.3.1965 BGHZ 43, 289, 292; 16.6.1982 BGHZ 84, 280, 281; 20.10.1988 BGHZ 105 290, 298; 19.5.2006 – XII ZR 224/03, NJW 2006 219. 689 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 80. Rolfs

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C. Allgemeine Versicherungsbedingungen

VVG § 19

gemäßen Rechtsbelehrung (Rn. 161) zugegangen ist. Sie berechnet sich nach § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB. Insoweit gelten die Ausführungen von Rn. 138 f. entsprechend.

5. Sonderregelungen in einzelnen Versicherungssparten In der Krankenversicherung besteht das Recht zur Vertragsanpassung gem. § 194 Abs. 1 Satz 3 163 nicht, wenn der VN die Verletzung der Anzeigepflicht nicht zu vertreten hat.690 Positiv formuliert: Der VR kann nur bei einer fahrlässigen Verletzung der Anzeigeobliegenheit durch den VN eine Vertragsanpassung verlangen.

C. Allgemeine Versicherungsbedingungen I. Allgemeines Die Vorschrift des § 19 ist halbzwingend, kann also nicht zu Ungunsten des VN in AVB abbe- 164 dungen werden, § 32 Satz 1. Um dem VN ein möglichst vollständiges Bild über seine Rechte und Pflichten zu verschaffen, wiederholen viele AVB die Regelung des § 19 wörtlich oder sinngemäß. Soweit diese Bestimmungen sich mit der gesetzlichen Regelung decken, sind sie lediglich deklaratorisch und daher unbedenklich, begründen aber keine vertraglichen Obliegenheiten.691 Gewähren sie dem VN über das Gesetz hinausgehende Rechte, sind sie ebenfalls wirksam.692 Soweit sie dagegen die Anzeigeobliegenheit verschärfen, ihn beispielsweise zur Anzeige 165 auch solcher Umstände anhalten, die nicht gefahrerheblich sind, oder indem sie ein Rücktrittsrecht des VR auch bei einfacher Fahrlässigkeit des VN vorsehen, sind sie unwirksam.693 Zwar kommt eine geltungserhaltende Reduktion derartig zu weit gefasster AVB nicht in Betracht,694 dies ist aber im Ergebnis unschädlich, weil den VN unbeschadet der Unwirksamkeit der AVB die gesetzliche Anzeigeobliegenheit trifft.

II. Erweiterung des Risikoausschlusses In einigen Versicherungssparten, insbesondere solchen mit geringer Prämie,695 verzichten die 166 VR teilweise aus Wirtschaftlichkeitsgründen auf eine Risikoprüfung und damit auch auf eine vorvertragliche Anzeige der Gefahrumstände durch den Antragsteller. Stattdessen haben sie früher gelegentlich den Versicherungsschutz für Risiken ausgeschlossen, die auf einen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Gefahrumstand beruhten.696 Der BGH hat solche Vertragsbedingungen für unwirksam erklärt, weil sie gegen § 32 Satz 1 und § 307 Abs. 1 BGB verstoßen: Um eine Ausgewogenheit zwischen den Parteien bei der für beide wichtigen Abschätzung der jeweiligen Gefahrenlage vor Vertragsschluss zu gewährleisten, habe der Gesetzgeber 690 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 97. 691 Morisse NVersZ 2000 209 f. 692 Zur personellen Beschränkung der Anzeigepflicht in der D&O-Versicherung OLG Düsseldorf 23.8.2005 – I-4 U 140/04, VersR 2006 785; Lange VersR 2006 605, 609 ff.; Langheid/Grote VersR 2005 1165 ff. 693 LG Dortmund 12.7.2017 – 2 O 454/16, RuS 2018 33. 694 Vgl. BGH 17.5.1982 BGHZ 84, 109, 114 ff.; 1.2.1984 BGHZ 90, 69, 73; 17.1.1989 BGHZ 106 259, 267; 10.10.1991 BGHZ 115 324, 326 f.; 4.11.1992 BGHZ 120 108, 122; 3.11.1999 BGHZ 143 103, 118 ff. 695 Sogar in der Berufsunfähigkeitsversicherung: OLG Nürnberg 28.6.2011 – 8 U 2330/10, VersR 2012 50. 696 So etwa in der Restschuldversicherung (z.B. OLG Hamm 14.12.1994 VersR 1995 649; KG 10.2.1995 VersR 1996 1397; OLG Köln 18.1.1996 VersR 1996 1399; OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383), der Reisekrankenversicherung (z.B. OLG Hamm 8.11.2000 – 20 U 44/00, NJW-RR 2001 527; Nies NVersZ 2001 535) oder bei der vorläufigen Deckung (z.B. OLG Hamm 24.9.1999 NVersZ 2000 517). 67

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

die §§ 19 ff. geschaffen. Der VN solle gegen den Willen des VR keinen Wissensvorsprung bezüglich derjenigen Umstände behalten dürfen, die für die Abschätzung von Bedeutung sind, ob sich ein Versicherungsfall im Laufe der Versicherung ereignen wird oder nicht. Dementsprechend beziehe sich die gesetzliche Anzeigeobliegenheit, deren Verletzung der VR mit der Berufung auf Leistungsfreiheit beantworten darf, auch nur auf Gefahrumstände, die dem VN bekannt sind, nicht dagegen auf ihm infolge Fahrlässigkeit unbekannt gebliebene. Ob der VR von der ihm gesetzlich eingeräumten Risikoprüfungsmöglichkeit mit vorangehenden Fragen zu Gefahrumständen Gebrauch macht und damit gegebenenfalls im Versicherungsfall Leistungsfreiheit beanspruchen kann, stehe allerdings grundsätzlich in seinem Belieben. Da sich Leistungsfreiheit aber nur aus einer (schuldhaft begangenen) Anzeigeobliegenheitsverletzung herleiten lasse, könne er Leistungsfreiheit, wenn er von der Risikoprüfungsmöglichkeit Gebrauch gemacht habe, nur dann in Anspruch nehmen, wenn ein dem VN bekannter Gefahrumstand ihm – gefragt oder ungefragt – nicht mitgeteilt worden sei.697

III. Form von Anzeigen und Erklärungen (§ 32 Satz 2) 167 § 32 Satz 2 gestattet es den VR, für Anzeigen, zu denen der VN verpflichtet ist, die Schrift- oder Textform vorzusehen. Von dieser Möglichkeit haben einige AVB Gebrauch gemacht, so etwa Ziff. 13.1. Abs. 1 Satz 1 AUB 2008 („Sie haben uns bis zur Abgabe Ihrer Vertragserklärung alle Ihnen bekannten Gefahrumstände in Textform anzuzeigen, nach denen wir Sie in Textform gefragt haben und die für unseren Entschluss erheblich sind, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen“). Derartige Bestimmungen verstoßen jedoch gegen § 307 Abs. 2 BGB und sind daher unwirksam.698 Der VN kann seine Anzeigeobliegenheit nach dem Gesetz nämlich auch mündlich, insbesondere durch Auskünfte gegenüber Versicherungsvertretern und Dritten, die der VR in die vorvertragliche Ermittlung der Gefahrumstände eingeschaltet hat (Ärzte, Bausachverständige etc.) erfüllen.699 Die aktuellen AUB verwenden daher die oben zitierte Klausel nicht mehr. Klauseln wie „Für die Richtigkeit der Angaben bin ich allein verantwortlich, auch wenn ich den Antrag nicht selbst ausgefüllt habe. Der Vermittler darf über die Erheblichkeit von Antragsfragen oder Erkrankungen keine verbindlichen Erklärungen abgeben“ sind unwirksam.700 Die Entgegennahme eines Antrags auf Abschluss des Versicherungsvertrags und die Kenntnisnahme der von dem Antragsteller bei dieser Gelegenheit abgegebenen – mündlichen – Erklärungen zu den ihm im Antragsformular gestellten Fragen stellen einen einheitlichen Lebensvorgang dar, der keine juristische Aufspaltung erlaubt. Vertragsklauseln wie die zitierte Ziff. 13.1. Abs. 1 Satz 1 AUB 2008 würden den Vermittlungsagenten und andere Personen auf eine Botenfunktion beschränken. Das widerspräche der eigentlichen Aufgabe des Vermittlungsvermittlers, seinem Auftreten nach außen und den berechtigten Erwartungen des Kunden und ist daher mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht vereinbar.701 Unwirksam ist in der Kfz-Haftpflichtversicherung eine Klausel, nach der bei

697 BGH 2.3.1994 VersR 1994 549; 7.2.1996 VersR 1996 1397; 26.9.2007 – IV ZR 252/06, RuS 2008 25; KG 10.2.1995 VersR 1996 1397; OLG Düsseldorf 17.6.1999 VersR 2000 1093; siehe aber auch OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61 mit Anm. Knappmann VersR 2006 495; OLG Schleswig 27.3.2006 – 16 W 177/05, VuR 2007 22 mit Besprechung Schwintowski VuR 2007 27 f.; OLG Brandenburg 25.4.2007 – 4 U 183/06, VersR 2007 1071; ferner Nies NVersZ 2001 535 ff. 698 BGH 11.11.1987 BGHZ 102 194, 197; 18.12.1991 BGHZ 116 387, 389; BVerwG 25.6.1998 BVerwGE 107 101, 108 ff.; Beckmann NJW 1996 1378, 1380; Glauber VersR 1992 937, 940; Gröning VersR 1990 710, 714; a.A. Keinert Vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 45; Reiff RuS 1998 133, 134 ff.; Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 83. 699 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 69; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 42. 700 BGH 18.12.1991 BGHZ 118 387, 390 f. 701 BVerwG 25.6.1998 BVerwGE 107 101, 108 ff. Rolfs

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VVG § 19

falschen Angaben im Versicherungsantrag zu Merkmalen der Beitragsberechnung rückwirkend eine erhöhte Prämie gilt.702 Wirksam sind demgegenüber AVB-Bestimmungen, die ausschließlich Vertragserklärungen 168 des VN an die Einhaltung der Textform binden. Dies gilt beispielsweise für Ziff. 13.3.2 Abs. 4 AUB 2008.703 Im Hinblick auf § 309 Nr. 13 lit. b BGB ist aber zu betonen, dass in seit dem 1.10.2016 abgeschlossenen Verträgen keine Schrift-, sondern nur noch Textform verlangt werden darf. Zweifelhaft ist die Wirksamkeit von Bestimmungen, die sowohl die Anzeige nach § 19 169 Abs. 1 als auch die Ausübung der Rechte des VN an die Einhaltung einer Form binden, so z.B. § 16 MB/KK 2009 (Stand 2/2019) („Willenserklärungen und Anzeigen gegenüber dem Versicherer bedürfen der Schriftform, sofern nicht ausdrücklich Textform vereinbart ist“). An sich kann wegen des Verbots geltungserhaltender Reduktion die Klausel nicht teilweise aufrechterhalten werden. Allerdings entspricht es ständiger Rechtsprechung des BGH, dass eine Klausel dann teilweise in Geltung bleibt, wenn ihr wirksamer Teil sprachlich und inhaltlich abtrennbar ist, nach dem Wegstreichen der unwirksamen Teilregelung also ein aus sich heraus verständlicher Klauselrest verbleibt („blue-pencil-Test“).704 Ob dies möglich ist, hängt vom Einzelfall ab. Im Beispielsfall des § 16 MB/KK 2009 lassen sich die Worte „und Anzeigen“ ersatzlos streichen, ohne dass dadurch die Willenserklärungen betreffende Regelung unverständlich würde. Sie bleibt daher wirksam. Soweit mit derartigen Vertragsbestimmungen auch die Vertragserklärung des VN (sein 170 Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages) erfasst werden soll, sind sie allerdings lediglich als Ankündigung des VR zu verstehen, allein Anträge in dieser Form annehmen zu wollen. Sie hindern aber die Annahme eines nur mündlich gestellten Antrages nicht.705

IV. Beweislastklauseln Aus dem Gesetz ist die Beweislastverteilung häufig nicht ohne weiteres erkennbar. Dies gilt 171 insbesondere in denjenigen Fällen, in denen der Gesetzgeber sich negativer Formulierungen bedient, um die Darlegungs- und Beweislast zu verteilen. Die AVB werden hier teilweise im – vermeintlichen – Interesse des VN deutlicher. So heißt es etwa in § 6 Abs. 3 Satz 3 ALB 2008 (ähnlich Ziff. 13.2.2. Abs. 3 AUB 2008): „Bei grob fahrlässiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht haben wir kein Rücktrittsrecht, wenn uns nachgewiesen wird, dass wir den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätten“. Dies stimmt sachlich allerdings gleich in mehrfacher Hinsicht nicht mit dem Gesetz überein: Erstens bedarf es (der Darlegung und) des Nachweises seitens des VN kraft Gesetzes nur, wenn eine Tatsache streitig ist.706 Die AVB vermitteln demgegenüber den Eindruck, der VR könne sich auf ein bloßes Schweigen zurückziehen, um dem VN die Beweislast aufzubürden, obwohl die Nichterklärung über Tatsachen prozessual im Gegenteil als Geständnis gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Zweitens lässt die Klausel unberücksichtigt, dass den VR eine sekundäre Darlegungslast in Bezug auf seine Geschäftspraxis treffen kann (dazu noch Rn. 176). Derartige Klauseln weichen also von der gesetzlichen Regelung ab und sind daher unwirksam. Die aktuellen ALB und AUB verwenden sie nicht mehr. 702 LG Dortmund 10.7.2014 – 2 O 261/13, RuS 2014 545. 703 Die AUB 2014 enthalten dieses Textformerfordernis nicht mehr. 704 BGH 18.4.1989 BGHZ 107 185, 190; 7.6.1989 BGHZ 108 1, 12; 10.10.2013 – III ZR 325/12, NJW 2014 141; 18.2.2016 – III ZR 126/15, BGHZ 209 52, 65; BAG 21.4.2005 – 8 AZR 425/04, NZA 2005 1053; 25.9.2013 – 5 AZR 778/12, NZA 2014 94; Palandt/Grüneberg Vor § 307 BGB Rn. 11. 705 Bauer BB 1978 476, 478; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 148. 706 Zöller/Greger Vor § 284 ZPO Rn. 10; Thomas/Putzo/Seiler Vor § 284 ZPO Rn. 1; Schilken Zivilprozessrecht, Rn. 470. 69

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§ 19 VVG

Anzeigepflicht

D. Darlegungs- und Beweislast I. Beweislast des Versicherers 172 Der VR muss darlegen und im Streitfall beweisen, dass der VN seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit objektiv verletzt hat,707 wie § 69 Abs. 3 Satz 2 bei Zwischenschaltung eines Versicherungsvermittlers klarstellt.708 Dazu gehört, dass er ihm bis zu seiner Vertragserklärung in Textform Fragen gestellt hat, die der VN hinreichend zur Kenntnis genommen hat,709 dass der VN Umstände verschwiegen oder nicht richtig dargestellt hat, dass es sich bei diesen Umständen um Gefahrumstände handelte, dass diese Gefahrumstände für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind,710 und dass dem VN diese Gefahrumstände bekannt waren (wobei der VN in Bezug auf Letzteres allerdings zunächst seinerseits substantiiert behaupten muss, dass ihm die Umstände unbekannt waren).711 Dabei darf der VR sich auf Auskünfte eines Vorversicherers oder der behandelnden Ärzte des VN auch dann stützen, wenn diese nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden worden waren.712 Hat der VN „Bagatellerkrankungen“ angezeigt, muss der VR nicht nur beweisen, dass ein bestimmtes Leiden die Bagatellgrenze überschreitet, sondern auch, dass dem VN dies bewusst war.713 173 Den Beweis der fehlerhaften Beantwortung der Antragsfragen kann der VR nur dann allein durch die Vorlage des ausgefüllten Fragebogens führen, wenn der VN das Formular eigenhändig ausgefüllt hat, nicht aber, wenn er substantiiert behauptet, die ihm vom Versicherungsvermittler oder vom Arzt vorgelesenen Fragen diesem gegenüber mündlich zutreffend beantwortet zu haben.714 In einem derartigen Fall muss der VR beweisen, dass alle im schriftlichen Formular beantworteten Fragen dem VN tatsächlich gestellt und so wie niedergelegt von ihm beantwortet worden sind.715 Wenn der VN ein seinen Antworten entsprechendes und von dem des VR abweichendes Verständnis der Fragen substantiiert dargelegt hat, muss der VR die ord707 BGH 14.7.2004 – IV ZR 161/03, VersR 2004 1297; 24.11.2010 – IV ZR 252/08, VersR 2011 338; OLG Köln 5.6.2012 – 20 U 1/12, VersR 2013 487; OLG Saarbrücken 7.5.2014 – 5 U 45/13, VersR 2015 91; OLG Brandenburg 21.12.2018 – 11 U 149/16, RuS 2020 145; Fricke VersR 2007 1614, 1616; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 60; Langheid NJW 2007 3665, 3667; Neuhaus VersR 2012 1477, 1484. 708 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 155; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 81. 709 BGH 23.5.1989 VersR 1989 833; 21.11.1989 VersR 1990 77; 11.7.1990 VersR 1990 1002; 13.3.1991 VersR 1991 575; OLG Hamm 17.1.1990 VersR 1991 212; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 155; Reusch VersR 2007 1313, 1318. 710 BGH 11.5.1988 RuS 1988 215; OLG Nürnberg 27.1.1994 VersR 1995 94; OLG Frankfurt/Main 9.5.1996 NJW-RR 1997 1458. 711 BGH 17.2.1993 RuS 1993 392; OLG Oldenburg 16.1.1991 VersR 1992 434; OLG Frankfurt/Main 29.1.1991 VersR 1992 41; OLG Hamm 2.12.1992 VersR 1993 956; 26.11.1993 VersR 1994 1333; OLG Düsseldorf 29.2.2000 – 4 U 47/99, VersR 2001 1408; OLG Karlsruhe 9.7.2003 – 12 U 40/03, VersR 2004 186; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 155; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 60 f.; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 179; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 135; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 81. 712 OLG Nürnberg 7.12.2000 – 8 U 1307/00, VersR 2002 179. 713 OLG Hamm 4.12.2002 – 20 U 102/02, VersR 2003 758; zur Beweisführung OLG Celle 15.3.2007 – 8 U 196/06, VersR 2007 1355. 714 BGH 23.5.1989 BGHZ 107 322, 324 f.; 21.11.1989 VersR 1990 77; 14.7.2004 – IV ZR 161/03, VersR 2004 1297; 27.2.2008 – IV ZR 270/06, VersR 2008 765; 24.11.2010 – IV ZR 252/08, VersR 2011 338, 1215; 9.3.2011 – IV ZR 130/09, VersR 2011 737; 5.7.2017 – IV ZR 508/14, VersR 2018 85; KG 12.10.1993 VersR 1994 922; OLG Koblenz 11.11.1994 VersR 1995 689; OLG Oldenburg 16.4.1997 VersR 1997 1082; OLG Hamm 3.8.2005 – 20 U 93/05, VersR 2005 1572; OLG Saarbrücken 13.8.2008 – 5 U 27/07, VersR 2009 99; OLG Stuttgart 31.3.2016 – 7 U 149/15, VersR 2016 1488; OLG Brandenburg 21.12.2018 – 11 U 149/16, RuS 2020 145; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 156; Elsner RuS 2019 62, 68; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 40; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 81; Lücke VersR 1994 128, 128; Neuhaus VersR 2012 1477, 1484; krit. Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 96. 715 BGH 23.5.1989 BGHZ 107 322, 324 f.; 14.7.2004 – IV ZR 161/03, VersR 2004 1297; 5.3.2008 – IV ZR 119/06, VersR 2008 668; OLG Celle 15.3.2007 – 8 U 196/06, VersR 2007 1355; vgl. auch BGH 21.11.1989 VersR 1990 77; 11.7.1990 VersR 1990 1002; zur Beweisführung OLG Frankfurt/Main 1.9.2000 – 24 U 150/99, NVersZ 2002 114; OLG Hamm Rolfs

70

D. Darlegungs- und Beweislast

VVG § 19

nungsgemäße Befragung nachweisen.716 Insoweit ist ihm auch ein bloßes Bestreiten mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) verwehrt.717 Ferner ist es Sache des VR, zu beweisen, dass er den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform rechtzeitig auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Beruft der VR sich auf eine Verletzung der erweiterten Anzeigepflicht (Absatz 1 Satz 2), muss er auch beweisen, dass er dem VN vor der Vertragsannahme durch ihn Fragen zu gefahrerheblichen Umständen – erst- oder nochmals – gestellt hat.718 Der VR muss ferner darlegen und beweisen, dass er die ihm zustehenden Rechte – Rücktritt, 174 Kündigung, Vertragsanpassung – ordnungsgemäß ausgeübt, also dem VN gegenüber erklärt hat. Will er den Vertrag gem. Absatz 4 Satz 2 rückwirkend anpassen, muss er auch dartun, dass er dies verlangt hat.

II. Beweislast des Versicherungsnehmers Hat der VR die objektive Pflichtverletzung dargelegt und ggf. bewiesen,719 wird kraft Gesetzes ver- 175 mutet, dass dem VN hierbei Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fiel.720 Dementsprechend ist es Sache des VN, darzutun, dass ihn nur leichte Fahrlässigkeit oder gar kein Verschulden trifft,721 wie sich auch aus § 20 Satz 2 ergibt. Zur Überzeugung des BGH kann der VN verpflichtet sein, nach Eintritt des Versicherungsfalls an der Aufklärung solcher Umstände mitzuwirken, die eine etwaige Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht be- oder widerlegen. Gestützt auf die in § 31 normierte Auskunftsobliegenheit könne der VR nach Eintritt des Versicherungsfalls Auskunft vom VN auch zur Aufklärung einer etwaigen Verletzung der Anzeigeobliegenheit verlangen, ohne dass es hierzu einer konkreten Verdachtslage bedürfe.722 Verweigert der VN unberechtigterweise die Erteilung seiner Einwilligung in die Erhebung der für die Prüfung des Versicherungsfalls erforderlichen Gesundheitsdaten und kommt dem Auskunftsverlangen auch nicht in anderer Weise nach, wird sein Anspruch auf die Versicherungsleistung nach § 14 nicht fällig.723 Tritt der VN einem Rücktritt oder einer Kündigung des VR mit der Behauptung entgegen, 176 dass der VR den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte, so ist es grundsätzlich an ihm, dies darzutun.724 Aller14.7.2004 – 20 U 20/04, VersR 2005 773; OLG Saarbrücken 9.11.2005 – 5 U 50/05, VersR 2006 681; kritisch Fricke VersR 2007 1614, 1616 ff.; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 96. 716 BGH 11.7.1990 VersR 1990 1002; OLG Stuttgart 15.2.2007 – 10 U 168/06, VersR 2008 197; OLG Jena RuS 2006 10; a.A. Fricke VersR 2007 1614, 1618; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 53. 717 LG Berlin 19.12.2000 – 7 O 437/99, VersR 2001 1226; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 156. 718 Vgl. OLG Saarbrücken 13.12.2006 – 5 U 137/06, VersR 2007 675. 719 Vgl. zum Einwand der nachträglichen Fälschung des Antragsfragebogens OLG Schleswig 9.7.1998 VersR 2000 716. 720 Armbrüster Rn. 925; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 80; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 182; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 142; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 59. 721 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; OLG Dresden 18.9.2020 – 4 U 1059/20, RuS 2021 469; Langheid NJW 2007 3665, 3667; Pohlmann VersR 2008 437, 438; Reusch VersR 2007 1313, 1314; vgl. BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250, 252; 2.6.1993 BGHZ 122 388, 389; OLG Karlsruhe 2.11.1989 VersR 1990 1264. 722 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127, 139 ff.; 5.7.2017 – IV ZR 121/15, BGHZ 215 200, 207 f.; s.a. BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669; 17.7.2013 – 1 BvR 3167/08, NJW 2013 3086; dazu Armbrüster JZ 2013 1158; krit. Egger VersR 2017 785, 788 ff.; Wandt VersR 2017 458, 459 ff. 723 BGH 22.7.2017 – IV ZR 289/14, VersR 2017 469; OLG Hamburg 2.3.2010 – 9 U 186/09, VersR 2010 749; OLG Hamm 23.2.2015 – I-20 U 25/15, VersR 2015 1497; KG 8.7.2014 – 6 U 134/13, VersR 2014 1191; Britz VersR 2015 410, 417; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 35; Washausen Der Gesundheitsdatenschutz im Privatversicherungsrecht, S. 226; a.A. KG 5.6.2012 – 6 U 150/11, VersR 2014 181; Egger VersR 2012 810, 818 ff.; ders. VersR 2015 1209, 1216 ff.; ders. VersR 2016 557, 559 ff. 724 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 65; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 160; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 88; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 185; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 145; Langheid NJW 2007 3665, 3667; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 68, 82. 71

Rolfs

§ 19 VVG

Anzeigepflicht

dings kommt dem VN dabei die Vermutung zugute, dass der Vertrag zu solchen Konditionen zustande gekommen wäre, die pflichtgemäßer Beratung (§ 6 Abs. 1) entsprochen hätten, wenn dem VR die Gefahrumstände bekannt gewesen wären.725 Zudem entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass einer Partei Beweiserleichterungen zuteil werden, wenn der Beweis dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (sekundäre Behauptungslast).726 Dies ist anzunehmen, wenn eine darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt,727 was insbesondere dort der Fall ist, wo das materielle Recht das Nichtvorliegen von Tatsachen zur Anspruchsvoraussetzung erhebt oder sonst nach den Gegebenheiten im konkreten Rechtsstreit das Nichtvorliegen eines Umstandes bewiesen werden muss. In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positivum sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden.728 So liegen die Dinge hier: Der VN hat in aller Regel keine nähere Kenntnis von den Geschäftsgepflogenheiten (der Annahmepraxis) des VR. Nur dieser weiß im Detail, ob er auf bestimmte erhöhte objektive oder subjektive Risiken mit einer Ablehnung des Versicherungsantrages oder mit einem gegenüber dem Üblichen abweichenden Vertrag, also beispielsweise einem Risikozuschlag oder einem Leistungsausschluss reagiert. Der VN genügt daher seiner Darlegungslast, wenn er pauschal die Möglichkeit der Vertragsanpassung behauptet; dieser Behauptung hat sodann der VR substantiiert entgegenzutreten und seine Geschäftsgrundsätze offenzulegen.729 Langheid spricht sich für eine Anwendung der Rechtsprechung zur „auf der Hand liegenden Gefahrerheblichkeit“ aus. So liege es auf der Hand, dass der VR den Vertrag bei Kenntnis überhaupt nicht geschlossen hätte, wenn der VN einen schwerwiegenden Umstand nicht angezeigt hat.730 Eine Anpassung des Vertrages erfolgt, wenn der VR dies verlangt hat, grundsätzlich rück177 wirkend. Es ist Sache des VN, sein fehlendes Verschulden darzutun, wenn er die Anpassung erst ab der laufenden Vertragsperiode erreichen möchte. Ebenso muss er nachweisen, dass er im Falle des Absatzes 6 Satz 1 die Monatsfrist zur Ausübung seines Kündigungsrechts gewahrt hat, wobei es allerdings dem VR obliegt, den Zugang der Mitteilung und der Rechtsbelehrung darzutun. Hält der VN den Rücktritt, die Kündigung oder die Vertragsanpassung für ausgeschlossen, 178 weil der VR den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige gekannt habe (Absatz 5 Satz 2), so muss er diese Kenntnis des VR nachweisen.731

725 Bruns § 8 Rn. 19. 726 BGH 19.12.1953 BGHZ 12, 49, 50; 1.12.1982 BGHZ 86, 23, 29; 17.3.1987 BGHZ 100 190, 196; 7.12.1998 BGHZ 140 156, 158; Zöller/Greger Vor § 284 ZPO Rn. 34.

727 BGH 11.6.1990 NJW 1990 3151; 7.12.1998 BGHZ 144 156, 158 f. 728 BGH 17.3.1987 NJW 1987 2008; 8.10.1992 NJW-RR 1993 746. 729 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 88; Langheid NJW 2007 3665, 3667; Reusch VersR 2007 1313, 1319; vgl. auch BGH 22.2.1995 VersR 1995 457; OLG Düsseldorf 30.11.1993 VersR 1994 844. 730 Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 185 unter Verweis auf LG Kiel 23.11.2012 – 5 O 46/12, MedR 2013 308; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 146. 731 OLG Hamburg 25.5.1970 VersR 1970 1147; OLG Köln 13.2.1973 VersR 1973 1017; OLG Celle 17.2.1982 VersR 1983 825; OLG Hamm 23.5.1986 VersR 1987 150; Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 162; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 143; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 82. Rolfs

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§ 20 Vertreter des Versicherungsnehmers 1

Wird der Vertrag von einem Vertreter des Versicherungsnehmers geschlossen, sind bei der Anwendung des § 19 Abs. 1 bis 4 und des § 21 Abs. 2 Satz 2 sowie Abs. 3 Satz 2 sowohl die Kenntnis und die Arglist des Vertreters als auch die Kenntnis und die Arglist des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen. 2Der Versicherungsnehmer kann sich darauf, dass die Anzeigepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt worden ist, nur berufen, wenn weder dem Vertreter noch dem Versicherungsnehmer Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Schrifttum Siehe bei § 19.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Wissens-, Verschuldens- und Arglistzurech8 nung

I.

Voraussetzungen

1

II. 1. 2. 3.

11 Rechtsfolgen 11 Zurechnung der Kenntnis (Satz 1) 14 Zurechnung der Arglist (Satz 1) Zurechnung von Vorsatz und grober Fahrlässig16 keit (Satz 2)

C.

Allgemeine Versicherungsbedingun18 gen

D.

Darlegungs- und Beweislast

2

5

19

8

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift über die Wissens-, Verschuldens- und Arglistzurechnung beim Vertragsabschluss 1 durch einen Vertreter des VN fand sich in der ursprünglichen Fassung des VVG in § 19. Sie ist dort von 1908 bis zu ihrem Außerkrafttreten am 31.12.2007 unverändert geblieben. Die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts hatte nur sprachliche Änderungen vorgeschlagen, wollte inhaltlich an der bisherigen Regelung aber festhalten.1 Diesem Vorschlag ist der Regierungsentwurf gefolgt und hat als neuen § 20 eine in der Sache mit § 19 a.F. übereinstimmende Regelung geschaffen. Nur die frühere Unterscheidung von Bevollmächtigtem und Vertretern ohne Vertretungsmacht erschien entbehrlich; der neue Text verwendet daher nur den Begriff des Vertreters.2 Die übrigen Änderungen sind redaktioneller Natur und berücksichtigen die Änderungen im neuen § 19.3

II. Inhalt und Zweck der Regelung Dem VR stehen die in § 19 Abs. 2 bis 5 genannten Rechte zu, wenn der VN bei Abgabe seiner 2 Vertragserklärung seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit verletzt hat. Unter anderem vom 1 Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, Ziff. 1.2.2.10. 2 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. 3 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. 73 https://doi.org/10.1515/9783110522624-002

Rolfs

§ 20 VVG

Vertreter des Versicherungsnehmers

Grad des Verschuldens abhängig kann der VR zurücktreten, kündigen oder den Vertrag an die nicht angezeigten Gefahrumstände anpassen. Hat sich der VN beim Vertragsabschluss vertreten lassen, so stellt sich die Frage, auf wessen Kenntnis von den Gefahrumständen und wessen Verschulden bei der Obliegenheitsverletzung es ankommt. Abweichend von § 166 BGB ordnet § 20 an, dass sowohl hinsichtlich der Kenntnis als auch des Verschuldens als auch der Arglist sowohl auf den VN als auch auf seinen Vertreter abzustellen ist. 3 Die inhaltliche Rechtfertigung dieser Bestimmung resultiert zum einen daraus, dass der VR ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis aller zur Abschätzung des Risikos erforderlichen Umstände hat (§ 19 Rn. 6) und sich diese Kenntnis regelmäßig nur mit Hilfe des VN verschaffen kann. Für ihn ist es ohne Belang, ob der VN den Vertrag persönlich abschließt oder sich hierbei vertreten lässt; ihm ist nur an einer möglichst vollständigen Kenntnis der Gefahrumstände gelegen.4 Zum anderen sind die Gefahrumstände häufig nur dem VN, nicht aber seinem Vertreter bekannt. Es wäre aber sachlich nicht zu rechtfertigen, wenn der VN, der sich beim Vertragsabschluss durch einen nicht an Weisungen i.S.v. § 166 Abs. 2 BGB gebundenen Vertreter vertreten lässt, auf dessen Unkenntnis der Gefahrumstände berufen könnte, was ihm nach § 166 Abs. 1 BGB möglich wäre. 4 Satz 1 hat zum Inhalt, dass hinsichtlich der in § 19 Abs. 1 bis 4 genannten Rechte (Rücktritt, Kündigung, Vertragsanpassung) sowie der Leistungsfreiheit des VR (§ 21 Abs. 2) sowohl die Kenntnis und die Arglist des VN als auch diejenige seines Vertreters zu berücksichtigen sind. Satz 2 bestimmt, dass der VN sich auf fehlendes grobes Verschulden – das den VR gem. § 19 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 zum Rücktritt berechtigt – nur dann berufen kann, wenn weder den Vertreter noch ihn selbst der Vorwurf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns trifft.

III. Anwendungsbereich 5 Der persönliche Anwendungsbereich des § 20 beschränkt sich auf rechtsgeschäftliche Vertreter des VN. Dies kommt zwar in der seit dem 1.1.2008 geltenden Fassung, anders als in § 19 a.F., der von „Bevollmächtigten“ sprach, nicht mehr ganz so eindeutig zum Ausdruck. Angesichts des klaren Willens des Reformgesetzgebers, inhaltliche Änderungen insoweit nicht vorzusehen, kann aber daran, dass auf gesetzliche Vertreter des VN auch weiterhin nur § 166 BGB, nicht aber § 20 Anwendung findet,5 kein Zweifel bestehen.6 6 Sachlich gilt die Vorschrift, wie sich aus ihrem Satz 1 ergibt, nur für die in § 19 genannten Rechte des VR sowie dessen Leistungsfreiheit (§ 21 Abs. 2). Dagegen findet sie auf das Anfechtungsrecht des VR aus § 22 i.V.m. § 123 BGB keine Anwendung.7 Insoweit verbleibt es bei den Bestimmungen des BGB, insbesondere § 123 Abs. 2 BGB (näher § 22 Rn. 18 f.). 7 Ergänzende Bestimmungen enthalten § 2 Abs. 3 für die Rückwärtsversicherung,8 § 47 für die Versicherung für fremde Rechnung, § 156 für die Lebens-, § 179 Abs. 3 für die Unfall- und § 193 Abs. 2 für die Krankenversicherung.

4 Berliner Kommentar/Voit § 19 Rn. 1. 5 Prölss/Martin/Armbrüster § 20 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 20 Rn. 1; Staudinger/Halm/Wendt/ Pilz/Gramse § 20 Rn. 1; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 20 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid § 20 Rn. 1; Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 3; Rüffer/Hallbach/Schimikowski/Schimikowski § 20 Rn. 3. 6 Ausführlich Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 31 ff. 7 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66; RG 28.3.1930 RGZ 128 116, 120; OLG Düsseldorf 28.11.1961 VersR 1962 344; 20.11.1962 VersR 1963 229; Prölss/Martin/Armbrüster § 20 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 20 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Langheid § 20 Rn. 3; Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 4. 8 Vgl. BGH 19.2.1992 BGHZ 117 213, 216; s. hierzu Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders § 17 Rn. 8. Rolfs

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B. Wissens-, Verschuldens- und Arglistzurechnung

VVG § 20

B. Wissens-, Verschuldens- und Arglistzurechnung I. Voraussetzungen Voraussetzung des § 20 ist, dass der VN den Vertrag nicht persönlich, sondern durch einen 8 Bevollmächtigten, also einen rechtsgeschäftlichen Vertreter abgeschlossen hat. Für gesetzliche Vertreter gilt die Vorschrift nicht, insoweit verbleibt es bei § 166 Abs. 1 BGB,9 der allein auf die Kenntnis des Vertreters, nicht aber die des Vertretenen abstellt. Dementsprechend bleiben die Kenntnisse z.B. des minderjährigen Kindes bei Abschluss einer Versicherung durch die Eltern außer Betracht. Bei gesetzlichen Verwaltern wie dem Testamentsvollstrecker oder dem Insolvenzverwalter findet zwar nicht § 166 Abs. 1 BGB Anwendung, dennoch kommt es auf ihre persönliche Kenntnis an, da sie kraft Amtes selbst Partei des Versicherungsvertrages sind.10 Juristische Personen werden durch ihr zuständiges Organ vertreten, sodass es hinsichtlich der Kenntnis, des Verschuldens und der Arglist auf dessen Kenntnisse ankommt.11 Besteht das Organ aus mehreren Personen, so schadet die Kenntnis usw. jeder einzelnen von ihnen.12 § 19 a.F. hatte ausdrücklich auch noch den Vertreter ohne Vertretungsmacht erwähnt, 9 was dem VVG-Reformgesetzgeber überflüssig erschien.13 Eine sachliche Änderung war aber nicht beabsichtigt. Allerdings wird man unterscheiden müssen: Weiß der VN, dass ihn ein Dritter ohne Vertretungsmacht vertritt, gilt § 20 ohne Weiteres. Hat der VN dagegen vom Auftreten des Vertreters ohne Vertretungsmacht keine Kenntnis, kommt es zunächst nur auf dessen Wissen und Verschulden an. Erst wenn der VN den Vertrag genehmigt (§ 177 BGB), muss er dem VR auch diejenigen Gefahrumstände anzeigen, von denen (nur) er Kenntnis hatte; erst zu diesem Zeitpunkt ist auch sein eigenes Verschulden und seine eigene Arglist erheblich.14 Im Gegenzug wird man dem VR das Recht einräumen müssen, sich vom Vertrag zu lösen, wenn er erst jetzt vom erhöhten Risiko Kenntnis erlangt.15 10 Zur sonstigen Beteiligung dritter Personen am Vertragsabschluss vgl. § 19 Rn. 19 ff.

II. Rechtsfolgen 1. Zurechnung der Kenntnis (Satz 1) Nach Satz 1 sind bei der Anwendung des § 19 Abs. 1 sowohl die Kenntnis des VN als auch dieje- 11 nige seines Vertreters zu berücksichtigen. Hier geht es also um die objektive Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit: Sie ist sowohl dann zu bejahen, wenn dem VN, als auch dann, wenn seinem Vertreter vom VR erfragte Gefahrumstände bekannt waren, die aber nicht, nicht richtig oder nicht vollständig angezeigt wurden. Ob daraus gefolgert werden kann, dass den VN selbständige Anzeigepflichten gegenüber dem VR treffen, ist streitig.16 Bei der insoweit vergleichbaren Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff.) hat der BGH gemeint, es sei Sache 9 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 59: § 166 Abs. 1 BGB analog. 10 Vgl. RG 21.2.1928 RGZ 120 189, 192; BGH 29.5.1961 BGHZ 35 180, 182; 30.10.1967 BGHZ 49 11, 16; 27.10.1983 BGHZ 88 331, 334; OLG Koblenz 12.5.2005 – 12 VA 1/04, NJW-RR 2005 1076; Andres/Leithaus/Andres § 56 InsO Rn. 16; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 59: § 166 Abs. 1 BGB analog. 11 BGH 6.4.1964 BGHZ 41 282, 287; 8.12.1989 BGHZ 109 327, 330 f.; Palandt/Ellenberger § 28 BGB Rn. 2; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 59; Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 3. 12 BGH 3.3.1956 BGHZ 20, 149, 153; 16.11.1987 NJW 1988 1199; 12.11.1998 BGHZ 140 54, 61; Pauly ZfS 1996 281, 282. 13 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. 14 Genehmigungserfordernis unabhängig von Kenntnis des VN: Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 20 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 20 Rn. 2; Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 5. 15 Berliner Kommentar/Voit § 19 Rn. 5. 16 Vgl. Berliner Kommentar/Voit § 19 Rn. 10. 75

Rolfs

§ 20 VVG

Vertreter des Versicherungsnehmers

des Versicherten, dafür zu sorgen, dass seine Kenntnis von den Gefahrumständen entweder unmittelbar durch ihn oder über den VN an den künftigen VR gelange. Insoweit sei die Kenntnis des Versicherten von den gefahrerheblichen Umständen dem VN nach § 47 Abs. 1 zuzurechnen.17 Daran ist jedenfalls zutreffend, dass die betreffenden Personen (dort der Versicherte, hier der von einem Bevollmächtigten vertretene VN) die (auch) sie treffenden Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung nur vermeiden können, wenn sie dem VR unmittelbar oder mittelbar die ihnen bekannten Umstände zur Kenntnis gelangen lassen. 12 Satz 1 betrifft nur die Kenntnis von Gefahrumständen. Das ergibt sich sowohl aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift mit § 19 als auch aus ihrem Zweck (Rn. 2 f.). Soweit das Kennen oder Kennenmüssen anderer Umstände rechtlich von Belang ist (wie etwa hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen des § 138 BGB18 oder derjenigen der Anfechtbarkeit, § 142 Abs. 2 BGB), verbleibt es bei der Anwendung des § 166 BGB. Die Vorschrift ordnet außerdem nur die Zurechnung der Kenntnis, nicht aber ihre Zusam13 menrechnung an.19 Verfügen also beispielsweise sowohl der VN als auch der Vertreter jeweils über Teilkenntnisse, die nur zusammengenommen, nicht aber isoliert einen Umstand als anzeigepflichtigen Gefahrumstand erscheinen lassen, fällt ihnen eine Verletzung der in § 19 Abs. 1 normierten Obliegenheit nicht zur Last.

2. Zurechnung der Arglist (Satz 1) 14 Satz 1 ordnet außerdem an, dass bei der Anwendung des § 21 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 sowohl die Arglist des VN als auch diejenige des Vertreters zu berücksichtigen ist. Das betrifft zum einen die Leistungsfreiheit des VR, die trotz fehlender Kausalität zwischen der Anzeigepflichtverletzung und dem Eintritt oder der Feststellung des Versicherungsfalles oder der Feststellung oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR fortbesteht, wenn die Anzeigepflicht arglistig verletzt worden ist (§ 21 Abs. 2 Satz 2). Zum anderen ist die Ausschlussfrist betroffen, innerhalb derer die in § 19 Abs. 2 bis 4 genannten Rechte längstens geltend gemacht werden können. Sie beträgt gewöhnlich fünf Jahre ab Vertragsschluss und verlängert sich nur in den Fällen arglistiger Anzeigepflichtverletzung auf zehn Jahre (§ 21 Abs. 3 Satz 2). 15 In beiden Fällen ist sowohl die Arglist des VN als auch diejenige seines Vertreters zu berücksichtigen. Hat also auch nur einer von ihnen die Anzeigeobliegenheit arglistig (zum Begriff näher § 22 Rn. 20 ff.) verletzt, ist der VR leistungsfrei und kann den Rücktritt, die Kündigung oder die Vertragsanpassung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach Vertragsabschluss verlangen.

3. Zurechnung von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit (Satz 2) 16 Satz 2 ordnet schließlich an, dass der VN sich darauf, dass die Anzeigepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt worden ist, nur berufen kann, wenn weder dem Vertreter noch ihm selbst Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen. Diese Regelung zielt auf das Rücktrittsrecht des VR, das gem. § 19 Abs. 3 Satz 1 bei nur leichter Fahrlässigkeit des VN oder sogar schuldloser Anzeigepflichtverletzung ausgeschlossen ist; stattdessen steht dem VR – wenn nicht sogar eine bloße Anpassung des Vertrages in Betracht kommt (§ 19 Abs. Abs. 4 Satz 1) –

17 BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404. 18 BGH 16.1.1992 NJW 1992 899. 19 Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 20 Rn. 8; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 59; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 20 Rn. 5; Prölss/Martin/Armbrüster § 20 Rn. 3: Zusammenrechnung aber möglich, wenn Vertreter auch Wissensvertreter. Rolfs

76

D. Darlegungs- und Beweislast

VVG § 20

nur ein Kündigungsrecht zu (§ 19 Abs. 3 Satz 2). Eigene grobe Fahrlässigkeit kann dem VN beispielsweise zur Last fallen, wenn er seinen Vertreter nicht ausreichend unterrichtet hat.20 Zweifelhaft ist, ob die Vorschrift auch dort Anwendung findet, wo das Gesetz nicht an 17 Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit, sondern an leichte Fahrlässigkeit oder schuldloses Verhalten anknüpft. Dies betrifft neben § 19 Abs. 4 Satz 2, wo der Zeitpunkt der Vertragsanpassung (rückwirkend seit Vertragsbeginn oder nur ab der laufenden Versicherungsperiode) davon abhängt, ob die Anzeigepflichtverletzung vom VN zu vertreten war oder nicht, namentlich § 194 Abs. 1 Satz 3, der das Recht des Krankenversicherers zur Vertragsanpassung oder Kündigung bei schuldloser Anzeigepflichtverletzung ausschließt. Der Wortlaut aller drei Vorschriften spricht gegen eine Erstreckung des § 20 auch auf diese Fälle: § 19 Abs. 4 Satz 2 und § 194 Abs. 1 Satz 3 erwähnen ausdrücklich nicht das Verschulden, sondern das „Vertretenmüssen“ des VN und nehmen damit den Sprachgebrauch der §§ 276, 278 BGB auf. Auch der Normtext des § 20 Satz 1 erfasst die leichte Fahrlässigkeit nicht. Teleologische Gründe, hiervon abzurücken, sind nicht ersichtlich. Insoweit verbleibt es also bei den allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts, § 20 ist nicht anzuwenden.21

C. Allgemeine Versicherungsbedingungen § 20 ist halbzwingend (§ 32 Satz 1). AVB können von ihm also nur zugunsten des VN abwei- 18 chen.22 Die gängigen AVB verhalten sich zur Kenntnis-, Wissens- und Arglistzurechnung von Vertretern des VN nicht, sodass i.d.R. allein die gesetzliche Regelung maßgebend ist.

D. Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast richtet sich nach § 19 bzw. § 21 (näher § 19 Rn. 172 ff., § 21 19 Rn. 59 ff.): Der VR hat die Kenntnis bzw. die Arglist des VN oder seines Vertreters darzulegen und im Streitfall zu beweisen.23 Ist die objektive Obliegenheitsverletzung dargetan, wird vermutet, dass dem VN grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Will der VN geltend machen, dass ihm und seinem Vertreter nur ein geringeres Maß oder gar kein Verschulden zur Last fällt, so liegt diese Darlegung und ggf. der Beweis ihm ob; behauptet der VR – etwa im Hinblick auf § 19 Abs. 4 Satz 1 – Vorsatz, so trägt hierfür wieder er die Beweislast.24

20 OLG Hamm 24.10.1961 VersR 1962 511; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 20 Rn. 11; Langheid/Rixecker/ Langheid § 20 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 20 Rn. 7; Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 9. 21 Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 20 Rn. 8; Rüffer/Hallbach/Schimikowski/Schimikowski § 20 Rn. 4; krit. Prölss/Martin/Armbrüster § 20 Rn. 5; a.A. Staudinger/Halm/Wendt/Pilz/ Gramse § 20 Rn. 4. 22 Langheid/Rixecker/Langheid § 20 Rn. 4; Langheid/Wandt/Muschner § 20 Rn. 9. 23 Staudinger/Halm/Wendt/Pilz/Gramse § 20 Rn. 5. 24 Staudinger/Halm/Wendt/Pilz/Gramse § 20 Rn. 5. 77

Rolfs

§ 21 Ausübung der Rechte des Versicherers (1)

1

Der Versicherer muss die ihm nach § 19 Abs. 2 bis 4 zustehenden Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. 2Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltend gemachte Recht begründet, Kenntnis erlangt. 3Der Versicherer hat bei der Ausübung seiner Rechte die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt; er darf nachträglich weitere Umstände zur Begründung seiner Erklärung angeben, wenn für diese die Frist nach Satz 1 nicht verstrichen ist. (2) 1Im Fall eines Rücktrittes nach § 19 Abs. 2 nach Eintritt des Versicherungsfalles ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, es sei denn, die Verletzung der Anzeigepflicht bezieht sich auf einen Umstand, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. 2Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht arglistig verletzt, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet. (3) 1Die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 erlöschen nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss; dies gilt nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. 2Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt, beläuft sich die Frist auf zehn Jahre.

Schrifttum Henrichs Zur Reichweite des § 21 VVG in der privaten Krankenversicherung, VersR 1989 230; Hövel Ab wann gilt etwas zur Kenntnis eines Unternehmens gelangt? VersR 2008 315; Kellner Fristenproblem beim Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen Verletzung der Anzeigepflicht, VersR 1978 1006; Langheid Nachschieben von Gründen zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag, NVersZ 1999 155; Müller Zur fristgerechten Ausübung des Rücktrittsrechts nach §§ 16 VVG unter Berücksichtigung des Rücktritts nach Eintritt des Versicherungsfalles, RuS 2000 485; Neeße Ist § 21 VVG in der privaten Krankenversicherung uneingeschränkt anwendbar? VersR 1972 213; Pieper Der Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht, VersMed 1997 33. Siehe im Übrigen bei § 19.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Übergangsrecht zum VVG 2008

3

III.

Inhalt und Zweck der Regelung

6

IV.

Anwendungsbereich

B.

Ausübung der Rechte des § 19 Abs. 2 bis 11 4

I.

Rücktritts-, Kündigungs- und Anpassungserklä11 rung 11 Allgemeines 14 Schriftform 15 Begründung (Absatz 1 Satz 3)

1. 2. 3.

1

9

Rolfs https://doi.org/10.1515/9783110522624-003

II. 1. 2.

Ausübungsfrist (Absatz 1 Sätze 1 und 2) 23 Fristbeginn 29 Fristablauf

III. 1.

31 Leistungsfreiheit (Absatz 2) 33 Tatbestand a) Rücktritt nach Eintritt des Versicherungsfal33 les 34 b) Fehlende Kausalität aa) Zwischen der Anzeigepflichtverletzung und der Feststellung und dem Eintritt des Versicherungsfal35 les bb) Zwischen der Anzeigepflichtverletzung und der Feststellung und dem Umfang der Leistungspflicht des Ver40 sicherers c) Keine arglistige Verletzung der Anzeigeob44 liegenheit

22

78

VVG § 21

A. Einführung

2.

Rechtsfolge

IV. 1.

47 Ausschlussfrist (Absatz 3) Allgemeine (fünfjährige) Ausschlussfrist 47 (Satz 1) Verlängerte Ausschlussfrist bei Vorsatz oder Arg50 list (Satz 2) Sonderregelungen in einzelnen Versicherungs52 sparten

2. 3.

C.

46

55

I.

Zustellungsbevollmächtigte

II.

Ausschlussfrist

D.

Darlegungs- und Beweislast

I.

Beweislast des Versicherers

II.

Beweislast des Versicherungsnehmers

58 59 59 62

Allgemeine Versicherungsbedingun54 gen

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift fasst in ihren Absätzen 1 und 2 die Bestimmungen der § 20 Abs. 1, § 21 a.F. zusam- 1 men. Beide Normen waren seit dem Inkrafttreten des VVG in seiner ursprünglichen Fassung am 1.1.1910 unverändert geblieben. Absatz 3 ist mit der Reform neu eingeführt worden. Eine Ausschlussfrist für den Rücktritt gab es bis zur VVG-Reform nur in der Krankenversicherung (§ 178k Satz 1 a.F.),1 sie betrug – und beträgt (§ 194 Abs. 1 Satz 4) – dort drei Jahre. Eine Entsprechung des § 20 Abs. 2 a.F. gibt es im neuen VVG nicht mehr. Die Ausübung des Rücktritts und seine Rechtsfolgen richten sich, soweit das Gesetz keine abweichenden Bestimmungen trifft, nach den §§ 346 ff. BGB. Eine sachliche Änderung ist damit nur insoweit verbunden, als eine allgemeine Pflicht zur Verzinsung der zurückzugewährenden Leistungen jetzt nicht mehr existiert (§ 19 Rn. 127). Die Neustrukturierung der §§ 20, 21 a.F. und die Einführung einer allgemeinen Ausschluss- 2 frist beruht auf dem Vorschlag der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts. Sie hatte allerdings noch nicht die Ausnahme von der fortbestehenden Leistungspflicht bei arglistiger Täuschung (Absatz 2 Satz 2) und in Absatz 3 noch eine Frist von nur drei Jahren vorgesehen.2 Der RegE entsprach dann schon weitgehend der nunmehr Gesetz gewordenen Textfassung, wobei Absatz 2 sprachlich an die Parallelregelung in § 28 Abs. 3 angepasst wurde.3 Lediglich Absatz 3 Satz 1 wurde im Laufe der Beratungen um einen zweiten Halbsatz (nach dem Semikolon) ergänzt, um Missbräuche zu verhindern. Es sollte vermieden werden, dass die Meldung eines Versicherungsfalls, für den wegen einer Anzeigepflichtverletzung nicht eingetreten werden müsste, bis nach Ablauf der Ausschlussfrist verzögert wird und der VR seine Rechte deshalb nicht mehr geltend machen kann.4

II. Übergangsrecht zum VVG 2008 § 21 n.F. bereitet eine Reihe von Übergangsproblemen. Nach bisherigem Recht konnte der VR 3 das Rücktrittsrecht formfrei ausüben,5 eine Begründung schuldete er nicht.6 Dabei hat es gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG für vor dem 1.1.2008 abgeschlossene Altverträge im Jahre 2008 sein Bewen1 2 3 4 5 6 79

Eingefügt durch 3. DurchfG/EWG vom 21.7.1994 (BGBl. I 1630). Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, § 23 KomE. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. BTDrucks. 16/5862, S. 99. Prölss/Martin/Prölss27 § 20 Rn. 9. OLG Hamm 19.12.1986 RuS 1987 113; OLG Köln 19.9.1991 VersR 1992 303. Rolfs

§ 21 VVG

Ausübung der Rechte des Versicherers

den; erst eine nach dem 31.12.2008 dem VN zugehende Rücktrittserklärung muss den Formanforderungen des neuen § 21 Abs. 1 entsprechen. Für nach dem 31.12.2007 abgeschlossene Neuverträge galt die Vorschrift bereits im Jahre 2008. 4 Neu mit der Reform eingeführt worden ist auch, dass der VR trotz fehlender Kausalität leistungsfrei bleibt, wenn der VN die Anzeigeobliegenheit arglistig verletzt hat (§ 21 Abs. 2 Satz 2). Auf diese Bestimmung kann sich der VR bei Altverträgen jedoch nur berufen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.12.2008 eingetreten ist. Art. 1 Abs. 2 EGVVG ordnet nämlich an, dass im Jahre 2008 eintretende Versicherungsfälle bei Altverträgen noch nach dem bis zum 31.12.2007 geltenden VVG abzuwickeln sind, das in § 21 a.F. diese Rückausnahme nicht kannte. 5 Zu beachten ist schließlich, dass auch die neue Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 für Altverträge Geltung beansprucht. Die Fünf- bzw. Zehn-Jahres-Frist beginnt aber in Bezug auf sie nicht schon bei Vertragsabschluss mit der Folge, dass ein Rücktritt usw. für vor 2003 bzw. 1998 abgeschlossene Verträge schon ab dem 1.1.2008 nicht mehr möglich wäre. Vielmehr richtet sich der Fristbeginn nach Art. 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 EGVVG: Da das alte Recht keine allgemeine Ausschlussfrist kannte, beginnt der Lauf der Frist mit Inkrafttreten des neuen VVG am 1.1.2008. Das Rücktritts-, Kündigungs- und Vertragsanpassungsrecht stand dem VR also bis zum 31.12.2012 (§ 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 BGB), in den Fällen vorsätzlicher oder arglistiger Obliegenheitsverletzung bis zum 31.12.2017 zu.7 Soweit das Gesetz oder der Versicherungsvertrag kürzere Fristen bestimmen (z.B. eine dreijährige Frist in der Krankenversicherung kraft Gesetzes [§ 178k Satz 1 a.F., § 194 Abs. 1 Satz 4 2008] und in der Lebensversicherung gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 ALB 86, § 7 Abs. 3 Satz 1 ALB 94), hat es damit sein Bewenden.

III. Inhalt und Zweck der Regelung 6 Absatz 1 setzt dem VR eine Frist von einem Monat, innerhalb derer er die ihm in § 19 Abs. 2 bis 4 genannten Rechte (Rücktritt, Kündigung, Vertragsanpassung) geltend machen muss und normiert Einzelheiten zur Ausübung dieser Rechte. Die Frist dient dazu, dem VN alsbald Klarheit darüber zu verschaffen, ob das durch seine Obliegenheitsverletzung belastete Vertragsverhältnis vom VR – verändert oder unverändert – weiter aufrechterhalten wird oder nicht.8 Im Interesse der Rechtsklarheit für den VN schreibt Satz 1 für die Ausübung der Rechte die Schriftform vor und übernimmt damit die bisherige Praxis der VR. Ferner bestimmt Satz 3, dass der VR die Gründe anzugeben hat, auf die er das von ihm erklärte Recht stützt; auch dies entspricht einem berechtigten Interesse des VN. Um eine „Überfrachtung“ der schriftlichen Erklärung des VR zu vermeiden und ihm die Möglichkeit zu geben, zusätzliche Erkenntnisse, die für das von ihm geltend gemachte Recht relevant sind, geltend zu machen, wird ihm ein fristgerechtes Nachschieben von Gründen gestattet.9 Oftmals erfährt der VR von einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht erst durch 7 einen Versicherungsfall. Erklärt er daraufhin gem. § 19 Abs. 2 den Rücktritt, ist seine Leistungspflicht auch für in der Vergangenheit liegende Versicherungsfälle an sich ausgeschlossen (§ 346 Abs. 1 BGB). Absatz 2 weicht hiervon ab, falls es an jeder Kausalität zwischen der Anzeigepflichtverletzung und der Leistungspflicht des VR für den Versicherungsfall fehlt, was vom VN darzulegen und zu beweisen ist. Vergleichbare Regelungen trifft das Gesetz in § 26 Abs. 3 Nr. 1 im Falle der Gefahrerhöhung und in § 28 Abs. 3 bei Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit durch den VN. Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass der VR ja trotz des Rücktritts die Prämie

7 Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 203. 8 BGH 20.9.1989 BGHZ 108 326, 328; 17.4.1996 VersR 1996 742; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 106.

9 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. Rolfs

80

A. Einführung

VVG § 21

bis zum Wirksamwerden seiner Willenserklärung behalten darf (§ 39 Abs. 1 Satz 2) und seine kalkulatorischen Grundlagen durch die Aufnahme des an sich nicht gleichgefährdeten Risikos durch diesen Versicherungsfall nicht beeinträchtigt worden sind. Angesichts dessen wäre eine so scharfe Sanktion wie die Leistungsfreiheit unverhältnismäßig, wenn die Anzeigepflichtverletzung ohne Einfluss auf die Leistungspflicht war. Die Rückausnahme des Satzes 2 bei arglistigem Verhalten des VN dient der Generalprävention.10 Absatz 3 wäre aus systematischen Gründen besser als Absatz 2 eingestellt worden. Er nor- 8 miert eine – in der Regel fünfjährige – Ausschlussfrist, nach deren Ablauf die Rechte des VR aus § 19 Abs. 2 bis 4 erlöschen. Diese allgemeine Ausschlussfrist ist im VVG 2008 neu. Sie trägt dem Interesse des VN Rechnung, in einem angemessenen Zeitraum Sicherheit darüber zu erlangen, dass der Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt Bestand hat. Eine Rückabwicklung bzw. rückwirkende Anpassung des Vertrags nach vielen Jahren könnte nach Auffassung des Gesetzgebers zu unzumutbaren Belastungen des VN führen, denen keine hinreichenden schutzwürdigen Interessen des VR gegenüberstehen.11 Die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrecht hatte in Anlehnung an § 178k Satz 1 a.F. (§ 194 Abs. 1 Satz 3) lediglich eine Ausschlussfrist von drei Jahren vorgeschlagen.12 Dies erschien dem Gesetzgeber aber unangemessen kurz, zumal schon die erstmalige Einführung einer solchen Frist die Rechtsstellung des VN nicht unerheblich verbessere. Dies dürfe nicht dazu führen, dass solche VN begünstigt werden, die ihre Anzeigepflicht gröblich verletzen und sich dadurch auf Kosten der Versichertengemeinschaft dauerhaft ungerechtfertigte Vorteile verschaffen. Eine zu kurz bemessene Ausschlussfrist für die Rechte des VR könnte einen Anreiz für diese VN bieten, eine gefahrrelevante Tatsache in der Erwartung zu verschweigen oder unrichtig anzuzeigen, dass sie dem VR innerhalb dieser Frist nicht zur Kenntnis kommen wird.13

IV. Anwendungsbereich Die Vorschrift gilt für alle Versicherungssparten mit Ausnahme der Rückversicherung und 9 der Seeversicherung (§ 209). In der Pflicht-Haftpflichtversicherung kann der VR abweichend von Absatz 2 nach Maß- 10 gabe von § 117 Abs. 2 trotz seines Rücktritts zeitlich befristet dem Dritten gegenüber zur Leistung verpflichtet sein.14 Ähnliches gilt gem. § 143 Abs. 2 gegenüber dem Hypothekengläubiger in der Gebäudefeuerversicherung.15 Das Rücktrittsrecht des VR ist in der Transportversicherung gem. § 131 ausgeschlossen; das Kündigungs- und Leistungsverweigerungsrecht ist aber – wie nach Absatz 1 – innerhalb eines Monats nach Kenntnis des nicht oder unrichtig angezeigten Umstands auszuüben (§ 131 Abs. 1 Satz 1). Abweichend von Absatz 2 bleibt der Transportversicherer zur Leistung verpflichtet, soweit der nicht oder unrichtig angezeigte Umstand für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht nicht ursächlich war (§ 131 Abs. 1 Satz 2). In der Lebensversicherung hat der VR, wenn die Versicherung Schutz gegen ein Risiko bietet, bei dem der Eintritt der Verpflichtung des VR gewiss ist, bei einem Rücktritt den vollen Rückkaufswert zu zahlen (§ 169 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3). In der Krankenversicherung beträgt die Ausschlussfrist abweichend von Absatz 3 Satz 1 nur drei Jahre (§ 194 Abs. 1 Satz 4).

10 11 12 13 14 15

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, § 23 Abs. 3 KomE. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66 f. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 128. Vgl. BGH 21.6.1989 BGHZ 108 82, 84 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 128.

81

Rolfs

§ 21 VVG

Ausübung der Rechte des Versicherers

B. Ausübung der Rechte des § 19 Abs. 2 bis 4 I. Rücktritts-, Kündigungs- und Anpassungserklärung 1. Allgemeines 11 Das VVG normiert nur einzelne Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Rücktritts, der Kündigung bzw. der Vertragsanpassung. Im Übrigen sind die Vorschriften des BGB, hinsichtlich des Rücktritts also die §§ 346 ff. BGB, heranzuziehen. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber anlässlich der Reform des VVG auch auf eine dem früheren § 20 Abs. 2 a.F. entsprechende Bestimmung verzichtet.16 Der Rücktritt, die Kündigung bzw. die Vertragsanpassung muss vom VR erklärt werden 12 (§ 349 BGB). Stehen auf Seiten des VR mehrere Versicherungsunternehmen, können sie die Rechte nur gemeinsam ausüben (§ 351 Satz 1 BGB). Erklärungsempfänger ist der VN. Sind an dem Vertrag mehrere VN beteiligt, muss die Erklärung ihnen allen gegenüber abgegeben werden (§ 351 Satz 1 BGB);17 schon die Anzeigepflichtverletzung eines von ihnen berechtigt den VR, mit Wirkung gegenüber allen VN vom Vertrag zurückzutreten, ihn zu kündigen oder anzupassen. Erklärt ein VR den Rücktritt usw. nicht fristgerecht oder geht nicht allen VN die Rücktrittserklärung usw. fristgerecht zu, ist die Erklärung unwirksam (§ 351 Satz 2 BGB). Ist der VN verstorben, ist die Ausübung der Rechte gegenüber dem oder den Erben, ggf. dem Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter oder Nachlasspfleger gegenüber zu erklären.18 Sind dem VR die Erben unbekannt, kann er unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 BGB die Erklärung öffentlich zustellen lassen (§§ 185 ff. ZPO). Der Rücktritt und das Anpassungsverlangen sind auch noch nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses möglich und im Hinblick auf die Leistungsfreiheit des VR und die Pflicht des VN, empfangene Versicherungsleistungen zurückzuerstatten, sinnvoll.19 Eine Abtretung des Versicherungsanspruchs ändert nichts daran, dass Erklärungsempfänger der VN und nicht der Zessionar ist;20 dasselbe gilt, wenn nicht der VN, sondern ein Dritter bezugsberechtigt ist. Auch in einer Gruppenversicherung ist die Erklärung an den VN, nicht an das betroffene Mitglied der Gruppe zu richten,21 es sei denn, dass dieser Inhaber des Versicherungsscheins ist.22 Zu abweichenden Vereinbarungen in AVB siehe Rn. 55 ff. Rücktritt, Kündigung und Vertragsanpassung müssen eindeutig erklärt sein.23 Es gelten 13 die allgemeinen Regeln über die Auslegung von Willenserklärungen, § 133 BGB. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass eine bloße Leistungsablehnung noch keinen Rücktritt darstellt.24 Zur Umdeutung eines Rücktritts in eine Kündigung (möglich) und umgekehrt (nicht möglich) siehe § 19 Rn. 130. Rücktritt und Anfechtung zeitigen schon mit Blick auf Absatz 2 so unterschiedliche Rechtsfolgen, dass weder der Rücktritt in eine Anfechtungserklärung25 noch umge-

16 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. 17 Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 13. 18 BGH 5.5.1982 VersR 1982 746; 24.3.1993 VersR 1993 868; OLG Stuttgart 20.5.1981 VersR 1981 797; OLG Oldenburg 22.12.1993 VersR 1994 968; OLG Düsseldorf 14.5.2002 – 4 U 181/01, RuS 2003 252; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 3 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 105; Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 13. 19 OLG Hamm 3.4.1981 VersR 1981 1148; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 102. 20 OLG Hamm 3.4.1981 VersR 1981 1148; OLG Stuttgart 20.5.1981 VersR 1981 797; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 3; vgl. auch BGH 2.11.1988 BGHZ 105 365, 369 ff.; 28.11.1990 BGHZ 113 62, 65 f.; 10.3.1993 BGHZ 122 46, 50. 21 Wriede VersR 1996 873, 874. 22 OLG München 27.10.1994 VersR 1995 902. 23 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 98. 24 BGH 22.2.1984 VersR 1984 630; OLG Hamm 3.4.1981 VersR 1981 1148. 25 BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404; 9.4.1997 RuS 1997 294. Rolfs

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kehrt diese in eine Rücktrittserklärung umgedeutet werden kann.26 Die gegenteilige Auffassung27 übersieht, dass die Wirkungen eines Rücktritts keineswegs vollständig hinter derjenigen einer Anfechtung zurückbleiben. Vielmehr wäre der VN in der Durchsetzung seiner Rechte unangemessen beeinträchtigt, wenn er einer Anfechtung nicht nur mit dem Bestreiten der arglistigen Täuschung, sondern wegen seines Leistungsinteresses auch mit u.U. aufwändigen und umfangreichen Gutachten zur fehlenden Kausalität zwischen der Anzeigepflichtverletzung und der Leistungspflicht des VR (§ 21 Abs. 2 Satz 1) entgegentreten müsste. Möglich ist es aber, die Ausübung der Rechte hilfsweise zu erklären, z.B. vorrangig den Rücktritt und hilfsweise die Kündigung.28 Dies kann sich namentlich dann empfehlen, wenn das Maß des den VN treffenden Verschuldens (grobe oder nur einfache Fahrlässigkeit) zweifelhaft ist.29

2. Schriftform Die Ausübung der Rechte30 bedarf der Schriftform. Damit statuiert § 21 Abs. 1 Satz 1 ein gesetzli- 14 ches Schriftformerfordernis i.S.d. § 126 BGB.31 Die Erklärung selbst ist also schriftlich abzufassen und von einer vertretungsberechtigten Person des VR eigenhändig mit Namen zu unterzeichnen. Faksimilestempel oder dergleichen genügen nicht.32 Die formgerechte Erklärung muss dem VN fristgerecht zugehen, es genügt nicht, dass er zunächst lediglich eine Fotokopie, ein Telefax o.Ä. erhält und ihm das Original erst nach Fristablauf zugeht.33 Eine Verletzung des Schriftformerfordernisses führt zur Unwirksamkeit der Kündigung (§ 125 BGB).

3. Begründung (Absatz 1 Satz 3) § 21 Abs. 1 Satz 3 statuiert eine Pflicht des VR, bei der Ausübung des Rücktritts-, Kündigungs- 15 oder Vertragsanpassungsrechts diejenigen Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt.34 Eine derartige Bestimmung war dem Gesetz bis zur Reform 2008 fremd.35 Vergleichbare Begründungspflichten finden sich aber z.B. in § 569 Abs. 4, § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB. Hier wie dort bestimmt das Gesetz nicht ausdrücklich, mit welcher inhaltlichen Ausführ- 16 lichkeit die Gründe anzugeben sind. Dies ist problematisch, da die Wirksamkeit der Erklärung von einer inhaltlich ausreichenden Angabe der Gründe abhängt. Wie ausführlich die Gründe anzugeben sind, muss deshalb von dem maßgebenden Zweck der Vorschrift her bestimmt werden. Dieser Zweck besteht darin, dass der VN zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition erlangt und so in die Lage versetzt wird, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen. Darüber hinaus soll die Begründungspflicht den VR 26 OLG Hamm 27.5.1987 VersR 1988 458; OLG Köln 14.9.1989 VersR 1990 769; 16.9.1992 VersR 1993 297; 16.9.1992 VersR 1993 297; 18.12.1995 ZfS 1997 105; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 99; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 27. 27 OGH Wien 13.1.1977 VersR 1978 954; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 6. 28 Armbrüster Rn. 939, 1041; Bruns § 8 Rn. 20; Romahn S. 219; Wandt Rn. 848. 29 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 11 f.; Franz VersR 2008 298, 306; Neuhaus RuS 2008 45, 51 f.; Reusch VersR 2007 1313, 1316. 30 Hinsichtlich der Kündigung und der Vertragsanpassung zu Unrecht a.A. Neuhaus RuS 2008 45, 49, 50. 31 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 5. 32 Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 36. 33 OLG Oldenburg 16.3.1994 VersR 1995 157. 34 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 10. 35 Langheid NVersZ 1999 155, 156; vgl. aber OLG Oldenburg 22.12.1993 VersR 1994 968 zur Rücktrittserklärung gegenüber dem Nachlasspfleger des verstorbenen VN; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 104; a.A. OLG Nürnberg 22.10.1998 VersR 1999 609 (dazu Münstermann RuS 2000 1). 83

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dazu veranlassen, sich selbst über die Rechtslage und die Aussichten des von ihm beabsichtigten Schrittes klar zu werden.36 Der VR muss daher diejenigen Tatsachen mitteilen, die für seine Erklärung maßgebend sind. Die Begründung muss nicht zutreffend sein37 und es ist auch keine volle Substantiierung wie im Prozess zu verlangen, die Gründe müssen aber so genau bezeichnet sein, dass der VN erkennen kann, um welche konkreten Umstände es sich handelt.38 Dies bedeutet, dass der VR sich nicht darauf beschränken darf, den Gesetzestext wiederzugeben oder bloße Leerformeln zu verwenden.39 Der einzelne Grund muss so genau bezeichnet werden, dass er identifiziert, von anderen Gründen unterschieden werden und dass der VN seine Rechtsverteidigung darauf einstellen kann. Genügt die Begründung den vom Gesetz aufgestellten formalen Anforderungen, muss sich das Gericht in einem Rechtsstreit mit dem Vorbringen auseinandersetzen40 und allen Behauptungen nachgehen, mit denen der VR in prozessual zulässiger Weise den bereits vorprozessual in Anspruch genommenen gesetzlichen Tatbestand auszufüllen sucht.41 Dem Wortlaut des Gesetzes nicht klar zu entnehmen ist, ob auch die Begründung schriftlich zu erfolgen hat.42 Man wird dies annehmen müssen, da es der Rechtssicherheit nicht dienlich ist, wenn der VR zwar schriftlich kündigt, die Begründung aber nur mündlich liefert. Es genügt also nicht, dass der VR dem VN bei Übergabe der Erklärung erläutert, welche Gründe ihn veranlasst haben, oder in seinem Schreiben lediglich auf ein inhaltlich nicht näher umschriebenes Gespräch Bezug genommen wird.43 Vielmehr müssen auch die Gründe schriftlich festgehalten und vom VR oder einem Vertreter unterzeichnet sein. Insoweit finden die Vorschriften der §§ 125, 126 BGB analoge Anwendung. Eine ohne schriftliche Begründung abgegebene Erklärung ist also gleichfalls unwirksam. Die Nichtigkeit wird auch nicht durch die spätere schriftliche Mitteilung der Gründe geheilt. Der VR hat bei der Ausübung seiner Rechte die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt. Ob daraus allerdings folgt, dass Kündigung und Begründung in derselben Urkunde verkörpert sein müssen, ist zweifelhaft. Entsprechend der neueren Rechtsprechung zur Schriftform des § 126 BGB44 dürfte es genügen, wenn sich die Einheit der Erklärung aus anderen eindeutigen Merkmalen ergibt. Eine feste körperliche Verbindung der Kündigungserklärung und ihrer Begründung ist danach nicht erforderlich, wenn sich ihr innerer Zusammenhang auf andere Weise, etwa durch fortlaufende Paginierung der Seiten, fortlaufende Nummerierung der einzelnen Textabschnitte oder einen über das jeweilige Seitenende fortlaufenden Text ergibt.45 Ein Nachschieben von Gründen ist nur innerhalb der Monatsfrist des Absatzes 1 Satz 1 (zu ihr Rn. 22 ff.) möglich.46 Dies trägt den Interessen beider Parteien Rechnung: Der VR kann Rücktritt, Kündigung oder Vertragsanpassung bereits dann erklären, wenn er dafür ausreichende Gründe zu haben glaubt. Dadurch kann er das Vertragsverhältnis zum frühestmöglichen Zeitpunkt beenden oder anpassen, woran er beispielsweise mit Blick auf seine Leistungspflicht 36 BGH 27.6.2007 – VIII ZR 271/06, NJW 2007 2845 (zu § 573 BGB); BAG 25.11.1976 DB 1977 868 (zu § 22 Abs. 3 BBiG); 10.2.1999 NZA 1999 603 (zu § 54 BMT-G II). 37 Grote/Schneider BB 2007 2689, 2692; Lange RuS 2008 56, 60. 38 BAG 27.3.2003 – 2 AZR 173/02, NZA 2003 1055 (zu § 54 BMT-G II); Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 14; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 39; Neuhaus RuS 2008 45, 53. 39 Grote/Schneider BB 2007 2689, 2692; vgl. auch LG Hamburg 15.12.2006 – 316 S 122/06, WuM 2007 457 (zu § 573 BGB); Knappmann RuS 1996 81, 85. 40 BVerfG 10.7.1992 NJW 1992 2878 (zu § 573 BGB). 41 BVerfG 1.7.1988 NJW 1988 2725 (zu § 573 BGB); BGH 22.12.2003 – VIII ZB 94/03, NJW 2004 850 (zu § 569 BGB). 42 Bejahend Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 5. 43 BAG 10.2.1999 NZA 1999 603 (zu § 54 BMT-G II). 44 BGH 24.9.1997 BGHZ 136 357, 360 ff.; 18.12.2002 – XII ZR 253/01, NJW 2003 1248; 21.1.2004 – VIII ZR 99/03, NJWRR 2004 586. 45 Vgl. BGH 24.9.1997 BGHZ 136 357, 361 ff.; 30.6.1999 BGHZ 142 158, 160 f. 46 Armbrüster Rn. 941 ff.; Langheid NJW 2007 3665, 3668; Wandt Rn. 849 f.vgl. schon BGH 30.9.1999 VersR 1999 217; OLG Nürnberg 22.10.1998 VersR 1999 609; dazu Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 176. Rolfs

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nach Absatz 2 Interesse hat.47 Er geht nicht das Risiko ein, durch eine zu frühe Ausübung seiner Rechte die Begründungsberechtigung für Umstände zu verlieren, die er bei Ausübung des Rechts noch nicht kannte, deren Kenntnis er aber innerhalb der Monatsfrist erlangt. Der VN ist hinreichend dadurch geschützt, dass das Nachschieben der Gründe nur innerhalb derjenigen Frist möglich ist, innerhalb derer der VR seine Rechte aus § 19 Abs. 2 bis 4 auszuüben berechtigt ist. Aufgrund des unklaren Wortlauts ist jedoch fraglich, welchen Bezugspunkt der Begriff „diese“ in Abs. 1 Satz 3 HS 2 hat. Hiervon hängt ab, wie lange nach der Ausübung des Gestaltungsrechts der VR noch Gründe nachschieben kann. So können hiermit einerseits die neuen Umstände gemeint sein, von denen der VR Kenntnis erlangt, so dass ein Nachschieben beliebiger Gründe bis einen Monat nach diesbzgl. Kenntniserlangung möglich wäre.48 Andererseits könnte der Gesetzgeber unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH zu § 20 Abs. 1 a.F.49 an die bereits abgegebene Gestaltungserklärung des VR angeknüpft haben, so dass nur innerhalb der seit Abgabe der Erklärung laufenden Monatsfrist noch beliebige Gründe nachgeschoben werden könnten.50 Folgt man der letztgenannten Ansicht, kann der VR neue Umstände nur unter erneuter Ausübung des Rechts präsentieren. Dies wird teilweise für entbehrlich erachtet, wenn ein so enger sachlicher Zusammenhang zur ursprünglichen Ausübung des Rechts besteht, dass die neuen Umstände nur als eine Konkretisierung des zunächst vorgebrachten Grundes zu qualifizieren sind.51 Angeführt wird, dass der VR, der bei der erstmaligen Ausübung seines Gestaltungsrechts keine hinreichenden Gründe angegeben hat, sich ansonsten ungerechtfertigterweise einen Vorteil verschaffen könnte.52 Die Möglichkeit der nachträglichen Verbesserung der Erfolgsaussichten ist jedoch gerade der Zweck der Nachschiebemöglichkeit.53 Für die erste Auffassung spricht dagegen, dass für den VN ein Nachschieben der dem VR neu bekannt gewordenen Umstände in der jeweils für sie geltenden Monatsfrist jedenfalls ebenso transparent ist wie ihre Geltendmachung im Wege einer eigenständigen Ausübung.54 Eine neue Gestaltungserklärung würde hingegen eine reine Förmelei darstellen55 und entgegen dem Willen des Gesetzgebers56 zu Intransparenz infolge von einer „Überfrachtung“57 des Schriftverkehrs zwischen VR und VN führen.58 Anders als bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB nur innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB, soll hier ausdrücklich die Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen eröffnet sein.59 Auch aus Gründen der Prozessökonomie erscheint diese Ansicht vorzugswürdig.60 Dem Gericht muss eine Würdigung der vom VR angeführten Gründe in ihrer Gesamtschau, insbesondere bzgl. der Beurteilung des Verschuldens möglich sein.61 Das Nachschieben von Gründen ist nicht davon abhängig, dass dem VR die Gründe erst 21 nach Ausübung seines Rechts bekannt geworden sind. Zwar wird er in der Regel schon zu 47 A.A. OGH Wien 14.7.1993 VersR 1994 627. Danach soll der VR auch dann leistungsfrei sein, wenn der Versicherungsfall innerhalb der Monatsfrist eintritt, selbst wenn der VR zu diesem Zeitpunkt sein Rücktrittsrecht noch nicht ausgeübt hatte. 48 Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 6 ff.; Langheid/Wandt/ Muschner § 21 Rn. 42 ff.; Staudinger/Halm/Wendt/Pilz/Gramse § 21 Rn. 14; Rixecker ZfS 2007 369, 370; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 12. 49 BGH 30.9.1998 VersR 1999 217, 219; ablehnend Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 8. 50 Lange RuS 2008 56, 60; Neuhaus RuS 2008 45, 53; Reusch VersR 2007 1313, 1321 f. 51 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 17; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 104. 52 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 17. 53 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 7. 54 Prölss/Martin/Prölss28 § 21 Rn. 11. 55 Prölss/Martin/Prölss28 § 21 Rn. 11; so auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 12. 56 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. 57 Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 12. 58 Romahn S. 230. 59 S. hierzu Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 9. 60 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 104; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 7. 61 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 7; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 44. 85

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diesem Zeitpunkt dem VN alle Umstände mitteilen, auf die er seine Erklärung stützt. Es ist ihm jedoch unbenommen, innerhalb der Frist auch solche Tatsachen nachzuschieben, die ihm bereits zuvor bekannt waren, auf die er sich aber ursprünglich – aus welchen Gründen auch immer – nicht stützen wollte. Nach Ablauf der Monatsfrist können weitere Gründe nicht mehr geltend gemacht werden, auch nicht solche, die eine „Vorstufe“ zu dem nunmehr verfristeten Grund darstellen.62

II. Ausübungsfrist (Absatz 1 Sätze 1 und 2) 22 Der VR muss den Rücktritt, die Kündigung oder die Vertragsanpassung gem. § 19 Abs. 2 bis 4 innerhalb eines Monats nach Kenntnis der das Recht begründenden Umstände ausüben. Das gilt auch dann, wenn der VN verstorben ist;63 die Rechte sind dann gegenüber dem oder den Erben auszuüben (Rn. 12). Fallen dem VN mehrere Verletzungen seiner Anzeigeobliegenheit zur Last, stehen dem VR auch mehrere Rücktrittsgründe zu, für die die Frist jeweils gesondert beginnt und abläuft.64

1. Fristbeginn 23 Die Monatsfrist beginnt mit Ablauf desjenigen Tages (§ 187 Abs. 1 BGB), an dem der VR von der Verletzung der Anzeigeobliegenheit sichere Kenntnis erlangt.65 Stützt der VR die Ausübung seiner Rechte auf eine Summe mehrerer Umstände, so ist zu unterscheiden: Stützt jeder von ihnen den Rücktritt, die Kündigung oder Vertragsanpassung selbständig, so beginnt die Monatsfrist jeweils selbständig ab Kenntnis jedes einzelnen Grundes.66 Sind die Umstände dagegen erst in ihrer Summe erheblich, weil beispielsweise erst aus ihrer Zusammenschau ein „Gefahrumstand“ i.S.v. § 19 Abs. 1 erwächst, beginnt die Frist erst, wenn der VR von so vielen Teilaspekten Kenntnis erlangt hat, dass er sein Recht hierauf zu stützen vermag.67 Der VR muss Kenntnis von der objektiven Verletzung der Anzeigeobliegenheit des § 19 24 Abs. 1, also der unrichtigen Beantwortung der Antragsfragen durch den VN haben.68 Dazu gehört insbesondere auch die Überzeugung, dass dem VN die nicht angezeigten Gefahrumstände bekannt waren.69 Der VR darf sich daher im Zweifel zunächst vergewissern, ob dem VN angelastet werden kann, erfragte, ihm bei Antragstellung bekannte oder in den Fällen von § 19 Abs. 1 Satz 2 vor Vertragsschluss bekannt gewordene Gefahrumstände nicht oder nicht zutreffend angegeben zu haben. Gerade die Prüfung, ob dem VN die betreffenden Gefahrumstände tatsächlich bekannt waren, wird häufig nur durch Rückfragen, z.B. bei den Ärzten, die ihn behandelt haben, möglich sein.70 Hierfür ist dem VR angemessen Zeit zu lassen.71 Dagegen ist nicht erforderlich, dass der VR auch das für die Ausübung des jeweiligen Rechts erforderliche Maß des

62 BGH 22.2.1984 VersR 1984 630; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 18; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 107. 63 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 3, 18. 64 OLG Saarbrücken 25.11.1992 VersR 1994 847; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 18; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 107; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 518. 65 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 19: Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 108; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 7. 66 Knappmann RuS 1996 81, 85; Müller RuS 2000 485, 486. 67 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 107. 68 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 19; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 109. 69 OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 5 U 190/04, VersR 2005 929. 70 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 20; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 109. 71 BGH 28.11.1990 VersR 1991 170. Rolfs

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Verschuldens des VN kennt,72 denn § 19 Abs. 3 bürdet dem VN die Darlegungs- und Beweislast dafür auf, dass ihn keine grobe Fahrlässigkeit trifft.73 Andere Stimmen im Schrifttum halten auch die Kenntnis des VR hinsichtlich des Verschuldens für erforderlich, da die Rechte des VR differenziert nach Verschulden und Verschuldensgrad des VN hiervon abhängig seien.74 Auch die Kausalität zwischen der Obliegenheitsverletzung und einem zwischenzeitlich eingetretenen Versicherungsfall ist unerheblich,75 da sie erstens für die Ausübung des Rechts unerheblich ist und zweitens hinsichtlich der fortbestehenden Leistungspflicht nach Absatz 2 wiederum den VN die Darlegungs- und Beweislast trifft. Um die Frist in Gang zu setzen, muss der VR sichere und zuverlässige Kenntnis von der 25 Anzeigepflichtverletzung erlangt haben.76 Rücktritt, Kündigung oder Vertragsanpassung belasten den VN schwer und sollen daher nur auf sicherer Tatsachengrundlage erklärt werden. Durch einen unberechtigten Rücktritt usw. des VR würde das Vertragsverhältnis schwer belastet, der VR sähe sich u.U. sogar Schadensersatzansprüchen des VN wegen unberechtigter Geltendmachung der Rechte ausgesetzt (§ 19 Rn. 131).77 Ein bloßer Verdacht setzt die Frist daher nicht in Lauf.78 Häufig erfährt der VR zunächst nur von der (aktuellen) Existenz eines Gefahrumstandes, ohne jedoch zu wissen, ob dieser bereits bei Abgabe der Vertragserklärung des VN, in den Fällen des § 19 Abs. 1 Satz 2 bei Vertragsabschluss vorhanden und dem VN bekannt war. Dem VR muss dann die Möglichkeit eingeräumt sein, mit der gebotenen Sorgfalt einer- und Eile andererseits die – möglicherweise bis zu fünf Jahre (Absatz 3) zurückliegenden – Tatsachen aufzuklären.79 Dazu kann auch die Rückfrage bei mehreren Ärzten erforderlich sein, wenn die Auskunft des ersten zwar gewisse Anhaltspunkte für das Verschweigen gefahrrelevanter Umstände, aber noch keine sichere Kenntnis hiervon verschafft hatte.80 Unterlässt der VR allerdings die gebotene Aufklärung, beginnt die Frist bereits mit Kennt- 26 nis der Verdachtsumstände.81 Der VR kann den Fristbeginn nicht dadurch unterlaufen, dass er trotz ernstlichen Anlasses zu weiteren, ihm lediglich abschließende Klarheit über seine Rücktritts-, Kündigungs- oder Vertragsanpassungsberechtigung verschaffenden Rückfragen diese zunächst unterlässt oder bewusst zurückstellt.82 Welcher Zeitraum dem VR für seine Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung steht, lässt sich allerdings nicht allgemein, sondern nur unter 72 RG 28.3.1930 RGZ 128 117, 119; BGH 13.10.1982 VersR 1983 25; 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486; Prölss/ Martin/Armbrüster § 21 Rn. 21; Müller RuS 2000 485, 485; Rixecker ZfS 2007 369, 370; Schimikowski RuS 2009 353, 357; a.A. Lücke VersR 1996 785, 786; Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 164. 73 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 5. 74 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 109; Lange RuS 2008 56, 58; Looschelders/Pohlmann/ Looschelders § 21 Rn. 3; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 7, 16; Neuhaus RuS 2009 309, 314; ders. RuS 2017 281, 288; Nugel MDR 2009 353, 357; Romahn S. 223. 75 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 21; a.A. Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 164. 76 BGH 20.9.1989 BGHZ 108 326, 328; 28.11.1990 VersR 1991 170; OGH Wien 4.9.1991 VersR 1993 995; OLG Köln 30.10.1985 RuS 1986 46; 28.4.2004 – 5 U 153/03, VersR 2004 1253; OLG Hamm 8.3.1989 VersR 1990 76; 28.4.1989 VersR 1989 1181; OLG Saarbrücken 25.1.2007 – 5 W 310/06-92, VersR 2007 1684; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 19; Müller RuS 2000 485, 486; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 7. 77 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 8. 78 BGH 30.9.1998 VersR 1999 217; OLG Hamm 4.12.2002 – 20 U 102/02, VersR 2003 758; Looschelders/Pohlmann/ Looschelders § 21 Rn. 4; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 11. 79 BGH 21.3.1990 BGHZ 111 44, 52; 28.11.1990 VersR 1991 170; OLG Köln 21.2.1985 RuS 1985 230; OLG Hamm 28.4.1989 VersR 1989 1181; OLG Saarbrücken 25.1.2007 – 5 W 310/06-92, VersR 2007 1684. 80 BGH 30.9.1998 VersR 1999 217. 81 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 22 m.w.N. 82 BGH 20.9.1989 BGHZ 108 326, 329; 20.12.2006 – IV ZR 64/04, ZfS 2008 163; vgl. auch BGH 28.11.1990 VersR 1991 170; 30.9.1998 VersR 1999 217; OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 5 U 190/04-26, VersR 2005 929; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 22; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 4; ausführlich Müller RuS 2000 485, 487 f.; Langheid/ Wandt/Muschner § 21 Rn. 12; Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 166; a.A. für eine „routinemäßige Rückfrage“ OLG Köln 28.4.2004 – 5 U 153/03, VersR 2004 1253. 87

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Ausübung der Rechte des Versicherers

Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bestimmen;83 verwehrt ist dem VR ein Verhalten, das durch Nachlässigkeit oder von Missbrauchsabsicht gekennzeichnet ist.84 Unerheblich ist jedenfalls, wann der VR absehen kann, ob er infolge eines bestimmten Ereignisses leistungspflichtig wird. Zwar mögen bei ihm aus diesem Grunde Zweifel bestehen, ob es sich wirtschaftlich lohnt, vom Versicherungsvertrag zurückzutreten und damit auf zukünftige Prämieneinnahmen zu verzichten. Für die Anwendung des § 21 ist dies jedoch ohne Bedeutung. Für den Beginn der Frist kommt es allein darauf an, ob dem VR die Verletzung der Anzeigepflicht bekannt war; es ist nicht erforderlich, dass er die wirtschaftlichen Folgen übersieht, die sich für ihn aus dem verschwiegenen Umstand ergeben können.85 Die Frist beginnt grundsätzlich, sobald der zuständige Sachbearbeiter von der Verletzung 27 der Anzeigeobliegenheit Kenntnis erlangt;86 Kenntnis des Vertretungsorgans des VR bzw. eines Organmitglieds (§§ 31, 89 BGB) ist nicht erforderlich. „Zuständig“ ist (schon) derjenige Mitarbeiter des VR, zu dessen Aufgaben es gehört, den Tatbestand der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit festzustellen. Unerheblich ist es demgegenüber, wann nach der Feststellung des Tatbestands durch die damit beauftragte Stelle eine andere, für die endgültige Prüfung und Entscheidung zuständige Person Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung erlangt.87 Zur endgültigen Prüfung und Entscheidung stellt das Gesetz dem VR eine ausreichende Frist zur Verfügung. Der Fristbeginn kann nicht dadurch hinausgeschoben werden, dass die im Rahmen des § 21 Abs. 1 wahrzunehmenden Aufgaben auf verschiedene Stellen verteilt werden oder noch eine übergeordnete Kontrollinstanz eingeschaltet wird.88 28 Die Kenntniserlangung durch andere Personen setzt die Frist in Lauf, wenn deren Kenntnis dem VR zuzurechnen ist. Eine solche Zurechnung ergibt sich zum einen unter den Voraussetzungen des § 164 Abs. 3 BGB, der analog auf Wissenserklärungsvertreter anzuwenden ist (näher § 19 Rn. 77). Daher kann die Kenntnis eines vom VR beauftragten Arztes ausreichen.89 Zum anderen ordnet § 70 an, dass der VR sich die Kenntnis des Versicherungsvertreters – nicht aber des Versicherungsmaklers oder Versicherungsberaters – zurechnen lassen muss; diese Vorschrift findet auch im Rahmen des § 21 Abs. 1 Anwendung (näher § 19 Rn. 123). Hinsichtlich der Kenntnis von Umständen, die in Datenbanken des VR oder eines Verbundes von ihnen, dem er angehört, gespeichert sind, gelten ebenfalls dieselben Regeln wie im Rahmen des § 19 (dort Rn. 120).90

2. Fristablauf 29 Die Frist berechnet sich nach den Vorschriften der § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, 193 BGB.91 Sie ist gewahrt, wenn dem VN die Erklärung innerhalb eines Monats nach dessen Kenntnis zugegangen ist (§ 130 Abs. 1 BGB).92 Zugang setzt voraus, dass die Erklärung so in den Machtbereich des VN gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, vom ihrem

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OLG Düsseldorf 16.11.2004 – I-4 U 57/04, VersR 2005 1669: Zwei Wochen sind jedenfalls nicht zu lang. BGH 30.9.1998 VersR 1999 217; Müller RuS 2000 485, 487. BGH 21.3.1990 BGHZ 111 44, 52. OLG Stuttgart 30.11.1998 VersR 1990 76; 28.9.2006 – 7 U 111/06, VersR 2007 340; OLG Düsseldorf 16.11.2004 – I-4 U 57/04, VersR 2005 1669; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 23; Hövel VersR 2008 315; Looschelders/Pohlmann/ Looschelders § 21 Rn. 2; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 16; vgl. auch BGH 28.2.2012 – VI ZR 9/11, VersR 2012 738. 87 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 23. 88 BGH 17.4.1996 VersR 1996 742. 89 Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 3; Zurechnung gem. § 70 Satz 1: Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 17. 90 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 27; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 18. 91 BGH 13.12.1989 VersR 1990 258; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 24. 92 KG 14.5.2004 – 6 W 8/04, VersR 2004 1298; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 112. Rolfs

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Inhalt Kenntnis zu nehmen.93 Bei Zustellung mit einfachem Brief geht die Erklärung nach Einwurf des Schreibens in den Briefkasten des VN diesem zu, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme gerechnet werden kann.94 Dasselbe gilt für Einwurf-Einschreiben, das allerdings dem VR keine Beweiserleichterungen hinsichtlich des Zugangs verschafft.95 Kann eine Erklärung durch Übergabe-Einschreiben wegen der Abwesenheit des Empfängers nicht zugestellt werden, wird der Zugang nicht durch den Benachrichtigungszettel der Post ersetzt, sondern tritt erst ein, wenn der Brief bei der Post abgeholt wird.96 Wird ein Nachsendeauftrag erteilt, geht die Kündigung erst zu, wenn sie dem Empfänger am Aufenthaltsort ausgehändigt wird.97 Vereitelt der VN den Zugang der Erklärung wider Treu und Glauben, muss er sich gem. 30 § 242 BGB so behandeln lassen, als sei ihm die Kündigung im Zeitpunkt der Annahmeverweigerung zugegangen.98 Allerdings besteht keine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen für Erklärungen zu treffen.99 Für die Anwendung des § 242 BGB im Rahmen des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ist deshalb mehr erforderlich als nur ein objektives Zugangshindernis im Bereich des Empfängers. Solche zusätzlichen Umstände sind gegeben, wenn der Empfänger den Zugang bewusst vereitelt oder verzögert100 oder wenn er mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechnen muss und nicht dafür sorgt, dass diese ihn erreichen.101 Ein derartiger Vorwurf ist dem VN etwa dann zu machen, wenn er bei der Zustellung nicht angetroffen wurde und trotz einer Benachrichtigung den bei der Post niedergelegten Brief102 oder das dort aufbewahrte Übergabe-Einschreiben103 nicht abholt, obwohl er von der Benachrichtigung Kenntnis erhalten hat. Als Zeitpunkt des Zugangs kann in diesem Fall aber nicht der vergebliche Zustellungsversuch angenommen werden, sondern der Tag, an dem der Empfänger den Brief unter normalen Umständen bei der Post hätte abholen können, also am nächsten Werktag.104

III. Leistungsfreiheit (Absatz 2) Der Rücktritt des VR hat an sich zur Folge, dass das Versicherungsverhältnis in ein Rückgewähr- 31 schuldverhältnis umgewandelt wird: Die primären Leistungspflichten der Parteien erlöschen und sie haben einander das Empfangene zurückzugewähren (§ 346 Abs. 1 BGB).105 Hiervon macht Absatz 2 zu Lasten des VR eine beachtliche Ausnahme: Seine Leistungspflicht besteht für vor Zugang der Rücktrittserklärung beim VN eingetretene Versicherungsfälle fort, wenn es an jeder Kausalität zwischen der Anzeigepflichtverletzung und der Leistungspflicht des VR für

93 RG 3.5.1934 RGZ 144 289, 292; BGH 3.11.1976 BGHZ 67 271, 275; 26.11.1997 BGHZ 137 205, 208; 21.1.2004 – XII ZR 214/00, NJW 2004 1320.

94 BGH 21.1.2004 – XII ZR 214/00, NJW 2004 1320; 5.12.2007 – XII ZR 148/05, NJW 2008 843; Langheid/Wandt/ Muschner § 21 Rn. 27. 95 LG Potsdam 27.7.2000 – 11 S 233/99, NJW 2000 3722; a.A. AG Paderborn 3.8.2000 – 51 C 76/00, NJW 2000 3722; AG Erfurt 20.6.2007 – 5 C 1734/06, WuM 2007 580. 96 BGH 17.4.1996 VersR 1996 742; 26.11.1997 BGHZ 137 205, 208; näher Bauer/Diller NJW 1998 2795 ff.; Looschelders VersR 1998 1198 ff. 97 Palandt/Ellenberger § 130 BGB Rn. 6. 98 Vgl. BGH 27.10.1982 NJW 1983 929; KG 14.5.2004 – 6 W 8/04, VersR 2004 1298. 99 BGH 18.12.1970 VersR 1971 262; 3.11.1976 BGHZ 67 271, 278. 100 BGH 17.4.1996 VersR 1996 742; 26.11.1997 BGHZ 137 205, 209 f. 101 BGH 18.12.1970 VersR 1971 262; 17.4.1996 VersR 1996 742. 102 BGH 3.11.1976 BGHZ 67 271, 277. 103 LG Aachen 22.3.1989 WuM 1989 250. 104 LG Freiburg 1.7.2004 – 3 S 317/03, NZM 2004 617. 105 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 114. 89

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den konkreten Versicherungsfall fehlt.106 Für die Kündigung (§ 19 Abs. 3 Satz 2) stellt sich das Problem nicht, weil sie ohnehin nur ex nunc wirkt. 32 Bei der Vertragsanpassung führt das Gesetz zu einem Wertungswiderspruch:107 Beruhte die Anzeigepflichtverletzung auf leichter Fahrlässigkeit, kann der VR das Vertragsverhältnis mit Wirkung für die Zukunft kündigen, falls nicht eine Vertragsanpassung möglich ist, die aber auf den Beginn des Vertragsverhältnisses zurückwirkt (§ 19 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2). Kündigt er, kann der VN die Versicherungsleistung beanspruchen; passt er den Vertrag aber rückwirkend an, kann dies bei einem Risikoausschluss oder einer Verlängerung der Wartezeit Leistungsfreiheit zur Folge haben. Da der VN aber bei schuldloser Obliegenheitsverletzung nicht schlechter stehen darf als bei schuldhafter, ergibt sich die Notwendigkeit der analogen Anwendung von Absatz 2 auf diesen Fall: Der VR bleibt bei mangelnder Kausalität trotz der Rückwirkung seiner Vertragsanpassung zur Leistung verpflichtet.108 Andere Stimmen in der Literatur erwägen eine teleologische Reduktion contra legem dahingehend, dass eine Vertragsanpassung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit möglich sei oder die Wirkung des Risikoausschlusses nur ex nunc ab Einfügung in den Vertrag besteht.109 Andere halten diesen Wertungswiderspruch nach dem Zweck des Gesetzes, möglichst den Fortbestand des Versicherungsvertrages zu sichern, für unumgänglich.110

1. Tatbestand 33 a) Rücktritt nach Eintritt des Versicherungsfalles. Der VR muss das Rücktrittsrecht des § 19 Abs. 2 wirksam ausgeübt haben. Eine Kündigung nach § 19 Abs. 3 wirkt nur in die Zukunft und kann Leistungsfreiheit nicht zur Folge haben. Absatz 2 dürfte allerdings analog anzuwenden sein, wenn der VR den Vertrag nach § 19 Abs. 4 angepasst hat. Denn diese Anpassung erfolgt rückwirkend (ab Beginn des Versicherungsverhältnisses, selbst bei einer unverschuldeten Anzeigepflichtverletzung des VN auf Verlangen des VR ab Beginn der laufenden Versicherungsperiode). Es stellte aber einen nicht zu rechtfertigenden Wertungswiderspruch dar, wenn der grob fahrlässig handelnde VN seinen Versicherungsanspruch unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 behielte, der nur leicht fahrlässig oder gar schuldlos seine Anzeigeobliegenheit verletzende VN ihn dagegen verlöre.111 Da die Willenserklärung des VR mit ihrem Zugang wirksam wird (§ 130 Abs. 1 BGB), kommt es auf diesen Zeitpunkt an. Für gedehnte Versicherungsfälle, die zum Teil vor, zum Teil nach Zugang der Rücktrittserklärung liegen, gilt Absatz 2 auch in Bezug auf den späteren Teil (§ 19 Rn. 142). Ist der VR vor Eintritt des Versicherungsfalles zurückgetreten, ist er ohne weiteres leistungsfrei.112

34 b) Fehlende Kausalität. Die Leistungspflicht des VR bleibt bestehen, wenn der unter objektiver Verletzung des § 19 Abs. 1 nicht angezeigte Umstand weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht

106 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 33; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 115. 107 S.a. Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 111 ff. 108 Lange RuS 2008 56, 61; Rolfs FS E. Lorenz, 389, 404 f.; Schimikowski RuS 2009 353, 355; s.a. Looschelders VersR 2011 697, 703.

109 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 134; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 19 Rn. 70. 110 Prölss/Martin/Armbrüster § 19 Rn. 117; Langheid/Rixecker/Langheid § 19 Rn. 114; Langheid/Wandt/Langheid § 19 Rn. 145; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 49; Neuhaus RuS 2008 45, 50; Tschersich RuS 2012 53, 54 f.; s.a. LG Dortmund 17.12.2009 – 2 O 399/09, VersR 2010 465. 111 Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 140 f.; Lange RuS 2008 56, 61; a.A. Langheid NJW 2007 3665, 3668. 112 BGH 23.5.2001 – IV ZR 130/00, VersR 2001 1014; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 17. Rolfs

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des VR ursächlich war.113 Nicht relevant ist die Adäquanz des verschwiegenen Umstands für den Schaden.114 Andere Kausalitäten sind demgegenüber unerheblich; insbesondere ist nicht von Belang, ob der VR bei Kenntnis des Gefahrumstandes den Versicherungsvertrag gar nicht abgeschlossen hätte.115 Dies ist – außer bei Vorsatz – bereits Voraussetzung für den Rücktritt, weil eine Vertragsanpassung gem. § 19 Abs. 4 Satz 1 Vorrang vor dem Rücktritt hat.

aa) Zwischen der Anzeigepflichtverletzung und der Feststellung und dem Eintritt des 35 Versicherungsfalles. Der VR bleibt nur dann leistungspflichtig, wenn der Versicherungsfall völlig unabhängig von dem verschwiegenen Umstand eingetreten ist und festgestellt werden kann, oder umgekehrt: Leistungsfreiheit besteht schon dann, wenn der Umstand auch nur mitursächlich war.116 Hat der VN mehrere Umstände pflichtwidrig nicht angezeigt, muss er den Nachweis führen, dass keiner von ihnen kausal geworden ist. Kausalität besteht zwischen der verschwiegenen nervösen Erschöpfung, Arbeitsneurose 36 und Kollapszuständen einerseits und der den Selbstmord des VN auslösenden krankhaften Depression andererseits,117 zwischen einer Depression und einem späteren Selbstmordversuch,118 zwischen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule und einem späteren Bandscheibenschaden;119 zwischen Auswirkungen von altersvorauseilenden degenerativen Erkrankungen der HWS und Berufsunfähigkeit wegen Unfalls und daraus resultierender Verletzung der Bandstrukturen der Wirbelsäule120 und sogar zwischen einem verschwiegenen Leiden und einer körperlichen Beeinträchtigung des VN, die Folge eines Kunstfehlers bei der Operation dieses Leidens war.121 Kausalität besteht nicht zwischen einer Wespenstichallergie und einem durchlittenen 37 Magen-Darm-Infekt einerseits und einer Berufsunfähigkeit infolge depressiver Störung der Persönlichkeit andererseits,122 zwischen den Eigentumsverhältnissen an feuerversicherten Gegenständen und deren Zerstörung durch das Feuer,123 zwischen dem falsch angegebenen Nettoeinkommen des VN und seiner Erkrankung in der Krankentagegeld- oder Verletzung in der Unfalloder Berufsunfähigkeitsversicherung,124 zwischen einem verschwiegenen Zwölffingerdarmgeschwür, Rückenbeschwerden und eingetretener Berufsunfähigkeit wegen degenerativer Knorpelschäden am Knie125 oder zwischen verschwiegenen Rückenbeschwerden und den Folgen einer Borreliose-Erkrankung.126 113 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 117; zum österreichischen Recht OGH Wien 20.12.2017 – 7 Ob 175/17 m, VersR 2019 62.

114 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 35; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 119; a.A. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 16; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 53; unklar Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 21 Rn. 27 „Äquivalenztheorie unter Berücksichtigung der Adäquanztheorie“. 115 RG 20.9.1927 RGZ 118 57, 58; BGH 20.11.1984 VersR 1985 154; 11.7.1990 VersR 1990 1002; 3.4.1996 VersR 1996 830; OGH Wien 4.9.1991 VersR 1993 995; OLG Hamm 28.10.1988 RuS 1989 1; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 34; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 118; Knappmann RuS 1996 81, 84; Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 26; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 517; a.A. Henrichs VersR 1989 230, 231. 116 BGH 25.10.1989 VersR 1990 297; OLG Köln 9.2.1990 VersR 1990 369 (dazu Wriede VersR 1990 1001); Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 21 Rn. 27; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 119; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 15; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 53; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 14. 117 BGH 13.3.1991 VersR 1991 575. 118 OLG Köln 10.11.1986 RuS 1987 56; ähnlich LG Heidelberg 16.6.1988 RuS 1989 163. 119 OLG Köln 13.4.1989 RuS 1990 65. 120 LG Köln 4.3.2009 – 26 O 497/06, BeckRS 2009 16628. 121 BGH 11.7.1990 VersR 1990 1002. 122 BGH 7.3.2007 – IV ZR 133/06, VersR 2007 821. 123 BGH 20.11.1984 VersR 1985 154. 124 BGH 3.4.1996 VersR 1996 830; OLG Hamm 20.12.1985 VersR 1986 164. 125 LG Wiesbaden 8.5.2009 – 10 O 109/07, BeckRS 2009 45472. 126 LG Dortmund 12.1.2011 – 2 O 3/10, RuS 2014 208. 91

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Ausübung der Rechte des Versicherers

Unterschiedlich beurteilt wird, wie bloß gefahrerhöhende Umstände einzuordnen sind.127 Das OLG Hamm hat sich diesbezüglich auf den Standpunkt gestellt, der dem VN obliegende Negativbeweis mangelnder Kausalität zwischen den bei ihm diagnostizierten Vorschäden und dem Eintritt des Versicherungsfalls sei schon dann als geführt anzusehen, wenn nach der Lebenserfahrung nicht davon ausgegangen werden kann, dass die „Vorschäden“ die objektive Möglichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls in nicht unerheblicher Weise erhöht hätten.128 Armbrüster ordnet diese bei fehlender Kausalität als indizierende Umstände ein.129 In gleicher Weise verneint die Rechtsprechung Kausalität zwischen subjektiv risikoerhöhenden Umständen und dem Eintritt des Versicherungsfalls,130 so etwa beim Verschweigen einer Doppelversicherung,131 von Vorversicherungen oder abgelehnten Versicherungsanträgen.132 Dem ist mit Blick auf den Normzweck des Absatzes 2 (Rn. 7) beizutreten: Hat sich die erhöhte Gefahr nicht realisiert, ist der VR in seinen kalkulatorischen Grundlagen durch die Aufnahme des an sich nicht gleichgefährdeten Risikos durch diesen Versicherungsfall nicht beeinträchtigt worden. 39 Ein ähnliches Problem stellt sich im Hinblick auf bloß indizierende Umstände (zu ihnen § 19 Rn. 53 f.). Hat der VR beispielsweise gefragt, wie viele und welche Ärzte der VN innerhalb der letzten fünf Jahre aufgesucht hat, hat die Falschbeantwortung dieser Frage keine kausalen Auswirkungen auf eine spätere Krankheit oder den Tod des VN. Hier wird allerdings mittlerweile ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass durch das Verschweigen des indizierenden Umstandes, der auf das Bestehen des Gefahrumstandes hindeutet, der Gefahrumstand selbst verschwiegen wird. So hat etwa das OLG Hamburg entschieden, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen indizierenden Umständen wie Krankheitssymptomen und dem Eintritt des Versicherungsfalls gegeben ist, wenn die Angabe von Symptomen zur Feststellung des für den Versicherungsfall ursächlichen Gefahrenumstands geführt haben würde. Der VN müsse daher nachweisen, dass die Erkrankung (hier: degenerative Bandscheibenveränderung), die ursächlich für den Versicherungsfall (hier: Bandscheibenvorfall) war, nicht auf das von ihm verschwiegene Symptom (hier: Lumbalgie) zurückzuführen ist.133 Dem ist beizutreten.134

38

40 bb) Zwischen der Anzeigepflichtverletzung und der Feststellung und dem Umfang der Leistungspflicht des Versicherers. Voraussetzung der Leistungspflicht des VR ist zudem, dass die vorvertragliche Obliegenheitsverletzung des VN weder auf die Feststellung noch auf den Umfang der Leistungspflicht des VR Einfluss hatte, wobei in teleologischer Reduktion der Vorschrift nur Erhöhungen des Schadens Berücksichtigung finden.135 Die inhaltliche Legitimation der vollständigen Leistungsfreiheit des VR bei bloßen Schadenserhöhungen lässt sich nur mit zweifelhaften generalpräventiven Argumenten erbringen, daraus hat der österreichische – nicht aber der deutsche – Gesetzgeber die Konsequenz gezogen, dem VR Leistungsfreiheit nur insoweit zu gewähren, als die Pflichtverletzung Einfluss auf den Leistungsumfang hat. 127 128 129 130

Zum Streitstand Langheid NJW 1991 268, 271. OLG Hamm 29.1.1992 VersR 1992 1206. Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 39. Ausführlich Honsell VersR 1982 112, 114; zustimmend Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 37; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 18; Schirmer RuS 1999 1, 5; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 121; Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 32; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 56. 131 OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229; OLG Frankfurt/Main 29.1.1991 VersR 1992 41. 132 OLG Hamm 6.12.1989 VersR 1990 1337; 23.9.1992 RuS 1993 351; OLG Köln 13.9.1990 VersR 1992 231; 29.10.1992 RuS 1993 72; OLG Frankfurt/Main 10.6.2005 – 25 U 115/04, VersR 2005 1429; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 36. 133 OLG Hamburg 29.1.1987 VersR 1988 396. 134 Ebenso OLG Karlsruhe 15.12.1988 RuS 1990 138; OLG Köln 23.2.1989 VersR 1989 506; OLG Hamm 29.1.1992 VersR 1992 1206; OLG Köln 4.3.1993 RuS 1994 315; OLG Düsseldorf 17.6.1997 VersR 1998 349; Langheid/Rixecker/ Langheid § 21 Rn. 34; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 119; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 242. 135 Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 38. Rolfs

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B. Ausübung der Rechte des § 19 Abs. 2 bis 4

VVG § 21

In der Schadensversicherung sind alle Umstände kausal, die den Schaden, wenn auch 41 nur geringfügig, erhöht haben.136 In Extremfällen geringster Auswirkungen wird man über § 242 BGB eine Korrektur erwägen müssen.137 Betrifft die Anzeigepflichtverletzung nur unversicherte Teile des Schadens, fehlt es an einem Zusammenhang zwischen ihr und dem vom VR zu tragenden Schaden. Kausal ist dagegen das Verschweigen solcher Gefahrumstände, die den VR zu weiteren Ermittlungen zur Schadenshöhe veranlasst hätten.138 In der Summenversicherung kann ein Kausalzusammenhang beispielsweise bestehen, 42 wenn der VR in Kenntnis des nicht angezeigten Gefahrumstandes nur eine niedrigere Versicherungssumme oder einen höheren Selbstbehalt des VN vereinbart hätte. Ob der VR auf diese Weise reagiert hätte, ist allerdings nur bei vorsätzlicher (wenn auch nicht arglistiger, Rn. 44 f.) Obliegenheitsverletzung durch den VN von Belang, weil bei grober Fahrlässigkeit eine entsprechende Anpassung des Vertrages möglich und damit der Rücktritt ohnehin ausgeschlossen ist (§ 19 Abs. 4 Satz 1). Besonderheiten ergeben sich, wenn der VR infolge des nicht angezeigten Gefahrumstandes 43 seine Leistung bedingungsgemäß herabsetzen darf: So mindert sich gem. Ziff. 3 AUB 2014 (ähnlich § 10 Abs. 1 AUB 61, § 8 AUB 94, Ziff. 3 AUB 2008) die Leistung des Unfallversicherers, wenn Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt haben, im Falle einer Invalidität um den Prozentsatz des Invaliditätsgrades und in allen anderen Fällen der Leistung einschließlich des Todesfalles entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens. Dementsprechend ist der VR bei einer Vorerkrankung des VN berechtigt, seine Leistung quotal zu verringern; gleichgültig, ob ihm diese pflichtgemäß vorvertraglich angezeigt worden war oder nicht. Auf die Höhe seiner Versicherungsleistung hat die Obliegenheitsverletzung daher keinen Einfluss, was die Anwendung von Absatz 2 ausschließt.139

c) Keine arglistige Verletzung der Anzeigeobliegenheit. Der VR ist trotz fehlender Kausa- 44 lität leistungsfrei, wenn der VN seine Anzeigeobliegenheit arglistig verletzt hat.140 Diese Einschränkung ist im VVG 2008 neu, sie erschien dem Gesetzgeber aus generalpräventiven Erwägungen erforderlich.141 Arglist bedeutet mehr als Vorsatz, bloß wissentlich falsche oder unterlassene Angaben genügen nicht. Vielmehr muss der VN auf die Entschließung des VR Einfluss nehmen wollen, mit der Möglichkeit rechnen und diese in Kauf nehmen, dass der VR bei Kenntnis des wahren Sachverhalts seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde.142 Näheres dazu bei § 22 Rn. 20 ff. Da der VR bei arglistiger Täuschung des VN über Gefahrumstände den Versicherungsvertrag 45 nach § 22 i.V.m. § 123 BGB anfechten kann und dann ohnehin leistungsfrei ist (§ 22 Rn. 36), hat Absatz 2 Satz 2 nur geringe Bedeutung.143 Die Vorschrift kommt namentlich dann zum Zuge, wenn der VR trotz der Arglist des VN von seinem Anfechtungsrecht keinen (wirksamen) Gebrauch macht und stattdessen (nur) zurücktritt.144 136 Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 38. 137 Vgl. BGH 25.6.1956 BGHZ 21 122, 136; 16.1.1970 BGHZ 53 160, 164; 2.10.1985 BGHZ 96 88, 92; 11.2.1987 BGHZ 100 60, 64; 8.5.2003 – VII ZR 216/02, NJW 2003 2448; krit. Romahn S. 256 f. 138 Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 38; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 19. 139 Wie hier Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 41; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 38. 140 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 44; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 125; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 23. 141 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66. 142 BGH 25.10.1989 VersR 1990 297; OLG Düsseldorf 26.4.1994 VersR 1995 35; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 125; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 23. 143 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 44. 144 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 125; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 19. 93

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§ 21 VVG

Ausübung der Rechte des Versicherers

2. Rechtsfolge 46 Der VR bleibt abweichend von § 346 Abs. 1 BGB trotz seines Rücktritts zur Leistung verpflichtet. „Leistung“ ist die vollständige bedingungsgemäße Leistung einschließlich der Rettungskosten (§ 83) und der Schadensermittlungskosten (§ 85). Das Rücktrittsrecht selbst wird durch § 21 Abs. 2 nicht berührt. Der VR ist daher mit Wirkung für die Zukunft leistungsfrei. Auch hinsichtlich der in der Vergangenheit liegenden Versicherungsfälle hat der VN ihm grundsätzlich alle von ihm gewährten Leistungen zurückzuerstatten (§ 346 Abs. 1 BGB). Lediglich für den Versicherungsfall, für den die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt sind, bleibt die Leistungspflicht des VR bestehen. Der VR kann daher ggf. mit seinen Rückforderungsansprüchen wegen früherer, kausaler Versicherungsfälle gegen den Leistungsanspruch des VN hinsichtlich des jetzt in Rede stehenden, nicht kausalen Versicherungsfalls aufrechnen (§ 387 BGB).

IV. Ausschlussfrist (Absatz 3) 1. Allgemeine (fünfjährige) Ausschlussfrist (Satz 1) 47 Die Rechte des VR aus § 19 Abs. 2 bis 4, also sein Rücktritts-, Kündigungs- und Vertragsanpassungsrecht bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht, erlöschen nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss. Diese allgemeine Ausschlussfrist ist zwar neu, sie erscheint aber gerechtfertigt, da seit der Schuldrechtsreform 2002 selbst die Anfechtung bei arglistiger Täuschung ausgeschlossen ist, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre (bis 31.12.2001: 30 Jahre) verstrichen sind (§ 124 Abs. 3 BGB).145 Die Frist beginnt mit dem Vertragsschluss, in aller Regel also mit Zugang der Annahmeer48 klärung des VR beim VN (formeller Versicherungsbeginn) und läuft auch bei Verlängerungen nach § 11 Abs. 1 und bei Vertragsänderungen, die ohne erneute Risikoprüfung erfolgen, weiter.146 Sie berechnet sich nach den Vorschriften der § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB. § 193 BGB findet Anwendung. Zu ihrer Wahrung ist es erforderlich, dass die Erklärung des VR dem VN rechtzeitig zugeht (§ 130 Abs. 1 BGB).147 Erfolgt der Rücktritt, die Kündigung oder Vertragsanpassung erst nach Fristablauf, ist sie unwirksam. Der VR kann aus seiner Erklärung keine Rechte mehr herleiten, insbesondere ist er unabhängig von den Voraussetzungen des Absatzes 2 leistungspflichtig, wenn sich ein versichertes Risiko realisiert. 49 Die Ausschlussfrist gilt nicht für Versicherungsfälle, die innerhalb ihres Laufes eingetreten sind (Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 2).148 Mit dieser Einschränkung wollte der Gesetzgeber vermeiden, dass der VN Versicherungsfälle erst nach Ablauf der Frist dem VR meldet, um ihm die Ausübung seiner Rechte abzuschneiden.149 Dieses legislative Anliegen ist zwar berechtigt, wirft aber dogmatische und praktische Probleme auf. Denn der Rücktritt, die Kündigung oder die Vertragsanpassung betreffen ja nicht nur einzelne Versicherungsfälle, sondern das gesamte Versicherungsverhältnis. Es kann aber wohl nicht angenommen werden, dass dem VR hiermit ein Teilrücktritt usw., bezogen allein auf die innerhalb der Frist eingetretenen Versicherungsfälle, eingeräumt werden sollte, der den Bestand des Versicherungsverhältnisses im Übrigen unberührt lässt. Gemeint ist wohl, dass die Ausübung der Rechte auch nach Ablauf der fünfjährigen Frist möglich

145 146 147 148

Römer VersR 2006 740, 744. Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 45. OLG Düsseldorf 26.4.1994 VersR 1995 35 (zu § 6 Abs. 3 ALB 86). OLG Braunschweig 2.12.2015 – 3 U 62/14, VersR 2016 579; Wandt Rn. 851; vgl. für entsprechende Regelungen in AVB schon früher OLG Koblenz 27.10.1995 VersR 1996 1222; 24.11.2000 – 10 U 1220/09, NVersZ 2001 355; a.A. OLG Köln 15.9.1997 VersR 1998 1495. 149 BTDrucks. 16/5862, S. 99. Rolfs

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C. Allgemeine Versicherungsbedingungen

VVG § 21

ist, wenn der VR von einer Anzeigepflichtverletzung nach Fristablauf durch einen Versicherungsfall, der innerhalb der Frist eingetreten ist, Kenntnis erlangt.150

2. Verlängerte Ausschlussfrist bei Vorsatz oder Arglist (Satz 2) Die Ausschlussfrist verlängert sich im Fall einer vorsätzlichen oder arglistigen Pflichtverletzung 50 des VN auf zehn Jahre (Absatz 3 Satz 2). Eine unbefristete Beibehaltung des Rücktrittsrechts, wie § 178k Satz 2 a.F. sie vorsah, erschien dem Reformgesetzgeber angesichts der zeitlichen Beschränkung des Anfechtungsrechts auf zehn Jahre (§ 124 Abs. 3 BGB) auch bei Arglist als zu weitgehend; andererseits sollte ein VN, der mit Vorsatz handelt, nicht von der kürzeren Ausschlussfrist profitieren können.151 Zum Begriff des Vorsatzes siehe § 19 Rn. 99, zur Arglist § 22 Rn. 20 ff. Hinsichtlich des Fristbeginns, ihrer Berechnung und ihres Ablaufs gelten die Bemerkungen 51 von Rn. 48 entsprechend. Fraglich ist, ob auch der 2. Halbsatz des Satzes 1 auf die verlängerte Frist anzuwenden ist, ob also der Rücktritt usw. auch noch nach Ablauf der Zehn-Jahres-Frist erklärt werden kann, wenn die Kenntnis des VN auf einem Versicherungsfall beruht, der innerhalb dieser Frist eingetreten ist. Im Ergebnis wird man dies verneinen müssen:152 Es wäre sachlich nicht zu rechtfertigen, wenn der VN bei (nur) vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung und daraus resultierendem Rücktrittsrecht des VR (§ 19 Abs. 2) schlechter stünde als bei einer arglistigen Täuschung. Dort aber ist das Anfechtungsrecht des VR auf zehn Jahre befristet (§ 124 Abs. 3 BGB), eine Verlängerung bei verspätet erlangter Kenntnis kennt das Gesetz nicht.153 Der BGH hat zudem klargestellt, dass die Regelungen des § 21 Abs. 3 nicht auf die Frist des § 124 Abs. 3 BGB durchschlagen.154

3. Sonderregelungen in einzelnen Versicherungssparten In der Krankenversicherung ist die allgemeine Ausschlussfrist des Satzes 1 wegen der beson- 52 deren sozialen Bedeutung dieser Versicherungssparte – wie früher (§ 178k Satz 1 a.F.) – auf drei Jahre abgekürzt (§ 194 Abs. 1 Satz 4). Die verlängerte Frist bei Vorsatz oder Arglist beträgt aber auch hier zehn Jahre. Auf eine Sonderregelung in der Lebensversicherung hat der Gesetzgeber anlässlich der 53 VVG-Reform verzichtet. Da die VR in ihren AVB die frühere gesetzliche Rücktrittsfrist von zehn Jahren (§ 163 Satz 1 a.F.) ohnehin auf drei Jahre verkürzt hatten (§ 6 Abs. 3 Satz 1 ALB 86, § 7 Abs. 3 Satz 1 ALB 94), erschien eine Abweichung von den allgemeinen Bestimmungen nicht mehr erforderlich.

C. Allgemeine Versicherungsbedingungen § 21 ist halbzwingend, von ihm kann also in AVB nicht zum Nachteil des VN abgewichen wer- 54 den (§ 32 Satz 1). Dies gilt namentlich mit Blick auf die Leistungspflicht des VR trotz Rücktritts oder Kündigung bei gedehnten Versicherungsfällen (Rn. 33). 150 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 45. 151 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. 152 Romahn S. 269; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 21 Rn. 21; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 41; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 65.

153 Palandt/Ellenberger § 124 BGB Rn. 4, § 121 BGB Rn. 5; MüKo-BGB/Armbrüster § 121 Rn. 17; Staudinger/Singer/ von Finckenstein § 124 BGB Rn. 8; Bamberger/Roth/Wendtland § 124 BGB Rn. 7. 154 BGH 25.11.2015 – IV ZR 277/14, VersR 2016 101; hierzu Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 28. 95

Rolfs

§ 21 VVG

Ausübung der Rechte des Versicherers

I. Zustellungsbevollmächtigte 55 Der VR hat ein Interesse daran, einen eindeutigen Empfänger vertraglich zu vereinbaren, dem gegenüber (insbesondere in der Lebensversicherung nach dem Tod des VN) rechtswirksam Erklärungen abgegeben werden können, ohne dass der VR u.U. aufwändige Ermittlungen zu den Erben des VN anstellen muss, über die die Monatsfrist des § 21 Abs. 1 zu verstreichen droht. Dementsprechend bestimmt z.B. § 6 Abs. 19 ALB (Stand 14.11.2019): „Unsere Rechte zum Rücktritt, zur Kündigung, zur Vertragsänderung sowie zur Anfechtung üben wir durch eine schriftliche Erklärung aus, die wir Ihnen gegenüber abgeben. Sofern Sie uns keine andere Person als Bevollmächtigten benannt haben, gilt nach Ihrem Tod ein Bezugsberechtigter als bevollmächtigt, diese Erklärung entgegenzunehmen. Ist kein Bezugsberechtigter vorhanden oder kann sein Aufenthalt nicht ermittelt werden, können wir den Inhaber des Versicherungsscheins als bevollmächtigt ansehen, die Erklärung entgegenzunehmen.“ 56 Derartige Vertragsklauseln sind sowohl mit Blick auf § 32 Satz 1 als auch § 307 BGB unbedenklich.155 Dass eine Vollmacht im Rahmen des § 168 Satz 1 BGB über den Tod des Vollmachtgebers hinaus wirken und auch erst für den Fall des Todes bestellt werden kann, ist von jeher allgemein anerkannt; sie wirkt nach dem Tod des Vollmachtgebers als Vollmacht sämtlicher Erben.156 Gerade an der Erteilung einer solchen nach seinem Tod wirkenden Vollmacht kann der Vollmachtgeber mit Blick auf seine Rechtsnachfolger, aber auch seinen Vertragspartner ein besonderes Interesse haben. Denn dadurch wird sichergestellt, dass nach seinem Tod ohne Rücksicht auf die oft zeitraubenden Feststellungen über die Rechtsnachfolge und die Legitimation der Erben dringend notwendige Rechtsgeschäfte abgewickelt werden können. Solche Vollmachten können auf bestimmte Wirkungskreise, insbesondere die Abgabe und den Empfang von Willenserklärungen im Rahmen bestimmter Verträge, beschränkt werden. Für Versicherungsverträge gilt insoweit nichts anderes.157 57 Ist eine solche Empfangsvollmacht in der Weise vereinbart, dass vorrangig der Bevollmächtigte zu informieren ist, verstößt der VR gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn er den Rücktritt, die Kündigung oder die Vertragsanpassung nur einer anderen, ebenfalls empfangszuständigen Person gegenüber erklärt.158

II. Ausschlussfrist 58 Die Ausschlussfrist des Absatzes 3 kann in AVB verkürzt werden, weil dies dem VN günstig ist. Solche Bestimmungen enthielten früher die AVB für die kapitalbildende Lebensversicherung (§ 6 Abs. 3 Satz 1 ALB 86, § 7 Abs. 3 Satz 1 ALB 94: jeweils drei Jahre). Demgegenüber wäre eine Verlängerung dieser Frist gem. § 32 Abs. 1 unwirksam. Die neuen ALB (Stand 14.11.2019) weichen vom Gesetz nicht mehr ab, sondern sehen in wörtlicher Übereinstimmung mit Absatz 3 eine fünfjährige, bei Vorsatz und Arglist zehnjährige Frist zur Ausübung des Rücktritts-, Kündigungsund Vertragsanpassungsrechts vor (§ 6 Abs. 16 ALB [Stand 14.11.2019]).

D. Darlegungs- und Beweislast I. Beweislast des Versicherers 59 Den VR trifft im Rahmen von Absatz 1 die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Ausübung seiner Rechte, also für den Zugang der Rücktritts-, Kündigungs- oder Vertragsanpas155 So auch Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 4. 156 RG 10.1.1923 RGZ 106 185, 187; BGH 18.4.1969 NJW 1969 1245; 5.5.1982 VersR 1982 746. 157 BGH 5.5.1982 VersR 1982 746; 24.3.1993 VersR 1993 868; OLG Stuttgart 20.5.1981 VersR 1982 797; OLG Karlsruhe 2.5.1991 VersR 1992 687; siehe aber auch KG 3.12.1991 VersR 1993 557.

158 BGH 24.3.1993 VersR 1993 868.; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 4. Rolfs

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D. Darlegungs- und Beweislast

VVG § 21

sungserklärung, die Wahrung der schriftlichen Form und den Inhalt seiner Begründung (nicht aber die Fristwahrung: Rn. 62). Ist seine Erklärung dem VN nicht fristgerecht zugegangen, muss er darlegen und beweisen, dass der VN den Zugang wider Treu und Glauben vereitelt hat.159 Ist der VR vom Versicherungsvertrag zurückgetreten, ist er nach Absatz 2 im Grundsatz 60 leistungsfrei. Insoweit hat er nichts zu veranlassen. Nur wenn es dem VN gelingt, den Nachweis der fehlenden Kausalität zu führen, der VR sich aber auf Arglist (Satz 2) beruft, ist es an ihm, diese Arglist nachzuweisen. Das Gesetz vermutet bei einer objektiven Verletzung der Anzeigepflicht nur grobe Fahrlässigkeit des VN (§ 19 Rn. 172), ein schwereres Verschulden wie die Arglist darzulegen und zu beweisen ist Sache des VR.160 Hat der VR die Rechte aus § 19 Abs. 2 bis 4 nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist des Absatzes 3 61 Satz 1 ausgeübt, muss er darlegen und im Streitfall beweisen, dass er erst infolge eines Versicherungsfalles, der vor Ablauf der Frist eingetreten ist, Kenntnis von der Anzeigepflichtverletzung erlangt hat. Ebenso muss er Vorsatz oder Arglist des VN nachweisen, wenn er sich darauf beruft, dass die Ausschlussfrist nach Satz 2 auf zehn Jahre verlängert ist.161

II. Beweislast des Versicherungsnehmers Macht der VN geltend, dass die einmonatige Ausübungsfrist des Absatzes 1 bei Zugang der 62 Rücktritts-, Kündigungs- oder Vertragsanpassungserklärung bereits verstrichen war, weil der VR bereits länger als einen Monat Kenntnis von der Anzeigepflichtverletzung hatte, so ist es an ihm, darzulegen und nachzuweisen, wann dem VR die fehlerhafte Anzeige der Gefahrumstände bekannt geworden ist.162 Dies ist freilich nicht ganz unproblematisch, da es um Umstände geht, die in den Wahrnehmungs- und Kontrollbereich des VR fallen. Man wird es insoweit ausreichen lassen müssen, dass der VN substantiiert Umstände vorträgt, die für eine frühere Kenntnis des VR sprechen, um sodann die sekundäre Beweislast des VR (zu ihr näher § 19 Rn. 176) auszulösen.163 Beruft der VN sich darauf, dass die Leistungspflicht des VR gem. Absatz 2 trotz dessen 63 Rücktritts fortbesteht, ist es an ihm, den Beweis der fehlenden Kausalität zu führen.164 Es gelten die im Zivilrecht allgemein üblichen Kausalitätsgrundsätze.165 Der VN muss den negativen Beweis führen, dass der nicht, nicht richtig oder nicht vollständig angezeigte Umstand weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles, noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich geworden ist. Es genügt nicht, dass er die bloße

159 Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 21 Rn. 37; Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 15; ausführlich Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 28. 160 Pohlmann VersR 2008 437, 438. 161 Vgl. OLG Düsseldorf 26.4.1994 VersR 1995 35. 162 BGH 29.5.1980 VersR 1980 762; 28.11.1990 VersR 1991 170; OGH Wien 4.9.1991 VersR 1993 995; OLG Frankfurt/ Main 14.5.1974 VersR 1975 632; OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 5 U 190/04-26, VersR 2005 929; OLG Düsseldorf 16.11.2004 – I-4 U 57/04, VersR 2005 1669; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 21 Rn. 38; Lange RuS 2008 56, 58; Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 11; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 23. 163 OLG Stuttgart 28.9.2006 – 7 U 111/06, VersR 2007 340; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 28; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Härle § 21 Rn. 38; Hövel VersR 2008 315, 316; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 11; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 23. 164 BGH 25.10.1989 VersR 1990 297; 21.11.2007 – IV ZR 129/05, VersR 2008 382; 29.3.2017 – IV ZR 510/15, VersR 2017 738: richterliche Hinweispflicht bei erstmaliger Relevanz in der Berufungsinstanz; OLG Hamburg 29.1.1987 VersR 1988 396; OLG Karlsruhe 15.12.1988 RuS 1990 138; OLG Hamm 19.6.1991 NJW-RR 1991 1184; OLG Karlsruhe 19.3.1992 VersR 1993 174; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 42; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 129, Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 21 Rn. 22; Langheid/Wandt/Muschner § 21 Rn. 58. 165 BGH 11.7.1990 VersR 1990 1002. 97

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§ 21 VVG

Ausübung der Rechte des Versicherers

Möglichkeit aufzeigt, dass auch andere Umstände (allein) ursächlich geworden sein könnten.166 Er braucht aber nicht positiv zu beweisen, dass und welcher andere Umstand den Versicherungsfall herbeigeführt hat.167 Beweiserleichterungen können dem VN zugute kommen, wenn er vorvertraglich lediglich einen Umstand verschwiegen hat, der sich gefahrerhöhend auszuwirken pflegt. Hier ist der dem VN obliegende Negativbeweis mangelnder Kausalität zwischen den bei ihm diagnostizierten Vorschäden und dem Eintritt des Versicherungsfalls schon dann als geführt anzusehen, wenn nach der Lebenserfahrung nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Vorschäden die objektive Möglichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls in nicht unerheblicher Weise erhöht haben.168 Dass der im Allgemeinen nur unwesentlich das Risiko erhöhende Umstand im konkreten Fall ausnahmsweise doch Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls gehabt hat, muss dann der VR beweisen, der sich auf die Leistungsfreiheit beruft. 64 Im Rahmen von Absatz 3 trifft den VN nur die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Fristbeginns, also des Zeitpunkts des Vertragsabschlusses (regelmäßig also des Tages, an dem ihm die Annahmeerklärung des VR zugegangen ist).169 Steht danach fest, dass die Fünf-JahresFrist verstrichen ist, liegen die Darlegung und der Beweis derjenigen Tatsachen, die eine wirksame Ausübung der Rechte des VR gleichwohl noch ermöglichen können, diesem ob (Rn. 61).

166 LG Aachen 30.11.1989 VersR 1991 52; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 42; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 129; H. D. Schmidt VersR 1986 511, 517. 167 A.A. OLG Karlsruhe 15.12.1988 RuS 1990 138. 168 OLG Hamm 29.1.1992 VersR 1992 1206; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 42. 169 RG 28.3.1930 RGZ 128 117, 120; BGH 20.4.1994 VersR 1994 1054. Rolfs

98

§ 22 Arglistige Täuschung Das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, bleibt unberührt.

Schrifttum Dreher Die „bedingungsgemäße Entschädigung“ des arglistig täuschenden VN, VersR 1998 539; Gädtke Schutz gutgläubiger Organmitglieder bei Anfechtung des Versicherers, RuS 2013 313; Kins Die Arglistanfechtung des Versicherungsvertrags bei fehlender textförmiger Nachfrage nach Gefahrumständen, ZVersWiss 2011 301; Knappmann Rechtliche Stellung des arglistigen Versicherungsnehmers, VersR 2011 724; Lücke Leistungsfreiheit des Versicherers auch ohne Vereinbarung bei Täuschungsversuchen des Versicherungsnehmers zur Entschädigungshöhe? VersR 1992 402; ders. Aktuelle Rechtsprechungsübersicht zur Betrugsproblematik in der Sachversicherung, VersR 1994 128; ders. Versicherungsbetrug in der Sachversicherung, VersR 1996 785; Looschelders Arglist des Versicherungsnehmers. Privilegierung oder übermäßige Sanktionierung im Vergleich mit dem allgemeinen Vertragsrecht?, Weitsicht in Versicherung und Wirtschaft – Gedächtnisschrift für Ulrich Hübner (2012) 147; Mankowski Arglistige Täuschung durch vorsätzlich falsche oder unvollständige Antworten auf konkrete Fragen, JZ 2004 121; Metz Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers über unentdeckte Straftaten – versicherungs- und strafrechtliche Aspekte, VersR 2010 1265; Neuhaus Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung in Recht und Praxis (2014); Notthoff Die spontane Anzeigepflicht des VN vor dem Hintergrund der aktuellen obergerichtlichen Rspr. – eine Bestandsaufnahme, RuS 2018 169; Piontek Die Überlagerung der Arglistanfechtung durch § 19 VVG bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit – ein ungelöstes Problem! RuS 2019 1; Prahl Zum Primäranspruch des Versicherers nach Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung des VN, VersR 2007 459; Reusch Hat der Versicherungsnehmer trotz des Wegfalls der Nachmeldeobliegenheit wegen der Möglichkeit der Arglistanfechtung durch den Versicherer auch nach dem VVG 2008 eine spontane Anzeigepflicht vor und nach Abgabe seiner Vertragserklärung? VersR 2008 1179; Schäfers Die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers und das allgemeine Leistungsstörungsrecht (2014); ders. Das Verhältnis der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung (§§ 19 ff. VVG) zur Culpa in contrahendo, VersR 2010 301; ders. Neue Entwicklungen zur spontanen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, VersR 2017 989; Schirmer Arglistiges Verhalten des VN im neuen VVG, RuS 2014 533; Schürger Informationsobliegenheiten bzw. -pflichten von VN und VR bei jeweils bereits bestehender Kenntnis der anderen Partei, RuS 2021 196; Schwintowski Bemerkungen zur spontanen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers vor Vertragsschluss, VuR 2018 220. Siehe im Übrigen bei § 19.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Übergangsrecht zum VVG 2008

3

III.

Inhalt und Zweck der Regelung

4

IV.

Anwendungsbereich

B.

Arglistige Täuschung

I. 1.

7 Tatbestand 8 Objektiver Tatbestand 8 a) Täuschungshandlung aa) Bei erfragten Umständen bb) Bei nicht erfragten Umstän10 den b) Fehlvorstellung des Versicherers

1

2. 3.

6 7

99 https://doi.org/10.1515/9783110522624-004

9

12

c) Widerrechtlichkeit der Täuschung 15 16 d) Kausalität 17 Person des Täuschenden 20 Subjektiver Tatbestand 21 a) Kenntnis der Unrichtigkeit b) Bewusstsein der Bedeutung der Fehlvor24 stellung

II. 1. 2. 3.

28 Anfechtung Anfechtungserklärung 29 Anfechtungsfrist 32 Ausschlussfrist

III. 1. 2. 3.

34 Rechtsfolgen 34 Nichtigkeit des Vertrages Leistungen des Versicherungsnehmers 39 Leistungen des Versicherers

IV.

Konkurrenzen

28

37

40

Rolfs

§ 22 VVG

Arglistige Täuschung

C.

Allgemeine Versicherungsbedingun41 gen

D.

Darlegungs- und Beweislast

42

I.

Beweislast des Versicherers

II.

Beweislast des Versicherungsnehmers

48

42

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Die Vorschrift beinhaltete schon bei ihrem Inkrafttreten am 1.1.1910 die Klarstellung, dass das Recht des VR zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung unberührt bleibt. Ursprünglich lautete der Text: „Das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung über Gefahrumstände anzufechten, bleibt unberührt“. Gegen den Vorschlag der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, den Text unverändert zu lassen,1 sind die Worte „über Gefahrumstände“ im Zuge der VVG-Reform mit Wirkung zum 1.1.2008 gestrichen worden. Im Übrigen ist die Vorschrift seit über einem Jahrhundert unverändert. Eine sachliche Änderung war mit der Streichung – entgegen der etwas unklaren Begrün2 dung zum Regierungsentwurf des VVG-Reformgesetzes2 – nicht verbunden:3 Es entsprach auch zu der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung des VVG gefestigter Rechtsprechung des BGH und herrschender Lehre, dass die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auch wegen anderer als gefahrerheblicher Umstände zulässig ist.4 Dies war auch zutreffend, weil der Regelungsgegenstand der §§ 16 ff. a.F. sich – wie derjenige der §§ 19 ff. – auf die vorvertragliche Anzeige von Gefahrumständen beschränkt. Die Geltendmachung von Rechten, die mit der unterbliebenen oder fehlerhaften Anzeige derartiger Umstände nicht in Zusammenhang stehen (wie etwa die Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB wegen Erklärungs- oder Inhaltsirrtums5 oder wegen widerrechtlicher Drohung),6 wird durch diese Vorschriften ohnehin nicht berührt.

II. Übergangsrecht zum VVG 2008 3 Da § 22 anlässlich der VVG-Reform inhaltlich nicht verändert worden ist, stellen sich keine Übergangsprobleme. Vor dem 1.1.2008 abgeschlossene Altverträge können unter den gleichen Voraussetzungen wegen arglistiger Täuschung des VR angefochten werden wie nach dem 31.12.2007 eingegangene Neuverträge. Die Verkürzung der Ausschlussfrist des § 124 Abs. 1 BGB von früher 30 auf nunmehr zehn Jahre ist bereits durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts7 erfolgt, die Übergangsvorschrift findet sich in Art. 229 § 6 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 EGBGB: Die neue Zehn-Jahres-Frist beginnt am 1.1.2002. Bis zum 31.12.2001 abgeschlossene Versicherungsverträge können folglich nur bis zum 31.12.2011 (§ 187 Abs. 2 Satz 1, § 188 Abs. 2 BGB) wegen arglistiger Täuschung angefochten werden, wenn nicht die alte 30-Jahres-Frist ohnehin schon früher abläuft.

1 2 3 4

Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, § 24 VVG-E. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. Günther/Spielmann RuS 2008 133, 134. BGH 8.10.1964 VersR 1964 1189; OLG Düsseldorf 20.11.1962 VersR 1963 229; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2693; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 1; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 4. 5 BGH 14.11.2001 – IV ZR 181/00, VersR 2002 88; OLG Frankfurt/Main 9.2.1996 VersR 1996 1353. 6 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 147; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 4; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 3. 7 Vom 26.11.2001, BGBl. I 3138. Rolfs

100

A. Einführung

VVG § 22

III. Inhalt und Zweck der Regelung Die Vorschrift regelt weder Voraussetzungen noch Rechtsfolgen der Anfechtung wegen arglisti- 4 ger Täuschung. Sie stellt lediglich klar, dass insoweit die allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts, namentlich also die §§ 123, 124, 142 BGB, Anwendung finden. Diese Klarstellung erschien dem Gesetzgeber notwendig, damit aus den besonderen versicherungsvertraglichen Bestimmungen über Rücktritt, Kündigung und Vertragsanpassung bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht des VN nicht der falsche Umkehrschluss gezogen wird. Die §§ 19 bis 21 entfalten also keine Sperrwirkung.8 Die Arglistanfechtung hat zwar im Vergleich zum Rücktritt im Grundsatz nochmals deutlich 5 strengere Voraussetzungen, begünstigt aber seit der VVG-Reform 2008 in einem entscheidenden Punkt den VR gegenüber den Rücktrittsvoraussetzungen des § 19: Während dort nur die Falschbeantwortung in Textform gestellter Fragen sanktioniert wird, kommt eine Anfechtung auch bei arglistigem Verschweigen nicht erfragter Gefahrumstände in Betracht. Zugleich zeitigt die Anfechtung weitergehende Rechtsfolgen: Während der VR gem. § 21 Abs. 2 trotz seines Rücktritts für bis zu dessen Wirksamwerden eingetretene Versicherungsfälle leistungspflichtig bleibt, wenn sich die Verletzung der Anzeigepflicht auf einen Umstand bezieht, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist, ist er bei einer Arglistanfechtung uneingeschränkt leistungsfrei und kann bereits erbrachte Versicherungsleistungen kondizieren. Die für die Vergangenheit entrichteten Prämien darf er gleichwohl behalten, § 39 Abs. 1 Satz 2.

IV. Anwendungsbereich § 22 gilt für alle Versicherungssparten. Dass § 209 die Rückversicherung und die Seeversiche- 6 rung vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausnimmt, ist ohne Belang, da auch auf diese Versicherungen die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts Anwendung finden. § 22 betrifft aber nur die Arglistanfechtung des VR. Die Anfechtung des VN richtet sich unmittelbar nach Bürgerlichem Recht, sie kann vertraglich nicht beschränkt werden (§ 5 Abs. 4). Hat der VN den VR anlässlich einer Vertragsänderung oder -verlängerung getäuscht, kann nur der Änderungs-, nicht aber der Ausgangsvertrag angefochten werden;9 die zum Rücktritt gemachten Bemerkungen (§ 19 Rn. 14 f.) gelten entsprechend. Nicht nur eine Vertragsänderung, sondern ein neuer Vertrag liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn der aus den gesamten Fallumständen zu ermittelnde Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet war, die vertraglichen Beziehungen auf eine selbstständige neue Grundlage zu stellen und sich nicht damit zu begnügen, einzelne Regelungen des bestehenden Vertrags zu modifizieren. Für einen neuen Vertrag spricht die Veränderung wesentlicher Vertragsinhalte, z.B. des versicherten Risikos, des versicherten Objekts, der Vertragsdauer, der Vertragsparteien und der Gesamtversicherungssumme.10 Im Verhältnis Neu- zu Altvertrag kann die Anfechtung des Neuvertrages die in ihm enthaltene Aufhebungsvereinbarung umfassen, wenn es sich um ein einheitliches Rechtsgeschäft gemäß § 139 BGB handelt. Entscheidend ist, ob nach dem Parteiwillen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Altvertrag auch ohne Abschluss des Neuvertrages aufgehoben worden wäre.11 Im Schrifttum wird teilweise das Wiederaufleben des Altvertrages angenommen, wenn der angefochtene Neuvertrag diesen teilweise ersetzt, ohne dass 8 BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 2. 9 OLG Hamm 29.9.2000 – 20 U 189/99, RuS 2002 35; OLG Saarbrücken 16.5.2007 – 5 U 590/06, VersR 2007 1681; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 13; a.A. LG Hannover 18.10.1990 VersR 1991 1281.

10 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563; 9.11.2011 – IV ZR 40/09, VersR 2012 615; 8.12.2011 – IV ZR 5/10, VersR 2012 1429. 11 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563; 9.11.2011 – IV ZR 40/09, VersR 2012 615; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 29; krit. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 171. 101

Rolfs

§ 22 VVG

Arglistige Täuschung

dies rechtsgeschäftlich geregelt worden wäre, eine Risikovereinbarung in einem getrennten Vertrag aber möglich gewesen wäre.12 Die vorläufige Deckung eines Risikos ist Gegenstand eines selbständigen Versicherungsvertrages (§ 49), dieser und der Hauptvertrag können jeweils selbständig angefochten werden, wenn der VN den VR bei ihrem Abschluss arglistig getäuscht hat.13 Eine Anfechtung (nur) der auf den Abschluss des Hauptvertrages gerichteten Willenserklärung des VR erfasst nicht auch die vorläufige Deckung14 und umgekehrt. Besteht ein Haupt- und ein Zusatzversicherungsvertrag wird von der Anfechtung grundsätzlich der ganze Vertrag erfasst.15 Möglich ist aber auch eine Teilanfechtung nach § 139 BGB, wenn der nach Wegfall des angefochtenen Teils verbleibende Rest bei objektiver und vom Parteiwillen unabhängiger Betrachtungsweise als selbständiges und unabhängig von dem angefochtenen Teil bestehendes Rechtsgeschäft denkbar ist.16 Dies ist angenommen worden für das Verhältnis der Krankheitskostenversicherung zum Krankenhaustagegeld17 und der Lebensversicherung als Hauptversicherungsvertrag zur Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.18 Im Fall der kombinierten Eigen- und Fremdversicherung beseitigt eine Anfechtung, die auf der Anzeigepflichtverletzung nur einer versicherten Person gründet, den Versicherungsvertrag nur hinsichtlich des versicherten Interesses dieser Person, wenn der VR den Vertrag auch bei korrekter Anzeige mit den anderen versicherten Personen geschlossen hätte.19 Dagegen verliert der VN – beispielsweise im Fall der D&O-Versicherung – alle Deckungsansprüche hinsichtlich des arglistig Täuschenden.20

B. Arglistige Täuschung I. Tatbestand 7 § 123 Abs. 1 BGB regelt, dass derjenige, der zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung (oder – insoweit hier nicht von Relevanz – widerrechtlich durch Drohung) bestimmt worden ist, die Erklärung anfechten kann. Hat also der VN den VR bei Abschluss des Versicherungsvertrages arglistig (über Gefahr- oder andere Umstände) getäuscht, kann der VR seine Vertragserklärung anfechten.

1. Objektiver Tatbestand 8 a) Täuschungshandlung. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung erfordert in objektiver Hinsicht, dass der Täuschende durch Vorspiegelung, Entstellung oder Verschweigen wahrer Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst.21 Die Täuschung muss sich auf objektiv nachprüfbare Umstände beziehen; subjektive Werturteile genügen nicht.22 12 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 171, krit. Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 16. 13 BGH 8.10.1964 VersR 1964 1189; OLG Saarbrücken 12.3.2003 – 5 U 460/01-33, VersR 2004 50; Langheid/Wandt/ Müller-Frank § 22 Rn. 10. OLG Saarbrücken 12.3.2003 – 5 U 460/01-33, VersR 2004 50. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 169; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 11. Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 22 Rn. 55; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 11. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 863. OLG Saarbrücken 19.5.1993 VersR 1996 488; OLG Hamm 1.12.2006 – 20 U 138/06, VersR 2008 106. OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, VersR 2012 429; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 170; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 29. 20 Gädtke RuS 2013 313; Langheid/Grote VersR 2005 1169. 21 BGH 13.5.1957 NJW 1957 988; 28.2.2007 – IV ZR 331/05, VersR 2007 785; KG 8.4.2005 – 6 U 5/05, VersR 2006 1393; BAG 21.2.1991 NZA 1991 719; MüKo-BGB/Armbrüster § 123 Rn. 14; Staudinger/Singer/von Finckenstein § 123 BGB Rn. 7. 22 BGH 19.9.2006 – XI ZR 204/04, BGHZ 169 109, 115; 5.12.2006 – XI ZR 341/05, NJW-RR 2007 1202.

14 15 16 17 18 19

Rolfs

102

B. Arglistige Täuschung

VVG § 22

aa) Bei erfragten Umständen. Hinsichtlich solcher Umstände, die der VR in Textform erfragt 9 hatte, ist der VN gem. § 19 Abs. 1 ohne weiteres zur Anzeige verpflichtet. Eine Täuschung kann aber auch in Bezug auf nicht formgerecht oder verspätet erfragte Umstände begangen werden.23 Sie erfolgt regelmäßig dadurch, dass der Antragsteller den erfragten Umstand nicht, nicht vollständig oder nicht richtig anzeigt. Da der VN verpflichtet ist, auf eine entsprechende Anfrage des VR seine wirtschaftliche Bedrängnis zu offenbaren, wenn diese den Vertragszweck vereiteln oder die Durchführung des Vertrags in wesentlichen Punkten gefährden und sie daher für die Entschließung des VR von entscheidender Bedeutung sein kann, ist auch diesbezüglich eine Täuschung möglich.24 In der Personenversicherung erfragt der VR typischerweise alle Krankheiten, Störungen, Beschwerden, Leiden und Gebrechen, so dass jedes Verschweigen25 oder Verharmlosen26 eines solchen Umstandes beim VR eine entsprechende Fehlvorstellung hervorruft. Erklärt der VN, dass er eine bestimmte Frage mangels Kenntnis nicht beantworten könne, obwohl ihm der erfragte Gefahrumstand bekannt ist, so stellt auch dies eine Täuschung dar.27 Allerdings kann es in einem solchen Fall am subjektiven Erfordernis des Bewusstseins der Kausalität fehlen, wenn der VN aufgrund seiner Antwort mit einer Nachfrage des VR rechnete.28 Keine Täuschung ist dagegen anzunehmen, wenn der VN den VR lediglich auf diesem vermeintlich bereits bekannte Umstände oder auf Angaben Dritter, etwa der behandelnden Ärzte, verweist. In einer solchen Antwort liegt nicht die Behauptung, dass keine Gefahrumstände existieren. Zur Beantwortung von Antragsfragen durch Offenlassen von Antwortfeldern und Streichungen vgl. § 19 Rn. 82 ff. bb) Bei nicht erfragten Umständen. Besondere Bedeutung kommt im Versicherungsrecht 10 der Täuschung durch Unterlassen zu. Das Verschweigen einer Tatsache steht ihrer falschen Vorspiegelung gleich, wenn der Erklärende dem anderen Teil gegenüber zur Aufklärung verpflichtet ist. Der VR hat grundsätzlich alle gefahrrelevanten Umstände in Textform abzufragen (§ 19 Abs. 1), weil der Gesetzgeber das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand gefahrrelevant ist, ihm aufgebürdet hat.29 Der VN soll sich also grundsätzlich auf den abschließenden Charakter von Fragebögen verlassen können. § 19 schließt aber eine Pflicht des VN zur Angabe nicht oder nicht ordnungsgemäß (beispielsweise bloß mündlich)30 erfragter gefahrerheblicher Umstände nicht aus.31 So dient § 19 nicht nur dem Schutz des VN vor dem Verlust der Deckung,

23 Neuhaus RuS 2008 45, 47. 24 LG Mannheim 21.6.1990 VersR 1992 1458; vgl. auch OLG Braunschweig 20.11.1995 RuS 1997 204. 25 Vgl. OLG Köln 5.10.1995 VersR 1996 1094; OLG Saarbrücken 17.5.2017 – 5 U 52/16, VersR 2018 667; OLG Brandenburg 11.12.2018 – 11 U 72/16, RuS 2019 646; LG Hamburg 4.10.1990 VersR 1991 986; a.A. Beckmann/MatuscheBeckmann/Knappmann § 14 Rn. 152. 26 OLG Saarbrücken 12.10.2005 – 5 U 31/05, VersR 2007 93; KG 29.6.2006 – 6 U 18/06, VersR 2007 933 („Routineuntersuchung“ statt Anzeige einer Fettleber); OLG Hamburg 18.1.2007 – 9 U 41/06, VersR 2008 771. 27 Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 152; Langheid/ Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 19; a.A. offenbar OLG Hamm 6.12.1989 RuS 1990 170. 28 Berliner Kommentar/Voit Rn. 12. 29 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2692; Schwintowski VuR 2018 220, 220 f. 30 OLG Hamm 29.7.2019 – 20 U 82/19, ZfS 2020, 208. 31 OLG Celle 9.11.2015 – 8 U 101/15, VersR 2017 211; OLG Karlsruhe 3.12.2015 – 12 U 57/15, RuS 2017 316; LG Heidelberg 8.11.2016 – 2 O 90/16, ZfS 2017 275; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 3; Franz VersR 2008 298, 306; Kins ZVersWiss 2011 301, 308 ff.; Looschelders VersR 2011 697, 701; Metz VersR 2010 1265, 1266; Langheid/Wandt/MüllerFrank § 22 Rn. 6; Neuhaus VersR 2012 1477, 1482; Reusch VersR 2007 1313, 1321; ders. VersR 2008 1179, 1183; Schäfers VersR 2010 302, 305; ders. VersR 2017 989, 993 f.; ders. Die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers und das allgemeine Leistungsstörungsrecht, 2014 117 ff.; Schirmer RuS 2014 533, 535; offengelassen von OLG Hamm 27.2.2015 – 20 U 26/15, VersR 2015 1551, 1552; LG Dortmund 24.2.2012 – 2 O 144/11, RuS 2012 426, 428; a.A. OLG Düsseldorf 29.6.2009 – I-4 W 20/09, RuS 2010 326; zustimmend Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 19 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 22 Rn. 10; Rixecker ZfS 2008 340; Romahn S. 238 f., 270 ff., 290 f.; Weiberle VuR 2008 170, 171; Schwintowski VuR 2018 220, 221. 103

Rolfs

§ 22 VVG

Arglistige Täuschung

sondern soll auch ein Informationsdefizit des VR ausgleichen. Außerdem schließt § 22 die Sperrwirkung des § 19 für den Fall der arglistigen Täuschung gerade aus.32 Umstritten sind die an das Bestehen einer solchen Aufklärungspflicht zu stellenden Voraussetzungen: Teilweise wird eine Aufklärungspflicht bereits bejaht für Umstände, die auch nach Einschätzung des VN trotz fehlender Frage des VR gefahrerheblich sind.33 Dies würde aber die novellierte Regelung des § 19 weitgehend unterlaufen. Überwiegend wird daher eine Aufklärungspflicht des VN nur ausnahmsweise angenommen. Nach einer Auffassung, die zwischen verschiedenen Arten von Versicherungsverträgen differenziert, soll es dem VR bei weitgehend standardisierten Versicherungen im Alltagsgeschäft zuzumuten sein, seinen Fragenkatalog abschließend zu gestalten.34 Entscheidend ist, ob der VR nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte.35 Bei nicht erfragten Umständen kann eine spontane Offenbarungspflicht des VN nur ausnahmsweise, nämlich dann angenommen werden, wenn deren Gefahrerheblichkeit für den VN auf der Hand lag.36 Teilweise wird darüber hinaus gefordert, dass die nicht erfragten Umstände so selten und fernliegend sind,37 dass dem VR das Fehlen einer Frage hiernach nicht vorzuwerfen sei oder eine ausdrückliche Frage nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten sei.38 Eine derartige noch weitergehende Beschränkung würde den Anwendungsbereich der spontanen Anzeigepflichtverletzung auf einen „Mikrobereich“ absoluter Ausnahmefälle reduzieren.39 Dem VN, der einen schwerwiegenden Gefahrenumstand nicht angibt, weil er hiernach nicht vom VR gefragt worden ist, kann keine generelle Gutgläubigkeit unterstellt werden.40 So können die Dinge beispielsweise in Bezug auf Krankheiten liegen, die erstmals in jünge11 rer Zeit aufgetreten oder medizinisch erforscht worden sind und die in den Fragenkatalog des VR noch keinen Eingang gefunden haben,41 oder solche, die vom Antragsteller nur deshalb nicht abgefragt worden waren, weil der Versicherungsagent eine Frage aus dem Katalog nicht oder nur sinnentstellend vorgelesen hatte, sodass sie dem VN nicht zur Kenntnis gelangt war.42 Hat der VR allerdings erkennbar auf das Stellen bestimmter Gesundheitsfragen verzichtet, ist der VN nicht zur Anzeige dieser nicht erfragten Umstände verpflichtet, selbst wenn diese für 32 Notthoff RuS 2018 169, 170. 33 BGH 3.12.2015 – IV ZR 4/16, RuS 2017 316; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 3, 5: Einschränkung aber auf Beweisebene. 34 Brandt VersR 2009 715, 721; s.a. Staudinger/Halm/Wendt/Pilz/Gramse § 22 Rn. 7; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 2; Piontek RuS 2019 1, 5. 35 OLG Celle 9.11.2015 – 8 U 101/15, VersR 2017 211; Vgl. BGH 13.7.1998 NJW 1989 763; 13.12.1990 NJW-RR 1991 439; 8.12.1999 VersR 2000 1043; OLG Köln 22.5.2007 – 9 U 30/06, RuS 2008 17; OLG Hamm 17.8.2007 – 20 U 26/07, VersR 2008 477; Grote/Schneider BB 2007 2689, 2693; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 6; a.A. Kins ZVersWiss 2011 301, 308 ff.; Notthoff RuS 2018 169, 173 f.: spontane Anzeigepflicht ist Konkretisierung des Rechtsgedankens aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB; Schäfers VersR 2010 302, 305. 36 OLG Karlsruhe 3.12.2015 – 12 U 57/15, RuS 2017 316; OLG Koblenz 11.11.1994 VersR 1995 689; 31.5.2002 – 10 U 1039/01, RuS 2004 208; LG Münster 21.6.2019 – 115 O 146/18, BeckRS 2019 39051; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 177; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 6; Neuhaus Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung in Recht und Praxis, S. 254; im Ergebnis Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 3 ff; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 8; offengelassen von OLG Karlsruhe 20.4.2018 – 12 U 156/16, VersR 2018 866. 37 Zu diesem Aspekt OLG Hamm 27.2.2015 – 20 U 26/15, VersR 2015 1551. 38 OLG Celle 9.11.2015 – 8 U 101/15, VersR 2017 211; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 150; Knappmann VersR 2011 724, 726; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 9; Looschelders, Weitsicht in Versicherung und Wirtschaft – Gedächtnisschrift für Ulrich Hübner 2012 147, 156; Piontek RuS 2019 1, 5; Schäfers VersR 2017 989, 993 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 19 Rn. 16; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 2. 39 Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 2; Langheid/Müller-Frank NJW 2017 2318, 2319; krit. auch Notthoff RuS 2018 169, 175; dies befürwortend Piontek RuS 2019 1, 5. 40 Neuhaus VersR 2018 868, 869. 41 LG Hamburg 4.11.1988 ZfS 1989 127 (AIDS). 42 Vgl. etwa OLG Hamm 15.9.2000 – 20 U 223/99, RuS 2002 126. Rolfs

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ihn erkennbar gefahrerheblich sind.43 Nicht auf der Hand liegt die Gefahrerheblichkeit bei einer kurzfristigen Arbeitsunfähigkeit wegen einer Bagatellerkrankung, wie einer Erkältung oder der durch die Entfernung eines Ohrpfropfs hervorgerufenen Entzündung des Außenohrs.44 Nach der Interessenabwägung im Einzelfall kann der VN auch zur Anzeige einer bislang nicht entdeckten Straftat verpflichtet sein, wenn diese für die Einschätzung des versicherten Risikos Bedeutung hat.45 In der Sachversicherung kann eine Offenbarungspflicht bestehen, wenn die Organe eines Unternehmens für Geldtransporte davon Kenntnis hatten, dass bereits seit Jahren anvertraute Gelder zweckwidrig zur Begleichung von Verbindlichkeiten verwendet werden und dies dadurch verschleiert wird, dass sie die dabei jeweils entstehenden Fehlbeträge durch Gelder aus den Abholungen der jeweils nächsten Tage ausgleichen.46

b) Fehlvorstellung des Versicherers. Der VR unterliegt keiner Fehlvorstellung, wenn er den 12 nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist dann – ebenso wie der Rücktritt (§ 19 Abs. 5 Satz 2) – ausgeschlossen.47 In der Rechtsprechung uneinheitlich behandelt worden ist in der Vergangenheit die Frage, ob eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit des VR (zu ihr § 19 Rn. 91 ff.) auch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausschließe, weil die fahrlässige Unkenntnis dann der positiven Kenntnis gleichstehe. Ursprünglich hatte der BGH dem VR bei unterlassener Nachfrage trotz entsprechender Anhaltspunkte auch die Anfechtung verwehrt.48 Dies war in der Literatur auf scharfe Kritik gestoßen. Es stelle eine besonders subtile Form der Täuschung dar, wenn der VN mit einem versteckten Hinweis die Nachfrageobliegenheit des VR auslöse, um bei einem Unterlassen dieser Nachfrage später der Arglistanfechtung entgegenzutreten.49 Diese Kritik hat den BGH nicht unbeeindruckt gelassen. Nachdem er bereits 2001 in der Sache seine Position aufgegeben hatte,50 hat er sie im Beschluss vom 15.3.2006 auch ausdrücklich geräumt: An der Rechtsprechung, nach der sich ein VN auch bei arglistiger Verletzung seiner Anzeigeobliegenheit auf die Verletzung einer Nachfrageobliegenheit durch den VR berufen könne, werde nicht mehr festgehalten.51 Da die Kenntnis des Versicherungsvermittlers der Kenntnis des VR gleichsteht (§ 70), 13 kommt es, wenn der Antrag durch einen Vermittlungsagenten entgegengenommen wurde, für die Frage der arglistigen Täuschung darauf an, ob der Vermittler als Vertreter des VR getäuscht worden ist.52 Daran fehlt es z.B., wenn der VN die im Antragsformular nicht erwähnten Vorerkrankungen dem Vermittlungsagenten gegenüber mündlich erwähnt und einer Auskunft des

43 OLG Karlsruhe 20.4.2018 – 12 U 156/16, VersR 2018 866 mit Anmerkung Neuhaus RuS 2018 313; Piontek RuS 2019 1, 4. 44 OLG Köln 2.12.2011 – 20 U 53/09, NJOZ 2012 746. 45 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563; OLG Celle 19.9.2008 – 8 U 11/08, VersR 2008 1532. 46 OLG Hamm 28.3.2014 – 20 U 166/08, NJOZ 2014 1982. 47 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 12; Schürger RuS 2021 196, 201. 48 BGH 20.9.1989 BGHZ 108 326, 328; 25.3.1992 BGHZ 117 385, 387 f.; ebenso OLG Koblenz 29.11.1996 RuS 1998 50; KG 30.9.1997 VersR 1998 1362; OLG Nürnberg 22.10.1998 VersR 1999 609. 49 Dreher JZ 1992 926, 927 f.; Knappmann RuS 1996 81, 83; von Koppenfels-Spies ZfS 2004 489, 494; Langheid/ Rixecker/Langheid § 22 Rn. 16; Langheid/Müller-Frank NJW 1993 2652, 2655 f.; Lorenz VersR 1993 513, 516; MüllerFrank/Scherff VersR 1998 1362, 1364; Römer RuS 1998 45, 48; vgl. auch Lorenz Vers 1993 871, 872. 50 BGH 7.3.2001 – IV ZR 254/00, VersR 2001 620; 10.10.2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001 1541 (allerdings ausdrücklich offen lassend); vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 15 f. 51 BGH 15.3.2006 – IV ZA 26/05, VersR 2007 96; 4.7.2007 – IV ZR 170/04, VersR 2007 1256; OLG Köln 22.5.2007 – 9 U 30/06, RuS 2008 17; ebenso zuvor bereits OLG Hamm 30.5.2001 – 20 U 231/98, VersR 2002 342; OLG Düsseldorf 14.5.2002 – 4 U 181/01, RuS 2003 252; OLG Saarbrücken 12.10.2005 – 5 U 82/05-9, VersR 2006 824; LG Berlin 15.10.2002 – 7 O 142/02, VersR 2003 458. 52 OLG Saarbrücken 15.5.1990 VersR 1991 1280; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 11. 105

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Agenten, die Krankheiten brauchten nicht angegeben zu werden, vertraut hat,53 wenn der Antragsteller alle Angaben vollständig und zutreffend gemacht hat, der Versicherungsvertreter aber den schriftlichen Antrag eines VN nachträglich fälscht und den gefälschten Antrag seiner Gesellschaft einreicht54 oder wenn der Versicherungsagent dem VN wahrheitswidrige Angaben „in den Mund gelegt“ und dadurch die Täuschung geradezu herausgefordert, den VN also zu falschen Angaben verleitet hat.55 Wirken VN und Versicherungsvermittler aber kollusiv zum Nachteil des VR zusammen (§ 138 BGB), indem der VN etwa im Bewusstsein der Anzeigepflichtigkeit und im Einvernehmen mit dem Agenten gewollt und gebilligt hat, dass dieser die Gefahrumstände im Antragsformular nicht erwähnt, bleibt das Anfechtungsrecht des VR erhalten.56 Dasselbe gilt in Bezug auf Angaben, die der VN anderen Wissenserklärungsvertretern 14 (§ 166 Abs. 3 BGB) des VR gegenüber macht. Leitet beispielsweise der vom VR in die im Rahmen der Antragsprüfung erforderliche Untersuchung des VN eingeschaltete Arzt ihm gegenüber gemachte Angaben des VN (z.B. im Rahmen der Anamnese) nicht an den VR weiter, scheidet eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung aus.57 Dagegen täuscht der VN den Vertreter des VR und damit diesen selbst, wenn er ihn durch zusätzliche unrichtige Angaben davon abhält, die richtig angezeigten Umstände dem VR zur Kenntnis zu bringen.

15 c) Widerrechtlichkeit der Täuschung. Die Widerrechtlichkeit der Täuschung ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 123 Abs. 1 BGB. Sie ergibt sich ipso facto aus ihr.58 An ihr könnte es im Einzelfall nur dann fehlen, wenn man ein Recht des VN anerkennen würde, bestimmte seine Persönlichkeit betreffenden Umstände dem VR gegenüber zu verheimlichen. Ein derartiges Geheimhaltungsinteresse wird aber grundsätzlich nicht anerkannt59 (siehe auch § 19 Rn. 84). Nur wenn dem VR versicherungsaufsichts- oder -vertragsrechtlich (etwa durch § 19 Abs. 1 AGG) eine Benachteiligung des Antragstellers aus bestimmten Gründen ausdrücklich untersagt ist, darf der VN auf eine gleichwohl unzulässigerweise gestellte Frage falsch antworten, ohne widerrechtlich zu handeln.60

16 d) Kausalität. Das Anfechtungsrecht des VR setzt voraus, dass er zu seiner Vertragserklärung durch die Täuschung des VN „bestimmt worden ist“ (§ 123 Abs. 1 BGB), dass diese also für jene kausal geworden ist. Oder umgekehrt: Der VR dürfte den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt abgeschlossen haben, wenn er nicht der täuschungsbedingten Fehlvorstellung unterlegen gewesen wäre, sondern die Gefahrumstände gekannt hätte.61 Ob er den Versicherungsvertrag überhaupt nicht oder nur mit einem anderen Inhalt, also etwa mit erweiterten Risikoausschlüssen oder Prämienzuschlägen eingegangen wäre, ist unerheblich.62 Insoweit kommt es auf 53 54 55 56

OLG Köln 6.6.1991 RuS 1991 320. LG Karlsruhe 18.10.1991 VersR 1992 1206. Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 22; vgl. BGH 3.12.1975 VersR 1976 134. OLG Köln 6.6.1991 RuS 1991 320; OLG Schleswig 7.7.1994 VersR 1995 406; OLG Hamm 26.11.2004 – 20 U 152/04, RuS 2005 236. 57 OLG Hamburg 6.10.1993 RuS 1994 352. 58 Palandt/Ellenberger § 123 BGB Rn. 10. 59 Vgl. zur Frage nach der Schwangerschaft im Arbeitsrecht etwa EuGH 8.11.1990 „Dekker“ Slg. 1990 I-3941; 27.2.2003 – C-320/01 „Busch“, Slg. 2003 I-2041 = NJUW 2003 1107; BAG 15.10.1992 – 2 AZR 227/92, NZA 1993 257; 6.2.2003 – 2 AZR 621/01, NZA 2003 848, im Versicherungsrecht OLG Hamm 22.3.1995 VersR 1996 441; LG Düsseldorf 10.10.1997 VersR 1998 1408. 60 Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 181; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 10; strenger OLG Frankfurt/ Main 5.12.2001 – 7 U 40/01, VersR 2002 559 (Transsexualität). 61 OLG Brandenburg 10.8.2012 – 11 U 116/11, BeckRS 2012 18809; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 160; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 10. 62 OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 831. Rolfs

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die AVB und die Annahmepraxis des VR an. Kannte der VR den verschwiegenen Gefahrumstand, ist die Täuschung nicht kausal geworden, sodass eine Anfechtung ausscheidet. Dasselbe gilt im Ergebnis auch dann, wenn der VN trotz entsprechender Antragsfrage lediglich einen Umstand verschwiegen hat, der tatsächlich nicht gefahrrelevant war. Keine Kausalität besteht auch, wenn der VR ohne jede Prüfung sofortigen Versicherungsschutz zusagt – bspw. durch Zusendung der Versicherungspolice und gleichzeitiger Nachfrage63 oder bei einer vorläufigen Deckungszusage.64

2. Person des Täuschenden Das Anfechtungsrecht besteht, wenn der VN selbst den VR getäuscht hat. Stehen auf Seiten 17 des VN mehrere Personen, so berechtigt schon die arglistige Täuschung nur einer von ihnen den VR zur Anfechtung (Rn. 6).65 Bei einer Versicherung für fremde Rechnung findet § 47 Abs. 1 auch hinsichtlich der Arglist Anwendung, sodass nicht nur die entsprechende Täuschung durch den VN, sondern auch diejenige durch den von ihm verschiedenen Versicherten den VR zur Anfechtung berechtigt; darauf, ob der VN die Täuschung kannte oder kennen musste, kommt es entgegen § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht an.66 Entsprechendes gilt in der Lebens- (§ 156), in der Berufsunfähigkeits- (§ 176 i.V.m. § 156), in der Unfall- (§ 179 Abs. 3) und in der Krankenversicherung (§ 193 Abs. 2), wenn diese auf die Person eines anderen genommen worden ist. In der Filmausfallversicherung sind falsche Angaben eines Schauspielers, die dieser in der vom VR geforderten Gesundheitsselbsterklärung tätigt, dem VN analog §§ 156, 179 Abs. 3, § 193 Abs. 2 zuzurechnen.67 Geht die Täuschung von einem Dritten aus, findet § 20, wie sich aus seinem Wortlaut und 18 seiner systematischen Stellung ergibt, keine Anwendung.68 Vielmehr kommt eine Anfechtung nach § 123 Abs. 2 BGB nur in Betracht, wenn der VN die Täuschung kannte oder kennen musste, d.h. infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 122 Abs. 2 BGB). „Dritter“ in diesem Sinne ist aber nur derjenige, der weder Vertragspartner ist noch als Hilfsperson „in dessen Lager“ steht, also seiner Risikosphäre nicht zuzurechnen ist.69 Bei anderen Personen wird die Täuschung so behandelt, als wäre sie vom VN persönlich verübt worden. Keine Dritten sind: Stellvertreter des VN, und zwar auch dann, wenn sie ohne Vertretungsmacht aufgetreten sind und der Vertrag vom VN genehmigt wurde,70 Organe,71 Verhandlungsgehilfen des VN, und zwar unabhängig davon, ob diese Gehilfen auf den Vertragsabschluss maßgeblichen Einfluss genommen haben oder nicht, sowie andere Hilfspersonen, die auf der Seite des VN mit dessen Zustimmung und in seinem Interesse am Zustandekommen des Versicherungsvertrages mitgewirkt haben.72 Im 63 BGH 24.11.2010 – IV ZR 252/08, VersR 2011 338. 64 OLG Saarbrücken 12.3.2003 – 5 U 460/01-33, VersR 2004 50; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 160.

65 OLG Koblenz 11.12.2001 – 3 U 1642/00, NJW-RR 2003 119; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 23; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 15; Süss VersR 1952 185, 188; vgl. auch OLG Hamm 6.12.1989 RuS 1990 168.

66 OLG Düsseldorf 23.8.2005 – I-4 U 140/04, VersR 2006 785; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 24; vgl. auch BGH 18.9.1991 VersR 1991 1404; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 23; Magnusson VersR 1953 300, 301. 67 BGH 16.10.2013 – IV ZR 390/12, VersR 2014 59. 68 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 66; RG 28.3.1930 RGZ 128 116, 120; OLG Düsseldorf 28.11.1961 VersR 1962 344; 20.11.1962 VersR 1963 229; Prölss/Martin/Armbrüster § 20 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid § 20 Rn. 3. 69 BGH 20.11.1995 NJW 1996 1051; OLG Saarbrücken 26.2.2020 – 5 U 57/19, VersR 2020 960; ausführlich Martens JuS 2005 887 ff. 70 RG 28.3.1930 RGZ 128 116, 120; BGH 8.2.1956 BGHZ 20 36, 39. 71 Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 22 Rn. 24; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 155; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 36. 72 Bork Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Rn. 879; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 155; a.A. offenbar BGH 29.11.1989 RuS 1990 95; OLG Köln 1.6.2010 – 9 U 2/10, BeckRS 2010 14394. 107

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Hinblick auf das Urteil des BGH vom 8.2.198973 ist aber zu betonen: „in seinem Interesse“. Hat der Verhandlungsgehilfe ein eigenständiges, vom VN grundverschiedenes Interesse am Abschluss des Versicherungsvertrages (hier: der seine Ehefrau – die VN – bei den Verhandlungen um den Abschluss einer Lebensversicherung unterstützende Ehemann wollte sie ermorden und die Versicherungssumme kassieren), steht er nicht im Lager des VN und ist somit „Dritter“ i.S.v. § 123 Abs. 2 BGB.74 Dritte sind Versicherungsmakler,75 soweit sie nicht mit Abschlussvollmacht handeln oder 19 sonst allein im Interessenbereich des VN tätig sind,76 und Versicherungsberater.77 Auch bei einer Täuschung durch den Bezugsberechtigten (z.B. in der Lebensversicherung) kommt eine Anfechtung nur dann in Betracht, wenn der VN diese kannte oder kennen musste (§ 123 Abs. 2 BGB).78 Versicherungsvermittler stehen im Lager des VR, nicht des VN, solange sie nicht mit diesem kollusiv zusammenwirken (Rn. 13).79

3. Subjektiver Tatbestand 20 In subjektiver Hinsicht verlangt das Gesetz Arglist, dafür genügt bedingter Vorsatz (dolus eventualis).80 Erforderlich ist ein Täuschungswille des VN, der eine Fehlvorstellung beim VR hervorrufen oder aufrechterhalten und so auf die Entschließung des VR Einfluss nehmen will und sich daher bewusst sein muss, dass jener möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er die Wahrheit sage.81 Eine unlautere Ab73 BGH 8.2.1989 VersR 1989 465. 74 So im Berufungsrechtszug OLG Hamm 27.5.1987 VersR 1988 458; zweifelnd im Revisionsverfahren BGH 8.2.1989 VersR 1989 465; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 157; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 18. 75 Vgl. RG 14.12.1920 RGZ 101 97, 98 f.; BGH 17.11.1960 BGHZ 33 293, 309; 6.7.1978 NJW 1978 2144. 76 BGH 12.3.2008 – IV ZR 330/06, VersR 2008 809; 12.3.2014 – IV ZR 360/13, BGHZ 200 286, 292; OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469; OLG Köln 25.4.2007 – 5 U 242/06, VersR 2008 810; 11.4.2011 – 20 U 28/11, BeckRS 2011 20806; OLG Düsseldorf 10.3.2017 – I-4 U 191/15, VersR 2017 1449; KG 28.11.2014 – 6 U 98/14, MDR 2015 513; 19.2.2019 – 6 U 27/17, BeckRS 2019 3796; OLG Hamm 4.3.2020 – 20 U 3/20, VersR 2020 1300; LG Hamburg 19.4.2012 – 314 O 55/11, ZfS 2012 695; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 24; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski § 19 Rn. 17; für den konkreten Fall verneinend OLG Saarbrücken 16.6.2010 – 5 U 272/08, ZfS 2012 704; im konkreten Fall offen gelassen und Zurechnung über § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB: OLG Saarbrücken 15.5.2019 – 5 U 60/ 18, VersR 2019 1067; krit. hierzu Jungermann RuS 2019 638. 77 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 156; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 17; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 38. 78 OLG Hamm 27.5.1987 VersR 1988 458 (siehe dazu auch das Revisionsurteil BGH 8.2.1989 VersR 1989 465, das diese Frage allerdings nicht mehr behandelt); Palandt/Ellenberger § 123 BGB Rn. 12. 79 A.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 27: auch jenseits kollusiven Zusammenwirkens in evidenten Missbrauchsfällen. 80 BGH 25.3.1998 NJW 1998 2360; 7.6.2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168 64, 69; OGH Wien 6.7.2016 – 7 Ob 34/16 z, VersR 2017 714; OLG Stuttgart 1.12.2016 – 7 U 114/16, NJOZ 2018 579; OLG Hamm 29.7.2019 – 20 U 82/19, ZfS 2020, 208; LG Münster 21.6.2019 – 115 O 146/18, BeckRS 2019 39051; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 153; Bruns § 11 Rn. 22; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 25; a.A. Herrmann VersR 2003 1333, 1339. 81 RG 28.3.1930 RGZ 128 116, 121; BGH 28.2.2007 – IV ZR 331/05, VersR 2007 785; 24.11.2010 – IV ZR 252/08, VersR 2011 338; OLG Hamm 20.2.1990 VersR 1990 765; 10.11.2015 – 20 U 165/15, BeckRS 2016 14695; 3.2.2017 – 20 U 68/ 16, VersR 2017 808; 20.2.2019 – 20 U 126/18, VersR 2020 611; KG 8.4.2005 – 6 U 5/05, VersR 2006 1393; OLG Dresden 31.1.2006 – 4 U 2298/05, VersR 2006 1526, OLG Jena 22.6.2010 – 4 U 519/07, VersR 2011 380; OLG Rostock 28.1.2011 – 5 U 93/10, ZfS 2011 393: abgelehnt bei unwahren Angaben einer 15-Jährigen, die nur erzieherische Konsequenzen vermeiden wollte; OLG Saarbrücken 14.11.2012 – 5 U 343/10-55, VersR 2013 1030; OLG Koblenz 19.12.2012 – 2 U 1194/ 11, VersR 2013 1113; OLG Karlsruhe 29.7.2014 – 12 U 159/13, NJW 2014 3733; OLG Jena 29.3.2018 – 4 U 740/13, BeckRS 2018 4530; LG Dortmund 9.6.2011 – 2 O 15/11, BeckRS 2011 15366; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 7; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 153. Rolfs

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sicht, etwa dergestalt, sich zu bereichern oder den VR zu schädigen, ist demgegenüber nicht erforderlich.82

a) Kenntnis der Unrichtigkeit. Der Antragsteller muss die Unrichtigkeit seiner Angabe bzw. 21 die Unrichtigkeit der Vorstellung des VR erkennen. Hinsichtlich der Kenntnis des VN von gefahrerheblichen Umständen gelten dieselben Grundsätze wie im Rahmen des § 19 Abs. 1 (näher § 19 Rn. 55 ff.). Für ein arglistiges Verhalten des VN kommt es auf den Kenntnisstand zum Zeitpunkt des Versicherungsantrags an.83 Besondere Probleme können sich hier bei Alkoholabhängigkeit des VN stellen, weil es zum Krankheitsbild dieser Sucht gehört, dass der Erkrankte die Abhängigkeit nicht wahrhaben will.84 Von einer Kenntnis ist z.B. auch dann auszugehen, wenn er das Antragsformular blanko in der Überzeugung unterschreibt, dass der Agent zutreffende Angaben nicht machen wird, weil er nicht über sie verfügt und auch keinen Anlass zur Rückfrage hat. Dem gleich steht der Fall, dass der VN sich der Kenntnis in arglistiger Weise entzogen 22 hat. Arglistig kann nämlich auch derjenige täuschen, der sich der ihm aufdrängenden und ohne weiteres möglichen und zumutbaren Erkenntnis der die Täuschung begründenden Umstände verschließt85 und das Fehlen derartiger Umstände blindlings („ins Blaue hinein“) vertraglich zusichert,86 beispielsweise einen entsprechend ausgefüllten Antragsfragebogen ungelesen unterschreibt.87 Dass ihm die Umstände tatsächlich nicht bekannt waren, ist dabei unerheblich. Das arglistige Verhalten liegt hier gerade darin, dass dem Erklärenden, was ihm auch bewusst war, jegliche zur sachgemäßen Beantwortung erforderliche Kenntnis fehlte und dass er gleichwohl diesen Umstand gegenüber dem anderen Teil verschwieg.88 Auch insoweit ist allerdings Vorsatz erforderlich.89 Wird also nicht bewusst etwas Unsicheres als sicher dargestellt, sondern nur aus Fahrlässigkeit die Unrichtigkeit der Behauptung nicht erkannt, fehlt es an der Arglist.90 Dass dem VN der gefahrerhebliche Umstand hätte bekannt sein müssen, er aber in fahrlässiger Weise bestimmten Krankheitssymptomen keine Beachtung geschenkt und sich aufdrängende Erkundigungen nicht eingezogen hat, reicht nicht aus;91 anders aber, wenn der VN sich sehenden Auges der unabweisbaren Kenntnisnahme des Gefahrumstandes verschlossen hat.92 Demgegenüber fehlt es an der notwendigen Kenntnis des VN, wenn in einem Versiche- 23 rungsantrag objektiv unklare oder mehrdeutige Fragen gestellt werden (siehe dazu auch § 19 Rn. 28 ff.) und der VN die Fragen in einem anderen Sinn als dem des VR verstanden und inso-

82 BGH 20.11.1991 NJW-RR 1991 411; 7.10.1992 VersR 1993 170; OLG Karlsruhe 7.4.2005 – 12 U 391/04, VersR 2006 205; KG 29.6.2006 – 6 U 18/06, VersR 2007 933; OLG Stuttgart 1.12.2016 – 7 U 114/16, NJOZ 2018 579; OLG Hamm 29.7.2019 – 20 U 82/19, ZfS 2020, 208; LG Duisburg 29.10.2010 – 12 O 47/10, BeckRS 2011 3689; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 7. 83 OLG Karlsruhe 1.10.2018 – 9 U 165/16, VersR 2019 608. 84 Arglist dennoch bejahend OLG Koblenz 30.1.1998 VersR 1998 1094; OLG Hamm 17.8.2007 – 20 U 26/07, VersR 2008 477; jedenfalls für möglich haltend OLG Düsseldorf 17.6.1997 VersR 1998 349. 85 BGH 7.10.1992 VersR 1993 170, 171. 86 LG Saarbrücken 21.6.2016 – 14 S 32/15, ZfS 2017 451; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 9; Langheid/Rixecker/ Langheid § 22 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 11. 87 OLG Hamm 2.8.2019 – 20 U 102/19, VersR 2020 538; OLG Schleswig 4.6.2020 – 16 U 133/19, NJW-RR 2020 1294. 88 BGH 8.5.1980 NJW 1980 2460; 6.11.2007 – XI ZR 322/03, NJW 2008 644; OLG Hamm 20.2.1990 VersR 1990 765; OLG München 30.11.1998 VersR 2000 711, 712; OLG Koblenz 20.9.2002 – 10 U 333/02, VersR 2004 849; KG 10.1.2006 – 6 U 122/05, VersR 2007 381; OLG Frankfurt/Main 24.7.2008 – 3 U 68/08, ZfS 2009 269; vgl. auch BGH 26.9.1997 VersR 1998 905; 7.6.2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168 64, 69; OLG Karlsruhe 18.10.2007 – 12 U 9/07, VersR 2008 250. 89 A.A. de lege ferenda Schwampe VersR 1984 308, 310. 90 BGH 16.3.1973 BGHZ 60 319, 321 f.; 13.7.1983 BGHZ 88 130, 134. 91 BGH 20.4.1994 VersR 1994 799. 92 BGH 7.10.1992 VersR 1993 170; OLG Hamm 20.2.1990 VersR 1990 765. 109

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weit zutreffend beantwortet hat,93 wenn der Versicherungsagent die Frage fehlerhaft erläutert und dadurch eine unvollständige Antwort verursacht, wenn der VN das Antragsformular blanko unterschrieben hat und davon ausging, dass der Versicherungsvermittler es korrekt ausfüllt oder in Zweifelsfällen bei ihm rückfragt94 oder er infolge einer Hirnleistungsschwäche einen gefahrerheblichen Umstand nicht nennt.95 Ebenso ist anerkannt, dass eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht in Betracht kommt, wenn der VN dem Agenten alles klargelegt, diesem aber die Ausfüllung des Fragebogens überlassen und nur unterschrieben hat.96

24 b) Bewusstsein der Bedeutung der Fehlvorstellung. Zudem muss dem VN bewusst sein, dass die Fehlvorstellung des VR für dessen unveränderte Annahme des Versicherungsantrags kausal ist.97 Da es einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass von der wissentlichen Falschbeantwortung einer Gefahrfrage auf die Täuschungsabsicht geschlossen werden kann, nicht gibt,98 können sich hier im Einzelfall schwierige Beweisfragen stellen (dazu noch Rn. 43 ff.). Eine Beeinflussung der Entscheidung des VR will der VN mit seiner Täuschung in der Personenversicherung regelmäßig erreichen, wenn er schwere, chronische und schadengeneigte Erkrankungen verschweigt,99 ein schwerwiegendes Krankheitsbild (hier: Bluthochdruck bis zu Herzbeklemmungen, Psycholabilität) nicht angibt und nur eine Routineuntersuchung ohne Befund statt einer Vielzahl von Behandlungen erwähnt, die in dichter zeitlicher Folge vor der Antragstellung erfolgt sind,100 nicht angibt, dass eine wenige Wochen zuvor durchgeführte Koronarangiographie mittels Herzkatheter eine sog. Dreigefäßerkrankung ergeben und der behandelnde Arzt gebeten hatte, eine Bypassoperation zu erwägen,101 zahlreiche verschiedene Vorerkrankungen verschweigt, einen falschen Arzt als seinen Hausarzt angibt und den Untersuchungsbericht eines ansonsten nicht konsultierten Arztes beifügt,102 über Jahre hinweg bestehende chronische Schmerzen und verschiedene Erkrankungen mit häufigen Arztbesuchen verharmlost,103 noch akut behandelte Kniebeschwerden verschweigt,104 auf ein früheres Gesundheitszeugnis hinweist, aber verschweigt, dass eine damals begonnene ärztliche Behandlung wider Erwarten nicht abgeschlossen werden konnte,105 einen risikoreichen Teilbereich seines Berufsbildes verschweigt, um in der Berufsunfähigkeits(zusatz)versicherung keinen Wagnis-

93 OLG Hamm 11.5.1988 RuS 1988 347; 6.12.1989 RuS 1990 168; OLG Frankfurt/Main 29.1.1991 VersR 1992 41; OLG Hamm 30.9.1992 RuS 1993 351; 28.7.2010 – I-20 U 20/10, VersR 2011 793; KG 16.9.1997 NJWE-VHR 1998 174; OLG Köln 24.10.2006 – 9 U 5/06, VersR 2007 101; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 12; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 153; im konkreten Fall verneinend OLG Dresden 4.11.2019 – 4 U 2299/19, BeckRS 2019 32258. 94 Berliner Kommentar/Voit Rn. 11. 95 OLG Oldenburg 14.1.1998 VersR 1999 437. 96 OLG Hamm 16.11.1990 NJW-RR 1991 609. 97 BGH 28.11.1984 VersR 1985 156; OLG Düsseldorf 26.4.1994 VersR 1995 35; OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 831; OLG Frankfurt/Main 24.7.1996 RuS 1997 477. 98 BGH 1.2.1982 VersR 1983 237; 22.2.1984 VersR 1984 630; 18.9.1991 VersR 1991 1404; 20.11.1991 NJW-RR 1991 411; 28.2.2007 – IV ZR 331/05, VersR 2007 785; 4.5.2009 – IV ZR 62/07, VersR 2009 968, 969; 24.11.2010 – IV ZR 252/08, VersR 2011 338; OLG Saarbrücken 19.5.1993 VersR 1996 488; OLG Bamberg 4.3.2010 – 1 U 74/09, BeckRS 2010 10103; OLG Karlsruhe 29.7.2014 – 12 U 159/13, NJW 2014 3733; OLG Oldenburg 29.6.2016 – 5 U 165/15, VersR 2017 803; LG Dortmund 9.6.2011 – 2 O 15/11, BeckRS 2011 15366; OLG Frankfurt/Main 3.12.2015 – 12 U 19/14, BeckRS 2016 11775; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 43; Schwintowski VuR 2018 220. 99 KG 24.2.1984 VersR 1985 331; 20.6.2006 – 6 U 46/06, VersR 2006 1628; LG Arnsberg 19.12.1983 VersR 1985 232; LG Wuppertal 22.8.1985 VersR 1987 373. 100 OLG Karlsruhe 29.8.1991 VersR 1992 1250. 101 OLG Hamm 11.12.1987 RuS 1988 211. 102 OLG München 17.10.1991 RuS 1992 176; OLG Köln 9.1.1992 VersR 1992 1252. 103 OLG Dresden 29.4.2021 – 4 U 2453/20 RuS 2021 529. 104 OLG Hamm 5.1.1996 RuS 1997 215. 105 BGH 7.10.1992 VersR 1993 170. Rolfs

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zuschlag zahlen zu müssen,106 einen Hexenschuss in Kenntnis des Umstandes verschweigt, dass Rückenbeschwerden im ausgeübten Beruf zu den häufigsten Berufsunfähigkeitsrisiken zählen,107 Rückenbeschwerden verschweigt, wegen derer ein anderer VR auf einem Risikoausschluss bestanden hatte108 oder die Frage nach dem Bestehen anderer Unfallversicherungen wahrheitswidrig verneint und sich dabei der Erheblichkeit der Frage für den Vertragsabschluss bewusst war,109 die zehn Tage zuvor erhaltene Diagnose eines Huntington-Gendefekts bei gleichzeitiger Angabe einer Mandelentzündung verschweigt,110 regelmäßige Arztbesuche wegen Fiebers, Gelenkbeschwerden, Schwellungen mit medikamentöser Behandlung bei gleichzeitiger Angabe eines allgemeinen Gesundheitschecks beim Hausarzt verschweigt,111 immer wieder behandelte Rückenbeschwerden und Migräne verschweigt,112 bei einer Unfallversicherung Alkoholmissbrauch trotz mehrfacher ärztlicher Behandlung nicht angibt,113 eine Vielzahl von Arztkontakten mit Anzeichen für eine MS-Erkrankung bei gleichzeitiger Angabe von zwei mehr als zehn Jahre zurückliegenden Operationen verschweigt,114 bei einem Antrag auf eine Lebensversicherung eine seit Jahren bestehende Morbus Crohn Medikation nicht angibt,115 eine Bronchitis statt einer chronischen Lungenerkrankung angibt,116 er verschweigt, dass ihm allein im Monat vor der Antragstellung 350 Schmerztabletten verschrieben wurden,117 oder bei gleichzeitiger Angabe eines ausgeheilten Nabelbruches und zwei Psychotherapiesitzungen nach dem Tod des Vaters die wiederholte Behandlung einer depressiven Erkrankung, bei der umfangreiche neurologische Abklärungen erfolgt sind, und die dauerhafte Einnahme von Medikamenten wegen Sodbrennens nicht angibt.118 Arglist ist hingegen verneint worden, wenn der VN eine Pollenalergie und eine chronisch spastische Bronchitis wegen abwiegelndem Verhalten des Maklers bei gleichzeitiger Aufgabe eines schon bestehenden gleichartigen Versicherungsschutzes verschweigt,119 wenn eine selbstständige Friseurmeisterin missverständlich nach dem „Jahresbruttoeinkommen“ gefragt wird und ihr persönlich erwirtschaftetes Bruttoeinkommen angibt, obwohl der Gesamtumsatz ihres Geschäftes höher ist120 oder wenn gravierendere als die verschwiegenen Umstände angegeben werden.121 In der Sachversicherung wird der VN das erforderliche Bewusstsein in aller Regel dann 25 haben, wenn er die Nutzungsart des versicherten Gebäudes falsch angibt, z.B. ein Bordell als Fitness-Center122 oder „Pension“123 bezeichnet, einen Swingerclub als „Gaststätte“,124 eine Diskothek als Gasthof125 oder eine Hühnerzuchtanlage mit Übernachtungsmöglichkeit als Ferienwohnung/Wochenendhaus.126 Gleiches kann angenommen werden, wenn er verschweigt, dass 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 111

LG Hannover 10.4.1991 RuS 1991 390. OLG Hamm 20.2.2019 – 20 U 126/18, VersR 2020 611. OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 831. OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229. OLG Saarbrücken 20.10.2011 – 5 W 220/11-98, RuS 2014 88. OLG Oldenburg 12.12.2012 – 5 U 89/12, RuS 2013 510. OLG München 30.3.2012 – 25 U 5453/09, RuS 2013 511. OLG Saarbrücken 24.3.2010 – 5 U 144/09-38, VersR 2011 659. OLG Frankfurt/Main 5.7.2010 – 7 U 118/09, VersR 2011 653. OLG Saarbrücken 9.9.2009 – 5 U 26/09-9, VersR 2009 1522. OLG Saarbrücken 26.6.2019 – 5 U 89/18, VersR 2020 91. LG Offenburg 11.10.2019 – 2 O 49/19, BeckRS 2019 40254. OLG Saarbrücken 20.6.2018 – 5 U 55/16, NJW-RR 2018 1510. OLG Saarbrücken 16.6.2010 – 5 U 272/08, ZfS 2012 704. OLG Karlsruhe 3.4.2008 – 12 U 151/07, RuS 2009 120. OLG Düsseldorf 27.10.2017 – I-4 U 145/16, NJW-RR 2018 214. OLG Köln 20.12.1990 RuS 1991 183. OLG Koblenz 1.3.2002 – 10 U 433/01, VersR 2002 1145. OLG Celle 14.2.2020 – 8 U 171/19, NJW-RR 2020 1158. OLG Celle 21.4.1986 RuS 1987 233. OLG Zweibrücken 21.8.2013 – 1 U 27/13, RuS 2014 129. Rolfs

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Arglistige Täuschung

ihm zur Erpressung von Schutzgeld mit Brandstiftung gedroht worden war.127 Arglist ist bei der Gebäudeversicherung angenommen worden, wenn der VN sowohl einen Vorschaden als auch eine Vorversicherung128 verschwiegen hat,129 bei Falschangabe hinsichtlich der Nutzfläche130 und hinsichtlich des längeren Leerstands eines Gebäudes.131 26 Auch bei falschen oder unvollständigen Angaben zu subjektiven Gefahrumständen liegt die Annahme, dem VN sei seine Einflussnahme auf die Entscheidung des VR bei der Falschangabe bewusst, desto näher, je bedeutsamer die Umstände für die Risikoprüfung des VR sind. Dies gilt beispielsweise, wenn der VN Doppelversicherungen verschweigt,132 falsche Angaben in Bezug auf die Beendigung einer früheren Versicherung133 oder Entschädigungsleistungen für frühere Versicherungsfälle134 macht, wenn er in der Unfallversicherung auf die Frage nach gleichartigen Vorversicherungen und Vorschäden mehrfache Beinverletzungen durch Stürze nicht angibt135 oder verschweigt, dass er innerhalb weniger Jahre vor der Antragstellung wiederholt Versicherungsleistungen aus Unfallversicherungen in nicht unerheblichem Umfange bezogen hat,136 er in der Gebäudeversicherung einen Einbruchschaden in fünfstelliger Höhe nicht angibt137 oder wenn er die wegen der beantragten hohen Versicherungssummen an ihn gerichtete Frage nach der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung fälschlich verneint.138 27 An dem Bewusstsein kann es fehlen, wenn der VN Fragen in Bezug auf Mitversicherte unbeantwortet lässt, weil er sich irrtümlich für allein anspruchsberechtigt hält,139 eine länger zurückliegende, ausgeheilte Erkrankung nicht mehr bedacht und für nicht gefahrerheblich gehalten wird,140 die bestehende Vorversicherung bereits gekündigt war und der VN ihr deshalb keine Bedeutung mehr zumaß,141 beim Abschluss einer Unfallversicherung eine bereits bestehende Insassenunfallversicherung142 oder ein ADAC-Schutzbrief143 vergessen wurde, der VN davon ausging, dass dem VR der Gefahrumstand bekannt war144 oder er ihn durch eine bereits angekündigte Rückfrage bei seinem Arzt ohnehin erfahren werde.145 Auch schwerwiegende psychische Erkrankungen des VN, die ihn daran hindern, die Bedeutung der Antragsfrage zu erkennen und zu würdigen, können ein entsprechendes Bewusstsein verhindern.146

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KG 6.3.1998 VersR 1999 577; dazu Prölss NVersZ 2000 153 ff. LG Paderborn 31.5.2012 – 3 O 141/11, BeckRS 2012 14825. OLG München 9.3.2011 – 20 U 1643/09, BeckRS 2012 4097. BGH 30.6.2010 – IV ZR 229/07, VersR 2011 414. OLG Saarbrücken 13.1.2010 – 5 U 127/09-33, VersR 2012 900. OLG Karlsruhe 18.4.1991 RuS 1992 140; OLG Frankfurt/Main 10.6.1992 VersR 1993 568; OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1531. 133 OLG Köln 22.5.2001 – 9 U 7/00, NVersZ 2001 500; OLG Celle 24.9.2009 – 8 U 99/09, VersR 2010 383: wegen Unklarheit über Kündigung im konkreten Fall abgelehnt; AG Itzehoe 27.4.1988 ZfS 1989 174. 134 OLG Karlsruhe 18.4.1991 RuS 1992 140. 135 OLG Hamm 16.1.1991 RuS 1992 358. 136 OLG Karlsruhe 18.4.1991 RuS 1992 140. 137 LG Hamburg 27.11.1990 VersR 1991 1051. 138 OLG Düsseldorf 6.3.1990 VersR 1991 49. 139 OLG Hamm 6.12.1989 VersR 1990 1337. 140 OLG Düsseldorf 26.4.1994 VersR 1995 35; bedenklich OLG Koblenz 11.11.1994 VersR 1995 689. 141 OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 831; ähnlich OLG Hamm 7.7.1978 VersR 1978 1137. 142 OLG Hamm 11.5.1988 RuS 1988 347. 143 BGH 28.2.2007 – IV ZR 331/05, VersR 2007 785. 144 OLG Hamm 23.9.1992 RuS 1993 351; OLG Celle 13.2.2006 – 8 W 9/06, VersR 2006 921. 145 BGH 25.10.1989 VersR 1990 297; OLG Nürnberg 2.6.1966 VersR 1966 1132; ähnlich OLG Frankfurt/Main 15.5.2002 – 7 U 134/01, VersR 2003 357. 146 OLG München 30.11.1998 VersR 2000 711. Rolfs

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B. Arglistige Täuschung

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II. Anfechtung 1. Anfechtungserklärung Die Anfechtung muss vom VR erklärt werden. Da § 21 keine Anwendung findet, ist die Anfech- 28 tungserklärung formlos möglich und bedarf keiner Begründung. Erforderlich ist aber, dass der VN erkennen kann, auf welchen tatsächlichen Grund sich der VR stützt.147 Es handelt sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit ihrem Zugang (§ 130 Abs. 1 BGB) wirksam wird. Es gelten die allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts (§ 143 Abs. 1 BGB).148 Zum richtigen Erklärungsempfänger, insbesondere nach dem Tod des VN, gelten die Bemerkungen bei § 21 Rn. 12 entsprechend. Die Erklärung muss eindeutig sein, die Umdeutung (§ 140 BGB) eines Rücktritts oder einer Leistungsablehnung in eine Anfechtung kommt nicht in Betracht.149 Der VR darf aber gleichzeitig Anfechtung und (hilfsweise) Rücktritt erklären150 und auch noch nach einem bereits erklärten Rücktritt anfechten,151 woran für ihn wegen § 21 Abs. 2 ein Interesse bestehen kann. Auch ein Rücktritt mit hilfsweiser Anfechtung wird für zulässig gehalten.152

2. Anfechtungsfrist Die Anfechtung muss innerhalb eines Jahres erfolgen (§ 124 Abs. 1 BGB). Die Frist beginnt mit 29 dem Zeitpunkt, in dem der VR die Täuschung entdeckt (§ 124 Abs. 2 BGB). Wie beim Rücktritt ist die sichere Kenntnis des VR von der arglistigen Täuschung erforderlich (§ 21 Rn. 23 ff.). Umstritten ist, ob den VR – wie dort – eine Nachforschungsobliegenheit trifft, wenn bloße Verdachtsmomente zu seiner Kenntnis gelangen. Nach Auffassung des OLG Hamm steht die fahrlässige Unkenntnis des VR, der Rückfragen trotz entsprechender Anhaltspunkte unterlässt, der positiven Kenntnis nicht gleich, sodass die Frist nicht zu laufen beginne.153 Dem wird entgegen gehalten, dass der VR aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sei, den VN nicht unnötigerweise im Unklaren darüber zu lassen, ob der Versicherungsschutz besteht, auf den er möglicherweise existenziell angewiesen ist. Nachdem der BGH aber die Verletzung der vorvertraglichen Nachfrageobliegenheit des VR bei unklaren Antworten des VN im Hinblick auf das Anfechtungsrecht des VR nicht mehr für erheblich hält,154 wird man für das bestehende Versicherungsverhältnis nicht anders entscheiden können und daher dem OLG Hamm beitreten müssen. Hat der VN in mehrfacher Hinsicht getäuscht, beginnt die Anfechtungsfrist für jede Täu- 30 schung gesondert.155 Es ist dem VR unbenommen, beispielsweise auf eine verschwiegene Doppelversicherung nicht zu reagieren, nach späterer Aufdeckung nicht angezeigter Vorschäden oder Erkrankungen dann aber doch anzufechten. Anders liegen die Dinge nur, wenn die später entdeckte Täuschung nur eine Intensivierung der Ersteren darstellt (vgl. auch § 21 Rn. 22) oder deren Gewicht 147 Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 33; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 188; Palandt/Ellenberger § 143 BGB Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 22; Staudinger/Roth § 143 BGB Rn. 11; für Begründungspflicht erst bei entsprechender Nachfrage: Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 163. 148 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 163. 149 BGH 22.2.1984 VersR 1984 630; 18.9.1991 VersR 1991 1404; 9.4.1997 RuS 1997 294; OLG Köln 14.9.1989 VersR 1990 769; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 32; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 108; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 163; a.A. Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 184. 150 OLG Köln 9.1.1992 VersR 1992 1252; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 28; Wrabetz ZfV 1992 147, 148. 151 OLG Köln 22.5.2001 – 9 U 7/00, NVersZ 2001 500; LG Arnsberg 19.12.1983 VersR 1985 232. 152 Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 28. 153 OLG Hamm 24.6.1981 VersR 1982 85; OLG Saarbrücken 18.4.2012 – 5 U 293/11-41, BeckRS 2013 2876. 154 BGH 7.3.2001 – IV ZR 254/00, VersR 2001 620; 10.10.2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001 1541; 15.3.2006 – IV ZA 26/ 05, VersR 2007 96; 4.7.2007 – IV ZR 170/04, VersR 2007 1256; a.A. früher BGH 20.9.1989 BGHZ 108 326, 328; 25.3.1992 BGHZ 117 385, 387 f. 155 Berliner Kommentar/Voit Rn. 39. 113

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so deutlich hinter demjenigen der zuerst bekannt gewordenen zurückbleibt, dass der VR sich treuwidrig verhielte (§ 242 BGB), wenn er nunmehr von seinem Recht Gebrauch machte.156 31 Die Frist dauert ein Jahr (§ 124 Abs. 2 BGB), wobei gem. § 124 Abs. 2 Satz 2 BGB die die Hemmung bzw. Ablaufhemmung der Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210 und 211 BGB entsprechende Anwendung finden. Die Anfechtungserklärung muss dem VN fristgerecht zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB); auf die Berechnung der Frist finden § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB Anwendung. Nach ihrem Ablauf kann der VR den Sachverhalt, auf den er seine Anfechtung stützt, nicht mehr auswechseln; ein Nachschieben von Gründen ist ausgeschlossen.157 Eine Verwirkung (§ 242 BGB) des Anfechtungsrechts noch innerhalb der Jahresfrist kommt nur ganz ausnahmsweise in Betracht.158

3. Ausschlussfrist 32 Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist nach § 124 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre vergangen sind.159 Zu Beginn, Lauf und Ende der Frist gelten die Bemerkungen zur (fünfjährigen) Frist des § 21 Abs. 3 entsprechend (§ 21 Rn. 47 ff.). 33 Vor Ablauf der Frist kann der VR schon auf sein Anfechtungsrecht verzichten. Wegen der weitreichenden Wirkungen ist insoweit aber eine eindeutige Erklärung des VR erforderlich. Zudem kann der Verzicht nie generell erklärt werden, sondern muss sich auf konkret benannte Gründe beziehen.160 Jedenfalls reicht es nicht aus, dass der VR die Prämie einzieht, weil es sich um einen rein formalen buchungstechnischen Vorgang handelt, dem ein solcher Erklärungswert nicht beigemessen werden kann;161 ebenso wenig, dass der VR mit dem VN über die Schadenshöhe verhandelt.162 Auch mit einem Rücktritt verzichtet der VR noch nicht auf sein Anfechtungsrecht.163 Anders ist dies aber bei Erklärung der Kündigung durch den VR zu sehen, da der VR hierdurch den Vertrag für die Vergangenheit bestätigt, § 144 BGB.164 Zweifelhaft ist, ob in der Übersendung eines Nachtrags zum Versicherungsschein eine Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts mit der Folge des § 144 BGB gesehen werden kann. Rechtsprechung und herrschende Lehre verneinen dies, weil es sich hierbei um automatisierte, routinemäßige Vorgänge handele.165 Dem kann allerdings nicht uneingeschränkt beigetreten werden. Die Auslegung ei-

156 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 163: wenn alle Täuschungshandlungen zum gleichen Komplex gehören. 157 BGH 29.1.1969 VersR 1969 319; 18.9.1991 VersR 1991 1404; 19.2.1993 NJW-RR 1993 948; OLG Hamm 27.5.1987 VersR 1988 458; OLG Bamberg 4.3.2010 – 1 U 74/09, BeckRS 2010 10103; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 23; a.A. OLG Frankfurt/Main 23.6.2010 – 7 U 90/09, BeckRS 2011 5383; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 34: bei enger inhaltlicher Verbindung; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 47; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 28; Neuhaus Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung in Recht und Praxis, S. 256. 158 BGH 28.4.1971 NJW 1971 1795; vgl. auch BGH 7.6.1989 BGHZ 107 368, 373 ff.; BAG 6.11.1997 NZA 1998 374; OLG Hamm 12.6.1991 VersR 1992 301; Bach VersR 1992 302, 303. 159 BGH 25.11.2015 – IV ZR 277/14, VersR 2016 101; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 36; Langheid/Wandt/MüllerFrank § 22 Rn. 51; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 20; für eine (weitere) Verkürzung de lege ferenda Prölss ZVersWiss 2001 471, 494. 160 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 164. 161 OLG Köln 29.6.1995 VersR 1998 85; LG Köln 31.5.2007 – 24 O 372/06, RuS 2008 74; a.A. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 26. 162 KG 6.3.1998 VersR 1999 577. 163 Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 40; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 164; Langheid/ Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 60. 164 Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 40; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 164; a.A. LG Aachen 3.11.2016 – 9 O 346/14, RuS 2017 180; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 60. 165 OLG Celle 3.2.2000 – 8 U 263/98, VersR 2001 357; OLG Saarbrücken 5.12.2001 – 5 U 568/01-39, VersR 2003 890; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 40; a.A. OLG Frankfurt/Main 28.7.1998 NVersZ 1998 114. Rolfs

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B. Arglistige Täuschung

VVG § 22

ner Willenserklärung orientiert sich nicht am Willen des Erklärenden, sondern am objektiven Empfängerhorizont.166 Anders als der – auch vom VN wohl als „Routine“ des VR empfundene – Einzug der Prämie kann auch ein redlicher VN der Übersendung eines Nachtrags zum Versicherungsschein und damit einer Änderung des bisherigen Vertragsinhalts in aller Regel die Erklärung entnehmen, der VR verzichte auf sein Anfechtungsrecht. Ein vor Vertragsschluss individuell oder in den AVB vereinbarter Verzicht ist aufgrund der Unvereinbarkeit mit dem von § 123 BGB bezweckten Schutz der freien Selbstbestimmung des VR unwirksam.167

III. Rechtsfolgen 1. Nichtigkeit des Vertrages Die Anfechtung beseitigt die auf den Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung des VR und 34 damit den Versicherungsvertrag rückwirkend (§ 142 Abs. 1 BGB).168 Die Unwirksamkeit des Vertrages muss sich nicht nur der VN, sondern jedermann entgegenhalten lassen. Ob sich im Falle eines teilbaren Vertrages – etwa einer Krankheitskostenvollversicherung für die gesamte Familie – die Anfechtung auf einen abtrennbaren Teil beschränken muss, wenn der VR nur in Bezug auf ihn arglistig getäuscht wurde (etwa: nur über die Gesundheit einer der versicherten Personen), ist umstritten und im Ergebnis zu bejahen.169 Der VR kann sich auch auf die Anpassung des Vertrages nach § 19 Abs. 4 beschränken; er ist hierzu aber nicht verpflichtet.170 Vertrauensschutz gewährt das Gesetz an einigen Stellen Dritten, die Vorteile aus dem Be- 35 stehen des Versicherungsvertrages ziehen, für die arglistige Täuschung aber nicht verantwortlich sind. Dies betrifft beispielsweise (zeitlich begrenzt) die Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss eine gesetzliche Verpflichtung besteht, wie etwa die Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 117 Abs. 2 Satz 1). Hiernach wirkt ein Umstand, der das Nichtbestehen oder die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zur Folge hat, in Ansehung des Dritten erst mit dem Ablauf eines Monats, nachdem der VR diesen Umstand der hierfür zuständigen Stelle angezeigt hat. In ähnlicher Weise ordnet § 143 Abs. 4 an, dass die Nichtigkeit des Versicherungsvertrages gegenüber einem Hypothekengläubiger, der seine Hypothek angemeldet hat, nicht geltend gemacht werden kann. Das Versicherungsverhältnis endet ihm gegenüber jedoch nach Ablauf von zwei Monaten, nachdem ihm die Nichtigkeit durch den VR mitgeteilt worden ist oder er auf andere Weise von ihr Kenntnis erlangt hat. Von den soeben erwähnten Ausnahmen abgesehen bewirkt die Nichtigkeit, dass der VR 36 keine Leistungen zu erbringen braucht.171 § 21 Abs. 2, der die Leistungsfreiheit des VR bei mangelnder Kausalität der Anzeigepflichtverletzung beschränkt, findet auf die Arglistanfechtung keine Anwendung, wie sich schon aus seiner systematischen Stellung ergibt.172 Seit der VVGReform 2008 brächte die Anwendung dieser Vorschrift für den VN wegen ihres Satzes 2 bei arglistiger Täuschung des VR ohnehin keine Vorteile mehr.

166 BGH 24.2.1988 BGHZ 103 275, 280; 24.6.1988 NJW 1988 2878; 5.7.1990 NJW 1990 3206; 12.3.1992 NJW 1992 1446; 5.10.2006 – III ZR 166/05, NJW 2006 3777; Palandt/Ellenberger § 133 BGB Rn. 9.

167 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563; 17.1.2007 – VIII ZR 37/06, NJW 2007 1058; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 41; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 5. 168 Armbrüster Rn. 1039. 169 Armbrüster Rn. 1045 ff. 170 BGH 28.10.2009 – IV ZR 140/08, VersR 2010 97; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 169. 171 OLG Frankfurt/Main 2.5.2001 – 7 U 58/00, NVersZ 2002 401; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 27. 172 BGH 28.10.2009 – IV ZR 140/08, VersR 2010 97; OLG Köln 13.11.1996 VersR 1998 351; Günther/Spielmann RuS 2008 133, 134; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 38; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 168; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 30; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 27; Staudinger/Halm/ Wendt/Pilz/Gramse § 22 Rn. 27. 115

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§ 22 VVG

Arglistige Täuschung

2. Leistungen des Versicherungsnehmers 37 Trotz der Nichtigkeit des Vertrages und damit der Rechtsgrundlosigkeit der vom VN gezahlten Prämien darf der VR diese bis zum Wirksamwerden der Anfechtungserklärung behalten, § 39 Abs. 1 Satz 2.173 Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die das OLG Nürnberg gegen diese Rechtsfolge angemeldet hatte,174 hat der BGH zu recht nicht geteilt:175 Bei der Ermittlung der für die Übernahme der Gefahr erheblichen Umstände anhand von Formularfragen im täglichen Massengeschäft ist der VR in besonderem Maße darauf angewiesen, dass der Antragsteller Angaben macht, die vollständig sind und der Wahrheit entsprechen. Verschweigt oder verheimlicht der Antragsteller die erfragten Umstände, ist dies für den VR trotz sorgfältiger Prüfung des Antrags oft nicht zu erkennen. Selbst wenn sich in der Folgezeit Schäden häufen oder diese überdurchschnittlich schwer sind, ergeben sich daraus nicht notwendig und auch nicht regelmäßig Hinweise auf Falschangaben beim Vertragsschluss. Die Versuchung gerade eines Antragstellers, die Fragen im Antrag eines VR nicht der Wahrheit gemäß zu beantworten, wäre noch größer, wenn eine Entdeckung zwar den Verlust des Versicherungsschutzes, nicht aber der gezahlten Prämien zur Folge hätte. Könnte der VN auch bei einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung mit einer Rückerstattung aller von ihm gezahlten Prämien rechnen, würde deren Höhe, wenn der Versicherungsvertrag schon eine gewisse Zeit bestanden hat, die Pflicht des VN zur Rückzahlung der Versicherungsleistungen zu einem nicht unerheblichen Teil ausgleichen. Das rechtfertigt eine besondere Regelung der Rechtsfolgen einer arglistigen Täuschung im Versicherungsrecht gegenüber dem allgemeinen Vertragsrecht.176 Dem VN steht aber ein teilweiser Rückerstattungsanspruch bezüglich seiner Prämie aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu, wenn er sie zu Beginn der laufenden Versicherungsperiode bereits vollständig entrichtet hatte. § 39 Abs. 1 Satz 2 belässt dem VR – anders als nach dem bis zum 31.12.2007 geltenden VVG – die Prämie nämlich nur noch bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Anfechtung, also des Zugangs der Anfechtungserklärung. Für den späteren Zeitraum kann der VN die Prämie zeitanteilig (pro rata temporis) als indebitum kondizieren.177 38 Eine abweichende Regelung trifft § 169 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 für die Lebensversicherung, die Schutz gegen ein Risiko bietet, bei dem die Leistungspflicht des VR gewiss ist, insofern, als er den VR bei einer Anfechtung zur Erstattung des vollen Rückkaufswertes verpflichtet. Sind in einem Krankenversicherungsvertrag mehrere Personen Versicherte und macht der VR von seinem Anfechtungsrecht nur einem oder einzelnen von ihnen gegenüber Gebrauch, räumt § 205 Abs. 5 dem VN das Recht ein, innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Anfechtung die Aufhebung des übrigen Teils der Versicherung zum Ende des Monats zu verlangen, in dem ihm die Erklärung des VR zugegangen ist.

3. Leistungen des Versicherers 39 Der VR kann seine in der Vergangenheit erbrachten Leistungen vom VN gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB kondizieren.178 Der abweichenden Auffassung des OLG Nürnberg, die die Wirkung der An-

173 Armbrüster Rn. 1039; Bruns § 11 Rn. 23. Gleiches gilt für Altersrückstellungen, die aus den Prämien gebildet werden: OLG Köln 15.1.2016 – 20 U 186/15, VersR 2017 150. 174 OLG Nürnberg 21.8.1997 VersR 1998 217; 23.12.1999 VersR 2000 437; 26.10.2000 – 8 U 282/00, VersR 2001 1368; dagegen Dreher VersR 1998 539 ff.; Langheid/Müller-Frank NJW 2001 111, 112; Rixecker ZfS 2000 256; Tecklenburg VersR 2001 1369, 1369; Uhlenbrock Die Lösungsrechte des Versicherers, S. 242. Aufgabe dieser Rechtsprechung jetzt durch OLG Nürnberg 2.5.2006 – 8 U 597/06, VersR 2006 1627. 175 Zustimmend Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 28; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 67 f. 176 BGH 1.6.2005 – IV ZR 46/04, BGHZ 163 148, 153; dazu Prahl VersR 2007 459 ff.; gegen das OLG Nürnberg auch OLG Saarbrücken 13.12.2000 – 5 U 624/00-50, VersR 2001 751; LG Berlin 29.2.2000 – 7 O 210/99, VersR 2001 177. 177 Grote/Schneider BB 2007 2689, 2693; Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 31. 178 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 166; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 70. Rolfs

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C. Allgemeine Versicherungsbedingungen

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fechtung auf zukünftige Versicherungsfälle beschränken wollte,179 kann aus den bereits soeben (Rn. 37) erörterten Gründen nicht beigetreten werden.180 Schuldner des Kondiktionsanspruchs ist stets der VN, auch wenn der VR seine Leistung an einen Dritten (Bezugsberechtigten, Pfandgläubiger, Zessionar etc.) erbracht hat.181 Auf einen Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) kann der VN sich wegen § 819 Abs. 1 BGB nicht berufen; bei einer durch ihn selbst verübten arglistigen Täuschung weiß er um die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts (§ 142 Abs. 2 BGB) und kennt damit den Mangel des rechtlichen Grundes.182 § 819 Abs. 1 BGB ist aber auch dann anzuwenden, wenn die Täuschung nicht durch den VN, sondern eine in seinem Lager stehende Person, etwa den Versicherten bei der Versicherung für fremde Rechnung (§ 47 Abs. 1), verübt worden ist.183 Die Schuld ist zu verzinsen, § 819 Abs. 1, § 291 BGB. Hat der VR allerdings eine frühere Leistung nur aufgrund einer entsprechenden Verurteilung erbracht, steht die Rechtskraft dieser Entscheidung seinem Rückforderungsanspruch entgegen.184

IV. Konkurrenzen Neben dem bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsanspruch können dem VR deliktische 40 Ansprüche aus § 826 BGB (vorsätzlich sittenwidrige Schädigung) und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB (Schutzgesetzverletzung, [Versicherungs-]Betrug) zustehen.185 Da diese Ansprüche gem. § 199 Abs. 3 Nr. 2 BGB erst nach Ablauf von 30 Jahren verjähren, solange der VR die arglistige Täuschung weder erkannt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat, stellt sich die Frage, ob er sie auch nach Ablauf der Zehn-Jahres-Frist des § 124 Abs. 1 BGB dem VN noch entgegenhalten kann. Der BGH hat diese Frage bejaht, weil bei unerlaubten Handlungen des VN auch andere rechtlich geschützte Interessen als diejenigen, um deretwillen die Anzeigepflicht statuiert sei, verletzt würden.186 Demgegenüber hat das Gericht Ansprüche des VR aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB (culpa in contrahendo) wegen der Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit oder arglistiger Täuschung abgelehnt, weil die §§ 19 ff. insoweit eine abschließende Sonderregelung träfen.187

C. Allgemeine Versicherungsbedingungen Das Recht zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung kann nicht vertraglich abbedungen wer- 41 den. Der Getäuschte kann sich nicht der Willkür des Täuschenden ausliefern.188 Im Übrigen ist § 22 halbzwingend (§ 32 Satz 1). Die gängigen AVB enthalten keine spezifischen die arglistige Täuschung betreffenden Regelungen. Soweit sie vorsehen, dass der VR seine Anfechtung schriftlich und mit Begründung zu erklären hat, sind sie dem VN günstig und somit wirksam. 179 OLG Nürnberg 21.8.1997 VersR 1998 217. 180 Ablehnend auch Dreher VersR 1998 539 ff.; Langheid/Müller-Frank NJW 1998 3680, 3682. 181 BGH 2.11.1988 BGHZ 105 365, 369 ff.; 28.11.1990 BGHZ 113 62, 65 f.; 10.3.1993 BGHZ 122 46, 50; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 166.

182 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 166; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 70. 183 Vgl. BGH 25.3.1982 BGHZ 83 293, 295 f.; OLG Köln 12.1.1998 NJW 1998 2909. 184 BGH 1.6.1964 BGHZ 42 37, 40 ff.; 30.3.1994 BGHZ 125 351, 352 f.; 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, BGHZ 157 47, 52; Barg Die vorvertragliche Anzeigepflicht, S. 191; Thomas/Putzo/Seiler § 767 ZPO Rn. 22a; Zöller/Vollkommer Vor § 322 ZPO Rn. 63. 185 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 145, 172: ausgeschlossen aber, soweit die Sperrwirkung der §§ 19 ff. reicht; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 21. 186 BGH 22.2.1984 VersR 1984 630; 8.2.1989 VersR 1989 465. 187 BGH 8.2.1989 VersR 1989 465; 18.9.1991 VersR 1991 1404; 7.2.2007 – IV ZR 5/06, VersR 2007 630; Prölss/Martin/ Armbrüster § 19 Rn. 152; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 21; a.A. Armbrüster LMK 2007 223881. 188 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563; Armbrüster Rn. 1035. 117

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§ 22 VVG

Arglistige Täuschung

Eine entgegen dieser (Selbst)Verpflichtung formlos erklärte Anfechtung ist nichtig, § 125 Satz 2 BGB. § 32 steht nicht der Klausel in der Satzung eines VVaG entgegen, die den Ausschluss von Mitgliedern vorsieht, die bei ihrer Aufnahme wissentlich falsche Angaben gemacht haben.

D. Darlegungs- und Beweislast I. Beweislast des Versicherers 42 Für die arglistige Täuschung trägt der VR die Darlegungs- und Beweislast.189 Dies bedeutet erstens, dass er die Fehlerhaftigkeit der Anzeige, das objektive Verschweigen des gefahrerheblichen Umstandes nachweisen muss. Insoweit stellen sich im Wesentlichen dieselben Probleme wie beim Rücktritt (§ 19 Rn. 172 ff.), sodass der Beweis beispielsweise misslingt, wenn der VR die substantiierte Behauptung des VN nicht widerlegen kann, der Versicherungsagent habe eine Frage sinnentstellend gestellt oder erläutert, sodass die objektiv unrichtige Antwort aus Sicht des VN zutreffend war.190 Der VR kann zudem allein mit dem Inhalt des von seinem Versicherungsagenten ausgefüllten Antragsformulars nicht den Beweis führen, dass der VN hinsichtlich seiner Vorerkrankungen falsche Angaben gemacht hat, sofern dieser substantiiert behauptet, den Versicherungsagenten zutreffend unterrichtet zu haben.191 43 In der Praxis besonders problematisch ist aber, dass der VR zweitens auch die Arglist des VN, also dessen Kenntnis von der Unrichtigkeit und – insbesondere – sein Bewusstsein der Bedeutung der beim VR ausgelösten Fehlvorstellung nachzuweisen hat.192 Dabei darf nicht von der wissentlichen Falschbeantwortung der Gefahrfrage auf die Täuschungsabsicht geschlossen werden.193 Es gibt nämlich keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des VR Einfluss zu nehmen.194 Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham,195 aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien.196 Möglicher Grund für eine objektiv falsche Beantwortung kann auch ein krankheitsbedingtes Fehlen der Einsichtsfähigkeit und des Erinnerungsvermögens sein.197 Deshalb muss der VR entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der VN mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des VR einwirken wollte, sich also bewusst war, der VR werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn die Fra-

189 BGH 11.2.1987 RuS 1987 172; 12.11.1986 VersR 1987 91; 18.9.1991 VersR 1991 1404; 14.7.2004 – IV ZR 161/03, VersR 2004 1297; KG 8.4.2005 – 6 U 5/05, VersR 2006 1393; OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, RuS 2011 198.

190 OLG Hamm 3.6.1981 VersR 1982 86. 191 BGH 5.7.2017 – IV ZR 508/14, VersR 2018 85. 192 BGH 20.11.1990 NJW-RR 1991 411; OLG Hamm 2.12.1992 VersR 1993 956; 26.11.1993 VersR 1994 1333; OLG Hamburg 6.10.1993 RuS 1994 352; OLG Koblenz 20.4.2001 – 10 U 1003/00, VersR 2002 222; Knappmann RuS 1996 81, 82; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 31; Pohlmann VersR 2008 437, 441. 193 BGH 1.2.1982 VersR 1983 237; 22.2.1984 VersR 1984 630; 18.9.1991 VersR 1991 1404; 20.11.1991 NJW-RR 1991 411; 28.2.2007 – IV ZR 331/05, VersR 2007 785; OLG Saarbrücken 19.5.1993 VersR 1996 488; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 43; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 158; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 31. 194 BGH 4.5.2009 – IV ZR 62/07, VersR 2009 968, 969; 24.11.2010 – IV ZR 252/08, VersR 2011 338; OLG Bamberg 4.3.2010 – 1 U 74/09, BeckRS 2010 10103; OLG Karlsruhe 29.7.2014 – 12 U 159/13, NJW 2014 3733; OLG Oldenburg 29.6.2016 – 5 U 165/15, VersR 2017 803; LG Dortmund 9.6.2011 – 2 O 15/11, BeckRS 2011 15366; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 43; Schwintowski VuR 2018 220, 222. 195 A.A. OLG Hamm 17.8.2007 – 20 U 26/07, VersR 2008 477; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 9. 196 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 158. 197 BGH 7.2.2018 – IV ZR 53/17, VersR 2018 339. Rolfs

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D. Darlegungs- und Beweislast

VVG § 22

gen wahrheitsgemäß beantwortet würden.198 Allerdings sollen nach der Rechtsprechung objektiv falsche Angaben eine arglistige Täuschung auch in subjektiver Hinsicht indizieren, wenn für den Erklärenden ersichtlich gewesen sein muss, dass er für die Risikobewertung maßgebliche Umstände verschweigt.199 Dennoch hält die Rechtsprechung den VN für verpflichtet, dazu vorzutragen, warum er einen gefahrrelevanten Umstand verschwiegen hat (Rn. 48). Ebenso gibt es bei der Aufnahme von Versicherungsanträgen keinen Erfahrungssatz dahin gehend, dass ein unredliches Verhalten des VN wahrscheinlicher ist als ein unredliches Verhalten des Versicherungsagenten.200 Auskünfte des VorVR oder behandelnder Ärzte, die ohne ordnungsgemäße Entbindung von 44 der Schweigepflicht erteilt wurden, dürfen zur Beweisführung nur dann verwendet werden, wenn der Verstoß nicht zielgerichtet erfolgte, sondern die Daten im Vertrauen auf die tatsächlich nicht wirksame Einwilligung des VN erhoben wurden.201 Die Anforderungen an eine Schweigepflichtentbindung sind in § 213 normiert (§ 19 Rn. 175). Hat der VN entsprechend vorgetragen, wird es dem VR letztlich allein gelingen, Indizien 45 zu benennen und im Streitfall zu beweisen, die auf die innere Tatsache der Arglist schließen lassen.202 Dabei sind Art, Schwere und Zweckrichtung der unrichtigen Angaben,203 die Persönlichkeit des Täuschenden, sein Bildungsstand, die besonderen Umstände bei der Ausfüllung des Antragsfragebogens und die Art der in Rede stehenden Versicherung zu berücksichtigen.204 Gibt beispielsweise der VN bei Abschluss des Versicherungsvertrags lange zurückliegende Unfälle oder Krankenhausaufenthalte an, verschweigt er aber weitere Unfälle oder stationäre Behandlungen aus jüngerer Zeit, so ist der VR berechtigt, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten.205 Dasselbe gilt, wenn der VN belanglose Routineuntersuchungen erwähnt, Behandlungen wegen ernsthafter Erkrankungen aber verschweigt.206 Wichtige Indizien können ferner ein Missverhältnis zwischen der Prämienhöhe und der Vermögenslage des VN,207 die Erhöhung der Versicherungssumme kurz nach Erhalt des Versicherungsscheins bei verschwiegenen Vorerkrankungen,208 das Verschweigen eines erheblichen Vorschadens,209 falsche Angaben

198 OLG Koblenz 19.5.2000 – 10 U 824/99, NVersZ 2001 74; 20.4.2001 – 10 U 1003/00, VersR 2002 222; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 31. 199 OLG Frankfurt/Main 28.9.2011 – 12 U 72/10, BeckRS 2012 9276; OLG Oldenburg 29.6.2016 – 5 U 165/15, VersR 2017 803. 200 OLG Karlsruhe 13.8.2015 – 9 U 50/14, VersR 2016 649. 201 Jetzt § 213; BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, BGHZ 214 127, 131 ff.; 5.7.2017 – IV ZR 121/15, BGHZ 215 200, 205 ff.; OLG Stuttgart 21.12.2017 – 7 U 101/17, VersR 2018 1310; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 45; Armbrüster JZ 2013 1158; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 35; zum früheren Recht BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669; 17.7.2013 – 1 BvR 3167/08, NJW 2013 3086; BGH 25.5.2011 – IV ZR 191/09, VersR 2011 1249. 202 OLG Koblenz 20.9.2002 – 10 U 333/02, VersR 2004 849; OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 5 U 190/04, VersR 2005 929; OLG Köln 22.5.2007 – 9 U 30/06, RuS 2008 17; OLG Karlsruhe 5.2.2013 – 12 U 140/12, RuS 2016 39; OLG Oldenburg 29.6.2016 – 5 U 165/15, VersR 2017 803; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 76. 203 OLG Koblenz 14.11.1997 VersR 1998 1226; 9.10.1998 NVersZ 1999 472; 14.6.2002 – 10 U 1733/01, NVersZ 2002 498; OLG Saarbrücken 9.11.2005 – 5 U 50/05-6, VersR 2006 681. 204 KG 24.2.1984 VersR 1985 331; 11.3.2005 – 6 U 233/04, NJW-RR 2005 1616; 28.4.2006 – 6 U 41/06 VersR 2007 234; OLG Saarbrücken 19.5.1993 VersR 1996 488; 12.3.2003 – 5 U 460/01-33, VersR 2004 50; OLG Köln 10.1.1997 VersR 1998 224; OLG Koblenz 28.11.1997 VersR 1998 1094; OLG Saarbrücken 1.2.2006 – 5 U 207/05-17, VersR 2006 1482; LG Hamburg 4.10.1990 VersR 1991 986; LG Leipzig 10.9.2019 – 03 O 1474/19, BeckRS 2019 39368; s.a. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 158; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 31; Langheid/ Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 28. 205 KG 11.3.2005 – 6 U 233/04, NJW-RR 2005 1616; LG Mannheim 21.6.1990 VersR 1992 1458. 206 OLG Karlsruhe 7.4.2005 – 12 U 391/04, VersR 2006 205; OLG Frankfurt/Main 14.6.2006 – 7 U 81/05, VersR 2006 1629; LG Berlin 23.7.2002 – 7 O 134/02, RuS 2003 253. 207 OLG Koblenz 14.7.1980 VersR 1981 31. 208 OLG Koblenz 14.7.1980 VersR 1981 188. 209 OLG Dresden 3.4.2018 – 4 U 698/17, VersR 2018 801. 119

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§ 22 VVG

Arglistige Täuschung

über die berufliche Tätigkeit210 bzw. das Einkommen211 oder das Verschweigen desselben Umstandes im Zusammenhang mit verschiedenen Versicherungsanträgen212 sein. Informiert der VN einen Versicherungsvertreter im Rahmen von Vorgesprächen über gesundheitliche Umstände, hinsichtlich derer er den Rat erhält, mit der Antragstellung bis zur Ausheilung zu warten, kann dies ein Indiz gegen arglistiges Handeln des VN darstellen.213 Wird ein Kunde im Wege der sog. Kaltakquise nach wiederholten Besuchen gewonnen, kann dies die üblichen Indizien für Arglist bei unvollständigen Gesundheitsangaben stark entwerten.214 Darlegungs- und beweisbelastet ist der VR auch hinsichtlich der Kausalität zwischen der 46 Täuschung und seinem Entschluss, den Versicherungsvertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen. Die wohl h.M. steht diesbezüglich allerdings auf dem Standpunkt, dass es einem Satz der Lebenserfahrung entspreche, dass die Anzeige eines gefahrerheblichen Umstandes auf den Inhalt des Versicherungsvertrages nicht ohne Einfluss bleibt,215 während die gegenteilige Auffassung eine nähere Darlegung derjenigen Kriterien verlangt, unter denen Vorerkrankungen des VN darauf geprüft werden, ob sie einer Annahme des Antrags entgegenstehen.216 Letzteres ist zutreffend, weil der VR namentlich bei subjektiven Risikoumständen eine eigene Bewertung vornehmen muss, die das Gericht nicht einfach mit seiner „Lebenserfahrung“ ersetzen kann. Für den Kausalitätsbeweis reicht es gerade nicht aus, dass der Vertrag nur wahrscheinlich nicht mit diesem Inhalt zustande gekommen wäre.217 47 Der VR muss darlegen und im Streitfall beweisen, dass seine Anfechtungserklärung dem VN zugegangen ist.218 Behauptet er, der VN und der Versicherungsagent hätten zu seinem Nachteil kollusiv zusammengewirkt, ist er auch diesbezüglich beweisbelastet.219 Zwar besteht häufig eine gewisse Interessengemeinschaft zwischen dem VN, der sein schwer versicherbares Risiko zur Deckung bringen möchte, und dem Versicherungsvermittler, der die Provision verdienen will,220 das rechtfertigt es aber nicht, schon aus einer bloßen Duzfreundschaft zwischen VN und Agenten auf deren sittenwidriges Zusammenwirken zum Nachteil des VR zu schließen.221

II. Beweislast des Versicherungsnehmers 48 Hat der VR die objektive Falschbeantwortung einer Antragsfrage dargelegt und ggf. bewiesen, hat sodann der VN nach allgemeinen Grundsätzen im Rahmen einer sekundären Darlegungslast die Umstände darzutun und der Überprüfung zugänglich zu machen, die sich in seiner Sphäre abgespielt haben und die der VR darum nicht kennen kann. Dazu gehören die Gründe, warum er dem VR etwas objektiv Falsches angegeben hat.222 Er muss plausibel machen, wie es zu der

210 OLG Karlsruhe 2.3.1978 VersR 1979 153; KG 18.7.2006 – 6 W 37/06, VersR 2007 973; OLG Hamm 1.12.2006 – 20 U 138/06, VersR 2008 106. KG 28.4.2006 – 6 U 41/06, VersR 2007 234. OLG Köln 29.6.1995 VersR 1998 85. OLG Saarbrücken 14.11.2012 – 5 U 343/10-55, VersR 2013 1030. OLG Stuttgart 26.8.2013 – 7 U 101/13, RuS 2014 86. BGH 12.5.1995 VersR 1995 1496; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 46; s.a. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Knappmann § 14 Rn. 161; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 75. 216 LG Oldenburg 3.10.1989 VersR 1990 886; Lücke VersR 1996 785, 787. 217 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 161. 218 Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 80. 219 BGH 14.7.1993 BGHZ 123 224, 231; OLG Köln 27.1.1983 RuS 1983 172; 6.6.1991 RuS 1991 320; OLG Hamm 12.2.1992 RuS 1993 442. 220 Langheid/Rixecker/Langheid § 22 Rn. 26. 221 BGH 22.2.1984 VersR 1984 630. 222 BGH 7.11.2007 – IV ZR 103/06, VersR 2008 242; 12.3.2008 – IV ZR 330/06, VersR 2008 809; 11.5.2011 – IV ZR 148/09, VersR 2011 909; OLG Hamm 20.2.1990 VersR 1990 765; 13.11.2015 – I-20 U 191/15, VuR 2016 478; 3.2.2017 –

211 212 213 214 215

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D. Darlegungs- und Beweislast

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objektiven Täuschung des VR gekommen ist.223 Jedenfalls den äußeren Tatbestand seiner Angaben hat der VN „darzutun und einer Nachprüfung zugänglich zu machen“,224 also unter Beweis zu stellen.225 Gelingt ihm der Beweis, ist es wieder am VR, den Nachweis der Arglist zu führen. Ebenso beweispflichtig ist der VN für die Behauptung, dass ein nach außen als Versicherungsmakler auftretender Vermittler in Wahrheit Agent des VR sei.226 Keine sekundäre Darlegungslast trifft den VN hinsichtlich vom VR nicht erfragter Umstände.227 Der VN trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Verfristung des Anfechtungs- 49 rechts. Beruft er sich darauf, dass der VR schon längere Zeit als ein Jahr Kenntnis von der Täuschung gehabt habe, so ist es an ihm, dies darzutun.228 Die Ausführungen zu § 21 Abs. 1 (§ 21 Rn. 61, 64) gelten entsprechend.

20 U 68/16, VersR 2017 808; OLG Frankfurt/Main 2.5.2001 – 7 U 58/00, NVersZ 2002 401; 10.2.2010 – 7 U 276/07, BeckRS 2011 05021; 9.1.2012 – 3 U 86/11, BeckRS 2012 17683; OLG Oldenburg 29.6.2016 – 5 U 165/15, VersR 2017 803; OLG Jena 15.2.2018 – 4 U 131/17, RuS 2018 294; Prölss/Martin/Armbrüster § 22 Rn. 44; Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 158; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 22 Rn. 32; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 77. 223 OLG Hamm 6.12.1989 RuS 1990 170; 20.2.1990 VersR 1990 765; 2.12.1992 VersR 1993 956; 26.11.1993 VersR 1994 1333; 8.3.2017 – 20 U 9/17, NJOZ 2018 752; OLG Frankfurt/Main 24.7.1996 RuS 1997 477; OLG München 30.11.1998 VersR 2000 711; KG 11.3.2005 – 6 U 233/04, NJW-RR 2005 1616; 8.4.2005 – 6 U 5/05, VersR 2006 1393. 224 BGH 20.11.1970 VersR 1971 142. 225 OLG Oldenburg 22.10.1986 RuS 1988 31; KG 6.3.1998 VersR 1999 577; OLG Frankfurt/Main 10.5.2000 – 7 U 157/ 99, VersR 2001 1097; OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 5 U 190/04-26, VersR 2005 929. 226 OLG Dresden 22.11.2016 – 4 U 864/15, VersR 2017 819 mit Anm. Reiff; 28.11.2018 – 4 U 927/18, NJOZ 2019 1536; krit. hierzu Reiff VersR 2017 821. 227 OLG Dresden 18.4.2017 – 4 U 1564/16, VersR 2017 1198. 228 BGH 29.5.1980 VersR 1980 762; OLG Frankfurt/Main 14.5.1974 VersR 1975 632; Lücke VersR 1996 785, 786; Langheid/Wandt/Müller-Frank § 22 Rn. 81. 121

Rolfs

Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27 Schrifttum Armbrüster Nichtrauchertarife in der Lebensversicherung, RuS 2013 209; ders. Gefahrerhöhung bei gebäudebezogenen Versicherungen, NZM 2021 12; Armbrüster/Greis Telematik in der Kfz-Versicherung aus rechtlicher Sicht, ZfV 2015 457; Armbrüster/Kosich Schlüssellose Schließsysteme in der Sachversicherung, RuS 2020 384; Beckmann Kündbarkeit einer Sportveranstaltungs-Ausfallversicherung wegen Gefahrerhöhung – unter Berücksichtigung der Ausfallversicherung der Fußball-Weltmeisterschaft 2002, ZIP 2002 1125; Brand Zulässigkeit und Ausgestaltung von Telematiktarifen, VersR 2019 725; Claßen Anwendbarkeit der §§ 23 ff. VVG (Gefahrerhöhung) in der privaten Unfallversicherung, VersR 1990 837; Ehrenberg „Gefahrerhöhung“ im Versicherungsvertrag, ZVersWiss 1928 349; Felsch Neuregelung von Obliegenheiten und Gefahrerhöhung, RuS 2007 485; Gebauer Grenzen der Ausgestaltung weicher Tarifmerkmale, NVersZ 2000 7; von der Hagen Der Begriff der Gefahrerhöhung nach § 23 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) (1934); Hammel Besonderheiten der Kraftfahrtversicherung bei Personenkraftwagen mit Fahrerassistenzsystemen, VersR 2016 281; Hantelmann Die Gefahrerhöhung in der Lebensversicherung (1940); Hegnon Der Tatbestand der Gefahrerhöhung im Versicherungsrecht (1993); Hofmann Neue Tendenzen der Rechtsprechung zur Gefahrerhöhung in der Kraftfahrt-Haftpflicht-Versicherung, NJW 1975 2181; Honsell Beweislast- und Kompensationsprobleme bei der Gefahrerhöhung, VersR 1981 1094; ders. Der rechtliche Schutz der Privatversicherer vor dem sogenannten subjektiven Risiko, VersR 1982 112; Klimke Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung, RuS 2015 217; Knappmann Rechtsfragen der neuen Kraftfahrtversicherung, VersR 1996 401; ders. Gefahrerhöhungen in der Kraftfahrtversicherung, VRR 2014 44; R. Koch Zur Qualifikation des Wechsels in der Beherrschung der VN und der erstmaligen Begründung eines Beherrschungsverhältnisses in der D&O-Versicherung als Gefahrerhöhung, Gedächtnisschrift Hübner (2012) 123; ders. Wirksamkeit vorbeugender vertraglicher und auf Unterlassung gerichteter Obliegenheiten, Festschrift 100 Jahre Hamburger Seminar (2016) 173; Kortüm Die Gefahrerhöhung in der Kraftfahrzeughaftpflicht- und Kaskoversicherung, Diss. Mannheim 2012; Langheid Ausfallversicherung und Gefahrerhöhung, NVersZ 2002 433; Loacker Die Gefahrerhöhung nach der VVG Reform – Überlegungen zu Anpassungen des Versicherungsvertrags gem. § 25 VVG 2008, VersR 2008 1285; Looschelders/Weckmann Drohung eines Schutzgelderpressers als anzeigepflichtige objektive Gefahrerhöhung (zugleich Anmerkung zu BGH VersR 2010 1032), VersR 2010 1446; Lüttringhaus/Genz Gefahrerhöhung durch Pandemien – Das Beispiel des Coronavirus, RuS 2020 258; Martin Verstoß gegen vereinbarte Sicherungsvorschriften als Vornahme einer Gefahrerhöhung durch Unterlassen?, VersR 1988 209; Matusche-Beckmann Rechtsprobleme der schuldhaften Herbeiführung des Versicherungsfalls nach neuem VVG, Festschrift Käfer (2008) 225; Prölss Anzeigeobliegenheiten des VN bei Drohungen Dritter – Zugleich ein Beitrag zur Mitversicherung von Gefahrerhöhungen, NVersZ 2000 153; ders. Der Zeitpunkt des Eintritts einer Gefahrerhöhung i.S.d. §§ 23 ff. VVG, VersR 2004 576; ders. Künftige Sanktionen der Verletzung von Obliegenheiten des VN: die Reform des § 6 VVG sowie der §§ 16 ff. VVG und der §§ 23 ff. VVG, ZVersWiss 2001 471; ders. Das versicherungsrechtliche Alles-oder-nichts-Prinzip in der Reformdiskussion, VersR 2003 669; Rapp Das Äquivalenzprinzip im Privatversicherungsrecht (2019); Reinhardt Die Gefahrerhöhung im deutschen Privatversicherungsrecht, Diss. Berlin 2015; dies. Die Voraussetzungen und Grenzen der objektiven Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 3 VVG am Beispiel der Schutzgelderpressung, ZVersWiss 2014 505; Reusch Die Erpressung von Schutzgeldern als Gefahrerhöhung i.S.d. §§ 23 bis 27 VVG, VersR 2011 13; Rixecker VVG 2008 – Eine Einführung, III. Gefahrerhöhung, ZfS 2007 136; Römer Reformbedarf des Versicherungsvertragsrechts aus höchstrichterlicher Sicht, VersR 2000 661; Rother Haftungsbeschränkungen im Schadensrecht (1965); Rudkowski Versicherungsrechtliche Probleme des vernetzten Zuhauses („Smart Home“), VersR 2017 1; Saremba Die Gefahrerhöhung im deutschen und US-amerikanischen Versicherungsvertragsrecht (2010); Schirmer/Marlow Die versicherungsrechtliche Behandlung sogenannter weicher Tarifmerkmale, VersR 1997 782; Schmid Der Kfz-Schein im Auto als Gefahrerhöhung?, VersR 2008 471; R. Schmidt Die Verhütung der Gefahrverwirklichung und des Schadens im Versicherungsvertragsrecht, ZVersWiss 1968 81; Staudinger/Friesen Kündigungsrecht nach erfolgter Gefahrerhöhung – § 24 Abs. 1 und 2 VVG, DAR 2014 184; Teschabai-Oglu Die Aufdeckung des tatsächlichen Schädigungspotentials eines versicherten Risikos und das Institut der Gefahrerhöhung, ZVersWiss 2011 769; Unberath Die Leistungsfreiheit des Versicherers – Auswirkungen der Neuregelung auf die Kraftfahrversicherung, NZV 2008 537; Washausen Der Gesundheitsdatenschutz im Privatversicherungsrecht, Diss. Regensburg 2016; Weidner/ Schuster Quotelung von Entschädigungsleistungen bei grober Fahrlässigkeit des VN in der Sachversicherung nach neuem VVG, RuS 2007 363; Werber Änderungsrisiko und Gefahrerhöhung, VersR 1976 897; ders. Die Gefahrerhöhung im deutschen, schweizerischen, französischen, italienischen, schwedischen und englischen Versicherungsvertragsrecht, Diss. Karlsruhe 1967; Winter Gedanken zur Gefahränderung, Festschrift Möller (1972) 537; Wussow Gefahrerhöhung in der Feuerversicherung, VersR 2001 678.

Matusche-Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522624-005

122

B. Inhalt und Zweck

VVG Vor §§ 23–27

A. Entstehungsgeschichte Bis zum 31.12.2007 enthielten die §§ 23 bis 29a als kompliziert empfundene Regelungen über die 1 Gefahrerhöhung nach Vertragsschluss, die den Interessen der Beteiligten teilweise nicht entsprachen und insbesondere dem Schutzinteresse des VN – wie es hieß – nicht gerecht wurden.1 Die früheren Vorschriften des VVG sanktionierten einen Verstoß des VN gegen das Verbot der Gefahrerhöhung in § 23 Abs. 1 dergestalt, dass der VR unter den in der Norm genannten Voraussetzungen von seiner Leistungspflicht frei wurde, der VN also wegen des ihm angelasteten Verstoßes seinen Versicherungsschutz verlor. Unbefriedigend für den VN war diese Situation insbesondere vor dem Hintergrund des „Alles-oder-nichts-Prinzips“, das bereits aus der Zeit vor Inkrafttreten des BGB im gemeinen Recht bekannt war2 und eine völlige Leistungsfreiheit des VR zur Folge hat.3 So kannte noch § 25 a.F. den vollständigen Verlust der Versicherungsleistungen, sofern der VN nach Abschluss des Versicherungsvertrages ohne Einwilligung des VR eine Erhöhung der Gefahr vorgenommen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestattet hatte, und der VersFall nach der Erhöhung der Gefahr eingetreten ist. Gegen dieses „Alles-oder-nichtsPrinzip“, wie es auch hier zum Ausdruck kam, wurde primär ins Feld geführt, dass die scharfen Sanktionen außer Verhältnis zur Obliegenheitsverletzung stehen.4 Um dieses Ergebnis zu vermeiden, hatte sich bereits die Rspr. bemüht, Korrekturen vorzunehmen, indem – bisweilen aus Billigkeitserwägungen – auf der Ebene des Verschuldensmaßstabes zugunsten des VN großzügiger verfahren wurde, um dem VN seinen Leistungsanspruch zu erhalten. Zudem wurde bemängelt, dass die früheren Regelungen über die Gefahrerhöhung rechtssystematisch missglückt5 und für den VN nicht durchschaubar waren.6 Ziel der Neufassung 2008 war es, für sämtliche Verletzungen vertraglicher Obliegenheiten 2 ein weitgehend einheitliches Rechtsfolgensystem zu schaffen, das für alle Beteiligten verständlich sein und ihre Interessen angemessen berücksichtigen sollte.7 Dem tragen seither die seit dem 1.1.2008 geltenden §§ 23 bis 27 Rechnung.

B. Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung. Abgrenzung zu anderen Vorschriften Dem Versicherungswesen in seiner derzeitigen Ausgestaltung ist immanent, dass das wirtschaft- 3 liche Risiko des Einzelnen durch Abschluss eines Versicherungsvertrags durch den VR letztlich auf eine Vielzahl durch dieselbe Gefahr bedrohter Personen verteilt wird.8 Regelmäßig bildet die Vielzahl der betroffenen VN gewissermaßen eine „Risikogemeinschaft“, die in ihrer Gesamtheit die Schäden ihrer Mitglieder trägt.9 Das System geht freilich nur auf, wenn die durch den VR übernommenen tatsächlichen Risiken im Wesentlichen gleichartig sind.10 Auf Seiten des VR ist deshalb eine möglichst genaue Kenntnis des jeweils übernommenen Risikos erforderlich, um eine entsprechende Kalkulation vornehmen zu können.11 Dem Informationsbedürfnis des VR

1 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. 2 Vgl. hierzu die Darstellung bei Rother 41. 3 Weyers/Wandt Rn. 418. 4 Römer VersR 2000 661, 662 f.; RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49. 5 Weyers/Wandt Rn. 621. 6 Kommissionsbericht S. 36. 7 Kommissionsbericht S. 37. 8 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 1; Weyers/Wandt Rn. 97. 9 Weyers/Wandt Rn. 85. 10 Weyers/Wandt Rn. 97. 11 Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann § 14 Rn. 1. 123

Matusche-Beckmann

Vor §§ 23–27 VVG

Vorbemerkung zu §§ 23–27

tragen vor Abschluss des Versicherungsvertrages die vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten der §§ 19 ff. Rechnung:12 Danach hat der VN dem VR alle risikoerheblichen Umstände, nach denen der VR in Textform gefragt hat, mitzuteilen. Diese Grundlage versetzt den VR in die Lage, das konkret übernommene Risiko einzuschätzen.13 Die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit besteht nach § 19 Abs. 1 bis zur Abgabe der Vertragserklärung durch den künftigen VN. Damit ermöglichen die Vorschriften aber auch nur eine zutreffende Einschätzung des übernommenen Risikos bis zu diesem Zeitpunkt. 4 Natürlich unterliegt das vom VR übernommene Risiko nach Abgabe der Vertragserklärung durch den VN häufig gefahrerheblichen, oftmals gefahrsteigernden Veränderungen. Es entspricht schon dem Gebot der Gleichbehandlung der in dem eingangs beschriebenen Kollektiv verbundenen VN, dass ein VN, für dessen versichertes Risiko sich die Gefahrenlage nach Vertragsschluss erhöht, nicht weiter zu den ursprünglichen Konditionen Versicherungsschutz genießen kann.14 Ein Zweck der Regelungen der §§ 23 ff. liegt demnach darin sicherzustellen, dass der VR auf Änderungen, durch welche das vertragliche Äquivalenzverhältnis gestört wird, adäquat reagieren kann.15 Das Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung muss aufrechterhalten bleiben; der VR soll sich nicht an einem Vertrag festhalten lassen müssen, obwohl sich die Risikolage so geändert hat, dass nach den Erkenntnissen der Versicherungsmathematik und den Grundsätzen der Versicherungstechnik die Erhebung einer höheren Prämie angezeigt wäre.16 M.a.W. liegt in diesen Fällen nichts anderes vor als eine Störung der Geschäftsgrundlage, für die im Versicherungsvertragsrecht des VVG von § 313 BGB abweichende Spezialvorschriften vorgesehen sind.17 Letztlich liegt auch ein Zweck der §§ 23 ff. darin, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein großzügigeres Annahmeverhalten der VR zugunsten der VN und eine diesem Zeitpunkt entsprechende Prämienkalkulation zu ermöglichen. Zugleich befreien die Regelungen zur Gefahrerhöhung den VR im Interesse des VN davon, alle möglichen Gefahrverwirklichungen ex ante in seine Risikoübernahmebereitschaft einzukalkulieren; die Vorschriften eröffnen die Möglichkeit, erst bei einer Erhöhung der übernommenen Gefahr entsprechende Konsequenzen zu ziehen.18 Von den vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten grenzen sich – wie schon angedeutet – 5 die Vorschriften über die Gefahrerhöhung primär durch ein zeitliches Moment ab: Die Anzeigeobliegenheiten wurden vom VN erfüllt, wenn das tatsächliche Risiko bei Abgabe seiner Vertragserklärung dem ihm bekannten und vom VR erfragten Risiko entspricht. Eine Gefahrerhöhung liegt hingegen vor, wenn sich risikoerhebliche Umstände nach der Abgabe der Vertragserklärung des VN zulasten des VR verändern, sich insbesondere die im Antrag vom VR abgefragte Gefahr – auch hinsichtlich der Schadensauswirkungs- und Vertragsgefahr – vergrößert. Damit besteht zwischen §§ 19 ff. einerseits und §§ 23 ff. andererseits grundsätzlich ein Exklusivitätsverhältnis: Auf eine nach Abgabe der Vertragserklärung des VN eintretende Gefahrerhöhung sind nur die §§ 23 ff. anwendbar.19 Der gegenteiligen Ansicht, wonach beide Regelungskomplexe parallel nebeneinander stehen,20 ist nicht zu folgen: Der Wortlaut sowohl 12 13 14 15

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64. Kommissionsbericht S. 38. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 1. Vgl. Bruns § 18 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 1; BGH 15.11.1978 – IV ZR 103/77, VersR 1979 73, 74; BGH 23.6.2004 – IV ZR 219/03, VersR 2005 218, 219. 16 BGH 20.6.2012 – IV ZR 150/11, VersR 2012 1300, 1301; BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, VersR 1981 245, 246; OLG Köln 20.10.2015 – I-9 U 200/14, VersR 2016 845, 847. 17 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 1. 18 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 8; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 2; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 2. 19 Weyers/Wandt Rn. 639. 20 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 51, welcher eine Parallelität der Anwendbarkeit nur im Zeitraum zwischen Abgabe der Vertragserklärung durch den VN und Annahme durch den VR bejaht; ebenso Washausen Der Gesundheitsdatenschutz im Privatversicherungsrecht, 122. Matusche-Beckmann

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B. Inhalt und Zweck

VVG Vor §§ 23–27

des § 19 Abs. 1 Satz 1 („bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung“) als auch der des § 23 Abs. 1 und Abs. 3 („nach Abgabe seiner Vertragserklärung“) ist insoweit eindeutig: Der gefahrerhebliche Umstand liegt entweder bis zur Abgabe der Vertragserklärung durch den VN vor oder ändert sich danach. Ein Sonderfall, der zu einem Nebeneinander der Anwendbarkeit der Vorschriften zur vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit und zur Gefahrerhöhung führen kann, kann sich ergeben im Falle einer nachträglichen (erneuten) Auskunft nach § 19 Abs. 1 Satz 2, wenn der VR nach der Abgabe der Vertragserklärung durch den VN einen gefahrerheblichen Umstand erfragt und dieser Umstand zugleich eine Gefahrerhöhung darstellt.21 Probleme bereiten dann allenfalls Fälle, in denen sich nicht mehr feststellen lässt, wann genau sich gefahrerhebliche Umstände geändert haben. Dies ist über die allgemeinen Regeln zur Verteilung der Beweisführungslast zu behandeln. Doch letztlich ist diese Frage im Ergebnis von untergeordneter Bedeutung mit Blick darauf, dass die Rechtsfolgen einer Verletzung vertraglicher Obliegenheiten weitgehend gleichlaufen. Für eine klare Abgrenzung der Anwendungsbereiche der §§ 19 ff. einerseits und der §§ 23 ff. andererseits spricht auch, dass eine dem § 29a a.F.22 entsprechende Regelung für überflüssig erachtet wurde, weil § 23 n.F. eindeutig auf die Abgabe der Vertragserklärung durch den VN abstellt.23 § 23 Abs. 1 enthält das Verbot für den VN, nach Abgabe seiner Vertragserklärung ohne Einwilligung des VR eine Gefahrerhöhung vorzunehmen oder deren Vornahme durch Dritte zu gestatten. Absatz 3 statuiert für Fälle, in denen eine Gefahrerhöhung unabhängig vom Willen des VN eintritt, eine Anzeigeobliegenheit gegenüber dem VR unverzüglich nach Kenntniserlangung. Absatz 2 erfasst hingegen solche Fälle, in denen der VN eine Gefahrerhöhung vornimmt oder gestattet, sich dessen aber nicht bewusst ist und sie erst nachträglich erkennt. Auch hier auferlegt das Gesetz ihm eine Anzeigeobliegenheit. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen subjektiver, objektiver und nachträglich erkannter Gefahrerhöhung blieb also auch nach der VVGReform 2008 bestehen.24 Die Rechtsfolgen einer Gefahrerhöhung, nämlich Kündigung, Leistungsfreiheit oder Prämienerhöhung, sind in den §§ 24 bis 26 geregelt. § 27 erklärt als Sondervorschrift die §§ 23 bis 26 für sog. unerhebliche Gefahrerhöhungen für nicht anwendbar. Obwohl bei der vorläufigen Deckung nach §§ 49 ff. eine umfassende Risikoprüfung unterbleibt, finden die Vorschriften der Gefahrerhöhung auch dort Anwendung.25 Sonderregelungen zur Gefahrerhöhung finden sich für die laufende Versicherung in § 57, für die Transportversicherung in § 132, für die Lebensversicherung und die Berufsunfähigkeitsversicherung in § 158 (i.V.m. § 176) und für die Unfallversicherung in § 181. Nach § 194 Abs. 1 Satz 2 sind die Vorschriften über die Gefahrerhöhung nicht auf die Krankenversicherung anzuwenden.

21 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 4; Langheid/Wandt/ Reusch § 23 Rn. 112; Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 1293. 22 Die Vorschrift sah explizit die Anwendung der Vorschriften zur Gefahrerhöhung vor für eine in der Zeit zwischen Stellung und Annahme des Versicherungsantrags eingetretene Gefahrerhöhung, die dem VR bei der Annahme des Antrags nicht bekannt war. 23 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. 24 Rixecker ZfS 2007 136. 25 Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 7. 125

Matusche-Beckmann

6

7

8

9 10

§ 23 Gefahrerhöhung (1) Der Versicherungsnehmer darf nach Abgabe seiner Vertragserklärung ohne Einwilligung des Versicherers keine Gefahrerhöhung vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten. (2) Erkennt der Versicherungsnehmer nachträglich, dass er ohne Einwilligung des Versicherers eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder gestattet hat, hat er die Gefahrerhöhung dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. (3) Tritt nach Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers eine Gefahrerhöhung unabhängig von seinem Willen ein, hat er die Gefahrerhöhung, nachdem er von ihr Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen.

Schrifttum Siehe Angaben vor Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27.

Übersicht b)

1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Grundlagen

B.

Kommentierung

I. 1.

4 Die Gefahrerhöhung 4 Begriff der Gefahrerhöhung 5 a) Nachträgliche Änderung 6 b) Gefahrerhebliche Umstände 6 aa) Bestimmung der Gefahr bb) Verhältnis zu den vorvertraglichen 7 Anzeigeobliegenheiten 11 cc) Ausnahmen 14 c) Neuer Zustand erhöhter Gefahr 15 d) Pläne, Absichten, Zwischenschritte 19 e) Gefahrkompensation 19 aa) Grundlagen bb) Sog. Kompensationskongru23 enz cc) Zeitmoment bei Gefahrkompensa27 tion dd) Wegfall einer Gefahrkompensa28 tion ee) Beweislast bei Gefahrkompensa32 tion 33 f) Gefahrwechsel 34 g) Zustand gewisser Dauer 39 h) Nicht Versicherungsfall 40 i) Für VR nicht vorhersehbar j) Sinnvolle und alternativlose Maßnah43 men Die sog. subjektive (willentliche) Gefahrerhö45 hung nach § 23 Abs. 1 45 a) Grundlagen

2.

1

2 4

Matusche-Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522624-006

3.

4.

5.

Vornahme der Gefahrerhöhung (§ 23 50 Abs. 1, 1. Alt.) 50 aa) Aktives Tun 53 bb) Unterlassen 66 cc) Voluntatives Element 76 dd) Repräsentanten c) Gestattung einer Gefahrerhöhung durch 77 Dritte (§ 23 Abs. 1, 2. Alt.) 78 aa) Dritter 79 bb) Gestatten 80 cc) Dulden d) Ohne Einwilligung des Versiche84 rers 86 e) Kausalität Nachträglich erkannte subjektive Gefahrerhö87 hung nach § 23 Abs. 2 87 a) Grundlagen 90 b) Kenntnis von der Gefahrerhöhung 91 c) Unverzügliche Anzeige 93 d) Adressat des § 23 Abs. 2 94 e) Gegenüber dem VR Objektive Gefahrerhöhung nach § 23 95 Abs. 3 95 a) Grundlagen b) Abgrenzung der objektiven Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 Abs. 3 von der Gestattung der Vornahme einer Gefahrerhöhung durch 100 Dritte i.S.d. § 23 Abs. 1, 2. Alt c) Wegfall einer Gefahrkompensa104 tion 107 d) Anzeigeobliegenheit 108 Einzelfälle a) Gebäude- und Hausratversiche108 rung 108 aa) Feuerversicherung 115 bb) Leitungswasserversicherung

126

VVG § 23

A. Einführung

cc)

6.

Einbruchdiebstahlversiche116 rung dd) „Smart Home“ in der Wohngebäude121 und Hausratversicherung 122 b) Haftpflichtversicherung aa) Betriebshaftpflichtversiche122 rung bb) Luftfahrthaftpflichtversiche126 rung 127 cc) D&O-Versicherung 128 dd) Cyberversicherung ee) Kraftfahrzeughaftpflichtversiche129 rung 134 c) Kfz-Kaskoversicherung 138 d) Personenversicherung 140 e) Warenkreditversicherung 141 Konkurrenzen a) Verhältnis zu den vorvertraglichen Anzeige141 pflichten b) Verhältnis zu vertraglichen Obliegenhei141 ten

c)

7. 8.

Verhältnis zur Regelung über die Herbei145 führung des Versicherungsfalls d) Vertragliche Regelungen zu Tarifbestim147 mungen 148 e) Mehrfachversicherung 149 f) Störung der Geschäftsgrundlage 150 g) Fehlendes versichertes Interesse 151 Abweichende Vereinbarungen 156 Sonderregelungen 157 a) Laufende Versicherung, § 57 158 b) Transportversicherung, § 132 159 c) Lebensversicherung, § 158 160 d) Berufsunfähigkeitsversicherung 161 e) Unfallversicherung, § 181 162 f) Krankenversicherung 163

C.

Darlegungs- und Beweislast

I.

Beweislast des Versicherers

II.

Beweislast des Versicherungsnehmers

164 166

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 23 wurde durch das am 1.1.2008 in Kraft getretene VVG partiell neu gefasst. Entgegen der 1 zuvor bestehenden Rechtslage ist maßgeblicher Zeitpunkt für das Verbot, eine Gefahrerhöhung gem. Absatz 1 vorzunehmen, nicht mehr der Vertragsschluss, sondern die Abgabe der Vertragserklärung des VN; damit soll ein Gleichlauf zu den Anzeigeobliegenheiten des § 19 Abs. 1 hergestellt werden, die ebenfalls – abweichend von § 16 Abs. 1 a.F. – nicht mehr auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern auf den Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung abstellen.1 Absatz 2 wurde lediglich sprachlich neu gefasst; eine inhaltliche Änderung der Rechtslage ist damit nicht einhergegangen; eine solche war auch vom Gesetzgeber nicht intendiert.2 Neu eingefügt wurde Absatz 3. Dieser entspricht im Wesentlichen § 27 a.F., der die Regelungen zur ungewollten oder objektiven Gefahrerhöhung enthielt. Der Grund, ihn an dieser Stelle einzufügen, war der engere Sachzusammenhang zu Absatz 1. Abgesehen davon, dass auch im Rahmen von Absatz 3 anders als früher nun auf die Abgabe der Vertragserklärung durch den VN und nicht mehr auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt wird, gingen auch mit dieser Neufassung keine inhaltlichen Änderungen der bestehenden Rechtslage einher.

II. Grundlagen § 23 Abs. 1 bis 3 klären die Anforderungen, die an den VN im Zusammenhang mit einer Gefahrer- 2 höhung gestellt werden. Die Handlungsgebote postulieren keine Rechtspflichten i.e.S., sondern sind als Obliegenheiten zu qualifizieren.3 1 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. 2 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. 3 Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 23 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 2, 22, 36, 44; Staudinger/Friesen DAR 2014 184, 185. 127

Matusche-Beckmann

§ 23 VVG

3

Gefahrerhöhung

Vgl. zum Zweck der Vorschrift die Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27 Rn. 3 ff. Absatz 1 verbietet dem VN, ohne Einwilligung des VR eine Gefahrerhöhung nach Abgabe seiner Vertragserklärung selbst vorzunehmen oder deren Vornahme durch Dritte zu gestatten. Absatz 2 begründet eine Anzeigeobliegenheit für die Fälle, in denen der VN zwar eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder gestattet hat, sich dessen aber nicht bewusst war. Während beide Absätze damit eine willentliche, also subjektive Gefahrerhöhung betreffen, auferlegt Absatz 3 dem VN eine Anzeigeobliegenheit für Fälle, in denen sich die Gefahr objektiv, also ohne den Willen des VN erhöht hat.

B. Kommentierung I. Die Gefahrerhöhung 1. Begriff der Gefahrerhöhung 4 Im VVG findet sich keine Legaldefinition des Begriffs der Gefahrerhöhung. Nach h.M. liegt eine Gefahrerhöhung vor, wenn durch eine nachträgliche Änderung der bei Abgabe der Vertragserklärung tatsächlich vorhandenen gefahrerheblichen Umstände ein neuer Zustand erhöhter Gefahr geschaffen wurde, der den Eintritt des Versicherungsfalles (Erhöhung der Grundgefahr) oder eine Vergrößerung des Schadens (Erhöhung der Schadensauswirkungsgefahr) wahrscheinlicher macht oder zu einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme des VR führen kann (Erhöhung der Vertragsgefahr).4 In zeitlicher Hinsicht muss hinzutreten, dass die Änderung der tatsächlichen gefahrerheblichen Umstände über eine gewisse Dauer hinweg besteht.5 Außerdem müssen zwei weitere negative Merkmale hinzukommen. Zum einen darf die nachträgliche Änderung nicht bereits einen Versicherungsfall darstellen,6 und zum anderen darf sie für den VR nicht vorhersehbar sein.7

5 a) Nachträgliche Änderung. Anders als vor der VVG-Reform 2008 stellt § 23 nicht mehr auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern auf die Abgabe der Vertragserklärung durch den VN ab. Die Gefahrerhöhung muss also nach Abgabe der Vertragserklärung des VN erfolgen. Das führt seither zu einem nahtlosen Anschluss an die Regelungen zur vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit.8 Der Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung durch den VN ist regelmäßig der Zeitpunkt der Antragserklärung.9 Für den Fall, dass der Vertrag nach dem sog. Invitatio-Modell zustande kommt bzw. im Falle des Eingreifens eines der Fälle des § 150 BGB ist auf den Zeitpunkt der Annahmeerklärung des VN abzustellen, auch wenn die Situation derjenigen eines Antrags durch den VN nahezu entspricht. Eine Vorverlegung des relevanten Zeitpunkts zu Lasten des VN oder die Annahme einer konkludenten Abbedingung sind – angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts – abzulehen.10 So ist etwa eine Gefahrerhöhung bei der Aufdeckung des tatsächlichen Schädigungspotentials eines versicherten Risikos in der Haftpflichtversicherung 4 BGH 20.6.2012 – IV ZR 150/11, VersR 2012 1300, 1301; BGH 17.2.2010 – IV ZR 349/07, VersR 2010 944; BGH 16.6.2010 – IV ZR 229/09, VersR 2010 1032; BGH 15.11.1978 – IV ZR 103/77 (juris); ÖOGH 5.5.2010 – 7 Ob 34/10 s, VersR 2011 99; ÖOGH 29.9.2010 – 7 Ob 129/10 m, VersR 2012 127, 128; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 7. 5 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 26; s. zum Streitstand unten Rn. 34 ff. 6 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 8, 18 und 90 mit dem Beispiel zu einer Veranstaltungs-Ausfallversicherung, dazu s. auch Beckmann ZIP 2002 1125, 1132 f. 7 RG 3.1.1936 – VII 203/35, RGZ 150 48, 50; BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, BGHZ 42 295, 298. 8 Vgl. Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27 Rn. 1 ff. 9 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 6; LG Koblenz 14.12.2017 – 16 O 112/17 (juris). 10 So auch Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 6. Matusche-Beckmann

128

B. Kommentierung

VVG § 23

(insbesondere durch die Ausbreitung neuer Technologien besteht bei Vertragsschluss hier oft noch ein unbekanntes Schädigungspotential) zu verneinen, da sich hier nicht das Risiko nachträglicher, sondern anfänglicher Äquivalenzstörungen verwirklicht; es geht hierbei also nicht um die Veränderung eines gefahrerheblichen Umstandes selbst, sondern nur um die Veränderung des Wissens über diesen Umstand.11

b) Gefahrerhebliche Umstände aa) Bestimmung der Gefahr. § 23 spricht von einer Gefahrerhöhung, also einer Erhöhung der 6 Gefahr. Abgestellt wird damit auf eine spezifisch-konkrete Gefahr – die versicherte Gefahr, nicht auf irgendeine Gefahr. § 23 will nur solche Gefahrumstände erfassen, die für die Entscheidung des VR, einen Vertrag zu bestimmten Konditionen abzuschließen, tatsächlich erheblich sind. Von den Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung soll der VR nämlich auch nicht profitieren können, wenn die Änderung des tatsächlichen Zustands das vom VR übernommene Risiko gar nicht beeinflusst. Worin das versicherte Risiko besteht, ergibt sich aus den vertraglichen Absprachen. Zur Interpretation des Begriffs ist eine versicherungstechnische Betrachtung anzustellen in Gestalt der von der Rspr. entwickelten Formel der sachgemäßen und vernünftigen Versicherungstechnik.12 Entscheidend ist, ob die eingetretenen Umstände geeignet sind den VR zu veranlassen, den Versicherungsvertrag aufzuheben oder nur mit einer erhöhten Prämie fortzusetzen bzw. ob der VR bei Vorliegen der Umstände im Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung des VN den Abschluss des Versicherungsvertrags verweigert oder von vornherein nur unter Vereinbarung einer höheren Prämie abgeschlossen hätte.13

bb) Verhältnis zu den vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten. Die VVG-Reform führte 7 zu weitgehenden Änderungen im Bereich der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten (§§ 19 ff.), die den VN als im Regelfall schwächeren der beiden Vertragspartner schützen sollen. Diese Vorschriften korrelieren mit der Frage der Gefahrerheblichkeit eines Umstandes. Als gefahrerheblich sollten nur noch solche Umstände anzusehen sein, nach denen der VR ausdrücklich in Textform gefragt hat.14 Damit hat der Gesetzgeber dem VR das Risiko einer Fehleinschätzung auferlegt, wenn er es unterlässt, nach relevanten Umständen zu fragen. Das schweizerische Recht verknüpft explizit die vorvertraglichen Anzeigen mit der Frage 8 des Vorliegens einer Gefahrerhöhung, indem Art. 28 Abs. 4 VVG-Schweiz eine Gefahrerhöhung als wesentlich ansieht, wenn sie auf der Änderung einer für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsache gem. Art. 4 VVG-Schweiz beruht, deren Umfang die Parteien beim Vertragsabschluss festgestellt haben; dabei stellt Art. 4 VVG-Schweiz wiederum auf das schriftliche Befragen durch den VR hinsichtlich der für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsachen ab, wobei die Gefahrentatsachen, auf welche die schriftlichen Fragen des VR in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, als erheblich vermutet werden. Auch wenn der deutsche Gesetzgeber nicht explizit solche Veränderungen aus dem Begriff 9 der Gefahrerheblichkeit ausgeklammert hat, die nicht auf einem bei Vertragsschluss ausdrücklich erfragten Umstand beruhen, erscheint es angezeigt, dass der Umfang der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit bei der Beurteilung der Gefahrerheblichkeit eines Umstandes herangezo11 Teschabai-Oglu ZVersWiss 2011 769, 775. 12 BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 158. 13 BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 158; BGH 8.7.1987 – IVa ZR 19/86, NJW-RR 1987 1309; BGH 20.6.2012 – IV ZR 150/11, VersR 2012 1300, 1301; OLG Düsseldorf, 27.6.1995 – 4 U 211/94, VersR 1997 231, 232; OLG Hamm 19.1.1994 – 20 U 141/93, VersR 1994 1419, 1420; einschränkend Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 14, der diesem Aspekt zwar eine wichtige Indizfunktion zuspricht, aber nicht exlusiv darauf abstellen möchte. 14 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64. 129

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gen wird. Denn andernfalls würde gerade die Benachteiligung des VN, für die der Gesetzgeber mit Gestaltung der Anzeigeobliegenheiten Vorkehrung treffen wollte, im Rahmen der Vorschriften zur Gefahrerhöhung aufschlagen, wenn der VR sich auch hinsichtlich nicht erfragter Umstände mit Erfolg auf die Rechtsfolgen der §§ 24 ff. berufen könnte. Der VN soll sich aber nach den Wertungen des Gesetzes gerade darauf verlassen dürfen, dass der VR alle für seine Beurteilung und Prämienkalkulation wichtigen Umstände erfragt hat. Fehlen solche Fragen, entsteht beim VN der berechtigte Eindruck, dass der nicht erfragte Aspekt für die Entscheidung des VR über das Zustandekommen und den Inhalt des Versicherungsvertrages nicht von entscheidender Bedeutung war. 10 Deshalb erscheint es angemessen, im Wege gleichlaufender Wertungen im Rahmen der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten einerseits und der Gefahrerhöhungsvorschriften andererseits gleiche Maßstäbe anzulegen: Nicht erfragte Umstände sind in der Regel auch nicht als gefahrerhebliche Umstände zu qualifizieren.15 Dass der deutsche Gesetzgeber anders als der schweizerische Gesetzgeber auf die explizite Fassung dieses Grundsatzes verzichtet hat, lässt sich nicht als gegenteilige Intention werten.

11 cc) Ausnahmen. Eine Ausnahme für Umstände, auf deren Abwesenheit der VR vertrauen darf und nach denen er deshalb vor Vertragsschluss nicht gefragt hat, erscheint nicht angezeigt:16 Für den VN ergibt sich zur zuvor geschilderten Situation kein Unterschied; wenn der VN nicht nach den Umständen gefragt wurde, muss er davon ausgehen dürfen, dass sie für die Entscheidung des VR hinsichtlich des Versicherungsvertrages nicht von essentieller Bedeutung waren. Andernfalls würde man das dem VN im Rahmen der §§ 19 ff. entgegengebrachte Vertrauen zulasten des VN über die Anwendung der §§ 23 ff. doch wieder berücksichtigen; auch würde die Anerkennung einer Fallgruppe von „Umständen, auf deren Abwesenheit der VR vertrauen darf“ zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen, denn es lässt sich im Einzelfall trefflich streiten, worauf der VR vertrauen darf und worauf nicht. Das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand gefahrrelevant ist, soll dem VN aber gerade durch § 19 Abs. 1 abgenommen werden.17 Die hier vertretene Sichtweise lässt freilich den Fall unberührt, dass später Umstände ein12 treten, die einen eindeutig gesetzes- oder verkehrswidrigen Zustand herbeiführen.18 Denn in diesem Fall erscheint ein etwaiges, beim VN durch das Unterlassen des Erfragens bestimmter Umstände erzeugtes Vertrauen nicht schutzwürdig. Wenn ein gefahrerheblicher Umstand seiner Art nach nur zukünftig eintreten konnte, kann 13 es ebenfalls nicht auf sein Vorhandensein zur Zeit der Abgabe der Vertragserklärung des VN und auf die Fragen des VR ankommen.19

14 c) Neuer Zustand erhöhter Gefahr. Ob sich die vom VR im Versicherungsvertrag übernommene Gefahr erhöht hat, ergibt sich durch einen Vergleich der aktuell bestehenden Gefahr mit derjenigen, die zum Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung durch den VN vorgelegen hat.20 Dabei ist auf den zu diesem Zeitpunkt vorausgesetzten tatsächlich vorhandenen IstZustand abzustellen, weil „maßgebend […] nicht die vermutete, sondern die wirkliche Gefah-

15 So auch Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 13; a.A. noch zum früheren Recht: Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 30; vgl. noch zum früheren Recht auch Ehrenberg ZVersWiss 1928 349, 349 f. 16 A.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 13. 17 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64. 18 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 13. 19 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 14. 20 Zur früheren Rechtslage noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellend OLG Düsseldorf 27.6.1995 – 4 U 211/94, VersR 1997 231, 232. Matusche-Beckmann

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renlage“ ist.21 Danach liegt keine Gefahrerhöhung vor, wenn gefahrerhebliche Umstände sich seit der Abgabe der Vertragserklärung durch den VN nicht verändert haben, auch wenn sie zum Zeitpunkt der Vertragserklärung des VN nicht den im Antrag gemachten Angaben entsprachen. Solche Fälle betreffen die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit und sind ausschließlich über die §§ 19 ff. zu lösen,22 die den VR ausreichend und sachgerecht schützen. Der Vorgabe eines Sollzustandes kommt insofern eine Bedeutung zu, als dass Änderungen des tatsächlichen Zustands unerheblich sind, solange der Sollzustand nicht unterschritten wird.23

d) Pläne, Absichten, Zwischenschritte. Pläne und Absichten des VN oder Dritter, bestimmte gefahrerhöhende Handlungen vorzunehmen, bleiben bei der Bestimmung einer Gefahrerhöhung grundsätzlich außer Betracht.24 So stellt etwa der verkehrsunsicher gewordene Zustand einer Sache und die Absicht, die Sache zu benutzen oder in Betrieb zu nehmen, noch nicht die Gefahrerhöhung dar; vielmehr liegt die Gefahrerhöhung erst darin, dass der VN die Sache auch tatsächlich benutzt: Erst hierdurch steigert sich die Wahrscheinlichkeit eines Eintritts des Versicherungsfalles und damit geht eine tatsächliche Bedrohung des versicherten Interesses einher. Allerdings kann im Rahmen schleichender Prozesse oder vorprogrammierter Entwicklungen, die keinen besonderen Entschluss des VN mehr erfordern, die Beurteilung anders ausfallen. Dies kann der Fall sein, wenn mit dem Bereithalten einer verkehrsunsicheren Sache zwangsläufig die gefahrsteigernde Benutzung einhergeht, die gerade keinen besonderen eigenen Willensentschluss des VN mehr erfordert. In Fällen dieser Art liegt nicht erst in der Benutzung selbst die Gefahrsteigerung.25 Bisweilen wird überlegt, dass nur dann eine Gefahrerhöhung vorliegt, wenn die neue Gefahrenlage den VR dazu veranlassen würde, den Versicherungsvertrag aufzuheben oder die Prämie zu erhöhen bzw. der VR den Versicherungsvertrag nicht oder nur gegen eine höhere Prämie abgeschlossen hätte, wenn die Umstände bereits im Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen hätten oder ob darauf abzustellen ist, ob eine erhebliche Gefahrerhöhung oder eine unerhebliche und damit mitversicherte Gefahrenveränderung stattgefunden hat.26 Diese Überlegungen sind letztlich obsolet.27 Auch die Rspr. fordert seit jeher, dass sich solche Umstände verändert haben, die „gefahrerheblich“ sind.28 Dafür spricht auch die klare Bestimmung in § 27, wonach die §§ 23 bis 26 bei einer nur unerheblichen Erhöhung der Gefahr nicht anwendbar sind.29 Für den Fall eines notwendigen oder besonders häufigen Zwischenschritts der Verwirklichung der in der Risikobeschreibung aufgeführten versicherten Gefahr wird eine mitversicher-

21 OLG Düsseldorf 27.6.1995 – 4 U 211/94, VersR 1997 231, 232. 22 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 9. 23 Vgl. hierzu Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 9, der in diesem Zusammenhang das Beispiel des Wegfalls zusätzlicher, von der StVZO nicht vorgesehener Sicherheitsvorkehrungen aufgreift, die in der Kfz-Haftpflichtversicherung keine Gefahrerhöhung nach sich ziehen, vgl. dazu BGH 5.11.1964 – II ZR 48/62, VersR 1964 1289 und BGH 23.11.1967 – II ZR 105/65, VersR 1968 58. 24 Zutreffend Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 10, 35 ff., der die Frage unter dem Begriff des „Erfordernisses der realen Gegenwärtigkeit der Gefahrerhöhung“ (Prölss VersR 2004 576) diskutiert; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 27. Zu den Sonderfällen sog. Brandreden oder Drohungen Dritter s. unten Rn. 112. 25 BGH 15.11.1978 – IV ZR 103/77, VersR 1979 73, 74; anders aber für die Benutzung eines verkehrsunsicheren Kfz: BGH 22.6.1967 – II ZR 154/64, NJW 1967 1758, 1758 f.; BGH 25.2.1970 – IV ZR 639/69, VersR 1970 412; s. Prölss/ Martin/Armbrüster § 23 Rn. 37. 26 So etwa BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 159 f. = VersR 1981 245, 246; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 17; ähnlich Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 17. 27 Im Ergebnis ebenso, allerdings mit abweichender Begründung Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 21a. 28 BGH 15.11.1978 – IV ZR 103/77, VersR 1979 73, 74. 29 Vgl. zu Einzelheiten die Kommentierung zu § 27. 131

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te Gefahrerhöhung angenommen.30 Wäre dieses Durchgangsstadium nicht mitversichert, würde dies für eine Mehrzahl der VN den Versicherungsschutz entwerten. Prölss nennt hierfür das Beispiel, dass etwa in der Hausratversicherung die Herbeiführung des Schadens durch Dritte, z.B. durch Vandalismus ausdrücklich mitversichert ist; entschließt sich ein Dritter, eben diesen Schaden herbeizuführen, sei schon der Entschluss des Dritten eine notwendig mitversicherte Gefahrerhöhung.31 So liegt es auch im Falle von Schutzgelderpressungen, bei denen etwa ein Dritter mit einer Schädigung eines Betriebs des VN droht, sollte der VN nicht die geforderten Summen leisten. Da Schutzgelderpressungen nicht sehr selten oder ungewöhnlich sind, ist es dem VR möglich, diese einzukalkulieren, so dass die Drohung (also der Entschluss) der Erpresser regelmäßig eine mitversicherte Gefahrerhöhung darstellt.32 Da kein allgemeiner Erfahrungssatz existiert, dass Schutzgelderpresser regelmäßig ihre Drohungen wahrmachen und ihr Ziel regelmäßig nicht die Beschädigung oder Zerstörung der versicherten Sache, sondern die Erlangung von „Schutzgeld“ ist, kann von einer objektiven Gefahrerhöhung nur ausgegangen werden, wenn der Entschluss des Erpressers, den Versicherungsfall herbeizuführen, ernsthaft nach außen erkennbar ist.33 Fehlt es an einer solchen notwendigen oder besonders häufigen Durchgangsstation, so kommt es nach Armbrüster darauf an, dass der Umstand die notwendige oder besonders häufige Ursache von bestimmten Versicherungsfällen sei, an deren Deckung die Mehrzahl der VN ein vernünftiges Interesse habe, weil sie von einem solchen Versicherungsfall betroffen werden können und der VN nicht wisse, ob nicht gerade er trotz des relativ seltenen Versicherungsfalles das Opfer sein werde.34 Dieser Überlegung ist zuzustimmen, da ansonsten eine Entwertung des Versicherungsschutzes drohte; bei Anlegung eines logischen Erst-RechtSchlusses muss ja das „Weniger“ versichert sein, wenn sogar das „Mehr“ vom Versicherungsschutz umfasst ist.

e) Gefahrkompensation 19 aa) Grundlagen. Ob sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherungsfall eintritt, erhöht hat, muss unter Einbeziehung aller Umstände des konkreten Einzelfalles ermittelt werden.35 Darauf abzustellen ist, wie sich die Risikolage seit Abgabe der Vertragserklärung des VN insgesamt entwickelt hat,36 so dass es grundsätzlich auf eine Gesamtbetrachtung der Gefahrenlage ankommt.37 Denkbar sind Fälle, in denen sich die Gefahr eines eintretenden Versicherungsfalls einer20 seits erhöht und zugleich andererseits verringert. So lässt etwa das Leerstehenlassen einer Gaststätte im Rahmen der die Betriebseinrichtung schützenden Geschäftsinhaltsversicherung die Gefahr eines Brandes wegen des ausbleibenden Publikumsverkehrs geringer werden; andererseits steigert derselbe Umstand die ebenfalls versicherte Gefahr eines Einbruchdiebstahls.38 30 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 17; Prölss NVersZ 2000 153, 157; Reinhardt ZVersWiss 2014 505, 511. 31 Prölss NVersZ 2000 153, 157 ff.; OLG Kalrsruhe 11.4.1997 – 14 U 6/96, VersR 1998 625, 626; Reusch VersR 2011 13, 18; zustimmend auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 28; offengelassen durch BGH 16.6.2010 – IV ZR 229/09, VersR 2010 1032, 1033. 32 Reinhardt ZVersWiss 2014 505, 511; im Ergebnis auch Reusch VersR 2011 13, 18. 33 Reinhardt ZVersWiss 2014 505, 511; vgl. BGH 16.6.2010 – IV ZR 229/09, VersR 2010 1032, 1033; vgl. auch BGH 27.1.1999 – IV ZR 315/97, VersR 1999 484, 484 f. zu den Anforderungen an die Drohung eines Ehemannes mit der Sprengung des Hauses gegenüber der Ehefrau. 34 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 17. 35 Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 27. 36 BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 158 = VersR 1981 245, 246; BGH 9.7.1975 – IV ZR 95/73, VersR 1975 845, 846; BGH 16.6.2010 – IV ZR 229/09, BGHZ 186 42, 45 f. = VersR 2010 1032; OLG Karlsruhe 30.6.2009 – 12 U 6/ 09, VersR 2010 1641, 1643. 37 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 10; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 27. 38 Beispiel nach BGH 6.6.1990 – IV ZR 142/89, VersR 1990 881, 882. Matusche-Beckmann

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Wenn aber ein und dieselbe versicherte Gefahr zwar erhöht, aber durch gefahrmindernde 21 Umstände wieder kompensiert wird, ist eine Gefahrenverrechnung (sog. Gefahrkompensation) vorzunehmen.39 Denn die Erhöhung einer Gefahr wird ausgeglichen, wenn zugleich entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden, damit sich die erhöhte Gefahr nicht realisiert.40 Einen Fingerzeig in diese Richtung enthält der dem § 24 Abs. 3, 2. Alt. zugrunde liegende 22 Gedanke,41 wonach das Kündigungsrecht des VR erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat. Im Rahmen von § 24 Abs. 3, 2. Alt. wird freilich unterschiedlich beurteilt, wann von einer „Wiederherstellung des Zustands vor Gefahrerhöhung“ gesprochen werden kann: Ist dafür der Wegfall des gefahrerhöhenden Umstandes erforderlich, muss also der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt sein,42 z.B. das die Gefahr erhöhende Baugerüst an einem Gebäude ist wieder abgebaut, oder ist mit Wiederherstellung des Zustands vor Gefahrerhöhung nicht der tatsächliche Zustand, sondern die Gefahrenlage gemeint,43 so dass im Beispiel der Zustand vor Gefahrerhöhung auch „wiederhergestellt“ ist, wenn ein Wachdienst das mit dem Baugerüst stärker einbruchgefährdete Gebäude beaufsichtigt, m.a.W. eine Gefahrkompensation vorliegt? Der Wortlaut des § 24 Abs. 3, 2. Alt. „Wiederherstellung des Zustands“ deutet auf den ersten Blick auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Allerdings lässt sich die Wendung „Zustand vor Gefahrerhöhung wiederherstellen“ zugleich dahingehend verstehen, dass es auf die tatsächlich bestehende Gefahrenlage ankommt. Die zuletzt genannte Sichtweise erscheint mit Blick auf Sinn und Zweck der Gefahrerhöhungsvorschriften, denen es um das vertragliche Äquivalenzverhältnis geht, überzeugender.44 Dies gilt umso mehr als nicht einzusehen wäre, warum in Fällen, in denen eine Wiederherstellung des tatsächlichen ursprünglichen Zustandes gar nicht möglich ist, der VN aber gleichwohl effektive gefahrkompensierende Maßnahmen vorgenommen hat, er nicht von der Regelung in § 24 Abs. 3, 2. Alt. profitieren sollte. Die Wiederherstellung des früheren Zustandes ist also eingetreten, wenn die gegebene Gefahrenlage auch zukünftig keine wesentlich ungünstigere ist als die, die der VR grds. übernommen hat; das ursprünglich versicherte Gefahrenniveau muss wiederhergestellt sein.45 Dieses Erfordernis ist erst dann erfüllt, wenn von der Gefahrerhöhung keine negativen Nachwirkungen mehr zu befürchten sind.

bb) Sog. Kompensationskongruenz. Nach Ansicht der h.M. liegt darüber hinaus selbst dann 23 keine Gefahrerhöhung vor, wenn die Gefahr nur insgesamt kompensiert wurde. Nicht erforderlich ist demnach, dass sich die gefahrmindernden Umstände auf die Schadensursache beziehen, deren Eintritt gerade durch die gefahrerhöhenden Umstände begünstigt wird (sog. Kompensationskongruenz oder Stoßrichtungsgleichheit).46 Vorausgesetzt wird also nicht, dass der gefahrmindernde Umstand den gefahrerhöhenden ausgleicht, sondern dass sich die Risikolage im Ganzen nicht ungünstiger darstellt. Gegen diese Ansicht lässt sich freilich einwenden, dass die an einer Stelle eingetretene 24 Gefahrerhöhung nicht dadurch ihre Eigenschaft als eine solche verliert, dass an anderer Stelle 39 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 23. 40 BGH 9.7.1975 – IV ZR 95/73, VersR 1975 845, 846 f.; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 29. 41 Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 41; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 34; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski § 23 Rn. 22. 42 Honsell VersR 1981 1094, 1096. 43 So Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 34; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 27. 44 Noch anders Bruck/Möller/Matusche-Beckmann9 Bd. I § 23 Rn. 9. 45 S. dazu bei § 24 Rn. 44 ff. 46 BGH 6.6.1990 – IV ZR 142/89, VersR 1990 881, 882; BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 159 = VersR 1981 245, 246; BGH 9.7.1975 – IV ZR 95/73, VersR 1975 845, 846; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 24; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 24; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 28; Berliner Kommentar/ Harrer § 23 Rn. 8; Wussow VersR 2001 678, 680; skeptisch Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 37; a.A. Honsell VersR 1981 1094, 1096, der die Gefahrkompensation ausschließlich bei Kompensationskongruenz anerkennen will. 133

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eine Gefahrminderung eintritt. Zudem sieht das Gesetz nur die Prämienherabsetzung wegen Gefahrminderung vor.47 Allerdings ist das Argument, dass § 41 dem VN kein Wahlrecht einräume – selbst wenn man diese Ansicht teilen würde –,48 nicht zwingend. Wenn eine Gefahrkompensation vorliegt, liegt eben keine Gefahrminderung vor, da die Prämie ja dann wieder in angemessenem Verhältnis zur Risikotragung steht.49 Der VN kann also gar nicht erst eine Prämienherabsetzung verlangen. Daraus folgt aber umgekehrt auch, dass für die Gefahrkompensation kein Raum mehr ist, wenn der VN die Herabsetzung der Versicherungsprämie nach § 41 verlangt hat.50 Der die Gefahr mindernde Umstand wurde dann bereits berücksichtigt; gegenüber der nunmehr bestehenden Risikolage hat sich die Gefahr hingegen erhöht. Von einer Kompensation kann keine Rede mehr sein. 25 Um die Frage letztendlich zu beantworten, ist auf die Interessen der VR und der VN abzustellen: Die §§ 23 ff. sollen den VR davor schützen ein höheres Risiko zu tragen, als er es für die Prämienkalkulation bei Antragstellung berechtigterweise zugrunde legen konnte. Wird die Gefahrerhöhung in demselben Umfang kompensiert, ändert sich für den VR am tatsächlich bestehenden Risiko nichts. Das durch §§ 23 ff. geschützte Äquivalenzverhältnis bleibt also gewahrt, auch wenn der gefahrerhöhende und der gefahrmindernde Umstand nicht kongruent sind. Dies muss ebenso gelten, wenn in einem Versicherungsvertrag mehrere unterschiedliche Risiken versichert sind.51 Einschränkungen sollten in Einzelfällen jedoch bei kombinierten Versicherungen wie etwa 26 der Wohngebäudeversicherung vorgenommen werden. So ist zuzustimmen, dass etwa eine erhöhte Feuergefahr nicht durch eine niedrigere Leitungswasserschadengefahr,52 oder eine erhöhte Diebstahlsgefahr nicht durch die Anschaffung eines Feuerlöschers kompensiert werden kann.53 Sollte man dem VR den Einwand zugestehen, er hätte für das erhöhte Risiko eine höhere Prämie oder einen Ausschluss dieses Risikos vereinbart,54 kann ihm nur schwer entgegnet werden, er müsse die erhöhte Diebstahlsgefahr nun tragen, da der VN schließlich einen Feuerlöscher erworben habe. Nur insoweit sollte dann ein sonst abzulehnender innerer Zusammenhang zwischen den das Risiko erhöhenden und den das Risiko vermindernden Umständen verlangt werden.55

27 cc) Zeitmoment bei Gefahrkompensation. Eine Gefahrerhöhung kann nach dem Gesagten durch eine Gefahrkompensation (wieder) aufgehoben werden. Dass die zu „verrechnende“ Gefahrkompensation zeitlich mit dem Eintritt der Gefahrerhöhung zusammenfällt, ist nach wohl h.M. nicht erforderlich, sondern nur, dass sie überhaupt vorliegt.56 Diese Ansicht verdient Zustimmung, soweit der gefahrmindernde Umstand vor oder zeitgleich mit dem gefahrerhöhenden Umstand eintritt. Anders ist es allerdings, wenn der gefahrmindernde Umstand erst zeitlich 47 48 49 50 51 52 53

S. zur Kritik Honsell VersR 1981 1094, 1096. So zu § 41a VVG a.F. Honsell a.a.O. So auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 24b. BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 160 = VersR 1981 245, 246. BGH 6.6.1990 – IV ZR 142/89, VersR 1990 881, 882. Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 58; Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 45. Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 37; i.E. zustimmend auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 24. 54 So Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 44. 55 So wohl generell Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 45; für eine gewisse Kongruenz auch Langheid/Rixecker/ Langheid § 23 Rn. 37; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 58; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 24. 56 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 24a unter Berufung auf BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 158 f. = VersR 1981 245, 246, der dies wohl voraussetzt; s. auch Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 34: „Eine eingetretene Gefahrerhöhung kann durch eine vorher, gleichzeitig oder nachträglich eintretende Gefahrkompensation wieder aufgehoben werden …“. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

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nach der Gefahrerhöhung einsetzt. In diesem Fall kann nicht zweifelhaft sein, dass bis zum Zeitpunkt der Gefahrkompensation eine Gefahrerhöhung vorliegt. Für den Zeitraum, in dem die Kompensation noch nicht gegeben ist, greifen daher prinzipiell die Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung, weil das vertraglich übernommene und kalkulierte nicht mehr dem tatsächlich bestehenden Risiko entspricht. Ob es im Zeitraum bis zur Kompensation zu einem Versicherungsfall kommt, hängt letztlich allein vom Zufall ab. Hingegen kann der VR ab dem Zeitpunkt der Gefahrkompensation nicht mehr nachträglich aus § 24 ein Kündigungsrecht ableiten. Denn sobald das erhöhte Risiko kompensiert ist, besteht kein Anlass mehr, ihn nicht mehr am Vertrag festzuhalten wie § 24 Abs. 3, 2. Alt. bestätigt. Indes erscheint es sachgerecht, in Fällen dieser Art dem VR für den Zeitraum von Gefahrerhöhung bis zum Zeitpunkt der Gefahrkompensation einen Anspruch auf eine höhere Prämie nach § 25 Abs. 1 Satz 1 zuzugestehen. Für das Erlöschen dieses Rechts gilt nach § 25 Abs. 1 Satz 2 die Regelung in § 24 Abs. 3 entsprechend. Das Prämienerhöhungsrecht endet insbesondere nach § 24 Abs. 3, 2. Alt. im Zeitpunkt der Wiederherstellung des ursprünglichen Gefahrenniveaus.

dd) Wegfall einer Gefahrkompensation. Soweit eine zunächst gegebene Gefahrkompensation wieder in Wegfall gerät, erscheint fraglich, ob es sich um eine subjektive oder objektive Gefahrerhöhung handelt. Nach einer Ansicht kommt es zur Beantwortung allein auf den ursprünglichen gefahrerhöhenden Umstand an; es kann also entweder eine subjektive oder eine objektive Gefahrerhöhung gegeben sein.57 Armbrüster geht für den Fall, dass der kompensierende Umstand ohne Zutun des VN wegfällt, mangels „Vornahme“ der Gefahrerhöhung von einer objektiven Gefahrerhöhung aus; ob die Regeln der subjektiven Gefahrerhöhung gelten, hinge davon ab, ob man eine Vornahme durch Unterlassen anerkenne.58 Nach Langheid soll eine objektive Gefahrerhöhung nur dann angenommen werden können, wenn die Gefahrkompensation in Unkenntnis des VN und ohne dessen Verschulden entfällt; die subjektive Gefahrerhöhung stehe fest, wenn der VN zunächst die Gefahrerhöhung veranlasst habe; es sei Sache des VN, für gefahrkompensierende Maßnahmen zu sorgen, so dass ein Unterlassen hier in jedem Fall vorwerfbar wäre.59 Ein gefahrkompensierender Umstand kann nach dem Gesagten zugunsten des VN die Gefahrerhöhung ausgleichen. Eine Rechtspflicht zur Schaffung gefahrkompensierender Maßnahmen sieht das Gesetz indes nicht vor. Die Gefahrkompensation kann dem VN nur zugutekommen, so lange sie anhält. Entfällt ein gefahrkompensierender Umstand wieder, ist daher die Einordnung der Gefahrerhöhung nur mit Blick auf diese selbst zu beantworten; die Qualifizierung als subjektive oder objektive Gefahrerhöhung hängt also regelmäßig von den ursprünglich gefahrerhöhenden Umständen ab. Ein etwaiges Verschulden des VN am Wegfall der Gefahrkompensation spielt dabei ebensowenig eine Rolle wie die Überlegung, ob mit Blick auf den Wegfall der Gefahrkompensation ein Unterlassen tatbestandsmäßig sein kann. Vielmehr erscheint überzeugender, mit der erstgenannten Ansicht in Fällen dieser Art allein auf den nun wieder relevanten gefahrerhöhenden Umstand abzustellen. Soweit vorgebracht wird, diese Ansicht lasse außer Betracht, dass zwischenzeitlich ein Handeln/Unterlassen des VN zu einem Neueintritt der Gefahrerhöhung geführt habe,60 ist zu entgegnen: Auch bei Anerkennung einer Gefahrkompensation stellen die §§ 23 ff. die Gefahrerhöhung selbst in den Fokus. Eine nur vorübergehende, dann wieder entfallende Gefahrkompensation führt nicht zu einer neuen – oder dem „Neueintritt“ einer – Gefahrerhöhung, sondern führt zum Wiederaufleben der zuvor bestehenden Gefahrenlage bzw. Gefahrerhöhung.

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Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 42 f. mit Beispielen; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 56. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 29. Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 36. Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 36. Matusche-Beckmann

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32 ee) Beweislast bei Gefahrkompensation. Grundsätzlich hat der VR darzulegen und zu beweisen, dass (irgend-)ein gefahrerhöhender Umstand vorliegt.61 Da eine Gefahrkompensation zugunsten der Rechtsposition des VN streitet, ist es an ihm, die für eine Gefahrkompensation streitenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen.62 Dies steht im Einklang mit den Wertungen im Rahmen von § 41, bei dem ebenfalls der VN den Wegfall eines gefahrerhöhenden Umstands darlegen und beweisen muss.63

33 f) Gefahrwechsel. Kein Zustand einer erhöhten Gefahr liegt vor, wenn sich durch gefahrerhöhende oder gefahrvermindernde Momente das versicherte Risiko derart verändert, dass sein ursprüngliches Gepräge dauerhaft verloren geht. Die Rede ist von einem Gefahrwechsel. Er fällt nicht unter die §§ 23 ff., sondern lässt das Interesse am versicherten Risiko entfallen; damit erlischt der Versicherungsschutz.64 Anzunehmen ist dies etwa bei einem Berufswechsel im Rahmen der Berufshaftpflichtversicherung oder bei der Umwandlung eines als Wohnhaus versicherten Gebäudes in eine Fabrik.65

34 g) Zustand gewisser Dauer. Nicht einheitlich beurteilt wird die Frage, ob und in welchem Umfang sich der Zustand erhöhter Gefahr zu einem gewissen Dauerzustand verfestigt haben muss. Nach einer früher vertretenen Ansicht sollten für die Annahme einer Gefahrerhöhung auch 35 ganz kurzzeitige, zeitlich nicht fortdauernde Gefahrsteigerungen ausreichen.66 Lediglich eine Situation, in der der Zeitraum der Gefahrerhöhung so kurz sei, dass eine Trennung zwischen Gefahrerhöhung und Eintritt des Versicherungsfalles unmöglich ist, künstlich erschiene und ein ruhender Zustand nicht angenommen werden könne, sollte danach keine Gefahrerhöhung darstellen.67 Dem ist entgegenzuhalten, dass für das Erfordernis einer gewissen Dauerhaftigkeit zu36 nächst bereits die Fassung des § 23 Abs. 2 spricht: Ihr kann – wenn auch nur für den Fall der nachträglich erkannten Gefahrerhöhung – entnommen werden, dass der gefahrerhöhende Zustand jedenfalls von einer solchen Dauer sein muss, dass es dem VN rein tatsächlich auch zeit-

61 Zur Darlegungs- und Beweislast s. noch unten Rn. 163 f.; zurückhaltend BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 159 = VersR 1981 245, 246, der dem VR auferlegt darzutun, wie die gefahrerhöhenden und gefahrmindernden Umstände sich auf das übernommene Risiko auswirken; wie hier aber Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 22. 62 Vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 30, der dem VR unter Hinweis auf BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 159 auferlegt, das Gewicht der gegenüberzustellenden Umstände unter versicherungstechnischen Gesichtspunkten darzutun. Dies erscheint zutreffend. Nach allgemeinen Grundsätzen genügt eine Partei bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen, vgl. nur BGH 18.12.2019 – XII ZR 67/19, NJW-RR 2020 392, 393. Wenn dem Behauptenden eine nähere Darlegung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende die wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen, ergibt sich die Pflicht der Gegenpartei, sich zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substanziiert zu äußern (sog. sekundäre Darlegungslast), vgl. nur BGH 10.2.2015 – VI ZR 343/13, VersR 2015 1529, 1530. 63 Prölss/Martin/Reiff § 41 Rn. 14; Langheid/Wandt/Staudinger § 41 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz § 41 Rn. 5. 64 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 38; Bruck/Möller/Möller8 § 23 Anm. 6. 65 Wandt Rn. 867. 66 E. Prölss VersR 1951 137, 138; LG Siegen 28.8.1950 – 3 O 73/50, VersR 1951 148, 149; LG Traunstein 28.9.1951 – 2 O 238/51, VersR 1952 92. 67 KG Berlin 15.11.1951 – 4 U 1710/51, VersR 1952 21, 22; LG Traunstein 28.9.1951 – 2 O 238/51, VersR 1952 92; E. Prölss VersR 1951 137. Matusche-Beckmann

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lich möglich wäre, eine Anzeige vorzunehmen;68 auch die Möglichkeit der Vertragsanpassung nach § 25 ergibt nur bei einer Gefahrerhöhung von gewisser Dauer Sinn.69 Schließlich würden bei der Qualifizierung ganz kurzzeitiger Risikosteigerungen als Gefahrerhöhung auch die Vorschriften zur Herbeiführung des Versicherungsfalls in den §§ 81, 103, die für den VN aufgrund der Beweislastverteilung und zudem wegen der bei einfacher Fahrlässigkeit bestehenden Kündigungsmöglichkeit nach § 24 Abs. 1 Satz 2 günstiger sind, „unterspült“.70 Die überwiegende Auffassung sieht daher zu Recht die Änderung von Gefahrumständen 37 nur dann als Gefahrerhöhung an, wenn diese einen neuen Zustand erhöhter Gefahr schafft, der jedenfalls von so langer Dauer ist, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Geschehensablaufs bilden kann und damit geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern.71 Das Erfordernis eines Dauermoments trägt den Interessen des VN Rechnung. Aufgrund der stetigen Änderung der Gefahrumstände wäre der Versicherungsschutz des VN ständig gefährdet, würde man alle auch ganz kurzzeitigen Gefahrsteigerungen ausreichen lassen. Der VN muss erwarten können, dass kurzfristige Gefahränderungen oder Gefahrsteigerungen keine nachteiligen Folgen für ihn haben.72 Auch die Interessen des VR sind durch das Erfordernis einer Gefahrerhöhung von gewisser 38 Dauer gewahrt. Führen die kurzfristigen Gefahrerhöhungen den Versicherungsfall herbei, kann er dennoch über § 81 (teilweise) leistungsfrei sein. Es ist also nicht notwendig, kurzzeitige Gefahränderungen als von den §§ 23 ff. umfasst anzusehen, um den ebenfalls berechtigten Interessen des VR gerecht zu werden. Des Weiteren wird eine nur für einen Moment bestehende Gefahrsteigerung das zu sichernde Äquivalenzverhältnis im Regelfall nicht sonderlich stark beeinflussen.73 Allerdings kommt es auf alle Umstände des Einzelfalls an; so dass im Einzelfall auch eine zeitlich beschränkte neue Gefahrsituation in ihren Auswirkungen derart gravierend sein kann, dass es gerechtfertigt erscheint, sie als Gefahrerhöhung zu qualifizieren.74 So kann ein einmaliges Handeln Wirkungen auf Dauer entfalten.75 Entscheidend ist demnach, ob die Gefährdungshandlungen in ihrer Wirkung fortdauernd sind.76 Indes erfüllt eine von vornherein nur ganz kurzzeitige Erhöhung des Gefahrzustandes, bei der es an der genannten Qualität fehlt, diese Anforderungen nicht.77

68 BGH 22.1.1971 – IV ZR 121/69, VersR 1971 407, 408; BGH 24.1.1957 – II ZR 133/55, BGHZ 23 142, 147; Deutsch/ Iversen Rn. 154; a.A. Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 35; diff. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 33, der aber jedenfalls § 23 Abs. 2 nicht das Erfordernis einer gewissen Dauerhaftigkeit entnehmen will. 69 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 15. 70 Vgl. Deutsch/Iversen Rn. 154; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 15. 71 BGH 16.6.2010 – IV ZR 229/09, VersR 2010 1032; BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1315; BGH 23.6.2004 – IV ZR 219/03, VersR 2005 218, 219; BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, BGHZ 42 295, 297 = NJW 1965 156; BGH 27.6.1951 – II ZR 29/50, BGHZ 2 360, 365; BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 322 = NJW 1952 1291, 1293; BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; LG Köln 12.8.2009 – 24 O 365/08, RuS 2010 14, 16. 72 So auch Wandt Rn. 863. 73 Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 30. 74 Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 35 ff., der auch noch subjektive Elemente einbeziehen will; diff. Prölss/Martin/ Armbrüster § 23 Rn. 33. 75 So wurde eine Gefahrerhöhung bei einem nur einmaligen Beimischen von Benzin zu einer Reinigungsflüssigkeit bejaht, da die Flüssigkeit für einige Zeit in der Reinigungsanlage verblieb und so den Ausbruch eines Brandes zu fördern geeignet war, BGH 10.1.1951 – II ZR 21/50, NJW 1951 231, 232 f. 76 BGH 10.1.1951 – II ZR 21/50, NJW 1951 231, 232; so auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 33, der daher besser von einem „Nachhaltigkeitskriterium“ sprechen möchte und Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 39, der von einem „Erheblichkeits- oder Wesentlichkeitskriterium“ spricht. 77 BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1315 für das nur einmalige, für den Zeitraum von einigen Stunden andauernde Abstellen eines Schleppers in einer Scheune; OLG Köln 25.10.1990 – 5 U 85/90, RuS 1990 421, 421 f. für das einmalige Deponieren eines Schlüssels unter der Fußmatte; OLG Düsseldorf 6.7.2004 – I-4 U 222/03, VersR 2005 348, 349 für eine einmalige Fahrt unter Medikamenteneinfluss; LG Hamburg 6.3.1984 – 9 O 75/83, VersR 1984 752, 752 f. für das kurzfristige Verlassen der Wohnung, ohne das Schloss der Haustür zu betätigen. 137

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39 h) Nicht Versicherungsfall. Negatives Merkmal der Gefahrerhöhung ist, dass der veränderte Zustand nicht bereits den Versicherungsfall darstellt. Dieses Risiko hat der VR vertraglich übernommen, es liegt in seiner Risikosphäre. Insoweit soll er nicht durch die Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung privilegiert werden.

40 i) Für VR nicht vorhersehbar. Die Vorschriften über die Gefahrerhöhung sollen den VR nicht entlasten, die vom VN verlangten Prämien sorgfältig zu kalkulieren. Das bedeutet, dass der VR Entwicklungen mitberücksichtigen muss, die er bei Abschluss des Vertrags kennt oder bereits vorhersehen kann, weil es sich um eine typische Gefahr – um das allgemein übliche Durchschnittsrisiko – handelt. Die Annahme einer Gefahrerhöhung setzt deshalb negativ auch voraus, dass die mögliche Änderung der gefahrerheblichen Umstände nicht bekannt oder typischerweise vorhersehbar ist.78 Die Anwendung der §§ 23 ff. kommt dann nicht in Betracht. Klarstes Beispiel für eine Vorhersehbarkeit ist das Fortschreiten des Alters eines Versicher41 ten in der Lebens- und Krankenversicherung: Die damit verbundenen Risiken kann der VR absehen und muss sie deshalb berücksichtigen – wobei hier freilich ohnehin die Sonderregelungen in § 158 und § 194 Abs. 1 Satz 2 greifen. Es liegt insoweit keine Gefahrerhöhung vor.79 Das gilt auch, wenn beispielsweise im Rahmen einer Gebäudeversicherung der Versicherungsfall eintritt, während das Gebäude nicht beaufsichtigt war. Dass ein Gebäude nicht durchgängig bewacht ist, entspricht allgemeiner Lebenserfahrung und stellt gerade ein typisches, von der Gebäudeversicherung erfasstes, vorhersehbares Risikomoment dar, so dass die Annahme einer Gefahrerhöhung ausscheidet.80 Nun soll insoweit eine Einschränkung gelten:81 Nur „unausweichliche“ Gefahrerhöhungen, 42 Gefahrerhöhungen, die der VR kennt, und solche, die das allgemein übliche Durchschnittsrisiko kennzeichnen, sollen die Rechtsfolgen nach §§ 23 ff. nicht auslösen, weil ansonsten der Zweck des Versicherungsvertrags vereitelt würde. Schließlich müsse der VR gerade auch entlastet werden, allzu viel vorhersehen zu müssen.82 All dies ist richtig, aber mit dem zuvor Gesagten durchaus vereinbar. Denn die aufgezählten Einschränkungen sind bei der Bewertung der Vorhersehbarkeit zu beachten. In den genannten Fallgruppen ist die Vorhersehbarkeit zu bejahen. Letztlich läuft alles auf die wertende Frage hinaus, wem man das Risiko der Umstandsänderungen zuweist. Hätte es der VR bei der Berechnung der Prämie billigerweise berücksichtigen müssen, oder fällt die Veränderung in die Risikosphäre des VN?

43 j) Sinnvolle und alternativlose Maßnahmen. Auch aus beruflicher oder privater Sicht grundsätzlich sinnvoll und vernünftig erscheinende Maßnahmen können – sofern nicht kompensierende Gegenmaßnahmen ergriffen werden – nach Wortlaut und Telos eine Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 1 darstellen.83 Maßnahmen, mit deren Durchführung eine Gefahrerhöhung verbunden ist, deren Unterlas44 sen aber für den VN unzumutbar erscheint („alternativlose Maßnahmen“), sollen ebenfalls den Tatbestand der Gefahrerhöhung erfüllen. Der Schutz des VN soll hier gewährleistet werden, indem in diesen Fällen die Gefahrerhöhung als unabwendbar im Sinne des Absatz 3 qualifiziert wird, um dem VN so den Dispositionsschutz der §§ 23 Abs. 3, 24 Abs. 2, 26 Abs. 2 zukommen

78 BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, BGHZ 42 295, 298 = NJW 1965 156: „typische Gefahrentwicklung, die ständig wiederkehrt und vorhersehbar ist“; s. schon RG 3.1.1936 – VII 203/35, RGZ 150 48, 50. 79 Bruck/Möller/Möller8 § 23 Anm. 5; vgl. auch Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 16. 80 BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, BGHZ 42 295, 298 = NJW 1965 156. 81 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 15; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 15, 39 f. 82 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 39 i.V.m. Rn. 2; zustimmend Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 15. 83 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 41. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

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zu lassen.84 Problematisch erscheint an dieser Lösung aber die Frage, wann in solchen Fällen tatsächlich von einer „Unzumutbarkeit hinsichtlich des Unterlassens“ auszugehen ist.

2. Die sog. subjektive (willentliche) Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1 a) Grundlagen. § 23 Abs. 1 verbietet dem VN, nach Abgabe seiner Vertragserklärung ohne Ein- 45 willigung des VR eine Gefahrerhöhung vorzunehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten zu gestatten, und stellt damit den Grundtatbestand der Gefahrerhöhung dar.85 Um einen Gleichlauf mit den Anzeigeobliegenheiten des VN nach §§ 19 ff. zu erzielen, stellt § 23 Abs. 1 ebenfalls auf den Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung durch den VN ab. Hiervon abgesehen entspricht die Fassung des § 23 Abs. 1 der früheren Vorschrift.86 Von der objektiven Gefahrerhöhung des Absatzes 3, der die unabhängig von einer Vornahme oder Gestattung einer Gefahrerhöhung eintretende Gefahrerhöhung regelt, unterscheidet sich die willentliche (subjektive) Gefahrerhöhung des § 23 Abs. 1 durch ein voluntatives Element.87 Die Elemente der „Vornahme“ und der „Gestattung“ grenzen daher die subjektive Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1, 2 von der objektiven Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 3 ab. Der zu § 23 Abs. 1 verwendete Begriff der sog. Gefahrstandspflicht darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vorschrift keine Handlungspflichten des VN begründet, sondern die Nichtbeachtung vielmehr die Rechtsfolgen der §§ 24 ff. auslöst. Es handelt sich folglich um eine Obliegenheit des VN.88 Adressat ist zunächst der VN selbst, bei einer Mehrheit von VN jeder einzelne VN.89 Über § 47 Abs. 1, 2. Alt. trifft die Gefahrstandspflicht bei einer Versicherung für fremde Rechnung „auch“ den Versicherten.90 Die § 23 Abs. 1 bis 3 sind als Obliegenheiten zu qualifizieren.91 Sie enthalten keine Gefahrminderungsverpflichtung des VN.92 Dem VN wird vielmehr „lediglich“ auferlegt, keine gefahrerhöhenden Maßnahmen vorzunehmen bzw. solche anzuzeigen. Der VR hat jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, vertragliche Abreden mit entsprechenden Obliegenheiten (vgl. § 28) des VN zu vereinbaren.93

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b) Vornahme der Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 1, 1. Alt.) aa) Aktives Tun. „Vornahme“ einer Gefahrerhöhung bedeutet das willentliche Herbeiführen 50 einer Gefahrerhöhung durch den VN.

84 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 42. 85 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 10. 86 § 23 Abs. 1 in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung lautete: „Nach dem Abschluß des Vertrags darf der Versicherungsnehmer nicht ohne Einwilligung des Versicherers eine Erhöhung der Gefahr vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten.“. 87 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 10. 88 Vgl. oben Rn. 2; BGH 21.1.1987 – IVa ZR 112/85, VersR 1987 653; Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 49; Prölss/ Martin/Armbrüster § 23 Rn. 93; Wandt Rn. 815; BeckOK/Staudinger/Ruks § 23 Rn. 36; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 43. 89 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 40; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 23; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 43. 90 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 40. 91 S. oben Rn. 2. 92 BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, BGHZ 42 295, 299 = VersR 1965 29, 29 ff. m. Anm. E. Prölss; BGH 5.11.1964 – II ZR 48/62, VersR 1964 1289; Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 64; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 94. 93 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 94; Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 64. 139

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Daneben kommt die Zurechnung des Verhaltens bzw. der Kenntnis eines Repräsentanten in Betracht.94 Das Verhalten sonstiger Dritter muss sich der VN nicht zurechnen lassen, es sei denn, er hat die Vornahme der Gefahrerhöhung gestattet.95 Unproblematisch liegt in einem positiven Tun eine Vornahme.96 Um ein willentliches Her52 beiführen i.S.v. § 23 Abs. 1 annehmen zu können, bedarf es der Kenntnis des VN von den die Gefahrerhöhung begründenden Umständen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der VN den gefahrerhöhenden Charakter der Umstände kennt.97 51

53 bb) Unterlassen. Umstritten ist hingegen die Frage, ob auch die Vornahme einer Gefahrerhöhung durch Unterlassen in Betracht kommt. Fällt es unter § 23 Abs. 1, wenn der VN es unterlässt, eine ihm bekannte, ohne seinen Willen eingetretene Gefahrerhöhung zu beseitigen? Die Rspr. lehnt eine subjektive Gefahrerhöhung durch Unterlassen nach Absatz 1 ab.98 Sie 54 behandelt Fälle dieser Art als ungewollte Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 3.99 Begründet wird diese Ansicht damit, dass bereits der Wortlaut des § 23 Abs. 1 ein positives Tun voraussetze: Das Unterlassen einer Handlung sei nicht die „Vornahme“ einer solchen; im Übrigen begründe § 23 Abs. 3 lediglich eine Anzeige-, nicht aber eine Beseitigungsobliegenheit.100 Ob die Rspr. auch unter den veränderten Rechtsfolgen der §§ 24 ff. daran festhalten wird, 55 bleibt weiterhin abzuwarten. Seit der Reform 2008 sind jedenfalls – soweit ersichtlich – keine gegenteiligen obergerichtlichen Entscheidungen ergangen.101 Die Meinungen im Schrifttum zu dieser Frage sind geteilt. 56 Einige Stimmen bejahen die Möglichkeit einer Gefahrerhöhung durch Unterlassen.102 Als 57 Grund wird insbesondere vorgetragen, dass im Unterlassen der Beseitigung eines erhöhten Risikos über einen gewissen Zeitraum ein dem positiven Tun gleichwertiges Verhalten liegt, sofern der VN positive Kenntnis vom gefahrerhöhenden Zustand und ausreichend Gelegenheit hatte, diesen Zustand zu beenden.103 Langheid zieht die Parallele zur Rspr. in den Kraftfahrt-Haftpflicht- und Fahrzeugversicherun58 gen, die die Kombination aus dem primären Unterlassen einer Reparatur eines nicht verkehrssicheren Fahrzeugs und der sekundären Benutzung dieses Fahrzeugs ausreichen lässt, um die Vornahme einer Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 Abs. 1 zu bejahen.104 In den übrigen Fällen handele es sich aber 94 OLG Dresden 30.3.2020 – 4 U 102/20 (juris); OLG Dresden 9.6.2020 – 4 U 102/20 (juris); OLG Karlsruhe 17.9.2013 – 12 U 43/13, VersR 2014 326, 327; Bruns § 18 Rn. 6. 95 Dazu unten Rn. 77 ff. 96 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 29; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 12. 97 Dazu näher unten unter „Voluntatives Element“, Rn. 66 ff. 98 BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 161 = VersR 1981 245, 246; BGH 23.9.1981 – IVa ZR 216/80, VersR 1982 33, 34; BGH 21.1.1987 – IVa ZR 112/85, VersR 1987 653, 654; OLG Köln 8.3.2013 – 20 U 204/12, RuS 1989 160; OLG Köln 28.3.2000 – 9 U 78/88, RuS 2000 207, 208; anders ÖOGH 5.5.2010 – 7 Ob 34/10 s, VersR 2011 99, 100 und LG Kiel 28.12.2009 – 3 O 68/07, VersR 2010 1366, 1366 f., wonach ein Unterlassen einem Handeln gleichsteht, wenn außerhalb der Pflichten aus dem Versicherungsvertrag eine Verpflichtung des VN zum Handeln besteht (– im konkreten Fall ergab sich eine solche Pflicht aus der LBO). 99 Vgl. BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 160 = VersR 1981 245, 247 (noch zu §§ 27, 28 VVG a.F.). 100 Ältere Rspr. noch zu § 27 a.F., der inhaltlich dem heutigen § 23 Abs. 3 entspricht: BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/ 80, BGHZ 79 156, 161 = VersR 1981 245, 247; BGH 23.9.1981 – IVa ZR 216/80, VersR 1982 33, 34; BGH 21.1.1987 – IVa ZR 112/85, VersR 1987 653, 653 f.; OLG Hamm 23.1.1987 – 20 U 273/86, VersR 1988 49; OLG Düsseldorf 27.6.1995 – 4 U 211/94, VersR 1997 231, 233; a.A. OLG Frankfurt 20.3.1985 – 17 U 295/83, VersR 1985 825, 826; LG Köln 4.11.1987 – 24 O 564/86, VersR 1988 902, 903. 101 Zuletzt explizit offengelassen von OLG Koblenz 15.5.2009 – 10 U 1018/08, VersR 2009 1619, 1620. 102 Werber 37; Prölss FS Larenz (1983) 487, 509; Martin VersR 1988 209, 215; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 30 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 106, 107, der der grundsätzlichen Möglichkeit der Vornahme einer Gefahrerhöhung durch Unterlassen aber nur unter gewissen Voraussetzungen bejahend gegenübersteht. 103 Martin VersR 1988 209, 213 f.; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 33. 104 BGH 18.10.1989 – IVa ZR 29/88, VersR 1990 80, 81; OLG Celle 10.10.1990 – 8 U 11/90, RuS 1991 117. Matusche-Beckmann

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letztlich ebenfalls um eine Kombination aus positivem Tun und Unterlassen. Der ursprüngliche Eintritt des gefahrerhöhenden Zustandes werde nicht vom VN ausgelöst, zudem unterlasse er gefahrkompensierende Maßnahmen und benutze den versicherten Gegenstand unverändert weiter. Allerdings nimmt auch Langheid sodann die Einschränkung vor, dass nicht jedes Unterlassen des VN eine subjektive Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 Abs. 1 darstelle, sondern nur dann, wenn der VN positive Kenntnis vom gefahrerhöhenden Zustand habe und er genügend Zeit und Gelegenheit hatte, diesen durch geeignete und ihm wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen auszugleichen oder zu beseitigen.105 Armbrüster106 differenziert: Er geht im Grundsatz ebenfalls von der Möglichkeit der Herbeiführung einer Gefahrerhöhung durch Unterlassen aus. Die von ihm präsentierte Lösung knüpft an den vom VN zu betreibenden Aufwand an, um eine drohende Gefahrerhöhung zu vermeiden bzw. eine bereits eingetretene zu beseitigen. Aus dem Fehlen einer gesetzlichen Verpflichtung lasse sich nicht ableiten, dass der VN keinerlei Aufwand betreiben müsse. Auch sei unstreitig, dass ein Versicherungsfall durch Unterlassen herbeigeführt werden könne, ohne dass der VN zur Verhinderung von dessen Eintritt verpflichtet sei. Was den zu betreibenden Aufwand angeht, solle man sich daran orientieren, was vom VN gefordert würde, um einer Leistungsfreiheit nach § 81 zu entgehen. Konkret gehe es um einen „Minimalaufwand“, dessen Unterbleiben im Hinblick auf die gesteigerte Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalles den Vorwurf einer zumindest objektiv grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles begründen würde, falls der Versicherungsfall tatsächlich eintritt. Im Falle des Bestehens eines Handlungsverbots zur Vermeidung einer Gefahrerhöhung scheide ein gleichzeitiges Beseitigungsgebot und eine Herbeiführung der Gefahrerhöhung durch Unterlassen aber aus. Hahn107 lehnt hingegen die Möglichkeit einer subjektiven Gefahrerhöhung durch Unterlassen ab: Zwar anerkennt er, dass positives Tun und Unterlassen im Recht grundsätzlich als gleichwertige Verhaltensformen verstanden werden. Für die Übertragung dieses Grundsatzes auf die Gefahrerhöhung fehle es jedoch an einer Grundlage. Eine Gleichbehandlung im Bereich der Gefahrerhöhung setze sich über den Wortlaut des § 23 Abs. 1 hinweg, der eine Vornahme, also ein aktives Verhalten, erfordere. Subsumiere man die unter den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 fallenden Sachverhalte unter § 23 Abs. 1, würde dies die Stellung des VN verschlechtern, da er so die Gefahrerhöhung nicht lediglich anzeigen, sondern beseitigen müsse. Zudem blieben danach für den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 nur noch die Fälle der ungewollten Gefahrerhöhung, die unabwendbar seien; für eine Differenzierung zwischen abwendbaren und unabwendbaren Gefahrerhöhungen gebe aber der Wortlaut des § 23 Abs. 3 nichts her. Karczewski108 argumentiert, dass die generell nicht bestehende Pflicht des VN zur Gefahrvermeidung nicht durch die Aufhebung der Unterschiede zwischen Absatz 1 und Absatz 3 unterlaufen werden dürfe, indem eine Gleichstellung zwischen Unterlassen und aktivem Tun erfolge. In den Kfz-Haftpflicht- und Kfz-Kaskoversicherungsfällen liege der Schwerpunkt des Vorwurfs gerade nicht in einem Unterlassen, sondern in dem Tun der Benutzung des Fahrzeugs entgegen den Bestimmungen der StVZO. Gegen die Anerkennung einer Gefahrerhöhung durch Unterlassen spricht zunächst eine am Wortlaut orientierte Auslegung: Der Begriff der Vornahme umschreibt jedenfalls prima vista ein aktives Tätigwerden, aber kein passives Geschehenlassen.109 Aber auch der systematische Zusammenhang von § 23 Abs. 1 und Abs. 3 gebietet es, dass die Fälle einer ungewollten, aber grundsätzlich abwendbaren Gefahrerhöhung nicht zu Ungunsten des VN in den Anwendungsbereich der Absätze 1 und 2 verschoben werden und damit zugleich derjenige des Absatzes 3 verengt würde. 105 Vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 32 f.; Langheid NJW 1992 656, 659 f.; Martin N III Rn. 4, 8, 11; ähnlich verfährt die österreichische Rspr., vgl. ÖOGH 5.5.2010 – 7 Ob 34/10 s, VersR 2011 99, 100. 106 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 105 ff. 107 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 14. 108 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 25 ff. 109 Vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 14; zur Begrifflichkeit der Vornahme und dem Terminus des Herbeiführens i.R.v. § 81 noch sogleich. 141

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Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen des Absatzes 1 und Absatzes 3. Zwar ist zuzugeben, dass die Abgrenzung zwischen positivem Tun und Unterlassen im Einzelfall ohnehin schwierig sein kann.110 Doch wird diese Hürde auch in anderem rechtlichen Kontext überwunden. Durch die Anerkennung der Rechtsfigur einer subjektiven Gefahrerhöhung durch Unterlassen würden aber Abgrenzungsschwierigkeiten nur auf eine andere Ebene verlagert. 63 Denn es stellt sich etwa – wollte man der Ansicht Langheids folgen – die Frage, wann ein Unterlassen „über einen längeren Zeitraum“ einem positiven Handeln entspricht. Hier zu rechtssicheren Erkenntnissen und Ergebnissen zu gelangen, dürfte schwierig sein. Zu welchem Zeitpunkt soll eine objektive Gefahrerhöhung in eine subjektive umschlagen? Bei der ersten Beseitigungsmöglichkeit oder erst später? Die von Langheid in diesem Zusammenhang genannte Zeitspanne von drei Werktagen111 erscheint beliebig und dürfte kaum auf jede Fallgestaltung passen. Armbrüsters Vorschlag findet in der Gesetzeskonzeption kaum eine hinreichende Stütze und kann wiederum zu Unschärfen im Rahmen der Abgrenzung der verschiedenen Rechtsinstitute der Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 81 und der Gefahrerhöhung gem. §§ 23 ff. führen. Und Unwägbarkeiten verbleiben auch hier, was die Beurteilung des „Minimalaufwandes“ angeht. Freilich ist zuzugestehen, dass dem Begriff der Herbeiführung bei § 81 sprachlich ebenso ein aktives Tätigwerden innewohnt wie dem Begriff der Vornahme. Aber die extensive Auslegung eines anderen vom Gesetzgeber verwendeten Terminus ist kaum ein überzeugendes Argument, auch an anderer Stelle in anderem gesetzlichen Kontext ebenso zu verfahren. Es bleibt freilich einzuräumen: Das Wortlautargument allein wäre kaum als einzig entscheidendes Kriterium tauglich. 64 Des Weiteren enthält § 23 Abs. 1 nur ein Verbot, gefahrerhöhende Maßnahmen vorzunehmen oder zu gestatten, und keine Handlungspflicht für den VN.112 Würde man nun eine Gefahrerhöhung durch Unterlassen anerkennen, würde dem VN doch ein Gebot zum Handeln auferlegt werden. Die Entstehung einer allgemeinen Gefahrvermeidungspflicht für den VN wäre jedoch allzu weitführend und soll vermieden werden.113 Da vorliegend auch das Argument des systematischen Gefüges des § 23 hinzukommt, spre65 chen im Ergebnis die besseren Argumente gegen die Anerkennung einer Figur der subjektiven Gefahrerhöhung durch Unterlassen.

66 cc) Voluntatives Element. Dem § 23 Abs. 3, der von einer Gefahrerhöhung „unabhängig von seinem Willen“ spricht, sowie den Begriffen des „Vornehmens“ und „Gestattens“ in Absatz 1 lässt sich entnehmen, dass die subjektive Gefahrerhöhung nach Abs. 1 ein willentliches Element voraussetzt. Die frühere Ansicht der Rspr.,114 wonach das willentliche Moment nicht vorliegen muss, ist 67 kaum mit der Systematik der gesetzlichen Regelung in Einklang zu bringen. Voraussetzung ist demnach, dass der VN die die Gefahrerhöhung begründenden Umstände kennt.115 Vorausgesetzt wird positive Kenntnis; bloßes Kennenmüssen genügt nicht.116 Dies gilt selbst dann, wenn die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht.117 110 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 30 ff.; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 12; Martin Anm. zu KG Berlin VersR 1985 1179, 1181; ders. VersR 1988 209, 213; zur Abgrenzung allgemein vgl. etwa Staudinger BGB/Hager § 823 Rn. 6; Jauernig BGB/Teichmann § 823 Rn. 29 ff. 111 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 33. 112 Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 23 Rn. 46; Reinhardt ZVersWiss 2014 505, 508; s.a. oben Rn. 53 ff. 113 Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 98. 114 BGH 21.1.1963 – II ZR 125/61, VersR 1963 349, 349 f.; BGH 25.1.1965 – II ZR 154/62, VersR 1965 279, 280. 115 BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385, 390 = VersR 1968 1153, 1154; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 45 m.w.N.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 12; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 95. 116 BGH 26.5.1982 – IVa ZR 76/80, VersR 1982 793, 794; OLG Hamm 24.6.1988 – 20 U 200/87, RuS 1989 2, 3; OLG Köln 29.3.1990 – 5 U 161/89, VersR 1990 1226; OLG Celle 23.9.2004 – 8 U 128/03, VersR 2005 640, 642; Langheid/Wandt/ Reusch § 23 Rn. 51; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 39; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 50. 117 BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385, 390 = VersR 1968 1153, 1154; OLG Hamm 24.6.1988 – 20 U 200/ 87, RuS 1989 2, 3; OLG Köln 29.3.1990 – 5 U 161/89, VersR 1990 1226, 1226 f.; OLG Celle 23.9.2004 – 8 U 128/03, VersR 2005 640, 642; Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 51; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 50. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

VVG § 23

Um ein willentliches Herbeiführen i.S.v. § 23 Abs. 1 annehmen zu können, bedarf es der Kenntnis des VN von den die Gefahrerhöhung begründenden Umständen. Nicht erforderlich ist jedoch, dass er auch den gefahrerhöhenden Charakter oder die Pflichtwidrigkeit dieser Umstände erkennt.118 Der VN kann also die Gefahrerhöhung auch dann willentlich herbeiführen, wenn er nicht weiß, dass sein Handeln den Eintritt des Versicherungsfalls wahrscheinlicher macht oder wenn er irrtümlich eine Genehmigung der Gefahrerhöhung durch den VR annimmt.119 Allgemein anerkannt ist, dass es einer Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände gleichzusetzen ist, wenn sich der VN der Kenntnis arglistig entzieht.120 Um feststellen zu können, wann sich der VN der Kenntnis arglistig entzieht, verlangt die Rspr. beispielsweise im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung folgende drei Kriterien: (1) Der VN muss mit der Möglichkeit eines gefahrerhöhenden Umstands gerechnet haben;121 (2) er muss erkannt haben, dass es für den Versicherungsschutz auf seine Kenntnis ankommt und (3) von einer Überprüfung der Sachlage abgesehen haben, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden.122 So ist der VN nach der Rspr. ohne konkrete Anhaltspunkte beispielsweise nicht verpflichtet, den Fahrzeugzustand allgemein zu überprüfen123 oder das Hausdach regelmäßig durch einen Fachmann prüfen zu lassen.124 Diese Kritierien sind in Teilen der Lehre auf Kritik gestoßen. So ist nach Harrer die Figur eines „Sich-arglistig-der-Kenntnis-Entziehens“ eine „wenig glückliche Schöpfung“.125 Sie erscheint für diejenigen nicht erforderlich, die von vornherein die Begehung einer subjektiven Gefahrerhöhung durch Unterlassen für möglich halten. Denn dann lässt sich argumentieren, dass der VN ohnehin verpflichtet ist, regelmäßige, zumutbare und wirtschaftlich vertretbare Untersuchungen vorzunehmen:126 Unterlässt er über eine längere Zeit jede auch nur oberflächliche Überprüfung der versicherten Sache, wäre eine subjektive Gefahrerhöhung durch Unterlassen zu bejahen.127 Schließlich hängt diese Frage also von der Anerkennung der Möglichkeit einer subjektiven Gefahrerhöhung durch Unterlassen ab, die im Gleichlauf mit den grundsätzlichen Überlegungen zu beantworten ist, ob man die Gefahrerhöhung durch Unterlassen anerkennt.128 Lehnt man – wie hier129 – eine solche ab, stellt das bloße Unterlassen einer Zustandsüberprüfung keinen Fall einer subjektiven Gefahrerhöhung dar. Das heißt aber nicht, dass der VN uneingeschränkt die Augen vor jedem gefahrerhöhenden Umstand verschließen darf. Vielmehr erscheint es angezeigt, ein Korrektiv vorzusehen in Gestalt des „Sich-arglistig-der-Kenntnis-Entziehens“. Dabei müssen an die Arglist – wie sonst auch – hohe Anforderungen gestellt werden. Nur so wird etwa vermieden, dass ein VN, der sein Fahr118 BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385, 390 = VersR 1968 1153, 1154; BGH 26.5.1982 – IVa ZR 76/80, VersR 1982 793, 794; BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; OLG Karlsruhe 17.9.2013 – 12 U 43/13, RuS 2013 542, 543; OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 841; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 96. 119 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 28. 120 BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385, 390 = VersR 1968 1153, 1154; OLG Celle 9.11.1973 – 8 U 9/73, VersR 1974 737; OLG Köln 24.4.1986 – 5 U 210/85, VersR 1987 1026, 1027; OLG Koblenz 15.5.2009 – 10 U 1018/08, VersR 2009 1619, 1620; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 29; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 97. 121 BGH 22.1.1971 – IV ZR 121/69, VersR 1971 407. 122 BGH 26.5.1982 – IVa ZR 76/80, VersR 1982 793, 794; OLG Köln 29.3.1990 – 5 U 161/89, VersR 1990 1226; OLG Düsseldorf 20.4.2004 – I-4 U 183/03, VersR 2004 1408, 1409; OLG Köln 25.4.2006 – 9 U 175/05, VersR 2007 204. 123 BGH 12.3.1975 – IV ZR 97/73, VersR 1975 461, 461. 124 OLG Koblenz 15.5.2009 – 10 U 1018/08, VersR 2009 1619, 1620. 125 Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 29. 126 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 39. 127 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 98. 128 Vgl. zum Streitstand oben Rn. 53 ff. 129 S.o. Rn. 62 ff. 143

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zeug nur aus finanziellen Gründen nicht zur Werkstatt bringt und gar nicht an die Gefährdung des Versicherungsschutzes denkt, genauso gestellt wird wie der VN, der tatsächliche Kenntnis von Mängeln des Fahrzeugs hat und dies bei der Benutzung in Kauf nimmt.130 75 Immerhin ist es dem VR prinzipiell ja auch möglich, vertraglich Untersuchungsobliegenheiten zu vereinbaren;131 Grenzen bieten schließlich auch die Regelungen der § 81 bzw. § 103. Insoweit erscheint der VR ausreichend geschützt.132

76 dd) Repräsentanten. Die Kenntnis bzw. die Arglist eines Repräsentanten oder Wissensvertreters ist dem VN nach den allgemeinen Grundsätzen zurechenbar.133 Bei der Versicherung für fremde Rechung kommt es nach § 47 Abs. 1 auch auf die Kenntnis oder Arglist des Versicherten an.

77 c) Gestattung einer Gefahrerhöhung durch Dritte (§ 23 Abs. 1, 2. Alt.). Der Gefahrerhöhung durch den VN selbst stellt § 23 Abs. 1, 2. Alt. den Fall gleich, dass der VN die Vornahme einer Gefahrerhöhung durch einen Dritten gestattet.134

78 aa) Dritter. Nicht erforderlich ist, dass der Dritte Repräsentant, Erfüllungsgehilfe oder Versicherter i.S.v. etwa § 47, § 156 oder § 193 Abs. 2 ist.135 Vielmehr kann nach Sinn und Zweck der Vorschrift jeder Beliebige „Dritter“ sein. Entscheidende Bedeutung kommt deshalb dem Merkmal des „Gestattens“ zu.

79 bb) Gestatten. Der VN gestattet die Gefahrerhöhung durch einen Dritten, wenn er sie ihm ausdrücklich oder konkludent erlaubt, genehmigt oder erkennbar billigt.136 Erforderlich ist, dass der VN dabei den gefahrerhöhenden Zustand kennt. Dabei ist kein Vorsatz i.e.S. erforderlich; es genügt, dass VN mit einem gefahrerhöhenden Umstand rechnet und ihn billigend in Kauf nimmt.137 Von einem Gestatten kann nicht ausgegangen werden, wenn der VN der Gefahrerhöhung ausdrücklich widerspricht.138

80 cc) Dulden. Problematisch ist, ob auch ein Gestatten vorliegt, wenn der VN die Gefahrerhöhung durch einen Dritten lediglich duldet.139 Anders als bei der Gestattung erteilt der VN bei einer Duldung weder ausdrücklich noch konkludent seine Zustimmung; er verhindert schlicht nicht, dass der Dritte die Gefahrerhöhung seinerseits vornimmt.

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Beispiel nach Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 81. Im Rahmen des früheren Rechts BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385, 390 f. = VersR 1968 1153, 1154. Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 81. BGH 14.4.1971 – IV ZR 17/70, VersR 1971 538, 539; Bruns § 18 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 30. 134 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 15. 135 Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 61; BGH 25.11.1953 - II ZR 7/53, BGHZ 11 120, 122; BGH 8.1.1981 – IVa ZR 60/ 80, VersR 1981 321; a.A. Werber S. 40, nach dem nur das Verhalten eines Repräsentanten gleichgestellt wird, der nicht ganz untergeordnete Betreuungsfunktion habe. 136 Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 61; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 32. 137 BGH 17.9.1975 – IV ZR 81/74, VersR 1975 1017, 1018; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 15. 138 BGH 23.10.1968 – IV ZR 551/68, VersR 1969 27, 28. 139 So Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 15; als unproblematisch sieht dies an Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 109; a.A. Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 58. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

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Die Frage, ob in einem Dulden ein Gestatten gesehen werden kann, ist verwandt mit der 81 Frage, ob man die Möglichkeit einer subjektiven Gefahrerhöhung durch Unterlassen anerkennt.140 Denkbar sind zwei Szenarien: Nimmt der Dritte nicht durch positives Tun eine Gefahrerhö- 82 hung vor, sondern unterlässt die Beseitigung des erhöhten Risikos, liegt nur für diejenigen eine subjektive Gefahrerhöhung vor, die auch eine „Vornahme“ durch Unterlassen anerkennen.141 Anderenfalls nimmt der Dritte nämlich schon keine Gefahrerhöhung vor, die der VN dulden könnte. Daneben stellt sich die Frage, wie die Situation zu beurteilen ist, in der der Dritte eine Gefahr durch positives Tun erhöht, der VN hingegen schlicht untätig, passiv bleibt. Im Gegensatz zur ersten skizzierten Situation ist dem Dritten hier eine aktive Handlung und kein Unterlassen vorzuwerfen. Unabhängig von der Anerkennung einer Begehung durch Unterlassen liegt in diesem Fall somit grundsätzlich eine Gefahrerhöhung vor, die der VN dulden könnte. Dennoch wird man richtigerweise auch in diesem Fall, in dem der VN schlicht nichts tut, das Dulden einer Gefahrerhöhung verneinen müssen, sofern man die Möglichkeit einer Gefahrerhöhung durch Unterlassen ablehnt. Wenn den VN nämlich keine Obliegenheit trifft, eine von ihm vorgenommene Gefahrerhöhung zu beseitigen, ist nicht einzusehen, weshalb ihn im Rahmen von Absatz 1, 2. Alt. eine solche treffen soll, wenn die Gefahrerhöhung von einem Dritten vorgenommen wird. Wer eine Gefahrerhöhung durch einen Dritten duldet, unterlässt das Einwirken auf ihn. Stellt man dann auf den VN ab, handelt es sich um eine Gefahrerhöhung durch Unterlassen (eben das Unterlassen eines Einwirkens auf den Dritten). In einem Dulden kann also nur dann ein Gestatten liegen, wenn man die Gefahrerhöhung durch Unterlassen anerkennt.142 Nach der hier vertretenen Auffassung liegt im bloßen Dulden daher keine (konkludente) Gestattung.143 Deshalb kann auch die Ansicht nicht überzeugen, die diesen Fall gar nicht als Gefahrerhö- 83 hung durch Unterlassen einstuft,144 und argumentiert, dass der VN schon dann nicht mehr dulde, wenn er dem Dritten klarmache, dass er dessen Handeln nicht akzeptiere. Verlangt wird hier nämlich zumindest irgendein Tätigwerden des VN, das dem Dritten zeigt, dass der VN mit der Handlung des Dritten nicht einverstanden ist. Bleibt der VN passiv, wird man nur schwer davon sprechen können, dass er dem Dritten klargemacht habe, dass er sein Tun nicht akzeptiere. Dies führt dazu, dass dem VN dann doch eine Handlungspflicht auferlegt wird, wenn er nicht möchte, dass ihm eine Duldung vorgeworfen wird. Wie gezeigt, ist der VN aber gerade nicht zu einem entsprechenden Handeln gehalten. Wird mit der hier vertretenen Auffassung eine Gefahrerhöhung durch Unterlassen abgelehnt, kommt also in Fällen dieser Art nur das Vorliegen einer objektiven Gefahrerhöhung nach Absatz 3 in Betracht.145

d) Ohne Einwilligung des Versicherers. Eine subjektive Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1 84 liegt nicht vor, wenn der VR in die Gefahrerhöhung eingewilligt hat. Bei der Einwilligung handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung.146 Der Begriff der Einwilligung bezeichnet prinzipiell die vorherige Zustimmung (vgl. § 183 Satz 1 BGB). Dabei steht dem

140 Vgl. hierzu das Problem der Gefahrerhöhung durch Unterlassen Rn. 53 ff. 141 Dazu Rn. 53 ff. 142 So auch Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 32; Reinhardt ZVersWiss 2014 505, 509 f.; anders Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 15, der zwar eine Gefahrerhöhung durch Unterlassen ablehnt, dann aber das Dulden der Gefahrerhöhung durch einen Dritten genügen lässt. 143 So auch Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 58; Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 23 Rn. 56; Reinhardt ZVersWiss 2014 505, 510. 144 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 109. 145 So auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 82. 146 Palandt/Ellenberger Einf. v. § 182 Rn. 3; MüKo BGB/Bayreuther § 182 Rn. 2 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 110. 145

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§ 23 VVG

Gefahrerhöhung

VR selbstverständlich frei, auch aus einer bereits erfolgten Gefahrerhöhung keine Rechte nach den §§ 24 ff. herzuleiten und sie damit faktisch nachträglich zu genehmigen.147 85 Eine Einwilligung des VR kann sich auch aus den AVB ergeben.148 Eine Einwilligung ist auch anzunehmen, wenn der VR dem VN etwa in der Sachversicherung bestimmte Obliegenheiten zur Verhinderung von Schadensfällen auferlegt und mit den geforderten Maßnahmen zugleich eine Gefahrerhöhung verbunden ist.149 Auch geht die Rspr. davon aus, dass eine Einwilligung in eine Gefahrerhöhung vorliegt, wenn in den AVB vereinbart ist, dass der Leerstand eines Gebäudes erst bei mehr als 60 Tagen eine Gefahrerhöhung darstellt.150

86 e) Kausalität. Der VN muss durch sein Handeln die Gefahrerhöhung verursachen oder zumindest mitverursachen.151 Die bloße Mitverursachung ist selbst dann ausreichend, wenn die Handlung des VN allein die Gefahr nicht erhöht,152 sondern die Gefahrerhöhung erst durch kumulativ wirkende Mitverursachungsbeiträge herbeigeführt wird.

3. Nachträglich erkannte subjektive Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 2 87 a) Grundlagen. Hat der VN ohne Einwilligung des VR eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder die Vornahme durch einen Dritten gestattet und erkennt er dies nachträglich, hat er dies dem VR nach § 23 Abs. 2 unverzüglich anzuzeigen. Dieser Absatz wurde gegenüber der früheren, bis Ende 2007 geltenden, Rechtslage nur sprachlich, nicht aber inhaltlich, geändert.153 § 23 Abs. 2 behandelt demnach die Situation, dass der VN eine Gefahrerhöhung in Kenntnis 88 der gefahrerhöhenden Umstände vorgenommen oder gestattet hat, wobei ihm der gefahrerhöhende Charakter seines Verhaltens verborgen geblieben ist. Erkennt er nun, dass die Veränderung eine Gefahrerhöhung darstellt, muss er die Gefahrerhöhung unverzüglich dem VR anzeigen.154 Die Vorschrift postuliert eine Anzeigeobliegenheit.155 Die Daseinsberechtigung des § 23 Abs. 2 wird in Frage gestellt. Denn es geht um den speziel89 len Fall, dass der VN erst nächträglich erkennt, dass eine von ihm vorgenommene oder gestattete Änderung gefahrerhöhender Umstände die Gefahr erhöht hat. Eine eigenständige Bedeutung kommt § 23 Abs. 2 damit praktisch nur in der Konstellation einer zunächst unbewusst eingetretenen subjektiven Gefahrerhöhung zu.156 Armbrüster spricht davon, es handele sich um „relativ seltene“ Fälle,157 Looschelders vom „seltenen Sonderfall“158 und Reusch äußert sich skeptisch, ob es der Regelung letztlich nicht bedurft hätte; die Vorschrift trage „mehr zur Verwirrung bei, als dass ihr praktische Bedeutung“ zukomme.159 Looschelders sieht die eigenständige Bedeu147 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 34; Bruck/Möller/Möller8 § 23 Anm. 24; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 95; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 17. 148 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 110; Bruns § 18 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 33. 149 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 17. 150 OLG Hamm 17.9.1997 – 20 U 31/97, VersR 1998 1152, 1153. 151 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 108; Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 23 Rn. 53; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 27. 152 Vgl. Kisch Bd. II S. 510. 153 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. – Die frühere Fassung des § 23 Abs. 2 lautete: „Erlangt der Versicherungsnehmer Kenntnis davon, daß durch eine von ihm ohne Einwilligung des Versicherers vorgenommene oder gestattete Änderung die Gefahr erhöht ist, so hat er dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu machen.“. 154 Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 103, 105; Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 1274. 155 Vgl. oben Rn. 2. 156 Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 89 ff.; Wandt Rn. 871. 157 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 111. 158 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 21. 159 Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 89 ff. Matusche-Beckmann

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tung für Fälle, in denen die Verletzung der Gefahrstandspflicht nach § 23 Abs. 1 aufgrund geringen oder mangels Verschuldens keine entsprechenden Rechtsfolgen nach sich zieht: Der Unterschied zwischen den Absätzen 1 und 2 bestehe darin, dass sich die Verschuldensprüfung im Rahmen der §§ 24 ff. auf unterschiedliche Obliegenheitsverletzungen bezieht.160

b) Kenntnis von der Gefahrerhöhung. Erforderlich ist im Rahmen von Absatz 2, dass der 90 VN – bzw. dessen Repräsentant161 oder Wissensvertreter162 – um die Gefahrerhöhung bzw. die fehlende Einwilligung des VR weiß; ein bloßes Kennenmüssen genügt nicht.163 Dem Fall positiver Kenntnis ist der Fall gleichzustellen, dass sich der VN arglistig der Kenntnis verschließt.164

c) Unverzügliche Anzeige. Bei der Anzeige handelt es sich um eine formlose Mitteilung des 91 Pflichtigen an den VR, dass sich die Gefahr nach Absatz 1 erhöht hat.165 „Unverzüglich“ bedeutet – wie in § 121 BGB legal definiert – ohne schuldhaftes Zögern.166 Der VN muss sich zudem eine schuldhafte Verzögerung der Anzeige durch seinen Repräsentanten oder Wissenserklärungsvertreter auch hier zurechnen lassen.167 Ob eine Anzeige unverzüglich erfolgt ist, bestimmt sich auch nach dem Interesse des VR. Wenn etwa das Risiko des Schadenseintritts sich zum Nachteil des VR erheblich vergrößert, kann auch das Zuwarten nur weniger Tage nicht hingenommen werden.168 § 32 Satz 2 gibt dem VR zwar die Möglichkeit, auch in AVB, die Schrift- oder Textform für 92 die Anzeige des VN mit dem VN zu vereinbaren.169 Allerdings wird man einschränkend annehmen müssen, dass der VN seiner Anzeigeobliegenheit dann gleichwohl durch eine formlose Mitteilung genügen kann: Schließlich hat der VR, in dessen Interesse die Mitteilung zu machen war, dann ebenfalls Kenntnis von der Gefahrerhöhung erlangt und allein darauf kommt es entscheidend an.170 Somit wird man bei einem Verstoß gegen eine nach § 32 Satz 2 vereinbarte Formklausel lediglich eine veränderte Beweislast annehmen müssen. d) Adressat des § 23 Abs. 2. Anzeigepflichtig ist grundsätzlich der VN, doch in der Versiche- 93 rung für fremde Rechnung auch der Versicherte.171 Insoweit stimmt der Adressatenkreis mit dem des Absatzes 1 überein.

160 161 162 163

Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 36. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 39; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 57. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 39. BGH 27.1.1999 – IV ZR 315/97, VersR 1999 484, 485; BGH 18.12.1968 – IV ZR 523/68, VersR 1969 177, 178; OLG Celle 31.1.1955 – 1 U 212/52, VersR 1955 169, 170; OLG Frankfurt 14.4.1955 – 2 U 82/54, VersR 1955 517, 518; Prölss/ Martin/Armbrüster § 23 Rn. 111; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 57. 164 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 111; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 16, 34a; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 98. 165 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 34b. 166 BGH 10.1.1951 – II ZR 21/50, NJW 1951 231, 233; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 51; Beckmann/MatuscheBeckmann/Hahn § 20 Rn. 34b. 167 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 41; Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 99; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 110. 168 BGH 10.1.1951 – II ZR 21/50, NJW 1951 231, 233; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 57. 169 Vgl. zu den Einzelheiten, die aus einer Verletzung der Schrift- bzw. Textformobliegenheit folgen, Prölss/Martin/ Armbrüster § 32 Rn. 3 bis 6. 170 So auch Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 112; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 109. 171 So auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 110; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 39; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 111; anders OLG Hamm 29.2.1980 – 20 U 138/79, VersR 1981 870, 871. 147

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Gefahrerhöhung

94 e) Gegenüber dem VR. Über den Wortlaut hinaus kann die Anzeige nach § 23 Abs. 2 gem. § 69 Abs. 1 Nr. 2 auch gegenüber einem Versicherungsvertreter erfolgen.

4. Objektive Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 3 95 a) Grundlagen. Durch die VVG-Reform 2008 wurde die objektive Gefahrerhöhung, vormals in § 27 a.F. verortet, an der systematisch richtigen Stelle in § 23 Abs. 3 neben der subjektiven Gefahrerhöhung geregelt, um die Rechtsfolgen mit denen der objektiven Gefahrerhöhung gemeinsam in den §§ 24 bis 26 zu regeln.172 Kennzeichnend für eine objektive, ungewollte Gefahrerhöhung ist, dass der VN – oder sein 96 Repräsentant173 – weder die Gefahrerhöhung selbst vorgenommen noch deren Vornahme durch einen Dritten gestattet hat, er also keinen Einfluss auf sie genommen hat und nicht nehmen konnte.174 Dies ist ohne größere Zweifel etwa der Fall bei einer Gesetzesänderung, die eine Haftungsverschärfung mit sich bringt,175 bei einer Risikoerhöhung durch Naturereignisse (z.B. Blitzschlag)176 oder durch den ungewollten Eintritt eines Defekts.177 So fällt beispielsweise auch ein unbefristetes behördliches Betretungsverbot für eine versicherte Halle wegen eines drohenden Schneedruckschadens unter § 23 Abs. 3, weil der VN keine Möglichkeit hat, auf die versicherte Sache einzuwirken.178 Im Rahmen der COVID-19-Pandemie stellt sich die Frage, ob es sich bei der Ausbreitung 97 des Coronavirus SARS-CoV-2 um eine objektive Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 3 handelt.179 Aufgrund der unterschiedlichen Versicherungssparten und Bedingungswerke lässt sich diese Frage nicht allgemeingültig beantworten.180 Bei einer Betriebsschließungsversicherung, die die Gefahr eines infektionsschutzrechtli98 chen „Lockdown“ sachgedanklich miterfasst, ist grundsätzlich anzunehmen, dass eine mitversicherte Gefahrerhöhung nach § 27, 2. Alt. vorliegt, da andernfalls der – je nach Ausgestaltung der AVB – verfolgte Versicherungsschutz erheblich entwertet würde.181 Im Rahmen der Veranstaltungsausfallversicherung wird vermehrt auf die Parallelen nach 99 den Terroranschlägen vom 11.9.2001 hingewiesen.182 In Bezug auf die COVID-19-Pandemie könnte von einer mitversicherten Gefahrerhöhung auszugehen sein. Pandemien liegen grundsätzlich außerhalb der vertraglichen Risikoverteilung und gewähren damit kein einseitiges Vertragslösungsrecht.183 Aufgrund der Einzigartigkeit und Unvorhersehbarkeit der COVID-19-Krise wird 172 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. 173 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 43. 174 Schimikowski Rn. 204; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 60; Berliner Kommentar/Harrer § 27 Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 113; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 25a. 175 Schimikowski Rn. 204; Berliner Kommentar/Harrer § 27 Rn. 1; allerdings wird den VN in der Regel auch keine Anzeigeobliegenheit treffen, weil der durchschnittliche VN Gesetzesänderungen kaum wahrnimmt und überdies regelmäßig nicht im Stande ist zu erkennen, wie sie sich auf seine Versicherung auswirken; umgekehrt wird man hier eine Beobachtungspflicht des VR annehmen können. 176 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 60; Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 100; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 27; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 77. 177 BGH 21.1.1987 – IVa ZR 112/85, VersR 1987 653. 178 OLG Köln 20.10.2015 – 9 U 200/14, VersR 2016 845, 846. 179 Hierzu Schmidt/Rixecker COVID-19 § 11 Rn. 35 ff.; Schreier VersR 2020 513, 518 f.; Günther/Piontek RuS 2020 242; Lüttringhaus/Genz RuS 2020 258, 259. 180 BeckOK/Staudinger/Ruks § 23 Rn. 64a. 181 Schmidt/Rixecker COVID-19 § 11 Rn. 39; Lüttringhaus/Genz RuS 2020 258, 263. 182 Günther/Piontek RuS 2020 242, 246; Schreier VersR 2020 513, 519; Lüttringhaus/Genz RuS 2020 258, 261; hierzu LG München I 16.4.2002 – 25 O 1836/02, NVersZ 2002 454; Beckmann ZIP 2002 1125, 1127 ff.; Langheid NVersZ 2002 433, 433 f. 183 Schmidt/Rixecker COVID-19 § 11 Rn. 38. Matusche-Beckmann

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aber auch das Vorliegen einer objektiven Gefahrerhöhung in Betracht gezogen.184 Dem wird mit Bezug auf die Rspr. zu den Terrorgefahren entgegengehalten, dass das Coronavirus im Vergleich zu anderen SARS-Viren und der bisherigen Pandemie-Gefahr nicht zwangsläufig eine neue unbekannte Gefährdungssituation mit sich bringt oder unvorgesehene und unkalkulierbare Schadenspotentiale birgt.185

b) Abgrenzung der objektiven Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 Abs. 3 von der Gestattung 100 der Vornahme einer Gefahrerhöhung durch Dritte i.S.d. § 23 Abs. 1, 2. Alt. Im Einzelfall kann es Schwierigkeiten bereiten, eine objektive Gefahrerhöhung nach Absatz 3 von einer gestatteten Gefahrerhöhung durch Dritte nach Absatz 1 abzugrenzen. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen ist die Abgrenzung aber keinesfalls erlässlich.186 Das Problem verdeutlichen zwei OLG-Entscheidungen zu einander ähnlichen Sachverhalten: In beiden Fällen waren jeweils Dritte in ein leer stehendes Gebäude eingedrungen und hatten dort gezündelt.187 Während das OLG Karlsruhe eine objektive Gefahrerhöhung nach § 27 a.F., der dem heutigen § 23 Abs. 3 entspricht, bejahte, nahm das OLG Hamm eine Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1 an. Für die Abgrenzung kann nur die innere Einstellung des VN entscheidend sein: Hat der VN 101 die Vornahme der Gefahrerhöhung gekannt und stand er ihr gleichgültig oder gar wohlwollend gegenüber, spricht dies für eine Gestattung i.S.v. Absatz 1; hat er hingegen die Vornahme nicht gekannt oder der Vornahme durch den Dritten widersprochen, liegt eine objektive Gefahrerhöhung vor.188 Wenn eine Gefahrerhöhung nach Absatz 1 aber bejaht werden soll, soweit der VN der Vor- 102 nahme durch den Dritten nur gleichgültig gegenüber stand, läuft dies im Ergebnis wiederum darauf hinaus, eine Gefahrerhöhung durch Unterlassen189 zu bejahen; damit würde man vom VN nämlich erwarten, auf den Dritten einzuwirken. Deshalb ist das Merkmal des Gestattens entscheidend: Wer einer Gefahrerhöhung durch einen Dritten widerspricht, gestattet sie ebenso wenig wie derjenige, der von ihr nichts weiß. 103 Eine Ausnahme gilt insoweit freilich für das Handeln von Repräsentanten des VN.190

c) Wegfall einer Gefahrkompensation. Es stellt sich die Frage, ob eine objektive Gefahrerhö- 104 hung auch vorliegt, wenn der VN willentlich das Risiko erhöht hat, aber eine Gefahrkompensation vorgenommen hat, die ohne Wissen und Wollen des VN wiederum entfällt.191 Ein Teil der Literatur beantwortet diese Frage, wie bereits erwähnt,192 dahingehend, dass 105 in einem solchen Fall keine willentliche, sondern eine objektive Gefahrerhöhung vorliegt.193 Wie ebenfalls bereits ausgeführt,194 trägt der VN die Beweisführungslast für das Vorliegen 106 der Kompensation, um den VR nicht unangemessen zu benachteiligen. Wenn der die Gefahr kompensierende Umstand entfällt, ist es dem VN nicht mehr möglich, diesen Beweis zu erbringen. Kann hingegen der VR beweisen, dass eine Gefahr willentlich erhöht wurde, liegt ein Fall 184 185 186 187

Günther/Piontek RuS 2020 242, 246. Lüttringhaus/Genz RuS 2020 258, 260, 263. Zu den Rechtsfolgen des § 23 Abs. 1 und Abs. 3 s. die Ausführungen zu §§ 24-26. OLG Karlsruhe 7.11.1996 – 12 U 166/96, VersR 1997 1225; OLG Hamm 24.10.1997 – 20 U 76/97, VersR 1999 49,

50.

188 189 190 191 192 193

Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 26; ähnlich Schimikowski Rn. 202 ff. Zur Gefahrerhöhung durch Unterlassen oben Rn. 53 ff. Vgl. hierzu oben Rn. 51. S. zur Problematik bereits oben unter Rn. 28 ff. Vgl. Rn. 29. Martin N III Rn. 21; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 29; einschränkend Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 36. 194 Vgl. oben Rn. 32. 149

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Gefahrerhöhung

des Absatzes 1 vor; in einem solchen Fall von einer ungewollten Gefahrerhöhung auszugehen, würde den VN von seiner Obliegenheit entbinden, keine Gefahrerhöhung vorzunehmen; dem VR würden zugleich Teile des Risikos auferlegt, dass ein gefahrkompensierender Umstand entfällt, wenn er nämlich die schärferen Rechtsfolgen der subjektiven Gefahrerhöhung nicht mehr geltend machen kann.

107 d) Anzeigeobliegenheit. Wie die nachträglich erkannte subjektive Gefahrerhöhung begründet auch die objektive Gefahrerhöhung nach Absatz 3 eine Anzeigeobliegenheit des VN gegenüber dem VR. Auch hier tritt die Obliegenheit erst ein, wenn der VN positive Kenntnis vom gefahrerhöhenden Charakter der Handlung erlangt hat oder sich der Kenntnis arglistig verschlossen hat.195 Bedient er sich Repräsentanten, ist auf deren Kenntnis abzustellen.196 Bei der Versicherung für fremde Rechnung trifft sie auch den Versicherten, vgl. §§ 47 Abs. 1, 156. Ebenso wie bei Absatz 2 wird das Wissen seines Wissensvertreters dem VN nach den allgemeinen Grundsätzen zugerechnet. Nicht zur Anzeige gehalten sind hingegen Abtretungs- und Pfandgläubiger sowie Bezugsberechtigte in der Lebensversicherung.197 Im Übrigen gilt das zu Absatz 2 Ausgeführte entsprechend.198

5. Einzelfälle a) Gebäude- und Hausratversicherung 108 aa) Feuerversicherung. Hier sind besonders die Fälle von leer stehenden Wohngebäuden von Bedeutung. Durch das Leerstehenlassen von Gebäuden können sich Gefahren grundsätzlich sowohl erhöhen als auch mindern. So wird etwa beim Leerstehenlassen einer Diskothek durch das Ausbleiben des Publikumsverkehrs das Feuerrisiko gemindert; andererseits übt ein leer stehendes Gebäude eine besondere Anziehungskraft auf unbefugte Personen aus, wodurch sich die Diebstahlsgefahr erhöht.199 Dabei begründet nach h.M. das Leerstehen allein noch keine Erhöhung der Feuergefahr, auch wenn das Gebäude nicht mehr unter ständiger Überwachung steht.200 Eine Gefahrerhöhung ist vielmehr erst dann zu bejahen, wenn weitere Umstände hinzutreten.201 So ist eine Gefahrerhöhung anzunehmen, wenn das Gebäude unbeobachtet in beträchtlicher Entfernung vom Ortsrand liegt, seit dem Auszug der letzten Bewohner erhebliche Zeit verstrichen ist und durch Verwahrlosung des Gebäudes das Leerstehen offenbar wird.202 Keine Gefahrerhöhung ist hingegen anzunehmen bei Leerstehen eines nicht verwahrlosten Hauses in geschlossener Ortschaft.203 Ebenso ist es ausreichend, wenn sich schon häufiger unbefug-

195 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 97, 111, 113; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 78. 196 OLG Hamm 6.2.1998 – 20 U 159/97, VersR 1999 359, 360; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 39; Wandt Rn. 880. Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 79. Vgl. oben Rn. 87 ff. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 63; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 41. BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 159 f. = VersR 1981 245, 246; BGH 13.1.1982 – IVa ZR 197/80, VersR 1982 466; BGH 6.6.1990 – IV ZR 142/89, VersR 1990 881, 882; BGH 5.5.2004 – IV ZR 183/03, VersR 2004 895, 896; OLG Köln 15.11.1984 - 5 U 72/84, RuS 1986 12; OLG Köln, 28.3.2000 - 9 U 78/88, RuS 2000 207; LG Saarbrücken 15.6.1983 – 12 O 390/82 (juris); LG Köln 30.9.1992 – 24 O 21/92, RuS 1994 187, 188. 201 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 60; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 41; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 39. 202 OLG Dresden 6.10.2020 – 4 U 2789/19, RuS 2021 31, 35; BGH 13.1.1982 – IVa ZR 197/80, VersR 1982 466; OLG Koblenz 27.1.2005 – 10 U 1252/03, VersR 2005 1283; LG Darmstadt 3.2.2005 – 2 O 193/04, ZfS 2005 352. 203 OLG Rostock 16.7.2007 – 6 U 171/06, VersR 2008 72, 73 f.

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te Personen in dem Gebäude aufgehalten haben.204 Dabei ist u.U. bereits das Vorliegen einzelner Umstände zur Begründung einer Gefahrerhöhung ausreichend, z.B. bei einer fortdauernd offen stehenden Tür oder einem ständig offen stehenden Fenster.205 Dagegen genügt allein das zeitliche Moment des Leerstehens des Gebäudes nicht zur Bejahung der Gefahrerhöhung.206 Maßgeblich ist auch, ob der VN Vorkehrungen getroffen hat, um die Brandgefahr abzuwenden, etwa durch regelmäßige Kontrollgänge oder Überwachung des Gebäudes. Hier ist wieder bedeutsam, ob das verlassene Gebäude in Ortsrandlage oder im Ortskern gelegen ist. Nur im letztgenannten Fall kann die Brandgefahr durch Überwachung abgewendet werden, bei Ortsrandlage kann die Brandgefahr durch zwar regelmäßige, aber doch nur gelegentliche Kontrollgänge nicht reduziert werden.207 Die Errichtung eines Bauzauns stellt keine geeignete Vorkehrung dar, um den Zutritt zu einem Gebäude zu verhindern, welches ersichtlich nicht über eine Eingangstür verfügt und bei dem zugleich im Erdgeschoss mehrere Fenster offenstehen.208 Selbst das Leerstehen eines Nachbargebäudes kann eine Gefahrerhöhung begründen, wenn dies z.B. über den Keller mit dem versicherten Gebäude verbunden ist.209 Keine Gefahrerhöhung ist anzunehmen, wenn ein Gebäude zwar unbewohnt ist, weil die Mieter des Wohnhauses sich in U-Haft befinden, die Miete aber weiter gezahlt und die Kontrolle des Hauses nichtsdestotrotz – z.B. durch den Vermieter – gewährleistet wird.210 Eine Gefahrerhöhung wurde ebenfalls abgelehnt für den Fall der Einstellung eines Imbissbetriebes und des Beginns von Renovierungsarbeiten hieran.211 Stand ein versichertes Gebäude zwar schon bei Vertragsschluss leer, zeigen sich aber in der Folge Vandalismus- und Verwahrlosungsschäden, liegt eine nachträgliche Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 2 vor.212 Ferner bestimmt § 17 Nr. 1 lit. b) VGB 2017, dass eine Gefahrerhöhung anzunehmen ist, 109 wenn der überwiegende Teil eines Gebäudes nicht genutzt wird. Nach Ansicht der Rspr. liegt jedoch dann keine relevante Gefahrerhöhung vor, wenn das Gebäude nur teilweise leer steht, weil etwa noch ein Mieter im Gebäude verblieben ist.213 Auch eine Betriebsstilllegung führt zu Problemen hinsichtlich der Gefahrerhöhung. 110 Grds. tritt durch die Einstellung eines Betriebes auch eine Gefahrminderung ein, weil die mit dem Betrieb zusammenhängenden Gefahren ausbleiben. So etwa bei der Einstellung des Betriebs eines Kinos214 oder einer Diskothek.215 Bei dem Hinzutreten weiterer gefahrerhöhender Umstände bedarf es dagegen einer ausführlichen Abwägung der gefahrerhöhenden und gefahrmindernden Umstände.216 So ist eine Gefahrerhöhung bei der Betriebseinstellung eines verlassen gelegenen Waldhotels bejaht worden, weil hierdurch die Brandstiftungsgefahr erhöht werde.217 Auch in einer Nutzungsänderung kann eine Gefahrerhöhung begründet liegen, so bei- 111 spielsweise in der Änderung der gewerblichen Nutzung der Räumlichkeiten von einem Büro

204 OLG Köln 19.8.1997 – 9 U 30/97, VersR 1998 1233, 1234; OLG Hamm 27.7.2005 – 20 U 118/05, VersR 2006 113, 114; OLG Frankfurt 16.2.2009 – 12 U 233/07 (juris). 205 LG Saarbrücken 5.12.1980 – 4 O 413/79, VersR 1981 721, 721 f. 206 OLG Köln 15.9.1988 – 5 U 28/88, RuS 1989 196, 196 f.; OLG Frankfurt 16.2.2009 – 12 U 233/07 (juris). 207 OLG Hamm 29.2.1980 – 20 U 138/79, VersR 1981 870, 871; OLG Hamm 18.9.1985 – 20 U 26/85, VersR 1987 397, 397 f. 208 OLG Frankfurt 16.2.2009 – 12 U 233/07 (juris). 209 OLG Hamm 18.5.1984 – 20 U 378/83, VersR 1985 378. 210 OLG Celle 24.9.2009 – 8 U 99/09, VersR 2010 383, 384. 211 BGH 17.6.2009 – IV ZR 43/07, VersR 2009 1114, 1114 f. 212 OLG Naumburg 3.9.2015 – 4 U 27/15, VersR 2016 854, 855. 213 OLG Köln 9.5.1985 – 5 U 215/84, RuS 1986 45; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd III Anm. G 39. 214 BGH 25.6.1976 – IV ZR 162/75, VersR 1976 825; BGH 6.6.1990 – IV ZR 142/89, VersR 1990 881, 882. 215 BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 158 f. = VersR 1981 869, 870. 216 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 57; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. II Anm. G 40. 217 OLG Hamm 14.3.1975 – 20 U 325/74, VersR 1976 259, 259 f. 151

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oder einer Kfz-Werkstatt hin zu einem Bordell.218 Eine Gefahrerhöhung wurde dagegen verneint im Falle der Errichtung eines Carports an einem Wohngebäude.219 112 Eine Gefahrerhöhung kann auch durch Brandreden oder Drohungen Dritter eintreten. Äußert der VN in ernst zu nehmender Weise die Absicht, das versicherte Gebäude anzuzünden oder dass er dankbar wäre, wenn ein anderer dies täte, so kann eine Gefahrerhöhung darin gesehen werden, dass Dritte der Annahme sind, im Interesse des VN zu handeln, wenn sie das Gebäude tatsächlich anzünden.220 Keine Gefahrerhöhung liegt hingegen in einer nicht ernst gemeinten Brandrede.221 Zur Annahme einer Gefahrerhöhung führt auch die Drohung eines Dritten, ein Gebäude in Brand zu stecken oder es zu zerstören.222 Wird die Drohung hingegen nicht ernst genommen oder über längere Zeit nicht wiederholt, entfällt die Gefahrerhöhung wieder.223 Weiter wurden Gefahrerhöhungen angenommen bei der Stilllegung eines Sägewerkes,224 113 bei der Einlagerung großer Strohmengen,225 sowie unsachgemäßer Lagerung von Stroh,226 bei der auch nur vorübergehenden Lagerung von Polstereimaterialien in einer Wohnung,227 bei Verlegung einer Gasheizung unter Verletzung von Sicherheitsvorschriften,228 bei dem Betrieb eines Heizstrahlers in einem Stall,229 bei der Benutzung von Plastikeimern zur Entsorgung von Zigarettenresten in Gaststätten,230 beim Einbau eines Holzofens unter Missachtung des vorgeschriebenen Mindestabstandes zu einer per Holzverlattung befestigten Rigipswand,231 bei dem Abschalten von Strom und Gas in einem von Jugendlichen besetzten leer stehenden Gebäude,232 bei der Herstellung von Drogen in einer Privatwohnung,233 sowie bei Nutzung des versicherten Gebäudes zur Lagerung von Drogen oder Treffen mit „Drogenkurieren“.234 Keine Gefahrerhöhung liegt vor bei dem Aufstellen und Entzünden von Wachskerzen auf 114 einem Holzfußboden in der Nähe des Bettes und dem anschließenden Verlassen des Zimmers auf unbestimmte Zeit (hier Verwirklichung des § 81),235 beim Auftauen einer eingefrorenen Wasserleitung mittels eines Industrieföns,236 beim Umzug des VN in eine minder gegen Feuer geschützte Wohnung, wenn die Versicherung unverändert auf die neue Wohnung übergegangen ist,237 oder bei der bereits vor Vertragsschluss praktizierten Lagerung von Feuerwerkskörpern.238

218 BGH 20.6.2012 – IV ZR 150/11, VersR 2012 1300, 1301; OLG Hamm 12.11.2014 – I-20 U 261/12, VersR 2016 249, 250 f.; LG Stendal 15.3.2017 – 23 O 146/14, RuS 2018 19.

219 OLG Karlsruhe 30.6.2009 – 12 U 6/09, VersR 2010 1641, 1643. 220 OLG Hamm 19.1.1994 – 20 U 141/93, VersR 1994 1419, 1420; OLG Brandenburg 15.12.1998 – 6 U 4/98, VersR 2000 1014, 1014 f.

221 KG Berlin 6.3.1998 – 6 U 3077/96, RuS 1998 471, 471 f. 222 BGH 27.1.1999 – IV ZR 315/97, VersR 1999 484, 484 f; OLG Koblenz 2.11.1987 – 12 U 1705/86, RuS 1988 303; LG Düsseldorf 22.11.1966 – 16 O 337/66, VersR 1967 365; Prölss NVersZ 2000 153, 156 f. OLG Koblenz 2.11.1987 – 12 U 1705/86, RuS 1988 303, 303 f. OLG Nürnberg 4.12.1930, VA 1930 216 Nr. 2177. OLG Hamm 25.8.1989 – 20 U 69/89, RuS 1990 22, 24; aber nicht bei Lagerung von Stroh im Stallgebäude. OLG Oldenburg 10.7.1985 – 2 U 61/85, VersR 1985 977, 978. LG Düsseldorf 4.4.2008 – 11 O 248/03 (juris). LG Münster 12.12.1975 – 10 O 271/75, VersR 1976 921. OLG Hamm 20.1.1971 – 20 U 139/70, VersR 1971 805. OLG Hamm 28.3.1990 – 20 U 146/89, VersR 1990 1230, 1232; LG Hamburg 18.2.1975 – 1 O 155/74, VersR 1975 509, 510. 231 OLG Celle 9.7.2009 – 8 U 40/09, VersR 2010 67, 69. 232 OLG Hamm 24.10.1997 – 20 U 76/97, VersR 1999 49, 50. 233 OLG Saarbrücken 18.1.2020 – 5 U 82/18, VersR 2020 547, 548. 234 OLG Dresden 30.3.2020 – 4 U 102/20 (juris); OLG Dresden 9.6.2020 – 4 U 102/20, ZfS 2020 507, 509. 235 LG Düsseldorf 22.11.1966 – 16 O 337/66, VersR 1967 365. 236 OLG Hamm 21.6.1995 – 20 U 30/95, RuS 1995 325. 237 OLG Köln 4.4.2000 – 9 U 133/99, VersR 2001 580, 581. 238 LG Köln 3.4.2008 – 24 O 104/07, RuS 2010 246, 247.

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bb) Leitungswasserversicherung. Ebenso wie in der Feuerversicherung239 stellt auch in der 115 Leitungswasserversicherung das Leerstehen eines Wohnhauses für sich alleine noch keine Gefahrerhöhung dar. Zwar erhöht sich das Risiko, dass durch mangelnde Wartung oder Beheizung Schäden an Rohren eintreten oder nicht rechtzeitig entdeckt werden, hingegen fallen andere, von regelmäßig genutzten Räumen ausgehende, typische Gefahren weg, wie etwa solche aufgrund mangelhaft beaufsichtigter wasserführender Haushaltsgeräte oder Verstopfungen von Leitungsrohren.240 Lässt der VN während des Winters ein Gebäude leer stehen, ohne dass er die Wasserleitung absperrt und es hinreichend kontrolliert, liegt trotz leichter Beheizung eine Gefahrerhöhung vor.241 Dagegen genügt eine bloß zeitweilige Wohnnutzung eines Gebäudes nur an Wochenenden und in den Ferien nicht. Hier müssen weitere Umstände hinzutreten. Ebenso wenig reicht die nur zeitweilige Vermietung an Feriengäste.242

cc) Einbruchdiebstahlversicherung. War der VN nach der Sicherungsvereinbarung im Ver- 116 sicherungsvertrag dazu verpflichtet, das zur Sicherung der Eingangstüren eines Ladenlokals dienende Rollgitter nach Ladenschluss herunterzulassen (vgl. § 12 lit. b) AERB 2010), so bewirkt der Ausfall dieser Sicherung eine Gefahrerhöhung.243 Ebenso liegt eine Gefahrerhöhung i.S.d. § 17 Nr. 1 lit. d) VHB 2016 vor, wenn der VN einen klemmenden Rollladen nicht reparieren lässt und dieser daher trotz Verlassens des Hauses nicht heruntergelassen wird.244 Gleiches gilt für den Fall, dass der VN eine defekte Balkonverriegelung nicht reparieren lässt mit der Folge, dass die Tür nicht mehr verschlossen werden kann.245 Dabei gilt, dass die Rechtsfolgen vertraglich vereinbarter Obliegenheiten nicht denen einer Gefahrerhöhung folgen.246 Schwieriger ist die Frage nach einer Gefahrerhöhung beim Aufstellen eines Baugerüstes. 117 Der BGH bejaht in diesem Fall das Vorliegen einer Gefahrerhöhung: Durch die Existenz des Gerüstes werde es Dieben ermöglicht, auf einfache Weise gefahrlos und durch die Schutzfolien des Gerüstes fast unbemerkt von außen in das Gebäude einzudringen; es werde damit also der Anreiz zur Ausführung eines Diebstahls generell gefördert und die Chance des Gelingens dieses Vorhabens wesentlich vergrößert.247 Demgegenüber lehnt Harrer248 die Annahme einer Gefahrerhöhung ab: Der Erhalt des Gebäudes erfordere nun einmal in gewissen Zeitabständen das Aufstellen eines Baugerüstes. Dies sei eine allgemein bekannte Tatsache und daher schon bei Abschluss des Versicherungsvertrages zu berücksichtigen. Wurde mittels Versicherungsvertrag das Anbringen einer Alarmanlage an Geschäftsräu- 118 men vereinbart, so kann eine Gefahrerhöhung dann angenommen werden, wenn der VN den Schlüssel für die vereinbarte Alarmanlage verliert,249 bzw. wenn die Funktionsfähigkeit der Alarmanlage nicht mehr gewährleistet ist.250 Besteht bei Vertragsschluss eine elektrische Öffnungsüberwachung für die Fenster eines Museums und werden diese nach Vertragsschluss de-

239 Vgl. oben Rn. 108. 240 BGH 23.6.2004 – IV ZR 219/03, VersR 2005 218, 219; OLG Saarbrücken 13.1.2010 – 5 U 127/09-33, RuS 2012 124, 125.

241 OLG Celle 7.6.2007 – 8 U 1/07, VersR 2008 348, 350 f.; OLG Oldenburg 29.3.2012 – 5 U 11/11, NJOZ 2012 1918, 1919 f. 242 OLG Oldenburg 23.12.2015 – 5 U 190/14, VersR 2016 918, 918 f.; vgl. dazu Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 59. 243 So zu § 6 Nr. 1b AERB 81 OLG Frankfurt 20.3.1985 – 17 U 295/83, VersR 1985 825. 244 Zu § 13 Nr. 3c) VHB 84 LG Köln 4.11.1987 – 24 O 564/86, VersR 1988 902, 903. 245 OLG Frankfurt 2.7.1987 – 16 U 50/86, VersR 1988 820, 822. 246 BGH 21.1.1987 – IVa ZR 112/85, VersR 1987 653, 653 f.; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 6 AERB 81 Rn. 4. 247 BGH 9.7.1975 – IV ZR 95/73, VersR 1975 845, 846. 248 Berliner Kommentar/Harrer Rn. 43. 249 BGH 8.7.1987 – IVa ZR 19/86, VersR 1987 921, 922; OLG München 10.1.1986 – 18 U 4339/85, RuS 1986 188. 250 LG Wiesbaden 14.7.1982 – 5 O 548/80, ZfS 1984 346. 153

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aktiviert und kommt es dadurch zu einem Einbruch, bei dem eine wertvolle Goldmünze gestohlen wird, liegt eine Gefahrerhöhung vor.251 119 Ebenfalls bejaht wurde eine Gefahrerhöhung beispielsweise nach Abschaffung oder Tod eines Wachhundes,252 nach Einstellung der Bewachung eines Materiallagers,253 nach weiteren Drohungen eines Schutzgelderpressers nach bereits erfolgtem Einbruch,254 sowie nach Einleitung von Umbau- und Renovierungsarbeiten am Versicherungsort.255 Darüber hinaus wurde auch eine Gefahrerhöhung für den Fall angenommen, dass in ein von der Polizei zum Einbruchszeitpunkt bereits entdecktes Drogenlabor eingebrochen wurde, während sich der VN in Haft befand. Es sei hier davon auszugehen, dass auch weiterhin ein Anreiz bestand, nach nicht entdeckten Drogen und Drogengeldern zu suchen.256 Keine Erhöhung der Einbruchgefahr begründet hingegen die Tatsache, dass der VN ein Tür120 schloss nur einmal statt doppelt betätigt hat.257 Ebenso liegt es in dem Fall, in dem der VN zwecks Verkaufs von Kunstgegenständen eine Zeitungsannonce aufgab und sodann mehreren Kaufinteressenten Zutritt zu seinem Wohnhaus gewährte.258

121 dd) „Smart Home“ in der Wohngebäude- und Hausratversicherung. Immer mehr Haushalte sind „vernetzt“, verfügen also über künstlich intelligente Endgeräte, die miteinander kommunizieren und den Bewohnern so mehr Komfort und Sicherheit bieten sollen.259 Die einzelnen Bestandteile werden grundsätzlich vom Versicherungsschutz umfasst.260 In diesem Rahmen sind mehrere Handlungen denkbar, die zu einer Gefahrerhöhung führen können. Rspr. exisitiert hierzu bislang nicht. In Betracht kommt etwa die unsachgemäße Installation der Smart-HomeTechnik oder die Nichtnutzung oder der Leerstand des vernetzten Zuhauses.261 Die Installation von Smart-Home-Technik an sich wird jedoch in der Regel keine Gefahrerhöhung darstellen, da jedenfalls andere Risiken des nicht vernetzten Zuhauses (etwa Abhandenkommen des Schlüssels und hierdurch Zutritt durch Unbefugte) gemindert werden.262

b) Haftpflichtversicherung 122 aa) Betriebshaftpflichtversicherung. In den Schutzbereich des versicherten Risikos einer Betriebshaftpflichtversicherung fällt eine Tätigkeit, die in innerem ursächlichen Zusammenhang mit dem Betrieb steht, wenn das zu deckende Wagnis betriebsbezogen ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass das schadensstiftende Handeln bestimmt war, den Interessen des Betriebs zu dienen.263 Damit ergeben sich auch in diesem Bereich nicht unerhebliche Probleme hinsichtlich der 123 Einordnung bestimmter Handlungen. So hängt etwa bei der Gestattung privater OnlineNutzung am Arbeitsplatz die Beantwortung der Frage, ob es sich hierbei um ein neues Risiko oder um eine Risikoerhöhung handelt, davon ab, welcher Tätigkeit der versicherte Betrieb nach251 252 253 254 255 256 257 258 259 260 261 262

LG Berlin 17.3.2020 – 4 O 63/19, VersR 2020 982, 982 ff. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 63. OLG Köln 27.1.1998 – 9 U 110/96, RuS 1998 179, 180. BGH 16.6.2010 – IV ZR 229/09, BGHZ 186 42, 45 f. = VersR 2010 1032, 1032 f.; Reusch VersR 2011 13, 20. OLG Frankfurt 11.11.1976 – 16 U 4/76, VersR 1977 657. OLG Celle 10.11.2016 – 8 U 101/16, VersR 2017 756, 757. OLG Frankfurt 20.9.2000 – 7 U 189/99, RuS 2002 512, 513. OLG Köln 30.5.2006 – 9 U 129/05, RuS 2006 379, 380. Rudkowski VersR 2017 1, 1. Rudkowski VersR 2017 1, 2. Hierzu näher Rudkowski VersR 2017 1, 3 ff.; vgl. zudem Armbrüster/Kosich RuS 2020 384, 390 f. Rudkowski VersR 2017 1, 3; so auch Armbrüster/Kosich RuS 2020 384, 390 zur Installation einer elektronischen Schließanlage. 263 BGH 26.10.1988 – IVa ZR 73/87, VersR 1988 1283, 1284. Matusche-Beckmann

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kommt. Um eine Risikoerhöhung handelt es sich nur dann, wenn die betriebliche Tätigkeit auch die Erbringung von Telekommunikations- oder Telediensten umfasst. Im Übrigen stellt die gestattete private Internetnutzung am Arbeitsplatz ein neues Risiko dar.264 Eine Gefahrerhöhung liegt auch dann vor, wenn Arbeiter eines Betriebes, um schneller arbei- 124 ten zu können, ständig schwere Rohre mit hierzu nicht vorgesehenen Geräten heben.265 Ebenso ist von einer Gefahrerhöhung bei dem Einsatz von Arbeitsmaschinen (Bagger) auszugehen, wenn hierbei gegen erteilte Auflagen (Begleitung durch geschultes Personal) verstoßen wird.266 Hingegen kann nicht bei jedem Verstoß gegen eine für den Betrieb des VN geltende Vor- 125 schrift eine Gefahrerhöhung angenommen werden. Liegt kein bewusstes Zuwiderhandeln vor, sondern nur eine fahrlässige unzureichende Absicherung eines Schachts durch ein Bauunternehmen, kann bei derartigen Verstößen nur von einer vom VR vorhersehbaren, allgemein üblichen und daher einkalkulierten Änderung der Gefahrenlage gesprochen werden.267

bb) Luftfahrthaftpflichtversicherung. Eine Gefahrerhöhung liegt vor, wenn der VN das Luft- 126 fahrzeug einem Anbieter gewerblicher Flüge überlässt, obwohl es auf dem Flugplatz an der Beschäftigung eines Piloten mit Fluglizenz mangelt.268 cc) D&O-Versicherung. Ein Wechsel in der Beherrschung der VN soll in der D&O-Versicherung 127 zu einer Gefahrerhöhung führen.269 dd) Cyberversicherung. Die Cyberversicherung soll den VN – vereinfacht – vor Schäden schüt- 128 zen, die durch Cyberangriffe entstehen.270 Sie stellt noch ein sehr junges und komplexes Versicherungsprodukt dar, weshalb es an einschlägiger Rechtsprechung bislang fehlt. Gefahrerhöhungen sind in vielfacher Weise denkbar: etwa durch den nachträglichen Einsatz von veralteter Soft- oder Hardware, wenn hierdurch Sicherheitslücken auftreten, durch eine nur wöchentliche oder monatliche anstatt tägliche Datensicherung oder durch eine regelmäßige erhebliche Verzögerung der Einspielung von neuen Sicherheitsupdates.271 Die Zunahme der Gefahr eines Cyberangriffs an sich stellt jedenfalls keine Gefahrerhöhung dar, da dieser selbst Versicherungsfall ist.272 ee) Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung. Die §§ 23 ff. sind auch auf die Kraftfahrzeughaft- 129 pflichtversicherung anwendbar.273 Im Unterschied zu den sonstigen Versicherungszweigen ist 264 265 266 267 268 269

Koch VersR 2006 1433, 1437. ÖOGH 25.2.1970 – 7 Ob 29/70, VersR 1971 1051. OLG München 14.8.1981 – 10 U 1500/81, VersR 1982 789. ÖOGH 8.3.1990 – 7 Ob 5/90, VersR 1990 1415, 1416. OLG Köln 18.8.2015 – I-9 U 120/14, VersR 2016 1435, 1437. OLG Frankfurt 20.7.2011 – 7 U 7/10, RuS 2012 292; offen gelassen von BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506, 1508; R. Koch VersR 2012 1508, 1510 f.; ders. GS Hübner, 123, 126 ff., der auch die erstmalige Begründung eines Beherrschungsverhältnisses als Gefahrerhöhung qualifiziert. Zur Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Gefahrerhöhung nach Art des Beherrschungswechsels oder der Neubegründung s. ebenso R. Koch GS Hübner, 123, 128 ff. 270 Näher hierzu etwa Malek/Schütz RuS 2019 421; Fortmann RuS 2019 429; Veith/Gräfe/Gebert/Gebert/Klapper § 24 Rn. 1 ff. 271 Fortmann RuS 2019 429, 437; vgl. auch Schilbach VW 2020 92, 93. 272 Fortmann RuS 2019 429, 438; s. oben Rn. 39. 273 BGH 27.6.1951 – II ZR 29/50, BGHZ 2 360, 364 = VersR 1951 195, 196; BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 314 = NJW 1952 1291, 1292; BGH 2.10.1968 – IV ZR 533/68, OLG München 11.7.1968 – 1 U 674/68, VersR 1968 1082, 1082 f.; BGH 14.5.1986 – IVa ZR 191/84, VersR 1986 693, 693 f. 155

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hier der Zustand des Kfz zur Zeit der Vertragserklärung nicht entscheidend, da i.R.d. Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung vor Vertragsschluss keine Risikoprüfung stattfindet. Vielmehr wird von einem verkehrssicheren Fahrzeug i.S.d. StVZO ausgegangen.274 Folglich ergibt sich die Gefahrerhöhung hier aus der Weiterbenutzung eines schon bei Abgabe der Vertragserklärung verkehrsuntauglichen Kfz.275 Die Gefahrerhöhung ist nicht bereits durch das Eintreten des verkehrsunsicheren Zustandes begründet. Vielmehr muss dieser Zustand auf Dauer angelegt sein.276 Maßgeblich ist die Benutzung des Fahrzeugs trotz Verkehrswidrigkeit.277 Zudem muss der VN die Änderung der Risikolage auch erkannt haben und in Kenntnis dessen das Fahrzeug weiter benutzt haben.278 Da erst die (Weiter-)Benutzung des verkehrsunsicheren Fahrzeugs als Gefahrerhöhung betrachtet wird, mag dieser „Ausnahme“ wohl kaum praktische Bedeutung zukommen. Dennoch lässt sich diese Rspr. nicht pauschal auf andere Versicherungszweige übertragen.279 Eine Gefahrerhöhung aufgrund des Zustandes des Fahrzeugs ist beispielsweise dann an130 zunehmen, wenn sich der verkehrswidrige Zustand aufgrund mangelhafter Bremsen oder mangelhafter Bereifung ergibt. Dies stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar.280 Das ist selbst dann der Fall, wenn der Mangel der Bremsanlage infolge einer allmählichen, betriebsbedingten Abnutzung eingetreten ist und sich nur bei einer Gewaltbremsung auswirkt. Die Gefahrerhöhung ist ohne Rücksicht auf die Ursachen gegeben, auf denen der Mangel beruht.281 Eine objektive Gefahrerhöhung begründet auch das Nichteinfüllen von Frostschutzmittel in ausreichender Menge, so dass es dadurch zu Funktionsstörungen an der Luftdruckbremse kommt.282 Eine Gefahrerhöhung ist zudem zu bejahen in den Fällen der permanenten Überschreitung des Ladegewichts,283 der mehrfachen Steintransporte ohne Frontausgleichsgewicht284 sowie der Benutzung eines „auffrisierten“ Fahrzeuges, bei welchem aufgrund technischer Veränderungen die i.R.d. Bauart zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritten wird.285 Demgegenüber genügt nach Ansicht der Rspr. der VN des versicherten Fahrzeuges seiner Gefahrstandspflicht gem. § 23 Abs. 1 dadurch, dass er sein Fahrzeug regelmäßig und in genügenden Zeitabständen durch Fachkräfte überprüfen lässt. Solche laufenden Inspektionen, wie sie vor allem durch Kfz-Werkstätten durchgeführt werden, würden im Allgemeinen weit mehr bieten als eine Untersuchung durch den technisch ungeschulten VN selbst und oft sogar eine ausreichende Gewähr dafür geben, dass Mängel, welche die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs beeinträchtigten, rechtzeitig abgestellt werden könnten.286 274 Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 72; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 18. 275 BGH 19.9.1966 – II ZR 237/64, VersR 1966 1022, 1023; BGH 22.6.1967 – II ZR 154/64, VersR 1967 746; BGH 21.4.1971 – VI ZR 162/69, VersR 1971 558; BGH 18.10.1989 – IVa ZR 29/88, VersR 1990 80, 81. 276 BGH 18.10.1989 – IVa ZR 29/88, VersR 1990 80, 81; OLG Düsseldorf 9.5.1989 – 4 U 165/88, RuS 1989 311, 312; OLG Hamm 8.2.1989 – 20 U 154/88 (juris). 277 BGH 22.6.1967 – II ZR 154/64, VersR 1967 746, 747; BGH 15.11.1978 – IV ZR 103/77, VersR 1979 73, 74. 278 OLG Düsseldorf 9.5.1989 – 4 U 165/88, RuS 1989 311, 312; OLG Celle 10.10.1990 – 8 U 11/90, ZfS 1990 423; OLG Köln 29.3.1990 – 5 U 161/89, VersR 1990 1226; OLG Koblenz 12.7.1996 – 10 U 1518/95, VersR 1997 303, 304. 279 BGH 15.11.1978 – IV ZR 103/77, VersR 1979 73, 74. 280 BGH 19.11.1966 – II ZR 237/64, VersR 1966 1022, 1023; BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385, 389 f. = VersR 1968 1153, 1154; BGH 26.5.1982 – IVa ZR 76/80, VersR 1982 793, 794; BGH 16.9.1986 – VI ZR 159/85, VersR 1987 37, 38; OLG Hamm 24.6.1988 – 20 U 200/87 (juris). 281 BGH 1.10.1969 – IV ZR 1002/68, VersR 1969 1011, 1012. 282 BGH 8.4.1970 – IV ZR 1/69, VersR 1970 563. 283 BGH 20.3.1967 – II ZR 186/64, VersR 1967 493, 493 f.; OLG Hamm 29.11.1989 – 20 U 115/89, VersR 1991 50, 51; ÖOGH 29.9.2010 – 7 Ob 129/10 m, VersR 2012 127, 128; keine Gefahrerhöhung aber bei nur einmaliger Überladung: ÖOGH 29.11.2006 – 7 Ob 244/06 t, VersR 2008 142, 144. 284 ÖOGH 29.9.2010 – 7 Ob 129/10 m, VersR 2012 127, 128. 285 BGH 18.10.1989 – IVa ZR 29/88, VersR 1990 80, 81; OLG Saarbrücken 17.3.1989 – 3 U 164/84, VersR 1990 779; LG Aschaffenburg 21.5.1969 – 2 O 263/67, VersR 1970 339, 339. 286 BGH 22.5.1967 – II ZR 96/65, VersR 1967 745, 745 f. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

VVG § 23

Eine Gefahrerhöhung kann sich ferner auch aufgrund einer Beeinträchtigung des Fahrers 131 ergeben, so etwa bei Psychosen oder bei Epilepsie.287 Maßgeblich ist aber auch hier die Benutzung des Kfz in krankhaftem Zustand, nicht bereits dessen Eintritt. Dabei ist nach h.M. eine wiederholte permanente Benutzung des Fahrzeugs trotz Fahruntüchtigkeit des Fahrers erforderlich.288 Allein die einmalige Benutzung in diesem Zustand ist jedenfalls nicht ausreichend.289 Allerdings sollten aufgrund der Gefahren, die mit der Inbetriebnahme eines Kfz in fahruntüchtigem Zustand verbunden sind, keine zu hohen Anforderungen an die maßgebliche Zahl der Fahrten gestellt werden. Als ausreichend erscheint daher, dass der VN das Fahrzeug mehr als einmal in krankhaftem Zustand benutzt. Hierdurch wird bereits seine generelle Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, die aufgrund seines Zustandes latent bestehende Gefahr zu verwirklichen.290 Ebenso handelt es sich bei wiederholtem Fahren ohne Brille bei einem in der Sehfähigkeit beeinträchtigten VN, der zum Führen eines Kfz eine Sehhilfe tragen muss, um eine Gefahrerhöhung, nicht jedoch bei nur einmaligem Vergessen.291 Probleme bzgl. der Annahme einer Gefahrerhöhung ergeben sich jedoch bei Trunkenheit am Steuer. Nach h.M. stellt eine einmalige Trunkenheitsfahrt keine Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 Abs. 1 dar; vielmehr handele es sich hierbei um eine einmalige Gefährdungshandlung, die ihrer Natur nach nicht geeignet ist, eine länger fortdauernde Wirkung und damit einen neuen Gefahrenzustand hervorzurufen.292 Anders sei dies nur zu beurteilen bei permanenter Durchführung und damit bei Neigung zu Alkoholfahrten.293 Auch die Missachtung allgemeiner Sicherheitsbestimmungen wie die Nichteinhaltung der für Kraftfahrer geltenden Ruhezeitbestimmungen und dadurch bedingte Übermüdung des Fahrers kann eine Gefahrerhöhung darstellen.294 Hierzu ist jedoch erforderlich, dass das versicherte Fahrzeug ständig und in erheblichem Maße durch einen überbeanspruchten Fahrer gebraucht wird.295 Zudem stellt die wiederholte Überlassung des versicherten Kfz an fahruntüchtige Personen eine Gefahrerhöhung dar.296 Hingegen ist eine Gefahrerhöhung bei Benutzung eines nicht zugelassenen Fahrzeugs 132 abzulehnen, da nach Rspr. des BGH die Abmeldung allein nichts über die Verkehrssicherheit des Kfz und die Eigenschaften des Fahrzeugführers aussage. Die Frage, ob der jeweilige Fahrer versuchen werde, sich durch riskante und damit gefahrerhöhende Fahrmanöver einer Fahrzeugkontrolle zu entziehen, hänge entscheidend vom persönlichen Verantwortungsbewusstsein des Fahrers ab und lasse sich daher nicht nach allgemeinen Erfahrungssätzen beantworten.297 Ebenfalls wurde eine Gefahrerhöhung in folgenden Fällen verneint: bei gelegentlicher 133 Mitnahme von Personen auf einem LKW,298 der Fahrt eines mangelhaften Kfz nach Hause oder 287 OLG Nürnberg 22.4.1999 – 8 U 4173/98, VersR 2000 46; OLG Stuttgart 25.4.1996 – 7 U 37/96, VersR 1997 1141, 1142; LG München 15.9.1988 – 30 O 6135/88, ZfS 1988 360. 288 OLG Nürnberg 22.4.1999 – 8 U 4173/98, VersR 2000 46; OLG Stuttgart 25.4.1996 – 7 U 37/96, VersR 1997 1141, 1142. 289 OLG Hamm 17.10.1984 – 20 U 40/84, VersR 1985 751, 752. 290 Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 75 f.; a.A. OLG Nürnberg 22.4.1999 – 8 U 4173/98, VersR 2000 46. 291 OLG Karlsruhe 28.3.1968 – 9 U 126/67, VersR 1969 175, 176; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn 38. 292 BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 315 = NJW 1952 1291, 1293; OLG Hamm 28.9.1965 – 7 U 106/65, VersR 1967 747, 748; OLG Celle 19.11.2009 – 8 U 79/09 (juris). 293 OLG Düsseldorf 3.12.1957 – 4 U 72/57, VersR 1958 314, 315; OLG Düsseldorf 21.5.1963 – 4 U 310/62, VersR 1964 179, 180; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 37; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 78, 121, der zwar anerkennt, dass Trunkenheit sehr wohl eine Gefahrerhöhung sein kann, der aber eine zusätzliche Würdigung unter dem Aspekt der Gefahrerhöhung ausschließt, da § 5 Abs. 1 Nr. 5 KfzPflVV es dem VR gestatte, eine Trunkenheitsklausel zu vereinbaren, wovon in D.1.2 AKB 2015 (Nr. 350)/§ 2b Nr. 1e AKB Gebrauch gemacht wurde. 294 ÖOGH 21.9.1978 – 7 Ob 49/78, VersR 1980 759. 295 BGH 28.6.1965 – II ZR 31/63, VersR 1965 846, 848; BGH 15.11.1965 – II ZR 73/63, VersR 1966 131, 132; BGH 10.2.1971 – IV ZR 159/69, VersR 1971 433. 296 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 12a. 297 BGH 14.5.1986 – IVa ZR 191/84, VersR 1986 693, 694. 298 RG 24.2.1942 – VII 16/41, RGZ 168 372, 378 f. 157

Matusche-Beckmann

§ 23 VVG

Gefahrerhöhung

in eine Werkstatt, der Einstellung bzw. Weiterbeschäftigung eines wegen Verkehrsdelikten vorbestraften Fahrers,299 der Benutzung von Winterreifen im Sommer300 sowie der Benutzung von Reifen mit unterschiedlichen Profilen.301

134 c) Kfz-Kaskoversicherung. Eine Gefahrerhöhung wurde im Rahmen der Kfz-Kaskoversicherung beim Fahren mit unsicheren Bremsen bejaht.302 Auch das Abstellen eines Motorrades in einer ungesicherten Garage ohne Betätigung des Lenkungsschlosses stellt eine Gefahrerhöhung dar.303 Übersteigt bei Wechsel des Fahrzeugmotors die Leistung des neuen Motors und die dadurch erzielbare Höchstgeschwindigkeit die des bei Vertragsbeginn eingebauten Motors erheblich (dort: mehr als 50 % höhere kW-Leistung), liegt eine Gefahrerhöhung vor.304 Verliert der Mieter eines Fahrzeugs den Fahrzeugschlüssel und zeigt dies gegenüber dem Vermieter des Fahrzeugs an, liegt eine anzeigepflichtige objektive Gefahrerhöhung zwischen dem Vermieter als VN und dem VR vor.305 Der Schlüsselverlust kann auch beim eigenen Pkw eine objektive Gefahrerhöhung darstellen, wenn sich aus den Umständen des Verlustes das objektive Risiko eines Zugriffs Dritter auf den Pkw ergibt.306 135 Eine Gefahrerhöhung wurde dagegen abgelehnt bei nach Vertragsschluss vorgenommenen Umbauten an dem Kfz, die nicht ungewöhnlich sind und nach denen der VR vor Vertragsschluss nicht gefragt hat.307 Ein nur kurzfristiges Zurücklassen des Schlüssels in einer Jacke im Auto reicht nicht aus,308 ebenso wenig das gelegentliche Belassen des Kfz-Scheins hinter der Sonnenblende.309 Auch die dauerhafte Verwahrung des Fahrzeugscheins im Handschuhfach des Wagens stellt keine Gefahrerhöhung dar.310 Keine Gefahrerhöhung liegt darüber hinaus im Belassen eines Kfz auf einem umfriedeten, unbewohnten Grundstück über einen mehrwöchigen Zeitraum.311 Bei einem mangelhaften Reifenprofil wird positive Kenntnis des VN von der Mangelhaftigkeit nur schwer festzustellen sein.312 136 Fraglich erscheint, ob die Verwendung eines Assistenz- oder automatisierten Fahrsystems eine Gefahrerhöhung darstellt.313 Zu Fahrassistenzsystemen zählen etwa Start-Stopp-Technologien, Navigationsgeräte sowie Spur-, Abstands- und Parkassistenten, die sich auch heute bereits in den meisten Neufahrzeugen finden.314 Diese Systeme unterstützen den Fahrer und setzen stets eine Handlung durch diesen voraus.315 Sie gelten als Vorstufe zum autonomen Fahren.316 299 OLG Hamm 18.2.1966 – 7 U 155/65, VersR 1966 561. 300 BGH 26.2.1969 – IV ZR 606/68, VersR 1969 365; AG Mannheim 22.5.2015 – 3 C 308/14, RuS 2015 494, 494 f. nur bei längerfristiger Nutzung des Pkw bei durchgehend herrschenden winterlichen Straßenverhältnissen. 301 OLG Nürnberg 15.1.1987 – 8 U 2919/86, ZfS 1987 180. 302 LG Düsseldorf 17.7.2008 – 11 O 377/04 (juris). 303 LG Hagen 23.4.2012 – 7 S 104/08, RuS 2013 123, 124. 304 OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 841. 305 KG Berlin 15.7.2016 – 6 U 24/16, RuS 2017 582. 306 OLG Hamm 3.7.2013 – 20 U 226/12, RuS 2013 373, 374. 307 OLG Karlsruhe 17.9.2013 – 12 U 43/13, VersR 2014 326, 327. 308 OLG Celle 18.6.2009 – 8 U 188/08, RuS 2010 149. 309 OLG Koblenz 30.8.2002 – 10 U 1415/01, VersR 2003 589. 310 OLG Karlsruhe 31.7.2014 – 12 U 44/14, RuS 2015 226, 227; OLG Hamm 3.7.2013 – 20 U 226/12, RuS 2013 373, 374; OLG Bremen 20.9.2010 – 3 U 77/09 (juris); OLG Oldenburg 23.6.2010 – 5 U 153/09, VersR 2011 256, 257; OLG Dresden 12.4.2019 – 4 U 557/18, NJOZ 2020 41, 42; anders OLG Celle 9.8.2007 – 8 U 62/07, VersR 2008 204, 205; aber keine Gefahrerhöhung, wenn der Fahrzeugschein sich bereits bei Abgabe der Vertragserklärung im Kfz befand: OLG Celle 21.12.2010 – 8 U 87/10, VersR 2011 663, 664; s.a. Schmid VersR 2008 471. 311 LG Dortmund 14.7.2010 – 22 O 63/08 (juris). 312 OLG Düsseldorf 20.4.2004 – 4 U 183/03, VersR 2004 1408, 1409. 313 Hierzu Notthoff RuS 2019 496, 500 f.; Singler NZV 2017 353, 356; Hammel VersR 2016 281, 287 ff. 314 Jänich/Schrader/Reck NZV 2015 313, 314; Schrader NJW 2015 3537, 3540. 315 Jänich/Schrader/Reck NZV 2015 313, 314; Schrader NJW 2015 3537, 3540. 316 Jänich/Schrader/Reck NZV 2015 313, 314; Singler NZV 2017 353, 353; Notthoff RuS 2019 496. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

VVG § 23

Bei automatisierten (autonomen) Fahrsystemen wird im Gegensatz zu den Assistenzsystemen die Bewegungssteuerung des Fahrzeugs nicht mehr durch den Menschen übernommen, sondern durch das System.317 Eine Gefahrerhöhung ist zumindest beim Einsatz von voll- oder hochautomatisierten Systemen, bei denen der Fahrer im Gegensatz zum teilautomatisierten Fahren das System nicht überwachen muss,318 anzunehmen, da der Fahrer nur verzögert die Kontrolle über das Fahrzeug zurückerhält.319 Fahrassistenzsysteme können jedenfalls im Falle eines nachträglichen, dem VR nicht mitgeteilten Einbaus eine Gefahrerhöhung darstellen.320 Im Hinblick auf eine fehlende Nutzungspflicht wird zudem die Abschaltung solcher Fahrsysteme zutreffend überwiegend nicht als Gefahrerhöhung qualifiziert.321 Auch die Frage, ob eine Gefahrerhöhung im Rahmen von Telematiktarifen bei negativer Ver- 137 änderung etwa vom (Fahr-)Verhalten des VN in Betracht kommt, wurde bisher nur vom Schrifttum behandelt.322 Bei Telematiktarifen treffen VR und VN eine Vereinbarung, nach der sich der VN bereit erklärt, bestimmte Daten an den VR fortlaufend zu übermitteln.323 Aus diesen Daten wird ein „Score-Wert“ ermittelt, der Erkenntnisse über das versicherte Risiko bringt und anhand dessen der VN etwa mit Prämienrabatten oder Gutscheinen belohnt wird.324 Telematiktarife sind insbesondere in der Personenversicherung (etwa die Datenübersendung mittels Fitness-Tracker oder Gesundheits-Apps in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung), der Wohngebäude- und Hausratversicherung (Datenerhebung des vernetzten „Smart Home“) und in der Kfz-Versicherung (Fahrverhalten des VN) von Bedeutung.325 Eine Gefahrerhöhung durch negative Verhaltensänderungen des VN ist abzulehnen. So soll etwa die Kfz-Versicherung den VN gerade auch bei eigenem verkehrswidrigem Verhalten schützen und versichert daher jede denkbare Fahrweise.326 In der Lebensversicherung muss eine Gefahrerhöhung nach § 158 Abs. 1 ausdrücklich vereinbart werden, was regelmäßig nicht geschieht. Ein schlechter Score-Wert aufgrund des Unterlassens gesundheitsfördernder Maßnahmen kann jedenfalls nur als Gefahrerhöhung angesehen werden, wenn ein Unterlassen als tatbestandlich qualifiziert wird.327 Die längere oder dauerhafte Abschaltung der Telematik kann jedenfalls nicht als Gefahrerhöhung qualifiziert werden, da der Abschluss eines solchen Tarifs in der bisherigen Ausgestaltung auf freiwilliger Basis erfolgt, weshalb ein Unterlassen keine nachteiligen Konsequenzen für den VN haben kann.328

d) Personenversicherung. Im Bereich der Personenversicherung sind Gefahrerhöhungen 138 nicht häufig; vielmehr ist die Erhöhung des Risikos häufig zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhersehbar.329 317 Schrader NJW 2015 3537, 3540. 318 Zur Unterscheidung zwischen teil-, hoch- und vollautomatisiertem Fahren vgl. etwa Singler NZV 2017 353, 353 f.

319 Notthoff RuS 2019 496, 500 f.; Singler NZV 2017 353, 356. 320 Notthoff RuS 2019 496, 501. 321 Notthoff RuS 2019 496, 501; Singler NZV 2017 353, 356; Hammel VersR 2016 281, 288; a.A. Vogt NZV 2003 153, 158.

322 Vgl. dazu etwa R. Koch VersR 2020 1413; Brand VersR 2019 725; Schmidt-Kessel/Grimm/Pohlmann 73, 89 ff. 323 Brand VersR 2019 725, 725; Matusche-Beckmann/Sato/Matusche-Beckmann Big Data-basierte Versicherungsprodukte am Beispiel sogenannter Kfz-Telematiktarife 91, 92 f. 324 Brand VersR 2019 725, 725 f.; Matusche-Beckmann/Sato/Matusche-Beckmann Big Data-basierte Versicherungsprodukte am Beispiel sogenannter Kfz-Telematiktarife 91, 92 f.; R. Koch VersR 2020 1413, 1414. 325 Brand VersR 2019 725, 725; Matusche-Beckmann/Sato/Matusche-Beckmann Big Data-basierte Versicherungsprodukte am Beispiel sogenannter Kfz-Telematiktarife 91, 91 f. 326 Schmidt-Kessel/Grimm/Pohlmann 73, 89; Klimke RuS 2015 217, 220; R. Koch VersR 2020 1413, 1418. 327 Vgl. Schmidt-Kessel/Grimm/Pohlmann 73, 95. 328 Matusche-Beckmann/Sato/Matusche-Beckmann Big Data-basierte Versicherungsprodukte am Beispiel sogenannter Kfz-Telematiktarife 91, 102. 329 Vgl. oben Rn. 40 ff. 159

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§ 23 VVG

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Gefahrerhöhung

In der Unfallversicherung können die §§ 23 ff. nicht gänzlich für die Insassenunfallversicherung durch die §§ 2, 3, 17 AKB ausgeschlossen werden.330 Gleiches gilt für den Bereich der Allgemeinen Unfallversicherung. Auch hier ist ein Rückgriff auf die generellen Regeln der §§ 23 ff. möglich, wenn die AUB keine Sonderregelungen enthalten (vgl. z.B. § 6 AUB 88, Ziff. 6.2 AUB 2008).331

140 e) Warenkreditversicherung. In der Warenkreditversicherung stellt die Insolvenzgefahr eine Gefahrerhöhung dar. Der VR ist nach den AVB für diesen Fall berechtigt, den Versicherungsschutz aufzuheben; dies stellt auch keine Pflichtwidrigkeit dar.332

6. Konkurrenzen a) Verhältnis zu den vorvertraglichen Anzeigepflichten. Vgl. hierzu die Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27 Rn. 5.

141 b) Verhältnis zu vertraglichen Obliegenheiten. Durch die Vereinbarung (gefahrvorbeugender) vertraglicher Obliegenheiten werden die §§ 23 ff. nicht berührt. Zwar wurde teilweise die Ansicht vertreten, dass bei Verletzung vertraglicher Obliegenheiten und gleichzeitigem Eintritt einer Gefahrerhöhung die §§ 23 ff. hinter § 32 a.F. zurücktreten würden.333 Nach h.M. sind die §§ 23 ff. jedoch grds. auch dann anwendbar, wenn mit der Verletzung von vertraglichen Obliegenheiten eine Gefahrerhöhung einhergeht.334 Dies ist auch sachgerecht. Weder kann in der Vereinbarung spezieller vertraglicher Obliegenheiten wie Sicherheitsvorschriften ein Verzicht auf die Rechtsfolgen der §§ 23 ff. gesehen werden, noch werden diese aufgrund einer abschließenden Sonderregelung der Vertragsobliegenheit verdrängt.335 Auch unter systematischem Blickwinkel ergibt sich kein anderes Ergebnis. Kommt es zwischen vertraglicher Obliegenheit und den Voraussetzungen der Gefahrerhöhung zu Wertungswidersprüchen, sind diese über § 32 bzw. §§ 305 ff. BGB zu lösen. Hieraus ergeben sich jedoch keine ausschlaggebenden Gründe, eine Anwendungskonkurrenz abzulehnen. Vielmehr folgen beide Regelungsbereiche eigenen Voraussetzungen, so dass selbst dann, wenn die Kündigungsfrist nach § 28 Abs. 1 abgelaufen ist, hierin nicht zugleich auch ein Verzicht auf die Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung zu sehen ist.336 Etwas anderes gilt aber, wenn mit der Wahrnehmung einer vertraglich vereinbarten Oblie142 genheit zwingend eine Gefahrerhöhung einhergeht. Hier wird man eine konkludente Zustimmung des VR annehmen müssen, so dass der Tatbestand des Absatzes 1 entfällt.337

330 331 332 333 334

OLG Celle 6.5.1970 – 1 U 11/70, VersR 1971 854, 855; OLG Düsseldorf 28.10.1969 – 4 U 57/69, VersR 1970 172. Claßen VersR 1990 837, 838; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 91; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 71. OLG Hamburg 18.6.2020 – 9 U 140/18 (juris). BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, BGHZ 42 295, 297 f. = VersR 1965 29, 29 f. BGH 8.7.1987 – IVa ZR 19/86, VersR 1987 921, 923; BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465, 1466; Martin SVR N III Rn. 57; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 6; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 4. 335 BGH 8.7.1987 – IVa ZR 19/86, VersR 1987 921, 923; BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465, 1466; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 73; Prölss/Martin/Prölss27 § 32 Rn. 1; diff.: Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 120 ff., der zwar grundsätzlich von einer Konkurrenz zwischen den Regelungen zu gefahrvorbeugenden Obliegenheiten und zur Gefahrerhöhung ausgeht, der aber eine abschließende Sonderregelung für den Fall des Vorliegens einer auf das Unterlassen bestimmter gefährlicher Handlungen gerichteten Obliegenheit annimmt und deshalb die §§ 23 ff. als verdrängt ansieht. 336 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 5a. 337 Vgl. hierzu oben Rn. 45 ff. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

VVG § 23

Zuletzt wurden indes Zweifel an der Wirksamkeit einer vertraglich vereinbarten, auf Unter- 143 lassung gerichteten gefahrvorbeugenden Obliegenheit vorgebracht.338 Nach Ansicht von R. Koch ergibt sich aus § 32 Satz 1, dass auch der Inhalt der vereinbarten Obliegenheit anhand der Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 beurteilt werden muss, um eine Aushöhlung der Gefahrerhöhungsregelungen zu verhindern. Einer Obliegenheit, die auf Unterlassen oder Nichtgestatten gerichtet ist und deren Nichtbeachtung nicht gleichzeitig eine Gefahrerhöhung darstellt, stehe daher das Abweichungsverbot entgegen. Diese Sichtweise ist indes auf Kritik gestoßen.339 Nach der Systematik des VVG stünden gesetzliche Gefahrerhöhungsregeln und vertragliche Obliegenheiten grundsätzlich nebeneinander; die gefahrvorbeugenden Obliegenheiten seien daher zum Schutz des VN nur am Maßstab der §§ 23 ff. zu messen, wenn der VR sich auf deren spezielle Rechtsfolgen beruft. Darüber hinaus hänge es ansonsten nur vom Geschick des VR ab, die jeweilige Klausel so zu gestalten, dass sie den Anforderungen von Absatz 1 genügt. Für diese Ansicht spricht nicht nur das grundsätzliche Nebeneinander gesetzlicher Gefahrerhöhungsregeln und vertraglicher Obliegenheiten, sondern auch die andernfalls drohende Einschränkung der Möglichkeit, privatautonome Vereinbarungen hinsichtlich vertraglicher Obliegenheiten zu treffen. Von einer abschließenden Sonderregelung ist aber auszugehen, wenn eine Obliegenheit 144 das Unterlassen bestimmter gefährlicher Handlungen zum Gegenstand hat, wie dies von der Rspr. im Fall der Verwendungs- und Führerscheinklausel in D.1.1.1, D.1.1.3 AKB 2015/§ 2b AKB a.F. angenommen wird.340 Begründet wird dies zu Recht damit, dass hier das mit bestimmten Handlungen verbundene Risiko abgewendet werden soll und diese Handlung nicht auch noch unter dem Gesichtspunkt der Änderung des ohne sie bestehenden Risikos bewertet werden darf. Darüber hinaus liege der Zweck der Klausel auch nicht in der Aufstellung lediglich „zusätzlicher Sicherungsmaßnahmen“ begründet.341

c) Verhältnis zur Regelung über die Herbeiführung des Versicherungsfalls. Zu einer 145 Überschneidung von § 81 und den Regelungen über die Gefahrerhöhung kann es kommen, wenn sich aus einer Gefahrerhöhung der Eintritt des Versicherungsfalles entwickelt.342 Im Zuge der Reform des VVG 2008 wurde die Frage der Anwendungskonkurrenz von § 81 und den §§ 23 ff. jedoch entschärft, weil die Voraussetzungen der Leistungsfreiheit in beiden Fällen angeglichen wurden. Während nach bisheriger Rechtslage bereits leichte Fahrlässigkeit die Leistungsfreiheit des VR aufgrund Gefahrerhöhung begründen konnte, setzen nunmehr beide Vorschriften zur absoluten Leistungsfreiheit Vorsatz des VN voraus. Im Übrigen wird abhängig vom Grad des Verschuldens eine Leistungskürzung durch den VR zugelassen. Unterschiede bestehen hingegen hinsichtlich der Beweislast. Im Rahmen des § 81 ist der VR für alle Verschuldensmaßstäbe beweispflichtig, bei § 26 Abs. 1 lediglich für Vorsatz.343 Dennoch ist nach h.M. § 81 grds. neben den §§ 23 ff. anwendbar.344 Zu Konkurrenzproblemen kommt es allerdings, wenn die Voraussetzungen einer Gefahrerhöhung etwa mangels Dauerzustandes nicht vorliegen, der Versicherungsfall jedoch aufgrund einer Handlung des VN herbeigeführt wurde und die Frage, ob dem VR aufgrund des Umstandes, dass keine tatbestandsmäßige Gefahrerhöhung vorliegt, die Berufung auf § 81 zu versagen ist. Dies ist zu verneinen, denn § 81 setzt weder das Vorliegen einer Gefahrerhöhung voraus, so dass kein Spezialitätsverhältnis zwischen den beiden Rege-

338 339 340 341 342 343 344

S. R. Koch, FS 100 Jahre Hamburger Seminar, 173 ff.; OLG Hamm 28.5.1986 – 20 U 345/85, VersR 1987 1105. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 120a. BGH 8.7.1987 – IVa ZR 19/86, VersR 1987 921, 923. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 121. BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 314 = NJW 1952 1291, 1292; Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 9. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 80; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 7. OLG Frankfurt 14.2.1979 – 7 U 47/78, VersR 1979 1021; OLG Köln 20.4.1989 – 5 U 131/88, RuS 1989 160; OLG Koblenz 25.4.1997 – 10 U 1437/96, VersR 1998 233, 234; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 53. 161

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§ 23 VVG

Gefahrerhöhung

lungsbereichen angenommen werden kann,345 noch ist ein solches Ergebnis nach Sinn und Zweck der Vorschriften gewollt. Während die §§ 23 ff. die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Risikolage bezwecken, will § 81 bei bestimmten risikoträchtigen Handlungen des VN die Leistungspflicht des VR ausschließen.346 Damit ist auch in diesem Fall von Anwendungskonkurrenz auszugehen. Ein Einwendungsverzicht i.R.d. § 81 führt demnach nicht auch zu einem Verzicht auf den Einwand der §§ 23 ff.347 Der VR kann vielmehr frei wählen, auf welche Vorschriften er sich beruft.348 Von größerer Bedeutung ist die Abgrenzung im Rahmen der Haftpflichtversicherung. Nach 146 § 103 ist der Haftpflichtversicherer auch bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls eintrittspflichtig. Es wäre daher widersprüchlich, wenn sich der VR auf eine (teilweise) Leistungsfreiheit aufgrund einer gleichzeitg bestehenden Gefahrerhöhung berufen könnte. Zur Annahme einer Gefahrerhöhung kommt es daher darauf an, dass ihr eine gewisse Dauerhaftigkeit349 innewohnt.350

147 d) Vertragliche Regelungen zu Tarifbestimmungen. Ist bei einem Versicherungsvertrag ein „weiches“ Tarifmerkmal zugrundegelegt (z.B. in der Kfz-Kaskoversicherung der Aspekt eines „nächtlichen Abstellplatzes: Garage“ oder die jährliche Fahrleistung), stellt diese Regelung eine vorteilhafte Abweichung von den gesetzlichen Instituten dar;351 die §§ 23 ff. sind dann nicht anwendbar.352 „Weiche“ Tarifierungsmerkmale können durch den Willen des VN maßgeblich gesteuert und verändert werden.353 Sie sind weitgehend von der Person des VN oder des Fahrers und dessen Verhalten abhängig.354 Der VN darf diese auch ohne Einwilligung des VR verändern.355 Tarifierungsmerkmale dienen primär dazu, das Äquivalenzverhältnis zwischen Prämie und Risiko herzustellen. Je mehr vorteilhafte Tarifmerkmale der VN aufweist, desto niedriger ist die von ihm zu zahlende Prämie. Stellt der VN also nach dem obigen Beispiel sein Kfz nachts nicht in der Garage ab und wird dieses entwendet, liegt gerade keine Obliegenheitsverletzung vor.356 Konsequenzen zeigen sich auf der Prämienebene: Der VN verliert z.B. einen ihm gewährten Rabatt. Der VR kann Zahlung der zu wenig geleisteten Versicherungsbeiträge bzw. eine rückwirkende Prämienneuberechnung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe verlangen sowie ggf. den Vertrag kündigen.357

148 e) Mehrfachversicherung. Unter dem Gesichtspunkt einer Erhöhung der Vertragsgefahr sind die Regelungen über die Gefahrerhöhung in der Mehrfachversicherung nicht anwendbar. Die §§ 77, 78 haben insoweit abschließenden Charakter.358

345 346 347 348 349 350 351 352 353 354 355 356

OLG Frankfurt 14.2.1979 – 7 U 47/78, VersR 1979 1021; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 119. Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 119. BGH 14.3.1963 – II ZR 172/61, VersR 1963 429, 430; OLG Köln 17.11.1964 – 9 U 94/63, VersR 1965 229, 230. Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 9; a.A. Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 74. Vgl. oben Rn. 34 f. Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 1259, 1294; Wandt Rn. 865. Schirmer/Marlow VersR 1997 782, 784; Schimikowski RuS 2012 436. Holitzka RuS 2020 440, 441; im Ergebnis auch Gebauer NVersZ 2000 7, 8. Scheu jurisPR-VersR 12/2019 Anm. 5. Schirmer/Marlow VersR 1997 782, 783. Stiefel/Maier/Stadler Kraftfahrtversicherung, AKB 2015 K.4 Rn. 7; Gebauer NVersZ 2000 7, 8. Holitzka RuS 2020 440, 441; Scheu jurisPR-VersR 12/2019 Anm. 5.; a.A. LG Magdeburg 11.9.2018 – 11 O 217/18, VersR 2021 504, 505 (Berufung bei OLG Naumburg – 4 U 117/18 anhängig). 357 Scheu jurisPR-VersR 12/2019 Anm. 5. 358 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 124; a.A. Honsell VersR 1982 112, 115; gegen einen abschließenden, aber für einen spezielleren Charakter: Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 87. Matusche-Beckmann

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VVG § 23

B. Kommentierung

f) Störung der Geschäftsgrundlage. Die Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundla- 149 ge gem. § 313 BGB werden von den §§ 23 ff. als leges speciales verdrängt.359 Sollten die §§ 23 ff. auf den Vertrag keine Anwendung finden (etwa nach § 194 Abs. 1 Satz 2),360 kann ein Anspruch ebenso nicht nach § 313 BGB bestehen, da in diesen Fällen das Gesetz ausdrücklich dem VR das Risiko nachträglicher Gefahrerhöhungen einseitig zuweist.361 g) Fehlendes versichertes Interesse. Stellt der Eintritt der Gefahrerhöhung zugleich einen 150 Wegfall des versicherten Interesses nach § 80 Abs. 2 dar, werden die §§ 23 ff. verdrängt.362

7. Abweichende Vereinbarungen Gem. § 32 darf von den Regelungen über die Gefahrerhöhung nicht zum Nachteil des VN abgewi- 151 chen werden. Den Vorschriften kommt also halbzwingende Wirkung zu.363 Dennoch vereinbarte beeinträchtigende Abweichungen sind unwirksam.364 Daraus ergibt sich, dass die Rechtsfolgen einer Gefahrerhöhung nicht an geringere als vom Gesetz vorgesehene Voraussetzungen geknüpft werden dürfen und sie auch nicht verschärfend modifiziert werden dürfen.365 Unproblematisch sind hingegen AVB-Bestimmungen, die bestimmte Sachverhalte nicht als Gefahrerhöhung qualifizieren, obwohl sie es nach der gesetzlichen Regelung wären.366 Ebenso unzulässig ist die Vereinbarung von Risikoausschlüssen, die an die gefahrerhö- 152 hende Änderung der Risikolage anknüpfen. Eine Einschränkung von diesem Grundsatz gilt aber dann, wenn der Umstand, der zu dem Risikoausschluss führt, hätte er bereits zum Zeitpunkt der Vertragserklärung bestanden, als nicht mitversichert anzusehen gewesen wäre. Das Hinzutreten dieses Umstandes ist dann nicht für den Risikoausschluss maßgeblich.367 Zudem ist ein Risikoausschluss auch hinsichtlich solcher gefahrerhöhender Umstände möglich, die der VN zu anderen für sein Risiko einschlägigen Bedingungen hätte versichern können oder an deren Versicherung die Mehrheit der VN kein Interesse hat, da nicht jedem VN daran gelegen ist, hinsichtlich aller möglichen nachträglich eintretenden Gefahrumstände zu entsprechend hohen Prämien versichert zu sein.368 Probleme ergeben sich jedoch dann, wenn bestimmte Sachverhalte in AVB als Gefahrerhöhung festgelegt werden. Hier ist zu untersuchen, inwiefern diese Klauseln von der gesetzlichen Regelung abweichen. Seitens der Rspr. wurde zumindest eine konstitutive Regelung von Tatbeständen der Gefahrerhöhung abgelehnt.369 Ist in den AVB geregelt, dass der VN dem VR „auf dessen Befragen“ gefahrerhöhende Um- 153 stände mitteilen muss, ist diese Regelung als abschließende Sondervorschrift aufzufassen, aufgrund derer die strengeren Regelungen zur Gefahrerhöhung keine Anwendung finden.370

359 Bruns § 18 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 125. 360 S. unten Rn. 162. 361 BGH 9.5.2012 – IV ZR 1/11, VersR 2012 980, 981; LMK 2012 335528 Anm. Armbrüster; FD-VersR 2012 334423 Anm. Günther; ZJS 2013 108, 109 f. Anm. Forschner; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 4.

362 BGH 25.1.1989 – IVa ZR 189/87, VersR 1989 351; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 11, 133. 363 Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 17; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 116; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 43.

364 OLG Hamm 28.5.1986 – 20 U 345/85, VersR 1987 1105; Martin SVR N IV Rn. 1. 365 OLG Hamm 28.5.1986 – 20 U 345/85, VersR 1987 1105; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 54; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 65. 366 Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 23 Rn. 62. 367 Bruck/Möller/Möller8 Bd. I Anm. 25; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 116. 368 J. Prölss FS Larenz, 509; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 116. 369 OLG Hamm 28.5.1986 – 20 U 345/85, VersR 1987 1105. 370 Vgl. BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506, 1508 m. Anm. Koch. 163

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§ 23 VVG

Gefahrerhöhung

Neben der Prüfung anhand des § 32 sind AVB-Klauseln, die die Gefahrerhöhung betreffen, auch an den §§ 305 ff. BGB zu messen.371 Hiernach sind solche Regelungen unwirksam, die eine Gefahrkompensation nicht zulassen.372 Problematisch ist insofern die Regelung des § 17 Nr. 1 lit. c) VHB 2016, nach der die vertraglich vereinbarte Gefahrerhöhung, das Leerstehenlassen einer Wohnung länger als 60 Tage ohne Beaufsichtigung, nur dadurch kompensiert werden kann, dass sich während der Nacht eine dazu berechtigte, volljährige Person darin aufhält. Diese Regelung ist dann unzulässig, wenn hierdurch andere gefahrkompensierende Maßnahmen ausgeschlossen werden sollen.373 Entscheidend ist auch die Beachtung des Transparenzgebotes, da der VN voraussehen können muss, wann er mit den Folgen einer Gefahrerhöhung bedroht ist.374 Ebenso ist eine Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des VN unwirksam, die eine Vertragsstrafe wegen zu viel gefahrener Jahreskilometer vorsieht, wenn der VR nicht zugleich auf seine Rechte aus §§ 24 ff. verzichtet.375 155 § 32 Satz 1 steht nicht der Vereinbarung gefahrvorbeugender Obliegenheiten im Sinne von § 28 entgegen.376

154

8. Sonderregelungen 156 Sonderregelungen bzgl. der Gefahrerhöhung enthält das VVG für die laufende Versicherung, die Transport-, die Lebens- sowie die Unfallversicherung.

157 a) Laufende Versicherung, § 57. Abweichend von § 23 bestimmt § 57 Abs. 1, dass der VN jede Gefahränderung unverzüglich dem VR anzuzeigen hat, ansonsten besteht seitens des VR keine Leistungspflicht. Zudem wird an dem bisherigen Alles-oder-nichts-Prinzip festgehalten, da in diesem Bereich keine unangemessenen Ergebnisse aufgetreten sind, die die Aufgabe dieses Grundsatzes bedingt hätten. Schließlich sieht § 57 Abs. 3 von einem Kündigungsrecht des VR bei Gefahrerhöhung ab, da dies dem Interesse einer laufenden Versicherung widerspreche.377

158 b) Transportversicherung, § 132. Weil sich in diesem Versicherungsbereich häufig Gefahränderungen ergeben, auf die der VN keinen Einfluss hat, besteht seinerseits ein berechtigtes Interesse am Fortbestand des Versicherungsschutzes bei Gefahränderung. Die Interessen des VR werden durch die unverzügliche Pflicht zur Anzeige der Änderung der Risikolage sowie die Möglichkeit der Prämienanpassung gewahrt. Auch hier wird das Alles-oder-nichts-Prinzip beibehalten. Ein Kündigungsrecht des VR ist nicht vorgesehen.378

159 c) Lebensversicherung, § 158. Bereits bei Vertragsschluss muss festgelegt werden, welche Änderung der Gefahrumstände zu einer Prämienänderung führen soll. Alle übrigen Umstände bleiben außer Betracht. Zudem sieht § 158 Abs. 2 nunmehr eine verkürzte Ausschlussfrist von fünf Jahren vor. Bei vorsätzlicher oder arglistiger Verletzung der sich aus § 23 ergebenden Pflich371 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 56; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 68. 372 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 69; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 46. 373 So zu § 13 Nr. 3b VHB 92 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 69; vgl. Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 46. BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 401 = VersR 1997 1517, 1519. OLG Stuttgart 25.7.2013 – 7 U 33/13, VersR 2013 1528, 1529. S. dazu auch Rn. 49. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 76. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 92.

374 375 376 377 378

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VVG § 23

C. Darlegungs- und Beweislast

ten beträgt die Ausschlussfrist zehn Jahre.379 So ist bei einem Nichtrauchertarif in der Lebensversicherung regelmäßig in den AVB vorgesehen, dass die Aufnahme des Rauchens eine Gefahrerhöhung darstellt. Diese Klauseln sind an § 158, §§ 23 ff. VVG zu messen.380

d) Berufsunfähigkeitsversicherung. Nach § 176 gilt § 158 auch i.R.d. Berufsunfähigkeitsver- 160 sicherung. Eine Gefahrerhöhung muss also ausdrücklich vereinbart werden.381

e) Unfallversicherung, § 181. § 181 wurde im Zuge der Reform 2008 neu eingeführt und ist 161 an die Regelungen zur Lebensversicherung angelehnt. Danach können mit Ausnahme von arglistigem Handeln Rechtsfolgen aus der Gefahrerhöhung nur dann abgeleitet werden, wenn die Änderung von Gefahrumständen ausdrücklich in Textform als Gefahrerhöhung vereinbart wurde. Nach § 191 kann hiervon zum Nachteil des VN nicht abgewichen werden. Rechtsfolge bei objektiver Gefahrerhöhung ist gem. § 181 Abs. 2 die tarifliche Reduktion der Versicherungsleistung bei unveränderter Prämie. Allein bei arglistiger Nichtanzeige der Gefahrerhöhung bleiben dem VR die Rechte aus § 24 erhalten.382

f) Krankenversicherung. Gem. § 194 Abs. 1 Satz 2 finden die Regelungen der §§ 23 ff. im Bereich 162 der Krankenversicherung keine Anwendung. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Umstand, dass das Krankheitsrisiko eines Menschen mit steigendem Lebensalter zunimmt, bei Vertragsschluss vorhersehbar und daher Bestandteil der versicherten Gefahr ist.383 Die Krankenversicherung soll den VN eben auch bei nachträglich auftretenden Erkrankungen schützen.384 Die Gefahränderungen/-erhöhungen werden bereits bei der Berechnung der Ausgangsprämie berücksichtigt.385

C. Darlegungs- und Beweislast Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast folgt den allgemeinen Grundsätzen. Danach 163 hat jede Partei die Voraussetzungen der Norm darzulegen und zu beweisen, die sie zu ihren Gunsten angewandt wissen möchte.386

I. Beweislast des Versicherers Den VR trifft die Beweislast für das Vorliegen der Gefahrerhöhung, d.h. er hat sowohl den 164 objektiven Tatbestand der Gefahrerhöhung und damit die Änderung der Risikolage als auch subjektiv die Kenntnis des VN von den gefahrerhöhenden Umständen zu beweisen.387 Hingegen 379 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 98. 380 Armbrüster Privatversicherungsrecht Rn. 1254; Armbrüster RuS 2013 209, 210 ff. 381 Zur Frage, ob eine Covid-19-Erkrankung oder die Verweigerung einer Schutzimpfung eine Gefahrerhöhung im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung darstellen kann, vgl. Neuhaus VersR 2021 205, 220. 382 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 108. 383 BGH 6.7.1983 – IVa ZR 206/81, BGHZ 88 78, 80 f. = VersR 1983 848, 848; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 9. 384 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 4. 385 Wandt Rn. 859. 386 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 71; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 46. 387 BGH 8.3.1962 – II ZR 77/60, VersR 1962 368, 369; BGH 26.5.1982 – IVa ZR 76/80, VersR 1982 793, 794; BGH 15.1.1986 – IVa ZR 30/84, VersR 1986 255, 255; OLG Hamm 2.5.1984 – 20 U 319/83, VersR 1985 489, 489 f.; OLG Köln, 29.3.1990 – 5 U 161/89, VersR 1990 1226; Schimikowski Rn. 205; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn. 14. 165

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§ 23 VVG

Gefahrerhöhung

muss der VR aber nicht nachweisen, dass der VN auch den gefahrerhöhenden Charakter der ihm bekannten Umstände kannte und sich folglich der Tatsache der Änderung der Risikolage arglistig entzogen hat.388 Da es sich hinsichtlich der Kenntnis um eine innere Tatsache handelt, deren Beweis vom VR oftmals schwer zu führen sein wird, kommen hierbei zumeist die Regeln über den Indizienbeweis zur Anwendung.389 So stellen etwa auffallend starke Mängel eines Fahrzeugs ein erhebliches Indiz für die Kenntnis des VN von der Gefahrerhöhung dar.390 Zu einer Umkehr der Beweislast kommt es allerdings dann, wenn der VN die Beweisführung durch den VR unmöglich macht.391 Im Hinblick auf das Vorliegen einer Gefahrkompensation obliegt dem VR nach wie vor der Beweis der gefahrerhöhenden, dem VN der Beweis der kompensierenden Tatsachen.392 Steht aber fest, dass sowohl gefahrerhöhende als auch gefahrvermindernde Momente vorliegen, obliegt es dem VR, näher darzulegen, welches Gewicht diesen Umständen zukommt und wie sie sich auf die Entwicklung der Gefahr im Ganzen ausgewirkt haben.393 Den VR trifft im Rahmen des § 23 Abs. 2 und 3 die Darlegungs- und Beweislast für die Kennt165 niserlangung des VN von der Gefahrerhöhung.

II. Beweislast des Versicherungsnehmers 166 Dem VN obliegt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich einer Einwilligung des VR in die Gefahrerhöhung. Dabei ist jedoch ausreichend, wenn der VN die Umstände nachweist, nach denen er von einer Einwilligung ausgehen konnte. Kennt nämlich der VR den gefahrerhöhenden Umstand und beanstandet diesen nicht, kann der VN davon ausgehen, dass der VR in die Gefahrerhöhung eingewilligt hat.394 Nach e.A. trägt der VN zudem auch die Beweislast hinsichtlich der rechtzeitigen unverzügli167 chen Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 und 3 an den VR.395 Dieser Ansicht ist beizupflichten, weil sie die Grundregel zur Beweislastverteilung abbildet, da jede Partei grundsätzlich diejenigen Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat, die für ihre Rechtsposition streiten. Nach a.A. obliegt die Beweislast hinsichtlich der Nichtanzeige dem VR, da es sich hierbei nicht um eine vertragliche Hauptpflicht handele, sondern um die Verletzung einer Obliegenheit. Daran würden aber nur unter besonderen Umständen Rechtsfolgen geknüpft, so dass dem VN nur aufgebürdet werden könne, sein Vorbringen über die Absendung und den Inhalt der Anzeige substantiiert darzutun. Sei ihm dies gelungen, liege es am VR, dies zu widerlegen.396

388 BGH 26.5.1982 – IVa ZR 76/80, VersR 1982 793, 794. 389 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 47; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 41, der das Beispiel auffallender Mängel eines Pkw als starkes Indiz für eine Kenntnis ansieht. 390 OLG Köln 1.7.1974 – 8 U 26/73, VersR 1975 999, 1000; OLG Saarbrücken 17.3.1989 – 3 U 164/84, VersR 1990 779. 391 BGH 10.4.1968 – IV ZR 512/68, VersR 1968 590, 590; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 114; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 22. 392 Vgl. bereits oben Rn. 32. 393 BGH 11.12.1980 – IVa ZR 18/80, BGHZ 79 156, 159 f. = VersR 1981 245, 246.; Berliner Kommentar/Harrer § 23 Rn 8. 394 OLG Hamm 27.6.1975 – 20 U 372/74, VersR 1976 257, 257 f.; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 71; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 48. 395 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 48; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 41; Langheid/Wandt/ Reusch § 23 Rn. 305; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 23 Rn. 42; BeckOK/Staudinger/Ruks § 23 Rn. 62; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Karczewski § 23 Rn. 53. 396 OLG Hamburg 27.8.1993 – 11 U 45/93, VersR 1994 668, 669; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 71; Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 115; Prölss/Martin/Prölss28 § 23 Rn. 56. Matusche-Beckmann

166

§ 24 Kündigung wegen Gefahrerhöhung (1)

1

Verletzt der Versicherungsnehmer seine Verpflichtung nach § 23 Abs. 1, kann der Versicherer den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist kündigen, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Verpflichtung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt. 2Beruht die Verletzung auf einfacher Fahrlässigkeit, kann der Versicherer unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. (2) In den Fällen einer Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 2 und 3 kann der Versicherer den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. (3) Das Kündigungsrecht nach den Absätzen 1 und 2 erlischt, wenn es nicht innerhalb eines Monats ab der Kenntnis des Versicherers von der Erhöhung der Gefahr ausgeübt wird oder wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat.

Schrifttum Siehe die Angaben vor Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II. 1. 2.

6 Grundlagen Zweck der Regelung Inhalt im Einzelnen

B.

Kommentierung

I.

Die fristlose Kündigung, § 24 Abs. 1 11 Satz 1 Voraussetzungen der fristlosen Kündi11 gung Form und Inhalt der Kündigungserklä13 rung 16 Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit Folgen einer unwirksamen fristlosen Kündi18 gung

1. 2. 3. 4.

II.

III.

Kündigung bei nachträglich erkannter subjektiver und objektiver Gefahrerhöhung, § 24 Abs. 2 31

IV.

Erlöschen des Kündigungsrechts nach § 24 36 Abs. 3 37 Ausschluss nach § 24 Abs. 3, 1. Alt. 37 a) Fristbeginn 38 b) Kenntnis des Versicherers 42 c) Wirkung und Beweislast Wiederherstellung des ursprünglichen Gefahrzu44 standes nach § 24 Abs. 3, 2. Alt. 44 a) Grundlagen b) Wiederherstellung der ursprünglichen Gefahrenlage nach wirksamer Kündi49 gung

1

6 8

1.

11

Fristgebundene Kündigung, § 24 Abs. 1 20 Satz 2

2.

54

V.

Rechtsfolgen der Kündigung

VI.

Abweichende Vereinbarungen

55

C.

Darlegungs- und Beweislast

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A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 24 regelt – wie die §§ 24, 27 VVG a.F. – Kündigungsrechte des VR wegen Gefahrerhöhung für 1 alle in § 23 geregelten Fälle. Gegenüber der Rechtslage vor der VVG-Reform hat sich vor allem zweierlei geändert: Zum 2 einen hat der Gesetzgeber das im früheren § 27 Abs. 1 Satz 1 a.F. enthaltene Recht zur Kündigung wegen einer objektiven Gefahrerhöhung in § 24 integriert; zum anderen wurde das Verhältnis zwischen fristloser und Kündigung mit einmonatiger Frist umgestaltet: Genügte es nach früherer 167 https://doi.org/10.1515/9783110522624-007

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Rechtslage die Kündigung zu erklären und knüpfte das Gesetz daran – abhängig vom Verschuldensmaßstab – unterschiedliche Wirksamkeitszeitpunkte,1 ist nach aktuellem Recht schon tatbestandlich zwischen der fristlosen und der fristgebundenen Kündigung zu unterscheiden. 3 Ein fristloses Kündigungsrecht des VR ist nur für den Fall einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der sog. Gefahrstandspflicht nach § 23 Abs. 1 vorgesehen.2 Dies ist ein Novum, da unter Geltung der früheren Rechtslage einfache Fahrlässigkeit ausreichend war.3 Bei einfacher Fahrlässigkeit kann der VR den Vertrag de lege lata hingegen nur unter Einhaltung einer Monatsfrist kündigen. Die Regelung zum Erlöschen des Kündigungsrechts nach § 24 Abs. 3 stimmt mit den Rege4 lungen der §§ 24 Abs. 2, 27 Abs. 1 Satz 2 a.F. überein.4 Das Kündigungsrecht nach § 24 Abs. 1 bezieht sich auf die Verletzung der sog. Gefahr5 standspflicht nach § 23 Abs. 1; § 24 Abs. 2 erfasst die Fälle von § 23 Abs. 2 und 3. Ein Erlöschen des Kündigungsrechts sieht § 24 Abs. 3 für alle Fälle des § 23 vor.

II. Grundlagen 1. Zweck der Regelung 6 § 24 verschafft dem VR die Möglichkeit, im Fall einer nach Abgabe der Vertragserklärung durch den VN eingetretenen Veränderung der Gefahrenlage zu reagieren, indem er sich durch Kündigung für die Zukunft einseitig vom Versicherungsvertrag löst. Abgesehen von der fristlosen Kündigungsmöglichkeit nach § 24 Abs. 1 Satz 1 gilt eine Monatsfrist, die es dem VN ermöglicht, vor Beendigung des Vertrags eine anderweitige Absicherung des versicherten Risikos zu erlangen.5 Alternativ zur Kündigung nach § 24 steht dem VR nach seiner Wahl das Vertragsanpas7 sungsrecht nach § 25 zur Verfügung.6 Die Geltendmachung der Leistungsfreiheit gem. § 26, die gegenüber dem Kündigungsrecht in der forensischen Praxis die bedeutendere Rolle spielt,7 steht neben der Kündigungsmöglichkeit.

2. Inhalt im Einzelnen 8 § 24 gewährt dem VR bei Eintritt einer Gefahrerhöhung nach § 23 das Recht, den Versicherungsvertrag zu kündigen. Zu differenzieren ist dabei zwischen der fristlosen Kündigung nach Absatz 1 Satz 1 und der Kündigung unter Einhaltung einer Monatsfrist nach Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2. Das Recht zur fristlosen Kündigung steht dem VR nur bei vorsätzlicher oder grob fahrläs9 siger Verletzung der sog. Gefahrstandspflicht nach § 23 Abs. 1 zu. Hingegen ist die Kündigung im Falle eines einfach fahrlässigen Verstoßes gegen § 23 Abs. 1 und in den Fällen der § 23 Abs. 2 und § 23 Abs. 3 nur unter Einhaltung der Monatsfrist zulässig. Anders als bei der Verletzung von vertraglichen Obliegenheiten (§ 28) hat der Gesetzgeber damit nicht darauf verzichtet, auch

Vgl. etwa Prölss/Martin/Prölss27 § 24 Rn. 2. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. RG 3.1.1936 – VII 203/35, RGZ 150 48, 49. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 24 Rn. 4 ff.; Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 7; Langheid/Wandt/ Reusch § 24 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid § 24 Rn. 4. 6 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 7 Noch zu § 23 a.F. Berliner Kommentar/Harrer § 24 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Langheid § 26 Rn. 2.

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einen nur einfach fahrlässigen Verstoß zu sanktionieren, weil eine Gefahrerhöhung den VR auch in Zukunft dauerhaft belastet.8 Ein Kündigungsrecht des VR besteht nach dem Wortlaut des § 24 nicht, wenn den VN im 10 Falle des § 23 Abs. 1 kein Verschulden an der Gefahrerhöhung trifft und die Voraussetzungen der Kündigung nach § 24 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 2, Abs. 3 nicht vorliegen.9 In diesen Fällen hält der Gesetzgeber den VR am Vertrag fest, obwohl sich das Äquivalenzverhältnis zwischen Prämie und übernommenem Risiko zu Lasten des VR verschoben hat.10

B. Kommentierung I. Die fristlose Kündigung, § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Voraussetzungen der fristlosen Kündigung Für den Fall des Vorliegens einer subjektiven Gefahrerhöhung gibt § 24 Abs. 1 dem VR das Recht 11 zur Kündigung des Versicherungsvertrags: Hat der VN vorsätzlich oder grob fahrlässig die sog. Gefahrstandspflicht nach § 23 Abs. 1 verletzt, d.h. vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne Einwilligung des VR die Gefahrerhöhung vorgenommen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestattet, ist der VR zur fristlosen Kündigung – also einer Vertragsbeendigung mit sofortiger Wirkung – berechtigt. Dem VR bleibt aber unbenommen, unter Einräumung einer Frist zu kündigen.11 Im Falle einfacher Fahrlässigkeit hingegen steht dem VR nach § 24 Abs. 1 Satz 2 nur das Recht zur Kündigung unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu. Das Kündigungsrecht besteht auch dann, wenn es für den VN nicht möglich war, vor dem 12 Eintreten der Gefahrerhöhung die Einwilligung des VR einzuholen; die Gefahrerhöhung tritt unabhängig hiervon ein.12

2. Form und Inhalt der Kündigungserklärung Die Kündigungserklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. 13 Eine vom VR einzuhaltende Form für die Abgabe der Kündigungserklärung sieht das Gesetz 14 nicht vor, so dass die allgemeinen gesetzlichen Grundsätze gelten. Oft wird jedoch in den AVB die Schriftform vorgesehen.13 Da eine solche Schriftformklausel letztlich zugunsten des VN für Rechtsklarheit sorgt, ergeben sich hiergegen keine Bedenken. Inhaltlich muss sich aus der Kündigungserklärung für den VN klar und unmissverständlich 15 ergeben, dass eine Lösung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft beabsichtigt ist.14 Nicht 8 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 4; Langheid/Wandt/Reusch § 25 Rn. 1. 9 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. 10 Rixecker ZfS 2007 136; dazu noch näher unter Rn. 27 ff. 11 Berliner Kommentar/Harrer § 24 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Langheid § 24 Rn. 3; s.a. MüKoBGB/Bieber § 542 Rn. 5 zur Möglichkeit im Mietrecht statt einer fristlosen Kündigung ein späteres Vertragsende zu bestimmen; zum Mietrecht auch Eisenhardt MDR 2002 981, 985, nach dem die Kündigungsfrist („Auslauffrist“) aber deutlich kürzer als die Frist für die ordentliche Kündigung oder die restliche Vertragslaufzeit sein muss. 12 BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 322 f. = NJW 1952 1291, 1293; OLG Düsseldorf 3.4.1962 – 4 U 326/61, VersR 1962 1170, 1170 f.; LG München 14.3.1952 – 13 OH 2/52, VersR 1952 206. 13 Vgl. etwa B3.1.3 Muster-AHB des GDV (Stand 2020, Gemeinsamer Allgemeiner Teil für die Allgemeine Haftpflichtversicherung, die D&O-Versicherung, die Sachversicherung und die Technischen Versicherungen (ohne Projektgeschäft) inkl. Betriebsunterbrechungsversicherungen). 14 LG Berlin 22.1.1959 – 7 S 16/58, VersR 1959 421, 422; BGH 12.9.2012 – IV ZR 258/11, VersR 2012 1375, 1377; Prölss/ Martin/Armbrüster Vor § 11 Rn. 22. 169

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ausreichend sind daher die bloße Leistungsverweigerung oder das Verlangen einer Prämienerhöhung seitens des VR.15 Unschädlich ist hingegen, wenn der VR mit der unbedingt erklärten Kündigung dem VN zugleich ein Angebot auf Abschluss eines neuen Versicherungsvertrags, z.B. mit erhöhter Prämie, unterbreitet.16

3. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit 16 Der Begriff des Vorsatzes bestimmt sich nach allgemeinen Grundsätzen.17 Er ist nicht mit dem Begriff der Vornahme i.S.d. § 23 Abs. 1 gleichzusetzen. Letztere bezeichnet ein Handeln in Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände,18 während der Begriff des Vorsatzes in diesem Zusammenhang die Kenntnis des gefahrerhöhenden Charakters seines Handelns bzw. der Erheblichkeit der Gefahrerhöhung und der fehlenden Einwilligung des VR voraussetzt.19 Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der VN die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht gelassen und Verhaltensregeln missachtet hat, die im konkreten Fall jedem hätten einleuchten müssen.20 Durfte der VN davon ausgehen, der VR habe in die gefahrerhöhenden Umstände eingewil17 ligt, oder konnte der VN auch unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht erkennen, dass seinem Handeln gefahrerhöhender Charakter zukommt,21 liegt kein Verschulden vor.

4. Folgen einer unwirksamen fristlosen Kündigung 18 Hat der VR die fristlose Kündigung erklärt, obwohl dem VN weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen, kommt eine Umdeutung gem. § 140 BGB der nicht wirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung in Betracht. Erforderlich ist, dass vor allem der Wille, den Vertrag zu beenden, für den VN aus der Erklärung zweifelsfrei erkennbar ist.22 Auch wenn sich für den VN aus den Umständen eindeutig ergibt, dass der VR das Vertragsverhältnis in jedem Fall beenden will, ist die Umdeutung einer fristlosen in eine fristgebundene Kündigung möglich.23 Die Gesetzesmaterialien gehen davon aus, dass der VR in Zweifelsfällen „hilfsweise eine 19 fristgerechte Kündigung erklären (kann), um den Verlust seines Kündigungsrechts wegen Ab15 Prölss/Martin/Armbrüster Vor § 11 Rn. 22 und § 21 Rn. 5; Berliner Kommentar/Gruber § 8 Rn. 44. 16 S. bereits RG 27.2.1923 – VII 124/22, RGZ 106 330, 333. 17 Vorsatz ist Wissen und Wollen der objektiven Tatbestandsmerkmale, vgl. statt aller BGH 8.2.1965 – III ZR 170/ 63, NJW 1965 962, 963; MüKoBGB/Grundmann § 276 Rn. 154. 18 S. Kommentierung zu § 23 Rn. 52. 19 OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 841; BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385, 387 = VersR 1968 1153, 1153 f. 20 St.Rspr. BGH 6.6.1966 – II ZR 22/64, VersR 1966 745, 746; BGH 8.2.1989 – IVa ZR 57/88, VersR 1989 582, 583; BGH 18.2.2014 – VI ZR 51/13, VersR 2014 481, 482; s. zur groben Fahrlässigkeit in diesem Band Heiss, § 28 Rn. 199 ff. 21 BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; zu den Anforderungen an den Nachweis der Kenntnis einer Gefahrerhöhung z.B. BGH 15.1.1986 – IVa ZR 30/84, VersR 1986 255, 256 (mangelhafter Zustand der Kfz-Bremsanlage); BGH 18.12.1968 – IV ZR 523/68, VersR 1969 177, 178 (Kenntnis, dass VN Lenkradschloss einbauen lassen musste, und Wissen, dass das Risiko aus dem Versicherungsvertrag für den VR größer wurde, wenn das vorgeschriebene Lenkradschloss nicht eingebaut ist). 22 Vgl. nur BeckOK-BGB/Wendtland § 140 Rn. 5 ff. 23 Vgl. zur Umdeutung einer fristlosen in eine fristgebundene Kündigung eines Arbeitsverhältnisses MüKoBGB/ Henssler § 626 Rn. 398; MüKoBGB/Hesse Vorb. § 620 Rn. 127; Staudinger/Preis § 626 Rn. 259 f.; zur Umdeutung bei einem Mietverhältnis MüKoBGB/Bieber § 542 Rn. 12; Staudinger/Rolfs § 542 Rn. 121; BeckOK-BGB/Wiederhold § 542 Rn. 48; BGH 12.1.1981 – VIII ZR 332/79, NJW 1981 976, 977; BGH 8.9.1997 – II ZR 165/96, NJW 1998 76. Matusche-Beckmann

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laufs der Frist nach Absatz 3 zu vermeiden“.24 Diese unproblematisch bestehende Möglichkeit schließt eine Umdeutung ebenso wenig aus wie der Gesetzeswortlaut. Hätte der Gesetzgeber die Umdeutung ausschließen wollen, hätte er wohl einen klarstellenden Hinweis gegeben. Die Äußerung des Gesetzgebers ist vielmehr so zu verstehen, dass auch das hilfsweise Erklären der fristgerechten Kündigung möglich sein soll. Da es für den VR zumeist mit Schwierigkeiten verbunden ist, den Grad des dem VN anzulastenden Verschuldens ausreichend zu beurteilen und die „richtige“ Kündigung zu wählen, erscheint es nicht zuletzt aus klarstellenden Gründen begrüßenswert, wenn in Zweifelsfällen sogleich hilfsweise die fristgerechte Kündigung erklärt wird. Wenn es aber mangels entsprechender Erklärung auf eine Umdeutung ankommt, liegen deren Voraussetzungen in der Regel vor.25

II. Fristgebundene Kündigung, § 24 Abs. 1 Satz 2 Hat der VN weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt, kommt nur eine an eine einmonatige Frist gebundene Kündigung nach § 24 Abs. 1 Satz 2 in Betracht. Sinn und Zweck der Frist ist es, dem VN zu ermöglichen, vor Beendigung des Versicherungsverhältnisses einen neuen Versicherungsvertrag abzuschließen.26 Wählt der VR eine längere als die gesetzlich vorgesehene Monatsfrist, ist der VN berechtigt, die Kündigung zurückzuweisen; versäumt der VN die Zurückweisung, endet das Versicherungsverhältnis zu dem vom VR genannten Zeitpunkt.27 Mit der Möglichkeit der fristgebundenen Kündigung im Falle einfacher Fahrlässigkeit des VN sanktioniert der Gesetzgeber praktisch auch einfache Fahrlässigkeit im Rahmen von Obliegenheitsverletzungen, wovon er an sich im Zusammenhang mit der Abkehr vom sog. Alles-odernichts-Prinzip28 im Rahmen der VVG-Reform 2008 abgerückt ist. Der Grund, warum dies bei der Gefahrerhöhung anders gehandhabt wird, ist, dass es sich bei einer Gefahrerhöhung um eine Situation handelt, die regelmäßig zu einer dauerhaft den VR belastenden Störung des Äquivalenzverhältnisses führt.29 Einfache (auch leichte oder gewöhnliche)30 Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der VN die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, ohne dass ihm ein besonders schwerer Vorwurf zur Last fällt.31 Von einem Verstoß gegen das Sorgfaltsgebot im Sinne eines fahrlässigen Handelns ist auszugehen, wenn nach einem objektivierten Beurteilungsmaßstab der Handelnde in seiner konkreten Lage den drohenden rechtswidrigen Erfolg seines Verhaltens voraussehen und ihn vermeiden konnte.32 I.d.R. wird dies bereits dann gegeben sein, wenn der VN die Gefahrerhöhung i.S.v. § 23 Abs. 1 vorgenommen oder gestattet hat, also in Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände gehandelt hat. Der VN handelt aber auch dann fahrlässig im Hinblick auf die Gefahrerhöhung, wenn er die gefahrerhöhenden Umstände fahrlässig nicht als solche erkennt.33

24 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67; vgl. auch BeckOK/Staudinger/Ruks § 24 Rn. 13. 25 So auch Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 24 Rn. 21; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 24 Rn. 7; Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 23; Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 3; a.A. OLG Köln 25.10.1990 – 5 U 85/90, RuS 1990 421, 422; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 37. 26 S. bereits oben Rn. 6. 27 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 9. 28 RegE BT-Drucks. 16/3945 S. 49. 29 RegE BT-Drucks. 16/3945 S. 67; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 24 Rn. 3. 30 BeckOK-BGB/Hau/Poseck § 276 Rn. 19. 31 Staudinger/Caspers § 276 Rn. 29; juris-PK/Seichter § 276 Rn. 8. 32 BGH 21.5.1996 – VI ZR 161/95, NJW-RR 1996 981, 981; Erman/Ulber § 276 Rn. 14 f. 33 BGH 21.1.1963 – II ZR 125/6, VersR 1963 349, 349 f.; BGH 18.12.1968 – IV ZR  523/68, NJW 1969 464, 465; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 37a. 171

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Eine schuldhafte Verletzung der sog. Gefahrstandspflicht kann indes mangels Erkennbarkeit abzulehnen sein, wenn der VN beispielsweise auf die Einschätzung eines Dritten mit besonderer Expertise vertraute. Als Beispiel wird insoweit oft eine Entscheidung des BGH aus den 1960er Jahren herangezogen. Hier verneinte der BGH das Verschulden des VN in einem Fall, in dem dem VN vom TÜV wegen festgestellter Mängel an der Bremsanlage seines Kfz zwar die Prüfplakette nicht erteilt worden war, ihm aber weder die weitere Benutzung untersagt noch für die Beseitigung der Mängel eine Frist gesetzt worden war, und er das Fahrzeug weiterbenutzte.34 Die Entscheidung erscheint jedenfalls diskutabel: Dem VN, dem die TÜV-Plakette wegen nicht funktionstüchtiger Bremsen nicht erteilt worden ist, müsste der Mangel an sich deutlich genug vor Augen geführt sein.35 Abgesehen von diesem Fall kann ein Verschulden auch abzulehnen sein in Fällen, in denen der VN berechtigterweise darauf vertraut, dass er durch wirksame Gegenmaßnahmen eine vollständige Gefahrkompensation geschaffen hat36 sowie in Konstellationen, in denen der VN berechtigterweise davon ausgehen darf, dass eine Einwilligung des VR vorliegt.37 Das Kündigungsrecht des VR besteht nicht, wenn der VN nachweisen kann,38 dass ihn kein Verschulden an der Gefahrerhöhung trifft und auch die Voraussetzungen der Kündigung nach § 24 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 2, Abs. 3 nicht vorliegen.39 Damit hält der Gesetzgeber den VR am Vertrag fest, obwohl das Äquivalenzverhältnis zwischen Prämie und übernommenem Risiko sich zu Lasten des VR verschoben hat.40 Es ergibt sich der Wertungswiderspruch, dass § 24 Abs. 2 – selbst für den Fall einer objektiven Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 3), auf die der VN keinerlei Einwirkungsmöglichkeit hat – eine Kündigung auch ohne Verschulden des VN vorsieht, während derjenige, der – wenn auch schuldlos,41 so doch immerhin durch eigenes Handeln – gegen § 23 Abs. 1 verstößt, keinem Kündigungsrecht des VR ausgesetzt ist. Umgekehrt gesprochen steht der VR bei einem schuldlosen Verstoß des VN gegen § 23 Abs. 1 schlechter als in den Fällen des Abs. 2, die ohnehin kein Verschulden erfordern.42 Das erscheint ungereimt. Insbesondere auch in Fällen, in denen der VN im Zustand der Schuldunfähigkeit eine Gefahrerhöhung vornimmt, wäre dem VR die Kündigungsmöglichkeit nicht eröffnet – aber sobald der VN später die von ihm vorgenommene Gefahrerhöhung erkennt, soll ihm die fristgebundene Kündigung möglich sein.43 Die gesetzliche Regelung ließe sich allenfalls mit der Überlegung rechtfertigen, dass ein VN, den trotz Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände kein Verschulden an der Gefahrerhöhung trifft, im Falle einer bestehenden Schuldunfähigkeit so lange geschützt sein soll, wie er aus diesem Grund auch an einer Anzeige gehindert ist.44 Dann aber müsste er in dem Zeitpunkt, zu dem er wieder schuldfähig ist, jedenfalls analog § 23 Abs. 2 unverzüglich eine Anzeige gegenüber dem VR erstatten, so dass ab diesem Zeitpunkt § 24 Abs. 2 analog zur Anwendung gelangt.45 34 BGH 20.12.1974 – IV ZR 171/73, VersR 1975 366, 367 f.; vgl. auch OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 9 64/19, VersR 2020 840, 842; OLG Nürnberg 22.4.1999 – 8 U 4173/98, VersR 2000 46, 47; LG Hamburg 18.2.1975 – 1 O 155/74, VersR 1975 509, 510 (Brandschau durch Berufsfeuerwehr). 35 Skeptisch auch Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 10; Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 2. 36 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 10. 37 OLG Hamm 27.6.1975 – 20 U 372/74, VersR 1976 257, 258. 38 Zur Beweislast s. Rn. 57 ff. 39 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67. 40 S. bereits oben Rn. 10. 41 Was nur in sehr seltenen Fällen möglich ist, vgl. BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385, 390 = VersR 1968 1153, 1153 f.; BGH 27.1.1999 – IV ZR 315/97, VersR 1999 484, 484 f.; Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 8. 42 Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 9; Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 4. 43 Beispiel nach Armbrüster RuS 2013 209, 214; Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 5. 44 Prölss/Martin/Prölss28 § 24 Rn. 4; Armbrüster RuS 2013 209, 214. 45 Prölss/Martin/Prölss28 § 24 Rn. 4; Armbrüster RuS 2013 209, 214; Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 12; Unberath NZV 2008 537, 539; Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 24 Rn. 14. Matusche-Beckmann

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Abgesehen von diesem eher seltenen Fall, in dem sich die gesetzliche Regelung noch mit 30 der besonderen Schutzbedürftigkeit des schuldlos Handelnden rechtfertigen lässt, bei dem aber gleichsam auf dogmatischem Wege regelmäßig § 24 Abs. 2 analog angewandt werden kann, soll § 24 dem Umstand Rechnung tragen, dass eine Störung des Äquivalenzverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung eingetreten ist. Diese Störung hängt aber nicht davon ab, ob sie vom VN schuldhaft oder schuldlos herbeigeführt wurde.46 Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, auf den Fall des VN, der ohne Verschulden die sog. Gefahrstandspflicht des § 23 Abs. 1 verletzt, § 24 Abs. 2 analog anzuwenden.47

III. Kündigung bei nachträglich erkannter subjektiver und objektiver Gefahrerhöhung, § 24 Abs. 2 Ein Kündigungsrecht mit einer Frist von einem Monat steht dem VR auch im Falle einer nachträglich erkannten subjektiven Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 2) oder einer objektiven Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 3) zu. Unterschiedlich beurteilt wird, ob das Kündigungsrecht nach Absatz 2 jeweils auch eine Verletzung der Anzeigepflicht voraussetzt48 oder ob das Vorliegen einer Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 2 oder 3 als Grundlage für die Kündigung ausreicht.49 Weder der Wortlaut des § 24 Abs. 2 noch die Gesetzesmaterialien bieten insoweit eine zweifelsfreie Auslegungsgrundlage.50 Der Wortlaut könnte zwar ein Argument dafür sein, allein auf das objektive Vorliegen einer Gefahrerhöhung abzustellen, weil § 24 Abs. 2 als Voraussetzung für das Kündigungsrecht allein von den „Fällen einer Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 2 und 3“ spricht.51 Andererseits verlangen ja gerade die in Bezug genommenen § 23 Abs. 2 und 3 dem VN die unverzügliche Anzeige ab, so dass der Verweis in § 24 Abs. 2 einen solchen auf die Verletzung der Anzeigepflicht einschließen könnte. Auch die Gesetzesmaterialien ergeben zu dieser Frage eher ein diffuses Bild:52 Einerseits spricht die Gesetzesbegründung zu § 24 Abs. 1 von „Fällen der Pflichtverletzung nach § 23 Abs. 2 und 3“.53 Unterstützt wird diese Sichtweise von der Begründung des Kommissionsentwurfs, wo auf „Verstöße gegen die Anzeigepflicht nach § 25 Abs. 2 und Abs. 3“ verwiesen wird.54 Andererseits wird in den Gesetzesmaterialien ausgeführt, dass dem VR im Falle einer Gefahrer-

46 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 12. 47 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 12; Langheid/Wandt/Reusch § 23 Rn. 9; Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 6; Kortüm 52 f.; a.A.: Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 37a, wonach es bereits an einer Regelungslücke fehle, so dass eine Analogie methodologisch nicht in Betracht komme. 48 Staudinger/Friesen DAR 2014 184, 186; BeckOK/Marlow/Spuhl § 24 Rn. 18; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 24 Rn. 4; Langheid/Wandt/Wrabetz/Reusch1 § 24 Rn. 11. 49 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 13; Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 10; Langheid/Rixecker/ Langheid § 24 Rn. 5; Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 13 ff., 15; Wandt Rn. 875 f.; Looschelders/Weckmann VersR 2010 1446, 1447; Armbrüster RuS 2013 209, 214; Unberath NZV 2008 537, 539; Reinhardt 128 ff.; nicht ganz deutlich Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 24 Rn. 9 ff. 50 So auch Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 13. 51 So auch Wandt Rn. 876. 52 Vgl. hierzu ausführlich Staudinger/Friesen DAR 2014 184, 185 f.; Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 13 ff. 53 „Bei einfacher Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers hat der Versicherer dagegen wie in den vergleichbaren Fällen der Pflichtverletzung nach § 23 Abs. 2 und 3 VVG-E eine Kündigungsfrist von einem Monat einzuhalten“, RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67; so auch Staudinger/Friesen DAR 2014 184, 186. 54 „Bei einfach fahrlässigem Verstoß gegen diese Verpflichtung und bei Verstößen gegen die Anzeigepflicht nach § 25 Abs. 2 und 3 VVG-E besteht zwar auch ein außerordentliches Kündigungsrecht, aber der Versicherer hat eine Kündigungsfrist von einem Monat einzuhalten“, Begründung des Kommissionsentwurfs, S. 41. 173

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höhung grundsätzlich ein Kündigungsrecht zustehen soll.55 Dies entspricht übrigens auch der früheren Rechtslage, nach der § 27 Abs. 1 VVG a.F. für das Kündigungsrecht des VR gerade keinen Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach § 27 Abs. 2 VVG a.F. durch den VN erforderte, sondern das Vorliegen einer Gefahrerhöhung ausreichen ließ; dahinter stand schon nach früherem Recht die Überlegung, dass der VR nicht dauerhaft mit einer erhöhten Gefahrenlage belastet bleiben solle.56 Dass der Gesetzgeber dies ändern wollte, ist nicht ersichtlich. 35 Die besseren Argumente sprechen dafür, dass § 24 Abs. 2 nach seinem Sinn und Zweck nicht ein Kündigungsrecht wegen der Verletzung von Anzeigepflichten begründen soll, sondern das Kündigungsrecht allein an den Fall einer nach § 23 Abs. 2 oder 3 anzuzeigenden Gefahrerhöhung knüpft. Denn die Gefahrerhöhungsvorschriften der §§ 23 ff. zielen darauf ab, bei einer nachträglichen Änderung der dem Versicherungsvertrag zugrunde gelegten Gefahrenlage zu Lasten des VR diesem die Möglichkeit einzuräumen, auf das entstandene Missverhältnis zwischen Prämie und Gefahr entweder durch Kündigung (§ 24) oder Vertragsanpassung (§ 25) reagieren zu können. Da für den VR schon aus tatsächlichen Gründen Gefahrerhöhungen in der Sphäre des VN nicht ersichtlich sind, bedarf es – damit er überhaupt von seinen Rechten Gebrauch machen kann – letztlich der Anzeigepflichten der § 23 Abs. 2 und 3 als eines Vehikels zur Kenntnisverschaffung. Bei einer Störung des Äquivalenzverhältnisses spielt es demgegenüber eine untergeordnete Rolle, ob der VN die Anzeigepflicht ordnungsgemäß erfüllt oder schuldhaft bzw. nicht schuldhaft verletzt hat; er muss auf jede Gefahrerhöhung, die ja wegen § 27 ohnehin nicht unerheblich sein kann, mit Kündigung oder Vertragsanpassung reagieren können. Würde man hingegen umgekehrt die Ausübung der Rechte des VR im Fall von Gefahrerhöhungen auf die Fälle einer (schuldhaften) Verletzung der Anzeigeobliegenheit beschränken, könnte der VR diese Rechte im Falle einer ordnungsgemäßen Anzeige ja praktisch nicht mehr ausüben.57 Insgesamt erscheint es daher vorzugswürdig, für die Kündigung nach § 24 Abs. 2 eine Verletzung der Anzeigepflichten der § 23 Abs. 2 und 3 nicht zu verlangen.58

IV. Erlöschen des Kündigungsrechts nach § 24 Abs. 3 36 Das Kündigungsrecht des VR nach den § 24 Abs. 2 und 3 erlischt, wenn es nicht innerhalb eines Monats ab der Kenntnis des VR von der Erhöhung der Gefahr ausgeübt wird oder wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat.

1. Ausschluss nach § 24 Abs. 3, 1. Alt. 37 a) Fristbeginn. Das Recht des VR zur fristlosen und fristgebundenen Kündigung des Versicherungsvertrags unterliegt der Ausschlussfrist gem. § 24 Abs. 3, 1. Alt. zeitlich befristet. Zum Zwecke der Rechtssicherheit und des Schutzes des VN muss der VR das Kündigungsrecht innerhalb eines Monats ab Kenntnis von der Gefahrerhöhung ausüben.59 Die Fristberechnung bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, insbesondere nach den §§ 187 ff. BGB. Die materielle Ausschlussfrist des § 24 Abs. 3 beginnt mit der Kenntnis des VR 55 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 56 Zu § 27 VVG a.F. Bruck/Möller/Möller8 § 27 Anm. 6; s. auch Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 13; Wandt Rn. 876. 57 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 13; ähnlich Wandt Rn. 876; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 24 Rn. 10. 58 Wandt Rn. 876 erachtet zwar auch das Vorliegen einer Anzeigepflichtverletzung für nicht notwendig; er beklagt indes, dass im Falle einer vom VN nicht herbeigeführten Gefahrerhöhung die Einräumung eines Kündigungsrechts rechtspolitisch nicht opportun sei; vgl. auch Staudinger/Friesen, DAR 2014 184, 186. 59 S. bereits die Motive zum VVG Nachdruck 1963 S. 98. Matusche-Beckmann

174

B. Kommentierung

VVG § 24

vom Vorliegen der Gefahrerhöhung; die Kenntnis über ein mögliches Verschulden des VN oder seines Vertreters ist nicht erforderlich.60 Im Falle mehrerer VR muss jeder von ihnen die Kenntnis vom Vorliegen der Gefahrerhöhung haben, sofern nicht einem VR eine Führungsposition gegenüber den anderen zukommt.61

b) Kenntnis des Versicherers. Kenntnis des VR liegt vor, wenn er zuverlässig von der Gefahr- 38 erhöhung weiß.62 Erforderlich ist somit positive Kenntnis, während fahrlässige Unkenntnis nicht schadet.63 So ist eine Kenntnis zu verneinen, wenn der VR zwar Umstände kennt, aus denen sich möglicherweise eine Gefahrerhöhung ergeben könnte, wenn noch nicht sicher ist, ob auch tatsächlich eine Gefahrerhöhung eintreten wird bzw. eingetreten ist. Kommt jedoch aufgrund der dem VR bekannten Tatsachen eine Kündigung infolge Gefahrerhöhung ernsthaft in Betracht, kann der VR den Beginn der kurzen Kündigungsfrist nicht dadurch unterlaufen, dass er trotz des objektiven Anlasses weitere, ihm lediglich abschließende Klarheit über seine Kündigungsberechtigung verschaffende Rückfragen zunächst unterlässt oder zurückstellt.64 Der Fristlauf beginnt dann in dem Zeitpunkt, in dem der VR Antwort auf seine Rückfrage und damit Klarheit über sein Kündigungsrecht hätte erhalten können. Grundsätzlich ist dem VR freilich eine angemessene Zeit für Rückfragen zu belassen; auch sind übliche Rücklaufzeiten für die Antwort des VN in die Beurteilung einzubeziehen.65 39 Eine arglistige Unkenntnis steht der positiven Kenntnis gleich.66 Erfährt in einem größeren VR-Unternehmen eine untergeordnete Stelle, ein für den betroffe- 40 nen Versicherungszweig nicht zuständiger Mitarbeiter, ein Mitarbeiter im Außendienst oder ein Mitarbeiter einer Niederlassung von den maßgeblichen Tatsachen, beurteilt sich die Kenntnis des VR nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung.67 Unzweifelhaft ist die Zurechnung des Wissens solcher Personen, die bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis nehmen sowie weiterleiten.68 Zurechenbar ist weiter das Wissen, das bei sachgerechter Organisation und nach der Verkehrsanschauung typischerweise dokumentiert und aktenmäßig erfasst wird.69 Wird die Pflicht zur ordnungsgemäßen Kommunikation und zum sachgerechten Informationsaustausch verletzt, muss sich das Unternehmen so behandeln lassen, als habe es von der Information Kenntnis gehabt.70 Der

60 Berliner Kommentar/Harrer § 24 Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 21. 61 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 21 Rn. 7. 62 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 39; Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 18; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 24 Rn. 5.

63 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 24 Rn. 5. 64 BGH 20.9.1989 – IVa ZR 107/88, BGHZ 108 326, 328 f. = VersR 1989 1249, 1250; BGH 28.11.1990 – IV ZR 219/89, VersR 1991 170, 172; BGH 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486, 1487 f.

65 BGH 20.9.1989 – IVa ZR 107/88, BGHZ 108 326, 329 = VersR 1989 1249, 1250; BGH 28.11.1990 – IV ZR 219/89, VersR 1991 170, 172; BGH 20.9.2000 – IV ZR 203/99, VersR 2000 1486, 1487 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 22; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 39. 66 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 24 Rn. 5. 67 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 40. 68 BGH 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109 327, 329 = VersR 1990 278, 279; BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132 30, 35 = VersR 1996 628, 629; BGH 26.5.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020 2534, 2535; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Hahn § 20 Rn. 40. 69 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132 30, 32 = VersR 1996 628, 629; BGH 13.10.2000 – V ZR 349/99, NJW 2001 359, 360; Langheid/Wandt/Schubert § 166 Rn. 9. 70 BGH 27.3.2001 – VI ZR 12/00, NJW 2001 2535, 2536; BGH 26.5.2020 – VI ZR 186/17, VersR 2020 1109, 1111; MüKoBGB/Schubert § 166 Rn. 9. 175

Matusche-Beckmann

§ 24 VVG

Kündigung wegen Gefahrerhöhung

Kreis der entscheidenden Wissensträger ist weit zu fassen, so dass beispielsweise auch die Kenntnis des an sich unzuständigen Sachbearbeiters zuzurechnen ist.71 41 Darüber hinaus ist dem VR die Kenntnis eines Versicherungsvertreters gem. § 70 zuzurechnen. Für den Fall, dass ein Versicherungsvertreter für mehrere VR eines Konzerns tätig ist, mit denen der VN jeweils Verträge unterhält, ist allen betroffenen VR die Kenntnis des Vertreters von maßgeblichen Umständen zuzurechnen.72

42 c) Wirkung und Beweislast. Nach Ablauf der Monatsfrist erlischt das Kündigungsrecht des VR. Die Beweislast für die Kenntnis des VR trägt der VN.73 43

2. Wiederherstellung des ursprünglichen Gefahrzustandes nach § 24 Abs. 3, 2. Alt. 44 a) Grundlagen. Das Kündigungsrecht des VR erlischt gem. § 24 Abs. 3, 2. Alt., wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung beim VN darf der Zustand nicht wie45 derhergestellt sein, der vor Erhöhung der Risikolage bestand. Bei der Frage, wann der Zustand im Sinne der Vorschrift wiederhergestellt ist, der vor der 46 Gefahrerhöhung bestanden hat, wird zum Teil darauf abgestellt, dass § 24 Abs. 3 nur den Fall betrifft, dass der ursprüngliche Zustand vor Gefahrerhöhung wiederhergestellt sein muss.74 Wie oben bereits ausgeführt,75 erscheint dies aber nicht überzeugend. Die besseren Argumente sprechen dafür, dass es auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Gefahrenniveaus und damit darauf ankommt, dass von der Gefahrerhöhung keine negativen Folgen mehr zu befürchten sind.76 M.a.W. liegt eine Wiederherstellung des früheren Zustandes vor, wenn die gegebene Gefahrenlage auch zukünftig keine ungünstigere ist als die, die der VR übernommen hat.77 Eine Wiederherstellung des früheren Gefahrenniveaus ist durch Beseitigung der gefahrerhö47 henden Umstände, aber auch durch entsprechende Maßnahmen der Gefahrkompensation möglich.78 Eine Wiederherstellung des ursprünglichen Gefahrenniveaus ist aber z.B. nicht eingetreten, wenn ein Landwirt das versicherte Tier an einem verseuchten Ort untergestellt hatte und dann das Tier von dort wieder entfernt; die Gefahrerhöhung ist hier erst nach Ablauf der Inkubationszeit der entsprechenden Krankheit beseitigt.79 Andererseits ist eine gefahrkompensierende Maßnahme bspw. dann anzunehmen, wenn ein Geschäftsgebäude, an dem ein Baugerüst aufgestellt wurde, während der Nachtstunden bewacht wird.80 71 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 40; vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 25 und Bohrer DNotZ 1991 122, 125 ff. zum allgemeinen Zivilrecht; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 21 Rn. 2. 72 OLG Oldenburg 16.3.1994 – 2 U 203/93, VersR 1995 157, 158; OLG Frankfurt 8.8.2001 – 7 U 74/00, VersR 2002 599, 600. 73 Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 25; Langheid/Rixecker/Langheid § 24 Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 28. Zur Beweislast s. auch Rn. 57 f. 74 Honsell VersR 1981 1094 1096; noch anders als hier auch in der Vorauflage, vgl. Bruck/Möller/Matusche-Beckmann9 § 23 Rn. 9. 75 Dieses Problem wird näher behandelt oben unter § 23 Rn. 22. 76 Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 11; Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 34 ff; Martin SVR N III Rn. 17. 77 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 5; Berliner Kommentar/Harrer § 24 Rn. 3. 78 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 41; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 34; a.A. Honsell VersR 1981 1094, 1096. 79 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 5. 80 BGH 9.7.1975 – IV ZR 95/73, VersR 1975 845, 847. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

VVG § 24

Bis zum Abschluss der Wiederherstellung des ursprünglichen Gefahrenniveaus bleibt die 48 Kündigung zulässig.81

b) Wiederherstellung der ursprünglichen Gefahrenlage nach wirksamer Kündigung. 49 Probleme ergeben sich, wenn die Wiederherstellung der ursprünglichen Risikolage erst nach Zugang der erklärten Kündigung eintritt. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht soll eine Wiederherstellung der ursprüngli- 50 chen Risikolage innerhalb der Monatsfrist nach Absatz 3 die Kündigungswirkungen beseitigen.82 Als Argument lässt sich anführen, dass das Gesetz in § 38 Abs. 3 Satz 3 – also im Fall des Verzugs mit einer Folgeprämie – dem VN ebenfalls die Möglichkeit gibt, durch Zahlung – also Beseitigung des Zustandes des Verzugs – die Wirkungen der Kündigung abzuwenden.83 Für diese Ansicht streitet auch die Überlegung, dass das schützenswerte Interesse des VR an der Kündigung wegfällt, sobald das Äquivalenzverhältnis zwischen Gefahrenübernahme und Prämie wiederhergestellt ist.84 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Kündigung um ein Gestaltungs- 51 recht handelt, das mit dem Zugang der Erklärung wirksam wird. Ein Gestaltungsrecht ist aus Gründen der Rechtssicherheit aber grundsätzlich bedingungsfeindlich. Würde man aber eine Beseitigung der Kündigungswirkungen durch eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes durch den VN anerkennen, hieße dies nichts anderes, als dass die Kündigung unter die auflösende Bedingung einer Wiederherstellung der ursprünglichen Risikolage gestellt würde. Dies kann schon aus rechtsdogmatischen Gründen nicht überzeugen. Das Argument, dass auch im Falle des Folgeprämienverzugs die Möglichkeit der Beseiti- 52 gung der Kündigungswirkungen existiert, hinkt in zweierlei Hinsicht: Zum einen hat der Gesetzgeber diese spezielle Möglichkeit in § 38 Abs. 3 Satz 3 – gerade anders als in § 24 Abs. 3 – explizit ausgesprochen. Noch gravierender erscheint aber das Argument, dass die tatsächliche Situation des § 38 Abs. 3 Satz 3 nicht mit der in § 24 Abs. 3, 2. Alt. geregelten Konstellation vergleichbar ist. Denn im Rahmen des § 38 Abs. 3 Satz 3 lässt sich auf einen Blick klar feststellen, ob die Zahlung geleistet ist, die die Kündigung unwirksam macht. Die Frage hingegen, ob nach Gefahrerhöhung das ursprüngliche Gefahrenniveau wiederhergestellt ist, birgt angesichts der vielfältigsten versicherten Risiken und der verschiedensten Möglichkeiten der Wiederherstellung des Gefahrenniveaus, z.B. auch durch gefahrkompensierende Maßnahmen, gravierende Unsicherheiten. Hier wäre mit Blick auf die Rechtssicherheit für eine Vielzahl von Fällen ein unerträglicher Schwebezustand vorprogrammiert, weil unklar wäre, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht. Insgesamt erscheint daher die Ansicht überzeugender, dass eine einmal wirksam gewordene Kündigung nicht durch Herstellung des ursprünglichen Gefahrenniveaus wieder unwirksam wird.85

81 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 5. 82 Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 11; ders. NZM 2021 12, 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 41; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 24 Rn. 18; Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 24 Rn. 22; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Karczewski § 24 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 16; Langheid/Wandt/ Reusch § 24 Rn. 20. 83 Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 11. 84 Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 20, der sich im Ergebnis jedoch im Interesse der Rechtssicherheit ebenfalls für ein Festhalten am Wirksamwerden der Kündigung ausspricht. 85 Ebenso Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 20; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 24 Rn. 18; Staudinger/ Halm/Wendt/Segger/Degen § 24 Rn. 22, Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 24 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 24 Rn. 16; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 41. 177

Matusche-Beckmann

§ 24 VVG

53

Kündigung wegen Gefahrerhöhung

Allerdings kann im Einzelfall eine Kündigung des VR nach § 242 BGB treuwidrig sein, wenn im Zeitpunkt der Kündigungserklärung bereits erkennbar ist, dass innerhalb der Monatsfrist der ursprüngliche Gefahrenzustand wiederhergestellt sein wird.86

V. Rechtsfolgen der Kündigung 54 Infolge der Kündigung wird das Versicherungsverhältnis mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) aufgelöst. Im Falle der fristlosen Kündigung endet der Versicherungsschutz sofort, ansonsten mit Ablauf der Monatsfrist. Will der VR hingegen für die Vergangenheit leistungsfrei sein, muss er sich auf § 26 berufen.87 Wird das Versicherungsverhältnis vor Ablauf einer Versicherungsperiode beendet, so steht dem VR entsprechend § 39 Abs. 1 nur ein Teil der Prämie zu.

VI. Abweichende Vereinbarungen 55 § 24 ist nach § 32 halbzwingend. Damit ist eine Vereinbarung, wonach im Falle einer Gefahrerhöhung generell ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt werden kann oder die eine Verlängerung der Ausschlussfrist zum Inhalt hat, nicht zulässig.88 Ein vertraglicher Verzicht des VR auf sein Kündigungsrecht nach § 24 ist wirksam.89 Unter Geltung des früheren Rechts wurde auch die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts we56 gen schuldhafter Verletzung der Verpflichtung zur Anzeige einer Gefahrerhöhung als wirksam angesehen90 und angenommen, dass dessen Ausübung auch der Verzicht auf das Kündigungsrecht nicht entgegensteht.91 Dies erscheint heute problematisch, doch sehen die heute verwendeten Musterbedingungen – soweit ersichtlich – diese Möglichkeit auch nicht vor, sondern geben meist nur den Gesetzestext wieder.92 Abweichungen müssen im Einzelfall stets an § 32 und den §§ 305 ff. BGB gemessen werden.

C. Darlegungs- und Beweislast 57 Der VR hat das Vorliegen einer Gefahrerhöhung darzulegen und zu beweisen. Auch ist er für das Vorliegen einer wirksamen Kündigungserklärung und ihren Zugang beim VN darlegungsund beweisbelastet.93 Den VN hingegen trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat sowie hinsichtlich des Tatbestandes des § 24 Abs. 3.94 Bestehen seitens des VR Zweifel, ob der VN grob fahrlässig gehandelt hat oder ihm lediglich 58 einfache Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, kann er die fristlose Kündigung und hilfsweise eine fristgebundene Kündigung aussprechen; geschieht dies nicht, kommt eine Umdeutung gem. § 140 BGB in Betracht.95 86 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 3; zustimmend Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 20; Looschelders/Pohlmann/ Looschelders § 24 Rn. 16. 87 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 3. 88 Vgl. zu § 34a a.F. BGH 12.9.2012 – IV ZR 171/11, VersR 2012 1506, 1509; BeckOK/Marlow/Spuhl § 24 Rn. 30. 89 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 15. 90 BGH 10.1.1951 – II ZR 21/50, NJW 1951 231, 232. 91 Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 15. 92 S. Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 26. 93 Langheid/Wandt/Reusch § 24 Rn. 24 f. 94 Vgl. RegE (2006) S. 169; RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67; Prölss/Martin/Armbrüster § 24 Rn. 12; Bruck/Möller/Möller8 § 24 I Anm. 5. 95 S. dazu bereits oben Rn. 18 ff. Matusche-Beckmann

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§ 25 Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung (1)

1

Der Versicherer kann an Stelle einer Kündigung ab dem Zeitpunkt der Gefahrerhöhung eine seinen Geschäftsgrundsätzen für diese höhere Gefahr entsprechende Prämie verlangen oder die Absicherung der höheren Gefahr ausschließen. 2Für das Erlöschen dieses Rechtes gilt § 24 Abs. 3 entsprechend. (2) 1Erhöht sich die Prämie als Folge der Gefahrerhöhung um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Absicherung der höheren Gefahr aus, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. 2Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer in der Mitteilung auf dieses Recht hinzuweisen.

Schrifttum Siehe die Angaben vor Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27.

Übersicht 1

b)

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Grundlagen

B.

Kommentierung

I.

Prämienanpassung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1, 11 1. Alt. 11 Grundlagen 14 Die Prämienanpassung a) Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Prämi15 enanpassung

1. 2.

1

19

Mitteilungspflichten des VN

II.

Risikoausschluss gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1, 2. 21 Alt.

III.

Das Kündigungsrecht des VN, § 25 26 Abs. 2

IV.

Abweichende Vereinbarungen

C.

Regelung in AVB

D.

Darlegungs- und Beweislast

6 11

29

30 32

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 25 gewährt dem VR das Recht, an Stelle der Kündigung nach § 24 ab dem Zeitpunkt der Gefahr- 1 erhöhung eine höhere Prämie zu verlangen oder die Absicherung der höheren Gefahr auszuschließen. Eine entsprechende Vorschrift beinhaltete das vor der VVG-Reform 2008 geltende VVG 2 nicht; dort eröffnete das Gesetz dem VR allein die Kündigungsmöglichkeit, so dass sich viele VR in den AVB ein Recht zur Prämienanpassung bei Gefahrerhöhung vorbehielten. Die Wirksamkeit solcher Prämienanpassungsklauseln wurde mit Blick auf § 34a a.F., der dem Vorgänger des heutigen § 32 entspricht, kontrovers diskutiert.1 1 Maßgeblich war dabei die Frage, ob der VN durch die Möglichkeit einer Prämienanpassung seitens des VR im Vergleich zur gesetzlichen Regelung benachteiligt werde. Zur Beantwortung dieser Frage wurde teilweise zwischen subjektiver und objektiver Gefahrerhöhung differenziert, s. Prölss/Martin/Prölss27 § 27 Rn. 3. Die h.M. ging von einer Zulässigkeit der Prämienerhöhung aus; s. dazu Römer/Langheid2 §§ 23 bis 25 Rn. 41; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn2 § 20 Rn. 55; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 67. 179 https://doi.org/10.1515/9783110522624-008

Matusche-Beckmann

§ 25 VVG

Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung

Der Gesetzgeber hat sich in § 25 Abs. 1 für die Prämienanpassungsmöglichkeit entschieden und gibt dem VR alternativ die Möglichkeit, das höhere Risiko vom Versicherungsschutz auszuschließen. Soweit der VR in den AVB eine den Vorgaben des § 25 Abs. 1 entsprechende AVBBestimmung vorsieht, bestehen gegen die Wirksamkeit keine rechtlichen Bedenken.2 Die Regelung in § 25 Abs. 1 erscheint auch für beide Vertragsparteien sinnvoll, da am beste4 henden Vertrag festgehalten wird: Der Vertrag bleibt für das ursprünglich versicherte Risiko bestehen – und der VR erhält grundsätzlich zwei Handlungsalternativen für den Umgang mit der neuen Situation der Gefahrerhöhung.3 Man könnte hierin gewissermaßen auch die Abkehr von einem Alles-oder-nichts-Prinzip 5 des früheren Rechts sehen, da seinerzeit nur die Kündigung des Vertrags in Betracht kam. Nunmehr bestehen aber verschiedene Möglichkeiten, mit der veränderten Risikolage umzugehen. Diese Flexibilisierung des Rechtsfolgensystems bei Gefahrerhöhung ist uneingeschränkt zu begrüßen. 3

II. Grundlagen 6 Bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 24 eröffnet § 25 Abs. 1 Satz 1 dem VR die Wahl,4 stattdessen eine der höheren Gefahr entsprechende Prämie zu verlangen (1. Alt.) oder die Absicherung der höheren Gefahr auszuschließen (2. Alt.). Im Falle der 1. Alt. ist die zu erhebende Prämie nach den für die höhere Gefahr maßgebli7 chen Geschäftsgrundsätzen des Versicherers zu bemessen.5 Unter den Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 wird dem VN entsprechend das Recht eingeräumt, sich im Falle einer Prämienerhöhung um mehr als 10 % oder eines nachträglichen Risikoausschlusses innerhalb eines Monats durch fristlose Kündigung von dem Versicherungsverhältnis zu lösen. Durch das Vertragsanpassungsrecht wird die Gleichartigkeit der §§ 23 ff. mit der im Bürgerli8 chen Recht normierten Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB besonders deutlich, wenngleich grundsätzlich dem VR nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ein uneingeschränktes Wahlrecht zusteht, unabhängig davon, ob die Anpassung für den VN zumutbar ist;6 dies wird freilich durch die mit § 25 Abs. 2 gegebene Möglichkeit wieder ausbalanciert, durch fristlose Kündigung des Vertrags das erhöhte Risiko anderweitig günstiger zu versichern oder auf eine entsprechende Absicherung ganz zu verzichten.7 Der Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 stellt klar, dass die Vertragsanpassungsmöglichkeiten 9 „an Stelle einer Kündigung“ nach § 24 treten. Entscheidet der VR sich also für die Prämienanpassung, verzichtet er zugleich auf das Kündigungsrecht nach § 24. Der VR kann die Vertragsanpassung durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung 10 ausüben; es handelt sich um ein Gestaltungsrecht.8

2 Für entsprechende Prämienanpassungsklauseln Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 10. 3 Zu weiteren Handlungsalternativen im Wege der teleologischen Modifikation der Rechtsfolgen s. Rn. 15 ff., 21 ff. 4 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68; Langheid/Wandt/Reusch § 25 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Langheid § 25 Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 1. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. So auch Langheid/Wandt/Reusch § 25 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 25 Rn. 1. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68; Martin SVR N IV Rn. 3. Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 25 Rn. 2; Prölss/Martin/Prölss § 27 Rn. 3.

5 6 7 8

Matusche-Beckmann

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VVG § 25

B. Kommentierung

B. Kommentierung I. Prämienanpassung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. 1. Grundlagen Die Möglichkeit einer Prämienanpassung stellt nicht etwa eine „Strafe“ für eine Gefahrerhöhung 11 nach § 23 dar. Vielmehr soll die erhöhte Prämie das ursprünglich bestehende Äquivalenzverhältnis zwischen Prämienzahlung und Versicherungsschutz wiederherstellen; sie ist daher nichts anderes als die Gegenleistung des VN für die Übernahme eines höheren Risikos.9 Damit ist die Prämienanpassung an die veränderte Gefahrenlage an sich eine selbstverständliche und sachgemäße Reaktion auf die Gefahrerhöhung.10 Schon soweit unter Geltung des früheren Rechts in AVB eine Prämienanpassung vertraglich 12 vereinbart wurde, sah die h.M. darin zu Recht auch keine unangemessene Benachteiligung des VN.11 Dabei kam es weder damals12 noch kommt es heute auf eine Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Gefahrerhöhung an.13 Der VR kann eine Prämienanpassung nur verlangen, wenn die Voraussetzungen für eine 13 Kündigung nach § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 vorliegen;14 insoweit kann auf die Ausführungen zu § 24 verwiesen werden. Zudem gilt nach § 25 Abs. 1 Satz 2 für das Erlöschen des Anpassungsrechts § 24 Abs. 3 entsprechend. Danach erlischt das Anpassungsrecht, wenn es nicht innerhalb eines Monats ab Kenntnis des VR von der Gefahrerhöhung ausgeübt wird oder wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung bestanden hat. In beiden Fällen bleibt der Versicherungsschutz trotz erhöhter Gefahr zu unveränderter Prämie erhalten.

2. Die Prämienanpassung Eine vom VR begehrte Prämienerhöhung muss im Hinblick auf die veränderte Risikolage ange- 14 messen sein; sie darf nur proportional zur erhöhten Gefahr steigen.15 § 25 Abs. 1 Satz 1 spricht von einer den Geschäftsgrundsätzen des VR „für diese höhere Gefahr entsprechende“ Prämie.16 Die neu berechnete Prämie muss dem Äquivalenzverhältnis entsprechen und der VR soll nicht befugt sein, die Gefahrerhöhung zu nutzen, um etwa seine Gewinnmarge zu erhöhen.

a) Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Prämienanpassung. Überlegenswert ist, ob das 15 Tatbestandsmerkmal „an Stelle einer Kündigung“ sich auch auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens einer Prämienanpassung auswirkt. Man könnte mit Blick auf die ex-nunc-Wirkung der Kündigung annehmen, dass das Anpassungsrecht, das gerade „an Stelle der Kündigung“ ausgeübt werden kann, ebenfalls nur ex nunc wirksam wird. Jedoch darf der VR nach Sinn und Zweck der §§ 24, 25 sowie dem insoweit auch eindeutigen Wortlaut des § 25 „ab dem Zeitpunkt der Gefahrerhöhung“ – und damit auch rückwirkend – die erhöhte Prämie verlangen, schon weil es sich bei Kündigung und Vertragsanpassung um inhaltlich verschiedenartige Gestaltungsrechte 9 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 67. 10 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 67. 11 Martin SVR N IV Rn. 6; Bruck/Möller/Möller8 Bd. I Anm. 39; Werber VersR 1976 897, 899 f. 12 Prölss/Martin/Prölss27 § 27 Rn. 3. 13 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 14 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 15 Noch zu vertraglichen Prämienanpassungsklauseln: Martin SVR N IV Rn. 3; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 67. 16 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68; vgl. auch Schwintwoski/Brömmelmeyer/Loacker § 25 Rn. 5. 181

Matusche-Beckmann

§ 25 VVG

Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung

handelt.17 § 25 Abs. 1 Satz 1 will durch das Merkmal „an Stelle“ nur die zeitgleiche Geltendmachung zweier Rechtsfolgen ausschließen. 16 Folge einer Prämienerhöhung ist also die Pflicht zur Nachzahlung der Differenz zwischen erhöhter Prämie zur zuvor berechneten Prämie ab dem Eintritt der Gefahrerhöhung.18 Dies kann dazu führen, dass der VN hohe Nachzahlungen tätigen muss, sofern die Gefahrerhöhung über einen längeren Zeitraum bestand. Loacker hält es schon mit Blick auf die allgemeine Handlungs- und Vertragsgestaltungsfrei17 heit für bedenklich, dass in Fällen dieser Art für den VN der Vertragsinhalt von vornherein nicht vorhersehbar, sondern vom VR einseitig und ohne ausreichende Lösungsmöglichkeit nachträglich bestimmbar sei; er ist der Ansicht, der Gesetzgeber hätte dem VN jedenfalls bei Prämienerhöhungen von über 10 % eine Kündigungsmöglichkeit mit Wirkung für den Zeitpunkt einräumen sollen, zu dem die Prämienerhöhung eintreten soll.19 Reusch vergleicht die Rechtslage mit den Regeln über die vorvertraglichen Anzeigepflichten; er sieht die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 21 Abs. 3 als erfüllt an.20 Jedoch ist diesen Überlegungen entgegenzuhalten, dass die Nachzahlung der Prämie dem 18 Zweck dient, das Äquivalenzverhältnis auch für die zurückliegende Zeit wiederherzustellen. Die Zahlung stellt letztlich nur den Ausgleich für das Risiko dar, welches der VR übernommen hat. Folglich erscheint es richtig, den VN mit der Nachzahlung zu belasten.21 Der von Loacker gebildete Extremfall, in dem ein VN theoretisch nach 20 Jahren rückwirkend einer 200 % erhöhten Prämienzahlungsverpflichtung ausgesetzt ist,22 dürfte ein Einzelfall bleiben; hier wäre im Übrigen fraglich, ob nicht – bei 200 % erhöhter Prämie – schon tatsächlich eine völlig andere Gefahr in Rede steht als die ursprünglich versicherte, so dass ein Gefahrwechsel vorliegt, auf den nach h.M. die §§ 23 ff. gar nicht anwendbar sind.23 Den Interessen des VN wird durch § 25 Abs. 2 Rechnung getragen.

19 b) Mitteilungspflichten des VN. Um die Höhe der neu zu veranschlagenden Prämie ermitteln zu können, ist der VR regelmäßig auf entsprechende Angaben des VN bzgl. der Gefahrerhöhung angewiesen. Aus diesem Grund wurde schon unter Geltung der früheren Rechtslage in AVB eine Verpflichtung des VN verankert, auf eine Aufforderung des VR die für die Veränderung maßgeblichen Umstände mitzuteilen. Dabei handelt es sich um eine echte vertragliche Nebenpflicht – und nicht um eine Anzeigeobliegenheit.24 Die dogmatische Einordnung einer solchen Mitteilungspflicht als echte Vertragspflicht ergibt sich insbesondere aus ihrer engen Verknüpfung mit der Hauptleistungspflicht des VN zur Zahlung der vereinbarten Versicherungsprämie. Der VR ist bei der Prämienkalkulation auf die Mitwirkung des VN angewiesen, so dass mit Blick auf das Vertragsinteresse von einer echten Rechtspflicht und nicht von einer Obliegenheit des VN auszugehen ist.25

17 18 19 20 21

So auch Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 5 a.E. Vgl. zu § 26 Abs. 3 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. Loacker VersR 2008 1285, 1288; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 25 Rn. 6. Langheid/Wandt/Reusch § 25 Rn. 25. So auch Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 5; BeckOK/Marlow/Spuhl § 25 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Langheid § 25 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 25 Rn. 2; Kortüm 60. 22 Loacker VersR 2008, 1285, 1288. 23 S. § 23 Rn. 33 zum Gefahrwechsel. 24 H.M. Gebauer NVersZ 2000 7, 9; Schirmer/Marlow VersR 1997 782, 792 f.; Knappmann VersR 1996 401, 407 f.; nach Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 14 kommt es auf die Einordnung als Rechtspflicht oder Obliegenheit gar nicht an. 25 So zutreffend Gebauer NVersZ 2000 7, 10. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

VVG § 25

Soweit Tarifbestimmungen eine Erhöhung des Selbstbehalts oder eine Leistungskürzung im 20 Schadensfall vorsehen, sind sie als überraschend (§ 305c BGB) bzw. unwirksam gem. § 307 Abs. 1 BGB anzusehen.26

II. Risikoausschluss gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. Statt sich für die Prämienerhöhung zu entscheiden, kann der VR auch die Absicherung der höheren Gefahr ausschließen. Den Ausschluss der Gefahr kann der VR auch dann verlangen, wenn er das Risiko üblicherweise versichert, da der Verweis auf die Geschäftsgrundsätze nur die Prämienanpassung betrifft.27 Wählt der VR diesen Weg, bleibt der Versicherungsvertrag im Übrigen zu den ursprünglich vereinbarten Bedingungen bestehen. Eine Ungereimtheit ergibt sich aufgrund des Umstandes, dass es dem VR nach § 25 Abs. 1 Satz 1 möglich ist, die Absicherung der Gefahr rückwirkend – ab dem maßgeblichen Zeitpunkt der Gefahrerhöhung – auszuschließen. Dies führt bei strikter Anwendung der Vorschrift in der Situation eines schon eingetretenen Versicherungsfalls zu einem Wertungswiderspruch: Denn mit dem rückwirkenden Ausschluss könnte sich der VR der Haftung für den Versicherungsfall vollständig entziehen. Dies aber würde letztlich zur Umgehung der Wertungen in § 26 führen, welcher lediglich bei Vorsatz eine vollständige und bei grober Fahrlässigkeit eine quotale Leistungsfreiheit vorsieht. Die überwiegende Meinung in der Literatur löst diesen Widerspruch auf, indem sie zwar eine rückwirkende Vertragsanpassung i.S.e. Risikoausschlusses auch nach Eintritt des Versicherungsfalles für möglich erachtet, dem VR die Berufung auf den Risikoausschluss aber im Hinblick auf den bereits eingetretenen Versicherungsfall aufgrund der Spezialität des § 26 verwehrt.28 Teilweise wird – im Ergebnis gleich – eine Wirkung des Risikoausschlusses erst mit Zugang der Änderungserklärung, also mit ex nunc-Wirkung, angenommen, so dass § 26 ohnehin anwendbar bleibt.29 Loacker geht noch weiter: Er sieht für Risikoausschlüsse gem. § 25 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. keinen Raum mehr, wenn es um Gefahrerhöhungen geht, von denen der VR bereits weiß, dass sie zum Versicherungsfall geführt haben.30 Die herrschende Ansicht erscheint indes vorzugswürdig. Sie orientiert sich nah an der gesetzlichen Vorgabe. Außerdem kann der aufgezeigte Wertungswiderspruch mit der Annahme der Spezialität von § 26 stringent gelöst werden.31 Richtigerweise muss es dem VR aber unbenommen sein, auch nach Eintritt des Versicherungsfalles eine erhöhte Gefahr i.S.d. § 23 nachträglich auszuschließen.32 Verwehrt ist es dem VR hingegen, sich auf diesen Risikoausschluss hinsichtlich eines bereits eingetretenen Versicherungsfalles zu berufen. Die Leistungsfreiheit des VR bemisst sich dann ausschließlich nach § 26 VVG, der für diese Fälle spezieller ist. Ebenso wie das Recht zur Prämienerhöhung33 erlischt das Recht auf Ausschluss der erhöhten Gefahr nach ungenutztem Ablauf der Kündigungsfrist sowie bei Wiederherstellung des vor 26 OLG Stuttgart 25.7.2013 – 7 U 33/13, VersR 2013 1528, 1529; LG Dortmund 28.8.2008 – 2 S 16/08, NJW-RR 2009 249, 250; Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 12; anders Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 33. 27 So auch Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 25 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 25 Rn. 3; Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 6; a.A. wohl Loacker VersR 2008 1285, 1289 f. 28 Langheid/Wandt/Reusch § 25 Rn. 17; Langheid/Rixecker/Langheid § 25 Rn. 5; BeckOK/Marlow/Spuhl § 25 Rn. 16; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 25 Rn. 2; a.A. Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 25 Rn. 6. 29 Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 25 Rn. 8; Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 25 Rn. 6. 30 Loacker VersR 2008 1285, 1289 ff., 1291; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 6. 31 Ebenso sieht dies Langheid/Rixecker/Langheid § 25 Rn. 5. 32 So auch Langheid/Wandt/Reusch § 25 Rn. 17, der dies mit dem treffenden Beispiel einer gewerblichen Versicherung beschreibt. 33 S.o. Rn. 13. 183

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§ 25 VVG

Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung

Eintritt der Gefahrerhöhung bestehenden Zustandes, §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24 Abs. 3. Der VN behält in diesem Fall uneingeschränkten Versicherungsschutz zu unveränderten Bedingungen.

III. Das Kündigungsrecht des VN, § 25 Abs. 2 26 § 25 Abs. 2 Satz 1 gewährt dem VN ein Recht zur fristlosen Kündigung, wenn sich infolge der Gefahrerhöhung die Prämie um mehr als zehn Prozent erhöht oder der VR die Absicherung der erhöhten Gefahr ausschließt. 27 Hierdurch soll eine Benachteiligung des VN ausgeschlossen werden, der die Möglichkeit erhält, das Risiko entweder unversichert zu lassen oder bei einem anderen VR günstiger zu versichern.34 Mit dieser Regelung ist der Gesetzgeber Stimmen entgegengetreten, die in der Vereinbarung einer Prämienerhöhung statt der Ausübung des Kündigungsrechts einen Nachteil für den VN gesehen haben, weil dieser bei Wahrnehmung des Kündigungsrechts durch den VR bei einem anderen VR möglicherweise günstigeren Versicherungsschutz hätte erhalten können oder sich entschieden hätte, das Risiko unversichert zu lassen.35 Das Kündigungsrecht muss innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des VR 28 über die Erhöhung der Prämie bzw. den Ausschluss der erhöhten Gefahr ausgeübt werden. Über das Kündigungsrecht hat der VR den VN im Rahmen seiner Anpassungsmitteilung zu belehren, ähnlich wie bei §§ 19 Abs. 5, 40 Abs. 1.36 Anders als in § 19 Abs. 5 Satz 1 (Textform) ist eine bestimmte Form nicht vorgesehen. Die Belehrung muss den VN klar und deutlich über sein Kündigungsrecht und dessen Geltendmachung innerhalb der Monatsfrist ab Zugang aufklären.37 Zudem bedarf die Belehrung einer drucktechnischen Hervorhebung innerhalb der Mitteilung über die Vertragsanpassung.38 Unterbleibt die Belehrung, beginnt die Frist, innerhalb der der VN gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 kündigen darf, nicht zu laufen. Eine Nachholung des erforderlichen Hinweises ist freilich möglich.39

IV. Abweichende Vereinbarungen 29 § 25 ist gem. § 32 halbzwingend, eine Abweichung zum Nachteil des VN folglich nicht zulässig. So sind etwa die Vereinbarung einer Prämienanpassung oder der Ausschluss der Absicherung der höheren Gefahr unter Ausschluss des Kündigungsrechts durch den VN nicht möglich.

C. Regelung in AVB 30 Auch wenn § 25 auf eine nachträgliche Prämienerhöhung – bei Vorliegen der Kündigungsvoraussetzungen – zugeschnitten ist, ist auch die vorherige Vereinbarung einer Prämienanpassung für den Fall des Eintritts einer Gefahrerhöhung in zulässiger Weise möglich.40 Hierdurch

34 35 36 37

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 67. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. OLG Koblenz 17.11.2005 – 5 U 289/05, VersR 2006 823, 824; OLG Koblenz 23.7.2004 – 10 U 518/03, RuS 2005 257,

257.

38 OLG Hamm 8.11.1996 – 20 U 106/96, RuS 1997 146, 146; OLG Saarbrücken 4.2.2009 – 5 U 657/06, MDR 2009 866, 866; OLG Köln 19.12.2000 – 9 U 106/00, RuS 2001 278, 279; LG München I 11.4.2001 – 3 O 9876/00, RuS 2003 120, 121. 39 Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 9; Langheid/Wandt/Reusch § 25 Rn. 30; Langheid/Rixecker/Langheid § 25 Rn. 8. 40 So auch Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 10; vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 25 Rn. 1. Matusche-Beckmann

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D. Darlegungs- und Beweislast

VVG § 25

erteilt der VR praktisch seine in § 23 Abs. 1 genannte Einwilligung in die Gefahrerhöhung, womit er sich zugleich der Rechtsfolgen der §§ 23 ff. begibt.41 Prämienanpassungsklauseln i.R.v. AVB unterliegen der Inhaltskontrolle nach dem AGB- 31 Recht der §§ 305 ff. BGB. Sie sind insbesondere am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zu messen.42 Die Klausel muss die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann.43 Der VN muss voraussehen können, in welchem Umfang ihn unter welchen Voraussetzungen zusätzliche Belastungen treffen können.44

D. Darlegungs- und Beweislast Der VR, der eine Prämienanpassung vornehmen oder die Absicherung der höheren Gefahr aus- 32 schließen will, trägt für das Vorliegen der Gefahrerhöhung sowie der übrigen Voraussetzungen des Kündigungsrechts die Beweislast. Zudem obliegt ihm der Nachweis bzgl. des Zeitpunktes des Eintritts der Gefahrerhöhung als dem maßgeblichen Zeitpunkt, ab dem ihm ein Anspruch auf die erhöhte Prämie zusteht. Er trägt im Falle der Prämienerhöhung auch die Darlegungsund Beweislast hinsichtlich seiner Geschäftsgrundsätze sowie hinsichtlich der Erfüllung seiner Belehrungspflicht über das Kündigungsrecht nach § 25 Abs. 2 Satz 2.45 Den VN trifft die Beweislast bzgl. der Erlöschensvorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 24 33 Abs. 3 ebenso wie für das Vorliegen der Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung nach § 25 Abs. 2 Satz 1. Demnach hat der VN nachzuweisen, dass der VR entweder die erhöhte Gefahr ausgeschlossen oder die Prämie um mehr als zehn Prozent erhöht hat. Ebenso hat er, wenn er den Vertrag kündigen und nicht zu unveränderten Bedingungen fortsetzen will, zu beweisen, dass der VR die Monatsfrist des § 25 Abs. 2 Satz 1 eingehalten hat; auf den ersten Blick erscheint dies merkwürdig, ist aber sachgerecht: Kann der VR nicht beweisen die Monatsfrist eingehalten zu haben, kann er von den Rechtsfolgen der §§ 24, 25 keinen Gebrauch mehr machen; vielmehr muss er den Vertrag zu unveränderten Konditionen fortsetzen; will sich der VN nun vom Vertrag lösen, etwa weil ihm anderweitig ein günstigeres Angebot vorliegt, wird man verlangen dürfen, dass er die Rechtzeitigkeit der Mitteilung beweist.

41 Schirmer/Marlow VersR 1997 782, 789; so ähnlich Gebauer NVersZ 2000 7, 8. Zur Zulässigkeit von Prämienanpassungsklauseln s. etwa Armbrüster RuS 2012 365; Langheid/Wandt/Staudinger § 40 Rn. 5 ff.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 40 Rn. 4 ff. 42 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 67, 69; Looschelders/Pohlmann/Brand/Stagl § 40 Rn. 13; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 40 Rn. 6; Armbrüster RuS 2012 365, 366. 43 St.Rspr. BGH 6.7.2016 – IV ZR 44/15, VersR 2016 1177, 1180; BGH 25.7.2012 – IV ZR 201/10, BGHZ 194 39, 48 = VersR 2012 1149, 1155 f.; BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, VersR 2007 1690, 1691; BGH 23.2.2005 – IV ZR 273/03, BGHZ 162 210, 213 f. = VersR 2005 639, 640; BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 401 = VersR 1997 1517, 1519. 44 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 69; Looschelders/Pohlmann/Brand/Stagl § 40 Rn. 13; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Karczewski § 40 Rn. 7; Langheid/Wandt/Staudinger § 40 Rn. 8. 45 Marlow/Spuhl/Marlow Rn. 259; Langheid/Wandt/Reusch § 25 Rn. 31. 185

Matusche-Beckmann

§ 26 Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung (1)

1

Tritt der Versicherungsfall nach einer Gefahrerhöhung ein, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer seine Verpflichtung nach § 23 Abs. 1 vorsätzlich verletzt hat. 2Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer. (2) 1In den Fällen einer Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 2 und 3 ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Anzeige dem Versicherer hätte zugegangen sein müssen, es sei denn, dem Versicherer war die Gefahrerhöhung zu diesem Zeitpunkt bekannt. 2Er ist zur Leistung verpflichtet, wenn die Verletzung der Anzeigepflicht nach § 23 Abs. 2 und 3 nicht auf Vorsatz beruht; im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung gilt Absatz 1 Satz 2. (3) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 Satz 1 ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, 1. soweit die Gefahrerhöhung nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war oder 2. wenn zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles die Frist für die Kündigung des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt war.

Schrifttum Siehe die Angaben vor Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II. 1. 2.

Inhalt und Zweck der Regelung 4 Inhalt im Einzelnen 9 Zweck

B.

Leistungsfreiheit gemäß § 26 Abs. 1 bei Ver11 letzung der sog. Gefahrstandspflicht

I.

Leistungsfreiheit bei Vorsatz (§ 26 Abs. 1 11 Satz 1) Vorliegen einer subjektiven Gefahrerhöhung 12 nach § 23 Abs. 1 Vorsätzliches Handeln des Versicherungsneh13 mers

1. 2.

II. 1. 2.

3.

Die Kürzung des Schadens, sog. Quote21 lung

C.

Leistungsfreiheit bei nachträglich erkannter und objektiver Gefahrerhöhung, § 26 26 Abs. 2

D.

Leistungspflicht in den Fällen des § 26 37 Abs. 3

I.

Kausalitätsgegenbeweis, § 26 Abs. 3 37 Nr. 1

II.

Arglist

III.

Nichtausübung des Kündigungsrechts, § 26 49 Abs. 3 Nr. 2

E.

Rechtsfolgen

F.

Abweichende Vereinbarung

56

G.

Darlegungs- und Beweislast

57

1 4

Leistungskürzung bei grober Fahrlässigkeit 19 nach § 26 Abs. 1 Satz 2 19 Grundlagen 20 Grob fahrlässiges Handeln

Matusche-Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522624-009

47

54

186

A. Einführung

VVG § 26

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Der frühere § 25 a.F.1 enthielt eine wenig differenzierte Regelung zur Leistungsfreiheit des VR. Ab- 1 satz 1 der Vorschrift enthielt die Kernaussage, dass der VR im Falle der Verletzung der subjektiven Gefahrstandspflicht von der Leistung frei ist, wenn der Versicherungsfall nach der Erhöhung der Gefahr eintritt. Nach Absatz 2 sollte die Leistungspflicht des VR (nur) in Ausnahmefällen fortbestehen, was insbesondere durch die Gesetzesformulierung zum Ausdruck gebracht war. Die Neuregelung im Zuge der VVG-Novelle 2008 entspricht einerseits den Grundsätzen der 2 Verletzung vertraglicher Verpflichtungen des VN, greift die nachträglich erkannte, subjektive Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 2 auf und gibt das zuvor geltende starre Alles-oder-nichtsPrinzip zugunsten einer flexiblen Quotenregelung im Fall grober Fahrlässigkeit auf.2 Die Leistung des VR kann damit bei kausaler Verletzung in einem der Schwere des Verschul- 3 dens des VN entsprechenden Verhältnis gekürzt werden.3 Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 26 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 trägt der VN für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit die Beweislast; der VR muss hingegen nur die Pflichtwidrigkeit beweisen.4

II. Inhalt und Zweck der Regelung 1. Inhalt im Einzelnen § 26 regelt „die wichtigste Rechtsfolge der Gefahrerhöhung“:5 die Leistungsfreiheit des VR. 4 § 26 Abs. 1 regelt den Fall der Verletzung der sog. Gefahrstandspflicht nach § 23 Abs. 1. Ver- 5 letzt der VN diese vorsätzlich, ist der VR vollständig leistungsfrei. Hat der VN die Obliegenheit grob fahrlässig verletzt, ist der VR grundsätzlich zur Leistung verpflichtet, kann die Leistung aber entsprechend der Schwere des Verschuldens des VN kürzen. Maßgeblich für die Kürzungsquote ist, ob der Grad der groben Fahrlässigkeit näher am bedingten Vorsatz oder eher im Grenzbereich zur einfachen Fahrlässigkeit liegt (näher hierzu unter Rn. 13 ff.; 19 ff.).6 Dass das Herausbilden angemessener Quoten mit praktischen Schwierigkeiten verbunden ist, wurde vom Gesetzgeber in Kauf genommen und als Aufgabe der Praxis angesehen.7 Hat der VN die sog. Gefahrstandspflicht hingegen nur einfach fahrlässig verletzt, ist der VR zur Leistung verpflichtet.8 1 § 25 VVG lautete in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung: (1) Der Versicherer ist im Fall einer Verletzung der Vorschrift des § 23 Abs. 1 von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall nach der Erhöhung der Gefahr eintritt. (2) Die Verpflichtung des Versicherers bleibt bestehen, wenn die Verletzung nicht auf einem Verschulden des Versicherungsnehmers beruht. Der Versicherer ist jedoch auch in diesem Fall von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn die in § 23 Abs. 2 vorgesehene Anzeige nicht unverzüglich gemacht wird und der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt, in welchem die Anzeige dem Versicherer hätte zugehen müssen, eintritt, es sei denn, daß ihm in diesem Zeitpunkt die Erhöhung der Gefahr bekannt war. (3) Die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung bleibt auch dann bestehen, wenn zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls die Frist für die Kündigung des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt ist oder wenn die Erhöhung der Gefahr keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat. 2 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 26 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Langheid § 26 Rn. 1. 3 Schwintowski ZRP 2006 139, 140; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 2. 4 Vgl. zu Fragen der Beweislast unten Rn. 57 ff. 5 So Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 1. 6 S. die Ausführungen des Regierungsentwurfs zu § 28 Abs. 2, RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 7 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 8 Rixecker ZfS 2007 136; Langheid/Rixecker/Langheid § 26 Rn. 3. 187

Matusche-Beckmann

§ 26 VVG

Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung

§ 26 Abs. 2 enthält Regelungen zur Leistungsfreiheit des VR in Fällen der erst nachträglich erkannten subjektiven (§ 23 Abs. 2) und der objektiven (§ 23 Abs. 3) Gefahrerhöhung. In den Rechtsfolgen wird hier die nachträglich erkannte subjektive Gefahrerhöhung der objektiven Gefahrerhöhung gleichgestellt. Angeknüpft wird in beiden Fällen an die unterlassene Anzeige des VN, wobei auch hier durch einen Verweis auf Abs. 1 Satz 2 wiederum nach dem Grad des Verschuldens differenziert wird.9 Abs. 3 stellt klar, dass der VR zur Leistung verpflichtet bleibt, wenn die Gefahrerhöhung 7 für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht nicht kausal war, oder er nach Ablauf der Kündigungsfrist des § 24 Abs. 2 eingetreten ist und eine Kündigung nicht erfolgt war. Die Regelung der uneingeschränkten Leistungspflicht des VR nach § 26 Abs. 3 entspricht den §§ 25 Abs. 3, 28 Abs. 2 Satz 2 a.F.10 In allen Fällen gilt, dass der Eintritt des Versicherungsfalls zeitlich nach der Gefahrerhö8 hung liegen und sich die bereits erhöhte Gefahr kausal realisieren muss.11 Trat die Gefahrerhöhung nur allmählich ein, muss sie bei Eintritt des Versicherungsfalles bzgl. des Ausmaßes zumindest beachtlich gewesen sein. Die Beweislast hierfür trägt der VR.12 6

2. Zweck 9 Die Leistungsfreiheit nach § 26 Abs. 1, die den Versicherungsvertrag unberührt lässt, steht neben der Möglichkeit zur Kündigung nach § 24 Abs. 1.13 Die Vorschrift gewährt dem VR eine rechtsvernichtende Einwendung gegenüber dem vom 10 VN geltend gemachten Leistungsanspruch.14

B. Leistungsfreiheit gemäß § 26 Abs. 1 bei Verletzung der sog. Gefahrstandspflicht I. Leistungsfreiheit bei Vorsatz (§ 26 Abs. 1 Satz 1) 11 Nach Absatz 1 Satz 1 steht dem VR eine rechtsvernichtende Einwendung gegen den Leistungsanspruch des VN zu, wenn Letzterer vorsätzlich die sog. Gefahrstandspflicht nach § 23 Abs. 1 verletzt hat, d.h. er in Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände vorsätzlich die Gefahr erhöht oder deren Vornahme durch einen Dritten ohne die Einwilligung des VR gestattet hat. Hintergrund ist: Der vorsätzlich handelnde VN erscheint nicht schutzwürdig. Die Leistungsfreiheit setzt zweierlei voraus: das Vorliegen einer subjektiven Gefahrerhöhung i.S.v. § 23 Abs. 1 und ein diesbezüglich vorsätzliches Handeln des VN.

1. Vorliegen einer subjektiven Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1 12 Zum Vorliegen einer subjektiven Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 1 ist auf die dortigen Ausführungen zu verweisen.15 9 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 10 f. 10 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 11 Bruck/Möller/Möller8 § 25 Anm. 5; Römer/Langheid2 §§ 23 bis 25 Rn. 49. 12 Bruck/Möller/Möller8 § 25 Anm. 5; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 9; zu Fragen der Beweislast unten Rn. 57 ff. 13 Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 43b. 14 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 43a. 15 S. § 23 Rn. 45 ff. Matusche-Beckmann

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B. Leistungsfreiheit nach § 26 Abs. 1

VVG § 26

2. Vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers Der VR wird nach Absatz 1 nur vollständig leistungsfrei, wenn der VN seine Verpflichtung nach § 23 Abs. 1 vorsätzlich verletzt hat. Dabei ist der Bezugspunkt des Vorsatzes i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 nicht derselbe wie bei § 23 Abs. 1.16 Denn bei § 23 Abs. 1 kommt es gerade nicht darauf an, dass der VN den gefahrerhöhenden Charakter seines Handelns erkennt,17 während diese Kenntnis für das Vorliegen des Vorsatzes im Rahmen von § 26 Abs. 1 Satz 1 gerade erforderlich ist.18 M.a.W. muss der VN zur Bejahung des Vorsatzes im Rahmen von § 26 Abs. 1 den gefahrerhöhenden Charakter erkannt haben; ihm muss also bewusst geworden sein, dass durch sein Handeln der Eintritt des Versicherungsfalls wahrscheinlicher geworden ist.19 Grundsätzlich ist der Begriff des vorsätzlichen Handelns derjenige des allgemeinen Zivilrechts, so dass eine bewusste und gewollte „Vornahme“ bzw. Gestattung erforderlich ist.20 Weil aber die Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände eine Voraussetzung für jede subjektive Gefahrerhöhung i.S.v. § 23 Abs. 1 ist, aus der „im Normalfall“ auch auf die Kenntnis um den gefahrerhöhenden Charakter geschlossen werden kann, liegt in aller Regel auch vorsätzliches Handeln vor.21 Dies liegt letztlich auf der Linie der früheren sog. „Relevanz-Rechtsprechung“ des IV. Zivilsenats des BGH, der schon im Rahmen von § 25 Abs. 2 Satz 1 a.F. das Bestehen eines erheblichen Verschuldens neben dem Vorliegen der Voraussetzungen der Gefahrerhöhung verlangte.22 So wurde grundsätzlich ein Verschulden des VN abgelehnt, wenn dieser trotz Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände auch bei Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt nicht erkennen konnte, dass die Änderung der Gefahrenlage die Möglichkeit des Schadenseintritts wahrscheinlicher macht,23 oder wenn er glauben durfte, der VR habe die Gefahrerhöhung genehmigt, weil dieser die gefahrerhöhenden Umstände nicht beanstandet hat, von denen er Kenntnis hatte.24 Liegt ein Fall vor, in welchem der VN den gefahrerhöhenden Charakter verkennt (sog. Beurteilungsfehler), weil er die Sachlage falsch einschätzt, auch etwa im Hinblick auf die Erheblichkeit i.S.v. § 27, oder unzutreffend von einer Gefahrkompensation ausging, liegt kein Vorsatz, sondern allenfalls grobe Fahrlässigkeit vor.25 Zur Darlegungs- und Beweislast siehe unten Rn. 57 ff.

16 BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; vgl. auch BeckOK/Staudinger/Ruks § 26 Rn. 8. 17 Vgl. die Kommentierung zu § 23 Rn. 68. 18 BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 841; Langheid/Rixecker/Langheid § 26 Rn. 2. 19 BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 841; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 6a. 20 S. § 23 Rn. 66 ff. 21 BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; Rixecker ZfS 2007 136, 136; Looschelders/Pohlmann/ Looschelders § 26 Rn. 4; vgl. hierzu auch die Ausführungen zu § 23 Rn. 66 ff. 22 Vgl. BGH 16.1.1970 – IV ZR 645/68, BGHZ 53 160, 164 = VersR 1970 410, 410; BGH 20.12.1974 – IV ZR 171/73, VersR 1975 366, 368; BGH 18.12.1968 – IV ZR 523/68, VersR 1969 177, 178; BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 832; BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 842; OLG Köln 20.10.2015 – I-9 U 200/14, VersR 2016 845, 849. 23 BGH 18.12.1968 – IV ZR 523/68, VersR 1969 177, 178; zu diesem Beispiel Prölss/Martin/Prölss27 § 25 Rn. 2; Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 2. 24 OLG Hamm 27.6.1975 – 20 U 372/74, VersR 1976 257, 257 f. 25 Vgl. BGH 10.9.2014 – IV ZR 322/13, VersR 2014 1313, 1314; OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 842; BGH 20.12.1974 – IV ZR 171/73, VersR 1975 366, 368; OLG Köln 20.10.2015 – I-9 U 200/14, VersR 2016 845, 848; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 3. 189

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II. Leistungskürzung bei grober Fahrlässigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 2 1. Grundlagen 19 § 26 Abs. 1 Satz 2 gibt dem VR das Recht, im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung der sog. Gefahrstandspflicht den Leistungsanspruch des VN in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Das Vorliegen grober Fahrlässigkeit wird, wie sich aus § 26 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. ergibt, vermutet. Anders als im Rahmen von Absatz 1 Satz 1 entfällt die Leistungspflicht des VR nicht ipso iure vollständig: Es handelt sich bei Absatz 1 Satz 2 um ein Gegenrecht des VR, das er geltend machen muss.

2. Grob fahrlässiges Handeln 20 Der Begriff der groben Fahrlässigkeit entspricht dem des § 276 BGB. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße („gröblich“) verletzt und das unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen; es muss sich um ein auch in subjektiver Hinsicht „schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten“ handeln, das ein „gewöhnliches Maß“ erheblich übersteigt.26 Wenn der VN also durch Überlegungen, die in der konkreten Situation jedem hätten einleuchten müssen, hätte erkennen können, dass sein Handeln bzw. Gestatten des Handelns durch einen Dritten (§ 23 Abs. 1) dazu führt, dass der Eintritt des Versicherungsfalls generell wahrscheinlicher wird, ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen.

3. Die Kürzung des Schadens, sog. Quotelung 21 Der Umfang der Leistungspflicht des VR bei grober Fahrlässigkeit richtet sich gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 nach der Schwere des Verschuldens. Der VR ist berechtigt, die Leistung in einem Verhältnis zu kürzen, das dem Grad der groben Fahrlässigkeit des VN entspricht.27 Nach den Gesetzesmaterialien soll maßgeblich sein, ob die grobe Fahrlässigkeit in dem konkret zu beurteilenden Fall näher beim bedingten Vorsatz (– VN hält den gefahrerhöhenden Charakter für möglich und ist damit einverstanden bzw. nimmt ihn zumindest billigend in Kauf –)28 oder ob sie eher im Grenzbereich zur einfachen Fahrlässigkeit anzusiedeln ist.29 22 Bei der Einführung des Quotenmodells herrschte Skepsis vor; insbesondere wurde befürchtet, dass es nicht gelingen werde, sachgerechte Kriterien, insbesondere Fallgruppen, zu etablieren.30 Mittlerweile darf man indes den Eindruck haben, dass bei der Findung verschiedener Grade innerhalb der groben Fahrlässigkeit in der Praxis keine größeren Widersprüche auftreten.31

26 S. Heiss, § 28 Rn. 199 ff.; BGH 8.2.1989 – IVa ZR 57/88, VersR 1989 582, 583; BGH 18.12.1996 – IV ZR 321/95, VersR 1997 351, 352; BGH 29.1.2003 – IV ZR 173/01, VersR 2003 364; BGH 5.12.1983 – II ZR 252/82, BGHZ 89, 153, 161 = VersR 1984 281, 283; BGH 12.1.1988 – VI ZR 158/87, VersR 1988 474, 474 f.; BGH 18.10.1988 – VI ZR 15/88, VersR 1989 109, 110; BGH 8.7.2010 – III ZR 249/09, BGHZ 186 152, 161 f. = VersR 2011 395, 397 f.; OLG Koblenz 13.3.2009 – 10 U 1038/08, VersR 2009 1526, 1527; MüKoBGB/Grundmann § 276 Rn. 94; Baumann RuS 2005 1, 2. 27 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 28 MüKoBGB/Grundmann § 276 Rn. 161. 29 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 30 S. nur Weidner/Schuster RuS 2007 363, 364; Kurzka VersR 2001 698, 700; Brand FS Lorenz 55, 58; Armbrüster, Das Alles-oder-nichts-Prinzip im Privatversicherungsrecht Rn. 186 ff. 31 So auch der Eindruck von Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 28 Rn. 121. Matusche-Beckmann

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C. Leistungsfreiheit nach § 26 Abs. 2

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Jenseits der diskutierten Quotenmodelle – z.B. des sog. Mittelwertmodells,32 nach dem im 23 Ausgangspunkt von einer Kürzung i.H.v. 50 % ausgegangen werden soll – erscheint es sachgerecht, bei der Bestimmung der Quote alle Umstände des konkreten Einzelfalls heranzuziehen, die für die objektive Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit sowie für die subjektive Vorwerfbarkeit Bedeutung haben.33 Im Einzelfall kann auch nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls eine Kürzung auf Null erfolgen.34 Siehe zur Leistungskürzung im Einzelnen in diesem Band die Kommentierung von Heiss zu 24 § 28 Rn. 199 ff. Zur Darlegungs- und Beweislast siehe unten Rn. 57 ff. 25

C. Leistungsfreiheit bei nachträglich erkannter und objektiver Gefahrerhöhung, § 26 Abs. 2 § 26 Abs. 2 regelt die Leistungsfreiheit des VR im Zusammenhang mit der nachträglich erkannten subjektiven und der objektiven Gefahrerhöhung nach den § 23 Abs. 2 bzw. 3. Die Regelung entspricht § 25 Abs. 2 Satz 2 a.F. und § 28 Abs. 1 a.F.35 Es findet sich eine zeitlich differenzierende Regelung. Ausgangspunkt ist, dass § 23 Abs. 2 und 3 dem VN jeweils auferlegen, eine nachträglich erkannte subjektive Gefahrerhöhung (Abs. 2) bzw. eine objektive Gefahrerhöhung (Abs. 3) nach ihrer Kenntniserlangung unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) dem VR anzuzeigen.36 Kommt der VN den Anzeigeobliegenheiten nicht nach, lässt sich wie folgt unterscheiden: Der VR bleibt zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsfall innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Anzeige der Gefahrerhöhung dem VR hätte zugegangen sein müssen. Dass der VR hier innerhalb der Karenzzeit von einem Monat leistungspflichtig bleibt, ist dem Umstand geschuldet, dass dem VN, der dem VR eine Gefahrerhöhung im Sinne der § 23 Abs. 2 oder 3 unverzüglich anzeigt, der Versicherungsvertrag nach § 24 Abs. 2 nur unter Einhaltung einer Frist von einem Monat hätte gekündigt werden können. Der VN soll also nicht sofort ohne Versicherungsschutz bleiben.37 Maßgeblich für den Beginn der Monatsfrist in § 26 Abs. 2 Satz 138 ist der Zeitpunkt, zu dem die Anzeige des VN nach § 23 Abs. 2 oder 3 dem VR hätte zugegangen sein müssen. Dies richtet sich wiederum nach dem Zeitpunkt, zu dem der VN Kenntnis von der Gefahrerhöhung erlangt hat, denn dies ist der Zeitpunkt, ab dem der VN den VR unverzüglich über die eingetretene Gefahrerhöhung hätte informieren müssen.39

32 Dazu Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 26 Rn. 6 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch § 28 Rn. 178; Unberath NZV 2008 537, 541; LG Hannover 17.9.2010 – 13 O 153/08, VersR 2011 112, 113; anders Weidner/Schuster RuS 2007 363, 364; kritisch Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 76. 33 Vgl. nur BGH 22.7.2011 – IV ZR 225/10, BGHZ 190 120, 131 = VersR 2011 1037, 1039 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 75; Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 216; Veith VersR 2008 1580, 1581 f.; Staudinger/Halm/Wendt/Segger/ Degen § 26 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 8; wohl auch OLG Dresden 12.4.2019 – 4 U 557/19 (juris Rn. 13). 34 BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, BGHZ 190 120, 131 = VersR 2011 1037, 1040; Fortführung in BGH 11.1.2012 – IV ZR 251/10, VersR 2012 341, 342; OLG Dresden 21.11.2019 – 4 U 2082/19 (juris); OLG Hamm 21.3.2016 – I 20 U 207/15, VersR 2018 997, 998; Heß RuS 2013 1, 3. 35 Vgl. oben Fn. 1. 36 S. § 23 Rn. 91, 107. 37 Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 3, 4; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 13. 38 S. dazu bereits oben unter Rn. 6. 39 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 11 f.; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 12; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 8. 191

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Nach dem Ablauf der Monatsfrist ist zu differenzieren: Wenn der VN zwar die Anzeigeobliegenheit nach § 23 Abs. 2 oder 3 verletzt hat, dem VR aber die Gefahrerhöhung in dem Zeitpunkt, in dem ihm die Mitteilung hätte zugehen müssen, bekannt war, bleibt der VR zur Leistung verpflichtet (§ 26 Abs. 2 Satz 1). Der VR bleibt auch zur Leistung verpflichtet, wenn die Verletzung der Anzeigeobliegenheit nicht auf Vorsatz beruht. Die negative Formulierung im Gesetzeswortlaut in § 26 Abs. 2 Satz 2, 1. Hs. bringt zum Ausdruck, dass den VN die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvorliegen des Vorsatzes trifft.40 Verletzt der VN die Anzeigeobliegenheit nach § 23 Abs. 2 oder 3 grob fahrlässig, kann der VR den Leistungsanspruch des VN in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis kürzen. Dies ergibt sich aus dem Verweis auf § 26 Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift. Weil der Verweis auch die Regelung zur Beweislastverteilung einschließt, muss der VN auch hier wieder beweisen, dass ihm keine grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.41 Im Falle einer nur einfach fahrlässigen Verletzung der Anzeigeobliegenheit bleibt der VR hingegen leistungspflichtig ebenso wie bei einem schuldlosen Unterlassen der Anzeige. Die Leistungspflicht des VR bleibt bestehen, wenn diesem die Gefahrerhöhung in dem Zeitpunkt bereits bekannt war, in welchem ihm die Anzeige hätte zugehen müssen, da er in dem Fall rechtzeitig von seinem Kündigungsrecht hätte Gebrauch machen können.42 Erforderlich ist positive Kenntnis des VR von der Gefahrerhöhung; eine bloß (grob) fahrlässige Unkenntnis genügt nicht.43 Wird beispielsweise im Hause des feuerversicherten VN ab dem 1.2. unabhängig von seinem Willen ein feuergefährlicher Betrieb eingerichtet, erfährt dies der VN am 3.2. und hätte er spätestens am 6.2. anzeigen müssen, haftet der VR vom 6.3. an nicht mehr, und zwar auch dann, wenn er schon am 9.2. von der Gefahrerhöhung anderweitig erfährt und nicht kündigt. Hat dagegen der VR schon vor dem VN, also am 2.2., von der Gefahrerhöhung erfahren, oder auch nur vor dem 6.2., also etwa am 5.2., so wird der VR, falls er nicht kündigt, nicht leistungsfrei.44 Die Leistungskürzung nach § 26 Abs. 2 Satz 2, 2. Hs. bei grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigeobliegenheit entspricht den Grundsätzen des Absatzes 1 Satz 2.45

D. Leistungspflicht in den Fällen des § 26 Abs. 3 I. Kausalitätsgegenbeweis, § 26 Abs. 3 Nr. 1 37 Nach § 26 Abs. 3 Nr. 1 ist der VR abweichend von § 26 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 zur Leistung verpflichtet, soweit die Gefahrerhöhung nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistungspflicht war. Dem VN ist hier – wie auch in den § 21 Abs. 2, § 28 Abs. 3 und § 82 Abs. 4 – die Möglichkeit der Führung eines Kausalitätsgegenbeweises eingeräumt. Aus der Formulie-

40 So i.E. auch Langheid/Rixecker/Langheid § 26 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 15; Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 26 Rn. 14; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 16 ff., 18; Wandt Rn. 898; vgl. auch BeckOK/Staudinger/Ruks § 26 Rn. 24; kritisch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 26 Rn. 18; Rixecker ZfS 2007 136, 136 f. (entspreche nicht dem System des Entwurfs); Schimikowski jurisPR-VersR 5/2018 Anm. 2; Prölss/ Martin/Armbrüster § 26 Rn. 10; vgl. dazu noch unten Rn. 61 ff. 41 Rixecker ZfS 2007 137, 138; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 12; Wandt Rn. 898. 42 S. bereits oben Rn. 30. 43 So auch Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 13; Vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 26 Rn. 15. 44 Bsp. nach Bruck/Möller/Möller8 § 28 Anm. 9. 45 Vgl. insofern Rn. 5, 19 ff. Matusche-Beckmann

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D. Leistungspflicht in den Fällen des § 26 Abs. 3

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rung des Absatzes 3 („Abweichend von … ist der VR zur Leistung verpflichtet“) folgt, dass dem VN die Beweisführungslast für die negative Tatsache der fehlenden (Mit-)Ursächlichkeit auferlegt ist.46 Prämisse ist, dass eine (partielle) Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung nicht berechtigt erscheint, wenn sie sich auf den Eintritt des Versicherungsfalles bzw. den Umfang der Leistungspflicht gar nicht oder nur teilweise ausgewirkt hat. Denn das Risiko eines Normverstoßes muss sich auch ausgewirkt haben, wenn daraus für den VN nachteilige Konsequenzen gezogen werden sollen.47 Sinn und Zweck dieses Ausnahmetatbestandes ergeben sich aus dem Schutzzweck des § 23. Die Leistungspflicht des VR bleibt deshalb gem. § 26 Abs. 3 Nr. 1 – zumindest teilweise – bestehen, wenn die Gefahrerhöhung in ihrer Gesamtheit oder in einem abgrenzbaren Teil ohne Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht des VR war. Dabei bleibt es bereits bei der Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung, wenn nur die Möglichkeit einer mitwirkenden Kausalität besteht: Die Ausnahme des § 26 Abs. 3 Nr. 1 bedingt, dass jegliche Form der Mitverursachung von Versicherungsfall oder Schadensumfang ausgeschlossen ist.48 Zweifel gehen zu Lasten des VN.49 Dies verlangt von dem VN letztendlich den konkreten Beweis, dass sein Verhalten sich in keinerlei Hinsicht auf den eingetretenen Schaden ausgewirkt hat, was ihm in der Praxis nur selten gelingen wird.50 Ein Rückgriff auf die Zurechnungskriterien des Schutzzwecks der Norm ist nicht erforderlich; grds. ist jeder durch die Gefahrerhöhung ursächliche Beitrag zum Versicherungsfall von § 26 erfasst.51 Ebenso ist im Rahmen der Prüfung der Kausalität der Gefahrerhöhung der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens unzulässig.52 Die Beurteilung der Kausalität kann im Einzelfall schwierig sein, da sie einen Vergleich des Geschehenen mit dem hypothetischen Geschehensablauf ohne Gefahrerhöhung erfordert. Der VN braucht nur solche Möglichkeiten zu widerlegen, bei denen der Zusammenhang zwischen Gefahrerhöhung und Unfall nicht so entfernt ist, dass diese Möglichkeit vernünftigerweise nach der Lebenserfahrung außer Betracht gelassen werden kann. Die Widerlegung ganz entfernt liegender Möglichkeiten kann nicht verlangt werden.53 Der Nachweis der fehlenden Mitursächlichkeit ist beispielsweise geführt, wenn der Fahrer eines Kfz bei mangelhafter ungleichmäßiger Bereifung das Hindernis ohnehin zu spät bemerkt hätte, so dass er auch bei mangelfreier Bereifung das Kfz nicht hätte anhalten können;54 wenn das versicherte Kfz mehrfach vermietet wird, aber bei Eintritt des Versicherungsfalles vom VN gelenkt wurde;55 wenn feststeht, dass die abgefahrenen Reifen keinen Einfluss auf den Unfall hatten, da die Reifenhaftung auf trockener Fahrbahn infolge fehlenden Profils nicht schlech-

46 BGH 10.1.1951 – II ZR 21/50, NJW 1951 231, 233; BGH 26.6.1968 – IV ZR 534/68, VersR 1968 834; BGH 16.9.1986 – VI ZR 159/85, VersR 1987 37, 39; Langheid/Rixecker/Langheid § 26 Rn. 8; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 45b; Terbille/Terbille MAH § 2 Rn. 482. 47 BGH 30.4.2008 – IV ZR 53/05, VersR 2008 961, 962; BGH 17.4.2002 – IV ZR 91/01, VersR 2002 829, 830; Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 6; so im Ergebnis auch Seetzen ZAP 2006 645, 656. 48 BGH 10.1.1951 – II ZR 21/50, NJW 1951 231, 233; BGH 22.3.1965 – II ZR 44/63, VersR 1965 452, 453; BGH 15.11.1965 – II ZR 73/63, VersR 1966 131, 132; BGH 10.4.1968 – IV ZR 512/68, VersR 1968 590, 591; BGH 8.1.1969 – IV ZR 505/68, VersR 1969 247; OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 843; OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289, 1292 f.; OLG Frankfurt 16.1.1985 – 2 U 200/83, RuS 1985 280, 281; Prölss/ Martin/Armbrüster § 26 Rn. 4. 49 Bruck/Möller/Möller8 § 25 Anm. 6; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 45b. 50 Langheid/Rixecker/Langheid § 26 Rn. 8 m.N. aus der Rspr. 51 So zutreffend Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 5; a.A. OLG Hamm 24.10.1997 – 20 U 76/97, VersR 1999 49, 50. 52 OLG Karlsruhe 30.4.1986 – 4 U 9/85, VersR 1986 1180, 1183; Terbille/Terbille MAH § 2 Rn. 482. 53 BGH 22.6.1964 – II ZR 180/62, VersR 1964 813, 814; LG Aschaffenburg 21.5.1969 – 2 O 263/67, VersR 1970 339, 340. 54 BGH 31.5.1965 – II ZR 66/63, VersR 1965 752, 753. 55 Bruck/Möller/Möller8 § 25 Anm. 6. 193

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ter, sondern sogar besser war;56 wenn beim Fahren mit abgefahrenen Reifen der Unfall auch bei Verwendung vorschriftsgemäßer, das Mindestprofil aufweisender Reifen eingetreten wäre;57 wenn die Steigerung der Motorleistung allein dazu geführt hat, dass der VN wenige Sekunden früher an der Unfallstelle angekommen ist, als es mit der ursprünglichen Motorleistung möglich gewesen wäre.58 44 Die Kausalität der Gefahrerhöhung entfällt auch, wenn feststeht, dass der vor der Gefahrerhöhung bestehende Zustand im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls wiederhergestellt war.59 Der Kausalitätsgegenbeweis ist hingegen nicht erbracht, wenn der Einfluss der mangel45 haften Bereifung zwar wenig wahrscheinlich ist, aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.60 Gleiches gilt für den Fall, in dem der VN an seinem hochwertigen Fahrzeug nicht zugelassene Breitreifen und ein Sportfahrwerk nachrüstet, so dass ein erhöhter Verlockungsanreiz entsteht, das Fahrzeug zu entwenden. Hier ist davon auszugehen, dass die insgesamt sportive Ausstattung sich jedenfalls mitursächlich auf die Entwendung ausgewirkt hat und die Gefahrerhöhung damit kausal geworden ist.61 Bei Einbau eines leistungsstärkeren Motors in ein Fahrzeug ist der Kausalitätsgegenbeweis dann nicht geführt, wenn bereits durch die ungewohnt stärkere Motorisierung ein wesentlich höheres Gefährdungspotential gegeben ist.62 46 Auch bei Einflussnahme der Gefahrerhöhung auf die Höhe des Schadens hat der Kausalitätsgegenbeweis Bedeutung. Hier muss die gesteigerte Gefahr in Vergleich gesetzt werden zu der hypothetisch bestehenden Gefahr und dem durch diese Gefahr hypothetisch verursachten Schaden.63 Dass der Schaden teilbar ist, ergibt sich aus der Anordnung des § 26 Abs. 3 („soweit“). Gelingt dem VN daher der Kausalitätsgegenbeweis zumindest hinsichtlich eines Teils der vorgenommenen Gefahrerhöhung bzw. ist die Verletzung der dem VN gem. § 23 Abs. 2 bzw. Abs. 3 auferlegten Anzeigeobliegenheit nur teilweise ursächlich für den eingetretenen Schaden, so bleibt der VR bzgl. des nicht ursächlichen Teils zur Leistung verpflichtet.64

II. Arglist 47 In den §§ 21 Abs. 2 Satz 2, 28 Abs. 3 Satz 2 oder § 82 Abs. 4 Satz 2 ist dem VN jeweils aus Gründen der Generalprävention der Kausalitätsgegenbeweis verwehrt. Wenn der VN durch falsche Angaben das Verhalten des VR zu seinen Gunsten beeinflussen will, ist der Kausalitätsgegenbeweis versperrt. Bei § 26 Abs. 3 hingegen fehlt ein entsprechender ausdrücklicher Ausschluss.

56 BGH 26.6.1968 – IV ZR 513/68, VersR 1968, 785, 786; BGH 4.6.1969 – IV ZR 618/68, VersR 1969 748, 749; OLG Schleswig-Holstein 14.4.1970 – 1 U 49/69, VersR 1970 658, 659; OLG Karlsruhe 1.3.1984 – 12 U 49/82, VersR 1986 882. 57 BGH 31.5.1965 – II ZR 66/63, VersR 1965 752, 753; BGH 22.3.1965 – II ZR 44/63, VersR 1965 452, 453; Römer/ Langheid2 §§ 23 bis 25 Rn. 51; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 45b. 58 LG Aschaffenburg 21.5.1969 – 2 O 263/67, VersR 1970 339, 340; OLG Saarbrücken 17.3.1989 – 3 U 164/84, VersR 1990 779. 59 Bruck/Möller/Möller8 § 25 Anm. 6. 60 BGH 8.1.1969 – IV ZR 505/68, VersR 1969 247; Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 8. 61 OLG Rostock 2.11.2004 – 6 U 90/04 (juris). 62 OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 843. 63 BGH 11.7.1969 – IV ZR 629/68, NJW 1969 1763, 1764; BGH 11.7.1969 – IV ZR 621/68, VersR 1969 919, 920; BGH 17.9.1969 – IV ZR 620/68, VersR 1969 983, 984; OLG Karlsruhe 30.4.1986 – 4 U 9/85, VersR 1986 1180, 1183; Prölss/ Martin/Armbrüster § 26 Rn. 4. 64 Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 23 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczweski § 26 Rn. 19 f.; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 23; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 26 Rn. 16; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 4. Matusche-Beckmann

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D. Leistungspflicht in den Fällen des § 26 Abs. 3

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Handelt der VN arglistig, ist ihm das Führen eines Kausalitätsgegenbeweises verwehrt. Da 48 es sich hierbei – wie anzunehmen ist – um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers handeln dürfte und damit eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, ist aufgrund der vergleichbaren Interessenlage diese Lücke im Wege einer Gesamtanalogie der §§ 21 Abs. 2 Satz 2, 28 Abs. 3 Satz 2 und § 81 Abs. 4 Satz 2 zu schließen.65

III. Nichtausübung des Kündigungsrechts, § 26 Abs. 3 Nr. 2 Die Leistungspflicht des VR bleibt gem. § 26 Abs. 3 Nr. 2 auch dann bestehen, wenn zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls die Kündigungsfrist nach § 24 Abs. 3 abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt war. Die Haftung des VR besteht folglich weiter, wenn dieser das – ihm infolge der Gefahrerhöhung zustehende – Kündigungsrecht nach § 24 nicht nutzt und der Versicherungsfall dann nach Ablauf der Kündigungsfrist eintritt.66 Bisweilen wird im Verstreichenlassen der Kündigungsfrist eine Genehmigung der Gefahrerhöhung durch den VR gesehen.67 Richtigerweise handelt es sich bei Abs. 3 Nr. 2 um eine gesetzliche Ausgestaltung des venire contra factum proprium.68 Erlangt der VR von einer Gefahrerhöhung Kenntnis, gibt ihm das Gesetz verschiedene Reaktionsmöglichkeiten: Er kann den Versicherungsvertrag nach § 24 kündigen oder nach § 25 eine Vertragsanpassung in Form einer erhöhten Prämie oder einen Risikoausschluss erwirken. Bleibt der VN hingegen untätig, erweckt er aus Sicht des VN den Rechtsschein, aus der Gefahrerhöhung keine Rechtsfolgen herleiten zu wollen. Aus diesem Grund ist es sachgerecht, dass ihm der Gesetzgeber verweigert, sich sodann auf die Leistungsfreiheit infolge der Gefahrerhöhung zu berufen. Ansonsten würde der dem VN durch § 24 Abs. 3 gewährte Schutz, innerhalb eines Monats Rechtsklarheit zu haben, ausgehöhlt. Erfährt der VR aber erst mit der Schadenmeldung – und damit nach Eintritt des Versicherungsfalls – von der Gefahrerhöhung, ist eine Kündigung nicht mehr erforderlich. Die Leistungsfreiheit für diesen Schadensfall tritt direkt ein.69 Dies gilt auch dann, wenn der Versicherungsfall vor Ablauf der maßgeblichen Kündigungsfrist eintrat und der VR nun die Kündigungsfrist ungenutzt verstreichen lässt.70 Das ergibt sich bereits aus Abs. 3 Nr. 2 selbst, muss doch die Kündigungsfrist zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles bereits abgelaufen sein. Will der VR allerdings auch für spätere Versicherungsfälle, die sich aus einer weiter fortbestehenden Gefahrerhöhung ergeben können, leistungsfrei sein, muss er den Versicherungsvertrag kündigen.71 Abs. 3 Nr. 2 hilft ihm nämlich nicht mehr weiter, wenn ein weiterer Versicherungsfall nach Ablauf der Kündigungsfrist eintritt. Macht der VR von seinem Recht nach § 25 Abs. 1 Gebrauch, anstelle der Kündigung die Prämie rückwirkend zu erhöhen oder die Absicherung der erhöhten Gefahr auszuschließen, wird er gem. § 26 Abs. 3 Nr. 2 ebenfalls nicht leistungsfrei.72 Das ist auch sachgerecht: Hat der 65 Ebenso Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 6; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 35; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 19; Staudinger/Halm/Wendt/Segger/Degen § 26 Rn. 17; Schirmer RuS 2014 533, 540; Wandt Rn. 899. 66 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 45a; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 36. 67 Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 36; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 26 Rn. 23. 68 So auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 26 Rn. 23. 69 OLG Saarbrücken 4.3.2020 – 5 U 64/19, VersR 2020 840, 843; OLG Köln 18.8.2015 – I-9 U 120/14, VersR 2016 1435, 1439; BGH 2.7.1964 – II ZR 92/62, VersR 1964 841, 842; BGH 16.9.1986 – VI ZR 151/85, VersR 1986 1231, 1233; BGH 16.9.1986 – VI ZR 159/85, VersR 1987 37, 38 f.; BGH 13.11.1996 – IV ZR 226/95, VersR 1997 485, 486; OLG Celle 10.10.1990 – 8 U 11/90, RuS 1991 117; OLG Schleswig-Holstein 14.8.1997 – 16 U 26/97, RuS 1997 425, 426; Bruck/ Möller/Johannsen/Johannsen8 III Anm. G 59; Schimikowski Rn. 206; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 7. 70 BGH 31.1.1952 – II ZR 259/51, BGHZ 4 369, 375 f. = NJW 1952 504, 505. 71 Schimikowski Rn. 206. 72 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 195

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VR die Prämie rückwirkend erhöht, hat sich im Schadensfall gerade das nachträglich übernommene und durch die erhöhte Prämie gedeckte Risiko realisiert.

E. Rechtsfolgen 54 Die Gefahrtragungspflicht des VR entfällt, das Versicherungsverhältnis bleibt aber im Übrigen bestehen; insbesondere bleibt die Prämienzahlungspflicht des VN von der Leistungsfreiheit des VR unberührt.73 Verzichtet der VR aus Kulanz auf die Befreiung von der Leistungspflicht, richtet sich die 55 Abwicklung des Schadensfalles nach dem Inhalt des Vertrags.74

F. Abweichende Vereinbarung 56 Gem. § 32 ist § 26 halbzwingend.75 Ein Abweichen zu Lasten des VN ist nicht möglich. Demnach sind Vereinbarungen, wonach der VR auch bei unverschuldeter oder leicht fahrlässiger Gefahrerhöhung leistungsfrei wird, unzulässig. Zudem darf das Kausalitätserfordernis nach § 26 Abs. 3 Nr. 1 nicht beseitigt werden.76 Die vertragliche Vereinbarung von Schadensquoten scheint in der Praxis schlecht umsetzbar, da aus der Rspr. das Bedürfnis nach einer Wertung im Einzelfall erkennbar ist.77 Regelungen in AVB, die Gefahrerhöhungstatbestände aufzählen und definieren, sind stets an § 32 zu messen.78 Prämienanpassungsklauseln sind nur zulässig, sofern sie sich im Rahmen von § 25 bewegen.79

G. Darlegungs- und Beweislast 57 Dem VR obliegt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Gefahrerhöhung sowie der Kenntnisse des VN ebenso wie der Beweis bzgl. des Zeitpunkts des Eintritts eines Versicherungsfalls.80 Im Rahmen des Abs. 1 Satz 1 muss der VR den Vorsatz des VN darlegen und beweisen, will 58 er die Leistung insgesamt verweigern.81 Dabei lässt sich aus der im Rahmen von § 23 Abs. 1 ohnehin erforderlichen Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände meist auf die Kenntnis von der Gefahrerhöhung schließen.82 Im Wege der sog. sekundären Darlegungslast kann sodann der VN darlegen und ggf. beweisen, aus welchen Gründen er – trotz seines Wissens um die 73 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 43b; Wandt Rn. 900. Die früher für die Lebensversicherung bestehende Sonderregelung, nach der der VR im Falle seiner Leistungsfreiheit gem. § 176 Abs. 2 Satz 1 a.F. die Rückvergütung zu erstatten hatte, sieht das Gesetz nicht mehr vor. 74 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 43c. 75 Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 15; Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 7. 76 Bruck/Möller/Möller8 § 25 Anm. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 26 Rn. 28. 77 Vgl. BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, BGHZ 190 120, 124 f. = VersR 2011 1037, 1039 f.; BGH 11.1.2012 – IV ZR 251/10, VersR 2012 341; OLG Nürnberg 11.4.2016 – 8 U 1688/15, VersR 2017 548, 549; so auch Langheid/Rixecker/Rixecker § 28 Rn. 75; Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 216. 78 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 54; vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 116. 79 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 55; Prölss/Martin/Armbrüster § 25 Rn. 10 f. 80 BGH 23.11.1967 – II ZR 105/65, VersR 1968 58; BGH 25.9.1968 – IV ZR 514/68, BGHZ 50 385 = VersR 1968 1153, 1154; ÖOGH 19.1.1999 – 7 Ob 210/98 b, VersR 2000 210, 212; ÖOGH 1.6.2000 – 7 Ob 285/99 h, VersR 2002 127, 128; LG Münster 7.12.1952 – 6 O 149/51, VersR 1952 66; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 9 f.; Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 7. 81 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69; Wandt Rn. 896. 82 S.o. Rn. 15. Matusche-Beckmann

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G. Darlegungs- und Beweislast

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gefahrerhöhenden Umstände – nicht erkannt hat, dass sein Verhalten auch gefahrerhöhenden Charakter hat.83 Beispiele sind, dass der VN etwa davon ausging, dass eine effektive Gefahrkompensation vorlag oder dass er auf die Beurteilung eines Sachverständigen vertraut hat oder sicher war, dass eine Einwilligung des VR vorlag.84 Schließlich ist der VR für das Verschuldensmaß, nach dem sich im Falle grober Fahrlässigkeit der Umfang der Leistungspflicht bestimmt, beweispflichtig.85 Dem VN obliegt der Nachweis mangelnden Verschuldens bzw. des Fehlens grober Fahrlässigkeit sowohl hinsichtlich des Vorliegens der Gefahrerhöhung als auch bzgl. der Anzeigepflichtverletzung (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs.).86 Aus der Formulierung des § 26 Abs. 2 Satz 2, 1. Hs. folgt, dass sich der VN im Rahmen der Verletzung der Anzeigeobliegenheiten vom Vorsatz zu entlasten hat. Dies könnte in Widerspruch zu den sonstigen Regelungen der § 26 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 2 Satz 1 und § 82 Abs. 3 Satz 1 stehen, in denen der Gesetzgeber dem VR die Beweislast für den Vorsatz des VN aufgebürdet hat. Vor diesem Hintergrund wird die Bestimmung in § 26 Abs. 2, 1. Hs. in der Literatur teilweise für systemwidrig oder für ein Redaktionsversehen gehalten.87 Es könnte unbillig erscheinen, dem VN für die Fälle der § 23 Abs. 2 und Abs. 3 eine Entlastung vom Vorsatz aufzubürden, während bei Vorliegen der subjektiven Gefahrerhöhung dem VN lediglich die Entlastung von der groben Fahrlässigkeit aufgebürdet wird. Aus der Gesetzesbegründung geht jedoch hervor, dass der Gesetzgeber die Beweislast entsprechend den Vorschriften des § 25 Abs. 2 Satz 2 a.F. und des § 28 Abs. 1 Satz 2 a.F. regeln wollte.88 Dementsprechend liegt die Annahme eines Redaktionsversehens und damit einer planwidrigen Regelungslücke fern, denn im Rahmen dieser Vorschriften musste ebenfalls der VN den Entlastungsbeweis für sein Verschulden führen.89 Die Regelung ist auch nicht systemwidrig, denn auch im Rahmen des § 19 Abs. 1 liegt die Beweislast für fehlenden Vorsatz beim VN.90 Immerhin befindet man sich im Fall des § 26 Abs. 2 Satz 2, 1. Hs. auch in einer Situation, in der der VR zunächst bereits die Kenntnis des VN von der Gefahrerhöhung als solcher nachweisen muss; in dieser Situation aber erscheint es auch gerechtfertigt, dem VN die Beweislast für das Nichtvorliegen von Vorsatz aufzuerlegen, wenn der VN die Gefahrerhöhung trotz seiner Kenntnis nicht anzeigt.91 Dieser Entlastungsbeweis ist geführt, wenn feststeht, dass der gefahrerhöhende Charakter der die Gefahrerhöhung begründenden Umstände nicht erkennbar war.92 Ebenso ist der VN beweispflichtig hinsichtlich der unverzüglichen Anzeige93 sowie der Kenntnis des VR von der Gefahrerhöhung.94 Steht nicht sicher fest, dass der VN die Anzeige mit dem von ihm behaupte83 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 4. 84 Beispiele nach Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 4. 85 Vgl. dazu auch schon oben Rn. 3; RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69; Heß RuS 2013 1, 4; a.A. Langheid/Rixecker/ Langheid § 26 Rn. 7.

86 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69; BGH 16.9.1986 – VI ZR 159/85, VersR 1987 37, 39; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 44; Bruck/Möller/Möller8 § 25 Anm. 9; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 12; Wandt Rn. 898. 87 Vgl. Pohlmann VersR 2008 437, 442; ebenfalls kritisch Loacker VersR 2008 1285, 1291; Rixecker ZfS 2007 136, 137; Schwintowski ZRP 2006 139, 140. 88 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 89 So auch KG Berlin 15.7.2016 – 6 U 24/16, RuS 2017 582, 584; a.A. Schimikowski jurisPR-VersR 5/2018 Anm. 2. 90 Vgl. nur Looschelders/Pohlmann/Looschelders zu § 19 Rn. 59, 82 und im Rahmen von § 26 Rn. 15; Langheid/ Wandt/Reusch § 26 Rn. 16; Pohlmann VersR 2008 437, 442; nun auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 26 Rn. 14. 91 Überzeugend Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 26 Rn. 15 m.w.N. 92 Terbille/Terbille MAH § 2 Rn. 482. 93 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 48; so auch noch Prölss/Martin/Prölss27 § 25 Rn. 5; a.A. Prölss/ Martin/Prölss28 § 23 Rn. 56 und Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 115. 94 Prölss/Martin/Armbrüster § 21 Rn. 28; Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 7; Langheid/Wandt/Reusch § 26 Rn. 42. 197

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ten Inhalt erstattet hat, geht dies zu seinen Lasten.95 Ferner obliegt dem VN der Beweis dafür, dass der VR sein Kündigungsrecht gem. § 26 Abs. 3 Nr. 2 nicht ausgeübt hat und die Ausschlussfrist abgelaufen ist.96 Schließlich hat der VN den Kausalitätsgegenbeweis nach § 26 Abs. 3 Nr. 1 zu führen.97

95 So noch Prölss/Martin/Prölss27 § 25 Rn. 5; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 115, der dem VN aber eine substantiierte Darlegungslast hinsichtlich der Vornahme und des Inhalts der Anzeige auferlegt. 96 Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 5; Prölss/Martin/Prölss27 § 25 Rn. 5; Bruck/Möller/Möller8 § 25 Anm. 7. 97 ÖOGH 5.5.2010 – 7 Ob 34/10 s, VersR 2011 99; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 48a; Berliner Kommentar/Harrer § 25 Rn. 7; Terbille/Terbille MAH § 2 Rn. 482; Prölss/Martin/Armbrüster § 26 Rn. 13; Langheid/ Rixecker/Langheid § 26 Rn. 8. Matusche-Beckmann

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§ 27 Unerhebliche Gefahrerhöhung Die §§ 23 bis 26 sind nicht anzuwenden, wenn nur eine unerhebliche Erhöhung der Gefahr vorliegt oder wenn nach den Umständen als vereinbart anzusehen ist, dass die Gefahrerhöhung mitversichert sein soll.

Schrifttum Siehe die Angaben vor Vorbemerkungen zu §§ 23 bis 27.

Übersicht 1

II.

Die qualitativ unerhebliche Gefahrerhöhung, 8 § 27, 2. Alt. 8 Die Regelung des § 27, 2. Alt. Die maßgeblichen Umstände i.S.d. § 27, 12 2. Alt.

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Kommentierung

4

III.

Abweichende Vereinbarung

I.

Die quantitativ unerhebliche Gefahrerhöhung, 4 § 27, 1. Alt.

C.

Darlegungs- und Beweislast

1

1. 2. 2

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A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 27 entspricht inhaltlich dem § 29 a.F.1 Es wurden nur geringfügige redaktionelle Anpassungen 1 vorgenommen, die insbesondere den Inhalt des § 29 S. 2 a.F. verdeutlichen sollen.2

II. Inhalt und Zweck der Regelung Neben anderen Fällen der Unanwendbarkeit der Gefahrerhöhungsvorschriften, wie etwa in dem 2 Falle, in dem eine Änderung der maßgeblichen Umstände nicht alle Voraussetzungen des Begriffs der Gefahrerhöhung erfüllt,3 bestimmt § 27, dass unerhebliche (1. Alt.) sowie mitversicherte Gefahrerhöhungen (2. Alt.) vom Anwendungsbereich der §§ 23 ff. ausgenommen sind. Es greifen also nur im Fall einer erheblichen Gefahrerhöhung die §§ 23 ff. oder dann, wenn nicht eine nach den Umständen als mitversicherte Gefahr anzusehende Gefahrerhöhung in Rede steht.4 Dahinter steht die Überlegung, dass versicherte Risiken meist nicht statisch feststehen, sondern häufig kleineren oder größeren, relevanten oder belanglosen Veränderungen unterworfen sind. 1 § 29 VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung lautete: „Eine unerhebliche Erhöhung der Gefahr kommt nicht in Betracht. Eine Gefahrerhöhung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn nach den Umständen als vereinbart anzusehen ist, daß das Versicherungsverhältnis durch die Gefahrerhöhung nicht berührt werden soll.“. 2 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 3 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 3. 4 Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 30; vgl. auch die Ausführungen in § 23 Rn. 6 ff. 199 https://doi.org/10.1515/9783110522624-010

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§ 27 VVG

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Unerhebliche Gefahrerhöhung

§ 27 unterscheidet zwischen der quantitativ unerheblichen (§ 27, 1. Alt.) und der qualitativ unerheblichen (so § 27, 2. Alt.) Gefahrerhöhung,5 die sich aber häufig nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen.

B. Kommentierung I. Die quantitativ unerhebliche Gefahrerhöhung, § 27, 1. Alt. 4 Nach § 27, 1. Alt. finden die §§ 23 ff. im Falle einer unerheblichen Gefahrerhöhung keine Anwendung. Da in entsprechenden Fällen zumeist nach der hier vertretenen Ansicht6 schon tatbestandlich gar keine Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 vorliegt, hat § 27, 1. Alt. im Wesentlichen nur eine klarstellende Funktion.7 5 Von der Unerheblichkeit ist grundsätzlich auszugehen, wenn sich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalles nur unwesentlich erhöht.8 Die Bewertung einer Gefahrerhöhung als wesentlich oder unwesentlich erfolgt dabei nach objektiven Kriterien: Maßgeblich ist, ob die Änderung der Gefahrenlage dem VR vernünftigerweise Anlass geben kann, das Versicherungsverhältnis aufzuheben oder dessen Fortbestand von einer Änderung der Vertragsbedingungen, insbesondere einer Anpassung der Vertragsprämie abhängig zu machen.9 Zu fragen ist, ob der VR den Vertrag – hätte er die Änderung vorhergesehen bzw. hätten die Umstände schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgelegen – so oder nur zu anderen Konditionen abgeschlossen hätte. Dabei sind die in der Branche regelmäßig angewandten Geschäftsgrundsätze entscheidend, also die übliche Versicherungspraxis. Nicht maßgebend ist hingegen die konkrete Handhabung des einzelnen VR.10 Anhaltspunkte ergeben sich zudem auch infolge eines Vergleichs mit Fallgestaltungen aus der einschlägigen Rspr.11 sowie der Aufteilung der verschiedenen Positionen i.R.d. Prämientarifs des VR.12 6 Bisweilen wird angenommen, dass Risikoerhöhungen, die nur von kurzer Dauer sind, unerhebliche Gefahrerhöhungen i.S.v. § 27 sind.13 Danach stellt die einmalige Fahrt mit einem überladenen Fahrzeug eine nur unerhebliche Gefahrerhöhung dar14 ebenso wie die Tatsache, dass kurz vor einem Umzug ein Haustürknauf durch eine Klinke ersetzt wird, so dass ein Eindringen in das Haus ohne Weiteres möglich wäre.15

5 So auch Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 27 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 27 Rn. 1; BeckOK/Staudinger/Ruks § 27 Rn. 3 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Langheid § 27 Rn. 1; Martin SVR N III Rn. 24; Langheid Ausfallversicherung und Gefahrerhöhung NVersZ 2002 433, 435 f.; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 31, 32: nach Ansicht von Hahn eignen sich die Merkmale der Qualität und Quantität nur bedingt für die Bewertung einer Gefahrerhöhung als unerheblich. 6 Vgl. § 23 Rn. 6 ff.; a.A. Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 3; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 27 Rn. 4. 7 Anders Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 27 Rn. 3 f.: An sich liege auf Grundlage des geltenden Rechts tatbestandlich eine Gefahrerhöhung vor, da § 27 sonst keine eigenständige Bedeutung hätte; ähnlich Langheid/Wandt/ Reusch § 27 Rn. 3. 8 OLG Düsseldorf 27.6.1995 – 4 U 211/94, VersR 1997 231, 232 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 1; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 31. 9 Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 2. 10 Schon RG 20.5.1910 – VII 416/09, RGZ 73, 359, 360 f.; Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 5; Martin SVR N III Rn. 28 ff. 11 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 31. 12 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 6. 13 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 6. 14 BGH 20.3.1967 – II ZR 186/64, VersR 1967 493; BGH 19.1.1977 – IV ZR 99/75, VersR 1977 341, 342; BGH 18. 10.1952 – II ZR 72/52, BGHZ 7 311, 322 = NJW 1952 1291, 1293. 15 BGH 21.4.1993 – IV ZR 41/92, NJW-RR 1993 1116, 1117. Matusche-Beckmann

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B. Kommentierung

VVG § 27

Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Allerdings muss dogmatisch abgegrenzt werden. Fehlt 7 es bereits an dem – jedenfalls nach hier vertretener Ansicht für die Gefahrerhöhung konstitutiven – Merkmal der Dauerhaftigkeit,16 bedarf es keines Rekurses auf § 27. Dauert der Zustand hingegen so lange an, dass grundsätzlich eine Gefahrerhöhung vorliegt, kann die Zeitspanne aber wiederum so kurz sein, dass die Gefahrerhöhung nicht erheblich ist, so dass wiederum die §§ 23 ff. nicht anwendbar sind. Unerheblichkeit wurde etwa bei dem Leerstehenlassen eines Gebäudes von weniger als 60 Tagen17 sowie bei Leerstehen eines Wohngebäudes bei gleichzeitiger Minderung der Gefahr durch Auszug des einzigen Bewohners angenommen, da hierdurch die von diesem ausgehenden Gefahren und Gefährdungen entfallen.18 Nach hier vertretener Ansicht könnte es sich im ersten Falle um eine unerhebliche Gefahrerhöhung handeln. Wenn ein Wohngebäude verlassen wird, dann aber von Unbefugten genutzt wird, kann allerdings auch eine Gefahrerhöhung vorliegen, wenn es zu einem Unterschlupf oder Anziehungspunkt für Wohnsitzlose werden kann, mithin weitere risikoerhöhende Umstände hinzukommen.19 Im zweiten Falle handelt es sich hingegen um eine Gefahrkompensation, die schon tatbestandlich keine Gefahrerhöhung darstellt20 und folglich a fortiori nicht erheblich sein kann.

II. Die qualitativ unerhebliche Gefahrerhöhung, § 27, 2. Alt. 1. Die Regelung des § 27, 2. Alt. § 27, 2. Alt. erklärt die §§ 23 ff. auch für den Fall nicht für anwendbar, dass nach den Umständen 8 als vereinbart anzusehen ist, dass die Gefahrerhöhung mitversichert sein soll. Es handelt sich bei § 27, 2. Alt. um eine Auslegungsregel.21 Die Auslegung des Vertrags unter 9 Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls gibt Auskunft darüber, ob bestimmte Änderungen der Gefahrenlage mitversichert sind oder nicht.22 Nach anderer Ansicht bleibt die Vorschrift bei einem Verständnis als Auslegungsregel ohne 10 Inhalt; daher handele es sich vielmehr um eine vom konkreten Parteiwillen gelöste, an Treu und Glauben und der Verkehrsauffassung zu orientierende Berücksichtigung der Parteiinteressen, also um eine objektive Wertung, die schon in den Begriff der Gefahrerhöhung hineinzulesen sei.23 Daneben wird in dieser Vorschrift die Grundlage zur ergänzenden Vertragsauslegung und damit zur Ergänzung des Versicherungsvertrags nach den §§ 157, 242 BGB gesehen, mit deren Hilfe der Deckungsumfang aus dem Versicherungsvertrag ermittelt werden könne.24 16 Nach der hier vertretenen Ansicht erfordert bereits der Begriff der Gefahrerhöhung eine Änderung von Gefahrumständen, die einen neuen Zustand erhöhter Gefahr schafft, der jedenfalls von so langer Dauer ist, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Geschehensablaufs bilden kann und damit geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern, s.o. § 23 Rn. 37 m.w.N. 17 OLG Hamm 17.9.1997 – 20 U 31/97, VersR 1998 1152, 1153; vgl. auch OLG Naumburg 3.9.2015 – 4 U 27/15, VersR 2016 854, 855. 18 OLG Hamm 6.2.1998 – 20 U 159/97, VersR 1999 359. 19 OLG Hamm 6.2.1998 – 20 U 159/97, VersR 1999 359, 360; OLG Hamm 27.7.2005 – 20 U 118/05, VersR 2006 113, 114; OLG Celle 24.9.2009 – 8 U 99/09, VersR 2010 383, 384; OLG Dresden 6.10.2020 – 4 U 2789/19, RuS 2021 31, 35. 20 S.o. § 23 Rn. 19 ff. 21 So auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 27 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 27 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Langheid § 23 Rn. 19; Langheid/Wandt/Reusch § 27 Rn. 11; Lüttringhaus/Genz RuS 2020 258, 259; Kortüm 154. 22 Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 27 Rn. 7; Beckmann ZIP 2002 1125, 1129; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 32a. 23 Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 2; Reinhardt 103 ff.; Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 32a. 24 RG 3.1.1936 – VII 203/35, RGZ 150 48, 50; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 32; Beckmann ZIP 2002 1125, 1128 f. 201

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§ 27 VVG

Unerhebliche Gefahrerhöhung

Dem wird wiederum entgegengehalten, dass für diese Interpretation der Vorschrift kein Regelungsbedarf bestünde.25 So müssten in bestimmten Fallkonstellationen von Gefahrerhöhungen nach objektiven Maßstäben und unter Verzicht auf die Auslegung des Vertrages nach den §§ 133, 242 BGB diese Veränderungen der Risikolage dem Risikobereich des VR zugeschrieben werden können, so etwa im Falle des Aufstellens eines Baugerüstes zum Zwecke der Renovierung und Instandsetzung eines Gebäudes. Hierdurch werde zwar die Gefahr von Einbruchdiebstählen erhöht, jedoch aufgrund der Notwendigkeit und Üblichkeit von Bautätigkeiten müsse dieses Risiko dem VR zugeschrieben werden.26 Ebenso verhalte es sich mit dem vorübergehenden Nichtbewohnen eines Hauses oder einer Wohnung im Hinblick auf Leitungswasserschäden.27 Regelmäßig werden die unterschiedlichen Ansätze zu gleichen Ergebnissen gelangen. Aller11 dings spricht schon der Wortlaut der Vorschrift eher für ein Verständnis als Auslegungsregel.

2. Die maßgeblichen Umstände i.S.d. § 27, 2. Alt. 12 Als mitversicherte Gefahrerhöhungen lassen sich solche Gefahrerhöhungen ansehen, die als unausweichliche, typische, das Durchschnittsrisiko kennzeichnende Gefahrerhöhungen anzusehen sind, deren Qualifizierung i.R.d. §§ 23 ff. als Gefahrerhöhung den Versicherungsschutz der Mehrzahl der VN entwerten würde.28 Mitversichert sind damit Änderungen der Gefahrenlage, die das Durchschnittsrisiko nicht überschreiten und die allgemein üblich sind, so dass sie nach der Verkehrsanschauung als mitversichert anzusehen sind, auch wenn die Parteien sie nicht bedacht hatten; zudem muss nach Treu und Glauben anzunehmen sein, dass der VN die Änderung der Risikolage als gedeckt ansehen durfte.29 So lösen Gefahrerhöhungen, die mit dem üblichen Gebrauch einer Sache einhergehen, die Rechtsfolgen der §§ 23 ff. nicht aus.30 Dies gilt zudem auch für solche Umstände, die bereits bei Abgabe der Vertragserklärung gefahrerheblich waren, nach welchen aber der VR nicht gefragt und die der VN auch nicht arglistig verschwiegen hat. Bereits unter der früheren Rechtslage ging die Rspr. davon aus, dass der VR dann im Zeitpunkt der Vertragserklärung gewissermaßen bereit sein musste, diese Risiken zu tragen.31 Das muss erst recht nach neuer Rechtslage gelten: Wenn der VN bei Abschluss des Vertrages nur solche Umstände offenlegen muss, nach denen der VR ausdrücklich gefragt hat, darf er darauf vertrauen, dass nicht erfragte Umstände, mit denen der VR rechnen musste, nicht entscheidungserheblich sind; nur so lassen sich Wertungswidersprüche zwischen den Anzeigeobliegenheiten bei Vertragsschluss und den Vorschriften zur Gefahrerhöhung vermeiden. Ohnehin nicht vermeidbare Gefahrerhöhungen wie der Alterungsprozess i.R.d. Kranken13 versicherung oder die Abnutzung einer Maschine sind als mitversichert anzusehen. Dabei ist ausreichend, wenn die Gefahrerhöhung zwar nicht unausbleiblich, aber vorhersehbar ist.32 Beispielsweise mitversichert ist die Einlagerung von Heu in einer Scheune,33 die Lagerung von

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Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 2; Reinhardt 103 ff. Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 32a. Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 3. OLG Köln 4.4.2000 – 9 U 133/99, VersR 2001 580, 581 f.; OLG Karlsruhe 11.4.1997 – 14 U 6/96, VersR 1998 625, 626; Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 4; J. Prölss NVersZ 2000 153, 157. 29 Schon RG 3.1.1936 – VII 203/35, RGZ 150 48, 50 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 5; Bruck/Möller/Johannsen/ Johannsen8 Bd. III Anm. G 27; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 27 Rn. 9. 30 OLG Hamm 26.3.1982 – 20 U 304/81, VersR 1982 966; OLG Hamm 2.5.1984 – 20 U 336/83, VersR 1985 488; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 27. 31 LG Oldenburg 23.11.1987 – 4 O 3595/86, NJW-RR 1988 667; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 32; Langheid/Rixecker/Langheid § 27 Rn. 3.; so ähnlich Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 3, § 23 Rn. 13. 32 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 10; kritisch zum Begriff der Vorhersehbarkeit Prölss/Martin/Armbrüster § 23 Rn. 39. 33 ÖOGH 19.1.1999 – 7 Ob 210/98 b, VersR 2000 210, 212. Matusche-Beckmann

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VVG § 27

Stroh in einem Stallgebäude,34 die Einrichtung einer Heimwerkstatt in einem Holzschuppen35 sowie in der Hausratversicherung das Herbeiführen eines Versicherungsfalls durch einen Dritten, wenn die im Versicherungsvertrag definierte versicherte Gefahr auch die Herbeiführung eines Schadens durch einen Dritten mit umfasst, was auch schon im Falle der bloßen Drohung eines Schutzgelderpressers, dem VN Schaden an dem versicherten Gebäude zuzufügen, der Fall sein kann.36 Nicht mitversichert ist hingegen, in ländlichen Gegenden durch Basteln an Wärmequellen für die Geflügelzucht gegen die VDE-Vorschriften zu verstoßen. Solche Umstände sind nicht mehr zum normalen Versicherungsrisiko zu zählen.37 Entscheidend sind nicht die Anschauungen einer bestimmten Berufsgruppe, sondern objektive Maßstäbe.38 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Beurteilung der Mitversicherung 14 nicht nur auf den „Entwertungsgedanken“,39 die Verwirklichung des Durchschnittsrisikos sowie auf den Grundsatz von Treu und Glauben abzustellen ist. Entscheidend ist vielmehr die Würdigung der Sachlage im Einzelfall.40 So ist bezüglich der Beantwortung der Frage nach der Mitversicherung auf den Inhalt des in Rede stehenden Versicherungsvertrags, auf den Vertragszweck, auf die Umstände bei Abgabe der Vertragserklärung sowie auf die Besonderheiten des Versicherungszweiges abzustellen.41 Ist die Entscheidung der Mitversicherung weiterhin unklar, so ist auch der ausdrücklich geäußerte Wille des VR zu berücksichtigen.42 Daher muss sich nach dem Zweck des Versicherungsvertrags der VN i.R.d. Tierversicherung darauf berufen können, dass in der Nähe des Standortes der versicherten Tiere eine Seuche ausgebrochen ist, ohne dass der Versicherungsschutz entfällt.43 Zudem kann auch i.R.d. § 27, 2. Alt. der Prämientarif des VR zur Beurteilung der Mitversiche- 15 rung herangezogen werden. Unterscheidet der VR etwa i.R.d. Hundehalter-Haftpflichtversicherung nicht nach der Rasse des Hundes, versichert er damit sowohl kleine harmlose Schoßhunde als auch ausgebildete Wachhunde.44 Jedoch ist dabei zu beachten, dass viele VR mittlerweile innerhalb der Hundehalter-Haftpflichtversicherung Wachhunde und bestimmte Rassen sogenannter „Kampfhunde“ vom Versicherungsschutz ausschließen, beziehungsweise die Prämien für Kampfhunde um einiges höher sind als für „gewöhnliche“ Tiere.45 Andererseits kann ein VR, der i.R.d. Einbruchdiebstahlversicherung einen Prämienzuschlag dafür vereinbart hat, dass eine Wohnung längere Zeit ohne Aufsicht ist, bei Unbewohntwerden keine Gefahrerhöhung geltend machen.46 Schließlich können auch Fragen, die gem. den §§ 19 ff. bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht gestellt werden, ein Indiz dafür sein, was als mitversichert anzusehen ist.47

34 OLG Hamm 25.8.1989 – 20 U 69/89, RuS 1990 22, 24. 35 OLG Hamm 26.3.1982 – 20 U 304/81, VersR 1982 966. 36 OLG Karlsruhe 11.4.1997 – 14 U 6/96, NJW-RR 1998 675, 676; J. Prölss NVersZ 2000 153, 157 f.; Bruck/Möller/ Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 27. 37 OLG Hamm 20.1.1971 – 20 U 139/70, VersR 1971 805, 805 f. 38 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 27. 39 J. Prölss NVersZ 2000 153, 157. 40 Beckmann ZIP 2002 1125, 1130; Langheid/Wandt/Reusch § 27 Rn. 14. 41 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn § 20 Rn. 32b; Beckmann ZIP 2002 1125, 1130. 42 Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 2, nach dem die ausdrückliche Vereinbarung die Bedeutung einer Zweifelsregel habe. 43 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 10; bedingt auch Langheid NVersZ 2002 433, 435 f., der jedoch zwischen dem Ausbruch einer bekannten und einer unbekannten Tierseuche unterscheiden will. 44 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 10. 45 S. z.B. Hundeversicherungen 24 (http://www.hundeversicherungen24.com/hundehaftpflichtversicherungkampfhunde.html, letzter Abruf 4.10.2021). 46 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 10. 47 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Loacker § 27 Rn. 7. 203

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Unerhebliche Gefahrerhöhung

III. Abweichende Vereinbarung 16 Gem. § 32 Abs. 1 ist § 27 halbzwingend. Damit ist eine Vereinbarung, nach der eine unerhebliche oder mitversicherte Gefahrerhöhung entgegen § 27 dem Anwendungsbereich der §§ 23 ff. unterworfen wird, nicht zulässig. Wurde damit ein bestimmter Sachverhalt als Gefahrerhöhung vereinbart, kann dennoch der VN dessen Unbeachtlichkeit nachweisen.48 Hingegen steht es den Vertragsparteien frei, eine bestimmte Veränderung der Risikolage als unerheblich zu vereinbaren.49 Zu beachten ist insofern auch § 158 für den Bereich der Lebensversicherung. Danach muss bei Vertragsschluss festgelegt werden, welche Änderungen der Gefahrumstände als Gefahrerhöhung angesehen werden sollen. Telematik-Tarife50 bringen neue Fragen im Rahmen der negativen Abweichung von § 27, 17 2. Alt. Bei diesem Tarif werden die Prämien anhand des Fahrstils, welcher mittels USB-Sticks, App oder ähnlichem gemessen wird, ermittelt. Da manche Tarife eine höhere Prämie vorsehen, sofern der VN nach Vertragsschluss dauerhaft riskanter fährt, könnten auch hier die §§ 23 ff. eine Rolle spielen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob diese Tarife eine negative Abweichung von § 27, 2. Alt. darstellen, da diese Vorschrift gerade die Unanwendbarkeit der §§ 23 ff. bestimmt, sofern die Gefahrerhöhung den Umständen nach als mitversichert gelten soll. Folglich würde eine Erhöhung der Prämie durch Änderung der Fahrweise, so wie es in manchen Tarifen vorgesehen ist, gegen § 32 verstoßen.51 Eine Zulässigkeit wird teilweise mit dem Argument begründet, dass eine negative Abweichung gerade nicht vorliege, wenn der VN im Gesamtergebnis nicht schlechter stehe. Dies wäre hier der Fall, denn die Prämie werde hier auch herabgesetzt, sofern der Fahrer umsichtig fahren würde. Außerdem diene die Regelung vor allem dazu, das Äquivalenzprinzip besser zu schützen.52 Dies erscheint überzeugend. Hat zuvor der VR die Prämien anhand eher abstrakter, verallgemeinernder Kriterien kalkuliert, so kann es hier durch die individuelle Anpassung zu entsprechend niedrigeren Prämien kommen, denn die Kalkulation ist mit Messung des Fahrstils genauer möglich. Zweifel an der Wirksamkeit des Tarifs in dieser Ausgestaltung bestehen jedoch weiterhin. Es ist 18 nicht auszuschließen, dass der VN im Einzelfall schlechter steht als gesetzlich geregelt. Regelmäßig soll eine risikoreichere Fahrweise nach § 27, 2. Alt. mitversichert sein – und daher ist ein Prämienaufschlag nicht zulässig.53 Auf der anderen Seite bestehen bei Tarifen mit einem „Rabatt-System“ keine grundlegenden Bedenken. Nach dieser Art konzipierte Tarife führen zu Prämienrabatten bei risikoarmer Fahrweise. Hier scheidet die Anwendung der §§ 23 ff. von vorneherein aus.54

C. Darlegungs- und Beweislast 19 Nach h.M. obliegt dem VR der Beweis für das Vorliegen der Gefahrerhöhung und damit auch der Nachweis der Erheblichkeit, da Gefahrerhöhung i.S.d. §§ 23 ff. stets nur eine erhebliche Gefahrerhöhung ist.55 Anders ist dies jedoch dann, wenn im Versicherungsvertrag bestimmte Tatsachen als Gefahrerhöhung aufgeführt sind.56 48 Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 2; Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 13; Langheid/Wandt/Reusch § 27 Rn. 22. 49 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 8, 12; Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 1. 50 So beispielsweise die Tarife der Cosmos Direkt und der VHV (https://www.cosmosdirekt.de/betterdrive/telematik-tarif; https://www.vhv.de/versicherungen/kfz-versicherung/pkw-telematik, letzter Abruf 4.10.2021). 51 Klimke RuS 2015 217, 220. 52 Klimke RuS 2015 217, 220. 53 Armbrüster/Greis ZfV 2015 457. 54 So sehen es Armbrüster/Greis ZfV 2015 457. 55 BGH 8.3.1962 – II ZR 77/60, VersR 1962 368, 369; Heyers, NJW 2015 631, 633; Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 4; Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 7; Langheid/Rixecker/Langheid § 27 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 27 Rn. 7; a.A. LG Münster 7.12.1951 – 6 O 149/51, VersR 1952 66; LG Essen 12.1.1961 – 20 313/60, VersR 1961 506. 56 Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 7. Matusche-Beckmann

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C. Darlegungs- und Beweislast

VVG § 27

Hingegen trägt der VN die Beweislast für das Vorliegen einer ausdrücklichen oder still- 20 schweigenden Vereinbarung i.S.d. § 27, 2. Alt., da aufgrund der Tatsache der Mitversicherung der maßgeblichen Gefahrerhöhung der Anwendungsbereich der §§ 23 ff. nicht gegeben ist, eine erhebliche Gefahrerhöhung an sich jedoch vorliegt.57

57 Schon RG 3.1.1936 – VII 203/35, RGZ 150 48, 50; so noch Prölss in der 27. Aufl. des Prölss/Martin § 29 Rn. 3; Bruck/Möller/Möller8 § 29 Anm. 11; a.A. Langheid/Rixecker/Langheid § 27 Rn. 4, Berliner Kommentar/Harrer § 29 Rn. 4, da die Regelung des § 27, 2. Alt. bereits zur Prüfung, ob überhaupt eine Gefahrerhöhung vorliegt, zum Tragen komme; einschränkend Prölss/Martin/Armbrüster § 29 Rn. 7, nach dessen Ansicht der VR beweisbelastet ist, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Gefahrerhöhung streitig ist oder wenn es im Rahmen der Mitversicherung um die Verkehrsüblichkeit bzw. versicherungstechnische Konsequenzen geht. 205

Matusche-Beckmann

§ 28 Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit (1) Bei Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit, die vom Versicherungsnehmer vor Eintritt des Versicherungsfalles gegenüber dem Versicherer zu erfüllen ist, kann der Versicherer den Vertrag innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, ohne Einhaltung einer Frist kündigen, es sei denn, die Verletzung beruht nicht auf Vorsatz oder auf grober Fahrlässigkeit. (2) 1Bestimmt der Vertrag, dass der Versicherer bei Verletzung einer vom Versicherungsnehmer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist, ist er leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit vorsätzlich verletzt hat. 2Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer. (3) 1Abweichend von Absatz 2 ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. 2Satz 1 gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat. (4) Die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit des Versicherers nach Absatz 2 hat bei Verletzung einer nach Eintritt des Versicherungsfalles bestehenden Auskunftsoder Aufklärungsobliegenheit zur Voraussetzung, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat. (5) Eine Vereinbarung, nach welcher der Versicherer bei Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit zum Rücktritt berechtigt ist, ist unwirksam.

Schrifttum Armbrüster Das BGH-Urteil zur unterlassenen AVB-Anpassung und seine Folgen, VersR 2012 9; ders. Das Alles-odernichts-Prinzip im Privatversicherungsrecht (2003); ders. Abstufungen der Leistungsfreiheit bei grob fahrlässigem Verhalten des VN, VersR 2003 675; Bach Entwicklung eines differenzierten Repräsentantenbegriffs, VersR 1990 235; Bachmor Aufklärungsobliegenheit und Kausalitätsgegenbeweis nach Unfallflucht, NZV 2018 41; Baum Die Wissenszurechnung (1999); Baumann Quotenregelung contra Alles-oder-Nichts-Prinzip im Versicherungsfall – Überlegungen zur Reform des § 61 VVG, RuS 2005 1; ders. Der Streit um die Quote, RuS 2010 51; Baumgärtel Anmerkung zu OLG Hamm 12.6.1991, VersR 1992 601; Behrens Drittzurechnung im Privatversicherungsrecht (1980); Bischoff Versichertes Risiko und materielle Obliegenheiten, VersR 1972 799; Bötticher Wesen und Arten der Vertragsstrafe sowie deren Kontrolle, ZfA 1970 3; C. Brand „Rechtsfähige Gesamthand“ und Versicherungsrecht, VersR 2009 306; Brand Das Quotelungsprinzip – Versuch einer Versöhnung, in: FS E. Lorenz (2014) 55; Bruns Privatversicherungsrecht (2015); C. Bruns Voraussetzungen und Auswirkungen der Zurechnung von Wissen und Wissenserklärungen im allgemeinen Privatrecht und im Privatversicherungsrecht (2007); Burmann Die Belehrungserfordernisse des § 28 IV VVG in der Kraftfahrtversicherung im Licht der aktuellen Rechtsprechung des BGH, NZV 2018 560; Cyrus Repräsentantenhaftung des Versicherungsnehmers (1998); Deutsch Versicherungsvertragsrecht, 6. Aufl. (2008); Döll Aktuelle Rechtsprechung zur Kürzung von Kaskoversicherungsleistungen aufgrund grober Fahrlässigkeit, DAR 2014 351; Evermann Die Anforderungen des Transparenzgebots an die Gestaltung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (2002); Fahl/Kassing Jetzt sind die Gerichte am Zug – Fehler bei der AVB-Anpassung? Chancen der AVB-Anpassung für die Versicherungsnehmer, VW 2009 320; Feifel, Die Quotelung bei Obliegenheitsverletzungen nach § 28 VVG 2008 (2011); Felsch Verhüllte Obliegenheiten – ein Nachruf, RuS 2015 53; ders. Beweis des VersFalls Einbruchdiebstahl; Stehlgutliste für Polizei – hier: Belehrungspflicht, RuS 2014 555; ders. Die Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Sachversicherung (und Warenkreditversicherung), RuS 2014 313; ders. Neuregelung von Obliegenheiten und Gefahrerhöhung, RuS 2007 485; Fleck Zur Frage der Ursächlichkeit bei § 6 Abs. 3 S. 2 VVG, VersR 1956 465; Franz Das Versicherungsvertragsrecht im neuen Gewand – Die Neuregelungen und ausgewählte Probleme, VersR 2008 298; Fromm Verlust des Versicherungsschutzes wegen angeblicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheiten, ZfS 2016 669; Funck Ausgewählte Probleme aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG

Heiss https://doi.org/10.1515/9783110522624-011

206

Schrifttum

VVG § 28

aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Fuhrer Das Quotensystem im neuen VVG – Die Perspektive des schweizerischen Rechts, in: Brömmelmeyer/Heiss/Meyer/Schwintowski/Wallrabenstein/Zimmermann (Hrsg.) Versicherungswissenschaftliche Studien, Band 47 (2015) 167; Günther Die Einreichung einer Stehlgutliste ist in den nach dem neuen VVG zu beurteilenden Fällen keine spontan zu erfüllende Obliegenheit, VersR 2011 1560; ders. Alte AVB und neues VVG – Sanktionslosigkeit von Obliegenheitsverletzungen? ZfS 2010 362; ders. Die arglistige Täuschung des Versicherungsnehmers nach Eintritt des Versicherungsfalls – zugleich ein Beitrag zu § 28 Abs. 3 S. 2 VVG, ZVersWiss 2010 607; ders. Zur Kürzung der Versicherungsleistung nach der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers, RuS 2009 492; Günther/Spielmann Das Urteil des BGH vom 12.10.2011 (IV ZR 199/10) VersR 2011, 1550 – Auswirkungen und Lösungsansätze, VersR 2012 549; dies. Vollständige und teilweise Leistungsfreiheit nach dem VVG 2008 am Beispiel der Sachversicherung, RuS 2008 133 (Teil I) und 177 (Teil II); Hähnchen Obliegenheiten und Nebenpflichten (2010); Hamann Änderungen im Obliegenheitsrecht, VersR 2010 1145; Hansen Beweislast und Beweiswürdigung im Versicherungsrecht (1990); Heiss Von der „durchschnittlichen“ groben Fahrlässigkeit – eine Kurzanmerkung zu OLG Hamm vom 21.10.2011 (I-20 U 41/11) VersR 2012, 479, VersR 2012 960; ders. Das Quotensystem im neuen VVG, VersWiss. Stud. Bd. 42 (2012) 191; ders. Proportionality in the new German Insurance Contract Act 2008, Erasmus Law Rewiew (ELR) 5 (2012) 105; Hellwege Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht aus historisch-vergleichender Perspektive, RabelsZ 76 (2012) 864; Hering Die Repräsentantenhaftung in der Kaskoversicherung, SVR 2012 201; Herrmann Pflichtverletzungen des Versicherungsnehmers. Eine europarechtskonforme Reform? in: Herrmann/Wambach (Hg.) Reform des Versicherungsvertragsrechts (2003) 101; Heß Die Quotenbildung nach dem VVG – Erfahrungen seit 2008, RuS 2013 1; ders. Die VVG-Reform: Alles oder Nichts – das ist (nicht mehr) die Frage, NJW 2007 159; Heß/Burmann Die Quote bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung – Vom Alles oder Nichts zum Mehr oder Weniger, NZV 2009 7; Heß/Burmann Der Alkohol und die VVG-Quote – ein Rechtsprechungsüberblick, NJW-Spezial 2012 201; Hiort Das Alles-oder-Nichts-Prinzip im Privatversicherungsrecht und die Neuregelung durch die VVG-Reform (2010); Hövelmann Anpassung der AVB von Altverträgen nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG – Option oder Zwang? VersR 2008 612; U. Hübner Verhaltensabhängige Risikoausschlüsse und verhüllte Obliegenheiten, VersR 1978 981; U. Hübner/Schmid Die Sanktion des Fehlverhaltens des Versicherungsnehmers (2005); Hüffer Die Leistungsfreiheit des Versicherers bei vorsätzlicher Verletzung von Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall, VersR 1974 617; Jabornegg Die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für Dritte bei schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalles und sonstigem gefährlichen Verhalten, VersRdsch 1975 100; Josef Die Haftung des Versicherungsnehmers für Handlungen Dritter, ZVersWiss 1911 201; Jung Privatversicherungsrechtliche Gefahrengemeinschaft und Treuepflicht des Versicherers, VersR 2003 282; Kalischko Zur Repräsentantenstellung des Mieters/ Pächters und dem Risiko eines Wegfalls der Versicherungsleistung zu Lasten des Vermieters/Verpächters, MDR 1990 215; Kampmann Die Repräsentantenhaftung im Privatversicherungsrecht (1996); ders. Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Repräsentantenbegriff, VersR 1994 277; Karczewski Die neuere Rechtsprechung des IV. Zivilsenats zu versicherungsrechtlichen Fragen, ZfS 2019 604; Katzwinkel Alles-oder-Nichts-Prinzip und soziale Sensibilität von Versicherungen (1994); Kirchner Risikoausschluß oder verhüllte Obliegenheit? VersR 1971 599; Klimke Vertragliche Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Versicherungsanspruchs, VersR 2010 290; Klingmüller Die Gestaltung von Risikoausschlüssen mit Hilfe subjektiver Momente, Festschrift R. Schmidt (1976) 753; Knappmann Stehlgutliste – Inhalt und Wirksamkeit; Grad der Fahrlässigkeit; Hinweispflicht des Versicherers, RuS 2011 517; ders. Rechtliche Stellung des arglistigen Versicherungsnehmers, VersR 2011 724; ders. Versicherungsschutz von Foto- und Videogeräten in der Reisegepäckversicherung bei einem Beförderungsunternehmen, NVersZ 2002 298; ders. Versicherungsschutz bei arglistiger Täuschung durch unglaubwürdigen Versicherungsnehmer, NVersZ 2000 68; ders. Zurechnung von Verhalten Dritter im Privatversicherungsrecht, NJW 1994 3147; ders. Zurechnung des Verhaltens Dritter zu Lasten des VN, VersR 1997 261; Knoche Anforderungen an die Beweisführung des Versicherers bei der Rückforderung von Versicherungsleistungen, MDR 1990 965; Koch Abschied von der Rechtsfigur der verhüllten Obliegenheit, VersR 2014 283; Koller Wissenszurechnung, Kosten und Risiken, JZ 1998 75; Kuhn Quotenbildung nach dem neuen Versicherungsvertragsgesetz – „Goslarer Orientierungsrahmen“, DAR 2010 111; Kurzka Alles, nichts oder ein bisschen? VersR 2001 698; Langheid Obliegenheiten nach Deckungsablehnung, Festschrift E. Lorenz (2014) 241; ders. Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes – 1. Teil: Allgemeine Vorschriften, NJW 2007 3665; ders. Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht, NJW 2001 111; ders. Repräsentanz in der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung? NVersZ 2000 463; Langheid/Müller-Frank Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht 1992/1993, NJW 1993 2652; Lehmann Zurechnung im Versicherungsrecht – Die Rechtsfigur des Repräsentanten, RuS 2019 361; Leverenz Anforderungen an eine „gesonderte Mitteilung“ nach dem VVG 2008, VersR 2008 709; Liebelt-Westphal Schadenverhütung und Versicherungsvertragsrecht (1997); Liening Versicherungsvertragliche Obliegenheiten im Spannungsfeld von Vertragspflicht und Vertragsstrafe, Diss. Bremen 1992; Leonhardt Die Repräsentantendoktrin im Privatversicherungsrecht (1999); Lensing Die Obliegenheit, die Rechtsverfolgungskosten möglichst gering zu halten (ARB 2010), VuR 2011 290; Looks Der Kapitän – Repräsentant des Reeders in der

207

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Seekaskoversicherung? VersR 2003 1509; Looschelders Obliegenheiten des Versicherungsnehmers – dogmatische Grundlagen und praktische Konsequenzen, Festschrift E. Lorenz (2014) 281; ders. Arglist des Versicherungsnehmers, Gedächtnisschrift Hübner (2012) 147; ders. Der Kausalitätsgegenbeweis des Versicherungsnehmers, ZVersWiss 2011 461; ders. Quotelung bei Obliegenheitsverletzungen: Alles, Nichts oder die Hälfte, ZVersWiss 2009 13; ders. Schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalls nach der VVG-Reform, VersR 2008 1; ders. Die Haftung des VN für seinen Repräsentanten – eine gelungene Rechtsfortbildung? VersR 1999 666; B. Lorenz Die Haftung des Versicherers für Wissen und Auskünfte seiner Agenten (1993); ders. Verletzung vertraglicher Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall: Beweismittelbeschränkungen für den Kausalitätsgegenbeweis? VersRdsch 1993 81; E. Lorenz Zur quotalen Kürzung der Leistungspflicht des Versicherers bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer, Festschrift Deutsch (2009) 855; Lücke Definition des Repräsentanten, VersR 1993 1098; ders. Voraussetzungen der Verwirkung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung, VersR 1992 182; Maier Die Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen nach dem Regierungsentwurf zur VVG-Reform, RuS 2007 89; Majerle Die vertragliche Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, in der Kaskoversicherung, VersR 2011 1492; Marlow Vertragliche Obliegenheiten vor und nach dem Versicherungsfall – Erste Anmerkungen zum Entwurf der VVGReformkommission, in: Schriftenreihe des Instituts für Versicherungswesen der Fachhochschule Köln 21 (2005) 49; ders. Die Verletzung vertraglicher Obliegenheiten nach der VVG-Reform: Alles nichts, oder? VersR 2007 43; ders. Unwirksame Rechtsfolgenregelungen in Alt- und Neuverträgen – Einige Anmerkungen, RuS 2015 591; ders. Das besondere Transparenzgebot bei vertraglichen Obliegenheiten, VersR 2017 1500; Marlow/Spuhl Das Neue VVG, 4. Aufl. (2010); Martin Verbotsirrtum und Relevanzirrtum bei Obliegenheitsverletzungen – zugleich Anmerkung zu OLG Hamm RuS 1988, 22, RuS 1988 185; ders. Beweislast des Versicherers für die Nichtabsendung einer Schadenanzeige? RuS 1988 302; Meixner/Steinbeck Das neue Versicherungsvertragsrecht (2008); Medicus Probleme der Wissenszurechnung, in: Karlsruher Forum 1994 4; Menzel Verhaltensabhängige Risikoausschlüsse der Versicherungsbedingungen im Lichte des AGB-Gesetzes, Diss. Göttingen 1991; Möller Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter (1939); ders. Übergesetzliche Hinweispflichten des Versicherers, Festschrift Klingmüller (1974) 301; Mönnich Vom „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ zur Quotelung der Versicherungsleistung – Rechtsvergleichende Überlegungen zur Reform des Versicherungsvertragsrechts in der Schweiz und in Deutschland, ZVersWiss 101 (2012) 447; Moosbauer Das quotale Leistungskürzungsrecht des Versicherers bei der grobfahrlässigen Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit nach § 28 Abs. II S. 2 VVG (2011); Mordfeld Der Repräsentant im Privatversicherungsrecht (1997); Müller Versicherungsschutz bei Nichtbeachtung von Verschlußvorschriften in der Sachversicherung, DB 1980 2069; Neumann Abkehr vom Alles-oder-Nichts-Prinzip (2004); Niederleithinger Das neue VVG (2007); ders. Ein neues Versicherungsvertragsgesetz – der große Wurf für den Verbraucher? Berliner Reihe 23 (2003) 6; ders. Auf dem Weg zu einer VVG-Reform – Zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, VersR 2006 437; Nieverth/Vespermann Beweislastverteilung bei der Verletzung von Anzeigeobliegenheiten, VersR 1995 1290; Nugel Alles, nichts oder 5000 Euro? Der Regress des Kraftfahrzeughaftpflichtversicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer auf Grund einer Obliegenheitsverletzung nach der VVG-Reform, NZV 2008 11; ders. Das neue VVG – Quotenbildung bei der Leistungskürzung wegen grober Fahrlässigkeit, MDR 2007 23; ders. Die Facetten der Arglist – Aktuelle Rechtsprechung nach der VVG-Reform, MDR 2014 1177; Päffgen Unterlassene AVB-Anpassung gem. Art. 1 Abs. 3 EGVVG, VersR 2011 837; Pauly Das Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für das Fehlverhalten Dritter, ZfS 1996 281; ders. Die neue BGH-Rechtsprechung zum Repräsentantenbegriff, MDR 1995 874; Pohlmann Keine Sanktionen bei Verletzung von Obliegenheiten, NJW 2012 188; dies. Beweislast für das Verschulden des Versicherungsnehmers bei Obliegenheitsverletzungen, VersR 2008 437; Präve Das neue Versicherungsvertragsgesetz, VersR 2007 1046; Prölss Das versicherungsrechtliche Alles-oder-Nichts-Prinzip in der Reformdiskussion – Allgemeine Überlegungen zum Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30.5.2002, VersR 2003 669; ders. Künftige Sanktionen der Verletzung von Obliegenheiten des Versicherungsnehmers: die Reform des § 6 VVG sowie der §§ 16 ff. und der §§ 23 ff., ZVersWiss 2001 471; Rattay Die verhüllte Obliegenheit – das Ende der akzeptierten Verhüllung, VersR 2015 1075; Rehm Gedanken zum Repräsentanten in der Transportversicherung, VersR 1989 115; Reiff Die Auswirkungen des BGH-Urteils vom 25.7.2012 (IV ZR 201/ 10 – VersR 2012 1149) zu den Allgemeinen Versicherungsbedinungen der Lebensversicherung, VersR 2013 785; Richardi Die Wissensvertretung, AcP 1969 385; Rixecker Quotelung bei Obliegenheitsverletzung: Alles, Nichts oder die Hälfte, ZVersWiss 2009 3; ders. VVG 2008 – Eine Einführung, ZfS 2007 15 (I. Herbeiführung des Versicherungsfalls) und 73 (II. Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall); Röhl Zur Abgrenzung der groben von der einfachen Fahrlässigkeit, JZ 1974 521; Römer Die Haftung des Versicherungsnehmers für seinen Repräsentanten, NZV 1993 249; ders. Das sogenannte Augenblicksversagen, VersR 1992 1187; ders. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip, VersWiss. Stud. Bd. 29 (2005) 11; ders. Zu ausgewählten Problemen der VVG-Reform nach dem Referentenentwurf vom 13. März 2006 (Teil I), VersR 2006 740; Rogler Anpassung von Vertragsgrundlagen an das VVG 2008 – zwei übersehene Problemfelder, RuS 2010 1; ders. Die Auswirkungen der VVG-Reform auf den Versicherungsprozess, RuS 2019 121;

Heiss

208

Schrifttum

VVG § 28

Rühl Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht Diss. Hamburg 2003; Schäfers Mindest- und Höchstquote bei grober Fahrlässigkeit, VersR 2011 842; Scheidler Quotale Leistungskürzung des Kraftfahrzeugversicherers bei alkoholbedingten Verkehrsunfällen, DAR 2016 66; Schimikowski Die Erprobungsklausel in der Kfz-RückrufkostenHafptpflichtversicherung, RuS 2019 301; ders. Grob fahrlässige Herbeiführung eines Unfalls: Unwirksamkeit der Regelung in AGB, RuS 2010 194; ders. Die Rechtsfolgen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung nach dem neuen VVG, VersR 2009 1304; ders. Haftung des Versicherungsnehmers für Verhalten und Kenntnis anderer Personen, VW 1996 626; Schirmer Der Repräsentantenbegriff im Wandel der Rechtsprechung, Münsteraner Reihe Bd. 23 (1995); ders. Arglistiges Verhalten des VN im neuen VVG, RuS 2014 533; ders. Offene Fragen nach dem Ende des Alles-oder-nichts-Prinzips – Ausstrahlungen auf die Quotierung, VersR 2011 289; ders. Aktuelle Entwicklungen zum Recht der Obliegenheiten, RuS 1990 217 (Teil I) und 253 (Teil II); ders. Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis des Haftpflichtversicherers nach Deckungsablehnung, ZVersWiss 1969 353; ders. Zur Vereinbarung von Obliegenheiten zu Lasten Dritter, insbesondere in Verträgen zu ihren Gunsten, Festschrift R. Schmidt (1976) 821; Schmalzl Anmerkung zum Urteil des OLG Schleswig vom 16.6.1993, VersR 1994 853; ders. Anmerkung zum Urteil des OLG Köln 16.6.1994, VersR 1995 1223; R. Schmidt Die Obliegenheiten (1953); Schmidt-Hollburg Die Abgrenzung von Risikoausschlüssen und Obliegenheiten in den kaufmännischen Versicherungszweigen (1991); Schneider Zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge: Information, Beratung und Belehrung im Versicherungsvertragsrecht, RuS 2015 477; Schütte Verhüllte Obliegenheiten im Versicherungsrecht (1991); Schulz-Merkel Versicherungsrechtliche Auswirkungen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort, NZV 2018 302; Schwabe Die Erprobungsklausel in der Produkthaftpflichtversicherung, VersR 2002 785; Schwarz Das Alles-oderNichts-Prinzip im Versicherungsrecht unter Berücksichtigung der Wertungen des allgemeinen Schadensrechts (1995); Schwintowski Neuerungen im Versicherungsvertragsrecht, ZRP 2006 139; ders. Vom Alles-oder-Nichts-Prinzip zum Quotensystem, VuR 2008 1; Sieg Rechtsfolgen der Verletzung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten, ZVersWiss 1973 437; ders. Obliegenheiten und sekundäre Risikobeschränkungen im Versicherungsvertragsrecht, BB 1970 106; ders. Die Folgen von Obliegenheitsverletzungen in prozessualer Sicht, VersR 1963 1089; Segger/Degen Das Recht zur Anpassung von Altverträgen: Alles oder nichts für den Versicherer? VersR 2011 440; Spielberger Zum Kausalitätsbegriff des § 6 Abs. 2 VVG insbesondere bei Verstößen gegen die Führerschein- und die Verwendungsklausel in der Kraftverkehrsversicherung, VersR 1962 927; Spielmann Sicherheitsvorschriften in der Leitungswasser-/ Rohrbruchversicherung, VersR 2006 317; Springer Anmerkung zum Urteil des OLG Hamm 19.11.1971, VersR 1972 479; Stahl Quotenbildung nach dem VVG in der Kraftfahrtversicherung – Bemessungskriterien und Quotenmodelle, NZV 2009 265; Stelzer Zur Rechtsnatur der Schweißschadenklausel in der allgemeinen Haftpflichtversicherung, VersR 1977 13; Stockmeier Risiken für den Versicherer bei unterlassener Umstellung des Altbestands auf das neue VVG? VersR 2011 312; Stürmer Ist der Ehepartner Repräsentant des Versicherungsnehmers? VersR 1983 310; Taupitz Wissenszurechnung nach englischem und deutschem Recht, in: Karlsruher Forum 1994 16; Terbille Das Alles-oderNichts-Prinzip im Versicherungsrecht, dargestellt anhand der Regelungen der §§ 6, 23 ff. und 61 VVG, RuS 2001 1; Trölsch Die Obliegenheiten in der Seeversicherung (1998); Tschersich Rechtsfragen der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung und der vertraglichen Obliegenheiten – Schwerpunkt: Die Hinweispflichten des Versicherers, RuS 2012 53; Unberath Die Leistungsfreiheit des Versicherers: Auswirkungen der Neuregelung auf die Kraftfahrtversicherung, NZV 2008 537; Veith Das quotale Leistungskürzungsrecht des Versicherers gem. §§ 26 Abs. 1 S. 2, 28 Abs. 2 S. 2, 81 Abs. 2 VVG 2008, VersR 2008 1580; Wagner Pflicht zur Anpassung der ABV von Altverträgen nach der VVGReform? VersR 2008 1190; Wagner/Rattay Rechtsfolgen der unterbliebenen Anpassung der AVB von Altverträgen – auch Versicherer haben Obliegenheiten, VersR 2010 1271; Waller AVB und Quote. Die vertragliche Ausgestaltung der Quotierungsregelung in § 28 Abs. 2 S. 2 VVG (2018); Wandt Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016); ders. Zur dogmatisch gebotenen Enthüllung von „verhüllten“ Obliegenheiten, VersR 2015 265; ders. BGH: Anforderungen an Revisionsbegründung zu Belehrungserfordernis gem. § 28 Abs. 4 VVG bei Obliegenheiten zur Stehlgutlistenvorlage bei der Polizei, VersR 2015 1121; ders. Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls, VersR 2018 321; Wegmann Obliegenheiten in der privaten Krankenversicherung (1997); Weidner Risiken bei unterlassener Anpassung der AVB von Altverträgen an das VVG 2008? RuS 2008 368; Weidner/Schuster Quotelung von Entschädigungsleistungen bei grober Fahrlässigkeit des VN in der Sachversicherung nach neuem VVG, RuS 2007 363; Wendt/ Jularic Die Einbeziehung des Arztes in das Versicherungsgeschäft, VersR 2008 41; Wenzel Bemerkungen zur Repräsentantenhaftung von Ehegatten, VersR 1990 1310; Werber Differenzierung nach Schutzbedürftigkeit des VN im Versicherungsrecht, Festschrift Baumann (1999) 359; Winter Die Repräsentantenhaftung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen, Festschrift E. Lorenz (1994) 723; Wittchen Die Wirksamkeit der Sanktionsregelung bei vertraglich vereinbarten Obliegenheiten, NJW 2012 2480; Wohlthat Anzeige- und Aufklärungsobliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls – am Beispiel der Sachversicherung, RuS 2019 549; Wussow Die Haftung des VN für das Verschulden von Hilfspersonen insbesondere in der Reisegepäckversicherung, VersR 1993 1454; Zierk Ist der Mieter (Pächter) Repräsentant des Vermieters (Verpächters) und welche Versicherungsmöglichkeiten gibt es? VersR 1987 132.

209

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Übersicht 1

1.

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt der Regelung

4

III.

Anwendungsbereich

8

IV.

Übergangsrecht

B.

Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der 19 Obliegenheiten

I.

Begriff

II.

Abgrenzung zu objektiven Risikobegrenzun20 gen 20 Abgrenzungsproblem 23 Rechtsprechung Kritik der Rechtsprechung und weiterführende 29 Ansätze in der Lehre 34 Verstoß gegen das Transparenzgebot Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1 BGB: das Ende der „verhüllten Oblie35 genheiten“?

1. 2. 3. 4. 5.

1

2. 3. 4.

16

19

IV. 1. 2. 3. 4.

36

5.

6.

III.

Abgrenzung zu Fristen

IV. 1. 2. 3.

40 Rechtsnatur 40 Bedeutung der Frage 41 Übersicht über die Theorien 44 Diskussion der Theorien 44 a) Voraussetzungstheorie 48 b) Verbindlichkeitstheorie 53 c) Rechtszwangtheorie 54 d) Eigener Ansatz 57 e) Neuere Literatur Abweichende vertragliche Vereinbarun60 gen

4.

63

C.

Erfüllung der Obliegenheiten

I.

Umfang der Verpflichtung

II. 1. 2.

4.

66 Entfall von Obliegenheiten 66 Allgemeines Endgültige Ablehnung der Deckung durch 67 VR Rücktritt vom Versicherungsvertrag bzw. Anfechtung des Versicherungsvertrags durch 71 VR 73 Tatsächliche Erledigung

III.

Verpflichtete Personen

7.

3.

Heiss

74 Versicherungsnehmer 74 a) Grundsatz 75 b) Mehrheit von VN 77 c) Gesamtrechtsnachfolger 78 d) Vertragsübernehmer 80 Zessionar 81 Pfand- und Pfändungsgläubiger 82 Versicherter

63

8.

85 Haftung für Dritte 85 Grundsatz: Selbstverschuldensprinzip Haftung juristischer Personen für Or86 gane 87 Haftung für Parteien kraft Amtes Haftung für gesetzliche Vertreter natürlicher Per88 sonen 89 Haftung für Repräsentanten a) Hintergründe der „Repräsentantenhaf89 tung“ 92 b) Kritik c) Sachlicher Anwendungsbereich der Reprä94 sentantenhaftung 95 d) Definition des Repräsentanten 104 e) Zurechenbares Verhalten 105 f) Unabdingbarkeit 106 g) Beispiele 108 Wissenserklärungsvertretung a) Haftung für Repräsentanten kraft Vertrags108 verwaltung b) Kritik der Repräsentantenhaftung kraft Ver109 tragsverwaltung c) Tradierte Rspr. zur Wissenserklärungsver110 tretung d) Kritik der Lehre vom Wissenserklärungsver115 treter 118 e) Erfüllungsgehilfenhaftung? 119 f) Folgerungen 123 g) Beispiele aa) Repräsentation kraft Vertragsverwal123 tung 124 bb) Wissenserklärungsvertretung 126 Wissensvertretung 126 a) Fragestellung b) Verhältnis zur Repräsentantenrechtspre127 chung 128 c) Wissenszurechnung 133 d) Beispiele 135 Beweislastfragen

D.

Rechtsfolgen der Obliegenheitsverlet136 zung

I.

Verletzung von Obliegenheiten

136

74

210

Alphabetische Übersicht

II. 1. 2.

3.

Kündigungsrecht des Versicherers 140 140 Allgemeines 143 Voraussetzungen a) Verletzung einer vertraglichen Obliegen143 heit b) Verletzung einer vor dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegen144 heit 145 c) Qualifiziertes Verschulden 146 Kündigung 146 a) Fristlose Kündigung 147 b) Kein Formzwang 149 c) Frist zur Ausübung d) Missbräuchliche Ausübung des Kündi154 gungsrechts 155 e) Wirkung der Kündigung 157 f) Beweislastfragen

5.

6.

159 Leistungsfreiheit 159 Allgemeines 160 Wirkung 163 Verzicht und Verwirkung 164 Arglistige Obliegenheitsverletzung 164 a) Volle Leistungsfreiheit 169 b) Begriff der Arglist (Schlicht) vorsätzliche Obliegenheitsverlet175 zung a) Leistungsfreiheit nach Maßgabe der Kausa175 lität der Verletzung 176 b) Begriff des „Vorsatzes“ 183 c) Kausalitätserfordernis 189 d) Belehrungspflicht Grob fahrlässige Obliegenheitsverlet199 zung a) Grundsatz: Quotelung nach der Schwere 199 des Verschuldens

201 Rechtspolitische Erwägungen 206 Begriff der groben Fahrlässigkeit Keine Vermutung „mittlerer“ grober Fahr208 lässigkeit 212 e) Quotelungsschritte f) Bemessung der Schwere des Verschul215 dens g) Quotelung und betragsmäßig beschränkte 217 Leistungsfreiheit 218 h) Quotelung und Selbstbehalt 219 i) Mehrfache Quotelung 223 j) Quotelungspraxis 224 k) Quotelungsvereinbarungen 225 l) Kausalität 228 m) Belehrungspflicht Leicht fahrlässige und schuldlose Obliegenheits229 verletzung 232 Beweislastfragen 232 a) Allgemeines 233 b) Obliegenheitsverletzung 234 c) Vorsatz und Arglist 235 d) Grobe Fahrlässigkeit 236 e) Schwere des Verschuldens 239 f) Kausalität 246 g) Belehrung h) Beweislast im Rückforderungspro247 zess b) c) d)

7. 8.

III. 1. 2. 3. 4.

VVG § 28

E.

Verbot der Vereinbarung eines Rücktritts248 rechts

F.

Konkurrenzen

G.

Halbzwingender Charakter

249 250

Alphabetische Übersicht Absolut zwingendes Recht 235, 237 Additionsmodell 219 Alles-oder-Nichts-Prinzip 1 f., 186, 199, 201, 219 Anscheinsbetrauung 114 Anscheinsbeweis 135 Anwendungsbereich des § 28 8 ff. Äquivalenz 19, 90, 184 Arglist 5, 12, 169 ff., 234 Arzt 113 Auskunftsperson 112 Bedarfsgerecht berechnete Prämie 204 Belehrungspflicht 2, 11, 165, 175, 181, 189 f., 195, 197 f., 228, 251 Berichtigungspflicht des VN 69 Berichtigung von Anzeigen 139

211

Betragsmäßig beschränkte Leistungsfreiheit 205 ff., 217 Beweislast, Allgemeines 232 Beweislast, Arglist 234 Beweislast, Belehrung 246 Beweislast, grobe Fahrlässigkeit 235 Beweislast, Kausalität 238, 239 ff. Beweislast, Kündigung 148 Beweislast, Obliegenheitsverletzung 233 Beweislast, Rückforderungsprozess 247 Beweislast, Schwere des Verschuldens 236 ff. Beweislast, Vorsatz 234 Beweislast, Zurechnung 128 Bruchteilsgemeinschaft 76 Conditio sine qua non 183, 185, 222 Deckungsablehnung durch VR 68

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Duldungsbetrauung 114 Elektronische Form 192 Entfall von Obliegenheiten 66 ff. Entstehungsgeschichte von § 28 1 ff. Erfüllung der Obliegenheit 63 ff. Erfüllungsanspruch 43, 49, 60 Erfüllungsgehilfe 40, 44, 51, 56, 101, 118 f. Erfüllungsort 63 Erfüllungszeit 63 Erklärungsgehilfe 111, 117, 118 Fahruntüchtigkeit 182 Falsa demonstratio 23, 34 Form der Belehrung 192 Form der Kündigung 147 Frist für Kündigung 146, 149 ff. Fristlose Kündigung 146 Gefahrverwaltung 30 Gesamthandgemeinschaft 76 Gesamtrechtsnachfolger 77 Gesetzliche Obliegenheiten 14, 143 Gesetzlicher Vertreter 81 Gesonderte Mitteilung 5, 193 Gewohnheitsrecht 91 Grobe Fahrlässigkeit 1, 20, 54, 145, 157, 179, 203 f., 208 ff., 232, 235 Großrisikoversicherung 7, 62, 231, 252 Haftung für Dritte 85 ff. Halbzwingende Natur 7, 14, 24, 62, 105, 141, 143, 217, 250 ff. Höchstquoten 224 Inhalt der Belehrung 63, 195 Inhalt der Obliegenheiten 136, 180 Inhaltskontrolle von AVB 8, 24, 35, 65, 105, 231, 252 f. Kausalität 1 ff., 5, 20, 54, 135, 164, 169 ff., 175 f., 183 ff., 225 ff., 239 ff. Kennenmüssen des VR der Obliegenheitsverletzung 149 ff., 153 Kenntnis des VN 103, 124, 137, 163, 214, 180 Kenntnis des VR von der Obliegenheitsverletzung 6, 142, 151 Klarstellungserfordernis 6, 142 Kollusion 12 Konkurrenzen 249 Kündigung 4 ff., 10, 46, 79, 140 ff. 144 ff., 146 ff., 154 ff., 204 Kündigung durch Vertreter 148 Kündigungswirkungen 155 f. Laufende Versicherung 7, 8, 62, 145, 146, 252 Leichte Fahrlässigkeit 229 f. Leistungsfreiheit 159 ff. Leistungsklage des VN 68 Mehrfache Quotelung 219 ff. Mehrheit von VN 75 f. Missbräuchliche Berufung auf Belehrungspflichtverletzung 165, 198 Missbräuchliche Berufung auf Leistungsfreiheit 168

Heiss

Missbräuchliche Kündigung 154 Mittlere grobe Fahrlässigkeit 208 ff. Nebenpflicht 49 ff., 93 Obhutsübertragung 96 ff. Objektive Risikobegrenzung 20 ff., 31 Obliegenheit, Begriff 19 Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls 4 f., 108, 159, 172, 186, 189, 196, 221, 244 Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls 4, 144, 183, 186, 221 Obliegenheiten zu Lasten Dritter 40, 47 Obliegenheitsverletzung 136 ff. Organ 86, 150 Organisationsverschulden 85, 128 Partei kraft Amtes 87 Pfand-/Pfändungsgläubiger 81, 162 Pflichthaftpflichtversicherung 137, 161, 247 Prävention 5, 59, 166, 174, 203 f. Primäre Risikoumschreibung 21 Privates Wissen 132 Quotelung 200, 201 ff. Quotelungsschritte 212 ff. Quotenkonsumption 219, 222 Quotenmultiplikation 219, 222 Rechtsirrtum 179 f. Rechtsnatur der Obliegenheiten 40 ff. Rechtspflicht 42 ff., 54, 60 ff. Rechtsunsicherheit 51, 119, 205 Rechtswidrigkeitszusammenhang 178 Rechtszwangtheorie 42, 53 Relevanzrechtsprechung 2, 175 Repräsentant 84, 94, 97, 100 ff., 129, 136 Repräsentantenhaftung 47, 51, 89 ff., 109, 117, 119 ff. Repräsentanz kraft Vertragsverwaltung 108 ff., 119 Risikoausschlüsse 20 ff., 34 f., 249 Risikoverwaltung 94, 96, 99 ff. Rückforderung der Versicherungsleistung 247 Rücktritt 7, 15, 48, 59, 71 f., 166, 248 Rückversicherung 8, 253 Sachinbegriff 76 Sanktionslose Obliegenheit 12 f. Schadensersatz 55 Schriftform 148, 192, 250 Schriftformvorbehalt 147, 250 Schuldlosigkeit 215 ff. Seeversicherung 8, 231, 253 Selbstverschuldensprinzip 85 Speicherung von Wissen 131 Sprache der Belehrung 194 Stufenmodell 219, 222 Tatsachenirrtum 179 f. Teilbarkeit der Prämie 156 Textform 5, 192 Transparenzgebot 13, 34, 64 Übergangsrecht 16 ff. Unfallflucht 178, 245

212

A. Einführung

Universalsukzessor 77 Unklarheitenregel 23, 64 Veräußerung der versicherten Sache 80 Verbindlichkeitstheorie 43, 48 ff. Vereinbarung der Leistungsfreiheit 11, 143 Vereinbarung einer Obliegenheit 9, 61 f. Verhalten des Versicherten 19, 21 f., 29, 32, 36, 52, 82 f., 92, 215 f., 222 Verhaltenspflichten 9, 23, 29, 83, 100, 178, 185 Verhaltenstheorie 22, 29 Verhüllte Obliegenheit 21, 29, 34 f., 39 Verpflichtete Personen 74 ff. Verschulden 5, 21, 85, 108, 135, 145, 154, 164, 199 f., 211, 215 f., 229, 235 f., 247 Verschuldensprinzip 8, 85, 231 Versichertengemeinschaft 33, 204 Versicherter 82 ff. Versicherung für fremde Rechnung 82 Versicherungsagent 132, 150, 194, 233 Versicherungsort 32

VVG § 28

Versicherungszeit 32 Vertragliche Obliegenheit 9, 18, 45, 54, 71, 80, 83, 143, 204, 219, 232 Vertragsstrafe 60, 166 Vertragsübernahme 78 ff. Vertragsverletzung 3, 54 f., 238 Vertragsverwaltung 100, 107, 108 ff., 119 ff., 123, 127 f., 130 Verwirkung der Leistungsfreiheit 163 Verzicht auf die Leistungsfreiheit 163 Voraussetzungstheorie 43, 44 ff., 48 Vorsatz 175 ff., 234 Wertende Gesamtbetrachtung bei Quotelung 219, 222 Wissenserklärungsvertreter 115, 119, 129 Wissensvertreter 128 f., 131 f., 150 Zeitpunkt der Belehrung 197 Zession 80 Zeuge 113 Zurechnungsfähigkeit 182, 216, 235 Zweckerledigung von Obliegenheiten 66

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Das VVG 2008 hat § 6 a.F. durch § 28 ersetzt.1 Es war das zentrale Anliegen der Neuregelung, 1 Unzulänglichkeiten, die der Gesetzgeber dem alten § 6 anlastete, zu beseitigen. Dieser regelte die Rechtsfolgen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten in uneinheitlicher Weise2 und nach Wertungsmaßstäben, die heutigen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht mehr entsprechen.3 Die Regelung war uneinheitlich, weil sie zwischen Obliegenheiten vor (§ 6 Abs. 1 und 2 a.F.) und nach (§ 6 Abs. 3 a.F.) Eintritt des Versicherungsfalls unterschied. Während Verletzungen von vor dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheiten bei jeglichem Verschulden zur Leistungsfreiheit des VR führten (§ 6 Abs. 1 a.F.), war die Befreiung von der Deckungspflicht bei Verletzung nachträglich zu erfüllender Obliegenheiten auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz eingeschränkt. Die Leistungsbefreiung war nur bei jenen vor dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheiten an ein Kausalitätserfordernis geknüpft, die der Risikovorbeugung oder -minderung dienten (§ 6 Abs. 2 a.F.). Auf nachträglich zu erfüllende Obliegenheiten fand das Kausalitätskriterium bei grober Fahrlässigkeit, nicht aber bei Vorsatz des VN Anwendung (§ 6 Abs. 3 Satz 2 a.F.). Das Kausalitätskriterium des § 6 Abs. 2 a.F. für vorbeugende Obligenheiten folgte dem „Alles-oder-nichts-Prinzip“, die Leistungspflicht blieb also nur bei völlig fehlender Kausalität bestehen. Demgegenüber beließ § 6 Abs. 3 Satz 2 a.F. dem VN „insoweit“ Deckungsschutz, als sich die Verletzung nicht ausgewirkt hatte. Zuletzt enthielt § 6 Abs. 1 a.F. ein Klarstellungskriterium, demzufolge die Berufung des VR auf seine Leistungsfreiheit eine Kündigung des Versicherungsvertrages voraussetzte (§ 6 Abs. 1 Satz 3 a.F.). Schon mangels eines Kündigungsrechts des VR bei Verletzung von nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheiten musste ein solches Kriterium in § 6 Abs. 3 a.F. fehlen. Diese uneinheitliche Rege-

1 Generell zur Neuregelung der Obliegenheiten im VVG 2008 Hamann VersR 2010 1145; zur alten Rechtslage zusammenfassend Feifel 5 ff.

2 Vgl. die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 3 Vgl. die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 213

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

lung wird in der Begründung zum RegE als „sachlich nicht geboten“ kritisiert, sie führe zu einer „unnötigen Komplizierung“.4 2 Die rechtspolitische Unangemessenheit des § 6 a.F. spiegelt sich nicht nur in literarischen Äußerungen zum Alles-oder-nichts-Prinzip wider,5 sondern wird durch die im Wesentlichen auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) gestützte, von den Gerichten teils praeter legem, teils contra legem betriebene Rechtsfortbildung verdeutlicht.6 Die große Masse der Fälle betraf § 6 Abs. 3 a.F., hier namentlich die kausalitätsunabhängige Leistungsfreiheit des VR bei vorsätzlichen Verstößen des VN. Der BGH milderte die Schärfe des Gesetzes, indem er dem VR die Berufung auf die Leistungsfreiheit nach § 6 Abs. 3 a.F. verweigerte, wenn die Obliegenheitsverletzung – objektiv – seine Interessen nicht ernstlich gefährdete oder – subjektiv – den VN kein schweres Verschulden traf (sog. Relevanzrechtsprechung).7 Darüber hinaus forderte der BGH vom VR, dass er den VN über die Rechtsfolgen wahrheitswidriger Anzeigen und Aufklärungen belehrt (übergesetzliche Belehrungspflicht).8 Die Fassung des § 6 a.F. entsprach damit schon lange nicht mehr der Rechtswirklichkeit. 3 Die Milderung der Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen bildete ein Hauptmotiv für die Reform des Versicherungsvertragsrechts insgesamt9 und folgt dem Prinzip der Proportionalität der Sanktion.10 Zugleich verfolgte der Gesetzgeber das systematische Anliegen, die Sanktionen für Verstöße gegen Obliegenheiten „an die allgemeinen Grundsätze für Vertragsverletzungen“ anzugleichen.11 Im Kern geht es dabei um die Beseitigung des Alles-oder-nichts-Prinzips, die bereits im Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30. Mai 2002 erklärtes Ziel des Reformprojekts war.12 Zugleich mahnte der Zwischenbericht ein einheitliches Regime von Verletzungsfolgen für alle vertraglichen und gesetzlichen Obliegenheiten an.13 Die im Zwischenbericht dargelegten Einzelvorschläge mündeten schließlich im Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 in den Vorschlag eines § 30 VVG,14 der – von seiner Nummerierung abgesehen – im Wesentlichen unbeschadet das Gesetzgebungsverfahren durchlief. Der RefE15 übernahm den Vorschlag der Reformkommission mit nur wenigen sprachlichen Änderungen.16 § 30 RefE wich nur in zwei Punkten markant ab: Er verlagerte die Beweislast für mangelnde Kausalität in Abs. 3 Satz 1 ausdrücklich auf den VN, was letztlich allerdings keine inhaltliche Abweichung begrün-

4 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 5 So vornehmlich Römer VersR 2006 740 m.w.N.; ders. VersWiss. Stud. Bd. 29, 11, 19; vgl. den Überblick bei Armbrüster 12 ff.; Neumann 48 ff.; Kurzka VersR 2001 698; zum Reformbedarf auch Katzwinkel 70 ff.; Reformvorschlag bereits bei Prölss ZVersWiss 2001 471; ferner Sieg ZVersWiss 1973 437, 446, der eine Auflockerung des Alles-odernichts-Prinzips durch AVB anmahnt; vgl. Hüffer VersR 1974 617, 621 ff., der u.a. eine über § 6 Abs. 3 a.F. hinausgehende Inhaltskontrolle erwog; pro und contra zum Alles-oder-nichts-Prinzip bei Waller 124 ff.; Überblick zu den Einwänden gegen das Alles-oder-nichts-Prinzip auch bei Brand in FS E. Lorenz (2014) 55, 56; dort (57) auch zu in der Literatur geäußerten Bedenken gegen seine Abschaffung; Bewertung des Alles-oder-nichts-Prinzips bei Hiort 67 ff. 6 Zur Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Versicherungsrecht m.w.N. Prölss/Martin/Armbrüster31 Einleitung Rn. 245 ff. 7 Hierzu Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 101. 8 Prölss/Martin/Prölss27 § 34 Rn. 22 f. 9 Deutlich auch Langheid NJW 2007 3665, 3669; vgl. zur Reformdiskussion insgesamt Freifel 39 ff. 10 Hierzu Heiss Erasmus Law Rewiew (ELR) 5 (2012) 105. 11 Siehe die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 12 Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30. Mai 2002 S. 42; weiterführend Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 118. 13 Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30. Mai 2002 S. 42. 14 Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 434 (synoptische Gegenüberstellung von § 6 a.F. und vorgeschlagenem § 30 VVG) mit Begründung S. 36 ff. (insbesondere S. 42 ff.). 15 Siehe § 30 RefE; zum Referentenentwurf allgemein Niederleithinger VersR 2006 437. 16 Vgl. im Kontext Niederleithinger VersR 2006 437, 444. Heiss

214

A. Einführung

VVG § 28

dete. Außerdem ermöglichte es Abs. 4 des RefE dem VR, seiner Hinweispflicht durch „auffälligen Vermerk im Versicherungsschein“ nachzukommen. Beide Änderungen nahm der RegE zurück. Gleichzeitig nummerierte er die Vorschrift neu als § 28. Eine marginale Änderung nahm noch der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung und seinem Bericht zum RegE17 vor. Er strich das Wort „nur“ in § 28 Abs. 2 Satz 1 RegE. Eine inhaltliche Änderung des RegE war damit allerdings nicht intendiert. Vielmehr hielt der Rechtsausschuss den Zusatz des Wortes „nur“ für überflüssig und wollte § 28 Abs. 2 Satz 1 mit § 81 Abs. 1 RegE, wo es an einem vergleichbaren Zusatz fehlte, in Übereinstimmung bringen.18 In dieser Fassung passierte der Entwurf Bundestag und Bundesrat.

II. Inhalt der Regelung § 28 hält für die Rechtsfolgen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten eine weitgehend ein- 4 heitliche Regelung bereit. Damit werden Obliegenheiten, die vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen sind, mit jenen nach Eintritt des Versicherungsfalls grundsätzlich gleich behandelt. Ausnahmen bestehen jedoch: Das Kündigungsrecht des VR nach Absatz 1 gilt nur bei Verletzung von vorangehend zu erfüllenden Obliegenheiten. Umgekehrt bleibt die Hinweispflicht nach Absatz 4 auf nachträglich zu erfüllende Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten beschränkt. Innerhalb der vorangehend zu erfüllenden Obliegenheiten werden die risikovorbeugenden bzw. -mindernden Obliegenheiten nicht mehr besonders behandelt. § 28 begrenzt die Leistungsfreiheit des VR in Abhängigkeit vom Grad des Verschuldens des 5 VN. Leicht fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzungen des VN lassen die Leistungspflicht des VR unberührt.19 Bei grobem Verschulden des VN wird die Leistungsfreiheit des VR nach dem Ausmaß der Kausalität (Absatz 3 Satz 2) sowie durch eine Quotelung nach „der Schwere des Verschuldens“ des VN (Absatz 2 Satz 2) begrenzt.20 Damit gibt Absatz 2 Satz 2 das Allesoder-nichts-Prinzip vollständig auf. Er folgt dabei dem Muster des schweizerischen VVG 1908, das in Art. 14 Abs. 2 eine Quotelung für die Herbeiführung des Versicherungsfalls, nicht aber im Falle von Obliegenheitsverletzungen kennt.21 Die Quotelung nach der Schwere des Verschuldens entfällt bei Vorsatz des VN, hier kommt es somit im Grundsatz zur vollständigen Leistungsfreiheit des VR (Absatz 2 Satz 1). Diese wird jedoch durch das Kausalitätskriterium nach Absatz 3 Satz 1 eingeschränkt, welches die Leistungspflicht des VR bestehen lässt, soweit sich die Obliegenheitsverletzung nicht ausgewirkt hat.22 Die Leistungsfreiheit des VR hängt bei Vorsatz des VN somit allein vom Ausmaß der Kausalität ab. Immerhin aber ist damit das Alles-oder-nichtsPrinzip nach dem Grad der Ursächlichkeit durchbrochen. Lediglich für Fälle der Arglist nimmt Absatz 3 Satz 2 auch das Kausalitätskriterium zurück und gewährt dem VR aus Gründen der Generalprävention unbeschränkte Leistungsfreiheit. Bei Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten, die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen sind, setzt die Leistungsfreiheit des VR – außer bei Arglist des VN – zusätzlich eine vorherige Belehrung des VN über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung voraus (Absatz 4). Diese Belehrung hat durch gesonderte Mitteilung und in Textform zu erfolgen (Absatz 4). Bei Verletzung von Obliegenheiten, die vor dem Versicherungsfall zu erfüllen sind, gewährt 6 Absatz 1 dem VR neben der Leistungsfreiheit nach Abs. 2 ein Recht zur fristlosen Kündigung des Versicherungsvertrags. Voraussetzung ist allerdings das Vorliegen grober Fahrlässigkeit oder Vorsatzes des VN. Die Kündigung ist vom VR binnen eines Monats ab positiver Kenntnis 17 18 19 20 21 22

BTDrucks. 16/5862. BTDrucks. 16/5862 S. 99. § 28 Abs. 2 e contrario. Zu funktionsverwandten Modellen nach ausländischem Recht Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 120. Hierzu vergleichend Mönnich ZVersWiss 101 (2012) 447; Fuhrer 167. § 28 Abs. 3 gilt auch bei Vorsatz.

215

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

des VR von der Obliegenheitsverletzung auszuüben. Ein Klarstellungserfordernis i.S.d. § 6 Abs. 1 a.F., also eine Pflicht des VR, den Versicherungsvertrag zu kündigen, wenn er sich auf die Leistungsfreiheit berufen will, kennt Absatz 1 hingegen nicht. 7 Absatz 5 verbietet die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts des VR. Im Übrigen sind die Regelungen des § 28 halbzwingend, sie dürfen also nicht zum Nachteil des VN abbedungen werden.23 Die halbzwingende Natur des § 28 wird von § 210 für laufende Versicherungen24 und Großrisikoversicherungen25 zurückgenommen.

III. Anwendungsbereich 8 Nach seiner Stellung im Abschnitt 2 des Kapitels 1 gilt § 28 für alle dem VVG unterstellten Versicherungsverträge. Für laufende Versicherungen ist die Sondervorschrift des § 58 zu beachten. Die Rück- und die Seeversicherung sind nach § 209 nicht dem VVG und damit auch nicht § 28 unterstellt.26 Dennoch können allgemeine Wertungen, wie sie in § 28 zum Ausdruck kommen, im Rahmen einer Inhaltskontrolle von Seeversicherungsbedingungen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB herangezogen werden.27 So hat der BGH eine AVB-Klausel, die eine verschuldensunabhängige Leistungsfreiheit des VR bei Obliegenheitsverletzungen des VN vorsah, kassiert, weil das in § 6 a.F. niedergelegte Verschuldensprinzip „als ein das gesamte Rechtsleben beherrschender Grundsatz auch außerhalb des Bereichs des Versicherungsvertragsgesetzes für die Seeversicherung seine Geltung“ behält.28 Der Sache nach findet § 28 auf vertragliche Obliegenheiten Anwendung.29 Er setzt also 9 zunächst voraus, dass im Versicherungsvertrag Obliegenheiten des VN (wirksam)30 vereinbart wurden.31 Fehlt es demgegenüber an einer Vereinbarung oder ist sie unwirksam, so besteht keine entsprechende Verhaltenspflicht des VN und es folgen daher aus dem Versicherungsver-

23 § 32 Satz 1; Satz 2 hat für § 28 keine Bedeutung, weil es darin an gesetzlichen Anzeigepflichten fehlt. Vertraglich geschuldete Anzeige-, Auskunfts- und Aufklärungspflichten können ohnehin einem Formerfordernis unterworfen werden. 24 Vgl. §§ 53 bis 58 VVG (mit der Sonderregelung für Obliegenheiten in § 58 VVG). 25 Zur Definition s. § 210 Abs. 2 VVG i.V.m. Anlage 1 zum VAG. 26 Zu den Obliegenheiten in der Seeversicherung Trölsch passim. 27 Hierzu Beckmann/Matusche-Beckmann/Heiss-Trümper3 § 38 Rn. 40. 28 Siehe BGH 15.6.1951 – I ZR 5/51, BGHZ 2 336, 345. 29 Vgl. nur Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 3. 30 Ein deutliches Beispiel für unwirksame Obliegenheitsvereinbarungen liefert BVerfG 23.10.2007 – 1 BvR 2027/02, ZfS 2006 34 (Rixecker), wo Urteile der Zivilgerichte, die eine Obliegenheit des VN, die Ärzte generell von ihrer Verschwiegenheit zu entbinden, gutgeheißen hatten, als Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) angesehen wurde; vgl. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, VersR 2017 469; BGH 13.7.2016 – IV ZR 292/14, VersR 2016 1173 (Wirksamkeit einer Obliegenheit, Untersuchungen durchführen zu lassen, bejaht); vgl. im Kontext auch OLG Nürnberg 8.10.2007 – 8 U 1031/07, VersR 2008 627; OLG Köln 14.6.2007 – 5 U 28/07, VersR 2008 107; nach AGB-Recht (Vertragszweckgefährdung) unwirksam sind auch unvertretbare und unsinnige Obliegenheiten, hierzu BGH 16.5.1990 – IV ZR 137/89, NJW 1990 2388; hierzu Werber FS Baumann, 359, 376; weitere Bsp. bei Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 38; zum möglichen Verstoss gegen das Transparenzprinzip, inbs. wenn der VN nicht genau erkennen kann, welches Verhalten von ihm konkret gefordert wird BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, VersR 2019 1284 (Intransparenz bejaht); BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532 (Intransparenz verneint); OLG Schleswig 18.5.2017 – 16 U 14/17, VersR 2019 1557 (Marlow; Intransparenz bejaht); OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289, 1291 (mit abl. Anm. Marlow; Intransparenz verneint); OLG Hamm 9.8.2017 – 20 U 184/15, VersR 2017 1332 (Intransparenz verneint); zu Wirksamkeitsgrenzen auch Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski3 § 28 Rn. 24 ff.; vgl. Marlow VersR 2017 1500. 31 Vgl. OLG Düsseldorf 5.7.1996 – 4 U 119/95, VersR 1997 56. Heiss

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A. Einführung

VVG § 28

trag i.V.m. § 28 auch keine Sanktionen für Pflichtverletzungen.32 Herrschend wird eine ausdrückliche Vereinbarung gefordert,33 sodass die Annahme einer konkludent vereinbarten Obliegenheit ausscheidet.34 Auch müssen die einzelnen Verhaltensanforderungen an den VN aus der Vereinbarung deutlich als Obliegenheit hervorgehen.35 Auf die Obliegenheiten hat der VR im Produktinformationsblatt nach § 4 Abs. 1 VVG-InfoV hinzuweisen.36 Ist im Versicherungsvertrag eine Obliegenheit vereinbart, die vor dem Eintritt des Versiche- 10 rungsfalls zu erfüllen ist, so findet unmittelbar Absatz 1 Anwendung, der eine Pflichtverletzung mit der Sanktion eines gesetzlichen Kündigungsrechts des VR belegt. Dieses Kündigungsrecht braucht daher im Versicherungsvertrag nicht vereinbart zu sein. Die Anwendung der Absätze 2 bis 4 setzt zusätzlich voraus, dass im Versicherungsvertrag 11 für den Fall einer Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit des VR vereinbart ist.37 Die Vereinbarung, wonach bei Verletzung der Obliegenheit Leistungsfreiheit folgen „kann“, genügt.38 Ebenso soll es nach umstrittener Ansicht des OLG Saarbrücken ausreichen, wenn die Leistungsfreiheit „nach Maßgabe der §§ 28 und 82 VVG“ vereinbart ist.39 Jedenfalls muss die Vereinbarung der Leistungsfreiheit klar und eindeutig sein.40 Sie darf nicht gegen (halb)zwingendes Recht verstossen.41 Eines besonderen Hinweises auf die Belehrungspflicht des VR nach § 28 Abs. 4 bedarf es nicht.42 Fehlt es an einer derartigen Vereinbarung, so bleibt die Obliegenheitsverletzung – abgese- 12 hen von einem allfälligen Kündigungsrecht nach Absatz 1 – sanktionslos und die Absätze 2 bis 4 finden keine Anwendung. Sie beschränken sich nämlich darauf, einer im Vertrag vorgesehenen Leistungsfreiheitssanktion Grenzen zu setzen, etablieren aber selbst keine solche Rechtsfolge. Abweichendes soll nach der Rspr. gelten, wenn „dem VN eine grobe Verletzung tragender Obliegenheiten zur Last fällt, die das vertragliche Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien

32 Zum speziellen Fall einer Einheitspolice, die mehrere Versicherungsverträge (KFZ-Haftpflicht- und Kaskoversicherung) beurkundet, OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12 VersR 2013 1123; vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 25a. 33 BGH 14.2.1996 – IV ZR 334/94, NJW-RR 1996 981, 983; BGH 9.12.1987 – IV a ZR 155/86, VersR 1988 267, 269; vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 37. 34 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 10. 35 Vgl. BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 832; BGH 12.6.1985 – IV a ZR 261/83, VersR 1985 979, 980; OLG Hamm 28.3.1990 – 20 U 146/89, VersR 1990 1230, 1232; mit Beispielen Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 4; zur Bedeutung des Transparenzgebots Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 12 ff; Beispiel einer intransparenten Obliegenheitenklausel in BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, VersR 2019 1284. 36 S. § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 2 VVG-InfoV, der seinerseits auf die Durchführungsverordnung (EU) 2017/ 1469 der Kommission vom 11.8.2017 verweist; nach Art. 6 Abs. 1 lit. g dieser Durchführungsverordnung sind im Produktinformationsblatt unter der Frage „Welche Verpflichtungen habe ich?“ Angaben zu den in Artikel 20 Absatz 8 Buchstaben e, f und g der Richtlinie (EU) 2016/97 genannten einschlägigen Verpflichtungen zu machen; hierher zählen auch vereinbarte Obliegenheiten. 37 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1551; BGH 18.12.1989 – II ZR 34/89, VersR 1990 384; OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18 VersR 2019 1289, 1291; OLG Brandenburg 27.7.2004 – 11 U 11/04, VersR 2005 820, 821. 38 BGH 18.12.1989 – II ZR 34/89, VersR 1990 384, 385; in diesem Sinne auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 15; Bedenken bei OLG Hamm 22.1.1988 – 20 W 62/87, VersR 1988 1121, 1121 f. 39 So OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289, 1291, welches insbesondere keinen Verstoss gegen das Transparenzprinzip annimmt; dagegen z.B. Jungermann Anmerkung zu OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, RuS 2019 435, 437 f. 40 BGH 18.12.1989 – II ZR 34/89, VersR 1990 384, 385; OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289, 1291; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 73. 41 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1551; BGH 2.4.2014 IV ZR 124/13, NJW 2014 1813; OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289, 1291; OLG Frankfurt a.M. 20.3.2019 – 7 U 8/18, RuS 2019 328, 332. 42 BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532, 534 f. m.N. zur abweichenden (wohl) h.L.; OLG Celle 30.11.2017 – 8 U 27/17, RuS 2018 132; OLG Hamm 9.8.2017 – 20 U 184/15, VersR 2017 1332. 217

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

durchgängig erschüttert“.43 Diese „auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Leistungsfreiheit“ muss „auf Ausnahmefälle von besonderem Gewicht beschränkt bleiben“.44 Gedacht ist damit an Fälle der Arglist und eines kollusiven Zusammenwirkens. Gestützt wird die Ansicht auf das Institut der Verwirkung.45 Der BGH lehnt indessen eine Verwirkung ab, wenn das arglistige Verhalten gesetzt wird, nachdem der VR seine Leistungspflicht endgültig abgelehnt hat.46 Die Verwirkung ist auch darüber hinaus eben wegen des Fehlens einer vertraglichen Abrede bedenklich.47 Das Problem ist daher m.E. besser durch Anerkennung einer deliktischen Haftung des VN für Arglist48 nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 826 BGB zu lösen. 13 Jedenfalls im Ergebnis fehlt es auch dann an einer Sanktionsvereinbarung, wenn eine solche unwirksam ist. Für die „Übergangsfälle“ im Sinne von Art. 1 Abs. 3 EGVVG hat der BGH die infolge der Unwirksamkeit entstandene Lücke nicht geschlossen und es bei der Sanktionslosigkeit der Obliegenheitsverletzung belassen.49 In „Neufällen“ hat der BGH die Möglichkeit der Lückenfüllung in etwas anderem Zusammenhang bejaht. Es ging um einen Automietvertrag, in dem eine Beschränkung der Haftung des Mieters für Schäden am Fahrzeug vereinbart war. Die Haftungsbeschränkung sollte aber nicht greifen, wenn der Mieter die „Obliegenheit“, bei einem Unfall die Polizei beizuziehen, verletzte. Der BGH hielt diese Klausel unter Zugrundelegung der Wertungen des § 28 für unwirksam, hat dann aber die Lücke unter Rückgriff auf den Sanktionsapparat in § 28 Abs. 2 und 3 geschlossen.50 Ganz ähnlich hat der BGH in einem vergleichbaren Fall die Lücke durch Rückgriff auf § 81 Abs. 2 geschlossen.51 Daraus wird bisweilen abgeleitet, dass eine Lückenfüllung in Neufällen auch möglich ist, wenn es sich um vereinbarte Obliegenheiten in eigentlichen Versicherungsverträgen handelt.52 Unberücksichtigt lässt diese Ansicht das Transparenzgebot, zumal die von § 28 Abs. 2 und 3 abweichende Sanktionsregelung die wahre Rechtslage verdeckt, und zwar infolge der richterlichen Vertragsergänzung für den VR sanktionslos.53 Er steht schlechtestenfalls so, wie er stünde, wenn er die AVB-Klausel unter Beachtung der Vorgaben des § 28 Abs. 2 und 3 formuliert hätte. 14 Die Absätze 2 bis 4, nicht aber der Abs. 1, sind auch auf jene gesetzlichen Obliegenheiten anwendbar, für deren Verletzung das VVG keine Sanktionen bereithält, der Versicherungsver-

43 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, VersR 2013 609; BGH 8.7.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991 1129 m.w.N.; krit. hierzu Lücke VersR 1992 182; BGH 14.10.1987 – IV a ZR 29/86, VersR 1987 1182, 1183 unter Hervorhebung des Ausnahmecharakters dieser Situation; vgl. OLG Dresden 13.10.2020 – 4 U 2750/19, NJW-RR 2021 288, 289; OLG Celle 31.8.2005 – 8 U 60/05, VersR 2006 394; OLG Brandenburg 27.7.2004 – 11 U 11/04, VersR 2005 820, 821; vgl. Prölss/Martin/ Armbrüster31 § 28 Rn. 179; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 38; Wegmann 74 f. 44 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, VersR 2013 609, 611; OLG Dresden 13.10.2020 – 4 U 2750/19, NJW-RR 2021 288, 289. 45 Eingehend zur Verwirkung nach § 242 BGB Langheid/Wandt/Wandt2 vor § 28 Rn. 25 ff.; Wandt VersR 2018 321, 326 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 119 f.; weiter reichende, vertraglich vereinbarte Verwirkungstatbestände sind demgegenüber unwirksam, auch hierzu Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 86. 46 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, VersR 2013 609 = RuS 2013 273, 274 f.; anders wohl OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875 für die vertraglich vereinbarte Verwirkung nach § 14 Nr. 2 AFB 87; anders wohl auch OLG Frankfurt a.M. 20.3.2019 – 7 U 8/18, RuS 2019 328, 332. 47 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 180. 48 So Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 49. 49 Siehe unten Rn. 17. 50 BGH 14.3.2012 – XII ZR 44/10, VersR 2012 1573; hierzu Wittchen NJW 2012 2480; vgl. BGH 24.10.2012 – XII ZR 40/11, VersR 2013 197. 51 BGH 11.10.2011 – VI ZR 46/10, NJW 2012 222. 52 Z.B. Pohlmann NJW 2012 188, 190. 53 Vgl. Wandt VersR 2015 265, 269. Heiss

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VVG § 28

trag jedoch die Leistungsfreiheit des VR vorsieht.54 Das trifft bspw. auf die Auskunfts- und Belegpflicht des VN nach § 31 zu.55 Die Absätze 2 bis 4 regeln nämlich nicht den Tatbestand der Obliegenheitsverletzung, sondern die vertraglichen Sanktionen. Indem unvollständige gesetzliche Obliegenheiten durch eine vertragliche Abrede über die Leistungsfreiheit des VR sanktioniert und damit vervollständigt werden, gewinnen sie den Charakter vertraglicher Obliegenheiten und unterstehen den Beschränkungen der Absätze 2 bis 4. Werden hingegen vollständige gesetzliche Obliegenheiten in den AVB nur wiederholt, so sollen sie damit nicht schon zu vertraglichen werden.56 Das kann indessen nur solange gelten, als für den VN erkennbar ist, dass es sich um ein reines „Zitat“ einer gesetzlichen Obliegenheit handelt. Ist dies nicht der Fall und ergibt die Vertragsauslegung ein von der Gesetzesauslegung abweichendes Ergebnis,57 so muss eine für den VN begünstigende Abweichung vom Gesetz beachtet werden, eine benachteiligende hingegen scheitert am regelmäßig halbzwingenden Charakter der gesetzlichen Obliegenheiten.58 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die vertraglich vereinbarte Obliegenheit die gesetzliche nicht nur modifiziert, sondern ein aliud darstellt. Dann untersteht die vereinbarte Obliegenheit unmittelbar § 28.59 Str. ist insofern die Einordnung der vertraglich vereinbarten Obliegenheit zur Vorlage einer Stehlgutliste.60 Ähnliches gilt mit Blick auf Abs. 5. Das Verbot setzt naturgemäß die Vereinbarung eines 15 Rücktrittsrechts im Versicherungsvertrag voraus.

IV. Übergangsrecht § 28 trat mit dem VVG zum 1.1.2008 in Kraft.61 Er gilt seitdem für Neuverträge und seit 1.1.2009 16 auch für Altverträge.62 Bei Altverträgen gilt das alte Recht jedoch auch nach dem Inkrafttreten zum 1.1.2009 weiter für jene Versicherungsfälle, die bis zum 31.12.2008 eingetreten sind.63 Wegen der Anwendbarkeit des neuen Rechts auch auf Altverträge ab 1.1.2009 räumte Art. 1 Abs. 3 EGVVG64 den VR die Möglichkeit ein, ihre AVB entsprechend anzupassen.65 Hat ein VR seine AVB-Regelung nicht an das neue Recht angepasst,66 so ist die Regelung 17 über die Folgen der Obliegenheitsverletzung nach der Rechtsprechung des BGH gem. § 307 54 BGH 10.1.1951 – II ZR 21/50, VersR 1951 67, 68, wonach § 6 für vertragliche und sanktionlose gesetzliche Obliegenheiten gelte; OLG Oldenburg 10.7.1985 – 2 U 61/85, VersR 1985 977, 978, wonach „jedenfalls § 6 Abs. 1 VVG“ gilt; LG Essen 10.9.1982 – 9 O 391/82, VersR 1983 530; OLG Frankfurt/M. 25.1.1983 – 5 U 120/82, VersR 1983 1045, 1046; OLG Hamm 21.3.1980 – 20 U 278/79, VersR 1981 454; vgl. z.B. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 3; Langheid/ Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 26. 55 Vgl. zu solchen Vertragsgestaltungen OLG Dresden 20.8.2018 – 4 W 600/18, VersR 2018 1441, 1442. 56 BGH 17.9.1986 – 24 O 150/86, VersR 1987 477, 478; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 3. 57 Die vertragliche Obliegenheit kann auch den gesetzlichen Tatbestand verändern bzw. ergänzen; vgl. OLG Hamm 14.8.1985 – 20 U 407/84, VersR 1986 1177, wo – gem. § 32 Satz 2 zulässig – für die Anzeige Schriftform vereinbart wurde. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 7 (a.E.); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 3. 58 Siehe z.B. § 32. 59 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 28. 60 Qualifikation als Auskunfts- bzw. Aufklärungsobliegenheit (jedenfalls im Ergebnis) bei OLG Karslruhe 20.9.2011 – 12 U 89/11, RuS 2011 517, 518 (zust. Knappmann) = VersR 2011 1560, 1561 (abl. Günther); ebenso Langheid/ Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 28; dagegen OLG Köln 15.10.2013 – 9 U 69/13, VersR 2014 105, 106, das eine Schadenminderungsobliegenheit i.S.v. § 82 annimmt; auch Tschersich RuS 2012 53, 60. 61 Art. 12 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007, BGBl. 2007 I 2631. 62 Art. 1 Abs. 1 EGVVG i.d.F. BGBl. 2007 I 2631. 63 Art. 1 Abs. 1 EGVVG i.d.F. BGBl. 2007 I 2631. 64 I.d.F. BGBl. 2007 I 2631. 65 Ausführlich zu den Voraussetzungen und Modalitäten einer Anpassung Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 21; vgl. auch Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 7. 66 Ebenso für den Fall, dass der VR den Zugang der Umstellungsanzeige an den VN nicht beweisen kann, OLG Celle 29.9.2011 – 8 U 58/11, VersR 2012 753 (Tomson). 219

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil die Abweichung von § 28 Abs. 2 Satz 2 eine unangemessene Benachteiligung des VN darstellt.67 Eine unwirksame Abweichung liegt allerdings nur vor, wenn die Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung in den AVB abweichend von § 28 benannt werden. Dies ist nicht der Fall, wenn die AVB – im Sinne eines dynamischen Verweises – Leistungsfreiheit „nach Maßgabe des Gesetzes“ vorsehen.68 Die infolge der Unwirksamkeit entstehende Vertragslücke kann nach Ansicht des BGH nicht geschlossen werden.69 Literaturstimmen, die an die Stelle der vereinbarten Leistungsfreiheit ein quotales Kürzungsrecht nach § 28 Abs. 2 S. 2 treten lassen wollten, ist der BGH nicht gefolgt.70 Eine derartige Lückenschliessung würde insbesondere das Regelungsgefüge des Art. 1 Abs. 3 EGVVG (Anpassungsrecht) unterlaufen, weil das vorgesehene Anpassungsverfahren überflüssig würde.71 Auch eine ergänzende Vertragsauslegung lehnt der BGH ab, weil die betreffenden VR die ihnen von Art. 1 Abs 3 EGVVG eingeräumte Handlungsoption nicht genützt hätten, obwohl sie von der Unwirksamkeit ihrer Klauseln nach neuem Recht gewusst hätten.72 Diesfalls könne nicht von einer planwidrigen Lücke gesprochen werden.73 Auch sei die Bindung des VR an den lückenhaften Vertrag nicht unzumutbar, weil Auffangregelungen wie die §§ 23 ff. oder § 81 zur Verfügung stünden.74 Eine Lückenfüllung kommt aber in Frage, wenn ein VR sein Anpassungsrecht zwar ausgeübt hat, dabei aber nicht den gesetzlichen Anforderungen gerecht wurde.75 Offen gelassen hat der BGH die Frage, ob nur die Rechtsfolgenanordnung unwirksam ist 18 und die vertragliche Obliegenheit ohne Sanktionsanordnung bestehen bleibt.76 In der Literatur wird dies häufig bejaht,77 was insbesondere zur Folge hat, dass der Versicherungsnehmer in

67 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1551; vgl. BGH 2.4.2014 – IV ZR 124/13, NJW 2014 1813, 1814; KG 27.7.2018 – 6 U 38/17, RuS 2019 201; OLG Hamburg 8.3.2018 – 6 U 39/17, NJOZ 2019 171, 175; OLG Oldenburg 23.12.2015 – 5 U 190/14, VersR 2016 918, 919; OLG Köln 17.8.2010 – 9 U 41/10, VersR 2010 1592; hierzu Armbrüster VersR 2012 9; Günther/Spielmann VersR 2012 549; Heß RuS 2013 1, 2; Lehmann RuS 2012 320 ff.; Marlow RuS 2015 591; Päffgen VersR 2011 837; Pohlmann NJW 2012 188; Tschersich RuS 2012 53; Reiff VersR 2013 785, 789; Wittchen NJW 2012 2480; zur Problematik noch vor dem Urteil des BGH Stockmeier VersR 2011 312; Günther ZfS 2010 362; Wagner/Rattay VersR 2010 1271, 1274; Wagner VersR 2008 1190; Fahl/Kassing VW 2009 320; Hövelmann VersR 2008 612; Weidner VersR 2008 41; s. auch OLG Dresden 24.3.2015 – 4 U 1292/14, RuS 2015 233; OLG Brandenburg 9.10.2012 – 11 U 172/11, RuS 2013 24; LG Nürnberg-Fürth 27.1.2010 – 8 O 10700/08, RuS 2010 145, 147; abweichend LG Ellwangen 20.8.2010 – 4 O 69/10, VersR 2011 62; der VR soll hinsichtlich der Unwirksamkeit dem VN gegenüber aufklärungspflichtig sein; vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 23 m.w.N. 68 Armbrüster VersR 2012 9, 16; Günther/Spielmann VersR 2021 549, 551 m.w.N.; derart dynamische Verweise dürften jedoch am Transparenzgebot scheitern. 69 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1551; BGH 2.4.2014 – IV ZR 156/13, BeckRS 2014 8781; BGH 2.4.2014 – IV ZR 124/13, NJW 2014 1813, 1814; vgl. KG Berlin 27.7.2018 – 6 U 38/17, RuS 2019 201; LG Heidelberg 16.3.2016 – 5 O 187/12, RuS 2016 625; Wagner/Rattay VersR 2010 1271, 1274 f. 70 Diese Literaturstimmen werden vom BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1551 ff. näher dargelegt; dort auch zu abweichenden Lehrmeinungen. 71 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1552; kritisch z.B. Armbrüster VersR 2012 9, 10 ff. 72 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1553. 73 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1553; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 22. 74 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1553; vgl. auch OLG Hamm 6.8.2020 – 20 U 89/20, VersR 2021 92, 93; OLG Köln 17.8.2010 – 9 U 41/10, VersR 2010 1592. 75 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 22; a.A. Wittchen NJW 2012 2480, 2482. 76 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, VersR 2011 1550, 1551. 77 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 8; Armbrüster VersR 2012 9, 13; OLG Köln 17.1.2014 – 20 U 208/12, RuS 2015 150, 151; ebenso für den Fall, dass die Mitwirkung des VN Fälligkeitsvorsvoraussetzung für das Stammrecht nach § 14 Abs. 1 ist: OLG Hamm 6.8.2020 – 20 U 89/20, VersR 2021 92, 93 unter Verweis auf OLG Frankfurt/M. v. 2.10.2019 – 12 U 25/19 (unveröffentlicht). Heiss

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

krassen Fällen (arglistige Täuschung) seinen Versicherungsschutz verwirken kann.78 Sinnhaft sei die Teilwirksamkeit mindestens für Obliegenheiten, die vor dem Versicherungsfall zu erfüllen sind, weil für deren Verletzung ein gesetzliches Kündigungsrecht nach § 28 Abs. 1 besteht.79

B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten I. Begriff § 28 enthält keine Definition des Begriffes „Obliegenheit“.80 Nach einhelliger Ansicht haben Ob- 19 liegenheiten ein Verhalten des VN bzw. Versicherten zum Gegenstand.81 Sie umfassen typischerweise Anzeige-, Auskunfts-, Aufklärungs-, Beleg- (z.B. Vorlage von Originalrechnungen) und Mitwirkungspflichten (z.B. Gestattung, das abgebrannte Gebäude zu besichtigen) sowie Gefahrstands- bzw. Schadenminderungspflichten. Materiell gesehen dienen Obliegenheiten der Sicherung der Äquivalenz von Deckung und Prämie oder aber der reibungslosen Durchführung des Vertrags.82 Der VN schuldet stets ein bestimmtes Verhalten, nicht dagegen den mit ihm angestrebten Erfolg.83 Indem Obliegenheiten mit der Sanktion der Leistungsfreiheit bzw. der Vertragslösung des VR bewehrt sind, üben sie in einem weiteren Sinne eine risikobegrenzende Funktion aus.84

II. Abgrenzung zu objektiven Risikobegrenzungen 1. Abgrenzungsproblem Die in einem weiteren Sinne risikobegrenzende Funktion von Obliegenheiten erzeugt Bedarf, 20 sie von objektiven Risikobegrenzungen, insbesondere Risikoausschlüssen, abzugrenzen.85 Nur die Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen unterliegt den Beschränkungen des § 28. Risikoausschlüsse nehmen demgegenüber bestimmte Ereignisse von vornherein vom Versicherungsschutz aus, auf weitere Voraussetztungen wie bspw. ein besonderes Verschulden des VN kommt es dabei grundsätzlich nicht an. Auch die Beweislast ist je unterschiedlich verteilt. Bei Risikoausschlüssen muss der VR regelmäßig den gesamten Tatbestand beweisen, um leis78 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 5 unter Berufung auf Versicherungsombudsmann 24.2.2012 – 09432/2011-L; OLG Köln 17.1.2014 – 20 U 208/12, RuS 2015 150, 151; Günther/Spielmann VersR 2021 549, 552 f. 79 S. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 22. 80 Zu den Beweggründen des Gesetzgebers, von einer Definition abzusehen, siehe die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68, die dem Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 316 entnommen ist. 81 Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 7 („Verhaltensbezogenheit“ von Obliegenheiten); Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 29; vgl. auch BGH 16.9.2009 – IV ZR 246/08, VersR 2009 1659, 1661: „Das Wesen einer … Obliegenheit beteht weiter darin, dass ein Verhalten – also bestimmte Handlungen oder ein Unterlassen – vorgeschrieben wird, …“. 82 So Looschelders/Pohlmann3/Pohlmann § 28 Rn. 21. 83 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 36. 84 Zu den diversen Funktionen der einzelnen Obliegenheiten Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 4 ff.; der Blick auf die Funktionen von Obliegenheiten ist insbesondere für eine rechtsvergleichende Betrachtung wichtig; siehe z.B. Rühl 337 ff. (Vergleich deutschen und englischen Rechts). 85 Vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 22; zur risikobegrenzenden Funktion nicht nur der sekundären Risikoausschlüsse, sondern auch der primären Risikoumschreibung Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 13. 221

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

tungsfrei zu werden. Soweit ein Risikoausschluss Verschulden bzw. Kausalität86 voraussetzt, trifft den VR auch insoweit die Beweislast. Demgegenüber muss der VR bei Obliegenheiten in der Regel nur die objektive Pflichtverletzung des VN beweisen, die Entlastungsbeweise betreffend fehlende Kausalität und grobe Fahrlässigkeit hat hingegen der VN zu führen.87 21 Diese zunächst einfache Unterscheidung wird schwierig, wenn Risikoausschlüsse an ein Verhalten des VN anknüpfen und u.U. für die Leistungsfreiheit des VR sogar das Vorliegen subjektiver Kriterien, insbesondere eines Verschuldens des VN, voraussetzen. Dies gilt mustergültig für den Herbeiführungsausschluss des § 81, der nicht nur ein Verschuldenskriterium kennt, sondern auch eine Quotelung der Versicherungsleistung nach dem Grad des Verschuldens analog § 28. Andere an das Verhalten des VN anknüpfende Risikoausschlüsse kennen aber kein Verschuldenserfordernis und lassen die Leistungspflicht des VR insgesamt entfallen, ohne dass es zu einer Quotelung käme. Das verschärft das Abgrenzungsproblem, weil die für den VR regelmäßig günstigeren Rechtsfolgen von Risikoausschlüssen diesem einen Anreiz bieten, Begrenzungen des Versicherungsschutzes in den AVB selbst dann in die Form eines Risikoausschlusses zu gießen, wenn es sich in der Sache um Obliegenheiten handelt.88 Derart „vermeintliche“ Risikobegrenzungen sind dann „verhüllte Obliegenheiten“.89 Diese unterliegen § 28, auch wenn sie in den AVB als Risikoausschlüsse bezeichnet werden. Dieselben Schwierigkeiten ergeben sich, wenn der VR durch eine eng gefasste primäre Risikoumschreibung die versicherte Gefahr nur in einem bestimmten Ausschnitt übernimmt, wobei für die Frage, ob ein Einzelrisiko vom Deckungsschutz umfasst ist, wiederum ein Verhalten des VN den Ausschlag gibt. 22 Der Gesetzgeber überlässt die Abgrenzung der Obliegenheiten von sonstigen Risikobegrenzungen auch nach dem VVG 2008 der Rechtsprechung90 und Lehre, weil er deren Weiterentwicklung nicht durch eine authentische Interpretation behindern möchte91 und das Problem der verhüllten Obliegenheiten durch eine gesetzliche Definition ohnehin nicht zu beseitigen wäre.92 Hervorzuheben sind als Grundmuster zwei Abgrenzungstheorien:93 Einerseits die Ausschlusstheorie, nach der die Vereinbarung von Risikoausschlüssen, die an ein Verhalten des VN an-

86 Gelegentlich wird behauptet, bei objektiven Risikoausschlüssen komme es auf Kausalität nicht an, vgl. z.B. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 22 in Fn. 54; das trifft bei vielen Risikoausschlüssen zu, recht häufig aber knüpfen auch Risikoausschlüsse an ein Kausalverhältnis an. Das ist mustergültig beim (freilich subjektiven) Herbeiführungsausschluss des § 81 VVG der Fall, der neben qualifiziertem Verschulden auch Kausalität fordert; Kausalität (u.U. auch nur ein „Zusammenhang“) wird aber auch bei zahlreichen objektiven Risikoausschlüssen vorausgesetzt, wie bspw. nach der Kriegsklausel in § 2 Z. 1 AFB 2010 („Schäden durch Krieg“), der Ausschlussklausel zu Inneren Unruhen in § 2 Z. 2 AFB 2010 („Schäden durch Innere Unruhen“) oder der Kernenergieklausel in § 2 Z. 3 AVB 2010 („Schäden durch Kernenergie“). Hat der VN einen Feuerschaden bewiesen, so setzt die Berufung des VR auf den Risikoausschluss voraus, dass ihm nicht nur der Beweis des Krieges, der inneren Unruhe oder des nuklearen Ereignisses, sondern auch der Kausalität dieser Ereignisse für den Schaden gelingt. 87 Hierzu unten Rn. 235 und 239. 88 Zum daraus resultierenden Konflikt mit der Interessenwertung des § 28 siehe Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 13. 89 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 55 („verhüllte oder verdeckte Obliegenheit“) m.w.N.; zur Genese des Begriffs Koch VersR 2014 283. 90 Zur Entdeckung der „verhüllten Obliegenheiten“ durch die Rsp. BGH 29.11.1972 – IV ZR 162/71, VersR 1973 145, 146. 91 So schon der Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30. Mai 2002 S. 45; ebenso Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 316; sowie Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 92 So erstmals der Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 316; ebenso Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. 93 Zu diesen „Extrempositionen“ Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 65; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 25. Heiss

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

knüpfen, zulässig ist, jedenfalls solange der Risikoausschluss klar als solcher formuliert ist.94 Ihr steht andererseits die Verhaltenstheorie gegenüber, die nur dann einen Risikoausschluss annimmt, wenn die Leistungsfreiheit nicht an ein Verhalten des VN anknüpft oder doch nur an eine solche Handlung, die den Versicherungsfall unmittelbar herbeiführt.95

2. Rechtsprechung Die Rspr. trifft die Abgrenzung von Obliegenheiten zu Risikobegrenzungen zunächst mithilfe 23 der Vertragsauslegung.96 Sie betont, dass insbesondere nicht am Wortlaut und der Bezeichnung einer Klausel und auch nicht an ihrer systematischen Positionierung im Gesamtgefüge der AVB festgehalten werden darf, sondern die Risikobegrenzung wegen ihres Charakters als AVB so auszulegen ist, „wie sie ein durchschnittlicher VN bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss“.97 Freilich wird die „Kunstfigur“ des durchschnittlichen VN die Unterschiede von Risikobegrenzungen und Obliegenheiten nicht kennen.98 Der BGH stellt auf diese Kenntnis daher auch gar nicht ab, sondern versucht die konzeptionellen Unterschiede von Risikobegrenzung und Obliegenheit in die Laienperspektive zu übertragen. Von einer Obliegenheit sei daher auszugehen, wenn der durchschnittliche VN die Klausel so verstehen darf, dass er vom Bestehen des Versicherungsschutzes ausgeht, welcher nur bei schuldhafter Verletzung einer bestimmten Verhaltenspflicht entfällt.99 Ein Risikoausschluss nimmt dagegen ein bestimmtes Risiko von vornherein vom Versicherungsschutz aus. In diesem Sinne wurde der vermeintliche Ausschluss des Risikos eines nicht verkehrssicheren Zustandes oder einer Überladung von Fahrzeugen als Obliegenheit interpretiert.100 Freilich wird auch hier nicht klar, wie ein durchschnittlicher VN erkennen soll, ob eine Klausel ein bestimmtes Risiko „von vornherein“ vom Versicherungsschutz ausnimmt oder aber nur bei Verschulden des VN den „an sich bestehenden“ Versicherungsschutz zurücknimmt. In der Regel wird somit die Auslegung aus der Empfängerperspektive unergiebig bleiben.101 Sollte sie im Einzelfall doch weiterhelfen, was etwa die Folge der Unklarheitenregel sein könnte,102 so sollte besser gar nicht von einer verhüllten Obliegenheit gesprochen werden, denn der vermeintliche Risikoausschluss wurde offenbar so formuliert und systematisch platziert, dass ihn der redliche VN (noch) als Obliegenheit versteht. Der Fall steht somit der falsa demonstratio nahe.

94 Zur Ausschlusstheorie z.B. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 12 f.; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 65 m.N. zu den frühen Vertretern dieser Theorie.

95 So die Umschreibung der Verhaltenstheorie bei Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 14; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 65 m.N. zu den frühen Vertretern dieser Theorie. 96 Deutlich BGH 18.6.2008 – IV ZR 87/07, VersR 2008 1107 zu Nr. 1a) der Klausel 7110 der VHB 1992; BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969; BGH 2.11.1994 – IV ZR 324/93, VersR 1995 82 f.; im Ansatz auch Langheid/ Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 69, der auf die berechtigten Erwartungen der VN in das Bestehen von Versicherungsschutz abstellt; ähnlich Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 29; kritisch Schmidt-Hollburg 56. 97 Deutlich BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969. 98 Deutlich in diesem Sinne Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 18. 99 BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969; vgl. OLG Koblenz 31.10.1997 – 10 U 1502/96, VersR 1999 48 f., wo das Wesen der Klausel als Risikoausschluss als erkennbar gewertet wurde. 100 BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969. 101 Kritisch auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 17; vgl. Felsch RuS 2015 53, 54; zur Schwierigkeit der Auslegung auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 61. 102 Vgl. Wilcke VersR 1969 8, 10, der fordert, dass der VR Risikoausschlüsse unzweideutig als solche formuliert, weil ihn sonst die Nachteile der Unklarheitenregel treffen. 223

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Die Rspr. greift jedoch – in Ablehnung der so genannten Ausschlusstheorie103 – weiter, indem sie auf den halbzwingenden Charakter und den Zweck des § 28 abstellt.104 Sie hebt hervor, der Schutz dieser Vorschrift könne dem VN nicht dadurch entzogen werden, „dass Obliegenheiten in den AVB so verhüllt werden, dass sie nicht als Verhaltensvorschriften, sondern als Risikobeschreibungen erscheinen“.105 Entscheidend sei demnach der materielle Gehalt einer Klausel, nicht ihr Erscheinungsbild.106 In der Tat ist es richtig, den Schutz des § 28 auch dann eingreifen zu lassen, wenn der durchschnittliche VN eine AVB-Klausel als Risikobegrenzung versteht, der Schutzzweck der Vorschrift aber eröffnet ist, weil es sich in der Sache107 eben um eine „verhüllte“ oder „materielle“108 Obliegenheit handelt.109 Eine solche Risikobegrenzung ist daher selbst dann dem Regime des § 28 zu unterwerfen, wenn der VR dem „VN unmissverständlich klarmacht, dass die Klausel als Risikoausschluss zu verstehen ist“.110 Ein ähnliches Ergebnis erzielt, wer zwar nur auf den Parteiwillen abstellen will, diesen aber einer Inhaltskontrolle unterwirft.111 25 Die Einzelergebnisse der Rspr. sind bisweilen widersprüchlich,112 was in der folgenden Übersicht zur Kasuistik ersichtlich wird. Dabei ergibt sich aus der Stellung des entscheidenden Gerichts im Instanzenzug sowie dem Entscheidungsdatum eine gewisse Hierarchie der angeführten Präjudizien.

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103 Deutlich und unter Aufarbeitung der älteren Judikatur schon BGH 24.10.1979 – IV ZR 182/77, VersR 1980 153 f.; das gilt auch für die Versicherungssparten, in denen Vertragsfreiheit herrscht (§ 210), ja im Kern auch für die Seeversicherung (§ 209), vgl. schon Schmidt-Hollburg 52 ff.; zur „Annäherung“ der Rsp. an die Verhaltenstheorie Prölss/ Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 16; zur Ausschlusstheorie U. Hübner VersR 1978 981, 983; auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 12 f.; Schmidt-Hollburg 29 ff.; gegen die Ausschlusstheorie ferner öOGH 23.3.1994 – 7 Ob 24/93, JBl. 1995 463 (Jabornegg). 104 Vgl. schon BGH 26.4.1972 – IV ZR 19/71, VersR 1972 575; OLG Koblenz 31.10.1997 – 10 U 1502/96, VersR 1999 48 f.; BGH 29.11.1972 – IV ZR 162/71, VersR 1973 145, 146; OLG Hamm 26.1.1973 – 20 U 202/72, VersR 1973 362, 363; das wird besonders auch anhand der Entscheidung des BGH 26.2.1969 – IV ZR 541/68, BGHZ 51 356 deutlich, wo zunächst ausführlich geprüft wird, ob die streitgegenständliche Juwelierversicherung als Transportversicherung i.S.d. § 187 a.F. anzusehen sei; vgl. auch OLG Düsseldorf 6.12.1983 – 4 U 75/83, VersR 1984 133, 134; OLG Hamm 14.10.1981 – 20 U 177/80, VersR 1982 870. 105 BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969; BGH 25.5.1987 – II ZR 247/86, VersR 1987 1109, 1110; BGH 26.2.1969 – IV ZR 541/68, BGHZ 51 356, 360; KG Berlin 17.5.1977 – 6 U 2447/76, VersR 1978 366; vgl. Wegmann 72. 106 Z.B. OLG Naumburg 28.3.2014 – 10 U 5/13 [Hs], VersR 2015 102, 104; vgl.– die Rspr. zusammenfassend – Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 16; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 58; Beckmann/MatuscheBeckmann/Marlow3 § 13 Rn. 16; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 29 („Sinn und Zweck“, die dem „materiellen Regelungsgehalt“ entsprächen). 107 Vgl. Schütte 179: „… der Sache nach …“. 108 So der Begriff bei Bischoff VersR 1972 799. 109 Deutlich auch Sieg BB 1970 106, 110, der ausführt, durch eine gegenteilige Ansicht „… wäre der Aushöhlung der Obliegenheitssituation Tür und Tor geöffnet“; ähnlich Bischoff VersR 1972 799; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 25; dagegen wohl Schmidt-Hollburg 57 f., der aber darauf abstellt, ob eine bewusste Gesetzesumgehung vorliegt; zweifelnd Müller DB 1980 2069, 2072; Eingrenzung auf Jedermanns-Versicherungen bei U. Hübner VersR 1978 981, 986. 110 Vgl. insofern Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 18; auch Schütte 57 ff.; a.A. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 70; grundsätzlich a.A. die Vertreter der „Ausschlusstheorie“; vgl. Wilcke VersR 1969 8, 9 f., der die Frage, ob eine verhaltenssteuernde Klausel in AVB als Obliegenheit § 28 unterfällt oder aber als Risikoausschluss dem halbzwingenden Regime des § 28 entkommt, ausschließlich der Vereinbarung der Parteien anheim geben will, sodass § 28 nur greifen kann, wenn die AVB des Versicherers die Weichen nicht schon zuvor in Richtung Risikobegrenzung gestellt haben; sowie Voß VersR 1961 866, 868. 111 So Schmidt-Hollburg 59 f.; auch Menzel 148; sowie Trölsch 281 ff.; Kritik an diesem Ansatz bei Liebelt-Westphal 167 ff. 112 So z.B. auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 59; Kritik an dieser Kritik bei Wegmann 73. Heiss

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26 Die Rspr. hat in folgenden Fällen das Vorliegen einer (verhüllten) Obliegenheit bejaht: Autoinhaltversicherung: Deckungsausschluss, wenn Werkzeuge etc. nachts aus einem weder beaufsichtigt noch in einer verschlossenen Garage abgestellten Kfz gestohlen werden.113 Bauwesenversicherung: Pflicht zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die anerkannten Regeln der Technik.114 Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung: Pflicht zur Bewachung eines Warenlagers.115 Garantieversicherung eines Gebrauchtwagenhändlers: Klauseln, wonach die Garantie nicht greift, wenn ein erkennbar reparaturbedürftiges Fahrzeug in Betrieb genommen wird.116 Haftpflichtversicherung: Pflicht, besonders gefahrdrohende Umstände zu beseitigen;117 Schweißschadenklausel;118 Pflicht, mit brennbaren bzw. explosiven Stoffen vorschriftsgemäß umzugehen.119 Hausratversicherung: Pflicht, Wertsachen bei Nichtgebrauch verschlossen zu verwahren;120 Pflicht, Fahrräder abzusperren.121 Luftfahrtkaskoversicherung: Deckungsausschluss bei ungenügender Sicherung;122 Führen des Flugzeugs ohne die vorgeschriebenen Erlaubnisse, Berechtigungen oder Befähigungen.123 Rechtsschutzversicherung: Führerscheinklausel.124 Reisegepäckversicherung: Pflicht, Reisegepäck tauglich zu verpacken,125 erst kurz vor der Reise von der Wohnung in das Fahrzeug zu bringen126 bzw. im Kofferraum zu verwahren;127 Pflicht, Fahrzeuge nachts in abgeschlossenen Garagen oder auf bewachten Parkplätzen abzustellen128 oder nur beaufsichtigt zu parken.129 Schaustellerversicherung: Pflicht, das Fahrzeug nicht länger als 12 Stunden unbeaufsichtigt zu lassen130 bzw. eine Diebstahlsicherung einzubauen.131

113 114 115 116 117 118 119

LG Berlin 2.8.2001 – 7 O 46/01, VersR 2002 975, 976. OLG Frankfurt/M. 13.5.2009 – 7 U 55/08, VersR 2010 1450. OLG Köln 27.1.1998 – 9 U 110/96, RuS 1998 179, 180. LG Dortmund 14.5.2014 – 2 O 388/13, VersR 2015 981, 982. BGH 29.11.1972 – IV ZR 162/71, VersR 1973 145, 146. OLG Schleswig 16.3.1972 – 7 U 167/71, VersR 1972 823, 824; zustimmend Stelzer VersR 1977 13, 14. BGH 24.10.1979 – IV ZR 182/77, VersR 1980 153 ff.; BayOLG 12.12.1980 – 2 Z 63/80, VersR 1981 1045, 1046 f.; ähnlich OLG Oldenburg 25.11.1992 – 2 U 112/92, VersR 1994 715; auch OLG München 19.10.1998 – 17 U 2860/98, RuS 2000 13, 14. 120 BGH 31.1.1975 – IV ZR 126/73, VersR 1975 269; BGH 20.6.1973 – IV ZR 52/72, VersR 1973 1010; OLG Düsseldorf 8.10.1996 – 4 U 172/95, VersR 1997 308, 309; OLG Köln 14.3.2006 – 9 U 109/05, RuS 2007 159; anders, wenn nur verschlossen verwahrte Schmuckstücke versichert sind, BGH 16.3.1983 – IV ZR 111/81, VersR 1983 573, 574. 121 BGH 18.6.2008 – IV ZR 87/07, VersR 2008 1107 zu Nr. 1a) der Klausel 7110 der VHB 1992. 122 OLG Düsseldorf 24.10.1995 – 4 U 173/94, VersR 1996 970, 971. 123 BGH 14.5.2014 – IV ZR 288/12, VersR 2014 869; anders noch OLG Celle 11.2.2010 – 8 U 125/09, VersR 2010 1637 (Mühlbauer/Mittendorf); OLG Stuttgart 23.4.2009 – 7 U 220/08, VersR 2011 1559; OLG Oldenburg 11.12.1996 – 2 U 169/96, VersR 1998 839, 840; wie der BGH dagegen bereits Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 25. 124 LG Münster 23.5.1990 – 1 S 98/90, NJW-RR 1990 1121 f. 125 LG Hamburg 15.12.1989 – 74 O 134/89, VersR 1990 1234; vgl. zur Pflicht, Kameras etc. „in einem verschlossenen oder durch einen Verschluss gesicherten Reisekoffer“ zu verpacken, Knappmann NVersZ 2002 298. 126 OLG Hamm 26.11.1986 – 20 U 66/86, VersR 1988 371. 127 BGH 13.12.1978 – IV ZR 177/77, VersR 1979 343, 344; vgl. KG Berlin 17.5.1977 – 6 U 2447/76, VersR 1978 366. 128 LG Frankfurt/M. 12.5.1981 – 2/19 O 354/80, VersR 1984 32, wobei die Klausel überdies als ungewöhnlich qualifiziert wurde; vgl. LG Lüneburg 23.5.1985 – 1 S 46/85, VersR 1986 589; a.A. LG Paderborn 21.12.1984 – 2 O 314/84, VersR 1986 481, 482; OLG Hamm 7.12.1984 – 20 U 107/84, VersR 1985 855, 856; LG München I 18.5.1983 – 31 S 22912/ 82, VersR 1983 923. 129 BGH 3.7.1985 – IV a ZR 4/84, VersR 1985 854, 855; OLG Schleswig 19.9.1985 – 5 U 259/84, VersR 1986 806 (Diels); OLG Hamm 15.12.1982 – 20 U 144/82, VersR 1983 1127; a.A. OLG Düsseldorf 6.12.1983 – 4 U 75/83, VersR 1984 133, 134. 130 OLG Hamm 14.10.1981 – 20 U 177/80, VersR 1982 870. 131 OLG Hamm 20.6.1997 – 20 U 1/97, VersR 1998 847, 848. 225

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Schiffskaskoversicherung: Eisschadensklausel (Ausschluss von Schäden durch Durchbrechen von feststehendem Eis);132 § 138 (bzw. § 132 VVG a.F.) stellt eine Obliegenheit dar.133 Transportversicherung: Ausschluss der Deckung für unbewachtes Abstellen des LKW von mehr als 2 Stunden;134 Ausschluss der Verwendung nicht verkehrstauglicher Fahrzeuge;135 Sorgfaltsanforderungen für den Umgang mit dem Transportgut.136 Unfallversicherung: Erfordernis der unverzüglichen Geltendmachung einer Übergangsentschädigung.137 Valorenversicherung: Pflicht, Schmuck in einem sicheren Behältnis138 bzw. in einem verschlossenen und vom Innenraum des Kfz aus nicht zugänglichen Kofferraum139 zu verwahren bzw. zu beaufsichtigen.140 Verkehrshaftungsversicherung: Pflicht, LKW nicht länger als 45 Minuten unbeaufsichtigt abzustellen;141 Ausschluss von Beförderungen, bei denen öffentlich-rechtliche Pflichten verletzt werden (z.B. fehlende Genehmigung des Transports).142 Vertrauensschadenversicherung: Pflicht zur Überprüfung von Mitarbeitern.143 Warenkreditversicherung: Meldepflichten für Zwecke der Prämienkalkulation.144 Wassersportfahrzeugversicherung: Pflicht zur Vertäuung bzw. Verankerung des Bootes145 bzw. Verwahrung an sicherem Ort im Sommer- oder Winterlager;146 Ausschluss von Schäden durch Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugs.147 Die Rspr. hat in folgenden Fällen das Vorliegen einer objektiven Risikobegrenzung (insb. 27 Risikoausschluss) bejaht: Bauwesenversicherung: Deckung nur für unvorhergesehen eingetretene Schadensfälle.148

132 BGH 8.3.1982 – II ZR 10/81, VersR 1982 645, 646. 133 BGH 18.5.2011 – IV ZR 165/09, VersR 2011 1048 (Flusskaskoversicherung); nur vorsichtig folgend BGH 27.5.2015 – IV ZR 292/13, VersR 2015 1020, 1024; vgl. OLG Frankfurt/M. 20.5.2015 – 20 U 234/11, VersR 2016 527; vgl. auch OLG Hamm 20.5.2015 – I-20 U 234/11, RuS 2015 360; LG Flensburg 1.3.2019 – 4 O 119/11, RuS 2020 213. 134 OLG Köln 5.11.1992 – 5 U 45/92, VersR 1993 574. 135 BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969; hierzu Langheid NJW 2001 111, 112; vgl. BGH 18.5.2011 – IV ZR 165/09, VersR 2011 1048 (Flusskaskoversicherung); BGH 27.5.2015 – IV ZR 292/13, VersR 2015 1020, 1024; tlw. kritisch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 47 i.V.m. 39. 136 OLG Naumburg 28.3.2014 – 10 U 5/13 [Hs], VersR 2015 102, 103 f. 137 OLG Hamm 9.6.1993 – 20 U 52/93, VersR 1994 166, 167 m.w.N.; a.A. OLG Düsseldorf 20.6.1989 – 4 U 223/88, VersR 1989 1077, 1078. 138 BGH 21.5.1986 – IV a ZR 132/84, VersR 1986 781, 782; OLG Frankfurt/M. 22.2.1984 – 9 U 63/83, VersR 1984 956, 957; BGH 18.12.1980 – IVa ZR 34/80, VersR 1981 186, 187; OLG Köln 21.1.1997 – 9 U 243/95, RuS 1997 342, 342 f.; vgl. auch BGH 20.11.1984 – IV a ZR 62/84, VersR 1985 156; BGH 26.2.1969 – IV ZR 541/68, BGHZ 51 356, 360 f.; OLG Köln 21.1.1997 – 9 U 65/96, VersR 1997 962, 966; LG München I 17.4.1985 – 29 O 92/85, VersR 1988 77. 139 OLG Köln 29.8.1985 – 5 U 250/84, VersR 1986 760, 761 (betrifft einen Pelzmantel); vgl. auch BGH 12.10.1988 – IV a ZR 46/87, VersR 1989 141, 142; LG Essen 31.8.1989 – 6 O 382/89, NJW-RR 1990 529; LG Köln 28.11.1984 – 24 O 387/83, VersR 1985 446. 140 OLG Karlsruhe 29.9.1988 – 12 U 235/87, VersR 1990 786, 787. 141 OLG Frankfurt/M. 8.12.2004 – 7 U 130/04, VersR 2006 115. 142 OGH 23.3.1994 – 7 Ob 24/93, VersR 1995 367; vgl. OLG München 3.3.2011 – 23 U 4357/10, RuS 2011 437. 143 OLG Köln 9.6.1988 – 5 U 163/87, RuS 1989 236 f. 144 KG Berlin 10.11.2000 – 6 U 4575/99, VersR 2003 500, 501. 145 BGH 25.5.1987 – II ZR 247/86, VersR 1987 1109, 1110. 146 BGH 13.1.1982 – IV a ZR 237/80, VersR 1982 395, 395 f.; OLG Hamm 26.1.1973 – 20 U 202/72, VersR 1973 362, 363; vgl. auch OLG München 1.2.1980 – 8 U 3195/79, VersR 1981 1073, 1074. 147 BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969; die Entscheidung betraf zwar Landfahrzeuge betraf, darin wurde aber die ältere, entgegenstehende Judikatur zu Wasserfahrzeugen (BGH 25.5.1987 – II ZR 247/86, VersR 1987 1109, 1110; BGH 11.2.1985 – II ZR 290/83, VersR 1985 629, 630 (zur FlusskaskoV) und auch OLG Köln 28.4.1998 – 9 U 163/97, RuS 1998 394 f.) ausdrücklich aufgegeben. 148 BGH 1.6.1983 – IV a ZR 152/81, VersR 1983 821; vgl. im Kontext BGH 28.4.1976 – IV ZR 56/74, VersR 1976 676. Heiss

226

B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

Berufshaftpflichtversicherung: Ausschluss von Ansprüchen wegen (u.a.) „wissentlichen Abweichens von Gesetzen, Vorschriften, Beschlüssen, Vollmachten, Weisungen oder sonstiger wissentlicher Pflichtverletzung“ (Pflichtwidrigkeitsausschluss).149 Berufsunfähigkeitsversicherung: Beginn der Leistungspflicht des VR mit Anzeige der Berufsunfähigkeit, wenn mehr als 3 Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit angezeigt wird.150 Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung: Pflicht zur verschlossenen Verwahrung von Geld;151 Ausschluss des Raubs von Geld, wenn nur ein Mitarbeiter anwesend ist.152 Feuerversicherung: Pflicht zur Stichtagsmeldung des Werts von Vorräten.153 Haftpflichtversicherung: Ausschluss von Gefahren einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung.154 Hausratversicherung: Eingrenzung der Deckung von Fahrraddiebstählen auf 6.00 bis 22.00 Uhr, außerhalb dieser Zeit nur bei Gebrauch oder bei Verwahrung in verschlossenem Fahrradraum;155 Ausschluss, wenn Gepäckstücke nachts aus einem weder beaufsichtigt noch in einem verschlossenen Hofraum abgestellten Kfz gestohlen werden;156 Deckung nur für verschlossen verwahrte Schmuckstücke157 und Geld;158 Begrenzung der Deckung für Geld auf eine bestimmte Summe159 und unter der Voraussetzung besonderer Verwahrung.160 Kfz-Kaskoversicherung: Wiederherstellungsklausel;161 Begrenzung des Versicherungsschutzes auf Verwahrung in verschlossener Halle oder auf eingefriedetem und abgeschlossenen Betriebshof außerhalb der Öffnungszeiten eines Handwerksbetriebs.162 Krankenversicherung: Pflicht zur Behandlung durch einen „niedergelassenen, approbierten Arzt;163 Genehmigungspflicht des Aufenthalts in einer gemischten Anstalt;164 Pflicht zur Vorlage eines Heil- und Kostenplans;165 Alkoholmissbrauchsklausel.166 Luftfahrzeughaftpflichtversicherung: Erfordernis der gesetzlich vorgeschriebenen behördlichen Genehmigung des Luftbetriebs.167

149 OLG Karlsruhe 14.3.2017 – 12 U 141/16, RuS 2018 70, 71; vgl. OLG Frankfurt a.M. 21.9.2015 – 3 U 119/15, BeckRS 2016 13826. 150 BGH 2.11.1994 – IV ZR 324/93, VersR 1995 82 f.; OLG Hamm 28.9.1994 – 20 U 105/94, VersR 1995 1038, 1039. 151 OLG Koblenz 31.10.1997 – 10 U 1502/96, VersR 1999 48 f.; BGH 26.4.1972 – IV ZR 19/71, VersR 1972 575. 152 BGH 28.9.1977 – IV ZR 108/76, VersR 1977 1142, 1144. 153 OLG Frankfurt/M. 5.11.1997 – 7 U 54/96, RuS 1998 28, 30 („jedenfalls keine Obliegenheit“). 154 BGH 9.11.2011 – IV ZR 115/10, VersR 2012 172. 155 BGH 18.6.2008 – IV ZR 87/07, VersR 2008 1107 zu Nr. 1b) der Klausel 7110 der VHB 1992. 156 AG Meschede 28.11.1985 – 3 C 647/85, VersR 1986 333 [zw.]; ebenso AG Bad Homburg 3.7.1987 – 2 C 430/87, VersR 1988 795, 796; AG Berlin-Charlottenburg 16.10.1985 – 15 C 494/85, RuS 1987 288 f.; AG Meldorf 8.2.1989 – 31 C 326/88, ZfS 1989 139, 140; AG Tettnang 7.7.1987 – 7 C 500/87, ZfS 1987 283; AG Lübeck 23.10.1987 – 25 C 3285/87, ZfS 1987 378; a.A. AG Köln 20.8.1986 – 112 C 261/86, VersR 1988 76. 157 BGH 16.3.1983 – IV ZR 111/81, VersR 1983 573, 574; OLG Hamm 13.5.2020 – 20 U 266/19, VersR 2020 1376; OLG Hamm 31.8.2016 – 20 U 69/16, RuS 2017 21; OLG Köln 17.11.2016 – 9 U 127/16, VersR 2017 612; LG Verden 10.10.2007 – 8 O 250/07, VersR 2008 115; vgl. auch BGH 31.1.1975 – IV ZR 126/73, VersR 1975 269 und BGH 20.6.1973 - IV ZR 52/ 72, VersR 1973 1010, wenn Verschlussverwahrung nur in Zeiten des Nichtgebrauchs erforderlich ist. 158 BGH 26.4.1972 – IV ZR 19/71, VersR 1972 575. 159 Vgl. LG Dortmund 15.1.2015 – 2 O 254/14, RuS 2015 199. 160 OLG Hamm 23.11.1977 – 20 U 33/77, VersR 1980 1062, 1063. 161 OLG Köln 21.4.1983 – 5 U 208/82, VersR 1983 1175. 162 OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 610/05-93, VersR 2007 238, 239. 163 OLG Saarbrücken 19.7.2006 – 5 U 53/06-5, VersR 2007 345; OLG München 21.12.1989 – 24 U 478/89, VersR 1990 614; vgl. OLG Hamm 24.6.1992 – 20 U 90/92, VersR 1993 427. 164 OLG Karlsruhe 2.8.1989 – 13 U 214/87, VersR 1990 37. 165 BGH 14.12.1994 – IV ZR 3/94, VersR 1995 328, 329. 166 OGH 17.11.2004 – 7 Ob 260/04 t, VersR 2005 1755. 167 BGH 31.1.1990 – IV ZR 227/88, VersR 1990 482, 483. 227

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Luftfahrt-Kaskoversicherung: Ausschluss bei Verstoß gegen gesetzliche Betriebsvorschriften168 oder Verwendung zu anderen als versicherten Zwecken.169 Maschinen-Betriebsunterbrechungsversicherung: Ausschluss von Schäden, die entstehen, weil dem VN nicht rechtzeitig Kapital zur Verfügung steht, um beschädigte Sachen zu ersetzen bzw. zu reparieren.170 Produkthaftpflichtversicherung: Ausschluss von Schäden „durch Erzeugnisse, deren Verwendung oder Wirkung im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck nicht nach den anerkannten Regeln der Technik oder Wissenschaft oder in sonstiger Weise ausreichend erprobt waren“ (Erprobungsklausel).171 Rechtsschutzversicherung: Frist zur Meldung des Schadensfalls.172 Reisegepäckversicherung: bei Einzelgefahrenversicherung: Deckung der Foto- und Videoausrüstung nur, wenn diese sicher verwahrt mitgeführt werden;173 Beschränkung der Deckung auf Verwahrung in fest verschlossenem Raum;174 Beschränkung der Deckung auf Diebstahl aus Kfz, das nachts beaufsichtigt abgestellt ist.175 Sturmschadenversicherung: Ausschluss von Schäden wegen eines baufälligen Zustands des Gebäudes.176 Transportversicherung: Ausschluss bei mangelhafter Verpackung oder Verladung;177 Einhaltung von gesetzlichen Sicherheitsvorschriften bei Sondertransporten.178 Unfallversicherung: Erfordernis des Eintritts der Invalidität und deren ärztlicher Feststellung binnen 15 Monaten;179 Erfordernis der unverzüglichen Geltendmachung einer Übergangsentschädigung.180

168 169 170 171

LG Essen 11.6.1970 – 4 O 102/70, VersR 1971 147, 148; a.A. Kirchner VersR 1971 599. OLG Köln 5.11.2020 – 9 U 141/20, VersR 2021 838, 839. BGH 16.11.2005 – IV ZR 120/04, VersR 2006 215. BGH 9.1.1991 – IV ZR 264/89, VersR 1991 414, OLG Bremen 30.6.1998 – 3 U 142/97, VersR 1999 1102, 1103; LG Aachen 26.4.1994 – 41 O 257/93, VersR 1995 286, 287; zust. Schwabe VersR 2002 785, 794; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 51. 172 BGH 15.4.1992 – IV ZR 198/91, VersR 1992 819 f. 173 BGH 17.9.1986 – IV a ZR 232/84, VersR 1986 1097, 1098 [zw.]; OLG Frankfurt/M. 15.1.2004 – 3 U 39/03, VersR 2004 1601; OLG Karlsruhe 19.12.1990 – 12 U 165/90, VersR 1991 995, 996; AG Bremen 4.3.1986 – 1 C 506/85, VersR 1987 812; a.A. OLG Saarbrücken 9.10.1984 – 2 U 55/83, VersR 1984 1187, 1188; vgl. LG Berlin 20.2.1986 – 7 O 299/85, VersR 1987 811, 812 a.E.; LG Zweibrücken 26.2.1991 – 3 S 267/90, VersR 1991 997; a.A. auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 46; anders für Allgefahrendeckung BGH 21.5.1986 – IV a ZR 132/84, VersR 1986 781, 782. 174 LG München I 30.1.1985 – 31 S 10692/84, VersR 1986 885, 886 [zw.]; hier: Verwahrung in einem Fahrzeug mit Rollverdeck. 175 LG Paderborn 21.12.1984 – 2 O 314/84, VersR 1986 481, 482 [zw.]; ebenso OLG Hamm 7.12.1984 – 20 U 107/84, VersR 1985 855, 856; LG München I 18.5.1983 – 31 S 22912/82, VersR 1983 923; a.A. LG Frankfurt/M. 12.5.1981 – 2/19 O 354/80, VersR 1984 32, wobei die Klausel überdies als ungewöhnlich qualifiziert wurde; vgl. LG Lüneburg 23.5.1985 – 1 S 46/85, VersR 1986 589. 176 OGH 8.3.2007 – 7 Ob 274/06 d, VersR 2008 563. 177 BGH 8.5.2002 – IV ZR 239/00, VersR 2002 845 [zw.]; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 47. 178 OLG Köln 17.3.1998 – 9 U 187/97, RuS 1999 305, 306; das Einhalten von Sicherheitsvorschriften bei Transporten mit Überhöhe, Überbreite und Überlänge wird jedoch als Obliegenheit angesehen. 179 BGH 28.6.1978 – IV ZR 7/77, VersR 1978 1036, 1037 f.; OLG Koblenz 6.9.2004 – 10 U 1155/03, RuS 2005 391; OLG Koblenz 27.8.1999 – 10 U 1848/98, VersR 2000 842; OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 – 14 U 57/94, VersR 1996 618, 619; vgl. auch BGH 5.7.1995 – IV ZR 43/94, VersR 1995 1179, 1180; BGH 16.12.1987 – IV a ZR 195/86, VersR 1988 286; OLG Frankfurt/M. 22.5.1992 – 24 U 52/91, VersR 1993 1139; BGH 5.7.1995 – IV ZR 43/94, VersR 1995 1179; OLG Saarbrücken 31.7.1992 – 3 U 18/90, VersR 1993 569, 571; ähnlich der Fall BGH 24.3.1982 – IVa ZR 226/80, VersR 1982 567 (InsassenUnfallV); vgl. allgemein zu Ausschlussfristen und Fristbestimmungen, die Anspruchsvoraussetzungen sind Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 34 f. 180 OLG Düsseldorf 20.6.1989 – 4 U 223/88, VersR 1989 1077, 1078; a.A. OLG Hamm 9.6.1993 – 20 U 52/93, VersR 1994 166, 167 m.w.N. Heiss

228

B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

Valorenversicherung: Ausschluss nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs;181 Pflicht zur Deklaration des Werts;182 Vereinbarung eines gegenüber § 81 erhöhten Sorgfaltsmaßstabs.183 Warenkreditversicherung: Leistungsfreiheit ab Nichtanzeige der Überschreitung des äußersten Kreditziels;184 Pflicht zur Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts;185 Pflicht, fristgerecht ein Inkassounternehmen zu beauftragen.186 Wassersportfahrzeugversicherung: Ausschluss von Schäden, die „vor der offenen Küste“ und in „unbemanntem“ Zustand entstehen;187 Ausschluss von Schäden durch Frost, Eis, Sonneneinwirkung, Regen, Schnee.188 Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung: Pflichtwidrigkeitsklausel (subjektiver Risikoausschluss).189 28 Die Rspr. hat die Frage für folgende Klausel offen gelassen: KVO/CMR-Versicherung: Pflicht des VN zur Deklaration des Risikos.190

3. Kritik der Rechtsprechung und weiterführende Ansätze in der Lehre Jenseits der beschriebenen Grundsätze fehlt es der Rspr. an klaren Abgrenzungskriterien.191 Ins- 29 besondere hilft es nicht, wenn die Rspr. immer wieder auf den formal richtigen Unterschied hinweist, Risikobeschränkungen würden eine Gefahr von vornherein vom Deckungsschutz ausnehmen, wohingegen Obliegenheiten einen an sich bestehenden Versicherungsschutz bei obliegenheitswidrigem Verhalten des VN entfallen ließen.192 Dieses Abstellen auf ein rein formales Regel-Ausnahme-Verhältnis eröffnet dem VR unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten193 und verfehlt damit das Grundanliegen des Konzepts von „verhüllten Obliegenheiten“, den Schutz 181 BGH 10.7.1980 – IVa ZR 16/80, VersR 1980 1042, 1043; OLG Frankfurt/M. 22.2.1984 – 9 U 63/83, VersR 1984 956, 957. 182 LG Frankfurt/M. 5.7.1989 – 3/7 O 222/88, VersR 1990 155 (Martin). 183 BGH 24.11.1971 – IV ZR 135/69, VersR 1972 85, 86. 184 OLG Koblenz 8.3.2002 – 10 U 626/01, VersR 2002 1507; a.A. wohl LG Köln 29.3.2001 – 24 O 252/00, VersR 2002 608. 185 OLG Köln 16.5.2000 – 9 U 139/99, NVersZ 2002 39 f. 186 OLG Hamburg 21.6.2005 – 9 U 48/05, VuR 2005 428 (Sexauer). 187 BGH 25.5.1987 – II ZR 247/86, VersR 1987 1109, 1110 [zw.]; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 50; die Entscheidung ist auch wegen BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969 nur von geringer Präjudizkraft. 188 OLG Karlsruhe 16.8.2011 – 12 U 84/11, VersR 2012 854, 855. 189 KG Berlin 1.2.2005 – 6 U 43/04, RuS 2006 67, 68. 190 BGH 17.1.2001 – IV ZR 282/99, VersR 2001 368, 369. 191 Vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 24 a.E.; es kommt daher zu teils widersprüchlichen Entscheidungen, worauf in der Literatur zu Recht mehrfach hingewiesen wurde; z.B. R. Schmidt ZVersWiss 1968 81, 87 f.; Sieg BB 1970 106, 109; Koch VersR 2014 283, 284. 192 Z.B. BGH 14.5.2014 – IV ZR 288/12, VersR 2014 869; BGH 18.5.2011 – IV ZR 165/09, VersR 2011 1048; BGH 16.6.2004 – IV ZR 201/03, VersR 2004 1132, 1133, wo allerdings sehr stark auf die Beeinflussbarkeit des Geschehens durch den VN abgestellt wird; BGH 24.5.2000 – IV ZR 186/99, VersR 2000 969; BGH 17.9.1986 – IV a ZR 232/84, VersR 1986 1097 f.; BGH 21.5.1986 – IV a ZR 132/84, VersR 1986 781, 782; BGH 3.7.1985 – IV a ZR 4/84, VersR 1985 854, 855; BGH 16.3.1983 – IV ZR 111/81, VersR 1983 573, 574; BGH 13.12.1978 – IV ZR 177/77, VersR 1979 343, 344; vgl. OLG Frankfurt/M. 8.12.2004 – 2 U 55/83, VersR 2006 115; OLG Köln 5.11.1992 – 5 U 45/92, VersR 1993 574; OLG Saarbrücken 9.10.1984 – 2 U 55/83, VersR 1984 1187, 1188; OLG Düsseldorf 6.12.1983 – 4 U 75/83, VersR 1984 133, 134; OLG Frankfurt/M. 22.2.1984 – 9 U 63/83, VersR 1984 956, 957; LG Hamburg 15.12.1989 – 74 O 134/89, VersR 1990 1234; OLG Karlsruhe 29.9.1988 – 12 U 235/87, VersR 1990 786, 787; LG Frankfurt/M. 5.7.1989 – 3/7 O 222/88, VersR 1990 155 (Martin); KG Berlin 17.5.1977 – 6 U 2447/76, VersR 1978 366; vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 12; m.E. zu Recht kritisch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 17; zur Rspr. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 16. 193 Vgl. z.B. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 15a a.E.: „Fast jede Klausel, die zur Leistungsfreiheit des VR führen soll, lässt sich als Obliegenheit oder Risikobegrenzung formulieren“; auch Langheid/Wandt/ Wandt2 § 28 Rn. 52: „Risikobeschreibungen und Obliegenheiten sind versicherungs- und regelungstechnisch grundsätzlich austauschbar“. 229

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

des § 28 auf alle Verhaltensnormen unabhängig von ihrer formalen Ausgestaltung in den AVB zur Anwendung zu bringen, wenn sie materiell betrachtet eine Obliegenheit verkörpern. Vorzugswürdig ist demgegenüber der Ansatz, den Begriff der Obliegenheit durch ein Abstellen auf eine Verhaltenspflicht des VN materiell zu erfassen (Verhaltenstheorie).194 Er ist indessen nicht ausreichend, weil ein Verhalten des VN auch den Gegenstand eines Risikoausschlusses bilden kann.195 Diesem Dilemma fallen auch verschiedene theoretische Ansätze zur Bestimmung des Wesens verhüllter Obliegenheiten zum Opfer.196 Das gilt etwa für die Ansicht, man müsse danach unterscheiden, ob das Verhalten vom VN bewusst oder unbewusst gesetzt wird.197 Dem Konzept des VVG widerspricht es außerdem, für die Qualifikation von Risikoausschlüssen als verhüllte Obliegenheiten zwischen „Jedermanns“-Versicherungen und kommerziellen Versicherungen zu unterscheiden.198 Auch die Frage, ob ein Risikoausschluss für den VN so bedeutend ist, dass aufgrund einer Interessenwertung ein Verständnis als verhüllte Obliegenheit geboten ist, kann letztlich die Abgrenzung nicht verlässlich bewerkstelligen.199 Nach alledem ist hier folgend auf jene Ansichten einzugehen, die von einer Verhaltensan30 ordnung ausgehen und daran anknüpfend den Begriff der verhüllten Obliegenheit durch Heranziehung weiterer materieller Kriterien vertiefen.200 Einen entscheidenden Schritt in diese Richtung setzt die Ansicht von Bischoff.201 Er knüpft an die typischen Funktionen von Obliegenheiten an. Bischoff stellt treffend fest, dass Obliegenheiten zunächst der „Gefahrverwaltung“, also der Stabilisierung der versicherten Gefahr, dienen. Insbesondere werde vom VN gefordert, dass er sich trotz des Bestehens von Versicherungsschutz genauso sorgfältig verhalte wie ohne („Sorgfaltsverhalten“). Daneben gebe es Obliegenheiten, die überhaupt nur deshalb vereinbart würden, weil Versicherungsschutz bestehe. Regulierungen des subjektiven Vertragsrisikos sowie Vorschriften zum Ausgleich einer den VR benachteiligenden Informationsasymmetrie seien eben nur wegen des Bestehens von Versicherungsschutz sinnvoll („fremdbestimmtes Hilfsverhalten“). An diesen Funktionen fehle es, wenn es sich um autonomes Verhalten handle, also ein Tun oder Unterlassen, welches der VN auch ohne Versicherungsschutz nicht ohne weiteres abstellen würde.202 Schließe z.B. eine „Explosionsklausel“ die Behandlung explosiver Stoffe unter Verstoß gegen geltende Sicherheitsvorschriften von der Deckung aus, so handle es sich materiell um eine Obliegenheit, weil auch ein vernünftiger Nichtversicherter beim Umgang mit explosiven Stoffen die Sicherheitsanforderungen beachten würde („Sorgfaltsverhalten“). Schließe die Klausel demgegenüber den Umgang mit explosiven Stoffen schlechthin vom Versicherungsschutz aus, so handle es sich um einen Risikoausschluss, weil ein Nichtversicherter sich nicht ohne weiteres dieses Umgangs enthielte (autonomes Verhalten).

194 Siehe auch die jüngere Rechtsprechung des BGH 18.6.2008 – IV ZR 87/07, VersR 2008 1107; BGH 18.5.2011 – IV ZR 165/09, VersR 2011 1048, 1050; BGH 14.5.2014 – IV ZR 288/12, VersR 2014 869, 870; vgl. zur h.L. und Rsp. auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 60; siehe auch öOGH 23.3.1994 – 7 Ob 24/93, VersR 1995 367. 195 Vgl. BGH 17.9.1986 – IV a ZR 232/84, VersR 1986 1097, 1098; OLG Koblenz 8.3.2002 – 10 U 626/01, VersR 2002 1507; Schütte 96 spricht bei Vorliegen einer direkten oder indirekten Verhaltensanordnung nur von einem Indiz für eine Obliegenheit; zu kategorisch demgegenüber Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 23. 196 Z.B. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 16. 197 Hierauf abstellend Klingmüller in FS R. Schmidt 753; kritisch hierzu auch Prölss/Martin31/Armbrüster § 28 Rn. 22. 198 So aber Hübner VersR 1978 981; kritisch hierzu Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 26. 199 Vgl. zur „Interessenwertung“ als Grundlage der Abgrenzung Müller DB 1980 2069, 2072; kritisch hierzu Prölss/ Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 28. 200 Ebenso („materielle Theorien“) Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 66; ähnlich Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 12 („materieller Gehalt der einzelnen Klausel“). 201 Bischoff VersR 1972 799. 202 Zumindest ähnlich OLG Düsseldorf 6.12.1983 – 4 U 75/83, VersR 1984 133, 134, das auf die Üblichkeit des Verhaltens des VN abstellt. Heiss

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

Dieser weiterführende Ansatz hat in Einzelpunkten auch Kritik geerntet. So wurde ihm ent- 31 gegengehalten, dass sich autonomes und Sorgfaltsverhalten nicht ohne weiteres voneinander abgrenzen ließen.203 Auch wird das Ergebnis der Ansicht von Bischoff, wonach „autonomes Verhalten“ des VN den Gegenstand einer unlimitierten Risikobegrenzung bilden könnte, das für den VN aber weniger wichtige Sorgfalts- und fremdbestimmte Hilfsverhalten hingegen den Schutz der §§ 28, 32 auslöse, als Wertungswiderspruch angesehen.204 Ferner verleite es den VR dazu, die Anwendung der §§ 28, 32 durch überschießend gefasste Ausschlüsse autonomen Verhaltens, die das eigentlich angestrebte Sorgfaltsverhalten mit umfassen, zu umgehen.205 In der Tat könnte ein VR dem Gedanken verfallen, im Rahmen einer Versicherung von Juwelen an die Stelle einer Verschlussklausel, die nach Bischoff als Obliegenheit anzusehen wäre („Sorgfaltsverhalten“), eine Ausschlussklausel für Zeiten des Nichtgebrauchs („autonomes Verhalten“) zu setzen.206 Prölss – und nunmehr Armbrüster – versuchen, die Schwächen der Ansicht von Bischoff 32 durch einen etwas modifizierten Ansatz zu vermeiden, und lehnen jede Entweder-Oder-Qualifikation ab.207 Das überzeugt, weil eine weit gefasste Verhaltensanordnung u.U. sowohl einen Risikoausschluss als auch eine Obliegenheit enthalten kann. Eine Obliegenheit soll jede Verhaltensanforderung sein, die darauf abzielt, eine ausgeschlossene Situation durch einen erhöhten Sicherheitsaufwand zu vermeiden.208 Es handle sich demnach um eine Obliegenheitsverletzung, wenn dem tatsächlichen Verhalten des VN eine Verhaltensalternative gegenübersteht, die wegen der Beachtung eines höheren Sicherheitsstandards vom Versicherungsschutz umfasst wäre.209 Demnach seien Verhaltensanforderungen, die sich auf von außen drohende Gefahren (z.B. Diebstahl) beziehen, stets Obliegenheiten.210 Auch Bestimmungen über den Versicherungsort und die Versicherungszeit gehörten hierher, wenn sie nur Verhaltensanordnungen enthalten, die der Risikominderung dienen.211 Zusätzlich fordert Prölss, dass das ausgeschlossene Verhalten in den meisten Fällen als 33 schuldhaft anzusehen ist.212 Andernfalls würde der Risikoausschluss durch Umdeutung in eine Obliegenheit versicherungstechnisch entwertet.213 Prölss beruft sich hierfür nicht zuletzt auf Äußerungen des BGH. Dieser hat in der Unfallversicherung die Leistungsvoraussetzung, dass eine Invalidität binnen bestimmter Frist festgestellt wird, als einen Risikoausschluss qualifiziert und ausgeführt: „Mit der Festlegung einer Frist für die ärztliche Feststellung der Invalidität soll zugleich den Belangen der Gemeinschaft der Versicherten Rechnung getragen werden. Auch alle diejenigen Versicherten, die die Frist wahren können, müssten bei Einbeziehung der genannten Spätschäden in den Versicherungsschutz gleichwohl eine etwaige Prämienerhöhung hinnehmen, deren Notwendigkeit dann wegen des generell erhöhten Wagnisses und des erheblich größeren Verwaltungsaufwands der Versicherer nahe läge. Die Auslegung, dass die Einhaltung der Frist für die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit eine Anspruchsvoraussetzung und keine Obliegenheit des VN darstellt, liegt somit nicht nur

203 Hübner VersR 1978 981, 985; ihm folgend Schütte 103 f.; ebenso Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 20; Schmidt-Hollburg 42.

204 Vgl. Schütte 104 f.; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 20; Bischoff VersR 1972 799, 803 spricht selbst jedenfalls prima facie von einem „Paradoxon“. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 11. Zur Behandlung von Tresor-/Verschlussklauseln durch die Rspr. oben Rn. 26. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 15; nunmehr Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 32. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 15; nunmehr Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 30. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 15. Vgl. – nur leicht einschränkend – Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 34. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 16; nunmehr Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 34. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 18. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 27.

205 206 207 208 209 210 211 212 213 231

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

im Interesse des Versicherers“.214 Diese Berufung auf das Interesse aller Versicherten zu Lasten des Einzelnen ist hier wie auch andernorts bedenklich,215 weil der Versicherungsvertrag nach § 1 als Austauschvertrag konzipiert ist, sodass er einen Ausgleich widerstreitender Interessen der Vertragspartner anstrebt und nicht, wie insbesondere Gesellschaftsverträge, der Verfolgung gemeinsamer Interessen der Versicherten dient. Das gilt nach der Rspr. des BVerfG216 im Grundsatz auch für die kapitalbildende Lebensversicherung. Wenn dem so ist, so stellt die „Versichertengemeinschaft“ eine reine Fiktion dar.217 Das hindert aber wohl nicht, risikotechnische Erwägungen in die materielle Bewertung einer Klausel als „Risikoausschluss“ oder „Obliegenheit“ einfließen zu lassen.218 Es handelt sich aber nur um einen Gesichtspunkt in der Gesamtabwägung.

4. Verstoß gegen das Transparenzgebot 34 Umstritten und bisher nicht abschließend untersucht ist die Frage, ob Klauseln, die „verhüllte Obliegenheiten“ enthalten, gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen und daher unwirksam sind.219 Prölss verneint die Frage vorsichtig, indem er zwar von einem Widerspruch gegen den Transparenzgedanken ausgeht, diesen jedoch für nicht so eklatant hält, dass eine Verwerfung der Klausel „unabweislich“ wäre.220 Materiell stützt Prölss sein Ergebnis auf die Erwägung, eine Berufung des VN auf § 28 wäre bei verhüllten Obliegenheiten nicht unwahrscheinlicher als bei unverhüllten.221 Das dürfte indessen nur in jenen Fällen richtig sein, in denen der durchschnittliche VN die Rechtsnatur der Verhaltensregelung erkennen kann, wo die falsche Zuordnung also letztlich wie eine falsa demonstratio zu behandeln ist. In den übrigen, zahlenmäßig häufigeren Fällen dürfte gerade das Gegenteil der Fall sein.222 AVB enthalten nämlich regelmäßig einen Abschnitt über Risikoausschlüsse, der die Leistungsfreiheit des VR nicht an ein Verschuldenskriterium kettet, sowie einen eigenen Abschnitt über Obliegenheiten, der den VR nur bei Vorliegen einer Verletzungshandlung und der weiteren Voraussetzungen des § 28 von seiner Leistungspflicht befreit. Gerade dieser inhaltliche Kontrast ermöglicht es dem VR, wegen § 28 berechtigte Ansprüche des VN (gut- oder bösgläubig) mit dem an sich zutreffenden Hinweis abzutun, die Vorschrift komme auf den Abschnitt über Risikoausschlüsse nicht zur Anwendung. Gerade wegen dieses Effektes werden verhaltensorientierte Risikoausschlüsse treffend als „verhüllte“ Obliegenheiten bezeichnet. Schon diese Bezeichnung indiziert somit die Intransparenz der einschlägigen Klauseln. Häufig wird eine „irreführende Darstellung oder Verschleierung der Rechtslage“ vorliegen, die dem Verdikt der Intransparenz zum Opfer fällt, weil sie „die gesetzlichen Rechte des Kunden zwar nicht abbedingt, aber derart verschleiert, dass

214 BGH 28.6.1978 - IV ZR 7/77, VersR 1978 1036, 1037; siehe auch BGH 24.3.1982 – IVa ZR 226/80, VersR 1982 567; vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 29 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 18. 215 Ablehnend gegenüber dem Kriterium Schütte 51 f. 216 BVerfG 26.7.2005 – 1 BvR 782/94 u. 1 BvR 957/96, VersR 2005 1125, 1131. 217 Vgl. Jung VersR 2003 282; das neue VVG löst die Rechtsstellung des einzelnen VN tendenziell noch stärker vom Kollektiv ab; hierzu Präve VersR 2007 1046; das schließt nicht aus, dass in besonderen Zusammenhängen, z.B. bei der Zuteilung von Überschüssen in der Lebensversicherung, die Interessen der jeweils am Kollektiv beteiligten Versicherungsnehmers mit zu berücksichtigen sind. 218 Kritisch zur Heranziehung versicherungstechnischer Erwägungen Schütte 50 f. 219 Unbestritten ist, dass eine AVB-Kontrolle neben § 28 zur Anwendung kommt; hierzu Beckmann/MatuscheBeckmann/Marlow3 § 13 Rn. 11. 220 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 21; vgl. nunmehr auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 43, der das Argument in Rn. 44 aber deutlich abschwächt. 221 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 21. 222 So auch Menzel 145 f., der daher eine Inhaltskontrolle von verhaltensbezogenen Risikoausschlüssen fordert; deutlich auch Evermann 192. Heiss

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

der Kunde seine Rechte nicht zur Kenntnis nehmen und durchsetzen kann.“223 Ähnlich formuliert der BGH in mittlerweile st.Rspr. zum allgemeinen Zivilrecht: „Nach dem Transparenzgebot muss die Klauselfassung der Gefahr vorbeugen, dass der Kunde von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Eine Klausel, die die Rechtslage unzutreffend oder missverständlich darstellt und auf diese Weise dem Verwender ermöglicht, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren, benachteiligt den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen“.224 Genau diese Gefahr besteht indessen, wie dargelegt, bei verhüllten Obliegenheiten. Diese Gefahr wird auch nicht durch den Hinweis von Prölss und Armbrüster gemindert, es gehe nach ihrer relativen Betrachtungsweise ohnehin nicht um eine starre Qualifikation ex ante.225 Der Umstand, dass eine einzige Klausel teils einen Risikoausschluss und teils eine Obliegenheit enthält, erhöht allenfalls noch den Grad der Intransparenz. M.E. stellen daher verhüllte Obliegenheiten, die für den durchschnittlichen VN nicht als Obliegenheiten erkennbar sind, intransparente und damit nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksame Klauseln dar.226

5. Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1 BGB: das Ende der „verhüllten Obliegenheiten“? Als Risikoausschlüsse formulierte Obliegenheiten werden traditionell durch ihre Behandlung 35 als verhüllte Obliegenheiten aufrechterhalten und entfalten Wirksamkeit, wenngleich nur nach Maßgabe des § 28 n.F. Hierin sieht Felsch einen Verstoss gegen das Verbot geltungserhaltender Reduktion im AGB-Recht, mindestens aber gegen dessen Grundgedanken.227 Nach der Rechtsprechung des BGH228 unterlägen auch nachteilige Abweichungen von halbzwingenden Vorschriften des VVG der Inhaltskontrolle.229 Auch hier gelte folglich das Verbot geltungserhaltender Reduktion.230 Ein in AVB vereinbarter Risikoausschluss, der in Wahrheit eine Obliegenheit darstellt, ist folglich unwirksam, weil die Klausel gegen das gesetzliche Leitbild des § 28 Abs. 2 verstösst.231 Die durch die Unwirksamkeit entstehende Lücke kann nach wohl h.L. nicht durch eine Anwendung des § 28 Abs. 2 geschlossen werden.232 Hieraus folgt, dass eine Anerkennung solcher Klauseln durch eine Behandlung als „verhüllte Obliegenheiten“ nicht mehr in Frage kommt.233 Insofern wird auch vom Abschied von der Figur der verhüllten Obliegenheit gespro-

223 MüKoBGB/Wurmnest8 § 307 Rn. 63 m.N. zur Rsp.; im Kontext der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten z.B. BGH 20.1.2010 – IV ZR 24/09, VersR 2010 757, 759.

224 BGH 27.9.2000 – VIII ZR 155/99, BGHZ 145 203, 220 f.; BGH 21.9.2005 – VIII ZR 284/04, NJW 2005 3567; BGH 5.10.2005 – VIII ZR 382/04, NJW 2006 211.

225 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 43. 226 So auch Evermann 193; Looschelders FS E. Lorenz (2014) 281, 294; vgl. Felsch RuS 2015 53, 58; im Ergebnis ebenso aber mit abweichender Begründung Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 55. 227 Felsch RuS 2015 53, 57; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 25. 228 BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, RuS 2008 25; BGH 18.3.2009 – IV ZR 298/06, RuS 2009 242. 229 Felsch RuS 2015 53, 57; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 25 a.E. 230 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 25 a.E. 231 Felsch RuS 2015 53; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 28; ihm folgend Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 16; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 44; Schimikowski RuS 2019 301, 304 ff.; Koch VersR 2014 283, 285 ff.; OLG Naumburg 28.3.2014 – 10 U 5/13 [Hs], VersR 2015 102, 106. 232 Deutlich und m.w.N. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 31; Rattay VersR 2015 1075, 1079 ff.; differenzierend Koch VersR 2014 283, 288 ff.; a.A. OLG Naumburg 28.3.2014 – 10 U 5/13 [Hs], VersR 2015 102, 106; anders für unwirksame Rechtsfolgenanordnungen in „offenen“ Obliegenheitsklauseln BGH 14.3.2012 – XII ZR 44/10, VersR 2012 1573; BGH 24.10.2012 – XII ZR 40/11, VersR 2013 197. 233 Insofern wird an der Qualifikation als Risikoausschluss an sich nicht gerüttelt; deutlich z.B. Looschelders/ Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 29. 233

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

chen.234 Freilich muss auch bei diesem Ansatz entschieden werden, ob eine Klausel in AVB als Risikoausschluss § 28 erst gar nicht unterliegt oder aber eine Obliegenheit regelt, was zur beschriebenen Inhaltskontrolle führt. Insofern bleibt die oben beschriebene235 Kasuistik zu den verhüllten Obliegenheiten auch bei diesem Ansatz relevant.

III. Abgrenzung zu Fristen 36 Auch vertraglich vereinbarte Fristen stellen meist Verhaltensanforderungen an den VN. So bspw., wenn in der Unfallversicherung eine Invalidität binnen 15 Monaten nach dem Unfall beim VR geltend gemacht werden muss.236 Ähnlich liegt es, wenn eine Haftpflichtversicherung nur Schäden deckt, die binnen einer bestimmten Jahresfrist nach Ablauf des Vertrags gemeldet werden.237 Nach dem BGH bezweckt eine derartige Befristung „objektiv eine zeitliche Begrenzung der Leistungspflicht des Versicherers. Sie begründet nicht vorwiegend eine Verhaltensnorm für den VN, sondern zielt in erster Linie darauf, unabhängig vom Verhalten des VN die regelmäßig schwer aufklärbaren und kaum übersehbaren Spätschäden von der Deckungspflicht auszunehmen“.238 Solche Befristungen der Anmeldung oder Geltendmachung von Versicherungsansprüchen werden daher als Ausschlussfristen und nicht als Obliegenheiten angesehen. Sie unterliegen damit nicht der Regelung des § 28. Dennoch gewährt die Rechtsprechung dem VN einen Entschuldigungsbeweis. Bei unverschuldeter Säumnis kann also der VN die Anmeldung bzw. Geltendmachung des Versicherungsanspruchs nachholen. Damit gelangt die deutsche Rechtsprechung zu einem Art. 45 Abs. 3 des schweizerischen VVG entsprechenden Ergebnis. Art. 45 Abs. 3 chVVG lautet: „Wo der Vertrag oder dieses Gesetz den Bestand eines Rechtes aus der Versicherung an die Beobachtung einer Frist knüpft, ist der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte befugt, die ohne Verschulden versäumte Handlung sofort nach Beseitigung des Hindernisses nachzuholen“. Ausschlussfristen nehmen damit eine eigentümliche Zwitterstellung zwischen Obliegenheiten und Ausschlüssen ein.239 Andere Fristen knüpfen die Entstehung des Versicherungsanspruchs an ein fristgerechtes 37 Ereignis. Die Wahrung der Frist ist damit Anspruchsvoraussetzung.240 Solche Anspruchsvoraussetzungen sind ebenfalls keine Obliegenheiten und erlauben nach der Rechtsprechung auch keinen Entschuldigungsbeweis.241 Allenfalls kann eine Berufung des VR auf das Fehlen der Anspruchsvorausetzung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen.242 Eine solche Anspruchsvoraussetzung liegt bspw. vor, wenn die AUB den Versicherungsanspruch von einer ärztlichen Feststellung der Invalidität der versicherten Person binnen 15 Monaten ab dem Unfallzeitpunkt abhängig machen.243 „Das dient dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führt selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn den VN an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden trifft. Auch eine Leistungsablehnung des Versicherers ändert nichts daran, dass der Anspruch des VN nicht entsteht, wenn die Invalidität nicht fristgerecht ärztlich festgestellt worden ist“.244

234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244

So insb. Koch VersR 2014 283. Oben Rn. 26 – 28. So z.B. Z. 2.1.1.3 AUB 2014. Vgl. den Fall OLG Stuttgart 27.11.2008 – 7 U 89/08, VersR 2009 669, 670. BGH 20.7.2011 – IV ZR 209/10, VersR 2011 1264, 1265 m.w.N. So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 32; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 36. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 37. BGH 7.3.2007 – IV ZR 137/06, VersR 2007 1114, 1115; BGH 24.3.1982 – IVa ZR 226/80, VersR 1982 567. Näher und m.N. zur Rspr. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 37. Vgl. Z. 2.1.1.2 AUB 2014; vgl. BGH 7.3.2007 – IV ZR 137/06, VersR 2007 1114, 1115. BGH 7.3.2007 – IV ZR 137/06, VersR 2007 1114, 1115 m.w.N.

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

Anders verhält es sich, wenn z.B. von der unverzüglichen Anzeige des Versicherungs- 38 falls in der Arbeitsunfähigkeitsversicherung nicht das Entstehen des Anspruchs abhängt, sondern die AVB an ein Säumnis die Verletzungsfolgen des § 28 Abs. 2 knüpfen. Dann handelt es sich um eine Obliegenheit und nicht um eine Aussschlussfrist bzw. eine Anspruchsvoraussetzung.245 Die gegenseitige Abgrenzung solcher Fristerfordernisse ist mitunter schwierig und bis zu 39 einem bestimmten Grad willkürlich, weil dieselbe Regelung im Gewand einer Anspruchsvoraussetzung, einer Ausschlussfrist oder einer Obliegenheit daher kommen kann.246 Ähnlich wie bei den Risikoausschlüssen, die verhüllte Obliegenheiten darstellen, wird man daher prüfen müssen, inwieweit Befristungen gegen § 28 verstossen und daher unwirksam sind. Pohlmann hat darüber hinaus vorgeschlagen, derartige Befristungen generell als Obliegenheiten zu begreifen und daher der Regelung des § 28 zu unterstellen.247

IV. Rechtsnatur 1. Bedeutung der Frage Die Rechtsnatur der Obliegenheiten bildet seit langem den Gegenstand eines Theorienstreits. 40 Dieser betrifft das allgemeine Zivilrecht ebenso wie speziell das Versicherungsvertragsrecht, wo der Rechtsfigur besondere Bedeutung zukommt. Obwohl dieser Streit bisweilen Züge bloßer Begriffsjurisprudenz annimmt,248 kommt ihm aus praktischer Sicht Erheblichkeit zu, weil seine Entscheidung weit reichende Konsequenzen für die Rechtsstellung des VN hat. Es macht eben nicht nur begrifflich, sondern vor allem in den praktischen Folgen einen Unterschied, ob dem VR bei Verletzung von Obliegenheiten neben den im VVG bzw. im Versicherungsvertrag eingeräumten Leistungsfreiheits- und Vertragslösungsrechten auch Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche zustehen. Nicht minder wichtig ist die Begriffsbestimmung für die Frage, ob der VN für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB einzustehen hat, oder aber für die Problematik, inwieweit der Versicherungsvertrag Obliegenheiten zu Lasten Dritter wirksam begründen kann.

2. Übersicht über die Theorien Der Theorienstreit zur Rechtsnatur der Obliegenheiten umfasst wohl jede erdenkliche Variante. 41 Unter den heute noch vertretenen Ansichten249 sind folgende besonders hervorzuheben: Am einen Ende der Skala von Definitionen steht die häufig als herrschend bezeichnete250 Ansicht, Obliegenheiten seien gesetzlich oder vertraglich aufgestellte Voraussetzungen des Leistungsan-

245 Vgl. LG Saarbrücken 14.5.2014 – 14 T 3/14, VersR 2014 1197, 1199. 246 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 18; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 32 bis 35; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 36 f.

247 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 36 (für Ausschlussfristen) und Rn. 37 (für Anspruchsvoraussetzungen). 248 Vgl. Jabornegg VersRdsch 1975 100, 102. 249 Vgl. demgegenüber zum historischen Verständnis von Verhaltensanforderungen nach dem Versicherungsfall als Vorbedingung des Versicherungsschutzes („condition precedent“) Hellwege RabelsZ 76 (2012) 864, 873 ff. (englisches Recht) und 877 ff. (deutsches Recht). 250 Vgl. vor dem VVG 2008 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 18; auch nach dem VVG 2008 wird die Voraussetzungslehre teils noch als herrschend bezeichnet, z.B. Moosbauer 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 5. 235

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spruchs des VN (Voraussetzungstheorie).251 Wenn von den Vertretern dieser Theorie überhaupt von einer Verhaltensnorm gesprochen wird, dann nur im Sinne einer Verpflichtung des VN gegen sich selbst, der VN erfülle also die Obliegenheit im eigenen Interesse am Erhalt des Deckungsschutzes.252 Nach dieser Ansicht stehen dem VR weder Erfüllungs- noch Schadensersatzansprüche zu.253 Ein Einstehenmüssen des VN für das Verhalten Dritter nach § 278 BGB scheidet mangels einer gegenüber dem VR zu erfüllenden Verbindlichkeit von vornherein aus.254 Zugleich können „Voraussetzungen“ der Leistungspflicht auch zu Lasten Dritter vereinbart werden. 42 Einen Mittelweg sucht demgegenüber die sog. Rechtszwangtheorie, welche vom Bestehen einer Rechtspflicht ausgeht, diese aber nur mit minderer, jedenfalls anderer Zwangsintensität als „echte“ Rechtspflichten ausstattet.255 Insbesondere sollen dem VR keine Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche zustehen. § 278 sei nicht unmittelbar, aber analog anwendbar.256 Von echten Rechtspflichten geht demgegenüber die sog. Verbindlichkeitstheorie aus und 43 positioniert sich damit am anderen Rand des Meinungsspektrums.257 Ihr zufolge hat der VR einen Erfüllungsanspruch, der vorbehaltlich eines im Einzelfall fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses auch einklagbar sei. Obliegenheitsverletzungen lösen auch Schadensersatzansprüche aus. Konsequent anerkennen die Vertreter der Verbindlichkeitstheorie auch eine Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 278 BGB.258 Stößt diese Theorie auf die Problematik, dass Obliegenheiten häufig auch zu Lasten Dritter vereinbart werden, so nahm sie früher für diesen Bereich den eigenen Ansatz zurück und folgte daher insoweit der Voraussetzungstheorie. Heute beruft sie sich auf § 47 (§ 79 a.F.), der eine Ausnahme vom Verbot des Vertrags zu Lasten Dritter vorsehe.259 Eine weitere, eher im Kryptischen verharrende Einschränkung wird getroffen: Die Verbindlichkeitstheorie finde dann keine Anwendung, wenn es sich bei den Obliegenheiten „um Verhaltensnormen handelt, deren Regelung als abschließend anzusehen ist“.260

3. Diskussion der Theorien 44 a) Voraussetzungstheorie. Die Voraussetzungstheorie hat den Vorteil, dass sie die Abweichung der Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen von den Sanktionen für Pflichtverlet-

251 RG 28.6.1904 – VII 56/04, RGZ 58 342, 346; RG 19.6.1931 – VII 393/30, RGZ 133 117, 122; BGH 13.6.1957 – II ZR 35/57, BGHZ 24 378, 382; aus jüngerer Zeit wieder BGH 16.9.2009 – IV ZR 246/08, VersR 2009 1659, wonach ein Verhalten vorgeschrieben wird, „das es zu beachten gilt, wenn der Versicherungsschutz erhalten werden soll“; vgl. aus der zum VVG 2008 erschienenen Literatur z.B. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 4; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 9. 252 BGH 13.6.1957 – II ZR 35/57, BGHZ 24 378, 382; vgl. aus der jüngeren Rspr. OLG Brandenburg 27.7.2004 – 11 U 11/04, VersR 2005 820, 821; LG Berlin 16.1.2013 – 23 S 27/12, VersR 2013 746, 747; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 4; Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30; aus historischer Perspektive Hähnchen 137 ff. 253 Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 19; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 4; nach Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 60 soll dies nur vertragliche Schadensersatzansprüche umfassen, deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie § 826 BGB sollen indessen vorbehalten bleiben; in diesem Sinne auch LG Berlin 16.1.2013 – 23 S 27/12, VersR 2013 746, 747. 254 Näher hierzu unten Rn. 88 ff. 255 Hierzu R. Schmidt passim; auch Bruck/Möller/Möller § 6 Anm. 10; aus historischer Perspektive Hähnchen 9 ff. und zu den Vorläufern der Rechtszwangtheorie 185 ff. 256 R. Schmidt 290. 257 So Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30; zur Bedeutung der Verbindlichkeitstheorie in der Seeversicherung Trölsch 29 f. und 36 ff; aus historischer Perspektive Hähnchen 169 ff. 258 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 48. 259 Prölss/Martin/Prölss27 § 79 Rn. 6. 260 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30. Heiss

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

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zungen im Allgemeinen leicht motivieren kann. Wenn es sich bei der Obliegenheit nicht um eine Rechtspflicht handelt, die dem VR geschuldet ist, so können die allgemeinen Verletzungsfolgen keine Anwendung finden. Es verbleibt damit bei den vertraglich vereinbarten, durch das Gesetz (§ 28) beschränkten Rechtsfolgen. Aus der inneren Logik der Voraussetzungstheorie folgt zugleich, dass die Haftung für Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB nicht anzuwenden ist und eine vereinbarte Belastung von Dritten mit Obliegenheiten keinen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter darstellt, weil keine Pflichten des Dritten begründet werden. Dennoch vermag die Voraussetzungstheorie nicht zu überzeugen.261 Das gilt namentlich für 45 den Rückschluss, mangels Verpflichtung gegenüber dem VR erfülle der VN nur eine Verpflichtung gegen sich selbst, die Erfüllung bediene also allein seine Interessen.262 Diese Behauptung negiert den Zweck von Obliegenheiten vollständig: Mit seinen Anzeigen nach § 19 bedient der VN nämlich ausschließlich Informationsinteressen des VR. Für die Verfolgung seiner eigenen Interessen, also der Kommunikation von risiko- und damit prämienmindernden Umständen, bedarf es keiner sanktionierten Anzeigeobliegenheit.263 Die gesetzliche Anzeigepflicht ist vielmehr erforderlich, weil sie den VN dazu verpflichtet, die für ihn ungünstigen Umstände anzuzeigen, also das Informationsinteresse des VR als potentiellen Vertragspartner dem eigenen, gegenläufigen Diskretionsinteresse voranzustellen. Gleiches gilt für die Gefahrstandspflicht nach § 23. Der VN, der Versicherungsschutz genießt, hat – jedenfalls mit Blick auf den Versicherungsvertrag264 – an der Stabilität der Risikosituation bzw. an der Anzeige von Gefahrerhöhungen kein eigenes Interesse.265 Wenn er dennoch Gefahrerhöhungen vermeidet bzw. anzeigt, bedient er ausschließlich das Interesse des VR, die vertraglich übernommene Gefahrtragung zu stabilisieren und damit Fehlkalkulationen zu vermeiden. Und dasselbe gilt für vertragliche Obliegenheiten nach § 28. Sie dienen zuallererst kalkulatorisch begründeten Informationsinteressen bzw. Risikostabilisierungsinteressen des deckungspflichtigen VR. Das Interesse des VN rückt erst durch die Rechtsfolgen der Nichterfüllung, insbesondere also durch die Leistungsfreiheit des VR, ins Blickfeld, worin jedoch keine Besonderheit von Obliegenheiten zu sehen ist.266 Ein VN etwa, der die Prämie nicht bezahlt, schneidet sich angesichts der Leistungsfreiheitsfolgen der §§ 37, 38 und des drohenden Erfüllungszwangs ebenso ins eigene Fleisch wie bei der Verletzung von Obliegenheiten. Dennoch behauptet niemand, der VN leiste die Prämie nur im eigenen Interesse und erfülle daher nur eine Verpflichtung gegen sich selbst.

261 Kritik m.w.N. auch bei Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30; vgl. nunmehr Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 69 und 71; Hähnchen 203 ff; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 6; Looschelders FS E. Lorenz (2014) 281, 288.

262 Vgl. auch Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 6; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 8; Looschelders FS E. Lorenz (2014) 281, 288. 263 Insofern unzutreffend R. Schmidt 142 f., der meint, die Erfüllung der Anzeigepflicht diene der genauen Bezeichnung der versicherten Gefahr „im Interesse des Antragstellers“. Dadurch könne nämlich das Versicherungsprodukt an den individuellen Bedarf des VN angepasst werden. R. Schmidt hebt allerdings selbst sogleich hervor, dass dies nur bei kaufmännischen Risiken eine reale Perspektive darstellt. Insgesamt bleibt er eine Erklärung schuldig, wieso ein VN, der keine Anzeigen macht, sich also im Sinne von R. Schmidt nicht um einen bedarfsgerechten Versicherungsschutz kümmert, mit der Sanktion des Rücktritts des VR vom Versicherungsvertrag bedroht wird. Schon die Sanktion macht nämlich deutlich, dass die Anzeigepflicht Interessen des VR schützt. Ähnliche Kritik gegenüber R. Schmidt auch bei Bischoff VersR 1972 799, 801 f. 264 Richtig hebt R. Schmidt 203 hervor, dass ein „verständiger VN“ im Versicherungsfall zunächst vom Schaden betroffen ist, den er dann nur im Rahmen der Deckungspflicht des VR auf diesen abwälzen kann. Aber auch hier bleibt offen, wieso ein etwaiges Handeln gegen dieses Eigeninteresse mit einer Leistungsfreiheit des VR sanktioniert werden muss. Erklärbar ist diese Sanktion eben nur dann, wenn man auf das Interesse des VR an der Befolgung der Gefahrstandspflicht achtet. 265 Auch R. Schmidt 203 f. hebt für die Anzeige der Gefahrerhöhung letztlich nur das Interesse des VN hervor, vor Leistungsfreiheitssanktionen verschont zu bleiben; ein Interesse, Sanktionen zu vermeiden, verfolgt aber jeder Schuldner einer Leistung, ohne dass man deshalb schlussfolgert, der Schuldner leiste im eigenen Interesse. 266 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 69. 237

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Die Voraussetzungstheorie überzeugt auch aus systematischen Gründen nicht. Zuallererst widerspricht der Ansatz der Wortwahl des Gesetzgebers bei der Regelung der diversen Obliegenheiten. Zwar ist einzuräumen, dass die Terminologie des Gesetzgebers nicht einheitlich ist.267 Er spricht z.B. in der Überschrift zum Abschnitt 2 von Teil 1, Kapitel 1 von der „Anzeigepflicht“, der „Gefahrerhöhung“ und „anderen Obliegenheiten“. Der Begriff der „Gefahrerhöhung“ enthält keinen Bezug zu irgendeiner Art von Verpflichtung. Diesen Bezug stellt indessen § 23 unmittelbar her, wenn er dem VN Gefahrerhöhungen verbietet und für erfolgte Gefahrerhöhungen eine Anzeigepflicht auferlegt. Schon insoweit spricht alles gegen die Theorie, Obliegenheiten seien bloße Voraussetzungen. Verstärkt wird dieses Argument durch einen Blick auf die Rechtsfolgenseite. Wäre die Erfüllung einer Obliegenheit bloß sich selbst geschuldet und eine (objektive) Voraussetzung des Deckungsanspruchs, so wäre schwer erklärbar, wieso das Gesetz die Leistungsfreiheit des VR auf Fälle eingrenzt, in denen der VN grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat.268 Ganz und gar unerklärbar bliebe die Sanktion des außerordentlichen Kündigungsrechts des VR.269 Zum einen entspricht diese Sanktion nicht dem Wesen einer Voraussetzung für den Versicherungsschutz. Zum anderen wird das Kündigungsrecht dem VR eingeräumt, weil eine Obliegenheitsverletzung des VN auf seiner Seite zu einem Vertrauensverlust führen kann.270 Wenn aber der VR kein eigenes Leistungsinteresse hätte und der VN durch die Erfüllung der Obliegenheitsverletzung nur eigene Interessen bediente, läge kein schützenswertes Interesse des VR an der Erfüllung vor und könnte es daher begriffsnotwendig auch zu keiner Vertrauensenttäuschung kommen, die ein außerordentliches Kündigungsrecht rechtfertigte. Wieso sollte es ein schützenswertes Vertrauen des leistungsfreien VR enttäuschen, wenn sich der VN nicht um seine eigenen Belange kümmert? Zuletzt sind auch die Begründungen für eine Nichtanwendung der Erfüllungsgehilfenhaf47 tung nach § 278 BGB und die Zulässigkeit einer Vereinbarung von Obliegenheiten zu Lasten Dritter bestenfalls formal richtig. Mit Blick auf § 278 BGB zeigt die in der Rspr. entwickelte Repräsentantenhaftung sowie die Haftung für Wissens(erklärungs)vertreter, dass das Rechtsproblem als solches nicht mit der Annahme aus der Welt zu schaffen ist, es handle sich nicht um Verbindlichkeiten, sondern nur um Voraussetzungen. Ähnliches gilt für Obliegenheiten zu Lasten Dritter, also der Versicherten. So lässt sich nicht leugnen, dass auch bei Anwendung der Voraussetzungstheorie die Leistungsfreiheit des VR in die bestehende Rechtsposition der Versicherten eingreift. Mit materiellem Versicherungsbeginn erwirbt dieser nämlich einen persönlichen Deckungsanspruch, den er wieder verliert, wenn er zu seinen Lasten vereinbarte Obliegenheiten nicht erfüllt, indem der VR den Versicherungsvertrag kündigt bzw. die Leistungspflicht verweigert. Selbst bei rein formaler Betrachtung belastet somit die Vereinbarung einer Voraussetzung den Versicherten in seinen Rechten und lässt damit die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung offen. Die Frage selbst kann daher nicht durch die Beschreibung der Obliegenheit als reiner Voraussetzung entschieden, sondern nur unter Beachtung der Teleologie des Verbots von Verträgen zu Lasten Dritter befriedigend beantwortet werden.

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48 b) Verbindlichkeitstheorie. Gegenüber der Voraussetzungstheorie hat die Lehre von der Verbindlichkeit der Obliegenheiten den Vorzug, dass sie das Erfüllungsinteresse des VR richtig in das Blickfeld rückt. Sie wird damit auch der Wortwahl des Gesetzgebers besser gerecht. Zugleich sind Rücktritts- und Kündigungsrechte und eine Ausrichtung der Leistungsfreiheitsfolgen an Kriterien der Kausalität und des Verschuldens folgerichtige Instrumentarien. 267 Vgl. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 8. 268 S. § 28 Abs. 2 VVG; Voraussetzungen sind eben kein tauglicher Bezugspunkt für Verschuldenserfordernisse, so Looschelders FS E. Lorenz (2014) 281, 284.

269 S. § 28 Abs. 1 VVG. 270 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 167 unter Verweis auf BGH 4.10.1989 – IV a ZR 220/87, VersR 1989 1250, 1252. Heiss

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

Kritisch ist ihr zunächst zu entgegnen, dass aus dem Erfüllungsinteresse nicht notwendig auch ein Erfüllungsanspruch des VR in natura folgt. Auch im allgemeinen Zivilrecht sind Nebenpflichten (insbesondere Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten) bekannt, an deren Erfüllung der Gläubiger interessiert ist, die jedoch nicht mit einem Erfüllungszwang, sondern nur mit Schadensersatz bewehrt sind.271 Aus einem Erfüllungsinteresse ist daher nicht zwingend auf die Existenz eines Erfüllungszwangs zu schließen. In diese Richtung geht denn auch der einschränkende Hinweis der Vertreter der Verbindlichkeitstheorie, es ermangle einer erzwungenen Erfüllung einer Obliegenheit häufig am Leistungswert, womit das Rechtsschutzbedürfnis des VR fehle und die Obliegenheit im Ergebnis doch nicht einklagbar sei.272 Weiter einschränkend hat man hinzuzufügen, dass das VVG bei seiner Regelung der Obliegenheiten eben keinen Erfüllungszwang kennt. Nach alledem besteht gerade auch auf dem Boden der Verbindlichkeitstheorie kein Anlass, Obliegenheiten des VN mit Erfüllungszwang auszustatten. Demgegenüber hat die Anerkennung einer Schadensersatzpflicht des VN prima facie mehr für sich. Wenn die Obliegenheiten zumindest mit Nebenpflichten vergleichbar sind, dann folgt aus § 241 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB die Haftung des VN. Dieser Rückschluss wäre folgerichtig, würde der Gesetzgeber die Rechtsfolgen der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nicht abschließend regeln, sodass sich – nicht notwendig wegen der Rechtsnatur der Obliegenheiten, sondern wegen der Spezialregelung der §§ 19 ff., §§ 23 ff., § 28 etc. – ein Rückgriff auf Schadensersatzansprüche nach allgemeinem Schuldrecht verbietet. Das meinen wohl auch die Vertreter der Verbindlichkeitslehre, wenn sie die Schadensersatzpflicht des VN nur eingreifen lassen, „sofern es sich nicht um Verhaltensnormen handelt, deren Regelung als abschließend anzusehen ist“.273 Konsequent wendet die Verbindlichkeitstheorie auch die Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 278 BGB auf Obliegenheiten an.274 Gegen einen solchen Ansatz sprechen in der Tat, wie noch zu zeigen sein wird, keine durchschlagenden Bedenken und zwar auch dann nicht, wenn man die Obliegenheiten als Nebenpflichten ohne Erfüllungszwang ansieht. Damit vermeidet die Verbindlichkeitstheorie zugleich zweifelhafte, von Rechtsunsicherheit geprägte Rechtsfortbildungen, wie sie im Institut der Repräsentantenhaftung zum Ausdruck kommen. Die Verbindlichkeitstheorie kann, solange sie am Erfüllungszwang und an der Schadensersatzsanktion festhält, die Drittwirkung vereinbarter Obliegenheiten, insbesondere also die Erfüllungspflicht des Versicherten, nur schwer erklären. Sie beruft sich neuerdings auf § 47, wonach Kenntnis und Verhalten des Versicherten erheblich sind.275 Hierin liege eine Ausnahme zum Grundsatz, wonach Verträge nicht zu Lasten Dritter geschlossen werden können.276 Diese Ansicht unterstellt § 47 einen weit reichenden Eingriff in die Privatautonomie des Versicherten und ist daher bedenklich. Vor allem legt sie die Vorschrift unnötig weit aus, was den Intentionen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Würde es § 47 tatsächlich durch sein Abstellen auf „die Kenntnis und das Verhalten des Versicherten“ ermöglichen, dem Versicherten mit Erfüllungszwang und Schadensersatzdrohung bewehrte Leistungspflichten aufzuerlegen, so könnte mit Recht gefragt werden, ob zu diesem Verhalten womöglich gar die Nichtzahlung der Prämie gehört, die ja ebenfalls ein Verhalten darstellt und nach den Bestimmungen des VVG zur Leistungsfreiheit des VR führen kann. Geht man demgegenüber, durchaus auf dem Boden der Verbindlichkeitstheorie, von einer Nebenpflicht aus, die nicht durch Erfüllungszwang und Schadensersatz bewehrt ist, sondern zur Leistungsfreiheit bzw. einem Vertragslösungsrecht des VR führt, so ist die Vereinbarung von Obliegenheiten zu Lasten des Versicherten von vornherein unbedenklich. Im schlimmsten Falle verliert der Versicherte das zu seinen Gunsten begründete Recht. Solange 271 272 273 274 275 276 239

Darauf weisen Vertreter der Verbindlichkeitstheorie selbst hin; vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30. Vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30. Ausführlich Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 47 ff.; anders nunmehr Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 93. Prölss/Martin/Prölss27 § 75 Rn. 6; nunmehr Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 85. Prölss/Martin/Prölss27 § 75 Rn. 6. Heiss

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

diese Grenze gewahrt ist, spricht nichts gegen eine Belastung des Versicherten mit Obliegenheiten, weil der Begünstigte eines Vertrags im Allgemeinen auch Beschränkungen, Bedingungen und Qualifikationen seines Anspruchs tragen muss.

53 c) Rechtszwangtheorie. Nach alledem liegt es nahe, einen Mittelweg zu suchen, der bei der Verbindlichkeit von Obliegenheiten ansetzt, ohne ihr einen Erfüllungs- oder Schadensersatzanspruch folgen zu lassen. Darin besteht der Vorzug der Rechtszwangtheorie nach R. Schmidt.277 Terminologisch konsequent spricht er mangels Erfüllungszwangs und Schadensersatzdrohung nicht von Verbindlichkeiten.278 Terminologisch nicht ganz konsequent spricht R. Schmidt demgegenüber von Pflichten minderer Zwangsintensität.279 Mit Recht wurde ihm entgegengehalten, dass die Leistungsfreiheitsfolgen in ihrer Zwangsintensität kaum hinter jener von Schadensersatzfolgen zurückbleiben.280 Sie können den VN insbesondere auch härter treffen.

54 d) Eigener Ansatz. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die in § 28 fast durchgehend erfolgte Beschränkung der Leistungsfreiheit auf das Ausmaß des dem VR durch die Obliegenheitsverletzung kausal verursachten Nachteils die Verwirkungsfolgen einem Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution sehr nahe bringt.281 Immer dann, wenn der VR insoweit von seiner Leistung frei wird, wie die Obliegenheitsverletzung für den Eintritt des Versicherungsfalls bzw. für das Ausmaß der Leistungspflicht des VR kausal war (wie z.B. im Falle einer einfach vorsätzlichen Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit nach § 28 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1), versetzt die Leistungsfreiheit den VR nämlich in jene Position, in der er wäre, wenn die Obliegenheit erfüllt worden wäre. Freilich können damit Schadensersatz und kausalitätsabhängige Leistungsfreiheit noch nicht gleichgestellt werden.282 Dies gilt schon deshalb, weil § 28 – insofern vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht abweichend – nicht nur Verschulden, sondern sogar grobe Fahrlässigkeit des VN und darüber hinaus auch Kausalität der Obliegenheitsverletzung vermutet. Abweichungen ergeben sich auch aus der Quotelung der Leistungsfreiheit des VR nach der Schwere des Verschuldens des VN gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 und aus der vollen Leistungspflicht des VR bei leichter Fahrlässigkeit. Dennoch hat die VVG-Reform die Folgen von versicherungsrechtlichen Obliegenheitsverletzungen dem Schadensersatz für die Verletzung von Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB angenähert. Dies entspricht der erklärten Absicht des Gesetzgebers, die Folgen von Obliegenheitsverletzungen „an die allgemeinen Grundsätze für Vertragsverletzungen“ anzugleichen.283 Damit bringt der Gesetzgeber zugleich seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die Sanktionen für Obliegenheitsverletzungen spezielle Vertragsverletzungsfolgen, Obliegenheitsverletzungen damit Vertragsverletzungen und Obliegenheiten folgerichtig vertragliche Pflichten und nicht nur „Voraussetzungen“ sind. Nur Rechtspflichten können zu einer „Vertragsverletzung“ führen. Mangels Erfüllungszwangs kann es sich dabei weder um Leistungs- noch um Nebenleistungspflichten, sondern nur um vertragliche Nebenpflichten mit besonderen Verletzungsfolgen handeln. 55 Man wird daher – jedenfalls im Bereich der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten – von Nebenpflichten ausgehen müssen, die nicht durch schadensersatzrechtliche, sondern spezifische, wenn auch im Vergleich zum Schadensersatz nicht notwendig mindere Sanktionen bewehrt sind. Damit ist die Obliegenheit als Nebenpflicht umschrieben und gleichzeitig klarge277 278 279 280 281 282 283

R. Schmidt passim; hierzu Bruck/Möller/Möller § 6 Anm. 10; vgl. aus jüngerer Zeit wieder Hiort 25. R. Schmidt 317. R. Schmidt 317; kritisch hierzu auch Hähnchen 221 ff. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30 a.E. Vgl. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 14. Ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 211. So ausdrücklich die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68.

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

stellt, dass die im VVG vorgesehenen Sanktionen abschließenden Charakter besitzen.284 Denn der Gesetzgeber wollte mit den Sanktionen des § 28 VVG die Rechtsfolgen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten den allgemeinen Grundsätzen für Vertragsverletzungen „angleichen“.285 Demnach wollte er die Rechtsfolgen aber nicht identisch ausgestalten. Dann aber muss ein Rückgriff auf die Grundsätze des allgemeinen Leistungsstörungsrechts ausgeschlossen sein.286 Das gilt selbstredend auch aus teleologischen Gründen, weil ein VR, der Schadenersatz nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht geltend machen könnte, ansonsten Voraussetzungen und Eingrenzungen seiner Leistungsfreiheit nach § 28 häufig umgehen könnte.287 Ein solches Verständnis erfüllt auch die praktischen Anforderungen an den Begriff. Es führt 56 zunächst zu einer von der h.L. zwar abgelehnten, m.E. aber konsequenten und auch unbedenklichen288 Anwendbarkeit der Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 278 BGB.289 Die Qualifikation der Obliegenheiten als Nebenpflichten mit auf Leistungsfreiheit und Vertragslösung eingeschränkter Sanktionierung eröffnet auch die Möglichkeit, Obliegenheiten zu Lasten von Versicherten zu vereinbaren. Eine Verletzung solcher Nebenpflichten kann für den Versicherten nämlich keinen größeren Nachteil bringen als den Verlust des Anspruchs dem Grunde nach infolge Vertragslösung bzw. die Kürzung der Leistung des VR im Versicherungsfall. Damit steht der Versicherte jedenfalls nicht schlechter als ohne den zu seinen Gunsten geschlossenen Vertrag.290

e) Neuere Literatur. Die seit Inkrafttreten des VVG 2008 erschienene Literatur folgt immer 57 stärker – wenn auch mit Modifikationen im Detail – dem hier vertretenen Ansatz. Dies gilt jedenfalls für jene Literaturstimmen, die nicht einfach auf die früher herrschende Lehre verweisen, sondern die Frage nach der Rechtsnatur der Obliegenheiten neu stellen.291 Insofern kann die Voraussetzungslehre m.E. nicht mehr als herrschend bezeichnet werden. Einzelne Literaturstimmen folgen zwar der Ansicht, Obliegenheiten stellten Nebenpflichten 58 dar, wollen aber neben dem vom VVG und insbesondere von § 28 VVG bereitgestellten Sanktionsapparat auch eine Haftung des Versicherungsnehmers bzw. Versicherten nach § 280 Abs. 1 (§ 282 und § 241 Abs. 1) BGB zulassen.292 M.E. öffnet diese Lehre für den VR die Möglichkeit, die engen Voraussetzungen und Eingrenzungen seiner Leistungsfreiheit z.B. nach § 28 VVG zu umgehen. Beispielsweise könnte ein VR geltend machen, bei Erfüllung der Nebenpflicht wäre der Versicherungsfall nicht eingetreten und er daher nicht leistungspflichtig. Der VR wäre im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, wie wenn er leistungsfrei wäre. Im Ergebnis entfiele

284 285 286 287 288 289 290 291

Vgl. LG Berlin 16.1.2013 – 23 S 27/12, VersR 2013 746, 747. Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 68. So z.B. auch Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 14; a.A. Hähnchen 267 ff. Vgl. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 14. Im Detail hierzu unten Rn. 89 ff. Vgl. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 15 und 64. So schon Schirmer FS R. Schmidt 821, 840 ff.; ebenso Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 15. Siehe Hähnchen 233 ff.; Bruns 179 (der funktional argumentiert, die versicherungsrechtlichen Regelungen aber doch als Substituten der bürgerlich-rechtlichen Nebenpflichten und Nebenleistungpflichten betrachtet); Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 15 (die von Nebenpflichten nur – aber immerhin immer – dann spricht, wenn die Obliegenheit mit der schadenersatzrechtsähnlichen Sanktion der Leistungsfreiheit bewehrt ist); Schwintowski/ Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 28, der von einer Doppelnatur spricht; offenlassend wohl Langheid/Wandt/ Wandt2 § 28 Rn. 15 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 9; a.A. noch Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 5; wohl auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 71 ff. und explizit Rn. 93. 292 Namentlich Hähnchen 267 ff.; tendenziell auch Bruck/Möller/Brömmelmeyer9 § 30 Rn. 13. 241

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

die Leistungspflicht anders als nach § 28 Abs. 2 auch bei leichter Fahrlässigkeit, bei grober Fahrlässigkeit entfiele die Leistungspflicht entgegen § 28 Abs. 2 Satz 2 vollständig. Eine Hinweispflicht des VR im Sinne des § 28 Abs. 4 kennt die Schadensersatzpflicht nach § 280 Abs. 1 BGB ebenfalls nicht. Das kann m.E. nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen. Schon deshalb ist m.E. die Ansicht, neben den Rechtsfolgen des § 28 könne auch Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB verlangt werden, abzulehnen.293 Bruns folgt demgegenüber der hier vertretenen Ansicht, § 28 würde einen Rückgriff auf 59 Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB grundsätzlich verbieten.294 Aufgrund einer wertenden Betrachtung will er jedoch – ähnlich wie schon Marlow295 – bei vorsätzlicher Pflichtverletzung einen Rückgriff des VR auf eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB sowie § 826 BGB erlauben.296 Er folgt damit jenem Ansatz, der hier für den Fall vertreten wird, dass der VN eine weder durch Vertrag noch durch Gesetz sanktionierte Obliegenheit verletzt.297 Die Ausweitung des Ansatzes auf Fälle, die in den Anwendungsbereich des § 28 bzw. anderer Obliegenheitstatbestände fallen, begegnet allerdings einem Bedenken: Das VVG erweitert den allgemeinen Sanktionsapparat für Fälle der Arglist. So bspw. § 22 VVG, der dem VR bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den VN die Möglichkeit vorbehält, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB anzufechten. In diesem Fall belässt § 39 Abs. 1 Satz 2 VVG dem VR zugleich den Anspruch auf Prämie bis zum Wirksamwerden der Anfechtungserklärung, wohingegen der VR nach den Regeln des BGB empfangene Prämien bereicherungsrechtlich zu erstatten hätte. Hierin liegt ein pönales Element. Bei arglistiger Verletzung vertraglicher Obliegenheiten wird der VR nach § 28 Abs. 3 Satz 2 von seiner Leistungspflicht auch dann frei, wenn sich die Verletzung nicht auf den Versicherungsfall oder die Höhe der vom VR zu erbringenden Leistung ausgewirkt hat.298 Dasselbe gilt für die arglistige Verletzung der Schadenabwendungs- und -minderungspflicht nach § 82 Abs. 4 Satz 2. Auch hierin liegt ein pönales Element.299 Nach § 181 Abs. 2 Satz 2 kann sich der VR in der Unfallversicherung wegen Gefahrerhöhung auf „weitergehende Rechte“ nur im Falle der Arglist berufen. Als weitergehende Rechte benennt die Begründung zum Regierungsentwurf nur die allgemeinen Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung, insbesondere das Kündigungsrecht nach § 24.300 Zweierlei fällt auf: die pönalen Elemente der genannten Regelungen bleiben auf Arglistfälle beschränkt, sodass der einfache Vorsatz keine Sonderbehandlung erfährt. Es erscheint daher problematisch, in diesen Fällen einen Rückgriff auf § 823 Abs. 2 BGB oder § 826 BGB zu erlauben. Im Falle der Arglist stellen das Behaltendürfen der Prämien trotz Rücktritts bzw. Anfechtung sowie die kausalitätsunabhängige Leistungsfreiheit pönale Elemente dar, die dem Präventionsinteresse des VR und Aspekten der Billigkeit dienen sollen.301 Ob neben den anfallenden pönalen Beträgen auch noch Schadensersatz gefordert werden kann, erscheint mir daher ebenfalls fraglich. M.E. spricht doch manches dafür, dass der Sanktionsapparat des VVG ein in sich geschlossenes System bildet.

293 Ebenso z.B. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 29; Looschelders FS E. Lorenz (2014) 281, 294.

294 Bruns 179 (Sperrwirkung gegenüber einer Qualifikation von Obliegenheiten als Schutzpflichten und Nebenleistungspflichten). Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 60. Bruns 180. Hierzu oben Rn. 12. Hierzu unten Rn. 159 ff. Hierzu (für § 28 Abs. 3 Satz 2) unten Rn. 166. Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 108. Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (Generalprävention als Zweck des § 28 Abs. 3 S. 2) und S. 72 (Billigkeit als Rechtfertigung der Regelung des § 39 Abs. 1 Satz 2).

295 296 297 298 299 300 301

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B. Begriff, Abgrenzungen und Rechtsnatur der Obliegenheiten

VVG § 28

4. Abweichende vertragliche Vereinbarungen In der Literatur wird vertreten, dass die Parteien im Wege vertraglicher Vereinbarung aus einer 60 Obliegenheit eine echte Rechtspflicht machen können.302 Dann müssten dem VR konsequent ein Erfüllungsanspruch und Schadensersatzansprüche zukommen, bei entsprechender Vereinbarung auch eine Vertragsstrafe. Sieht der Vertrag eine echte Rechtspflicht und für den Fall ihrer Verletzung die Verwirkung des Versicherungsschutzes vor, so ist umstritten, ob diese Verwirkungsfolge den Beschränkungen des § 28 unterliegt, weil der Schutz des VN nicht von der Rechtsnatur der Pflicht abhängen kann,303 oder aber als Vertragsstrafe nach § 343 BGB vom Richter herabgesetzt werden kann.304 Ob die Vereinbarung einer Obliegenheit oder einer echten Rechtspflicht vorliegt, soll eine Fra- 61 ge der Vertragsauslegung sein. Zu Recht hat allerdings Prölss hervorgehoben, dass es an Kriterien für die Auslegung weithin fehlt.305 Beispielsweise hat das OLG Hamm die Pflicht des VN, im Rahmen einer laufenden Transportversicherung monatlich die Beförderungen zu melden, als Vereinbarung einer echten Rechtspflicht interpretiert, weil die Meldungen insbesondere der Bestimmung der Prämienansprüche des VR dienten und eine Prämienklage nach Meinung des OLG Hamm notwendig von der Deklaration abhing.306 Dagegen sprach freilich aus Sicht der Auslegungsmethodik, dass die vereinbarte Sanktion der Leistungsfreiheit ganz dem Muster der Obliegenheitsverletzungen nach § 28 entsprach. Die Ansicht des OLG Hamm bleibt also letztlich zumindest zweifelhaft. Dennoch berufen sich die dargelegten Literaturstimmen nicht zuletzt auf solche Beispiele aus der Rspr. In der Tat hat das OLG Hamm in seiner Entscheidung hervorgehoben, den Parteien stehe es frei, eine Obliegenheit oder eine echte Rechtspflicht zu vereinbaren.307 Dem kommt der BGH nahe, wenn er in einem ähnlichen Fall offen lässt, ob eine Obliegenheit oder eine Rechtspflicht anzunehmen sei, dabei aber seine Präferenz für eine Nebenpflicht zum Ausdruck bringt.308 Indessen ist es wichtig hervorzuheben, dass alle einschlägigen Entscheidungen die laufende Transportversicherung betrafen, bei der nach § 187 a.F. Vertragsfreiheit herrschte, § 6 a.F. also nur dispositives Recht darstellte.309 In einer weiteren Entscheidung, welche nicht die Transportversicherung betraf, sondern eine Haftpflichtversicherung, hält es der BGH für zulässig, dass die Parteien „nach Erhebung des Anspruchs auf Deckungsschutz“ vereinbaren, dass der VN die Abwehr der gegen ihn erhobenen Ansprüche selbst übernimmt.310 M.E. zweifelhaft nimmt der BGH an, der VN hafte nach einer solchen Vereinbarung für Sogfaltsverstösse nach allgemeinem Schadensersatzrecht.311 Die Entbindung des VR von seiner Abwehrverpflichtung begründet m.E. noch keine schadenersatzbewehrte Sorgfaltsverpflichtung des VN gegenüber dem VR. Diese nähere Betrachtung der Rspr. zeigt m.E., dass eine Obliegenheit nicht durch Verein- 62 barung zu einer echten Rechtspflicht gemacht werden kann.312 Im Regelfall verstößt nämlich die vertragliche Ausstattung einer Obliegenheit mit Erfüllungszwang und Schadensersatzdro-

302 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 74; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 6; insofern gleich Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 30; vgl. OLG Hamm 9.12.1992 – 20 U 146/92, VersR 1993 1519. 303 So Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 74. 304 So Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 30; vgl. auch OLG Hamm 9.12.1992 – 20 U 146/92, VersR 1993 1519. 305 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 31. 306 OLG Hamm 9.12.1992 – 20 U 146/92, VersR 1993 1519. 307 OLG Hamm 9.12.1992 – 20 U 146/92, VersR 1993 1519. 308 BGH 17.1.2001 – IV ZR 282/99, VersR 2001 368. 309 Ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 79. 310 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, NJW 2007 2258, 2260. 311 BGH 7.2.2007 – IV ZR 149/03, NJW 2007 2258, 2260. 312 Ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 79 (enge Ausnahme in Rn. 82); ebenso Looschelders FS E. Lorenz (2014) 281, 289. 243

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

hung gegen die halbzwingende Vorschrift des § 28.313 Dasselbe gilt für die Vereinbarung einer Verwirkung des Versicherungsschutzes ohne die Beschränkungen des § 28. Indem der Sanktionsapparat über die gesetzlich abschließende Regelung hinaus erweitert wird, weicht eine solche Klausel zu Lasten des VN vom Gesetz ab und ist daher unwirksam. Das gilt nicht für die Versicherung von Großrisiken und für die laufende Versicherung, wo gemäß § 210 Vertragsfreiheit herrscht.314 Selbst in diesen Sparten unterliegt jedoch eine unbedingte Leistungsverwirkungsabrede gemäß § 307 Abs. 2 Z. 1 BGB der Inhaltskontrolle am Leitbild des § 28 und ist unwirksam.315

C. Erfüllung der Obliegenheiten I. Umfang der Verpflichtung 63 Aus dem vertraglichen Charakter der Obliegenheiten nach § 28 folgt zugleich, dass sich ihr Umfang (Inhalt316, Zeit317 und Ort der Erfüllung) nach der Parteienvereinbarung richtet.318 Die genaue Ausmessung der Verpflichtung ist somit eine Frage der Vertragsauslegung.319 Daher kann m.E. entgegen der wohl h.L. auch nicht pauschal behauptet werden, bei gedehnten Versicherungsfällen sei in zeitlicher Hinsicht (stets) der Beginn des Zeitraums entscheidend.320 Klauseln über Obliegenheiten sind im Zweifel eng auszulegen,321 insbesondere gehen Un64 klarheiten zu Lasten des VR.322 Klauseln, die dem VN Obliegenheiten auferlegen, müssen den Transparenzanforderungen des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB gerecht werden, dem VN also hinreichend deutlich seine Verpflichtung aufzeigen.323 Zu unbestimmt gehaltene Verhaltensgebote

313 Vgl. § 32 Satz 1. 314 Ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 80. 315 Vgl. BGH 15.6.1951 – I ZR 5/51, BGHZ 2 336, 345; OLG Stuttgart 1.7.1992 – 3 U 269/91, VersR 1994 721; im Kontext auch OLG Hamm 9.12.1992 – 20 U 146/92, VersR 1993 1519; vgl. Liebelt-Westphal 192 ff.; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 80; die Rspr. zieht die Wertung des § 28 auch bei anderen Vertragstypen heran, so z.B. bei der Kfz-Miete, wenn der Haftungsausschluss zugunsten des Mieters bei nicht unverzüglicher Unterrichtung der Polizei von einem Unfall entfallen soll, siehe LG Ulm 15.1.2004 – 6 O 150/03, IVH 2004 95. 316 Soweit der VR dem VN Weisungen erteilen kann, darf der Rahmen des Zumutbaren nicht überschritten werden; vgl. LG Wuppertal 7.3.2012 – 8 S 76/11, RuS 2012 535. 317 Speziell für Aufklärungsobliegenheiten, wo eine feste Bestimmung des Erfüllungszeitpunkts nicht ermittelbar ist, Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 26; Jungermann RuS 2018 242. 318 Hierzu Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 75, der ganz ähnlich auf den „Inhalt“ der Obliegenheit abstellt; zur Frage der „Erledigung“ von Obliegenheiten sogleich Rn. 66 ff. 319 Wobei auch Erläuterungen des Versicherers bzw. dessen Vertreters Beachtung finden; vgl. OLG Saarbrücken 19.9.2012 – 5 U 68/12-9, VersR 2013 180; zur Auslegung am Beispiel der Aufklärungspflicht bei Unfall nach der Kraftfahrtversicherung Schulz-Merkel NZV 2018 302, 304. 320 So aber z.B. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 26; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 75; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 45; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 105. 321 Dies folgt schon aus dem allgemeinen Grundsatz, wonach die Deckung begrenzende Klauseln eng auszulegen sind; vgl. zum Restriktionsprinzip bei Risikoausschlüssen Prölss/Martin/Armbrüster31 Einl. Rn. 281. 322 Zur Bedeutung der Unklarheitenregel für die Auslegung von AVB Prölss/Martin/Armbrüster31 Einl. Rn. 286 ff. 323 Siehe BGH 18.12.1989 – II ZR 34/89, VersR 1990 384, 385; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 20; vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 11 (zur Anwendbarkeit des § 307 BGB ganz allgemein); vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 38, der nicht das Transparenzgebot heranzieht, sondern von einem Bestimmtheitsgebot spricht; auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 31, der aber hervorhebt (Rn. 32 ff.), dass die Rsp. keine zu großen Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot stellt; Beispiele aus der Rsp. bei Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 21. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

(allgemeine Sorgfaltsgebote; Handeln, als ob keine Versicherung bestünde; etc.)324 begründen keine Obliegenheit des VN. § 28 regelt nur die Rechtsfolgen der Verletzung von Obliegenheiten, setzt ihrer vertragli- 65 chen Vereinbarung jedoch keine inhaltlichen Schranken. Solche Begrenzungen können sich nur aus der allgemeinen Inhaltskontrolle von AVB ergeben.325

II. Entfall von Obliegenheiten 1. Allgemeines Obliegenheiten werden nicht um ihrer selbst willen vereinbart, sondern zielen auf einen be- 66 stimmten Erfolg ab. So wollen risikomindernde Obliegenheiten das versicherte Risiko auf einem bestimmten Niveau stabilisieren und Anzeige-, Aufklärungs- und Belegpflichten eine informed decision des VR bei der Beurteilung von Leistungsansprüchen des VN im Gefolge eines Versicherungsfalls sicherstellen.326 Erledigt sich der jeweilige Zweck, so entfällt auch die Obliegenheit.

2. Endgültige Ablehnung der Deckung durch VR Ein Beispiel für diesen Grundsatz bildet die mittlerweile ständige, dem Bereich der Haftpflicht- 67 versicherung entstammende Rspr. des BGH, wonach den VN keine Aufklärungsobliegenheit mehr trifft, wenn der VR den Leistungsanspruch des VN endgültig abgelehnt hat.327 Nach Deckungsablehnung könne der VR aus der Verletzung von Obliegenheiten, „deren Erfüllung gerade dazu dienen soll, die Prüfung und gegebenenfalls die Erfüllung einer geschuldeten Leistung zu ermöglichen“, keine Leistungsfreiheit mehr herleiten.328 Die endgültige Deckungsablehnung vereitelt also den Zweck der Aufklärungsobliegenheit und lässt diese entfallen. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Abgabe der Ablehnungserklärung, nicht erst deren Zugang beim VN, weil bereits mit der Abgabe die Entscheidungsfindung des VR abgeschlossen ist.329 Führt der VN in der Folge eine Leistungsklage, so ist er im Rahmen des Prozesses nicht 68 an seine Aufklärungsobliegenheit gebunden, unrichtige Behauptungen lösen also keine 324 Beispiele m.N. zur Rsp. bei Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 31; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 20; vgl. Lensing VuR 2011 290 zur Pflicht in der Rechtsschutzversicherung, die Rechtsverfolgungskosten möglichst gering zu halten. 325 Ein deutliches Beispiel für unwirksame Obliegenheitsvereinbarungen liefert BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/ 02, ZfS 2007 34 (Rixecker), wo Urteile der Zivilgerichte, die eine Obliegenheit des VN, die Ärzte generell von ihrer Verschwiegenheit zu entbinden, gutgeheißen hatten, als Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) angesehen wurde; vgl. im Kontext auch OLG Nürnberg 8.10.2007 – 8 U 1031/07, VersR 2008 627; OLG Köln 14.6.2007 – 5 U 28/07, VersR 2008 107. 326 Vgl. insofern BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107 368, 371. 327 BGH 7.6.1989 – Iva ZR 101/88, BGHZ 107 368 m. zahlreichen w. N. zur Vorgängerrechtsprechung insbesondere im Bereich der Haftpflichtversicherung; ferner BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, VersR 2013 609, 610; BGH 8.7.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991 1129; OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301; OLG Jena 26.7.2019 – 4 U 50/19, VersR 2019 1209, 1213; keine endgültige Ablehnung liegt vor, wenn zwischen VN und VR nur der Deckungsumfang streitig ist, vgl. LG Köln 4.3.2004 – 24 O 148/03, RuS 2004 328; ebenso wenn der VR die Deckungspflicht bestreitet; vgl. OLG Köln 6.4.2004 – 9 U 52/03, VersR 2004 1547, 1548; die Verpflichtung zur Erfüllung der Obliegenheiten entfällt allerdings nur dann, wenn sie den vom VR abgelehnten Regulierungsfall betreffen; vgl. OLG Naumburg 29.4.2004 – 4 U 167/03, VersR 2004 1172, 1173. 328 BGH 7.6.1989 BGHZ 107 368, 371; BGH 13.3.2013 VersR 2013 609, 610; deutlich auch Beckmann/MatuscheBeckmann/Marlow3 § 13 Rn. 46; vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 77; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Felsch4 § 28 Rn. 47 f.; Langheid FS E. Lorenz (2014) 241, 241 f. 329 BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107 368, 371. 245

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung aus.330 Dies leitet das OLG Hamm auch aus dem Grundsatz prozessualer Chancengleichheit ab und folgert, dass im Prozess aufgestellte, unrichtige Behauptungen prozessuale Nachteile, u.U. auch Schadensersatzansprüche, ja sogar Strafverfolgung nach sich ziehen.331 Kommt es zu einem Vergleich, so kann dieser im Falle arglistiger Täuschung über eine Vergleichsgrundlage anfechtbar sein. Unrichtige Behauptungen sind also auch nach endgültiger Deckungsablehnung nicht erlaubt,332 sondern ziehen andere Rechtsfolgen als die für Obliegenheitsverletzungen vereinbarte Leistungsfreiheit nach sich.333 Der VR befindet sich, das hat auch der BGH bestätigt, insofern in derselben Situation wie jede andere Prozesspartei auch.334 Dass demgegenüber das Gericht an die Stelle des VR trete,335 der VN also im Prozess dem Gericht gegenüber die vertraglich vereinbarten Aufklärungsobliegenheiten zu erfüllen hätte und bei Obliegenheitsverletzungen dem Gericht gegenüber der VR leistungsfrei würde, kann nicht ernstlich vertreten werden. 69 Aufklärungsobliegenheiten entfallen erst nach endgültiger Deckungsverweigerung und nur, solange der VR diese aufrecht hält. Tritt der VR demgegenüber entgegen seiner Deckungsverweigerung wieder in eine Sachprüfung ein, was der VR „unmissverständlich“ zu erkennen geben muss, so leben auch die Obliegenheiten des VN wieder auf.336 Das Wiederaufleben der Aufklärungsobliegenheit soll nach verbreiteter Ansicht sogar eine Pflicht des VN begründen, unrichtige Angaben, die in der Zeit mangelnder Gebundenheit an die Obliegenheit gemacht wurden, selb-

330 OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301; ebenso OLG Köln 2.7.2002 – 9 U 13/02, VersR 2003 57, 58; vgl. OLG Koblenz 12.1.2007 – 10 U 1695/05, VersR 2007 1686 für die Verweigerung der Mitwirkung am Sachverständigenbeweis; zu alledem Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 46; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 80. 331 OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301; folgt man dem, kann von einem „Recht des Versicherungsnehmers auf falsche Angaben oder Täuschungen“ – entgegen Langheid FS E. Lorenz (2014) 241, 257 m.w.N. – selbst dann nicht die Rede sein, wenn man mit dem BGH die Sanktionslosigkeit nach § 28 bejaht; die weitere Begründung des OLG Hamm, der VR habe sich mit seiner Deckungsablehnung selbst „in erheblichem Maße vertragsuntreu“ verhalten und könne diesen Vertragsverstoß nicht durch nachfolgende Rechtsverstöße des VN rechtfertigen (vgl. insofern auch Lücke VersR 1992 182, Anmerkung zu BGH 8.7.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991 1129), ist schon deshalb zweifelhaft, weil es an Feststellungen fehlt, die eine Beurteilung der Schwere des Verstoßes des VR erlauben würden; insofern zutreffende Kritik bei Baumgärtel VersR 1992 601 a.E. (Anmerkung zu OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301). 332 Insofern geht die Kritik von Langheid RuS 1992 109 (Anmerkung zu OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301), es fehle an einer rechtsdogmatischen Begründung, „warum es dem VN nach Deckungsablehnung durch den VR erlaubt sein soll, diesen arglistig zu täuschen“ (Hervorhebung nicht im Original), an der Sache vorbei; zutreffend demgegenüber Knappmann NVersZ 2000 68, 69: „Das darf nicht dahin missverstanden werden, dass der VN nun berechtigt sei, falsche Angaben zu machen oder arglistig zu täuschen. Eine solche Berechtigung besteht (natürlich) nicht“; ebenso Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 36 (siehe auch Rn. 38). 333 Siehe OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301; ebenso und besonders deutlich Knappmann NVersZ 2000 68. 334 Deutlich in diesem Sinne BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107 368, 371; BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, VersR 2013 609; vgl. schon Lücke VersR 1992 182; insofern völlig überzogen die Kritik bei Baumgärtel VersR 1992 601 a.E. (Anmerkung zu OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301), der meint, trotz der vorhandenen Rechtsfolgen seien Täuschungen im Prozess „für den VN nahezu risikolos“, und der speziell für das Versicherungswesen größtes Unheil durch einen „zu allem entschlossene[n]“ VN befürchtet, der sich durch das Strafrecht kaum abschrecken lässt, „wenn es um viel Geld geht, etwa dann, wenn der gewitzte und ‚informierte‘ VN den großen Coup mit Vorbedacht erst im Deckungsprozess landet“, das alles noch „in einer Zeit, in der sich, wie man immer wieder lesen und hören muss, Versicherungsbetrügereien stark ausgeweitet haben“. 335 So Langheid RuS 1992 109 (Anmerkung zu OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301); anders demgegenüber z.B. Bach VersR 1992 302. 336 Vgl. BGH 12.11.1997 – IV ZR 338/96, VersR 1998 228, 229 f.; BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107 368, 370 und 371 f.; hierzu verwandt der Fall BGH 8.7.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991 1129, 1130; OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 874; vgl. ferner OLG Hamm 3.2.1999 – 20 U 181/98, VersR 1999 1405 f.; LG Köln 28.9.2006 – 24 O 41/05, VersR 2007 1263, 1264. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

ständig zu korrigieren („Berichtigungspflicht“).337 Das geht wohl zu weit, jedoch hat der VN ehrlich zu antworten und daher eine entgegenstehende Aussage von früher zu korrigieren, wenn der VR nochmals nachfragt. Das Wiederaufleben setzt außerdem voraus, dass der VR mitteilt, inwieweit bei ihm noch ein Aufklärungsbedürfnis vorliegt.338 Daher lebt die Obliegenheit nach Ansicht des BGH nicht schon mit dem Schreiben des VN wieder auf, mit dem dieser die Wiederaufnahme der Sachprüfung durch den VR erreichen will.339 Gleich liegt der Fall, in dem ein VN dem VR neue Tatsachen mitteilt, um diesen zu einer neuerlichen Prüfung zu veranlassen, und damit Erfolg hat.340 Erforderlich ist aber stets, dass der VR den Anspruch des VN auch tatsächlich neuerlich prüft. Eine bloße Beantwortung weiterer Schreiben des VN durch den VR reicht hierfür nicht aus, auch wenn der VR ausführt, dass die neuen Tatsachen am Inhalt seiner Entscheidung nichts ändern. Auch das Führen von Vergleichsverhandlungen, insbesondere im Prozess, stellt keine Wiederaufnahme der Anspruchsprüfung durch den VR dar, es geht insofern nur um eine Vermeidung von Prozessrisiken. Dagegen leben die Obliegenheiten wieder auf, wenn ein VR erklärt, ein seine Leistungspflicht dem Grunde nach bestätigendes Urteil nicht anzufechten, und die Leistungsprüfung hinsichtlich der Höhe der Versicherungsleistung wieder aufnimmt.341 Die Rspr. zum Entfall der Aufklärungspflichten wegen endgültiger Deckungsablehnung ist auf 70 andere Obliegenheiten übertragbar.342 Dies gilt zunächst für die der Aufklärungspflicht verwandte Obliegenheit zur Beibringung von Belegen. Auch diese Obliegenheit entfällt mit endgültiger Deckungsablehnung,343 allerdings nimmt der Wegfall der Obliegenheit nicht die Beweislast des VN im Leistungsprozess zurück.344 Es gilt auch für das Verbot arglistiger Täuschung bei der Schadensermittlung,345 das bei Licht besehen zur Aufklärungsobliegenheit zu zählen ist. Anerkannt sind auch der Entfall der Obliegenheit in der Rechtsschutzversicherung, Kostenschutzzusagen einzuholen und kostenauslösende Maßnahmen mit dem VR abzustimmen,346 sowie der Entfall des – nunmehr gemäß § 105 ohnehin unzulässigen – Anerkennungs- und Befriedigungsverbots in der Haftpflichtversicherung.347 Nach einer vertretenen Meinung soll die dargelegte Rspr. auf die Rettungspflicht nicht übertragbar sein. Der Zweck der Rettungspflicht werde durch eine endgültige Deckungsablehnung nicht vereitelt, wenn der VN seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag überhaupt noch geltend machen wolle.348 Richtig erscheint es demgegenüber, dass der VR nach endgültiger Deckungsablehnung auch nicht mehr auf den gesteigerten Sorgfaltsmaßstab, vor allem aber die beweisrechtliche Privilegierung der Schadenminderungspflicht, zurückgreifen kann. Eine unterlassene Schadenminderung kann über § 81 (analog) angemessen sanktioniert werden, wobei den VR dann eben die Beweislast auch hinsichtlich des Verschuldens des VN und der Kausalität der Unterlassung trifft. Nach Armbrüster kann die Inanspruchnahme des VR durch den VN gegen § 242 BGB verstossen, wenn sich der VN nach Entfall der Obliegenheiten allzu sorglos verhält.349 337 Z.B. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 47; Knappmann NVersZ 2000 68, 70. 338 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, VersR 2013 609; BGH 12.11.1997 – IV ZR 338/96, VersR 1998 228; OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 874. 339 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, VersR 2013 609; kritisch hierzu Langheid FS E. Lorenz (2014) 241, 252 ff. 340 Vgl. Bach VersR 1992 302 (Anmerkung zu OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301); Prölss/Martin/ Armbrüster31 § 28 Rn. 79. 341 OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 874; vgl. vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 47; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 78. 342 Vgl. nur BGH 12.11.1997 – IV ZR 338/96, VersR 1998 228 zum Anerkennungs- und Befriedigungsverbot wie bspw. nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 b AHB a.F.; vgl. auch BGH 30.9.1992 – IV ZR 314/91, VersR 1992 1504. 343 Ebenso Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 82. 344 Zutreffend Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 36. 345 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 34 m.w.N. (auch zu gegenteiligen Ansichten). 346 OLG Koblenz 28.10.2004 – 10 U 981/03, VersR 2005 974, 975. 347 OLG Hamm 3.2.1999 – 20 U 181/98, VersR 1999 1405 f.; vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 36a. 348 Vgl. hierzu Schirmer ZVersWiss 1969 353, 374. 349 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 83 z.B. für den Fall, dass der VN nach Deckungsablehnung durch den HaftpflichtVR den Prozess sorglos führt, etwa ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen lässt. 247

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

3. Rücktritt vom Versicherungsvertrag bzw. Anfechtung des Versicherungsvertrags durch VR 71 Häufig ist der Versicherungsfall das Transparenzereignis für Verletzungen der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den VN. In solchen Fällen lehnt der VR gängig Versicherungsdeckung ab und ficht den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an (§ 22 i.V.m. § 123 BGB) oder tritt vom Vertrag zurück (§ 19 Abs. 2). Auch diese Form der Deckungsablehnung soll die Aufklärungspflichten des VN entfallen lassen.350 Diese Ansicht überzeugt uneingeschränkt für den (freilich unproblematischen) Fall einer wirksamen Täuschungsanfechtung. Zumal der wirksam angefochtene Vertrag – von versicherungsrechtlichen Besonderheiten (§ 39 Abs. 1 Satz 2) hier einmal abgesehen – als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 BGB), entfallen auch alle vertraglichen Obliegenheiten des VN. Zunächst kann nichts anderes für den wirksamen Rücktritt vom Vertrag gelten. Der Rücktritt wirkt – von versicherungsrechtlichen Besonderheiten (§§ 21 Abs. 2 Satz 1, 39 Abs. 1 S. 2) auch hier einmal abgesehen – schuldrechtlich ex tunc und lässt damit die Obliegenheiten automatisch entfallen. Dasselbe hat aber auch für eine sich später als unwirksam herausstellende Anfechtung oder Rücktrittserklärung zu gelten. In aller Regel lehnt der VR mit seiner Anfechtung bzw. seinem Rücktritt gleichzeitig Ansprüche des VN endgültig ab. Er tritt also in keine weitere Prüfung des Versicherungsfalles mehr ein. Diese Sachlage unterscheidet sich daher nicht von jener, in der der VR seine Prüfungen abgeschlossen hat. Mit der endgültigen Deckungsablehnung entfällt der Aufklärungsbedarf und damit die Obliegenheit. 72 Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der VR nach (wirksam oder nicht wirksam) erklärtem Rücktritt seine verbleibende Leistungspflicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1 prüft. Für die Zwecke dieser Prüfung bleibt der VN an seine Obliegenheiten gebunden. Allerdings dürfte dies in der Praxis ein Ausnahmefall sein, weil der VR nach erklärtem Rücktritt seine Leistungspflicht regelmäßig insgesamt ablehnt.

4. Tatsächliche Erledigung 73 Obliegenheiten können auch dadurch entfallen, dass sie sich tatsächlich erledigen. Das gilt insbesondere für Anzeige- und Aufklärungspflichten, insoweit sie Umstände betreffen, die dem VR ohnehin bekannt sind.351 Für diese Ansicht kann auch auf den Rechtsgedanken des § 19 Abs. 5 Satz 2 und § 26 Abs. 2 Satz 1 zurückgegriffen werden, welche die Rechtsfolgen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht sowie der Nichtanzeige einer Gefahrerhöhung bei Kenntnis des VR von den anzuzeigenden Umständen zurücknehmen. Dasselbe gilt gemäß § 30 Abs. 2 für die Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalls.

350 Vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 35; nunmehr Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 84; a.A. wohl Bach VersR 1992 302 (Anmerkung zu OLG Hamm 12.6.1991 – 20 U 305/90, VersR 1992 301). 351 Vgl. z.B. für den Fall, dass der VR einen nicht angegebenen Vorschaden ohnehin kennt, BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, VersR 2007 1267; BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493, 495; OLG Oldenburg 15.9.2004 – 3 U 43/04, VersR 2005 782; anders, wenn im Haus des Versicherers an irgendeiner Stelle Kenntnisse über verschwiegene Vorschäden vorhanden sind, OLG Köln 14.9.2004 – 9 U 108/03, VersR 2005 827; zur Zurechnung von Speicherinhalten Medicus in: Karlsruher Forum 1994 4, 7 f.; zur Kenntnis des VR von polizeilichen Ermittlungen vgl. OLG Hamm 19.1.2005 – 20 U 186/04, RuS 2005 192, 193 f.; den VR treffen aber keine besonderen Nachforschungspflichten; vgl. z.B. OLG Saarbrücken 22.3.2006 – 5 U 405/05–40, VersR 2006 1208; LG Köln 12.1.2006 – 24 O 189/05, VersR 2006 1211; OLG Saarbrücken 20.4.2005 – 5 U 506/04-55, RuS 2005 322, 324 f.; das Aufklärungsinteresse des VR entfällt auch nicht schon mit der Leistung von Zahlungen nach Anzeige des Versicherungsfalls, vgl. OLG Saarbrücken 22.11.2006 – 5 U 269/06-43, VersR 2007 977, 978; im Zusammenhang mit einer möglichen Vorsteuerabzugsberechtigung siehe OLG Köln 8.4.2008 – 9 U 160/07, RuS 2008 236, 237. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

III. Verpflichtete Personen 1. Versicherungsnehmer a) Grundsatz. Die Pflicht zur Erfüllung vertraglicher Obliegenheiten trifft den VN, gleich ob es 74 sich dabei um eine natürliche oder juristische Person bzw. um eine Gesellschaft mit Rechtspersönlichkeit handelt.352 Wird der Vertrag somit von einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder einer BGB-Außengesellschaft353 geschlossen, so ist die Gesellschaft VN und damit Schuldnerin der Obliegenheiten.

b) Mehrheit von VN. Probleme ergeben sich, wenn eine Mehrheit von Personen den Versiche- 75 rungsvertrag als VN schließt. Sicher ist hier zunächst, dass die Erfüllung von Obliegenheiten durch einen VN ausreicht, um den Versicherungsschutz für alle VN zu erhalten.354 Dies setzt allerdings voraus, dass der VN auch die Obliegenheiten für alle und nicht nur hinsichtlich seiner eigenen versicherten Interessen erfüllt. Schwieriger ist die Frage, ob die Obliegenheitsverletzung eines VN nachteilige Rechtsfol- 76 gen auch für die anderen VN auslöst. Bisweilen wird gesagt, bei Anzeige-, Mitteilungs- und Aufklärungspflichten wirke der Verstoß eines VN gegen alle.355 Das ist wohl zu pauschal formuliert. Richtig und einschränkend ist m.E. die Ansicht, dass einem VN, der eine Anzeige-, Mitteilungs- oder Aufklärungspflicht gegenüber dem VR für alle VN erfüllt, das Wissen aller VN zugerechnet wird.356 Darüber hinaus werden die Rechtsfolgen der von einem VN begangenen Obliegenheitsverletzung allen anderen VN zugerechnet, wenn das „gemeinschaftliche, gleichartige und ungeteilte Interesse aller VN versichert ist“,357 nicht dagegen, wenn die einzelnen VN je selbstständige Interessen versichern.358 Ein solches gemeinschaftliches Interesse liegt vor, wenn die VN als Mitglieder einer Gesamthandgemeinschaft auftreten, weil sich das Interesse jedes VN dann auf die gesamte Sache und den gesamten Sachwert erstreckt, somit ein einheitliches versichertes Interesse vorliegt.359 Dann aber führt das Fehlverhalten eines VN zu Rechtsfolgen gegenüber der Gesamthand als solcher. Ein Teil der Lehre360 und die überwiegende Rspr.361 wollen die Zurechnung darüber hinaus auch dann vornehmen, wenn eine Sache, an der Bruch-

Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 38. BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146 341 = VersR 2001 510 (Reiff). Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 87. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 39. So Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 88; ähnlich, jedenfalls im Ergebnis, Langheid/Wandt/Wandt2 § 31 Rn. 117. 357 Vgl. BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, VersR 2006 258; zu § 81 (bzw. 61 a.F.) BGH 30.4.1991 – IV ZR 255/90, RuS 1992 240; OLG Hamm 13.2.2020 – 20 U 270/19, VersR 2020 1042; OLG Hamm 29.11.2017 – 20 U 18/17, VersR 2018 1506; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 87; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 39 für andere Obliegenheiten als Anzeige-, Auskunfts- und Mitteilungspflichten. 358 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 87 m.N. zur Rsp. 359 Siehe für Personengesellschaften BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, VersR 2008 634, 635 (zu § 67 a.F.), der zwar die Personengesellschaft als Trägerin des Sacherhaltungsinteresses ansieht, die Gesellschafter jedoch wegen ihres Sachersatzinteresses als Mitversicherte ansieht; hierzu (aus der Sicht des Personengesellschaftsrechts kritisch) C. Brand VersR 2009 306. 360 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 92; Schirmer 15; vgl. auch Bruck/Möller/Möller § 6 Anm. 66, der das Fehlverhalten eines Miteigentümers voll zurechnen will, wenn er nicht nur Versicherter, sondern auch VN ist, nicht hingegen, wenn er nur Versicherter ist, ohne auf den resultierenden Wertungswiderspruch einzugehen. 361 Besonders deutlich jüngst BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, VersR 2006 258, 260; vgl. auch die darin zitierten Entscheidungen BGH 24.1.1996 – IV ZR 270/94, RuS 1996 146, 147 (zu § 61 a.F.); BGH 30.4.1991 – IV ZR 255/90, RuS 1992 240 (zu § 61 a.F.); BGH 30.4.1991 – IV ZR 255/90, NJW-RR 1991 1372; OLG Köln 23.6.1999 – 11 U 251/98, NVersZ 2000 140, 141 (zu § 67 Abs. 1 a.F.); OLG Hamm 20.9.1989 – 20 U 272/88, VersR 1990 846, 847; OLG Düsseldorf

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

teilseigentum besteht, von den Miteigentümern gemeinsam versichert wird.362 Dabei soll es auf die VN-Eigenschaft des Verletzers der Obliegenheit nicht ankommen, der Status als Vt also ausreichen.363 Die von den Miteigentümern genommene Versicherung beziehe sich auf das „gemeinschaftliche, gleichgerichtete und ungeteilte Interesse“ am Erhalt der versicherten Sache; es bestehe daher nur „ein einziger, unteilbarer Versicherungsanspruch“, der den Teilhabern „zur gesamten Hand“ zustehe und deshalb nur ein „einheitliches Rechtsschicksal“ haben könne.364 Hier überzeugt zunächst nicht, dass es sich beim Interesse der Miteigentümer um ein gemeinschaftliches, gleichgerichtetes und damit unteilbares Interesse handeln soll. Die Literatur hebt nämlich zutreffend hervor, dass jeder VN seinen Eigentumsanteil auch allein versichern könnte,365 was für sich belegt, dass der Bruchteilseigentümer sehr wohl ein eigenes, selbständig versicherbares Interesse hat. Damit fällt auch der zweite Teil der Begründung, die wohl annimmt, dass aus einer sachenrechtlichen Bruchteilsgemeinschaft immer dann, wenn die versicherte Sache zerstört wird, eine Gesamthandgemeinschaft hinsichtlich des Versicherungsanspruchs wird. Dafür fehlt es an einer überzeugenden Begründung. Es kann nicht gesagt werden, der Versicherungsanspruch sei generell unteilbar: Gerade bei der Sachversicherung besteht dieser in einem Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme und ist daher ohne weiteres im Verhältnis der Miteigentumsanteile teilbar. M.E. ist die Rspr. zur Bruchteilsgemeinschaft auch nicht in vollen Einklang mit der gegenteiligen Rspr. zur Haftpflichtversicherung zu bringen. Hier nehmen Rspr. und Lehre an, jeder VN habe ein eigenes und unabhängiges Interesse und eine Obliegenheitsverletzung durch einen VN berühre damit die Rechtsstellung des anderen nicht.366 Der BGH vertritt diese Ansicht auch bei zwei VN, die zusammen Halter eines Kfz sind.367 Jedenfalls in diesem Fall, wo es auch zu einer gemeinsamen Halterhaftung kommen kann,368 ist der Unterschied zur Bruchteilsgemeinschaft kaum noch sichtbar. Und deutlich kontrastiert dieses Ergebnis mit der Rspr., die eine Zurechnung von Fehlverhalten eines VN an den anderen selbst dann vornehmen will, wenn ein Sachinbegriff (Hausrat) gemeinsam versichert ist, die Einzelstücke aber je im Alleineigentum des einen oder anderen VN stehen.369 Hier ist ein relevanter Unterschied zur gegenteiligen Rspr. in der HaftpflichtV, die von gemeinsamen Kfz-Haltern geschlossen wird, nicht mehr erkennbar. Insgesamt kommt diese Rspr. m.E. zu willkürlichen Ergebnissen, weil die Stellung desjenigen, der keine Obliegenheitsverletzung begangen hat, vom häufig nur eine Zufälligkeit darstellenden Umstand abhängt, dass der Versicherungsvertrag gemeinschaftlich und nicht je getrennt geschlossen worden ist. Mehr noch: Die VN würden auch dann bereits besser stehen, wenn der Vertrag nur von einem von ihnen als VN geschlossen würde, 28.2.1984 – 4 U 173/83, VersR 1984 1060 (zu § 61); vgl. im Kontext auch OLG Hamm 4.2.1994 – 20 U 222/92, VersR 1994 1464 (Zurechnung, soweit es um Eigentumsanteile des mitversicherten Ehegatten, der schuldhaft gehandelt hat, geht); a.A. bei Bestehen von Miteigentum nach Bruchteilen OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12, RuS 2013 121; OLG Saarbrücken 9.7.1997 – 5 U 91/97-15, VersR 1998 883, 884; öOGH 19.4.1961 – 3 Ob 460/60, SZ 34/60 165, 167 f.; vgl. öOGH 29.10.1997 – 7 Ob 241/97k, SZ 70/230; öOGH 18.4.2001 – 7 Ob 8/01 d, VersR 2002 1175. 362 Dagegen die wohl h.L. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 35; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 101 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 11 und auch die hier vertretene Ansicht. 363 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 92. 364 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, VersR 2006 258, 260 m.w.N. 365 So der Hinweis bei Liening 94; sowie Berliner Kommentar/Beckmann § 61 Rn. 37. 366 BGH 21.9.1967 – II ZR 1/65, VersR 1967 990, 991; Zustimmung und weitere Rspr. bei Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 39; w. N. auch bei Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 12; Schirmer 16. 367 BGH 21.9.1967 – II ZR 1/65, VersR 1967 990, 991. 368 Dennoch kommen Rsp. und Lehre zum Ergebnis, hier lägen getrennte versicherte Interessen vor; vgl. insb. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 12. 369 Siehe den Fall OLG Hamm 28.1.1987 – 20 U 238/86, VersR 1988 508, 509; vgl. auch OLG Köln 5.3.1992 – 5 U 112/91, RuS 1992 171, 172, dessen Begründung, es handle sich um eine gegenseitige Fremdversicherung zurecht abgelehnt wird. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 89; tlw. anders dagegen, wenn der Versicherungsvertrag nur von einem Ehegatten aber auch zugunsten des anderen geschlossen wird, Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 42. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

die anderen damit nur Mitversicherte wären. In diesem Fall würde eine Obliegenheitsverletzung eines Mitversicherten nur diesem selbst schaden, lediglich eine Obliegenheitsverletzung des VN könnte sich auf alle auswirken.370 Die Frage sollte daher m.E. nach den Regeln der Vertragsauslegung und mit Blick auf Sinn und Zweck des jeweiligen Versicherungsvertrags neuerlich geprüft werden. Ein alternativer Lösungsansatz könnte mit Looschelders und Pohlmann darin bestehen, auf die gemeinschaftlich verpflichteten VN § 425 BGB anzuwenden, der für angemessene Lösungen hinreichende Flexibilität bietet.371

c) Gesamtrechtsnachfolger. Zumal der Universalsukzessor (z.B. der Erbe) in die Gesamtheit 77 der Rechte und Pflichten des VN eintritt, geht auch der Versicherungsvertrag in jenem Stand auf ihn über, wie er im Zeitpunkt der Sukzession besteht. Das bedeutet zum einen, dass der Rechtsnachfolger für die Zukunft verpflichtet ist, die Obliegenheiten zu erfüllen.372 Es bedeutet zum anderen, dass sich der VR gegenüber dem Sukzessor auf die Rechtsfolgen einer noch vom Rechtsvorgänger begangenen Obliegenheitsverletzung berufen kann.373

d) Vertragsübernehmer. Der nach einer Vertragsübernahme neue VN hat für die Zukunft 78 die Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag zu erfüllen. Auch tritt der neue VN in den Vertrag so ein, wie er im Zeitpunkt der Vertragsübernahme steht und liegt. Insofern wirken sich zuvor vom ursprünglichen VN begangene Obliegenheitsverletzungen grundsätzlich auf ihn aus.374 Jedoch ist zweierlei hervorzuheben: Soweit sich Leistungsfreiheitssanktionen für Obliegenheitsverletzungen des früheren VN auf bereits vor Vertragsübernahme eingetretene Versicherungsfälle beziehen, treffen diese Sanktionen noch den alten VN, weil bei diesem die bereits entstandenen Ansprüche – vorbehaltlich abweichender vertraglicher Vereinbarung – verbleiben. Daher kommt es zu einer Fortwirkung von Obliegenheitsverletzungen vor allem bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht und bei vertraglichen Gefahrstandspflichten, die sich erst nach Vertragsübernahme auswirken. Selbst hier ist darüber hinaus aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Vereinbarung über die Vertragsübernahme nicht ausdrücklich oder schlüssig dahingehend zu verstehen ist, dass der neue VN so zu behandeln ist, wie wenn er einen neuen Vertrag abgeschlossen hätte. Das kann z.B. angenommen werden, wenn der VR dem neuen VN bei Vertragsübernahme neuerlich die Erfüllung der Anzeigepflicht abverlangt. Auch ist davon auszugehen, dass der VR sich gegenüber dem neuen VN nicht auf Obliegenheitsverletzungen des früheren VN berufen darf, die er im Zeitpunkt der Vertragsübernahme bereits kannte, es sei denn, er hätte den neuen VN darüber unterrichtet. Fraglich ist, ob dem VR das Kündigungsrecht nach § 28 Abs. 1 bei Obliegenheitsverletzun- 79 gen des ursprünglichen VN auch gegenüber dem Vertragsübernehmer zusteht. Bedenkt man, dass das Kündigungsrecht vor allem einen Vertrauensverlust des VR gegenüber seinem VN sanktioniert,375 so erscheint eine teleologische Reduktion des § 28 Abs. 1 und damit die Rücknahme des Kündigungsrechts geboten. Die Obliegenheitsverletzung eines früheren VN kann regelmäßig keinen Verlust des Vertrauens in den neuen VN begründen. Bei der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme stimmt der VR dem Parteiwechsel auf VN-Seite ja zu, hat also gegen den neuen VN keine Einwände. Dann sollte er aus dem Fehlverhalten des alten VN auch kein Kündigungsrecht gegen den neuen VN herleiten. Dasselbe gilt für die ex lege stattfindende 370 Vgl. z.B. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 40, 41; sowie Liening 94. 371 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 42. 372 So auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 85; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 95; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 33. 373 So auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 95. 374 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 95 Rn. 14; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 96. 375 Näher hierzu unten Rn. 140. 251

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Vertragsübernahme nach § 95 bei Veräußerung der versicherten Sache. Indem der VR die Veräußerung nicht zum Anlass einer Vertragslösung nach § 96 Abs. 1 nimmt, zeigt er sich zur Fortführung des Vertrages mit dem Erwerber bereit. Dann aber sollte diesem gegenüber ein Kündigungsrecht nach § 28 Abs. 1 ausscheiden. Anderes soll gelten, wenn der VR gegenüber dem VN kündigt, bevor er noch von der Veräußerung Kenntnis erlangt hat.376

2. Zessionar 80 Von der Vertragsübernahme ist die Zession eines Leistungsanspruchs des VN an einen Zessionar zu unterscheiden. Der Zessionar wird aus der Abtretung allein grundsätzlich nicht verpflichtet, irgendwelche Obliegenheiten des VN zu erfüllen.377 Zwar kann der VN im Rahmen der Abtretung, insbesondere in dem ihr zugrunde liegenden Kausalgeschäft, dem Zessionar die Erfüllung von Obliegenheiten auferlegen, doch wirkt diese „Zession der Obliegenheit“ nur im Innenverhältnis, der VR kann sich zur Begründung einer Leistungsfreiheit auch nach der Zession nur auf eine Obliegenheitsverletzung des VN berufen.378 Im Ergebnis hat also der VN auch nach der Zession die vertraglichen Obliegenheiten im Sinne von § 28 zu erfüllen.379

3. Pfand- und Pfändungsgläubiger 81 Ebenso ungebunden bleibt der Pfand- bzw. Pfändungsgläubiger.380 Das Bestehen der verpfändeten/gepfändeten Versicherungsforderung setzt eben voraus, dass der VN die Obliegenheiten erfüllt (hat).381

4. Versicherter 82 Zumal § 28 nur vom VN spricht,382 ist fraglich, inwieweit auch der Versicherte in der Versicherung für fremde Rechnung383 die Obliegenheiten zu erfüllen hat. Für die gesetzlichen Obliegenheiten ist die Frage im Grundsatz zu bejahen, weil die Relevanz von Kenntnis und Verhalten des VN gemäß § 47 Abs. 1 auch auf Kenntnis und Verhalten des Versicherten erstreckt wird. Dabei handelt es sich genau besehen um keine Zurechnungsnorm,384 weil es nicht darum geht, ob der VN für Fehlverhalten des Versicherten einzustehen hat, sondern ob für die Leistungsfreiheit des VR gegenüber der

376 So Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 79 unter Verweis auf BGH 6.6.1990 – IV ZR 262/89, VersR 1990 882.

377 Vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 33. 378 Zu weitgehend demgegenüber Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 46, der meint, der VN bleibe verpflichtet und müsse daher „dafür Sorge tragen, dass der Zessionar den Obliegenheiten entspricht; andernfalls tritt Leistungsfreiheit wegen schuldhafter Obliegenheitsverletzung des VN auch gegenüber dem Zessionar ein“. 379 So auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 86; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 97. 380 Vgl. z.B. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 33; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 97. 381 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 46. 382 Der Gesetzgeber hat hier ersichtlich den Regelfall gemeint, eine Obliegenheitsbelastung Dritter damit nicht grundsätzlich ausgeschlossen; vgl. – allerdings im leicht anders gelagerten Kontext der Repräsentantenhaftung – Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 32. 383 Hierzu §§ 43 bis 48. 384 So auch Bruck/Möller/Möller § 6 Anm. 57; anders – jedenfalls in der Formulierung – Beckmann/MatuscheBeckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 10; wie hier wohl BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003 445, 446; OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12, VersR 2013 1123, 1125 spricht von einer Zurechnung lehnt aber im Ergebnis eine Zurechnung des Verhaltens des Versicherten gegenüber dem VN ab. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

versicherten Person dessen Fehlverhalten neben jenem des VN ausreicht. Im Ergebnis ist damit der Versicherte ebenso wie der VN mit der Erfüllung gesetzlicher Obliegenheiten belastet.385 § 47 löst allerdings nicht das Problem, ob vertragliche Obliegenheiten auch vom Versicher- 83 ten zu erfüllen sind. Wenngleich nämlich § 28 auf ein Verhalten des VN abstellt, so nützt die Erstreckung der Relevanz von Verhalten auf jenes des Versicherten nach § 47 noch nichts, weil die Verhaltenspflicht nicht aus dem Gesetz, sondern aus dem Vertrag folgt. § 47 kann aber nicht dazu dienen, vom VN vertraglich übernommene Pflichten automatisch auf den Versicherten zu erstrecken.386 Entscheidend ist insofern die vertragliche Vereinbarung. Eine solche wollte der Gesetzgeber mit der Erwähnung nur des VN in § 28 (bzw. in § 6 a.F.) nicht verbieten, er hat ganz einfach den Normalfall ausdrücklich geregelt.387 Auch das Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter verhindert, wie dargelegt,388 die Belastung des Versicherten mit Obliegenheiten nicht. Für die Richtigkeit dieser These kann auch § 47 als ein Indiz herangezogen werden. Demnach kommt es für die Belastung des Versicherten mit vertraglichen Obliegenheiten auf die vertragliche Vereinbarung an. In der Tat enthalten die gängigen AVB spezielle Klauseln, die den Versicherten neben dem VN mit der Erfüllung von Obliegenheiten belasten.389 Die Frage der Belastung des Versicherten mit Obliegenheiten stellt sich unabhängig von der 84 weiteren Frage, ob dem Versicherten eine Obliegenheitsverletzung des VN oder eines anderen Mitversicherten schadet. Für Pflichtverstöße des VN wird dies regelmäßig bejaht,390 für solche der Mitversicherten regelmäßig verneint.391 Für Obliegenheitsverletzungen des VN kann die Zurechnung m.E. auch nur insoweit gelten, als er die Obliegenheit (zumindest auch) in eben dieser Rolle verletzt. Verletzt er dagegen eine Obliegenheit, die ihn aufgrund seiner Eigenversicherung in der Rolle als Versicherter trifft, so ist er m.E. als Mitversicherter zu behandeln und seine Verletzung anderen Mitversicherten nicht zuzurechnen.392 Umgekehrt schadet eine Obliegenheitsverletzung des/ eines Versicherten dem VN nicht, solange der Versicherte nicht Repräsentant des VN ist.393

IV. Haftung für Dritte 1. Grundsatz: Selbstverschuldensprinzip Der VN (sowie jede andere mit Obliegenheiten belastete Person) hat grundsätzlich sein eigenes 85 Fehlverhalten zu vertreten.394 Soweit es nicht um Fehlverhalten, sondern um Wissen bzw. um

385 Siehe OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12, VersR 2013 1123, 1125, das aufgrund von § 47 eigene Obliegenheiten des Versicherten anerkennt, jedoch keine Zurechnung zulasten des VN vornimmt; OLG Koblenz 12.3.2004 – 10 U 550/03, VersR 2004 1410, das den Ehemann der VN als Eigentümer des versicherten Kfz und damit als Versicherten ansah; dann aber entfiel der Versicherungsschutz des Ehemanns wegen eigenen Fehlverhaltens, weshalb m.E. das OLG Koblenz unzutreffend von einer Zurechnung des Verhaltens an die VN ausgeht. 386 Zu weitgehend daher die Formulierung des BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003 445, 446, der § 47 auch auf vertragliche Obliegenheiten erstrecken will; so aber auch Schirmer FS R. Schmidt 821, 824. 387 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 33 f. (zur Legitimität der Repräsentantenhaftung). 388 Hierzu oben Rn. 47. 389 Siehe z.B. § 10 Abs. 3 MBKK 2008; Pkt. 12.2 AUB 2008; Pkt. 27.1 AHB 2008; Pkt. F.1 AKB 2008; § 15 Abs. 2 ARB 2008; § 12 Abs. 3 VGB 2008; § 12 Abs. 3 VHB 2008; vgl. im Kontext auch AG Wuppertal 6.8.2004 – 32 C 416/03, BeckRS 2005 11549 (Kfz-Haftpflichtversicherung). 390 Hierzu z.B. Schirmer RuS 1990 253, 255 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 7; BGH 18.9.1991 – IV ZR 189/90, VersR 1991 1404, 1406. 391 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 9, wonach eine Obliegenheitsverletzung des Versicherten nur ihm selbst gegenüber zur Leistsungsfreiheit führt. 392 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 10 m.N. zur Rsp. 393 BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, RuS 2003 186 m.w.N.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 9. 394 Vgl. nur Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 105; vgl. OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239; LG Berlin 14.10.2003 – 17 O 519/02, BeckRS 2003 17153. 253

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Wissenserklärungen geht, ist ebenfalls auf den VN selbst abzustellen. Diese Beobachtung ist zunächst nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Sie gewinnt indessen an Bedeutung, weil das Selbstverschuldensprinzip395 bei versicherungsrechtlichen Obliegenheiten bisweilen derart als eine Besonderheit angesehen wird, dass sich der VN fremdes Verhalten nicht396 oder doch nur eingeschränkt397 zurechnen lassen muss. Diese im Einzelnen schwierig zu beantwortende Frage kann jedoch solange dahingestellt bleiben, als dem VN ein eigenes Verschulden vorwerfbar ist.398 In der Tat lassen sich Tatbestände, in denen nicht der VN selbst gehandelt hat, bisweilen als Eigenverschulden des VN darstellen. Das gilt namentlich im Rahmen eines Organisationsverschuldens. So kann die von einem Angestellten begangene Handlung als eine Obliegenheitsverletzung des VN angesehen werden, wenn dieser seinen Instruktions- und Überwachungspflichten nicht nachgekommen ist.399 Bisweilen wird im Versicherungsvertrag sogar eine Obliegenheit des VN vereinbart sein, Personal sorgfältig auszuwählen und zu überwachen.400 Auch kann es nach Ansicht des BGH zur Fiktion von Wissen des VN kommen, wenn dieser im Rahmen seiner Organisation nicht sorgfaltsgetreu dafür Vorkehrung getroffen hat, dass Wissen seiner Angestellten an ihn weitergegeben wird.401 Ein solches Selbstverschulden kann auch neben einem zurechenbaren Verschulden eines Repräsentanten gegeben sein.402

2. Haftung juristischer Personen für Organe 86 In Literatur403 und Rspr.404 ist unbestritten, dass sich der VN, wenn er eine juristische Person ist, das Wissen, die Wissenserklärungen und auch das Verhalten seiner Organe zurechnen lassen muss. Dies wird aus §§ 31, 89 BGB405 abgeleitet, die allerdings nur analog angewandt werden können, zumal es hier nicht um Schadensersatzpflichten geht.406 Dies gilt auch für rechtsfähige Personengesellschaften, und zwar nicht nur für jene des Handelsrechts (OHG, KG), sondern auch für die BGB-Außengesellschaft, der nach der neueren Rspr.407 ebenfalls Rechts-

395 Zum versicherungsrechtlichen Selbstverschuldensprinzip etwa Behrens 69 ff.; vgl. auch Jabornegg VersRdSch 1975 100, 115 ff. § 278 BGB werde von Sonderregeln (Repräsentanz) verdrängt: z.B. MüKoBGB/Grundmann8 § 278 Rn. 11 f. Zur „Repräsentantenhaftung“ unten Rn. 89 ff. Idealtypisch insofern OLG Hamburg 8.4.2004 – 9 U 10/04, VersR 2005 221, 222. Vgl. OLG Frankfurt/M. 8.12.2004 – 7 U 130/04, VersR 2006 115, 116; OLG Hamburg 8.4.2004 – 9 U 10/04, VersR 2005 221, 222; KG Berlin – 6 U 20/07, 13.4.2007 VersR 2008 351 f.; vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 131; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 116. 400 Vgl. OLG Saarbrücken 13.7.2005 – 5 U 689/04–70, VersR 2006 503, 505 f. 401 Vgl. BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132 30; Taupitz in: Karlsruher Forum 1994 16, 27 ff.; vgl. Baum 250 ff.; ablehend demgegenüber Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 135. 402 S. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 115 m.w.N.; ebenso kann es sein, dass der VN trotz Repräsentation die Obliegenheit selbst verletzt; vgl. hierzu OLG Köln 28.3.2008 – 20 U 231/07, VersR 2008 1063, 1064. 403 Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 38; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 85. 404 So etwa schon BGH 27.6.1953 – II ZR 176/52, VersR 1953 316, 317; OLG Köln 23.12.2003 – 9 U 169/02, RuS 2004 101, 102 (zu § 61 a.F.); OLG Saarbrücken 11.12.2002 – 5 U 17/00–3, VersR 2003 1518, 1520 (zu § 61 a.F.); vgl. auch OLG Bremen 2.10.2007 – 3 U 27/07, VersR 2007 1692, 1693, das den Geschäftsführer jedoch als Repräsentanten bezeichnet. 405 Der BGH rechtfertigt und differenziert die Wissenszurechnung nicht nur durch die Organstellung als solche, sondern insbesondere durch „den Gedanken des Verkehrsschutzes“ sowie die daran geknüpfte „Pflicht zu ordnungsgemäßer Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation“; vgl. BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, JZ 1996 731, 733 (Taupitz). 406 Vgl. nur Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 15. 407 BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, VersR 2001 510 (Reiff).

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persönlichkeit zukommt. Diese haben für ihre vertretungsbefugten Gesellschafter408 einzustehen.409

3. Haftung für Parteien kraft Amtes Das zu den Organen juristischer Personen Gesagte gilt nach richtiger Ansicht410 auch für Partei- 87 en kraft Amtes, also den Testamentsvollstrecker sowie den Nachlass-, Insolvenz-411 und Zwangsverwalter.412 Zumal im allgemeinen Zivilrecht die Grundsätze der Organhaftung nach §§ 31, 89 BGB analog auf Parteien kraft Amtes angewandt werden,413 kann darauf auch bei versicherungsrechtlichen Obliegenheiten zurückgegriffen werden. Auch hier braucht der Repräsentantenbegriff also nicht bemüht zu werden.414

4. Haftung für gesetzliche Vertreter natürlicher Personen Ebenso unbestritten ist die Haftung des VN für seine gesetzlichen Vertreter.415 Fraglich ist hier 88 allerdings die Haftungsgrundlage. Während das RG noch auf die Repräsentantenfigur zurückgriff,416 will die heute wohl h.L. „ausnahmsweise“ eine Zurechnung nach § 278 BGB analog vornehmen.417 Der Analogieschluss muss nach der h.L. bemüht werden, weil § 278 BGB an sich auf Obliegenheiten keine Anwendung finde. Die Ausnahme von der sonst vertretenen Unanwendbarkeit des § 278 BGB sei teleologisch unbedenklich, weil ein Einstehenmüssen des VN für das Verhalten seiner gesetzlichen Vertreter nicht zu einer ungebührlichen Ausdehnung des Zurechnungsbereichs führen kann.

5. Haftung für Repräsentanten a) Hintergründe der „Repräsentantenhaftung“.418 Die Rsp. lehnt eine Zurechnung von 89 Fremdverhalten nach den Regeln der Gehilfenhaftung, insbesondere also nach § 278 BGB,

408 Nicht hierher zählt grundsätzlich der Kommanditist; vgl. BGH 27.4.1961 – VI ZR 210/61, VersR 1962 664, 665. 409 BGH 24.1.1990 – IV ZR 270/88, VersR 1990 380 meint, bei der KG sei der Komplementär selbst auch VN und ihn träfen daher die Obliegenheiten; berechtigte Zweifel an dieser Konstruktion bei Beckmann/Matusche-Beckmann/ Looschelders3 § 17 Rn. 17. 410 Deutlich Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 19; vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 38; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 85. 411 Vgl. OLG Köln 20.12.2005 – 9 U 99/05, VersR 2006 1207, 1208; KG Berlin 18.3.2005 – 6 U 244/04, RuS 2005 502 f.; LG Berlin 12.10.2004 – 7 O 601/03, BeckRS 2005 5571; vgl. auch – unklar – LG Berlin 14.10.2003 – 17 O 519/ 02, Schaden-Praxis 2004 130. 412 Vgl. BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465, der den Zwangsverwalter jedoch als Repräsentanten behandelt; so wohl auch Spielmann VersR 2006 317, 320; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 33. 413 Siehe nur Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 19 m.w.N. 414 Vgl. jedoch BGH 19.10.1994 – IV ZR 159/93, VersR 1994 1465; zutreffende Kritik auch hieran bei Beckmann/ Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 19. 415 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 38; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 33; hierher zählen Eltern (§ 1626 BGB), Vormund (§§ 1793 ff. BGB) und Betreuer (§ 1902 BGB) vgl. zum Fall des Betreuers Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 33. 416 RG 15.3.1932 – VII 247/31, RGZ 135 370, 371 f. 417 Vgl. nur Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 27. 418 Kritik am Begriff m.w.N. bei Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 110. 255

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

ab.419 Dies wird einerseits mit dem recht formalen Argument begründet, Obliegenheiten seien keine Verbindlichkeiten im Sinne des § 278 BGB, sondern bloße Voraussetzungen des Deckungsanspruchs.420 Andererseits wird materiell auf Sinn und Zweck des Versicherungsvertrages abgestellt, mit dem eine weite Zurechnung von Gehilfenverhalten nach § 278 BGB unvereinbar wäre. „Der VN hat ein legitimes Interesse daran, die Obhut über die versicherte Sache durch Hilfspersonen ausüben zu lassen, ohne den Verlust des Versicherungsschutzes befürchten zu müssen. Der Versicherungsvertrag soll den VN daher nicht zuletzt auch vor Schäden schützen, die durch das schuldhafte Verhalten von Hilfspersonen verursacht werden. Es widerspräche also dem Zweck des Versicherungsvertrags, wenn der VN nach § 278 BGB für sämtliche Hilfspersonen einstehen müsste“.421 Zumal es die Wertung des § 278 BGB sei, Gehilfenverhalten umfassend zuzurechnen, sei eine einschränkende Auslegung zwar nicht ausgeschlossen, eine eigenständige, auf versicherungsrechtlichen Erwägungen aufbauende Repräsentantenhaftung wird jedoch einer restriktiven Anwendung des § 278 BGB bevorzugt.422 Damit steht die h.L. vor dem Dilemma, dass es nach ihrer Ansicht für Obliegenheiten an 90 einer Zurechnungsnorm insgesamt fehlt. Das gefühlte Defizit könne nun aber, nachdem eine direkte, analoge oder auch nur eingeschränkt analoge Anwendung des § 278 BGB abgelehnt wurde, einzig durch eine auf eigenständigen versicherungsrechtlichen Erwägungen aufbauende richterliche Rechtsfortbildung beseitigt werden.423 Solche Erwägungen hat schon das RG angestellt und im Wesentlichen ausgeführt, dem VN müsse die Möglichkeit abgeschnitten werden, unter Ausnutzung der Nichtzurechnung von Gehilfenverhalten die versicherte Sache der Obhut eines Dritten zu überlassen, um auch bei fahrlässiger Herbeiführung eines Schadens gedeckt zu sein.424 Dies würde die Äquivalenz von Gefahrtragung und Prämie stören und zugleich die „Kleinen“, welche ihre Risiken regelmäßig selbst verwalten, gegenüber den „Großen“, die sich hierfür Dritter bedienen können, benachteiligen. Diese Erwägungen, und insbesondere das Argument der Gleichbehandlung aller VN, haben beim Gesetzgeber des VVG 1908, wie Looschelders treffend ausführt, zumindest stillschweigende Akzeptanz gefunden.425 Das VVG 1908 enthält jedenfalls keine der Rspr. zur Haftung für Repräsentanten direkt entgegenstehende Vorschrift. Von einer Vorschrift über die Repräsentantenhaftung habe der historische Gesetzgeber sehenden Auges Abstand genommen, denn er hebe die Rspr. und den Aspekt der Gleichbe-

419 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, VersR 2019 1284; schon zuvor BGH 20.5.2009 – XII ZR 94/07, VersR 2009 1123; BGH 14.5.2003 – IV ZR 166/02, RuS 2003 367; BGH 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981 321; BGH 30.4.1981 – IVa ZR 129/80, VersR 1981 948, 950; BGH 25.11.1953 – II ZR 7/53, BGHZ 11 120, 122 ff.; OLG Hamburg 8.4.2004 – 9 U 10/ 04, VersR 2005 221, 222; Knappmann VersR 1997 261, 262; Bruck/Möller/Möller § 6 Anm. 73, 4. 420 Zu diesem Argument (relativierend insb. auch in Rn. 95 und 96) Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 93; auch Jabornegg VersRdSch 1975 100, 101 ff. 421 So Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 25 m. zahlreichen w. N.; Berliner Kommentar/ Schwintowski § 6 Rn. 202; Schirmer 6 ff.; Knappmann NJW 1994 3147; vgl. Behrens 80 ff. 422 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 26; ähnlich Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 111. 423 Zur Zulässigkeit einer solchen Rechtsfortbildung RG 22.4.1903 – 25/03 VII, JW 1903 251; hierzu Beckmann/ Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 33 f.; zur Ablehnung einer Analogie zu § 278 BGB und einer eigenständigen Rechtsfortbildung auch Mordfeld 184 f. und 187 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung der Repräsentation Lehmann RuS 2019 361, 362 f. 424 RG 22.4.1903 – 25/03 VII, JW 1903 251; vgl. auch BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230; BGH 2.5.1990 – IV ZR 48/89, VersR 1990 736; BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 232 f.; BGH 20.5.1981 – IVa ZR 86/80, VersR 1981 822; OLG Frankfurt/M. 27.7.1994 – 17 U 259/93, VersR 1996 838; OLG Hamm 9.1.1991 – 20 U 325/ 89, VersR 1992 570, 571; BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674; ausführlich OLG Hamm 29.10.1986 – 20 U 134/86, VersR 1988 240, 241; in der Transportversicherung hält Rehm VersR 1989 115 diese Begründung für nicht tragfähig, weil hier ohnehin Vertragsfreiheit herrsche und damit auch eine Haftung des VN für das Verhalten Dritter vereinbart werden könne. 425 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 34. Heiss

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handlung in der Begründung ausdrücklich hervor.426 Der neue § 28 ändert hieran nichts, auch er äußert sich nämlich nicht weiter zur Zurechnungsfrage. Ungewiss ist, ob die Grundsätze der Rspr. durch ständige, gleichförmige und in der opinio 91 necessitatis gelebte Übung der Rechtsgenossen gewohnheitsrechtlich verfestigt sind.427 Dafür spricht die schon lange andauernde Übung, jedoch wird zutreffend hervorgehoben, die Rspr. sei noch nicht zu einem Rechtssatz geworden, dessen Tatbestandselemente hinreichend bestimmt seien, um Gewohnheitsrecht formen zu können.428

b) Kritik. Gegen die Repräsentantenhaftung sind in der Literatur auch Bedenken aufgetaucht. 92 Zum einen wird erwogen, ob es bei versicherungsrechtlichen Obliegenheiten angesichts der abschließenden Regelung des § 28, der nur vom Verhalten des VN spricht, überhaupt noch eine Zurechnung von Fremdverhalten geben kann.429 Indessen fehlt es an einem Nachweis, der historische Gesetzgeber habe eine derart abschließende Regelung treffen wollen. Im Gegenteil hat Looschelders näher dargetan, dass der historische Gesetzgeber § 6 a.F. bereits in Kenntnis der Rspr. zur Repräsentantenhaftung geschaffen hat und diese Haftung mit § 28 nicht beseitigen wollte.430 Gewichtiger ist demgegenüber die Gegenansicht, § 278 BGB könne auf Obliegenheitsverlet- 93 zungen jedenfalls beschränkt angewendet werden. So wird der Rspr. recht pragmatisch entgegengehalten, man hätte die von ihr angestrebten Lösungen ebenso gut durch eine Anwendung des § 278 BGB, die sich am Schutzzweck der jeweiligen Pflicht orientiert, erzielen lassen.431 Ähnlich meint Prölss, eine Anwendung des § 278 BGB in dem von ihm vertretenen Sinne dürfte den VN „insgesamt“ sogar besser stellen als die Rspr. zur Haftung für Repräsentanten.432 Diese Ansichten laufen darauf hinaus, die Legitimation für ein im Wege der Rechtsfortbildung gewonnenes, eigenständiges Institut der Repräsentantenhaftung dem Grunde nach in Frage zu stellen. Während nämlich z.B. Looschelders eine beschränkte Analogie zu § 278 BGB ablehnt, weil dieser darauf angelegt sei, dass der Schuldner für alle Gehilfen einzustehen habe, halten Kritiker eine eingeschränkte Analogie durchaus für zulässig, indem die Wertung des § 278 BGB auf die Haftung des VN für Obliegenheitsverletzungen Dritter nur insoweit übertragen wird, wie sie sich mit dem Zweck des Versicherungsvertrags vereinbaren lässt.433 So hat insbesondere R. Schmidt eine analoge Anwendung des § 278 BGB befürwortet, dabei freilich einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen gesucht und im Ergebnis eine Haftung des VN für „funktionsbedingte Erfüllungsdiener“ befürwortet.434 Ähnlich teilt Armbrüster mit den Vertretern der Repräsentantentheorie die „Furcht vor einer Entwertung des Versicherungsschutzes“, jedenfalls soweit es um geschuldetes Verhalten (und nicht um Anzeige- oder Auskunftspflichten) geht.435 Seiner Meinung nach sei eine Analogie zu § 278 BGB bei solchen, aber

426 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 34 unter Verweis auf den Bericht der XIII. Kommission, RT-Drucks. Nr. 364 12. Legislaturperiode I. Session 1907 An. II S. 60 f. 427 Hierzu Kampmann VersR 1994 277, 280. 428 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 35; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 98; Leonhardt 133 ff. 429 Ausführlich und ablehnend gegenüber diesem Ansatz Leonhardt 79 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 33 f.; zur grundsätzlichen Ablehnung einer Repräsentantenhaftung in der österreichischen Rspr. siehe die Nachweise bei Heiss/Lorenz/Heiss § 6 VersVG Rn. 18 ff. 430 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 34; vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 108. 431 Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel3 § 81 Rn. 46. 432 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 49. 433 Ausführlich etwa Leonhardt 159 ff.; vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 95; Looschelders/Pohlmann3/Pohlmann § 28 Rn. 64. 434 R. Schmidt 290 f. 435 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 97. 257

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

eben nur solchen Pflichten abzulehnen.436 Darüber hinaus hat das RG seine Legitimation zur Rechtsfortbildung nicht zuletzt aus dem Umstand abgeleitet, man dürfe es dem VN nicht erlauben, durch eine Externalisierung der Risikoverwaltung das Risiko eines Deckungsverlusts infolge Obliegenheitsverletzung abzustreifen.437 Genau dieses Argument stützt allerdings auch § 278 BGB, der eine Haftungsentlastung durch Delegation verhindern will.438 Diese Parallele bietet eine Basis mindestens für einen Analogieschluss. Außerdem ist eine „entsprechende“ Anwendung des § 278 BGB im Bereich von Obliegenheiten auch sonst nicht unbekannt. § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB verweist im Wege einer Rechtsgrundverweisung439 auf § 278 BGB, sodass im Rahmen der Mitverschuldensfrage eine Zurechnung von Gehilfenverhalten stattfindet. Und letztlich kommt die h.L. um eine beschränkte Analogie ohnehin nicht herum, denn jedenfalls die Haftung für den gesetzlichen Vertreter soll sich aufgrund eines (insofern beschränkten) Analogieschlusses nach § 278 BGB richten.440 Insgesamt spricht daher in der Tat einiges für eine vorsichtige Anwendung des § 278 BGB auch im Rahmen von Obliegenheiten. Geht man, wie hier, von der Rechtsnatur der Obliegenheiten als Nebenpflichten aus, so kann § 278 BGB sogar direkt angewandt und dann nach Maßgabe von Sinn und Zweck des Versicherungsvertrags reduziert werden.441

94 c) Sachlicher Anwendungsbereich der Repräsentantenhaftung. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Kern der Repräsentantenhaftung, also auf die Haftung des VN für ein Verhalten des Repräsentanten, das von Einfluss auf die Verwirklichung bzw. das Ausmaß der Leistungspflicht des VR ist.442 Es geht also überwiegend um schadensvorbeugende bzw. -mindernde Obliegenheiten (Risikoverwaltung). Demgegenüber anerkennt die Rspr. eine Repräsentantenhaftung auch bei Anzeige- und Aufklärungsobliegenheiten, die im Rahmen der Wissenserklärungsvertretung bzw. der Wissensvertretung besprochen werden.443 Die Abgrenzung ist im Einzelfall nach Sachgerechtigkeit zu ziehen. Den Repräsentanten kraft Risikoverwaltung können somit auch Aufklärungspflichten treffen, wenn diese in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Versicherungsfall stehen. So muss der Repräsentant kraft Risikoverwaltung bspw. im Falle eines Verkehrsunfalls die Obliegenheit des VN wahrnehmen, am Unfallort zu verharren, ggf. die Polizei zu verständigen und an der Aufklärung des Unfalls mitzuwirken.444

95 d) Definition des Repräsentanten.445 Die heute von der Rspr. standardisiert herangezogene Formel zur Definition des „Repräsentanten“ umfasst jede Person, die „in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, auf Grund eines Vertretungs- oder eines ähnli-

436 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 97. 437 RG 22.4.1903 – 25/03 VII, JW 1903 251; vgl. BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, VersR 2012 219, 222; BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, VersR 2011 1003, 1005; BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674; vgl. auch Beckmann/ Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 32. 438 MüKoBGB/Grundmann8 § 278 Rn. 3 m.w.N. 439 MüKo BGB/Grundmann8 § 278 Rn. 24. 440 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 27. 441 Vgl. auch Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 64. 442 Zur diesbezüglichen Abgrenzung der Repräsentantenhaftung gegenüber anderen Zurechnungstatbeständen (Wissens- und Wissenserklärungsvertretung) Leonhardt 30 ff. 443 Hierzu unten Rn. 106 f. und 124 f. 444 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 51; ausdrücklich BGH 10.7.1996 VersR 1996 1229, 1230. 445 Ausführlich zur Entwicklung dieses Begriffs in der Rspr. Leonhardt 21 ff. Heiss

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chen Verhältnisses an die Stelle des VN getreten ist.“446 Als zentral ist dabei das Kriterium des „an die Stelle“ des VN Tretens anzusehen.447 Wann dieses Merkmal erfüllt ist, hängt letztlich von der Antwort auf die Auslegungsfrage ab, ob nach Sinn und Zweck des Versicherungsvertrags auch bei Weitergabe der Obhut über eine Sache Versicherungsschutz bestehen soll oder aber sich der VN hierdurch seiner Obliegenheiten und damit der Folgen ihrer Verletzung entledigt. Die Rspr. bejaht die Repräsentantenstellung immer dann, wenn der VN dem Dritten die 96 „Risikoverwaltung“ übertragen hat.448 Bei Sachversicherungen, um die es in der einschlägigen Rechtsprechung häufig geht, setzt dies das Einräumen „alleiniger Obhut“ des Repräsentanten voraus.449 Bloße Mitobhut soll demgegenüber nicht genügen, und zwar auch dann nicht, wenn die versicherte Sache vom Dritten in erheblichem Ausmaß, womöglich gar überwiegend genutzt wird.450 In der Tat überzeugt dieses Abgrenzungskriterium jedenfalls im Regelfall, weil eine Alleinobhut des Dritten eine Obliegenheitsverletzung durch den VN ausschließt, wohingegen eine bloße Mitobhut die Einflussmöglichkeiten des VN wahrt. Als Grundhypothese kann davon ausgegangen werden, der Nachweis einer vollständigen Obhutsübertragung indiziere auch die Inpflichtnahme des Dritten mit der Erfüllung der Obliegenheiten.451 Davon kann demgegenüber bei Einräumung bloßer Mitobhut nicht ausgegangen werden, denn beide, VN und Dritter, werden regelmäßig davon ausgehen, dass der VN hinsichtlich der ihn aus dem Versicherungsvertrag treffenden Obliegenheiten in der Pflicht bleibt.452 Regelmäßig indiziert also der Grad der Obhutsübertragung die Legitimität der Deckungserwartung des VN auch bei Obliegenheitsverletzungen des Dritten.

446 BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, VersR 2012 219, 222; BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, VersR 2011 1003, 1005; BGH 20.5.2009 – XII ZR 94/07, VersR 2009 1123; OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239; OLG Naumburg 18.6.2015 – 4 U 58/14, VersR 2017 93, 95 (Langheid); nach VVG a.F.: BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674; BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230; BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 253 = VersR 1993 828; hierzu Lücke VersR 1993 1098; frühere Rsp: BGH 25.3.1992 – IV ZR 17/91, VersR 1992 865; BGH 2.5.1990 – IV ZR 48/89, VersR 1990 736; BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 230 f. m.w.N. zur älteren Rspr.; BGH 20.5.1981 – IVa ZR 86/80, VersR 1981 822; OLG Koblenz 13.1.2006 – 10 U 246/05, VersR 2007 787, 788; OLG Koblenz 12.3.2004 – 10 U 550/03, VersR 2004 1410, 1411; OLG Hamburg 8.4.2004 – 9 U 10/04, VersR 2005 221, 222; OLG Hamm 16.6.1999 – 20 U 92/98, VersR 2000 1104 f.; OLG Köln 23.6.1998 – 9 U 201/97, VersR 1999 311, 312; OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 338/94, VersR 1996 839, 840; OLG Frankfurt/M. 27.7.1994 – 17 U 259/93, VersR 1996 838; OLG Köln 21.2.1995 – 9 U 108/94, VersR 1996 94; OLG Hamm 8.3.1995 – 20 U 290/94, VersR 1996 225; OLG Hamm 2.11.1994 – 20 U 142/94, VersR 1995 1348; OLG Köln 19.3.1992 – 5 U 115/91, VersR 1992 996 f.; OLG Hamm 9.1.1991 – 20 U 325/ 89, VersR 1992 570, 571; OLG Karlsruhe 16.5.1991 – 12 U 25/91, VersR 1992 1391, 1392; ähnlich OLG Frankfurt/M. 11.8.2004 – 7 U 156/03, VersR 2005 1232; LG Hamburg 10.7.2003 – 409 O 119/02, VersR 2003 1438, 1439; zur Definition durch die Rspr. Schirmer 19 ff.; Cyrus 83. 447 Hierzu Schirmer 21 ff.; Cyrus 84 ff. 448 Vgl. BGH 1.10.1969 - IV ZR 632/68, VersR 1969 1086, 1087, wo deutlich hervorgehoben wird, dass es nur um die tatsächliche Risikoverwaltung geht, nicht hingegen um eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis; vgl. OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239; OLG Koblenz 16.10.2003 – 10 U 1117/02, VersR 2004 642; OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 338/94, VersR 1996 839, 840; OLG Köln 21.2.1995 – 9 U 108/94, VersR 1996 94; zum Begriff der Risikoverwaltung in Abgrenzung zur Vertragsverwaltung BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674. 449 BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 231; vgl. Kampmann 99: „Die Übertragung der Risikoverwaltung setzt zwingend die Obhutsüberlassung voraus“; Schirmer 23; Leonhardt 39; zu engeren, nicht herrschenden Lehrmeinungen Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 128. 450 Vgl. z.B. OLG Frankfurt/M. 11.8.2004 – 7 U 156/03, VersR 2005 1232; BGH 16.6.1993 – IV ZR 145/92, VersR 1994 45; hierzu Kampmann 103 f. 451 Vgl. Leonhardt 98 f. 452 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 101. 259

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Doch reicht die bloße Obhutsüberlassung für sich genommen nicht aus.453 Verschiedene Beispiele aus der Rspr. zeigen dies besonders deutlich. So soll der VN in der Kraftfahrthaftpflichtversicherung selbst dann nicht für dritte Lenker haften, wenn die Voraussetzungen der Repräsentanteneigenschaft erfüllt sind, wenn dem Lenker also die umfassende Sorge für das Fahrzeug, insbesondere dessen Verkehrssicherheit, übertragen ist.454 Dies überzeugt, kann aber nicht mit dem Begriffspaar der vollständigen oder nur teilweisen Obhutsübertragung erklärt werden. Ob sich das Ergebnis daraus erklärt, dass der Lenker mitversichert ist,455 ist zumindest fraglich. Als Mitversicherter hat der Lenker zwar eigene Obliegenheiten, das schließt aber mindestens theoretisch nicht aus, dass er gleichzeitig als Repräsentant des VN tätig wird.456 Wie immer man dazu steht, jedenfalls zeigt das Beispiel, dass das Kriterium der vollständigen Obhutsübertragung eine Repräsentantenstellung zwar indiziert, aber nicht begründet.457 Denn auch bei vollständiger Risikoübertragung kann im Einzelfall, wie etwa im Beispiel der Kraftfahrthaftpflichtversicherung, eine Zurechnung von Obliegenheitsverletzungen des Lenkers dem Sinn und Zweck des Versicherungsvertrages widersprechen. Dieser Ansatz wird auch durch die Rspr. zur Stellung des Mieters bzw. Pächters von Immobilien bestätigt.458 Zwar kann hier geltend gemacht werden, der Vermieter bzw. Verpächter habe noch rechtliche Handhaben, um auf die Risikoverwaltung Einfluss zu nehmen, doch hat Looschelders zu Recht hervorgehoben, dem Mieter bzw. Pächter komme eine „sehr selbständige Stellung“ zu.459 Das gilt namentlich dann, wenn dem Mieter bzw. Pächter nicht nur die Alleinnutzung der Sache, sondern auch diverse Verantwortlichkeiten, die auch Bezug zu den versicherungsrechtlichen Obliegenheiten des VN aufweisen, übertragen werden.460 Aber auch Looschelders lässt diesen Aspekt nicht ausschlaggebend sein, sondern stellt auf den Zweck der Obhutsübertragung ab und erblickt diesen regelmäßig nicht im Abstreifen von Obliegenheiten seitens des VN, sondern in einer angemessenen wirtschaftlichen Nutzung der Immobilie. Nach Sinn und Zweck des Versicherungsvertrags darf der VN aber auch dann mit Deckung rechnen, wenn sich der Mieter bzw. Pächter obliegenheitswidrig verhält. Und ein Ehegatte ist nicht schon dann Repräsentant des VN, wenn dieser ihm die Sache zur alleinigen Verwendung übergeben hat.461 Denn dies ist für eheliche Lebensgemeinschaften geradezu typisch und unterliegt daher nach Sinn und Zweck der Deckung aus dem Versicherungsvertrag. Es reicht auch nicht aus, dass der Dritte aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen oder einer vertraglichen Bindung zum VN die Obhut über die versicherte

453 BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, VersR 2011 1003, 1005; BGH 20.5.2009 – XII ZR 94/07, VersR 2009 1123; OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239; OLG Naumburg 18.6.2015 – 4 U 58/14, VersR 2017 93, 95 (Langheid); OLG Hamm 11.4.2014 – 20 U 171/13, VersR 2015 1019; BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 231; BGH 20.5.1981 – IVa ZR 86/80, VersR 1981 822; BGH 20.5.1969 – IV ZR 618/68, VersR 1969 695, 696; BGH 17.12.1964 – II ZR 17/63, VersR 1965 149, 150; vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 40; Schirmer 23; Cyrus 89 f.; Leonhardt 40; anders für die Reisegepäckversicherung Wussow VersR 1993 1454, 1456. 454 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 77; vgl. Langheid NVersZ 2000 463; aus der Rspr. OLG Koblenz 12.3.2004 – 10 U 550/03, VersR 2004 1410, 1411 (KaskoV). 455 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 77; auch BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230. 456 Vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 63 a.E. und § 79 Rn. 2; vgl. auch BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003 445, 446, wo die Repräsentanteneigenschaft aber verneint wurde. 457 Z.B. LG Karlsruhe 27.8.1999 – 9 S 120/99, VersR 2000 967 f. 458 Vgl. nur BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229 m.N. zur älteren, divergierenden Rspr.; vgl. auch Kalischko MDR 1990 215; Zierke VersR 1987 132. 459 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 70. 460 BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 234 f.; vgl. auch OLG Hamm 12.9.2001 – 20 U 186/00, VersR 2002 433, 434. 461 Ausführlich zur Behandlung des Ehegatten in der Rspr. zur Repräsentantenhaftung Beckmann/MatuscheBeckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 55 ff.; sowie Wenzel VersR 1990 1310; Stürmer VersR 1983 310; dass die Ehegatteneigenschaft an sich noch keine Repräsentantenstellung verleiht, hat der BGH 4.5.1994 – IV ZR 2998/93, RuS 1994 284, 285, deutlich ausgesprochen. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

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Sache hat.462 Ebensowenig reicht die Stellung als weisungsgebundener Angestellter.463 Die Rspr. fordert vielmehr, dass der VN dem Dritten auch die Befugnis einräumt, „selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den VN zu handeln“.464 Hierfür ist erforderlich, dass der VN infolge der Betrauung des Repräsentanten nicht mehr Herr des Geschehens ist, sondern die Wahrnehmung des Tätigkeitsbereichs (weitgehend) vollständig dem Repräsentanten überlässt.465 Dieses zweite Kriterium liefert m.E. auch die Begründung für die weitere Voraussetzung, 98 dass die Obhutsüberlassung von Dauer sein muss.466 Kurzfristige, wenngleich vollständige Obhutsübertragungen erlauben es dem Dritten nämlich regelmäßig nicht, in entsprechendem Umfang, also insbesondere planend und organisiert für den VN selbständig zu handeln. Die wahrgenommene Aufgabe ist inhaltlich stark vordeterminiert, weil sie z.B. nur in der Bewachung von Reisegepäck während eines Besuchs des Speisewagens besteht. Die selbständige Risikoverwaltung in nicht ganz unbedeutendem Umfang ist damit ein 99 zweites, dem Begriff der Risikoverwaltung immanentes Kriterium, das über die bloß tatsächliche Obhutsübertragung hinausgeht.467 Welcher Grad an selbständigem Tätigwerden erforderlich ist, um das Kriterium zu erfüllen, hängt vom versicherten Risiko ab. Häufig wird angenommen, dass eine vollständige Obhutsübertragung bereits ausreicht, insoweit es nur um den Schutz der versicherten Sache vor Einwirkungen von außen (Diebstahl, Erdrutsch) geht.468 Das gilt nicht mehr, wenn wegen der Art des Risikos (selbstverschuldeter Unfall in der Kasko- und Kraftfahrthaftpflichtversicherung; Feuer in der Gebäudeversicherung) über die Bewachung der versicherten Sache hinaus auch Sicherheitsanforderungen zu erfüllen sind.469 Hier muss dem Dritten neben der Obhut auch die Erfüllung der Sicherheitsanforderungen als selbständig zu erfüllende Aufgabe übertragen sein.470

462 Vgl. BGH 20.5.2009 – XII ZR 94/07, VersR 2009 1123. 463 LG Wiesbaden 24.11.2017 – 8 O 88/17, RuS 2018 136. 464 BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, VersR 2012 219, 222; BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, VersR 2011 1003, 1005; BGH 20.5.2009 – XII ZR 94/07, VersR 2009 1123; OLG Naumburg 18.6.2015 – 4 U 58/14, VersR 2017 93, 95 (Langheid); BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230; BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 253; OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239; vgl. auch die frühere Rsp. BGH 25.3.1992 – IV ZR 17/91, VersR 1992 865; BGH 2.5.1990 – IV ZR 48/89, VersR 1990 736; BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 231; OLG Koblenz 13.1.2006 – 10 U 246/05, VersR 2007 787, 788; OLG Frankfurt/M. 11.8.2004 – 7 U 156/03, VersR 2005 1232; OLG Koblenz 16.10.2003 – 10 U 1117/02, VersR 2004 642; OLG Koblenz 12.3.2004 – 10 U 550/03, VersR 2004 1410, 1411; OLG Hamm 16.6.1999 – 20 U 92/98, VersR 2000 1104 f.; OLG Köln 23.6.1998 – 9 U 201/97, VersR 1999 311, 312; OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 338/94, VersR 1996 839, 840; OLG Frankfurt/M. 27.7.1994 – 17 U 259/93, VersR 1996 838; OLG Köln 21.2.1995 – 9 U 108/94, VersR 1996 94; OLG Hamm 8.3.1995 – 20 U 290/94, VersR 1996 225; OLG Hamm 2.11.1994 – 20 U 142/94, VersR 1995 1348; OLG Köln 19.3.1992 – 5 U 115/91, VersR 1992 996 f.; OLG Hamm 9.1.1991 – 20 U 325/89, VersR 1992 570, 571; OLG Karlsruhe 16.5.1991 – 12 U 25/91, VersR 1992 1391, 1392; in diesen Entscheidungen wird immer wieder ausdrücklich hervorgehoben, dass eine reine Obhutsüberlassung für sich genommen nicht ausreicht; zu dieser Rspr. Leonhardt 41 f. 465 So m.N. zur Rsp. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 125. 466 Vgl. Kampmann 105 f. 467 Das Kriterium grenzt die Repräsentation insb. von der Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 278 BGB ab; deutlich Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 124; zur selbständigen Risikoverwaltung z.B. Cyrus 90 ff. 468 Vgl. Bruck/Möller/Möller § 6 Anm. 94 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 43; Prölss/ Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 101; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 127; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 42; vgl. auch BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 253; angedeutet auch in LG Karlsruhe 27.8.1999 – 9 S 120/99, VersR 2000 967. 469 Vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 43; zur Frage auch BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1231. 470 BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1231; BGH 14.4.1971 – IV ZR 17/70, VersR 1971 538, 539; OLG Oldenburg 8.3.1995 – 2 U 240/94, VersR 1996 841; OLG Koblenz 17.9.1982 – 10 U 1250/80, VersR 1983 870. 261

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Nach der zutreffenden neueren Rspr. ist es demgegenüber keinesfalls erforderlich, dass der Dritte mit der Risikoverwaltung auch die Aufgabe der Vertragsverwaltung übernommen hat.471 In der Tat kann es für die Repräsentanz des VN im Rahmen der Erfüllung von Verhaltenspflichten nicht entscheidend sein, ob der Dritte Aufgaben beim Abschluss des Versicherungsvertrags, bei der laufenden Verwaltung des Versicherungsvertrags oder bei der Geltendmachung von Versicherungsansprüchen übernommen hat.472 Der BGH versucht allerdings der früheren Rspr., nach der Repräsentant nur sein konnte, wer für den VN selbständig rechtsgeschäftlich tätig werden und für diesen aus dem Versicherungsvertrag resultierende Rechte und Pflichten wahrnehmen konnte,473 in zweifacher Weise nach wie vor Bedeutung beizumessen: Zum einen soll dem Faktum der Übertragung der Vertragsverwaltung auch eine Indizwirkung für eine Einräumung der Risikoverwaltung zukommen.474 Zum anderen soll die reine Vertragsverwaltung ausreichen, um den Dritten zum Repräsentanten jedenfalls für Anzeige- und Auskunftsobliegenheiten zu machen.475 Im hier gegebenen Zusammenhang interessiert nur die erste Variante, während die zweite im Kontext der Wissens- und Wissenserklärungsvertretung zu besprechen ist.476 In der Literatur wird eine derartige Indizwirkung überwiegend und m.E. zutreffend abgelehnt, weil die Repräsentation kraft Risikoverwaltung und jene kraft Vertragsverwaltung zwei ganz unterschiedliche Sachverhalte betreffen.477 In diesem Sinne hat auch der BGH in einer jüngeren Entscheidung die beiden Sphären deutlich getrennt und aus einer bloßen Vertragsverwaltung nur die Zurechnung in Vertragsangelegenheiten abgeleitet.478 Die heute gebräuchliche Definition des Repräsentanten spricht vom „Geschäftsbereich, zu 101 dem das versicherte Risiko gehört“.479 Unter Geschäftsbereich ist dabei nicht nur ein kommerzieller Tätigkeitsbereich, sondern auch ein privater zu verstehen.480 Er braucht, das geht aus der

100

471 BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230; BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 253; ebenso OLG Koblenz 16.10.2003 – 10 U 1117/02, VersR 2004 642; OLG Koblenz 12.3.2004 – 10 U 550/03, VersR 2004 1410, 1411; OLG Köln 23.6.1998 – 9 U 201/97, VersR 1999 311, 312; OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 338/94, VersR 1996 839, 840; OLG Frankfurt/M. 27.7.1994 – 17 U 259/93, VersR 1996 838; anders noch OLG Hamm 9.1.1991 – 20 U 325/89, VersR 1992 570, 571; OLG Karlsruhe 16.5.1991 – 12 U 25/91, VersR 1992 1391, 1392; vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 209 f; Schirmer 26 ff. und 29 ff.; Leonhardt 42 ff. 472 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 42 sowie ders. VersR 1999 666, 671; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 104; Knappmann VersR 1997 261, 262; Schirmer 29; Johannsen DZWiR 1994 249; Kampmann VersR 1994 277, 279; Winter FS Lorenz (1994) 723, 726; Langheid/Müller-Frank NJW 1993 2652, 2653; Römer NZV 1993 249, 250; Cyrus 92 ff. 473 RG 4.10.1929 – VII 40/29, WarnRspr. 1929 Nr. 188; RG 15.3.1932 – VII 247/31, RGZ 135 370, 372. 474 BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, VersR 2012 219, 222; BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230; BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 254; ebenso OLG Koblenz 12.3.2004 – 10 U 550/03, VersR 2004 1410, 1411; OLG Koblenz 16.10.2003 – 10 U 1117/02, VersR 2004 642; noch weitergehend und daher jedenfalls unzutreffend OLG Frankfurt/M. 11.8.2004 – 7 U 156/03, VersR 2005 1232, das offenbar die Ableitung einer risikobezogenen Repräsentantenstellung auch aus der reinen Vertragsverwaltung erwägt; ebenso OLG Hamm 12.9.2001 – 20 U 186/00, VersR 2002 433, 435; OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 338/94, VersR 1996 839, 840; OLG Köln 21.2.1995 – 9 U 108/94, VersR 1996 94. 475 BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 254 (Repräsentant für die „Abwicklung“); vgl. – nicht ganz deutlich – OLG Hamm 12.9.2001 – 20 U 186/00, VersR 2002 433, 435 f.; OLG Bremen 29.7.1997 – 3 U 160/96, VersR 1998 1149. Hierzu näher unten Rn. 108. 476 Hierzu näher unten Rn. 108 ff. 477 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 104; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 45; Kampmann 92; Leonhardt 107 ff.; a.A. Knappmann NJW 1994 3147, 3148; Hübner LM § 6 VVG Nr. 83; auch Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 209 folgt insofern dem BGH. 478 BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674. 479 Vgl. nur die Wiedergabe der gängigen Definition bei BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, VersR 2012 219, 222; BGH 18.5.2011 – IV ZR 168/09, VersR 2011 1003, 1005. 480 Vgl. Schirmer 20; ihm folgend Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 37; auch Leonhardt 36. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

neueren Rspr.481 im Gegensatz zur Praxis des RG482 klar hervor, nicht so weit gespannt zu sein, dass der VN die Risikoverwaltung nicht mehr allein besorgen kann oder will, also ein objektives Bedürfnis nach Repräsentanz gegeben ist.483 Er darf jedoch, auch das geht aus dem Begriff des Geschäftsbereichs, zu dem das Risiko zählt, hervor, auch nicht zu eng gefasst werden. So hebt das OLG Celle hervor, ein Baustellenleiter sei wohl als Repräsentant des Bauunternehmens anzusehen, nicht aber der Schachtmeister.484 Daraus allein folgt, dass der Repräsentantenbegriff entgegen einiger Stimmen in der Literatur485 nicht für einzelne Obliegenheiten je unterschiedlich verstanden werden kann.486 Würde man diesen Weg einschlagen, würde sich die Repräsentantenhaftung ganz weitgehend der Erfüllungsgehilfenhaftung annähern. Denn auch der Erfüllungsgehilfe tritt hinsichtlich der von ihm übernommenen Verpflichtung an die Stelle des Schuldners. Ein obliegenheitsbezogener Repräsentantenbegriff würde also eine Rechtsrückbildung darstellen und die erfolgte Rechtsfortbildung weitgehend obsolet machen. Überdies lässt die Definition wohl keine andere Interpretation zu, als dass die Überlassung 102 der Obhut hinsichtlich eines Einzelrisikos, das einen Teil eines weiteren Geschäftsbereichs bildet, alleine nicht für die Repräsentanteneigenschaft ausreicht. Ist etwa in einer Fabrikshalle für eine spezielle Maschine einem Mitarbeiter die Risikoverwaltung überlassen, so ist er kein Repräsentant des VN, wenn die Risikoverwaltung hinsichtlich der Maschine nur einen Teil der Risikoverwaltung hinsichtlich der gesamten Fabrikshalle ausmacht. Insofern unterscheidet sich dieser Fall von der Risikoverwaltung völlig selbständiger Risiken, wie etwa eines Kfz. Die vorstehenden Ausführungen gehen bereits davon aus, dass der Repräsentant die Risiko- 103 verwaltung mit Wissen und Willen des VN wahrnimmt.487 Dieses Erfordernis ist im Rahmen der Definition nicht zuletzt durch das Kriterium des „Vertretungs- oder eines ähnlichen Verhältnisses“488 angelegt. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Ehefrau während einer Zeit der Bewusstlosigkeit ihres Ehemannes für diesen handelt.489 Eigenmächtiges Handeln Dritter kann daher grundsätzlich keine Repräsentantenhaftung auslösen.490 Eigenmächtiges Handeln liegt indessen nicht vor, wenn der Repräsentant seine Position mit Billigung durch den VN an eine andere Person weitergibt.491 Zuletzt kann eine Repräsentantenstellung bei Kenntnis des VN vom eigenmächtigen Verhalten des Dritten auch durch Duldung entstehen.492 Das Verhalten eines

481 BGH 13.6.1957 – II ZR 35/57, BGHZ 24 378, 385 f.; vgl. Leonhardt 37. 482 RG 15.10.1935 – VII 78/35, RGZ 149 69, 72. 483 Kritisch gegenüber diesem Erfordernis schon Möller 72 ff.; vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 37. 484 OLG Celle 18.3.1999 – 8 U 48/98, VersR 2001 453, 454. 485 Bach VersR 1990 235; Langheid NJW 1991 268, 269; Kampmann VersR 1994 277, 278; Pauly MDR 1995 874, 875; ders. ZfS 1996 281; Schirmer 38; Leonhardt 100 ff. 486 Siehe auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 48 f., der vor einer Entwertung des Versicherungsschutzes warnt; ders. VersR 1999 666, 672 f.; Römer NVersZ 1993 249, 254. 487 Hierzu z.B. Kampmann 106 f. 488 Das freilich kein rechtsgeschäftliches Vertretungsverhältnis zu sein braucht; BGH 1.10.1969 – IV ZR 632/68, VersR 1969 1086, 1087; vgl. Cyrus 86 ff.; kritisch gegenüber der Formulierung daher Leonhardt 37. 489 BGH 10.2.1982 – IV a ZR 194/80, VersR 1982 463, 465, wobei der BGH verstärkend hinzufügt, die Eheleute hätten im Zeitpunkt des Handelns in Scheidung gelebt; vgl. – für die Wissenserklärungsvertretung – BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, VersR 1993 960, 961, wo keine Einschränkung auf Ehegatten, die in Scheidung leben, vorgenommen wird. 490 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 50 m.w.N.; LG Münster 10.6.1987 – 2 O 176/87, VersR 1988 732, 733. 491 OLG Hamm 12.12.1986 – 20 U 299/85, VersR 1988 509, 510; OLG Hamm 18.11.1988 – 20 U 35/88, VersR 1989 1083; vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 50; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 135 ff.; Langheid NJW 1990 221, 223; Kampmann 106. 492 Knappmann VersR 1997 261, 264; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 50; Langheid/Wandt/ Wandt2 § 28 Rn. 122. 263

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Anscheins-Repräsentanten wird dagegen nicht zugerechnet, vielmehr bleibt der VN zur Oliegenheitserfüllung persönlich verpflichtet.493

104 e) Zurechenbares Verhalten. Dem VN kann nur jenes Verhalten des Repräsentanten zugerechnet werden, welches in einem inneren Zusammenhang mit der Risikoverwaltung steht.494 Im Bereich der Obliegenheiten schafft dieses Kriterium m.E. kaum Probleme, weil Verstöße gegen vertraglich vereinbarte Obliegenheiten das Kriterium selbstverständlich erfüllen.495 Es braucht daher hier nicht auf die in der Literatur aufgeworfene Frage eingegangen werden, ob dem VN nur solche Handlungen zurechenbar sind, die der Dritte innerhalb seiner Repräsentantenstellung gesetzt hat.496 Diese Debatte ist im Rahmen des § 81 (Herbeiführung des Versicherungsfalls) in zweifacher Weise von Bedeutung. Einmal geht es um die Frage der Zurechnung sonstigen Verhaltens, welches in gleicher Weise auch von anderen Personen an den Tag gelegt werden kann. Als Beispiel dient das Wegwerfen von Zigarettenresten in einen Plastikmüllsack, also ein Verhalten, das nicht zum spezifischen Aufgabenkreis des Repräsentanten gehört.497 Zum anderen geht es um Situationen, in denen der Repräsentant die versicherte Sache zerstört und damit den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat, um den VN zu schädigen.498

105 f) Unabdingbarkeit. Eine Erweiterung der Zurechnung durch Vereinbarung wird häufig wegen des halbzwingenden Charakters des § 28, der sich auch auf die im Wege der Rechtsfortbildung entwickelte Repräsentantenhaftung erstrecke, als unzulässig angesehen.499 Der BGH hat eine erweiterte Zurechnung an einer Inhaltskontrolle scheitern lassen.500 Wer die Rechtfertigung der Repräsentantenhaftung in einer (direkten oder analogen) Anwendung des § 278 BGB sucht, hat demgegenüber von einer grundsätzlichen Disponibilität auszugehen.501 Das sagt jedoch noch nichts aus: Denn von allen Befürwortern dieses Ansatzes wird vertreten, dass die Zurechnung nach § 278 BGB anhand des Zwecks des Versicherungsvertrags einzuschränken ist. Soweit man nicht diese Einschränkung selbst für halbzwingend ansieht, fällt jedenfalls eine zu weitgehende Ausdehnung der Haftung – auch im Bereich der Vertragsfreiheit (insb. § 210) – einer Inhaltskontrolle zum Opfer.502 493 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 123. 494 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 51; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 133 f.; das wird vom BGH weit verstanden, vgl. BGH 10.7.1996 – IV ZR 287/95, VersR 1996 1229, 1230. 495 Wohl ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 129 (unabhängig von der Willensrichtung des Repräsentanten und vom Willen bzw. den Interessen des VN) sowie Rn. 131 (Zurechnung auch von Vorsatz und Arglist und zwar sogar dann, wenn der Repräsentant in der Absicht handelt, den VN zu schädigen). 496 Ebenso für Tunsobliegenheiten, jedoch tlw. abweichend für Unterlassensobliegenheiten Leonhardt 123 ff. 497 Vgl. insofern OLG Hamm 27.6.1986 – 20 U 171/85, VersR 1988 26 (offenlassend; hierzu die Revisionsentscheidung des BGH 23.3.1988 – IVa ZR 234/86, VersR 1988 506); weiter OLG Hamm 28.3.1990 – 20 U 146/89, VersR 1990 1230, 1231. 498 Vgl. Looschelders VersR 1999 666; Leonhardt 127 f. 499 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 85 m.w.H.; Schirmer 43; Winter FS E. Lorenz (1994) 723, 729 ff.; offenlassend BGH 2.5.1990 – IV ZR 48/89, VersR 1990 736, 736. 500 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, VersR 2019 1284, 1287 f. m.w.N.; vgl. OLG München 8.8.2008 – 25 U 5188/07, VersR 2009 59, 61. 501 So Leonhardt 171 f. m.w.N. 502 OLG München 8.8.2008 – 25 U 5188/07, VersR 2009 59, 61; vgl. (zur Inhaltskontrolle bei § 81 VVG und bei Versicherungen, bei denen die Beschränkungen der Vertragsfreiheit gemäss § 210 VVG nicht gelten) Beckmann/ Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 85 und 86; Schirmer RuS 1990 253, 255; Winter FS E. Lorenz (1994) 723, 732 ff.; BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 831; OLG Köln 23.6.1998 – 9 U 201/97, VersR 1999 311, 312; OLG Hamm 6.9.1989 – 20 U 130/89, VersR 1990 420; zur Inhaltskontrolle ausführlich Leonhardt 179 ff.; Mordfeld 115 ff. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

g) Beispiele.503 Die Rspr. hat die Repräsentanteneigenschaft in folgenden Fällen bejaht:504 106 Feuerversicherung: Ehemann, der das Ladenlokal der VN selbständig führt und auch in Versicherungssachen für sie handelt;505 Vater, der trotz Übergabe des Betriebs an seinen Sohn faktischer Betriebsinhaber bleibt;506 Bauleiter eines Bauunternehmens.507 Haftpflichtversicherung: Baustellenleiter.508 Kfz-Haftpflichtversicherung: beauftragter Fahrer, dem die Sorge für das Kfz und seine Verkehrssicherheit vollständig überantwortet ist;509 Betriebsleiter, der übermüdeten Fahrer einsetzt;510 Dritter, dem der Eigentümer das KFZ zur alleinigen Benutzung für 6 Monate überlässt.511 Kfz-Kaskoversicherung:512 Fahrer, der das Kfz eigenverantwortlich und alleinig nutzt;513 auch Prokurist, der die Obhut und laufende Betreuung (inkl. Gefahrstandspflicht) über einen ihm überlassenen Firmenwagen ausübt;514 Handelsvertreter, der Kfz nicht nur besitzt, sondern auch ständig für Unterhalt und Verkehrssicherheit sorgt;515 Bruder des VN, dem als Eigentümer und Halter des Kfz dessen Betreuung in vollem Umfang obliegt;516 Bruder des VN, der das Fahrzeug ausschliesslich nutzt und dafür sorgt;517 Ehemann der VN, der Leasingnehmer, Besitzer und Halter des Kfz ist und alle Kosten trägt;518 Lebensgefährte, der „wirtschaftlicher Eigentümer“ des Kfz ist, daher volle Verfügungsmacht und Verantwortlichkeit besitzt;519 Schwager der VN beim gemeinsamen Kauf eines Gebrauchtwagens, wobei das Kfz beim Schwager verbleibt, dieser dafür aber Besorgungsfahrten für die VN erledigt.520 Leitungswasserversicherung: Immobilienmakler, der in ständigem Besitz der Hausschlüssel ist und Aufgaben der Hausverwaltung wahrnimmt;521 Angehöriger einer in einem Pflegeheim untergebrachten Person, der eine Vorsorgevollmacht besitzt und beauftragt ist, im Anwesen der pflegebedürftigen Person nach dem Rechten zu sehen.522 503 Die nachfolgenden Beispiele umfassen auch Fälle des § 81; mit Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 142 ist außerdem zu beachten, dass Entscheidungen, die vor dem Leiturteil des BGH vom 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250 ergangen sind, auf Aktualität zu prüfen sind. 504 Falltypenbildung bei Lehmann RuS 2019 361, 365 ff. 505 OLG Koblenz 16.10.2003 – 10 U 1117/02, VersR 2004 642. 506 OLG Köln 21.2.1995 – 9 U 108/94, VersR 1996 94; vgl. auch BGH 19.6.1991 – IV ZR 169/90, NJW-RR 1991 1307, 1308. 507 BayOLG 20.10.1975 – 2 Z 67/74, VersR 1976 33 (Martin). 508 OLG Celle 18.3.1999 – 8 U 48/98, VersR 2001 453, 454; OLG Hamm 16.6.1999 – 20 U 92/98, VersR 2000 1104 f. 509 OLG Koblenz 17.9.1982 – 10 U 1250/80, VersR 1983 870; das gilt aber nicht für Obliegenheiten, die unmittelbar mit dem Lenken des Kfz zusammenhängen; hierzu unten Rn. 97. 510 OLG Hamm 9.6.1976 – 20 U 284/75, VersR 1978 221, 222; vgl. schon BGH 15.11.1965 – IV ZR 73/63, VersR 1966 131, 132. 511 OLG Hamm 19.3.2001 – 13 U 164/00, VersR 2002 700; vgl. OLG Celle 26.7.1990 – 8 U 1001/90, NZV 1991 269 (letztlich bleibt aber unklar, ob die Zurechnung wegen einer Repräsentantenstellung erfolgte). 512 Zur Kaskoversicherung speziell Hering SVR 2012 201. 513 OLG Köln 30.5.2000 – 9 U 130/99, VersR 2000 1140, 1141; vgl. OLG Oldenburg 21.6.1995 – 2 U 105/95, VersR 1996 746. 514 OLG Köln 19.9.1995 – 9 U 338/94, VersR 1996 839, 840. 515 OLG Frankfurt/M. 27.7.1994 – 17 U 259/93, VersR 1996 838; vgl. OLG Hamm 26.10.1994 – 20 U 48/94, VersR 1995 1086; OLG Koblenz 22.12.2000 – 10 U 508/00, VersR 2001 1507. 516 OLG Oldenburg 22.6.1994 – 2 U 124/93, VersR 1996 840, 841. 517 OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239. 518 OLG Hamm 8.3.1995 – 20 U 290/94, VersR 1996 225. 519 OLG Karlsruhe 16.5.1991 – 12 U 25/91, VersR 1992 1391, 1392 – in casu sah das Gericht diese Umstände nicht als erwiesen an; berechtigte Bedenken gegen die Figur des „wirtschaftlichen Eigentümers“ bei OLG Hamm 29.10.1986 – 20 U 134/86, VersR 1988 240, 241; anders, wenn Lebensgefährtin nur Mitobhut besitzt (hier: Hausratversicherung): BGH 16.6.1993 – IV ZR 145/92, VersR 1994 45. 520 OLG Bamberg 4.10.2004 – 1 U 96/04, RuS 2005 459, 460. 521 OLG Braunschweig 13.7.1971 – 1 U 21/71, VersR 1971 812; vgl. für einen in ähnlicher Rolle agierenden Ingenieur OLG Celle 25.4.1986 – 8 U 25/85, RuS 1986 214. 522 OLG Saarbrücken 13.1.2010 – 5 U 127/09-33, VersR 2012 900. 265

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Rechtsschutzversicherung: Rechtsanwalt, soweit seine Handlungen für den VN über den Aufgabenbereich von Wissens(erklärungs)vertretern hinausgehen.523 Reisegepäckversicherung: allein reisender Ehegatte des VN, der sein Gepäck unbeaufsichtigt lässt.524 Transportversicherung: Kapitän in der Seekaskoversicherung ist Repräsentant des Reeders (VN), sodass auch nautisches Verschulden zugerechnet wird;525 Ehemann, der im Rahmen eines Familienbetriebs nicht nur das Transportfahrzeug lenkt, sondern überhaupt für die „technischen und kaufmännischen Geschicke“ des Betriebs zuständig ist.526 Valorenversicherung: Ehefrau, die den Schmuck des VN allein trägt und auch alleine entscheidet, wann sie welchen Schmuck trägt.527 Wohngebäudeversicherung: Hausverwalterin eines im Ausland lebenden VN, die alle Aufgaben rund um das Haus für den VN wahrgenommen hat;528 Bruder eines überwiegend in Griechenland lebenden VN, der eine notarielle Generalvollmacht hat und im Auftrag des VN die Angelegenheiten des Hausgrundstücks und Versicherungsangelegenheiten regelt.529 Die Rspr. hat die Repräsentanteneigenschaft in folgenden Fällen verneint: 107 Bauleistungsversicherung: Polier eines Bauunternehmens.530 Feuerversicherung: Mieter und Pächter allgemein;531 Mieter, dessen sich der VN immer wieder zur Erledigung von Angelegenheiten bedient, weil es sich um den Bruder handelt und der VN nicht am Ort anwesend ist;532 Mieter, den die Pflicht trifft, für eine ausreichende Feuerversicherung Sorge zu tragen, und dem ein Vorkaufsrecht eingeräumt wurde;533 Mieter/Pächter, auch wenn ihm Instandhaltungs- und Verkehrssicherungspflichten auferlegt sind;534 noch weniger, wenn nur Schönheitsreparaturen überwälzt wurden;535 Kellnerin;536 Person, die eine Gaststätte an bestimmten Tagen, aber nicht dauernd für den VN führt;537 Ehemann, der in der Gaststätte der VN nur ein normaler Angestellter ist;538 Ehemann, der nur Mitobhut hat.539 523 OLG Hamm 13.5.1983 – 20 W 90/82, VersR 1984 31, 32; OLG Nürnberg 26.11.1981 – 8 U 1354/81, VersR 1982 695; siehe auch unten Rn. 123 und Rn. 130. 524 OLG Düsseldorf 27.9.1994 – 4 U 166/93, VersR 1996 749, 751; dabei wird zutreffend zwischen eigenen Gegenständen des Ehegatten, hinsichtlich derer er Mitversicherter ist, und Gegenständen der VN, hinsichtlich derer er Repräsentant ist, unterschieden. 525 BGH 7.2.1983 – II ZR 20/82, VersR 1983 479; OLG Hamburg 11.6.1987 – 6 U 147/86, VersR 1987 1004, 1006; LG Hamburg 10.7.2003 – 409 O 119/02, VersR 2003 1438, 1439; ablehnend Looks VersR 2003 1509, 1511 f. m.w.N.; anders auch OLG Köln 30.4.2002 – 9 U 94/01, VersR 2003 1252 (Roos) für die WassersportkaskoV; sowie BGH 28.4.1980 – II ZR 241/ 78, VersR 1980 964, 965 und OLG Hamburg 18.8.1983 – 6 U 25/82, VersR 1983 1151, 1152 für die Gütertransportversicherung; OLG Karlsruhe 2.6.1981 – U 15/80 Sch, VersR 1983 74, 75 für eine Transport- und Haftpflichtversicherung. 526 LG Berlin 27.6.1989 – 7 O 61/81, VersR 1990 1006, 1007. 527 OLG Köln 23.6.1998 – 9 U 201/97, VersR 1999 311, 312; vgl. auch OLG Hamburg 24.1.1979 – 9 U 113/77, VersR 1979 736. 528 OLG Hamburg 8.4.2004 – 9 U 10/04, VersR 2005 221, 222; vgl. OLG Köln 23.1.2001 – 9 U 114/00, NVersZ 2001 329 (Vertragsverwaltung). 529 OLG Köln 26.7.2005 – 9 U 100/04, RuS 2006 114. 530 OLG Hamm 16.6.1999 – 20 U 92/98, VersR 2000 1104 f. 531 BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 234 f. mit allen Hinweisen zur früher teils abweichenden Rspr. 532 OLG Hamm 12.9.2001 – 20 U 186/00, VersR 2002 433, 434. 533 OLG Köln 6.12.1990 – 5 U 136/89, VersR 1991 533, 534. 534 BGH 26.4.1989 – IVa ZR 242/87, BGHZ 107 229, 234 f. 535 BGH 7.6.1989 – IV a ZR 94/88, VersR 1989 909, 910, wobei in casu nicht die Mieterin, sondern deren Liebhaber gehandelt hat. 536 BGH 10.5.2000 – IV ZR 297/98, VersR 2000 846, 847. 537 OLG Köln 14.9.1989 – 5 U 45/89, VersR 1990 1270. 538 OLG Hamm 28.3.1990 – 20 U 146/89, VersR 1990 1230, 1231. 539 BGH 8.2.1965 – II ZR 171/62, VersR 1965 425, 429; anders – für die HausratV – OLG München 17.1.1986 – 8 U 3884/85, VersR 1986 585, das darauf abstellt, der Ehefrau hätte während der Abwesenheit des VN die Obhut über die Wohnungseinrichtung oblegen. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

Haftpflichtversicherung: Arbeiter des VN, die bei Drittem einen Boden verlegen;540 Schachtmeister eines Bauunternehmens;541 Verwalter und Betriebsleiter der Abfüll- und Kennzeichnungsanlage eines Mineralöllagers, der wegen Kontrollmechanismen des VN kaum eigenen Handlungsspielraum hat;542 Rechtsanwalt, der vom VN mit der Prozessführung, nicht aber mit versicherungsvertraglichen Agenden betraut wurde und Anspruch des Geschädigten anerkennt.543 Hausratversicherung: Ehegatte, der bloße Mitobhut über Sachen des VN hat,544 auch wenn ihm Sicherungsmaßnahmen zur Schadensverhütung überlassen sind;545 Person, die mit VN (zeitweise) in häuslicher Gemeinschaft wohnt;546 Familienangehöriger, der nicht in der Wohnung wohnt, aber bei Abwesenheit des VN gelegentlich die Wohnung kontrolliert.547 Kfz-Haftpflichtversicherung: Fahrer,548 auch wenn er die Eigenschaften des Repräsentanten erfüllt, soweit es um das Lenken und damit zusammenhängende Obliegenheiten geht;549 bei anderen Obliegenheiten: angestellter Fahrer, der nur unselbständig und ohne eigenen Verantwortungsbereich handelt;550 Ehefrau des VN, die das Kfz zu 60 % nutzt und die Anschaffungs- und laufenden Kosten gemeinsam mit dem VN trägt.551 Kfz-Kaskoversicherung: Fahrer eines fremden Kfz;552 Ehepartner des VN, der das Kfz zwar privat nutzt, jedoch nicht für die Betriebs- und Verkehrssicherheit sorgt;553 Ehepartner, der Mitobhut infolge der ehelichen Lebensgemeinschaft hat,554 auch nicht während Ehegatte (VN) im Krankenhaus liegt;555 „wirtschaftliche Mitinhaberschaft“ des Kfz durch den Ehegatten reicht nicht;556 (getrennt lebender) Ehemann, der das KFZ der VN nur gelegentlich nach vorheriger Bitte um Überlassung der Schlüssel nutzen darf;557 Tochter des VN, die im Versicherungsantrag

540 OLG Koblenz 13.1.2006 – 10 U 246/05, VersR 2007 787, 788. 541 OLG Celle 18.3.1999 – 8 U 48/98, VersR 2001 453, 454, wohl aber ein Baustellenleiter. 542 BGH 25.3.1992 – IV ZR 17/91, VersR 1992 865, 866; vgl. demgegenüber noch LG Braunschweig 20.10.1982 – 1 O 42/82, VersR 1983 453. 543 KG Berlin 22.2.2008 – 6 U 133/07, VersR 2008 914, 915. 544 OLG Braunschweig 8.5.1985 – 3 U 210/84, VersR 1986 330; anders wohl OLG München 17.1.1986 – 8 U 3884/ 85, VersR 1986 585. 545 LG Berlin 11.12.1980 – 7 O 343/79, VersR 1982 83, 84; OLG Nürnberg 26.11.1981 – 8 U 1354/81, VersR 1982 695; a.A. OLG Karlsruhe 20.11.1997 – 12 U 211/97, RuS 1998 162, 163. 546 OLG Hamm 9.1.1991 – 20 U 325/89, VersR 1992 570, 571. 547 LG Karlsruhe 30.11.1984 – 2 O 111/84, VersR 1985 380. 548 Der bloße Fahrer ist ohnehin nicht Repräsentant; vgl. schon BGH 20.5.1969 – IV ZR 618/68, VersR 1969 695; BGH 20.5.2009 – XII ZR 94/07, VersR 2009 1123 (Fahrer, Untermieter und dgl.); OLG Hamm 16.8.2019 – 9 U 164/18, VersR 2020 564; OLG Düsseldorf 27.2.2007 – I-24 U 93/06, VersR 2007 982. 549 OLG Köln 30.5.2000 – 9 U 130/99, VersR 2000 1140; OLG Nürnberg 14.9.2000 – 8 U 1855/00, RuS 2001 100; OLG Oldenburg 21.6.1995 – 2 U 105/95, VersR 1996 746; anders LG Karlsruhe 27.8.1999 – 9 S 120/99, VersR 2000 967; zur Beschränkung dieser Ausnahme von der Repräsentantenhaftung auf das Lenken und damit zusammenhängende Obliegenheiten (Stichwort: „Unfallflucht“) vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 77. 550 BGH 14.4.1971 – IV ZR 17/70, VersR 1971 538, 539. 551 LG Paderborn 9.5.2007 – 4 O 651/06, RuS 2008 65, 66. 552 OLG Bremen 2.10.2007 – 3 U 27/07, VersR 2007 1692, 1693. 553 OLG Frankfurt/M. 11.8.2004 – 7 U 156/03, VersR 2005 1232; deutlich OLG Hamm 21.9.1994 – 20 U 124/94, VersR 1995 1086; vgl. LG Münster 10.6.1987 – 2 O 176/87, VersR 1988 732, 733; OLG Stuttgart 1.12.1975 – 2 U 60/75, VersR 1977 173. 554 OLG Karlsruhe 21.6.1990 – 12 U 56/90, VersR 1991 1048; OLG Hamm 29.10.1986 – 20 U 134/86, VersR 1988 240, 241. 555 OLG Köln 29.3.1990 – 5 U 161/89, VersR 1990 1226, 1227; gleichlautend zur Stellung des Ehegatten während einer Auslandsreise des VN RG 28.6.1927 – VI 82/27, RGZ 117 327, 329. 556 OLG Hamm 21.9.1994 – 20 U 124/94, VersR 1995 1086. 557 OLG Köln 18.11.1997 – 9 U 63/97, VersR 1998 1541. 267

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

als Halterin bezeichnet wird und das Kfz ausschließlich nutzt;558 Sohn, dem Benutzung des Kfz überlassen wurde.559 Leitungswasserversicherung: Wohnungsmieter in einem Mehrfamilienhaus.560 Rechtsschutzversicherung: Rechtsanwalt, der mit einer einzelnen Rechtsverfolgung, nicht aber mit der Vertragsverwaltung beauftragt ist (um Risikoverwaltung geht es in der Rechtsschutzversicherung ohnehin weniger).561 Transportversicherung: Schiffsführer/Kapitän in der Gütertransportversicherung;562 Transportunternehmen, das im Rahmen eines vom Spediteur geschlossenen Versicherungsvertrags mitversichert ist;563 Kraftfahrer, dem nur die Obhut am versicherten Gut überlassen wurde;564 Ehemann der VN, der mit der VN das Transportunternehmen in der Weise führt, dass die VN die Buchhaltung macht, während der Ehemann die Transporte durchführt und auch direkt von Kunden Aufträge entgegennimmt.565 Verkehrshaftungsversicherung: Fahrer, der nach den organisatorischen Anweisungen des ihn beschäftigenden Transportunternehmers (VN) handelt.566 Vermögensschadenhaftpflichtversicherung: weisungsbedundener Angestellter des VN.567 Wassersportkaskoversicherung: Freund des Bootseigentümers, der für eine Überstellungsfahrt als Skipper aushilft.568

6. Wissenserklärungsvertretung 108 a) Haftung für Repräsentanten kraft Vertragsverwaltung. Häufig betrifft die Frage der Zurechnung kein tatsächliches Verhalten, sondern eine pflichtwidrig unterlassene oder falsche Wissenserklärung. Hierher zählen insbesondere Anzeigen und Aufklärungen, die dem VR geschuldet sind.569 Auch für diese Fälle hat der BGH eine Repräsentantenhaftung anerkannt, wenn der VN einem Dritten die Vertragsverwaltung übertragen hat.570 Folgt man dem, so gelten die Grundsätze der Repräsentantenhaftung, wobei an die Stelle der Risikoverwaltung jene der Vertragsverwaltung tritt.571 Überträgt also der VN die Vertragsverwaltung einem Dritten, so haftet er für dessen Anzeige- und Aufklärungspflichtverletzungen. Unter Vertragsverwaltung 558 OLG Koblenz 4.2.2005 – 10 U 1561/03, VersR 2005 1577; ähnlich OLG Hamm 2.11.1994 – 20 U 142/94, VersR 1995 1348; OLG Hamm 25.10.1989 – 20 U 141/89, VersR 1990 516, 517. 559 OLG Köln 19.3.1992 – 5 U 115/91, VersR 1992 996 f. 560 OLG Hamburg 9.11.1988 – 13 U 14/88, VersR 1990 264, 265. 561 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, VersR 2019 1284, 1287 m.w.N.; OLG München 30.6.2017 – 25 U 4236/16, VersR 2017 1516, 1517; OLG Saarbrücken 2.9.2020 – 5 U 94/19, VersR 2020 1372; OLG Koblenz 26.2.1999 – 10 U 178/98, VersR 2000 315, 316; a.A. LG Karlsruhe 12.11.2010 – 9 S 612/09, VersR 2011 1044, 1045; s. unten Rn. 123 und Rn. 130. 562 BGH 28.4.1980 – II ZR 241/78, VersR 1980 964, 965; OLG Hamburg 18.8.1983 – 6 U 25/82, VersR 1983 1151, 1152; OLG Karlsruhe 2.6.1981 – U 15/80 Sch, VersR 1983 74, 75 (Haftpflicht aus Güterbeförderung); anders für die SeekaskoV BGH 7.2.1983 – II ZR 20/82, VersR 1983 479; OLG Hamburg 11.6.1987 – 6 U 147/86, VersR 1987 1004, 1006; LG Hamburg 10.7.2003 – 409 O 119/02, VersR 2003 1438, 1439; hierzu ablehnend Looks VersR 2003 1509, 1511 f. m.w.N. 563 BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003 445, 446. 564 BGH 24.2.1986 – II ZR 172/85, VersR 1986 696, 697. 565 OLG Köln 17.3.1998 – 9 U 187/97, VersR 1999 618. 566 OLG Frankfurt/M. 8.12.2004 – 7 U 130/04, VersR 2006 115. 567 LG Wiesbaden 24.11.2017 – 8 O 88/17, RuS 2018 136. 568 OLG Köln 30.4.2002 – 9 U 94/01, VersR 2003 1252 (Roos). 569 Teilweise hängen Anzeige- und Aufklärungspflichten so eng mit dem versicherten Risiko zusammen, dass sie dem Bereich der Risikoverwaltung und damit der Repräsentantenhaftung unterstehen; hierher zählen m.E. nicht nur die unmittelbar am Unfallort zu erfüllenden Aufklärungspflichten (hierzu oben Rn. 94). 570 BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 254 (Repräsentant für die „Abwicklung“); BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674. 571 Vgl. Schirmer 30; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 105. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

versteht der BGH die vom VN übertragene Aufgabe der „eigenverantwortlichen Verwaltung des Versicherungsvertrages“, und zwar „selbständig und in nicht unbedeutendem Umfang“.572 Liegen diese Voraussetzungen vor, so muss sich der VN ein Fehlverhalten (nur) in Vertragsangelegenheiten zurechnen lassen.573 Hierher zählt der BGH jedenfalls in einem obiter dictum „Mitteilungen zur Begrenzung des subjektiven Risikos (§§ 1 VGB 62, 9 Abs. 1 AFB 1987), die Anzeige von Gefahrerhöhungen … und Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls nach § 6 Abs. 3 VersVG“. Diese recht pauschale Unterstellung der Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall widerspricht der m.E. zutreffenden Ansicht von Looschelders, wonach jedenfalls bestimmte Aufklärungsobliegenheiten mit dem Versicherungsfall so eng zusammenhängen, dass diese der Repräsentant kraft Risikoverwaltung zu erfüllen hat,574 trifft aber wohl das Wesentliche, weil Anzeige- und Auskunftsobliegenheiten gemeint sind, die der Abwicklung des Versicherungsfalles dienen.

b) Kritik der Repräsentantenhaftung kraft Vertragsverwaltung. Die Legitimität dieser 109 Rechtsfortbildung ist zu bestreiten,575 weil nach insoweit wohl einhelliger Meinung auf die Frage der Zurechnung von Wissenserklärungen die allgemeinen zivilrechtlichen Institute576 Anwendung finden können.577 Ein Konflikt dieser Institute mit Sinn und Zweck des Versicherungsvertrages wird hier, anders als bei der Frage der Anwendung des § 278 BGB auf Obliegenheiten im Rahmen der Risikoverwaltung, nicht angenommen. In der Tat kann schwer behauptet werden, die Teleologie des Versicherungsvertrages erfordere das Bestehenbleiben von Versicherungsschutz zugunsten des VN auch bei Verletzung von Anzeige- bzw. Aufklärungsobliegenheiten durch einen Dritten, dem der VN ihre Erfüllung übertragen hat. Es fehlt somit an einem Bedürfnis, die allgemeinen Zurechnungstatbestände auf eine Repräsentantenhaftung für Wissenserklärungen einzugrenzen. Wenn überhaupt bedient die Repräsentanz durch Vertragsverwaltung ein gegenteiliges Bedürfnis nach einer Zurechnung von Unterlassungen des Dritten, also bspw. einer unterlassenen Anzeige. Ein Bedarf wird hier gesehen, weil das Instrument der Wissenserklärungsvertretung bei Untätigkeit des Repräsentanten nicht greifen soll.578 M.E. lassen sich diese Fälle aber auch nach den Regeln der Wissenserklärungsvertretung bzw. durch einen (restriktiven) Rückgriff auf § 278 BGB lösen.579

c) Tradierte Rspr. zur Wissenserklärungsvertretung. Anders als die neuere Rspr. zur Re- 110 präsentanz kraft Vertragsverwaltung lautet die tradierte Rspr. über die Wissenserklärungsvertretung. Diese wird gängig auf eine Analogie zu § 166 Abs. 1 BGB, mindestens aber die Anwendung seines Rechtsgedankens gestützt.580 § 166 BGB, der nur bestimmt, wessen Kenntnis oder Kennenmüssen im Rahmen eines Vertretungsgeschäfts relevant ist, passt indessen von vornherein nicht auf Wissenserklärungen. Die zur Analogie taugliche Vorschrift ist hier wie auch im

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BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674. BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 51. Vgl. C. Bruns 128, die für eine Repräsentation kraft Vertragsverwaltung neben der Wissenserklärungsvertretung keinen praktischen Anwendungsbereich mehr erkennt. 576 Dabei wird freilich gestritten, welche Institute im Einzelnen heranzuziehen sind; hierzu unten Rn. 110 ff. 577 Vgl. Schirmer 30 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 89 f.; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 153 ff. 578 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 105. 579 Vgl. C. Bruns 128; die genaue Lösung hängt dann davon ab, wie man das Verhältnis der beiden zueinander sieht; hierzu unten Rn. 117. 580 BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, VersR 1993 960 f.; vgl. OLG Karlsruhe 15.4.2014 – 12 U 149/13, VersR 2015 62, 66 (Geschäftsführer); OLG Saarbrücken 6.11.2013 – 5 U 372/12, RuS 2014 448; OLG Köln 23.9.2003 – 9 U 174/02, VersR 269

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

allgemeinen Zivilrecht581 § 164 BGB, der ganz allgemein auf Wissenserklärungen,582 und zwar auch auf geschuldete Anzeigen,583 entsprechend angewandt wird.584 111 Voraussetzung ist somit zunächst, dass der Vertreter eine eigene Wissenserklärung abgibt.585 Er braucht dabei aber nicht notwendig eigenes Wissen mitzuteilen, vielmehr kann er seine Erklärung auch auf fremdes Wissen aufbauen.586 Übermittelt der Dritte demgegenüber nur eine Erklärung des VN, so ist er Bote, eine Zurechnung seines Verhaltens nach § 164 BGB scheidet somit aus.587 Für die Stellung als Erklärungsvertreter reicht es nicht aus, wenn der Dritte die Erklärung des VN nur intern vorbereitet, das vom VN blanko unterschriebene Formular ausfüllt oder der VN das vom Dritten ausgefüllte Formular ungelesen unterschreibt („Erklärungsgehilfen“).588 In all diesen Fällen inkorporiert der VN die Erklärungsvorbereitung des Dritten in seine eigene Wissenserklärung, sodass es einer Zurechnung ihres Inhalts von vornherein nicht bedarf.589 Der VN hat für eigenes Verschulden einzustehen,590 wobei ein unkontrolliertes Unterschreiben des Formulars ein solches Eigenverschulden u.U. begründen kann.591 Die Rspr. lehnt es aber ab, den VN auch für ein Verschulden des Erklärungsgehilfen einstehen zu lassen.592 112 Eine eigene Erklärung gibt der VN auch ab, wenn er sich mangels eigenen Wissens einer Auskunftsperson bedient.593 Die Auskunftsperson ist weder Willenserklärungsvertreterin noch Erfüllungsgehilfin. 113 Der Dritte muss die Erklärung im Namen des VN und nicht im eigenen Namen abgegeben haben.594 Wer nur als Zeuge die Aussagen des VN bestätigt, erklärt sich im eigenen Namen.595 Dasselbe gilt für einen Arzt, der dem VR über den Gesundheitszustand des VN Auskünfte gibt. Dies gilt jedenfalls, wenn der Arzt vom VR zur Auskunftserteilung beauftragt war.596 M.E. gilt dies auch noch bei Beauftragung durch den VN. Allenfalls kann der VN für Eigenverschulden haften, wenn er den Befund des Arztes derart in eine eigene Wissenserklärung inkorporiert, 2004 639, 640; beide unter ausdrücklicher Hervorhebung, dass es sich dabei nicht um eine Haftung für Repräsentanten handle; OLG Köln 15.4.1997 – 9 U 120/96, VersR 1997 1394; OLG Celle 5.7.1989 – 8 U 208/88, VersR 1990 376; OLG Köln 21.9.1989 – 5 U 36/89, VersR 1990 1225; vgl. Schirmer 11; Knappmann NJW 1994 3147, 3148. 581 Vgl. C. Bruns 33 ff.; Richardi AcP 169 (1969) 385, 387; MüKoBGB/Schubert8 § 164 Rn. 64. 582 MüKoBGB/Schubert8 § 164 Rn. 64. 583 MüKoBGB/Schubert8 § 164 Rn. 64. 584 So auch Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 68. 585 Knappmann NJW 1994 3147, 3148. 586 Vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 240 und – zur Abgrenzung vom Erklärungsboten – 241. 587 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 153; das gilt natürlich erst recht für Empfangsboten des VR z.B. OLG Dresden 13.10.2020 – 4 U 2750/19, VersR 2021 179 (vom VR beauftragter Sachverständiger). 588 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 100 f. 589 Zum Verschulden und insb. zur Arglist des VN in solchen Situationen Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 152; vgl. OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511; BGH 14.12.1994 – IV ZR 304/93, VersR 1995 281. 590 Vgl. z.B. OLG Köln 23.2.1998 – 9 U 83/98, RuS 1999 315, 316; BGH 14.12.1994 – IV ZR 304/93, VersR 1995 281. 591 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 100; instruktiv in diesem Sinne OLG Koblenz 11.11.2004 – 10 U 970/04, NJW-RR 2005 905; vgl. auch OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 6/06-1, VersR 2007 532, 533; OLG Frankfurt/M. 12.7.1989 – 16 U 46/89, VersR 1989 951, wonach ein falsches Ausfüllen eines vom VN blanko unterschriebenen Formulars diesem nach § 166 BGB zurechenbar sei; vgl. auch Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 242. 592 Zur Rspr. mit Kritik Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 159. 593 Vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 53. 594 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 148; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 238 und 240; auch Handeln unter fremdem Namen ist erfasst: OLG Köln 26.4.2005 – 9 U 113/04, VersR 2005 1528, 1529. 595 Vgl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 240; anders wenn der Zeuge mit dem Ausfüllen eines Schadenmeldeformulars beauftragt wird: Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 163; OLG Köln 20.6.2000 – 9 U 157/99, RuS 2000 448, 449. 596 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 115; zur Auskunftseinholung beim Arzt BGH 21.11.1989 – IV a ZR 269/88, VersR 1990 77, 78. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

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dass der VR von einer Erklärung des VN ausgehen muss.597 Für ein Verschulden bedürfte es aber zusätzlich eines Umstandes, weswegen die Unrichtigkeit der Erklärung dem VN vorwerfbar ist. Das für die Zurechnung entscheidende Bindeglied stellt die Beauftragung des Dritten mit 114 der Wissenserklärung durch den VN dar.598 Hierbei handelt es sich um ein der Vollmachtserteilung entsprechendes, somit rechtsgeschäftsähnliches Handeln, auf das die §§ 104 ff. BGB analog anwendbar sind.599 Eine Betrauung mit rechtsgeschäftlicher Vertretung ist aber nicht erforderlich.600 Die Lehre anerkennt neben der ausdrücklichen auch eine konkludente601 sowie eine Duldungs-602 und Anscheinsbetrauung.603 Die Stellung als Ehegattin allein reicht aber nicht aus.604 Erklärungen unbefugter Dritter können vom VN genehmigt werden (§ 177 Abs. 1 BGB analog).605 Im Kontext ist von erheblicher Bedeutung, dass die Betrauung für eine einzige Wissenserklärung ausreicht, die Zurechnung somit weiter greift als eine Repräsentantenhaftung.

d) Kritik der Lehre vom Wissenserklärungsvertreter. Die Zurechnung nach § 164 BGB soll 115 nach Looschelders offenbar vollständig erfolgen,606 also z.B. auch die Frage eines Verschuldens an einer unrichtigen Erklärung umfassen. Insbesondere soll ihr auch ein tatsächliches Verhalten, also z.B. das Unterlassen einer Anzeige oder aber das Vernichten von Beweismitteln, unterstehen.607 Dabei betont Looschelders zwar zutreffend, dass der innere Grund der Zurechnung im Umstand zu suchen ist, „dass der VN den Dritten mit der Erfüllung der in Frage stehenden Obliegenheit betraut hat“,608 doch vermag die Betrauung mit einer Pflichterfüllung eine Analogie zu § 164 BGB kaum zu stützen. Eine Analogie zu § 164 BGB rechtfertigt sich durch den rechtsgeschäftsähnlichen Charakter von Anzeigen und ähnlichen Erklärungen.609 Damit kann man zwar die Zurechnung des Erklärungsaktes rechtfertigen, nicht aber die Zurechnung von schuldhaften Pflichtverletzungen und damit auch nicht von Unterlassungen und anderem tatsächlichen Verhalten.610 § 166 BGB kann diesen Zurechnungsmangel seinerseits nicht beheben. § 166 Abs. 1 BGB be- 116 trifft nur die Relevanz der Kenntnis des Vertreters, nicht hingegen die Frage einer Zurechnung

597 Zutreffend m.E. daher Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 115; zweifelnd Prölss/Martin/ Armbrüster31 § 28 Rn. 163.

598 BGH 16.10.2013 – IV ZR 390/12, RuS 2014 34; BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, VersR 1993 960, 961; BGH 30.4.1981 – IVa ZR 129/80, VersR 1981 948; OLG Saarbrücken 6.11.2013 – 5 U 372/12, RuS 2014 448; OLG Düsseldorf 23.3.1999 – 4 U 93/98, VersR 2000 310, 311; OLG Koblenz 26.2.1999 – 10 U 178/98, VersR 2000 315, 316. 599 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 92. 600 BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, VersR 1993 960, 961; so auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 147; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 238. 601 Vgl. BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, VersR 1993 960, 961. 602 OLG Köln 21.9.1989 – 5 U 36/89, VersR 1990 1225. 603 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 98; a.A. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 148. 604 BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, VersR 1993 960, 961; vgl. OLG Saarbrücken 6.11.2013 – 5 U 372/12, RuS 2014 448; Knappmann NJW 1994 3147, 3148. 605 Siehe BGH 10.2.1982 – IV a ZR 194/80, VersR 1982 463, 465; Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 98. 606 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 94. 607 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 93; so auch ausdrücklich OLG Koblenz 26.2.1999 – 10 U 178/98, VersR 2000 315, 316. 608 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 93. 609 So ja auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 92 zur Begründung der Analogie zu § 164 BGB für Wissenserklärungen. 610 So zieht die Lehre im Allgemeinen für die Zurechnung schuldhaften Verhaltens z.B. nach § 311 Abs. 2 i.V.m. § 241 BGB nicht § 164 BGB, sondern § 278 BGB heran; vgl. MüKoBGB/Emmerich8 § 311 Rn. 184. 271

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schuldhaften Handelns bzw. Unterlassens.611 Nach § 166 Abs. 2 BGB ist zwar kumulativ auch die Kenntnis des Geschäftsherrn relevant, doch rechnet auch diese Bestimmung kein Verschulden und kein tatsächliches Verhalten zu. 117 Looschelders geht es bei seiner Ansicht um eine Vermeidung der Zurechnung nach § 278 BGB, weil er diese für zu weit gehend hält. Insbesondere fürchtet er eine Haftung für „Erklärungsgehilfen“, also z.B. für Personen, die eine Erklärung des VN nur vorbereiten.612 Würde man § 278 BGB (analog) anwenden, würde die Zurechnung weiter reichen als nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung oder der Wissenserklärungsvertretung. Für eine derart weite Zurechnung gebe es keinen hinreichenden Bedarf: Manipulationen durch Überlassung z.B. des Ausfüllens von Schadensanzeigeformularen an Mitarbeiter oder Verwandte könnten nach Looschelders dadurch hintan gehalten werden, dass der VN, der ein vom Dritten ausgefülltes Formular unkontrolliert unterschreibt, aus eigenem Verschulden hafte.613 Dasselbe Ergebnis könnte freilich auch bei restriktiver Anwendung des § 278 BGB erreicht werden.

118 e) Erfüllungsgehilfenhaftung? Trotzdem wird eine Zurechnung nach § 278 BGB (analog) in der Literatur614 und vereinzelt in der Rspr.615 vertreten. Prölss will das Gehilfenverhalten umfassend, also sowohl die Erklärung selbst als auch Verschulden und Rechtswidrigkeit, nach § 278 BGB zurechnen. Dabei geht er auf die Frage, ob eine Haftung für Erklärungsgehilfen zu weit greift, nicht näher ein.616 Doch scheint auch Prölss nur dann von einer Haftung des VN für seinen Gehilfen auszugehen, wenn dieser die Erklärung „an Stelle des VN“ abgibt.617 Dieses Ergebnis lässt sich wohl nur durch eine restriktive Auslegung des § 278 BGB erreichen.

119 f) Folgerungen. Der Befund zur Haftung des VN für Wissenserklärungen Dritter zeigt Rechtsunsicherheit. Diese betrifft zunächst die Frage nach dem Verhältnis der Repräsentantenhaftung zur Wissenserklärungsvertretung nach § 164 BGB (analog) und zum Einstehenmüssen für fremdes Verschulden nach § 278 BGB (ob direkt oder analog) bzw. – wenn man auch hier das Stellvertretungsrecht für maßgeblich hält – nach § 164 BGB (analog).618 Wie dargelegt, ist die Haftung für den Repräsentanten aus Vertragsverwaltung enger geschnitten als die Haftung für Willenserklärungsvertreter bzw. Erfüllungsgehilfen. Ganz offenbar will sie die Zurechnung bei Anzeige- und Aufklärungsobliegenheiten ähnlich beschränken wie die Repräsentantenhaftung kraft Risikoverwaltung bei verhaltensbezogenen Obliegenheiten die Zurechnung nach § 278 BGB. Dieses Ziel wird naturgemäß nur erreicht, wenn die Repräsentantenhaftung andere Zurechnungsnormen verdrängt. Das braucht nicht notwendig für § 164 BGB zu gelten, denn für 611 Die Unterscheidung ist schwierig und str.; vgl., als Grenzfall, BGH 15.3.1990 – III ZR 248/88, NJW-RR 1990 750, 751 (Zurechnung nach § 278); in casu zu Recht krit. MüKoBGB/Grundmann8 § 278 Rn. 9.

612 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 92; vgl. insofern auch den Sachverhalt in OLG Köln 29.3.1990 – 5 U 161/89, VersR 1990 1226, 1227; sowie OLG Hamm 6.2.1985 – 20 U 292/84, VersR 1985 1032 f., das wohl keinen Unterschied zwischen § 278 BGB und der Haftung für Willenserklärungsvertreter sieht. 613 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 100; instruktiv in diesem Sinne OLG Koblenz 11.11.2004 – 10 U 970/04, NJW-RR 2005 905; vgl. auch OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 6/06-1, VersR 2007 532, 533; OLG Frankfurt/M. 12.7.1989 – 16 U 46/89, VersR 1989 951, wonach ein falsches Ausfüllen eines vom VN blanko unterschriebenen Formulars diesem nach § 166 BGB zurechenbar sei; vgl. auch Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 242. 614 Z.B. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 204 für den gesamten Bereich der Vertragsverwaltung. 615 LG Würzburg 22.2.1982 – 2 O 1607/81, VersR 1983 723, 724, das hervorhebt, eine Entwertung des Versicherungsschutzes sei bei Zurechnung von Anzeige- und Auskunftspflichtverletzungen nach § 278 BGB (analog) nicht zu befürchten. 616 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 52. 617 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 53. 618 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 105. Heiss

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eine Eingrenzung der Zurechnung der richtig erteilten Wissenserklärung besteht kein Grund. Es hat aber für die Zurechnung pflichtwidrig schuldhaften Verhaltens zu gelten, also für die pflichtwidrige Unterlassung einer Wissenserklärung bzw. für das Unterdrücken von Beweisen und dgl.619 Die Haftung für Wissenserklärungsvertreter (§ 164 BGB) kann freilich bei sonstigen Wissenserklärungen weiterhin Anwendung finden. Sollte der BGH demgegenüber nicht das Ziel verfolgen, durch diese Rechtsfortbildung die 120 Haftung für Dritte einzuschränken, etwa weil er die beiden Institute konkurrierend anwendet, so sollte er bei nächster Gelegenheit die Rspr. zur Repräsentanz kraft Vertragsverwaltung wieder aufgeben und zu den allgemein zivilrechtlichen Zurechnungsinstituten zurückkehren. Mangels klarer Aussagen des BGH herrscht derzeit nicht nur Unsicherheit im praktischen Er- 121 gebnis, sondern auch bei der rechtspolitischen Legitimation dieser Rechtsfortbildung.620 Im Rahmen der Repräsentantenhaftung kraft Risikoverwaltung liefert der offenbare Widerspruch einer unbeschränkten Zurechnung von Gehilfenverhalten zum Zweck des Versicherungsvertrags eine überzeugende Grundlage für eine Rechtsfortbildung bzw. eine teleologische Reduktion des § 278 BGB. Für die Vertragsverwaltung aber fehlt es gerade an einer Begründung für ein Bedürfnis nach einer nur beschränkten Zurechnung. Auch die Literatur, die auf je verschiedenem Wege eine gegenüber § 278 BGB eingegrenzte Zurechnung von Gehilfenverhalten vertritt, liefert keine klaren Argumente. Es bedürfte daher in Rspr. und Lehre näherer Erläuterung, warum eine Haftung für Dritte nach Maßgabe des allgemeinen Zivilrechts mit dem Zweck des Versicherungsvertrages kollidiert. Fehlt es an einem belegten Bedürfnis, so ist die Rechtsfortbildung abzulehnen. Lehnt man die Rechtsfortbildung mangels ausreichender Begründung ab, so sollte die Zu- 122 rechnung nur der Wissenserklärung des Dritten nach § 164 BGB analog erfolgen. Soweit es indessen um die Zurechnung von schuldhaft rechtswidrigem Verhalten wegen fehlerhafter oder unterlassener Anzeige bzw. Aufklärung oder aber von sonstigen Beeinträchtigungen der Anzeige oder Aufklärung (Unterdrücken von Beweismitteln; etc.)621 geht, ist m.E. auf § 278 BGB abzustellen.622 Sollte diese Zurechnungsnorm beim Versicherungsvertrag tatsächlich zu weit geraten sein, so wäre sie methodenehrlich teleologisch zu reduzieren. Aber auch hierfür fehlt es bisher, soweit ersichtlich, an tragfähigen Begründungen.

g) Beispiele aa) Repräsentation kraft Vertragsverwaltung. Der BGH hat bisher die Repräsentation kraft 123 Vertragsverwaltung vor allem in einem Fall der Feuerversicherung eines Reitstalls angenommen. In diesem waren die Eltern Repräsentanten des VN, ihres Sohnes. Sie hatten nicht nur die Risikoverwaltung hinsichtlich des versicherten Reitstalls inne, sondern waren darüber hinaus auch befugt, die Ansprüche des Sohnes (VN) geltend zu machen, sie sollten sogar die Empfänger der Versicherungsleistung sein, waren mit der Schadenabwicklung betraut und der Vater hat die versicherten Werte geschätzt und die Schadenaufstellung gefertigt.623 Ähnlich hat das OLG Bremen auf die Repräsentantenstellung des Ehemannes abgestellt, dem die VN nicht nur 619 Anders jedoch die Rspr.: OLG Saarbrücken 2.9.2020 – 5 U 94/19, VersR 2020 1372, und zuvor OLG Koblenz 26.2.1999 – 10 U 178/98, VersR 2000 315, 316, wo jeweils der handelnde Rechtsanwalt zwar nicht als risiko- oder vertragsverwaltender Repräsentant, jedoch als Wissenserklärungsvertreter qualifiziert wurde; sowie OLG Koblenz 6.8.1999 – 10 U 619/95, VersR 2000 180, wo die Zurechnung kraft Repräsentanz „zumindest“ aber als Wissenserklärungsvertreter erfolgte; anders auch – wenngleich unklar bleibt, ob die Repräsentanz kraft Vertragsverwaltung gemeint war – OLG Düsseldorf 23.3.1999 – 4 U 93/98, VersR 2000 310, 311, wo nach Ablehnung einer Repräsentantenstellung eine Wissenserklärungsvertretung geprüft wird. 620 Vgl. Schirmer 31. 621 So stellt es z.B. auch eine Aufklärungspflichtverletzung dar, wenn der VN dem Sachverständigen des VR den Zutritt zum versicherten Grundstück verwehrt; vgl. LG Köln 7.4.2005 – 24 S 28/04, VersR 2006 260. 622 So auch Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 94. 623 BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 255; vgl. BGH 14.3.2007 – IV ZR 102/03, VersR 2007 673, 674. 273

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

die Abwicklung eines Kaskoschadens, sondern überhaupt sämtliche Versicherungsangelegenheiten hinsichtlich ihres PKW übertragen hat.624 Das OLG Köln hat die Repräsentanteneigenschaft eines Verwalters von Eigentumswohnungen bejaht, weil dieser damit betraut war, Versicherungsangelegenheiten selbstständig abzuwickeln.625 Abgelehnt hat die Rechtsprechung dagegen die Repräsentation kraft Vertragsverwaltung bei anwaltlicher Vertretung im Einzelfall, die keine umfassende Vertragsverwaltung darstellt.626

124 bb) Wissenserklärungsvertretung. Die Rspr. hat in folgenden Fällen eine Wissenserklärungsvertretung bejaht:627 Feuerversicherung: Angestellter, der für den VN eine gefälschte Rechnung an den VR sendet.628 Hausratversicherung: Lebensgefährtin, die mit Einwilligung des VN die Schadensanzeige ausfüllt;629 Ehegatte, der gemeinsam mit VN falsche Angaben zu ihren wirtschaftlichen Hintergründen macht;630 Makler, der für den VN vorvertragliche Anzeigepflichten erfüllt.631 Kfz-Kaskoversicherung: Ehegatte, der mit Wissen und Willen des VN Schadensanzeige erledigt;632 Rechtsanwalt, der mit der Schadenabwicklung betraut ist;633 Sohn, der von der VN mit der Schadenabwicklung betraut ist;634 Sohn des VN und Eigentümers, der als Halter und Nutzer des Kfz mit der Schadensabwicklung betraut ist;635 Sohn, der mit der Schadensanzeige betraut ist;636 Mitarbeiterin, die mit der Erteilung von Auskünften an den VR betraut ist;637 Verlobter, der mit dem Ausfüllen der Schadensanzeige betraut ist;638 Lebensgefährtin des VN, die die gesamten versicherungsrechtlichen Angelegenheiten des VN mit dessen generellen Einverständnis regelt, auch wenn sie mit dem Namen des VN unterschrieben hat;639 Versicherungsvertreter, der mit dem Ausfüllen der Schadensanzeige betraut ist und diese auch unterschreibt.640 Rechtsschutzversicherung: Rechtsanwalt des VN, der mit der Erfüllung der Obliegenheiten zur Vermeidung unnötiger Kosten (also mit der erforderlichen Kommunikation mit dem VR) betraut ist.641 624 OLG Bremen 29.7.1997 – 3 U 160/96, VersR 1998 1149. 625 OLG Köln 23.1.2001 – 9 U 114/00, NVersZ 2001 329. 626 BGH 14.8.2019 – IV ZR 279/17, VersR 2019 1284, 1287 m.w.N.; OLG Hamm 27. 4.2020 – 20 U 42/20, VersR 2020 1040; OLG München 30.6.2017 – 25 U 4236/16, VersR 2017 1516, 1517; OLG Saarbrücken 2.9.2020 – 5 U 94/19, VersR 2020 1372; OLG Koblenz 26.2.1999 – 10 U 178/98, VersR 2000 315, 316; a.A. LG Karlsruhe 12.11.2010 – 9 S 612/09, VersR 2011 1044, 1045. 627 Fallgruppenbildung bei C. Bruns 99 ff. 628 OLG Koblenz 20.5.2005 – 10 U 692/04, VersR 2006 1120, 1121. 629 OLG Frankfurt/M. 2.7.1987 – 16 U 50/86, VersR 1988 820, 821, das von einer Repräsentantenstellung ausgeht und hierfür eine andauernde Lebensgemeinschaft fordert. 630 OLG Köln 28.3.2008 – 20 U 231/07, VersR 2008 1063, 1064. 631 BGH 12.3.2008 – IV ZR 330/06, VersR 2008 809, 810; OLG Köln 25.4.2007 – 5 U 242/06, VersR 2008 810. 632 OLG Köln 29.10.1990 – 5 U 200/89, VersR 1991 95, 96; auch OLG Köln 29.3.1990 – 5 U 161/89, VersR 1990 1226, 1227; in casu war allerdings eine Falschanzeige durch die Ehefrau nicht bewiesen. 633 OLG Köln 15.4.1997 – 9 U 120/96, VersR 1997 1394. 634 OLG Hamm 20.1.1997 – 6 U 95/96, VersR 1998 622, 623. 635 OLG Köln 18.1.2005 – 9 U 60/04, RuS 2006 235, 236. 636 OLG Köln 15.7.2014 – 9 U 204/13, VersR 2014 1452. 637 OLG Köln 21.9.1989 – 5 U 36/89, VersR 1990 1225. 638 OLG Frankfurt/M. 12.7.1989 – 16 U 46/89, VersR 1989 951. 639 OLG Köln 26.4.2005 – 9 U 113/04, VersR 2005 1528, 1529. 640 OLG Köln 2.7.2002 – 9 U 13/02, VersR 2003 57, 58. 641 OLG Köln 23.9.2003 – 9 U 174/02, VersR 2004 639, 640; OLG Nürnberg 26.11.1981 – 8 U 1354/81, VersR 1982 695; OLG Hamm 31.5.1996 – 20 U 281/95, NJW-RR 1997 91, 92; vgl. auch OLG Hamm 9.11.1990 – 20 U 215/89, VersR 1991 806, 807, das den Rechtsanwalt als „Repräsentanten“ ansieht; sowie LG Köln 20.2.1997 – 24 S 35/96, VersR 1997 1529, wo vom „Repräsentanten und Wissensvertreter“ die Rede ist. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

Tierhalterhaftpflichtversicherung: Rechtsanwalt, der mit der Erfüllung von Aufklärungsobliegenheiten betraut ist.642 Warenkreditversicherung: Rechtsanwalt, der mit der gesamten Schadenabwicklung betraut ist.643 125 Die Rspr. hat in folgenden Fällen eine Wissenserklärungsvertretung verneint: Gebäudeversicherung: Mieter;644 Handwerksunternehmen, das im Auftrag des VN ein beim VR einzureichendes Angebot für eine Schadenbehebung erstellt.645 Kfz-Haftplicht-/Kaskoversicherung: mitversicherter Lenker, der somit Auskünfte nach dem Unfall nur für sich selbst abgibt;646 Zeugin, die das Schadenformular ausfüllt aber nicht unterschreibt.647 Unfallversicherung: Ehefrau des im Koma liegenden VN.648

7. Wissensvertretung a) Fragestellung. Während es bei der Wissenserklärungsvertretung um die Zurechnung frem- 126 der Erklärungen bzw. Unterlassungen oder sonstigen Handelns geht, führt die Wissensvertretung zur Fiktion einer Kenntnis bzw. eines Kennenmüssens des VN.649 Diese Fiktion kann die Grundlage für das Entstehen von Anzeige- bzw. Aufklärungsobliegenheiten oder aber für ein Verschulden des VN an einer unrichtigen bzw. unterlassenen Anzeige oder Aufklärung bilden. Sie hat daher weitreichende Bedeutung.

b) Verhältnis zur Repräsentantenrechtsprechung. Die Frage nach der Wissensvertretung 127 ist angesichts der Rspr. des BGH zum Repräsentanten kraft Vertragsverwaltung nur mit Unsicherheiten zu beantworten. Fest steht jedenfalls, dass im Bereich der Risikoverwaltung eine Wissenszurechnung über den Kreis der Repräsentanten hinaus nicht in Frage kommt.650 In diesem Bereich tritt also die Wissenszurechnung nach der Rspr. zur Repräsentanz an die Stelle der Wissenszurechnung nach allgemeinem Zivilrecht. Wer die eingeschränkte Zurechnung im Bereich der Risikoverwaltung durch eine teleologische Reduktion des § 278 BGB konstruiert, wird konsequent die teleologische Reduktion auch bei der Wissenszurechnung vornehmen. Dasselbe hat für die Repräsentanten kraft Vertragsverwaltung zu gelten. Bedeutung kann der hierzu ergangenen Rspr. nur zukommen, wenn sie auch die Wissensvertretung nach allgemeinem Zivilrecht verdrängt. Nach Lage der Rspr. ist m.E. also davon auszugehen, dass nur das Wissen von Repräsentanten zugerechnet wird. Der BGH hat allerdings die Zurechnung von Wissen des Repräsentanten kraft Vertragsverwaltung bejaht,651 die Einschränkung der Zurechnung auf diese Figur indessen nicht ausgesprochen. Sollte der BGH bei seiner Rspr. diesen Effekt nicht beab642 643 644 645

OLG Celle 5.7.1989 – 8 U 208/88, VersR 1990 376. OLG Koblenz 6.8.1999 – 10 U 619/95, VersR 2000 180. OLG Hamm 24.2.1989 – 20 U 276/88, VersR 1990 265. So OLG Rostock 8.1.2020 – 4 U 136/19, VersR 2020 690, mit der Folge, dass der VN unrichtige Positionen mit Blick auf einen Arglistvorwurf plausibel erklären muss. 646 BGH 20.5.1969 – IV ZR 618/68, VersR 1969 695, 696. 647 OLG Brandenburg 6.1.2020 – 4 U 66/06, BeckRS 2010 1132. 648 OLG Düsseldorf 23.3.1999 – 4 U 93/98, VersR 2000 310, 311; vgl. auch BGH 10.2.1982 – IV a ZR 194/80, VersR 1982 463, 465. 649 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 116; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 248. 650 Schirmer 47 f.; ihm grundsätzlich folgend Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 131 (der allerdings die theoretische Möglichkeit hervorhebt, dass der Versicherungsnehmer eine Person, der keine Repräsentanteneigenschaft zukommt, zu seinem Wissensvertreter ernennt); offen gelassen bei BGH 16.5.1957 – II ZR 86/56, VersR 1957 386. 651 BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122 250, 255. 275

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

sichtigt haben, sondern von einer konkurrierenden Zurechnung auch nach den allgemeinen Grundsätzen der Wissensvertretung ausgehen, so sollte er seine jüngere Rspr. zum Repräsentanten kraft Vertragsverwaltung aufgeben. Ein klarstellendes Wort des BGH ist auch hier dringend gefordert.

128 c) Wissenszurechnung. Wer die Repräsentanz kraft Vertragsverwaltung ablehnt, kann Wissen, das in den Bereich der Vertragsverwaltung fällt, nach den allgemeinen Grundsätzen zurechnen. Diese verankert die wohl h.L. im Rechtsgedanken des § 166 Abs 1 BGB.652 Ihm kann § 242 BGB (Treu und Glauben) zur Seite stehen, dessen Konkretisierung aber in Anlehnung an die gesetzliche Wertung des § 166 Abs. 1 BGB zu erfolgen hat.653 Ein anderer Ansatz knüpft an die Pflichten zu adäquater Organisation eines Betriebes an.654 Danach soll es zur Zurechnung von Wissen Dritter kommen, für dessen Weiterleitung an die zuständige Person der VN hätte Sorge tragen müssen.655 Im allgemeinen Zivilrecht hat sich der BGH dieser Begründung angeschlossen, dabei allerdings zugleich betont, sie stimme in ihrem Ergebnis weitgehend mit der hergebrachten Rspr. zum Wissensvertreter überein.656 Der Sache nach nicht einschlägig ist demgegenüber § 278 BGB.657 129 Sehr ähnlich der Wissenserklärungsvertretung hat die Rspr. auch die allgemeine Wissensvertretung im Versicherungsrecht ausformuliert. Demnach ist Wissensvertreter jeder Dritte, der vom VN in nicht ganz untergeordneter Stellung658 damit betraut ist, für ihn rechtserhebliche Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen.659 Der Wissenserklärungsvertreter ist daher in der Regel auch Wissensvertreter,660 doch braucht der Wissensvertreter nicht zwingend auch Wissenserklärungsvertreter zu sein.661 Bisweilen benützt die Rspr. allerdings auch die im allgemeinen Zivilrecht entwickelte Definition, nach der Wissensvertreter ist, wer gemäß der Arbeitsorganisation des VN im Rechtsverkehr als sein Repräsentant eigenverantwortlich Aufgaben wahrzunehmen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten hat.662 Die Unterschiede in der Formulierung sollen sich nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht in der Sache nicht auswirken.663 Jedenfalls ist das Abstellen auf 652 Für das allgemeine Zivilrecht m.N. zur Rspr. MüKoBGB/Schubert8 § 166 Rn. 45; Baum passim; Koller JZ 1998 75; zur Frage, inwieweit § 166 Abs. 1 BGB eine taugliche Grundlage darstellt, Medicus in: Karlsruher Forum 1994 4, 8 ff.; Baums 49 ff (nur für handlungsabhängige Wissensvertretung) und 94 ff. (für handlungsunabhänige Wissensvertretung; abl.); für das Versicherungsrecht BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134 f.; OLG Hamm 3.11.2010 – I-20 U 38/10, VersR 2011 469, 472; abweichend (wenngleich nicht im Ergebnis) Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 137. 653 MüKo BGB8/Schubert § 166 Rn. 46 und 49; § 242 BGB wird für sich alleine als zu unbestimmt angesehen, um die Grundlage einer allgemeinen Wissenszurechnung bilden zu können; siehe Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 127 a.E. 654 So für das Versicherungsrecht schon BGH 13.5.1970 – IV ZR 1058/68, VersR 1970 613, 614; ausführlich Taupitz in: Karlsruher Forum 1994 16, 25 ff. 655 Zur Wissenszurechnung kraft Organisationspflicht siehe den Überblick bei MüKoBGB/Schubert8 § 166 Rn. 47; ausführlich Taupitz in: Karlsruher Forum 1994 16, 25 ff. 656 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, JZ 1996 731, 733 (Taupitz). 657 Vgl. MüKoBGB/Schubert8 § 166 Rn. 49; zu abweichenden Stimmen, die § 278 jedenfalls ergänzend heranziehen MüKoBGB/Schubert8 § 166 Rn. 48 m.w.N. in Fn.181. 658 Vgl. auch Knappmann NJW 1994 3147, 3149 („gewisse herausgehobene Stellung“). 659 Vgl. BGH 23.6.2004 – IV ZR 219/03, VersR 2005 218; BGH 14.4.1971 – IV ZR 17/70, VersR 1971 538 f.; OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511, 1512; OLG Hamm 23.11.1994 – 20 U 33/77, VersR 1995 1437, 1438; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 249; Knappmann NJW 1994 3147, 3149. 660 OLG Köln 29.10.1990 – 5 U 200/89, VersR 1991 95, 96; OLG Celle 5.7.1989 – 8 U 208/88, VersR 1990 376. 661 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 128. 662 Vgl. BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134; OLG Hamm 17.12.1980 – 20 U 201/80, VersR 1981 227, 228. 663 Ausführlicher Vergleich bei Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 117 bis 125. Heiss

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C. Erfüllung der Obliegenheiten

VVG § 28

die Arbeitsorganisation des VN nicht dahingehend zu verstehen, die Grundsätze der Wissensvertretung kämen nur auf betriebliche Strukturen zur Anwendung. Vielmehr gelten sie auch für den privaten, insbesondere familiären Bereich.664 Nach anderer Ansicht aber ist die zivilrechtliche Wissenszurechnung enger, weil sie nur für Personen zur Anwendung kommt, die aufgrund ihrer Stellung nach außen als Repräsentant in Erscheinung treten. Eben dieses Kriterium würde der BGH nämlich nicht ins Versicherungsrecht übertragen.665 Voraussetzung jeder Wissensvertretung ist die Betrauung des Dritten mit der Kenntnisnah- 130 me. Diese kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen.666 Die Betrauung kann sich insbesondere auch aus der Stellung des Dritten im Betrieb des VN ergeben.667 Der Dritte muss seine Aufgabe in nicht nur ganz untergeordneter Stellung, sondern in eigener Verantwortung wahrnehmen.668 Welcher Grad an Selbständigkeit zu fordern ist, ist umstritten. Teils wird nur darauf abgestellt, ob der Dritte überhaupt mit irgendeinem Geschäftsbereich selbständig betraut ist.669 Wer demgegenüber fordert, dass der Geschäftsbereich „von einiger Bedeutung“ sein muss,670 nähert sich der Rspr. zum Repräsentanten kraft Vertragsverwaltung. Teils wird auch ein gewisser Grad der Selbstständigkeit gefordert, der jedoch nicht den Grad an Selbstständigkeit eines Repräsentanten erreichen muss.671 Zuletzt muss der Wissensvertreter die relevanten Kenntnisse im Rahmen seiner Zustän- 131 digkeit erworben haben. Maßgeblich ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Kenntniserlangung.672 Erlangtes Wissen ist bei erkennbarer Relevanz in angemessenem Umfang zu speichern.673 Das gespeicherte Wissen ist später bei Auftreten eines begründeten Anlasses abzurufen und wird daher in diesem Zeitpunkt zugerechnet.674 Das muss m.E. freilich auch für Informationen gelten, die gespeichert wurden, obwohl ursprünglich keine Pflicht zur Abspeicherung bestand.675 Gleiches gilt bei noch vorhandenem Wissen einer natürlichen Person. Wird dieses später relevant und ist der Wissensvertreter noch nicht aus dem Betrieb oder der Organisation ausgeschieden,676 so findet die Zurechnung in diesem Zeitpunkt statt.677 „Privates“ Wissen ist nach alledem grundsätzlich nicht zurechenbar.678 Für die Zurech- 132 nung privaten Wissens des Versicherungsagenten an den VR hat B. Lorenz die m.E. überzeugende These aufgestellt, dass dieses jedenfalls in dem Zeitpunkt zugerechnet wird, in dem es relevant wird, in dem sich also der Versicherungsagent mit dem Kunden, auf den sich das private Wissen bezieht, dienstlich beschäftigt.679 Dasselbe kann m.E. für privates Wissen von Wissensvertretern des VN gelten.

664 Ausführlicher Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 121. 665 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 141; vgl. OLG München 12.6.1975 – 24 U 982/74, VersR 1976 674, 675, wo eine Beauftragung mit der Erfüllung von Obliegenheiten für nicht erforderlich gehalten wird. 666 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 119. 667 So schon BGH 13.5.1970 – IV ZR 1058/68, VersR 1970 613, 614. 668 BGH 23.6.2004 – IV ZR 219/03, VersR 2005 218, 220; BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134. 669 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 124; vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 159. 670 Vgl. Knappmann VersR 1997 261, 267. 671 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 92, weshalb eine Hilfsperson, die ein Anzeigeformular ausfüllt, keine Wissensvertreterin ist. 672 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, JZ 1996 731, 733 (Taupitz). 673 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, JZ 1996 731, 733 (Taupitz). 674 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, JZ 1996 731, 733 (Taupitz). 675 So auch Taupitz in seiner Anmerkung zu BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, JZ 1996 731, 736. 676 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 145, der zutreffend darauf hinweist, dass der Verlust der Stellung als Wissensvertreter nach dem relevanten Zeitpunkt unerheblich bleibt. 677 Vgl. Taupitz in seiner Anmerkung zu BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94, JZ 1996 731, 736. 678 Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 125. 679 B. Lorenz 258 f. 277

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

133 d) Beispiele. Die Rspr. hat eine Wissensvertretung in folgenden Fällen bejaht:680 Kfz-Haftpflicht-/Kaskoversicherung: Ehemann der VN, dem das Fahrzeug derart zum alleinigen und freien Gebrauch überlassen ist, dass er zwangsweise anstelle des VN von relevanten Umständen Kenntnis erlangt;681 ebenso bei Überlassung an den Sohn;682 Angestellter eines Mietwagenunternehmens, der den Mietvertrag über Kfz schließen darf.683 Unfallversicherung: Versicherungsmakler, der als Vermittlungsvertreter für den VN den Antrag an den VR weitergeleitet hat.684 Die Rspr. hat eine Wissensvertretung in folgenden Fällen verneint: 134 Kfz-Haftpflichtversicherung: angestellter Fahrer, der nur unselbständig und ohne eigenen Verantwortungsbereich handelt.685 Tierhalterhaftpflichtversicherung: Rechtsanwalt, der mit der Erfüllung von Aufklärungsobliegenheiten betraut ist.686

8. Beweislastfragen 135 Beruft sich der VR auf die Zurechenbarkeit von Verhalten, Erklärungen oder Wissen eines Dritten, so hat er das Vorliegen des einschlägigen Zurechnungstatbestands zu beweisen.687 Eine Beweislastumkehr findet nicht statt. Auch Anscheinsbeweise lehnt die Rspr. regelmäßig ab.688 Dies gilt indessen nur für die Frage der Zurechnung, nicht hingegen für andere Fragen, wie etwa das Vorliegen von grobem Verschulden des Dritten i.S.v. § 28 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 oder aber von Kausalität i.S.v. § 28 Abs. 3 Satz 1.689

D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung I. Verletzung von Obliegenheiten 136 Der Eintritt von Rechtsfolgen bzw. deren Beschränkung nach § 28 setzt eine Obliegenheitsverletzung voraus. Diese Verletzung muss vom VN oder einer Person begangen worden sein, für deren Verhalten er einzustehen hat.690 Nicht hierher zählt grundsätzlich der Mitversicherte,691 680 Fallgruppenbildung bei C. Bruns 196 ff. 681 OLG München 12.6.1975 – 24 U 982/74, VersR 1976 674, 675; vgl. LG Saarbrücken 21.6.2016 – 14 S 32/15, ZfS 2017 451.

682 OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511, 1512; OLG Saarbrücken 15.1.2003 – 5 U 261/02 – 25, RuS 2003 147, 148. BGH 13.5.1970 – IV ZR 1058/68, VersR 1970 613, 614. BGH 21.6.2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000 1133, 1134. BGH 14.4.1971 – IV ZR 17/70, VersR 1971 538, 539; vgl. OLG Hamm 17.12.1980 VersR 1981 227, 228. OLG Celle 5.7.1989 – 8 U 208/88, VersR 1990 376. Vgl. BGH 19.6.1991 – IV ZR 169/90, NJW-RR 1991 1307, 1308; OLG Hamm 19.1.2005 – 20 U 186/04, RuS 2005 192, 193; OLG Karlsruhe 21.6.1990 – 12 U 56/90, VersR 1991 1048, 1049; OLG Karlsruhe 16.5.1991 – 12 U 25/91, VersR 1992 1391, 1392; für die Wissenszurechnung OLG Hamm 23.11.1994 – 20 U 33/77, VersR 1995 1437, 1438; ausführlicher hierzu Beckmann/Matusche-Beckmann/Looschelders3 § 17 Rn. 137 f.; ebenso Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 131a. 688 Vgl. OLG Koblenz 4.2.2005 – 10 U 1561/03, VersR 2005 1577, wo aus der Tatsache, dass die Tochter des VN im Versicherungsantrag als VN genannt war und sie das Auto ausschließlich fuhr, kein Anscheinsbeweis für die Repräsentantenstellung der Tochter abgeleitet wurde; OLG Koblenz 12.3.2004 – 10 U 550/03, VersR 2004 1410, 1411 für den Ehemann der VN. 689 Vgl. z.B. OLG Koblenz 16.10.2003 – 10 U 1117/02, VersR 2004 642. 690 Hierzu oben Rn. 85 ff. 691 BGH 28.10.1981 – IVa ZR 202/80, VersR 1982 84, 85; BGH 8.5.1961 – II ZR 7/60, VersR 1961 555, 557.

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

den die Folgen seiner Obliegenheitsverletzung selbst treffen, wohl aber der Repräsentant des VN.692 Wann eine Pflichtverletzung vorliegt, hängt nicht zuletzt vom Inhalt der betreffenden Obliegenheit ab. Dieser wird im Vertrag bestimmt und ist durch Auslegung zu ermitteln. Insofern verbieten sich generelle Aussagen. Jedoch haben sich in der Vertragspraxis bestimmte Pflichtentypen herauskristallisiert, die bis zu einem gewissen Grad allgemeine Aussagen erlauben. So setzt die Verletzung einer Anzeige-693 oder Aufklärungsobliegenheit694 die positive 137 Kenntnis des VN vom anzuzeigenden bzw. aufzuklärenden Umstand voraus.695 Hat der Geschädigte gegenüber dem Pflichthaftpflichtversicherer Anzeigepflichten zu erfüllen,696 so erfordert eine Verletzung auch Kenntnis von der Identität des Pflichtversicherers.697 Sowohl die unterlassene als auch die falsche Anzeige bzw. Aufklärung stellen Obliegen- 138 heitsverletzungen dar. Allerdings liegt eine Obliegenheitsverletzung nicht schon dann vor, wenn der VN eine Frage des Schadenmeldeformulars unbeantwortet lässt. Der VR darf das Offenlassen der Frage nicht einfach als Verneinung interpretieren,698 sondern muss beim VN nachfragen. Erst wenn der VN die Beantwortung trotz Nachfrage verweigert, liegt eine vollendete Obliegenheitsverletzung vor.699 Nach richtiger Ansicht liegt außerdem keine Obliegenheitsverletzung vor, wenn der VN sei- 139 ne unrichtige Anzeige oder Aufklärung berichtigt, bevor sie noch irgendwelche Auswirkungen hat.700 Allerdings ist die Frage nur dort von praktischer Bedeutung, wo der VR kausalitätsunabhängig leistungsfrei wird. Dies ist nach dem neuen § 28 Abs. 3 S. 2 nur noch bei arglistigem Handeln des VN der Fall. Bei anderen Verletzungen beschränkt sich die Leistungsfreiheit ohnehin nach Maßgabe der Kausalität, welche nicht vorliegen kann, wenn eine Falschangabe rechtzeitig korrigiert wird.

II. Kündigungsrecht des Versicherers 1. Allgemeines Erste Rechtsfolge einer Obliegenheitsverletzung ist – allerdings nur bei Vorliegen mehrerer ein- 140 schränkender Voraussetzungen701 – das Kündigungsrecht des VR nach § 28 Abs. 1.702 Insofern behält das VVG 2008 die Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 a.F. bei.703 Grund für die Einräumung eines solchen außerordentlichen Kündigungsrechts ist der Vertrauensverlust, den eine Oblie-

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OLG Düsseldorf 20.11.1962 – 4 U 209/61, VersR 1963 351, 352. Näher hierzu bei §§ 19 Abs. 1, 23 Abs. 2 und 3, 30 Abs. 1 (gesetzliche Anzeigeobliegenheiten). Näher hierzu bei § 31 (gesetzliche Aufklärungsobliegenheit). Zum Vorliegen positiver Kenntnis BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, VersR 2008 905 m.w.N. zur Rspr.; für die Betriebshaftpflichtversicherung bedeutet dies, dass etwa die Frist zur Anzeige des Schadens beginnt, „wenn der VN erkannt hat, dass ein Ereignis eingetreten ist, das einen Schaden herbeizuführen droht, und dass der Schaden ihm gegenüber Haftpflichtansprüche zur Folge haben könnte“, OLG Stuttgart 28.4.2005 – 7 U 209/04, VersR 2006 65, 66; ähnlich bei einer Berufshaftpflichtversicherung OLG Köln 23.3.2004 – 9 U 110/03, VersR 2004 1549, 1550. 696 Siehe § 119 Abs. 1. 697 KG Berlin 30.1.2007 – 6 U 132/06, VersR 2008 69, 70. 698 OLG Köln 21.1.1997 – 9 U 65/96, VersR 1997 962. 699 OLG Köln 21.1.1997 – 9 U 65/96, VersR 1997 962; OLG Hamm 8.2.1995 – 20 U 236/94, VersR 1996 53. 700 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 309; vgl. OLG Karlsruhe 6.8.2020 – 12 U 53/20, NJW-RR 2021 35, 38. 701 Hierzu sogleich 2. 702 Das Kündigungsrecht kann auf einzelne versicherte Gegenstände oder Personen beschränkt sein; siehe unten § 29. 703 Vgl. Marlow VersR 2007 43. 279

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

genheitsverletzung des VN beim VR bewirken kann.704 Der VR wird also davor geschützt, in Zukunft von einem unzuverlässigen VN in Anspruch genommen zu werden.705 141 Das Kündigungsrecht wird dem VR ex lege eingeräumt, es bedarf somit keiner Vereinbarung.706 Es setzt nach der klaren Formulierung des § 28 Abs. 1 auch keine durch vereinbarte Leistungsfreiheit sanktionierte Obliegenheit voraus, es genügt vielmehr, wenn die Obliegenheit vereinbart wurde.707 Eine vertragliche Erweiterung des Kündigungsrechts ist wegen des halbzwingenden Charakters von § 28 Abs. 1 nicht möglich.708 Die Kündigung nach § 28 Abs. 1 ist ein Gestaltungsrecht des VR und keine Obliegenheit.709 142 Es fehlt in § 28 an einer Klarstellungspflicht vom Zuschnitt des § 6 Abs. 1 Satz 3 a.F.710 Der VR braucht also nicht zu kündigen, um eine vereinbarte Leistungsfreiheit beanspruchen zu können.711 Der VR kann vielmehr auch eine vereinbarte Leistunsfreiheit bzw. -kürzung in Anspruch nehmen und den Vertrag fortsetzen, bspw. weil er die Obliegenheitsverletzung als ein einmaliges Versehen des VN einschätzt.712 Im Einzelfall kann aber eine Berufung auf die Leistungsfreiheit trotz Kenntnis des VR von der Obliegenheitsverletzung und „Stillhaltens“ gegen Treu und Glauben verstoßen.713

2. Voraussetzungen 143 a) Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit. Die verletzte Obliegenheit muss ihrem Tatbestand nach vertraglich vereinbart sein. Die Verletzung einer gesetzlichen Obliegenheit ist vom Wortlaut des § 28 nicht erfasst, sie unterliegt den speziellen, meist halbzwingenden Vorschriften.714 Zwischen diesen Typen stehen gesetzliche Obliegenheiten, für die mangels gesetzlicher Sanktion die Rechtsfolgen im Vertrag festgelegt sind. Der Fall kann z.B. auftreten, wenn der Vertrag die gesetzliche Pflicht des VN zur Mitteilung von Nebenversicherungen nach § 77715 mit der Leistungsfreiheit des VR als Sanktion bewehrt.716 Geschieht dies, so würde der Wortlaut des § 28 Abs. 1 dennoch keine Grundlage für ein Kündigungsrecht des VR darstellen. Er enthält nämlich eine gesetzliche Sanktion für dem Tatbestand nach vertragliche Obliegenheiten, wozu § 77 eben nicht zählt. Jedoch hindert der ohnehin dispositive717 § 77 die Parteien nicht, den 704 Zum neuen Recht Marlow VersR 2007 43; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 58; Langheid/ Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 167; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 57 unter Verweis auf BGH 4.10.1989 – IV a ZR 220/87, VersR 1989 1250. So schon nach alter Rechtslage Römer/Langheid2 § 6 Rn. 91; auch Berliner Kommentar/ Schwintowski § 6 Rn. 74. 705 Deutlich BGH 4.10.1989 – IV a ZR 220/87, VersR 1989 1250, 1252 zum Kündigungsrecht nach §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 2 MBKK 1976. 706 Siehe § 28 Abs. 1, der nur auf die Verletzung einer vereinbarten Obliegenheit abstellt, jedoch keine Vereinbarung eines Kündigungsrechts voraussetzt. 707 Auch die Überschrift spricht nur ganz allgemein von „Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit“. 708 Siehe § 32 Satz 1. 709 Zur Rechtsnatur als Gestaltungsrecht Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 58. 710 Zum Klarstellungserfordernis nach altem Recht siehe z.B. Römer/Langheid2 § 6 Rn. 96 ff.; ihm wurde von der Rspr. keine zentrale Bedeutung eingeräumt, sodass es in der Transportversicherung durch AVB wirksam abbedungen werden konnte; vgl. BGH 1.12.2004 – IV ZR 291/03, VersR 2005 266, 268 f.; OLG Frankfurt/M. 8.12.2004 – 7 U 130/04, VersR 2006 115, 116; OLG Saarbrücken 13.7.2005 – 5 U 689/04–70, VersR 2006 503, 506. 711 So auch ausdrücklich die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 712 In diesem Sinne Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 10. 713 So Marlow/Spuhl 90 f. 714 Siehe §§ 19 ff. (Anzeigepflicht) und §§ 23 ff. (Gefahrerhöhung); zum halbzwingenden Charakter dieser Normen vgl. § 32. 715 Diese ist nach h.L. eine Obliegenheit; siehe den Meinungsstand zur Parallelvorschrift des § 58 a.F. z.B. bei Berliner Kommentar/Schauer § 58 Rn. 21. 716 Vgl. nur Berliner Kommentar/Schauer § 58 Rn. 24. 717 Siehe § 87, in dessen Aufzählung der halbzwingenden Normen die Vorschrift des § 77 fehlt. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

Tatbestand in den Vertrag mit aufzunehmen und damit auch zu einer vertraglichen Obliegenheit zu machen. Damit wird das gesetzliche Kündigungsrecht auf diese, § 77 entsprechende vertragliche Obliegenheit erstreckt. Dann aber sollte sinnvollerweise nichts anderes gelten, wenn die AVB nur auf § 77 verweisen und durch bloße Vereinbarung der Leistungsfreiheit in den Vertrag inkorporieren. Jedoch kommt das Kündigungsrecht nach § 28 Abs. 1 nicht zur Anwendung, wenn die AVB keine § 77 wiederholende oder mindestens hinsichtlich der Rechtsfolgen ergänzende Regelung enthalten.

b) Verletzung einer vor dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegen- 144 heit. Das Kündigungsrecht besteht nur bei Verletzung von Obliegenheiten, die vom VN vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen sind. Dabei ist insbesondere an risikovorbeugende Obliegenheiten gedacht. Aber auch Obliegenheiten, die das subjektive Risiko betreffen, z.B. die vertraglich vereinbarte Pflicht zur Anzeige von Nebenversicherungen, gehören hierher.718 Schwintowski rügt m.E. zu Recht eine rechtspolitische Schieflage, weil ein VR auch dann ein berechtigtes Interesse an einer Vertragslösung haben kann, wenn eine Obliegeneit verletzt wird, die nach Eintritt des Versichrungsfalls zu erfüllen ist.719 Das Problem wird dadurch gemildert, dass das Gesetz teilweise ohnehin ein Kündigungsrecht im Versicherungsfall einräumt.720

c) Qualifiziertes Verschulden. Das Kündigungsrecht des VR setzt außerdem ein Verschul- 145 den des VN, und zwar in der Form von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz, voraus.721 Schuldlos oder nur leicht fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzungen schaden dem VN dagegen nicht.722 Diese Einschränkung rechtfertigt sich hier wie anderswo723 durch die legitime Erwartung des VN, für schuldloses Handeln und Handeln mit leichter, also auch einem sorgfältigen VN gelegentlich unterlaufender Fahrlässigkeit Versicherungsschutz zu genießen.724 Diese Erwartung schließt das Vertrauen ein, dass der VN wegen nur leicht fahrlässiger Vergehen auch nicht den Versicherungsvertrag durch Kündigung verliert.725 Denn der VR kann sich bei nur leicht fahrlässigem Verhalten nicht auf einen Vertrauensverlust berufen, sodass keine ausreichende Grundlage für ein außerordentliches Kündigungsrecht vorliegt.726 Dies bestätigt auch die bereits vor dem VVG 2008 zu beobachtende Vertragspraxis, auf die sich die Begründung zum RegE ausdrücklich beruft, wonach das Kündigungsrecht auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt bleibt.727 Anderes gilt nach § 58 Abs. 2 für die laufende Versicherung. Hier steht dem VR das Kündigungsreht auch bei einfach fahrlässiger Obliegenheitsverletzung zu.728

Ebenso z.B. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 13. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 12. Vgl. §§ 92, 111. Zu diesen Verschuldensgraden unten Rn. 175 ff. und 199 ff. Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 14; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 57; zur Beweislast des VN unten Rn. 232 ff. 723 Die Beschränkung auf Fälle grober Fahrlässigkeit und Vorsatz stellt, wie Marlow VersR 2007 43 zutreffend hervorhebt, eine „systematische Grundentscheidung der VVG-Reform“ dar. 724 Siehe auch unten Rn. 224. 725 Anders Marlow VersR 2007 43, der kein schutzwürdiges Interesse des VN an der Rücknahme des Kündigungsrechts im Falle nur leicht fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit sieht. 726 So auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 180; vgl. Felsch RuS 2007 485, 489; a.A. Marlow VersR 2007 43. 727 Vgl. die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 728 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 170.

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

3. Kündigung 146 a) Fristlose Kündigung. Beim Kündigungsrecht nach § 28 Abs. 1 handelt es sich um ein außerordentliches Recht zur Vertragsbeendigung. Es kann daher fristlos ausgeübt werden.729 Eine Ausnahme (Kündigungsfrist: 1 Monat) kennt § 58 Abs. 2 für die laufende Versicherung. In der Praxis werden auch sonst häufig Kündigungsfristen vereinbart.730 Solche Abreden in den AVB sind wirksam, weil sie den VN begünstigen.731 Gegenteilige Einzelrspr. hat schon nach altem Recht Kritik erfahren und wurde allenfalls dann akzeptiert, wenn das Kündigungsrecht vereinbart wurde, ohne hierfür an die Leistungsfreiheit des VR anzuknüpfen.732 Aber auch diese Einschränkung kann nach neuem Recht nicht mehr gelten, weil das gesetzliche Kündigungsrecht nach § 28 Abs. 1 ohnehin keine Leistungsfreiheit des VR voraussetzt.

147 b) Kein Formzwang. § 28 kennt für die Ausübung des Kündigungsrechts keinen Formzwang.733 Der VR braucht daher nicht schriftlich zu kündigen, eine mündliche oder durch E-mail erfolgende Erklärung reicht aus.734 Die AVB enthalten jedoch häufig Schriftformvorbehalte.735 Die Kündigung muss dem VN gegenüber erklärt werden und unzweideutig736 erkennen lassen, dass der VR wegen der Obliegenheitsverletzung das Vertragsverhältnis nicht fortsetzen will.737 Die Obliegenheitsverletzung, auf die der VR sein Kündigungsrecht stützt, ist zu substantiieren.738 In der Praxis wird die Verwendung der Schriftform schon infolge der Beweislast739 die 148 Regel sein. Unterfertigt ein Vertreter740 des VR das Kündigungsschreiben, so ist diesem eine Originalvollmacht anzuschließen, ansonsten kann der VN die Kündigung nach § 174 BGB zurückweisen.741 Nach der Rspr. soll eine beglaubigte Kopie oder ein Telefax nicht ausreichen,742

729 Vgl. insofern schon den Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 42 f.; auch Marlow VersR 2007 43. 730 Zu dieser bereits nach altem Recht geübten Praxis Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 80; nach neuem Recht Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 201. 731 Zutreffend somit OLG Karlsruhe 18.12.2003 – 12 U 97/03, VersR 2004 374, 375; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 80 unter Verweis auf OLG Hamm 19.11.1971 – 20 U 120/71, VersR 1972 265, 266; Looschelders/Pohlmann/ Pohlmann3 § 28 Rn. 107. 732 Deutlich z.B. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 108. 733 Vgl. – zum früheren § 6 Abs. 1 Satz 2 VVG – LG Saarbrücken 19.2.2004 – 2 S 225/03, VersR 2004 773, 775. 734 Zum Wesen der Kündigung als empfangsbedürftiger Willenserklärung Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 181; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 112. 735 Vgl. z.B. den Fall LG Saarbrücken 19.2.2004 – 2 S 225/03, VersR 2004 773, 775; zur Wirksamkeit eines Schriftformvorbehalts als eine den VN begünstigende Abrede Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 183; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 107. 736 Insbesondere darf die Erklärung nicht unter einer Bedingung abgegeben werden; vgl. OLG Celle 15.4.1983 – 8 U 189/82, VersR 1984 437, 439; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 112. 737 So auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 175 unter Verweis auf vor § 11 Rn. 22. 738 Zum Erfordernis, den Kündigungsgrund hinreichend zu substantiieren, OLG Celle 15.4.1983 – 8 U 189/82, VersR 1984 437, 439; vgl. nach neuem Recht Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 184. 739 Hierzu unten Rn. 157 f. 740 Nicht umfasst sind hier gesetzliche Vertreter sowie solche, die sich aus dem Handelsregister ergeben; LG Saarbrücken 19.2.2004 – 2 S 225/03, VersR 2004 773, 775. 741 Vgl. LG Saarbrücken 19.2.2004 – 2 S 225/03, VersR 2004 773, 775; AG Rastatt 9.6.2001 – 1 C 193/01, VersR 2002 963; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 182; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 59; Looschelders/Pohlmann/ Pohlmann3 § 28 Rn. 112. 742 BGH 10.2.1994 – IX ZR 109/93, NJW 1994 1472 (beglaubigte Kopie); OLG Hamm 26.10.1990 – 20 U 71/90, NJW 1991 1185. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

worin eine überflüssige Förmelei liegen dürfte.743 Eine nachfolgende Bestätigung (§ 141 BGB) der Kündigung wirkt erst mit dem Zeitpunkt des Zugangs der Bestätigungserklärung.744

c) Frist zur Ausübung. Der VR hat das Kündigungsrecht binnen eines Monats ab Kenntnis 149 von der Obliegenheitsverletzung auszuüben. Hierfür muss die empfangsbedürftige Kündigungserklärung dem VN vor Ablauf der Frist zugehen.745 Mit Fristablauf erlischt das Kündigungsrecht.746 Wiederholt der VN seine Obliegenheitsverletzung oder begeht er eine weitere Obliegenheitsverletzung, so entsteht das Kündigungsrecht und läuft damit die Frist von Neuem. Die Monatsfrist beginnt auch dann erst mit der Kenntnis des VR von der Verletzung zu laufen, wenn die obliegenheitswidrige Situation noch vor Kenntnisnahme durch den VR bereinigt wird.747 Entscheidend ist damit der Zeitpunkt, in dem der VR von der Obliegenheitsverletzung 150 Kenntnis nimmt. Zumal VR juristische Personen sind, ist dies zu jenem Zeitpunkt der Fall, in dem sein Organ oder aber ein sonstiger Wissensvertreter Kenntnis erlangt.748 Hierzu soll nach Ansicht des OLG Hamm der Versicherungsagent nicht zählen, sodass die Auge-und-Ohr-Rspr. nicht anwendbar sei.749 Diese Entscheidung ist schon nach altem Recht höchst bedenklich und nach neuem VVG nicht mehr haltbar. Gemäß § 70 steht die Kenntnis des Versicherungsvertreters jener des VR gleich, solange er sie nicht „außerhalb seiner Tätigkeit als Vertreter und ohne Zusammenhang mit dem betreffenden Versicherungsvertrag erlangt hat.“750 Die Ingangsetzung der Monatsfrist nach § 28 Abs. 1 setzt positive („sichere“)751 Kenntnis des 151 VR von der Obliegenheitsverletzung voraus.752 Hierfür muss dem VR Tatsachenmaterial vorliegen, „nach dem eine Kündigung wegen Obliegenheitsverletzung ernstlich in Betracht kommt“.753 Diese Kenntnis erlangt der VR häufig aus Anlass eines Versicherungsfalls, insbesondere durch die Schadensanzeige,754 vom VN gegebene Aufklärungen oder aber durch eigene Recherchen. Instruktiv ist insofern eine Entscheidung des OLG Rostock, in der es um die Leistungspflicht des VR aus einer Wohngebäudeversicherung ging.755 Eingetreten war ein Leitungswasserschaden durch Frost. Aus einem Protokoll über einen Ortstermin hatte der VR zwar Kenntnis davon erlangt, dass ein Frostschaden vorlag, nicht aber, dass dieser durch eine Obliegenheitsverletzung verursacht war. Dies erfuhr der VR erst aus dem späteren Schadensfeststellungsgutachten, sodass erst ab diesem Zeitpunkt „sichere“ Kenntnis des VR von der Obliegenheitsverletzung angenommen wurde. Das Erfordernis der Kenntnis bezieht sich nur auf den objektiven Tatbestand des Versto- 152 ßes, nicht hingegen auf das Verschulden des VN und auch nicht auf das Bestehen eines Kündi743 Vgl. im Kontext LG Saarbrücken 19.2.2004 – 2 S 225/03, VersR 2004 773, 775, das Erwägungen anstellt, unter welchen Voraussetzungen eine Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB einen Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) darstellen kann und daher rechtsmissbräuchlich ist. 744 LG Saarbrücken 19.2.2004 – 2 S 225/03, VersR 2004 773, 775. 745 Vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB; siehe für Kündigungen des Versicherungsvertrags im Allgemeinen Prölss/Martin/ Armbrüster31 vor § 11 Rn. 19. 746 Ausschlussfrist: Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 188. 747 Vgl. OLG Köln 25.11.1982 – 5 U 154/82, VersR 1983 1048, 1049; BGH 4.10.1989 – IV a ZR 220/87, VersR 1989 1250, 1253. 748 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 66; näher hierzu bei § 21. 749 OLG Hamm 19.7.2006 – 20 U 69/06, VersR 2007 1404, 1405. 750 Diese Vorschrift ist zugunsten des VN zwingend; vgl. § 72; wie hier Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 195. 751 Vgl. OLG Hamm 20.6.1997 – 20 U 1/97, VersR 1998 847 (848); Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 67. 752 BGH 14.11.1960 – II ZR 263/58, BGHZ 33 281, 283; BGH 21.12.1961 – II ZR 219/59, VersR 1962 153 f.; BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, VersR 1965 29, 30; OLG Köln 18.1.2000 – 9 U 111/99, VersR 2000 1217. 753 OLG Karlsruhe 18.12.2003 – 12 U 97/03, VersR 2004 374, 375; a.A. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 193. 754 Vgl. den Fall OLG Köln 7.5.2004 – 9 U 139/03, VersR 2004 1596. 755 OLG Rostock 23.7.2003 – 6 U 13/02, VersR 2004 61 f.; ähnlicher Sachverhalt bei OLG Karlsruhe 18.12.2003 – 12 U 97/03, VersR 2004 374, 375. 283

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

gungsrechts nach § 28 Abs. 1.756 Liegt Kenntnis des VR vor, so kann er den Beginn des Fristenlaufs nicht durch Anstellung weiterer, unnötiger Erhebungen hinauszögern.757 153 Ein Kennenmüssen kann das Erfordernis der Kenntnis grundsätzlich nicht erfüllen.758 Jedoch genügt es, wenn sich der VR der Kenntnis arglistig entzieht.759 Auch darf der VR offene Fragen nicht einfach hintanstellen, um den Beginn der Frist hinauszuzögern.760 Ergeben sich z.B. aus der Schadensanzeige eindeutige Hinweise auf eine zur Kündigung berechtigende Obliegenheitsverletzung, so muss der VR sein Wissen durch Rückfrage beim VN vervollständigen.761 Unterlässt der VR die Nachfrage, so läuft die Monatsfrist des § 28 Abs. 1 ab dem Zeitpunkt, in dem der VR bei ordnungsgemäßer Nachfrage Kenntnis erlangt hätte.762 Gleiches gilt, wenn der VR aus Ermittlungsergebnissen der Strafverfolgungsbehörden bereits Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung hat, mit der Kündigung aber abwartet, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist.763 Hier kann er sich nicht darauf berufen, er habe erst mit Beendigung des Verfahrens „sichere“ Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung erlangt.764

154 d) Missbräuchliche Ausübung des Kündigungsrechts. Die Kündigung durch den VR kann rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig sein. Dies wurde nach altem Recht für die Krankenversicherung angenommen, wenn die Obliegenheitsverletzung für den VR folgenlos geblieben ist und den VN ein nur geringes Verschulden trifft.765 Das ist nicht mehr der Fall, wenn der VN versucht, sich Leistungen zu erschleichen.766 Ob der Kündigungsausschluss des § 206 das Problem in seinem sachlichen Anwendungsbereich löst, hängt von seiner Auslegung ab. Erblickt man in § 206 (zutreffend) einen absoluten Kündigungsausschluss,767 so kann sich das Problem der missbräuchlichen Kündigung in seinem Anwendungsbereich nicht stellen.768 Der BGH will den Kündigungsausschluss allerdings auf Fälle des Prämienzahlungsverzugs einschränken und hält jedenfalls eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 BGB trotz § 206 für möglich.769 Rechtsmissbräuchlich kann eine Kündigung aber auch dann sein, wenn die Obliegenheitsverletzung die Interessen des VR erst gar nicht betroffen hat. So bspw., wenn ein VR

756 BGH 31.1.1952 – II ZR 259/51, BGHZ 4 369, 379; BGH 17.11.1955 – II ZR 340/53, VersR 1955 754, 755; BGH 14.11.1960 – II ZR 263/58, BGHZ 33 281, 283 f.; BGH 21.12.1961 – II ZR 219/59, VersR 1962 153 f.; BGH 29.5.1970 – IV ZR 1010/68, VersR 1970 660, 661; OLG Hamm 20.6.1997 – 20 U 1/97, VersR 1998 847, 848; wie hier Prölss/Martin/ Armbrüster31 § 28 Rn. 173; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 190. 757 Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 69. 758 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 16; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 191 (keine Ermittlungspflicht des VR); aus der Rspr. OLG Frankfurt/M. 2.10.1969 – 15 U 36/69, VersR 1971 71, 72; OLG Köln 29.4.1960 – 10 W 17/60, VersR 1960 649, 650. 759 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 69. 760 Vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 58. 761 BGH 20.9.1989 – IV a ZR 107/88, VersR 1989 1249, 1250; LG Köln 7.10.2004 – 24 O 503/03, RuS 2005 98, 99; OLG Köln 23.8.2005 – 9 U 203/04, RuS 2005 408, 409. 762 OLG Köln 18.1.2000 – 9 U 111/99, VersR 2000 1217; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 17. 763 Vgl. OLG Hamm 14.11.1958 – 7 U 175/58, VersR 1959 282, 283; LG Aachen 10.12.1982 – 5 S 322/82, ZfS 1983 86; a.A. OLG Osnabrück 17.7.1958 – 2 O 42/58, VersR 1958 780. 764 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 18. 765 vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn 15; vgl. im Kontext auch BGH 4.10.1989 – IV a ZR 220/87, VersR 1989 1250, 1253; BGH 22.1.1992 – IV ZR 59/91, VersR 1992 477; BGH 13.11.1980 – IVa ZR 23/80, VersR 1981 183, 185. 766 BGH 3.10.1984 – IV a ZR 76/83, VersR 1985 54, 55; OLG Saarbrücken 11.5.1994 – 5 U 965/93-67, VersR 1996 362, 363; OLG Koblenz 10.3.1995 – 10 U 359/94, RuS 1995 234; OLG Köln 31.5.1990 – 5 U 262/89, VersR 1991 410, 411. 767 So wohl BVerfG 10.6.2009 – 1 BvR 706/08 + 814/08 + 932/08 + 837/08, VersR 2009 957, 964; Langheid/Wandt/ Wandt2 § 28 Rn. 171. 768 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 205. 769 BGH 7.12.2011 – IV ZR 50/11, VersR 2012 219 (Marlow). Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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wegen Nichtanzeige einer Mehrfachversicherung kündigt, im Falle einer Anzeige aber keinerlei Einwände gegen die weitere Versicherungsnahme gehabt hätte.770

e) Wirkung der Kündigung. Die Kündigung beendet den Versicherungsvertrag ex nunc. Sie 155 wirkt also nur in die Zukunft, lässt den Versicherungsschutz für die Vergangenheit, vorbehaltlich der Leistungsfreiheitsfolgen nach § 28 Abs. 2 und 3, unberührt.771 Eine gegenteilige Vereinbarung scheitert am Verbot des § 28 Abs. 5.772 Nach dem Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie773 hat der VR dem VN die nicht konsu- 156 mierte Prämie bzw. einen nicht konsumierten Anteil der Prämie zu erstatten.774 Auch hiervon kann zum Nachteil des VN vertraglich nicht abgewichen werden.775

f) Beweislastfragen. Dem VR obliegt der Nachweis, dass die Voraussetzungen des Kündi- 157 gungsrechts vorliegen. Die Beweislast umfasst somit den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung.776 Diese Last erstreckt sich auf die notwendige Voraussetzung, dass die betreffende Obliegenheit vertraglich vereinbart war.777 Dem VN obliegt es sodann, mangelnden Vorsatz und mangelnde grobe Fahrlässigkeit zu beweisen, was aus der negativen Formulierung des Verschuldenserfordernisses (arg.: „… es sei denn, die Verletzung beruht nicht auf Vorsatz oder auf grober Fahrlässigkeit“) folgt.778 Der VR hat darüber hinaus die wirksam erfolgte Kündigung nach § 28 Abs. 1 zu beweisen. 158 Das umfasst insbesondere den Zugang der Kündigung beim VN.779 Beruft sich demgegenüber der VN auf die Verfristung der Kündigung, so hat er den Zeitpunkt der Kenntniserlangung des VR von der Obliegenheitsverletzung zu beweisen.780 Diese Beweislastverteilung wurde für § 6 Abs. 1 Satz 2 a.F. insbesondere auf den Umstand gestützt, dass den VR nach § 6 Abs. 1 Satz 3 a.F. eine Kündigungspflicht traf,781 deren Verletzung konsequent vom VN zu behaupten und zu beweisen war.782 Diese Kündigungspflicht ist zwar nach neuem Recht entfallen, dennoch wird angenommen, dass der VN auch ohne eine solche Kündigungspflicht die Kenntniserlangung des VR nachzuweisen hat.783 Entsprechendes wird herrschend für Ausschlussfristen zur Ausübung von Gestaltungsrechten nach BGB vertreten.784 Dies hat dann auch für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung nach § 28 Abs. 1 zu gelten. 770 Vgl. BGH 4.10.1989 – IV a ZR 220/87, VersR 1989 1250, 1253; unter Verweis auf diese Entscheidung auch Prölss/ Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 169; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 205.

771 So ausdrücklich auch der Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 43. 772 Zu § 28 Abs. 5 unten Rn. 248. 773 Näher hierzu unten § 39. 774 Siehe § 39. 775 Siehe § 42, der § 39 für halbzwingend erklärt. 776 Hierzu näher unten Rn. 233. 777 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 48. 778 Vgl. Marlow VersR 2007 43. 779 Vgl. zur Beweislast des VR hinsichtlich des Zugangs der Kündigung BGH 27.5.1981 – IVa ZR 52/80, VersR 1981 921; OLG Karlsruhe 1.4.1982 – 12 U 143/81, ZfS 1982 338; sowie Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 76. 780 Vgl. Sieg VersR 1963 1089, 1090. 781 Deutlich Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 114. 782 OLG Köln 18.1.2000 – 9 U 111/99, VersR 2000 1217; OLG Hamm 20.6.1997 – 20 U 1/97, VersR 1998 847, 848; OLG Köln 29.4.1960 – 10 W 17/60, VersR 1960 649, 650. 783 Vgl. auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 207m.N: zur Rspr. (vor Inkrafttreten des VVG 2008) und einem Hinweis auf die Substantiierungslast des VR hinsichtlich des Zeitpunkts der Kenntniserlangung. 784 Vgl. nur zu §§ 121 Abs. 1 Satz 1 und 124 Abs. 2 Satz 1 BGB MüKoBGB/Armbrüster8 § 121 Rn. 18 und § 124 Rn. 16 jeweils m.N. zur Rspr. 285

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

III. Leistungsfreiheit 1. Allgemeines 159 Neben dem gesetzlichen Kündigungsrecht kann der Vertrag als Folge einer Obliegenheitsverletzung auch die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des VR vorsehen.785 Die Vereinbarung muss zwischen der vollen Leistungsfreiheit bei Vorsatz und der teilweisen Leistungsfreiheit bei grober Fahrlässigkeit differenzieren.786 Nach zweifelhafter Ansicht des OLG Saarbrücken soll es aber genügen, wenn die AVB „Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 28“ vorsehen.787 Die vereinbarte Rechtsfolge wird durch § 28 Abs. 2 bis 4 gemildert. Diese enthalten Voraussetzungen und Beschränkungen der vereinbarten (gänzlichen bzw. teilweisen) Leistungsfreiheit, die grundsätzlich nicht zwischen verschiedenen Typen von Obliegenheiten unterscheiden, insbesondere nicht zwischen Pflichten, die vor oder nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen sind.788 Lediglich Absatz 4 ist auf Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten beschränkt, die nach dem Versicherungsfall zu erfüllen sind.

2. Wirkung 160 Die Leistungsfreiheit führt zur teilweisen oder vollständigen Verwirkung des Versicherungsanspruchs, lässt den Versicherungsvertrag jedoch vorbehaltlich einer Kündigung durch den VR nach § 28 Abs. 1 unberührt.789 Die Leistungsfreiheit wirkt auch gegen Dritte, insbesondere also gegen den Rechtsnachfolger des VN. Das gilt grundsätzlich auch für den Geschädigten in der Haftpflichtversicherung, soweit nicht besondere Vorschriften in der Pflichtversicherung diesem gegenüber eine Berufung auf die Leistungsfreiheit des VR unterbinden.790 Umstritten ist, ob die vereinbarte Leistungsfreiheit automatisch eintritt und daher vom 161 Richter von Amts wegen wahrzunehmen ist791 oder – wie h.L und Rspr. annehmen – sich der VR auf die Leistungsfreiheit berufen muss.792 Gesetzlich bestätigt wird die h.L. nach neuem Recht jedenfalls für den Fall einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung. Hier tritt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 2 die teilweise Leistungsfreiheit nicht von selbst ein, vielmehr erhält der VR ein Recht zur Kürzung seiner Leistung. Daher steht außer Zweifel, dass der Richter die Leistungskürzung nicht an Stelle des VR vornimmt, wenn dieser sie nicht geltend macht.793 Dann aber spricht viel dafür, der schon bisher h.L. auch im Falle vorsätzlicher bzw. arglistiger Obliegenheitsverletzung zu folgen.794 Für ein Erfordernis der Geltendmachung spricht auch der Wortlaut des § 117, der es dem VR in der Pflichthaftpflichtversicherung verweigert, dem Geschädigten eine Leistungsfreiheit „entgegenzuhalten“. Leistungsfreiheit tritt daher nur (insoweit) ein, als sie vom VR geltend gemacht wird. Ein weiterer, wenngleich nur kleiner Vorteil der h.L. zeigt sich, wenn ein VR, der dem Versicherten einen Schaden aus Kulanzgrün785 Zum Erfordernis einer unmissverständlichen Vereinbarung der Leistungsfreiheit oben Rn. 11. 786 Ausführlich Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 214 f. entgegen Segger/Degen VersR 2011 440, 442. 787 OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289, 1291; die Ansicht missachtet wohl das Transparenzgebot.

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Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Absatz 2). Vgl. nur Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn 60. Siehe für die Pflichthaftpflichtversicherung § 117. So Möller FS Klingmüller (1974) 301, 311; R. Schmidt 271. So der BGH 24.4.1974 – IV ZR 202/72, VersR 1974 689 f.; OLG Köln 12.4.1994 – 9 U 17/94, BeckRS 1994 13916; OLG Hamm 4.12.1992 – 20 U 157/92, RuS 1993 246, 247; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn 60; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 165; Wohlthat RuS 2015 549, 550; Sieg VersR 1963 1089, 1093. 793 Vgl. auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 258; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 143. 794 Ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 257; differenzierend Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 146. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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den ersetzt, das Regressrecht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 ausüben will. Hier kann sich der haftpflichtige Schädiger nicht auf die Leistungsfreiheit berufen. Dieses Ergebnis lässt sich freilich wegen der Teleologie des § 68 auch bei Annahme einer von Amts wegen zu beachtenden Leistungsfreiheit begründen, indem das Regressrecht nicht vom Bestehen einer Leistungspflicht, sondern nur von der erfolgten Leistung des VR abhängig gemacht wird.795 Bezahlt der VR in Unkenntnis seiner Leistungsfreiheit, so kann er die Leistung nach § 812 162 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückfordern.796 Das soll nach der Rspr. aber nicht für Teilleistungen gelten, die der VN empfangen hat, bevor er eine nach dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheit verletzt und damit die Leistungsfreiheit ausgelöst hat, es sei denn, der VR hätte einen Vorbehalt erklärt.797 Hat der VR an einen Dritten (z.B. an den Zessionar oder Pfandgläubiger) bezahlt und damit den VN von einer Schuld befreit, so richtet sich der Bereicherungsanspruch gegen den VN.798

3. Verzicht und Verwirkung Der VR kann auf seine Leistungsfreiheit verzichten oder mit seiner Berufung auf die eingetrete- 163 ne Verwirkung am Verbot widersprüchlichen Verhaltens scheitern.799 Schwierig ist es festzustellen, wann ein solcher Verzicht erklärt ist, insbesondere wenn es, wie meist, an einer ausdrücklichen Erklärung fehlt.800 Hierfür ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen,801 der Rspr. sind nur allgemeine Richtlinien zu entnehmen.802 Bezahlt der VR in Kenntnis der Obliegenheitsverletzung803 oder gibt er eine ausdrückliche Erklärung zur Deckungsübernahme ab,804 so nimmt die Rspr. gängig einen Verzicht auf die Leistungsfreiheit an. Bisweilen lässt die Rspr. auch Zahlung805 bzw. Bestätigung806 der Deckung trotz Verdachts einer Obliegenheits795 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 68 Rn. 37. 796 Z.B. OLG Hamm 2.3.2011 – I-20 U 124/10, RuS 2011 520; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 185; zu Beweislastfragen unten Rn. 232 ff. 797 BGH 2.10.1985 – IV a ZR 18/84, VersR 1986 77, 79; BGH 13.6.2001 – IV ZR 237/00, VersR 2001 1020, 1021; OLG Hamm 28.11.1990 – 20 U 174/89, VersR 1991 1168, 1169; vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 185. 798 BGH 2.11.1988 – IV b ZR 102/187, VersR 1989 74, 75 f. 799 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 274 ff. 800 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 261 („strenge Anforderungen“ für Annahme eines konkludenten Verzichts). 801 BGH 22.3.1962 – II ZR 195/59, VersR 1962 501, 502; BGH 12.12.1963 – II ZR 38/61, VersR 1964 156, 158. 802 Zu negativen Beispielen z.B. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 280 ff. 803 BGH 27.6.1953 – II ZR 176/52, VersR 1953 316 (Gewährung von Rechtsschutz in der Haftpflichtversicherung); BGH 21.3.1963 – II ZR 111/60, VersR 1963 516, 517; OLG Hamm 11.5.1988 – 20 U 211/87, RuS 1988 347; OLG Karlsruhe 21.7.1983 – 12 U 298/82, VersR 1984 635, 636; OLG Karlsruhe 17.9.1998 – 12 U 102/98, RuS 1999 17; KG Berlin 26.10.2001 – 6 U 4294/00, NVersZ 2002 229; auch eine Zahlung an den geschädigten Dritten in der Haftpflichtversicherung kann ausreichen; vgl. OLG Düsseldorf 28.10.1997 – 4 U 101/96, RuS 1998 145, 147 (Schimikowski) es sei denn, der VR war trotz Leistungsfreiheit dem Geschädigten gegenüber zur Zahlung verpflichtet, BGH 31.1.1952 – II ZR 259/51, BGHZ 4 369, 380; auch OLG Hamburg 1.6.1950 – 2 U 24/50, VersR 1950 132; vgl. hingegen LG Marburg 26.7.1961 – S 10/61, VersR 1962 512; LG Bielefeld 30.4.1954 – 5 O 127/54, VersR 1954 489; auch LG Saarbrücken 12.5.1972 – 4 O 232/71, VersR 1973 513; bzw. für das Führen von Vergleichsverhandlungen mit dem geschädigten Dritten LG Karlsruhe 30.4.1964 – 2 O 268/83, VersR 1964 862, 863 f. 804 BGH 6.10.1982 – IV a ZR 21/81, VersR 1983 30; vgl. OLG Düsseldorf 4.11.1952 – 4 U 152/52, VersR 1953 23; OLG Koblenz 20.9.1967 – 1 a U 305/66, VersR 1967 1043. 805 OLG Köln 25.10.1967 – 2 U 37/67, VersR 1968 837 f. 806 BGH 27.6.1953 – II ZR 176/52, VersR 1953 316; BGH 27.6.1966 – II ZR 209/64, VersR 1966 1174, 1175 f.; OLG Köln 10.11.1964 – 9 U 23/64, VersR 1965 54; OLG Köln 4.2.1962 – 12 U 84/64, VersR 1965 751 (Risikoausschluss); OLG Hamburg 25.10.1973 – 3 U 60/73, VersR 1974 463, 464 f. (Anerkenntnis durch die Leistung von Zahlungen trotz Bekanntsein der Umstände, die eine Obliegenheitsverletzung begründen); OLG Düsseldorf 6.2.1979 – 6 C 593/78, VersR 1980 33, 34. 287

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

verletzung ausreichen. Ähnlich liegt es, wenn der VR in Kenntnis der Obliegenheitsverletzung Leistungsfreiheit (bzw. -kürzung) androht, falls erneut eine Obliegenheit verletzt wird.807 Das Führen von Vergleichsverhandlungen bedeutet indessen noch keinen Verzicht auf die Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung.808 Auch andere Umstände können für einen Verzicht sprechen: Eine länger anhaltende, von den AVB abweichende Übung hinsichtlich der Erfüllung von Meldepflichten809 oder aber das Setzen von Schadenregulierungsmaßnahmen nach Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung810 durch den VR. Bisweilen nimmt die Rspr. einen Verzicht auch an, wenn der VR die Obliegenheitsverletzung erst in zweiter Instanz geltend macht,811 nicht aber wenn er nur die bereits in erster Instanz geltend gemachten Obliegenheitsverletzungen erweitert.812 Keine Verwirkung soll eintreten, wenn der VR die verspätete Geltendmachung einer Invalidität erstmals nach Einholung eines für den VN nicht belastenden ärztlichen Gutachtens geltend macht.813

4. Arglistige Obliegenheitsverletzung 164 a) Volle Leistungsfreiheit. Rechtsfolge einer arglistig begangenen Obliegenheitsverletzung ist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 die volle Leistungsfreiheit des VR. Eine Kürzung im Verhältnis der Schwere des Verschuldens nach dem Muster des § 28 Abs. 2 Satz 2 verbietet sich bei Vorliegen von Arglist von selbst. Aber auch eine Kürzung nach Maßgabe des Kausalitätsbeitrages der Obliegenheitsverletzung findet nach § 28 Abs. 3 Satz 2 bei Arglist nicht statt. Die Leistungsfreiheit des VR tritt daher nach § 28 Abs. 2 Satz 1 selbst dann ein, wenn sich die arglistig begangene Obliegenheitsverletzung überhaupt nicht ausgewirkt hat, es also an jeglicher Kausa807 OLG Saarbrücken 31.5.2006 – 5 U 165/05-14, VersR 2007 1646, 1647. 808 OLG Koblenz 28.1.2000 – 10 U 1035/99, RuS 2000 161 f. 809 OLG Koblenz 28.1.2000 – 10 U 1424/98, VersR 2001 1282, 1283; öOGH 20.11.1996 – 7 Ob 2083/96 s, VersR 1997 1558, 1559 f. (Schadensanzeige).

810 BGH 16.1.1970 – IV ZR 645/68, VersR 1970 241, 242 (Deckungszusage in Kenntnis der Verletzung von nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheiten); OLG Köln 21.5.2007 – 9 U 220/06, VersR 2008 391, 392 (VR forderte trotz mehrfacher Kontakte mit dem VN keine Schadensaufstellung); OLG Karlsruhe 31.12.1986 – 12 U 113/86, RuS 1987 262, 263 (VR forderte in Kenntnis der Obliegenheitsverletzung eine Schadensaufstellung); OLG Frankfurt/M. 10.12.1998 – 3 U 28/98, NVersZ 1999 230, 231 (VR rügte zunächst die verspätete Schadensanzeige, kam später aber trotz eines „ungewöhnlich ausführlichen Schriftwechsels“ mit dem VN nicht mehr darauf zurück); OLG Frankfurt/M. 20.2.1992 – 22 U 136/90, VersR 1992 1458 (VR schickte dem VN neuerlich ein UnfallschadensanzeigeFormular, nachdem der VN bereits die Obliegenheit verletzt hatte, das Unfallschadensanzeige-Formular auszufüllen und zu retournieren); OLG Karlsruhe 5.6.1997 – 12 U 308/96, VersR 1998 975 (VN hatte in der Schadensanzeige unvollständige Angaben gemacht, weswegen der VR in Kenntnis davon einen Besichtigungstermin durch einen Schadensregulierer vereinbarte); LG Wuppertal 27.10.1961 – 10 O 115/61, VersR 1962 629 f. (VR droht in Kenntnis einer verspäteten Schadenanzeige die Versagung von Versicherungsschutz bei weiteren Verstößen an); OLG Saarbrücken 31.5.2006 – 5 U 165/05-14, VersR 2007 1646, 1647 (wenn der VR in Kenntnis der Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten vor den nachteiligen Folgen künftiger Verstöße warnt, erklärt er damit, die Deckung wegen der ihm bekannten Obliegenheitsverletzungen nicht zu versagen); anders für den Fall der Durchführung eines Sachverständigenverfahrens BGH 22.11.1962 – II ZR 79/60, VersR 1963 79, 81 (der VR „rechnete“ mit einem Verstoß, hatte aber wohl noch keine Kenntnis, dass der VN vorsätzlich unrichtige Angaben zum Schaden gemacht hatte); keine Berufung auf die Leistungsfreiheit lässt das OLG Karlsruhe 29.1.2004 – 19 U 175/01, VersR 2005 353, 354 zu, wobei sich der VR hier trotz Kenntnis der Obliegenheitsverletzung auf ein Sachverständigenverfahren eingelassen hat. 811 OLG Düsseldorf 4.8.1992 – 4 U 30/92, VersR 1993 425; anders OLG Köln 12.4.1994 – 9 U 17/94, BeckRS 1994 13916; OLG Köln 26.9.2006 – 9 U 142/05, RuS 2007 100 (VR beruft sich in der Berufungserwiderung ausdrücklich auf Obliegenheitsverletzung). 812 OLG Schleswig 16.6.1993 – 9 U 37/91, VersR 1994 169 f.; hierzu Schmalzl VersR 1994 853; ebenso OLG Brandenburg 16.11.2006 – 12 U 72/06, RuS 2007 412, 413, wenn der VR seine Leistungsfreiheit im Laufe des Rechtsstreits mit anderen oder weiteren Gründen als im Ablehnungsschreiben begründet. 813 OLG Düsseldorf 22.1.2008 – I-4 U 84/07, VersR 2008 672, 673. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

lität fehlt.814 Dies folgt aus der allgemeinen Leistungsfreiheitsabrede in den AVB, einer speziellen Arglistklausel, wie sie nach altem Recht Verwendung fand, bedarf es nicht mehr.815 Aus Gründen der Transparenz ist jedoch zu empfehlen, die kausalitätsunabhängige Leistungsfreiheit bei arglistiger Verletzung von Obliegenheiten in den AVB speziell zu regeln. Fraglich ist bei Vorliegen von Arglist die Anwendbarkeit der Belehrungspflicht nach § 28 165 Abs. 4. Dafür spricht der Wortlaut in Absatz 4, der auf die Leistungsfreiheit „nach Absatz 2“ verweist, in dessen S. 1 auch die Leistungsfreiheit wegen arglistiger Obliegenheitsverletzung geregelt ist.816 Dieser Wortlaut des Absatzes 4 kontrastiert zugleich auffällig mit dem Wortlaut des Absatzes 3, der in seinem Satz 2 ausdrücklich festlegt, dass das Kausalitätserfordernis bei Arglist nicht gilt. Jedoch ist eine Belehrungspflicht des VR bei arglistigem Handeln des VN vom Gesetzgeber eindeutig nicht gewollt. Die Gesetzesbegründung hebt klar hervor, dass es im Falle der Arglist keiner Belehrung bedarf.817 Lehre und Rechtsprechung folgen dieser Begründung.818 Dies entspricht auch der Rspr. zur bereits nach altem Recht gemäß § 242 BGB entwickelten Belehrungspflicht des VR.819 Freilich wäre es vorzugswürdig gewesen, der Gesetzgeber hätte diese Beschränkung der Belehrungspflicht ausdrücklich hervorgehoben, wie er die Arglistfälle in Absatz 3 Satz 2 ja auch ausdrücklich vom Kausalitätserfordernis befreit. Denn § 28 ist eine Vorschrift zum Schutz des VN, sodass eine restriktive Auslegung des Wortlauts zugunsten des VR schwer fällt. Der Rechtsfolge unbeschränkter Leistungsfreiheit wohnt ein pönales Element inne.820 Sie 166 ist daher mit der Rechtsfolge einer Anfechtung wegen vorvertraglicher arglistiger Täuschung nicht vergleichbar, weil diese Kausalität zwischen Täuschungshandlung und Irrtum sowie Vertragsschluss des Getäuschten voraussetzt.821 Die Leistungsfreiheit steht vielmehr einer Verwirkungsabrede im allgemeinen Zivilrecht nahe, die je nach Lage der Dinge wie eine Vertragsstrafe zu behandeln (also nach § 343 BGB zu mindern) oder aber nach § 354 BGB in einen Rücktrittsvorbehalt umzudeuten ist.822 Die Analogie zur Vertragsstrafe zeigt den pönalen Charakter der Rechtsfolge,823 die Analogie zur Umdeutung in einen vertraglichen Rücktritt schränkt 814 Z.B. OLG Saarbrücken 2.9.2020 – 5 U 94/19, VersR 2020 1372, 1375; vgl. OLG Saarbrücken 1.2.2017 – 5 U 26/16, VersR 2018 415, 417; OLG Stuttgart 1.12.2016 – 7 U 114/16, VersR 2017 1263, 1264; KG Berlin 15.7.2014 – 6 U 197/13, RuS 2016 72; OLG Naumburg 16.2.2012 – 4 U 32/11, VersR 2013 577, 578; OLG Hamm 27.7.2011 – 20 U 146/10, VersR 2012 356; LG Saarbrücken 6.9.2011 – 14 S 2/11, VersR 2012 98, 100. 815 Siehe hierzu auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 116; Versuch einer Rechtfertigung der Pönalisierung des VN z.B. bei Schwarz 90 ff. 816 Daher folgt aus dem Verweis des Absatzes 4 auf Absatz 2, nicht aber auf Absatz 3 Satz 2, noch nicht, dass bei Arglist keine Belehrung stattzufinden hat; Absatz 3 Satz 2 regelt nämlich nicht die Leistungsfreiheit des VR wegen arglistiger Obliegenheitsverletzung, sondern nimmt für diese Fälle nur das Kausalitätskriterium zurück; anders aber Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 137. 817 So die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 4 a.E.). 818 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 137; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 350; Looschelders GS Hübner (2012) 147, 160; a.A. Knappmann VersR 2011 724, 725; aus der Rspr. OLG Dresden 13.10.2020 – 4 U 2750/19, VersR 2021 179, 183; OLG Saarbrücken 2.9.2020 – 5 U 94/19, VersR 2020 1372, 1376; OLG Rostock 8.1.2020 – 4 U 136/19, VersR 2020 690; OLG Saarbrücken 27.9.2017 – 5 U 43/16, VersR 2018 672, 673; OLG Stuttgart 1.12.2016 – 7 U 114/16, VersR 2017 1263, 1264; OLG Düsseldorf 22.7.2014 – I-4 U 102/13, RuS 2015 496, 497; OLG Frankfurt/M. 20.2.2013 – 7 U 229/11, RuS 2013 554, 556; OLG Köln 3.5.2013 – 20 U 224/12, VersR 2013 1428, 1429; OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511; LG Saarbrücken 8.4.2021 – 14 O 103/17, VersR 2021 888, 890; LG Saarbrücken 6.9.2011 – 14 S 2/11, VersR 2012 98, 100; zu § 19 Abs. 5 (aber mit entsprechenden Ausführungen auch zu § 28 Abs. 4) ebenso BGH 12.3.2014 – IV ZR 306/13, VersR 2014 565. 819 Siehe nur BGH 4.5.2009 – IV ZR 62/07, VersR 2009 968. 820 Kritisch daher Schwintowski ZRP 2006 139. 821 Vgl. § 123 Abs. 1 BGB: „Wer … zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung … bestimmt worden ist, …“. 822 Vgl. MüKoBGB/Gaier8 § 354 Rn. 3; MüKoBGB/Gottwald8 Vor § 339 Rn. 36 (und Rn. 40 speziell zu versicherungsrechtlichen Obliegenheiten). 823 Eine Vertragsstrafe in AGB unterliegt daher, soweit anwendbar, § 309 Nr. 6 BGB. 289

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

das Verbot des § 28 Abs. 5, jedenfalls funktional gesehen, ein. Diese Schärfe der Sanktion wird vom Gesetzgeber durch ein besonderes Bedürfnis nach Generalprävention gerechtfertigt.824 167 Bei allem liegt in § 28 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 eine teilweise Verschärfung der Sanktion für arglistige Obliegenheitsverletzungen gegenüber der Rechtslage nach altem VVG. Nach § 6 Abs. 2 a.F. trat die Leistungsfreiheit des VR bei Verletzung risikovorbeugender Obliegenheiten nur ein, wenn sich der Pflichtverstoß in irgendeiner Weise kausal ausgewirkt hatte. Das galt auch bei Arglist. Nach neuem Recht ist dieses Kausalitätskriterium entfallen. Ob dies vom Gesetzgeber beabsichtigt war oder er bei der Formulierung des § 28 Abs. 3 Satz 2 nur an Anzeige- und Aufklärungsobliegenheiten, nicht aber an risikovorbeugende Obliegenheiten gedacht hat, ist zumindest fraglich. Weiterhin anwendbar bleibt jene Rspr., die selbst in Fällen der Arglist ausnahmsweise 168 keine Leistungsfreiheit des VR anerkannt hat,825 weil die Obliegenheitsverletzung von vornherein überhaupt nicht ins Gewicht fiel, die schutzwürdigen Interessen des VR also von vornherein nicht gefährdet erschienen.826 Dasselbe gilt, wenn sich die Berufung auf die Leistungsfreiheit ausnahmsweise als eine unzulässige Rechtsausübung darstellt. Dies nimmt der BGH an, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft.827 Zusätzlich muss eine Gesamtwürdigung der Umstände die Rechtsmissbräuchlichkeit der Berufung auf die Leistungsfreiheit ergeben.828 Hierher zählen die Beweggründe des VN,829 das Ausmaß der Interessenbeeinträchtigung des VR, die existenzgefährdende Wirkung der Leistungsfreiheit für den VN,830 die treuwidrige Veranlassung der falschen Angaben des VN durch den VR831 bzw. sonst schwer unredliches Verhalten des VR (z.B. Bestechen von Zeugen).832 Zu berücksichtigen ist insbesondere, ob der VR den VN durch ungerechtfertigte Verweigerung von Teilleistungen in eine existenzbedrohliche Situation gebracht und dadurch das arglistige Verhalten ausgelöst hat.833 Berechtigterweise bereits empfangene Leistungen muss der VN nicht wegen einer nachträglichen Pflichtverletzung herausgeben.834 Die Leistungsfreiheit des VR kann auch nur zum Teil eintreten, wenn dem VR die Zahlung einer Teilentschädigung trotz allem zumutbar ist.835 Z.B. darf einem VR, der erhebliche Entschädigungsleistungen vertragswidrig zurückhält, eine spätere arglistige Täuschung des VN nicht in der Weise zugutekommen, dass er gegenüber ei-

824 So die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 3 a.E.). 825 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 117 ff.; wohl auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 306 wegen der bei Arglist kausalitätsunabhängigen Leistungsfreiheit des VR; Looschelders GS Hübner (2012) 147, 160 f (einschränkend); OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875; OLG Hamm 27.7.2011 – 20 U 146/10, VersR 2012 356, 358; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 203. 826 BGH 6.5.1965 – II ZR 217/62, VersR 1965 701, 704 (arglistige Täuschung über die Schadenshöhe); vgl. auch BGH 8.7.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991 1129, 1131; OLG Dresden 13.10.2020 – 4 U 2750/19, VersR 2021 179, 183. 827 BGH 22.6.2011 – IV ZR 174/09, VersR 2011 1121, 1123; BGH 12.5.1993 – IV ZR 120/92, VersR 1993 1351, jeweils m.w.N.; von einem geringen Teil kann jedenfalls nicht mehr gesprochen werden, wenn es um ca. A 50.000 und ca ¼ des Gesamtschadens geht: OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875. 828 BGH 22.6.2011 – IV ZR 174/09, VersR 2011 1121, 1123; BGH 12.5.1993 – IV ZR 120/92, VersR 1993 1351; OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875, jeweils m.w.N. 829 OLG Dresden 13.10.2020 – 4 U 2750/19, VersR 2021 179, 183; OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875 (Bereicherungsabsicht oder nur Vermeidung von Regulierungsschwierigkeiten). 830 BGH 2.10.1985 – IV a ZR 18/84, VersR 1986 77, 79; BGH 29.5.1985 – IV a ZR 259/83, VersR 1985 875 (offen blieb, ob es sich um eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung oder eine arglistige Täuschung handelte); BGH 8.2.1984 – IVa ZR 203/81, VersR 1984 453, 454; OLG Dresden 13.10.2020 – 4 U 2750/19, VersR 2021 179, 183; OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875; OLG Hamm 27.7.2011 – 20 U 146/10, VersR 2012 356, 358. 831 BGH 3.12.1975 – IV ZR 34/74, VersR 1976 134, 135. 832 BGH 7.6.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107 368, 375 f. 833 OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875. 834 OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875. 835 BGH 8.7.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991 1129; neuerdings wiederum OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 876. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

nem pflichtgemäss leistenden VR Vorteile aus seinem eigenen vertragswidrigen Verhalten hat.836

b) Begriff der Arglist. Im Rahmen des § 123 BGB, der nach § 22 auch auf den Versicherungsver- 169 trag Anwendung findet, wird Arglist als (zumindest bedingter) Vorsatz definiert, der sich auf die Täuschung, Irrtumserregung und Kausalität, also die Herbeiführung der Willenserklärung des Getäuschten durch den Irrtum, bezieht.837 Der Täuschende muss sich somit der Unrichtigkeit seiner Angaben bewusst sein, mindestens aber hat er ihre Unrichtigkeit ernstlich für möglich zu halten und billigend in Kauf zu nehmen.838 Das kann bereits dann gegeben sein, wenn er Erklärungen abgibt, ohne sich um deren Richtigkeit irgendwie zu kümmern, er also „ins Blaue hinein“ redet.839 Darüber hinaus müssen auch die Irrtumserregung beim Getäuschten und deren Kausalität für den Vertragsschluss (bedingt) gewollt sein. Auf § 28 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 ist dieser Begriff mit Bedacht übertragbar.840 Dies gilt 170 jedenfalls für Anzeige- und Aufklärungspflichtverletzungen, wo sich der Vorsatz auf die Täuschung, die Irrtumserregung beim VR und dessen Fehlentscheidung (Schadenregulierung in Unkenntnis relevanter Umstände) oder die Unmöglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen (z.B. den Versicherungsvertrag zu kündigen), erstrecken muss, um Arglist zu begründen.841 Auch hier reicht es aus, dass der VN „ins Blaue hinein“ redet.842 Das kann auch der Fall sein, wenn der VN ein von einem Dritten ausgefülltes Anzeigeformular ungelesen unterschreibt, obwohl er weiss, dass der Dritte nicht hinreichend informiert ist.843 Dabei muss der VN nicht in Bereicherungsabsicht handeln, es genügt, dass der VN einen gegen die Interessen des VR gerichteten Zweck verfolgt.844 Das Bestreben, Schwierigkeiten, die sich bei der Geltendmachung von berechtigten Deckungsansprüchen stellen, zu umgehen, reicht hierfür aus.845 Arglistig handelt der VN schon dann, wenn er eine Obliegenheit bewusst verletzt und dabei billigend in Kauf nimmt, 836 OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 876. 837 MüKoBGB/Armbrüster8 § 123 Rn. 14. 838 MüKoBGB/Armbrüster8 § 123 Rn. 15; so auch für Arglist nach § 28 KG Berlin 10.12.2013 – 6 U 155/13, RuS 2015 66, 67. 839 MüKoBGB/Armbrüster8 § 123 Rn. 16; nicht immer wird deswegen allerdings Arglist angenommen; vgl. OLG Karlsruhe 18.10.2007 – 12 U 9/07, VersR 2008 250. 840 Gleichsetzung des Begriffs im allgemeinen Privatrecht und im Versicherungsvertragsrecht bei Looschelders GS Hübner (2012) 147, 148 ff. 841 Vgl. BGH 21.11.2012 – IV ZR 97/11, VersR 2013 175; BGH 4.5.2009 – IV ZR 62/07, VersR 2009 968; OLG Köln 8.7.2020 – 9 U 111/20, RuS 2020 702, 703; OLG Saarbrücken 27.9.2017 – 5 U 43/16, VersR 2018 672, 673; OLG Hamm 27.7.2011 – 20 U 146/10, VersR 2012 356, 358; OLG Düsseldorf 26.9.2009 – 21 C 57/08, RuS 2010 58; OLG Köln 17.11.2009 – 9 U 53/09, VersR 2010 943; OLG Naumburg 16.2.2012 – 4 U 32/11, RuS 2013 16; KG Berlin 20.9.2013 – 6 U 194/12, VersR 2015 886, 887. 842 OLG Schleswig 10.7.2018 – 16 U 106/17, VersR 2018 1377, 1380; OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511, 1513; LG Wiesbaden 24.1.2019 – 9 O 176/18, VersR 2019 1215, 1217. 843 MüKoBGB/Armbrüster8 § 123 Rn. 16 unter Verweis auf OLG Frankfurt/M. 22.7.2004 – 3 U 219/03, VersR 2005 1136, 1137. 844 BGH 22.6.2011 – IV ZR 174/09, VersR 2011 1121, 1123; BGH 4.5.2009 – IV ZR 62/07, VersR 2009 968; BGH 2.10.1985 – IVa ZR 18/84, VersR 1986 77, 78; OLG Köln 8.7.2020 – 9 U 111/20, RuS 2020 702, 703; OLG Schleswig 10.7.2018 – 16 U 106/17, VersR 2018 1377, 1380; OLG Hamm 28.2.2018 – 20 U 188/17, RuS 2018 421, 422; OLG Dresden 7.11.2017 – 4 W 991/17, RuS 2018 242, 243; OLG Düsseldorf 22.7.2014 – I-4 U 102/13, RuS 2015 496; OLG Saarbrücken 6.11.2013 – 5 U 372/12, RuS 2014 448; OLG Hamm 2.3.2011 – I-20 U 124/10, RuS 2011 520, 521; OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511; LG Wiesbaden 24.1.2019 – 9 O 176/18, VersR 2019 1215, 1217. 845 OLG Köln 8.7.2020 – 9 U 111/20, RuS 2020 702, 703; OLG Hamm 28.2.2018 – 20 U 188/17, VersR 2018 929, 931; OLG Düsseldorf 6.2.2018 – I-4 U 164/15, VersR 2019 157, 158; OLG Saarbrücken 27.9.2017 – 5 U 43/16, VersR 2018 672, 673; OLG Saarbrücken 15.3.2017 – 5 U 20/16, VersR 2018 873, 875; deutlich z.B. auch OLG Karlsruhe 1.3.2012 – 12 U 196/11, VersR 2012 1249, 1251; OLG Hamm 27.7.2011 – 20 U 146/10, VersR 2012 356, 358; LG Oldenburg 22.7.2011 – 13 O 3444/10, VersR 2012 1383, 1384 f. 291

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

dass er damit die Schadensregulierung des VR beeinflussen kann.846 Das Vorliegen von Arglist ist daher indiziert, wenn der VN über Umstände des Unfallhergangs zu täuschen versucht oder zum Nachweis seines Anspruchs bewusst unrichtige Beweismittel (z.B. Urkunden) vorlegt.847 Für die Beurteilung kommt es auf den Zeitpunkt der Obliegenheitsverletzung an.848 171 Die geschilderten zusätzlichen Erfordernisse sind grundsätzlich geeignet, Arglist von einfachem Vorsatz abzugrenzen, denn der Vorsatz bezieht sich nur auf die Verletzung der Verhaltensnorm als solcher, nicht notwendig aber auf die Folgen (Irrtum und Fehlentscheidung bzw. Unmöglichkeit zur Reaktion des VR). Jedoch setzt der Vorsatz nach h.L. und Rspr. voraus, dass der VN den Verstoß im Bewusstsein der Verhaltensnorm will.849 Bedingter Vorsatz, also ein Verhalten, zu dem sich der VN entschließt, obwohl er einen Verstoß gegen eine Obliegenheit ernstlich für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, reicht aus.850 Es fällt auf, dass diese Vorsatzdefinition – anders als der allgemeine Arglistbegriff – das Bewusstsein der Verhaltensnorm in sich schließt. Insofern liegt es nahe, dieses auch zur Voraussetzung einer arglistigen Verletzung zu machen. Allerdings wird ein solches Bewusstsein nach der dargelegten Arglistdefinition regelmäßig vorliegen, wenn der VN einen Irrtum des VR und eine daraus folgende Fehlentscheidung bzw. eine fehlende Handlungsmöglichkeit des VR zumindest billigend in Kauf nimmt. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen muss der VN nämlich regelmäßig damit rechnen, dass sein Verhalten eine Obliegenheit verletzt. 172 Allerdings passen diese Kriterien der arglistigen Täuschung nach § 123 BGB nur auf arglistige Verletzungen von Anzeige- und Aufklärungspflichten, die eben einen Irrtum des VR und in der Folge eine Fehlentscheidung bzw. dessen Unmöglichkeit, der wahren Sachlage gemäß zu handeln, intendieren. Hingegen können die Kriterien bei anderen, insbesondere risikovorbeugenden Obliegenheiten keine unmittelbare Anwendung finden, weil die Arglist des VN hier nicht auf eine Täuschung und die dadurch erzielte Herbeiführung einer Willenserklärung des VR gerichtet ist. Hier könnte man allenfalls fordern, dass der VN die Verletzung im Bewusstsein der Verhaltensnorm begeht, um dabei zu Lasten des VR einen bestimmten, rechtswidrigen Erfolg zu erzielen. Denkbar wäre etwa das Unterlassen von Sicherheitsvorkehrungen in der Absicht, die versicherte Sache auf diese Weise zu „versilbern“, was etwa bei einer Neuwertversicherung, bei einem taxierten Versicherungswert, aber auch sonst nicht ausgeschlossen ist. Ähnliches wie für gefahrvorbeugende Obliegenheiten gilt für nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheiten, die nicht Anzeige- oder Aufklärungspflichten sind, sondern z.B. der Schadenabwehr bzw. -minderung dienen. Hier könnte in Anlehnung an § 6 Abs. 3 Satz 2 öVersVG von Arglist ausgegangen werden, wenn der VN mit dem Vorsatz handelt, „die Leistungspflicht des VR zu beeinflussen“. Ähnlich liegt die Definition, wonach der VN arglistig handelt, wenn er einen gegen die Interessen des VR gerichteten Zweck (Vermeidung von Regulierungsschwierigkeiten oder einer Verzögerung der Regulierung) verfolgt.851 Insgesamt aber spricht m.E. vieles dafür, dass der Gesetzgeber mit „Arglist“ lediglich Fälle 173 der Anzeige- und Aufklärungspflichten gemeint hat. Auf andere Obliegenheiten lässt sich der Begriff, wie dargelegt, nur bedingt übertragen. Auch im Rahmen der gesetzlichen Obliegenheiten wird die Arglist lediglich bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht (§§ 20, 21 Abs. 2 Satz 2 und 22 i.V.m. § 123 BGB) besonders geregelt, die §§ 23 bis 27 zur Gefahrerhöhung kennen demgegenüber ebenso wenig Sondervorschriften für arglistiges Verhalten wie § 81 (Herbeiführung des Ver846 BGH 22.6.2011 – IV ZR 174/09, VersR 2011 1121; OLG Köln 8.7.2020 – 9 U 111/20, RuS 2020 702, 703; OLG Hamm 28.2.2018 – 20 U 188/17, VersR 2018 929, 931. 847 OLG Saarbrücken 27.9.2017 – 5 U 43/16, VersR 2018 672, 673; zur Vorlage verfälschter Quittungen OLG Düsseldorf 6.2.2018 – I-4 U 164/15, VersR 2019 157, 158. 848 OLG Saarbrücken 1.2.2017 – 5 U 26/16, VersR 2018 415, 417. 849 Hierzu unten Rn. 176 ff. 850 Hierzu unten Rn. 177. 851 BGH 21.11.2012 – IV ZR 97/11, VersR 2013 175, 176; BGH 4.5.2009 – IV ZR 62/07, VersR 2009 968; BGH 2.10.1985 – IVa ZR 18/84, VersR 1986 77, 78; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 107. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

sicherungsfalles) und § 82 (Abwendung und Minderung des Schadens). M.E. sollte man daher § 28 Abs. 3 Satz 2 nur auf vertragliche Anzeige- und Aufklärungspflichten anwenden, nicht aber auf Obliegenheiten der Risikovorbeugung und Schadenminderung. Eine gegenteilige Sicht führt zu kaum abweichenden Ergebnissen. So hat Looschelders insbesondere aus systematischen Gründen vorgeschlagen, § 28 Abs. 2 Satz 3 auch auf Fälle der verhaltensbezogenen Obligenheiten anzuwenden. Arglist setze aber voraus, dass der VN darauf abziele, einen unberechtigten Vorteil aus einem Irrtum des VR über den wahren Sachverhalt zu ziehen.852 Sie sei daher nur gegeben, wenn der VN die Obliegenheit vorsätzlich verletze und „der VN in der Vorstellung handelt, die Obliegenheitsverletzung bei einem möglichen Versicherungsfall bzw. einer Ausweitung des Schadens zu verschweigen und damit eine Versicherungsleistung in Anspruch zu nehmen, die ihm der VR bei Kenntnis der wahren Umstände nicht gewährt hätte“.853 Tritt der VN freiwillig von einem noch nicht entdeckten Täsuchungsversuch zurück und 174 bleibt der Versuch demzufolge für den VR folgenlos, so tritt die kausalitätsunabhängige Leistungsfreiheit nicht ein.854 Die pönale Regelung des § 28 Abs. 3 Satz 2 dient der Generalprävention und dieser Gesichtspunkt spricht nicht gegen eine Berücksichtigung des freiwiligen Rücktritts vom Versuch.855 Wurden arglistig falsche Auskünfte erteilt und vom VR darauf gestützt die Leistung abgelehnt, so hilft dem VN eine nachträgliche Erfüllung er Aufklärungspflicht nicht mehr.856

5. (Schlicht) vorsätzliche Obliegenheitsverletzung a) Leistungsfreiheit nach Maßgabe der Kausalität der Verletzung. Hat der VN eine Oblie- 175 genheitsverletzung vorsätzlich, aber ohne Arglist begangen, so tritt die Leistungsfreiheit des VR nach § 28 Abs. 2 Satz 1 grundsätzlich in vollem Umfang ein. Beschränkt wird die Leistungsfreiheit des VR jedoch durch ein Kausalitätskriterium in Abs. 3 Satz 1.857 Demnach bleibt der VR zur Leistung verpflichtet, soweit die Pflichtverletzung „weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist“. Die Leistungsfreiheit des VR hat außerdem zur Voraussetzung, dass dieser seiner Belehrungspflicht nach Absatz 4 nachgekommen ist.858 Damit hat der Gesetzgeber die frühere Relevanzrechtsprechung859 und die übergesetzliche Belehrungspflicht860 des VR kodifiziert; mehr noch, er hat die Anforderungen der Relevanzrechtsprechung zu einem vollen Kausalitätskriterium erweitert.861

b) Begriff des „Vorsatzes“. Der Begriff „Vorsatz“ in § 28 Abs. 2 Satz 1 umfasst sowohl 176 „schlichten“ Vorsatz als auch Arglist. Das Kausalitätskriterium des § 28 Abs. 3 Satz 1 findet in852 Looschelders GS Hübner (2012) 147, 166 unter Verweis auf Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 304. 853 Looschelders GS Hübner (2012) 147, 166. 854 Eingehend und m.w.N. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 309 ff.; vgl. die insofern strenge Rsp. z.B. OLG Stuttgart 1.12.2016 – 7 U 114/16, VersR 2017 1263, 1264; OLG Düsseldorf 22.7.2014 – I-4 U 102/13, RuS 2015 496, 497; vgl. auch OLG Saarbrücken 30.4.2008 – 5 U 614/07-58, VersR 2008 1643, 1645. 855 Überzeugend Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 309. 856 OLG Saarbrücken 2.9.2020 – 5 U 94/19, VersR 2020 1372, 1376; vgl. OLG Saarbrücken 30.4.2008 – 5 U 614/0758, VersR 2008 1643. 857 Vgl. die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2). 858 Hierzu unten Rn. 189 ff. 859 Zur Relevanzrechtsprechung z.B. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 101. 860 Hierzu z.B. Römer/Langheid2 § 6 Rn. 60 ff.; kritisch gegenüber der früheren Rspr. Möller FS Klingmüller (1974) 301, 304 ff.; zu übergangsrechtlichen Problemstellungen Rogler RuS 2010 1. 861 Insofern nicht ganz zutreffend die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 3), die meint, das Kausalitätskriterium sei in Anlehnung an die Relevanzrechtsprechung eingeführt worden. 293

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

dessen, wie sich unmittelbar aus Satz 2 ergibt, nur bei schlichtem Vorsatz und nicht im Falle der Arglist Anwendung. Der schlichte Vorsatz ist somit zu definieren und von der Arglist abzugrenzen. Letzteres ist bereits oben erfolgt,862 sodass es hier nur noch um eine allgemeine Definition des Vorsatzbegriff geht. 177 Die Rspr. wendet auch im Versicherungsrecht den Vorsatzbegriff des allgemeinen Zivilrechts nach § 276 Abs. 1 BGB an. Demnach handelt vorsätzlich, wer die begangene Obliegenheitsverletzung im Bewusstsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm will.863 Auf die Kenntnis der Rechtsfolgen einer Verletzung der Verhaltensnorm und auch auf den Beweggrund kommt es für den Vorsatzbegriff nicht an.864 Bedingter Vorsatz genügt.865 Allerdings kann nach Ansicht des OLG Bremen bedingter Vorsatz auch dann gegeben sein, wenn ein VN eine konkrete Obliegenheit für nicht einschlägig hält, weil er sie für sinnlos oder unzumutbar hält.866 Dann müsse er zumindest damit rechnen, dass seine Auffassung möglicherweise nicht zutreffend ist.867 Diese Formulierung ist zu weit geraten. Dem Begriff des bedingten Vorsatzes entsprechend ist vielmehr zu fordern, dass der VN die Unrichtigkeit seiner Rechtsauffassung billigend in Kauf nimmt. Ob der Vorsatzbegriff erfüllt ist, ist eine revisible Rechtsfrage.868 178 Das geforderte Bewusstsein der Verhaltensnorm liegt vor, wenn der VN den Tatbestand der Obliegenheit jedenfalls im Kern (insb. kraft einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“) kennt.869 Bestimmte Obliegenheiten sind derart gängig, dass die Rspr. ihre Kenntnis von vornherein als gegeben betrachtet.870 Dies gilt namentlich für die Verhaltenspflichten von KfzLenkern bei Unfällen. Hier geht der BGH z.B. davon aus, dass ein VN, der Unfallflucht begeht, im Bewusstsein der Verletzung seiner Aufklärungspflicht handelt.871 Bedingter Vorsatz ge-

862 Hierzu oben Rn. 169 ff. 863 BGH 25.4.1955 – II ZR 6/54, VersR 1955 340, 341; BGH 8.5.1958 – II ZR 1/57, VersR 1958 389, 390; BGH 24.10.1960 – II ZR 244/58, VersR 1960 1033, 1034; BGH 4.5.1964 – II ZR 630/68, VersR 1964 709, 711; BGH 13.1.1966 – II ZR 267/63, VersR 1966 177, 179; BGH 22.10.1969 – IV ZR 630/68, VersR 1969 1107, 1108; BGH 3.10.1979 – IV ZR 45/ 78, VersR 1979 1117, 1119; BGH 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993 830, 832; BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, VersR 1993 960; OLG Braunschweig 16.1.2020 – 11 U 131/19, RuS 2020 628, 629; OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239; OLG Saarbrücken 22.8.1990 – 5 U 21/90, VersR 1991 872, 873; OLG Köln 14.9.1989 – 5 U 23/89, VersR 1989 1073, 1074; OLG Hamm 18.5.1994 – 20 U 412/93, VersR 1995 289, 290; OLG Koblenz 6.11.1995 – 10 W 520/95, VersR 1996 1356; OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 6/06-1, VersR 2007 532, 533; OLG Köln 26.9.2006 – 9 U 142/05, RuS 2007 100, 101; OLG Köln 15.2.2005 – 9 U 124/04, VersR 2005 1231. Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 218 ff. („Wissen und Wollen“); Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 56; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 63. 864 OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239. 865 OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239. 866 OLG Bremen 10.10.2011 – 3 U 13/11, VersR 2012 1389, 1390. 867 OLG Bremen 10.10.2011 – 3 U 13/11, VersR 2012 1389, 1390. 868 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 228. 869 BGH 8.5.1958 – II ZR 1/57, VersR 1958 389, 390: „Es ist nicht notwendig, dass der Versicherte die Vertragsbedingungen im genauen Wortlaut gelesen und ihre rechtliche Bedeutung voll erfasst hat“; BGH 13.1.1966 – II ZR 267/63, VersR 1966 177, 179; Martin RuS 1988 185; vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 64.; zur „Parallelwertung in der Laiensphäre“ Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 188; ihm folgend OLG Saarbrücken 2.9.2020 – 5 U 94/19, VersR 2020 1372; vgl. im Kontext auch OLG Hamm 21.6.2017 – 20 U 42/117, VersR 2017 1261; vgl. auch KG Berlin 8.6.2018 – 6 U 157/16, RuS 2019 82, 83: „Es steht der Annahme von Vorsatz deshalb nicht entgegen, sollte der Kl. die AKB anlässlich des Schadensfalls vor der Inangriffnahme der Reparatur nicht zur Kenntnis genommen haben. Denn der Kl. hätte sich bewusst einer Kenntnisnahme des Inhalts der Obliegenheiten verschlossen und damit vorsätzlich unterlassen, was jedem VN eingeleuchtet hätte“. 870 Vgl. KG Berlin 12.12.2014 – 6 U 122/14, VersR 2015 1247: „Allgemeinwissen eines durchschnittlich verständigen VN“. 871 BGH 1.12.1999 – IV ZR 71/99, VersR 2000 222 (VN); für den mitversicherten Lenker BGH 8.5.1958 – II ZR 1/57, VersR 1958 389, 390; so auch z.B. OLG Naumburg 4.3.2004 – 4 U 159/03, VersR 2006 67; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 64. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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nügt.872 Leistungsfreiheit tritt daher bereits ein, wenn der VN ein bestimmtes Verhalten übt, obwohl er ernstlich damit rechnet, dass er damit eine Obliegenheit aus dem Versicherungsvertrag verletzt, und dies billigend in Kauf nimmt.873 Sowohl Rechts- als auch Tatsachenirrtümer des VN sind grundsätzlich beachtlich.874 Sie schließen Vorsatz aus, können aber (grobe) Fahrlässigkeit begründen. Allerdings ist es verfehlt, bei Nichtkenntnis der AVB pauschal Verschulden, womöglich gar grobe Fahrlässigkeit anzunehmen.875 Verschulden und Verschuldensgrad hängen demgegenüber von den Umständen ab. So etwa, wie geläufig eine bestimmte Obliegenheit ist und welche Möglichkeiten der VN hatte, bei gegebenem Anlass die AVB nachzulesen. Bei spontan zu erfüllenden Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall ist dies normalerweise nicht der Fall. Die Beachtlichkeit des Rechts- oder Tatsachenirrtums setzt voraus, dass der VN bei Vorliegen von Zweifeln eine Obliegenheitsverletzung nicht einfach in Kauf nimmt, sondern sich um Klärung von bestehenden Fragen bemüht.876 Hierfür wird gefordert, dass er sich z.B. an den VR oder aber – m.E. eindeutig zu weit gehend – an einen Anwalt wendet.877 Folgt er der Auskunft des VR, so ist sein Rechtsirrtum entschuldigt. Dasselbe gilt nach der Rspr. des BGH, wenn er der Auskunft seines Anwaltes folgt, weil dessen Rechtsirrtum dem VN nicht zurechenbar sei.878 Ist eine Obliegenheitenklausel in den AVB klar formuliert und lässt sie somit keinen Zweifel über ihren Inhalt aufkommen, so ist eine Berufung des VN auf einen Rechtsirrtum unbeachtlich.879 Freilich setzt Vorsatz hier Kenntnis des VN vom Bestehen der Obliegenheitenklausel in den AVB voraus. Hingegen braucht beim VN keine Kenntnis der Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung vorzuliegen.880 Jedoch wird eine solche Kenntnis durch die Belehrungspflicht des VR bei nach dem Versicherungsfall zu erfüllenden Auskunfts- und Aufklärungspflichten nach § 28 Abs. 4 faktisch garantiert. Zurechnungsunfähigkeit schließt Vorsatz grundsätzlich aus.881 Eine Fahruntüchtigkeit begründet indessen noch keine Unzurechnungsfähigkeit.882 Bei nur geminderter Zurechnungsfähigkeit ist demgegenüber vorsätzliches Handeln möglich.883 Jedoch ist zu fragen, ob die ver872 BGH 29.5.1970 – IV ZR 148/69, VersR 1970 732, 733; BGH 12.7.1972 – IV ZR 23/71, VersR 1972 1039, 1040; OLG Hamm 23.9.1970 – 20 U 74/70, VersR 1971 309, 310; OLG Saarbrücken 22.8.1990 – 5 U 21/90, VersR 1991 872, 873; OLG Saarbrücken 31.7.1992 – 3 U 18/90, VersR 1993 569, 570; OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 6/06-1, VersR 2007 532, 533. 873 OLG Stuttgart 14.2.1951 – 1 U 506/50, VersR 1951 126, 127; OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 6/06-1, VersR 2007 532, 533. 874 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 191; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 40. 875 A.A. wohl Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 210 m.w.N. 876 Vgl. OLG Nürnberg 1.3.1979 – 8 U 128/77, BeckRS 1979 31370132; OLG Saarbrücken 19.11.1974 – 7 U 4/74, VersR 1976 157, 158; vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 66. 877 BGH 9.12.1965 – II ZR 173/63, VersR 1966 153 (VN verließ sich auf eine Auskunft des Anwalts des Geschädigten). 878 BGH 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981 321 f.; OLG Nürnberg 1.3.1979 – 8 U 128/77, BeckRS 1979 31370132; vgl. zur Thematik auch OLG Düsseldorf 9.12.2003 – I-4 U 69/03, VersR 2004 503, 504; zur Zurechnung von Verhalten Dritter an den VN oben Rn. 85 ff. 879 So Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 160 unter Berufung auf BGH 9.12.1965 – II ZR 173/63, VersR 1966 153; OLG Saarbrücken 19.11.1974 – 7 U 4/74, VersR 1976 157, 158 (Nichterfüllung der Anzeigepflicht gem. § 153 Abs 1 und 2 a.F. iVm § 5 AHB); kein beachtlicher Rechtsirrtum liegt vor, wenn der VN in Verletzung seiner Aufklärungsobliegenheit trotz mehrmaliger Aufforderung davon ausgeht, er müsse die Fahrzeugschlüssel nur Zug um Zug gegen die Anerkennung der Leistungspflicht durch den VR herausgeben, vgl. BGH 7.7.2004 – IV ZR 265/03, VersR 2004 1117, 1118. 880 BGH 16.2.1967 – II ZR 73/65, VersR 1967 441; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 189. 881 OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 6/06-1, VersR 2007 532, 534; BGH 27.1.1966 – II ZR 5/64, VersR 1966 458. 882 OLG Düsseldorf 31.10.2003 – I-4 U 71/03, VersR 2004 1129, 1130 (zu § 6 a.F.); BGH 17.11.1966 – II ZR 156/64, VersR 1967 125, 126; OLG Hamm 22.11.1991 – 20 U 141/91, VersR 1992 818, 819 f. (zu § 61 a.F.). 883 BGH 22.11.1962 – II ZR 79/60, VersR 1963 79, 80; BGH 5.7.1965 – II ZR 192/63, VersR 1965 949 f.; BGH 25.4.1966 – II ZR 148/64, VersR 1966 579; BGH 17.11.1966 – II ZR 156/64, VersR 1967 125, 126. 295

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

minderte Urteilsfähigkeit das Bewusstsein des VN, gegen eine Obliegenheit zu verstoßen, ausgeschlossen hat.884

183 c) Kausalitätserfordernis. Die Leistungsfreiheit des VR setzt voraus, dass die Obliegenheitsverletzung für einen konkreten Nachteil des VR kausal war (konkrete Kausalität), es genügt daher nicht, dass der Verstoss nur geeignet war, die Interessen des VR zu gefährden.885 Unter den vom Gesetz erwähnten, relevanten Kausalbeziehungen ist zunächst auf die Ursächlichkeit der Obliegenheitsverletzung für den Eintritt des Versicherungsfalls einzugehen. Sie ist gegeben, wenn die Pflichtverletzung eine conditio sine qua non war, setzt also voraus, dass der Versicherungsfall entfällt, wenn man sich die Pflichtverletzung wegdenkt.886 Umgekehrt formuliert: „Ein Obliegenheitsverstoss ist nicht kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls, wenn der Versicherungsfall bei Erfüllung der Obliegenheit ebenfalls eingetreten wäre.“887 Dieser Kausalitätsfall betrifft somit Obliegenheiten, die vor Eintritt des Versicherungsfalls zum Zwecke einer Gefahrminderung bzw. der Vermeidung einer Gefahrerhöhung zu erfüllen sind. 184 Bereits bei Beurteilung der Äquivalenz eines Verhaltens ist der Schutzzweck der Obliegenheit mit in den Blick zu nehmen.888 Darf z.B. ein Kfz-Lenker das Fahrzeug nur unter bestimmten Bedingungen (Besitzen eines Führerscheins, Mitnahme von nicht mehr als der zulässigen Anzahl von Personen etc.) führen, so ist nicht zu fragen, ob der Versicherungsfall entfiele, wenn die Fahrt insgesamt unterblieben wäre, sondern wenn die Obliegenheit erfüllt gewesen wäre (also der Lenker einen Führerschein besessen oder nicht mehr als die zulässige Anzahl an Personen befördert hätte).889 Denn nicht die Fahrt als solche verstößt gegen die Obliegenheit, sondern die Nichtbeachtung der erhöhten Sicherheitsvoraussetzungen für die Fahrt. Lässt die Obliegenheit (z.B. zur sicheren Verwahrung von Wertsachen) mehrere Handlungsalternativen zu, so fehlt es am Schutzzweck der Obliegenheit bereits dann, wenn eine der Möglichkeiten ebenfalls zum Versicherungsfall geführt hätte.890 Wird also ein Schmuckstück gestohlen, das nicht wie von der Obliegenheit gefordert sicher verwahrt ist, und bricht der Einbrecher einen von mehreren obliegenheitskonformen Verwahrungsgegenständen (z.B. einen verschlossenen Schrank) auf, so ist bereits davon auszugehen, der Versicherungsfall wäre auch bei Befolgung der Obliegenheit eingetreten, auch wenn andere Verwahrungsgegenstände vom Dieb unberührt gelassen werden.891 Insofern wird teilweise gesagt, der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens sei zulässig.892 185 Neben der conditio sine qua non fordert die Rspr. auch einen Rechtswidrigkeitszusammenhang bzw. – terminologisch vorzugswürdig893 – einen Schutzzweckzusammenhang.894 Er liegt vor, wenn die Obliegenheitsverletzung zu einem Versicherungsfall geführt hat, den zu 884 BGH 24.6.1970 – IV ZR 140/69, VersR 1970 801, 802. 885 OLG 23.10.2019 Saarbrücken – 5 U 19/19, VersR 2020 281, 282; KG Berlin 9.11.2010 – 6 U 103/10, VersR 2011 789; OLG Oldenburg 27.5.2011 – 5 U 27/11, VersR 2011 1437; OLG Naumburg 18.6.2015 – 4 U 58/14, VersR 2017 93; OLG Hamm 28.2.2018 – 20 U 188/17, VersR 2018 929; OLG Naumburg 14.3.2013 – 4 U 47/12, VersR 2014 621, 622; OLG Naumburg 6.9.2012 – 4 U 69/11, VersR 2014 578, 580. 886 Vgl. z.B. Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 113, der freilich richtig darauf hinweist, dass die Eigenschaft einer Obliegenheitsverletzung als conditio sine qua non allein nicht ausreicht. 887 Deutlich z.B. auch OLG Karlsruhe 1.3.2012 – 12 U 196/11, VersR 2012 1249, 1251. 888 Generell zur Berücksichtigung des Schutzzwecks bei der Auslegung einer Obliegenheitenklausel Langheid/ Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 90 ff. 889 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 139; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 113. 890 So auch OLG Karlsruhe 1.3.2012 – 12 U 196/11, VersR 2012 1249, 1251. 891 Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 92; nun auch OLG Karlsruhe 1.3.2012 – 12 U 196/11, VersR 2012 1249, 1251. 892 Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 115. 893 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 283 unter Berufung auf Looschelders ZVersWiss 2011 461, 466 Fn. 24. 894 BGH 17.4.2002 – IV ZR 91/01, VersR 2002 829; BGH 8.3.1978 – IV ZR 161/76, VersR 1978 433, 434; BGH 3.12.1975 – IV ZR 34/74, VersR 1976 134; BGH 27.2.1976 – IV ZR 20/75, VersR 1976 531, 532; BGH 13.12.1972 – IV ZR Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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vermeiden Zweck der Verhaltenspflicht war.895 Das Erfordernis, Schmuck in bestimmten Gegenständen (einem verschlossenen Behältnis oder dgl.) zu verwahren, will einem Dieb oder Einbrecher eine größere Hürde stellen, als er sie bei nicht verschlossener Verwahrung vorfindet. Verletzt der VN eine solche Obliegenheit, stellt er aber einen Sicherheitsstandard her, der dem von der Obliegenheit geforderten entspricht, so wird es in der Regel vom Zufall abhängen, ob der Täter das obliegenheitskonforme Behältnis aufbricht oder aber das nicht obliegenheitskonforme. Dann aber kann von einem Rechtswidrigkeitszusammenhang nicht mehr gesprochen werden. Es genügt nach der Rspr. indessen nicht, dass der VN behauptet, der Obliegenheitsverstoß hätte keine konkrete Gefahrerhöhung mit sich gebracht, wenn nur die höhere Eintrittswahrscheinlichkeit von Versicherungsfällen bei obliegenheitswidrigem Zustand statistisch messbar ist.896 War nach alledem eine Obliegenheitsverletzung für den Eintritt des Versicherungsfalls ur- 186 sächlich, so wird der VR von seiner Leistung insgesamt frei. Anderes gilt, wenn die Obliegenheitsverletzung nicht für den Eintritt des Versicherungsfalls als solchen, wohl aber für dessen Ausmaß und damit für den Umfang der Leistungspflicht des VR kausal war. Dies kann bei risikovorbeugenden Obliegenheiten, die vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen sind, ebenso gegeben sein, wie bei schadensmindernden Obliegenheiten, die den VN nach Eintritt des Versicherungsfalls treffen. Dann wird der VR nur insoweit von seiner Leistungspflicht befreit, wie der Kausalbeitrag der Obliegenheitsverletzung reicht. Hätten beispielsweise die von einer Obliegenheit geforderten Brandschutztüren zwar den Ausbruch des Feuers nicht verhindern können, wohl aber sein Übergreifen auf andere Gebäudeteile, so ist der VR hinsichtlich der weiteren abgebrannten Gebäudeteile von seiner Leistung frei. Für jene Teile, die auch bei Vorhandensein der Brandschutztüren zerstört worden wären, muss er hingegen Ersatz leisten. Hier macht sich die durch die VVG-Reform erstrebte Abschaffung des Alles-oder-nichts-Prinzips bemerkbar. Verletzungen von Anzeige- und Aufklärungsobliegenheiten haben begriffsnotwendig kei- 187 nen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls sowie den Umfang der Verpflichtung des VR.897 Hier geht es vielmehr um die Feststellung des Versicherungsfalls und der Verpflichtung des VR und damit zuallererst um Anzeigen und Auskünfte, die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen sind.898 Aber auch bei Anzeige- und Aufklärungspflichten, die vor dem Versicherungsfall zu erfüllen sind, ist eine Auswirkung auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder der Verpflichtung des VR möglich. Denkbar wäre z.B., dass ein VN erhebliche Schwankungen im Wert eingelagerter Waren anzeigen muss und dass der wahre Wert nach Eintritt des Versicherungsfalls mangels Anzeige nicht mehr ermittelt werden kann. Ist ein solcher Zusammenhang einer Anzeigepflichtverletzung mit der Feststellung des Versicherungsfalls und der Verpflichtung des VR hingegen ausgeschlossen, so führt sie bei Arglist zur Leistungsfreiheit und zum Kündigungsrecht des VR, bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit hingegen nur zum Kündigungsrecht.

156/71, VersR 1973 172, 173; BGH 30.10.1970 – IV ZR 1109/68, VersR 1971 117, 118; BGH 22.11.1968 – IV ZR 775/668, VersR 1969 147, 148; BGH 1.3.1972 – IV ZR 107/70, VersR 1972 530, 531; Spielberger VersR 1962 927; nach neuem Recht z.B. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 91; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 29; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 46 ff. 895 So auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 246. 896 BGH 1.3.1972 – IV ZR 107/70, VersR 1972 530, 531; OLG Frankfurt/M. 15.3.1995 – 23 U 77/94, NJW-RR 1996 24, 25; OLG Düsseldorf 22.6.1993 – 4 U 72/92, VersR 1994 1178, 1180; OLG Karlsruhe 30.4.1986 – 4 U 9/85, VersR 1986 1180, 1184; LG Bremen 22.12.1988 – 2 O 1254/88, VersR 1989 365; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 109. 897 Vgl. daher auch die Regelung der Leistungsfreiheitssanktion für den Fall unterlassener Anzeige einer Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 2 und 3) nach § 26 Abs. 2 und 3, die nicht auf die Kausalität der Anzeige, sondern auf die Kausalität der Gefahrerhöhung abstellt (§ 26 Abs. 3 Z. 1). 898 Hierher zählt auch eine Reparatur der versicherten Sache, welche eine selbstständige Begutachtung durch einen Sachverständigen des VR verunmöglicht; vgl. KG Berlin 12.12.2014 – 6 U 122/14, VersR 2015 1248. 297

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Die Feststellungen können durch eine Anzeige- oder Aufklärungspflichtverletzung sowohl dem Grunde nach als auch dem Umfang nach beeinträchtigt werden.899 Genau besehen bilden beide Formen von Feststellungen eine Einheit und lassen sich nicht voneinander abgrenzen. Das Zusammentragen von Tatsachenmaterial, das die Verwirklichung eines versicherten Ereignisses belegt, ist nämlich nicht nur Feststellung des Versicherungsfalls, sondern gleichzeitig Teil der Feststellung der Verpflichtung des VR. Dasselbe gilt für die Feststellung, ob eine ausgeschlossene Ursache für den Versicherungsfall kausal war, sowie für die Feststellung des Versicherungswerts im Zeitpunkt des Versicherungsfalls, weil damit dessen Ausmaß ebenso festgestellt wird wie die Verpflichtung des VR. Stets aber muss das Feststellungsergebnis beeinflusst worden sein,900 die Obliegenheitsverletzung also zu einem in Geld messbaren Nachteil des VR geführt haben.901 Eine blosse Beeinflussung des Feststellungsverfahrens reicht hierfür nicht aus.902 Ein Einfluss auf die Feststellungen soll aber auch dann gegeben sein, wenn zwar die benötigten Tatsachen ermittelbar sind, dafür aber zusätzliche Kosten entstehen. Hier bestehe Kausalität im Ausmaß dieser Zusatzkosten.903

189 d) Belehrungspflicht.904 Bei Verletzung von Auskunfts- und Aufklärungspflichten, die der VN nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen hat, setzt die Leistungsfreiheit des § 28 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 außerdem die Erfüllung der Belehrungspflicht nach § 28 Abs. 4 durch den VR voraus.905 Diese Belehrungspflicht besteht somit nicht bei Anzeigepflichten, insbesondere nicht bei der Anzeige des Versicherungsfalls,906 weil diese Obliegenheiten den VR erst von relevanten Umständen in Kenntnis setzen und daher regelmäßig der Auslöser der Belehrungspflicht nach Absatz 4 sind.907 Daraus folgt zugleich, dass spontan, also noch vor der Anzeige des Versicherungsfalls zu erfüllende Auskunfts- und Aufklärungspflichten ebenfalls nicht unter die Belehrungspflicht des Abs. 4 fallen können.908 Hierher zählt etwa die Pflicht des VN in der Kfz-Haftpflichtversicherung, am Unfallort zu verbleiben und die Polizei zu verständigen, um damit zur Aufklärung des Versicherungsfalls beizutragen.909 Str. ist in der Rspr., ob dies auch für die Pflicht in der Wohngebäudeversicherung gilt, unverzüglich eine Stehlgutliste einzureichen.910 Ähnlich nimmt die Gesetzesbegründung Auskunfts- und Aufklärungspflichten aus, „die 899 Auch hier geht es um einen in Geld messbaren Nachteil des VR; vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 293 unter Verweis (u.a.) auf OLG Oldenburg 4.7.2011 – 5 U 27/11, VersR 2011 1437, 1438 f. (Weitzel). 900 So bspw., wenn aufgrund von Fehlangaben nicht mehr feststellbar ist, welchem Schadenereignis Schäden am Fahrzeug zuzuordnen sind: LG Wiesbaden 10.7.2014 – 9 O 264/12, VersR 2015 185. 901 OLG Naumburg 18.6.2015 – 4 U 58/14, VersR 2017 93, 95 (Langheid). 902 OLG Saarbücken 23.10.2019 – 5 U 19/19, VersR 2020 281, 282; KG Berlin 20.9.2013 – 6 U 194/12, VersR 2015 886, 887. 903 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 297; vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 254. 904 Zu Belehrungs- und ähnlichen Pflichten im Versicherungsrecth allgemein Schneider RuS 2015 477. 905 § 28 Abs. 4 kodifiziert damit die bereits nach altem Recht von der Rspr. angenommene übergesetzliche Hinweispflicht des VR; zu dieser Rspr. z.B. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 316; Schwarz 121 ff. 906 Vgl. §§ 30, 104 VVG. 907 Vgl. die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 4); dies war schon nach altem Recht anerkannt, vgl. z.B. OLG Düsseldorf 27.9.1988 – 4 U 245/87, VersR 1990 411 (Späth). 908 So auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 320; zu Sonderfällen ebenfalls Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 326; vgl. OLG Koblenz 11.12.2020 – 12 U 235/20, VersR 2021 372, 375; zur Pflicht, die Unfallstelle unverändert zu lassen; OLG Saarbrücken 19.9.2012 – 5 U 68/12-9, VersR 2013 180; OLG Naumburg 21.6.2012 – 4 U 85/11, VersR 2013 178, 179. 909 Vgl. OLG Saarbrücken 19.9.2012 – 5 U 68/12-9, VersR 2013 180, 181; OLG Saarbrücken – 5 U 99/18, VersR 2019 1289, 1293. 910 Bejahend OLG Köln 25.9.2007 – 9 U 193/06, VersR 2008 917; LG Hannover 8.7.2010 – 8 O 312/09, ZfS 2010 637 (Nugel); vgl. auch OLG Köln 15.10.2013 – 9 U 69/13, VersR 2014 105, 106; verneinend OLG Karslruhe 29.9.2011 – 12 U 89/11, VersR 2011 1560, 1561 (Günther); vgl. OLG Celle 11.12.2014 – 8 U 190/14, VersR 2015 1124, 1126; offenlassend OLG Düsseldorf 13.7.2018 – I-4 U 141/17, VersR 2019 416, 418; vgl. BGH 29.7.2014 und 22.9.2014 – IV ZR 371/13, VersR 2015 1121 (Wandt); s. Felsch RuS 2014 555. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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nach Eintritt des Versicherungsfalles auf Grund des konkreten Ablaufs entstehen und auf die der Versicherer daher nicht im Voraus hinweisen kann“.911 Vorzugswürdig wäre es freilich gewesen, diese Einschränkung der Belehrungspflicht ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen. Die gesetzliche Belehrungspflicht nach § 28 Abs. 4 schliesst weiter reichende übergesetzliche Hinweispflichten nicht aus.912 Solche können sich als nebenvertragliche Schutzpflichten nach § 242 BGB ergeben, wenn der VR ein weiterreichendes Aufklärungsbedürfnis des VN erkennen kann. Ob eine weiterreichende Belehrungspflicht anzunehmen ist, ist daher eine Frage des Einzelfalls.913 Die Belehrung ist dem Auskunfts- bzw. Aufklärungsverpflichteten gegenüber zu erfüllen.914 Das Gesetz nennt in Absatz 4 – ebenso wie in Absatz 2 und 3 Satz 2 – nur den VN,915 doch ist regelmäßig auch ein Mitversicherter denselben Obliegenheiten unterworfen und damit einer allfälligen Leistungsfreiheit ausgesetzt. Er bedarf daher gleichermaßen der Belehrung wie ein VN.916 Auch nach altem Recht war die übergesetzliche Hinweispflicht nicht auf den VN beschränkt, sondern musste gegenüber jedem Auskunfts- bzw. Aufklärungsverpflichteten erfüllt werden.917 Die Belehrung ist formgebunden. Sie bedarf (mindestens) der Textform im Sinne von § 126b BGB. Demnach muss die Belehrung lesbar auf einem dauerhaften Datenträger erklärt werden.918 Der Belehrungstext muss den VR als Erklärenden identifizieren919 und mit einem Funktionsäquivalent zu einer Unterschrift (mechanische Nachbildung oder anderer Abschluss des Textes) abgeschlossen werden.920 Selbstverständlich ersetzt eine Schriftform nach § 126 BGB oder eine elektronische Form nach § 126a BGB die Textform nach § 126b BGB.921 Die Belehrung muss durch gesonderte Mitteilung erfolgen, sollte also nicht in andere Schriftstücke integriert sein.922 Dennoch kann eine Belehrung, die mit anderen Texten verbunden ist (z.B. eine Belehrung am Kopf der Schadensanzeige), das Kriterium der „gesonderten Mitteilung“ erfüllen, wenn die Belehrung besonders auffällig und textlich vom Rest des Dokuments getrennt erfolgt, sodass der VN sie ebenso wenig übersehen kann wie eine körperlich gesonderte Mitteilung.923 Zuzugeben ist freilich, dass der von § 37 Abs. 2 abweichende Wortlaut in § 28 Abs. 4 gegen diese auf Zweckerwägungen aufbauende These spricht. Dies umso mehr, als der RefE zu § 28 noch eine gleichlautende Möglichkeit enthielt, die vom RegE aber gestrichen 911 Siehe die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 4). 912 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 328; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 116; Günther VersR 2011 1563. 913 Vgl. die Abwägung in BGH 13.1.2010 – IV ZR 28/09, VersR 2010 903, 904; BGH 17.9.2008 – IV ZR 317/05, VersR 2008 1491.

914 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 347 ff. 915 Zum Streit, ob die Belehrung des Repräsentanten bzw. Wissenserklärungsvertreters genügt Langheid/Rixecker/ Rixecker6 § 28 Rn. 114.

916 Vgl. schon Marlow in: Schriftenreihe des Instituts für Versicherungswesen der Fachhochschule Köln 21 (2005) 49, 63. 917 BGH 12.10.1967 – II ZR 51/65, VersR 1967 1087, 1088; OLG Stuttgart 2.8.2005 – 10 U 88/05, VersR 2006 1489, 1490. 918 Definition des dauerhaften Datenträgers in § 126b Satz 2 BGB; vgl. im Detail MüKoBGB/Einsele8 § 126b Rn. 4 ff. 919 MüKoBGB/Einsele8 § 126b Rn. 7. 920 Vgl. MüKoBGB/Einsele8 § 126b Rn. 8. 921 Vgl. zu diesen und weiteren Ersatzformen MüKoBGB/Einsele8 § 126b Rn. 10. 922 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 131. 923 Vgl. Leverenz VersR 2008 709; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 112; vgl. z.B. BGH 9.1.2013 – IV ZR 197/11, VersR 2013 297, 299; hierzu Felsch RuS 2014 313, 314; OLG Dresden 20.8.2018 – 4 W 600/18, VersR 2018 1441, 1442; OLG Stuttgart 26.9.2013 – 7 U 101/13, VersR 2014 691, 694 (zu § 19 Abs. 5); OLG Bremen 10.10.2011 – 3 U 13/11, VersR 2012 1389; OLG Karsruhe 3.8.2010 – 12 U 86/10, VersR 2010 1448, 1449; LG Nürnberg-Fürth 4.8.2010 – 8 O 744/10, VersR 2010 1635, 1636; OLG Köln 10.6.2008 – 9 U 226/07, VersR 2009 251; OLG Köln 26.9.2006 – 9 U 142/05, RuS 2007 100, 101 (drucktechnisch hervorgehobene Belehrung unmittelbar über der Unterschriftszeile eines Zusatzfragebogens); anders dagegen mangels Hervorhebung OLG Köln – 9 U 226/07, VersR 2009 251, 252; unzureichend hingegen OLG Düsseldorf 17.12.2002 – 4 U 114/02, VersR 2004 1041, 1042; a.A. Funck VersR 2008 163, 166. 299

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wurde. Indessen macht es m.E. einen ganz erheblichen Unterschied, ob – wie nach § 37 Abs. 2 und dem RefE – die Belehrung bereits vorgelagert in der Police erfolgen kann oder aber erst nach Eintritt des Versicherungsfalls in einem Schadensanzeigeformular.924 194 § 28 Abs. 4 sieht für die Belehrung keinen Sprachzwang vor. In aller Regel wird daher eine Belehrung in Deutsch ausreichen und auch gefordert sein.925 Das kann indessen nicht gelten, wenn die Kommunikation von VR und VN insgesamt in fremder Sprache erfolgt, was bspw. in den (seltenen) Fällen denkbar wäre, in denen der VR den Versicherungsvertrag mit einem VN im Ausland abschließt und sich mit diesem rechtswirksam auf die Geltung deutschen Rechts einigt. Fremdsprachige Personen, die in Deutschland leben und die Vertragsverhandlungen auf Deutsch führen, können demgegenüber grundsätzlich nur eine deutsche Belehrung erwarten.926 Der Versicherungsagent, der bei der Schadenanzeige mitwirkt und erkennen muss, dass der fremdsprachige VN das auf Deutsch verfasste Schreiben nicht (hinreichend) versteht, hat jedoch dem VN bei der Übersetzung behilflich zu sein, sich also nach Kräften um ein möglichst zutreffendes Verständnis des VN vom Inhalt des Schreibens zu bemühen.927 M.E. ist diese in der Rspr. anerkannte Hilfestellungspflicht noch zu erweitern. War der VR bei anderen Gelegenheiten, z.B. bei Vertragsabschluss, durch seinen Agenten beim Ausfüllen von Formularen und der Kenntnisnahme von Schriftstücken des VR in sprachlicher Hinsicht behilflich, so kann der VN berechtigt darauf vertrauen, dass dies auch im Schadensfall so sein werde. Hieraus kann dem VR die Pflicht erwachsen, dem VN auch bei der Belehrung nach § 28 Abs. 4 eine Hilfestellung zukommen zu lassen.928 Auch der Inhalt muss den Anforderungen des Abs. 4 gerecht werden. Als einzige klare 195 Voraussetzung wird genannt, dass der VR den VN auf die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit nach Abs. 2 hinzuweisen hat. Dies muss – wie auch schon nach altem Recht – klar und unmissverständlich geschehen.929 Die Belehrung muss inhaltlich richtig sein,930 was nach altem Recht bedeutete, dass der VR auf den Eintritt der Leistungsfreiheit selbst bei folgenlosen vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen hinzuweisen hatte.931 Ein solcher Hinweis wäre nach neuem Recht unrichtig und daher unwirksam.932 Insgesamt ist bei der Bewertung der inhaltlichen Richtigkeit einer Belehrung ihr Warnzweck im Auge zu behalten. Es kommt darauf an, dass dem VN die mögliche Sanktion, also die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit, zutreffend und abschreckend vor Augen geführt wird. Allerdings ginge es zu weit, eine unrichtige Beleh-

924 So auch BGH 9.1.2013 – IV ZR 197/11, VersR 2013 297, 299; vgl. auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 340. 925 Vgl. nur Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 112. 926 OLG Nürnberg 22.12.1994 – 8 U 2596/94, VersR 1995 1224, 1225; OLG Saarbrücken 22.3.2006 – 5 U 405/05–40, VersR 2006 1208, 1209; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 162.

927 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 133; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 338; ähnlich Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 112; OLG Hamm 27.5.1998 – 20 U 247/97, VersR 1998 1225; OLG Hamm 19.5.1999 – 20 U 1/99, RuS 2000 9 (Analphabet). 928 Ähnlich Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 133 m.w.N., der eine Hilfestellungspflicht des VR annimmt, wenn er von den mangelnden Sprachkenntnissen des VN positive Kenntnis hat; vgl. OLG Köln 16.6.1994 – 5 U 117/93, VersR 1995 201; hierzu Schmalzl VersR 1995 1223; vgl. allgmeiner Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 327. 929 BGH 21.1.1998 – IV ZR 10/97, VersR 1998 447, 448; OLG Köln 5.6.2007 – 9 U 37/06, VersR 2008 243 (mit Ausführungen zur drucktechnischen Gestaltung nach altem Recht); hierzu Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 156. 930 So schon nach altem Recht BGH 21.1.1998 – IV ZR 10/97, VersR 1998 447, 448. 931 Auch hierzu Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 158; erfüllt in BGH 21.4.1993 – IV ZR 34/92, VersR 1993 828; OLG Saarbrücken 9.1.2008 – 5 U 281/07, RuS 2008 238, 239; OLG Saarbrücken 22.11.2006 – 5 U 269/ 06-43, VersR 2007 977, 978 f. 932 Zur Unwirksamkeit einer solchen Belehrung LG Nürnberg-Fürth 20.4.2011 – 8 S 6002/10, VersR 2011 1177 f.; anders OLG Saarbrücken – 5 U 614/07-58, VersR 2008 1643, 1644. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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rung als ausreichend anzusehen, nur weil sie abschreckend ist.933 Nicht entscheidend kann m.E. dagegen sein, ob der VR dem VN alle möglichen Leistungsfreiheitsvarianten aufzählt, insbesondere ob er das Kausalitätskriterium des Abs. 3 erläutert.934 Dies gilt schon deshalb, weil Informationen mit zunehmender Länge und Komplexität weniger zur Kenntnis genommen werden („information overkill“).935 Umgekehrt wird der Warnzweck nur erreicht, wenn der VN erkennt, auf welche Pflichten sich die Belehrung bezieht. Dies ist z.B. bei den Pflichten, Belege vorzulegen, eine Stehlgutliste einzureichen oder eine ärztliche Untersuchung durchführen zu lassen, besonders wichtig. Der VR braucht deshalb nicht besondere inhaltliche Details der Obliegenheit in die Belehrung aufzunehmen, sie muss m.E. aber einen klaren Bezug zu einer bestimmten Obliegenheit aufweisen.936 Dagegen muss der VR nach wohl h.M. nicht auf die Belehrungspflicht hinweisen, deren Erfüllung nach § 28 Abs. 4 eine Voraussetzung der Leistungsfreiheit darstellt.937 Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GdV) hat folgendes Beleh- 196 rungsmuster erstellt, das er seinen Mitgliedern zur Verwendung empfahl: „Mitteilung nach § 28 Abs. 4 VVG über die Folgen bei Verletzungen von Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde, wenn der Versicherungsfall eingetreten ist, brauchen wir Ihre Mithilfe. Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten Aufgrund der mit Ihnen getroffenen vertraglichen Vereinbarungen können wir von Ihnen nach Eintritt des Versicherungsfalls verlangen, dass Sie uns jede Auskunft erteilen, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs unserer Leistungspflicht erforderlich ist (Auskunftsobliegenheit), und uns die sachgerechte Prüfung unserer Leistungspflicht insoweit ermöglichen, als Sie uns alle Angaben machen, die zur Aufklärung des Tatbestands dienlich sind (Aufklärungsobliegenheit). Wir können ebenfalls verlangen, dass Sie uns Belege zur Verfügung stellen, soweit es Ihnen zugemutet werden kann. Leistungsfreiheit Machen Sie entgegen der vertraglichen Vereinbarungen vorsätzlich keine oder nicht wahrheitsgemäße Angaben oder stellen Sie uns vorsätzlich die verlangten Belege nicht zur Verfügung, verlieren Sie Ihren Anspruch auf die Versicherungsleistung. Verstoßen Sie grob fahrlässig gegen diese Obliegenheiten, verlieren Sie Ihren Anspruch zwar nicht vollständig, aber wir können unsere Leistung im Verhältnis zur Schwere Ihres Verschuldens kürzen. Eine Kürzung erfolgt nicht, wenn Sie nachweisen, dass Sie die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt haben. Trotz Verletzung Ihrer Obliegenheiten zur Auskunft, zur Aufklärung oder zur Beschaffung von Belegen bleiben wir jedoch insoweit zur Leistung verpflichtet, als Sie nachweisen, dass die vorsätzliche oder grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang unserer Leistungspflicht ursächlich war. Verletzen Sie die Obliegenheit zur Auskunft, zur Aufklärung oder zur Beschaffung von Belegen arglistig, werden wir in jedem Fall von unserer Verpflichtung zur Leistung frei.

933 Wie hier LG Nürnberg-Fürth 20.4.2011 – 8 S 6002/10, VersR 2011 1177 f.; vgl. LG Dortmund 24.2.2011 – 2 O 399/ 09, VersR 2010 465 (zu § 19 Abs. 5); wohl nur in der Diktion (allein entscheidend sei, dass die Warnfunktion trotz Unrichtigkeit der Belehrung nicht verloren gehe) anders OLG Saarbrücken 30.4.2008 – 5 U 614/07, VersR 2008 1643, 1644. In Wirklichkeit stellt das OLG Saarbrücken darauf ab, dass die Belehrung für eine in casu vorliegende, vorsätzliche Obliegenheitsverletzung nach altem Recht zutreffend war. 934 So auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 129. 935 Zutreffend die diesbezügliche Warnung schon nach altem Recht bei Römer/Langheid2 § 6 Rn. 61. 936 A.A. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 113. 937 BGH 4.4.2018 – IV ZR 104/17, VersR 2018 532 (kein „Hinweis auf die Hinweispflicht“); OLG Celle 30.11.2017 – 8 U 30/17, RuS 2018 132; vgl. OLG Hamm 9.8.2017 – 20 U 184/15, VersR 2017 1332, 1333 (keine „Belehrung über das Belehrungserfordernis“); a.A. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 216; Marlow RuS 2015 591, 593; Marlow VersR 2017 1500, 1502; anders für nach altem Recht formulierte AVB BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347. 301

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Hinweis: Wenn das Recht auf die vertragliche Leistung nicht Ihnen, sondern einem Dritten zusteht, ist auch dieser zur Auskunft, zur Aufklärung und zur Beschaffung von Belegen verpflichtet.“

Dieses Muster entsprach nicht den gesetzlichen Erfordernissen.938 Würden die VR hiervon abweichend zu einer zutreffenden Belehrung und gleichzeitig zu mehr Kürze finden, so würde in der Belehrung auch die sprichwörtliche Würze liegen. 197 Die Belehrungspflicht des § 28 Abs. 4 ist vom VR anlassbezogen zu erfüllen.939 Dass eine einmalige Warnung vorab, etwa bei Vertragsabschluss, nicht ausreicht, leuchtet schon nach Sinn und Zweck der Belehrungspflicht ein.940 Diese Ansicht wird auch durch den Hinweis in der Begründung zum RegE unterstrichen, wonach die Pflicht entfällt, wenn Obliegenheiten durch den Ablauf des Geschehens entstehen und dieser dem VR einen Hinweis nicht erlaubt.941 Der Gesetzgeber geht klar ersichtlich davon aus, dass die Belehrung zeitnah der Erfüllung der Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheit durch den VN vorangeht, sodass die erwünschte Warnfunktion erreicht wird.942 Dies gilt jedenfalls beim erstmaligen Einholen von Auskünften bzw. Aufklärungen durch den VR. Umstritten war nach altem Recht, ob der VR eine bereits erteilte Belehrung wiederholen muss, wenn er weitere Auskünfte oder Aufklärungen beim VN einholt.943 Der neue § 28 Abs. 4 adressiert dieses Problem trotz der nach altem Recht gespaltenen Rspr. nicht. Auch die Begründung zum Gesetz übt sich insofern in Schweigen.944 M.E. ist bei dieser Frage zunächst darauf abzustellen, ob der VR seine Auskunfts- bzw. Aufklärungsansprüche auf dieselbe Obliegenheit stützt wie jene, zu der er bereits vorgehend belehrt hat. Ist dies nicht der Fall, hat also der VR beispielsweise aus Anlass der Übersendung eines Fragebogens den VN belehrt, ihn später aber aufgefordert, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, so ist die Belehrung zu wiederholen. Stellt der VR hingegen nur eine Nachfrage zu den im Fragenkatalog gegebenen Antworten, so kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der hinsichtlich dieser Obliegenheit zutreffend belehrte VN nicht nochmals zu belehren ist.945 Anderes kann nach den Umständen des Einzelfalls gelten,946 etwa wenn zwischen Erstbelehrung und Nachfrage eine längere Zeitspanne (z.B. mehr als ein Jahr)947 verstrichen ist.948 Dabei stellt Römer nicht nur auf die Möglichkeit ab, der VN könnte nach dieser Zeit die Belehrung vergessen haben, sondern auch auf den beim VN erzeugten Eindruck, den erst später abge938 Anders noch die Vorauflage; richtig aber Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 336. 939 BGH 9.1.2013 – IV ZR 197/11, VersR 2013 297; OLG Dresden 20.8.2018 – 4 W 600/18, VersR 2018 1441, 1442. 940 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 131; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 342 (keine wirksame Belehrung im Versicherungsschein, in den AVB oder im Produktinformationsblatt).

941 Siehe die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 4). 942 Womit eine Belehrung voraussetzt, dass der VR vom Eintritt des Versicherungsfalls Kenntnis hat; vgl. OLG Celle 30.11.2017 – 8 U 30/17, RuS 2018 132, 134.

943 Siehe zum offenen Meinungsstand nach altem Recht m.w.N. Römer/Langheid2 § 6 Rn. 65. 944 Siehe die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 4). 945 Vgl. OLG Dresden 20.8.2018 – 4 W 600/18, VersR 2018 1441, 1442; schon früher OLG Saarbrücken 30.4.2008 5 U 614/07-58, VersR 2008 1643, 1644.

946 Vgl. BGH 28.2.2007 – IV ZR 152/05, VersR 2007 683; hierzu auch OLG Saarbrücken 30.4.2008 – 5 U 614/07-58, VersR 2008 1643, 1644.

947 Vgl. OLG Hamm 25.8.2000 – 20 U 178/98, NVersZ 2001 271. 948 Laut BGH besteht eine nochmalige Pflicht zur Belehrung, „wenn die Nachfrage nach besonders langer Zeit erfolgt und deshalb die Sorge begründet, der VN könne die ursprüngliche Belehrung nicht mehr vor Augen haben“, BGH 28.2.2007 – IV ZR 152/05, VersR 2007 683; in nicht ganz deutlicher Weise meint der BGH sodann, es sei „jedenfalls geboten, die Belehrung losgelöst von den Fallumständen bei jeder Nachfrage des Versicherers zu wiederholen oder feste Fristen vorzusehen, nach deren Ablauf jeder Nachfrage eine erneute Belehrung beizufügen ist.“ Im konkreten Fall verneint der BGH eine Pflicht zur nochmaligen Belehrung bei einer zwei Monate nach der Schadensmeldung erfolgten Nachfrage, wenn aus der Nachfrage deutlich hervorgeht, dass der Anspruch auf die Versicherungsleistung aufgrund der bisherigen Angaben des VN gefährdet ist; vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 345; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 111. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

rufenen Informationen komme nur zweitrangige Bedeutung zu.949 Ähnlich liegt es, wenn Rixecker eine neue Belehrung bei Wiederaufnahme einer ablehnend abgeschlossenen Regulierung fordert.950 Hat der VR seine Belehrungspflicht verletzt, so kann er sich auf die Leistungsfreiheit nach 198 § 28 Abs. 2 nicht berufen.951 Das gilt nicht nur, wenn der VR die Belehrung unterlassen, sondern auch wenn er unrichtig belehrt hat.952 Er kann sich im Allgemeinen auch nicht darauf berufen, der VN sei aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht aufklärungsbedürftig gewesen. Selbst eine anwaltliche Vertretung des VN schließt die Belehrungspflicht des VR nicht aus.953 Zweck der Belehrungspflicht ist die Warnung des VN vor den Sanktionen von Obliegenheitsverletzungen.954 Anderes kann nur dann gelten, wenn die Berufung des VN auf § 28 Abs. 4 rechtsmissbräuchlich erfolgt. Dies ist im Falle arglistigen Handelns anzunehmen.955 Im Übrigen aber können die nach altem Recht durch die Rspr. entwickelten Ausnahmen zur Belehrungspflicht956 grundsätzlich nicht auf das neue Recht übertragen werden. Die Belehrungspflicht war nämlich nach altem Recht auf die Generalklausel des § 242 BGB gestützt, der einer Konkretisierung zugänglich ist. Nach neuem Recht aber herrscht Formstrenge, sodass nur sehr enge Ausnahmen nach § 242 BGB gemacht werden können.957

6. Grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung a) Grundsatz: Quotelung nach der Schwere des Verschuldens. Mit seinem Grundsatz, 199 wonach die Leistung des VR im Falle einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung nach Maßgabe der Schwere des Verschuldens des VN zu kürzen sei, enthält § 28 Abs. 2 Satz 2 eine der ganz zentralen Neuerungen des VVG 2008. Damit, so führt die Begründung aus, sei das Allesoder-nichts-Prinzip in den Fällen grober Fahrlässigkeit beseitigt.958 Das stimmt zwar, blendet aber die Tatsache aus, dass bereits das Kausalitätskriterium des § 28 Abs. 3 Satz 1 das Allesoder-nichts-Prinzip durchbricht.959 Die teilweise Leistungsfreiheit wird technisch durch ein Recht des VR, seine Leistung zu 200 kürzen, verwirklicht. Bei seiner Kürzungsentscheidung hat sich der VR nach der Gesetzesbegründung von den Umständen des konkreten Falls leiten zu lassen und sich daran zu orientieren, ob das Verschulden des VN der leichten Fahrlässigkeit oder aber schon dem (bedingten) Vorsatz nahe steht.960 Im Übrigen gibt das Gesetz keine weiteren Kriterien vor, es verlässt sich 949 Vgl. LG Limburg 12.6.1991 – 3 S 21/91, VersR 1992 609; ähnlich der BGH für den Fall, dass der VN bei einer späteren Nachfrage den Bezug zu den Fragen der Schadensmeldung und seiner Aufklärungsobliegenheit wegen einer besonderen Fragestellung nicht ohne Weiteres erkennen kann, BGH 28.2.2007 – IV ZR 152/05, VersR 2007 683; siehe auch OLG Saarbrücken 12.3.2003 – 5 U 460/01–33, VersR 2004 50, 52. 950 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 111. 951 Siehe insoweit nur den Wortlaut des § 28 Abs. 4, der die Belehrung zu einer Voraussetzung der Leistungsfreiheit erklärt. 952 LG Nürnberg-Fürth 20.4.2011 – 8 S 6002/10, VersR 2011 1177. 953 OLG Oldenburg 17.1.1996 – 2 U 246/95, VersR 1996 1533; vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 125; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 329. 954 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 315. 955 Vgl. die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 4, a.E.); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 115; BGH 12.3.2014 – IV ZR 306/13, VersR 2014 565. 956 Römer/Langheid2 § 6 Rn. 69 a.E.: neben der Arglist des VN betrafen diese Ausnahmen Fälle hartnäckigen Lügens sowie VN, denen die Rechtsfolgen zweifelsfrei bekannt waren. 957 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 321 und 353. 958 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2). 959 So auch Armbrüster VersR 2003 675, 681; vgl. Schwarz 116; die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2) weist immerhin für Fälle des Vorsatzes auf das Kausalitätskriterium hin. 960 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2). 303

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

insofern auf deren Entwicklung in der gerichtlichen Praxis, die zu „sachgerechten und überschaubaren Ergebnissen“ führen würde.961 Daneben sei auch die Vereinbarung einer pauschalierten Quotelung im Versicherungsvertrag möglich, soweit diese nicht zu Lasten des VN ausschlage.962

201 b) Rechtspolitische Erwägungen. Die Gesetzesbegründung äußert sich hinsichtlich ihrer Beweggründe zur Ersetzung des „Alles-oder-nichts-Prinzips“ durch die Quotelung nach § 28 Abs. 2 Satz 2 nur recht pauschal. Das alte Recht habe nämlich „häufig zu ungerechten Ergebnissen“ geführt.963 Die schmale Grenze von leichter zu grober Fahrlässigkeit habe darüber entschieden, ob der VN die volle Leistung oder aber nichts erhalten sollte.964 Es konnte also sein, dass zwei sehr nahe aneinanderliegende Fälle von Verschulden – einer, in dem der VN gerade noch leicht fahrlässig gehandelt hat, ein anderer, in dem den VN gerade schon der Vorwurf grober Fahrlässigkeit trifft – ganz gegensätzliche Rechtsfolgen – den ungekürzten Anspruch des VN hier, die volle Leistungsverweigerung des VR dort – auslösten.965 Die Quotelung nach der Schwere des Verschuldens erlaubt demgegenüber einen weichen Übergang vom ungekürzten Leistungsanspruch bis hin zur vollen Leistungsfreiheit. Sie dient damit der Einzelfallgerechtigkeit. 202 Im Übrigen verweist die Gesetzesbegründung auf ausländische Vorbildregelungen, ohne diese zu benennen. Gemeint ist wohl Art. 14 Abs. 2 des schweizerischen VVG, dem § 28 Abs. 2 Satz 2 stark nachgebildet ist.966 Die schweizerische Regelung betrifft indessen nur den Fall der Herbeiführung des Versicherungsfalls967 und nicht der Verletzung von Obliegenheiten. Auch skandinavische Rechtsordnungen kennen zwar eine Leistungskürzung, doch richtet sich die Quotelung dort (auch) nach anderen Kriterien.968 Sie waren daher wohl nicht unmittelbares Vorbild der deutschen Regelung. Insgesamt dient der Verweis der Gesetzesbegründung auf ausländische Vorbilder weniger der rechtspolitischen Rechtfertigung des Lösungsansatzes, sondern vielmehr als Beleg für seine Praktikabilität.969 203 In der Literatur werden die Vorzüge der Quotelung – die Förderung der Einzelfallgerechtigkeit und der Entfall der im „Alles-oder-nichts-Prinzip“ liegenden Pönalisierung – an sich nicht bestritten.970 Dennoch wird der Ansatz von einigen Autoren auch kritisch gesehen. Im Zentrum dieser Kritik steht die Abschwächung der Präventionswirkung, die „zwangsläufig“ mit jeder Einschränkung der Leistungsfreiheit verbunden sei.971 Dieses Argument ist ebenso evident richtig wie undifferenziert. Es plädiert nämlich für ein Maximum an Abschreckung, ohne dabei zu belegen, ob mit einem Minus an Abschreckung nicht dieselben Ergebnisse zu erzielen sind. Es ist nämlich ebenso evident, dass ein Elternpaar, das für die Familie ein Einfamilienhaus auf Schulden finanziert hat, in der Gebäudefeuerversicherung von einer Leistungsfreiheit im Ausmaß von z.B. 30 % beinahe oder gar ganz gleich stark abgeschreckt wird wie von völliger Leistungsfreiheit. Der zusätzliche Nutzen eines höheren Grades an Abschreckung dürfte also kaum die (sozialen) Kosten einer Existenzgefährdung der Familie ausgleichen. Mit anderen Worten: 961 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2). 962 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2) unter Verweis auf § 32; vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 239; diese Möglichkeit ist aber wegen der halbzwingenden Natur des § 28 Abs. 2 Satz 2 nur sehr begrenzt nutzbar; hierzu unten Rn. 217; vgl. Brand FS E. Lorenz (2014) 55, 61 f. 963 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2). 964 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49. 965 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49. 966 Hierzu vergleichend Mönnich ZVersWiss 101 (2012) 447; Fuhrer 167. 967 Insofern also direkt nur mit § 81 Abs. 2 vergleichbar. 968 Vgl. auch Armbrüster VersR 2003 675, 676; ähnlich für weitere ausländische Beispiele Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 120; Waller 167 ff. 969 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2). 970 Vgl. Armbrüster VersR 2003 675 f. 971 Armbrüster VersR 2003 675, 676. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

Der Grenznutzen voller Leistungsfreiheit geht gegen null oder wird wegen der sozialen Folgen womöglich negativ. Dem Präventionsargument widerspricht ferner die mehrfach und u.a. von der Reformkommission972 vorgetragene These, Richter würden nach dem Quotelungssystem schneller als früher grobe Fahrlässigkeit annehmen.973 Dann aber würde die Präventionswirkung durch die Quotelung jedenfalls im unteren Bereich der groben Fahrlässigkeit eindeutig erhöht. Dies wäre, wenn die These denn überhaupt zutreffen sollte, zugleich einzelfallgerecht und würde einem „Biegen“ des Begriffs der groben Fahrlässigkeit durch den Richter vorbeugen. Verbunden wird das Präventionsargument gemeiniglich mit dem Interesse der Versicher- 204 tengemeinschaft an einer bedarfsgerecht berechneten Prämie; kurzum: die Ausdehnung der Versicherungsdeckung auf grobe Fahrlässigkeit würde Prämienverteuerungen mit sich bringen, die dem sorgfältigen VN nicht nützen. Dieses Argument bedarf aber seinerseits der Differenzierung. Zum einen führt die schon erwähnte These, Richter würden in einem System der Leistungskürzung schneller grobe Fahrlässigkeit annehmen, zu Prämienvergünstigungen. Man könnte dem entgegenhalten, die weniger grob fahrlässig handelnden VN würden zugunsten der schwerer grob fahrlässig handelnden VN bestraft. Doch geschieht den weniger grob Fahrlässigen kein Unrecht, sie wurden nach der vorgetragenen These vielmehr in der Vergangenheit ungerechtfertigt bevorzugt. Zum anderen kann ein VN ohnehin nur in beschränktem Umfang auf die Deckungsdefinition und damit den von ihm zu entrichteten Preis einwirken, er kauft nämlich im Massengeschäft Standardprodukte zu vorgegebenen Tarifen. Die Vorstellung, der VN könnte am Markt „maßgeschneiderten“ Versicherungsschutz derart aushandeln, dass die Police die Sorgfaltsstandards an seine eigene Risikoneigung anpasst, dürfte übertrieben und nur ausnahmsweise verwirklichbar sein. Auch ist das Argument monokausal ausgestaltet, lässt also andere mögliche Effekte als Preissteigerungen außer Betracht. Im Vordergrund steht hier der Aspekt des Preiswettbewerbs, der es VR ratsam erscheinen lässt, die gestiegenen Kosten eben nicht (in vollem Umfang) an die VN weiter zu geben, sie vielmehr zu internalisieren, also z.B. durch eine effizientere Verwaltung und damit Einsparung von Kosten auszugleichen. Letztlich und wohl entscheidend ist das Bild vom sorgfältigen VN als Gegentyp zum nachlässigen, womöglich notorisch sorglosen974 VN eine Verallgemeinerung, die aus mehreren Gründen kaum überzeugt. Zum einen kann selbst ein sorgfältiger VN nicht jedes grob fahrlässige Verhalten für alle Zukunft ausschließen. Insofern kommt die Quotelung allen zugute, weil auch alle VN ein Interesse an Versicherungsschutz für grobe Fahrlässigkeit haben. Der Bedarf zeigt sich schon nach altem Recht am Umgang mit Fällen der Herbeiführung des Versicherungsfalls. Im Bereich der Personenversicherung wurde schon bisher auch für grob fahrlässig herbeigeführte Versicherungsfälle volle, also ungekürzte Deckung gewährt.975 Dasselbe galt für die Haftpflichtversicherung.976 Und für die übrigen Sparten der Schadenversicherung war jedenfalls der Regress des VR gegen ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied bei grober Fahrlässigkeit vollständig ausgeschlossen.977 Es kann daher keinesfalls pauschal davon ausgegangen werden, der (sorgfältige) VN habe kein Interesse an einer Deckung für grobe Fahrlässigkeit. Einen notorisch sorglosen VN wird man außerdem am Vertragsverlauf erkennen und seine Ignoranz gegenüber vertraglichen Obliegenheiten im

972 Siehe den Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30. Mai 2002 S. 42; ferner Armbrüster VersR 2003 675, 677.

973 Diese These wird offenbar als so evident richtig angesehen, dass man sich einen empirischen Beleg, ja sogar jegliches Rspr.-Beispiel spart. 974 Recht drastisch nimmt diese Einteilung z.B. Prölss VersR 2003 669, 671 vor, der von den „Schandtaten notorischer ‚Schlamper‘, deren Zahl sich überdies noch erhöht, wenn die Präventionswirkung der Sanktion gemildert wird“, spricht. 975 Vgl. §§ 169, 170 a.F. für die Lebensversicherung; § 178l a.F. für die Krankenversicherung; § 181 a.F. für die Unfallversicherung. 976 Vgl. § 152 a.F. 977 Siehe § 67 Abs. 2 a.F. 305

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Rahmen der Quotelung berücksichtigen.978 Außerdem kann der VR seinen Bestand von notorisch sorglosen VN durch Ausübung seines Kündigungsrechts nach § 28 Abs. 1 bzw. nach § 92 (Sachversicherung) reinigen. Dieser drohende Entzug des Versicherungsvertrags insgesamt hat erhebliche general- und spezialpräventive Wirkung. Denn die notorisch sorglosen VN werden Deckung nur noch bei VR finden, die zur Aufnahme dieser VN in ihren Bestand bereit sind, was nur zu höheren Prämien der Fall sein wird. Eine analoge Reaktionsmöglichkeit kommt auch dem sorgfältigen VN zu: Er kann durch Kündigung und Neuabschluss bei einem anderen VR in einen Bestand gleich sorgfältiger VN wechseln und damit Prämie sparen.979 Unbestreitbar ist demgegenüber der Kritikpunkt, die Quotelung würde die Rechtsunsicher205 heit erhöhen. Die Gesetzesbegründung bestreitet diesen Effekt jedenfalls für die Anfangsphase der praktischen Umsetzung auch gar nicht.980 Sie geht allerdings davon aus, dass die Praxis ein Fallrecht entwickeln wird, das die Leistungskürzung im Voraus kalkulierbar macht. Diese Annahme wird von amtierenden und ehemaligen Höchstrichtern, die ihrerseits den Kritikpunkt nicht völlig leugnen, geteilt.981

206 c) Begriff der groben Fahrlässigkeit. Für die Bestimmung grober Fahrlässigkeit hat die Rspr. verschiedene Formeln entwickelt, die allesamt die im Vergleich zur nur leichten Fahrlässigkeit besonders starke Vorwerfbarkeit einer Handlung betonen.982 So etwa, wenn der BGH darauf abstellt, die gebotene Sorgfalt müsse in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein,983 der VN müsse also einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt haben.984 Die Rspr. fordert nicht nur einen objektiv schweren Verstoß, sondern auch ein subjektiv unentschuldbares Verhalten.985 978 Zur Zulässigkeit der Einbeziehung des bisherigen Schadensverlaufs in die Entscheidung über die Leistungskürzung siehe Felsch RuS 2007 485, 496; hierzu auch unten Rn. 197; zweifelnd Armbrüster VersR 2003 675, 680. 979 Auf diese gut vorstellbaren Entwicklungen im Bestand der VR geht Prölss VersR 2003 669 nicht ein. 980 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2). 981 Siehe Felsch RuS 2007 485, 492 unter Verweis auf die Anwendung des § 254 BGB, die Bemessung von Schmerzensgeld sowie die Praxis der Strafzumessung; ähnlich Römer VersR 2006 740. 982 BGH 8.7.1992 – IV ZR 223/91, VersR 1992 1085; OLG Köln 19.12.1985 – 5 U 104/85, VersR 1986 906, 907; auch BGH 14.4.1976 – IV ZR 29/74, VersR 1976 649, 650; BGH 2.3.1977 – IV ZR 43/75, VersR 1977 465; kritisch gegenüber dem als inhaltlich wenig präzise empfundenen Begriff Freifel 98 f; zu bestimmten Falltypen der groben Fahrlässigkeit Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 69 ff.; Beispiele grob fahrlässiger Verletzungen bei Günther/Spielmann RuS 2008 177, 179 ff. 983 BGH 10.2.1999 – IV ZR 60/98, VersR 1999 1004, 1005 (E. Lorenz); BGH 8.2.1989 – IVa ZR 57/88, VersR 1989 582, 583; BGH 12.10.1988 – IVa ZR 46/87, VersR 1989 141, 142; BGH 2.3.1977 – IV ZR 43/75, VersR 1977 465; vgl. auch OLG München 2.10.2003 – 14 U 725/02, VersR 2004 1530; siehe auch LG Saarbrücken 7.4.2004 – 5 U 688/03–66, VersR 2004 1262; OLG Düsseldorf 2.9.2003 – I–4 U 15/03, VersR 2004 1450, 1451 (jeweils zu § 61 a.F.); vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 57 f.; ältere Rspr. bei Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 117. 984 BGH 5.4.1989 – IVa ZR 39/88, VersR 1989 840; OLG Köln 19.12.1985 – 5 U 104/85, VersR 1986 906, 907; BGH 2.3.1977 – IV ZR 43/75, VersR 1977 465; auch LG Köln 8.8.2007 – 26 O 667/04, VersR 2008 953, 954; LG Schweinfurt 11.5.2005 – 33 S 34/05, RuS 2005 470; OLG München 2.10.2003 – 14 U 725/02, VersR 2004 1530; siehe auch OLG Saarbrücken 7.4.2004 – 5 U 688/03–66, VersR 2004 1262; OLG Düsseldorf 2.9.2003 – I–4 U 15/03, VersR 2004 1450, 1451 (jeweils zu § 61 a.F.); keine grobe Fahrlässigkeit, wenn VN die Frage des VR im Schadenformular falsch verstanden hat, OLG Karlsruhe 6.4.2021 – 12 U 333/20, VersR 2021 693, 696. 985 BGH 8.7.1992 – IV ZR 223/91, VersR 1992 1085 f.; BGH 5.4.1989 – IV a ZR 39/88, VersR 1989 840 f.; BGH 8.2.1989 – IVa ZR 57/88, VersR 1989 582, 583; BGH 4.12.1985 – IVa ZR 130/84, VersR 1986 254; BGH 23.1.1985 – IVa ZR 128/83, VersR 1985 440; BGH 22.2.1984 – IVa ZR 145/82, VersR 1984 480; BGH 12.10.1988 – IVa ZR 46/87, VersR 1989 141, 142; BGH 2.3.1977 – IV ZR 43/75, VersR 1977 465; BGH 11.7.1967 – VI ZR 14/66, VersR 1967 909, 910; siehe auch OLG Saarbrücken 7.4.2004 – 5 U 688/03–66, VersR 2004 1262; OLG Düsseldorf 2.9.2003 – I–4 U 15/03, VersR 2004 1450, 1451 (jeweils zu § 61 a.F.); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 68; kritisch gegenüber dieser Subjektivierung des Verschuldensbegriffs Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 209; zur Bedeutung des Augenblicksversagens Römer VersR 1992 1187. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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Die Bewertung eines Verhaltens als grob fahrlässig ist eine Rechtsfrage und daher revisi- 207 bel.986 Eine Revision hat Erfolg, wenn der Rechtsbegriff verkannt wurde oder aber maßgebliche Umstände nicht in die Wertung einbezogen wurden.987

d) Keine Vermutung „mittlerer“ grober Fahrlässigkeit. Der Gesetzgeber hat mit § 28 Abs. 2 208 Satz 2 bewusst eine flexible, sich an den Umständen des Einzelfalls ausrichtende Lösung bevorzugt. Die sich daran anknüpfende Sorge, die Leistungskürzung nach der Schwere des Verschuldens sei nicht justiziabel, hat schon im Vorfeld der Reform zu einigen literarischen Äußerungen Anlass gegeben, die dem Richter bei der Entscheidung des individuellen Falls ein Wertungssystem vorgeben wollen.988 Ein Kernstück dieses Systems ist die mehrfach zu lesende Behauptung, im „Zweifel“ sei „mittlere“ grobe Fahrlässigkeit zu vermuten und daher die Leistung des VR um 50 % zu kürzen.989 Von diesem „Ausgangspunkt“ soll es dem VR überlassen bleiben, Umstände zu beweisen, die ein gröberes Verschulden und damit eine höhere Leistungskürzungsquote indizieren, dem VN demgegenüber, mildernde Umstände, die zu einer geringeren Leistungskürzungsquote führen.990 Dies sei praktikabel und gerecht.991 Den geschilderten Ansichten ist zunächst entgegenzuhalten, dass es keine gesetzliche Ver- 209 mutung für eine mittelschwere grobe Fahrlässigkeit gibt.992 Es stellt aber auch keinen Erfahrungssatz dar, dass eine grobe Fahrlässigkeit im Durchschnitt mittelschwer ist. Plausibler ist es anzunehmen, dass sich die meisten grob fahrlässigen Handungen am unteren Ende der groben Fahrlässigkeit und die wenigsten am oberen Ende bewegen. Damit wäre der Durchschnitt deutlich niedriger als 50 %.993 Insofern müsste auch eine allfällige Einstiegsquote deutlich niederer angesetzt werden. M.E. lassen sich starre Einstiegsquoten ganz allgemein und eine Quote von 50 % im Beson- 210 deren nicht mit dem Gesetz vereinbaren.994 § 28 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 vermutet zwar das Vorliegen grober Fahrlässigkeit, doch gibt die Vermutung nicht den geringsten Anhaltspunkt für

986 So auch z.B. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 59; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 68 unter Verweis auf BGH 10.2.1999 – IV ZR 60/98, VersR 1999 1004.

987 BGH 10.2.1999 – IV ZR 60/98, VersR 1999 1004, 1005 (E. Lorenz); BGH 8.7.1992 – IV ZR 223/91, VersR 1992 1085 f.; BGH 8.2.1989 – IVa ZR 57/88, VersR 1989 582, 583; BGH 4.12.1985 – IVa ZR 130/84, VersR 1986 254; BGH 23.1.1985 – IVa ZR 128/83, VersR 1985 440; BGH 11.7.1967 – VI ZR 14/66, VersR 1967 909, 910; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 214; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 59. 988 Vgl. Felsch RuS 2007 485, 492 ff.; Nugel MDR 2007 23, 25 ff.; Günther/Spielmann RuS 2008 177 ff.; Weidner/ Schuster RuS 2007 363, 364 f.; Baumann RuS 2005 1, 9; Langheid NJW 2007 3665, 3669; auch Maier RuS 2007 89. 989 So insb. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 178 ff.; Felsch RuS 2007 485, 493; Nugel MDR 2007 23, 26; Weidner/Schuster RuS 2007 363, 364; Baumann RuS 2005 1, 9 de lege ferenda zu § 81 (mindestens 50 % Kürzung); Langheid NJW 2007 3665, 3669. 990 Felsch RuS 2007 485, 493; Nugel MDR 2007 23, 26; Weidner/Schuster RuS 2007 363, 364; Langheid NJW 2007 3665, 3669; anders Baumann RuS 2005 1, 9 de lege ferenda zu § 81 (mindestens 50 % Kürzung). 991 Vgl. nur Weidner/Schuster RuS 2007 363, 365 („… Gerechtigkeitsgehalt und … Rechtssicherheit …“); deutlich auch Felsch RuS 2007 485, 493: „… denn was liegt … näher, als zunächst einmal anzunehmen, dass die vom Gesetz ohne Weiteres vermutete, nicht näher gekennzeichnete Fahrlässigkeit eine solche ‚mittlerer Art und Güte‘ und mithin im durchschnittlichen, mittleren Bereich grober Fahrlässigkeit angesiedelt ist. Das leitet weiter zu der Überlegung, dass die gesetzliche Vermutung mit einer Leistungsfreiheitsquote von zunächst einmal 50 % korrespondiert“. 992 Siehe Heiss VersR 2012 960. 993 Näher Heiss VersR 2012 960. 994 Gegen eine starre Einstiegsquote auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 264; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 129; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 76; ebenso (jedenfalls für eine Einstiegsquote in Höhe von 50 %) Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 238; Freifel 140 ff.; Brand in FS E. Lorenz (2014) 55, 75 ff; OLG Düsseldorf 23.12.2010 – I-4 U 101/10, VersR 2011 1388, 1389; OLG Saarbrücken 15.12.2010 – 5 U 147/10-29, RuS 2012 392, 393; LG Nürnberg-Fürth 4.8.2010 – 8 O 744/10, VersR 2010 1635, 1636; LG Dortmund 15.7.2010 – 2 O 8/10, VersR 2010 1594, 1596. 307

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

irgendeine Einstiegsquote.995 Auch widerspricht der Zweck der in der Literatur behaupteten Einstiegsquoten, die Beweislast zwischen VR und VN „hälftig“ zu verteilen,996 dem Willen des Gesetzgebers. Die Gesetzesbegründung sagt nämlich ausdrücklich, dass trotz der Vermutung grober Fahrlässigkeit den VR die Beweislast hinsichtlich des seine Leistungskürzung rechtfertigenden Verschuldensmaßstabs trifft.997 An einem entsprechenden Hinweis fehlt es in der Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift des § 81 (Herbeiführung des Versicherungsfalls), weil dort den VR von vornherein die gesamte Beweislast, also auch für das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit dem Grunde nach, trifft.998 Man sieht ganz deutlich, dass der Hinweis auf die Beweislast des VR von den Verfassern der Gesetzesbegründung sehr bewusst in die Erläuterungen zu § 28 Abs. 2 aufgenommen wurde. Es folgt, dass bei § 81 wegen der dort den VR treffenden Beweislast für grobe Fahrlässigkeit von vornherein kein Platz für eine feste Einstiegsquote besteht und dass sie bei § 28 vom Gesetzgeber gleichermaßen unerwünscht ist. Die Beweislastverteilung zu Lasten des VR entspricht auch der technischen Ausgestaltung der Leistungskürzung. Es handelt sich um eine Kürzungsrecht des VR, welches dieser auszuüben hat. Macht der VR im Rahmen dieser Rechtsausübung eine bestimmte Kürzungsquote geltend, so hat er die für die Richtigkeit der Quote sprechenden Umstände darzulegen und zu beweisen. Der VR kann die Leistung also nur in jenem Umfang kürzen, wie die Schwere des Verschuldens des VN als konstitutive Voraussetzung der Quotelung erwiesen ist. Zweifel gehen insofern zu seinen Lasten. Kann der VR demnach einen Verschuldensgrad von 30 % beweisen und liegen ihm Beweise vor, die einen höheren Verschuldensgrad denkbar, aber keineswegs zur Überzeugung des Richters erwiesen erscheinen lassen, so bleibt es bei der Kürzung um 30 %. Trägt er zur Schwere des Verschuldens des VN nichts vor oder kann er seine Behauptungen nicht beweisen, so hat der Richter die erwiesenen Tatsachen zu würdigen (z.B. das Gewicht der verletzten Obliegenheit)999, 1000 und im Zweifel einen nur ganz geringen Grad der groben Fahrlässigkeit (höchstens bis zu 10 %) anzunehmen. 211 Unter dem Stichwort der Einstiegsquote wird auch gerne der m.E. anders gelagerte Vorschlag diskutiert, an den jeweiligen und insoweit bereits einzelfallabhängigen, objektiven Schuldvorwurf anzuknüpfen, der aus dem objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung folgt, welche ohnehin der VR zu beweisen hat.1001 Diesfalls hätte der VN schuldmindernde Umstände, der VR schuldverstärkende Umstände zu beweisen.1002 Sollte aus dem Tatbestand der Obliegenheitsverletzung jedoch kein objektiver Schuldvorwurf ableitbar sein, so kann m.E. nicht an eine 50 %-Quote angeknüpft werden.1003 Vielmehr besteht in solchen Fällen nur eine Vermutung für grobe Fahrlässigkeit schlechthin, nicht aber für eine mittlere grobe Fahrlässigkeit. Auch dürften 50 % nach der Lebenserfahrung gerade nicht dem „Mittel“ der groben Fahrlässigkeit entsprechen, weil die allermeisten Fälle im unteren Bereich der groben Fahrlässigkeite angesiedelt sein dürften.1004 In diesen Fällen kann somit nur von einer sehr geringen Quote von allenfalls 10 % ausgegangen werden.

212 e) Quotelungsschritte. Die Quotelung strebt einen gerechten Ausgleich der Interessen der Vertragsparteien an. Um mathematische Genauigkeit, das hat Felsch treffend hervorgehoben, 995 Ebenso Marlow/Spuhl 96. 996 Besonders deutlich Felsch RuS 2007 485, 493: „… klare Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen den Vertragsparteien“; auch Nugel MDR 2007 23, 26.

997 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2 a.E.). 998 Auch Günther/Spielmann RuS 2008 177, 179 heben diesen Umstand in ähnlichem Zusammenhang hervor. 999 Zu diesem Kriterium Felsch RuS 2007 485, 493. 1000 Ebenso Marlow/Spuhl 96. 1001 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 238; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 264; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 89; ähnlich Baumann RuS 2010 51, 53; Stahl NZV 2009 365, 369; Looschelders ZVersWiss 2009 13, 28 f. 1002 So Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 238 m.w.N. 1003 So aber Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 238. 1004 Hierzu Heiss VersR 2012 960. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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geht es nicht: „Es geht – darüber dürfen auch %-Werte oder Brüche nicht hinwegtäuschen – hier im Kern ja ohnehin nicht um Mathematik, sondern um eine rein rechtliche Bewertung verschiedener Fallumstände mit dem Ziel, einen interessengerechten Ausgleich zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages herzustellen“.1005 Diskutiert wird allerdings, ob die Quotelung – insofern der Kürzung des Schadensersatzes nach § 254 BGB vergleichbar1006 – anhand bestimmter Prozentstufen erfolgen soll,1007 weil sich eine gegenseitige Abgrenzung der zu entscheidenden Einzelfälle wohl kaum im Bereich von nur einzelnen Prozentpunkten bewerkstelligen lässt.1008 Andererseits erfordert die vom Gesetzgeber erstrebte Einzelfallgerechtigkeit eine möglichst feine Abstufung der Verschuldensgrade. M.E. ist daher eine kategorische Beschränkung auf feste Quotelungsstufen abzulehnen.1009 Insgesamt gilt auch hier: Das Fallrecht muss insbesondere von den Instanzgerichten nachvollziehbar, also geordnet entwickelt werden. Pauschalierungen verbieten sich a priori.1010 Liegt in einem Einzelfall der Verschuldensgrad zwischen Fällen, in denen das Verschulden mit 25 % und 50 % bewertet wurde, so muss der Richter einen Mittelwert heranziehen. Verschiedene Autoren bzw. Institutionen haben bereits „Fallmuster“ entwickelt.1011 Diese 213 geben freilich nur eine subjektive Wertentscheidung der Autoren wieder, die für die Gerichte in keiner Weise verbindlich, m.E. auch nicht brauchbar1012 sind. Naturgemäß können derartige Schemata nämlich dem Einzelfall nicht gerecht und daher von den Gerichten nicht einfach angewandt werden.1013 Das gilt besonders dann, wenn nur auf einen einzigen Umstand abgestellt wird, der noch dazu wenig indikativ für die Schwere des Verschuldens ist. Hierher zählt etwa der Vorschlag, bei einer Alkoholisierung von 1,1 Promille von einem mittleren Verschulden auszugehen und dieses für jeden Kommaschritt um 10 % zu erhöhen.1014 Bei derartigem Vorgehen wäre man bei 1,6 Promille bei 100 %, ohne dass auch nur ein einziger individueller Umstand des Geschehens berücksichtigt wäre.1015 Man kann diesen Vorschlägen nicht die gute Absicht absprechen, für die Konkretisierung einer Generalklausel verlässliche Maßstäbe zur Verfügung zu stellen. Dies verbietet sich indessen angesichts des Ziels des § 28 Abs. 2 Satz 2, Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten. Im Kontext ist auch auf die immer wieder aufgeworfene Frage einzugehen, ob die Kürzung 214 der Leistung in besonders groben Fällen auch 100 % ausmachen bzw. in besonders leichten 1005 Felsch RuS 2007 485, 492; vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 78. 1006 Zur Vergleichbarkeit der Kürzung mit jener nach § 254 BGB näher Looschelders VersR 2008 1, 6 (allerdings zu § 81).

1007 Zu solchen Modellen z.B. OLG Hamm 25.8.2010 – I-20 U 74/10, VersR 2011 206, 208 f. (Möhlenkamp) (zu § 81; ablehnend); LG Münster 20.8.2009 – 015 O 141/09, VersR 2009 1615 (bejahend).

1008 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 78; Freifel 185 f.; vgl. zum Aspekt der Gleichbehandlung Schwintowski/ Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 81 ff.

1009 Vgl. demgegenüber Felsch RuS 2007 485, 492, der von zu erwartenden „Drittel-, Viertel- und Fünftelschritten“ spricht; ähnlich Rixecker ZfS 2007 15, 16; Günther/Spielmann RuS 2008 177 f. sprechen von „festen“ Quoten von 25 %, 50 % und 75 %, bezweifeln aber zurecht, dass diese der Vielfalt der Fallgestaltungen gerecht werden; sie plädieren letztlich für 10 %-Schritte; wie hier dagegen Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 130; ihr folgend auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 240 mit Fn. 724. 1010 Deutlich auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 63. 1011 Vgl. z.B. Günther/Spielmann RuS 2008 177, 180 ff.; Nugel MDR 2007 23, 31 ff. („Quotentabelle“); Kuhn DAR 2010 111 zum „Goslaer Orientierungsrahmen“; hierzu ablehnend OLG Hamm 25.8.2010 – I-20 U 74/10, VersR 2011 206, 208 f. (Möhlenkamp) (zu § 81). 1012 Vgl. auch die Zweifel bei Weidner/Schuster RuS 2007 363, 364. 1013 Vgl. z.B. Moosbauer 236; Freifel 149 f. 1014 So Maier RuS 2007 89, 90; vgl. demgegenüber (zu § 81) Looschelders VersR 2008 1, 7, der selbst für den Fall der nach § 81 zulässigen Vereinbarung abweichender Quotelungsmodelle hervorhebt, dass ein Spielraum für die Individualisierung bleiben muss, sodass die Blutalkohol-Werte eben nur Anhaltspunkte sind, die Raum für die Berücksichtigung aller sonst relevanten Umstände lassen. 1015 Eine Einzelfallprüfung fordert auch der BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011 1037, 1040 (zu § 81); siehe auch OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12, VersR 2013 1123, 1125. 309

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§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

Fällen gänzlich entfallen kann.1016 Das Gesetz lässt diese Fälle in der Tat zu.1017 Auch ihre Anerkennung ist nur Ausfluss des vom Gesetzgeber etablierten beweglichen Systems.1018 Birgt ein Fall grober Fahrlässigkeit einen Grad der Vorwerfbarkeit, der sich vom Vorwurf einfachen Vorsatzes seiner Schwere nach nicht mehr wirklich unterscheiden lässt, dann wird der Richter die Leistungsfreiheit mit 100 % bemessen.1019 Diese Ansicht hat der BGH mittlerweile bestätigt.1020 Eine Kürzung um 100 % ist aber immer nur nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls möglich.1021 Umgekehrt kann es Fälle geben, die der leichten Fahrlässigkeit so nahe stehen, dass eine Kürzung allenfalls um nur einzelne Prozentpunkte in Frage käme und der Richter daher die volle Leistung zusprechen wird.1022 Auch das hat der BGH bestätigt.1023

215 f) Bemessung der Schwere des Verschuldens. Für die Praxis bedeutsamer als die vorstehend beschriebenen starren Quotelungsschemata ist die Herausarbeitung von Parametern, die bei der Bemessung der Schwere des Verschuldens herangezogen werden können.1024 Klar ist zunächst, dass das Gesetz nur auf den Verschuldensgrad abstellt, sodass Umstände, die mit dem Verschulden nichts zu tun haben, weder positiv noch negativ zu werten sind.1025 Hierher zählen der Grad der Ursächlichkeit, der freilich über § 28 Abs. 3 gesondert Beachtung findet; die Höhe des eingetretenen Schadens;1026 die wirtschaftlichen Verhältnisse des VN1027 sowie die Prämiendifferenz, für die der VR das Verhalten des VN versichert hätte.1028 Für die Bemessung des Verschuldensgrades sind wie im allgemeinen Zivilrecht objektive 216 und subjektive Kriterien heranzuziehen. Sie wurden insbesondere von Felsch detailliert herausgearbeitet,1029 wenngleich auch er richtigerweise keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Entscheidend ist demnach zu allererst das „objektive Gewicht der verletzten Sorgfaltpflicht“.1030 In der Tat macht es per se einen Unterschied, ob sich der VN bei Obliegenheiten 1016 Zum Problem Felsch RuS 2007 485, 492. 1017 So auch Felsch RuS 2007 485, 492, der insbesondere auf die ganz am Ende des Gesetzgebungsverfahrens auf Initiative des Rechtsausschusses vorgenommene Streichung des Wortes „nur“ in § 28 Abs. 2 Satz 2 verweist; ebenso Looschelders VersR 2008 1, 6; Weidner/Schuster RuS 2007 363, 364; auch Römer VersR 2006 740 f.; Freifel 186 ff. 1018 Unzutreffend daher m.E. Nugel MDR 2007 23, 27 f. 1019 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 240; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 84; Brand FS E. Lorenz (2014) 55, 63 ff.; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 234. 1020 So (zunächst) zu § 81: BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011 1037, 1039 f. (dort aber auch Ausführungen zu § 28 Abs. 2); zu § 28: BGH 11.1.2012 – IV ZR 251/10, VersR 2012 341; OLG Frankfurt/M. 11.5.2012 – 3 U 153/11, VersR 2013 356; OLG Hamm 27.4.2012 – I-20 U 144/11, VersR 2013 101; OLG Stuttgart 18.8.2010 – 7 U 102/10, RuS 2011 280; LG Frankfurt/M. 29.11.2011 – 2-08 O 206/11, VersR 2012 717. 1021 BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011 1037, 1040 (zu § 81); hierzu Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 74 ff.; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 84. 1022 Deutlich Felsch RuS 2007 485, 492: „Es wäre sicherlich Förmelei, wollte man in solchen Fällen Quoten von beispielsweise ,99:1‘ fordern“; vgl. auch Looschelders VersR 2008 1, 6, der auf die analoge Praxis zu § 254 BGB verweist; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 240; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 236. 1023 BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011 1037, 1040 (zu § 81). 1024 Zu den relevanten Kriterien z.B. Freifel 104 ff. 1025 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 245; rechtspolitische Kritik am beschränkten Ansatz des § 28 Abs. 2 Satz 2 bei Armbrüster VersR 2003 675, 679 f. 1026 Insoweit differenzierend Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 195 f. 1027 In Anlehnung an die Rspr. zum alten Recht kann eine Existenzbedrohung aber nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) den VR daran hindern, von seinem Kürzungsrecht Gebrauch zu machen; vgl. Looschelders VersR 2008 1, 6. 1028 Zu diesen Kriterien Armbrüster VersR 2003 675, 679 f. 1029 Siehe Felsch RuS 2007 485, 493 ff; vgl. z.B: Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 79 ff. 1030 Felsch RuS 2007 485, 493; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 125; Freifel 106 ff.; zur Frage der Doppelverwertung von Tatsachen im Prozess Felsch RuS 2007 485, 493; gegen das Argument der „Doppelverwertung“ Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 124 m.w.N; Moosbauer 98 ff. (und im Ergebnis 116); auch Brand FS E. Lorenz (2014) 55, 67 f. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

sorglos zeigt, die erkennbar essentielle Interessen des VR berühren, oder aber bei anderen, die vergleichsweise sehr viel weniger ins Gewicht fallen. Entscheidend ist auch, in welchem Ausmaß die Pflicht verletzt wird, insbesondere ob nur ein kurzer oder aber ein lang andauernder Verstoß vorliegt.1031 Hinzu kommt die Vorhersehbarkeit des Ursachenzusammenhangs, also die erkennbare Wahrscheinlichkeit, dass der Verstoß zu Schäden führen wird.1032 Auch die Motive des VN (Rücksichtslosigkeit oder Überfordertsein des VN) spielen eine Rolle.1033 In diesen Kontext ist wohl auch der Vorschlag einzuordnen, die Sozialadäquanz der Handlung des VN zu berücksichtigen.1034 Dabei kann die Tatsache, dass der VN schon früher Obliegenheiten verletzt hat, den Rückschluss auf eine Rücksichtslosigkeit, mindestens aber eine besondere Sorglosigkeit, erlauben.1035 Auch der Grad der Zurechnungsfähigkeit des VN und weitere Umstände (z.B. tätige Reue;1036 wirtschaftlich bedrängte Situation des VN;1037 psychische Situation)1038 sind zu würdigen.1039 Ein etwaiges Mitverschulden, etwa ein missverständliches oder widersprüchliches Verhalten des VR, ist zugunsten des VN anzurechnen.1040

g) Quotelung und betragsmäßig beschränkte Leistungsfreiheit. Die Leistungsfreiheit 217 kann von vornherein auf einen bestimmten Höchstbetrag beschränkt sein. Das ist etwa aufgrund von § 5 Abs. 3 KfzPflVV (A 5.000) und § 6 Abs. 1 KfzPflVV (A 2.500) in der Kfz-Haftpflichtversicherung der Fall und kann in anderen Sparten z.B. mittels AVB vereinbart werden. In diesen Fällen fragt sich, ob sich die Quotelung nach § 28 Abs. 2 Satz 2 auf den Höchstbetrag bezieht, oder aber die Leistungsfreiheitsquote ohne Blick auf diesen berechnet, das Ausmaß der Leistungsfreiheit dann aber durch den Höchstbetrag beschränkt wird. Dem Sinn einer betragsmäßigen Beschränkung entsprechend ist das Ausmaß der Leistungsfreiheit zunächst ohne Berücksichtigung des Höchstbetrages zu berechnen und erst dann mit seiner Hilfe zu kappen.1041 h) Quotelung und Selbstbehalt. Ein Selbstbehalt ist vorweg abzuziehen. Die Quotelung be- 218 trifft dann nur den verbleibenden Betrag.1042

1031 Felsch RuS 2007 485, 494; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 193; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 76, 114 f. 1032 Felsch RuS 2007 485, 494; zum umgekehrten Fall einer langen Vertragsdauer ohne Obliegenheitsverletzungen Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 77; gegen eine Berücksichtigung des bisherigen Versicherungsverlaufs z.B. Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 127. 1033 Felsch RuS 2007 485, 494 f. 1034 So Brand FS E. Lorenz (2014) 55, 71 ff. 1035 Felsch RuS 2007 485, 496; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 206. 1036 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 201; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 76. 1037 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 204; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 127. 1038 Stahl NZV 2009 265, 268; vgl. Veith VersR 2008 1580, 1583. 1039 Felsch RuS 2007 485, 492, 495; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 199; vgl. BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011 1037, 1039 (zu § 81). 1040 Felsch RuS 2007 485, 492, 496; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 205; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 77; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 244; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 128. 1041 Ebenso Maier RuS 2007 89, 90 f.; Franz VersR 2008 298, 305; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 255 m.w.N; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 88 („Quote vor Regressbegrenzung“); ebenso Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 135; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 220; LG Saarbrücken 30.3.2012 – 13 S 49/11, RuS 2013 275, 278; LG Bochum 2.3.2012 – 5 S 102/11, ZfS 2012 572. 1042 Heiss in: VersWiss. Stud. Bd. 42 (2013) 191, 209 unter Verweis auf LG Aachen 14.7.2011 – 2 S 61/11, SchadenPraxis 2011 375. 311

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

219 i) Mehrfache Quotelung. Die Gesetzesbegründung zur Quotelungsregelung des § 81 Abs. 2 (Herbeiführung des Versicherungsfalls) merkt an, dass eine mehrfache Quotelung möglich ist, wenn „gleichzeitig eine Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit … vorliegt.“1043 Dieser undifferenzierte Hinweis wurde von der Literatur schon mehrfach aufgegriffen und erörtert.1044 Im Zentrum der Debatte, in der es auch um die Fälle des Zusammentreffens mehrerer Obliegenheitsverletzungen geht, steht dabei, wie eine mehrfache Quotelung auszusehen hat. Verschiedene Modelle wurden hierfür vorgestellt: • Additionsmodell: Bei diesem Modell werden die Quoten einfach addiert (z.B. 30 % Kürzung für Verletzung einer Obliegenheit vor dem Versicherungsfall + 40 % Kürzung für Verletzung einer Obliegenheit nach dem Versicherungsfall = 70 % Gesamtkürzung). Das Modell wird als ungerecht und damit wohl vom Gesetzgeber ungewollt, als zu mathematisch und quasi als Wiedereinführung des Alles-oder-nichts-Prinzips durch die Hintertür ganz einhellig abgelehnt.1045 • Quotenkonsumption: Bei diesem Modell wird der höchste Grad an Leistungsfreiheit herangezogen, der die anderen Leistungsfreiheitstatbestände konsumiert. Auch dieses Modell wird weitgehend abgelehnt, weil es vom Gesetzgeber nicht gewollt sei und die Verletzungen in ihrer Gesamtheit nicht angemessen berücksichtige.1046 Hingegen plädiert Felsch „aus Gründen der prozessualen Vernunft und Praktikabilität“, insbesondere aber um eine Mathematisierung des Wertungsvorgangs zu vermeiden, für ein Konsumptionsmodell.1047 • Wertende Gesamtbetrachtung: Dieses Modell will eine mathematisch-mechanische Berechnung vermeiden und im Sinne der vom Gesetz gewollten Flexibilität die verschiedenen Verletzungen wertend zusammenfügen und damit eine einheitliche Quote ermitteln.1048 Es wird teils abgelehnt, weil das Modell VN, die mehrere Verstöße setzen, privilegieren würde.1049 M.E. ist diese Sorge übertrieben. • Stufenmodell/Quotenmultiplikation: Nach diesem Modell sollen die Leistungsfreiheitsquoten nacheinander angewandt werden. Überwiegend wird für eine zeitliche Abfolge plädiert, die zuerst begangene Obliegenheitsverletzung wird also als erstes herangezogen.1050 Gelegentlich wird eine Reihung nach der Schwere der Verletzung bevorzugt, sodass die schwerste Pflichtverletzung als erstes, die leichteste zuletzt berücksichtigt wird.1051 In der Sache ändert dies aber nichts. Die meisten Autoren wollen wohl dieser Ausprägung des Stufenmodells folgen. Ihm zufolge sei z.B. wegen Verletzung einer Obliegenheit vor dem Versicherungsfall eine Kürzung um 50 % durchzuführen, eine weitere wegen Verletzung einer Obliegenheit nach dem Versicherungsfall um 50 % der verbleibenden 50 %, also um 25 % der Gesamtsumme. Die Kürzung würde sich daher auf 75 % belaufen. E. Lorenz hat vorgeschlagen, erst nach § 81 zu quoteln, der verbleibende Rest soll dann um eine Quote für evtl. weiter vorliegende Obliegenheitsverletzungen gekürzt werden.1052 1043 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 80 (zu Abs. 2). 1044 Felsch RuS 2007 485, 496 f.; Nugel MDR 2007 23 (31 und 33); Günther/Spielmann RuS 2008 177, 185 f.; Marlow/ Spuhl 101 f.; Langheid NJW 2007 3665, 3669 f.

1045 Felsch RuS 2007 485, 496 und 497; Günther/Spielmann RuS 2008 177, 185; Marlow/Spuhl 102; vgl. auch Nugel MDR 2007 23, 31, der das Stufenmodell für allein zutreffend hält; weiterführund auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 250. 1046 Günther/Spielmann RuS 2008 177, 185; Marlow/Spuhl 102; vgl. auch Nugel MDR 2007 23, 31, der das Stufenmodell für allein zutreffend hält. 1047 Felsch RuS 2007 485, 497; vgl. im Kontext (nach altem Recht) AG Aachen 6.7.2007 – 11 C 125/07, VersR 2008 202, 203 (Tomson). 1048 Vgl. Felsch RuS 2007 485, 497, der auch dagegen Bedenken hegt, u.a. weil auf diese Weise kein Fallrecht zu einzelnen Obliegenheitsverletzungen entstehen kann. 1049 Günther/Spielmann RuS 2008 177, 185 („Gefahr der Rabattierung“); Marlow/Spuhl 102; in diesem Punkt wohl genau umgekehrt Felsch RuS 2007 485, 497. 1050 So Marlow/Spuhl 102; so versteht auch Felsch RuS 2007 485, 496 f. dieses Modell, welches er selbst ablehnt. 1051 Nugel MDR 2007 23, 31 („schuldorientiertes Stufenmodell“). 1052 E. Lorenz FS Deutsch (2009) 855, 865; ihm folgend Freifel 198. Heiss

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Die dargelegten Modelle implizieren einen Umstand, der sich m.E. von selbst versteht: Es geht 220 immer nur um Leistungsfreiheiten, die aus mehreren Verstößen resultieren, nicht hingegen um Fälle, in denen ein und dasselbe Verhalten mehrere Leistungsfreiheitstatbestände erfüllt. Verletzt der VN z.B. durch eine Trunkenheitsfahrt eine vor dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheit und erfüllt diese Handlung zugleich den Tatbestand der Herbeiführung des Versicherungsfalls, so stehen die Leistungskürzungsrechte in Anspruchskonkurrenz.1053 Der VR darf sich m.E. auf die weiter reichende Sanktion berufen, die Leistungsfreiheitsquoten aber nicht addieren.1054 Mindestens in der Regel werden freilich die verschiedenen Leistungsfreiheitstatbestände zur selben Kürzungsquote kommen, sodass diese anzuwenden ist. Die wohl h.L. spricht sich ähnlich für eine Gesamtbeurteilung aus, die alle Elemente des Sachverhalts für die Abwägung nutzt.1055 Macht man sich somit bewusst, dass es in den kritischen Fällen um mehrere Verstöße 221 geht, so fällt unmittelbar auf, dass die vorgestellten Modelle unter dem Problem leiden, dass sie Kausalitätserwägungen völlig aussparen und nur das grob fahrlässige Verhalten berücksichtigen. In Wirklichkeit aber liegen die Dinge noch komplizierter als in den Modellen angenommen. Es kann nämlich sein, dass die mehreren Verletzungstatbestände unterschiedliche Kausalitätsbeiträge aufweisen.1056 Dies wird regelmäßig bei ganz unterschiedlichen Obliegenheiten der Fall sein, so etwa wenn die Verletzung einer vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden, risikovorbeugenden Obliegenheit zu einem höheren Versicherungsschaden führt, und die weitere Verletzung einer nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Auskunftspflicht die Feststellung hinsichtlich eines anderen Teils des Versicherungsfalls behindert. Dasselbe gilt, wenn die Verletzungen zweier vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden, risikovorbeugenden Obliegenheiten zu je unterschiedlichen Kausalitätsbeiträgen führen. In diesen Fällen können die Quotelungen getrennt voneinander und auf den jeweiligen Kausalitätsbeitrag beschränkt berechnet werden.1057 Daraus folgt zugleich, dass eine Quotelung wegen einer grob fahrlässigen Verletzung einer Obliegenheit auch neben einer Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Verletzung möglich ist, denn auch bei vorsätzlichen Verstößen gilt das Kausalitätsprinzip, es muss also nicht zur vollständigen Leistungsfreiheit allein schon aufgrund der vorsätzlichen Verletzung kommen. Wirklich bedeutsam sind die dargelegten Modelle daher nur dann und nur insoweit, als die 222 verschiedenen Pflichtverstöße zum selben Schaden führen. Das ist idealtypisch der Fall, wenn eine risikovorbeugende Obliegenheit grob fahrlässig verletzt ist und diese zusammen mit einem grob fahrlässigen Verhalten des VN den Versicherungsfall in seiner Gesamtheit herbeiführt, wobei jede der beiden Verletzungen eine conditio sine qua non des Versicherungsfalls darstellt. Es gilt aber auch, wenn mehrere Pflichtverstöße ganz oder teilweise denselben Kausalitätsbeitrag leisten. In diesen Fällen entspricht m.E. eine bloß mathematische Addition oder Multiplikation der Einzelquoten nicht dem gesetzgeberischen Grundanliegen einer wertenden, interessengerechten Leistungskürzung.1058 Die Leistungsfreiheit für denselben Kausalitätsbeitrag ist letztlich ein und dieselbe Leistungsfreiheit. Ebenso wie die Schwere des Verschuldens bei nur einem Verstoß nicht rein mathematisch bestimmbar ist, sollten auch die wertend ermittelten

1053 Ebenso Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 134; auch hier für eine wertende Gesamtbetrachung Rüffer/Halbach/Schimikowski4-Felsch § 28 Rn. 216. 1054 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 134. 1055 So Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 248; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 212 und 215; Rixecker ZfS 2009 5, 8; Looschelders ZVersWiss 2009 13, 30; Brand FS E. Lorenz (2014) 55, 78; Tschersich RuS 2012 53, 59. 1056 Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 77. 1057 So im Ergebnis auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 250, 253; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 87; ähnlich wohl Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 218. 1058 Ebenso und besonders deutlich Felsch RuS 2007 485, 497. 313

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Quoten nicht einfach mathematisch addiert oder multipliziert werden.1059 Zweimal begangenes, mittelschweres Verschulden ist nicht volles Verschulden und auch nicht notwendig „Dreiviertelverschulden“. Das Additions- und das Stufenmodell scheiden damit m.E. als Modelle einer mehrfachen Quotelung aus.1060 Dasselbe gilt m.E. für das Konsumptionsmodell. Es würde zwar – im Gegensatz zu den anderen Modellen einer wie immer gearteten Zusammenrechnung von Quoten – das Entstehen von Fallrecht zu einzelnen Obliegenheitsverletzungen fördern, verletzt aber m.E. den Grundsatz der Quotelung, die Schwere des Verschuldens aufgrund einer Gesamtbetrachtung zu bemessen.1061 M.E. hat daher zu gelten: Der Richter hat bei seiner Bewertung des Verschuldens beide Verstöße wertend zu berücksichtigen (wertende Gesamtbetrachtung).1062 Es gilt also letztlich dasselbe wie für die Dauer des Obliegenheitsverstoßes: Handelt es sich nur um ein kurzes Versagen, so ist die Schwere des Verschuldens geringer, als wenn die Obliegenheitsverletzung andauert. Aber auch hier wird die Schuld für kurzfristiges Fehlverhalten nicht einfach mit der Anzahl der Minuten, Stunden oder Tage multipliziert. Ein zweiter Verstoß kann damit die Kürzungsquote erhöhen, ohne dass jedoch Additions- oder Multiplikationsrechnungen anzustellen wären.

223 j) Quotelungspraxis. Übersichten über die Quotelungspraxis der Gerichte zeigen, dass diese den Rahmen von 0 – 100 % vollumfänglich nutzen.1063 Eine Kürzung um 100 % wird insbesondere in der KFZ-Versicherung vorgenommen, wenn das Fahrzeug im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit gelenkt wird.1064 Unter dieser Grenze bewegen sich die Kürzungsquoten zwischen 75 und 80 %. Nicht miteinander vereinbar erscheinen Entscheidungen, die trotz entlastender Umstände bei einer Alkoholisierung von 0,59 ‰ um 50 % kürzen,1065 bei einer Alkoholisierung von 0,55 ‰ dagegen um 25 %.1066 Sonst liegen die Quoten gerne bei 50 % und höher. Geringere Quoten scheinen dagegen selten angewandt zu werden.1067 Felsch1068 listet 25 Fallbeispiele. In sieben dieser Fälle wurde um 100 % gekürzt, in weiteren drei Fällen um 90 %. Das sind zusammen 40 % der zitierten Fallbeispiele. Demgegenüber werden nur sechs Fälle (= 24 % der Fälle) mit einer Kürzungsquote von unter 50 % angeführt.1069 Nun mag sich diese Verteilung zum Teil aus dem Umstand erklären, dass hohe Leistungskürzungen eher bei Gericht bekämpft werden als niedrige. Dennoch zeigt ein Vergleich mit der schweizerischen Rechtspraxis, dass die deutsche Entscheidungspraxis die Rezeptionsvorlage des Art. 14 Abs. 2 schweizerisches VVG quasi auf den Kopf stellt. In der Schweiz finden sich kaum Kürzungsentscheide über 50 %.1070 Dabei 1059 Vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 214. 1060 Ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 250 (Additionsmodell) und 251 (Stufenmodell); anders (Additionsmodell) Moosbauer 267 ff.

1061 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 252, der übderdies auf die Präventivfunktion abstellt. 1062 Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 75; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 231 (angemessene Erhöhung der Quote für den schwersten Vorwurf); Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 134; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 85; ganz allgemein Moosbauer 198 f; differenzierend Freifel 196 ff; vgl. LG Dortmund 15.7.2010 – 2 O 8/10, VersR 2010 1594, 1596. 1063 Hilfreich z.B. die Übersicht bei Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 219; Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 246; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 84 ff.; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 133; siehe auch Scheidler DAR 2016 66; Döll DAR 2014 351; Heß RuS 2013 1; Heß/Burmann NJW Spezial 2012 201; Heß/Burmann NZV 2009 7. 1064 BGH 11.1.2012 – IV ZR 251/10, VersR 2012 341; weitere Beispiele bei § 81. 1065 OLG Hamm 25.8.2010 – I-20 U 74/10, VersR 2011 206, 207 (Möhlenkamp). 1066 OLG Düsseldorf – I-4 U 101/10, VersR 2011 1388, 1389, wobei zu beachten ist, dass in diesem Fall der VR keine höhere Kürzungsquote geltend gemacht hat. 1067 In Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 246 findet sich nur ein einziger Fall einer Quote unter 50 %. 1068 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 219. 1069 Vgl. auch die Übersicht bei Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 133. 1070 Siehe nur den Bericht zur Quotelungspraxis in der Schweiz bei Fuhrer 167, 175 ff. Heiss

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legen schweizerische Gerichte angeblich sogar strengere Maßstäbe an als die Versicherer selbst.1071 Angesichts dieser erheblichen Abweichungen gegenüber der Rezeptionsvorlage sollten deutsche Gerichte ihre Entscheidungspraxis selbstkritisch hinterfragen.

k) Quotelungsvereinbarungen. Anders als die Quotenregelung nach § 81 ist jene des § 28 Abs. 2 224 Satz 2 halbzwingendes Recht.1072 Damit scheiden Vereinbarungen aus, die ganz oder teilweise zu Lasten des VN ausschlagen. Insbesondere ist die Vereinbarung voller Leistungsfreiheit1073 oder einer starren 50 %-Quote nicht möglich.1074 In Frage kommen dagegen Höchstquoten oder Höchstbeträge der Leistungsfreiheit1075 oder ein Verzicht auf die Kürzung (Mitversicherung grober Fahrlässigkeit).1076 Vereinzelt wird allerdings eine überindividuell-generalisierende Sicht vertreten, wonach eine feste Quote, die deutlich unter 50 % liege, zulässig sei, auch wenn sie im Einzelfall zu Lasten des VN ausschlagen könne.1077 Dem ist m.E. nicht zu folgen.1078 l) Kausalität. So wie bei vorsätzlichen Verstößen setzt auch die Leistungsfreiheit wegen grob 225 fahrlässiger Obliegenheitsverletzungen Kausalität voraus.1079 Insofern kann auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden.1080 Im Kontext grober Fahrlässigkeit taucht jedoch eine spezielle Frage auf: Sowohl das Quotelungsprinzip des § 28 Abs. 2 Satz 2 als auch die Begrenzung der Leistungsfreiheit des VR auf das Maß der Kausalität bewirken eine teilweise Leistungspflicht des VR. Insofern fragt sich, wie sich diese Begrenzungen der Leistungsfreiheit zueinander verhalten. Theoretisch kommen jedenfalls zwei Varianten in Frage: Nach dem ersten Denkmodell ist 226 die Leistungsfreiheit von vornherein auf den Anteil der Versicherungsleistung beschränkt, der dem Maß der Kausalität der Obliegenheitsverletzung entspricht (§ 28 Abs. 3 Satz 1). Die Quotelung nach der Schwere des Verschuldens (§ 28 Abs. 2 Satz 1) bezieht sich daher nur auf diesen Teil. Hat z.B. ein VN durch Verletzung einer gefahrvorbeugenden Obliegenheit den Brandschaden (Totalschaden) an seinem Gebäude, das im Zeitpunkt des Versicherungsfalls einen Versicherungswert von A 500.000 hat, um 40 % erhöht, so ist der VR im Ausmaß von 60 % (also A 300.000) jedenfalls leistungspflichtig. Der verursachte Mehrschaden von 40 % (also A 200.000), für den nach § 28 Abs. 3 grundsätzlich Leistungsfreiheit vorliegt, wird angesichts der Schwere des Verschuldens mit einer (hier fiktiv angenommenen) Quote von 30 % (also um A 60.000) gekürzt. Der VN erhält somit weitere A 140.000 und damit in Summe A 440.000. Das Gegenmodell nimmt die Quotelung zunächst unter Zugrundelegung der gesamten Versicherungsleistung vor (§ 28 Abs. 2 Satz 1). Sie vergleicht dann die Summe mit jener, die unter Zugrundelegung des Kausalitätsprinzips nach § 28 Abs. 3 Satz 1 ermittelt wird und kappt die Leis1071 1072 1073 1074

Fuhrer 167, 182 ff. m.w.N. Vgl. § 32. Waller 342 ff. Waller 385 ff.; ebenso selbst für den Bereich der dispositiven Quotelung nach § 81 Looschelders VersR 2008 1, 7; nach Waller 417 ff. und 425 ff. sollen aber Fixquoten (i.S.v. Höchstquoten) möglich sein, wenn eine alternative oder obligatorische Einzelfallanpassung vorgesehen ist. 1075 Waller 332 ff. 1076 Waller 325 ff.; für eine solche Mitversicherung, schon um die Unsicherheiten des Quotelungssystems zu vermeiden E. Lorenz FS Deutsch (2009) 855, 866 f. (zu § 81). 1077 So z.B. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 240 unter Berufung auf Klimke 76 ff. 1078 Ähnlich wohl Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 75; vgl. auch Waller 215 ff. (mit Ergebnis 230) gegen eine kompensatorische Sichtweise (Saldierung von nachteiligen Vereinbarungen mit vorteilhaften). 1079 Eine nur abstrakte Gefährdung der Interessen des VR reicht nicht; OLG Naumburg 14.3.2013 – 4 U 47/12, RuS 2013, 597 = VersR 2014 621; OLG Naumburg 21.6.2012 – 4 U 85/11, VersR 2013 178, 179; KG 9.11.2010 – 6 U 103/ 10, VersR 2011 789, 790; ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 277. 1080 Siehe oben Rn. 183 ff. 315

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tungsfreiheit nach § 28 Abs. 2 Satz 2 bei Erreichen der so ermittelten Summe. Im gewählten Beispiel würde dies bedeuten, dass die Versicherungsleistung in Höhe von A 500.000 zunächst um 30 % gekürzt, also um A 150.000 auf A 350.000 gesenkt wird. Die Reduktion um A 150.000 wird dann anhand des Ausmaßes der Kausalität gekappt. Da der verursachte Mehrschaden A 200.000 beträgt, bleibt es somit bei der Leistungsfreiheit im Ausmaß der Quote von A 150.000. Der VN erhält damit nur A 350.000. 227 Der Gesetzgeber regelt diese Frage merkwürdigerweise nicht ausdrücklich. Auch die Gesetzesbegründung verliert hierzu kein Wort. Der Duktus des Gesetzestexts deutet die zweite Lösung an, denn Absatz 3 spricht von einem Kausalitätskriterium „[a]bweichend von Abs. 2 …“. Dennoch ist sich die Literatur einig, dass dies nicht der Absicht des Gesetzgebers entspricht. Vielmehr ging der Gesetzgeber davon aus, dass die Kausalität Grundvoraussetzung der Leistungsfreiheit ist. Von dem durch die Kausalität bestimmten Maß an Leistungsfreiheit ist dann in einem zweiten Schritt die Quotelung vorzunehmen.1081

228 m) Belehrungspflicht. Hat der VN eine Auskunfts- oder Aufklärungspflicht, die nach dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen ist, verletzt, so setzt die Leistungsfreiheit des VR außerdem eine Belehrung des VN über diese Rechtsfolge voraus.1082 Dies gilt, wie der Gesetzeswortlaut ausdrücklich klarstellt, selbstverständlich nicht nur bei am Maß der Kausalität ausgerichteter Leistungsfreiheit des VR nach § 28 Abs. 2 Satz 1 (Vorsatz), sondern auch für die Leistungskürzung im Falle grober Fahrlässigkeit nach § 28 Abs. 2 Satz 2.1083

7. Leicht fahrlässige und schuldlose Obliegenheitsverletzung 229 Eine leicht fahrlässig oder gar schuldlos begangene Obliegenheitsverletzung löst keine Leistungsfreiheit des VR aus.1084 Dies selbst dann nicht, wenn sie für den Eintritt bzw. die Feststellung des Versicherungsfalls oder für die Feststellung bzw. den Umfang der Leistungspflicht des VR kausal war. Rechtspolitisch ist diese gesetzgeberische Entscheidung damit zu rechtfertigen, dass der VN ein legitimes Interesse hat, jedenfalls für nicht verschuldete Ereignisse Deckung zu genießen. Dasselbe gilt für leichte Fahrlässigkeit, weil kein VN ausschließen kann, dass ihm eine solche unterläuft.1085 Die VVG-Reformkommission weist darüber hinaus auf in der Praxis gebräuchliche AVB-Klauseln hin, in denen VR die Haftung für leichte Fahrlässigkeit übernehmen, und meint, das Gesetz solle nicht hinter dieser geübten Praxis zurückbleiben.1086 Unzutreffend ist demgegenüber der pauschale Hinweis der VVG-Reformkommission, der VR könne sich ja durch Vereinbarung eines Risikoausschlusses behelfen.1087 Ein solcher würde nämlich als „verhüllte“ Obliegenheit behandelt und damit der Regelung des § 28 unterstehen.1088 230 Einfache Fahrlässigkeit bedeutet im Versicherungsrecht wie im allgemeinen Zivilrecht die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Dies ist allerdings im Kontext des § 28 von untergeordneter Bedeutung, weil die leichte Fahrlässigkeit eben keine Sanktionen

1081 Ebenso Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 232; siehe auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 87; Meixner/Steinbeck Rn. 335; Marlow/Spuhl 108.

1082 § 28 Abs. 4. 1083 Zu Einzelheiten dieser Belehrungspflicht oben Rn. 174 ff. 1084 § 28 Abs. 2 (e contrario); Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2); europarechtliche Bedenken für den Fall leichter Fahrlässigkeit bei Herrmann in Herrmann/Wambach 101, 126 ff. Vgl. insofern Armbrüster VersR 2003 675, 676; Prölss VersR 2003 669, 670. Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30. Mai 2002 S. 45. Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30. Mai 2002 S. 45. Ebenso Prölss VersR 2003 669, 670; zu den verhüllten Obliegenheiten oben Rn. 19 ff.

1085 1086 1087 1088 Heiss

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mehr auslöst. Sie ist hier angesichts der Beweislast des VN nach § 28 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 als das Fehlen von grober Fahrlässigkeit zu verstehen.1089 Das Verschuldensprinzip als Voraussetzung der Leistungsfreiheit bildet eine grundlegen- 231 de Maxime des deutschen Versicherungsvertragsrechts. Auch bei Großrisikoversicherungen, bei denen grundsätzlich Vertragsfreiheit herrscht,1090 fällt somit die Vereinbarung von verschuldensunabhängiger Leistungsfreiheit einer Inhaltskontrolle zum Opfer.1091 Das gilt selbst in der Seeversicherung, auf die gemäß § 209 die Bestimmung des § 28 gar keine Anwendung findet.1092

8. Beweislastfragen a) Allgemeines. Ein Ziel der Reform war die klare und einheitliche Regelung der Beweis- 232 last.1093 Dieses wurde nicht oder doch nur in bescheidenem Ausmaß erreicht.1094 „Klar“ ist die Beweislastverteilung jedenfalls nicht bei der Frage, wie schwer eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 wiegt. Und „einheitlich“ sind die Beweislastregeln auch nicht. So weichen etwa die Grundsätze bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht und bei der Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen von jenen bei den vertraglichen Obliegenheiten ab.1095

b) Obliegenheitsverletzung. Der VR trägt die Beweislast für das objektive Vorliegen einer 233 Obliegenheitsverletzung.1096 Diese Beweislastverteilung wurde nach altem Recht bisweilen unter Verweis auf § 362 BGB, der dem Schuldner den Beweis für das Erlöschen des Schuldverhältnisses durch Erfüllung auferlegt, bestritten.1097 Teils wurde behauptet, der VN müsse die Erfüllung all jener Obliegenheiten beweisen, die ein positives Tun fordern,1098 teils wurde diese Ansicht auf Obliegenheiten eingeschränkt, bei denen eine Leistung in einem sehr weit verstandenen Sinne, z.B. also einer Anzeige, geschuldet wird, der VR also etwas „erhält“.1099 Die Instanzrechtsrechtsprechung ist diesen Ansätzen nur zum Teil gefolgt,1100 der BGH hat sie

1089 Siehe zur Abgrenzung z.B. OLG Hamm 19.11.1971 – 20 U 120/71, VersR 1972 265 mit kritischer Anm. von Springer VersR 1972 479; zur Abgrenzung im Deliktsrecht z.B. Röhl JZ 1974 521. Siehe § 210. BGH 2.12.1992 – IV ZR 135/91, VersR 1993 223, 224. Hierzu Beckmann/Matusche-Beckmann/Heiss-Trümper3 § 38 Rn. 40. Siehe die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49. So auch das eindeutige Fazit bei Pohlmann VersR 2008 437, 443. Eingehend Pohlmann VersR 2008 437, 438. Siehe die Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49 (allerdings nur implizit); Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 168; Nugel MDR 2007 23, 25; zum alten Recht Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 124 mit weiterführenden Gedanken zur Abweichung dieser Beweislastverteilung von jener bei § 362 BGB; a.A. Niewerth/Vespermann VersR 1995 1290; relativierend auch Martin RuS 1988 302. 1097 Vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 168. 1098 Hierzu Römer/Langheid/Langheid2 § 33 Rn. 22. 1099 Vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 124. 1100 Befürwortend LG Köln 10.10.1990 – 24 O 322/88, RuS 1991 108; LG Stade 3.2.1988 – 2 S 305/86, VersR 1988 712; AG Regensburg 24.7.1984 – 5 C 1587/84, VersR 1985 660; offen lassend OLG Karlsruhe 15.12.1988 – 12 U 8/88, RuS 1990 101 bzw. keine Obliegenheit (sondern Pflicht zur Anmeldung von Transporten im Rahmen einer laufenden Versicherung) betreffend OLG München 18.5.1990 – 23 U 6936/89, VersR 1991 810 f.; dagegen oder zumindest anders OLG Hamm 20.2.2008 – 20 U 134/07, VersR 2008 1059; LG Köln 8.8.2007 – 26 O 667/04, VersR 2008 953, 954; OLG Hamburg 4.9.1984 – 9 U 113/84, VersR 1984 978; OLG Hamburg 27.8.1993 – 11 U 45/93, VersR 1994 668 f.; OLG Hamm 18.5.1988 – 20 U 260/87, RuS 1988 302 f.; OLG Köln 19.11.1992 – 5 U 103/91, VersR 1993 310, 311; OLG Köln 16.8.1994 – 9 U 128/94, VersR 1995 567; OLG Köln 19.8.1997 – 9 U 222/96, VersR 1998 1105, 1106; LG Bonn 15.8.1997 – 10 0 100/97, RuS 1998 276, 277.

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

abgelehnt.1101 Auch in der Literatur wurde die Ansicht – m.E. zutreffend – überwiegend abgelehnt.1102 Nach neuem Recht ist die Streitfrage nicht mehr relevant, weil § 69 Abs. 3 Satz 2 die Beweislast eindeutig dem VR zuweist.1103 Die Beweislast bleibt damit beim VR. Dieser trägt daher auch die Beweislast dafür, dass der VN einen anzeigepflichtigen Umstand kannte,1104 dass er selbst den nicht angezeigten Umstand nicht bereits gekannt hat1105 oder aber dass der VN den Versicherungsagenten nicht in mündlicher Form richtig informiert hat.1106 Hängt, wie regelmäßig bei Auskunftspflichten, die Obliegenheit von einer Aufforderung seitens des VR ab, so hat der VR auch diese Aufforderung zu beweisen.1107 Auch für die Zurechenbarkeit der von einem Dritten begangenen Obliegenheitsverletzung nach den Maßstäben der Repräsentanz ist der VR beweispflichtig.1108 Eine andere Frage ist es, ob ihm bei der Beweisführung entgegenzukommen ist. Die Rspr. legt dem VN in verschiedener Hinsicht eine erhöhte Substantiierungslast (sekundäre Behauptungslast) auf:1109 Dies gilt für die Voraussetzung der Kenntnis von Umständen, die anzeigepflichtig sind. Hier muss der VN dartun, wie der Fehler entstanden ist.1110 Es gilt ferner für das Absenden von Anzeigen und Erklärungen. Der VN muss näher dartun, wo, wann und wie er sie abgesandt hat.1111

234 c) Vorsatz und Arglist. Im Rahmen der Geltendmachung einer Leistungsfreiheit nach § 28 Abs. 2 hat der VR – im Gegensatz zum alten Recht, das Vorsatz des VN vermutete,1112 und im Gegensatz zur Beweislast für die Kündigung nach § 28 Abs. 11113 – den Vorsatz des VN zu beweisen.1114 Dies folgt e contrario aus der ausdrücklichen Belastung des VN mit dem Entlastungsbeweis hinsichtlich der groben Fahrlässigkeit in § 28 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2.1115 Den VN trifft aber eine Substantiierungslast. Er muss bspw. dartun, was die Gründe für eine Falschangabe waren und diese einer Nachprüfung zugänglich machen.1116 Dasselbe gilt folgerichtig auch für die Arg1101 Ausdrücklich BGH 3.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967 56, 59. 1102 So nach wie vor Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 31; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 48.; aus der älteren Literatur: Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 253–255 (insb. 255); Hansen 148 f.; Wegmann 82; Sieg VersR 1963 1089. 1103 Vgl. z.B. Pohlmann VersR 2008 437, 438, die zu Recht darauf hinweist, diese gesetzliche Beweislastverteilung erfolge an systematisch verfehlter Stelle; ähnlich Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 165, der § 69 Abs. 3 S. 2 auf Fälle der Einschaltung eines Versicherungsvertreters beschränkt, für andere Fälle die Beweislast aber entsprechend verteilt. 1104 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, VersR 2007 389, 390; BGH 12.12.2007 – IV ZR 40/06, VersR 2008 484; hierzu die Anmerkung von Prölss VersR 2008 674; BGH 16.9.2009 – IV ZR 246/08, NJW-RR 2010 99, 100f; OLG Hamm 31.10.2018 – 20 U 19/18, RuS 2019 351, 353; OLG Karlsruhe 18.10.2007 – 12 U 9/07, VersR 2008 250; OLG Düsseldorf 2.9.2003 – I–4 U 15/03, VersR 2004 1450, 1451; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 32. 1105 Anders OLG Köln 26.9.2006 – 9 U 142/05, RuS 2007 100, wonach der VN die Beweislast für die anderweitige Kenntnis des VR von den aufklärungspflichtigen Tatsachen – Vorschäden – trägt. 1106 Näher hierzu Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 51. 1107 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 49. 1108 OLG Naumburg 18.6.2015 – 4 U 58/14, VersR 2017 93, 95 (Langheid). 1109 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow3 § 13 Rn. 50. 1110 BGH 8.2.1984 – IVa ZR 203/81, VersR 1984 453, 454; OLG Hamm 26.11.1993 – 20 U 214/93, RuS 1994 42, 43 (Substanziierung durch VN gefordert). 1111 OLG Hamburg 27.8.1993 – 11 U 45/93, VersR 1994 668, 669; OLG Köln 16.8.1994 – 9 U 128/94, VersR 1995 567; LG Bonn 15.8.1997 – 10 0 100/97, RuS 1998 276, 277. 1112 Zur alten Rechtslage Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 125. 1113 Hierzu schon oben Rn. 157 f. 1114 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2); Pohlmann VersR 2008 437, 438; zur primären Darlegungslast des VR Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 225 unter Verweis auf die h.Rsp.; zur Beweisführung Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 67. 1115 So auch – für den Beweis der Arglist – OLG Dresden 7.11.2017 – 4 W 991/17, RuS 2018 242, 243 (Jungermann). 1116 OLG Celle 30.11.2017 – 8 U 30/17, RuS 2018 132, 133 ; OLG Celle 17.11.2016 – 8 U 114/16, RuS 2017 238, 239. Heiss

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D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

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list nach § 28 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 2.1117 Sind Falschangaben des VN bewiesen, so trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast. Er muss plausible Tatsachen vortragen, die einen Täuschungswillen entfallen lassen.1118 Das gelingt nicht, wenn die Angaben des VN, die auf eigener Wahrnehmung beruhen, mit dem Schadensbild technisch nicht in Einklang zu bringen sind.1119

d) Grobe Fahrlässigkeit. Der Entlastungsbeweis hinsichtlich groben Verschuldens trifft nach 235 ausdrücklicher Anordnung in § 28 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 – gleich wie nach altem Recht1120 – den VN.1121 Damit hat er alle Umstände darzutun und zu beweisen, die für nur leicht schuldhaftes bzw. schuldloses Handeln sprechen. Er hat im Rahmen dieser Beweisführung insbesondere auch (negativ) das Nichtvorliegen von vom VR substanziiert vorgetragenen, belastenden Umständen zu beweisen.1122 Beruft sich der VN auf eine Unzurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt der Obliegenheitsverletzung, so ist § 827 Satz 1 BGB entsprechend anzuwenden. Den VN trifft insoweit die Darlegungs- und Beweislast.1123 Misslingt dieser Beweis, so sind die dargelegten und bewiesenen Gründe, die für eine Unzurechnungsfähigkeit sprechen, bei der Prüfung, ob ein subjektiv unentschuldbares Verhalten vorliegt, zu berücksichtigen.1124

e) Schwere des Verschuldens. Das Gesetz (§ 28 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2) vermutet zwar das 236 Vorliegen grober Fahrlässigkeit, nicht aber einer bestimmten Schwere des Verschuldens innerhalb dieser Kategorie.1125 Insofern bleibt offen, wen die Beweislast diesbezüglich trifft. Die Gesetzesbegründung sagt ausdrücklich, der VR sei für die Schwere des Verschuldens beweispflichtig.1126 Darin kommt ein eindeutiger gesetzgeberischer Wille zum Ausdruck,1127 mag dieser Satz auch erst relativ spät im Gesetzgebungsverfahren in die Begründung eingeflossen sein.1128 Die Gesetzesbegründung stimmt mit der Beobachtung überein, dass die Schwere des Verschuldens dasjenige Element ist, welches die Kürzungsentscheidung des VR bestimmt, somit Voraussetzung der Ausübung des Kürzungsrechts durch den VR ist.1129 Die wohl h.L. sieht daher die Beweislast hinsichtlich der Schwere des Verschuldens beim VR.1130 Gegen diese klare Äußerung der Gesetzesbegründung wird häufig angenommen, es sei im 237 Zweifel von mittlerem Verschulden auszugehen, von dem aus sich der VN entlasten, der VR 1117 BGH 11.5.2011 – IV ZR 148/09, RuS 2011 304; OLG Dresden 6.10.2020 – 4 U 2789/19, RuS 2021 31, 34; OLG Dresden 7.11.2017 – 4 W 991/17, RuS 2018 242, 243 (Jungermann).

1118 BGH 11.5.2011 – IV ZR 148/09, RuS 2011 304 (zur vorvertraglichen Anzeigepflicht); ihm für § 28 folgend OLG Dresden 7.11.2017 – 4 W 991/17, RuS 2018 242, 243 (Jungermann); vgl. für den Fall des unerlaubten Entfernens vom Unfallort LG Limburg 2.11.2018 – 3 S 81/18, RuS 2019 316. 1119 Vgl. OLG Saarbrücken 27.9.2017 – 5 U 43/16, VersR 2018 672, 673. 1120 So BGH 10.2.1999 – IV ZR 60/98, VersR 1999 1004, 1005 (E. Lorenz); BGH 2.6.1993 – IV ZR 72/92, VersR 1993 960 f., OLG Karlsruhe 19.10.2006 – 12 U 137/06, VersR 2007 644, 645; OLG Saarbrücken 13.7.2005 – 5 U 689/04–70, VersR 2006 503, 506. 1121 Vgl. z.B. OLG Koblenz 29.4.2020 – 10 U 2170/19, NJW-RR 2020 1237, 1238. 1122 Vgl. Pohlmann VersR 2008 437, 438. 1123 BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011 1037, 1038 (zu § 81); vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 227 m.w.N. 1124 BGH 22.6.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011 1037, 1038 (zu § 81). 1125 Pohlmann VersR 2008 437, 438 f. und 441 geht demgegenüber wohl davon aus, dass die Vermutung grober Fahrlässigkeit auch die Vermutung gröbster Fahrlässigkeit in sich birgt. 1126 Begründung zum RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69 (zu Abs. 2 a.E.). 1127 Vgl. Niederleithinger 39; sowie Rixecker ZfS 2007 73, der ebenfalls von der Beweislast des VR ausgeht; die Beweislastregelung für Verschulden war auch für die Reformkommission ein von vornherein kontroverser Punkt, vgl. Niederleithinger in Berliner Reihe 23 (2003) 6, 19. 1128 Vgl. Pohlmann VersR 2008 437, 438. 1129 Ähnlich Deutsch Rn. 222. 1130 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 154; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 237. 319

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den VN belasten kann.1131 Diese Vermutung widerspricht jedoch der Konzeption des § 28 Abs. 2 S. 2.1132 Sie ist daher abzulehnen. 238 Demgegenüber hat Pohlmann für eine Beweislast des VN auch für die Schwere des Verschuldens plädiert.1133 Getrieben wird diese Ansicht von verschiedenen technischen Problemen einer zwischen VN (Nichtvorliegen von grober Fahrlässigkeit) und VR (Schwere des Verschuldens) gespaltenen Beweislast.1134 Bringt nämlich ein VN vor, die verspätete Einreichung einer Stehlgutliste sei nicht grob fahrlässig erfolgt, weil ein Sachbearbeiter die unzutreffende Auskunft erteilt habe, das eile nicht, so hat er diese Äußerung des Sachbearbeiters zu beweisen. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, so bleibt es bei vermuteter grober Fahrlässigkeit. Will nun der VR im Rahmen seiner Beweislast den Nachweis führen, es liege ein besonders grob fahrlässiger Verstoß vor, so hat er nicht nur belastende Umstände, sondern auch die Unrichtigkeit substanziiert vorgebrachter, entlastender Behauptungen des VN zu beweisen. Gelingt dem VN somit wenigstens die Substanziierung seiner Behauptung, dem VR aber nicht der Gegenbeweis, so wirkt diese nicht widerlegte Behauptung des VN verschuldensmindernd.1135 Um diesen Widerspruch aufzulösen, will Pohlmann die ausdrückliche Belastung des VR mit der Beweisführung in der Gesetzesbegründung negieren und die Beweislast dennoch dem VN auferlegen.1136 Man kann diese technischen Probleme nicht leugnen, ebenso wenig die Praktikabilität des Vorschlags von Pohlmann. Auch kann sich Pohlmann auf Rechtsprechungsentwicklungen im Bereich des früheren Transportrechts berufen.1137 Dennoch reicht dies m.E. nicht aus, um vom ausdrücklichen Gesetzgeberwillen abzuweichen. Immerhin erwähnt auch Pohlmann, dass nicht nur die Gesetzesbegründung eine vom allgemeinen Zivilrecht abweichende Beweislast vertritt, sondern dass auch die vom allgemeinen Zivilrecht abweichende Formulierung der Beweislastumkehr in § 28 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 suggeriere, neben dieser Beweislast „könne es auch noch eine solche für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit – oder eben einen bestimmen Grad grober Fahrlässigkeit – geben“.1138 Und ganz ausgeschlossen ist eine derartige Spaltung der Beweislast auch im allgemeinen Zivilrecht nicht. Macht z.B. ein am Körper verletzter Geschädigter Schmerzensgeldansprüche wegen Vertragsverletzung geltend, so hat der Schädiger nach § 280 Abs. 1 Satz 2 mangelndes Verschulden zu beweisen. Gelingt ihm das nicht, so trifft den Geschädigten die Beweislast hinsichtlich aller Umstände, die für die Höhe des Schmerzensgeldes bestimmend sind. Zu diesen Umständen wird bisweilen wegen der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes auch die Schwere des Verschuldens des Schädigers gezählt,1139 womit die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens gleich wie bei § 28 Abs. 2 Satz 2 gespalten wird.

239 f) Kausalität. Eindeutig ist die Beweislastverteilung beim Kausalitätskriterium. Der VN hat das Nichtvorliegen bzw. einen minderen Grad der Kausalität zu beweisen.1140 Dies geht aus der Formulierung des § 28 Abs. 3 („Abweichend von Absatz 2 ist der VR zur Leistung verpflichtet, …“) hervor,

1131 Hierzu schon oben Rn. 208 ff. 1132 Auch hierzu bereits oben Rn. 190 ff.; ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 28 Rn. 68; vgl. ferner Pohlmann VersR 2008 437, 440. Pohlmann VersR 2008 437, 440; vgl. auch Looschelders/Pohlmann/Pohlmann3 § 28 Rn. 156 ff. und insb. 166. Zu diesem Argument (abl.) Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 28 Rn. 89. Pohlmann VersR 2008 437, 439. Pohlmann VersR 2008 437, 441. Siehe Pohlmann VersR 2008 437, 439 f. Pohlmann VersR 2008 437, 441. MüKoBGB/Oetker8 § 253 Rn. 48. Z.B. OLG Dresden 6.10.2020 – 4 U 2789/19, RuS 2021 31, 35; OLG Koblenz 29.4.2020 – 10 U 2170/19, NJW-RR 2020 1237, 1238; OLG Braunschweig 16.1.2020 – 11 U 131/19, RuS 2020 628, 629; OLG Saarbrücken 23.10.2019 – 5 U 19/19, VersR 2020 281, 282 m.w.N.

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die das Bestehenbleiben der Deckung für nicht verursachte Schäden als Ausnahme ausweist. Diese Beweislastverteilung entspricht dem alten Recht.1141 Zur Erfüllung der Beweislast muss der VN das Nichtvorliegen aller Folgen beweisen, die nach Lage der Dinge oder aufgrund einer substanziierten1142 Darlegung des VR ernstlich in Frage kommen.1143 Ein solcher Nachweis einer negativen Tatsache setzt dagegen nicht voraus, dass der VN „jede denktheoretisch mögliche oder vom Versicherer ins Blaue hinein aufgestellte Sachverhaltsvariante ausschließt“, aufgrund derer Kausalität anzunehmen sein könnte.1144 Der erforderliche Beweis hängt nicht zuletzt vom Schutzzweck der Obliegenheit ab. Hat der VN gegen eine Obliegenheit verstoßen, die der Vorbeugung gegen eine subjektive Vertragsgefahr dient, wie etwa die Pflicht zur Mitteilung einer Mehrfachversicherung, so hat er zu beweisen, dass der Versicherungsfall dem Grunde oder dem Umfang nach nichts oder nur teilweise mit einem durch finanzielle Anreize geleiteten Willensentschluss seinerseits zu tun hat. Hierher zählt bspw. der Entlastungsbeweis, dass der VN trotz nicht angezeigter Mehrfachversicherung (Krankentagegeldversicherung) nicht unnötig lange im Krankenhaus geblieben ist. Wäre er länger als erforderlich geblieben, so bestünde Teilkausalität und wäre daher die Versicherungsleistung im Ausmaß der Kausalität zu kürzen. Der Erfolg der Beweisführung hängt insbesondere davon ab, inwieweit der VN den Krankenhausaufenthalt statt einer ambulanten Behandlung bzw. einen längeren Aufenthalt statt eines hinreichenden, kürzeren beliebig gewählt hat. Jedenfalls widerlegt ist die Kausalitätsvermutung, wenn der Krankenhausaufenthalt zwar nach Abschluss des zweiten Versicherungsvertrags, aber noch vor dessen Deckungsbeginn stattgefunden hat. Hat der VN eine gefahrvorbeugende Obliegenheit verletzt, so hat er zu beweisen, dass sich dieser Verstoß nicht auf den Eintritt des Versicherungsfalls ausgewirkt hat1145 oder aber dass er nur für einen Teil des Versicherungsfalls kausal war, die Leistungsfreiheit also nur partiell eintritt.1146 In dieser möglichen Kürzung des Anspruchs liegt eine wesentliche Neuerung gegenüber dem Alles-oder-nichts-Prinzip des § 6 Abs. 2 a.F. Der Kausalitätsbeweis ist jedenfalls geführt, wenn der Versicherungsfall für den VN erwiesenermaßen unabwendbar war.1147 Jedoch wäre es verfehlt, das Beweismaß derart hoch zu setzen, dass nur der Beweis der Unabwendbarkeit die Vermutung der Kausalität widerlegt.1148 Bei Obliegenheiten, die nach dem Versicherungsfall zu erfüllen sind, ist zu unterscheiden. Dient die Obliegenheit der Schadenminderung, so ist der Beweis anzutreten, dass der Schaden bei Erfüllung der Obliegenheit nicht oder nur teilweise hätte gemindert werden können.1149 Für 1141 Zum alten Recht Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 124. 1142 Der VR muss detailliert dartun, welche Maßnahmen er ergriffen hätte und welcher Erfolg daraus zu erwarten gewesen wäre; vgl. OLG Düsseldorf 29.4.2003 – I-4 U 170/02, VersR 2004 769, 771; OLG Nürnberg 22.9.1988 – 8 U 531/86, VersR 1989 1078, 1081. 1143 BGH 4.4.2001 – IV ZR 63/00, VersR 2001 756, 757; BGH 12.6.1968 – IV ZR 774/68, VersR 1968 762, 763; BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, VersR 1964 709, 712; BGH 24.10.1960 – II ZR 244/58, VersR 1960 1033, 1034; BGH 25.6.1956 – II ZR 180/55, VersR 1956 471, 472; OLG Braunschweig 16.1.2020 – 11 U 131/19, RuS 2020 628, 629; LG Düsseldorf 24.5.2006 – 11 O 505/03, VersR 2006 1543, 1544; vgl. OLG Düsseldorf 9.11.1965 – 4 U 135/65, VersR 1966 1024, 1025; vgl. OLG Lüneburg 9.1.2007 – 5 O 199/06, RuS 2007 329, 330, wonach der Kausalitätsgegenbeweis nur dann erbracht ist, „wenn mit Sicherheit festzustellen ist, dass sich die Obliegenheitsverletzung in keiner Weise auf den Eintritt des konkreten Vers-Falles ausgewirkt hat“; ebenso LG Berlin 11.3.2004 – 7 O 527/03, VersR 2005 75, 76. 1144 OLG Hamm 28.2.2018 – 20 U 188/17, VersR 2018 929. 1145 Z.B. wenn ein nicht angegebener Vorschaden beweisbar durch Reparatur vollständig beseitigt wurde; OLG Naumburg 18.6.2015 – 4 U 58/14, VersR 2017 93, 95 f. (Langheid). 1146 Vgl. zu diesen beiden Kausalitätsgegenbeweisen Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 285 f. und 290 f. 1147 Vgl. BGH 27.2.1976 – IV ZR 20/75, VersR 1976 531, 532; OLG Nürnberg 25.7.2002 – 8 U 3687/01, VersR 2003 191, 192 jeweils für die Führerscheinklausel. 1148 Vgl. zu den Anforderungen, welche die Rspr. im Rahmen der Führerschein- und Verwendungsklausel stellt(e), Spielberger VersR 1962 927, 928 und 929. 1149 Vgl. im Kontext KG 22.2.2006 – 6 U 133/07, VersR 2008 914, 915 (Folgenlosigkeit eines verbotenen Anerkenntnisses ist bewiesen, wenn der VN keine gesetzlichen Entlastungsmöglichkeiten gegenüber Geschädigtem hatte). 321

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Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

die fehlende Kausalität bzw. die Höhe des Mehrschadens wird § 287 ZPO für anwendbar gehalten.1150 Reicht der VN z.B. eine Stehlgutliste verspätet ein, so wird der VR regelmäßig substanziiert behaupten können, er hätte bei rechtzeitiger Obliegenheitserfüllung die Polizei verständigt und diese hätte die Diebesbeute sichergestellt. Diese substanziierte Behauptung wird von den Gerichten regelmäßig als nur schwer widerlegbar angesehen.1151 Einzelne Entscheidungen legen dagegen eine realistischere Sichtweise an den Tag und gehen davon aus, dass jedenfalls bei „Allerweltssachen“ ein Fahndungserfolg nicht realistisch erscheint.1152 Klar geführt ist der Beweis, wenn die Polizei trotz Mitteilung des Tatverdachts eine Fahndung ablehnt.1153 Dienen die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegenheiten (z.B. Anzeige244 und Aufklärungspflicht) der Feststellung des Versicherungsfalls, so muss der VN beweisen, dass sich die Verletzung nicht zum Nachteil des VR auf die Feststellungen ausgewirkt hat.1154 Dem VN stehen zur Führung des Kausalitätsgegenbeweises alle Beweismittel zur Verfügung. 245 § 28 Abs. 3 Satz 1 enthält keine Beschränkung auf gleichartige Beweismittel wie dasjenige, das wegen der Aufklärungspflichtverletzung des VN nicht mehr zur Verfügung steht oder nicht mehr verlässlich ist.1155 Der VN muss zunächst Beweise vorlegen, welche die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten ausräumen. Dann muss er die Behauptungen des Versicherers über Art und Maß der Kausalität abwarten. Diese Behauptungen hat der VN ebenfalls zu widerlegen.1156 Der Versicherer muss vortragen, welche Maßnahmen er bei rechtzeitiger Erfüllung der Obliegenheit getroffen und welchen Erfolg er sich davon versprochen hätte, und ein für ihn konkret mögliches, günstigeres Ergebnis aufzeigen.1157 Eine Aufklärungspflichtverletzung (Unfallflucht) führt beispielsweise nicht zu Feststellungsnachteilen für den VR, wenn unmittelbar nach dem Unfall die Fahrtüchtigkeit des Fahrers und der eingetretene Schaden polizeilich ermittelt und dokumen-

1150 BGH 6.6.1966 – II ZR 22/64, VersR 1966 745, 747; BGH 19.2.1968 – II ZR 12/66, VersR 1968 385, 387; OLG Köln 24.4.1968 – 2 U 87/67, VersR 1968 1135, 1136. 1151 Vgl. LG Köln 1.4.2004 – 24 O 328/03, VersR 2005 497; OLG Celle 1.6.1995 – 8 U 78/94, ZfS 1996 307; OLG Hamm 19.6.1991 – 20 U 32/91, VersR 1992 489, 490; LG Hamburg 11.7.1990 – 326 O 110/90, VersR 1991 769, 770; strenge Anforderungen an den Kausalitätsgegenbeweis bestehen auch für den Fall, dass eine Schadensanzeige erst nach Monaten erfolgt und der Versicherer über ein Netzwerk von Niederlassungen verfügt, die zum Aufspüren von Schädiger und Beute hätten eingeschaltet werden können, LG Düsseldorf 24.5.2006 – 11 O 505/03, VersR 2006 1543, 1544. 1152 OLG Köln 21.2.1995 – 9 U 248/94, VersR 1996 323, 324; vgl. auch OLG Düsseldorf 16.1.1996 – 4 U 267/94, RuS 1996 237; gegenteilig bei der Entwendung von Markenkleidungsstücken OLG Köln 27.7.2004 – 9 U 54/04, VersR 2005 1531, 1532. 1153 OLG Hamm 4.2.2002 – W 36/01, VersR 2002 1233, 1234; vergleichbar auch der Fall, dass die Polizei bei der Fahndung nur jene in der Stehlgutliste aufgelistete Diebesbeute berücksichtigt hätte, die aufgrund von eingestempelten Herstellerkennzeichnungen oder sonstigen Merkmalen individualisierbar ist, OLG Düsseldorf 18.3.2003 – I-4 U 189/02, VersR 2005 1727. 1154 Vgl. BGH 7.7.2004 – IV ZR 265/03, VersR 2004 1117, 1118; BGH 4.4.2001 – IV ZR 63/00, VersR 2001 756, 757; OLG Dresden 6.10.2020 – 4 U 2789/19, RuS 2021 31, 35; OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289, 1292; OLG Köln 6.6.2017 – 9 U 191/16, RuS 2019 80, 81; OLG Naumburg 21.6.2012 – 4 U 85/11, VersR 2013 178, 179; OLG Stuttgart 28.4.2005 – 7 U 209/04, VersR 2006 65, 66; OLG München 5.8.1981 – 3 U 3919/80, VersR 1982 1089; OLG Hamm 3.11.1972 – 20 U 180/72, VersR 1973 339, 342; vgl. schon Fleck VersR 1956 465. 1155 Ausführlich (zum österreichischen Recht) B. Lorenz VersRdsch 1993 81. 1156 OLG Saarbrücken 23.10.2019 – 5 U 19/19, VersR 2020 281, 282; OLG Celle 30.11.2017 – 8 U 30/17, RuS 2018 132; vgl. BGH 4.4.2001 – IV ZR 63/00, VersR 2001 756; OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289; OLG Karlsruhe 18.2.2010 – 12 U 175/09, VersR 2010 1307; OLG Celle 30.11.2017 – 8 U 30/17, RuS 2018 132; OLG Köln 6.6.2017 – 9 U 191/16, RuS 2019 80; vgl. Majerle VersR 2011 1492, 1494. 1157 OLG Saarbrücken 23.10.2019 – 5 U 19/19, VersR 2020 281, 282; OLG Celle 25.3.2019 – 8 U 210/18, RuS 2019 320, 323 (Maier); OLG Celle 30.11.2017 – 8 U 30/17, RuS 2018 132, 133; OLG Saarbrücken 10.2.2016 – 5 U 75/14, VersR 2016 1368, 1371; vgl. BGH 4.4.2001 – IV ZR 63/00, VersR 2001 756; OLG Saarbrücken 19.6.2019 – 5 U 99/18, VersR 2019 1289; OLG Karlsruhe 18.2.2010 – 12 U 175/09, VersR 2010 1307; OLG Celle 30.11.2017 – 8 U 30/17, RuS 2018 132; OLG Köln 6.6.2017 – 9 U 191/16, RuS 2019 80. Heiss

322

D. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung

VVG § 28

tiert werden.1158 Ebenso fehlt es an der Kausalität, wenn die Falschangabe vom VR vor der Regulierung des Versicherungsfalls entdeckt wird.1159 Wird festgestellt, dass sich dem VR auch bei Beachtung von § 142 StGB keine zusätzlichen Aufklärungsmöglichkeiten ergeben hätten, so ist der Kausalitätsbeweis erbracht.1160 Umgekehrt beseitigt es die Kausalität nicht, wenn der VN, der die Herausgabe von aufklärungsrelevanten Schlüsseln verweigert hat, mehrere Jahre später selbst ein Sachverständigengutachten in Auftrag gibt, das zu einem für den VN günstigen Ergebnis kommt.1161 Der VN beeinträchtigt auch dann die Ermittlungen des VR, wenn er vor Besichtigung des Schadens diesen behebt1162 oder die beschädigte Sache entsorgt.1163

g) Belehrung. Die Belehrung nach § 28 Abs. 4 ist nach seinem ausdrücklichen Wortlaut eine 246 Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des VR. Die erfolgte Belehrung hat damit der VR zu beweisen. Dies umfasst ihren Zugang beim VN, aber auch die Vollständigkeit und Richtigkeit der Belehrung.

h) Beweislast im Rückforderungsprozess. Fordert der VR wegen behaupteter Obliegen- 247 heitsverletzung des VN eine bereits erbrachte Versicherungsleistung zurück, so hat er für seinen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB die anspruchsbegründenden Voraussetzungen zu beweisen.1164 Hierher zählt insbesondere das Fehlen des Rechtsgrundes.1165 Dies inkludiert nach dem BGH und der überwiegenden instanzgerichtlichen Rspr. auch den Beweis der Kausalität der Obliegenheitsverletzung und des Verschuldens des VN.1166 Diese Beweislastverteilung 1158 BGH 4.4.2001 – IV ZR 63/00, VersR 2001 756, 757; LG Köln 2.3.2006 – 24 O 126/05, VersR 2006 1254; ähnlich zur Unfallflucht LG Hamburg 4.8.2017 – 306 S 77/16, BeckRS 2017 125782; hierzu Bachmor NZV 2018 41; vgl. OLG Hamm 28.2.2018 – 20 U 188/17, VersR 2018 929, 931; instruktiv auch OLG Saarbücken 1.2.2017 – 5 U 26/16, VersR 2018 415; anders demgegenüber, wenn eine polizeiliche Dokumentation fehlt, OLG Koblenz 11.12.2020 – 12 U 235/ 20, VersR 2021 372, 375; vgl. OLG Frankfurt/M. 2.4.2015 – 14 U 208/14, VersR 2016 47; OLG Naumburg 21.6.2012 – 4 U 85/11, VersR 2013 178, 179; die Benennung von Zeugen kann keinen Kausalitätsgegenbeweis begründen, KG Berlin 27.8.2010 – 6 U 66/10, VersR 2011 875, 876. 1159 OLG Naumburg 6.9.2012 – 4 U 69/11, VersR 2014 578, 580; ähnlich KG Berlin 9.11.2010 – 6 U 103/10, VersR 2011 789. 1160 So OLG Celle 25.3.2019 – 8 U 210/18, RuS 2019 320, 323 (Maier) unter Verweis auf BGH 21.11.2012 – IV ZR 97/ 11, VersR 2013 175, 176; vgl. zur Ausmessung der versicherungsrechtlichen Pflichten nach einem Unfall anhand des § 142 StGB, OLG Dresden 27.11.2018 – 4 U 447/18, RuS 2019 318; OLG Hamm 15.4.2016 – 20 U 240/15, VersR 2016 1365; OLG München 26.2.2016 – 10 U 2166/15, RuS 2016 342; OLG Saarbrücken 10.2.2016 – 5 U 75/14, VersR 2016 1368. 1161 Im Detail KG Berlin 4.2.2011 – 6 U 31/10, VersR 2012 569, 570 f. 1162 OLG Celle 18.12.1991 – 8 U 44/91, VersR 1992 1000; KG Berlin 8.6.2018 – 6 U 157/16, RuS 2019 82, 83; OLG Hamm 20.10.2004 – 20 U 88/04, VersR 2005 644, 645; vgl. auch OLG Frankfurt 16.6.1982 – 19 U 175/81, VersR 1982 1065, 1066 (Weiterbau an Rohbau nach Versicherungsfall); vgl. aber zur Grenze der Zumutbarkeit des Zuwartens mit der Schadensbehebung OLG Hamm 24.10.1990 – 20 U 35/90, VersR 1991 923, 924. 1163 LG Trier 10.1.1991 – 6 O 253/90, RuS 1991 280. 1164 Vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 245. 1165 BGH 14.7.1993 – IV ZR 179/92, BGHZ 123 217, 219 f.; BGH 13.6.2001 – IV ZR 237/00, VersR 2001 1020, 1021; BGH 14.12.1994 – IV ZR 304/93, VersR 1995 281, 282; vgl. OLG Köln 23.1.2007 – 9 U 142/05, RuS 2007 101; OLG Naumburg 16.10.2003 – 4 U 111/03, VersR 2004 226; näher hierzu Knoche MDR 1990 965. 1166 BGH 14.12.1994 – IV ZR 304/93, VersR 1995 281, 282; BGH 10.10.2007 – IV ZR 95/07, VersR 2008 241 (Kausalität); OLG Koblenz 20.5.2005 – 10 U 692/04, VersR 2006 1120, 1121; OLG Naumburg 16.10.2003 – 4 U 111/03, VersR 2004 226; OLG Naumburg 5.2.2004 – 4 U 158/03, VersR 2005 1279, 1280; OLG Hamm 30.6.1995 – 20 U 57/95, RuS 1995 441; OLG Köln 14.9.1989 – 5 U 23/89, VersR 1989 1073; OLG Köln 18.2.1997 – 9 U 103/96, RuS 1997 140, 141; OLG Köln 12.5.1998 – 9 U 171/97, RuS 1998 399, 400; anders dagegen noch OLG Hamm 15.4.1988 – 20 U 252/87, RuS 1988 314, 315; OLG Hamm 29.9.1993 – 20 U 75/93, VersR 1994 802, 805; LG Köln 15.10.1986 – 24 O 132/86, RuS 1987 89 f. 323

Heiss

§ 28 VVG

Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit

gilt auch dann, wenn der VR „unter Vorbehalt“ leistet,1167 um dadurch vor allem die Wirkung des § 814 BGB auszuschließen, jedoch nicht mehr, wenn der VR die Versicherungsentschädigung ausdrücklich unter dem Vorbehalt einer entsprechenden Beweiserbringung durch den VN ausbezahlt.1168 Anderes gilt demgegenüber für eine Rückforderung, die der im Aussenverhältnis dem Geschädigten gegenüber leistungspflichtige Pflichthaftpflichtversicherer auf § 116 Abs. 1 Satz 2 i.V.m § 426 BGB stützen kann.1169 Hier sind die Verschuldens- und Kausalitätsvermutung des § 28 Abs. 2 bzw. 3 anwendbar.1170

E. Verbot der Vereinbarung eines Rücktrittsrechts 248 § 28 Abs. 5 übernimmt unverändert das Verbot des § 6 Abs. 4 a.F., ein Rücktrittsrecht als Sanktion einer Obliegenheitsverletzung zu vereinbaren. Ein Rücktritt des VR hätte nämlich zur Folge, dass der Versicherungsvertrag wegen der schuldrechtlichen ex-tunc-Wirkung rückabzuwickeln wäre. Der VR wäre daher für alle eingetretenen Versicherungsfälle leistungsfrei, unabhängig davon, ob den VN ein Verschulden traf oder ob sich die Verletzung überhaupt ausgewirkt hat. Die Bestimmung ist absolut zwingend.1171

F. Konkurrenzen 249 Ein obliegenheitsverletzendes Verhalten kann gleichzeitig die Leistungsfreiheitstatbestände anderer Normen erfüllen. Dann besteht zwischen den Leistungsfreiheitssanktionen Konkurrenz.1172 Dies gilt namentlich im Verhältnis zu § 81 (Herbeiführung des Versicherungsfalls),1173 zu den gesetzlichen Obliegenheiten, wie etwa §§ 23 ff. (Gefahrerhöhung), § 82 (Schadenminderung) und u.U. auch zu Risikoausschlüssen.1174

G. Halbzwingender Charakter 250 § 28 Abs. 5 ist absolut zwingend.1175 Im Übrigen ist die Vorschrift halbzwingend, von ihr kann vertraglich also nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden.1176 Dass, wie § 32 Satz 2 sagt, für Anzeigen die Schriftform vereinbart werden kann, versteht sich bei § 28 von selbst, weil dieser nur die Rechtsfolgen, nicht aber den Tatbestand von Obliegenheiten regelt. 251 Vertragsklauseln, die gegen den zwingenden Charakter des § 28 verstossen, sind unwirksam. So etwa, wenn abweichend von der Leistungskürzung nach § 28 Abs. 2 Satz 2 für Fälle 1167 LG Berlin 23.2.1989 – 58 S 399/88, VersR 1989 1189. 1168 OLG Düsseldorf 14.3.1995 – 4 U 61/94, NJW-RR 1996 1430; OLG Hamm 9.1.1987 – 20 U 263/86, NJW-RR 1987 985, 986; OLG Oldenburg 14.10.1989 – 2 U 120/89, RuS 1990 288.

1169 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 246 ff. 1170 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch4 § 28 Rn. 248 unter Verweis auf die Rsp: OLG Saarbrücken 30.10.2014 – 4 U 165/13, RuS 2015 340; LG Düsseldorf 13.7.2017 – 9 S 37/16, ZfS 2017 635; LG Duisburg 15.3.2013 – 7 S 104/12, RuS 2013 541; LG Bonn 29.10.2013 – 8 S 118/13, ZfS 2014 215. 1171 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 359. 1172 Näher hierzu Prölss/Martin/Armbrüster31 § 28 Rn. 288. 1173 So zu § 61 a.F. OLG Köln 19.12.2006 – 9 U 215/05, RuS 2007 285, 286; OLG Saarbrücken 20.4.1988 – 5 U 97/ 87, VersR 1989 397; KG 26.3.1996 – 6 U 4965/94, RuS 1996 276, 277; LG Köln 11.5.1988 – 24 O 462/87, VersR 1988 1258; das früher weiter eingrenzende Kriterium, wonach zur Obliegenheitsverletzung weitere Umstände hinzutreten müssen, kann nach neuem Recht fallen gelassen werden; vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 72. 1174 A.A. LG Karlsruhe 19.3.1986 – 3 O 6/85, NJW-RR 1986 1037. 1175 Langheid/Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 359. 1176 Siehe § 32 S. 1; ausführlich zum halbzwingenden Charakter Waller 9 f. Heiss

324

G. Halbzwingender Charakter

VVG § 28

grober Fahrlässigkeit die volle Leistungsfreiheit vereinbart wird.1177 Dasselbe gilt, wenn die Sanktionsregelung keine Belehrungspflicht i.S.v. § 28 Abs. 4 kennt,1178 wenn die Beweislast zuungunsten des VN umgekehrt wird oder das Kausalitätserfordernis nicht auf vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen erstreckt wird.1179 Die durch die Unwirksamkeit entstehende Lücke soll nach umstrittener1180 Ansicht des BGH, anders als bei Fällen, die Art. 1 Abs. 3 EGVVG unterliegen,1181 durch Rückgriff auf die gesetzliche Regelungen geschlossen werden.1182 Der halbzwingende Charakter des § 28 wird nach § 210 für die Versicherung von Großrisi- 252 ken und die laufende Versicherung zurückgenommen.1183 Hier kommt aber eine Inhaltskontrolle von abweichenden AVB-Klauseln nach Maßgabe des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Frage, sodass der dispositive § 28 als gesetzliches Leitbild dient. Dabei geht die Rspr. davon aus, dass das Verschuldenserfordernis zum Kerngehalt des § 28 zählt, also nicht insgesamt abbedungen werden kann.1184 Auch eine kausalitätsunabhängige Leistungsfreiheit schon bei leichter Fahrlässigkeit oder sogar ohne Verschulden des VN fällt der Inhaltskontrolle zum Opfer.1185 Von vornherein unanwendbar ist das VVG und damit der halbzwingende § 28 auf die Rück- 253 und auf die Seeversicherung.1186 Trotzdem zieht die Rspr. in der Seeversicherung bei einer Inhaltskontrolle vertraglicher Obliegenheiten § 28 als Maßstab heran.1187

1177 1178 1179 1180 1181 1182

BGH 14.3.2012 – XII ZR 44/10, VersR 2012 1573. LG Berlin 2.12.2016 – 42 O 199/16, RuS 2017 344 (Schreiner). BGH 2.4.2014 – IV ZR 124/13, VersR 2014 699; Marlow RuS 2015 591, 593. Kritisch insb. Wandt FS E. Lorenz (2014) 535, 550 ff. Zu diesen oben Rn. 16 ff. BGH 14.3.2012 – XII ZR 44/10, VersR 2012 1573; BGH 24.10.2012 – XII ZR 40/11, VersR 2013 197; vgl. OLG Naumburg 28.3.2014 – 10 U 5/13 [Hs], VersR 2015 102, 106. 1183 OLG Hamburg 8.3.2018 – 6 U 39/17, NJOZ 2019 171, 175. 1184 Zu § 187 a.F. BGH 2.12.1992 – IV ZR 135/91, VersR 1993 223, 224; vgl. auch KG 10.11.2000 – 6 U 4575/99, VersR 2003 500, 501 f.; OLG Hamburg 7.2.1996 - 5 U 133/95, VersR 1996 1102, 1103. 1185 Vgl. BGH 9.5.1984 – IVa ZR 176/82, VersR 1984 830, 831 f.; OLG Hamburg 7.2.1996 – 5 U 133/95, VersR 1996 1102, 1103; OLG Koblenz 28.3.1991 – 2 U 77/89, VersR 1992 571, 572 (hier: Leistungsfreiheit ohne Verschuldenserfordernis vereinbart); OLG Köln 21.9.1989 – 5 U 1/89, RuS 1989 374, 375 f. (hier: Leistungsfreiheit ohne Verschuldenserfordernis vereinbart). 1186 § 209. 1187 Beckmann/Matusche-Beckmann/Heiss-Trümper3 § 38 Rn. 40. 325

Heiss

§ 29 Teilrücktritt, Teilkündigung, teilweise Leistungsfreiheit (1) Liegen die Voraussetzungen, unter denen der Versicherer nach den Vorschriften dieses Abschnittes zum Rücktritt oder zur Kündigung berechtigt ist, nur bezüglich eines Teils der Gegenstände oder Personen vor, auf die sich die Versicherung bezieht, steht dem Versicherer das Recht zum Rücktritt oder zur Kündigung für den übrigen Teil nur zu, wenn anzunehmen ist, dass für diesen allein der Versicherer den Vertrag unter den gleichen Bedingungen nicht geschlossen hätte. (2) 1Macht der Versicherer von dem Recht zum Rücktritt oder zur Kündigung bezüglich eines Teils der Gegenstände oder Personen Gebrauch, ist der Versicherungsnehmer berechtigt, das Versicherungsverhältnis bezüglich des übrigen Teils zu kündigen. 2 Die Kündigung muss spätestens zum Schluss der Versicherungsperiode erklärt werden, in welcher der Rücktritt oder die Kündigung des Versicherers wirksam wird. (3) Liegen die Voraussetzungen, unter denen der Versicherer wegen einer Verletzung der Vorschriften über die Gefahrerhöhung ganz oder teilweise leistungsfrei ist, nur bezüglich eines Teils der Gegenstände oder Personen vor, auf die sich die Versicherung bezieht, ist auf die Leistungsfreiheit Absatz 1 entsprechend anzuwenden.

Schrifttum Langheid/Müller-Frank Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht 1992/1993, NJW 1993 2652; Wittchen Vertragsform und Kündigungsrecht in der Warenkreditversicherung – zugleich Anmerkung zum Urteil des BGH vom 3.6.1992 (IV ZR 127/91) VersR 92, 1089, VersR 1993 530.

Übersicht A.

Einführung

1

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt der Regelung

3

5.

12 Einheitlicher Versicherungsvertrag 16 Teilbarkeit des Versicherungsvertrags Pflichtenverstoß nur hinsichtlich eines Teils des 20 Vertrags 22 Hypothetischer Parteiwille

III.

Anwendungsbereich

8

II.

Rechtsfolgen

IV.

Übergangsrecht

III.

Kündigungsrecht des VN

B.

Teilkündigung, Teilrücktritt

10

C.

Teilweise Leistungsfreiheit

I. 1.

10 Anwendungsvoraussetzungen Kündigung oder Rücktritt nach „Ab10 schnitt 2“

D.

Abänderlichkeit des § 29

2. 3. 4.

1

9

27 29 32 35

Alphabetische Übersicht Abänderlichkeit 7, 35 Alles-oder-nichts-Prinzip 33 Änderungspolicen 15 Anfechtung 11, 14 Anwendungsbereich 1, 8, 33 Arglist 11, 14, 33 Außerordentliche Kündigung 13, 28

Heiss https://doi.org/10.1515/9783110522624-012

AVB 9, 13, 15, 26 Beweislast 22 Bündelversicherung 15 Einheitlicher Vertrag 12 ff. Ergänzende Auslegung 23 f. Frist zur Kündigung 30 f. Gefahrerhöhung 1, 4, 9 f., 13, 20, 32 f.

326

A. Einführung

Gesamthand 18 Hypothetischer Parteiwille 22 ff. Kausalität 33 Krankenversicherung 8, 18, 21 Kündigungsrecht des VN 5, 23, 29 ff. Kündigungsrecht des VR 4, 10 Laufende Versicherung 8 Leistungsfreiheit 2, 6, 9, 32 ff. Mantelvertrag 15 Mehrere Verträge 12, 15 Police 15 f., 18, 33 Rücktrittsrecht 1, 4, 10, 13, 15, 27 Rückversicherung 8 Seeversicherung 8 Tatsächlicher Parteiwille 26

VVG § 29

Teilbarkeit des Vertrags 16 ff. Teilbarkeit nach Gefahren 19, 21 Teilbarkeit nach Gegenständen 17, 19 Teilbarkeit nach Personen 18 Teilkündigung 5, 8, 10 ff., 22 f., 27 ff. Teilnichtigkeit 13 Teilrücktritt 10 ff., 27 ff. Teilweise Leistungsfreiheit 32 ff. Treu und Glauben 24, 31 Übergangsrecht 9 Umdeutung der Kündigung 27 Verkehrssitte 24 Vertragliche Obliegenheit 1, 13, 24, 34 Vorvertragliche Anzeigepflicht 1, 9, 20

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 29 übernimmt inhaltlich die Vorschrift des § 30 a.F. Schon die VVG-Reformkommission hatte 1 die Beibehaltung dieser Vorschrift auch im neuen VVG vorgeschlagen. Lediglich hinsichtlich der Sprachfassung der Vorschrift unterbreitete die Kommission diverse Änderungsvorschläge.1 Der Gesetzgeber ist diesen Vorschlägen durch Erlass des § 29 gefolgt. Allerdings liegt in einer der vermeintlich nur „sprachlichen“ Anpassungen zugleich eine von der Gesetzesbegründung unerwähnt gelassene Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vorschrift. Der Verweis in § 29 Abs. 1 auf ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht, das dem VR „nach den Vorschriften dieses Abschnitts“ zusteht, umfasst nämlich alle Tatbestände des Abschnittes 2 im Kapitel 1, Teil 1 des VVG 2008, also die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 19 bis 22), die Gefahrerhöhung (§§ 23 bis 27), die vertraglichen Obliegenheiten (§ 28), die Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalls (§ 30)2 und die Auskunftspflicht (§ 31).3 Der analoge Verweis in § 30 a.F. umfasste demgegenüber nur die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 16 bis 22 a.F.) und die Gefahrerhöhung (§§ 23 bis 29 a.F.), jedoch nicht die vertraglichen Obliegenheiten (§ 6 a.F.). Der BGH hat zwar in einem Fall § 30 a.F. auch auf vertragliche Obliegenheiten angewandt, doch war das keine irgendwie gefestigte oder gar ständige Rspr.4 Die sprachlichen Anpassungen sind von unterschiedlicher Art. Zum einen geht es um Mo- 2 dernisierungen. So etwa, wenn § 29 durchgängig den Begriff „bezüglich“ statt der von § 30 a.F. benutzten Wortfolge „in Ansehung“ verwendet. Teils wollte der Gesetzgeber den Regelungsinhalt deutlicher formulieren. Dies trifft etwa auf die Neuformulierung in § 29 Abs. 1 und Abs. 3 zu, nach der hervorgehoben wird, dass die Rücktritts- bzw. Kündigungsgründe (Abs. 1) bzw. die Leistungsfreiheitsgründe (Absatz 3) nur bezüglich eines Teils der versicherten Gegenstände oder Personen vorliegt. Die klarstellende Neuformulierung tritt aber vor allem in Absatz 2 Satz 2 zutage. Die negative Formulierung in § 30 Abs. 2 Halbs. 2, wonach die Kündigung „nicht für einen späteren Zeitpunkt als …“ geschehen dürfe, wurde durch eine positive und damit leichter 1 Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 318. 2 Faktisch spielt diese bei § 29 allerdings keine Rolle, weil in § 30 kein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht des VR vorgesehen ist; allenfalls könnte eine analoge Anwendung des § 29 Abs. 3 erwogen werden.

3 Faktisch spielt diese bei § 29 allerdings keine Rolle, weil in § 31 kein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht bzw. keine Leistungsfreiheit des VR vorgesehen ist.

4 BGH 3.6.1992 – IV ZR 127/91, NJW 1992 2631, 2633; zustimmend Wittchen VersR 1993 530; einschränkend demgegenüber Langheid/Müller-Frank NJW 1993 2652, 2654. 327

Heiss

§ 29 VVG

Teilrücktritt, Teilkündigung, teilweise Leistungsfreiheit

verständliche Formulierung ersetzt. Nach dieser „muss“ die Kündigung „spätestens zum Schluss der Versicherungsperiode …“ erklärt werden. Zuletzt geht es bei den veränderten Formulierungen auch um Anpassungen an die neue Terminologie und die neue Strukturierung des VVG 2008. Absatz 3 spricht nicht mehr pauschal von der Leistungsfreiheit des VR, sondern vom Fall, in dem der VR „ganz oder teilweise leistungsfrei“ ist. Es wird hier also auf die neu ins Gesetz aufgenommene Quotelung nach § 28 Abs. 2 Satz 2 Bezug genommen. Ähnlich verweist § 29 Abs. 1 nicht mehr auf „die Vorschriften dieses Titels“, sondern – der Neustrukturierung des VVG 2008 entsprechend – auf die „Vorschriften dieses Abschnittes“.

II. Inhalt der Regelung 3 Inhaltlich übernimmt § 29 die Regelung des § 30 a.F. Insofern bleiben Rspr. und Lehre zum alten Recht weiter relevant. 4 Absatz 1 grenzt eine Vertragslösung (Rücktritt oder Kündigung) durch den VR auf denjenigen Teil der versicherten Gegenstände oder Personen ein, die von einer Anzeigepflichtverletzung, einer Gefahrerhöhung oder der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit betroffen sind (Grundsatz der Vertragserhaltung).5 Die §§ 29 Abs. 1 und 2 setzen damit zunächst voraus, dass dem VR ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht nach den Vorschriften des Abschnitts 2 im Kapitel 1, Teil 1 zusteht. Weiter setzen diese Vorschriften voraus, dass der Rücktritts- bzw. Kündigungsgrund nur hinsichtlich eines Teils der versicherten Gegenstände oder Personen greift. Dritte und entscheidende Voraussetzung ist, dass der VR den Versicherungsvertrag zu denselben Bedingungen auch nur eingeschränkt auf jene Gegenstände oder Personen geschlossen hätte, die vom Rücktritts- bzw. Kündigungsgrund nicht erfasst werden. Entscheidendes Kriterium ist damit der hypothetische Parteiwille des VR (§ 29 Abs. 1). 5 Zumal Abs. 1 lediglich auf den hypothetischen Parteiwillen des VR abstellt, gewährt Absatz 2 dem VN zum Ausgleich ein Kündigungsrecht. Dieses Kündigungsrecht bezieht sich auf den Restvertrag, der nach Teilrücktritt bzw. Teilkündigung durch den VR nach Absatz 1 vom Gesamtvertrag übrig bleibt. Das Kündigungsrecht steht dem VN bis zum Schluss jener Versicherungsperiode zu, in dem die Vertragslösung seitens des VR wirksam geworden ist. 6 Absatz 3 betrifft seinem Wortlaut nach die Leistungsfreiheit des Versicherers in Fällen der Gefahrerhöhung (§§ 23 bis 27). Inhaltlich beschränkt Absatz 3 die Leistungsfreiheit des Versicherers auf jene versicherten Gegenstände oder Personen, für die die Pflichtverletzung des VN relevant war. Maßgebliches Kriterium ist hierbei wegen des Verweises auf Absatz 1 wiederum der hypothetische Parteiwille des VR, den Vertrag zu denselben Bedingungen auch isoliert für die von der Pflichtverletzung nicht betroffenen Gegenstände oder Personen zu schließen. 7 Die Vorschrift des § 29 ist abdingbar.6

III. Anwendungsbereich 8 § 29 ist Teil des Abschnittes 2 in Kapitel 1, Teil 1 des VVG 2008. Die Vorschrift findet daher grundsätzlich auf alle Versicherungsverträge Anwendung. Vom Anwendungsbereich des VVG insgesamt und damit auch von § 29 ausgenommen sind freilich gemäß § 209 die Rück- und die Seeversicherung. Wichtiger ist die spezielle Ausnahmevorschrift des § 194 Abs. 1, wonach § 29 auf die Krankenversicherung keine Anwendung findet.7 Die Rspr. hat diese Vorschrift, die ja bereits in § 187a Abs. 2 Satz 2 a.F. enthalten war, allerdings in der Vergangenheit gerne materiell missachtet, indem sie zwar § 30 a.F. nicht anwandte, jedoch den Rechtsgedanken auf die Kran5 So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 29 Rn. 1. 6 Siehe § 32. 7 Die Regelung ist rechtspolitisch verfehlt: Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 10. Heiss

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B. Teilkündigung, Teilrücktritt

VVG § 29

kenversicherung übertrug und damit zur Teilkündigung bzw. zum Teilrücktritt gelangte.8 Daran hat sich auch nach der VVG-Reform nichts geändert.9 Für die laufende Versicherung enthalten die §§ 53 bis 58 Sondervorschriften, von denen insbesondere die §§ 56 bis 58 im Kontext von Interesse sind. Diese verdrängen § 29 m.E. allerdings nicht.10

IV. Übergangsrecht § 29 ist mit dem VVG zum 1.1.2008 in Kraft getreten.11 Er galt aber vorerst nur für Neuverträge, 9 seit 1.1.2009 gilt er auch für Altverträge.12 Bei Altverträgen kommt das alte Recht jedoch auch nach diesem Datum weiter auf Versicherungsfälle zur Anwendung, die bis zum 31.12.2008 eingetreten sind.13 Dies kann insbesondere für die nur teilweise Leistungsfreiheit nach § 30 a.F. von Bedeutung sein. Wegen der grundsätzlichen Anwendbarkeit des neuen Rechts auch auf Altverträge ab 1.1.2009 räumt Art. 1 Abs. 3 EGVVG14 den VR die Möglichkeit ein, ihre AVB entsprechend anzupassen. In weiten Teilen (vorvertragliche Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung) entspricht § 29 inhaltlich allerdings § 30 a.F., sodass wohl kein Anpassungsgrund vorliegt. Anderes gilt allerdings hinsichtlich § 28, der nunmehr auch in den Anwendungsbereich des § 29 fällt.15

B. Teilkündigung, Teilrücktritt I. Anwendungsvoraussetzungen 1. Kündigung oder Rücktritt nach „Abschnitt 2“ Die Anwendung des § 29 Abs. 1, 2 setzt voraus, dass der VR ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht 10 ausübt, welches ihm im Abschnitt 2 des Teils 1, Kapitel 1 VVG 2008 eingeräumt wird. Es handelt sich somit um das Rücktrittsrecht wegen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 2 sowie um die Kündigungsrechte bei leicht fahrlässiger oder schuldloser Verletzung der Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 3 Satz 2, wegen Gefahrerhöhung nach § 24 sowie wegen Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit, die vor dem Versicherungsfall dem VR gegenüber zu erfüllen ist, nach § 28 Abs. 1. § 29 gilt demnach nicht bei einer Anfechtung des Vertrages gemäß § 22 i.V.m. § 123 BGB.16 11 Die Rspr. wendet allerdings jedenfalls tlw. bei der Arglistanfechtung des Versicherungsvertrags

8 Vgl. OLG Karlsruhe 7.11.2006 – 12 U 250/05, VersR 2007 530; LG Dortmund 19.10.2006 – 2 O 559/03, NJOZ 2007 385, 388; a.A. OLG Stuttgart 25.4.2006 – 10 U 238/05, VersR 2006 1485. 9 Abl. allerdings Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 29 Rn. 2. 10 Ebenso Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 10; vgl. die Urteilsanmerkung von Grauschopf zu OLG Hamburg 18.6.2020 – 9 U 140/18, RuS 2021 42, 43. 11 Art. 12 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007, BGBl. 2007 I 2631. 12 Art. 1 Abs. 1 EGVVG i.d.F. BGBl. 2007 I 2631. 13 Art. 1 Abs. 1 EGVVG i.d.F. BGBl. 2007 I 2631. 14 I.d.F. BGBl. 2007 I 2631. 15 Zur Anpassung der AVB aufgrund von Art. 1 Abs. 3 EGVVG und insbesondere zu den Konsequenzen einer unterlassenen Anpassung siehe § 28 Rn. 16 ff. 16 OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11-17, VersR 2012 429, 430; OLG Düsseldorf 23.8.2005 – I-4 U 140/04, VersR 2006 785; OLG Saarbürcken 19.5.1993 – IV ZR 155/93, VersR 1996 488; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 29 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 29 Rn. 2; dies gilt vorbehalltich einer abweichenden Regelung in den AVB: Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 8. 329

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§ 29 VVG

Teilrücktritt, Teilkündigung, teilweise Leistungsfreiheit

§ 139 BGB an, soweit der Anfechtungsgrund nur einen Teil des Verischerungsvetrags erfasst.17 Sie gelangt damit zu mit § 29 vergleichbaren Ergebnissen.18

2. Einheitlicher Versicherungsvertrag 12 § 29 spricht von Gegenständen oder Personen, auf die sich „die Versicherung“ bezieht. Hieraus und aus dem Gesamtzusammenhang wird deutlich, dass die Vorschrift nur auf den jeweils betroffenen Vertrag abstellt. Die Vorschrift bezieht sich also von vornherein nur auf denjenigen Versicherungsvertrag, für den dem VR ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht zukommt.19 Unanwendbar ist § 29 in Fällen, in denen ein VN mehrere Versicherungsverträge geschlossen hat. Dies gilt selbst dann, wenn diese mehreren Versicherungsverträge zur selben Zeit und mit demselben VR geschlossen wurden.20 Liegen mehrere Versicherungsverträge vor, so sind diese jeweils getrennt voneinander zu 13 behandeln. § 29 findet also nur hinsichtlich jenes Versicherungsvertrags Anwendung, für den dem VR ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht zukommt. Der vom Kündigungs- bzw. Rücktrittsrecht nicht betroffene Versicherungsvertrag bleibt demgegenüber unangetastet. Insbesondere sind die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen über die Teilnichtigkeit (§ 139 BGB), welche nach der Rspr. auch bei mehreren, einheitlich geschlossenen Verträgen zur Anwendung kommen, auf die Fälle der Kündigung bzw. des Rücktritts im Sinne von § 29 Abs. 1 nicht übertragbar. Denkbar wäre allenfalls, dass entsprechende AVB-Klauseln die Wirkungen eines Rücktritts bzw. einer Kündigung eines Versicherungsvertrages auf einen damit in Einheit geschlossenen weiteren Versicherungsvertrag erstrecken. Solche Klauseln verstoßen indessen, von einer Inhaltskontrolle hier einmal ganz abgesehen, gegen halbzwingendes Recht. Die Kündigung- und Rücktrittsrechte bei Anzeigepflichtverletzung (§ 19 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2), Gefahrerhöhung (§ 24) und Verletzung vertraglicher Obliegenheiten (§ 28 Abs. 1) werden von den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen stets nur für den betroffenen Versicherungsvertrag eingeräumt. Eine Erstreckung des Kündigungs- bzw. Rücktrittsrechts auf einen anderen Versicherungsvertrag würde diese Sanktionen erweitern und wäre daher wegen Verstoßes gegen halbzwingendes Recht (§ 32 Satz 1) unwirksam.21 Der zweite Vertrag kann auch nicht nach § 314 BGB außerordentlich gekündigt werden, weil die außerordentliche Kündigung wegen Anzeigepflichtverletzung, Gefahrerhöhung und Verletzung vertraglicher Obliegenheiten im VVG abschließend geregelt ist. Darüber hinaus würde die Verletzung einer nur einen Vertrag betreffenden Obliegenheit auch nach § 314 BGB kein Vertragslösungsrecht für einen anderen Vertrag begründen.22 Anderes gilt demgegenüber im Falle der Arglistanfechtung gemäß § 22 i.V.m. § 123 BGB. 14 Wird ein Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB angefochten, so 17 OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11-17, VersR 2012 429; vgl. OLG Celle 22.3.1985 – 8 U 150/84, VersR 1986 569; auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 8; deutlich Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 29 Rn. 10; vgl. auch Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 29 Rn. 3; tendenziell gegenläufig aber BGH 28.10.2009 – IV ZR 140/08, VersR 2010 97, 98: „Der Erklärende wird auch nicht an einer hypothetischen Erklärung festgehalten, die er bei Kenntnis der wahren Sachlage abgegeben hätte“. 18 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 29 Rn. 10. 19 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 29 Rn. 3. 20 Deutlich BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, BGHZ 42 295, 297 (VN schloss Gebäudeversicherung und Hausratversicherung gleichzeitig bei demselben VR ab); OLG Nürnberg 13.10.1965 – 4 U 14/64, VersR 1966 532, 533 (VN schloss Krankheitskostenversicherung und Krankenhaustagegeldversicherung gleichzeitig bei demselben VR ab); unklar insofern BGH 13.10.1982 – IVa ZR 67/81, VersR 1983 25 (VN schloss eine Lebensversicherung und später eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung beim selben VR ab); vgl. Prölss/Martin/Prölss27 § 30 Rn. 1. 21 Ähnlich – für Klauseln zur Erstreckung der Leistungsfreiheit – aber auf § 307 BGB abstellend Prölss/Martin/ Prölss27 § 3 Rn. 12 a.E. 22 Die Ausführungen von Prölss/Martin/Prölss27 § 3 Rn. 12 und § 8 Rn. 26 beziehen sich nicht auf bloße Obliegenheitsverletzungen. Heiss

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B. Teilkündigung, Teilrücktritt

VVG § 29

führt dies zu seiner Nichtigkeit nach § 142 Abs. 1 BGB. Damit ist der Anwendungsbereich des § 139 BGB eröffnet. Hiernach kann ein zweiter Vertrag nichtig sein, wenn dieser nach dem Parteiwillen („Einheitlichkeitswille“) mit dem nichtigen Vertrag „stehen und fallen soll“.23 Freilich ist hierbei hervorzuheben, dass es bei dieser Beurteilung nicht nur auf den Einheitlichkeitswillen des VR ankommt. Vielmehr kann sich auch der VN auf einen mangelnden Einheitlichkeitswillen seinerseits berufen. Entscheidend ist stets, dass ein solcher Einheitlichkeitswille vorlag, dieser der anderen Vertragspartei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erkennbar war und von ihr gebilligt wurde.24 Für die Anwendung des § 29 ist damit entscheidend, ob ein einheitlicher (einziger) Versiche- 15 rungsvertrag oder aber mehrere Geschäfte vorliegen.25 Diese Frage ist durch Ermittlung des Parteiwillens und daher unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.26 Eine erste Indizwirkung kommt dabei dem Umstand zu, ob die versicherten Risiken in einer einheitlichen Versicherungspolice versichert sind, oder ob der VR mehrere Einzelpolicen ausgestellt hat.27 Damit zusammenhängend ist erheblich, ob der VN zum Abschluss einen oder mehrere Anträge28 gestellt hat und ob die Prämie für verschiedene Risiken eigens oder aber als Gesamtprämie bemessen und ausgewiesen ist.29 Auch ist erheblich, ob auf alle versicherten Risiken einheitliche AVB oder aber je separate AVB zur Anwendung gelangen.30 So wurde (in anderem Zusammenhang) eine Luftfahrzeug-Kaskoversicherung, die mit einheitlicher Police mehrere Flugzeuge deckte, als ein einheitlicher Versicherungsvertrag angesehen.31 Auch für den Fall einer „Paketversicherung“ wurde eben wegen der einheitlichen Versicherungspolice von einem einzigen Versicherungsvertrag ausgegangen. Diesen Standpunkt hat das AG Melsungen auslegungstechnisch durch ein Abstellen auf den Empfängerhorizont (also das Verständnis des VN) erzielt.32 Auch bei einem Mantelvertrag (Warenkreditversicherung) scheint der BGH von einem einheitlichen Versicherungsvertrag auszugehen, so dass es eine Frage des § 29 Abs. 1 ist, ob ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht, das nur eines der versicherten Risiken betrifft, den VR nur zu einer Teilkündigung bzw. einem Teilrücktritt legitimiert.33 Ein einheitlicher Versicherungsvertrag liegt auch vor, wenn zu einer einheitlichen Versicherungspolice später gleichzeitig zwei Änderungspolicen aufgrund zweier Änderungsanträge ausgestellt werden.34 Von einem einheitlichen Vertrag geht der BGH offensichtlich auch im Falle einer Lebensversicherung aus,

Hierzu MüKoBGB/Busche8 § 139 Rn. 15. Auch hierzu MüKoBGB/Busche8 § 139 Rn. 29, wo auf den hypothetischen Willen der Parteien abgestellt wird. Vgl. MüKo BGB/Busche8 § 139 Rn. 8 ff. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 2; Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski3 § 29 Rn. 3. 27 Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 10; dass es sich trotz allem nur um ein formales Indiz handelt, belegt der Fall LG Dortmund 19.10.2006 – 2 O 559/03, NJOZ 2007 385, 388 (einheitlich policierte Krankenkosten-, Krankenhaustagegeld- und Krankentagegeldversicherung als je unabhängige Verträge); zur Vermutung von Einzelverträgen bei Einzelpolicierung Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 29 Rn. 3; vgl. dagegen Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 29 Rn. 3: „Unerheblich ist insbesondere die Zahl der asugestelten Policen“. 28 OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11-17, VersR 2012 429, 430; ein schlüssiges Indiz ist das allein aber nicht BGH 23.2.1973 – IV ZR 129/71, VersR 1973 409, 410. 29 Z.B. Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 9; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 2; OLG Nürnberg 13.10.1965 – 4 U 14/64, VersR 1966 532; vgl. im Kontext auch BGH 21.9.1964 – II ZR 40/62, BGHZ 42 295, 297; OLG Celle 5.5.1966 – 7 U 24/65, VersR 1966 964, 965. 30 Vgl. LG Dortmund 19.10.2006 – 2 O 559/03, NJOZ 2007 385, 388. 31 BGH 2.2.1977 – IV ZR 165/75, VersR 1977 346, 348. 32 AG Melsungen 4.6.1987 – 4 C 15/87, VersR 1988 1014. 33 BGH 3.6.1992 – IV ZR 127/91, NJW 1992 2631, 2633; vgl. aber Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 11, der aus der halbzwingenden Natur der §§ 19 bis 28 Abs. 4 ableitet, § 29 dürfe nicht auf eine Mehrzahl von Versicherungsverträgen angewandt werden, die durch einen Rahmenvertrag verbunden sind. 34 OLG Hamm 31.1.1979 – 20 U 237/78, VersR 1980 137.

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§ 29 VVG

Teilrücktritt, Teilkündigung, teilweise Leistungsfreiheit

die mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung kombiniert wird.35 Umgekehrt ist trotz Vorliegens nur einer Police von mehreren Versicherungen auszugehen, wenn im Versicherungsschein mehrere Verträge dokumentiert werden, was bei Bündelversicherungen der Fall sein kann.36

3. Teilbarkeit des Versicherungsvertrags 16 Teilrücktritt und Teilkündigung setzen logisch eine Teilbarkeit des Versicherungsvertrags voraus. § 29 Abs. 1 spricht von einem Teil „der Gegenstände oder Personen“, auf die sich die Versicherung bezieht. Erfasst der Versicherungsschutz also mehrere versicherte Gegenstände oder sind unter einer Police mehrere Personen versichert, so ist Teilbarkeit des Versicherungsvertrages grundsätzlich gegeben. Keine Rolle spielt dabei die Art und Weise der Prämienvereinbarung. Auch wenn diese als Gesamtprämie in der Police ausgewiesen wird, besteht objektive Teilbarkeit. 17 Die Rspr. versteht den Begriff „Gegenstand“ keineswegs eng. M.E. zu Recht wendet sie die Grundsätze des § 29 Abs. 1 auch auf die Warenkreditversicherung an.37 Der Begriff des Gegenstands umfasst auch Forderungen.38 Teilbarkeit nach Gegenständen ist bspw. gegeben, wenn etwa eine Gebäudeversicherung mehrere Gebäude deckt. Dasselbe gilt, wenn eine betriebsbezogene Versicherung mehrere Niederlassungen eines Unternehmens umfasst. Es soll nicht mehr gelten, wenn Sachgesamtheiten versichert werden, weil hier nicht jeder Gegenstand einzeln, sondern nur als Teil eines Ganzen geschützt werden soll.39 Das schliesst m.E. aber eine Differenzierung nicht aus, wenn sich z.B. eine Anzeigepflicht nur auf bestimmte Gegenstände einer Sachgesamtheit bezieht. 18 Auf mehrere Personen bezieht sich eine Versicherung, wenn sie nicht nur Interessen des VN, sondern auch weiterer Mitversicherter deckt. Auch kann es sein, dass etwa in der Lebensversicherung mehr als nur eine versicherte Person in der Police bezeichnet ist. Hat eine Ehefrau eine Lebensversicherung mit Unfallzusatzversicherung auf sich und ihren Ehemann für „zwei verbundene Leben“ genommen und auf ihren Ehemann außerdem eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, so ist der Vertrag hinsichtlich der beiden Ehegatten teilbar. Teilbarkeit liegt auch in der Krankenversicherung vor, wenn die Police nicht nur den VN, sondern auch seine Familienangehörigen deckt40 (wobei freilich § 29 auf die Krankenversicherung nach § 194 Abs. 1 nicht unmittelbar anwendbar ist). Dasselbe gilt, wenn mehrere VN den Vertrag gemeinsam schließen.41 Hiervon ist nur der Fall auszunehmen, dass diese als Gesamthandgemeinschaft handeln.42 19 § 29 Abs. 1 spricht nur von einer Teilbarkeit nach versicherten Gegenständen bzw. Personen. Die Rspr. hatte sich jedoch auch mit Fällen zu beschäftigen, in denen Teilbarkeit des Versiche35 Vgl. BGH 20.9.1989 – IV a ZR 107/88, VersR 1989 1249, 1250; BGH 8.3.1989 – IV a ZR 17/88, VersR 1989 689, 690; BGH 13.10.1982 – IVa ZR 67/81, VersR 1983 25; in allen Fällen wendet der BGH § 30 a.F. an; vgl. Römer/Langheid2 § 30 Rn. 3. 36 So hat das LG Dortmund 19.10.2006 – 2 O 559/03, NJOZ 2007 385, 388 auch bei der „Bündelung“ einer Krankenkostenversicherung, einer Krankenhaustagegeldversicherung sowie einer Krankenzusatzversicherung für den Ehepartner mehrere selbständige Versicherungsverträge angenommen; anders demgegenüber OLG Stuttgart 25.4.2006 – 10 U 238/05, VersR 2006 1485; anders im Grundsatz wohl auch OLG Karlsruhe 7.11.2006 – 12 U 250/05, VersR 2007 530, das jedoch aus anderen Gründen nur zu einer Teilkündigung kommt. 37 BGH 3.6.1992 – IV ZR 127/91, NJW 1992 2631, 2633; vgl. hierzu Wittchen VersR 1993 530. 38 Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 12 m.w.N. (wobei Teile der Lehre eine analoge Anwendung des § 29 befürworten); ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 29 Rn. 5. 39 Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 13. 40 OLG Hamm 31.1.1979 – 20 U 237/78, VersR 1980 137. 41 Vgl. näher Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 16. 42 Ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 15. Heiss

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B. Teilkündigung, Teilrücktritt

VVG § 29

rungsvertrages nach versicherten Gefahren gegeben war.43 Mustergültig sind hier die Fälle zu nennen, in denen ein VN eine Lebensversicherung in Einheit mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geschlossen hatte. Der BGH hat in diesen Fällen § 30 a.F. angewandt und eine Teilbarkeit nach den betroffenen Gefahren angenommen.44

4. Pflichtenverstoß nur hinsichtlich eines Teils des Vertrags § 29 Abs. 1 setzt außerdem voraus, dass der Pflichtenverstoß, der den VR zur Kündigung bzw. 20 zum Rücktritt berechtigt, nur einen abgrenzbaren Teil des Vertrags betraf.45 Werden beispielsweise in einem Versicherungsvertrag mehrere Gegenstände versichert, so liegt eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung nur hinsichtlich jener Gegenstände vor, auf die sich die Anzeige bezog. Gleiches hat m.E. zu gelten, wenn zwar eine Anzeige alle versicherten Gegenstände betrifft, jedoch nur für einzelne Gegenstände unrichtig ist. Fragt z.B. der VR, ob die versicherten Gebäude alle im Eigentum des VN stehen und bejaht der VN diese Frage, obwohl einzelne Gebäude nicht in seinem Eigentum stehen, so verletzt er m.E. die Anzeigepflicht eben nur hinsichtlich der nicht in seinem Eigentum stehenden Gebäude.46 Anderes gilt jedoch, wenn die Falschanzeige auch für die Entscheidung des VR, die anderen Gegenstände in Deckung zu nehmen, von Relevanz ist. Das gilt etwa für die Frage des VR nach Vorschäden.47 Gleich liegt es, wenn eine Gefahrerhöhung unmittelbar nur bei einem Gebäude vorliegt, diese jedoch auch eine erhöhte Gefahr für die umliegenden Gebäude darstellt.48 Bei mehreren versicherten Personen erstreckt sich eine Anzeigepflichtverletzung von 21 vornherein nur auf die betreffende Person.49 Das gilt in der Lebensversicherung, wegen des Rückgriffs der Rspr. auf die Grundsätze des § 29 Abs. 1 aber auch in der Krankenversicherung. Soweit die Rspr. darüber hinaus auch Teilbarkeit nach bestimmten Gefahren (Lebensversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung) annimmt, bezieht sich die Pflichtverletzung des VN nur auf den abgegrenzten Teil, wenn sie nur eine der versicherten Gefahren betrifft. Dies gilt mustergültig bei Anzeigepflichtverletzungen, die im Rahmen des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu einer bereits zuvor ohne Anzeigepflichtverletzung geschlossenen Lebensversicherung begangen werden.

5. Hypothetischer Parteiwille Zuletzt setzt § 29 Abs. 1 voraus, dass der VR den Versicherungsvertrag zu denselben Bedingun- 22 gen auch nur hinsichtlich des von der Pflichtverletzung nicht betroffenen Teils geschlossen hätte. Dieses Tatbestandsmerkmal ist negativ formuliert, woraus folgt, dass im Grundsatz von der Teilkündigung bzw. vom Teilrücktritt auszugehen ist, und nur ausnahmsweise, wenn es an 43 Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 18. 44 BGH 13.10.1982 – IVa ZR 67/81, VersR 1983 25; BGH 20.9.1989 – IV a ZR 107/88, VersR 1989 1249, 1250; BGH 8.3.1989 – IV a ZR 17/88, VersR 1989 689, 690; BGH 6.12.2006 – IV ZR 302/05, VersR 2007 484; siehe im Zusammenhang auch OLG Düsseldorf 29.2.2000 – 4 U 47/99, NVersZ 2001 544, 546, das ohne weitere Begründung davon ausgeht, der Rücktritt des VR beschränke sich auf die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung; zustimmend Prölss/ Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 3; ebenso Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 18, „wenn die unterschiedlichen versicherten Gefahren bezüglich der Bedeutung und Auswirkungen von Obliegenheitsverletzungen eindeutig und problemlos abgrenzbar sind (und die Gefahren vom Versicherer selbstständig versichert werden)“; vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 29 Rn. 6. 45 Vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 29 Rn. 6: „Isolierte Relevanz“. 46 A.A. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 4; zweifelnd wohl Looschelders/Pohlmann/Klenk3 § 29 Rn. 17. 47 Vgl. nur Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 19. 48 Das Beispiel entstammt der Begründung zum VVG 1908, 103. 49 So auch OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11-17, VersR 2012 429, 430. 333

Heiss

§ 29 VVG

Teilrücktritt, Teilkündigung, teilweise Leistungsfreiheit

einem Aufrechterhaltungswillen des VR fehlt, eine Gesamtkündigung bzw. ein Gesamtrücktritt in Frage kommt. Aus dieser negativen Formulierung folgt zugleich, dass den VR die Beweislast betreffend seinen fehlenden Aufrechterhaltungswillen trifft.50 23 Indem § 29 Abs. 1 auf den hypothetischen Parteiwillen abstellt, bedient er sich des Instruments der ergänzenden Vertragsauslegung.51 Allerdings geht es bei § 29 Abs. 1 (anders als etwa bei § 139 BGB) nicht um den hypothetischen Willen beider Parteien, sondern nur des VR. Der VN wird gegen eine seinen Interessen zuwider laufende Teilkündigung bzw. gegen einen Teilrücktritt durch sein außerordentliches Kündigungsrecht nach Absatz 2 geschützt. Insofern geht es bei Absatz 1 nicht um eine ergänzende Vertragsauslegung, sondern um eine ergänzende Auslegung der Vertragserklärung des VR, in der Regel also der Annahmeerklärung des VR. Abzustellen ist demnach auf diejenige Vertragsentscheidung, die der betroffene52 VR redli24 cher- und vernünftigerweise getroffen hätte, hätte er von Anfang an nur über einen Teilantrag zu entscheiden gehabt.53 Bei dieser Abwägung vermengen sich individuelle und objektive Kriterien. Im Ansatzpunkt ist die Bewertung anhand eines individuellen Maßstabs zu treffen, weil es um die Ermittlung dessen geht, was dieser VR entschieden hätte.54 Umgekehrt fließen objektivierende Elemente in die Abwägung ein. Dies folgt zum einen schon aus dem Auslegungsgrundsatz, wonach die Willenserklärung des VR am objektiven Empfängerhorizont des VN auszulegen ist. Der Wille des VR, den Restvertrag nicht aufrecht erhalten zu wollen, muss sich demnach aus seiner Vertragserklärung, seinen sonstigen dem VN gegenüber abgegebenen Erklärungen oder aber aus den tatsächlichen Umständen des Vertragsschlusses ergeben. Ein maßgeblicher Anhaltspunkt hierfür kann etwa das Antragsformular mit den dort gestellten Fragen nach risikorelevanten Umständen sein. Ein zweites objektivierendes Element liegt in der Fragestellung. Es geht nämlich um die Ermittlung des Willens des VR, angesichts des teilweisen Scheiterns des Versicherungsvertrags diesen „zur Not“ auch teilweise aufrechtzuerhalten. Zu fragen ist insbesondere, ob es dem VR zumutbar ist, am Restvertrag festgehalten zu werden. Insofern geht es aber nicht darum, ob der VR Verträge, die diesem Restvertrag entsprechen, tatsächlich regelmäßig abschließt. Ein weiteres objektivierendes Element liegt im Grundsatz, dass mangels anderer Hinweise im realen Parteiwillen die Vertragserklärung des VR nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und am Maßstab der Verkehrssitte auszulegen ist.55 Bei allem wird man in der Regel zu einem Teilrücktritt bzw. einer Teilkündigung gelangen. 25 Jedenfalls in den vom Gesetz ausdrücklich erfassten Fällen von Pflichtverletzungen, die sich nur auf einen Teil der versicherten Gegenstände bzw. Personen beziehen, sind regelmäßig keine besonderen Gründe erkennbar, wieso der VR den Versicherungsvertrag nicht auch beschränkt auf den Rest geschlossen hätte. Weniger deutlich ist dies in den von der Rspr. ebenfalls nach § 29 Abs. 1 gelösten Fällen, in denen mehrere Sparten in einem Vertrag gebündelt werden. Mustergültig sind hier wiederum die Fälle einer auf Grundlage einer Lebensversicherung abgeschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Hier geht die Rspr. regelmäßig davon aus, dass die zugrundeliegende Lebensversicherung auch ohne die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geschlossen worden wäre.56 Bisweilen folgt dies schon aus den Umständen des Vertragsschlusses, wenn nämlich die zugrundeliegende Lebensversicherung zeitlich vorangehend und isoliert abgeschlossen, die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung aber erst später genom-

50 Zur Beweislast des VR BGH 10.12.1986 – IV a ZR 94/85, VersR 1987 177; BGH 8.3.1989 – IV a ZR 17/88, VersR 1989 689, 690Römer/Langheid2 § 30 Rn. 6. 51 Zur ergänzenden Vertragsauslegung im Allgemeinen MüKoBGB8/Busche § 157 Rn. 26 ff. 52 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 24 („konkreter VR“). 53 OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11-17, VersR 2012 429, 431. 54 Ähnlich Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 5; Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 24, der aber wohl objektivierende Umstände ganz ausschliesst. 55 Vgl. § 133 i.V.m. § 157 BGB. 56 BGH 6.12.2006 – IV ZR 302/05, VersR 2007 484. Heiss

334

B. Teilkündigung, Teilrücktritt

VVG § 29

men wurde.57 Umgekehrt geht die Rspr. im Falle der Auflösung des zugrundeliegenden Lebensversicherungsvertrags davon aus, dass auch die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung dahinfällt, weil diese ohne die Lebensversicherung keinen Bestand haben könne.58 Grenze der ergänzenden Auslegung ist der tatsächliche Parteiwille. Insofern muss, vorbe- 26 haltlich einer möglichen Inhaltskontrolle, einer Klausel in AVB Beachtung zukommen, die für den Fall der Kündigung oder des Rücktritts das Dahinfallen des gesamten Vertrages vorsieht.59

II. Rechtsfolgen § 29 Abs. 1 schränkt das Kündigungs- bzw. Rücktrittsrecht des VR auf den von der Pflichtverlet- 27 zung betroffenen Teil des Versicherungsvertrags ein.60 Insofern geht es nicht um die „Zulässigkeit“ eines Teilrücktritts bzw. einer Teilkündigung, sondern um eine Beschränkung des Gestaltungsrechts des VR.61 Erklärt der VR seine Kündigung bzw. seinen Rücktritt dennoch für den gesamten Vertrag, so ist seine Erklärung hinsichtlich des von der Pflichtverletzung nicht betroffenen Teils des Vertrags unwirksam.62 Die den gesamten Vertrag betreffende Erklärung kann in eine Teilkündigung bzw. in einen Teilrücktritt umgedeutet werden.63 Davon unabhängig ist die Frage, ob der VR, dem ein Recht zur Kündigung bzw. zum Rück- 28 tritt hinsichtlich des gesamten Vertrages zukommt, trotzdem nur eine Teilkündigung bzw. einen Teilrücktritt erklären kann. Dagegen spricht m.E. nichts.64 Das ausnahmsweise bestehende Recht, bei bloßen Teilverstößen eine Gesamtkündigung bzw. einen Gesamtrücktritt zu erklären, dient dem Schutz der Privatautonomie des VR. Hiervon kann er auch nachträglich abweichen. Sollte die Teilkündigung bzw. der Teilrücktritt den Interessen des VN im Einzelfall zuwiderlaufen, so kommt diesem ohnehin das außerordentliche Kündigungsrecht nach Absatz 2 zu.

III. Kündigungsrecht des VN Hat der VR seinen Teilrücktritt bzw. seine Teilkündigung erklärt, so kommt dem VN nach Ab- 29 satz 2 hinsichtlich des Restvertrages ein Kündigungsrecht zu. Damit soll der VN in die Lage versetzt werden, zu einem anderen VR zu wechseln. Allein hinsichtlich der aus dem Versicherungsvertrag gekündigten Gegenstände oder Personen wird der VN nämlich häufig keinen Versicherungsschutz bekommen.65 Den VR trifft gegenüber dem VN eine übergesetzliche Pflicht (vertragliche Nebenpflicht) zum Hinweis auf das Kündigungsrecht.66 Beim Kündigungsrecht des VN handelt es sich um ein Gestaltungsrecht, das an keine 30 weiteren Voraussetzungen und auch nicht an eine Kündigungsfrist geknüpft ist.67 Insbesondere ist unerheblich, ob der VN den Restvertrag ursprünglich auch ohne den nunmehr gekündigten bzw. durch Vertragsrücktritt aufgehobenen Vertragsteil geschlossen hätte. Auf einen derartigen hypothetischen Parteiwillen des VN kommt es also nicht an. 57 Hierzu besonders deutlich BGH 13.10.1982 – IVa ZR 67/81, VersR 1983 25; vgl. im Kontext auch BGH 20.9.1989 – IVa ZR 107/88, VersR 1989 1249, 1250; BGH 8.3.1989 – IVa ZR 17/88, VersR 1989 689, 690. 58 Vgl. insbesondere OLG Koblenz 17.11.2000 – 10 U 1979/99, NVersZ 2001 161. 59 Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 30 (a.E.). 60 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 23: „Grundsatz der Begrenzung auf einen Vertragsteil“. 61 Vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 23. 62 Zu Folgen für Prämie und Versicherungssumme Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 26 f.; Looschelders/Pohlmann/Klenk3 § 29 Rn. 21. 63 Vgl. OLG Düsseldorf 29.2.2000 – 4 U 47/99, NVersZ 2001 544, 546. 64 Ebenso Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 1 und 4. 65 Vgl. Wittchen VersR 1993 530. 66 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 6; Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 35. 67 Auch eine Begründung ist nicht erforderlich; vgl. Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 33. 335

Heiss

§ 29 VVG

31

Teilrücktritt, Teilkündigung, teilweise Leistungsfreiheit

Nach § 29 Abs. 2 Satz 2 hat der VN seine Kündigung „spätestens68 zum Schluss der Versicherungsperiode“ zu erklären, in welcher der Rücktritt oder die Kündigung des VR wirksam wird. Die Frist, die dem VN zur Verfügung steht, hängt somit davon ab, wie früh oder spät in der jeweils laufenden Versicherungsperiode die Vertragslösungserklärung des VR greift. Das kann, mindestens theoretisch, in Extremfällen zu einer unangemessen verkürzten Frist führen. In solchen Extremfällen wird man nach Treu und Glauben davon ausgehen müssen, dass eine unverzügliche, wenngleich nach dem Buchstaben des Gesetzes verspätete Kündigung wirksam ist.69

C. Teilweise Leistungsfreiheit 32 Absatz 3 erstreckt die Grundsätze des Absatzes 1 auch auf den Fall der Leistungsfreiheit. So, wie sich ein Rücktritt bzw. eine Kündigung bei Vorliegen der Voraussetzungen nur auf die betroffenen Personen, Gegenstände oder Gefahren erstrecken soll, erfasst auch eine Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung nur die von der Obliegenheitsverletzung betroffenen Personen, Gegenstände oder Gefahren. 33 Die Regelung der teilweisen Leistungsfreiheit dürfte allerdings von äußerst geringer Bedeutung sein, wenn ihr denn überhaupt noch Bedeutung zukommen kann.70 Denn das bei der Gefahrerhöhung durchgehend etablierte Prinzip, wonach der VR wegen Verletzung von Obliegenheiten nur insoweit leistungsfrei wird, als die Pflichtverletzung für den Eintritt des Versicherungsfalles bzw. den Umfang der Leistungspflicht des VR kausal war, raubt der Teilverwirkungsregelung des Absatzes 3 faktisch ihren Anwendungsbereich. Denkt man z.B. an eine Feuerversicherungspolice, die mehrere Gebäude deckt, so wird sich die bei einem Gebäude auftretende Gefahrerhöhung in der Regel nicht auf die anderen Gebäude auswirken. Damit beschränkt sich auch ein späterer Versicherungsfall auf eben das von der Gefahrerhöhung betroffene Gebäude. Greift der Versicherungsfall in seinen Wirkungen weiter, erfasst also ein Feuer, das durch eine gefahrerhöhende Einlagerung brennbarer Stoffe in einem Gebäude ausgebrochen ist, die weiteren versicherten Gebäude, so wird durch den Kausalitätsverlauf regelmäßig indiziert, dass die Gefahrerhöhung eben nicht nur das eine, sondern alle Gebäude betroffen hat. In diesem Sinne äußert sich bereits die Begründung zu § 30 a.F.71 Erstreckt sich aber die Gefahrerhöhung auf alle Gegenstände, so erübrigt sich die Frage, ob der VR den Vertrag auch hinsichtlich der von der Gefahrerhöhung nicht betroffenen Gegenstände isoliert geschlossen hätte, weil es an einem solchen Teil gerade fehlt. Bleibt der Fall, in dem das Feuer in einem der anderen Gebäude ausbricht, auf das Gebäude mit den brennbaren Stoffen übergreift und dort einen größeren Schaden anrichtet, als es ohne die brennbaren Stoffe der Fall gewesen wäre. Hier begrenzt das Kausalitätsprinzip des § 26 Abs. 3 Z. 1 ohnehin die Leistungsfreiheit des VR auf den zusätzlich verursachten Schaden. Das war nach dem auf dem Alles-oder-nichts-Prinzip fußenden Kausalitätskriterium des § 25 Abs. 3 a.F. anders. Soweit das Alles-oder-nichts-Prinzip noch gilt, was insbesondere für Arglistfälle angenommen wird, besteht allerdings auch ein Anwendungsbereich für § 29 Abs. 3.72 34 Nach seinem Wortlaut gilt Absatz 3 nur bei einer Gefahrerhöhung. Diese Eingrenzung überzeugt m.E. nicht. Jedenfalls wird man berücksichtigen müssen, dass § 29 nunmehr ausdrücklich auch die vertraglichen Obliegenheiten mit umfasst. Gerade bei Obliegenheiten, die der Risikovorbeugung bzw. -minderung dienen, scheint mir eine Analogie zur Gefahrerhöhung 68 Eine frühere Kündigung ist möglich; vgl. Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 6. 69 Ebenso Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 6. 70 Ebenso Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 29 Rn. 12; grundsätzlich auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 45.

71 Siehe die Begründung zu § 30 VVG 1908 103. 72 So Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 46. Heiss

336

D. Abänderlichkeit des § 29

VVG § 29

angezeigt. Dem wird grundsätzlich zu Recht entgegen gehalten, eine Analogie sei wegen des Kausalitätskriteriums nach § 28 Abs. 3 Satz 1 nicht erforderlich.73 Allerdings trägt dieses Argument letztlich nicht. Zum einen gestaltet nämlich § 26 Abs. 3 Z. 1 auch die Leistungsfreiheit des VR wegen Gefahrerhöhung kausalitätsabhänig aus und dennoch stellt der Gesetzgeber die Regelung des § 29 Abs. 3 bereit. Zum anderen wurde mit Wandt hervorgehoben, dass § 29 Abs. 3 in Fällen der Arglist eine eigenständige Bedeutung behält74 und dies wegen der ausdrücklichen Regelung in § 28 Abs. 3 Satz 2 insbesondere bei § 28. Insofern scheint mir doch eine Grundlage für einen Analogieschluss zu bestehen.

D. Abänderlichkeit des § 29 § 29 ist insgesamt dispositives Recht.75 Zumal die Ausrichtung der Vorschrift am hypotheti- 35 schen Parteiwillen des VR als sehr sachgerecht anzusehen ist, entwickelt § 29 m.E. eine starke Leitbildfunktion im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.76

73 74 75 76 337

Looschelders/Pohlmann/Klenk3 § 29 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 29 Rn. 2. Siehe soeben Rn. 33 m.N. Siehe § 32. Siehe auch Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 30. Heiss

§ 30 Anzeige des Versicherungsfalls (1)

1

Der Versicherungsnehmer hat den Eintritt des Versicherungsfalles, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. 2Steht das Recht auf die vertragliche Leistung des Versicherers einem Dritten zu, ist auch dieser zur Anzeige verpflichtet. (2) Auf eine Vereinbarung, nach welcher der Versicherer im Fall der Verletzung der Anzeigepflicht nach Absatz 1 Satz 1 nicht zur Leistung verpflichtet ist, kann sich der Versicherer nicht berufen, wenn er auf andere Weise vom Eintritt des Versicherungsfalles rechtzeitig Kenntnis erlangt hat.

Schrifttum Niewerth/Verspermann Beweislastverteilung bei der Verletzung von Anzeigeobliegenheiten, VersR 1995 1290; Rühl Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht, Diss. Hamburg 2003; Schimikowski Überlegungen zu einer Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, RuS 2000 353; Wohlthat Anzeige- und Aufklärungsobliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfall – am Beispiel der Sachversicherung, RuS 2019, 549.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Historische Entwicklung

II.

Begriff und Funktion der Anzeigepflicht (Norm3 zweck)

III.

Regelungssystematik

IV.

Regelungsbedürfnis

V. 1. 2.

8 Regelungsadressaten 9 Versicherungsnehmer Leistungsberechtigte Dritte

B.

Die Anzeigepflicht des Versicherungsneh11 mers (§ 30 Abs. 1 Satz 1)

I. 1. 2.

11 Rechtsnatur Informationsobliegenheit 14 Wissenserklärung

II. 1. 2.

15 Voraussetzungen 15 Eintritt des Versicherungsfalls 17 Kenntnis des Versicherungsnehmers 19 a) Kenntnis der Ereignisse b) Kenntnis des Versicherungsverhältnis20 ses 21 c) Bewertung als Versicherungsfall 22 d) Fahrlässige Unkenntnis

III.

1

IV. 1. 2. 3. 4.

24 Anzeige 24 Form 28 Inhalt und Umfang 29 Empfangszuständigkeit 30 Zeitpunkt (unverzüglich)

C.

Die Anzeigepflicht Dritter (§ 30 Abs. 1 36 Satz 2)

D.

Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverlet38 zung

I.

3. 4. 5.

Leistungsfreiheit oder -kürzung (§ 30 39 Abs. 2) 41 Parteivereinbarung 42 Qualifiziertes Verschulden a) Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Obliegen42 heitsverletzung (§ 28 Abs. 2 Satz 1) b) Leistungskürzung bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung (§ 28 Abs. 2 43 Satz 2) 45 Kausalität (§ 28 Abs. 3) 46 Entbehrlichkeit der Belehrung 47 Fehlende Kenntnis des Versicherers

II.

Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 BGB)

E.

Abdingbarkeit

F.

Beweislastverteilung

5 7

10 1. 2.

11

49

53 54

Entbehrlichkeit der Anzeige: Erlebensfall in der 23 Lebensversicherung

Brömmelmeyer https://doi.org/10.1515/9783110522624-013

338

A. Einführung

VVG § 30

A. Einführung I. Historische Entwicklung Der Regelungsgehalt des § 30 Abs. 1 Satz 1 stimmt mit dem des früheren § 33 Abs. 1 vom 20.5.19081 1 überein. Der Gesetzgeber hat diese Kontinuität mit der „grundlegenden Bedeutung“ der Anzeigepflicht für den VR begründet.2 Sprachlich gesehen war die frühere Regelung überlegen, weil sie das Element der Rechtzeitigkeit („sobald er von dem Eintritte Kenntnis erlangt“) stärker hervorhob als die Neuregelung („nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat“). Diese ist identisch mit dem Regierungsentwurf3 und stimmt sachlich auch mit dem Kommissionsvorschlag4 überein. Mit § 30 Abs. 1 Satz 2 hat der Gesetzgeber die bis zur VVG-Reform (2008) nur in der Lebens- 2 und Unfallversicherung vorgesehene Anzeigepflicht Dritter (s. §§ 171 Abs. 2, 182 a.F.) in den Allgemeinen Teil überführt. Der Dritte hat den Eintritt des Versicherungsfalls allerdings – anders als bisher – nicht mehr anstelle des VN5 sondern neben ihm anzuzeigen.6 § 30 Abs. 2 stimmt sachlich mit dem früheren § 33 Abs. 2 a.F. überein. Es bleibt dabei, dass sich der VR auf eine vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen kann, wenn er auf andere Weise rechtzeitig vom Eintritt des Versicherungsfalls erfahren hat. § 30 Abs. 2 bezieht sich ausschließlich auf Absatz 1 Satz 1, weil sich „eine Vereinbarung über die Leistungsfreiheit des Versicherers“ angeblich „nur auf die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, also nicht des Dritten beziehen kann“.7

II. Begriff und Funktion der Anzeigepflicht (Normzweck) Leitbild der §§ 30 f. ist die kooperative Regulierung des Versicherungsfalls auf der Basis eines 3 strukturierten, von Treu und Glauben beherrschten8 Informations- und Kommunikationsprozesses.9 In diesem Rahmen dient § 30 primär dem Interesse des VR, rechtzeitig vom Eintritt des (angeblichen) Versicherungsfalls zu erfahren, um seine Leistungspflicht selbst prüfen,10 Beweise sichern11 und Rettungsmaßnahmen anordnen (§ 82 Abs. 2 Satz 1) oder ergreifen zu können.12 Es ist vor allem die Eilbedürftigkeit der Tatsachenfeststellung, die angesichts der „verdunkelnden Macht der Zeit“13 eine unverzügliche Anzeige des Versicherungsfalls erfordert.14 Funktional betrachtet soll § 30 Abs. 1 die Informationsasymmetrie15 ausgleichen, die da- 4 durch entsteht, dass die Risikoverwaltung im Regelfall allein in den Händen des VN oder seines Repräsentanten16 liegt. Der damit verbundene Informationsvorsprung gegenüber dem VR rechtfertigt es, den VN mit einer gesetzlichen Informationsobliegenheit17 zu belasten: Er hat dem 1 2 3 4 5 6 7 8 9

RGBl. 1908 S. 263. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 13. Vgl. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, S. 210. Vgl. nur: Berliner Kommentar/Schwintowski § 171 Rn. 3. Zustimmend: Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 30 Rn. 2. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70; im Einzelnen: Rn. 39. BGH 11.2.1987, VersR 1987 477. Im Einzelnen: Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 31 Rn. 2 bis 7; s. auch: BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 31 zu § 31 VVG. 10 BGH 23.11.1967, VersR 1968 58, 59. 11 Schmidt Die Obliegenheiten (1953) 224. 12 Ähnlich bereits: Motive S. 104. 13 Begriff: BGB-Motive I, S. 291. 14 Dazu auch: OLG Köln 21.12.2007 – 20 U 167/07, VersR 2008 528 (LS). 15 Begriff: Zweifel/Eisen Versicherungsökonomie Rn. 7.1; von der Schulenburg/Lohse Versicherungsökonomik (2014) 258 f. 16 Begriff: BGH 21.4.1993 VersR 1993 828, 829. 17 Rn. 11. 339

Brömmelmeyer

§ 30 VVG

Anzeige des Versicherungsfalls

VR unverzüglich mitzuteilen, dass sich das versicherte Risiko verwirklicht hat. Damit trägt § 30 auch dem „Moral Hazard“ – Risiko18 Rechnung: Könnte der VN die Anzeige des (angeblichen) Versicherungsfalls beliebig verzögern, so könnte er die Tatsachenerhebung erschweren und mögliche Rettungsmaßnahmen unterlaufen, um später, auf der Basis bewusster Falschangaben ungerechtfertigte oder überhöhte Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die Interpretation der §§ 30 f. nicht an dem Leitbild eines betrügerischen VN orientieren darf. „Nicht der unredliche, sondern der redliche VN ist“, wie der BGH19 ausdrücklich festgestellt hat, „der Regelfall“.20

III. Regelungssystematik 5 Nach herrschender Meinung21 ist § 30 Abs. 1 Satz 1 als lex imperfecta, d.h. als sanktionslose gesetzliche Obliegenheit anzusehen. Das trifft jedoch nicht zu,22 weil eine schuldhafte Pflichtverletzung des VN eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB nach sich ziehen kann.23 Entgegen Wandt24 lässt sich aus der Begründung zu § 30 Abs. 1 Satz 1 keine „eindeutig getroffene klare Entscheidung“ für eine sanktionslose gesetzliche Obliegenheit herauslesen. Dort heißt es nur, dass „eine besondere Sanktionsregelung entbehrlich“,25 nicht aber, dass ein Rückgriff auf die allgemeine Sanktionsregelung in § 280 Abs. 1 BGB ausgeschlossen sei. Ebenso wenig ergibt sich die vermeintliche „Eindeutigkeit“ (Wandt) der Begründung aus den Erläuterungen zu Satz 2. Dort heißt es zwar, dass sich bei schuldhafter Verletzung der Anzeigepflicht des Dritten ein Schadensersatzanspruch des VR nach allgemeinem Recht ergeben könne.26 Ein Umkehrschluss (kein Schadensersatzanspruch bei Verletzung der Anzeigepflicht des VN) ist jedoch unzulässig, weil in der Begründung nicht die Rede davon ist, dass der Schadensersatzanspruch nur bei einer Anzeigepflichtverletzung des Dritten in Betracht kommt. 6 Eine gesonderte Regelung erfährt die Anzeigepflicht des VN in der Haftpflichtversicherung; gem. § 104 hat der VN dem VR innerhalb einer Woche die Tatsachen anzuzeigen, die seine Verantwortlichkeit gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnten (Absatz 1 Satz 1). Die Anzeigepflicht des Dritten in der Pflichtversicherung ergibt sich aus § 119 Abs. 1, nicht aus § 30 Abs. 1 Satz 2.27 § 30 Abs. 2 ist auf alle in § 104 Abs. 1 und 2 geregelten Fälle entsprechend anwendbar (§ 104 Abs. 3 Satz 2).

IV. Regelungsbedürfnis 7 Die Frage, ob im Hinblick auf die Anzeigepflicht ein Regelungsbedürfnis besteht,28 stellt sich vor allem, wenn man § 30 Abs. 1 als lex imperfecta, d.h. als Regel ohne (gesetzlich angeordnete) 18 19 20 21

Dazu: Zweifel/Eisen Versicherungsökonomie Rn. 7.2. BGH 5.10.1983, VersR 1984 29, 30. Siehe auch: Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 31 Rn. 6. BGH 3.11.1966, VersR 1967 56, 58; s. auch: BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 31 (sanktionslose, aber verbindliche Obliegenheit) zu § 31; Bruck/Möller/Möller8 § 33 Anm. 4; Schmidt Die Obliegenheiten S. 227; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Marlow § 13 Rn. 6; Krebs Zur Frage der Kenntniserlangung des Versicherers vom Versicherungsfall i.S. des § 33 Abs. 2 VVG, VersR 1962 13; Wohlthat RuS 2019 549, 551. 22 Wie hier: Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 3. 23 Im Einzelnen: Rn. 13, 49. 24 Lanheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 8. 25 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Hervorhebung des Verf. 26 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 27 Richter Zur Prüf- und Bearbeitungsfrist des Kfz-Haftpflichtversicherers, SVR 2016 50, 51 f., der § 119 Abs. 1 allerdings zu Unrecht als lex specialis qualifiziert. 28 Skeptisch: Schimikowski RuS 2000 353, 357. Brömmelmeyer

340

A. Einführung

VVG § 30

Rechtsfolge einstuft: Entweder, der VR verzichtet darauf, (vollständige oder teilweise) Leistungsfreiheit als Rechtsfolge zu vereinbaren, so dass die Anzeigepflicht sanktionslos bleibt und der VN sie gefahrlos ignorieren kann, oder die Parteien vereinbaren Leistungsfreiheit, so dass sich die (nunmehr sanktionsbewehrte) Anzeigepflicht unmittelbar aus dem Vertrag ergibt. In beiden Fällen könnte man auf § 30 verzichten.29 Bejaht man indes in Einklang mit der hier vertretenen Rechtsauffassung30 ein Haftungsrisiko auf der Basis der §§ 280 Abs. 1 BGB, 30 Abs. 1 VVG, so liegt die praktische Bedeutung auf der Hand: Der Regelungsadressat (s.u.) ist nicht nur gesetzlich verpflichtet, den Versicherungsfall anzuzeigen. Er haftet ggf. auch gem. § 280 Abs. 1 BGB für eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit. Eine Sanktion steht also auch dann im Raum, wenn eine Rechtsfolge-Klausel fehlt oder gegen §§ 305 ff. BGB verstößt. Unabhängig davon steht es dem Gesetzgeber generell frei, die Anzeigepflicht gesondert zu regeln, um ihre „grundlegende Bedeutung“31 hervorzuheben.

V. Regelungsadressaten Regelungsadressat des § 30 Abs. 1 ist der VN (Satz 1) sowie der Dritte, dem „das Recht auf die 8 vertragliche Leistung zusteht“ (Satz 2); soweit die Bundesregierung eine von dem jeweiligen Regelungsadressaten abhängige Disparität der Rechtsfolgen annimmt,32 ist dem nicht zu folgen.33

1. Versicherungsnehmer Die Anzeigepflicht trifft in erster Linie den VN (§ 30 Abs. 1 Satz 1) – und das auch und bereits 9 dann, wenn sein Wissens- oder Wissenserklärungsvertreter von dem Eintritt des Versicherungsfalls erfährt.34 Im Erbfall tritt der Erbe als Rechtsnachfolger an die Stelle des VN (§ 1922 BGB). Der Erbe ist nach dem Erbfall Partei, nicht Dritter im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 2. In der Lebensversicherung gilt das nicht nur, wenn der Todesfallanspruch in den Nachlass fällt,35 sondern auch, wenn der Erblasser den Erben auch noch als Bezugsberechtigten (§§ 159 f.) eingesetzt hat.

2. Leistungsberechtigte Dritte Daneben trifft die Anzeigepflicht auch Dritte, denen das Recht auf die vertragliche Leistung 10 zusteht (§ 30 Abs. 1 Satz 2). Leistungsberechtigter Dritter ist, wer als Begünstigter einen eigenen Rechtsanspruch auf die Leistung des Versicherers erwirbt, ohne Partei des Versicherungsvertrags zu sein. Das ist u.a. der Fall (1) bei dem Versicherten in der Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff.), der gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 Gläubiger des Erfüllungsanspruchs wird, (2) bei dem Bezugsberechtigten in der Lebens- und Unfallversicherung36 und (3) bei dem Zessionar.37

29 30 31 32 33 34 35 36

Siehe Jula Sachversicherungsrecht (2018) 185 („keine praktische Relevanz“). Rn. 5. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Im Einzelnen: Rn. 39, 49. Rn. 18. Vgl. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 47. Vgl. §§ 159 f., 182 VVG; vertiefend: Beckmann/Matusche-Beckmann/Brömmelmeyer § 42 Rn. 219 ff.; Bruck/Möller/ Winter8 Bd. V/2 Anm. H 24 ff. 37 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 341

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§ 30 VVG

Anzeige des Versicherungsfalls

B. Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers (§ 30 Abs. 1 Satz 1) I. Rechtsnatur 1. Informationsobliegenheit 11 Die Anzeigepflicht des VN ist als gesetzliche Informationsobliegenheit einzustufen,38 die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen ist und gemeinsam mit der Auskunftspflicht (§ 31) die (rechtzeitige) Kooperation des VN im Regulierungsverfahren gewährleisten soll. § 28 ist (nur) anwendbar, wenn der VR die Anzeigepflicht in den Versicherungsvertrag überführt und mit der Rechtsfolge der Leistungsfreiheit und/oder -kürzung verknüpft hat.39 Hat der VR – so wie in der Lebensversicherung (§ 7 Abs. 2 ALB 2019) – darauf verzichtet, kommt auch § 28 nicht zum Tragen. Eine Regelung wie in § 7 Abs. 4 ALB 2019, die besagt, dass eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung des Todes der versicherten Person dazu führen kann, dass die Leistung nicht fällig wird, verstößt gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB); (miss-)versteht man § 7 Abs. 4 ALB 2019 so, dass die Leistung mangels rechtzeitiger Mitteilung niemals fällig wird (de facto Leistungsfreiheit, weil die unverzügliche Anzeige nicht nachgeholt werden kann), so ist er auch mit § 307 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 BGB und mit §§ 28, 32 Satz 1 unvereinbar. 12 Kennzeichen einer Obliegenheit ist nach verbreiteter Rechtsauffassung, dass es sich nicht um eine echte, unmittelbar erzwingbare Verbindlichkeit,40 sondern um eine bloße Verhaltensnorm handelt, die jeder VN im eigenen Interesse beachten muss, deren Beachtung er also „gegenüber sich selbst“ schuldet.41 Daraus folgt angeblich, dass es sich nicht um eine Rechtspflicht handelt, die bei Nichterfüllung zu Schadensersatzansprüchen führen kann.42 Tatsächlich ist das Erscheinungsbild der Obliegenheiten dadurch geprägt, dass der Belastete (auch) im eigenen Interesse handelt. Das trifft auch auf § 30 Abs. 1 zu. Behält der VN den Eintritt des Versicherungsfalls für sich, kann er auch nicht entschädigt werden. Die Anzeige liegt also auch in seinem Interesse. Die Frage, ob der VR die Anzeige (im Klagewege) unmittelbar erzwingen könnte, ist eine rein theoretische: Entweder, der VR weiß bereits von dem Eintritt des Versicherungsfalls, so dass für eine Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, oder er weiß nichts davon, so dass er auch keine – im Regelfall: unbegründete – Klage „ins Blaue hinein“ erheben wird. 13 Die Einordnung als Obliegenheit führt nicht dazu, dass eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB ausscheidet.43 Bereits der Versuch, aus der (angeblichen) Rechtsnatur auf eine bestimmte Rechtsfolge zu schließen, ist methodisch verfehlt.44 Die Rechtsfigur der Obliegenheit entfaltet als solche noch keine präskriptive Bedeutung. D.h. nicht, dass die Kategorie der Obliegenheit abzulehnen wäre. Denn sie erlaubt die Klassifikation bestimmter Rechtspflichten und die Bildung eines gemeinsamen Bezugspunktes (hier: § 28) im Interesse der Regelungsökonomie. D.h. aber, dass die vermeintliche – und ohnehin umstrittene – Rechtsnatur einer solchen Obliegenheit den Rückgriff auf § 280 Abs. 1 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung) nicht verbauen kann.45 Eine Pflichtverletzung setzt voraus, dass der Schuldner von dem durch das Schuld38 Allgemeine Meinung: Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Rixecker § 30 Rn. 1; Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 3; BGH 16.5.1966, VersR 1966 626, 627. 39 Vgl. bspw. § 13 Nr. 1 und Nr. 2 AFB 2004; ungenau: RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 40 Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow § 13 Rn. 4. 41 Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow § 13 Rn. 4. 42 Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow § 13 Rn. 4; grundlegend: Schmidt Die Obliegenheiten, der „Rechtspflichten minderer Intensität“ annimmt (S. 313), die keine Haftung auf Schadensersatz auslösen können (S. 317); hier: Rn. 47. 43 Wie hier: Bruck/Möller/Winter8 Bd. V/2 Anm. F 2 ff., mit Blick auf die Lebensversicherung; Berliner Kommentar/ Dörner § 33 Rn. 3; a.A. Wohlthat RuS 2019 549, 551. 44 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk Rechtstheorie Rn. 919 ff., mit Blick auf die „Natur der Sache“. 45 Einzelheiten: Rn. 49 f.; a.A. Looschelders FS Lorenz (2014) 281, 294. Brömmelmeyer

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B. Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers (§ 30 Abs. 1 Satz 1)

VVG § 30

verhältnis vorgegebenen Pflichtenprogramm abweicht.46 Hat der VN (§ 30 Abs. 1 Satz 1) oder der Dritte (Satz 2) den Versicherungsfall nicht unverzüglich angezeigt, so liegt eine solche Pflichtverletzung vor. Hielte man den Rückgriff auf § 280 Abs. 1 BGB unter Berufung auf die Rechtsnatur für ausgeschlossen, so stünde man im Übrigen vor der Frage, ob die Anzeigepflicht eine gespaltene Rechtsnatur aufweist: Laut Begründung47 kann sich nämlich „bei schuldhafter Verletzung der Anzeigepflicht des Dritten … für den Versicherer ein Schadensersatzanspruch nach allgemeinem Recht gegen den Dritten ergeben“.48 Damit wäre die Anzeigepflicht des VN – ausweislich §§ 30 Abs. 2, 28 – eine Obliegenheit, die Anzeigepflicht des Dritten hingegen eine – allein über § 280 Abs. 1 BGB sanktionierte – Rechtspflicht.49 Das ist zwar möglich, ergibt sich aber nicht aus der angeblich „eindeutig geäußerte[n] Vorstellung“ des Gesetzgebers:50 Die Begründung verhält sich gar nicht zur Rechtsnatur; sie weist lediglich auf die Möglichkeit der Haftung des Dritten auf Schadensersatz nach allgemeinem Recht hin.51 Folgt man Looschelders, so schließt die Einordnung als Obliegenheit die Haftung auf Schadensersatz aus, weil diese Haftung nur im Falle eines Verstoßes gegen ein unbedingtes (kategorisches) Verhaltensgebot, d.h. gegen eine echte Rechtspflicht in Betracht komme.52 Looschelders hat allerdings keine Erklärung dafür, dass den Dritten eine unbedingte, den VN hingegen nur eine bedingte Anzeigepflicht treffen soll. Er will dieses Problem lösen, in dem er die Haftung des Dritten als verhältnismäßige Sanktion qualifiziert,53 knüpft damit aber nicht mehr an die Rechtsnatur sondern an die Rechtsfolge an.

2. Wissenserklärung Die Anzeige des Versicherungsfalls ist eine Wissenserklärung,54 weil es sich um eine Mittei- 14 lung handelt, die nur darauf gerichtet ist, dass die „Beteiligten eines Rechtsverhältnisses sich über Tatsachen [hier: über den Eintritt des Versicherungsfalls] … informieren“.55 Daraus folgt, dass die Bestimmungen über die Abgabe, den Zugang und die Auslegung von Willenserklärungen analog anzuwenden sind.56 D.h. u.a., dass die Mitteilung, dass der Versicherungsfall eingetreten ist, nicht nur abzugeben ist, sondern dem (abwesenden) VR gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB auch zugehen muss. Wandt entnimmt daraus, dass der VN den Eintritt des Versicherungsfalls gem. § 30 Abs. 1 Satz 1 unverzüglich, d.h. „ohne schuldhaftes Zögern“ anzuzeigen hat, dass er seine Anzeigepflicht bereits durch das Absenden erfüllt; auf den Zugang beim VR komme es nicht mehr an.57 Das Absenden reiche nur dann nicht aus, wenn der VN schuldhaft einen Umstand setze, der den Zugang beim VR verhindere oder verzögere (falsche Adresse usw.).58 Damit bezieht Wandt das in dem Begriff „unverzüglich“ angelegte Verschulden (s. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht nur auf das Zögern, also auf die zeitliche Komponente der Anzeigeobliegenheit, sondern auch auf den (angeblich entbehrlichen) Zugang. Richtigerweise stellt sich diese Frage jedoch erst bei den Rechtsfolgen: Hat der VN die (rich46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56

MüKoBGB/Ernst § 280 Rn. 13 f. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Hervorhebung des Verf. Dafür: Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 10. Langheid/Wandt/Wandt a.a.O. Dazu bereits: Rn. 5. Looschelders FS Lorenz (2014) 281, 294. Looschelders FS Lorenz (2014) 281, 295. So bereits Bruck Privatversicherungsrecht S. 327. MüKoBGB/Armbrüster Vor § 116 Rn. 16. MüKoBGB/Armbrüster Vor § 116 Rn. 17; Palandt/Ellenberger Überbl. v. § 104 Rn. 6 f. (geschäftsähnliche Handlung). 57 Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 32 f. 58 Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 32. 343

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§ 30 VVG

Anzeige des Versicherungsfalls

tig und vollständig aufgesetzte) Anzeige rechtzeitig abgesandt, ist sie jedoch auf dem Postwege abhanden gekommen und nicht zugegangen, so liegt zwar eine objektive Anzeigepflichtverletzung vor; der VN selbst hat jedoch nicht schuldhaft i.S. von § 28 Abs. 2 gehandelt; sollte der Postbote (nachweislich) vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben und sollte dies dem VN zuzurechnen sein, käme zwar eine Leistungsfreiheit oder -kürzung in Betracht; ggf. stünde dem VN dann jedoch ein Schadensersatzanspruch gegen die Post zu. Die Wissenserklärung kann auch automatisiert ausgelöst und übermittelt werden – bspw. beim Einsatz von Smart Home Technologien und schlüsselloser Schließssystem in der Sachversicherung, bei denen die Alarmanlage automatisch auch den VR über einen Einbruch informiert.59

II. Voraussetzungen 1. Eintritt des Versicherungsfalls 15 Der Versicherungsfall tritt ein, wenn sich die versicherte Gefahr verwirklicht60 und das abstrakte Leistungsversprechen des VR (Risikoabsicherung) in eine konkrete Leistungspflicht (Entschädigung) übergeht.61 Besonderheiten bestehen bei gedehnten Versicherungsfällen:62 Die Anzeigepflicht entsteht bereits mit dem Beginn des Versicherungsfalls, denn der VR kann seine Leistungspflicht nur umgehend prüfen und Rettungsmaßnahmen nur ergreifen, wenn er bei Beginn und nicht erst am Ende des gedehnten Versicherungsfalls erfährt, dass sich die versicherte Gefahr verwirklicht (hat). Dementsprechend ist eine Krankenhausbehandlung in der Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung binnen 10 Tagen nach ihrem Beginn anzuzeigen (§ 9 Abs. 1 MB/KK 2009). Ereignisse, die unter einen (objektiven oder subjektiven) Risikoausschluss fallen, markieren keinen Versicherungsfall, sind also auch nicht anzuzeigen;63 grob fahrlässig herbeigeführte Versicherungsfälle sind anzuzeigen, weil der VR ggf. zu einer Teilleistung verpflichtet ist (§ 81 Abs. 2).64 16 In der Unfallversicherung hat der VN bereits das Unfallereignis anzuzeigen: „Nach einem Unfall, der voraussichtlich eine Leistungspflicht herbeiführt, müssen Sie“, so Nr. 7.1. der Musterbedingungen (AUB 2014) „unverzüglich einen Arzt hinzuziehen, seine Anordnungen befolgen und uns unterrichten.“ Der VN darf die Anzeige also nicht bis zur völligen Klarheit über den Unfall hinauszögern.65

2. Kenntnis des Versicherungsnehmers 17 Kennt der VN den Versicherungsfall nicht, so kann er ihn auch nicht anzeigen. Der BGH hatte zunächst im Kontext der Auskunftspflicht (§ 31) entschieden, dass „der VN Kenntnis

59 Armbrüster/Kosich Schlüssellose Schließsysteme in der Sachversicherung, RuS 2020 384; Rudkowski Versicherungsrechtliche Probleme des vernetzten Zuhauses („Smart Home“), VersR 2017, 1, 6. 60 BGH 18.12.1954, VersR 1955 100, 101; Wriede VersR 1997 794. 61 Vgl. auch die Definition bei Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 166: „Der Versicherungsfall ist das Ereignis, dessen Eintritt notwendige … Bedingung der Leistungspflicht des VR ist“; ähnlich: Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 45, 53. 62 Begriff: BGH 12.4.1989, VersR 1989 588. 63 Allg. Meinung: s. nur Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 30 Rn. 7; Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 15. 64 Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 15. 65 OLG Köln 21.12.2007 – 20 U 167/07, VersR 2008 528 (LS), OLG Köln 24.1.1991, ZfS 1991 172. Brömmelmeyer

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B. Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers (§ 30 Abs. 1 Satz 1)

VVG § 30

von den Umständen oder Tatsachen“ haben müsse, „die er … in Erfüllung der Obliegenheit mitzuteilen“ habe.66 Er könne seine Aufklärungsobliegenheit schon objektiv nicht verletzen, wenn es nichts gebe, worüber er nach seinem Kenntnisstand aufklären könnte.67 Diese Grundsätze hat er kurz darauf auf die Anzeigepflicht (§ 30; im konkreten Einzelfall: § 20 Nr. 1 lit. a VGB 88) übertragen.68 Das positive Wissen um die die Obliegenheiten auslösenden Umstände sei Teil des objektiven Tatbestands dieser Obliegenheiten, den der VR, wolle er sich auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Obliegenheiten berufen, beweisen müsse.69 Dem ist zu folgen. Der VN kann die Anzeigepflicht nur verletzen, wenn er die Tatsachen kennt, aus denen sich der Charakter eines Ereignisses als Versicherungsfall ergibt:70 „Jede andere Regelung würde dem Anzeigepflichtigen Unmögliches zumuten“.71 Das sei an sich, so der BGH,72 „selbstverständlich“, werde aber „für die versicherungsrechtlichen Anzeigepflichten im Gesetz ausdrücklich klargestellt.“ Der BGH verlangt positive Kenntnis.73 Daraus folgt bspw., dass der VN Rohrbruch- und Leitungswasser-Schäden in der Gebäudeversicherung nur kennt, wenn er weiß, dass ein Wasserrohr undicht geworden oder das Leistungswasser aus einem Wasserrohr ausgetreten ist. Erst dann kennt der VN nämlich die maßgeblichen Tatsachen, aus denen sich der Charakter des Ereignisses als bedingungsgemäßer Versicherungsfall ergibt.74 Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn sich dem VN lediglich ein Schadensbild (Durchfeuchtung von Holzdecken und Mauerwerk) präsentiert, das zwar den möglichen Schluss darauf zulässt oder sogar nahe legt, Ursache könne der Bruch eines Rohres oder der Austritt von Leitungswasser sein. Solange der VN jedoch in einem solchen Fall diesen Schluss nicht zieht, etwa weil ihm andere Ursachen für den Durchfeuchtungsschaden möglich erscheinen oder er keine ausreichenden Überlegungen über die Schadensursache anstellt, hat er noch keine positive Kenntnis. Vielmehr erschöpft sich der gegen ihn zu erhebende Vorwurf darin, er habe den sich aufdrängenden Schluss auf die Ursache ziehen, das Vorliegen eines Versicherungsfalls mithin kennen müssen.75 Ein solcher Fahrlässigkeitsvorwurf („Der VN hätte wissen können und müssen, dass …“) darf jedoch nicht mit positiver Kenntnis i.S. von § 30 Abs. 1 („Der VN wusste, dass …“) verwechselt werden.76 Die von Wohlthat vorgeschlagene Formel, erforderlich sei „positive Kentnnis im Sinne eines zumindest bedingten Vorsatzes also eines Fürmöglichhaltens und Inkaufnehmens“,77 ist so gesehen zu ungenau: Positive Kentnnis setzt voraus, dass der VN um „die maßgeblichen Tatsachen“ (BGH),78 d.h. um das Ereignis weiß, das den Versicherungsfall ausmacht. Es reicht nicht aus, dass er dieses Ereignis bloß für möglich hält. Das „Fürmöglichhalten und Inkaufnehmen“ genügt aber im Hinblick auf die Bewertung des Ereignisses als Versicherungsfall (s. Rn. 21).

66 BGH 13.12.2006, NJW 2007 1126, 1127; BGH 12.12.2007 – IV ZR 40/06, VersR 2008 484 mit Anm. Prölss, VersR 2008 674; BGH 16.9.2009, NJW-RR 2010 99 Rn. 12.

67 BGH 13.12.2006, NJW 2007 1126, 1127; BGH 12.12.2007 – IV ZR 40/06, VersR 2008 484 mit Anm. Prölss, VersR 2008 674; im Einzelnen: Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 31 Rn. 33. BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, NJW-RR 2008 1062 Rn. 15. BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, NJW-RR 2008 1062 Rn. 15. BGH 3.11.1966, VersR 1967 56, 58; Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 3. BGH 3.11.1966, VersR 1967 56, 58. BGH 3.11.1966, VersR 1967 56, 58. BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, NJW-RR 2008 1062 Rn. 18. BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, NJW-RR 2008 1062 Rn. 19. BGH 30.4.2008 – IV ZR 227/06, NJW-RR 2008 1062 Rn. 19. Dazu auch OLG Saarbrücken 15.5.2013 – 5 U 344/12, ZfS 2013 700. Wohlthat RuS 2019 549, 552, unter Berufung auf Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner VVG, 3. Aufl. (2015) § 30 Rn. 2. 78 BGH 30.4.2008 NJW-RR 2008 1062 Rn. 19.

68 69 70 71 72 73 74 75 76 77

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Anzeige des Versicherungsfalls

Der Kenntnis des VN steht die Kenntnis seines Wissensvertreters79 gleich.80 Das gleiche gilt mit Blick auf den Wissenserklärungsvertreter,81 den der VN beauftragt hat, etwaige Versicherungsfälle anzuzeigen.

19 a) Kenntnis der Ereignisse. Bezugspunkt der Kenntnis ist der Versicherungsfall. Daraus folgt zunächst, dass der Anzeigepflichtige das tatsächliche Ereignis kennen muss, das bei objektiver Betrachtungsweise die (konkrete) Leistungspflicht des VR auslöst.

20 b) Kenntnis des Versicherungsverhältnisses. Kenntnis setzt das Bewusstsein voraus, gegen das Risiko, das sich in dem Ereignis verwirklicht hat, versichert zu sein. Der VN muss also um das Versicherungsverhältnis, d.h. um das (Fort-)Bestehen des Versicherungsvertrags wissen: Wer nicht weiß, dass er versichert ist, weiß auch nicht, dass ein Versicherungsfall eingetreten sein kann.82 Daher verlangt das OLG Hamm83 mit Blick auf die Todesanzeige (vgl. Nr. 7.5 AUB 2008) in der Unfallversicherung nicht nur Kenntnis des Unfalltodes, sondern auch Kenntnis von der Existenz des (konkreten) Unfallversicherungsvertrags. Da ein VN oder Bezugsberechtigter nur mitteilen könne, was ihm auch bekannt sei, gehöre zum Nachweis eines objektiven Verstoßes gegen die Anzeigeobliegenheit auch der Nachweis, dass der VN oder der Bezugsberechtigte Kenntnis von der Existenz der Versicherung habe.84 Frühere Kenntnisse reichen nicht aus; der VN muss zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls von der Existenz des Versicherungsvertrags wissen.85

21 c) Bewertung als Versicherungsfall. Kenntnis setzt indes nicht voraus, dass der VN das ihm bekannte Ereignis86 im Lichte des im bekannten Versicherungsvertrags87 abschließend (richtig) als Versicherungsfall bewertet, dass er also erkennt, dass sich in dem Ereignis das versicherte Risiko realisiert hat.88 Die Frage, ob der Versicherungsfall eingetreten ist oder nicht, verlangt eine (im Einzelfall: schwierige) rechtliche Bewertung. Hielte man die richtige Einordnung als Versicherungsfall für erforderlich, so könnte sich der VN immer darauf berufen, dass er erst im Nachhinein erkannt habe, dass er gerade gegen das realisierte Risiko versichert gewesen sei. Mit dieser Begründung könnte er die Obliegenheit, unverzüglich anzuzeigen, unterlaufen und dadurch das Interesse des VR an der rechtzeitigen Feststellung des Schadens und dem unverzüglichen Ergreifen von Rettungsmaßnahmen89 gefährden. Umgekehrt wäre es aber auch verfehlt, ganz auf das Bewusstsein vom Charakter des eingetretenen Ereignisses als Versicherungsfall zu verzichten, denn § 30 bezieht die Kenntnis ausdrücklich auf diesen Rechtsbegriff. Rechtsprechung und Literatur schlagen daher mit Recht einen Mittelweg ein: Der VN muss (nur) wissen, dass ein die Leistungspflicht des VR möglicherweise begründendes Ereignis eingetreten 79 Begriff: BGH 24.1.1992, BGHZ 117 104, 106. 80 § 166 Abs. 1 BGB analog; allgemeine Meinung: Langheid/Rixecker/Rixecker § 30 Rn. 4; Berliner Kommentar/ Dörner § 33 Rn. 10; Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 3 mit Verw. auf § 28 Rn. 132 ff., der den Rückgriff auf § 166 BGB analog allerdings ablehnt. 81 Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 3 mit Verw. auf § 28 Rn. 132 ff., insb. 153 ff. 82 OLG Hamm 19.2.1997 RuS 1997 391; OLG Saarbrücken 15.5.2013 – 5 U 344/12, ZfS 2013 700; Prölss/Martin/ Armbrüster § 30 Rn. 3. 83 OLG Hamm 19.2.1997, RuS 1997 391. 84 OLG Hamm 19.2.1997, RuS 1997 391. 85 OLG Saarbrücken 15.5.2013 – 5 U 344/12, ZfS 2013 700. 86 Rn. 19. 87 Rn. 20. 88 Begriff: Deutsch/Iversen Versicherungsvertragsrecht 7. Aufl. (2015) Rn. 145. 89 Siehe: LG Kaiserslautern 4.11.1964, VersR 1965 278. Brömmelmeyer

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B. Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers (§ 30 Abs. 1 Satz 1)

VVG § 30

ist.90 Erforderlich ist also das Bewusstsein, dass das Ereignis einen Versicherungsfall markieren könnte.

d) Fahrlässige Unkenntnis. Fahrlässige (ggf. auch: grob fahrlässige) Unkenntnis (§ 122 Abs. 2 22 BGB) reicht im Rahmen von § 30 nicht aus.91 Missbrauchsfälle, in denen sich der VN bewusst der Kenntnis entzieht um aus seiner Unkenntnis einen Vorteil zu ziehen, sollen allerdings nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) positiver Kenntnis gleichgestellt werden.92 Hat der VN bspw. in der Elementarschadensversicherung die Berichterstattung über ein Hochwasser im Fernsehen verfolgt und drängt sich aufgrund der Fernsehbilder auf, dass auch sein (versichertes) Haus von dem Hochwasser betroffen ist, so könnte ein Missbrauch darin liegen, dass er dem Haus bewusst fern bleibt, um Rettungsmaßnahmen zu unterlaufen und stattdessen eine Entschädigung durch den VR zu verlangen.93 Klarzustellen ist jedoch, dass den VN keine anlassbezogene Erkundigungspflicht trifft – und dass man die Kenntnis auch nicht in eine Erkundigungspflicht ummünzen kann, die der VN ggf. arglistig verletzt. Positive Kenntnis bedeutet Wissen, nicht schuldhaftes (fahrlässiges oder bedingt vorsätzliches) Nichtwissen. Hat der VN also aus den Fernsehbildern den Schluss gezogen, dass auch sein Haus unter Wasser steht, so ist Kenntnis anzunehmen, hat er den Schluss (noch) nicht gezogen, ist sie zu verneinen. Der Tatrichter muss ggf. darüber befinden, ob er den VN und die Behauptung des VN, er habe den Schluss auf die eigene Betroffenheit nicht gezogen, für glaubwürdig bzw. glaubhaft hält.

III. Entbehrlichkeit der Anzeige: Erlebensfall in der Lebensversicherung In der Lebensversicherung sah § 171 Abs. 1 a.F. früher eine Anzeigepflicht nur im Todes-, nicht 23 aber im Erlebensfall vor, weil der VR – mangels Todesanzeige – ebenso um den Erlebensfall weiß wie der VN. Die Bundesregierung94 hielt eine solche „ausdrückliche Klarstellung im Gesetz“ für entbehrlich. Das ändert aber nichts daran, dass der Erlebensfall nicht angezeigt zu werden braucht.95

IV. Anzeige 1. Form Die Anzeige des Versicherungsfalls ist grundsätzlich nicht formbedürftig. Früher verlangten die 24 Musterbedingungen teilweise die Einhaltung der Schriftform; so sahen bspw. die Musterbedingungen für die Hausrats- (§§ 26, 42 VHB), die Wohngebäude- (§§ 24 Nr. 1 lit. a, 38 Nr. 1 VGB 2000), die Maschinen- (§ 11 Nr. 1 lit. a AMB), die Elektronik- (§ 10 Nr. 1a ABE) und die Kfz-Versi-

90 Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 9; LG Kaiserslautern 4.11.1964 VersR 1965 278; ähnlich: Wohlthat RuS 2019 549, 552 (laienhafte Erkenntnis, dass sich ein versichertes Risiko verwirklicht haben könnte). 91 BGH 3.11.1966, VersR 1967 56, 58; Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 9; Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 3; Rühl Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht (2004) 296; anders angeblich noch: OLG Stuttgart 18.5.1966, VersR 1967 465, 466. 92 Langheid/Wandt/Wandt, § 30 Rn. 19; Langheid/Rixecker/Rixecker § 30 Rn. 4 (Hat sich ein VN der Kenntnisnahme arglistig entzogen, kann das der Kenntnis gleichgestellt werden). 93 Vgl. auch die bei Prölss/Martin/Prölss27 § 33 Rn. 2 referierten Fälle (u.a.: OLG Düsseldorf Hanseatische RZ 1924 685). 94 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 95 Ebenso: Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 16, der sich insoweit für eine teleologische Reduktion des § 30 ausspricht. 347

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§ 30 VVG

Anzeige des Versicherungsfalls

cherung96 Schriftform vor, während man in der Feuer- (§§ 11 Nr. 1 lit. a, 20 AFB 87), der Betriebsunterbrechungs- (§§ 10 Nr. 1, 17 FBUB) und der Einbruchsdiebstahlversicherung (§§ 13 Nr. 1a, 20 Nr. 1 AERB) ausdrücklich auf besondere Formvorschriften verzichtet hat. Heute sehen die Musterbedingungen vor, dass „der VN den Schadeneintritt, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, unverzüglich – ggf. auch mündlich oder telefonisch – anzuzeigen“ hat (vgl. nur: Abschnitt B, 3.3.2.2 Gemeinsamer Allgemeiner Teil für die Allgemeine Haftpflichtversicherung, 2017). 25 Formvereinbarungen sind an und für sich zulässig. Die Regelung des § 32 Satz 2 – „Für Anzeigen nach diesem Abschnitt, zu denen der VN verpflichtet ist, kann die Schrift- oder die Textform vereinbart werden“ – ist zwar nicht anwendbar, weil sie als Einschränkung des § 32 Satz 1 formuliert, § 30 Abs. 1 jedoch in § 32 Satz 1 nicht aufgeführt ist.97 Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Formvereinbarung unzulässig wäre; vielmehr fließt die Freiheit der Formenwahl (Formfreiheit) unmittelbar aus der Privatautonomie. Diese Formfreiheit wird allerdings durch die §§ 69, 72 erheblich eingeschränkt: Formularmäßige Beschränkungen der Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters (§ 69 Abs. 1) sind nämlich unwirksam (§ 72). Das gilt sowohl im Hinblick auf „die vor Vertragsschluss abzugebenden“ (§ 69 Abs. 1 Nr. 1) als auch im Hinblick auf die „während der Dauer des Versicherungsverhältnisses zu erstattenden Anzeigen“ (Nr. 2). Die Bundesregierung geht davon aus, dass eine (verbotene) Beschränkung der Empfangsvollmacht auch in einer Klausel liegt, „die für Erklärungen des VN gegenüber dem Vertreter die Schriftform oder Textform verlangt“.98 Damit knüpft der Reformgesetzgeber im Hinblick auf vorvertragliche Anzeigen an die std. Rspr. des BGH an,99 erweitert das Beschränkungsverbot jedoch über die bisherige Rspr. hinaus100 auf die Entgegennahme von Anzeigen nach Vertragsschluss. Daraus folgt, dass die Parteien die Anzeige des Versicherungsfalls nur noch einer formularmäßigen Formvorschrift unterwerfen können, wenn der VR auf die Beteiligung eines Versicherungsvertreters verzichtet (Direktversicherer) oder ausdrücklich klarstellt, dass gegenüber dem Versicherungsvertreter auch eine mündliche Anzeige ausreicht. Eine strengere Form als die Textform können die Parteien eines Verbraucher-Versicherungsvertrags (e § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB) gem. § 309 Nr. 13 b) BGB formularmäßig ohnehin nicht mehr verabreden. 26 Haben die Parteien Schriftform verabredet, so reicht gem. § 127 Abs. 2 BGB auch ein via Telekommunikation übermitteltes Dokument, d.h. eine als E-Mail, Tele- oder Computerfax aufgesetzte Anzeige.101 Eine eigenhändige Unterschrift (§§ 127 Abs. 1, 126 Abs. 1 BGB) ist insoweit entbehrlich. Erforderlich ist allerdings, dass sich aus der Erklärung eindeutig ergibt, wer sie abgegeben hat102 und auf welches Versicherungsverhältnis sie sich bezieht. Reine Formfehler bleiben folgenlos, denn der VR erfährt auch durch eine formlose Anzeige 27 von dem Eintritt des Versicherungsfalls, so dass er sich auf eine vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen könnte (§ 30 Abs. 2). Eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB103 scheitert spätestens daran, dass dem VR dadurch, dass er nur mündlich, nicht schriftlich über den Eintritt des Versicherungsfalls informiert wird, kein Schaden entsteht. Er kann auch aufgrund mündlicher Mitteilungen mit der Feststellung des Schadens beginnen und ggf. erforderliche Rettungsmaßnahmen einleiten.

96 Dazu: AG Coburg 18.6.2009 – 15 C 378/09, SVR 2010 269. 97 A.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 30 Rn. 121; wie hier bereits Bruck/Möller/Möller8 § 34a Rn. 7. Bei der hier vertretenen Rechtsauffassung stellt sich nicht die Frage, ob § 32 Satz 1 lex specialis gegenüber § 309 Nr. 13 b) BGB oder § 309 Nr. 13 b) BGB lex posterior gegenüber § 32 Satz 1 ist (vgl. MüKoBGB/Wurmnest § 309 Nr. 13 Rn. 9 m.w.N.). 98 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 78; Hervorhebung des Verf. 99 BGH 11.11.1987, VersR 1988 234, unter 3c; BGH 10.2.1999 VersR 1999 565, 566, unter II.2. 100 BGH 10.2.1999, VersR 1999 565. 101 Allgemein: Palandt/Ellenberger § 127 Rn. 2. 102 Palandt/Ellenberger § 127 Rn. 2; BGH 21.2.1996, NJW-RR 1996 641. 103 Dazu: Rn. 49. Brömmelmeyer

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B. Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers (§ 30 Abs. 1 Satz 1)

VVG § 30

2. Inhalt und Umfang Der Anzeigepflichtige hat den VR von dem Eintritt des Versicherungsfalls in Kenntnis zu setzen. 28 Erforderlich ist also die Identifikation des Versicherungsverhältnisses – dafür reicht u.U. schon die Namens- oder Firmenangabe aus –, sowie die Mitteilung, dass durch ein bestimmtes Ereignis nach Einschätzung des Anzeigenden der Versicherungsfall eingetreten ist.104 Daraus folgt, dass praktisch nur die Nichtanzeige als Obliegenheitsverletzung qualifiziert werden kann105 und dass bspw. die in § 1 Abs. 3 BB-BUZ vorgesehene Mitteilung der Berufsunfähigkeit, unter der „nichts anderes zu verstehen ist, als die Anzeige des Versicherungsfalls“ i.S.v. § 30,106 keine Erhebung eines Leistungsanspruchs voraussetzt;107 vielmehr genügt „jede … Information des VR, die erkennen lässt, dass ein Versicherungsfall … tatsächlich oder nach den Vorstellungen des Mitteilers eingetreten ist“.108 Der VN darf sich allerdings nicht damit begnügen, den Eintritt des Versicherungsfalls abstrakt anzuzeigen („teile mit, dass ein Versicherungsfall eingetreten ist“); er muss vielmehr das konkrete Ereignis, d.h die wesentlichen, den Versicherungsfall begründenden Tatsachen anzeigen.109 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anzeige lediglich den Einstieg in einen strukturierten Informations- und Kommunikationsprozess ermöglichen soll (s.o.). Teilt der VN dem VR bspw. am Telefon mit, dass er gerade einen Unfall gehabt habe und seine Kfz-Versicherung in Anspruch nehmen müsse, so reicht das aus; der VR kann sofort einen Dialog beginnen und Rückfragen stellen – oder ein Schadensanzeigeformular verschicken, das der VN dann nicht mehr aufgrund seiner Anzeige-, sondern aufgrund seiner Auskunftsobliegenheit (§ 31) auszufüllen hat. Der VN braucht auch nicht sofort mitzuteilen, ob er die Kfz-Haftpflicht-, die Kfz-Kasko- oder beide Kfz-Versicherungen in Anspruch nehmen will;110 auch diese Frage lässt sich ggf. im Dialog mit dem VR beantworten. Lässt der VR eine ungenaue Anzeige auf sich beruhen ohne gebotene Rückfragen zur eindeutigen Identifikation des Versicherungsverhältnisses oder zur Klärung des angezeigten Versicherungsfalls zu stellen, so verstieße er gegen Treu und Glaube (§ 242 BGB), wenn er sich später darauf beriefe, dass der VN den Versicherungsfall nicht unverzüglich angezeigt habe.

3. Empfangszuständigkeit Die Anzeige hat gegenüber einer zur Entgegennahme vom VR ermächtigten und damit emp- 29 fangszuständigen Person zu erfolgen.111 Der Versicherungsvertreter ist ohne weiteres als Empfangsvertreter anzusehen: Er gilt gem. § 69 Abs. 1 Nr. 2 als bevollmächtigt, die während der Dauer des Versicherungsverhältnisses zu erstattenden Anzeigen vom VN entgegenzunehmen.112 Die Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters, die früher auch formularmäßig begrenzt werden konnte,113 kann ausweislich § 72 VVG nur noch durch Individualvereinbarung eingeschränkt werden.

104 A.A. Grimm Nr. 7 AUB Rn. 7 (angebliche Pflicht, auch die Begleitumstände in ihren wesentlichen Punkten vollständig und wahrheitsgemäß zu schildern). 105 So Heiss/Lorenz § 33 Rn. 2, unter Berufung auf OGH 26.6.1986, VersR 1987 1255 und OGH 29.10.1987, VersR 1988 1036, und im Hinblick auf die Parallelvorschrift des § 33 ÖVVG; vgl. auch: BGH 22.10.1968, VersR 1969 58, 59. 106 OLG Saarbrücken 3.5.2006, VersR 2007 780, 783. 107 OLG Saarbrücken 3.5.2006, VersR 2007 780, 783. 108 OLG Saarbrücken 3.5.2006, VersR 2007 780, 783. 109 Ähnlich: Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 23 (Mitteilung der wesentlichen, den Versicherungsfall begründenden Tatsachen); Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 5 (Art und Gewicht des Versicherungsfalls in groben Umrissen). 110 Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 24. 111 Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 6; Rühl Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht S. 298. 112 Dazu: LG Frankfurt (Oder) 11.1.2016 – 16 S 98/15, NJW-RR 2016 1005, 1006. 113 BGH 10.2.1999 NJW 1999 1633. 349

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Anzeige des Versicherungsfalls

4. Zeitpunkt (unverzüglich) 30 Mit dem Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ knüpft § 30 an die Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB an, die darunter ein Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“, nicht aber ein sofortiges Handeln versteht.114 Fristenregelungen im Besonderen Teil (§§ 92, 110, 153, 171 a.F.), die den Begriff der Unverzüglichkeit verdrängen könnten, hat der Gesetzgeber (2008) weitgehend aufgegeben, weil er auf eine gesetzliche Regelung der entsprechenden Versicherungszweige ganz (Hagelversicherung) oder teilweise (Feuerversicherung) verzichtet hat. Lediglich in der Haftpflichtversicherung (vgl. § 104 Abs. 1 [innerhalb einer Woche] und Abs. 2 [unverzüglich]) ist es bei der bisherigen Regelung geblieben. Die Frage, ob der VN den Eintritt des Versicherungsfalls unverzüglich angezeigt hat, richtet sich nach den Umständen im konkreten Einzelfall; allgemeine Mindestreaktionsfristen sind abzulehnen.115 31 In der Schmuckversicherung ist die Anzeige eines Ringverlustes erst nach neun Tagen (vier Tage nach Rückkehr aus dem Urlaub) nicht mehr unverzüglich.116 In der Lebens- und Unfallversicherung ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Eintritt des Versicherungsfalls mit einer erheblichen psychischen Belastung des Anzeigepflichtigen einher gehen kann;117 andererseits wiegt aber auch, dass der VR auf umgehende Ermittlungen angewiesen ist: Hat der VN den (vermeintlichen) Unfall seiner Ehefrau erst nach 8 Tagen und damit erst am Tage nach ihrer Beerdigung angezeigt, und hat er dadurch „Feststellungen zum tödlichen ,Unfall‘ erheblich erschwert und teilweise auch vereitelt“, so ist eine Obliegenheitsverletzung zu bejahen.118 Die Grenze der Unverzüglichkeit ist in der Unfallversicherung auch dann überschritten, wenn der Versicherte erst nach langer Zeit (konkret: Unfall am 11.4.2001, Unfallanzeige am 10.3.2002) dem VR einen Unfall meldet, obwohl er während dieser Zeit aufgrund dauernder und sich nicht bessernder Schmerzen in ärztlicher Behandlung war.119 Hat ein VN einen Wildunfall in der KfzKaskoversicherung am nächsten Morgen angezeigt, so ist das unverzüglich; auf die Schadensmeldung bei der Polizei kommt es insoweit nicht an.120 Haben die Parteien bestimmte Fristen vereinbart (s. nur: E.1.1.1 AKB 2015 in der Fassung vom 12.10.2017: 1 Woche), so kommt es grundsätzlich auf die Einhaltung der Frist an – und im Hinblick auf § 28 Abs. 2 darauf, ob der VN die Nichteinhaltung dieser Frist zu vertreten hat; ggf. muss er substantiiert vortragen, warum er bspw. imstande gewesen ist, trotz Depression selbst mit dem versicherten Kfz nach Italien zu fahren, wegen dieser Depression aber außerstande gewesen sein will, den VR anzurufen und über einen Unfall zu informieren.121 32 Der VN kann sich nicht mit dem Hinweis darauf entschuldigen, dass er nichts von der Anzeigepflicht gewusst habe. Armbrüster geht im Hinblick auf die Irrtumsanfechtung (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zwar davon aus, dass eine Verzögerung wegen Rechtsunkenntnis nicht unbedingt schuldhaft sein müsse, betont aber, dass insoweit ein strenger Maßstab anzulegen sei.122 Dementsprechend ist auch von dem VN zu erwarten, dass er – in Kenntnis des Versicherungsfalls [!] – umgehend in dem Produktinformationsblatt (§ 4 Abs. 2 der Informationspflichtenverordnung [VVG-InfoV]) – oder in den sonstigen, ihm überlassenen Unterlagen nachschlägt, um seine Rechte und Pflichten nach Eintritt des Versicherungsfalls zu ermitteln. 114 MüKoBGB/Armbrüster § 121 Rn. 7; Berliner Kommentar/Dörner § 30 Rn. 15; AG Kaiserslautern 11.12.2015 – 4 C 575/13, BeckRS 2016 7148.

115 Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 29, mit der Kritik an der (insoweit allerdings unklaren) Entscheidung des OLG Rostock 16.7.2007, VersR 2008 72, 74 (in der Regel eine Frist bis zur Obergrenze von zwei Wochen?). 116 OLG Köln 14.6.2005, VersR 2005 1431. 117 Vgl. RG 6.12.1912, LZ 1913 314. 118 OLG Celle 22.6.1988, VersR 1989 944, 945. 119 OLG Köln 21.12.2007 VersR 2008 528 (LS); OLG Celle 31.10.1996, VersR 1997 690; s.auch: OLG Nürnberg 30.11.2009, BeckRS 2011 3394. 120 AG Kaiserslautern 11.12.2015 – 4 C 575/13, BeckRS 2016 7148. 121 AG Potsdam 1.3.2011 – 21 C 246/10, BeckRS 2011 8293. 122 MüKoBGB/Armbrüster § 121 Rn. 8; RG RGZ 152 22, 232 f. Brömmelmeyer

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C. Die Anzeigepflicht Dritter (§ 30 Abs. 1 Satz 2)

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Das Kriterium der Unverzüglichkeit bezieht sich darauf, dass der VN die Anzeige rechtzeitig 33 absendet;123 ein schuldhaftes Zögern kommt allerdings auch dann in Betracht, wenn der VN einen Brief sofort absendet, ihn jedoch falsch adressiert, unzureichend frankiert oder sonst dafür verantwortlich ist, dass der Brief den (richtigen) Empfänger nicht rechtzeitig erreicht. Die Literatur124 hat ihre Rechtsauffassung, die Anzeige brauche nur rechtzeitig abgesandt 34 zu werden, teils mit einem „allgemeinen Prinzip“ begründet, das in den §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 110 Abs. 1 Satz 2, 153 Abs. 3 und 171 Abs. 1 Satz 2 a.F. zum Ausdruck komme,125 oder sie hat die entsprechenden Regeln analog angewandt.126 Trotz der Tatsache, dass aus dem Kanon der genannten Rechtsvorschriften nur die Regelung für die Haftpflichtversicherung erhalten geblieben ist (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 119), bleibt diese Rechtsauffassung richtig: Hat der VN den Brief an den VR (rechtzeitig) bei der Post aufgegeben, so hat er auf den weiteren Transport keinen Einfluss mehr.127 Eine etwaige Verzögerung während des Transports hat er persönlich also nicht verschuldet. Dementsprechend ist es im Interesse der Effektivität des Versicherungsschutzes vertretbar, das Verzögerungsrisiko – nicht aber das Zugangsrisiko (s.u.) – ausnahmsweise auf den Empfänger (VR) zu verlagern. Dieser Rechtsgedanke kommt allerdings nicht zum Tragen, wenn der Absender einen unzuverlässigen Übermittlungsweg wählt.128 Nur solche Risiken, die der Absender nicht beherrschen oder beeinflussen kann, können ihn von seiner Verantwortung für die rechtzeitige Information des Empfängers entlasten.129 Trotz rechtzeitiger Absendung liegt eine Obliegenheitsverletzung vor, wenn die Anzeige 35 dem VR nicht zugeht,130 bspw. weil sie unterwegs abhanden gekommen ist. Die Beweislast trifft den VR.131

C. Die Anzeigepflicht Dritter (§ 30 Abs. 1 Satz 2) Leistungsberechtigter Dritter ist, wer Inhaber eines eigenen Rechtsanspruchs auf die Leistung 36 des Versicherers ist, ohne Partei des Versicherungsvertrags zu sein. Das ist der Fall bei dem Versicherten in der Versicherung für fremde Rechnung,132 bei dem Bezugsberechtigten in der Lebens- und Unfallversicherung (§§ 159 f., 182) und beim Zessionar.133 Die Einbeziehung Dritter trägt insb. der Tatsache Rechnung, dass die Risikoverwaltung in der Versicherung für fremde Rechnung oft in den Händen des Begünstigten liegt. Die Anzeigepflicht des Dritten tritt neben, nicht an die Stelle der Anzeigepflicht des VN. Besonderheiten im Hinblick auf Entstehung, Inhalt und Umfang der Anzeigepflicht beste- 37 hen nicht; auch wenn es sich aus § 30 Abs. 1 Satz 2 nicht eindeutig ergibt, ist auch der Dritte 123 Allg. Meinung: Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 15; Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 7; Wohlthat VersR 2019 549, 553; OLG Köln 16.8.1994 VersR 1995 567 (Haftpflichtversicherung); vgl. auch: OLG Hamm 3.11.1989, VersR 1991 49, 50 (im Hinblick auf die Rücksendung eines Schadensanzeigeformulars in der Feuerversicherung); OLG Hamm 18.5.1988, RuS 1988 302 (Leitungswasserversicherung) mit Blick auf § 15 Abs. 2 VGB 62; ablehnend: Niewerth/ Vespermann VersR 1995 1290, 1291; vgl. auch: OLG Nürnberg 22.12.1967 VerBAV 1969 180. 124 S.o. 125 Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 8. 126 Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 15. 127 Vgl. auch: Staudinger/Singer § 121 Rn. 11, mit Blick auf die Irrtumsanfechtung. 128 Vgl. Staudinger/Singer § 121 Rn. 11, mit Blick auf § 121 Abs. 1 Satz 2 BGB. 129 Staudinger/Singer § 121 Rn. 11. 130 § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB analog; ebenso wohl auch: Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 8, 22; OLG Celle 10.6.2010, VersR 2010 1486; vgl. auch RG 6.12.1912, LZ 1913 314 im Hinblick auf die Todesanzeige in der Unfallversicherung: „Die entschuldbare Unterlassung sofortiger telegraphischer Anzeige … befreit nicht von der Anzeige überhaupt“. 131 Dazu Rn. 54. 132 §§ 43 ff. VVG; vgl.: RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 133 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 351

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Anzeige des Versicherungsfalls

nur verpflichtet, den Versicherungsfall anzeigen, „wenn er von ihm Kenntnis erlangt hat“ (Satz 1). Dann allerdings ist auch er verpflichtet, den Versicherungsfall unverzüglich anzuzeigen.134

D. Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung 38 Im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung kommen Leistungsfreiheit oder -kürzung135 und eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB136 in Betracht. Leistungsfreiheit oder -kürzung treten nicht von selbst (ipso iure) ein. Der VR muss die Leistung vielmehr (ganz oder teilweise) verweigern und sich zur Begründung (für den VN klar erkennbar) auf die Obliegenheitsverletzung berufen (e § 30 Abs. 2).137 Eine Rücktrittsvereinbarung wäre unwirksam (§ 28 Abs. 5).

I. Leistungsfreiheit oder -kürzung (§ 30 Abs. 2) 39 Typische Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung sind Leistungsfreiheit oder -kürzung,138 die unabhängig davon eintreten, ob dem VR ein Schaden entstanden ist oder nicht.139 Der Gesetzgeber140 geht allerdings davon aus, dass Leistungsfreiheit – und/oder Leistungskürzung – nur im Falle einer Anzeigepflichtverletzung durch den VN vereinbart werden kann und dass „sich bei schuldhafter Verletzung der Anzeigepflicht des Dritten [nur] … ein Schadensersatzanspruch nach allgemeinem Recht gegen den Dritten ergeben“ könne.141 Das ist die Erklärung dafür, dass sich die Einschränkung in § 30 Abs. 2 – Die Leistungsfreiheit entfällt, wenn der VR „auf andere Weise vom Eintritt des Versicherungsfalls rechtzeitig Kenntnis erlangt hat“ – nur auf § 30 Abs. 1 Satz 1 bezieht. Eine Erklärung dafür, dass Leistungsfreiheit zu Lasten Dritter ausscheiden soll, bleibt die Bundesregierung allerdings schuldig. Im Bericht der Kommission142 ist davon nicht die Rede. Bisher gingen Rspr.143 und Literatur144 auch davon aus, dass eine Obliegenheitsverletzung Dritter Leistungsfreiheit nach sich ziehen kann. Evtl. ging die Bundesregierung davon aus, dass man die Anzeigepflicht zwar gesetzlich auf den Dritten ausdehnen, dass die Leistungsfreiheit als vertragliche Sanktion jedoch nur zu Lasten des Vertragspartners, nicht aber zu Lasten des Dritten vereinbart werden kann, weil andernfalls ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter vorläge.145 Das wäre jedoch ein Missverständnis. Ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter scheidet aus, weil der Dritte allenfalls die ihm eingeräumte Begünstigung wieder verliert.146 Dementsprechend ist § 30 Abs. 2 auf Absatz 1 Satz 2 analog anzuwenden.147 40 Die Regelungen in §§ 30 Abs. 2 und 28 Abs. 3 überschneiden sich: Hat der VR im Sinne von § 30 Abs. 2 „auf andere Weise vom Eintritt des Versicherungsfalles rechtzeitig Kenntnis erlangt“, 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Rn. 39. Rn. 49. BGH VersR 2005 493, unter 1 a); s. auch: Wohlthat RuS 2019 549, 550. Vgl. §§ 33 Abs. 2, 28 Abs. 2 VVG; auf der Basis des alten Rechts zuletzt: OLG Köln 27.6.2006, VersR 2007 351. Std. Rspr. seit RG RGZ 127 367, 369. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, S. 319 f. BGH 15.11.1978, VersR 1979 176, mit Blick auf die Fremdversicherung. Schirmer FS Reimer Schmidt (1976) 821, 826 ff., 843; hinsichtlich der Lebensversicherung; Grimm3 Nr. 12 AUB Rn. 8, und Bruck/Möller/Wagner Bd. VI 1 Anm. F 42, hinsichtlich der Unfallversicherung. 145 Begriff: Palandt/Grüneberg Einf. v. § 328 Rn. 10. 146 Vgl. Schirmer FS Reimer Schmidt (1976) 821, 840. 147 Dagegen: Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 55. Brömmelmeyer

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D. Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung

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so kann der VN auch den Kausalitätsgegenbeweis gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 führen – es sei denn, er hätte im Sinne von Satz 2 arglistig gehandelt. Wandt148 will § 30 Abs. 2 aufgrund der in § 28 Abs. 3 Satz 2 getroffenen grundsätzlichen Entscheidung teleologisch so reduzieren, dass er im Falle der Arglist nicht zur Anwendung kommt. Es gebe keinen plausiblen Grund, die arglistige Verletzung der Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungsfalls, bspw. um eine für den VN nachteilige Beweiserhebung oder Beweissicherung zu vereiteln, gegenüber anderen arglistigen Obliegenheitsverletzungen besserzustellen.149 Damit hätte § 30 Abs. 2 – wie auch Wandt selbst einräumt – „neben § 28 Abs. 3 keine eigenständige Bedeutung“ mehr. Dass die Vorschrift (im Rahmen der VVG-Reform 2008) gleichwohl beibehalten wurde, erklärt Wandt mit einem Redaktionsversehen; es sei anzunehmen, dass dem Reformgesetzgeber die Verknüpfung zwischen § 30 Abs. 2 und § 28 Abs. 3 entgangen sei.150 Methodisch gesehen ist eine teleologische Reduktion, die der reduzierten Rechtsnorm jede eigenständige Bedeutung nimmt, sicher angreifbar. Einzuräumen ist jedoch, dass der Gesetzgeber ein „allgemeines System“ und ein „weitgehend einheitliches Regime von Rechtsfolgen“ vertraglicher Obliegenheitsverletzungen schaffen wollte, und dass er im Hinblick auf die „Grundsätze dieses Systems“ selbst ausgeführt hat, dass „betrügerisches Verhalten des VN vor und nach dem Versicherungsfall …, auch wenn es nicht kausal geworden ist, zur Leistungsfreiheit führt“.151 Dass sollte auch für die betrügerische Nichtanzeige des Versicherungsfalls gelten. Einzuräumen ist außerdem, dass die generalpräventiven Motive, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, den Kausalitätsgegenbeweis gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG bei Arglist zu versagen (Satz 2),152 auch bei arglistiger Nichtanzeige eines Versicherungsfalls zum Tragen kämen. Daher ist Wandt zu folgen.

1. Parteivereinbarung Leistungsfreiheit oder -kürzung setzen eine entsprechende Parteivereinbarung voraus. In den 41 Musterbedingungen ist typischerweise Leistungsfreiheit vorgesehen (vgl. nur Abschnitt B, § 8 Nr. 2 AFB 2008; Abschnitt B, § 8 Nr. 2 FBUB 2008; Abschnitt B, § 8 Nr. 2 AERB 2008; Nr. 8 AUB 2008; anders vor allem § 11 Abs. 2 ALB 2008). Leistungsfreiheit kommt nur noch bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung in Betracht (§ 28 Abs. 2 Satz 1 VVG), während eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung allenfalls Leistungskürzungen rechtfertigt.153 Könnte eine Klausel im Sinne einer Ausschlussfrist oder als Anzeigeobliegenheit i.S.d. §§ 30 Abs. 1, 28 Abs. 2 bis 4 zu verstehen sein, so ist objektiv, auf der Grundlage des Empfängerhorizontes zu entscheiden, wie der durchschnittliche Versicherte ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die Klausel versteht;154 sicherzustellen ist, dass es nicht zu einer Umgehung der §§ 30, 28 kommt.155

2. Qualifiziertes Verschulden a) Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung (§ 28 Abs. 2 Satz 1). 42 Leistungsfreiheit setzt voraus, dass der VN den ihm bekannten156 Versicherungsfall bewusst, 148 Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 49; zust.: Wohlthat RuS 2019 549, 555; im Ergebnis ebenso: Langheid/Rixecker § 30 Rn. 14. Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 49. Siehe aber: RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70 („ist die Regelung des § 28 Abs. … 3 VVG-E anzuwenden“). RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49 (unter 4. „Aufgabe des Alles-oder-nichts-Prinzips“). RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. Im Einzelnen: Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 5. LG Saarbrücken 14.5.2004 – 14 T 3/14, VersR 2014 1197. Klimke VersR 2010 290. Rn. 19 bis 21.

149 150 151 152 153 154 155 156 353

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d.h. in Kenntnis der Anzeigepflicht nicht rechtzeitig angezeigt hat.157 Eventualvorsatz reicht aus.158 Eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht setzt voraus, dass der VN die Verhaltensnorm, aus der die Obliegenheit folgt, positiv kennt. Insoweit genügt bedingter Vorsatz, der nach allgemeinen Regeln vorliegt, wenn der VN die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt, also nicht ernsthaft darauf vertraut, dass der Erfolg ausbleiben werde.159 Feststeht, dass keine Vermutung für eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht spricht; vielmehr hat der VR diese gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 zu beweisen.160 Das LG Saarbrücken geht sogar von einer Vermutung gegen den Vorsatz aus: Kein Versicherter wolle sich durch willentliches Unterlassen der gebotenen Anzeige seines Versicherungsschutzes begeben.161 Das trifft wohl nicht zu, weil der (arglistige) VN im Regelfall darauf setzen wird, dass die Anzeigepflichtverletzung unentdeckt bleibt.

43 b) Leistungskürzung bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung (§ 28 Abs. 2 Satz 2). Im Falle grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzungen ist der VR berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen (§ 28 Abs. 2 Satz 2 VVG). Grob fahrlässig handelt, wer schon einfachste und ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste.162 Das ist bspw. in der Unfallversicherung der Fall, wenn der VN den angeblichen Unfall trotz erheblicher Beschwerden nicht anzeigt163 und in der Firmen-Immobilienversicherung, wenn der VN den Leitungswasserschaden vollständig reparieren lässt und erst danach anzeigt: Das LG Frankfurt am Main hat in diesem Falle eine Leistungskürzung in Höhe von mindestenes 60 % für zulässig gehalten.164 Grob fahrlässig handelt ein VN, der zugleich Versicherungsmakler ist, auch, wenn er die Anzeige absendet, sich „nach Verstreichen einiger Wochen ohne irgendeine Antwort oder Reaktion“ des VR jedoch nicht nach ihrem Verbleib erkundigt.165 44 Die Beweislast für das Fehlen grober Fahrlässigkeit trägt der VN.166 Die konkrete Kürzungsquote ist in einem Urteil zu begründen.167

3. Kausalität (§ 28 Abs. 3) 45 Leistungsfreiheit tritt gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 nicht ein, „soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist.“ Das gilt allerdings nicht, wenn der VN die Obliegenheit arglistig verletzt hat (Satz 2). In Fällen, in denen der VR auf andere 157 Im Einzelnen: Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 170; aus der Rspr.: OLG Düsseldorf 27.9.1988, VersR 1990 411; OLG Saarbrücken 22.8.1990, VersR 1991 872.

158 Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 170. 159 OLG Hamm 21.6.2017, RuS 2017 466 Rn. 12, unter Berufung auf Prölss/Martin/Armbrüster29 § 28 Rn. 188; BGH 3.10.1979, VersR 1979 1117 Rn. 29 (juris); OLG Saarbrücken 12.7.2006, VersR 2007 532, Rn. 15 (juris); OLG Naumburg 29.4.2004, VersR 2004 1172, Rn. 28 (juris); OLG Frankfurt 1.11.1996, OLGR Frankfurt 1997 14, Rn. 16 (juris); OLG Düsseldorf 16.8.1994, VersR 1995 1301 Rn. 11 = RuS 1994 404. 160 OLG Hamm 21.6.2017, RuS 2017 466 Rn. 114, unter Berufung auf Prölss/Martin/Armbrüster29 § 28 Rn. 193, und Bruck/Möller/Heiss9 § 28 VVG Rn. 233. 161 Dafür: LG Saarbrücken 14.5.2004 – 14 T 3/14, VersR 2014 1197, unter Berufung auf BGH 8.1.1981, VersR 1981 321. 162 BGH 13.12.2004, NJW 2005 981; vgl. auch: Palandt/Grüneberg § 277 Rn. 5. 163 OLG Köln 21.12.2007, VersR 2008 528 (LS), auf der Basis von § 9 f. AUB 88. 164 LG Frankfurt am Main 14.2.2014, RuS 2015 75 mit kritischer Anm. Felsch. 165 OLG Oldenburg 8.4.2013 – 5 U 3/13 (juris). 166 Im Einzelnen: Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 235. 167 Felsch RuS 2015 75, 77. Brömmelmeyer

354

D. Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung

VVG § 30

Weise als durch die Anzeige rechtzeitig vom Eintritt des Versicherungsfalls erfahren hat, fehlt es an der Kausalität. § 30 Abs. 2, der die Inanspruchnahme von Leistungsfreiheit oder -kürzung in diesen Fällen ausschließt, wirkt sich so gesehen also nur bei Arglist aus. § 30 Abs. 2 ist insoweit jedoch teleologisch zu reduzieren,168 ihm kommt also gegenüber § 28 Abs. 3 keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Eine Herabsetzung des Krankentagegelds wegen grob fahrlässig verspäteter Anzeige des Versicherungsfalls scheidet gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 aus, wenn der VN nachweisen kann, dass dem VR keine Feststellungsnachteile erwachsen sind; eine bloße Beeinträchtigung des Feststellungsverfahrens ist unschädlich, so dass der VR zur Leistung verpflichtet bleibt, wenn er seine Leistungspflicht für den maßgeblichen Zeitraum anerkannt hat und lediglich vorträgt, dass eine ggf. vorgenommene Kontrolluntersuchung möglicherweise zu abweichenden Erkenntnissen geführt hätte.169 Leistungsfreiheit tritt generell nicht ein, wenn alle durch die Verzögerung der Schadensanzeige begründeten Nachteile ausgegelichen sind, wenn also die Beweislage des VR zum Zeitpunkt ihres (verspäteten) Eingangs mit der vorher bestehenden identsich ist.170 Lässt der VN in der Kfz-Kaskoversicherung des Unfallschaden des versicherten Fahrzeugs noch vor der Schadensanzeige reparieren und vereitelt er so jegliche Feststellungen zu Ursache und Ausmaß des Unfallschadens, ist der Kausalitätsgegenbeweis nicht zu führen.171

4. Entbehrlichkeit der Belehrung Eine Belehrungspflicht des VR (§ 28 Abs. 4) scheidet aus: In Unkenntnis des Versicherungs- 46 falls kann der VR den VN nicht darauf hinweisen, dass er nunmehr den Versicherungsfall anzuzeigen habe.

5. Fehlende Kenntnis des Versicherers Hat der VR auf andere Weise als durch die (rechtzeitige) Anzeige des VN vom Eintritt des Versi- 47 cherungsfalls erfahren, so kann er sich nicht auf Leistungsfreiheit und/oder -kürzung berufen (§ 30 Abs. 2); unter die Formulierung „nicht zur Leistung verpflichtet“ fällt auch die Leistungskürzung gem. § 28 Abs. 2 Satz 2. Entgegen der noch von Möller172 vertretenen Rechtssauffassung ist die fehlende Kenntnis des VR keine Voraussetzung der Anzeigepflicht. Daher entfällt diese auch nicht, wenn der VR in anderer Weise von dem Eintritt des Versicherungsfalls rechtzeitig Kenntnis erlangt.173 Dagegen spricht vor allem, dass § 30 Abs. 2 ausdrücklich an die Rechtsfolge, nämlich an die (vollständige oder teilweise) Leistungsfreiheit anknüpft. Kenntnis setzt positive Kenntnis voraus. Fahrlässige Unkenntnis (§ 122 Abs. 2 BGB) reicht 48 nicht aus. Den VR trifft keine Erkundigungspflicht. Das gilt auch dann, wenn sich der Eintritt des Versicherungsfalls geradezu aufdrängt. In den Motiven des VVG 1908 hieß es dazu: „Voraussetzung dieser Vorschrift ist, dass der VR eine zuverlässige Nachricht von dem Versicherungsfall erhalten hat; es genügt nicht, dass Umstände vorliegen, welche die Vermutung vom Eintritt des Versicherungsfalls nahelegen, namentlich ist die Bestimmung bei der Hagelversicherung nicht schon dann anwendbar, wenn der VR erfahren hat, dass in dem Bezirk in welchem die Felder

168 Hier: Rn. 40. 169 OLG Saarbrücken 23.10.2019 – 5 U 19/19, NJW-RR 2020 224. 170 OLG Saarbrücken 23.10.2019 – 5 U 19/19, NJW-RR 2020 224 und 19.6.2019 5 U 99/18 VersR 2019, 1289, jeweils mwN. zur BGH-Rspr. vor der VVG-Reform. 171 OLG Hamm 21.6.2017 – 20 U 42/17, RuS 2017 466. 172 Bruck/Möller/Möller8 § 33 Anm. 10. 173 Bruck/Möller/Möller8 § 33 Anm. 10. 355

Brömmelmeyer

§ 30 VVG

Anzeige des Versicherungsfalls

des VN liegen, ein Hagelschlag stattgefunden hat“.174 Daran ist festzuhalten. Rechtzeitig Kenntnis erlangt hat der VR, wenn er im Hinblick auf die mögliche Schadensabwendung und –minderung (s. nur: § 82 Abs. 2) sowie die Prüfung seiner Leistungspflicht rechtzeitig reagieren konnte.175 Dabei kommt es nicht darauf an, von wem der VR von dem Eintritt des Versicherungsfalls erfahren hat.176

II. Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 BGB) 49 Im Einzelfall kann der VR Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB verlangen. In Rspr. und Literatur ist diese Frage umstritten.177 Dafür spricht insb. die Entstehungsgeschichte der Norm: Bereits die Motive (1908) gingen davon aus, dass dem VR im Falle einer Verletzung der Anzeigepflicht ein aufrechenbarer „Entschädigungsanspruch … nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ zustehe.178 Es ist keineswegs unzulässig, mit den Motiven zu § 33 VVG a.F. zu argumentieren,179 denn § 30 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 stimmt laut Begründung „in der Sache“ bzw. „inhaltlich“ mit § 33 a.F. überein.180 Für eine mögliche Haftung auf Schadensersatz spricht auch die Interessengerechtigkeit der Rechtsfolge: Die Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB ist adäquat, wenn durch die verspätete oder ausgebliebene Anzeige Mehrkosten bei der Tatsachenerhebung oder aufgrund ausgebliebener Rettungsmaßnahmen entstehen. Muss bspw. in der Lebensversicherung eine Leiche exhumiert werden, um die Todesursache zu klären, so kann der verspätet informierte VR die Mehrkosten als Schaden liquidieren, wenn die Obduktion bei rechtzeitiger Todesanzeige auch ohne Exhumierung hätte erfolgen können. Im Hinblick auf leistungsberechtigte Dritte hält die Bundesregierung181 eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB auch ausdrücklich für möglich. Die „Rechtsnatur“ der Obliegenheit, über die der Reformgesetzgeber bewusst nicht entschieden hat, steht der Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB wie bereits erläutert182 nicht entgegen (str.). Die ganz herrschende Lehre geht stattdessen davon aus, das eine Haftung auf Schadensersatz nur in Betracht kommt, wenn ein Dritter die Anzeigepflicht verletzt.183 Dabei soll zu beachten sein, dass ein (Mit-)Versicherter in der Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff.) die vertraglichen Obliegenheiten in gleicher Weise wie der VN zu beachten habe (vgl. § 47 Abs. 1); insoweit sei allein § 28 anwendbar.184 Die Anwendung des § 280 Abs. 1 BGB komme nur in Betracht, wenn den Dritten keine eigene vertragliche Anzeigepflicht treffe, d.h. dann, wenn der VN seinen Leistungsanspruch nach Vertragsschluss isoliert an einen Dritten abgetreten habe.185 Davon ist in der Begründung allerdings nicht die Rede. 50 Eine Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB sollte nach der hier in der 9. Aufl. vertretenen Rechtsauffassung eine vorsätzliche Pflichtverletzung voraussetzen; andernfalls, so die These, gefährdete man die u.a. in §§ 28, 81 angelegte Privilegierung des nur einfach oder grob fahrlässig handelnden VN.186 Wandt hat dem mit Recht entgegen gehalten, dass § 28 Abs. 2 auch den grob fahrläs174 Motive S. 105. 175 Ähnlich: Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 48 (rechtzeitig, d.h. so frühzeitig, dass dem VR aus der Obliegenheitsverletzung kein Nachteil entstanden ist); zur früheren Rechtslage: OLG Hamm, VersR 1967 747, 749. 176 Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 47. 177 Dafür: Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 34; sehr skeptisch: Langheid/Rixecker/Rixecker § 30 Rn. 11, mit dem Hinweis auf die Rechtsnatur der Anzeigepflicht. 178 Motive S. 104. 179 So aber Langheid/Wandt/Langheid § 30 Rn. 8 (Fn. 16). 180 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 181 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 182 Rn. 11 bis 13. 183 Langheid/Wandt/Langheid § 30 Rn. 8 (Fn. 16); Looschelders FS Lorenz (2014) 281, 295. 184 Looschelders FS Lorenz (2014) 281, 295. 185 Looschelders a.a.O. 186 Siehe nur: RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49: „Einfach fahrlässig verursachte Verstöße bleiben folgenlos“. Brömmelmeyer

356

E. Abdingbarkeit

VVG § 30

sigen VN privilegiere.187 Dementsprechend kommt ein Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB auch bei grob fahrlässiger Pflichtverletzung in Betracht – und ist in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Berücksichtigt man, dass (1) den VR im Hinblick auf § 280 Abs. 1 BGB die Behauptungs- 51 und Beweislast für die Pflichtverletzung, für Schaden und Kausalität trifft, während er im Hinblick auf eine etwaige Leistungsfreiheit oder -kürzung nur den Tatbestand der Obliegenheitsverletzung behaupten und beweisen muss, und dass (2) die Haftung über § 280 Abs. 1 BGB insb. verglichen mit vollständiger Leistungsfreiheit harmloser erscheint – in der Regel wird der VN imstande sein, den durch die verspätete oder unterlassene Anzeige verursachten Schaden mithilfe eines Teils der Versicherungsleistung auszugleichen – so löst der Rückgriff auf § 280 Abs. 1 BGB kein übertriebenes Haftungsrisiko aus; vielmehr entlastet er das Risikokollektiv von vorsätzlich bzw. grob fahrlässig verursachten (vermeidbaren) Regulierungskosten. Bei Kenntnis des VR188 entfällt die Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB zwar nicht gem. § 30 52 Abs. 2 – ein Rückgriff auf § 30 Abs. 2 analog (hier Rn. 39) ist hier ausgeschlossen, weil eine Regelungslücke nur im Hinblick auf die ggf. gem. § 30 Abs. 2 analog auszuschließende Leistungsfreiheit oder -kürzung im Falle einer Anzeigepflichtverletzung besteht189 – und nicht im Hinblick auf die Haftung aus Schadensersatz; sie entfällt jedoch, weil der VR, der – wie auch immer – rechtzeitig von dem Eintritt des Versicherungsfalls erfährt, unverzüglich mit der Tatsachenerhebung beginnen bzw. Rettungsmaßnahmen einleiten kann. Bei Kenntnis entsteht also kein Schaden.

E. Abdingbarkeit § 30 Abs. 1 fällt nicht unter die in § 32 Satz 1 aufgeführten halbzwingenden Vorschriften. Daraus 53 folgt, dass die Parteien die Anzeigepflicht des VN grundsätzlich – unter Beachtung der §§ 307 ff. BGB – verschärfen können. Ein Formerfordernis wäre allerdings nur unter Beachtung der aus §§ 69 Abs. 1 Nr. 2, 72 sowie aus § 309 Nr. 13 b) BGB fließenden Einschränkungen möglich190 und könnte auch nicht mit der Rechtsfolge der Leistungsfreiheit verknüpft werden, weil der BGH § 30 Abs. 2 für unabdingbar hält:191 Der VR könne sich nicht darauf berufen, dass er eine schriftliche Anzeige des Versicherungsfalls erst nach Fristablauf erhalten habe. Denn die gesetzliche Regelung (heute: § 30 Abs. 2) sei zwingend und gehe der vertraglich vereinbarten Schriftform mit der Folge vor, dass die nicht fristgemäß gewahrte Schriftform unschädlich sei.192 Dem ist grundsätzlich zu folgen, denn mit Blick auf seinen Normzweck ist § 30 Abs. 2 – angelehnt an die früheren §§ 34a, 33 Abs. 2 – nur ungeschickt formuliert: Er soll ja nicht nur verhindern, dass sich der VR trotz Kenntnis auf die vereinbarte Leistungsfreiheit beruft, sondern auch, dass die Parteien Leistungsfreiheit trotz Kenntnis vereinbaren. Beide Fälle sind gleich zu behandeln, weil die Nichtanzeige bei Kenntnis in keinem der beiden Fälle ein berechtigtes Interesse des VR gefährdet. Genau genommen ist § 30 Abs. 2 allerdings nur halbzwingend,193 denn die Parteien können ohne weiteres auf Leistungsfreiheit verzichten oder weitere Fälle regeln, in denen die Leistungspflicht erhalten bleiben soll.

187 Langheid/Wandt/Wandt § 39 Rn. 8. 188 Rn. 47 f. 189 Insoweit zutreffend: Langheid/Wandt/Langheid § 30 Rn. 55, der meine Kommentierung in Rn. 49 zu Unrecht auf die Haftung auf Schadensersatz bezieht.

190 Hier: Rn. 25. 191 BGH 9.12.1965, VersR 1966 153, 154, noch anhand von § 33 VVG a.F.; siehe auch: OLG Köln 19.8.1997, VersR 1998 1105; OLG Hamburg 30.3.1982, VersR 1982 1161; Berliner Kommentar/Dörner § 34a Rn. 3. 192 BGH 9.12.1965, VersR 1966 153, 154. 193 A.A.: Prölss/Martin/Armbrüster § 30 Rn. 26 (dispositiv); Langheid/Wandt/Wandt § 30 Rn. 1 (zwingend). 357

Brömmelmeyer

§ 30 VVG

Anzeige des Versicherungsfalls

F. Beweislastverteilung 54 Beruft sich der VR auf Leistungsfreiheit oder -kürzung, so trägt er die Beweislast für die Verletzung der Anzeigepflicht:194 Er muss ggf. den Beweis führen, dass der VN den ihm bekannten195 Versicherungsfall nicht rechtzeitig angezeigt hat.196 Der VR hat ggf. den Vorsatz des VN zu beweisen (§ 28 Abs. 2 Satz 1), der VN hat ggf. zu beweisen, dass er nicht grob fahrlässig gehandelt hat (Satz 2). Im Hinblick auf die vom VR zu beweisende Kenntnis des Versicherungsfalls (s.o.) geht das OLG Saarbrücken grds. davon aus, dass der VN, der die Versicherung selbst abgeschlossen und die Prämien gezahlt hat, den Versicherungsvertrag kennt; es verlangt zusätzlich, dass er sich ggf. durch Einsichtnahme in seine Unterlagen kundig macht.197 Trägt er glaubhaft vor, dass er Unterlagen falsch abgeheftet und trotz Einsichtnahme nicht gefunden habe, so ist Kenntnis i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 zu verneinen.198 Die Beweislast des VR erstreckt sich ggf. auch darauf, dass die (rechtzeitig) abgesendete Anzeige nicht zugegangen ist.199 Das Bestreiten der Anzeige gegenüber dem Versicherungsvermittler mit Nichtwissen ist dem VR verwehrt, weil es sich bei dem Versicherungsvermittler um einen Teils seines Geschäfts- und Verantwortungsbereichs handelt und er daher zu entsprechenden Erkundigungen verpflichtet ist.200 Begehrt der VR Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB so hat er grundsätzlich alle anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen; gem. Satz 2 hat der VN allerdings zu beweisen, dass er die Anzeigepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat.

194 BGH 3.11.1966, VersR 1967 56, 56; kritisch: Niewerth/Vespermann VersR 1995 1290. 195 BGH 3.11.1966, VersR 1967 56, 59; vgl. auch: BGH 13.12.2006, NJW 2007 1126; OLG Saarbrücken 15.5.2013 – 5 U 344/12, ZfS 2013 700. Vgl. auch LG Osnabrück 3.9.1986, VersR 1986 1237. OLG Saarbrücken 15.5.2013 – 5 U 344/12, ZfS 2013 700. OLG Saarbrücken 15.5.2013 – 5 U 344/12, ZfS 2013 700. Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 60; a.A. OLG Celle 10.6.2010 – 8 U 18/10, VersR 2010 1486. LG Frankfurt (Oder) 11.1.2016 – 16 S 98/15, NJW-RR 2016 1005, 1006.

196 197 198 199 200

Brömmelmeyer

358

§ 31 Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (1)

1

Der Versicherer kann nach dem Eintritt des Versicherungsfalles verlangen, dass der Versicherungsnehmer jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist. 2Belege kann der Versicherer insoweit verlangen, als deren Beschaffung dem Versicherungsnehmer billigerweise zugemutet werden kann. (2) Steht das Recht auf die vertragliche Leistung des Versicherers einem Dritten zu, hat auch dieser die Pflichten nach Absatz 1 zu erfüllen.

Schrifttum Bach Zu den Folgen unrichtiger Angaben des Versicherungsunternehmers im Prozess nach endgültiger Deckungsablehnung durch den Versicherer VersR 1992 302; Bähr/Reuter Einsichtnahme in Patientenakten durch private Krankenversicherer, VersR 2011 953; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann Zivilprozessordnung, 66. Aufl. (2008); Britz Die vorvertragliche Anzeigepflicht in der Leistungsprüfung einer Lebensversicherung, VersR 2015 410; Egger Auskunftspflicht und Schweigerecht in privater Berufsunfähigkeit- und Krankheitskostenversicherung, VersR 2012 810; ders. Die vorvertragliche Anzeigeplicht in der Leistungsprüfung einer Lebensversicherung, Berufsunfähigkietsversicherung und Krankheitskostenversicherung, VersR 2015 1209; ders. Die Überprüfung der vorvertraglichen Anzeigeplichten im Rahmen der Leistungsprüfung anlässlich eines Versicherungsfalls – Divergenzen in der Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des BGH, VersR 2017 785; Feyock/Jacobsen/Lemor Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl. (2005); Görtz Mitwirkungsobliegenheiten des Versicherungsnehmers in der Leistungsprüfung des Versicherers – Die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Spannungsfeld zwischen informationellem Selbstschutz und Vertragsfreiheit, RuS 2017 621; Günther Betrug in der Sachversicherung (2006); Holzhauser Versicherungsvertragsrecht (1999); Jungermann § 31 Abs. 1 VVG: lex imperfecta? Scharfes Schwert! – Ist der VN allein aufgrund von § 31 Abs. 1 VVG (ohne entsprechende vertragliche Regelung) zur Mitwirkung gehalten – (Gedanken zu BGH, Urt. v. 22.2.22017 – IV ZR 289/14), RuS 2017 232; Knappmann Versicherungsschutz bei arglistiger Täuschung durch unglaubwürdigen Versicherungsnehmer, NVersZ 2000 68; ders. Restschuldversicherung – Wirksame Ausschlussklausel für Vorerkrankungen, VersR 2006 495; Lackner/Kühl Strafgesetzbuch 29. Aufl. (2018); Lücke Zu der Frage, ob eine im Verlauf eines Prozesses versuchte arglistige Täuschung durch den Versicherungsnehmer zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen kann, VersR 1992 182; ders. Zum Begriff des Repräsentanten des Versicherungsnehmers – Zu AFB § 13 Nr. 1 Buchst. C, VersR 1993 1098; ders. Arglist des Versicherungsnehmers – Priviligierung oder übermäßige Sanktionierung im Vergleich mit dem allgmeinen Vertragsrecht? Festschrift Hübner (2012) 147; ders. Obliegenheiten des Versicherungsnehmers – dogmatische Grundlagen und praktische Konsequenzen, Festschrift Lorenz (2014) 281; Majerle Die vertragliche Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, in der Kaskoversicherung, VersR 2011 1492; Neuhaus Gesundheitsdaten, informationelle Selbstbestimmung, Anzeigepflichten und der „gestufte Dialog“ in der Leistungsprüfung von Personenversicherungen – Die neue Marschrichtung des BGH – zugleich Besprechung von BGH Urt. v. 22.2.21027 – IV ZR 289/14, RuS 2017 281; Prölss Zu Aufklärungsobliegenheiten, die eine vom Versicherer zu beweisende Kenntnis des Versicherungsnehmers voraussetzen, VersR 2008 674; Ripke Wann führt die Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten zur Leistungsfreiheit des Versicherers? VersR 2006 774; Rühl Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht, Diss. Hamburg 2003; Rüthers Rechtstheorie, 3. Aufl. (2007); Sackhoff Die Anzeige-, Auskunfts- und Belegpflicht des Versicherungsnehmers nach Eintritt des Versicherungsfalls, Diss. Hamburg 1994; Schirmer Zur Vereinbarung von Obliegenheiten zu Lasten Dritter. Insbesondere in Verträgen zu ihren Gunsten, Festschrift Reimer Schmidt (1976) 821; Wandt Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls – Zur Rechtsnatur von § 31 VVG und zur allgemeinen Rechtspflicht, den Versicherer nicht arglistig zu täuschen, VersR 2018 321; ders. Anlasslose Auskunftsverlangen des Versicherers zur Überpüfung der Erfüllung der vorvertraglichen Anzeigepflicht im Versicherungsfall, VersR 2017, 458; Wohlthat Anzeige- und Aufklärungsobliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls – am Beispiel der Sachversicherung, RuS 2019 549; Wriede Konkurrenz zwischen Versicherungsfall im Sinne des VVG und davon abweichende Definitionen in der Haftpflicht- und Krankenversicherung, VersR 1997 794.

359 https://doi.org/10.1515/9783110522624-014

Brömmelmeyer

§ 31 VVG

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Historische Entwicklung

II.

Begriff und Funktion der Auskunfts- und Beleg2 pflicht (Normzweck)

III.

Regelungssystematik

IV.

Regelungsbedürfnis

V. 1. 2.

Regelungsadressaten Versicherungsnehmer 17 Dritte

B.

Die Auskunftspflicht des Versicherungsneh18 mers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

I.

Rechtsnatur

II. 1. 2.

20 Voraussetzungen 20 Eintritt des Versicherungsfalls 21 Berechtigtes Auskunftsverlangen 21 a) Begriff und Rechtsnatur 25 b) Form c) Berechtigung: Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungs26 pflicht d) Auskunftsverlangen vor Eintritt des Versiche32 rungsfalls? 33 Kenntnis des Versicherungsnehmers 35 Prüfungsbereitschaft des Versicherers

3. 4. III. 1. 2. 3.

4.

5. 6.

1

14 14

18

39 Auskunft 39 Begriff und Rechtsnatur 41 Form 46 Inhalt und Umfang 47 a) Beantwortung berechtigter Fragen 52 aa) Falsche Angaben 53 bb) Fehlende Angaben 58 cc) Inkonsistente Angaben b) Erteilung von Auskünften jenseits der Beant60 wortung berechtigter Fragen c) Informationelle Selbstbestimmung als Gren62 ze der Auskunftspflicht 63 Richtigkeit a) Falschauskünfte gegenüber dem richtig in64 formierten Versicherer b) Falschauskünfte gegenüber dem aufgrund von Nachforschungen (potenziell) richtig in65 formierten Versicherer 69 c) Berichtigung falscher Auskünfte 74 Empfangszuständigkeit 76 Rechtzeitigkeit

Brömmelmeyer

Dauer

V.

Erweiterte Aufklärungspflichten aufgrund Allgemeiner Versicherungsbedingungen (insb.: E. 1.1.3 79 AKB 2015 in der Fassung vom 30.6.2020)

C.

Die Belegpflicht des Versicherungsnehmers 82 (§ 31 Abs. 1 Satz 2)

I.

Begriff und Rechtsnatur

II. 1. 2. 3. 4.

84 Voraussetzungen 84 Eintritt des Versicherungsfalls Berechtigtes Belegverlangen des Versiche85 rers 86 Existenz von Belegen 87 Billigkeit

III. 1. 2. 3.

Anforderungen an die Belegverschaffung 88 Besitzverschaffung 90 Richtigkeitsgebot 92 Empfangszuständigkeit

D.

Die Auskunfts- und Belegpflicht des Dritten 93 (§ 32 Abs. 2)

E.

Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverlet95 zung

I. 1. 2.

3.

96 Leistungsfreiheit oder -kürzung 98 Parteivereinbarung 99 Qualifiziertes Verschulden a) Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Obliegen99 heitsverletzung (§ 28 Abs. 2 Satz 1) b) Leistungskürzung bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung (§ 28 Abs. 2 100 Satz 2) 101 Kausalität und Belehrung

II.

Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 BGB)

III.

Nichteintritt der Fälligkeit

F.

Leistungsfreiheit aufgrund arglistiger Täu106 schung

I.

Rechtsgrundlage

II.

Praktische Bedeutung

108

G.

Beweislastverteilung

110

H.

Abdingbarkeit

8 12

78

IV.

82

88

104

105

106

112

360

A. Einführung

VVG § 31

A. Einführung I. Historische Entwicklung Der Regelungsgehalt des § 31 Abs. 1 stimmt mit dem des früheren § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 vom 1 30.5.19081 überein. Die Frage der Dispositivität, die ursprünglich § 34 Abs. 2 Satz 2, und später, nach Inkrafttreten der Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939,2 § 34a beantwortete, regelt nunmehr § 32. § 31 Abs. 2 überführt die bisher nur in der Lebens- (§ 171 Abs. 2 Hs. 2) und Unfallversicherung (§ 182 Hs. 2 a.F.) vorgesehene Auskunftspflicht Dritter in den Allgemeinen Teil und folgt damit dem Regelungsvorbild des § 30 Abs. 1. Den Dritten trifft die Auskunftspflicht allerdings – anders als bisher – nicht anstelle des VN,3 sondern neben ihm.4 Die Neuregelung entspricht dem Regierungsentwurf5 und stimmt inhaltlich auch mit dem Reformvorschlag der Kommission6 überein.

II. Begriff und Funktion der Auskunfts- und Belegpflicht (Normzweck) Leitbild der §§ 30 f. ist die kooperative Regulierung des Versicherungsfalls auf der Basis eines 2 strukturierten, von Treu und Glauben beherrschten7 Informations- und Kommunikationsprozesses:8 Hat sich der VR verpflichtet, ein bestimmtes Risiko durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des Versicherungsfalls zu erbringen hat (§ 1 Abs. 1), so hat er ein berechtigtes Interesse daran, Inhalt und Umfang seiner (angeblichen) Leistungspflicht sorgfältig zu prüfen. Dem steht jedoch eine Informationsgefälle9 entgegen. Denn das versicherte Risiko verwaltet im Normalfall allein der VN oder sein Repräsentant.10 Der damit verbundene Informationsvorsprung rechtfertigt es, den VN mit einer gesetzlichen Informationsobliegenheit11 in Bezug auf die Umstände zu belasten, die der Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistungspflicht des VR dienen. Dementsprechend besteht der Normzweck des § 31 „darin, den VR in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen seiner Einstandspflicht sachgerecht zu prüfen, indem er [mit Unterstützung des VN!] Ursache und Umfang des Schadens ermittelt“.12 Im Einzelnen ist der Informations- und Kommunikationsprozess in der Regulierungsphase 3 wie folgt strukturiert: Im Hinblick auf den Eintritt des Versicherungsfalls liegt der Informationsvorsprung in aller Regel auf der Seite des VN, so dass die Initiative von ihm ausgehen muss: Er ist verpflichtet, den Eintritt des Versicherungsfalls anzuzeigen (§ 30). Der VR soll umgehend informiert werden, damit er seine Leistungspflicht prüfen,13 Beweise sichern14 und Rettungs-

1 RGBl. 1908 S. 263. 2 RGBl. 1939 I S. 2443. 3 Vgl. nur: Berliner Kommentar/Schwintowski § 171 Rn. 3. 4 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 5 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 13. 6 Vgl. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, S. 211 (§ 34). 7 BGH 11.2.1987, VersR 1987 477. 8 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 31. 9 Wohlthat RuS 2019 549, 550. 10 Begriff: BGH 21.4.1993, VersR 1993 828, 829. 11 Rn. 18. 12 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186 mit Blick auf § 20 Nr. 1 d VGB 88; BGH 21.4.1993, VersR 1993 828, 830; BGH 8.1.1969, VersR 1969 267, 268 mit Blick auf § 7 I Abs. 2 AKB; BGH 16.2.1967, BGHZ 47 101, 105; OLG Köln 21.7.2016 – 9 U 41/16, VersR 2017 1335. 13 BGH 23.11.1967, VersR 1968 58, 59. 14 Schmidt Die Obliegenheiten S. 224. 361

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maßnahmen ergreifen oder anordnen kann.15 Indes braucht der VN anfangs nur mitzuteilen, dass sich nach seiner Einschätzung die versicherte Gefahr verwirklicht hat.16 Die Details kann und muss der VR abfragen, der über einen Informationsvorsprung im Hinblick auf seine Regulierungspraxis verfügt und daher am besten beurteilen kann, welche Informationen „zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfangs der Leistungspflicht“ erforderlich sind (§ 31 Abs. 1 Satz 1). „Würde man“, so der BGH, „von dem VN verlangen, dass er die Initiative ergreift, dann würde dies dazu führen, dass gewissenhafte VN, in dem Bestreben, ja nichts zu versäumen, den VR mit einer Fülle von überflüssigen Informationen eindecken“.17 „Selbst dann ließe es sich aber nicht vermeiden, dass der VN die Bedeutung von bestimmten Punkten nicht erkennt, die für die Untersuchung des VR wesentlich sind“.18 Damit stellt sich die Regulierung des Versicherungsfalls als gestufter Dialog (BGH)19 dar, der insb. in der Lebens-, Kranken-, Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherung Rücksicht aus das Recht des VN auf informationelle Selbstbestimmung zu nehmen hat.20 Mit der Befugnis des VR, Inhalt und Umfang der Informationsobliegenheit des VN durch – in der Praxis meist standardisierte – Fragen zu steuern,21 geht das Risiko von Informationsdefiziten aufgrund mehrdeutiger oder unvollständiger Fragen einher: Hat der VR bestimmte, für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage relevante Fragen nicht gestellt oder unklar formuliert, so kann er sich später nicht darauf berufen, dass der VN Tatsachen, nach denen nicht oder nicht mit hinreichender Klarheit gefragt worden ist, nicht von sich aus angegeben hat.22 Berechtigte Fragen des VR hat der VN vollständig und richtig zu beantworten.23 Flankiert wird diese Informationsobliegenheit durch die in den Musterbedingungen verankerte Leistungsfreiheit oder -kürzung bei unrichtigen oder unvollständigen Angaben, die vor allem dem Risiko bewusster Falschangaben24 Rechnung trägt – auch wenn der BGH25 den redlichen und nicht den unredlichen VN als Regelfall ansieht. Die Legitimation der Informationsobliegenheit folgt aus der Inanspruchnahme der (angeblich) geschuldeten Leistung: „Wenn der VN vom VR eine Leistung fordert, so muss er diesem billigerweise auch alle Auskünfte zur Hand geben, die der VR braucht, um Art und Umfang seiner Leistung möglichst genau und frühzeitig genug übersehen zu können“.26 Ergänzt wird die Auskunfts- durch die Belegpflicht (§ 31 Abs. 1 Satz 2), sodass die amtliche Überschrift des § 31 (Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers) als pars pro toto zu verstehen ist.27

III. Regelungssystematik 8 Der BGH28 behandelt § 31 als nach dem Gesetz zwar sanktionslose, für den VN jedoch verbindliche (Mitwirkungs-) Obliegenheit. Er geht davon aus, dass eine Haftung auf Schadensersatz aus15 16 17 18 19 20 21 22 23

Vgl. § 82 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VVG. Im Einzelnen: Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 28. BGH 11.6.1976, VersR 1976 821, 823. BGH 11.6.1976, VersR 1976 821, 823. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232. Dazu im Einzelnen: Rn. 62. Rn. 46 f. BGH 26.10.1988, RuS 1989 5, 6. BGH 8.1.1969, VersR 1969 267, 268 mit Blick auf § 7 I Abs. 2 AKB; BGH 16.2.1967, BGHZ 47 101, 105; OLG Saarbrücken 31.7.1992, VersR 1993 569, 570; im Einzelnen: Rn. 46. 24 „Moralisches Risiko“. 25 BGH 5.10.1983, VersR 1984 29, 30. 26 BGH 16.2.1967, BGHZ 47 101, 105. 27 Siehe aber: Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 44, der die Belegpflicht als unselbständigen Bestandteil der Auskunftspflicht behandelt; hier: Rn. 82 f. 28 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, NJW 2017 1391, 1393 m. Anm. Looschelders. Brömmelmeyer

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scheidet, dass die Leistung des VR jedoch u.U. nicht fällig wird, wenn der VN diese Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt (§ 14 Abs. 1).29 Die ganz h.M.30 lehnt Schadensersatzansprüche ebenfalls ab und behandelt § 31 als lex imperfecta. Dem ist jedoch nicht zu folgen.31 Der VN haftet bei schuldhafter Pflichtverletzung auf Schadensersatz.32 Richtig ist allerdings, dass § 31 selbst keine Rechtsfolgen anordnet, und dass sich in der Praxis vor allem die Frage der im Regelfall vereinbarten Leistungsfreiheit oder -kürzung stellt. Diese setzt – anders als bei der „spontanen“ Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 – eine Belehrung voraus.33 Bewusste Falschauskünfte können unter den Betrugs- (§ 263 StGB), nicht aber unter den 9 subsidiären Missbrauchstatbestand (§ 265 StGB) fallen.34 Im Falle arglistiger Täuschung kommt eine Verwirkung (§ 242 BGB) in Betracht.35 Da den VR auch in der Regulierungsphase eine (anlassbezogene) Beratungspflicht trifft, 10 lässt sich die Rückfrageobliegenheit bei unklaren36 oder widersprüchlichen Erklärungen37 nicht mehr nur auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) stützen, sondern auch auf § 6 Abs. 4 Satz 1 – ggf. in Verbindung mit § 1a. In der Pflichtversicherung38 ist die Auskunfts- und Belegpflicht Dritter gesondert geregelt 11 (§§ 119 Abs. 3 und 120).

IV. Regelungsbedürfnis Die Frage, ob im Hinblick auf die Auskunfts- und Belegpflicht ein Regelungsbedürfnis be- 12 steht,39 stellt sich vor allem, wenn man § 31 Abs. 1 als lex imperfecta, d.h. als Regel ohne (gesetzlich angeordnete) Rechtsfolge einstuft: Entweder, der VR verzichtet darauf, (vollständige oder teilweise) Leistungsfreiheit als Rechtsfolge zu vereinbaren, so dass die Auskunftspflicht sanktionslos bleibt und der VN sie gefahrlos ignorieren kann, oder die Parteien vereinbaren Leistungsfreiheit, so dass sich die (nunmehr sanktionsbewehrte) Auskunftspflicht unmittelbar aus dem Vertrag ergibt. In beiden Fällen könnte man auf § 31 verzichten. Bejaht man indes in Einklang mit der hier vertretenen Rechtsauffassung40 ein Haftungsrisiko auf der Basis der §§ 280 Abs. 1 BGB, 31 Abs. 1 VVG, so liegt die praktische Bedeutung der gesetzlichen Regelung auf der Hand: Der Regelungsadressat41 ist gesetzlich verpflichtet, Auskünfte zu erteilen und Belege beizubringen. Hat er diese Rechtspflicht schuldhaft verletzt, so haftet er auf Schadensersatz. Hinzu kommt im Lichte des BGH-Urteils v. 22.2.2017 zur Berufsunfähigkeitsversicherung, dass die Fäl-

29 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, NJW 2017 1391, 1393 m. Anm. Looschelders; dazu: Jungermann RuS 2018 356, 357 f.

30 Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 11; Wandt VersR 2018 321, 324; Wohlthat RuS 2019 549; Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 31 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 47; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 31 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 1, 40. 31 Wie hier: Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 2. 32 Rn. 104. Explizit dagegen: Looschelders/Pohlmann/Looschelders § 31 Rn. 4; LG Berlin 16.1.2013 23 – S 27/12, VersR 2013 746. 33 § 28 Abs. 4 VVG; auf der Basis der früheren Rechtslage: OLG Düsseldorf 27.9.1988, VersR 1990 411 mit Anm. Späth; Einzelheiten: Rn. 101 f. 34 Vgl. Lackner/Kühl/Kühl § 263 Rn. 9, 18 (bloße Nichterfüllung gesetzlicher Mitteilungs- und Meldepflichten reicht nicht aus), § 265 Rn. 1 ff. 35 Rn. 106 f. 36 Rn. 49, 58. 37 Rn. 58. 38 Begriff: § 113 Abs. 1 VVG. 39 Skeptisch: Schimikowski RuS 2000 353, 357. 40 Rn. 104. 41 Rn. 14. 363

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ligkeit der Leistung des VR u.U. von der Erfüllung der Auskunftsobliegenheit (§ 31) abhängt; ob man § 31 trotzdem noch als lex imperfecta bezeichnen kann, ist zweifelhaft.42 13 Unabhängig davon steht es dem Gesetzgeber frei, die Auskunftspflicht gesondert zu regeln, um ihre „grundlegende Bedeutung“ hervorzuheben43 und das Leitbild eines kooperativen, von Treu und Glauben geprägten Regulierungsverfahrens44 gesetzlich auszugestalten.45

V. Regelungsadressaten 1. Versicherungsnehmer 14 Die Auskunftspflicht aus § 31 trifft in erster Linie den VN. Hat ein Dritter, den der VN mit der Erteilung der Auskünfte betraut, als Wissenserklärungsvertreter46 unrichtige oder unvollständige Auskünfte erteilt, so liegt ebenfalls eine Verletzung der Auskunftspflicht vor.47 Hat sich der VN die Angaben des Dritten durch seine Unterschrift zu Eigen gemacht, so ist der Rückgriff auf die Rechtsfigur des Wissenserklärungsvertreters (§ 166 BGB analog) entbehrlich.48 Haben mehrere VN in der Sachversicherung ein einheitliches Risiko versichert, besteht ein einziger, unteilbarer Leistungsanspruch zur gesamten Hand, so dass sich die VN etwaige Obliegenheitsverletzungen gegenseitig zurechnen lassen müssen.49 Die Rspr. hat die Haftung des VN für unrichtige oder unvollständige Auskünfte Dritter auch 15 auf die Repräsentantendoktrin gestützt.50 Der Rückgriff auf die Repräsentantendoktrin ist indes nur geboten, wenn der Repräsentant durch ein tatsächliches Fehlverhalten, das nicht in der Abgabe einer Erklärung besteht, eine allgemeine, vertraglich vereinbarte Aufklärungspflicht verletzt: Hat sich in der Kfz-Kaskoversicherung der Fahrer, ein Prokurist des VN, unerlaubt vom Unfallort entfernt (§ 142 Abs. 1 StGB), so hat er dadurch, als Repräsentant des VN, die gem. § 7 I Abs. 2 AKB bestehende Pflicht verletzt, „alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes … dienlich sein kann“.51 Im Erbfall sind die Erben gem. §§ 1922 BGB, 31 Abs. 1 VVG als Rechtsnachfolger des VN 16 verpflichtet, jede Auskunft zu erteilen, die für die Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR erforderlich ist.52

2. Dritte 17 Die Informationsobliegenheit trifft auch Dritte, denen das Recht auf die vertragliche Leistung zusteht (§ 31 Abs. 2 VVG). Leistungsberechtigter Dritter ist, wer als Begünstigter einen eigenen 42 43 44 45 46 47

So aber: Wandt VersR 2018 321, 325 f. So die Begründung, RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70 zur Anzeigepflicht gem. § 30 VVG. Rn. 2. Dazu auch: Wohlthat RuS 2019 549, 551 (Leitbildfunktion der §§ 30 f. VVG). Begriff und Rechtsgrundlage (§ 166 BGB analog): BGH 2.6.1993, BGHZ 122, 388. OLG Köln 26.4.2005 – 9 U 113/04, VersR 2005 1528 (Falschangaben bei Schadensanzeige durch die Lebensgefährtin); OLG Köln 2.12.1993, RuS 1994 245 (Falschangabe des Kfz-Kaufpreises durch den Ehemann); OLG Köln 20.6.2000, RuS 2000 448 (Unvollständige Angaben eines Dritten, den der Versicherungsnehmer beauftragt hat, das Schadenanzeige-Formular auszufüllen und zu unterschreiben); OLG Hamm 20.1.1997, RuS 1997 279; vgl. auch: OLG Köln 28.3.2008 – 20 U 231/07, VersR 2008 1063 (Falschangaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse). 48 BGH 14.12.1994, RuS 1995 81; OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 6/06 – 1, RuS 2007 298, 299. 49 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186. 50 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828, 829, mit kritischer Anmerkung Lücke VersR 1993 1098; OLG Köln 28.3.2008 – 20 U 231/07, VersR 2008 1063; OLG Bremen 29.7.1997, VersR 1998 1149; kritisch auch: Wandt Versicherungsrecht Rn. 669. 51 BGH 10.7.1996, VersR 1996 1229; vgl. auch: OLG Bremen 2.10.2007 – 3 U 27/07, VersR 2007 1692 f. 52 Vgl.: Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI/1 Anm. F 42, mit Blick auf die Unfallversicherung. Brömmelmeyer

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Rechtsanspruch auf die Leistung des VR erwirbt, ohne Partei des Versicherungsvertrags zu sein. Das ist der Fall (1) bei dem Versicherten, der in der Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff. VVG) gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 Gläubiger des Erfüllungsanspruchs wird, (2) bei dem Bezugsberechtigten in der Lebens- und Unfallversicherung53 und (3) beim Zessionar.54

B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1) I. Rechtsnatur Die Auskunftspflicht ist – ebenso wie die Anzeigepflicht55 – eine gesetzliche Informationsob- 18 liegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls. Daraus folgt, dass bei vereinbarter Leistungsfreiheit oder -kürzung § 28 Abs. 2 bis 4 zum Tragen kommt.56 Die Literatur versteht die Auskunfts- überwiegend als „Erkundigungsobliegenheit“, die 19 „auf die Erforschung des Sachverhalts zum Zwecke der Beantwortung der vom VR gestellten Fragen“ ausgerichtet ist.57 Klarzustellen ist jedoch, dass der VN grundsätzlich kein eigenes Ermittlungsverfahren einzuleiten braucht; vielmehr betrifft seine Informationsobliegenheit in erster Linie die Fakten, die ihm bekannt sind. Erkundigen muss er sich nur, wenn die fehlende Information aus seiner Lebenssphäre stammt und deswegen ein durch das Kriterium der Erforderlichkeit58 gedeckter Erkundigungsanlass besteht.59 Die Auskunftsobliegenheit besteht nicht nur gegenüber dem VR, sondern auch gegenüber Personen, die der VR mit der Schadensermittlung beauftragt hat, insb. gegenüber einem vom VR eingeschalteten Sachverständigen.60

II. Voraussetzungen 1. Eintritt des Versicherungsfalls Die Auskunftspflicht des VN setzt voraus, dass der Versicherungsfall eintritt, d.h., dass sich 20 das versicherte Risiko verwirklicht61 und das abstrakte Leistungsversprechen des VR (Risikoabsicherung) in eine konkrete Leistungspflicht (Entschädigung) übergeht. Liegt ein gedehnter Versicherungsfall vor,62 so hat der VN bereits von Beginn des Versicherungsfalls an Auskunft zu erteilen.

2. Berechtigtes Auskunftsverlangen a) Begriff und Rechtsnatur. Die Auskunftspflicht des VN ist eine verhaltene Obliegen- 21 heit,63 weil sie – anders als die Anzeigepflicht – nicht spontan, d.h. ipso jure durch Eintritt des Versicherungsfalls entsteht, sondern an ein konkretes Auskunftsverlangen des VR an53 54 55 56 57

Vgl. §§ 159 f., 182 VVG. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Vgl. Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 4. Einzelheiten: Rn. 95 bis 100. Schmidt Die Obliegenheiten S. 229 f.; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 12; Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 29; Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 14, mit dem Hinweis auf weitreiche AVB-Klauseln. 58 Rn. 28. 59 Rn. 34. 60 LG Saarbrücken 6.9.2011 – 14 S 22/14, VersR 2012 98. 61 Wriede VersR 1997 794; BGH 18.12.1954, VersR 1955 100, 101. 62 Begriff: BGH 12.4.1989, VersR 1989 588. 63 Bruck/Möller/Möller8 § 33 Anm. 6. 365

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knüpft: „Der VN braucht“, so der BGH,64 „Erklärungen, die die Leistungspflicht des VR betreffen, nicht unaufgefordert abzugeben. Er muss den VR nicht von sich aus über alle für Grund und Höhe des Versicherungsanspruchs wesentlichen Umstände in Kenntnis setzen. Er darf vielmehr abwarten, bis der VR an ihn herantritt und die Informationen anfordert, die er aus seiner Sicht zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistungspflicht benötigt“.65 Das ergibt sich, wie der Bundesgerichtshof66 mit Recht festgestellt hat, bereits aus dem Begriff der Auskunft. Darunter versteht man „eine Mitteilung, die auf eine Anfrage hin gemacht“ wird.67 Der VN muss dem Versicherer, der sich ein klares Bild von seiner Leistungspflicht machen will, also erst auf entsprechende Aufforderung hin weitere Kenntnisse verschaffen und Beweise erbringen.68 Bei dem Auskunftsverlangen handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklä22 rung,69 weil der VR eine Rechtsfolge, nämlich die Pflicht des VN auslösen will, vollständig und richtig zu informieren. Daher ist die Rechtsgeschäftslehre ohne Weiteres anwendbar.70 Daraus folgt u.a., dass das Auskunftsverlangen erst wirksam wird, wenn es dem VN – oder einem Empfangsvertreter (§ 164 Abs. 2 BGB) – zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Hat der VN den Zugang vereitelt, so liegt bereits darin eine Verletzung der Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit.71 Das Auskunftsverlangen ist kein typisches Gestaltungsrecht,72 weil es keine „Umgestaltung 23 von Rechtsverhältnissen“73 nach sich zieht: Mit der Inanspruchnahme auf Auskunft gestaltet der VR lediglich das Regulierungsverfahren aus, während das Versicherungsverhältnis als solches – anders als bspw. bei Rücktritt oder Kündigung – unberührt bleibt. Im Falle einer (offenen) Mitversicherung, bei der mehrere VR ein Risiko in der Weise tra24 gen, dass jeder eine anteilige Leistungspflicht übernimmt und dafür auch nur eine anteilige Prämie erhält,74 kann grundsätzlich jeder VR Auskunft verlangen.75 Im Falle einer Führungsklausel, die besagt, dass ein VR Bevollmächtigter aller anderen beteiligten VR sein soll,76 beschränkt sich die Informationsobliegenheit im Regelfall jedoch auf die Erteilung der Auskünfte gegenüber dem führenden VR.77

25 b) Form. Mangels Formvorschrift kann der VR mündlich oder schriftlich Auskunft verlangen; auch Textform (§ 126b BGB) ist ohne Weiteres möglich. Die Form des Auskunftsverlangens, namentlich die graphische Gestaltung standardisierter Fragenkataloge („Schadenanzeige“), beeinflusst allerdings Inhalt und Umfang der Informationsobliegenheit.

64 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186. 65 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186; BGH 21.4.1993, VersR 1993 828; OLG Karlsruhe 6.4.2006 – 12 U 266/05, VersR 2006 1206; vgl. auch: Bach/Moser/Sauer §§ 9, 10 MB/KK Rn. 12: Keine Auskunftsobliegenheit a priori. 66 BGH 11.6.1976, VersR 1976 821, 823. 67 BGH 11.6.1976, VersR 1976 821, 823. 68 BGH 22.7.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 234; OLG Dresden 21.1.2020 – 4 U 1656/19, NJW-RR 2020 607, 608. 69 Begriff: Palandt/Ellenberger Überblick vor § 104 Rn. 11 f.; zustimmend: Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 20. 70 Im Ergebnis ebenso: Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 4. 71 OLG Karlsruhe 6.4.2006 – 12 U 266/05, VersR 2006 1206, anhand von § 5 Nr. 3 AHB; OLG Karlsruhe 5.6.1997, VersR 1998 975. 72 Siehe aber: Bruck/Möller/Möller8 § 34 Anm. 6; Berliner Kommentar/Dörner § 34, Rn. 4. 73 Vgl.: Faust BGB AT § 23 Rn. 8. 74 Vgl.: Langheid/Rixecker/Langheid § 77 Rn. 7 ff. 75 Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 4. 76 Langheid/Rixecker/Langheid § 77 Rn. 10. 77 § 164 Abs. 3 BGB analog; vgl. auch: Dreher/Lange Die Mitversicherung – Die bürgerlich-, versicherungsvertragsund gesellschaftsrechtlichen Grundlagen, VersR 2005 717, 724. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

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c) Berechtigung: Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungs- 26 pflicht. Das Auskunftsverlangen muss berechtigt, die begehrte Auskunft muss also bei objektiver Betrachtungsweise ex ante zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht erforderlich sein.78 Die Literatur billigt dem VR eine Einschätzungsprärogative bei der Beurteilung der Erfor- 27 derlichkeit zu: Armbrüster79 will das Kriterium der Erforderlichkeit nicht „im Sinne einer Beschränkung auf das objektiv unbedingt Notwendige“ verstehen“. Der VR könne vielmehr diejenigen Auskünfte verlangen, die er für notwendig erachte, sofern sie nur (mittelbar oder unmittelbar) für Grund oder Umfang seiner Leistung – wenn auch zu Lasten des VN – bedeutsam sein könnten.80 Langheid meint unter Berufung auf den Wortlaut der Norm, „dass es Sache des VR“ sein müsse, „welche Fragen er für sachdienlich“ halte.81 Der BGH hat sich angeschlossen und festgestellt, dass „dem VR grundsäzlich ein erheblicher Beurteilungsspielraum“ zusteht, „welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können“.82 Insb. komme es nicht darauf an, ob sich die geforderten Angaben nach dem Ergebnis der Prüfung tatsächlich als wesentlich erwiesen, da die Frage der Erforderlichkeit ex ante zu beurteilen sei.83 Das OLG Köln betont im Anschluss an den BGH, dass es grundsätzlich Sache des VR sei, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich halte, um dann allerdings zu prüfen, ob die vom VR gestellten Fragen von seinem „berechtigten Ermittlungsinteresse“ gedeckt waren.84 Im Lichte der Beschränkung auf „erforderliche“ Auskünfte ist der VN richtigerweise ledig- 28 lich verpflichtet, einem berechtigten Auskunftsverlangen nachzukommen, so dass der VR im Konfliktfall behaupten und beweisen muss, dass die Information, die er abgefragt hat, tatsächlich erforderlich ist, dass sie also Einfluss auf seine – rechtmäßige (!) – Regulierungspraxis hat oder hätte haben können. Das klingt auch in der BGH-Rspr. an, die die Auskunftspflicht „auf jeden Umstand erstreckt, der zur Aufklärung des Tatbestands dienlich sein kann, soweit dem VN nichts „Unbilliges zugemutet“ wird.85 Ein Beurteilungsspielraum des VR besteht nicht, weil die Berechtigung des (konkreten) Auskunftsverlangens richterlich überprüft werden kann. Ein Richter kann sich durchaus in die Situation des VR zu Beginn der Leistungsprüfung versetzen und sich (ggf. unter Berücksichtigung der von einem VR im Prozess vorgetragenen Erfahrungswerte) die Frage stellen, welche Umstände für den Eintritt des Versicherungsfalls ex ante betrachtet relevant sein könnten. Das gilt auch im Hinblick auf § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB (vgl. auch: E. 1.3 AKB 2008), der den VN in der Kraftfahrtversicherung verpflichtet, „jede dienliche Auskunft“ zu erteilen. Denn auch die Frage, ob eine Auskunft sachdienlich ist oder nicht, ist uneingeschränkt überprüfbar. „Es versteht sich“, so Johannsen86 mit Blick auf § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB „von selbst, dass der VN nur wesentliche Fragen zu beantworten braucht. Fragen, die mit 78 § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG; vgl.: Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 10; Rühl Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht S. 310; ähnlich: Holzhauser Versicherungsvertragsrecht Rn. 149; OLG Celle 9.2.2006 – 8 U 159/05, RuS 2007 57, 58, bezogen auf § 17 ARB 94 (Rechtsschutzversicherung). 79 Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 7. 80 Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 7. 81 Römer/Langheid2 § 34 Rn. 15; ähnlich: Schimikowski Versicherungsvertragsrecht Rn. 227, der sich gegen einen „streng objektive[n] Maßstab“ ausgesprochen hat. 82 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 32, 44; BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186; s. auch OLG Hamm 16.11.2018 – 20 U 50/18, VersR 2019 406, das teils von einem Beurteilungs-, teils von einem Ermessensspielraum spricht (S. 408); zust. auch: OLG Dresden 21.1.2020 – 4 U 1656/19, NJW-RR 2020 607, 608, und Wohlthat RuS 2019 549, 556 f. 83 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 32; BGH 22.10.2014 – IV ZR 242/13, VersR 2015 45, 46. 84 OLG Köln 21.7.2016 – 9 U 41/16, VersR 2017 1335, 1337. 85 BGH 22.10.2014 – IV ZR 242/13, VersR 2015 45, 46; BGH 1.12.1999 – VersR 2000 222; OLG Dresden 7.11.2017 – 4 W 991/17, RuS 2018 242. 86 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. V/1, Anm. F 108. 367

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Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

dem eigentlichen Unfallgeschehen nichts zu tun haben, brauchen nicht beantwortet zu werden“.87 Eine (richterlich nicht überprüfbare) Ermessensentscheidung trifft der VR lediglich im Hinblick darauf, ob er wirklich alle „für die Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht“ erforderlichen Informationen abfragt, oder ob er bspw. in Bagatellfällen darauf verzichtet. 29 Die Bedeutung des Meinungsstreits relativiert sich, wenn man den Begriff der Erforderlichkeit so auslegt wie hier. Der Kreis der berechtigten Fragen ist nämlich im Interesse der Beseitigung des Informationsgefälles88 weit zu ziehen, so dass der VR auch Umstände abfragen darf, die für die Beurteilung des moralischen Risikos von Bedeutung sind.89 Der BGH90 hat u.a. Fragen nach den Vermögensverhältnissen gebilligt, weil sich daraus für den VR Anhaltspunkte dafür ergeben könnten, dass der Eintritt des Versicherungsfalls und die damit verbundene Entschädigungsleistung der finanziellen Interessenlage des VN entspreche.91 Der BGH erkennt also ein berechtigtes Interesse des VR an, die Betrugswahrscheinlichkeit abzuklären. In diesem Zusammenhang genüge es, so der BGH, „dass die vom VN geforderten Angaben zur Einschätzung des subjektiven Risikos überhaupt dienlich sein“ könnten, während es nicht darauf ankomme, ob sie sich „nach dem Ergebnis der Prüfung als für die Frage der Leistungspflicht tatsächlich wesentlich“ erwiesen haben.92 Der im Zivilprozess auf Leistung in Anspruch genommene VR kann ggf. Einsicht in die Akten eines Vollstreckungsgerichts verlangen, die über ein Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den VN geführt worden sind.93 30 Parallel dazu ist auch die Frage nach der Mehrfachversicherung eines Risikos nicht zu beanstanden, weil ihre Bejahung gründlichere Ermittlungen des VR rechtfertigen kann;94 so ist bspw. in der Unfallversicherung die Manipulationsgefahr umso größer, je höher die absehbaren (Invaliditäts-)Leistungen sind95 – und je prekärer die Finanzsituation des (vermeintlichen) Unfallopfers ist.96 Im Fall einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung ist der VN ggf. gehalten, die Stellungnahme der Sachbearbeiterin einzuholen, der die Pflichtverletzung vorgeworfen wird, die den Vermögensschaden verursacht hat;97 ggf. reicht es aus, wenn sich der VN zumindest um die Stellungnahme bemüht.98 In der Berufsunfähigkeitsversicherung sind (vereinbarte) Nachuntersuchungen zur Überprüfung der Berufsunfähigkeit u.U. nicht erforderlich, weil Untersuchungsergebnisse Bestand haben (z.B. bei unheilbaren Krankheiten) oder neue Un-

87 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. V/1, Anm. F 108; vgl. auch BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, RuS 2007 29, das vor allem der Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten (§ 213 VVG) in der Lebens-, Kranken- und Unfallversicherung klare Grenzen gesetzt hat; vgl. andererseits aber auch: OLG Köln 14.6.2007 – 5 U 28/ 07, VersR 2008 107. 88 Rn. 2. 89 Wie hier: BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186; Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 9; anders noch: OLG Hamm 30.5.1984, VersR 1985 469. 90 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186. 91 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186; OLG Hamm 8.8.2014 – I-15 VA 8/14, RuS 2015, 22; LG Düsseldorf 6.1.2005 – 11 O 33/04, VersR 2006 214; ähnlich, wenn auch restriktiver: RG 18.9.1936, VA 1936 245, 246. 92 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186. 93 OLG Hamm 8.8.2014 I – 15 VA 8/14, RuS 2015 22. 94 OLG Saarbrücken 12.11.2008 – 5 U 122/08-14, VersR 2009 1254 1255; OLG Saarbrücken 22.11.2006 – 5 U 269/06043, RuS 2007 336 f.; OLG Koblenz 14.1.2005 – 10 U 410/04, VersR 2005 1524; OLG Köln 9.2.1995, RuS 1995 121, 122, mit zustimmender Anm. Langheid; OLG Saarbrücken 6.12.1989, RuS 1990 140; OLG Saarbrücken 28.2.1990, RuS 1990 287, das die restriktivere Entscheidung des OLG Hamm 30.9.1987, RuS 1988 62, mit Recht verwirft. 95 OLG Saarbrücken 6.12.1989, RuS 1990 140; OLG Köln 9.2.1995, RuS 1995 121, 122; vgl. auch: OLG Karlsruhe 24.8.1989, VersR 1990 967, 968. 96 S.o.; s.a auch: OLG Saarbrücken 12.11.2008 – 5 U 122/08-14, VersR 2009 1254, 1255 (Besonders hoher Anreiz, fingierte Unfallanzeigen einzureichen). 97 BGH 22.10.2014 – IV ZR 242/13, VersR 2015 45, 46 f. 98 BGH 22.10.2014 – IV ZR 242/13, VersR 2015 45, 46 f. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

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tersuchungen den VN zusätzlich beeinträchtigen (Belastung durch Röntgenstrahlen u.s.w.) und der VR ihre Durchführung in kurzen, auch medizinisch nicht gebotenen Intervallen verlangt.99 Der BGH hat am 22.2.2017 entschieden, dass § 31 Abs. 1 Satz 1 dem VR im Interesse einer 31 sachgerechten Prüfung seiner Leistungspflicht auch die Prüfung der Vertragswirksamkeit erlaubt – mit der Folge, dass der VR im Rahmen der Leistungsprüfung auch abklären kann, ob eine Anzeigepflichtverletzung (§§ 19 ff.) oder eine arglistige Täuschung des VN bei Vertragsschluss stattgefunden hat.100 Es sei ohne Belang, ob es bei der Prüfung des VR um tatsächliche Umstände gehe, welche seine Leistungspflicht unmittelbar entfallen ließen, oder solche, die ihm lediglich ein Gestaltungsrecht verschafften mit dessen Hilfe er den Vertrag nachträglich zu Fall bringen könne.101 Der BGH betont insoweit ausdrücklich, dass das Eingreifen dieser Obliegenheit – auch unter Berücksichtigung des Rechts des VN auf informationellen Selbstbestimmung – nicht davon abhängig sei, dass dem VR Anhaltspunkte für eine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit vorlägen.102 Der dem VR (angeblich) zuzubilligende Beurteilungsspielraum (s. Rn. 28) in der Frage, welche Angaben er zur Sachverhaltsermittlung für erforderlich halte, werde zu weitgehend eingeschränkt, müsste er zur Rechtfertigung seiner Erhebungen zunächst jeweils im Einzelnen darlegen und ggf. beweisen, dass die Fallumstände den konkreten Verdacht einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den VN begründeten.103 Lediglich der Umfang der Auskunftsobliegenheit werde ggf. durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung begrenzt (im Einzelnen: Rn. 62).104 Im Schrifttum ist das BGH-Urteil auf ein geteiltes Echo gestoßen: Rixecker lehnt sie ab,105 Schwintowski hält die Erstreckung der Auskunftspflicht auf (mögliche) vorvertragliche Anzeigepflichtverletzungen für richtig, schränkt sie jedoch zugleich erheblich ein:106 Ein VR, der (bspw. in der Berufsunfähigkeitsversicherung) auf eine Gesundheitsprüfung verzichtet habe, könne sie später nicht nachholen; erfahre er bei der Prüfung der (späteren) Berufsunfähigkeit zufällig, dass der VN vorvertragliche Anzeigepflichten verletzt habe, so könne er sich darauf nicht berufen (Verbot widersprüchlichen Verhaltens). Reagieren könnte der VR also nur, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der VN im Rahmen der urspüngliche Gesundheitsprüfung falsche Angaben gemacht hat.107 Tatsächlich ist die BGH-Rspr. abzulehnen.108 Nach § 31 Abs. 1 hat der VN jede Auskunft zu erteilen, die im Rahmen der Leistungsprüfung des VR „zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers“ erforderlich ist; es geht um die genauen Umstände des Ereignisses, das die Leistungspflicht des VR auslösen soll, nicht aber um eine nachträgliche, ggf. erstmalige und anlasslose Risikoprüfung bzgl. der Erfüllung vorvertraglicher Anzeigepflichten. Beides ist sorgfältig voneinander zu trennen (s. nur § 28 Abs. 3 Satz 1).109 Der BGH stellt dem VR stattdessen einen Freibrief aus – er kann die Risikoprüfung bei Vertragsschluss schleifen lassen, weil er mögliche Anzeigepflichtverletzungen ggf. auch Jahre oder Jahrzehnte 99 OLG Bremen 12.9.2011 – 3 U 12/11, NJW 2012 322. 100 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 37, 35, im Anschluss an Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 31 Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reichel § 21 Rn. 32; Marlow/Spuhl Das Neue VVG kompakt, 4. Aufl. (2010) Rn. 1460; Britz VersR 2015 410, 411; Fricke VersR 2009 297, 300; Neuhaus/Kloth NJOZ 2009 1370 1394; gegen: OLG Hamm, VersR 1978 1060, 1061, und OLG Köln, RuS 1993 72, 74 (jeweils zu § 34 VVG a.F.), auch gegen Langheid/ Wandt/Wandt § 31 Rn. 39; gegen die BGH-Rspr.: Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 10; Beckmann/Matusche-Beckmann/Rixecker § 46 Rn. 210; Egger VersR 2015 1209, 1210; ders. VersR 2014 1304, 1306; ders. VersR 2012 810, 812; mit Einschränkung zustimmend: Schwintowski VuR 2020 180; ablehnend: Egger VersR 2017 785. 101 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 37. 102 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 38. 103 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 44. 104 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232 Rn. 38. 105 Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 10. 106 Schwintowski VuR 2020 180. 107 Schwintowski VuR 2020 180, 181. 108 Ebenfalls skeptisch: Wandt VersR 2017 458. 109 Wandt VersR 2017, 458, 460. 369

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Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

später noch ermitteln und ahnden kann – und zwar auch dann, wenn der VN nur (grob) fahrlässig gehandelt haben sollte.110

32 d) Auskunftsverlangen vor Eintritt des Versicherungsfalls? Teils hält die Literatur ein bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls erklärtes (aufschiebend bedingtes) Auskunftsverlangen für ausreichend.111 Dagegen spricht jedoch der Wortlaut der Norm: Nach § 31 Abs. 1 kann der „VR [erst] nach dem Eintritt des Versicherungsfalls verlangen, dass der VN … Auskunft erteilt“ (Satz 1). Bedenklich wäre auch eine abweichende (Formular-)Vereinbarung: Müsste der VN die Initiative ergreifen, obwohl er nach allgemeiner Lebenserfahrung und in Einklang mit dem Leitbild der §§ 30 f. die nächsten Schritte des VR abwarten könnte, wären die §§ 305c, 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB einschlägig. Davon abgesehen müsste der VR den VN in jedem Fall nach Eintritt des Versicherungsfalls durch gesonderte Mitteilung in Textform (erneut) belehren (s. § 28 Abs. 4), um Leistungsfreiheit oder -kürzung als Rechtsfolgen scharf zu schalten.112

3. Kenntnis des Versicherungsnehmers 33 Die Auskunftspflicht setzt „stets voraus, dass der VN Kenntnis von den Umständen oder Tatsachen hat, die er seinem VR in Erfüllung der Obliegenheit mitzuteilen hat“.113 Er muss positiv um diese Umstände bzw. Tatsachen wissen.114 Fehlt ihm diese Kenntnis, so läuft die Aufklärungsobliegenheit nach Meinung des BGH115 ins Leere; schon objektiv könne er sie, so der BGH, nicht verletzen, weil es nichts gebe, worüber er nach seinem Kenntnisstand aufklären könnte.116 Tatsächlich kann von dem VN nur Auskunft über Tatsachen verlangt werden, die er kennt oder von denen er sich Kenntnis verschaffen konnte und musste.117 Das entspricht dem allgemeinen Rechtsgedanken „ultra posse nemo obligatur“, der u.a. in § 275 Abs. 1 BGB seinen Niederschlag gefunden hat.118 Daher scheidet bspw. in der (privaten) Unfallversicherung eine Pflichtverletzung durch Nichtangabe einer weiteren Unfallversicherung aus, wenn der VN nichts von ihr gewusst hat.119 Das gleiche gilt in der Kraftfahrtversicherung bei Nichtangabe einer Zeugin, von der der VN nichts wusste.120 Die Kenntnis des VN fehlt auch dann, wenn er mitzuteilende Umstände oder Tatsachen früher gekannt, später aber wieder vergessen hat; ggf. trägt er allerdings

110 Dazu auch Egger VersR 2017, 785, 786 mit dem Hinweis, dass die Risikoprüfung nach anderer BGH-Rspr. nicht auf eine Zeit nach Vetrragsschluss verschoben werden dürfe.

111 Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 5. 112 Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 25, der allerdings die Schutzwirkung des § 28 Abs. 4 überschätzt. 113 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126, 1127, mit Blick auf § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB; BGH 12.12.2007 – IV ZR 40/06, VersR 2008 484 m. Anm. Prölss VersR 2008 674; OLG Karlsruhe 18.10.2007 – 12 U 9/07, VersR 2008 250; vgl. auch: Rn. 106 (Beweislastverteilung); sowie OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511, 1512. 114 OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511, 1512. 115 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126, 1127; BGH 12.12.2007 – IV ZR 40/06, VersR 2008 484 m. Anm. Prölss VersR 2008 674. 116 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126, 1127; BGH 12.12.2007 – IV ZR 40/06, VersR 2008 484 m. Anm. Prölss VersR 2008 674. 117 Vgl. auch das rechtspolitische Plädoyer des Deutschen Richterbundes, in: Stellungnahme zum Referentenentwurf (VVG), Mai 2006, unter B. I. zu § 33 VVG-Entwurf. 118 Dazu allgemein: Soergel/Ekkenga/Kuntz § 275 Rn. 6. 119 OLG Düsseldorf 30.7.1998, RuS 2000 436; vgl. auch die Parallelfälle: OLG Köln 11.8.1998, NVersZ 1999 480 (Fehlende Kenntnis der Duplizität der Fahrzeugschlüssel in der Kfz-Kaskoversicherung); OLG Hamm 21.3.1990, NJWRR 1990 1310 = VVGE § 7 AKB Nr. 15; siehe auch: OLG Hamm 26.11.1993, VersR 1994 1333, im Hinblick auf die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 16 ff. VVG a.F.) in der Lebensversicherung. 120 BGH 12.12.2007 – IV ZR 40/06, VersR 2008 484. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

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(abweichend von der allgemeinen Beweislastverteilung) die Beweislast für das „Entfallen der einmal vorhanden gewesenen Kenntnis“.121 Im Einzelfall kann den VN eine Erkundigungspflicht treffen.122 Die BGH-Rspr.123 mäandert ge- 34 legentlich, zuletzt hat der Bundesgerichtshof jedoch entschieden, dass sich „der auskunftspflichtige VN über die Tatsachen, zu denen der VR berechtigt Auskunft verlange, ggf. erkundigen“ müsse.124 Eine Erkundigungspflicht besteht indes nur anlassbezogen:125 Ist der VN in der KfzHaftpflichtversicherung Unfallverursacher, hat er den Unfall aber gar nicht bemerkt, so trifft ihn auch keine Erkundigungspflicht.126 Entfernt er sich vom Unfallort, so liegt darin in Fällen wie diesen keine (objektive) Pflichtverletzung im Sinne von § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB (vgl. auch: E. 1.3 AKB 2008). Dagegen ist der VN in der Kfz-Kaskoversicherung verpflichtet, im Hinblick auf die Frage der Unfallfreiheit „geeignete Erkundigungen anzustellen, wenn das versicherte Fahrzeug regelmäßig von einem Dritten benutzt“ wurde.127 Bleiben die Erkundigungen des VN ohne Erfolg, hat er bspw. in der Kraftfahrtversicherung vergeblich versucht, den Fahrer des versicherten Fahrzeugs im Unfallzeitpunkt zu ermitteln, so liegt in der Nichtangabe kein Verstoß gegen § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB.128 Ein Erkundigungsanlass besteht auch dann, wenn eine beim VN angestellte Sachbearbeiterin über das i.S.v. § 31 Abs. 1 erforderliche Tatsachenwissen verfügt bzw. verfügen könnte.129

4. Prüfungsbereitschaft des Versicherers Die Auskunftspflicht stellt eine Dauerobliegenheit130 während der gesamten Regulierungsphase 35 dar. Nach std. Rspr. des BGH führt ein arglistig falscher Prozessvortrag des VN jedoch nicht zur Leistungsfreiheit des VR, solange dieser an der Leistungsablehnung festhält.131 Der BGH begründet diese Rspr. mit dem Hinweis darauf, dass die Leistungsfreiheit „ihre Berechtigung im Schutzbedürfnis des prüfungs- und verhandlungsbereiten VR [finde], weil dieser für eine sachgerechte Regulierung auf die wahrheitsgemäßen Angaben eines redlichen VN angewiesen“ sei. Diese Schutzbedürftigkeit fehle, solange der VR im Prozess von seiner Leistungsablehnung nicht erkennbar abrücke.132 Damit erhebt der BGH die Prüfungsbereitschaft des VR de facto zu einer ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung der Auskunftspflicht: Der VN habe sie, so der BGH mit Blick auf die Feuerversicherung, (nur) zu erfüllen, solange er es mit einem VR zu tun habe, der noch prüfungsund damit verhandlungsbereit sei.133 Dogmatisch gesehen lässt sich die Prüfungsbereitschaft des VR (anders als sein Aufklärungsbedürfnis – s. Rn. 63) nicht aus der Erforderlichkeit ableiten,134 denn bei objektiver Betrachtungsweise (Rn. 26) kann eine Auskunft auch dann zur Feststellung des Versicherungsfalls erforderlich sein, wenn die subjektive Prüfungsbereitschaft des VR fehlt. 121 OLG Dresden 7.11.2017 – 4 W 991/17, RuS 2018 242 mit Anm. Jungermann. 122 Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 12; Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 29; Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 14; Prölss VersR 2008 674.

123 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828 (unter 2c) mit kritischer Anm. Lücke VersR 1993 1098, 1099; BGH 30.4.1969, BGHZ 52 86, 89; BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126, 1127. BGH 22.10.2014 – IV ZR 242/13, VersR 2015 45, 47; s. auch: OLG Hamm 16.11.2018 – 20 U 50/18, RuS 2019 102, 104. Lücke VersR 1993 1098, 1099; Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 65 (Erkundigungspflicht bei Anhaltspunkten). Anders noch: BGH 30.4.1969, BGHZ 52 86. OLG Köln 29.4.1997, VersR 1997 139; OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511, 1512. Anders noch: OLG Oldenburg 7.12.1994, VersR 1995 952. Im Ergebnis ebenso: BGH 22.10.2014 – IV ZR 242/13, VersR 2015 45, 47. Rn. 78. BGH 22.9.1999, NVersZ 2000 87, 88; BGH 7.6.1989, BGHZ 107 368, 370 ff.; BGH 23.6.1999, NVersZ 1999 515; BGH 8.7.1991, VersR 1991 1129; BGH 7.6.1989, VersR 1989 842, 843; ablehnend: Martin SVR XII Rn. 95 ff. 107. 132 BGH 22.9.1999, NVersZ 2000 87, 88; BGH 7.6.1989, BGHZ 107 368, 370 ff.; BGH 23.6.1999, NVersZ 1999 515; BGH 8.7.1991, VersR 1991 1129; BGH 7.6.1989, VersR 1989 842, 843. 133 BGH 7.6.1989, VersR 1989 842, 843, mit umfangreichen Nachweisen der älteren Rspr.; zust.: Wohlthat RuS 2019 549, 559. 134 Dafür aber: Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 42, 48.

124 125 126 127 128 129 130 131

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Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

Die Informationsobliegenheit des VN beginnt mit der Inanspruchnahme auf Auskunft und endet mit der endgültigen Leistungsablehnung135 durch den VR.136 Damit endet, solange der VR an der endgültigen Leistungsablehnung festhält, die Verhandlungen über eine Entschädigungsleistung, während derer der VR auf Angaben eines redlichen VN angewiesen ist.137 Nur bis zu der Erklärung, die Leistung abzulehnen, besteht die besondere Schutzbedürftigkeit des VR, der im Versicherungsrecht mit der – dem übrigen Schuldrecht unbekannten – Sanktion der Leistungsfreiheit wegen schuldhaft begangener Obliegenheitsverletzung Rechnung getragen werden darf.138 Der BGH sieht in einem (uneingeschränkten) Klageabweisungsantrag (grundsätzlich) mit Recht eine solche Leistungsverweigerung.139 Die Befürchtung, der VN könne durch Klageerhebung eine Deckungsablehnung provozieren, um keine (vollständigen und richtigen) Auskünfte erteilen zu müssen,140 ist unbegründet, weil eine Klageerwiderung, die das Rechtsschutzbedürfnis der Klage mit dem Hinweis auf die – mangels Information – noch ausstehende Prüfung der Leistungspflicht bestreitet, nicht als endgültige Leistungsverweigerung zu qualifizieren wäre. 37 Tritt der VR erneut in die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung ein, so lebt die Informationsobliegenheit des VN wieder auf, sobald der VR unmissverständlich zu erkennen gegeben hat, dass eine erneute Prüfungsbereitschaft besteht.141 Das gilt auch, wenn das Revisionsgericht die generelle Leistungsablehnung im Prozess durch ein erstes Revisionsurteil für ungerechtfertigt erklärt und den Parteien den Nachweis und die Prüfung der Entschädigungsvoraussetzungen aufgegeben hat.142 Folgenlose Falschangaben in der Phase fehlender Prüfungsbereitschaft hat der VN zu berichtigen, sobald die Informationsobliegenheit wieder auflebt.143 Diese setzt auch voraus, dass der VR dem VN klar zu erkennen gibt, inwieweit für ihn noch ein Aufklärungsbedürfnis besteht.144 Bewusste Falschangaben nach Leistungsablehnung des VR führen nicht dazu, dass der VN 38 seinen Leistungsanspruch verwirkt,145 auch nicht bei arglistiger Täuschung.146 36

III. Auskunft 1. Begriff und Rechtsnatur 39 Der BGH147 legt den Begriff der Auskunft restriktiv aus, so dass nicht jede Mitteilung über einen (bereits angezeigten) Versicherungsfall darunter fällt.148 Vielmehr setze eine Auskunft eine

135 Bach VersR 1992 302. 136 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, NJW 2013 1883; BGH 7.6.1989, VersR 1989 842; BGH 11.12.1991, VersR 1992 345; OLG Dresden 18.4.2017 – 4 U 1564/16, RuS 2017 354, 356; OLG Hamm 2.10.1995, RuS 1996 218; OLG Köln 25.7.1991, RuS 1991 315; für Leistungsfreiheit bei freiwilligen Falschauskünften nach Deckungsablehnung: Bach VersR 1992 302. 137 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, NJW 2013 1883 f. 138 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, NJW 2013 1883 f. 139 BGH 7.6.1989, VersR 1989 842, 843; vgl. auch: von Westphalen Ausgewählte neuere Entwicklungen in der D& O-Versicherung, VersR 2006 17, 18 f., mit dem Hinweis auf die Inkompatibilität der Auskunftspflicht (§ 31 VVG) mit dem Beibringungsgrundsatz und der Beweislastverteilung im Prozess. 140 Bach/Langheid 76; Römer/Langheid2 § 34 Rn. 3. 141 BGH 8.7.1991, VersR 1991 1129, 1130; BGH 7.6.1989, VersR 1989 842, 843; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 5; Knappmann NVersZ 2000 68, 69; Bach VersR 1992 302. 142 BGH 8.7.1991, VersR 1991 1129, 1130; ablehnend: Lücke VersR 1992 182. 143 Wie hier: Knappmann NVersZ 2000 68, 69. 144 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, NJW 2013 1883, 1884. 145 Wie hier: OLG Hamm 12.6.1991, RuS 1992 97, mit ablehnender Anm. Langheid RuS 1992 109; Knappmann NVersZ 2000 68, 70; im Einzelnen zur Verwirkung: Rn. 106 bis 109. 146 OLG Hamm 12.6.1991, RuS 1992 97. 147 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828; BGH 11.6.1976, VersR 1976, 821, 823. 148 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828, mit Blick auf § 13 Nr. 1c AFB. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

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Nachfrage nach Umständen zur Schadensfeststellung voraus.149 Die Begrifflichkeit darf indes den Blick für die rechtliche Bewertung nicht verstellen: Hat der VN aus eigener Initiative (grob fahrlässig oder vorsätzlich) falsche Angaben gegenüber einem prüfungsbereiten VR gemacht, so wären Leistungsfreiheit oder -kürzung gem. §§ 31 Abs. 1 Satz 1 (analog), 28 Abs. 2 auf der Basis einer entsprechenden Parteivereinbarung zu bejahen,150 weil der VN nicht schutzwürdig ist. Bei der Auskunft handelt es sich um eine Wissenserklärung,151 d.h. um eine Mitteilung, 40 die darauf gerichtet ist, „dass die Beteiligten eines Rechtsverhältnisses sich über irgendwelche [hier: über die für die Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht notwendigen] Tatsachen … informieren“.152 Die Einordnung als Wissenserklärung impliziert, dass die Bestimmungen über die Abgabe, den Zugang und die Auslegung von Willenserklärungen analog anzuwenden sind.153 Daraus folgt u.a., dass die Auskünfte nicht nur abgegeben, sondern dem (abwesenden) VR gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB auch zugegangen sein müssen.154

2. Form Die Erteilung der Auskünfte ist nicht an die Einhaltung einer bestimmten Form gebunden; 41 schriftliche Auskünfte haben sich jedoch bewährt, weil sie der Rechtssicherheit und -klarheit sowie dem Beweissicherungsinteresse des VR entgegen kommen155 und das Fehlerrisiko bei der Informationsübermittlung reduzieren. Hinzu kommt, dass die Verwendung von Schadensanzeigen (vorformulierten Fragebögen) bspw. in der Kraftfahrzeugversicherung eine sinnvolle Rationalisierung des Regulierungsverfahrens erlaubt. Dementsprechend verlangten die Musterbedingungen früher meist die Einhaltung der Schriftform. In § 13 Nr. 1e) AFB 87/2004 hieß es bspw. mit Blick auf die Feuerversicherung, dass der VN jede „dienliche Auskunft auf Verlangen schriftlich zu erteilen“ habe, und § 20 Nr. 1 Satz 1 AFB 87/2004 bestimmte erneut, dass „Erklärungen … der Schriftform“ bedürfen [vgl. bspw. auch: §§ 10 Nr. 2b), 7 FBUB 2004, §§ 13 Nr. 1e), 20 Nr. 1 Satz 1 AERB 87/2004, Nr. 25.2, 29.1 Satz 1 AHB und § 14 Abs. 1 Satz 1 ALB; anders: Nr. 15.4 DTVGüter 2000/2004; § 7 Nr. 1b) ABRV]. Formvereinbarungen sind an und für sich zulässig. Die Regelung des § 32 Satz 2 – „Für 42 Anzeigen nach diesem Abschnitt, zu denen der VN verpflichtet ist, kann die Schrift- oder die Textform vereinbart werden“ – ist zwar nicht unmittelbar anwendbar, weil sie als Einschränkung des § 32 Satz 1 formuliert, § 31 Abs. 1 Satz 1 jedoch in § 32 Satz 1 nicht aufgeführt ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Formvereinbarung unzulässig wäre; vielmehr fließt die Freiheit der Formenwahl (Formfreiheit) unmittelbar aus der Privatautonomie der Parteien. Klarzustellen ist aber, dass diese Formfreiheit u.a. durch die §§ 69, 72 erheblich eingeschränkt wird: Formularmäßige Beschränkungen der Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters (§ 69 Abs. 1) sind nämlich unwirksam (§ 72). Das gilt sowohl im Hinblick auf „die vor Vertragsschluss abzugebenden“ (§ 69 Abs. 1 Nr. 1) als auch im Hinblick auf die „während der Dauer des Versicherungsverhältnisses zu erstattenden Anzeigen“ (Nr. 2). Die Bundesregierung geht davon aus, dass eine (verbotene) Beschränkung der Empfangsvollmacht auch in einer Klausel liegt, „die für Erklärun-

149 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828, BGH 30.11.1977, VersR 1978 121 unter I 2a. 150 Ähnlich: Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 2 (spontane Falschauskünfte als Obliegenheitsverletzung); offen gelassen in: BGH 30.4.1981, VersR 1981 948, 950 (unter 3.).

151 OLG München 6.9.2012 – 14 U 4805/11, VersR 2013 169, 170; Ebenso bereits: Bruck PVR S. 329. 152 MüKoBGB/Armbrüster Vor § 116 Rn. 16. 153 MüKoBGB/Armbrüster Vor § 116 Rn. 17; Palandt/Ellenberger Überblick vor § 104, Rn. 6 ff. (geschäftsähnliche Handlung). 154 Wie hier: Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 12; a.A.: OLG Hamm 3.11.1989, VersR 1991 49. 155 BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566. 373

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Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

gen des VN gegenüber dem Vertreter die Schriftform oder Textform verlangt“.156 Damit knüpft der Reformgesetzgeber im Hinblick auf vorvertragliche Anzeigen an die std. Rspr. des BGH an,157 erweitert das Beschränkungsverbot jedoch über die bisherige Rspr. hinaus158 auf die Entgegennahme von Anzeigen nach Vertragsschluss. Daraus folgt, dass die Parteien die Erteilung der Auskünfte nur noch einer formularmäßigen Formvorschrift unterwerfen können, wenn der VR auf die Beteiligung eines Versicherungsvertreters verzichtet (Direktversicherer) oder wenn er klarstellt, dass gegenüber dem Versicherungsvertreter auch mündliche Anzeigen ausreichen. Formularmäßig können die Parteien im Rahmen eines Verbraucher-Versicherungsvertrags (e § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB) gem. § 309 Nr. 13b BGB keine strengere Form als die Textform vereinbaren. 43 Früher hat der BGH159 Schriftformklauseln in Bezug auf „Mitteilungen, die das Versicherungsverhältnis betreffen“ ausdrücklich anerkannt, weil sie u.a. im Lichte des „Klarstellungsund Beweissicherungsinteresses“ des VR nicht gegen §§ 307, 309 Nr. 13 BGB verstießen.160 Im Hinblick auf die Interpretation derartiger Klauseln galt folgendes: Hatte der VN jede „dienliche Auskunft auf Verlangen schriftlich zu erteilen“ (Beispiel: § 13 Nr. 1e) AFB 87/2004), so galt die Schriftform nicht generell, sondern nur, wenn der VR im Rahmen des konkreten Auskunftsverlangens (ausdrücklich oder konkludent) um schriftliche Auskünfte gebeten hatte. Klarer wurde dieser Regelungsgehalt durch die Parenthese in § 24 VGB 2000 – Wert 1914/2004: Danach hat der VN „dem VR jede Auskunft dazu – auf Verlangen schriftlich – zu erteilen“ (§ 25 Abs. 1d). Hieß es in den Musterbedingungen, dass „Willenserklärungen und Anzeigen gegenüber dem VR“ der Schriftform bedürfen (§ 16 Satz 1 MB/KK 1994/2003), so fiel die Erteilung von Auskünften nicht darunter, weil sie weder unter den (eindeutigen) Begriff der Willenserklärung, noch unter den mehrdeutigen Begriff der „Anzeige“ subsumierbar ist, der in den MB/KK ausdrücklich (nur) für die Anzeige des Versicherungsfalls, nicht aber für die Erteilung der Auskünfte gebraucht wird.161 44 Haben die Parteien Schriftform verabredet, so reicht gem. § 127 Abs. 2 BGB analog auch ein via Telekommunikation übermitteltes Dokument, d.h. eine als E-Mail, Tele- oder Computerfax aufgesetzte Anzeige.162 Eine eigenhändige Unterschrift (vgl. §§ 127 Abs. 1, 126 Abs. 1 BGB) ist entbehrlich. Erforderlich ist allerdings, dass sich aus der Erklärung eindeutig ergibt, wer sie abgegeben hat163 und auf welches Versicherungsverhältnis sie sich bezieht. Reine Formfehler bleiben folgenlos: Hat der VN den VR trotz des Formfehlers rechtzeitig, 45 richtig und vollständig unterrichtet, so kann sich der VR in Kenntnis der relevanten Informationen nicht auf den Formfehler berufen.164

3. Inhalt und Umfang 46 Inhalt und Umfang der Auskunftspflicht richten sich in erster Linie nach dem Auskunftsverlangen des VR,165 d.h. nach den in einem (vorformulierten) Fragenkatalog enthaltenen und/oder isoliert gestellten Fragen.166 Dabei hat der VN auf ein entsprechendes Verlangen des VR ihm

156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 78; Hervorhebung des Verf. BGH 11.11.1987, VersR 1988 234 unter 3c; BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566, unter II. 2. BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566. BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566. BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566, noch anhand von §§ 9, 11 Nr. 16 AGB-Gesetz. Rüther NVersZ 2001 241, 245, mit dem Hinweis auf 305c Abs. 2 BGB. Palandt/Ellenberger § 127 Rn. 2. Palandt/Ellenberger § 127 Rn. 2; BGH 21.2.1996, NJW-RR 1996 641. BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493. Schmidt Die Obliegenheiten S. 230. BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185.

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

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bekannte Tatsachen selbst dann wahrheitsgemäß und vollständig zu offenbaren, wenn das seinen eigenen Interessen widerstreitet, denn erst diese Tatsachen ermöglichen es dem VR, seine Leistungspflicht sachgerecht zu prüfen und sich ggf. auf Leistungsfreiheit zu berufen.167 Der im Strafprozess geltende nemo-tenetur Grundsatz ist ebenso wenig einschlägig wie der allgemeine prozessuale Grundsatz, dass derjenige, der aus einer Rechtsnorm für sich günstige Rechtsfolgen herleiten möchte, deren Voraussetzungen darlegen und beweisen muss;168 es geht hier weder um eine mögliche Bestrafung (Strafprozess) noch um ein kontradiktorisches Verfahren (Zivilprozess); es geht allein um die kooperative Regulierung des Versicherungsfalls.169

a) Beantwortung berechtigter Fragen. Berechtigte Fragen des VR hat der VN vollständig 47 und richtig zu beantworten.170 Dabei hat er auch Umstände mitzuteilen, die – bspw. gem. § 81 – zur Leistungsfreiheit des VR führen171 oder sonst eigene Interessen gefährden.172 Der Fragenkatalog kann je nach Schadenshöhe durchaus auch umfangreicher ausfallen.173 Fragen, die weder zur Feststellung des Versicherungsfalls noch des Umfangs der Leistungspflicht des VR erforderlich sind (§ 31 Abs. 1 Satz 1), braucht der VN nicht zu beantworten. Ungefragt hat er den VR nur ausnahmsweise zu informieren.174 Mit der Befugnis des VR, Inhalt und Umfang der Informationsobliegenheit durch einen (im 48 Regelfall standardisierten) Fragenkatalog zu steuern, geht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) das Risiko von Informationsdefiziten aufgrund mehrdeutiger oder unvollständiger Fragen einher: Hat der VR bestimmte, für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage relevante Fragen nicht gestellt oder unklar formuliert, so kann er sich später nicht darauf berufen, dass der VN die fehlenden Informationen nicht von sich aus mitgeteilt hat. Ist eine Frage mehrdeutig, so geht die damit verbundene Unklarheit zu Lasten des VR.175 Bei der Interpretation des Fragenkatalogs ist – angelehnt an die ständige Rspr.176 im 49 AVB-Recht – darauf abzustellen, „wie ein durchschnittlicher VN“ die (vorformulierten) Fragen „bei verständiger Würdigung …, aufmerksamer Durchsicht und [unter] Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen musste“;177 so ist bspw. die Frage nach Vorschäden des Kraftfahrzeugs aus der Sicht eines durchschnittlichen VN so zu verstehen, dass nach 167 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 237 Rn. 60 m.w.N.; OLG Köln 21.7.2016 – 9 U 41/16, VersR 2017 1335; OLG Saarbrücken 12.11.2008 – 5 U 122/08-14, VersR 2009 1254, 1255 (sachdienliche Frage des VR, die der VN wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten hat). 168 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 237, entgegen Egger VersR 2012 810, 818 f. und ders. VersR 2015 1209, 1218. 169 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 237. 170 BGH 8.1.1969, VersR 1969 267, 268; BGH 16.2.1967, BGHZ 47 101, 105; OLG Saarbrücken 12.11.2008 – 5 U 122/0814, VersR 2009 1254, 1255; OLG Saarbrücken 31.7.1992, VersR 1993 569, 570; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 14; im Einzelnen zum Richtigkeitsgebot: Rn. 61; s. auch: OLG Saarbrücken 6.10.2010 – 5 U 88/10-16, VersR 2011 1511, 1512 (keine formalistische Beantwortung gestellter Fragen). 171 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186; BGH 12.11.1997, VersR 1998 228; BGH 12.11.1975, VersR 1976 84. 172 BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186; BGH 1.12.1999, VersR 2000 222; Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 33. 173 OLG Koblenz 28.8.2019 – 10 U 682/19, VersR 2020 478, 479. 174 BGH 11.6.1976, VersR 1976, 821; im Einzelnen: Rn. 60 f. 175 Allgemeine Meinung: BGH 26.10.1988, RuS 1989 5, 6; OLG Frankfurt 29.1.1991, VersR 1992 41; OLG Hamburg 9.2.1977, VersR 1977 634 (Kilometerstand in der Kraftfahrtversicherung); vgl. auch: BGH 8.11.1962, VersR 1963 251; OLG Köln 22.6.1966, VersR 1966 971, 972 (Beifahrerin als Zeugin); OLG Hamm 18.5.1988, RuS 1988 373, 374; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 12; Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 14; Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 60. 176 BGH 17.5.2006 – IV ZR 230/05, VersR 2006 1061; BGH 23.6.1993, VersR 1993 957. 177 BGH 17.5.2006 – IV ZR 230/05, VersR 2006 1061; BGH 23.6.1993, VersR 1993 957; wie hier: BGH 26.10.1988, RuS 1989 5, 6; BGH 15.6.1983, VersR 1983 850; BGH 16.6.1982, VersR 1982 841; BGH 12.7.1965, VersR 1965 994; Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 58. 375

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Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

sämtlichen Vorschäden und nicht nur nach dem letzten Vorschaden gefragt wird;178 mit der Frage „Sind andere VR … mit dem Diebstahlsereignis befasst?“ will der VR klären, ob der VN andere VR eingeschaltet hat, nicht, ob diese schon in die Regulierungsprüfung eingetreten sind.179 Generell gilt, dass der VR Fragen möglichst klar und verständlich formulieren und dass der VN diese Fragen im Sinne ihres intersubjektiv erkennbaren Sinns möglichst vollständig und richtig beantworten muss – statt sie bewusst misszuverstehen.180 Erteilte Auskünfte sind gem. §§ 133, 157 BGB analog objektiv, auf der Grundlage des Empfän50 gerhorizontes auszulegen.181 Beantwortet der VN eine Frage mit einem Quer- oder Schrägstrich, so liegt darin nach allgemeiner Lesart eine Verneinung.182 Beantwortet er die Frage nach Vorschäden in der Kraftfahrtversicherung mit einem Fragezeichen, so erklärt er damit nicht, dass ihm von Vorschäden nichts bekannt ist;183 vielmehr ist das Fragezeichen ein Hinweis darauf, dass er die Frage nicht verstanden oder nicht für einschlägig gehalten hat. Hier trifft den VR (ausnahmsweise) eine Rückfrageobliegenheit, weil das Fragezeichen einen Beratungsbedarf signalisiert (§ 6 Abs. 4 Satz 1). Die Rspr. ging bereits auf der Basis der Rechtslage vor der VVGReform gem. § 242 BGB davon aus, dass „der VR beim VN klärend nachfragen muss, wenn dessen Angaben im Schadensanzeigeformular (oder einem anderen der Schadensregulierung dienenden Fragebogen) widersprüchlich, unvollständig, aus anderen Gründen unklar oder erkennbar unrichtig sind“.184 51 Im Hinblick auf die fehlerhafte Beantwortung berechtigter Fragen sind drei Fallgruppen zu unterscheiden:

52 aa) Falsche Angaben. Berechtigte Fragen hat der VN richtig,185 d.h. wahrheitsgemäß zu beantworten.186 Dieses Richtigkeitsgebot gilt auch, wenn der VN spontan, d.h. aus eigener Initiative Angaben macht.187

53 bb) Fehlende Angaben. Berechtigte Fragen hat der VN vollständig zu beantworten.188 Beantwortet er Fragen innerhalb gesetzter Frist gar nicht, verstößt er gegen die ihm obliegende Aufklärungspflicht.189 Der BGH hat allerdings klargestellt, dass die Nichtbeantwortung von Formularfragen nicht in jedem Fall eine Auskunftspflichtverletzung darstellt.190 Fragen, die nicht einschlägig oder ganz unwesentlich seien, brauche der VN auch nicht zu beantworten. Davon abgesehen verletze er seine Auskunfts- und Aufklärungspflicht (in der Kfz-Haftpflichtversiche-

178 OLG Koblenz 26.5.2000, VersR 2001 1420; OLG Hamm 24.8.1990, NJW-RR 1991 33; vgl. auch: OLG Koblenz 14.1.2005 – 10 U 410/04, VersR 2005 1524, zur Interpretation der Frage: „Besteht eine weitere Unfallversicherung?“. 179 OLG Saarbrücken 4.4.2007 – 5 U 450/06-57, RuS 2007 413. 180 Ähnlich: Wohlthat RuS 2019 549, 556. 181 OLG München 30.12.1976, VersR 1977 539; allgemein: Palandt/Ellenberger § 133 Rn. 9. 182 OLG Köln 5.7.1990, VersR 1991 766, 767; OLG Hamm 20.6.1986, VersR 1987 1233; OLG München 30.12.1976, VersR 1977 539. 183 So aber: OLG Köln 21.3.1985, RuS 1985 262. 184 OLG Bremen 2.10.2007 – 3 U 27/07, VersR 2007 1692, 1693 m.w.N. 185 BGH 8.1.1969, VersR 1969 267, 268; BGH 16.2.1967, BGHZ 47 101, 105; BGH 16.11.2005 – IV ZR 307/04, RuS 2006 185, 186. 186 Einzelheiten: Rn. 63 ff. 187 Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 2. 188 BGH 8.1.1969, VersR 1969 267, 268; BGH 16.2.1967, BGHZ 47 101, 105. 189 OLG Saarbrücken 31.5.2006 – 5 U 165/05 14, VersR 2007 1646 1647, mit Blick auf § 5 Nr. 2 AHB; s. auch: LG Paderborn 25.8.2010 – 4 O 96/10, BeckRS 2010 22721. 190 BGH 8.1.1969, VersR 1969 267. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

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rung) auch dann nicht, wenn die geforderten Angaben bereits in einem anderen Kontext, bspw. im Rahmen einer gesonderten Darstellung des Unfallhergangs enthalten seien.191 Im Regelfall stellt die Nichtbeantwortung berechtigter – d.h. immer: einschlägiger (s.o.) – Fragen jedoch eine Auskunftspflichtverletzung dar.192 Soweit das OLG Stuttgart193 meint, dass die Nichtbeantwortung von Fragen – anders als die Falschbeantwortung – für sich allein noch keine Verletzung der Aufklärungspflicht beinhalte, weil sie für den VR klar in Erscheinung trete und er daher weitere Erkundigungen einziehen könne,194 ist dem nicht zu folgen. Eine Rückfrageobliegenheit des VR besteht nur ausnahmsweise.195 Es ist, wie der BGH196 mit Blick auf die Kfz-Kaskoversicherung erläutert hat, „Sache des VN, die ihm bekannten Umstände dem VR … vollständig zu offenbaren, nicht aber Sache des VR, durch Nachforschungen das zu ermitteln, was ihm der VN vorsätzlich verschwiegen hat.“ Hat der VN bestimmte Fragen nicht beantwortet, weil er erkennbar geglaubt hat, er habe sie im Vorfeld schon beantwortet, so kann sich der VR nicht ohne weiteres auf Leistungsfreiheit berufen; vielmehr muss er dem VN nach Treu und Glauben die Möglichkeit geben, die fehlenden Informationen nachzutragen.197 Hat der VN eine Frage unvollständig oder verkürzt beantwortet, so ist zu unterscheiden: Ließ das Formular keine ausführliche Beantwortung einer Frage zu, so ist der VN auch nicht dazu verpflichtet.198 Hat der VN in der Kfz-Kaskoversicherung unter der Rubrik „ausführlicher Schadenshergang“ nur eingetragen „Diebstahl – unbefugte Benutzung“, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass er den Diebstahl angezeigt habe, und hat er in der Diebstahlsanzeige ausführlich über die Ereignisse berichtet, so hat er seine Auskunftspflicht aus § 7 I (2) Satz 3 AKB nach Meinung des OLG Frankfurt199 nicht verletzt. Der VR hätte ihn entweder erneut auffordern müssen, den Schadenshergang ausführlich zu schildern, oder Einsicht in die Polizeiakten nehmen müssen.200 Trägt der VN fehlende Informationen nach, beseitigt dies die Informationspflichtverletzung nicht,201 wirkt sich ggf. aber auf die Kausalitätsprüfung aus, so dass Leistungsfreiheit oder -kürzung (§ 28 Abs. 3) sowie die Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB im Einzelfall ausscheiden können. Die Bemerkungen zur Berichtigung von Falschangaben202 gelten entsprechend.

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cc) Inkonsistente Angaben. Im Falle widersprüchlicher Angaben im Schadensformular trifft 58 den VR nach Treu und Glauben eine Rückfrageobliegenheit,203 die sich nunmehr auch auf die anlassbezogene Beratungspflicht (§ 6 Abs. 4 Satz 1) stützen lässt. Keine Rückfrageobliegenheit 191 BGH 8.1.1969, VersR 1969 267. 192 BGH 20.12.1968, VersR 1969 214 f.; OLG Frankfurt 18.5.1995, VersR 1996 704; OLG Frankfurt 6.2.1991, VersR 1991 1167 f.; OLG Köln 30.8.1990, VersR 1991 183 (Reisegepäckversicherung); OLG Köln 21.9.1989, VersR 1990 1225, 1226; OLG Saarbrücken 28.2.1990, VersR 1990 1143; OLG Hamm 22.8.1984, VersR 1985 387; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 15; Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 12; vgl. auch: Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 13; anders: OLG Hamm 8.2.1995, VersR 1996 53. 193 OLG Stuttgart 18.5.1966, VersR 1967 465, 466. 194 Ähnlich: OLG Hamm 8.2.1995, VersR 1996 53; unentschieden: OLG Hamm 5.2.1993, Schaden-Praxis 1993 393. 195 OLG Köln 21.9.1989, VersR 1990 1225, 1226; OLG Frankfurt 18.5.1995, VersR 1996 704. 196 BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 629, 630 m. Anm. Langheid. 197 BGH 11.6.1976, VersR 1976, 821, 824 f.; OLG Bremen 2.10.2007 – 3 U 27/07, VersR 2007 1692, 1693. 198 OLG Frankfurt 22.2.1980, VersR 1980 326 f.; Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 13; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 16. 199 OLG Frankfurt 9.11.1983, VersR 1985 774, 775. 200 OLG Frankfurt 9.11.1983, VersR 1985 774, 775. 201 Vgl.: OLG Frankfurt 18.5.1995, VersR 1996 704. 202 Rn. 69 ff. 203 BGH 6.11.1996, RuS 1997 84; OLG Bremen 2.10.2007 – 3 U 27/07, VersR 2007 1692, 1693; OLG Karlsruhe 6.2.2003, NJW-RR 2003 607 (Klärende Nachfrage); OLG Hamm 18.2.2000, VersR 2001 1419. 377

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§ 31 VVG

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

besteht nach Meinung des OLG Köln204 bei einer Inkongruenz von Versicherungsantrag und Versicherungsschein einerseits und Schadensanzeige andererseits. Hat der VN die Frage „Lag zur Zeit des Unfalls ein Leiden oder Gebrechen vor?“ verneint, auf gleicher Höhe jedoch eine „Betriebliche Berufserkrankungsanzeige“ vermerkt, so hat der VR dieser unklaren Mitteilung durch Rückfragen nachzugehen“;205 andernfalls kann er den objektiven Tatbestand einer Aufklärungsobliegenheitsverletzung nicht mir Erfolg geltend machen.206 Das gilt auch, wenn ein Betrugsversuch, bei dem der Täter lediglich die Inkongruenz übersehen hat, nicht auszuschließen ist.207 Hat der VN in der Kfz-Kaskoversicherung die Frage „Wann gekauft?“ mit dem Hinweis 59 „9800“ beantwortet, so handelt es sich offensichtlich nicht um das Datum des Kaufvertrages. Wenn eine Formularschadenanzeige einen solchen Fehler enthält, kann von dem VR nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) erwartet werden, dass er den VN darauf hinweist und ihm Gelegenheit zur korrekten Beantwortung der Frage gibt. Unterlässt er dies, so rechtfertigt das die Annahme, dass er auf eine Erklärung über den mit der Frage angesprochenen Punkt keinen Wert mehr legt.208

60 b) Erteilung von Auskünften jenseits der Beantwortung berechtigter Fragen. Im Regelfall kann sich der VN auf die Beantwortung berechtigter Fragen beschränken,209 im Einzelfall hat er den VR jedoch auch ungefragt zu informieren.210 Das ist nach (richtiger) Einschätzung des BGH211 der Fall, wenn durch die formal richtige Beantwortung vorformulierter Fragen ein falsches Bild entsteht und die Umstände, die das Bild berichtigen würden, so selten sind, dass sie in der Schadensanzeige verständlicherweise nicht abgefragt werden. Die Auskunftspflicht des VN erschöpfe sich, so der BGH, nicht in der formalistischen Beantwortung der gestellten Fragen. In welchem Umfang Auskunft zu erteilen sei, ergebe sich vielmehr aus dem Sinn der Frage. Die Antwort solle gewährleisten, dass der VR in die Lage versetzt werde, die sachgemäßen Entschließungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen.212 Der VN genüge seiner Auskunftspflicht insb. dann nicht mit der bloßen Beantwortung einer Formularfrage, wenn der Sachverhalt – für ihn erkennbar – von den üblichen Umständen der Schadensfälle abweiche, die die Grundlage standardisierter Fragen bildeten, wie sie in Formularen gestellt würden.213 61 Ebenso anerkannt ist, dass den VN in sehr restriktiv zu handhabenden Ausnahmefällen eine spontane Anzeigeobliegenheit treffen kann.214 Eine solche auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhende Offenbarungspflicht ohne Auskunftsverlangen des VR bezieht der BGH auf die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders wesentlicher Informationen, die das Aufklärungsinteresse des VR so grundlegend berühren, dass sich dem VN ihre Mitteilungsbedürftigkeit auch

204 205 206 207

OLG Köln 5.6.2007 – 9 U 37/06, RuS 2007 316. BGH 6.11.1996, RuS 1997 84. BGH 6.11.1996, RuS 1997 84, 85; OLG Karlsruhe 6.2.2003, NJW-RR 2003 607. Siehe bspw. OLG Hamm 10.7.1987, VersR 1988 394: Keine Leistungsfreiheit, wenn der Versicherungsnehmer in der Schadensanzeige einen zu niedrigen Kilometerstand angibt, gleichzeitig aber eine Reparaturkostenrechnung vorlegt, die den richtigen Kilometerstand ausweist. 208 BGH 14.11.1979, VersR 1980 159, 160. 209 BGH 11.6.1976, VersR 1976, 821; OLG Hamm 28.11.1990, VersR 1991 1168. 210 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828; BGH 8.1.1969, VersR 1969 267, 268. 211 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828. 212 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828; siehe auch: BGH 8.1.1969, VersR 1969 267, 268; LG Hanau 16.4.1985, VersR 1986 1094 (für sich genommen richtige, aber auch unvollständige und irreführende Angaben). 213 BGH 21.4.1993, VersR 1993 828. 214 BGH 19.5.2011 – IV ZR 254/10, VersR 2011 1549. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

VVG § 31

ohne Auskunftsverlangen aufdrängen muss.215 In all diesen „krassen“ Fällen (Wandt),216 in denen es um Dinge geht, die für jedermann erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in ganz elementarer Weise betreffen und deren Bedeutung daher für den VN auf der Hand liegen, widerspricht sein Berufen auf ein fehlendes vorheriges Auskunftsverlangen Treu und Glauben.217 Das hat das OLG Köln218 mit Recht bei Inanspruchnahme eines Krankenversicherers auf Kostenerstattung ohne die Mitteilung angenommen, dass der Unfallversicherer die Behandlungskosten (überwiegend) bereits beglichen hatte.219 Eine spontane Anzeigepflicht kann grundsätzlich auch vertraglich vereinbart werden. Dabei sind jedoch die sich aus §§ 305 ff. BGB ergebenden Grenzen220 sowie das Belehrungserfordernis (§ 28 Abs. 4) zu beachten: Anders als bei der Anzeige des Versicherungsfalls (§ 30 Abs. 1 Satz 1), bei der eine Belehrung mangels Kenntnis des VR von vornherein ausscheidet,221 kann der VR den VN nach Anzeige des Versicherungsfalls durchaus über die Rechtfolgen unterlassener bzw. unvollständiger oder fehlerhafter (aufgrund der Belehrung allerdings nur noch mehr oder weniger spontaner) Anzeigen belehren. Eine Belehrung „auf Vorrat“ reicht dafür nicht aus.222

c) Informationelle Selbstbestimmung als Grenze der Auskunftspflicht. Die Auskunfts- 62 pflicht kann u.a. in der Berufsunfähigkeitsversicherung dazu führen, dass es dem VN im Rahmen eines vom BGH so genannten „gestuften Dialogs“ obliegt, bei der Beschaffung seiner persönlichen (Gesundheits-)Daten mitzuwirken. Diese Mitwirkungsobliegenheit berüht sein grundrechtliches geschützes Interesse an informationellem Selbstschutz.223 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, unabhängig davon, ob die Daten bei einem Dritten oder beim Grundrechtsträger selbst erhoben werden.224 Dem Interesse des VN an informationeller Selbstbestimmung steht allerdings das ebenfalls erhebliche Offenbarungsinteresse des VR gegenüber, das in der Vertragsfreiheit wurzelt und damit durch Art. 12 GG ebenfalls grundrechtlichen Schutz genießt.225 Beiden Grundrechten ist bei der Auslegung des § 31 Abs. 1 nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz Geltung zu verschaffen, indem die kollidierenden Grundrechtspositionen so zu begrenzen sind, dass sie für alle Beteiligten möglichst wirksam werden.226 Dabei ist einerseits dem berechtigten Interesse des VN Geltung zu verschaffen, dass keine Daten erhoben werden, die dem VR über das erforderliche Maß hinaus in weitem Umfang sensible Informationen über den VN gewähren.227 Das wäre nicht gewährleistet, wenn der VN seine Mitwirkung bei der Beschaffung entsprechender Daten durch den VR zwar faktisch verweigern könnte, dadurch aber stets seine Mitwirkungsobliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG missachte215 216 217 218 219 220 221 222 223

BGH 19.5.2011 – IV ZR 254/10, VersR 2011 1549. Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 27. BGH 19.5.2011 – IV ZR 254/10, VersR 2011 1549; zust.: Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 31 Rn. 9. OLG Köln 31.5.1990, RuS 1990 284; ebenso: Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 4. Doppelentschädigung. OLG Köln 31.5.1990, RuS 1990 284. Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 29. Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 44. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch § 28 Rn. 224. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 235; s. zuvor auch: OLG München 6.9.2012 – 14 U 4805/11, VersR 2013 169, 170 (Einsicht in das Patientenblatt des VN). 224 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 235. 225 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 235. 226 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 235; BGH 14.11.2007 – IV ZR 74/06, BGHZ 174 127 Rn. 143; BGH 2.4.2015 – I ZR 59/13, BGHZ 205 22 Rn. 43. 227 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 235; BGH 13.7.2016 – IV ZR 292/14, VersR 2016 1173, 1175; BVerfG 17.7.2013 – 1 BvR 3167/08, VersR 2013 1425, 1427: im Anschluss an den BGH: OLG Dresden 21.1.2020 – 4 U 1656/19, NJW-RR 2020 607. 379

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§ 31 VVG

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

te und die Fälligkeit seines Leistungsanspruchs nach § 14 Abs. 1 gefährdete. Denn damit wäre der VR im Ergebnis bis zu einem eventuellen Einlenken des VN faktisch leistungsfrei, obgleich nach der BVerfG-Rspr. Versicherte einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden können, um des informationellen Selbstschutzes willen die Leistungsfreiheit des Versicherers hinzunehmen.228 Auf der anderen Seite ist das anerkennenswerte Interesse des Versicherers und auch der Gemeinschaft der Versicherten zu wahren, zur Vermeidung ungerechtfertigter Versicherungsleistungen alle Tatsachen – auch Hilfstatsachen – zu erfahren, die unmittelbar oder auch erst nach der Ausübung von Gestaltungsrechten zu seiner Leistungsfreiheit führen können.229 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es im Zeitpunkt der Datenerhebung oft noch nicht möglich ist, sicher zu beurteilen, auf welche Tatsachen es bei der Beurteilung der Leistungspflicht am Ende ankommt.230 Der gebotene Interessenausgleich ist dadurch herzustellen, dass der VN bei der Erhebung von Daten durch den VR grundsätzlich nur insoweit mitzuwirken hat, als diese zur Prüfung des Leistungsfalles relevant sind. Kann der Umfang der Datenerhebung nicht von vornherein auf entsprechende Informationen beschränkt werden, weil dem VR noch unbekannt ist, worauf er sein Augenmerk zu richten hat, so erstreckt sich die Obliegenheit des VN zunächst auf die Einholung solcher weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem VR eine Konkretisierung ermöglichen, welche Informationen im Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung relevant sind.231 Dies kann im Fall eines geringen Kenntnisstandes des VR eine gestufte, einem Dialog vergleichbare Datenerhebung erforderlich werden lassen, in deren Rahmen zunächst Vorinformationen allgemeiner Art erhoben werden, auf deren Grundlage der VR sodann einzelne, spezifischere Anfragen zu stellen vermag, deren Beantwortung unter Umständen wiederum zur Grundlage noch weiter ins Detail gehender Erkundigungen werden kann.232 Im Ergebnis ist der VN weder gehalten, dem VR bei der Datenerhebung völlig freie Hand zu lassen, noch muss er seinerseits vorformulierte Entwürfe des VR für weit gefasste Schweigepflichtentbindungserklärungen in der Weise modifizieren, dass sie über das genannte Maß nicht hinausgehen. Vielmehr werden sich die Erhebungen des VR zunächst auf solche Informationen zu beschränken haben, die ihm einen Überblick über die zur Beurteilung des Versicherungsfalls einschließlich des vorvertraglichen Anzeigeverhaltens des VN relevanten Umstände ermöglichen.233 Dies kann etwa auf einer ersten Stufe der Erhebungen die Frage betreffen, wann in dem für die Anzeigeobliegenheit maßgeblichen Zeitraum ärztliche Behandlungen oder Untersuchungen stattgefunden haben, was bspw. durch eine Auskunft des Krankenversicherers beantwortet werden könnte, den der VN zunächst nur insoweit von seiner Schweigepflicht entbinden müsste. Besonders sensible Gesundheitsdaten (etwa Diagnosen, Behandlungsweisen oder Verordnungen betreffend) blieben von der Auskunftsobliegenheit des VN so lange nicht umfasst, bis der VR aufgrund seiner Prüfung der Vorinformationen sein Auskunftsverlangen weiter konkretisiert. Erst dann wäre der VN gehalten, dieser Konkretisierung entsprechende Schweigepflichtentbindungen zu erteilen.234 Allerdings bleibt es ihm unbenommen, zur Beschleunigung der Leistungsprüfung stattdessen sogleich umfassende Auskünfte zu erteilen und auch eine unbeschränkte Schweigepflichtentbindung zu erklären. Hierüber und über die andernfalls nach den vorgenannten Maßstäben schrittweise zu erfüllende

228 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 235; BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006 1669; BVerfG 17.7.2013 – 1 BvR 3167/08, VersR 2013 1425, 1427.

229 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 235, unter Berufung auf OLG Saarbrücken 9.9.2009 – 5 U 510/0893, VersR 2009 1478,1481 und auf Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. (2014) P Rn. 32. 230 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 235, u.a. unter Berufung auf BVerfG 17.7.2013 – 1 BvR 3167/08, VersR 2013 1425, 1427. 231 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 236. 232 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 236; s. auch: OLG Hamm 16.11.2018 – 20 U 50/18, RuS 2019 102, 104. 233 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 236. 234 BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 236. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

VVG § 31

Obliegenheit, Schweigepflichtentbindungen zu erteilen, hat der VR den VN eingangs seiner Erhebungen zu informieren.235

4. Richtigkeit Das Richtigkeitsgebot besagt, dass der VN den VR sachlich richtig zu informieren hat. Falsch- 63 angaben, bspw. die Herabsetzung der Laufleistung eines Fahrzeugs in der Kfz-Kaskoversicherung236 verstoßen gegen § 31 Abs. 1 Satz 1. Im Falle einer arglistigen Täuschung können sie auch den Tatbestand der Verwirkung und des (versuchten) Betrugs (§ 263 StGB) erfüllen. Bei der Beurteilung der Richtigkeit ist ein „verständiger Maßstab“ anzulegen, der „die Irrtumsmöglichkeiten der jeweiligen Auskunftspersonen“ in Rechnung stellen muss.237 Besonderheiten bestehen, wenn der VR bzw. der von ihm eingesetzte Sachbearbeiter als Wissensvertreter238 (s. § 166 Abs. 1 BGB analog) bereits richtig informiert ist:

a) Falschauskünfte gegenüber dem richtig informierten Versicherer. Trotz des Richtig- 64 keitsgebots bleiben Falschauskünfte folgenlos, wenn der VR ohnehin, d.h. ohne Nachforschungen anstellen zu müssen, richtig informiert ist.239 Der BGH betont zwar mit Recht, dass § 30 Abs. 2 VVG nicht, auch nicht analog, auf die Aufklärungspflicht anwendbar ist.240 Denn diese Regelung trägt dem Gedanken Rechnung, dass der VR, um sachgemäße Entschlüsse fassen zu können, sich darauf verlassen muss, dass der VN richtige und lückenlose Angaben über den Versicherungsfall macht.241 Enttäuscht der VN dieses Vertrauen, indem er vorsätzlich Fragen des VR nicht oder nicht richtig beantwortet, so kann er sich hinterher nicht darauf berufen, der VR habe den wahren Sachverhalt von dritter Seite rechtzeitig erfahren oder sich die erforderlichen Kenntnisse anderweitig verschaffen können.242 Diese strengen Anforderungen sind aber nur dann und solange gerechtfertigt, wie der VR selbst noch keine Kenntnis über die nicht angegebenen Umstände besitzt. Ist es Sinn der Aufklärungsobliegenheit, den VR in die Lage zu versetzen, sachgemäße Entschlüsse fassen zu können, so setzt die Obliegenheit ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis voraus. Fehlt dieses, verletzen unzulängliche Angaben des VN keine schutzwürdigen Interessen des VR und können deshalb auch die Sanktion der Leistungsfreiheit nicht rechtfertigen.243 Armbrüster hält dem entgegen, dass der VN auch dann der Wahr-

235 236 237 238

BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 236. OLG Köln 5.6.2007 – 9 U 37/06, RuS 2007 316, 317. OLG Stuttgart 2.8.2005 – 10 U 88/05, VersR 2006 1489. Begriff: BGH 25.10.2018 – IX ZR 168/17, NJW-RR 2019 116, 117 (Wissensvertreter ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie ggf. weiter zu leiten). 239 BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, RuS 2007 366; BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493, 494 f. (im Hinblick auf § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB); LG Köln 12.1.2006 – 24 O 189/05, VersR 2006 1211; vertiefend zu der Frage der unternehmensinternen Wissenszurechnung: Wohlthat RuS 2019 549, 558. 240 BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493, 494 f., anhand von § 33 Abs. 2 VVG a.F.; BGH 24.6.1981, VersR 1982 182, 183; BGH 15.11.1965, VersR 1965 1190, 1191; siehe aber Armbrüster LMK 2007 239994 mit der These, dass der BGH § 33 Abs. 2 VVG a.F. letztlich doch analog anwende. 241 BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493, 494 f., anhand von § 7 I (2) Satz 3 AKB. 242 BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493, 494 f.; BGH 24.6.1981, VersR 1982 182, mit dem Hinweis darauf, dass die Rechtfertigung vorsätzlicher Falschauskünfte einem „Recht zur Lüge“ gleichkäme. 243 BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493; BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, RuS 2007 366; OLG Hamm 31.3.1990, VVGE § 7 AKB Nr. 15, und 12.12.1992, ZfS 1993 161; OLG Köln 25.4.1995, VersR 1996 449; Prölss/Martin/ Knappmann27 § 7AKBRn. 10;Feyock/Jacobsen/LemorKraftfahrtversicherung§ 7AKBRn. 43;s.auch:Langheid/Wandt/ 381

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§ 31 VVG

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

heitspflicht unterliege, wenn keine entsprechende Aufklärungspflicht bestünde.244 Dies gelte im Hinblick auf eindeutige Falschangaben auch dann, wenn der zuständige Sachbearbeiter des VR die wirklichen Umstände kenne. Der VR solle nicht genötigt sein, früher erlangte Kenntnisse zu aktivieren, sondern den aktuellen Angaben ohne weiteres vertrauen können.245 Damit werde der Möglichkeit Rechnung getragen, dass etwa der zuständige Sachbearbeiter die Informationen nicht mehr im Einzelnen präsent habe oder dass nunmehr ein anderer Sachbearbeiter für den VN zuständig sei. Gerade auf solche Situationen werde ein VN, der trotz früherer Informationen des VR über die wirklichen Umstände falsche Angaben mache, häufig spekulieren. Armbrüster meint zudem, dass Fragen trotz vorhandener Kenntnis die Funktion eines „Wahrheitstests“ im Hinblick auf die Einschätzung des subjektiven Risikos hätten.246 Dem ist jedoch nicht zu folgen: Die Informationsobliegenheit des VN beruht ausschließlich auf dem Informationsgefälle zu Lasten des (schutzbedüftigen) VR; ohne Informationsasymmetrie ist sie nicht zu rechtfertigen. Ein „Wahrheitstest“ untergäbt die kooperative Regulierung (s.o.), denn der VN, der erfäht, dass der VR ihn nur befragt, um seine persönliche Integrität zu überprüfen, wird das mit Recht als strukturelles Misstrauen und als anmaßenden Missbrauch des Auskunftsverlangens verstehen.247 Hält man solche Wahrheitstests für rechtens, so könnte der VN mit dem gleichen Recht einen „Regulierungstest“ durchführen und bewusst falsche Angaben machen, um im Interesse der Risikogemeinschaft zu überprüfen, ob der VR seine Leistungspflicht sorgfältig prüft oder ob er auf Kosten der Belange der Versicherten zu großzügig reguliert. Im Interesse eines von Treu und Glauben geprägten und auf gegenseitiges Vertrauen gestützen Informations- und Kommnuikationsprozess sollte man solche Erwägungen nicht weiter verfolgen.248

65 b) Falschauskünfte gegenüber dem aufgrund von Nachforschungen (potenziell) richtig informierten Versicherer. Das Aufklärungsbedürfnis entfällt grundsätzlich nur bei präsenten Informationen.249 Muss der VR erst gesonderte Nachforschungen anstellen, um die Richtigkeit der Angaben überprüfen zu können, so bleibt es grundsätzlich bei der vereinbarten Leistungsfreiheit oder -kürzung;250 anders verhält es sich bei vor kurzem regulierten Vorschäden,251 wobei nicht auf die Kenntnis des Sachbearbeiters,252 sondern auf das in der Regulierungsabteilung grundsätzlich verfügbare Wissen abzustellen ist:253 Hat der VR einen Vorschaden im Rahmen eines laufenden, auch für die neue Schadenmeldung maßgeblichen Versicherungsvertrags über einen be-

Wandt § 31 Rn. 42, der das Aufklärungsbedürfnis im Rahmen der Erforderlichkeit der Auskunft prüft (§ 31 Abs. 1 Satz 1), sodass man keine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung anzunehmen braucht. 244 Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 36. 245 Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 36. 246 Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 36. 247 S. auch: Schwintowsi/Brömmelmeyer/Schwintowski § 31 Rn. 37 f., der eine Straffunktion des § 31 mit Recht ablehnt. 248 Ähnlich wie hier: Wohlthat RuS 2019 549, 557 mit dem zusätzlichen Hinweis, dass der VN u.U. erst durch verdeckte Wahrheitstests zu Falschangaben verleitet wird. 249 BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 481, 482 (m. Anm. Langheid Kfz-Kaskoversicherung: Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers zu Vorschäden bei Erkenntnismöglichkeiten des Versicherers in der UniwagnisDatei, VersR 2007 629) – „aktuelle Kenntnis“; ähnlich: OLG Düsseldorf 3.12.1996, VersR 1997 1393 – „aktuelles Wissen“. 250 BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 481 f.; OLG Düsseldorf 3.12.1996, VersR 1997 1393; Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 16 (keine Erkundigungspflicht des Versicherers). 251 BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 481; vgl. aber auch: BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, RuS 2007 366, 367 mit ablehnender Anm. Armbrüster BGH: Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit LMK 2007 239994; hier: Rn. 64. 252 So aber: Ripke VersR 2006 774; LG Köln 12.1.2006 – 24 O 189/05, VersR 2006 1211. 253 BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, RuS 2007 366, 367. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

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stimmten Gegenstand selbst reguliert, so kennt er diesen Vorschaden in seinen Einzelheiten.254 Denn diese Kenntnis ist bei seinem mit der Schadensregulierung befassten Sachbearbeiter – und mithin beim VR selbst – angefallen, und es bleibt im Weiteren allein eine Frage seiner innerbetrieblichen Organisation, wie er dieses Wissen auch anderen Sachbearbeitern zugänglich macht.255 Im Einzelnen gilt folgendes: Recherchemöglichkeiten im Hause lassen das Aufklärungsbedürfnis des VR angeblich 66 nicht entfallen;256 so ist bspw. der Unfallversicherer nicht verpflichtet, die (objektiv falschen) Angaben des VN zu Vorerkrankungen mithilfe seines Archivs zu überprüfen.257 Etwas anderes gilt, wenn der VN ausdrücklich auf bestimmte, bereits vorhandene Daten verweist.258 Im Lichte der BGH-Rspr.,259 die (1) nicht auf die Kenntnisse des konkreten Sachbearbeiters und (2) nicht mehr ausdrücklich auf vor kurzem regulierte Vorschäden abstellt,260 sind eigene Daten, die bei Eingabe der aktuellen Vertragsnummer in das EDV-System des VR für die Mitarbeiter der Regulierungsabteilung ohne weiteres abrufbar sind oder vernünftigerweise abrufbar sein müssten, bereits als präsentes Wissen einzustufen.261 Dafür spricht auch der Normzweck: § 31 will Informationsasymmetrien beseitigen, nicht die Ehrlichkeit des VN auf den Prüfstand stellen.262 Ergibt die Kombination ohnehin vorhandener und beim VN abgefragter Daten ein vollständiges und richtiges Bild des Versicherungsfalls, so kann der VR eine informierte Regulierungs-Entscheidung treffen. Damit ist der Normzweck des § 31 erfüllt.263 Berücksichtigt man die Leistungsfähigkeit moderener EDV-Systeme, die alle verfügbaren Daten eines VR über einen bestimmten VN und seine Versicherungen zusammenführen, so ist die Beobachtung, dass Recherchemöglichkeiten im eigenen Hause das Aufklärungsbedürfnis nicht entfallen lassen, zumindest zu relativieren.264 Detektiv braucht der VR allerdings auch nicht zu spielen: Wandt betont mit Recht, dass Kenntnisse, die der VR im Zusammenhang mit Verträgen anderer VN erlangt, nicht zu den präsenten Informationen gehören.265 Recherchemöglichkeiten im Rahmen der vom Gesamtverband der Deutschen Versiche- 67 rungswirtschaft geführten Uniwagnis-Datei lassen die Auskunftspflicht des VN unberührt;266 solche Erkenntnismöglichkeiten lassen das Aufklärungsinteresse des VR regelmäßig nicht ent254 BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, RuS 2007 366, 367. 255 BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, RuS 2007 366, 367; s. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 31 Rn. 18 mit dem Hinweis auf Divergenzen in der BGH-Rspr. und auf Höher NJW 2007 2701; zust. zu der hier wiedergegebenen BGH-Rspr: Wohlthat RuS 2019 549, 558. 256 BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 481; KG 15.10.2002 – 6 U 130/01, VersR 2003 1119; OLG Köln 14.9.2004 – 9 U 108/03, VersR 2005 827; OLG Saarbrücken 28.1.1998, VersR 1998 1238; OLG Bremen 29.7.1997, VersR 1998 1149, 1150; KG 18.2.1992, VersR 1993, 92, 93; OLG Braunschweig 30.11.1994, ZfS 1995 64, 65; LG Köln 12.1.2006 – 24 O 189/05, VersR 2006 1211. 257 KG 15.10.2002, VersR 2003 1119; ausdrücklich gebilligt durch BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005 493, 495. 258 BGH 21.4.1993, VersR 1993 1098, mit Blick auf §§ 16 ff. VVG a.F.; vgl. auch: Ripke VersR 2006 774. 259 BGH 11.7.2007 – IV ZR 332/05, RuS 2007 366, 367. 260 Vgl. auch Armbrüster BGH: Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, LMK 2007 239994. 261 Vgl. auch OLG Köln 5.6.2007 – 9 U 37/06, RuS 2007 316, 317 üblicherweise keine Kenntnis des Antrags. 262 Ähnlich: Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 16. 263 A.A. Armbrüster LMK 2007 239994, der die Verlässlichkeit der im Schadensformular gemachten Angaben gefährdet sieht. 264 Ähnlich: Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 44, der allerdings Kenntnisse im Zusammenhang mit anderen Versicherungsverhältnissen ein- und desselben VN nicht berücksichtigen will. 265 Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 44. 266 BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 629 m. Anm. Langheid; Anm. Koch VuR 2007 192; ähnlich bereits: OLG Saarbrücken 22.3.2006 – 5 U 405/05-40, VersR 2006 1208, als Berufungsgericht; anders noch: KG 8.12.2000, VersR 2002 703; OLG Hamm 18.2.2000, VersR 2001 1419; vgl. auch: OLG Oldenburg 15.9.2004 – 3 U 43/04, VersR 2005 782; kritisch insoweit: Ripke VersR 2006 774; allgemein zur Uniwagnis-Datei: Riemer Die Uniwagnis-Datei der Versicherungswirtschaft – Versäumnisse des Gesetzgebers bei der VVG-Überarbeitung, ZRP 2009, 111. 383

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Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

fallen. Die Datei ist, so der BGH,267 „offenkundig darauf ausgerichtet, Versicherungsbetrug entgegen zu wirken“; sie ziele mithin nicht darauf, die Aufklärungsobliegenheit des VN zu verkürzen, sondern diene dazu, deren vorsätzliche Verletzung aufzudecken: Wollte man, wie das KG,268 bereits mit der generellen Weisung des VR, in Schadensfällen eine Dateiabfrage vorzunehmen, stets und sogleich das Interesse der VR an Aufklärung durch seinen VN verneinen, würde der erstrebte Schutz vor Versicherungsbetrug in einen Schutz für den unredlichen VN verkehrt.269 Diese Rspr. greift laut BGH grundsätzlich unabhängig davon, wann der VR die Daten der 68 Uniwagnis-Datei abruft:270 Erfolge die Datenabfrage erst nach Eingang des vom VN ausgefüllten Fragebogens des VR, habe diese Abfrage von vornherein keinerlei Einfluss mehr auf das gegenüber dem VN bestehende Aufklärungsinteresse des VR. Habe der VN seine Aufklärungsobliegenheit (vorsätzlich) verletzt und werde diese Verletzung durch die Datenabfrage aufgedeckt, liege auf der Hand, dass durch die so erlangte Kenntnis des VR nicht nachträglich und gewissermaßen rückwirkend dessen Aufklärungsbedürfnis entfallen könne. Sollte stattdessen davon auszugehen sein, dass die Datenabfrage unmittelbar nach der (telefonischen) Schadensanzeige, also vor Eingang der vom VN beantworteten Fragen nach Vorschäden beim Versicherer erfolgt ist, lassen auch die daraus gewonnenen Erkenntnisse das Aufklärungsbedürfnis des VR unberührt, weil auch die Uniwagnis-Datei dem VR „keine umfassende und vollständige Kenntnis über Vorschäden“ verschafft.271

69 c) Berichtigung falscher Auskünfte. Hinsichtlich der Frage, ob ein VN, der – bewusste oder unbewusste – Falschangaben rechtzeitig berichtigt, die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit oder -kürzung noch abwenden kann, sind erneut mehrere Fallgruppen zu unterscheiden: 70 Der BGH272 geht mit Recht davon aus, dass falsche Angaben „schon den objektiven Tatbestand [einer Obliegenheitsverletzung] nicht [erfüllen], wenn sie so schnell berichtigt werden, dass die korrigierte Information dem VR bereits in dem Zeitpunkt vorliegt, in dem er sich erstmals mit dem Vorgang befasst“.273 Parallel dazu hatte bereits das OLG Hamm274 die Berichtigung von Falschangaben für möglich gehalten, solange sie die für die Regulierung verantwortliche Schadensabteilung noch nicht erreicht haben; solange sei das berechtigte Aufklärungsinteresses des VR objektiv nämlich noch gar nicht tangiert.275 Der BGH ging vor der VVG-Reform (2008) davon aus, dass sich der VR nach Treu und Glau71 ben (§ 242 BGB) nicht auf Leistungsfreiheit berufen kann, wenn der Zweck der Aufklärungsobliegenheit durch die Berichtigung der falschen Angaben letztlich doch erreicht ist.276 Die Bestimmungen über die Aufklärungsobliegenheiten trügen dem Gedanken Rechnung, dass der VR, um sachgemäße Entschlüsse fassen zu können, sich darauf verlassen müsse, dass der VN von sich aus richtige und lückenlose Angaben über den Versicherungsfall mache und dass die andernfalls drohende Leistungsfreiheit geeignet sei, ihn zu wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben anzuhalten.277 Diesem Zweck der Aufklärungsobliegenheit entspreche es nicht, wenn es dem VN von vornherein abgeschnitten wäre, die Sanktion der Leistungsfreiheit durch eine Kor267 268 269 270 271 272 273

BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 629. KG 8.12.2000, VersR 2002 703. BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 629. BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 629. BGH 17.1.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 629. BGH 5.12.2001, VersR 2002 173. BGH 5.12.2001, VersR 2002 173, BGH 30.11.1967, VersR 1968 137; vgl. auch: OLG Hamm 1.7.1981, VersR 1982 695 (Richtigstellung einer Falschauskunft auf einem Beiblatt); OLG Köln 21.7.2016 – I-9 U 41/16, VersR 2017 1335, 1337. 274 OLG Hamm 19.11.1999, RuS 2000 139. 275 OLG Hamm 19.11.1999, RuS 2000 139. 276 BGH 5.12.2001, VersR 2002 173; im Ergebnis befürwortend: Prölss/Martin/Prölss27 § 34 Rn. 11a. 277 BGH 5.12.2001, VersR 2002 173; BGH 24.6.1981, VersR 1982 182. Brömmelmeyer

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B. Die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 1)

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rektur seiner Angaben zu vermeiden. Das wirtschaftliche Interesse des VR an richtigen Angaben bestehe fort, solange ihm durch die falschen Angaben noch kein Nachteil, etwa durch Verlust von Aufklärungsmöglichkeiten, entstanden und ihm die Unrichtigkeit noch nicht aufgefallen sei. Der VN, der die Vermögensinteressen des VR durch falsche Angaben bereits gefährdet habe, könne dem drohenden Anspruchsverlust aber nur dann entgehen, wenn er dem VR den wahren Sachverhalt aus eigenem Antrieb vollständig und unmissverständlich offenbare und nichts verschleiere oder zurückhalte. Dass dies geschehen sei, habe er darzulegen und ggf. zu beweisen.278 Könne nicht ausgeschlossen werden, dass die falschen Angaben bereits zu einem Nachteil für den VR geführt hätten oder nicht freiwillig berichtigt worden seien, bleibe es bei der (vereinbarten) Leistungsfreiheit.279 Bei der Einordnung dieses BGH-Urteils ist zu berücksichtigen, dass sich der VR gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 ohnehin nicht auf eine (vereinbarte) Leistungsfreiheit oder -kürzung berufen kann, wenn dem VN der Kausalitätsgegenbeweis gelingt; so gesehen kommt die Lösung über Treu und Glauben vor allem dem arglistig handelnden VN zu gute, der den Kausalitätsgegenbeweis gem. § 28 Abs. 3 Satz 2 nicht führen kann. Dafür, den anfangs arglistig, später jedoch loyal handelnden VN zu begünstigen spricht (1.) der Anreiz für den VN, sein Fehlverhalten zu korrigieren und Falschauskünfte zu berichtigen, solange das Kind noch nicht endgültig in den Brunnen gefallen ist, und (2.) die mit der freiwilligen Berichtigung verbundene Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses.280 Die Beseitigung der Obliegenheitsverletzung durch Berichtigung der Falschauskünfte ist tradi- 72 tionell umstritten.281 Die Entscheidung des BGH ist jedoch zu befürworten, denn aus dem Blickwinkel des VR reflektiert sie nicht nur den Fortbestand des Interesses an richtigen, für die Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistungspflicht erforderlichen Informationen,282 sondern auch das Fehlen eines berechtigten Interesses an der Sanktion des folgenlos gebliebenen Fehlverhaltens.283 Die Frage, ob Leistungsfreiheit bei korrigierten Falschangaben unverhältnismäßig wäre,284 ist so gesehen sekundär, so dass trotz der nunmehr gegebenen Möglichkeit der bloßen Leistungskürzung (§ 28 Abs. 2 Satz 2) an der Rspr. des BGH festzuhalten ist.285 Die Beurteilung der Berichtigung von Falschauskünften erfordert nach alledem einen 73 Dreischritt: Hat der VN Falschangaben, (1) die sich bisher nicht zum Nachteil des VR ausgewirkt haben und (2) die der VR bisher auch nicht als solche erkannt hat, (3) freiwillig, d.h. aus eigenem Entschluss,286 unmissverständlich und vollständig berichtigt, so bleibt die Obliegenheitsverletzung folgenlos. Dabei unterstreicht das Kriterium der Freiwilligkeit vor allem die generalpräventive Funktion der (potentiellen) Leistungsfreiheit oder -kürzung: Könnte der VN Falschangaben auch dann noch korrigieren, wenn ihn die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens287 oder ein mehrfaches Insistieren des VR288 praktisch dazu zwingt, blieben bewusste Falschauskünfte relativ risikolos.289 278 BGH 5.12.2001, VersR 2002 173; vgl. auch: BGH 8.2.1984, VersR 1984 453. 279 BGH 5.12.2001, VersR 2002 173; BGH 8.2.1984, VersR 1984 453; BGH 28.5.1975, VersR 1975 752; BGH 12.5.1993, VersR 1993 1351.

280 Ähnlich: Wohlthat RuS 2019 549, 560. 281 Dafür: Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 19; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 43. Dagegen: OLG Frankfurt 14.4.1999, VersR 2000 573, 574; OLG Köln 7.11.1995, RuS 1996 298; OLG Düsseldorf 31.10.1962, VersR 1962 345, 346; OLG Karlsruhe 8.4.1959, VersR 1960 699; LG Hannover 15.2.1995, VersR 1996 182, 183; Berliner Kommentar/ Dörner § 34 Rn. 18. 282 BGH 5.12.2001, VersR 2002 173. 283 Ähnlich: Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 41. 284 Vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 19; vgl. auch: Rixecker ZfS 2002 138, 140. 285 Dagegen: Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 82 f. (ausreichender Schutz des VN durch den Kausalitätsgegenbeweis [Rn. 82] bzw. den sanktionsbefreienden Rücktritt vom arglistigen Verhalten [Rn. 83]). 286 OLG Köln 27.5.1997, VersR 1998 46, 47. 287 OLG Köln 27.5.1997, VersR 1998 46. 288 OLG Köln 27.11.2001, NVersZ 2002 224; vgl. auch: OLG Koblenz 11.11.2004 – 10 U 97/04, VersR 2005 1528. 289 Ähnlich: Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 42. 385

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Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

5. Empfangszuständigkeit 74 Der VN hat nicht nur den VR selbst, sondern auch die von diesem mit der Untersuchung beauftragten Personen, Regulierungsbeauftragten und Sachverständigen zu informieren,290 nicht aber die Sachverständigenkommission im Sinne von § 15 Abs. 1 AFB 30.291 § 69 Abs. 1 Nr. 2 sieht eine gesetzliche Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters292 75 vor, die „alle Anträge, Erklärungen und Anzeigen“ erfasst, „die vom VN nach Vertragsschluss gegenüber dem VR abgegeben werden“.293 Darunter fällt auch die Erteilung von Auskünften.294 Diese Empfangsvollmacht kann der VR formularmäßig nicht einschränken (§ 72).

6. Rechtzeitigkeit 76 Feststeht, dass der VN Auskunft erst nach Eintritt des Versicherungsfalls und nach Zugang des Auskunftsverlangens erteilen muss. Umstritten ist hingegen, ob die Auskünfte sofort (§ 271 BGB) erteilt werden müssen295 oder (nur) unverzüglich im Sinne von § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB.296 Da § 31 (anders als bspw. §§ 30, 57) keine Unverzüglichkeit vorschreibt, die Erteilung der Auskunft aber auch keine Leistung im Sinne von § 271 BGB, sondern Erfüllung einer gesetzlichen Informationsobliegenheit ist, ist die Frage der Rechtzeitigkeit nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu beantworten: Im Normalfall haben VR und VN ein gleichgerichtetes Interesse an umgehender Regulierung. Daher hat der VN den VR umgehend zu informieren: Er darf nicht abwarten, muss also nicht sofort, wohl aber innerhalb einer angemessenen Reaktionszeit Auskunft erteilen. Dieser Maßstab stimmt mit dem der (oft vertraglich vereinbarten) Unverzüglichkeit überein, denn unverzüglich bedeutet „innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist“ (BGH).297 Hat der VN Erkundigungen einzuziehen oder Belege zu beschaffen, ist dies bei der Ermittlung der Reaktionszeit zu berücksichtigen. Nach Meinung Wandts soll der leistungsberechtigte Dritte die sich aus § 31 Abs. 2 i.V.m. Absatz 1 ergebende Auskunftspflicht gem. § 271 BGB sofort zu erfüllen haben.298 Die Nähe zu § 30 spreche dafür, dass der Gesetzgeber in § 31 anders als in § 30 bewusst auf das Kriterium der Unverzüglichkeit verzichtet habe.299 Dem ist jedoch nicht zu folgen. Hätte der Gesetzgeber unterschiedliche Maßstäbe für die Auskünfte des VN und des Dritten festlegen wollen, hätte er in § 31 Abs. 2 nicht uneingeschränkt darauf verwiesen, dass auch der Dritte „die Pflichten nach Absatz 1 zu erfüllen“ hat. Hält man es aufgrund der Nähe der §§ 30 und 31 für unzulässig, das Kriterium der Unverzüglichkeit (§ 30 Abs. 1 Satz 1) der Anzeige auf die Auskünfte i.S.v. § 31 zu übertragen, so müsste das auch für die Auskünfte des VN gelten; insoweit verlangt Wandt jedoch unverzügli-

290 BGH 11.6.1976, VersR 1976, 821, 823; OLG München 10.5.1961, VersR 1961 1034; Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 5. 291 BGH 11.6.1976 VersR 1976, 821, 823. 292 Begriff: § 59 Abs. 2 VVG. 293 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 77. 294 Auf der Basis von § 43 Nr. 2 VVG a.F. unstreitig: OLG Hamm 13.3.1991, VersR 1992 179; OLG Hamm 12.11.1991, VersR 1992 729; Berliner Kommentar/Gruber § 43 Rn. 12; Prölss/Martin/Dörner § 69 Rn. 9; Langheid/Rixecker/Rixecker § 69 Rn. 9. Langheid/Wandt/Wandt, § 31 Rn. 85. 295 Dafür: Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 3; im Ergebnis ähnlich, wenn auch nicht unter Berufung auf § 271 Abs. 1 BGB: Sackhoff 89 f. 296 Dafür: Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 6; OLG Celle 18.12.1991, VersR 1992 1000; Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 88, der die gesetzliche Regelung durch eine entsprechende ergänzende Vertragsauslegung vervollständigen will. 297 BGH 5.3.2005 – VI ZB 74/04, NJW 2005 1869; Palandt/Ellenberger § 121 Rn. 3. 298 Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn 89. 299 Langheid/Wandt/Wandt a.a.O. Brömmelmeyer

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che Erteilung.300 Dogmatisch gesehen ist § 271 Abs. 1 BGB ohnehin nicht einschlägig, weil er die Fälligkeit der Leistung und nicht die Erfüllung einer (atypischen) Nebenpflicht (Obliegenheit) regelt (s.o.). Die Erteilung der Auskünfte ist vor allem dann verspätet, wenn das berechtigte Feststel- 77 lungsinteresse des VR unterlaufen wird. So hat das OLG Celle301 entschieden, dass der VN seine Auskunftsobliegenheit (§ 15 Nr. 1c VGB) grob fahrlässig verletzt habe, weil er das Formular für eine Sturmschadensanzeige zunächst liegengelassen und erst nach ca. 7 Wochen an den VR zurückgesandt habe, nachdem die von ihm veranlassten Reparaturarbeiten bereits seit 5 Tagen andauerten.302 Hat der VN die verspätete Erteilung der Auskünfte nicht zu vertreten, kommen weder Leistungsfreiheit oder -kürzung (§ 28 Abs. 2) noch eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB in Betracht.

IV. Dauer Die Auskunftspflicht stellt eine Dauerobliegenheit303 dar; sie beginnt mit der Inanspruchnahme 78 auf Auskunft und endet erst mit der endgültigen Leistungsverweigerung des VR. Damit erschöpft sich die Auskunftspflicht auch nicht in der einmaligen Beantwortung der in einem Schadensformular aufgeführten Fragen. Besteht nach wie vor – oder erst recht – Klärungsbedarf, steht es dem VR frei, um eine genauere oder ausführlichere Beantwortung zu bitten oder neue oder anders formulierte Fragen zu stellen, die für die Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht erforderlich sind. Im Lichte von Treu und Glauben ist der VN allerdings nicht verpflichtet, ständig für Besuche und „spontane Befragungen“ zur Verfügung zu stehen.304

V. Erweiterte Aufklärungspflichten aufgrund Allgemeiner Versicherungsbedingungen (insb.: E. 1.1.3 AKB 2015 in der Fassung vom 30.6.2020) Die Auskunftspflicht des VN ist dispositiv, denn gem. § 32 Satz 1 sind (nur) §§ 19 bis 28 Abs. 4 79 und § 31 Abs. 1 Satz 2 halbzwingend. Daraus folgt e contrario, dass die Parteien die Auskunftspflicht aus § 31 Abs. 1 Satz 1 (unter Beachtung der §§ 305 ff. BGB) ausdehnen können. In den Musterbedingungen fanden sich bisher überwiegend Klauseln wie § 13 Nr. 1e) AFB 2004 (Feuerversicherung). Danach traf den VN die Pflicht, „dem VR auf dessen Verlangen im Rahmen des Zumutbaren jede Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang seiner Entschädigungspflicht zu gestatten, jede hierzu dienliche Auskunft zu erteilen und die erforderlichen Belege beizubringen“. Parallelvorschriften enthielten §§ 10 Nr. 2b) FBUB 2004, 13 Nr. 1e) AERB 87/2004, 13 Nr. 1e) AWB 87/2004, 13 Nr. 1f) AStB 87/2004, 12 Nr. 1c) AGlB 94/2004, 26 Nr. 1f) VHB 2000/2004, 24 Nr. 1d) VGB 2000/2004, 11 Nr. 1c) AMB 91/2004 und § 10 Nr. 1c) ABE 2004. Die reformierten Musterbedingungen knüpfen daran an. Danach ist der VN verpflichtet, „soweit möglich dem VR unverzüglich jede Auskunft – auf Verlangen in Schriftform – zu erteilen, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des VR erforderlich ist, sowie jede Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang der Entschädigungspflicht zu gestatten“ (Abschnitt B, § 8 Nr. 2a ff. AFB 2008). Diese Bestimmungen sehen indes keine verschärfte Auskunfts-, sondern nur eine korrespondierende Duldungspflicht im Hinblick auf die Untersuchung des Schadens vor.305 Erweiterte Infor300 301 302 303 304 305

Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 88. OLG Celle 18.12.1991, VersR 1992 1000. OLG Celle 18.12.1991, VersR 1992 1000. Schmidt Die Obliegenheiten S. 230. OLG Köln 27.6.2000, NVersZ 2001 34, 36. Ähnlich: Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 116; vgl. zur Duldung von Untersuchungen: LG Köln 7.4.2005 – 24 S 28/04, VersR 2006 260. 387

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Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

mationsobliegenheiten sind in der Haftpflicht-306 und der Rechtsschutzversicherung vorgesehen.307 80 In der Kraftfahrtversicherung (E. 1.1.3 AKB 2015 in der Fassung vom 30.6.2020; s. auch: § 7 I Abs. 2 Satz 4 AKB 2004) hat man die in § 31 Abs. 1 Satz 1 angeordnete Auskunfts- zu einer allgemeinen Aufklärungspflicht ausgebaut;308 „sie schließt die Auskunftsobliegenheit nach … [§ 31 Abs. 1 Satz 1] ein, geht aber in gesetzlich zulässiger Weise … [§ 32 Satz 1] darüber hinaus“.309 Denn sie „erschöpft sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Verhalten am Unfallort“.310 Dementsprechend ist die Aufklärungsobliegenheit bspw. verletzt, wenn • Unfallspuren beseitigt oder polizeilichen Ermittlungen durch wahrheitswidrige Angaben bewusst in eine falsche Richtung gelenkt werden311 oder • der alkoholisierte Unfallbeteiligte nach dem Unfall erneut Alkohol zu sich nimmt und „der Nachtrunk in der Erwartung eines bevorstehenden polizeilichen Eingreifens in der Absicht zu sich genommen wird, eine zum Unfallzeitpunkt bestehende Alkoholisierung bewusst zu verschleiern“.312 81 Das bloße Verlassen der Unfallstelle stellt dagegen nur, aber auch stets eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung und der Kfz-Haftpflichtversicherung dar, wenn dadurch der objektive und subjektive Tatbestand des § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) erfüllt wird.313 Das gilt auch bei eindeutiger Haftungslage.314 Die jüngere Rechtsprechung, die teils eine von § 142 StGB losgelöste und darüberhinausgehende Aufklärungspflicht angenommen hat,315 hat sich nicht durchgesetzt; sie ist auch abzulehnen, denn ein verständiger VN wird die vertragliche Obliegenheit, den Unfallort nicht vor Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen zu verlassen auf den Straftatbestand des § 142 StGB beziehen – und genauso verstehen.316 In der Kaskoversicherung folgt das schutzwürdige Aufklärungsinteresse des VR daraus, dass der VR seine Leistung gem. § 81 Abs. 2 kürzen kann, wenn und weil der VN den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, etwa wenn alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit für den Unfall ursächlich war.317 Parallel dazu besteht in der Kfz-Haftpflicht-

306 Nr. 25.2 AHB 2006; vgl. zuletzt: OLG Saarbrücken 31.5.2006 – 5 U 165/05 – 14, VersR 2007 1646. 307 § 17 Abs. 3 ARB; siehe: OLG Celle 9.2.2006 – 8 U 159/05, RuS 2007 57. 308 Einzelheiten: BGH 9.11.2005 – IV ZR 146/04, VersR 2006 108, 110, mit dem Hinweis auf die Obliegenheit „umfassend an der Aufklärung des Geschehens mitzuwirken“; Bruck/Möller/Johannsen /Johannsen8 Bd. V.1 Anm. F 102 ff. 309 BGH 1.12.1999, VersR 2000 222. 310 BGH 1.12.1999, VersR 2000 222. 311 BGH 1.12.1999, VersR 2000 222; BGH 15.12.1982, VersR 1983 258; BGH 8.5.1967, BGHZ 48 7, 11. 312 OLG Brandenburg 16.11.2006 – 12 U 72/06, RuS 2007 412 f.; OLG Köln 29.4.1997, VersR 1997 1222; OLG Frankfurt 28.6.1994, VersR 1995 164; OLG Hamm 4.9.1991, NJW-RR 1992 165; grundlegend: BGH 12.11.1975, NJW 1976, 371, 372 Pflichtverletzung bzgl. der „loyalen Aufklärung des Sachverhalts“. 313 BGH 1.12.1999, VersR 2000 222; BGH 15.4.1987, NJW 1987 2374; OLG Brandenburg 16.11.2006 – 12 U 72/06, RuS 2007 412; OLG Brandenburg 14.9.2006 – 12 U 21/06, RuS 2007 368; vgl. auch: OLG Brandenburg 14.9.2006 – 12 U 21/06, RuS 2007 97; OLG Bremen 2.10.2007 – 3 U 27/07, VersR 2007 1692 – keine Beihilfe durch den Repräsentanten (§§ 142 Abs. 1, 27, 13 StGB), der den Fahrer nicht am Verlassen der Unfallstelle hindert; vgl. auch OLG Saarbrücken 28.1.2009 – 5 U 424/08-53, RuS 2009 142; LG Potsdam 27.8.2007 – 2 O 485/05, VersR 2008 1390. 314 BGH 1.12.1999, VersR 2000 222, 223. 315 OLG Stuttgart 16.10.2014 7 – U 121/14, VersR 2015 444; KG 15.7.2014 – 6 U 197/13, RuS 2016 72. 316 OLG Dresden 27.11.2018 – 4 U 447/18, VersR 2019 349; OLG München 26.2.2016 – 10 U 2166/15, VersR 2016 1367; OLG Saarbrücken 10.2.2016 – 5 U 75/14, VersR 2016 1368; OLG Hamm 15.4.2016 – 20 U 240/15, NJW-RR 2016, 1177. 317 BGH 1.12.1999, VersR 2000 222, 223, noch mit Blick auf die potenzielle Leistungsfreiheit gem. § 61 VVG a.F.; OLG Brandenburg 14.9.2006 – 12 U 21/06, RuS 2007 368, 369, mit Einschränkungen bei Alleinunfällen und Unfällen „mit einem völlig belanglosen Fremdschaden“ bis ca. A 20. Brömmelmeyer

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C. Die Belegpflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 2)

VVG § 31

versicherung wegen möglicher Leistungsfreiheit gem. § 2 Abs. 2b und c AKB 88 ein Interesse des VR, die Person des Fahrers festzustellen.318

C. Die Belegpflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 2) I. Begriff und Rechtsnatur Die Belegpflicht erfasst alle Dokumente, die als Beweismittel in Betracht kommen,319 weil 82 sie die Auskünfte des VN untermauern oder widerlegen könnten, bspw. Bilanzen320 und Inventare, Rechnungen,321 „Rapportzettel“ als Bestandteile einer Handwerkerrechnung,322 Lieferscheine;323 Quittungen,324 Belege über die Eigentumsverhältnisse (vgl. § 13 Nr. 1e AFB 87/2004 [beglaubigter Grundbuchauszug]), Urkunden über den Personenstand und Verträge. Die Beibringung von Belegen ist eine „selbständige, vom Prozess unabhängige Rechts- 83 pflicht des VN gegen den VR“,325 die von der Auskunftspflicht zu unterscheiden ist. Das ergibt sich schon daraus, dass die Belegverschaffung anders als die Erteilung von Auskünften ein Realakt ist,326 auf den sich die Rechtsgeschäftslehre nicht – auch nicht analog – anwenden lässt.327 Die Belegpflicht besteht allerdings nur im Hinblick auf die von dem VN zu erteilenden Auskünfte.328 Daraus, dass § 31 Abs. 1 Satz 2 halbzwingend ist (s. § 32 Satz 1) folgt nicht, dass der VR die Belegpflicht nicht mit der Rechtsfolge der Leistungsfreiheit oder -kürzung verknüpfen könnte; es geht allein darum, dass der VR den Tatbestand der Belegpflicht nicht zu Lasten des VN abwandeln kann.329

II. Voraussetzungen 1. Eintritt des Versicherungsfalls Die Belegpflicht setzt den Eintritt des Versicherungsfalls voraus.

84

2. Berechtigtes Belegverlangen des Versicherers Die Belegpflicht entsteht nicht ipso jure durch Eintritt des Versicherungsfalls; vielmehr setzt 85 sie ein berechtigtes Belegverlangen voraus.330 Die Belegpflicht ist Korrelat der Auskunftspflicht, so dass die Berechtigung des Auskunftsverlangens gleichzeitig Maßstab für die Berechtigung des Belegverlangens ist: Der VR kann Belege nur im Hinblick auf Informationen 318 BGH 1.12.1999, VersR 2000 222, 223. 319 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 125. 320 Offen gelassen in: BGH 11.1.1989, VersR 1989 395, 396; vertiefend: Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 125. Vgl. OLG Koblenz 20.5.2005 – 10 U 692/04, VersR 2006 1120. Vgl. OLG Köln 30.6.1988, RuS 1988 337. Vgl. BGH 14.2.1996, ZfS 1996 305. Vgl. OLG Köln 17.5.1994, VersR 1995 1305; Begriff: § 368 Satz 1 BGB. Motive S. 106. Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 20. Wie hier: Sackhoff 104; a.A.: Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 44, der die Beleg- als ausgestanzten Einzelfall der Auskunftspflicht behandelt. 328 Dazu: Rn. 85. 329 Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 96. 330 Rühl Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht S. 31.

321 322 323 324 325 326 327

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§ 31 VVG

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

verlangen, „die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des VR erforderlich“ sind.331 Das ist bspw. bei einer Umsatzsteuererklärung der Fall, die Rückschlüsse auf die Höhe eines Brandschadens in der Feuerversicherung erlaubt.332 Erforderlich ist zudem ein konkretes Belegverlangen,333 d.h. dass der VR dem VN konkrete Fragen stellen und ihn auffordern muss, die Beantwortung dieser Fragen (ggf.) durch entsprechende Unterlagen zu belegen; eine „begündungslose Ansammlung von Belegen“ kann der VR nicht verlangen.334

3. Existenz von Belegen 86 Die Belegpflicht greift nur, soweit Belege (noch) vorhanden sind.335 Das gilt auch, wenn der VR Klauseln nach dem Muster von „[…]; ferner sind Belege beizubringen“ verwendet, die sich im Kontext des Regulierungsverfahrens „nur auf solche Belege beziehen“ können, „die bei Eintritt des Versicherungsfalls zur Verfügung“ stehen.336 Eine Obliegenheit des VN, bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls sämtliche Belege zu sammeln und aufzubewahren lässt sich aus § 31 Abs. 1 nicht ableiten; sie bedürfte einer gesonderten Parteivereinbarung.337 Klarzustellen ist aber, dass sich die Belegpflicht auf Belege erstreckt, die erst nach Eintritt des Versicherungsfalls entstanden sind. Hat der VN bspw. Handwerker mit der Beseitigung von Sturmschäden beauftragt,338 so kann der VR die Vorlage der sog. „Rapportzettel“ verlangen, die Aufschluss über die konkret durchgeführten Dachdecker-, Maler- und Elektroinstallationsarbeiten geben.339

4. Billigkeit 87 Die Belegpflicht besteht nur, soweit die Beschaffung der Belege dem VN „billigerweise zugemutet“ werden kann. D.h. nicht, dass der VN nicht verpflichtet wäre, auch alte, verstaubte Unterlagen herauszusuchen, oder Dritte um Herausgabe der entsprechenden Dokumente zu bitten.340 D.h. aber, dass eine noch vertretbare Kosten-/Nutzenrelation gegeben sein muss. Dabei ist insb. auf den laufenden Betrieb eines versicherten Unternehmens Rücksicht zu nehmen.341 Dörner342 führt als Beispiel eines unbilligen Belegverlangens ein Urteil des LG Kiel an, das die (angebliche) Pflicht eines Fischzüchters verneint hat, Bestandsverzeichnisse über (wechselnde) Fischbestände vorzulegen;343 in dem geschilderten Fall scheiterte eine Belegpflicht allerdings schon daran, das solche Bestandsverzeichnisse gar nicht existierten.344

331 332 333 334 335

Wie hier: Sackhoff 104. Ebenso: BGH 11.6.1976, VersR 1976 821, 824, trotz übertrieben restriktiver Interpretation des Belegbegriffs. OLG Dresden 20.8.2018 – 4 W 600/18, NJW-RR 2018 1507, 1509. OLG Dresden 20.8.2018 – 4 W 600/18, NJW-RR 2018 1507, 1509. BGH 14.2.1996, ZfS 1996 305, 306; BGH 11.1.1989, VersR 1989 395, 396; AG Gießen 16.3.2017 – 41 C 506/16, RuS 2017, 628. 336 OLG Karlsruhe 5.6.1997, VersR 1998 977, 979. 337 BGH 14.2.1996, ZfS 1996 305, 306; OLG Karlsruhe 5.6.1997, VersR 1998 977, 979; s. bspw.: § 7 Nr. 1b) AFB 87. 338 Vgl. OLG Köln 30.6.1988, RuS 1988 337, 338. 339 OLG Köln 30.6.1988, RuS 1988 337, 338; vgl. auch: Martin SVR X II Rn. 116. 340 Wie hier: Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 22; Rühl Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht S. 319. 341 Prölss/Martin/Armbrüster § 31 Rn. 44. 342 Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 20. 343 LG Kiel 14.5.1971, VersR 1972 871 f. 344 Rn. 82. Brömmelmeyer

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C. Die Belegpflicht des Versicherungsnehmers (§ 31 Abs. 1 Satz 2)

VVG § 31

III. Anforderungen an die Belegverschaffung 1. Besitzverschaffung Die Belegpflicht besagt (anders als bspw. § 811 Abs. 1 Satz 1 BGB), dass der VN dem VR nicht 88 nur die Einsichtnahme gestatten, sondern die Belege übergeben, d.h. dem VR den Besitz verschaffen muss.345 Das Recht an den Belegen bleibt grundsätzlich unberührt: Im Regelfall ist und bleibt der VN Eigentümer,346 so dass er die Rückgabe der Belege verlangen kann,347 und das auch, wenn der VR die Belege weitergegeben hat.348 Ein Besitzrecht349 steht dem VR nur zu, solange der Besitz für die Prüfung der Echtheit und für die Feststellungen gem. § 31 erforderlich ist;350 im Regelfall kann man von dem VR erwarten, dass er Kopien anfertigt. Die Belegpflicht erfordert grundsätzlich die Übergabe der Originale,351 damit der VR die 89 Echtheit überprüfen kann; vielfach ist dies jedoch unter Billigkeitsgesichtspunkten (s.o.) unzumutbar, so dass der VN eine Kopie aushändigen und dem VR gleichzeitig eine Einsichtnahme an Ort und Stelle anbieten kann.

2. Richtigkeitsgebot Das Richtigkeitsgebot gilt nicht nur für die Erteilung der Auskünfte sondern auch für die Beleg- 90 pflicht. Daher führt bspw. das Einreichen gefälschter Rechnungen zur Leistungsfreiheit.352 Unterlässt der VN bei der Belegvorlage zum Nachweis des Schadens „Erläuterungen, deren Notwendigkeit auch einem juristisch nicht vorgebildeten VN einleuchten“ musste, und nimmt er in Kauf, „dass sich der VR infolge der unterbliebenen Erläuterungen notwendigerweise falsche Vorstellungen machen muss“, so hat er das Richtigkeitsgebot verletzt.353 Bei einer Diskrepanz zwischen Auskunft und Beleg trifft den VR nach Treu und Glauben 91 (§ 242 BGB) und unter Berücksichtigung seiner anlassbezogenen Beratungspflicht (§ 6 Abs. 4 Satz 1) eine Rückfrageobliegenheit.354 Etwas anderes gilt, wenn sich die richtige Information in umfangreichen Unterlagen versteckt, so dass die Diskrepanz auch einem sorgfältigen Bearbeiter nicht ohne weiteres auffallen muss.

3. Empfangszuständigkeit Im Regelfall ist der Beleg an den von dem VR bestimmten Empfänger zu übergeben. Die Emp- 92 fangszuständigkeit des Versicherungsvertreters ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Nr. 2 analog; andernfalls würde man einen einheitlichen Lebensvorgang, nämlich die Erteilung der durch Belege untermauerten Auskünfte, künstlich aufspalten und dem Versicherungsvertreter nur die Empfangszuständigkeit für die Auskünfte (§ 69 Abs. 1 Nr. 2) zuweisen, nicht aber die Entgegennahme der korrespondierenden Belege gestatten. 345 346 347 348 349 350 351

Allg. Meinung: Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 20. Siehe aber: § 6 Abs. 1 MB/KK. § 985 BGB; OLG Hamm 22.2.1985, RuS 1986 131; LG Düsseldorf 2.3.1984, VerBAV 1984 415. OLG Hamm 22.2.1985, RuS 1986 131. § 986 Abs. 1 BGB. Vgl. auch: OLG Hamm 22.2.1985, RuS 1986 131; LG Düsseldorf 2.3.1984, VerBAV 1984 415. Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Anm. G 125; Martin SVR V II, Rn. 117; Bach/Moser/Sauer § 6 MB/ KK Rn. 6, im Hinblick auf Rechnungen in der PKV. 352 OLG Koblenz 20.5.2005 – 10 U 692/04, VersR 2006 1120; KG 6.1.2004 – 6 U 26/02, VersR 2005 351; vgl. auch: OLG Köln 4.4.2006 – 9 U 102/05, VersR 2007 493; AG Geilenkirchen 8.11.2005 – 10 C 590/04, RuS 2007 107. 353 Vgl. OLG Köln 17.5.1994, VersR 1995 1305, 1306, bezogen auf § 21 Nr. 2 b) AHB 1984. 354 Vgl. auch: OLG Hamm 10.7.1987, VersR 1988 394. 391

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§ 31 VVG

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

D. Die Auskunfts- und Belegpflicht des Dritten (§ 32 Abs. 2) 93 Leistungsberechtigte Dritte sind Versicherte in der Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff.), Bezugsberechtigte in der Lebens- und Unfallversicherung (vgl. §§ 159 f., 182 VVG, 330 Satz 1 BGB) und Zessionare.355 Die Informationsobliegenheit trifft sie – anders als bisher in der Lebens- und Unfallversicherung (§§ 171 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2, 182 Hs. 2 a.F.) – neben dem und nicht anstelle des Versicherungsnehmer(s). Die Informationsobliegenheit Dritter, „denen das Recht auf die vertragliche Leistung zu94 steht“ (§ 31 Abs. 2) entspricht der Beobachtung Schirmers, „dass derjenige die Obliegenheit erfüllen muss, der durch eigenes Verhalten den eigenen Versicherungsanspruch verwirken kann“.356 Dass auch der VN zur Erfüllung der Informationsobliegenheit verpflichtet bleibt, rührt nach Schirmer daher, „dass er als Vertragspartner in rechtsgeschäftlichen Kontakt mit dem VR tritt, dass der VR ihn als Vertragspartner zur Verantwortung ziehen können muss, dass das Gesetz grundsätzlich dem VN die Erfüllung der Obliegenheiten auferlegt und dass er sich gegenüber dem VR zur Erfüllung der vertraglich vereinbarten Obliegenheiten verpflichtet hat“.357

E. Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung 95 Hat ein VN oder ein leistungsberechtigter Dritter seine Informationsobliegenheit nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erfüllt, so stellt sich die Frage der Rechtsfolgen. In Betracht kommen Leistungsfreiheit oder -kürzung,358 Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB359 und, im Falle arglistiger Täuschung, die in den Musterbedingungen ggf. vorgesehene Verwirkung.360 Dagegen wäre eine Rücktrittsvereinbarung unwirksam (§ 28 Abs. 5).

I. Leistungsfreiheit oder -kürzung 96 Entgegen der Begründung361 kommen Leistungsfreiheit und -kürzung auch bei einer Obliegenheitsverletzung Dritter in Betracht: Die Bundesregierung geht im Kontext der Anzeigepflicht (§ 30 Abs. 1 Satz 2) davon aus, dass sich „eine Vereinbarung über die Leistungsfreiheit des VR … nur auf die Anzeigepflicht des VN, also nicht des Dritten, beziehen“ könne,362 und dass „sich bei schuldhafter Verletzung der Anzeigepflicht des Dritten [nur] … ein Schadensersatzanspruch nach allgemeinem Recht gegen den Dritten ergeben“ könne.363 Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Verletzung der Auskunftspflicht verweist die Begründung364 auf diese Bemerkungen. Eine Erklärung dafür, dass Leistungsfreiheit zu Lasten Dritter ausscheiden soll, bleibt die 97 Bundesregierung jedoch schuldig.365 Im Bericht der Kommission366 ist davon nicht die Rede.

355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365 366

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Schirmer FS Reimer Schmidt, 821, 827. Schirmer FS Reimer Schmidt, 821, 827 f. Rn. 96. Rn. 104. Rn. 106 ff. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Ablehnend: Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 39. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. Vgl. Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 39. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004, S. 319 f.

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E. Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung

VVG § 31

Bisher haben Rspr.367 und Literatur368 die (potentielle) Leistungsfreiheit aufgrund einer Obliegenheitsverletzung Dritter auch anerkannt. Ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter liegt darin nicht, weil der Dritte allenfalls seine Begünstigung wieder verliert.369

1. Parteivereinbarung Leistungsfreiheit kann nur noch als Rechtsfolge vorsätzlicher Obliegenheitsverletzungen festgelegt 98 werden (§ 28 Abs. 2 Satz 1), während eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung nur Leistungskürzungen rechtfertigt.370 Dementsprechend heißt es in Abschnitt B, § 8 Nr. 3a AFB 2010 (Version 1.1.2014): „Verletzt der VN eine Obliegenheit nach Nr. 1 oder 2 vorsätzlich, so ist der VR von der Verpflichtung zur Leistung frei. Bei grob fahrlässiger Verletzung der Obliegenheit ist der VR berechtigt, seine Leistung in dem Verhältnis zu kürzen, das der Schwere des Verschuldens des VN entspricht.“

2. Qualifiziertes Verschulden a) Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung (§ 28 Abs. 2 Satz 1). 99 Leistungsfreiheit tritt auf der Basis der Musterbedingungen (s.o.) bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ein.371 Der BGH geht allerdings davon aus, dass „nicht jeder Fall einer arglistigen Täuschung bei den Verhandlungen über die Ermittlung der Entschädigung die Rechtsfolge der vollständigen Leistungsfreiheit des VR nach sich ziehen“ muss.372 Denn die Berufung auf Leistungsfreiheit dürfe sich nicht als unzulässige Rechtsausübung,373 bspw. als übermäßige Härte für den VN darstellen. Eine unzulässige Rechtsausübung sei anzunehmen, wenn die Täuschung lediglich einen geringen Teil des versicherten Schadens betreffe und bei der Billigkeitsprüfung weitere Gesichtspunkte ins Gewicht fielen. Zu berücksichtigen sei auch, inwieweit die Versagung des Versicherungsschutzes den VN in seiner Existenz bedrohe. Erforderlich sei daher immer eine wertende Gesamtschau aller Umstände.374 Diese – im Kontext der Verwirkung entwickelte, aber wirkungsgleich auf die Obliegenheitsverletzung übertragene375 – Rspr. ist zu befürworten,376 weil die Einzelfallgerechtigkeit Vorrang vor der (scheinbar) klaren Dogmatik des § 28 Abs. 2 haben muss, der an eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung „stets“377 die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit knüpft (Satz 1) und eine Leistungskürzung nur bei grober Fahrlässigkeit (Satz 2) vorsieht. Erst recht einschlägig ist der Einwand unzulässiger Rechtsausübung, wenn keine arglistige Täuschung, sondern nur eine bewusste Falschangabe vorliegt.

b) Leistungskürzung bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung (§ 28 Abs. 2 Satz 2). 100 Bei grob fahrlässiger Verletzung der Informationsobliegenheit ist der VR berechtigt, seine Leis367 BGH 15.11.1978, VersR 1979 176, mit Blick auf die Versicherung für fremde Rechnung. 368 Schirmer FS Reimer Schmidt, 821, 826 ff., 843; Prölss/Martin/Kollhosser, 27. Aufl. (2004) § 171 Rn. 2, hinsichtlich der Lebensversicherung; Grimm3 § 12 AUB Rn. 10, und Bruck/Möller/Wagner Bd. 6.1 Anm. F 42, hinsichtlich der Unfallversicherung. 369 Vgl. Schirmer FS Reimer Schmidt, 821, 840; Wandt VersR 2018 321, 323. 370 Im Einzelnen: Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 5, 146 ff. 371 § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG; zum Eventualvorsatz: OLG Saarbrücken 12.7.2006 – 5 U 6/06-1, RuS 2007 298. 372 BGH 16.6.1993, VersR 1994 45, 47. 373 BGH 16.6.1993, VersR 1994 45, 47; BGH 2.10.1985, VersR 1986 77, 79; KG 6.1.2004 – 6 U 26/02, VersR 2005 351, 353. 374 BGH 16.6.1993, VersR 1994 45, 47; BGH 23.9.1992, VersR 1992 1465. 375 Vgl.: BGH 9.11.1977, VersR 1978 74; BGH 26.2.1969, VersR 1969 411. 376 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 III Anm. G 140; ablehnend: Bach/Langheid Symposion „80 Jahre VVG“ (1988) 433 ff., 448 f. 377 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 393

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§ 31 VVG

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

tung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen.378 Die Beweislast für das Nichtvorliegen grober Fahrlässigkeit trägt der VN (§ 28 Abs. 2 Satz 2).

3. Kausalität und Belehrung 101 Leistungsfreiheit oder -kürzung treten gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 nicht ein, „soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist“ (Kausalitätsgegenbeweis). Das gilt allerdings nicht, wenn der VN die Obliegenheit arglistig verletzt hat.379 Leistungsfreiheit oder -kürzung setzen eine rechtzeitige Belehrung in Textform (vgl. 102 § 126b BGB) voraus (§ 28 Abs. 4); anders als bei der spontan, d.h. allein durch den Eintritt des Versicherungsfalls ausgelösten Anzeigepflicht (§ 30) ist die Belehrung nicht entbehrlich, denn der VR kann den VN im Rahmen des konkreten Auskunfts- und Belegverlangens ohne weiteres auf das Risiko fehlender, fehlerhafter oder unvollständiger Angaben hinweisen.380 Belehrt werden muss ggf. auch der leistungsberechtigte Dritte.381 Im Falle arglistiger Täuschung bedarf es allerdings keiner Belehrung.382 Ob eine im Formular für die Schadensanzeige enthaltene Belehrung bei einer späteren Rück103 frage des VR wiederholt werden muss, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.383 Im Normalfall sollte eine einmalige, unübersehbare und unmissverständliche Belehrung ausreichen,384 so dass der VR bei Rückfragen nicht erneut zu belehren braucht.385 Es bleibt jedoch, so der BGH im Hinblick auf die bisher aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleitete Belehrungspflicht (Relevanz-Rechtsprechung), eine Frage des Einzelfalls, ob der VN im Anschluss an eine erste Belehrung aufgrund besonderer Umstände erneut belehrt werden muss.386 Das könne bspw. der Fall sein, wenn der VN bei einer späteren Nachfrage den Bezug zu den Fragen der Schadensmeldung wegen einer besonderen Fragestellung nicht ohne weiteres erkennen könne, oder eine Nachfrage nach besonders langer Zeit erfolge und deshalb die Sorge begründe, der VN könne die Belehrung nicht mehr vor Augen haben.387 Fest steht, dass es nicht geboten ist, die Belehrung losgelöst von den Fallumständen bei jeder Nachfrage des VR zu wiederholen oder feste Fristen vorzusehen, nach deren Ablauf jeder Nachfrage eine erneute Belehrung beizufügen ist.388

II. Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 BGB) 104 Im Einzelfall kann der VR nach der hier vertretenen Mindermeinung auch Schadensersatz gem. 280 Abs. 1 BGB verlangen.389 Die Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB ist vor allem dann eine adäquate Rechtsfolge, wenn durch Falschauskünfte Mehrkosten bei der Tatsachenerhebung entstanden 378 Dazu: Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 183 ff. 379 Satz 2; im Einzelnen: Bruck/Möller/Heiss Bd. I, § 28 Rn. 151 ff. 380 Ebenso bereits: OLG Düsseldorf 27.9.1988, VersR 1990 411 mit Anm. Späth (S. 413), auf der Basis der früheren Rechtslage; vgl. auch: OLG Saarbrücken 31.5.2006 – 5 U 165/05-14, VersR 2007 1646, 1647. 381 Vgl.: OLG Stuttgart 2.8.2005 – 10 U 88/05, VersR 2006 1489, 1490. 382 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. 383 BGH 28.2.2007 – IV ZR 152/05, RuS 2007 251. 384 Vgl. OLG Düsseldorf 3.12.1996, VersR 1997 1393, 1394; OLG Karlsruhe 19.9.1991, VersR 1992 1256, 1257. 385 Prölss/Martin/Armbrüster § 28 Rn. 265; anders und zu weit: OLG Oldenburg 17.1.1996, VersR 1996 1533; OLG Oldenburg 20.8.1997, VersR 1998 449. 386 BGH 28.2.2007 – IV ZR 152/05, RuS 2007 251. 387 BGH 28.2.2007 – IV ZR 152/05, RuS 2007 251; OLG Hamm 25.8.2000 NVersZ 2001 271. 388 BGH 28.2.2007 – IV ZR 152/05, RuS 2007 251 f. 389 Ebenso: Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 43; OLG Köln 2.12.1982, VersR 1983 1045; OLG Hamburg 21.6.1951, VersR 1951 226. Dagegen u.a. LG Berlin 16.1.2013 – 23 S 27/12, RuS 2013 233, 235 (abschließende Regelung der Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung in § 28). Brömmelmeyer

394

F. Leistungsfreiheit aufgrund arglistiger Täuschung

VVG § 31

sind. Im Hinblick auf leistungsberechtigte Dritte hält auch die Bundesregierung390 eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB ausdrücklich für möglich. Die „Rechtsnatur“ der Obliegenheit, über die der Reformgesetzgeber bewusst nicht entschieden hat,391 steht der Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB nicht entgegen.392 Eine Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB setzt allerdings eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung voraus; andernfalls unterliefe sie die in §§ 28, 81 angestrebte Privilegierung des nur einfach fahrlässig handelnden VN.393 Berücksichtigt man, dass den VR bei § 280 Abs. 1 BGB die Behauptungs- und Beweislast für die vorsätzliche bzw. grob fahrlässige Pflichtverletzung, für Schaden und Kausalität trifft, während er im Hinblick auf eine etwaige Leistungsfreiheit oder -kürzung nur den Tatbestand der Obliegenheitsverletzung behaupten und beweisen muss, und dass die Haftung über § 280 Abs. 1 BGB in der Regel weniger gravierend ausfällt als die Leistungsfreiheit, so löst der Rückgriff auf § 280 Abs. 1 BGB kein übertriebenes Haftungsrisiko aus; vielmehr entlastet er die Risikogemeinschaft von vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten (vermeidbaren) Regulierungskosten. Im Interesse der Kongruenz der Rechtsfolgen (s. § 28 Abs. 2 Satz 1) ist der Schadensersatz bei grober Fahrlässigkeit in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Wandt lehnt eine Haftung auf Schadensersatz im Rahmen von § 31 Abs. 1 u.a. unter Berufung auf die Begründung der VVG-Reform (2008) und die „Gesamtkonzeption des reformierten Obliegenheitsrechts“ kategorisch ab (§ 31 Abs. 1 als lex imperfecta), ebnet die Unterschiede dann allerdings z.T. wieder ein, indem er (stattdessen) eine Haftung auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB annimmt, wenn der VN gegen die allgemeine Rechtspflicht verstößt, den VR nicht arglistig zu täuschen.394 Klarzustellen ist im Anschluss an die Rechtsauffassung Wandt395 zu § 31 Abs. 2, dass eine vereinbarte Leistungsfreiheit oder -kürzung ggf. an die Stelle der Haftung auf Schadensersatz tritt; die Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB wird abbedungen und durch das vereinbarte Rechtsfolgenregime i.V.m. § 28 ersetzt.

III. Nichteintritt der Fälligkeit Fällig wird die Leistung des VR grds. erst mit der Beendigung der zur Feststellung des Versi- 105 cherungsfalls und des Umfangs der Leistung des VR notwendigen Erhebungen (§ 14 Abs. 1). Lehnt der VN die ihm gem. § 31 Abs. 1 obliegende Mitwirkung ab, weigert er sich bspw. in der Krankenversicherung, die für die Leistungsprüfung maßgeblichen Behandlungsunterlagen vorzulegen396 oder den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden,397 so wird die Leistung des VR nicht fällig.

F. Leistungsfreiheit aufgrund arglistiger Täuschung I. Rechtsgrundlage Die Musterbedingungen knüpfen an eine (versuchte) arglistige Täuschung traditionell die 106 Rechtsfolge der Verwirkung.398 Heute heißt es bspw. in § 16 Nr. 2 AFB 2010 in der Fassung vom 390 391 392 393 394 395 396 397 398

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69. Vertiefend: Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 11. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49: „Einfach fahrlässig verursachte Verstöße bleiben folgenlos“. Wandt VersR 2018 321, 326 ff. Dagegen: LG Berlin 16.1.2013 – 23 S 27/12, RuS 2013 233, 234 f. Wandt VersR 2018 321, 323; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 28 Rn. 14. OLG Hamm 16.11.2018 – 20 U 50/18, RuS 2019 102, 103. BGH 22.2.2017 – IV ZR 289/14, RuS 2017 232, 233. Begriff: Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 87; s. zuletzt: OLG Köln 21.7.2016 – 9 U 41/16, VersR 2017, 1335 (zu Ziffer 13.1 VHB 2008). 395

Brömmelmeyer

§ 31 VVG

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

1.4.2014 (Keine Leistungspflicht aus besonderen Gründen): „Der VR ist von der Entschädigungspflicht frei, wenn der VN den VR arglistig über Tatsachen, die für den Grund oder die Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind, täuscht oder zu täuschen versucht.“ Derartige Klauseln konkretisieren den in § 242 BGB wurzelnden Rechtsgedanken des redlichen Umgangs der Vertragspartner miteinander und fußt in der Erwägung, dass sich gerade das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße auf wechselseitiges Vertrauen beider gründet.399 Der VN täuscht arglistig, wenn er weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er Falschangaben macht und dass dadurch bei dem VR eine Fehlvorstellung entsteht und diese ihn zu einer Regulierungsentscheidung veranlasst, die er bei richtiger Kenntnis der Dinge nicht oder nicht so getroffen hätte.400 Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasst damit nicht nur ein Handeln, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf „bedingten Vorsatz“ i.S. eines „Fürmöglichhaltens“ reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss.401 Erklärt der VN, er habe eine Frage aus Sorge, bei ausbleibender Regulierung ohne Hab und Gut dazustehen, bewusst falsch beantwortet, so bestätigt er die arglistige Täuschung statt sie zu entschärfen.402 Musterbeispiele der Arglist sind Fälle, in denen der VN die Interessen des VR vorsätzlich verletzt,403 indem er den Versicherungsfall fingiert404 oder den Schaden überzeichnet.405 Die Frage, ob auch ein untauglicher Täuschungsversuch (Falschangaben zu einem für die Leistung unerheblichen Thema) zur Verwirkung des Leistungsanspruchs führt, hat der BGH offen gelassen; sie ist zu verneinen, weil der Täuschungsversuch von vornherein keinen Einfluss auf die sachgerechte Regulierung hat und der VR mit einer Kündigung (§ 92) angemessen auf die mit dem Täuschungsversuch verbundene Erosion des Vertrauensverhältnisses reagieren kann. 107 Unabhängig von den Musterbedingungen kann eine (versuchte) arglistige Täuschung auch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zur Verwirkung führen.406 Der BGH betont allerdings, dass es „dem wechselseitigen Gebot von Treu und Glauben“ widerspräche, wenn jede Erschütterung des Vertrauensverhältnisses dazu führen würde, dass der VN seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung verlöre.407 Daher beschränke sich die Verwirkung „auf besondere Ausnahmefälle …, in denen es für den VR unzumutbar wäre, sich an der Erfüllung der von ihm übernommenen Vertragspflichten festhalten zu lassen“.408

II. Praktische Bedeutung 108 Praktische Bedeutung entfaltet die Verwirkungsklausel in der Regel nicht,409 denn eine arglistige Täuschung in der Regulierungsphase zieht ohnehin Leistungsfreiheit gem. §§ 31, 28 Abs. 2 Satz 1 nach sich (s.o.) – und das selbst dann, wenn es an der Kausalität (§ 28 Abs. 3 Satz 2) oder

399 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, NJW 2013 1883, 1884. 400 Vgl.: OLG Karlsruhe 7.4.2005 – 12 U 391/04, VersR 2006 205, 206, mit Blick auf §§ 22 VVG a.F., 123 Abs. 1 BGB. 401 BGH 11.5.2001, NJW 2001 2326, 2327; BGH 3.3.1995, NJW 1995 1549, 1550; OLG Karlsruhe 7.4.2005 – 12 U 391/ 04, VersR 2006 205, 206; OLG Hamm 27.7.2011 – I-20 U 146/10, VersR 2012 356, 358 vertiefend: Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 157. 402 OLG Köln 21.7.2016 – 9 U 41/16, VersR 2017 1335. 403 Vgl. BGH 2.10.1985, VersR 1986 77. 404 Beispiel: Inszenierter Einbruchsdiebstahl. 405 Beispiel: Manipulierte Stehlgutliste; vgl. auch Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 34 ff. 406 Siehe nur: BGH 14.10.1987, VersR 1987 1182; BGH 8.7.1991, VersR 1991 1129, 1130; KG 6.1.2004 – 6 U 26/02, VersR 2005 351, 353; AG Köln 31.3.2006 – 123 C 388/05, VersR 2006 1681. 407 BGH 8.7.1991, VersR 1991 1129, 1131. 408 BGH 8.7.1991, VersR 1991 1129, 1131; BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, NJW 2013 1883 Rn. 26. 409 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III (Feuerversicherung) Anm. G 136; Martin SVR X III, Rn. 3 (demonstrativ-deklaratorische Bedeutung). Brömmelmeyer

396

G. Beweislastverteilung

VVG § 31

an der Belehrung (§ 28 Abs. 4) fehlen sollte.410 Daher wird der Tatbestand der Verwirkung nur relevant, wenn die Parteien ausnahmsweise keine Leistungsfreiheit wegen (vorsätzlicher) Obliegenheitsverletzung vereinbart haben sollten. Leistungsfreiheit aufgrund arglistiger Täuschung zu Lasten eines nicht (mehr) prüfungsbe- 109 reiten Versicherers scheidet generell, also auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung aus.411 Der durch die Leistungsablehnung eingetretene Konflikt der Vertragsparteien rechtfertigt es ggf. nicht mehr, dem VR weiterhin eine besondere Schutzbedürftigkeit zuzubilligen, deren Missachtung die Verwirkung des gesamten Leistungsanspruchs nach sich zieht.412 Die Kritik Langheids,413 die Rspr. unterscheide nicht zwischen Leistungsfreiheit aufgrund der Obliegenheitsverletzung (§ 31) und Verwirkung aufgrund arglistiger Täuschung (§ 242 BGB) ändert nichts daran, dass die Privilegierung eines nicht mehr prüfungsbereiten VR nicht gerechtfertigt wäre.414

G. Beweislastverteilung Die Beweislast für die objektive Pflichtverletzung trifft – sowohl im Hinblick auf Leistungsfrei- 110 heit oder -kürzung als auch im Hinblick auf die potentielle Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB – den VR.415 Das gilt auch für den Beweis der Kenntnis des VN.416 Die Frage, ob die Kenntnis Bestandteil des objektiven Tatbestands ist,417 so dass die Beweislast den VR trifft, oder ob die Kenntnis als subjektives Element der Pflichtverletzung zu qualifizieren ist,418 so dass der VN sich gem. §§ 28 Abs. 2 Satz 2 VVG, 280 Abs. 1 Satz 2 BGB entlasten müsste, war bisher umstritten. Der BGH419 hat sich mit Recht für die objektive Betrachtungsweise entschieden: Die Erfüllung einer Informationsobliegenheit setzt – auch, aber nicht nur im Hinblick auf den in der konkreten Entscheidung einschlägigen § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB – „stets voraus, dass der VN Kenntnis von den Umständen oder Tatsachen hat, die er seinem VR in Erfüllung der Obliegenheit mitzuteilen hat“.420 Fehle ihm die Kenntnis, so laufe die Aufklärungsobliegenheit ins Leere; schon objektiv könne er sie nicht verletzen, denn es gebe nichts, worüber er nach seinem Kenntnisstand seinen VR aufklären könnte.421 Behauptet der VN, seine (frühere) Kenntnis durch eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung (retrograde Amnesie) wieder verloren zu haben, so trägt er dafür die Beweislast.422

410 Vgl. im Hinblick auf die Belehrung: RegE BTDrucks. 16/3945 S. 69, und die frühere Rspr.: BGH 12.3.1976, VersR 1976 383.

411 BGH 22.9.1999, NVersZ 2000 87; OLG Hamm 12.6.1991, VersR 1992 301; wie hier wohl auch: Berliner Kommentar/ Schwintowski § 6 Rn. 124; Knappmann NVersZ 2000 68, 70. 412 BGH 13.3.2013 – IV ZR 110/11, NJW 2013 1883, 1884. 413 Römer/Langheid2 § 34 Rn. 39 f. 414 Zu den Rechtsfolgen eines Prozessbetrugs: Musielak/Voit/Stadler § 138 ZPO Rn. 7 f.; Kiethe Zivilprozessuale Sanktionen gegen unrichtigen und rechtswidrigen Sachvortrag, MDR 2007 625. 415 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126, anhand von § 7 I Abs. 2 S. 3 AKB; BGH, NJW-RR 1996 981. 416 BGH 16.9.2009 – IV ZR 246/08, NJW-RR 2010 99 (Marktwertversicherung für Fußballspieler); BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126; OLG Hamm 31.10.2018 – 20 U 19/18, NJW-RR 2019 351; OLG Karlsruhe 18.10.2007 – 12 U 9/07, VersR 2008 250; ähnlich bereits: BGH 21.4.1966, VersR 1966 577; anders noch: BGH 30.4.1969, BGHZ 52 86, 89; BGH 21.4.1993, VersR 1993 828. 417 Dafür: OLG Hamm 21.3.1990, NJW-RR 1990 1310; OLG Hamm 26.11.1993, RuS 1994 42, 43 mit kritischer Anm. Langheid. 418 Dafür: OLG Oldenburg 7.12.1994, VersR 1995 952, 953; OLG Düsseldorf 30.5.1996, NJW-RR 1996, 1496, 1497. 419 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126. 420 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126. Bestätigung durch BGH 16.9.2009 – IV ZR 246/08, NJW-RR 2010 99; s. auch: OLG Hamm 31.10.2018, 20 U 19/18 – NJW-RR 2019 351. 421 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126. 422 BGH 13.12.2006 – IV ZR 252/05, NJW 2007 1126; kritisch zu der Begründung des BGH: Prölss VersR 2008 674, 675; s. auch OLG Dresden 7.11.2017 – 4 W 991/17, RuS 2018 242 m. Anm. Jungermann, mit dem (unzulässig) vereinfa397

Brömmelmeyer

§ 31 VVG

111

Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers

Im Hinblick auf die Leistungsfreiheit oder -kürzung (§ 28 Abs. 2) ist aufgrund der Pflichtverletzung zu vermuten, dass der VN grob fahrlässig gehandelt hat (Satz 2). Besteht der VR auf (vollständige) Leistungsfreiheit (§ 28 Abs. 2 Satz 1), so muss er den Vorsatz beweisen;423 will der VN einer Leistungskürzung entgehen, muss er sich im Hinblick auf die (vermutete) grobe Fahrlässigkeit entlasten oder die fehlende Kausalität der Pflichtverletzung beweisen.424

H. Abdingbarkeit 112 Die Parteien können „zum Nachteil des VN“ (nur) von § 31 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, nicht aber von Absatz 1 Satz 2 abweichen (§ 32 Satz 1), so dass sie (nur) die Auskunfts-, nicht aber die Belegpflicht verschärfen können. Das schließt nicht aus, vorsätzliche oder grob fahrlässige Belegpflichtverletzungen vertraglich mit der Rechtsfolge der Leistungsfreiheit oder -kürzung zu verknüpfen.425

chenden „Motto‚ einmal gewusst – immer gewusst‘“; LG Dortmund 17.3.2016 – 2 O 223/15, ZfS 2016 631; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 28 Rn. 49; a.A. Langheid/Rixecker/Rixecker § 31 Rn. 15; Langheid/Wandt/Wandt § 31 Rn. 126; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann § 28 Rn. 149; s. auch: Wohlthat RuS 2019 549, 553 f., die dem VN lediglich eine sekundäre Darlegungslast aufbürden will. 423 Zur früheren Rechtslage: BGH 10.2.1999, VersR 1999 1004; BGH 5.12.2001, VersR 2002 173; OLG Karlsruhe 18.10.2007 – 12 U 9/07, VersR 2008 250. 424 § 28 Abs. 3 Satz 1; RegE BTDrucks. 16/3945 S. 49. 425 Rn. 98. Brömmelmeyer

398

§ 32 Abweichende Vereinbarungen 1

Von den §§ 19–28 Abs. 4 und § 31 Abs. 1 Satz 2 kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. 2Für Anzeigen nach diesem Abschnitt, zu denen der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, kann jedoch die Schrift- oder die Textform vereinbart werden.

Schrifttum Armbrüster Das BGH-Urteil zur unterlassenen AVB-Anpassung und seine Folgen, VersR 2012 9; Felsch Verhüllte Obliegenheiten – ein Nachruf, RuS 2015 53; Klimke Die halbzwingenden Vorschriften des VVG, Diss. Berlin 2003; Marlow/Spuhl Zur (Un-)Wirksamkeit von Ausschlussklauseln für „bekannte ernstliche Erkrankungen“ in Restschuldversicherungsverträgen, RuS 2009 177; Leverenz Auswirkungen des „Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr“ auf die Versicherungswirtschaft, VersR 2002 1318; Werber Halbzwingende Vorschriften des neuen VVG und Inhaltskontrolle, VersR 2010 1253.

Übersicht c)

1

A.

Einführung

I.

Historische Entwicklung

II.

Regelungszweck

III.

Regelungssystematik

B.

Halbzwingende Vorschriften (§ 32 5 Satz 1)

I. 1.

5 Begriff, Inhalt und Funktion Abweichung zum Nachteil des Versicherungs7 nehmers 8 Saldierung von Vor- und Nachteilen 10 a) Beurteilungsmaßstab b) Risikoausschluss statt Risikoprüfung 11 (§§ 19 ff.)?

2.

Vertragsstrafe in der Kfz-Versicherung? 19

1 II.

Halbzwingende Vorschriften im Einzel20 nen

III.

Rechtsfolgen

C.

Formvereinbarungen (§ 32 Satz 2)

I.

Regelungszusammenhang

II. 1. 2.

Formerfordernisse 31 Schriftform 34 Textform

III.

Rechtsfolge bei Formfehlern

D.

Kontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB

3 4

24 25

25

29

35 36

A. Einführung I. Historische Entwicklung Halbzwingende Vorschriften enthielt bereits das VVG vom 30.5.1908.1 Diese wurden durch die 1 Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.19392 „nach österreichischem Vorbilde“3 jeweils am Ende eines Titels vereinigt. Dementsprechend fasst auch § 32 Satz 1 – ähnlich wie zuvor § 34a Satz 1 a.F. – die halbzwingenden Vorschriften des Kapitels 1 Abschnitt 2 (§§ 19–32) unter der Überschrift „Abweichende Vereinbarungen“ zusammen.

1 RGBl. 1908 S. 263. 2 RGBl. 1939 I S. 2443. 3 Motive S. 642. 399 https://doi.org/10.1515/9783110522624-015

Brömmelmeyer

§ 32 VVG

2

Abweichende Vereinbarungen

Mit der Neufassung – nach § 34a Satz 1 a.F. konnte sich der VR auf (nachteilig) abweichende Vereinbarungen „nicht berufen“ – ist die Klarstellung verbunden, dass zum Nachteil des VN abweichende Vereinbarungen unwirksam sind. Daraus folgt, dass sich auch der VN nicht (mehr) auf eine abweichende, für ihn nachteilige Regelung berufen könnte.4

II. Regelungszweck 3 Halbzwingende Vorschriften schränken die Privatautonomie der Parteien ein; sie tragen der Tatsache Rechnung, dass die Richtigkeitsgewähr der Verträge5 im Privatversicherungsrecht im Regelfall nicht gewährleistet ist; vielmehr gilt es, den strukturell unterlegenen6 und schwächeren7 VN – über die Kontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) hinaus – vor Parteivereinbarungen zu schützen, die einseitig die Interessen des VR verwirklichen würden. Daher dürfen die Parteien für den VN günstigere, aber keine für ihn ungünstigeren Regelungen treffen. Halbzwingende Vorschriften gewährleisten anders gewendet einen Mindestschutz des VN – ohne über diesen Mindestschutz hinausgehende, den VN in (noch) höherem Maße schützende Vereinbarungen auszuschließen.8

III. Regelungssystematik 4 Bezugspunkte des § 32 sind die in Satz 1 aufgeführten halbzwingenden Vorschriften §§ 19 bis 28 Abs. 4, § 31 Abs. 1 Satz 2. § 32 ist auf die Rück- und die Seeversicherung nicht anwendbar (§ 209). Ebenso wenig anwendbar ist er auf die in Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EGVVG genannten Großrisiken und auf laufende Versicherungen (vgl. §§ 53 ff.), weil in der Kodifikation halbzwingender Vorschriften eine „Beschränkung der Vertragsfreiheit“ (§ 210) liegt.9

B. Halbzwingende Vorschriften (§ 32 Satz 1) I. Begriff, Inhalt und Funktion 5 Halbzwingende Vorschriften schützen den VN davor, dass ihm eine durch die gesetzliche Regelung eingeräumte (vorteilhafte) Rechtsposition durch Parteivereinbarung (Individualvereinbarung oder AVB-Klausel) entzogen wird,10 und verhindern, dass die Beweislastverteilung zu Lasten des VN abgeändert wird:11 Für den VN nachteilige Veränderungen der Beweislastverteilung gegenüber halbzwingenden Vorschriften sind unwirksam.12 Halbzwingende Vorschriften stehen

4 Anders im Hinblick auf die frühere Rechtslage: BGH 10.1.1951, NJW 1951 231, 232; Klimke 115; vertiefend: Rn. 22. Im Erg. wie hier: Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 18, unter Berufung auf systematische Überlegungen (Parallelen zu § 312k BGB und § 48d VVG a.F.). 5 Vgl. Schmidt-Rimpler AcP 147 (1941) 130 ff. 6 Begriff: BVerfG 19.10.1993, NJW 1994 36, 38. 7 Motive S. 63. 8 S. Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 2; Werber VersR 2010 1253. 9 Dazu: OLG Hamburg 8.3.2018 – 6 U 39/17, RuS 2018 371; High Court of Justice (Queen´s Bench Division) 2.3.2018 (2018) EWHC 358 (QB) RuS 2019 145. 10 Klimke 28. 11 Berliner Kommentar/Riedler § 42 Rn. 5; Klimke 39. 12 BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347 Rn. 19; Brömmelmeyer

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B. Halbzwingende Vorschriften (§ 32 Satz 1)

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auch nachträglich getroffenen nachteilhaften Vereinbarungen entgegen.13 Dafür spricht, dass der VN insb. in der Regulierungsphase dazu neigen wird, dem VR – auf Kosten eigener, durch die §§ 19 bis 28 Abs. 4, 31 Abs. 2 geschützter Interessen – entgegenzukommen,14 und dass er die Risiken nachteilig abweichender Vereinbarungen im Regelfall auch nachträglich nicht ohne weiteres wird abschätzen können.15 Dasselbe gilt für einseitige Verzichtserklärungen – ohne dass es darauf ankommt, dass der VN auf Initiative des VR verzichtet hat.16 Dafür spricht neben absehbaren Beweisproblemen – nach allgemeiner Lebenserfahrung lässt sich im Nachhinein oft nicht mehr klären, wer den Anstoß gegeben hat – vor allem, dass der durchschnittliche VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse17 z.B. die Komplexität der gesetzlichen Regelung der Gefahrerhöhung nicht überblickt, so dass er mit einer Bilanzierung der Vor- und Nachteile überfordert sein wird und deswegen vor den Konsequenzen eines – ggf. auch aus eigener Initiative erklärten – Verzichts auf halbzwingend ausgestaltete Rechtspositionen geschützt werden muss. Prozessvergleiche sollen auch zulässig sein, wenn sie zum Nachteil des VN von halbzwingenden Vorschriften abweichen.18 6 Eine Benachteiligungsabsicht ist nicht erforderlich.19

1. Abweichung zum Nachteil des Versicherungsnehmers Halbzwingende Vorschriften verhindern Parteivereinbarungen zum Nachteil des VN oder 7 des Begünstigten, insb. des Bezugsberechtigten in der Lebensversicherung.20 Die Bestimmungen über das Bezugsrecht selbst (§§ 159 f.) sind allerdings dispositiv (§ 171 Satz 1 e contrario).

2. Saldierung von Vor- und Nachteilen Ein Verstoß gegen § 32 Satz 1 liegt nur vor, „wenn die Würdigung der [von der gesetzlichen 8 Regelung abweichenden] Klausel im Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung aller Vorund Nachteile ergibt, dass sie zum Nachteil des VN abweicht“.21 Rechtsprechung22 und Literatur23 haben die Frage, ob Vor- und Nachteile einer abwei- 9 chenden Regelung abgewogen und saldiert werden können, überwiegend bejaht.24 Der 13 BGH 22.6.1988 – IVa ZR 25/87, VersR 1988 1013 und OLG Hamm 17.5.1991 – 20 U 326/90, RuS 1992 77, beide mit Blick auf das frühere Kündigungserfordernis aus §§ 6 Abs. 1 Satz 3, 15a VVG; OLG Saarbrücken 26.2.1988 – 3 U 96/ 86, VersR 1988 1038, mit Blick auf das heute in §§ 86 Abs. 3, 87 VVG geregelte Familienprivileg; a.A. OLG Köln 9.4.1959 – 1 U168/58, VersR 1960 894; im Einzelnen: Klimke 41 ff. 14 BGH 22.6.1988, VersR 1988 1013, 1014. 15 Ebenso, aber mit Differenzierungen im Einzelfall: Klimke 47 f., 328. 16 Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 1; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 18 Rn. 3; s. auch: Langheid/ Wandt/Wandt § 32 Rn. 7. 17 S. BGH 3.7.2019 – IV ZR 195/18, NJW 2019 3299. 18 Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 6. 19 Klimke 33. 20 Bruck/Möller/Möller8 § 15a Anm. 4; Klimke 41. 21 OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 384; OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62; OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, NJW-RR 2008 280, 283 („bilanzierende Betrachtung“); alle anhand von § 34a Satz 1 VVG a.F. 22 OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 384; OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62; OLG Hamm 28.1.1992, NJW-RR 1992 1058 f. 23 Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker § 32 Rn. 3; Klimke 68. 24 Ablehnend: Gebauer Grenzen der Ausgestaltung weicher Tarifmerkmale, NVersZ 2000 7, 13; Michaelis Die Unwirksamkeit von Vertragsstrafenregelungen in den Tarifbestimmungen der Kraftfahrzeugversicherung, DAR 1997 433, 435; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 32 Rn. 2. 401

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§ 32 VVG

Abweichende Vereinbarungen

BGH25 hat die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten (§§ 16 ff. a.F.) zwar als „abschließend“ qualifiziert.26 Er hat damit jedoch nicht über die Frage der Saldierung entschieden.27 Denn der BGH hat sich nur mit einer zusätzlichen Haftung aus c. i. c. und nicht mit der Frage befasst, ob und inwieweit die Parteien die Rechtsfolgen der §§ 19 ff. durch eine für den VN per Saldo günstigere Regelung hätten ersetzen können.

10 a) Beurteilungsmaßstab. Die Bilanzierung der Vor- und Nachteile setzt eine Beurteilung ex ante, aus der Perspektive eines aufgeklärten und verständigen VN voraus, der die abweichende Vereinbarung sorgfältig analysiert:28 Kommt man zu dem Ergebnis, dass sie ihn – verglichen mit der in §§ 19 bis 28 Abs. 4, 31 Abs. 1 Satz 2 getroffenen Regelung – nicht (wirtschaftlich) benachteiligt, so ist sie mit § 32 Satz 1 vereinbar. Dabei ist die vertragliche Vereinbarung objektiv, auf der Grundlage des Empfängerhorizontes – bei AVB-Klauseln: eines durchschnittlichen VN29 – auszulegen (§§ 133, 157 BGB),30 die gesetzliche Regelung grammatisch, historisch, teleologisch usw. Im Übrigen ist zu unterscheiden: Liegt eine abweichende Individualvereinbarung vor, so sind ihre Vor- und Nachteile individuell-konkret,31 liegt eine abweichende AVB-Klausel vor, so sind sie generell-abstrakt zu ermitteln;32 so stellt bspw. das OLG Saarbrücken bei der Prüfung einer Risikoausschlussklausel „nicht auf den Einzelfall“ ab, sondern fragt, „ob generell und ohne Rücksicht auf den Einzelfall einem VN ein Nachteil erwächst“.33 Klarzustellen ist im Übrigen, dass Vor- und Nachteile immer nur im Rahmen eines einheitlichen Regelungskomplexes und nicht über den gesamten Vertragsinhalt hinweg saldiert werden können:34 Eine Vereinbarung, die zum Nachteil des VN von §§ 19 ff. (vorvertragliche Anzeigepflichten) abweicht, ist auch dann unwirksam, wenn eine weitere Vereinbarung in ein- und demselben Versicherungsvertrag zu Gunsten des VN von den §§ 23 ff. (Gefahrerhöhung) abweicht. Ebenso unwirksam ist eine nachteilige Abweichung, wenn der VR als Kompensation lediglich einen Prämiennachlass gewährt.35

11 b) Risikoausschluss statt Risikoprüfung (§§ 19 ff.)? Im Mittelpunkt der Diskussion über die Saldierung steht die Restschuldversicherung36 und die Frage, ob ein vom Leitbild der §§ 19 ff. abweichender Risikoausschluss verbunden mit einem vollständigen Verzicht auf die vorvertragliche Risikoprüfung möglich ist.37 25 BGH 7.2.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 630. 26 Ebenso: OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, NJW-RR 2008 280, 281; vgl. auch: BGH 22.2.1984, VersR 1984 630. 27 Im Ergebnis wie hier: OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, NJW-RR 2008 280, 281, das eine „vergleichende Betrachtung“ nach wie vor befürwortet. 28 Ähnlich: Klimke 93 f. Zustimmend: Looschelders/Pohlmann/Klenk § 32 Rn. 7. 29 OLG Dresden 17.4.2018 – 6 U 1480/17, NJW 2018, 3033. 30 BGHZ 20, 110 (std. Rspr.). 31 Klimke 95. 32 Allg. Meinung: Wandt/Langheid/Wandt § 32 Rn. 12 und 16; Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 6 (überindividuellgeneralisierender Maßstab); Langheid/Rixecker/Rixecker § 32 Rn. 3; Klimke 95 bis 97 (typisierende Betrachtungsweise), 329; Bruck/Möller/Beckmann Einl VVG E Rn. 170; OLG Koblenz 1.6.2007, VersR 2008 383. 33 OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, NJW-RR 2008 280, 281, unter Berufung auf Berliner Kommentar/ Riedler § 42 Rn. 2, und ohne diesen Prüfungsmaßstab ausdrücklich auf abweichende AVB zu beschränken. 34 Ebenso bereits: Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 13 (auch zu den sog. Kompensationstheorien); anders u.U.: Prölss/Martein/Armbrüster § 18 Rn. 5 (Berücksichtigung nur der Vorteile, die gerade als Folge der Abweichung zulasen des VN konzipiert sind). 35 Prölss/Martin/Armbrüster § 18 Rn. 5. 36 Dazu: Knoblauch Der Markt der Restschuldversicherung, VuR 2008 91 ff. 37 Einzelfallabhängig dagegen: BGH 7.2.1996, VersR 1996 486; LG Dortmund 12.7.2017 – 2 O 454/16, RuS 2018 33. Einzelfallabhängig dafür: OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383; OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/ 05, VersR 2006 61, mit ablehnender Anmerkung Knappmann; Krämer Zustandekommen und Zulässigkeit von Brömmelmeyer

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B. Halbzwingende Vorschriften (§ 32 Satz 1)

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Der BGH38 hat einen Risikoausschluss für „Gesundheitsstörungen … in den letzten 12 Mona- 12 ten vor Beginn“ der Restschuldversicherung verworfen, weil die Klausel nicht erkennen lasse, dass sie nur die dem VN bekannten und bewussten Gefahrumstände“ ausschließen solle, und weil „der VR den Zweck der Risikoprüfung“ verfehle.39 Er übernehme das ihm angetragene Risiko zunächst unbesehen, um es erst nach Eintritt des (angeblichen) Versicherungsfalls zu untersuchen und zu entscheiden, ob er zurücktrete und sich auf Leistungsfreiheit berufe. Das sei mit § 34a a.F. unvereinbar. Die gesetzliche Regelung gebe diese Rechte „nur demjenigen VR, der bei Schließung des Vertrags versucht habe, einen seinen praktizierten Risikoprüfungsgrundsätzen entsprechenden und damit für den korrekt handelnden VN voraussehbar bestandskräftigen Versicherungsschutz zu begründen“. Diesen Bestandsschutz gewährleiste der Risikoausschluss nicht.40 Daran hält der BGH41 fest: Die Klausel „Versicherungsschutz besteht nicht für Invalidität, 13 die ganz oder überwiegend eingetreten ist auf Grund angeborener oder solcher Krankheiten, die im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten sind“ hält er in der Kinder-Invaliditätsversicherung für unwirksam; sie verstoße gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), weil der Begriff der angeborenen Krankheit nicht näher erläutert werde,42 und sie knüpfe an „in Erscheinung getretene Krankheiten“ an, so dass Leistungsfreiheit auch ohne Kenntnis des VN in Betracht komme. Damit weiche die Klausel zu Ungunsten des VN von den Grundgedanken der (früheren) §§ 16 ff. ab (§ 34a a.F.), die die Anzeigepflicht des VN auf ihm bekannte Gefahrumstände beschränkten. Ob der VR von der ihm gesetzlich eingeräumten Risikoprüfungsmöglichkeit Gebrauch mache und damit ggf. im Versicherungsfall Leistungsfreiheit erlangen könne, stehe grundsätzlich in seinem Belieben. Da sich Leistungsfreiheit aber nur aus einer (schuldhaft begangenen) Verletzung der Anzeigeobliegenheit herleiten lasse, könne er, wenn er die Möglichkeit zur Risikoprüfung genutzt habe, nur dann zurücktreten, wenn ein dem VN bekannter Gefahrumstand ihm – gefragt oder ungefragt – nicht mitgeteilt worden sei.43 Der VR entziehe sich der gesetzlichen Risikoverteilung dadurch, dass er formularmäßig Leistungsausschlüsse für Vorerkrankungen vorsehe, selbst wenn diese dem VN schuldlos unbekannt blieben. Die Vereinbarung eines solchen Leistungsausschlusses, der – wie hier – an die Stelle einer auf den Einzelfall bezogenen Risikoprüfung treten solle, wie sie vom Gesetz gefordert sei, laufe der dem Schutz des VN dienenden Bestimmung des § 34a a.F. (§ 32) und der im Rahmen der §§ 16 ff. a.F. dem VR obliegenden Gefahrtragung zuwider.44 Wenn die Leistungspflicht des VR nicht mehr davon abhängen solle, dass er nach eigenverantwortlicher Abschätzung der ihm vom VN offenbarten Gefahrenlage die Absicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen eines von beiden Parteien nur für möglich gehaltenen zukünftigen Ereignisses (hier: Eintritt der Invalidität) übernommen habe, wäre zugleich seine Hauptleistungspflicht unzulässig ausgehöhlt;45 auch deshalb sei Risikoausschlussklauseln in der Kreditlebensversicherung, VersR 2004 713; LG Braunschweig 5.8.2014 – 7 O 651/ 14, RuS 2015 86, mit Anm. Marlow. Unentschieden: OLG Brandenburg 25.4.2007 4 U 183/06, VersR 2007 1071; OLG Frankfurt/M 28.7.1999, VersR 2000 1135; vgl. auch: BGH 2.3.1994, VersR 1994 549, mit ablehnender Anm. Prölss; OLG Düsseldorf 17.6.1999, VersR 2000 1093. Marlow/Spuhl RuS 2009 177, halten § 34a VVG a.F. „mangels Risikoprüfungsbedarf“ nicht für anwendbar; wäre er anwendbar, so wiche die Risikoausschlussklausel jedoch auch nach ihrer Meinung zu Lasten des VN von der gesetzlichen Regelung in (heute) §§ 19 ff. ab; s. auch: Langheid/Rixecker/ Rixecker § 32 Rn. 4; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 33; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 32 Rn. 9, mit dem Hinweis, dass Risikoauschlussklauseln dem VN den dem System der §§ 19 ff. inhärenten Schutz nicht nehmen dürften. 38 BGH 7.2.1996, VersR 1996 486. 39 BGH 7.2.1996, VersR 1996 486, 487. 40 BGH 7.2.1996, VersR 1996 486, 487; ähnlich: OLG Hamm 16.10.1998, OLGR 1999 307. 41 BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, VersR 2007 1690. 42 BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, VersR 2007 1690. 43 BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, VersR 2007 1690, unter Berufung auf BGH 2.3.1994, VersR 1994 549; BGH 7.2.1996, VersR 1996 486. 44 BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, VersR 2007 1690. 45 BGH 26.9.2007 – IV ZR 252/06, VersR 2007 1690. 403

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§ 32 VVG

Abweichende Vereinbarungen

die Klausel unwirksam. Parallel dazu hat das OLG Karlsruhe46 eine Klausel in der Reiserücktrittskostenversicherung beanstandet, die den Versicherungsschutz für (versicherte) Ereignisse ausschloss, „mit denen zur Zeit des Vertragsschlusses … zu rechnen war.“ Die Erfragung und die Beurteilung gefahrerheblicher Umstände sei nach dem Leitbild der §§ 19 ff. dem VR zugewiesen; von diesem Leitbild dürfe man gem. § 32 nicht abweichen. Der VR weiche jedoch ab, wenn er „bei Vertragsschluss jede Risikoprüfung unterlasse und sie damit letzlich auf einen Zeitpunkt nach Eintritt des Versicherungsfalls verlagere.“47 Das OLG Dresden48 hat den Risikoausschluss für „ernstliche Erkrankungen (z.B. Erkran14 kung des Herzens und des Kreislaufs …) oder Unfallfolgen, wegen derer [der VN] in den letzten 12 Monaten vor Beginn des Versicherungsschutzes ärztlich beraten oder behandelt wurde“, in der Restschuldversicherung nicht beanstandet. Die Einschränkung galt allerdings auch nur, wenn der Versicherungsfall innerhalb der nächsten 24 Monate seit Beginn des Versicherungsschutzes eintrat und mit dieser Erkrankung … in ursächlichem Zusammenhang stand.49 Die Restschuldversicherung entspringe einem „verbreiteten Bedürfnis des Marktes“. Die Entbindung von der vorvertraglichen Risikoprüfung allein weiche nicht von dem gesetzlichen Leitbild ab, weil der Risikoausschluss an – beispielhaft aufgeführte – ernstliche und bekannte Erkrankungen gekoppelt sei, die nach dem gesetzlichen Leitbild (angeblich) ebenfalls zur Versagung des Versicherungsschutzes führen würden.50 Abstrakt gesehen (s.o.) überwögen die Vorteile des VN: Die angegriffene Klausel führe ihm „die Gefahren des Kreditengagements deutlich vor Augen“. Eine Benachteiligung folge auch nicht daraus, dass der Risikoausschluss von selbst und nicht erst aufgrund eines rechtzeitigen (vgl. § 21 Abs. 1) und verschuldensabhängigen (vgl. § 19 Abs. 3 Satz 1) Rücktritts eintrete, denn der VN hätte die (hypothetische) Nichtangabe ernstlicher Erkrankungen angeblich zu vertreten und der VR wäre angeblich zurückgetreten. Die Vorteile des Risikoausschlusses sollen darin bestehen, dass (1) er nur gilt, „wenn der Versicherungsfall innerhalb der nächsten 24 Monate seit Beginn der Versicherungsschutzes“ eintritt, so dass der Versicherte, der diese Wartezeit überstanden hat, für die restliche Kreditlaufzeit versichert sei, und dass (2) der Verzicht auf eine Risikoprüfung „im Interesse der Kunden an einem raschen, unkomplizierten und kostengünstigen“ Abschluss der Restschuldversicherung liege.51 Die Bedenken gegen diese Rechtsprechung liegen auf der Hand: Der Risikoausschluss tritt 15 in der Restschuldversicherung gar nicht an die Stelle einer Risikoprüfung; vielmehr führt er dazu, dass sich der VR – abweichend von dem gesetzlichen Regelfall der §§ 19 ff. – auf eine Risikoprüfung ex post beschränkt und die Risikoprüfung ex ante auf den VN verlagert.52 Das kommt insb. in der Ermächtigung des VR zum Ausdruck, die behandelnden Ärzte bei Eintritt des Versicherungsfalls – d.h. im Rahmen der nachträglichen Risikoprüfung – über den Gesundheitszustand bei Vertragsschluss zu befragen.53 Fraglich ist also, ob ein „redlicher, vertragstreuer VN“,54 der eine ernstliche Erkrankung im Rahmen einer hypothetischen Risikoprüfung ange46 OLG Karlsruhe 16.5.2013 – 12 U 184/12, VersR 2014 1125. 47 Dazu auch: Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 32 Rn. 4 („quasi verhüllte Risikoprüfung“), der die Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle (§§ 305c, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) stärker in den Vordergrund stellt, einen Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) annimmt und auf LG Dortmund 14.5.2014 – 2 O 388/13, VuR 2014 364 verweist. 48 OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61. 49 Zustimmend: OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 384. 50 OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62; ähnlich: OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 385; mit Recht ablehnend: Knappmann Restschuldversicherung – Wirksame Ausschlussklausel für Vorerkrankungen, VersR 2006 495, 496. 51 OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62; OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 385; vgl. auch: OLG Schleswig 27.3.2006 – 16 W 177/05, VuR 2007 22 (Kein Verstoß gegen § 34a VVG a.F., wenn die Kreditlaufzeit mindestens 60 Monate beträgt). 52 Ähnlich: OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, NJW-RR 2008 280, 282. 53 OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 385. 54 OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 385, Knappmann VersR 2006 495, 496. Brömmelmeyer

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B. Halbzwingende Vorschriften (§ 32 Satz 1)

VVG § 32

zeigt hätte (§ 19 Abs. 1 Satz 1), dadurch benachteiligt wird, dass die ex ante Risikoprüfung des VR entfällt. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu berücksichtigten, dass die Prognose, wie der VR aufgrund einer hypothetischen Risikoprüfung entschieden hätte, spekulativ ist:55 Evtl. hätte er den Vertragsschluss abgelehnt. Evtl. hätte er aber auch einen Risikoausschluss oder Risikozuschläge verlangt. Erst recht spekulativ ist die Behauptung, bei hypothetischer Risikoprüfung hätte die Nichtangabe einer unter den Risikoausschluss fallenden Erkrankung genauso zur Leistungsfreiheit geführt wie der Risikoausschluss.56 Es steht ja – bei generell-abstrakter Betrachtungsweise (s.o.) – nicht fest, dass der VN schuldhaft gehandelt (§ 19 Abs. 3), dass der VR die Erkrankung nicht gekannt (§ 19 Abs. 5 Satz 2) und dass er den Rücktritt fristgerecht erklärt hätte (§ 21 Abs. 1). Denkbar wäre bspw. auch, dass der VN eine (objektiv gesehen) ernstliche Erkrankung einfach fahrlässig nicht als solche erkannt und nicht angezeigt hat. In diesem Falle wäre ein Rücktritt des VR gem. §§ 16 Abs. 3 a.F., § 19 Abs. 3 ausgeschlossen und der VN von Beginn an uneingeschränkt versichert. Eine Kompensation durch Vorteile der VN (auch) in anderen Fallgruppen scheidet aus. Ein- 16 zuräumen ist zwar, dass die Feststellung einer ernstlichen Erkrankung im Rahmen einer Risikoprüfung ex ante dazu führen kann, dass der VR die Risikoabsicherung (§ 1 Satz 1) ganz ablehnt oder einen unbefristeten Risikoausschluss verlangt, während der Risikoausschluss ohne anfängliche Risikoprüfung typischerweise befristet und der VN nach Fristablauf uneingeschränkt versichert wäre.57 Die Befristung ist jedoch ambivalent; sie setzt auch Fehlanreize, weil sie riskante Entscheidungen provoziert: Der VN könnte die Belastungen durch Kredit und Restschuldversicherung trotz ernsthafter Erkrankung in der Hoffnung in Kauf nehmen, dass der Versicherungsfall erst nach Fristablauf eintritt; ausgerechnet in der Phase, in der die Restschuld am höchsten ist, bestünde dann aber ein nur eingeschränkter Versicherungsschutz. Das Interesse an einem „raschen, unkomplizierten und kostengünstigen Abschluss des Versicherungsvertrags“58 fällt insoweit nur am Rande ins Gewicht. Denn ein verständiger VN ist vorrangig an der Effektivität des Versicherungsschutzes interessiert. Der BGH behandelt die Risikoprüfung gem. §§ 19 ff. bisher als Preis der Leistungsfreiheit. 17 Diese stehe nur dem VR zu, „der … versucht habe, einen seinen praktizierten Risikoprüfungsgrundsätzen entsprechenden und damit für den korrekt handelnden VN voraussehbar bestandskräftigen Versicherungsschutz zu begründen“.59 Ein Risikoausschluss käme so gesehen strukturell nicht in Betracht. Dafür spricht, dass er dem VN das Restrisiko aufbürdet, die Erheblichkeit einer Erkrankung falsch einzuschätzen.60 Dieses Restrisiko besteht allerdings auch, wenn er die falsch eingeschätzte Erkrankung nicht angibt. Dementsprechend darf die Risikoprüfung dann, aber auch nur dann durch einen Risikoausschluss ersetzt werden, wenn er die Benachteiligung der VN (s.o.) vermeidet, einen ebenso ausgewogenen Interessenausgleich gewährleistet wie die gesetzliche Regelung der Risikoprüfung (§§ 19 ff, 32) und die verbleibende Rechtsunsicherheit minimiert. Daraus folgt mit Blick auf die Restschuldversicherung insbesondere, • dass sich der Risikoausschluss auf dem VN bekannte,61 ausdrücklich und abschließend aufgeführte Krankheiten beschränken muss; • dass sich der Risikoausschluss auf Fälle beschränkt, in denen der VN erkannt oder grob fahrlässig verkannt hat, dass die ihm bekannte Krankheit unter den ihm bekannten Risikoausschluss fällt (vgl. § 19 Abs. 3 Satz 1); andernfalls bestünde insb. im Randbereich der im Risikoausschluss aufgeführten Krankheiten das Risiko, dass sich der VN (einfach fahrlässig)

55 56 57 58 59 60 61 405

Ähnlich: Knappmann VersR 2006 495, 496; OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, NJW-RR 2008 280, 282. OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62; OLG Koblenz 1.6.2007, VersR 2008 383, 385. OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62; OLG Koblenz 1.6.2007, VersR 2008 383, 385. OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62; OLG Koblenz 1.6.2007, VersR 2008 383, 385. BGH 7.2.1996, VersR 1996 486. OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, NJW-RR 2008 280, 282; Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 114. Vgl.: § 19 Abs. 1 Satz 1; BGH 7.2.1996, VersR 1996 486. Brömmelmeyer

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Abweichende Vereinbarungen

für versichert hält und nur deswegen die – um die Kosten der Restschuldversicherung erhöhte – Kreditverpflichtung übernimmt,62 tatsächlich aber nicht versichert ist; • dass sich der Risikoausschluss auf Krankheiten beschränken muss, die dem VR im konkreten Einzelfall unbekannt sind (vgl. § 19 Abs. 5 Satz 2); • dass der Risikoausschluss berücksichtigt, dass der VR trotz (objektiv gesehen) ernstlicher Erkrankung zur Leistung verpflichtet bleibt, wenn der VN die Ernsthaftigkeit grob fahrlässig verkannt hat, der VR die Restschuldversicherung jedoch vor dem Hintergrund einer hypothetischen Risikoprüfung aufgrund seiner subjektiven Risikoprüfungsgrundsätze trotzdem abgeschlossen hätte (vgl. § 19 Abs. 4 Satz 1). 18 Im Übrigen ist der VN bereits im Produktinformationsblatt klar und verständlich über den Risikoausschluss zu informieren (§ 7 Abs. 1 i.V m. § 4 Abs. 2 VVG-InfoV) und auf der Basis von § 6 Abs. 1 (anlassbezogen) zu beraten: Da die Komplexität der Restschuldversicherung regelmäßig einen Beratungsanlass darstellt und der Risikoausschluss (s.o.) eine erhebliche Einschränkung des Leistungsversprechens des VR beinhaltet, hat der VR den VN im Beratungsgespräch gezielt auf Krankheiten anzusprechen, die unter den Risikoausschluss fallen könnten. Liegen solche Krankheiten vor, hat er ggf. die Risikoabsicherung über eine konventionelle Risikolebensversicherung mit entsprechenden Risikozuschlägen zu empfehlen. Der Risikoausschluss muss außerdem einer Inhaltskontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB standhalten, d.h. insb. dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) Rechnung tragen und auf gravierende – dem VN bekannte (s.o.) – Risikofaktoren beschränkt werden, weil andernfalls die vertraglich vereinbarte Risikoabsicherung ausgehöhlt wäre (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

19 c) Vertragsstrafe in der Kfz-Versicherung? In der Kfz-Versicherung ist der VN verpflichtet, zutreffende Angaben zu bestimmten Merkmalen der Beitragsberechnung wie bspw. zur jährlichen Fahrleistung zu machen, Änderungen unverzüglich anzuzeigen (s. K.4.1 AKB 2015 – Stand: 30.6.2020) und bei vorsätzlich gemachten unzutreffenden Angaben bzw. vorsätzlich nicht angezeigten Änderungen eine Vertragsstrafe zu zahlen (K.4.4). Das OLG Stuttgart63 geht davon aus, dass eine solche Vertragsstrafe unter Berücksichtigung von § 32 Satz 1 vereinbart werden kann, wenn die Vertragsstrafe „in einer Gesamtbetrachtung für den VN günstiger [ist] als die drohende unbegrenzte Leistungsfreiheit bei den gesetzlichen Instituten der Gefahrerhöhung und Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht.“64 Das setzt allerdings voraus, dass der VR auf die Rechtsfolgen der §§ 19 ff., 23 ff. verzichtet,65 denn eine Kumulation von Rechtsfolgen und Vertragsstrafe wiche entgegen § 32 Satz 1 zum Nachteil des VN von den §§ 19 bis 28 Abs. 4 ab.

II. Halbzwingende Vorschriften im Einzelnen 20 Halbzwingend sind §§ 19 bis 28 Abs. 4 sowie § 31 Abs. 1 Satz 2, d.h. die Bestimmungen über die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 19 bis 22), die Gefahrerhöhung (§§ 23 bis 27) und die Rechtsfolgen einer vertraglichen Obliegenheitsverletzung (§ 28 Abs. 1 bis 4). Im Hinblick auf die Einzelheiten wird auf die jeweilige Kommentierung verwiesen. Dispositiv bleibt die Regelung des Teilrücktritts (§ 29), der Anzeige- (§ 30) und der Auskunftspflicht (§ 31 Abs. 1 Satz 1). Die Unab-

62 Vgl. auch: Knappmann VersR 2006 495, 497; Derleder Die Restschuldversicherung zwischen Inhalts- und Äquivalenzkontrolle, VuR 2007 241, 243. 63 OLG Stuttgart 25.7.2013 – 7 U 33/13, VersR 2013 1528. 64 Dazu auch: Michaelis ZfV 1997 731, der die (heutigen) §§ 19 ff. und 23 ff. nicht für anwendbar hält, und Schirmer/ Marlow VersR 1997 782, die die Vertragstrafe als Abweichung zugunsten des VN verstehen. 65 OLG Stuttgart 25.7.2013 – 7 U 33/13, VersR 2013 1528. Brömmelmeyer

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B. Halbzwingende Vorschriften (§ 32 Satz 1)

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dingbarkeit des Rücktrittsausschlusses gem. § 28 Abs. 5 ergibt sich bereits aus der Vorschrift selbst.66 In Rspr. und Literatur haben sich zwei Fallgruppen herauskristallisiert, in denen §§ 19 bis 21 28 Abs. 4 gerade i.V.m. § 32 Satz 1 zum Tragen kommen: 1. Keine Umstellung auf die Rechtslage nach der VVG-Reform: Haben die VR vor Inkrafttreten der VVG-Reform (2008) vereinbarte Sanktionen für die Verletzung vertraglich vereinbarter Obliegenheiten nicht an die neue Rechtslage (§§ 19 bis 28 Abs. 4) angepasst (s. Art. 1 Abs. 3 EGVVG), so sind die bis zur VVG-Reform noch rechtmäßigen Sanktionen nunmehr rechtswidrig und unwirksam.67 Nach § 32 Satz 1 können die Parteien nämlich nicht zum Nachteil des VN von dem verschuldens- und kausalitätsabhängigen Rechtsfolgenregime der §§ 19 ff., 23 ff. und des § 28 Abs. 1 bis 4 abweichen.68 Das betrifft u.a. Fälle, in denen Leistungsfreiheit bereits bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung vereinbart wurde69 oder in denen die Beweislastverteilung bzw. die Kausalitätsregelung zu Lasten des VN von § 28 Abs. 2 Satz 1 bzw. Absatz 3 Satz 1 abweicht.70 Ein mögliches Verschulden des VN (Arglist) spielt in diesem Kontext keine Rolle.71 Die durch die Unwirksamkeit entstehende Vertragslücke kann auch nicht durch Anwendung der (aktuellen) gesetzlichen Regelung (s. § 306 Abs. 2 BGB) geschlossen werden, weil es sich bei Art. 1 Abs. 3 EGVVG um eine gesetzliche Sonderregelung handelt, die die allgemeine Bestimmung des § 306 Abs. 2 BGB verdrängt.72 2. Unwirksamkeit verhüllter Obliegenheiten: Entpuppt sich eine als Risikoausschluss formulierte Klausel als verhüllte Obliegenheit, stellt sich also heraus, dass sie keine individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, sondern ein bestimmtes Verhalten des VN fordert, von dem es abhängen soll, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert,73 so ist die dem Risikoausschluss eigene Rechtsfolge (Leistungsfreiheit ohne Rücksicht auf Verschuldensgrad und Kausalität) unvereinbar mit §§ 28, 32 Satz 1.74 Felsch hat allerdings die berechtigte Frage aufgeworfen, ob die Vereinbarung verhüllter Obliegenheiten nicht schon an § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, d.h. am Transparenzgebot scheitert, sodass sich die Frage der Kompatibilität der Rechtsfolge mit §§ 28, 33 Satz 1 gar nicht mehr stellt.75 Der BGH76 hat die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten (§§ 16 ff. a.F.) 22 als „abschließend“ qualifiziert und eine Haftung des Versicherungsnehmers aus culpa in contrahendo unter Berufung auf § 34a a.F. abgelehnt, weil sie das ausgewogene Sanktionssystem „verfälscht und unterlaufen“ hätte.77 Daran ist festzuhalten. Denn die Begründung der VVG-Reform hebt eigens hervor, dass es sich bei der Anzeigepflicht, wie im geltenden Recht allgemein aner66 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 175 f. 67 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, RuS 2012 9 (sog. Umstellungsurteil); BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347; KG 27.7.2018 – 6 U 38/17, RuS 2019 201; OLG Hamburg 8.3.2018 – 6 U 39/17, RuS 2018 371; OLG Köln 17.8.2010 – 9 U 41/10, NJW-RR 2010 1691; OLG Oldenburg 29.3.2012 – 5 U 11/11, NJOZ 2012 1918; vgl. auch: LG Berlin 2.12.2016 – 42 O 199/16, RuS 2017 344. 68 LG Hamburg 5.3.2010 – 331 S 57/09, BeckRS 2010 18585, zum Leitbild der Kfz-Kaskoversicherung. 69 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, RuS 2012 9. 70 BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347. 71 BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347 Rn. 22; s. aber: Günther RuS 2019 202 f. 72 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, RuS 2012 9; BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347; s. auch: OLG Celle 29.9.2011 – 8 U 58/11, VersR 2012 753; kritisch zur BGH-Rspr.: Armbrüster VersR 2012 9; s. auch: LG Berlin 2.12.2016 – 42 O 199/16, RuS 2017 344. 73 BGH 24.5.2000 – IV ZR 86/99, VersR 2000 969. 74 LG Dortmund 14.5.2014 – 2 O 388/13, VersR 2015 981; Looschelders/Pohlmann/Klenk § 32 Rn. 10; grundlegend: Felsch RuS 2015 53, demzufolge die Rspr. des RG zu den verhüllten Obliegenheiten eine Umgehung des in § 6 Abs. 1 bis 3 VVG a.F. enthaltenen Mindestschutzes des VN verhindern sollte (S. 54 f.), und der die Rechtsfigur der verhüllten Obliegenheit im Ergebnis ad acta legen will. 75 Felsch RuS 2015 53; ebenso: Schwintowski/Brömmelmneyer/Schwintowski § 32 Rn. 4. 76 BGH 7.2.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 630. 77 BGH 7.2.2007 – IV ZR 106/06, VersR 2007 630; OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, NJW-RR 2008 280, 281. 407

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kannt, um eine besondere Obliegenheit des VN handle und dass „die Rechtsfolgen ihrer Verletzung … in den §§ 19 bis 22 VVG-Entwurf abschließend geregelt“ seien.78 Daraus folgt, dass auch bei arglistiger Täuschung nur eine Anfechtung (§§ 22 VVG, 123 Abs. 1 BGB), aber keine (vertragsrechtliche) Haftung aus c. i. c. in Betracht kommt. Denn der Rückgriff auf § 280 Abs. 1 BGB unterliefe insb. die in § 21 Abs. 3 Satz 2 vorgesehene Ausschlussfrist, die auch arglistige Anzeigepflichtverletzungen ausdrücklich erfasst,79 die das BGB jedoch nur bei der Anfechtung (§§ 123 Abs. 1, 124 Abs. 3 BGB), nicht aber im Rahmen der Haftung aus c. i. c. gleichermaßen vorsieht. Daraus folgt, dass die Parteien eine zusätzliche Haftung aus c. i. c. auch nicht vereinbaren könnten (§ 32 Satz 1), weil sie die Sanktionen einer Anzeigepflichtverletzung dadurch zu Lasten des VN verschärfen würden. Durch § 32 Satz 1 werden §§ 19 ff. aber trotzdem nicht zu einer abschließenden Regelung: Entschärfen können die Parteien die dort vorgesehenen Rechtsfolgen jederzeit. 23 Der BGH hält § 30 Abs. 2 für unabdingbar:80 Bei Kenntnis könne sich der VR nicht darauf berufen, dass er eine schriftliche Anzeige des Versicherungsfalls erst nach Fristablauf erhalten habe. Denn die gesetzliche Regelung sei zwingend und gehe der vertraglich vereinbarten Schriftform (vgl.: § 32 Satz 2) für die Anzeige des Versicherungsfalls mit der Folge vor, dass die nicht fristgemäß gewahrte Schriftform unschädlich sei.81

III. Rechtsfolgen 24 Parteivereinbarungen, die zum Nachteil des VN von den in § 32 Satz 1 aufgeführten Bestimmungen abweichen, sind unwirksam; auch der VN kann sich nicht auf die abweichende Regelung berufen.82 Diese Klarstellung ist zu befürworten, denn die h.M. auf der Basis des früheren § 34a83 implizierte, dass man nachteilige Abweichungen vereinbaren und dadurch die wahre Rechtslage verschleiern konnte.84 Der BGH85 hat die Unwirksamkeit einer mit § 32 Satz 1 unvereinbaren Klausel (Leistungsfreiheit bei lediglich grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung) mit § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet: Die Abweichung von der halbzwingenden Vorschrift (§ 28 Abs. 2 Satz 2) zum Nachteil des VN stelle eine unangemessene Benachteiligung dar, da sie mit wesentlichen Grundgedanken (s. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) des § 28 Abs. 2 Satz 2 nicht zu vereinbaren sei.86 Dementsprechend ergäbe sich die Unwirksamkeit im Falle einer mit § 32 Satz 1 unvereinbaren Individualvereinbarung aus § 134 BGB. Einfacher wäre es, die Unwirksamkeit unmittelbar aus § 32 Satz 1 abzuleiten. Der Versicherungsvertrag im Übrigen bleibt wirksam (§ 306 Abs. 1 BGB), bei einer Individualvereinbarung allerdings nur, wenn anzunehmen ist, dass das Rechtsgeschäft auch ohne den unwirksamen Teil vorgenommen sein würde (§ 139 BGB).

78 RegE BTDrucks. 16/3945S. 64, Hervorhebung des Verf. 79 Siehe auch: RegE BTDrucks. 16/3945 S. 67 zu § 21. 80 BGH 9.12.1965, VersR 1966 153, 154, anhand von § 33 VVG a.F.; siehe auch: OLG Köln 19.8.1997, VersR 1998 1105; OLG Hamburg 30.3.1982, VersR 1982 1161; ebenso: Berliner Kommentar/Dörner § 34a Rn. 3 und § 33 Rn. 37 unter Berufung auf den Normzweck. 81 BGH 9.12.1965, VersR 1966 153, 154. 82 Im Erg. wie hier: Bruck/Möller/Johannsen/Koch § 18 Rn. 12; Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 18, unter Berufung auf systematische Überlegungen (Parallelen zu § 312k BGB und § 48d VVG a.F.) und sowohl im Hinblick auf AVB (Rn. 18) als auch im Hinblick auf Individualvereinbarungen (Rn. 20); a.A.: Schimikowski Versicherungsvertragsrecht Rn. 8; Bruck/Möller/Beckmann Einl VVG E Rn. 173. 83 BGH 10.1.1951, NJW 1951 231, 232; Berliner Kommentar/Dörner § 34a Rn. 2; Klimke 115. 84 Siehe nur: Klimke 113, mit dem Hinweis, dass „stets die Möglichkeit [bestehe], dass der Versicherungsnehmer die Unverbindlichkeit der … nachteiligen Regelung“ verkenne „und deshalb ihre Anwendung auch in den Fällen“ akzeptiere, „in denen sie sich zu seinen Lasten“ auswirke. 85 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, RuS 2012 9; BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347. 86 BGH 12.10.2011 – IV ZR 199/10, RuS 2012 9; BGH 2.4.2014 – IV ZR 58/13, RuS 2015 347. Brömmelmeyer

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C. Formvereinbarungen (§ 32 Satz 2)

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C. Formvereinbarungen (§ 32 Satz 2) I. Regelungszusammenhang Im Hinblick auf die in §§ 19 und 23 geregelten Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers können die Parteien gem. § 32 Satz 2 Schrift- oder Textform vereinbaren. Dann sind §§ 125 ff. BGB grundsätzlich analog anwendbar.87 Die Freiheit der Formenwahl wird allerdings durch §§ 69, 72 erheblich eingeschränkt. Auf die Anzeige- und Auskunftspflichten des VN nach Eintritt des Versicherungsfalls (§§ 30, 31 Abs. 1 Satz 1) ist § 32 Satz 2 nicht anwendbar, weil er als Einschränkung von Satz 1 formuliert, §§ 30, 31 Abs. 1 Satz 1 in Satz 1 jedoch nicht aufgeführt sind.88 Daraus folgt indes nicht, dass ein Formerfordernis im Hinblick auf die Anzeige- und Auskunftspflicht (§§ 30, 31 Abs. 1 Satz 1) zu beanstanden wäre; vielmehr fließt die – durch §§ 69, 72 begrenzte – Freiheit der Formenwahl insoweit unmittelbar aus der Privatautonomie der Parteien. Ein Formerfordernis für eine Kündigung gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 wäre unzulässig, weil es sich bei der Kündigung um eine Willenserklärung89 und nicht um eine bloße Anzeige handelt.90 Die Freiheit der Formenwahl beschränkt sich gem. § 32 Satz 2 auf Text- und Schriftform, so dass die Parteien weder eine strengere Form (§§ 128 f. BGB) verabreden, noch die vorgesehene Form auf bestimmte Formvarianten, bspw. die Schriftform auf die Form eines Einschreibens reduzieren können. Für Formvorschriften in AVB, die der VR gegenüber Verbrauchern verwendet (s. § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB), gilt § 309 Nr. 13 b) BGB. Danach ist eine Bestimmung unwirksam, durch die Anzeigen oder Erklärungen, die dem VR gegenüber abzugeben sind, an eine strengere Form als die Textform (§ 126b BGB) gebunden werden.91 Die Parteien können im Übrigen die in § 127 Abs. 2 und 3 BGB (fakultativ) geregelten Formerleichterungen ausschließen.

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II. Formerfordernisse Früher sahen die Musterbedingungen – in Einklang mit §§ 307 ff. BGB92 – ein Schriftformerfor- 29 dernis für Anzeigen des VN vor,93 das der BGH nach allgemeinen Grundsätzen ausgelegt hat: Hatten die Parteien eine Klausel nach dem Muster von „Mitteilungen, die das Versicherungsverhältnis betreffen, müssen stets schriftlich erfolgen“ vereinbart, so galt dies nur für Mitteilungen, „die dem VR nach Abschluss des Versicherungsvertrags zu machen“ waren.94 Denn vor Abschluss des Versicherungsvertrags gibt es kein Versicherungsverhältnis.95 Bezieht sich eine in den Bedingungen enthaltene Formvorschrift auf vorvertragliche Anzeigen (§ 19 Abs. 1), so bleibt sie folgenlos, weil sie in der Kontrahierungsphase noch gar nicht verbindlich ist.96 Anders verhält es sich nur, wenn die Parteien bereits vorvertraglich ein – nicht, auch nicht mündlich-konkludent wieder abbedungenes – Formerfordernis verabredet haben.97 Ein Schriftformerfordernis in

87 Vgl. Palandt/Ellenberger Überblick vor § 104 Rn. 6 f. 88 Ebenso: Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 32 Rn. 3; insoweit a.A.: Langheid/Rixecker/Rixecker § 32 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 32 Rn. 7; Prölss/Martin/Armbrüster § 32 Rn. 2. 89 Begriff: Palandt/Ellenberger Einf. vor § 116 Rn. 1. 90 Wie hier: Berliner Kommentar/Dörner § 34a Rn. 5. 91 Dazu: Prölss/Martin/Armbrüster Einl Rn. 198a. 92 BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566; § 309 Nr. 13 BGB e contrario. 93 Vgl. nur: §§ 20 Nr. 1 AFB, 17 FBUB, 20 Nr. 1 AERB, 20 Nr. 1 AWB, 20 Nr. 1 AStB, 9 AKB, 14 Abs. 1 ALB und Nr. 29.1 AHB. 94 BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566; Hervorhebung des Verf. 95 BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566. 96 Ähnlich: Reiff Die Haftung des Versicherers für Versicherungsvermittler, RuS 1998 133, 134 f.; Präve AGB Rn. 326. 97 Vgl. aber: Rn. 30. 409

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einem als „Allgemeine Hinweise und Schlusserklärung“ bezeichneten Anhang des Antragsformulars reicht dafür nicht aus.98 30 Formularmäßige Beschränkungen der Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters (§ 69 Abs. 1) sind unwirksam (§ 72). Das gilt auch im Hinblick auf die Entgegennahme vorvertraglich (§ 69 Abs. 1 Nr. 1) oder während der Dauer des Versicherungsverhältnisses zu erstattender Anzeigen (Nr. 2). Die Bundesregierung geht davon aus, dass eine (verbotene) Beschränkung dieser Empfangsvollmacht auch in einer Klausel liegt, „die für Erklärungen des VN gegenüber dem Vertreter die Schriftform oder Textform verlangt“.99 Damit knüpft der Reformgesetzgeber im Hinblick auf vorvertragliche Anzeigen an die std. Rspr. des BGH an,100 erweitert das Beschränkungsverbot jedoch über die bisherige Rspr. hinaus101 auf die Entgegennahme von Anzeigen nach Vertragsschluss. Nicht ausgeschlossen sind allerdings, so die Begründung, Klauseln, wonach bestimmte Anzeigen des VN gegenüber dem VR, z.B. die Änderung eines Bezugsrechts oder die Anzeige einer Abtretung, der Schriftform bedürfen.102 Daraus folgt, dass die Parteien (auch) die in § 32 Satz 2 aufgeführten Anzeigen (§§ 19, 23) nur noch einer Text- oder Schriftformklausel unterwerfen können, wenn der VR auf die Beteiligung eines Versicherungsvertreters verzichtet (Direktversicherer) oder wenn er ausdrücklich klarstellt, dass auch mündliche Anzeigen gegenüber dem Versicherungsvertreter ausreichen.103

1. Schriftform 31 Haben die Parteien Schriftform vereinbart, so hat der VN die Anzeige im Regelfall eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens zu unterzeichnen (§§ 127 Abs. 1, 126 Abs. 1 BGB analog). Die Frage, ob gem. § 127 Abs. 2 BGB analog auch ein via Telekommunikation übermitteltes 32 Dokument, bspw. eine als E-Mail, Tele- oder Computerfax versandte Anzeige104 ausreicht, ist umstritten,105 grundsätzlich aber – trotz berechtigter Bedenken106 – zu bejahen, weil es dem gesetzlichen Regelfall entspricht, weil das Beweissicherungsinteresse durch §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 126 BGB analog geschützt ist und weil der VR, der das Missbrauchs- und Fälschungsrisiko so hoch einschätzt wie bspw. Leverenz,107 die Formerleichterung ausschließen kann. Telekommunikative Übermittlung (§ 127 Abs. 2 BGB) setzt keine eigenhändige Unterschrift voraus.108 Erforderlich ist allerdings, dass sich aus der Erklärung eindeutig ergibt, wer sie abgegeben hat109 und auf welches (potentielle) Versicherungsverhältnis sie sich bezieht. 33 Die Schriftform kann durch die elektronische Form, d.h. dadurch ersetzt werden, dass der VN der Anzeige seinen Namen hinzufügt und das elektronische Dokument mit einer einfachen 98 OLG Saarbrücken 13.12.2006 – 5 U 137/06, VersR 2007 675, 676. 99 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 78; Hervorhebung des Verf. 100 BGH 11.11.1987, VersR 1988 234, unter 3c; BGH 10.2.1999, VersR 1999 565, 566, unter II. 2. 101 BGH 10.2.1999, VersR 1999 565. 102 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 78. 103 Im Ergebnis ebenso: Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 38 f. a.A.: Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 32 Rn. 8, der Schriftformklauseln im Verhältnis zum VR für überraschend (§ 305c BGB) und unangemessen (§ 307 Abs. 1 BGB) hält. 104 Vgl. Palandt/Ellenberger § 127 Rn. 2. 105 Dafür: Berliner Kommentar/Dörner § 34a Rn. 6; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 32 Rn. 3. Dagegen: Prölss/Martin/Armbrüster § 32 Rn. 7 (einfache E-Mail reicht nicht aus) unter Berufung auf Leverenz VersR 2002 1318, 1327 f. 106 Vgl.: Leverenz VersR 2002 1318, 1326 ff. 107 Leverenz VersR 2002 1318, 1327. 108 Palandt/Ellenberger § 127 Rn. 2. 109 Palandt/Ellenberger § 127 Rn. 2; BGH 21.2.1996, NJW-RR 1996 641. Ebenso wie hier: Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 32 Rn. 3. Brömmelmeyer

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D. Kontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB

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oder qualifizierten elektronischen Signatur versieht (§§ 126 Abs. 3, 126a Abs. 1, 127 Abs. 3 BGB analog).

2. Textform Haben die Parteien Textform vereinbart, so muss die Erklärung in einer Urkunde oder auf ande- 34 re zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignete Weise abgegeben, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden.110 Die Anzeige kann also als E-Mail, Telegramm oder Telefax übermittelt werden;111 auch ein Computerfax sowie eine Diskette oder eine CD-ROM reichen aus.112 Die Textform ist aber auch bei Einhaltung der Schriftform erfüllt.

III. Rechtsfolge bei Formfehlern Haben die Parteien Schrift- oder Textform vereinbart, wirken mündliche Anzeigen (Wissenser- 35 klärungen) nach allgemeiner Meinung trotzdem gegen den VR,113 wenn ihn der VN trotz des Formfehlers rechtzeitig, richtig und vollständig unterrichtet hat.114 Das ergibt sich im Hinblick auf die von § 32 Satz 2 erfassten Anzeigepflichten bereits aus § 19 Abs. 5 Satz 2 und § 26 Abs. 2 Satz 1: Die – wie auch immer vermittelte – Kenntnis des VR schließt Rücktritt, Kündigung und (vollständige oder teilweise) Leistungsfreiheit wegen einer entsprechenden Anzeigepflichtverletzung aus;115 ggf. müsste der VN allerdings beweisen, dass er den VN formlos unterrichtet hat.116

D. Kontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB Die AVB-Kontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB steht selbständig neben der Prüfung der Kompa- 36 tibilität mit §§ 19 ff., 32 Satz 1 (Doppelkontrolle);117 so hat bspw. das OLG Brandenburg die Frage, ob ein in der Restschuldversicherung vereinbarter Risikoausschluss für ernstliche Erkrankungen anstelle einer Risikoprüfung (s.o.) mit § 34a Satz 1 a.F. vereinbar ist oder nicht, ausdrücklich offen gelassen und die Klausel stattdessen am Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) scheitern lassen.118 Diskutiert wird, ob halbzwingende Vorschriften im Umkehrschluss als Erlaubnisnormen zu verstehen sind – mit der Folge, dass §§ 19 bis 28 Abs. 4, 31 Abs. 1 Satz 2, 32 als lex specialis und lex posterior einer ergänzenden Inhaltskontrolle anhand von § 307 Abs. 1 BGB

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§ 126b BGB analog; Einzelheiten: Palandt/Ellenberger § 126b Rn. 3; Leverenz VersR 2002 1318, 1322 f. Palandt/Ellenberger § 126b Rn. 3; MüKoBGB/Einsele § 126b BGB Rn. 9. Palandt/Ellenberger § 126b Rn. 3. Prölss/Martin/Armbrüster § 32 Rn. 6; std. Rspr.: BGH 9.12.1965, VersR 1966 153, mit Blick auf § 33 Abs. 2 (heute: § 30 Abs. 2 VVG); OLG Neustadt 19.12.1961, VersR 1963 151, 152, mit dem Hinweis darauf, dass der Normzweck der Formvorschrift („sichere Kenntnis“) auch durch mündliche Mitteilungen erreicht werden könne. 114 Ähnlich: Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 32 Rn. 12. 115 Siehe auch: Prölss/Martin/Armbrüster § 32 Rn. 6. Klenk geht in Looschelders/Pohlmann § 32 Rn. 19, Fn. 43 zu Unrecht davon aus, dass ich Folgenlosigkeit nur dann annähme, wenn der VR durch den VN informiert werde. Das trifft nicht zu. Bereits in der 9. Aufl. hieß es, dass die wie auch immer vermittelte Kenntnis des VR Rücktritt, Kündigung und (vollständige oder teilweise) Leistungsfreiheit wegen einer entsprechenden Anzeigepflichtverletzung ausschließe. 116 Langheid/Rixecker/Rixecker § 32 Rn. 6. 117 Ebenso: Langheid/Wandt/Wandt § 32 Rn. 22 (freie Anwendungskonkurrenz). 118 OLG Brandenburg 25.4.2007 – 4 U 183/06, VersR 2007 1071, 1072. 411

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§ 32 VVG

Abweichende Vereinbarungen

entgegenstehen.119 Es bliebe aber selbst nach dieser Rechtsauffassung dabei, dass das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) anwendbar bliebe und „produktgestaltende“ Klauseln kontrollfähig wären. Hält man (auch) vor diesem Hintergrund an der Doppelkontrolle fest, so ist zu beachten, dass die Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 BGB maßgeblich durch die wesentlichen Grundgedanken der modifizierten gesetzlichen (hier: halbzwingenden) Regelung geprägt wird (Absatz 2 Nr. 1).

119 Werber VersR 2010 1253; Dylla-Krebs Schranken der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen (1990) 93 ff. Brömmelmeyer

412

Abschnitt 3 Prämie § 33 Fälligkeit (1) Der Versicherungsnehmer hat eine einmalige Prämie oder, wenn laufende Prämien vereinbart sind, die erste Prämie unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. (2) Ist die Prämie zuletzt vom Versicherer eingezogen worden, ist der Versicherungsnehmer zur Übermittlung der Prämie erst verpflichtet, wenn er vom Versicherer hierzu in Textform aufgefordert worden ist.

Schrifttum Baumann Prämie. Rechtsfragen, in: HdV (1988) 533; Beckmann Das Einlösungsprinzip nach neuem VVG, in: Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2011 (2012) 43; Brömmelmeyer Belohnungen für gesundheitsbewusstes Verhalten in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung? Rechtliche Rahmenbedingungen für Vitalitäts-Tarife, RuS 2017 225; Gal Erstprämienzahlungsverzug und Einlösungsklausel, VersR 2021 414; Gärtner Prämienzahlungsverzug, 2. Aufl. (1977); Ganster Die Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008) (zit.: Ganster Prämienzahlung); Gaul Zum Abschluss des Versicherungsvertrags, VersR 2007 21; Grote/Bronkars Gesundheitsreform und private Krankenversicherung – wirtschaftliche Konsequenzen für Versicherer und Versicherte, VersR 2008 580; Hacker Daten als Gegenleistung: Rechtsgeschäfte im Spannungsfeld von DS-GVO und allgemeinem Vertragsrecht, ZfPW 2019 148; Klimke Die Bedeutung der Zahlungsverzugsrichtline 2000/35/EG für die Prämienschuld des Versicherungsnehmers, VersR 2010 1259; Koch Zum Umgang mit fehlerhaften Prämienfaktoren in telematikbasierten Versicherungstarifen, VersR 2020 1413; Riedler Der Prämienzahlungsverzug bei Erst- und Folgeprämie (1990); ders. Aktuelle Probleme des Prämienzahlungsverzugs im Privatversicherungsrecht, VersRdsch 1993 300; Saria Entgeltlichkeit und Risikoübernahme – Zu allfälligen Wechselwirkungen zwischen zwei Elementen des Versicherungsbegriffs, VersR 2021 273; Schirmer Prämienzahlung und Prämienzahlungsverzug nach dem VVG 2008, Festschrift Wälder (2009) 67; Schimikowski Abschluss des Versicherungsvertrags nach neuem Recht, RuS 2006 441; Theda Beitragsverzug – Voraussetzungen und Rechtsfolgen, DAR 1987 34; Thiel Der Prämienzahlungsverzug in der D&O-Versicherung, VersR 2018 946; Wandt/Ganster Zur Harmonisierung von Versicherungsbeginn und Prämienfälligkeit durch AVB im Rahmen des VVG 2008, VersR 2007 1034; Will Der Prämienzahlungsverzug (1996).

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand und Rechtsfolgen

I.

Fälligkeit der Erst- bzw. Einmalprämie gem. § 33 9 Abs. 1 9 Prämie a) Weitere Begriffe (insbesondere Beitrag, Ent11 gelt) 12 b) Prämienbestandteile 17 aa) Risikoprämie/Sparprämie bb) Netto- und Bruttoprämie, Verwal18 tungskostenbeitrag

1.

1 4

7 9

413 https://doi.org/10.1515/9783110522624-016

2. 3. 4. 5. 6. 7.

cc) Sicherheitszuschlag 19 dd) Prämienzuschläge und Prämienab20 schläge 23 ee) Gewinnanteil ff) Versicherungssteuer/ 24 Feuerschutzsteuer gg) Behandlung von Nebengebühren/Zin26 sen 26 (1) Mögliche Posten (2) Gleichstellung mit der Prä29 mie 31 c) Daten als Prämie 37 Erstprämie und Einmalprämie 38 Erstprämie und Folgeprämie 39 Prämienhöhe 44 Prämienschuldner 47 Prämiengläubiger 50 Fälligkeit

Beckmann

§ 33 VVG

a)

Fälligkeit

Voraussetzungen der Fälligkeit der Erst50 und Einmalprämie gem. § 33 Abs. 1 aa) Fälligkeit bei Abweichen des Versicherungsscheins vom Antrag des VN 53 gem. § 5 Abs. 1 bb) Fälligkeit bei fehlerhafter oder unter55 bliebener Belehrung cc) Fälligkeit beim „Invitatio-Mo58 dell“ dd) Fälligkeit bei Ausschluss des Wider59 rufsrechts ee) Rückwärtsversicherung und vorläufi60 ge Deckung

10. 11.

61 b) Folgeprämien 62 c) Unterjährige Zahlungsweise 65 Stundung Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung/Erfüllungs66 wirkung 67 Erfüllbarkeit 68 Verjährung

II.

Abholung der Prämie, § 33 Abs. 2

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

8. 9.

69

77 82

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 33 regelt die Fälligkeit der Erst- bzw. Einmalprämie. Die Vorschrift ist im Rahmen der VVGReform 2008 an die Stelle des früheren § 35 a.F. getreten. Inhaltlich hat sich die Fälligkeitsregelung durch die damalige Reform erheblich geändert.1 Nach früherer Rechtslage war die erste Prämie gem. § 35 a.F. „sofort nach dem Abschluss des Vertrages zu zahlen“. Seit der VVG-Reform 2008 besteht gem. § 33 Abs. 1 die Prämienzahlungsverpflichtung „unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins“. Eine sofortige Fälligkeit des Prämienanspruchs wie nach § 35 a.F. steht nicht im Einklang mit dem grundsätzlichen Widerrufsrecht des VN gem. § 8.2 Danach ist der VN an seine Vertragserklärung erst mit Ablauf der Widerrufsfrist endgültig gebunden. Aus diesem Grunde verschiebt § 33 Abs. 1 die Fälligkeit der Prämie auf den Zeitpunkt, zu dem im Normalfall die Widerrufsfrist endet. Grundsätzlich beginnt diese Frist von 14 Tagen nach § 8 Abs. 1 erst mit dem Zugang der in § 8 Abs. 2 genannten Unterlagen, insbesondere also des Versicherungsscheins und der Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie der weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 und der Belehrung über das Widerrufsrecht, zu laufen (vgl. im Einzelnen § 8 Abs. 2 und die dort geregelten weiteren Voraussetzungen). Eine Sonderregelung für die Lebensversicherung findet sich in § 152 Abs. 1. 2 Die Vorgängervorschrift des § 35 a.F. hatte Gültigkeit seit Geltung des VVG von 1908. Vorbild dieser Vorschrift war § 812 Abs. 1 HGB a.F.3 Nach früherer Rechtslage hatte der VN die Einmal- oder Erstprämie gem. § 35 Satz 1 a.F. – wie schon erwähnt – „sofort nach dem Abschluss des Vertrages zu zahlen“. Wiederum gem. § 35 Satz 2 a.F. war der VN zur Zahlung nur gegen Aushändigung des Versicherungsscheins verpflichtet, es sei denn, dass die Aushändigung des Versicherungsscheins ausgeschlossen war. Bis zur Aushändigung des Versicherungsscheins stand dem VN also eine Einrede gegenüber dem Zahlungsanspruch des VR zu. Umstritten war in diesem Zusammenhang, ob dem Zurückbehaltungsrecht verzugshindernde Wirkung zukam. Unabhängig von dieser Frage sollte nach h.M. selbst bei Bestehen eines solchen Zurückbehaltungsrechts aber die Leistungsfreiheit des VR nach § 38 Abs. 2 a.F. (Einlösungsprinzip) nicht beseitigt werden.4 Da nach der geltenden Fassung des § 33 Abs. 1 die Fälligkeit der Prämie nun insbesondere vom Zugang des Versicherungsscheins abhängt, sind diese Fragen seit der VVGReform nicht mehr von Bedeutung. 1 Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 2. 2 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 3 Begründung zu §§ 35 bis 37 VVG 1908, Motive S. 107; der frühere § 812 Abs. 1 HGB ist mit der VVG-Reform 2008 außer Kraft getreten; vgl. Art. 4 ReformG. Siehe auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 1.

4 Zum Streitstand etwa Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 31; Prölss/Martin/Knappmann27 § 35 Rn. 6. Beckmann

414

A. Einführung

VVG § 33

Mit Wirkung zum 11.6.2010 sind in § 33 Abs. 1 die Wörter „zwei Wochen“ durch die Angabe 3 „14 Tagen“ ersetzt worden. Diese Änderung erfolgte aufgrund von Art. 10 Nr. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht.5 Eine inhaltliche Änderung sollte damit nicht verbunden sein.6

II. Inhalt und Zweck der Regelung § 33 enthält eine Regelung über die Fälligkeit der Erst- bzw. Einmalprämie.7 Die Vorschrift ist 4 damit für diese Prämien lex specialis zu § 271 BGB.8 Für die Folgeprämien gibt es im VVG keine gesetzliche Regelung;9 zur Fälligkeit der Folgeprämien verbleibt es bei der allgemeinen Vorschrift des § 271 Abs. 1 BGB und damit vorrangig bei entsprechenden vertraglichen Abreden.10 War nach früherem Recht gem. § 35 Satz 1 a.F. maßgeblicher Zeitpunkt für die Fälligkeit der Erst- bzw. Einmalprämie der Vertragsschluss, ist die Prämie seit der VVG-Reform 2008 unverzüglich nach Ablauf von zwei Wochen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. Damit bezweckt die Regelung, die Fälligkeit der Prämienzahlungsverpflichtung des VN nicht eintreten zu lassen, solange er die Möglichkeit des Widerrufs hat.11 Darüber hinaus hat die Fälligkeitsregel gem. § 33 Bedeutung im Hinblick auf die Rechtsfolgen der verspäteten Zahlung der Erst- bzw. Einmalprämie gem. § 38; danach besteht insbesondere ein Rücktrittsrecht des VR (§ 38 Abs. 1) bzw. Leistungsfreiheit des VR (§ 38 Abs. 2); vgl. dazu insbesondere die Kommentierung zu § 38. Im Vergleich zur früheren Rechtslage kommt § 33 Abs. 1 „dem VN bei der Bestimmung der 5 Zahlungsfrist gleich zweifach entgegen“.12 So besteht nun eine Zahlungsfrist von 14 Tagen, während nach früherem Recht eine sofortige Zahlung mit Abschluss des Versicherungsvertrages gegeben war; darüber hinaus bedarf es nach neuem Recht nicht mehr einer „sofortigen“ Zahlung, sondern einer „unverzüglichen“ Zahlung (dazu Rn. 50 f.). § 33 Abs. 2 wiederum entspricht der früheren Vorschrift des § 37 a.F. aus der Zeit vor der 6 VVG-Reform 2008. Ist die Prämie zuletzt vom VR eingezogen worden, ist der VN nach dieser Regelung zur Übermittlung der Prämie erst verpflichtet, wenn er vom VR hierzu in Textform gem. § 126b BGB aufgefordert worden ist. Diese Vorschrift schützt den VN, wenn er insbesondere aufgrund eines zuvor praktizierten Lastschriftverfahrens darauf vertrauen kann, dass die Prämie wiederum abgebucht wird. Soll die Prämie hingegen vom VN übermittelt werden, bedarf es hierfür zunächst einer Aufforderung des VR an den VN in Textform (vgl. im Einzelnen Rn. 72).

5 BGBl. 2009 I 2355 (vgl. bereits Rn. 1). 6 RegE BTDrucks. 16/11643 S. 145; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 24; a.A. aber noch Langheid/Wandt/Staudinger1 § 33 Rn. 24 (24 Stunden längere Frist nach neuem Recht) unter Hinweis auf Staudinger/Repgen (2004) § 187 Rn. 9. Nach einer anderenorts (Repgen ZGR 2006 120, 124 ff.) angewandten Berechnungsmethode gelangt man indes richtigerweise gem. § 187 Abs. 1 BGB und § 188 Abs. 1 BGB nicht zu einer längeren Frist durch die Neuformulierung des § 33 Abs. 1. 7 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 155 = VersR 2013 341, 342 Rn. 15. 8 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 1; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 1; noch zu § 35 a.F. Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 2. 9 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 155 = VersR 2013 341, 342 Rn. 14; OLG Hamburg 18.11.2012 – 9 U 103/ 11, VersR 2012 41, 46 (juris Rn. 95); Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 33. 10 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 1; Prölss/Martin/ Reiff31 § 33 Rn. 33; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 1; zu § 35 a.F.: Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. 3 Anm. F 10. 11 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 21; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 1; Marlow/Spuhl/ Spuhl4 Rn. 398; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 3. 12 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 22. 415

Beckmann

§ 33 VVG

Fälligkeit

III. Anwendungsbereich 7 § 33 findet sich im ersten Kapitel über die Vorschriften für alle Versicherungszweige, so dass die Vorschrift grundsätzlich auf alle Arten von Versicherungsverträgen Anwendung findet. Indes ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift bereits vom Wortlaut her auf einmalige Prämien und – wenn (wie im Regelfall) laufende Prämien vereinbart sind – auf die erste Prämie beschränkt. Für Folgeprämien gilt damit nicht § 33, sondern die allgemeine Fälligkeitsvorschrift des § 271 Abs. 1 BGB bzw. entsprechende vertragliche Vereinbarungen.13 Darüber hinaus findet sich eine Sondervorschrift für den Bereich der Lebensversicherung in § 152 Abs. 3; danach ist abweichend von § 33 Abs. 1 die einmalige oder die erste Prämie unverzüglich nach Ablauf von 30 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. Diese Sondervorschrift erklärt sich mit der längeren Widerrufsfrist von 30 Tagen bei Lebensversicherungen gem. § 152 Abs. 1;14 diese Widerrufsfrist beruht wiederum auf Art. 6 Abs. 1 der sog. Fernabsatz-Richtlinie II.15 8 Wie sich aus § 42 ergibt, ist § 33 Abs. 1 abdingbar, so dass der Anwendungsbereich durch entsprechende vertragliche Bestimmungen modifiziert werden kann. Relevant ist dies insbesondere für unwiderrufliche Verträge nach § 8 Abs. 3 (vgl. Rn. 77) sowie für Verträge, die nach dem Invitatio-Modell (vgl. Rn. 58) geschlossen werden.

B. Tatbestand und Rechtsfolgen I. Fälligkeit der Erst- bzw. Einmalprämie gem. § 33 Abs. 1 1. Prämie 9 Allgemein werden für Entgelte bzw. für die Gegenleistung ganz unterschiedliche Bezeichnungen (Preis, Miete, Zins etc.) verwendet. Das vom VN zu entrichtende Entgelt bezeichnet das VVG als Prämie. Gem. § 1 Satz 2 ist der VN verpflichtet, „an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten“. Damit enthält das VVG seit der Reform 2008 eine Legaldefinition des Prämienbegriffs.16 Im Versicherungsrecht wird der Begriff der Prämie also anders verstanden als z.B. im Arbeitsrecht oder bei seiner umgangssprachlichen Verwendung.17 10 Als Inhalt der Hauptleistungspflicht des VN kommt der Prämie zentrale Bedeutung zu. Eine gänzlich einheitliche Begriffsbestimmung hatte sich vor Inkrafttreten des VVG 2008 trotz weitgehender Übereinstimmung im Schrifttum bisher nicht entwickelt. Ganz allgemein hat man die Prämie als das Entgelt für die Vertragsleistung des VR verstanden.18 Darüber hinaus haben Begriffsbestimmungen auf die Vertragsleistung des VR Bezug genommen. Danach ist die Prämie als Entgelt für die Übernahme eines Risikos durch den VR bezeichnet worden.19 Der BGH wiederum hat formuliert: „Prämie ist die vom VN geschuldete Gegenleistung für den vom Versiche-

13 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 155 = VersR 2013 341, 342 (Rn. 14); Beckmann/Matusche-Beckmann/ Hahn3 § 12 Rn. 26; vgl. auch schon oben Rn. 4.

14 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 3. 15 RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. EG Nr. L 271 S. 16. 16 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 5. Anders noch die Rechtslage in Österreich, wo es bis heute an einer Legaldefinition fehlt, vgl. Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 3. 17 Ganster Prämienzahlung S. 47; vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Fn. 1. 18 Vgl. Ganster Prämienzahlung S. 48; ähnlich Bruck/Möller/Baumann/Koch10 § 1 Rn. 187 („Leistung des VR“); Saria VersR 2021 273, 274. 19 v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 608 („für die Gefahrtragung und die Geld- oder Naturalleistung“); Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 3 („für seine Vertragsleistung die Übernahme der Gefahr“); Beckmann/MatuscheBeckmann

416

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 33

rer übernommenen Versicherungsschutz“.20 Jedenfalls bleiben in den Begriffsbestimmungen die unterschiedlichen Standpunkte zur Rechtsnatur des Versicherungsvertrags bzw. der Versicherung grundsätzlich außen vor.21 Wie schon oben (Rn. 9) zum Ausdruck gebracht, enthält § 1 Satz 2 seit der VVG-Reform 2008 eine Legaldefinition der Prämie.22 Nach dieser Vorschrift ist der VN verpflichtet, „an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten“. Trotz des systematischen Zusammenhangs des § 1 Satz 2 mit § 1 Satz 1, der ausdrücklich auf die Leistung des VR bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles abstellt, wird man wegen des Wortlauts der Vorschrift davon ausgehen müssen, dass es bei der zwischen VN und VR „vereinbarten Zahlung“ nicht zwingend auf ein Synallagma von Leistung und Gegenleistung ankommt.23 Allerdings erscheint es auch zu weitgehend, jede vereinbarte und vom VN zu erbringende Zahlung als Prämie einzuordnen. Aus dem systematischen Zusammenhang von § 1 Satz 1 und Satz 2 ergibt sich daher, dass die vereinbarte Zahlung einen Bezug zu einem konkreten Versicherungsvertrag aufweisen muss. Damit sind auch Nebengebühren Bestandteil der Prämie, wenn und soweit sie auf einer Vereinbarung zwischen VN und VR beruhen, sich mithin die Zahlungspflicht unmittelbar aus der vertraglichen Vereinbarung ergibt, ohne dass es im Einzelnen auf ein Synallagma von Leistung und Gegenleistung ankommt. Gleichwohl steht der wesentliche Teil der Prämie im Gegenseitigkeitsverhältnis. Durch die Formulierung „vereinbarte Zahlung“ ist es indes nach dem Gesagten möglich, dass die Prämie i.S.d. § 1 Satz 2 auch Elemente enthält, die nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen.24

a) Weitere Begriffe (insbesondere Beitrag, Entgelt). Es kommt nicht darauf an, welchen 11 Begriff die Parteien für diese Leistung des VN verwenden.25 Maßgeblich ist alleine der objektive Aussagegehalt der Leistung. Neben dem Begriff der Prämie finden sich auch die Begriffe des „Beitrags“ und des „Entgelts“. Insbesondere für den VVaG spricht das VAG von Beiträgen, vgl. §§ 179 ff. VAG. Dieses Verständnis rührt von der gesellschaftsrechtlichen Struktur des VVaG her, bei dem die VN zugleich Mitglieder des Vereins sind. Bei diesen Beiträgen handelt es sich ebenso um Prämien im Sinne der §§ 33 ff. Die frühere Regelung, die eine Gleichstellung ausdrücklich anordnete (§ 1 Abs. 2 Satz 2 a.F.), ist im Wege der VVG-Reform 2008 entfallen. Hierdurch sollte allerdings keine Rechtsänderung eintreten.26 Des Weiteren findet sich der Begriff „Beitrag“ teilweise auch in Verträgen mit Versicherungsaktiengesellschaften und öffentlich-rechtlichen Versicherungsgesellschaften. Insbesondere wird er auch in AVB als Synonym zur „Prämie“ verwendet.27 Als weiterer gleichfalls synonym gebrauchter Begriff findet sich die Bezeichnung Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 1; vgl. weitere zumeist ähnliche Begriffsbestimmungen bei Ganster Prämienzahlung S. 48 Fn. 176; vgl. des Weiteren die ebenfalls ähnliche Bestimmung des Begriffs „Versicherungsentgelt“ in § 3 Abs. 1 VersStG. 20 BGH 27.1.1999 – IV ZR 72/98, BGHZ 140 319, 323 = VersR 1999 433, 434 (juris Rn. 12). 21 Dazu etwa Bruck/Möller/Baumann/Koch10 § 1 Rn. 27 ff.; Berliner Kommentar/Dörner Einleitung Rn. 48 ff.; Berliner Kommentar/Schwintowski § 1 Rn. 24 ff. 22 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 5; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 51; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 5. 23 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 2; Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 33 Rn. 2; Saria VersR 2021 273, 276 (im Hinblick auf Prämie und Risikoübernahme). 24 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 6; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 5; vgl. auch Langheid/Wandt/ Staudinger2 § 33 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 5. 25 Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 33 Rn. 2; Saria VersR 2021 273, 274. 26 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 56. 27 Vgl. z.B. Teil B Abschnitt B1.2 des gemeinsamen Allgemeinen Teils fu¨r die Allgemeine Haftpflichtversicherung, die D&O-Versicherung, die Sachversicherung und die Technischen Versicherungen (ohne Projektgescha¨ft) inklusive Betriebsunterbrechungsversicherungen (AT AH-D&O-Sach-TV (ohne Projektgescha¨ft)); Teil B Abschnitt B1 der AVB Cyber 2017; Ziff. 7 ARB 2019; abrufbar unter: https://www.gdv.de/de/ueber-uns/unsere-services/musterbedingungen-23924 (Abrufdatum: 7.10.2021). 417

Beckmann

§ 33 VVG

Fälligkeit

„Versicherungsentgelt“, so z.B. im VersStG (vgl. bereits Fn. 19). Wiederum vom „Gesamtpreis der Versicherung“ ist in § 1 Abs. 1 Nr. 7 VVG-InfoV die Rede.

12 b) Prämienbestandteile. Bestandteile der Prämie hängen zum einen von versicherungstechnischen,28 zum anderen aber auch von rechtlichen Rahmenbedingungen ab (zu Letzteren sogleich Rn. 13 ff.). Hieraus lassen sich aber nicht vollständig eindeutige Aufteilungen bzw. Bestandteile der Prämie herleiten.29 Nichtsdestotrotz lassen sich nach h.M. verschiedene Prämienbestandteile unterscheiden, die im Folgenden skizziert werden (Rn. 17 ff.). Zunächst gilt es aber, rechtliche Rahmenbedingungen aufzuzeigen, die zumindest von unterschiedlichen Prämienbestandteilen ausgehen. Bereits aus § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 7 VVG-InfoV wird deutlich, dass die 13 Prämie aus verschiedenen Bestandteilen besteht. Danach hat der VR den VN unter anderem über den „Gesamtpreis der Versicherung einschließlich aller Steuern und sonstigen Preisbestandteile“ zu informieren (zu Steuern noch Rn. 24 f.).30 § 1 Abs. 1 Nr. 8 VVG-InfoV bestimmt wiederum, dass der VR des Weiteren über „gegebenenfalls zusätzlich anfallende Kosten unter Angabe des insgesamt zu zahlenden Betrags sowie mögliche weitere Steuern, Gebühren oder Kosten, die nicht über den VR abgeführt oder von ihm in Rechnung gestellt werden“, zu informieren hat. Aus dem Zusammenspiel des § 1 Abs. 1 Nr. 7 und des § 1 Abs. 1 Nr. 8 VVGInfoV ergibt sich daher eine umfassende Informationspflicht des VR, insbesondere über den Gesamtpreis (einschließlich Steuern und sonstiger Preisbestandteile) und gegebenenfalls zusätzlich anfallende Kosten (vgl. auch zum Begriff der Nebengebühren in Abgrenzung zur Prämie Rn. 26 ff.). 14 Aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 VVG-InfoV ergeben sich für die Lebensversicherung und (i.V.m. Abs. 4 Satz 1) auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung weitere Informationspflichten, aus denen sich Rückschlüsse auf die Prämienbestandteile ziehen lassen. Danach hat der VR Angaben „zur Höhe der in die Prämie einkalkulierten Kosten“ zu machen; „dabei sind die einkalkulierten Abschlusskosten als einheitlicher Gesamtbetrag und die übrigen einkalkulierten Kosten als Anteil der Jahresprämie unter Angabe der jeweiligen Laufzeit auszuweisen“. Vorschlägen nach weitergehenden Aufschlüsselungen und Prämientransparenz im Zuge der VVG-Reform 2008 ist der Gesetzgeber indes nicht gefolgt.31 Speziell für die Lebensversicherung, die Krankenversicherung und die Unfallversicherung 15 mit Prämienrückgewähr enthält das VAG Vorgaben für die Prämienkalkulation: Gem. § 138 Abs. 1 VAG müssen die Prämien in der Lebensversicherung insbesondere unter Zugrundelegung angemessener versicherungsmathematischer Annahmen kalkuliert werden. Gem. § 161 Abs. 1 28 Dazu Farny5 S. 60 ff.; von der Schulenburg Versicherungsökonomik (2005) 22 ff., 29, 36; HdV/Albrecht/Lippe 525 ff.; Wandt6 Rn. 123 ff.

29 Farny5 S. 59; Ganster Prämienzahlung S. 62. 30 Zudem verlangt § 1 Abs. 1 Nr. 7 VVG-InfoV unter anderem, dass die Prämien einzeln auszuweisen sind, wenn das Versicherungsverhältnis mehrere selbständige Versicherungsverträge umfassen soll. Zu der entsprechenden Vorgängerregelung gem. § 10a VAG a.F. hat der BGH festgestellt, dass im Rahmen eines kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrags mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung der auf eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung entfallende Prämienteilbetrag in der Verbraucherinformation nicht gesondert ausgewiesen werden muss; vgl. BGH 24.6.2020 – IV ZR 275/19, VersR 2020 1030, 1031 Rn. 13 ff. mit Anm. Looschelders NJW 2020 3038. Die umstrittene Frage, ob auch Art. 31 Abs. 1 i.V.m. Anhang II Buchst. A a. 10 Dritte RL Lebensversicherung (RL 92/ 96/EWG v. 10.11.1992, ABl. 1992 L 360, 1) den Einzelausweis der Prämienteile fordert, hat der BGH in dieser Entscheidung offen gelassen, da zur Auslegung des § 10a VAG a.F. eine richtlinienkonforme Auslegung nicht möglich sei (BGH a.a.O. Rn. 20 ff.); insoweit zu Recht kritisch Armbrüster EuZW 2020 815; Looschelders NJW 2020 3038; a.A. Rixecker WuB 2020 492, 493, wonach der BGH eine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit zu Recht habe dahinstehen lassen, da eine richtlinienkonforme Auslegung mangels Spielräume der Interpretation von vorneherein ausgeschlossen sei. 31 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 3 unter Hinweis auf Hübner ZVersWiss 2002 87, 94. Beckmann

418

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 33

VAG gilt § 138 VAG auch für die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr. Vorgaben ergeben sich auch gem. § 146 Abs. 1 Nr. 1 VAG für die substitutive Krankenversicherung. Es finden sich darüber hinaus auch Vorgaben unmittelbar für notwendige Zuschläge, z.B. aus § 149 Abs. 1 Nr. 1 VAG für die substitutive Krankheitskostenversicherung (sog. Prämien- bzw. Beitragszuschlag). Gem. § 160 VAG i.V.m. § 7 KVAV32 wiederum ist in die Prämie ein Sicherheitszuschlag von mindestens fünf vom Hundert der Bruttoprämie einzurechnen, der nicht bereits in anderen Rechnungsgrundlagen enthalten sein darf. Verstöße gegen solche Vorgaben lösen primär versicherungsaufsichtsrechtliche Rechtsfolgen aus; das privatrechtliche Verhältnis zwischen VR und VN ist lediglich mittelbar durch die Auswirkungen auf die Prämienhöhe betroffen.33 Es zeigt sich, dass neben versicherungstechnischen Grundsätzen auch rechtliche Rahmen- 16 bedingungen existieren, die zumindest von unterschiedlichen Prämienbestandteilen ausgehen. Teilweise hierauf beruhend, teilweise aus anderen, insbesondere betriebswirtschaftlichen Gründen lassen sich folgende Bestandteile bzw. Differenzierungen nennen:34

aa) Risikoprämie/Sparprämie. Unabhängig von den unterschiedlichen Standpunkten um die 17 Rechtsnatur35 des Versicherungsvertrags bzw. der Versicherung ist Kern des Versicherungsgeschäfts die Risikoabsicherung.36 Daher gebührt ein Anteil der Prämie dem Ausgleich des Risikos an den zu erwartenden Schadenszahlungen, sog. Risikoprämie bzw. Risikoanteil.37 Bei gewissen Vertragstypen lässt sich zusätzlich noch die Unterscheidung zwischen Risiko- und Sparprämie treffen. So lässt sich die Prämie bei Kapitallebensversicherungen, gemischten Lebensversicherungen sowie Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr einerseits in die Risikoprämie (z.B. Ableben vor Erlebensfall) und andererseits in die Sparprämie (Prämienanteil beim Erreichen der jeweiligen Zeitgrenze) aufspalten. Rechtliche Bedeutung kommt dieser Unterscheidung vor allem beim Rückkaufswert, bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung und bei der Kündigung nach §§ 168 i.V.m. 169 und 165 zu.38

bb) Netto- und Bruttoprämie, Verwaltungskostenbeitrag. Aus betriebswirtschaftlicher 18 Sicht lässt sich die Prämie weiterhin in die Brutto- und Nettoprämie aufgliedern. Dabei umfasst der Begriff der Nettoprämie alleine das Entgelt für die Risikoübertragung, das sich aufgrund von Statistiken und der Wahrscheinlichkeitsrechnung zusammensetzt und dem Aufbau von Deckungskapital dient (Risikoprämie, vgl. zuvor Rn. 17).39 Dagegen beinhaltet der Begriff der Bruttoprämie zusätzlich einen Anteil an den Verwaltungs- und Betriebskosten sowie sonstigen Aufwendungen des VR.40 Dieser Teil, der auch Verwaltungskostenbeitrag genannt wird, umfasst 32 Verordnung betreffend die Aufsicht über die Geschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung (Krankenversicherungsaufsichtsverordnung – KVAV) v. 18.4.2016, BGBl. I 780; zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 9 des Gesetzes v. 19.12.2018, BGBl. I 2672; so auch schon § 7 der Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung v. 18.11.1996, BGBl. I 1783, aufgehoben durch Art. 1 Nr. 4 der Verordnung zur Aufhebung von Verordnungen nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz v. 16.12.2015, BGBl. I 2345. 33 Boetius VersR 2008 1016, 1017. 34 Dazu etwa Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 4 ff.; Ganster Prämienzahlung S. 62 ff. 35 Dazu vgl. Nachweise Fn. 21. 36 Zur Funktion der privaten Versicherung und zu den vom VR übernommenen Pflichten vgl. Bruck/Möller/Baumann/Koch10 § 1 Rn. 7 ff., 27 ff. 37 Ganster Prämienzahlung S. 62 m.w.N.; v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 677, 755 (letzteres zur Sparprämie). 38 Hierzu auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 5. Vgl. zum Vorstehenden etwa Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 5 m.w.N. 39 Sieg3 S. 92; Deutsch/Iversen7 Rn. 188; Saria VersR 2021 273, 274. 40 v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 146; Sieg3 S. 92; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 4. 419

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§ 33 VVG

Fälligkeit

sämtliche Leistungen, die notwendigerweise mit der Haftung des VR verknüpft sind, wie z.B. Geschäftsraumkosten, Personalkosten, Bürobedarf, Inventar, soziale Kosten, Ausgaben für Werbung und vieles mehr (zum Gewinnanteil noch Rn. 23). Die hier in Rede stehende Vorschrift über die Fälligkeit der Erstprämie und Einmalprämie und die Regeln über den Zahlungsverzug (§§ 38 f.) beziehen sich auf die Bruttoprämie.41 Eine Abgrenzung des Verwaltungskostenbeitrags (als Teil der Bruttoprämie) zu den sog. echten Nebengebühren (unten Rn. 26 ff.) bleibt aber unerlässlich, da diese nicht zum Begriff der Prämie zu rechnen sind.

19 cc) Sicherheitszuschlag. Zum Teil aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen heraus und wie schon erwähnt (oben Rn. 15) zum Teil durch Rechtsnorm vorgeschrieben,42 enthält eine Prämie zumeist einen sog. Sicherheitszuschlag. Gerade in Zeiten der im Jahre 2007 einsetzenden Finanzkrise hat sich gezeigt, dass ein finanzielles Polster für den Fall einer ungünstigen Geschäftspolitik, einer schlechten Risikoeinschätzung oder bei Eintritt von unvorhersehbaren gravierenden Ereignissen erforderlich ist und die Notwendigkeit besteht, auch in diesen Fällen die Liquidität zu bewahren und so die Gefahr der Insolvenz zu minimieren. Der Begriff „Sicherheitszuschlag“ macht bereits deutlich, dass es darum geht, unerwartete Abweichungen des tatsächlichen Schadensaufwands vom erwarteten und kalkulierten Schadensbedarf auszugleichen.43 Letztlich steht ein versicherungstechnisches Risiko im Raum, das durch den Sicherheitszuschlag ausgeglichen werden soll. Elemente des versicherungstechnischen Risikos sind wiederum Irrtumsrisiko, Änderungsrisiko und Zufallsrisiko.44

20 dd) Prämienzuschläge und Prämienabschläge. Prämienzuschläge und Prämienabschläge lassen sich dem Prämienbegriff zuordnen, soweit sie im Zusammenhang mit der Übernahme des Versicherungsrisikos stehen.45 So lassen sich aus objektiven personenunabhängigen Gesichtspunkten oder aufgrund persönlicher Merkmale bestimmte Risiken als höher bzw. niedriger einschätzen, die zu einer Erhöhung bzw. Verringerung der Prämienhöhe führen. Dazu zählt beispielsweise die Einstufung als Raucher in einer Lebensversicherung oder die Garagennutzung bei Kfz-Versicherungen. Ebenso kann die vertragliche Erweiterung des Versicherungsrisikos einen Prämienzuschlag zur Folge haben.46 Abschläge bzw. Zuschläge können sich des Weiteren aus Teilzahlungsabreden oder Rabatt21 systemen ergeben. So ist etwa ein Teilzahlungszuschlag üblich, wenn der VN anstelle der jährlichen Prämienzahlung eine halbjährliche oder vierteljährliche Zahlung vereinbart. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Höhe der (Brutto-)Prämie aus, so dass ein solcher Zuschlag als Prämienbestandteil einzuordnen ist.47 Eine hiervon zu trennende Frage ist, ob durch eine halb- oder vierteljährliche Zahlungsweise die grundsätzlich einjährige Versicherungsperiode gem. § 12 verändert wird. Da durch eine solche Zahlungsweise primär lediglich die Fälligkeit geändert wird, hat dies grundsätzlich keine Wirkung im Hinblick auf die Dauer der Versicherungsperiode.48 Nachdem infolge der VVG-Reform 2008 der Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie weggefallen ist (dazu noch § 39 Rn. 2), hat diese Frage indes nun an Bedeutung verloren. 22 Rabattsysteme können wiederum zu Abschlägen führen, z.B. wenn der VN verschiedene Versicherungen bei einem VR abschließt und dem Kunden deshalb Rabatte eingeräumt werden. 41 42 43 44 45 46 47 48

Vgl. Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 4. Vgl. §§ 12 Abs. 1, 12c VAG i.V.m. der KalV. Ganster Prämienzahlung S. 63 f. m.w.N. Dazu Farny5 S. 83 ff.; Ganster Prämienzahlung S. 64; v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 33, 962. Farny5 S. 58; v. Fürstenwerth/Weiß/Consten/Präve11 S. 610, 100. Schirmer/Marlow VersR 1997 782, 789. A.A. wohl Ganster Prämienzahlung S. 66. Vgl. Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 7.

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B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 33

ee) Gewinnanteil. Keiner besonderen Erwähnung bedarf die Tatsache, dass jede Prämie 23 grundsätzlich einen Gewinnanteil für den VR enthält, da die wirtschaftliche Tätigkeit eines VU auf die Erzielung von Gewinnen bzw. Überschuss angelegt ist. Der Gewinnanteil ist Bestandteil der Bruttoprämie (dazu oben Rn. 18).

ff) Versicherungssteuer/Feuerschutzsteuer. Als Bestandteil der Prämie tritt als öffentliche 24 Abgabe die Versicherungssteuer aufgrund des Versicherungssteuergesetzes (VersStG) hinzu (im Verhältnis zwischen VR und VN gilt die Versicherungssteuer gem. § 7 Abs. 9 VersStG als Versicherungsentgelt; vgl. noch unten). Die Rahmenbedingungen finden sich neben dem VersStG in der Versicherungssteuer-Durchführungsverordnung49 (VersStDV). Gem. § 4 VersStG sind bestimmte Versicherungen von der Versicherungssteuer befreit (insbesondere Rückversicherungen, Lebensversicherungen, Berufsunfähigkeitsversicherungen, Krankenversicherungen, Tierversicherungen mit Versicherungssummen bis 4.000 Euro, bestimmte grenzüberschreitende Warentransportversicherungen). Der Regelsteuersatz beträgt gem. § 6 Abs. 1 VersStG 19 % des Versicherungsentgelts ohne Versicherungssteuer; abweichend hiervon sieht § 6 Abs. 2 VersStG für einzelne Versicherungsarten unterschiedliche Steuersätze vor (z.B. bei der Feuerversicherung und bei der Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung seit 1.7.2010 22 % [von einem Anteil von 60 % des Versicherungsentgelts gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VersStG; vgl. noch Rn. 25]; bei der Seeschiffskaskoversicherung 3 %). Steuerschuldner ist zwar der VN (§ 7 Abs. 1 VersStG), auch wenn die Steuer vom VR zu entrichten ist. Dieser zieht die Steuer letztlich jedoch nur zusammen mit der Prämie ein, leitet den Steuerbetrag aber an die öffentliche Hand weiter.50 Obwohl der VN gem. § 7 Abs. 1 VersStG Steuerschuldner der Versicherungssteuer ist, haftet dennoch der VR gem. § 7 Abs. 2 VersStG für diese Steuer. Gem. § 7 Abs. 9 VersStG gilt im Verhältnis zwischen dem VR und dem VN die Steuer als Teil des Versicherungsentgelts, insbesondere soweit es sich um dessen Einziehung und Geltendmachung auf dem Rechtsweg handelt. Der Anspruch gegen den VN ist folglich auf gleichem gerichtlichem Wege geltend zu machen wie die eigentliche Prämie. Die Versicherungssteuer wird damit im Vertragsrecht wie ein Prämienbestandteil behandelt, obwohl sie im Grunde kein Entgelt für die Vertragsleistung des VR darstellt. Daraus folgt, dass die Regelungen des VVG über die Prämie, insbesondere auch die §§ 37 f., auch die Versicherungssteuer erfassen.51 Neben der Versicherungssteuer unterliegen Versicherungsprämien aus Feuer-, Betriebsun- 25 terbrechungs-, Wohngebäude- und Hausratversicherungen (bei Letzteren wenn die Versicherung teilweise auf Gefahren entfällt, die Gegenstand einer Feuerversicherung sein können) der Feuerschutzsteuer aufgrund des Feuerschutzsteuergesetzes (FeuerschStG). Diese Steuer fließt den Bundesländern zur Förderung des Feuerlöschwesens und des vorbeugenden Brandschutzes zu.52 Mit Wirkung zum 1.7.2010 ist die Besteuerung von Versicherungsprämien zu Feuerversicherungen geändert worden.53 Neu geregelt und bezweckt ist u.a. eine Trennung und Zuweisung eines festgelegten Anteils am Versicherungsentgelt gem. § 3 Abs. 1 FeuerschStG bzw. § 5 Abs. 1 VersStG jeweils nur auf die Feuerschutzsteuer bzw. nur auf die Versicherungssteuer.54 So ist insbesondere in der Feuerversicherung Bemessungsgrundlage für die Feuerschutzsteuer ein Anteil von 40 % des Versicherungsentgelts (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 FeuerschStG) und für die Versicherungssteuer ein Anteil von 60 % (§ 5 Abs. 1 Nr. 3a VersStG; vgl. bereits oben Rn. 24). Der Steuersatz für die Feuerschutzsteuer und die Versicherungssteuer wurde 49 50 51 52 53

VersStDV 2021 (BGBl. 2021 I 938). Deutsch/Iversen7 Rn. 185. H.M.; vgl. Ganster Prämienzahlung S. 67 Fn. 281 m.w.N. Farny5 S. 166; vgl. auch Grünwald/Dallmayr VersStG, FeuerschStG, 2016, Einführung Rn. 3. Durch das Begleitgesetz zur Zweiten Föderalismusreform v. 10.8.2009, BGBl. I 2702; kritisch dazu Medert DStR 2009 1991. 54 BTDrucks. 16/12400 S. 29. 421

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vereinheitlicht; er beträgt für die Feuerversicherung jeweils 22 % (§ 4 FeuerschStG bzw. § 6 Abs. 2 Nr. 1 VersStG). Steuerschuldner der Feuerschutzsteuer ist gem. § 5 Abs. 1 FeuerschStG der VR, während Steuerschuldner der Versicherungssteuer der VN ist (vgl. bereits oben Rn. 24).55

gg) Behandlung von Nebengebühren/Zinsen 26 (1) Mögliche Posten. Im Hinblick auf Geldleistungen des VN an den VR lassen sich Nebengebühren nach wie vor begrifflich von der Prämie unterscheiden. Nebengebühren können allerdings, wenn sie zwischen VN und VR vereinbart sind, nach der Legaldefinition des § 1 Satz 2 unter den Prämienbegriff zu subsumieren sein, ohne dass es auf ein Synallagma zur Leistungspflicht des VR ankommt (vgl. schon Rn. 10). Nebengebühren lassen sich als Geldleistungen des VN bezeichnen, die gerade nicht für die Gefahrtragung, sondern für andere Zwecke erbracht werden. Nebengebühren können in mannigfaltigen Ausprägungen auftreten: z.B. Mahngebühren, 27 Kosten einer Ersatzurkunde, Abschrift nach § 3 VVG, Verlust der Versicherungskarte, Gebühren für Abschriften, Inkassogebühren, Policendarlehenszinsen, Änderungsgebühr bei wechselndem VN. Über solche Nebengebühren hat der VR den VN gem. § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 7, 8 VVGInfoV grundsätzlich zu informieren (vgl. Rn. 13). Nebengebühren sind auch aufgrund von Zahlungsverzug eventuell anfallende Verzugszin28 sen, Verzugsschäden und Vertragsstrafen. Ob einzelne Nebengebühren unter den Prämienbegriff fallen, hängt davon ab, ob sie auf vertraglicher Grundlage beruhen. Dies ist jedenfalls bei Mahngebühren zu verneinen; sie ergeben sich grundsätzlich aus dem Gesetz und sind deshalb keine „vereinbarte Zahlung“ i.S.d. § 1 Satz 2.56 Entsprechendes gilt für Verzugszinsen.57

29 (2) Gleichstellung mit der Prämie. Die Beziehungen zwischen den Nebengebühren und der Prämie waren und sind in mancher Hinsicht umstritten. Unzweifelhaft ist zumindest, dass Steuern (§ 7 Abs. 9 VersStG) und vertraglich vereinbarte Nebengebühren privatrechtlich gleich der Prämie zu behandeln sind und §§ 33 ff. hierfür gelten.58 Speziell § 38 erfasst wiederum Zinsen und Kosten (vgl. Abs. 1, 2); insbesondere Zinsen können sich als Verzugszinsen aus dem Gesetz ergeben und sind dann nicht vertraglich vereinbart (vgl. Rn. 28). Bei der Frage, ob der Prämienbegriff auch die übrigen Nebengebühren erfasst, sind die Meinungen nach wie vor gespalten. Zum Teil werden Nebengebühren ohne Weiteres als Bestandteil der Prämie bezeichnet.59 Andere wiederum unterscheiden zwar begrifflich zwischen Prämie und Nebengebühr, sprechen sich jedoch für eine privatrechtliche Gleichstellung aus.60 Eine weitere Ansicht plädiert gegen eine Gleichstellung.61 Nach der seit der VVG-Reform 2008 geltenden Fassung des § 1 Satz 2 ist zu differenzieren 30 (vgl. Rn. 10). Soweit Nebengebühren vertraglich vereinbart wurden (vereinbarte Zahlung) und einen Bezug zum Versicherungsvertrag aufweisen, gehören Nebengebühren zur Prämie, so dass es einer Gleichstellung dieser Nebengebühren (Nebengebühren im weiteren Sinn) mit der Prä55 56 57 58 59 60

Zu den sich unter anderem hieraus ergebenden Konsequenzen Medert DStR 2009 1991, 1993. LG Köln 28.3.2018 – 26 O 409/17, RuS 2018 310, 311; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 6. Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 6; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 5.1. Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 3. Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 2; ebenso wohl auch Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 10. Bruck/Möller/Möller8 § 35 Anm. 10; Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 2. 61 Ganster Prämienzahlung S. 71 ff. Im österreichischen Recht scheidet eine Gleichstellung unter gesetzlichen Gesichtspunkten aus, vgl. Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 11, der aber den diesbezüglichen Kontrast zum deutschen Recht betont. Beckmann

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B. Tatbestand und Rechtsfolgen

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mie im Rahmen des § 38 nicht mehr bedarf. Im Rahmen des § 37 ist zwischen Nebengebühren, die auf vertraglicher Vereinbarung beruhen und anderen Nebengebühren auf gesetzlicher Grundlage (echte Nebengebühren) zu unterscheiden. Für den Eintritt der Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 bzw. des § 37 Abs. 2 kommt es ausschließlich auf die Zahlung der Prämie, also nur der vertraglich vereinbarten Nebengebühren (Nebengebühren im weiteren Sinn), nicht auf die Zahlung der echten Nebengebühren, an.

c) Daten als Prämie. Infolge der Digitalisierung hat insbesondere auch die ökonomische Be- 31 deutung von Daten62 rasant zugenommen. Neben der Frage ihrer rechtlichen Einordnung63 wird auch die Einordnung von Daten als Prämie bzw. Prämienersatz diskutiert.64 Anlass für diese Fragestellung ist beispielsweise das Anbieten von Versicherungsprodukten auf der Grundlage von sog. Telematiktarifen, die etwa im Bereich der Kfz-Versicherung und auch anderen Versicherungszweigen wie der Lebens- und der Hausratversicherung zu finden sind.65 Mit Hilfe technischer Instrumente werden Daten übermittelt, die es ermöglichen, das Verhalten des VN fortlaufend zu beobachten und auf diese Weise neu zu bewerten. Die Daten werden in der Regel von einem rechtlich unabhängigen Unternehmen in einen „Score-Wert“ konvertiert, der dann dem Versicherungsunternehmen zur Verfügung gestellt wird.66 Als technische Instrumente zur Übertragung von entsprechenden Daten kommen in der Personenversicherung z.B. Gesundheitsarmbänder und ähnliche Instrumente (sog. „Wearables“) oder in der Kfz-Versicherung eine im Kfz angeschlossene „Black Box“ oder eine Smartphone-App in Betracht, die das Verhalten des

62 Zum Begriff etwa Zech CR 2015 137, 138; Specht CR 2016 288, 290 f.; Riehm VersR 2019 714, 715. 63 Dazu etwa insbesondere aus verfassungrechtlicher Sicht Eichberger VersR 2019 709; aus haftungsrechtlicher Sicht Riehm VersR 2019 714; aus erbrechtlicher Sicht Scherer/Biermann Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht, 5. Aufl. (2018) § 50 Rn. 8 ff.; gegen die Anerkennung eines „Dateneigentums“ BeckOK-BGB/Fritzsche (Stand 1.8.2021) § 903 Rn. 10; Determann ZD 2018 503, 505 ff. 64 Schrifttum zu diesen Fragen: Brömmelmeyer Belohnungen für gesundheitsbewusstes Verhalten in der Lebensund Berufsunfähigkeitsversicherung? Rechtliche Rahmenbedingungen für Vitalitäts-Tarife, RuS 2017 225; ders. Belohnungen für gesundheitsbewusstes Verhalten in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung, in: SchmidtKessel/Grimm (Hrsg.) Telematiktarife & Co. – Versichertendaten als Prämienersatz (VersR-Schriftenreihe, Bd. 63) 2018 117; Determann Gegen Eigentumsrechte an Daten, ZD 2018 503; Hacker Daten als Gegenleistung: Rechtsgeschäfte im Spannungsfeld von DS-GVO und allgemeinem Vertragsrecht, ZfPW 2019 148; Koch Zum Umgang mit fehlerhaften Prämienfaktoren in telematikbasierten Versicherungstarifen, VersR 2020 1413; Lüttringhaus Mehr Freiheit wagen im Versicherungsrecht durch daten- und risikoadjustierte Versicherungstarife, in: „Mehr Freiheit wagen“ – Beiträge zur Emeritierung von Jürgen Basedow (hrsg. v. Dutta/Heinze) 2018 55; Matusche-Beckmann Big Data-basierte Versicherungsprodukte am Beispiel sogenannter Kfz-Telematiktarife, in: Matusche-Beckmann/Sato (Hrsg.) Rechtsprobleme der Risikogesellschaft – Japanisch-Deutscher Rechtsdialog 2020 91; Pohlmann Telematikversicherungen – Vertragliche Gestaltung, Gefahrerhöhung und Obliegenheiten, in: Schmidt-Kessel/Grimm (Hrsg.) Telematiktarife & Co. – Versichertendaten als Prämienersatz (VersR-Schriftenreihe, Bd. 63) 2018 73; Rudkowski Anreizsysteme in der privaten Krankenversicherung und das Leitbild der freien Lebensgestaltung des Versicherungsnehmers, VersR 2020 1016; dies. Vertragsrechtliche Anforderungen an die Gestaltung von „Self-Tracking“-Tarifen in der Privatversicherung, ZVersWiss 2017 453; allgemein zu § 327 Abs. 3 BGB n.F. und § 312 Abs. 1a BGB n.F. KlinkStraub Do ut des data – Bezahlen mit Daten im digitalen Vertragsrecht, NJW 2021 3217; dazu hier Rn. 36. 65 Vgl. Matusche-Beckmann in: Matusche-Beckmann/Sato S. 91 ff.; Brand VersR 2019 725 ff.; vgl. z.B. HUK Telematik Plus, Informationen unter https://www.huk.de/fahrzeuge/kfz-versicherung/telematik-plus.html (Abrufdatum 7.10.2021); mittlerweile ausgelaufen ist das Angebot „Telematik-Sicherheits-Service“ der Sparkassen DirektVersicherung, vgl. https://www.sparkassen-direkt.de/auto-mobilitaet/telematik/ (Abrufdatum: 7.10.2021). Zu Anreizsystemen in der privaten Krankenversicherung wie Bonuspunkte, die dann in Sach- oder Geldprämien oder sonstige Vorteile umgesetzt werden können Rudkowski VersR 2020 1016 ff.; vgl. z.B. das Gesundheitsprogramm Generali Vitality, Informationen unter https://www.generalivitality.com/de/de (Abrufdatum: 7.10.2021). 66 Hacker ZfPW 2019 148, 155. 423

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VN – etwa das Fahrverhalten – aufzeichnen.67 Für die Übermittlung von Daten erhält der VN, insbesondere wenn er einen bestimmten „Score-Wert“ erreicht, bestimmte „Gegenleistungen“, z.B. Prämienrabatte.68 32 Aus versicherungsrechtlicher Perspektive stellt sich unter anderem die Frage, ob die vom VN übermittelten Daten die klassische Geldleistung als Versicherungsprämie ganz oder teilweise ersetzen können. Aus speziellen Regelungen, die einzelne Versicherungssparten betreffen, können sich verschiedene Vorgaben ergeben. Sollen z.B. aus einem Verstoß gegen vertragliche Bestimmungen eines Telematiktarifs Sanktionen resultieren (etwa im Rahmen vertraglicher Obliegenheiten), so sind in der Kfz-Haftpflichtversicherung einzuhaltende Rahmenbedingungen in der KfzPflVV insbesondere für Obliegenheiten gem. §§ 5, 6 KfzPflVO zu beachten. Unter anderem aufgrund der besonderen Vorschriften zur Prämienanpassung gem. §§ 163 Abs. 1, 176 und 203 Abs. 2 wird die Ausgangsfrage, ob Daten die Versicherungsprämie (teilweise) ersetzen können, für die Lebensversicherung, die Berufsunfähigkeitsversicherung und die Krankenversicherung unterschiedlich beurteilt. Speziell zur Krankenversicherung, sofern es sich um eine substitutive oder eine sonstige, nach der Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung handelt, wird vielfach vertreten, dass die Leistung von Daten als (Teil-)Prämie nicht möglich sein soll.69 So sei die Prämie nach den Vorgaben des § 146 VAG und der KVAV70 zu berechnen, so dass von diesen Vorgaben abweichende Prämien aufsichtsrechtlich nicht zulässig seien; ebenso stünde der Zweck der Vorgaben zur Prämienberechnung in der Krankenversicherung einer nicht in (Buch-)Geld bestehenden Gegenleistung entgegen. Eine von den Vorgaben abweichende Prämie sei nicht nur aufsichtsrechtlich, sondern gem. § 203 Abs. 1 Satz 1 auch vertragsrechtlich unzulässig.71 Ebenfalls wird argumentiert, dass Prämienanpassungen in der Personenversicherung nur bei Änderungen erfolgen dürfen, die das ganze Kollektiv betreffen, nicht auch bei Veränderungen, die lediglich einzelne VN betreffen.72 Auch sog. „risikoadjustierte Prämien“ werden für unzulässig erachtet.73 Damit sind Prämien gemeint, die von einem laufenden individuellen Gesundheitsmonitoring mittels App abha¨ngen. Außerdem sei die Überlassung von Self Tracking-Daten nicht mit dem gesetzlichen Leitbild der privaten Krankenversicherung vereinbar, da diese Daten in untrennbarem Zusammenhang mit der Lebensführung des VN, in all seinen Facetten, stünden.74 Auch seien Anreizsysteme, die in das vertragliche Synallagma eingreifen, gem. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unzulässig, da sie die autonome Lebensgestaltung des VN besonders gefährdeten.75 Indes hat der BGH im Rahmen einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle in einer Entscheidung aus dem Jahre 199276 geäußert, dass mit Regelungen über Beitragsrückerstattungen ein individuelles Kostenverhalten des Versicherten gesteuert und eine gesundheitsbewusste Lebens67 Zur Funktionsweise Matusche-Beckmann in: Matusche-Beckmann/Sato S. 91, 92 ff.; Brand VersR 2019 725 f.; Lüttringhaus in: Mehr Freiheit wagen 55, 58 ff.

68 Brand VersR 2019 725, 726; Hacker ZfPW 2019 148, 154; Koch VersR 2020 1413, 1416; vgl. zu „Belohnungen“ zugunsten des VN auch Brömmelmeyer RuS 2017 225. 69 Bruck/Möller/Waldkirch9 § 8 MB/KK 2009 Rn. 25 f.; ebenso, indes ohne nähere Begründung die Bundesregierung, die im Rahmen einer Kleinen Anfrage geäußert hat, dass die risikoadjustierten Prämien, die von einem laufenden individuellen Gesundheitsmonitoring mittels App abhängen, mit diesen Vorgaben nicht vereinbar wären (BTDrucks. 18/10259 v. 9.11.2016 S. 5). 70 Verordnung betreffend die Aufsicht u ¨ ber die Gescha ¨ftsta ¨tigkeit in der privaten Krankenversicherung (Krankenversicherungsaufsichtsverordnung – KVAV) v. 18.4.2016, BGBl. I 780; zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 9 des Gesetzes v. 19.12.2018, BGBl. I 2672. 71 Bruck/Möller/Waldkirch9 § 8 MB/KK 2009 Rn. 25. 72 Brand VersR 2019 725, 729. 73 Bruck/Möller/Waldkirch9 § 8 MB/KK 2009 Rn. 27; ebenso die indes nicht näher begründete Antwort der Bundesregierung im Rahmen einer Kleinen Anfrage (BTDrucks. 18/10259 v. 9.11.2016 S. 5). 74 Rudkowski VersR 2020 1016, 1019. 75 Rudkowski VersR 2020 1016, 1020. 76 BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55, 61 = RuS 1992 350, 351 (juris Rn. 22); zur Klauselkontrolle auch Lüttringhaus in: Mehr Freiheit wagen 55, 64 ff. Beckmann

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B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 33

führung gefördert werde und es dem VR als Teil seiner Geschäftspolitik überlassen bleiben müsse, ob er diese Ziele anstreben wolle und ob er Beitragsrückerstattungen als geeignete Mittel ansehe, um diese Ziele zu erreichen. Diese Entscheidung lässt sich jedenfalls für einen gewissen Spielraum bei der Beitragsbemessung heranziehen. Bei sog. Vitalitäts-Tarifen77 im Bereich der Lebensversicherung wird argumentiert, dass die- 33 se nicht gegen § 163 Abs. 1, dessen Zweck es sei, die Finanzierbarkeit der Lebensversicherung trotz veränderten Leistungsbedarfs auf Dauer zu gewährleisten, verstießen, da die Tarifprämie und die Rechnungsgrundlagen unangetastet blieben und lediglich die Überschüsse unter Berücksichtigung des gesundheitsrelevanten Verhaltens unterschiedlich verteilt würden.78 Für den Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung gelte dies ebenfalls, da die §§ 163 Abs. 1, 176 nicht einschlägig seien.79 Ebenso könne kein Verstoß gegen die §§ 23 ff. festgestellt werden, da Gefahrerhöhungen im Bereich der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung nach den §§ 158 Abs. 1, 176 ausdrücklich vereinbart sein müssten.80 Wurde eine solche Vereinbarung getroffen, so blieben die §§ 23 ff. jedoch weiterhin anwendbar.81 Die Vereinbarkeit von Vitalitäts-Tarifen mit § 138 Abs. 2 VAG erfordere sachliche Differenzierungsgründe und Beitragsermäßigungen dürften keine nachteiligen Auswirkungen für die übrigen Tarife des Versichertenkollektivs mit sich bringen.82 Eine Kompatibilität mit §§ 153 Abs. 2, 176 wird ebenfalls befürwortet, da gesundheitsbewusstes Verhalten eine positive Auswirkung auf die Lebenserwartung habe und damit letztlich zur Erwirtschaftung von Überschüssen beitrage.83 Die Überschussbeteiligung müsse jedoch dem Gleichbehandlungsgebot Beachtung schenken und das Verhalten dürfe nur in dem Maß bei der Verteilung der Überschüsse berücksichtigt werden, in dem es auch tatsächlich zur Entstehung beigetragen habe.84 Die Vereinbarkeit von Vitalitäts-Tarifen mit § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB wird hingegen als problematisch angesehen, so dass in Erwägung gezogen wird, der VR könne sich verpflichten, gesundheitsbewusstes Verhalten nach billigem Ermessen zu berücksichtigen, um auf diese Weise die Möglichkeit einer richterlichen Kontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB zu schaffen.85 Jedenfalls erscheint außerhalb der vorgenannten Versicherungssparten die (teilweise) Erset- 34 zung der klassischen Versicherungsprämie durch vom VR erhobene Daten eher möglich. Dem steht der mit der VVG-Reform 2008 geänderte Wortlaut des § 1 Satz 2 nicht entgegen. Der VN schuldet danach die „vereinbarte Zahlung (Prämie)“; nach der früheren Fassung sprach das Gesetz einerseits von Prämie und stellte andererseits der Prämie die bei Versicherungsunternehmungen auf Gegenseitigkeit zu entrichtenden Beiträge gleich (vgl. § 1 Abs. 2 a.F.). Der seit 2008 geltende Wortlaut soll lediglich die früher gesetzliche Klarstellung erübrigen; eine Änderung der Möglichkeiten des VN, seine Leistungspflicht zu erfüllen, sollte hierdurch nicht erfolgen.86 In der Vergangenheit wurden bereits aufgrund der Hyperinflation in der Nachkriegszeit die Versicherungsprämien teilweise in Naturalleistungen entrichtet,87 was auch heutzutage noch möglich wäre. Eine

77 Vgl. z.B. das Gesundheitsprogramm von Generali Vitality, wonach der VN für das Erreichen seiner Gesundheitsziele Belohnungen erhält, Informationen unter https://www.generalivitality.com/de/de/so-funktioniert-vitality/ (Abrufdatum 7.10.2021). 78 Brömmelmeyer RuS 2017 225, 229; Rudkowski ZVersWiss 2017 453, 480. 79 Brömmelmeyer RuS 2017 225, 229; Pohlmann in: Schmidt-Kessel/Grimm, Telematiktarife & Co. – Versichertendaten als Prämienersatz, S. 73, 96. 80 Brömmelmeyer RuS 2017 225, 229. 81 Rudkowski ZVersWiss 2017 453, 458. 82 Schmidt-Kessel/Grimm/Brömmelmeyer S. 117, 124 f. 83 Schmidt-Kessel/Grimm/Brömmelmeyer S. 117, 127. 84 Schmidt-Kessel/Grimm/Brömmelmeyer S. 117, 127. 85 Schmidt-Kessel/Grimm/Brömmelmeyer S. 117, 138 f. 86 Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 56; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 51. 87 Brand/Baroch Castellvi/Brand VAG Einführung Rn. 11; Koch Geschichte der Versicherungswirtschaft in Deutschland (2012) 216 f. 425

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Fälligkeit

Geldleistung ist daher nicht unbedingt geschuldet.88 Auch wird das Kriterium der Entgeltlichkeit grundsätzlich weit verstanden.89 Problematisch bleibt allerdings, dass Daten im Gegensatz zu Naturalleistungen unbegrenzt vervielfältigbar sind und ihr Wert nur schwer objektivierbar ist.90 Jedenfalls aber sind datenschutzrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Die personenbezogenen Daten betreffen das Persönlichkeitsrecht der versicherten Personen.91 Erforderlich für die Verwendung solcher Daten ist eine Einwilligung des Versicherten nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a, 7 DSGVO. Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 DSGVO muss diese Einwilligung des Versicherten jederzeit frei widerruflich sein. Ein solches Konzept einer frei widerruflichen Gegenleistung ist dem Schuldrecht allerdings fremd.92 Eine etwaige Lösung dieses Problems durch den Verzicht des Widerrufsrechts als Teil der Leistungspflicht verstieße gegen die Vorgaben des § 7 Abs. 3 Satz 1 DSGVO.93 Probleme können sich zudem bei Prämienzahlungsverzug des VN ergeben. Selbst eine 35 Teilleistung von Daten, etwa weil der VN die Daten nicht übermitteln möchte, könnte bereits aufgrund von § 37 Abs. 1 zum Rücktritt des VR bzw. zur Leistungsfreiheit nach § 37 Abs. 2 führen; wenn die Leistung von Daten Folgeprämie wäre, käme unter den Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 eine Leistungsfreiheit in Betracht. Aufgrund von § 42 ist das Regime der § 37 f. zwar abdingbar; gleichwohl kann hierin keine Lösung des Problems zu sehen sein, da dies für den VR kaum von Interesse wäre.94 In den meisten Telematik-Verträgen ist daher die Datenüberlassung lediglich als Obliegenheit, nicht jedoch als echte Verpflichtung ausgestaltet.95 Momentan lässt sich zusammenfassend sagen: Auch wenn es keine generellen Regelungen gibt, die es ausdrücklich verbieten, Daten insbesondere als Prämienersatz zu verwenden, sind – neben datenschutzrechtlichen und AGB-rechtlichen Rahmenbedingungen – insbesondere versicherungsaufsichtsrechtliche Vorgaben zur Prämienermittlung zu berücksichtigen; dies gilt insbesondere in der Kranken-, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung. Vor allem Rabattsysteme dürften gleichwohl auch von Versicherungsnehmerseite von Interesse sein; insbesondere dann, wenn es dem VN frei steht, ob er ein solches System nutzen will oder nicht, sollten Beschränkungen dem dauerhaft nicht entgegenstehen. 36 Das Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags96 sowie das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen97 wirken sich auf die vorstehenden Ausführungen nicht aus. Nach der ab dem 1.1.2022 geltenden Fassung des § 327 Abs. 1 Satz 1 BGB gelten insbesondere die §§ 327 bis 327s BGB nur für Verbraucherverträge, welche die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen durch den Unternehmer gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben. Der Begriff des „Preises“ 88 VGH Kassel 16.12.2009 – 6 A 1065/08, VersR 2010 889, 890 (juris Rn. 61); Bruck/Möller/Waldkirch9 § 8 MB/KK Rn. 21; Brand/Baroch Castellvi/Brand § 1 Rn. 5; Brand VersR 2019 725, 732; Prölss/Dreher/Präve13 VAG § 1 Rn. 32; Bähr/Püttgen VAG-Hdb § 3 Rn. 9. 89 Saria VersR 2021 273, 274. 90 Brand VersR 2019 725, 732. 91 Schmidt-Kessel/Grimm/Sattler S. 13 ff.; dazu auch Lüttringhaus, in: Mehr Freiheit wagen, 55, 68 ff. 92 Brand VersR 2019 725, 732. 93 Brand VersR 2019 725, 732; Hacker ZfPW 2019 148, 170. 94 Brand VersR 2019 725, 733. 95 Hacker ZfPW 2019 148, 169; vgl. Generali Besondere Bedingungen für Generali Mobility (2017) Ziff. 4, abrufbar unter https://t1p.de/kzr1 (Abrufdatum: 7.10.2021; Link vom Verf. gekürzt); CosmosDirekt Besondere Bedingungen BetterDrive (2019) Ziff. 6, abrufbar unter https://t1p.de/ihah (Abrufdatum: 7.10.2021; Link vom Verf. gekürzt). 96 BGBl. 2021 I 2133: „Dieses Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG (ABl. L 136 vom 22.5.2019, S. 28; L 305 vom 26.11.2019, S. 66.)“. 97 BGBl. 2021 I 2123: „Dieses Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (ABl. L 136 vom 22.5.2019, S. 1; L 305 vom 26.11.2019, S. 62.)“. Beckmann

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B. Tatbestand und Rechtsfolgen

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erfasst zum einen Geld und zum anderen elektronische Gutscheine oder E-Coupons.98 Stellt der VN Daten als Prämie bzw. Prämienersatz zur Verfügung (vgl. § 327 Abs. 3 BGB), so geht allein damit nicht eine Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen durch den Unternehmer einher. Im Übrigen würde auch der Anwendungsausschluss des § 327 Abs. 6 Nr. 5 BGB eingreifen, nachdem die Vorschriften auf Verträge über Finanzdienstleistungen keine Anwendung finden. Dieser Begriff ist von einem weiten Verständnis geprägt und umfasst digitale Produkte, die mit „Finanzdienstleistungen in Verbindung stehen oder mit denen Zugang zu Finanzdienstleistungen gewährt wird“.99 Nach der Legaldefinition des § 312 Abs. 5 BGB fallen darunter auch Dienstleistungen im Zusammenhang mit Versicherungsverträgen.100 Auch aus den §§ 327t f. BGB, die ergänzend zu den §§ 327 bis 327s BGB den Rückgriff des Unternehmers gegen den Vertriebspartner regeln, ergibt sich im Bezug auf Versicherungsverträge nichts Abweichendes. Soweit wiederum der neu gefasste § 312 Abs. 1a BGB die §§ 312 bis 312h BGB auf Verbraucherverträge für anwendbar erklärt, bei denen der Verbraucher dem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet, ist zu berücksichtigen, dass § 312 Abs. 6 BGB auf Versicherungsverträge nur § 312a Abs. 3, 4 und 6 BGB zur Anwendung kommen lässt. Gleichwohl kann man den Neuregelungen ganz allgemein entnehmen, dass der Gesetzgeber der zunehmenden Bedeutung personenbezogener Daten Rechnung trägt.101

2. Erstprämie und Einmalprämie § 33 betrifft die „einmalige Prämie“ sowie die „erste Prämie“, soweit laufende Prämien verein- 37 bart sind. Im Falle der Vereinbarung einer Einmalprämie hat der VN die Prämie für die gesamte Versicherungsdauer in einer einzigen Zahlung zu entrichten.102 In einem solchen Fall spricht man auch von einer sog. Mise.103 Einmalprämien kommen sowohl bei kurzfristigen Versicherungsverträgen vor (z.B. bei Reiserücktrittsversicherungen oder Reisegepäckversicherungen); sie finden sich aber auch bei längerfristigen Versicherungsverträgen, wie z.B. bei Lebensversicherungen oder privaten Rentenversicherungen. Häufiger sind hingegen Versicherungen mit sog. laufender Prämie. In diesen Fällen ist die Versicherungsdauer in Versicherungsperioden eingeteilt; gem. § 12 gilt als Versicherungsperiode, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres. Versicherungsperiode ist der Zeitabschnitt, nach dem bei einer Versicherung die Prämie bemessen wird.104 Wie sich unmittelbar aus § 12 ergibt, kann die Versicherungsperiode nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen werden. Vielfach wird eine halbjährliche, vierteljährliche oder monatliche Zahlungsweise vereinbart. Allein durch eine entsprechende Zahlungsvereinbarung ändert sich nach h.M. allerdings die Versicherungsperiode noch nicht (vgl. bereits oben Rn. 21).105

3. Erstprämie und Folgeprämie Während § 33 die Einmalprämie und bei laufenden Prämienzahlungen die Erstprämie betrifft, 38 differenzieren die §§ 37 und 38 zwischen Erstprämie (§ 37) und Folgeprämie (§ 38). Erstprämi98 RegE BTDrucks. 19/27653 S. 38. 99 RegE BTDrucks. 19/27653 S. 44. 100 Vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 1 Rn. 82a. 101 Vgl. Klink-Straub NJW 2021 3217. 102 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 7; Bruck/Möller/Möller8 § 35 Anm. 12; Ganster Prämienzahlung S. 82. 103 Richter PVR S. 132; Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 7. 104 Berliner Kommentar/Gruber § 9 Rn. 1; Motive S. 84. 105 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 7; Bruck/Möller/Möller8 § 35 Anm. 15; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 12 Rn. 2; LG Lüneburg 10.11.1977 – 6 S 420/77, VersR 1978 658. 427

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en i.S.d. § 37 sind die Einmalprämie im oben genannten Sinne (Rn. 37) und bei der laufenden Prämienzahlung die zeitlich erste Prämie. Folgeprämien i.S.d. § 38 sind nur bei laufender Prämienzahlung geschuldet.106

4. Prämienhöhe 39 Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen unterliegt die Prämienhöhe der Inhaltsfreiheit und ist damit Vereinbarungssache. In aller Regel wird sich die Prämienhöhe für den in Rede stehenden Versicherungsschutz nach dem jeweiligen Unternehmenstarif richten, der wiederum von der Prämienkalkulation aufgrund versicherungstechnischer Grundsätze und der Prämienpolitik des VR abhängt. 40 Vor der Deregulierung im Jahre 1994 bestand gem. §§ 5 i.V.m. 11 f. VAG a.F., § 8 Abs. 1, 2 PflVG a.F. (jeweils in der bis 28.7.1994 geltenden Fassung) eine Tarifgenehmigungspflicht in der Lebens-, Kranken- und Unfallversicherung sowie in der Kfz-Haftpflichtversicherung, die aber mit der Umsetzung der sog. dritten EG-Richtliniengeneration weggefallen ist.107 Gleichwohl finden sich – wie schon erwähnt – Vorgaben für die Prämienkalkulation im VAG, namentlich für die Lebensversicherung, die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr und die substitutive Krankenversicherung; vgl. §§ 138, 161 Abs. 1, 146 VAG (siehe bereits oben Rn. 15). Seit dem 1.1.2009 haben private Krankenversicherer gem. § 193 Abs. 5 bestimmten Personen 41 einen branchenweit einheitlichen „Basistarif“ anzubieten. Die hieraus resultierenden Leistungen müssen nach Art, Umfang und Höhe der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar sein. Gem. § 152 Abs. 3 Satz 1 VAG darf die Beitragshöhe den Höchstbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übersteigen, so dass das Gesetz für diesen Basistarif unmittelbare Vorgaben für die Beitragshöhe aufstellt.108 Eine unterschiedliche Höhe der Prämie allein aufgrund des Geschlechts ist seit Aufhebung 42 des § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG a.F. durch das SEPA-Begleitgesetz vom 3.4.2013109 mit Wirkung zum 21.12.2012 unzulässig. § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG a.F. sah es als zulässig an, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts bei Prämien und Leistungen vorgenommen wird, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts „bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist“. Die von § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG a.F. vorgesehene Rechtfertigungsmöglichkeit einer auf dem Geschlecht beruhenden Ungleichbehandlung ist mit Wirkung zum 21.12.2012 ersatzlos entfallen. Der Gesetzgeber hat hiermit auf das sog. Test-Achats-Urteil (auch Unisex-Urteil genannt) des EuGH vom 1.3.2011 reagiert.110 Wie bereits dargelegt (Rn. 39) wird regelmäßig die Geltung des Unternehmenstarifes zwi43 schen VN und VR vereinbart. Der Unternehmenstarif, der sich als Preisverzeichnis des VR bezeichnen lässt, enthält regelmäßig Tarifbestimmungen, durch die der VR die Prämienhöhe festlegt.111 Sie finden sich insbesondere in der Kraftfahrtversicherung und in der Krankenversicherung und stellen rechtlich AGB dar.112 Gleichwohl kann hiervon im Einzelfall abgewichen

106 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 8. 107 Dazu H. Müller Rn. 491 ff.; Beckmann ZEuP 1999 809 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich3 § 2 Rn. 44 ff.; Wandt6 Rn. 80 ff. 108 Dazu Boetius VersR 2007 431; Lehmann RuS 2009 89, 97; Brote/Bronkars VersR 2008 580. 109 Gesetz zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleitgesetz) v. 3.4.2013, BGBl. I 610. 110 EuGH 1.3.2011 – Rs C-236/09, VersR 2011 377 ff.; hierzu Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. A. Rn. 219 ff., auch zur zeitlichen Anwendung des Test-Achats-Urteils. 111 Zum Vorstehenden Armbrüster2 Rn. 1585; Wandt6 Rn. 511. 112 Wandt6 Rn. 214. Beckmann

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B. Tatbestand und Rechtsfolgen

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werden; eine entsprechende Abweichung ist zivilrechtlich ohne Weiteres möglich.113 Wird eine konkrete Vereinbarung (insbes. im Versicherungsantrag) nicht getroffen, so geht die h.L. von einer stillschweigenden Unterwerfung unter den Tarif des VR aus.114 Grundsätzlich ist dem zuzustimmen; allerdings handelt es sich letztlich um eine stillschweigende Vereinbarung, die sich aus den entsprechenden Umständen ergibt. Demzufolge ist es zumindest denkbar, dass bei entsprechenden Umständen auch etwas anderes gelten kann. Ein einseitiges Bestimmungsrecht des VR nach § 315 BGB dürfte allerdings nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. In aller Regel ist die Prämienhöhe fest fixiert; grundsätzlich denkbar sind aber Anpassungsmöglichkeiten, die sich aus Gesetz oder vertraglicher Vereinbarung ergeben können.115 Es ist bereits darauf hingewiesen worden (oben Rn. 13), dass der VR den VN über die Höhe der Prämie zu informieren hat; vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 7 VVG-InfoV.

5. Prämienschuldner Schuldner der Prämie ist die Vertragspartei des VR, namentlich also der VN. Soweit mehrere 44 VN am Versicherungsvertrag beteiligt sind, haften diese grundsätzlich als Gesamtschuldner gem. §§ 421 ff. BGB, soweit nicht eine abweichende Vereinbarung vorliegt. Dritte kommen als Schuldner der Prämie – ggf. neben dem eigentlichen VN – nur in Betracht, wenn etwa ein Schuldbeitritt116 vorliegt oder der Dritte in das Versicherungsverhältnis aufgrund einer ihm zustehenden Berechtigung eingetreten ist (z.B. gem. § 170).117 Auch in Fällen eines gesetzlichen Vertragsübergangs (etwa gem. §§ 95 Abs. 1, 122) bleibt zu erwähnen, dass der Erwerber VN und damit auch Schuldner der Prämie wird.118 Darüber hinaus haben auch die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze in diesem Zusammenhang Gültigkeit. So ist beispielsweise eine rechtsgeschäftliche Übertragung der Verpflichtung zur Prämienzahlung auf einen Dritten mit Beseitigung der Zahlungspflicht des ursprünglichen VN nur mit Zustimmung des VR möglich. Bei Tod des VN gelten gleichfalls die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze, so dass der Erbe gem. § 1967 BGB an die Stelle des VN tritt und jedenfalls die noch ausstehenden Prämienzahlungen schuldet;119 künftige Prämien schuldet der Erbe des VN indes nur, wenn sich die Versicherung fortsetzt. Der Tod des VN kann indes – auch abhängig von der Versicherungsart – zu einem Interessenfortfall gem. § 80 Abs. 2 führen.120 Auch wenn Dritte grundsätzlich nicht Schuldner der Prämie sind, so kann gleichwohl für 45 Dritte eine Berechtigung zur Prämienzahlung bestehen. Bereits nach allgemeinem Zivilrecht kann entsprechend § 267 Abs. 1 BGB ein Dritter schuldbefreiend leisten, wenn nicht ausnahmsweise der Schuldner die Leistung höchstpersönlich erbringen muss.121 Insbesondere versicherte Personen, Bezugsberechtigte oder Pfandgläubiger können ein starkes Eigeninteresse am Fortbestand des Versicherungsverhältnisses haben und sind gem. § 34 zur Zahlung berechtigt, aber nicht verpflichtet, um den drohenden Verlust des Versicherungsschutzes zu verhindern.122 Grundsätzlich nicht als Prämienschuldner sind anzusehen: der gesetzliche Vertreter des 46 VN, versicherte Personen, Zessionare, Pfandgläubiger, Vollstreckungsgläubiger, Hypotheken113 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 17; Hofmann PVR S. 142 ff. 114 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 17; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 14; Prölss/Martin/ Knappmann29 § 33 Rn. 9; kritisch gegenüber Formulierung Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/ Stagl/Brand3 § 33 Rn. 6; a.A. Bruck/Möller/Johannsen8 Bd. 3 Anm. F 3. 115 Dazu etwa Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 2. 116 Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 8. 117 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 22. 118 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 19; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 11. 119 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 10; vgl. auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 19. 120 Zum Anwendungsbereich des § 80 vgl. Bruck/Möller/Schnepp9 § 80 Rn. 10 ff. 121 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 42. 122 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Nr. 23; vgl. im Übrigen Kommentierung zu § 34. 429

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§ 33 VVG

Fälligkeit

gläubiger, Bezugsberechtigte, geschädigte Personen in der Haftpflichtversicherung.123 Soweit eine gesetzliche Verwalterstellung besteht (insbesondere Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter), so haften diese nur mit dem Vermögen, das der entsprechenden Verwaltung unterliegt.124

6. Prämiengläubiger 47 Prämiengläubiger ist der VR als Vertragspartner des VN. Haben sich mehrere VR an einer Mitversicherung beteiligt, so hängt die Frage nach der Gläubigerstellung davon ab, ob diese Mitversicherung offengelegt worden ist (sog. offene Mitversicherung) oder ob demgegenüber eine sog. verdeckte Mitversicherung vorliegt.125 Im Falle einer verdeckten Mitversicherung ist der allein nach außen auftretende VR auch der alleinige Vertragspartner des VN und somit alleiniger Prämiengläubiger.126 Im Falle einer offenen Mitversicherung richtet sich die Frage nach der Gläubigerstellung danach, ob einem der Mitversicherer – wie oft üblich – aufgrund einer Führungsklausel Inkassovollmacht eingeräumt worden ist. Ohne eine solche entsprechende Führungsklausel verbleibt es dabei, dass jeder Mitversicherer Teilgläubiger i.S.d. § 420 BGB ist.127 Abzugrenzen ist die offene Mitversicherung von dem Versicherungspool, bei dem ein VR den Versicherungsvertrag mit dem VN abschließt, allerdings intern weitere VR an dem von ihm übernommenen Risiko beteiligt.128 48 Findet eine Bestandsübertragung nach § 13 VAG statt, so wird der übernehmende VR neuer Gläubiger, ohne dass es einer Genehmigung des VN bedarf.129 49 In der bis 21.5.2007 geltenden Fassung waren gem. § 43 Nr. 4 a.F. Versicherungsvertreter (damals noch als Versicherungsagenten bezeichnet) – die sich im Besitz einer vom VR mindestens faksimilierten unterzeichneten Prämienrechnung befanden – zur Annahme der Prämie nebst Zinsen und Kosten befugt. Mit Umsetzung der Richtlinie über die Versicherungsvermittlung130 durch das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 19.12.2006131 wurde diese Regelung indes aufgehoben und durch § 42f a.F. (Geltung bis 31.12.2007; mit der VVG-Reform nun geregelt in § 69 Abs. 2) ersetzt. Gem. § 69 Abs. 2 Satz 1 gelten Versicherungsvertreter – wie hier eingangs gesagt – als bevollmächtigt, Zahlungen des VN in Zusammenhang mit der Vermittlung und dem Abschluss des Versicherungsvertrags für den VR anzunehmen, sog. Inkassovollmacht. Umstritten ist, ob § 69 Abs. 2 auch Folgeprämien erfasst. Dies wird nach teilweise vertretener Auffassung unter Hinweis darauf bejaht, dass eine damit verbundene Änderung der früheren Rechtslage (wonach die Inkassovollmacht des Versicherungsagenten gem. § 43 Nr. 4 a.F. auch Folgeprämien erfasste) in der Gesetzesbegründung nirgends angesprochen sei; zudem stünden Zahlungen von Folgeprämien an den Vermittler noch im Zusammenhang

123 Dazu Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 24; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 13; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 15. Ebenso Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 21. 124 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 24; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 12a. 125 Umfassend zur Mitversicherung Bruck/Möller/Schnepp9 Anhang zu § 216. 126 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 20; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 14; Looschelders/Pohlmann/ Stagl/Brand3 § 33 Rn. 7. Auch nach österreichischer Rechtslage, Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 15. 127 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 20; Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 18; Prölss/Martin/ Reiff31 § 33 Rn. 14; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 7. 128 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 13; Bruck/Möller/Schnepp9 Anhang zu § 216 Rn. 15. 129 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 12. 130 RL 2002/92 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung ABl. EG 2003 Nr. L 9 S. 3; mittlerweile ersetzt durch die Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (RL 2016/97 vom 20.1.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 26 S. 19). 131 BGBl. 2006 I 3232. Beckmann

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B. Tatbestand und Rechtsfolgen

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mit der Vermittlung.132 Indes weicht der Wortlaut der neuen gesetzlichen Regelungen schon erheblich von dem der früheren Regelungen ab. Die Einschränkung „im Zusammenhang mit der Vermittlung und dem Abschluss des Versicherungsvertrags“ deutet darauf hin, dass die zeitliche Phase von „Vermittlung und Abschluss“ gemeint sein soll und nicht spätere Folgeprämien. Zudem verzichtet das Gesetz auf das frühere Erfordernis, dass der Vermittler in Besitz einer Rechnung sein muss. Andererseits erscheint die Regelung nicht sonderlich geglückt. Geht man davon aus, dass der VN gem. § 69 Abs. 2 Satz 1 z.B. eine Erstprämie oder eine Einmalprämie mit Erfüllungswirkung gegenüber dem VR an den Versicherungsvertreter bezahlen kann, so wäre es aus Sicht des VN ausgesprochen überraschend, wenn die Zahlung der Folgeprämie an die gleiche Person keine Erfüllungswirkung haben soll. Eine derartige Differenzierung durch den VN wird man kaum erwarten können, so dass doch gute Gründe für eine Erstreckung der Inkassovollmacht auf Folgeprämien sprechen. Denkbar sind aber auch Fallkonstellationen, in denen diese Frage offen bleiben kann, weil ohnehin auch die Voraussetzungen einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht vorliegen. § 69 Abs. 2 Satz 1 gilt nicht für Versicherungsmakler. Diese stehen im Lager des VN und sind nur ausnahmsweise, wenn der VR ihnen Inkassovollmacht erteilt, zur Entgegennahme der Prämie befugt.133

7. Fälligkeit a) Voraussetzungen der Fälligkeit der Erst- und Einmalprämie gem. § 33 Abs. 1. Gem. 50 § 33 Abs. 1 hat der VN die Erstprämie und die Einmalprämie (zu den Begriffen oben Rn. 37) „unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen“.134 Damit weicht die seit dem 1.1.2008 geltende Gesetzesfassung vom früheren Recht ab, wonach die Erst- bzw. Einmalprämie „sofort nach dem Abschluss des Vertrages zu zahlen“ war (dazu bereits oben Rn. 1). Maßgeblich für den Beginn der Zahlungspflicht ist damit nicht mehr der Vertragsschluss. Voraussetzung für die Fälligkeit der Erst- bzw. Einmalprämie ist zunächst der Zugang des Versicherungsscheins beim VN. Dabei führt allein der Zugang des Versicherungsscheins noch nicht zur Fälligkeit von Erst- bzw. Einmalprämie. Vielmehr statuiert § 33 Abs. 1, dass die Prämienzahlungspflicht unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins entsteht. Auch für die Berechnung der Frist von 14 Tagen gelten die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Fristen, auch wenn das VVG insoweit keinen Verweis auf das BGB enthält. Indes wird die Fälligkeit noch nicht allein durch den Ablauf von 14 Tagen begründet; aus- 51 weislich des Gesetzeswortlauts muss die Prämie unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins bezahlt werden. Damit muss die Zahlung nicht innerhalb von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins erfolgen; vielmehr bleibt dem VN Zeit, die Prämie unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen zu zahlen.135 Der Begriff „unverzüglich“ ist legaldefiniert in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB. Im Schrifttum wird dieser Begriff im Rahmen des § 33 dahingehend verstanden, dass Fälligkeit damit frühestens zwei bis drei Tage nach Ablauf der Zweiwochenfrist eintreten kann.136 Da § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB darauf abstellt, dass eine 132 Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff3 § 5 Rn. 91; Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis3 § 69 Rn. 8; Langheid/Wandt/Reiff2 § 69 Rn. 42; Prölss/Martin/Dörner31 § 69 Rn. 25; im Ergebnis a.A. Niederleithinger VersR 2006 437, 445. 133 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 15 f.; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 14. 134 Vgl. aber die Sonderregelung bei der Lebensversicherung gem. § 152 Abs. 3. 135 I.d.S. auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 4. 136 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 4; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 19; Beckmann/MatuscheBeckmann/Hahn3 § 12 Rn. 22; ähnlich Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 7 (in der Regel „innerhalb von drei Tagen nach Ablauf der Widerrufsfrist“); a.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 15 (im Zweifel „sofort“). 431

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unverzüglich auszuführende Handlung „ohne schuldhaftes Zögern“ vorzunehmen ist, kommt je nach Umständen des Einzelfalls durchaus auch eine entsprechend längere Frist in Betracht. Durch die Regelung entsteht demnach eine unsichere Rechtslage im Hinblick auf den Fälligkeitszeitpunkt. Dies ist zwar nachteilig, jedoch angesichts des klaren Gesetzeswortlauts hinzunehmen. Im Schrifttum wird zudem erwogen, die Auslegung der Fälligkeit im Rahmen der sog. erweiterten Einlösungsklausel auf § 33 Abs. 1 zu übertragen.137 So ist der in der erweiterten Einlösungsklausel verwendete Begriff „ohne Verzug“ vielfach mit 14 Tagen verstanden worden.138 Indes sind keine Anhaltspunkte im Gesetz bzw. in der Gesetzesbegründung erkennbar, die eine solche Interpretation auch für § 33 Abs. 1 nahelegen. Die Verwendung des Begriffs „unverzüglich“ spricht vielmehr dafür, auf die Legaldefinition gem. § 121 BGB („ohne schuldhaftes Zögern“) und die damit verbundene Interpretation abzustellen. 52 Die Fälligkeitsregelung gem. § 33 Abs. 1 ergibt sich daraus, dass dem VN gem. § 8 Abs. 1 grundsätzlich eine vierzehntägige Widerrufsfrist zusteht und der VN nicht vor Ablauf der Widerrufsfrist zur Zahlung verpflichtet sein soll (vgl. oben Rn. 1). Dabei legt das Gesetz zum einen einen Vertragsschluss nach dem Antragsmodell zugrunde139 (bei dem der VN seine Vertragserklärung vor Zugang des Versicherungsscheins abgegeben hat); zum anderen basiert § 33 Abs. 1 auf dem Gedanken, dass die Widerrufsfrist 14 Tage beträgt. Indes sind hiervon abweichende Fallkonstellationen denkbar:

53 aa) Fälligkeit bei Abweichen des Versicherungsscheins vom Antrag des VN gem. § 5 Abs. 1. So stellt sich insbesondere die Frage nach der Fälligkeit der Erstprämie, wenn der Versicherungsschein vom Antrag des VN abweicht. Gem. § 5 Abs. 1, 2 gelten die Abweichungen als genehmigt, wenn der VN nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht (und die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 erfüllt sind). Nach der Gesetzesbegründung zu § 33 ist für die Frage der Fälligkeit der Prämie in diesem Falle die Monatsfrist nach § 5 Abs. 2 maßgeblich.140 Zwar ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sich aus dem Gesetzeswortlaut eine solche Interpretation nicht ergibt.141 Nach den ausdrücklichen Vorstellungen des Gesetzgebers ist die Fälligkeit des Prämienanspruchs aber an die endgültige Bindung des VN an seine Vertragserklärung geknüpft.142 Durch die Formulierung in § 33 Abs. 1 („14 Tage nach Zugang des Versicherungsscheins“) kommt eine solche Koppelung zwischen Fälligkeit der Prämienzahlung und Bindung des VN zumindest zum Ausdruck. Dies spricht dafür, bei Abweichen des Versicherungsscheins vom Antrag des VN auch im Rahmen von § 33 Abs. 1 auf die Monatsfrist nach § 5 Abs. 2 abzustellen. Eine noch zusätzliche 14-tägige Frist des § 33 Abs. 1 ist dem VN hingegen nicht zu gewähren.143 Dies muss erst recht gelten, wenn der VR seine Belehrungspflichten nach § 5 Abs. 2 nicht erfüllt hat.144 Nach anderer Ansicht soll unter Hinweis auf § 5 Abs. 3, wonach der Vertrag in diesem Fall als mit dem Inhalt des Antrags geschlossen gilt, hingegen die Fälligkeitsregelung des § 33 Abs. 1, d.h. die vierzehntägige Frist, eingreifen.145 137 Schirmer FS Wälder, 67, 70; zur erweiterten Einlösungsklausel Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 22. 138 Schirmer FS Wälder, 67, 70 unter Hinweis auf OLG Köln 17.4.1986 – 5 U 191/85, RuS 1986 144; OLG Köln 22.5.1986 – 5 U 108/85, RuS 1987 22.

139 Beckmann/Matusche-Beckmann/K. Johannsen3 § 8 Rn. 22; Römer VersR 2006 740; RegE BTDrucks. 16/3945 S. 60. 140 BTDrucks. 16/3945 S. 70; in diesem Sinne auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 4; Wandt6 Rn. 523; Gal VersR 2021 414, 415 (jedenfalls für die im Jedermanngeschäft übliche Vorgehensweise, wonach der Vertragsschluss uno actu mit dem Zugang der Police erfolgen soll, dem eine inzidente Annahmeerklärung innewohnt). 141 Ganster Prämienzahlung S. 281; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 6. 142 BTDrucks. 16/3945 S. 70. 143 Gal VersR 2021 415. 144 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 5; a.A. Gal VersR 2021 414, 415. 145 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 29; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 18; Gal VersR 2021 415. Beckmann

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Die Gegenansicht argumentiert, einer Korrektur des § 33 Abs. 1 am Maßstab der Widerspruchsfrist des § 5 Abs. 1 bedürfe es in diesem Falle nicht, denn hier komme der Vertrag gerade unmittelbar mit Zugang des Versicherungsscheins mit dem Inhalt des Antrags zustande und dem VN komme folglich auch kein Widerspruchsrecht zu, so dass weiterhin nur die 14-tägige Fälligkeitsfrist gelten könne. Es besteht indes keine gesicherte Erkenntnis zu der Frage, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn der VN den Abweichungen gem. § 5 Abs. 1 widersprochen hat, obwohl kein ordnungsgemäßer Hinweis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 erfolgt war.146 Weicht der Versicherungsschein vom zuvor bereits geschlossenen Versicherungsvertrag 54 ab, so wird vertreten, dass es bei der Regelung des § 33 Abs. 1 verbleibe und lediglich fraglich sei, welchen Versicherungsschutz der VN nach erfolgter Zahlung der Erstprämie genieße.147 Anderes habe im Einzelfall jedoch zu gelten, sofern sich die Abweichung auf die Fälligkeit oder die Prämienhöhe beziehe.148

bb) Fälligkeit bei fehlerhafter oder unterbliebener Belehrung. Die Frage nach der Fällig- 55 keit der Prämienzahlung stellt sich auch dann, wenn die Widerrufsfrist gem. § 8 Abs. 2 noch nicht läuft. Die vierzehntägige Widerrufsfrist gem. § 8 Abs. 1 beginnt erst, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 erfüllt sind, also wenn dem VN neben dem Versicherungsschein auch die weiteren nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 erforderlichen Unterlagen (also die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2) und eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung gem. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 zugegangen sind. Fehlt es hieran, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen.149 Aus der – in der Gesetzesbegründung genannten – Maßgeblichkeit der Monatsfrist des § 5 Abs. 2 im Falle des Abweichens des Versicherungsscheins vom Antrag des VN (oben Rn. 53) könnte man schließen, dass die Prämienfälligkeit über diese Konstellation hinaus generell erst eintritt, wenn der VN an den Versicherungsvertrag endgültig gebunden ist.150 Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, in der es heißt: „Eine sofortige Fälligkeit des Prämienanspruchs widerspricht aber dem Widerrufsrecht, das künftig nach dem neuen § 8 VVG-E grundsätzlich jedem Versicherungsnehmer zusteht. Der Versicherungsnehmer ist an seine Vertragserklärung endgültig erst gebunden, wenn die Widerrufsfrist abgelaufen ist.“151 Konsequenz wäre, dass § 33 Abs. 1 im Wege einer teleologischen Reduktion dahingehend zu verstehen ist, dass es stets auf das Ende der Widerrufsfrist ankommt. Dem wird entgegen gehalten, dass das Widerrufsrecht des § 8 die Wirksamkeit des Vertrages 56 nicht berühre; dagegen sei bei § 5 der Vertrag bis zur Genehmigung unwirksam, so dass in diesem Falle die Fälligkeit der Prämie zwingend erst mit der Genehmigung eintreten könne. Außerdem spreche gegen eine teleologische Reduktion, dass die Gesetzesbegründung ausdrücklich sage, dass die Fälligkeit auf den Zeitpunkt festgelegt werde, zu dem „im Normalfall“ die Widerrufsfrist ablaufe.152 Diesem Standpunkt ist im Ergebnis zuzustimmen.153 Es entspricht der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Rechtslage, dass der Anspruch des Unternehmers gegen den Verbraucher, dem ein Widerrufsrecht zusteht, bereits während der Widerrufsfrist besteht.154 Vgl. Langheid/Wandt/Armbrüster2 § 5 Rn. 65; Prölss/Martin/Rudy31 § 5 Rn. 1. Gal VersR 2021 414, 416 f. Gal VersR 2021 414, 417. Zum dann möglichen „ewigen Widerrufsrecht“ etwa Bruck/Möller/Knops9 § 8 Rn. 45 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 8 Rn. 62; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 8 Rn. 12. 150 I.d.S. Ganster Prämienzahlung S. 281 f.; Wandt/Ganster VersR 2007 1034 Fn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 33 Rn. 5. 151 BTDrucks. 16/3945 S. 70. 152 Wandt6 Rn. 523. 153 Ebenso Armbrüster2 Rn. 1601; Wandt6 Rn. 523; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 26; Gal VersR 2021 414, 415. 154 Palandt/Grüneberg80 § 355 Rn. 3; PWW/Stürner16 § 355 Rn. 1; Jauernig/Stadler18 § 355 Rn. 5; NK-BGB/Ring4 § 355 Rn. 2.

146 147 148 149

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Weiter zeigt dies auch die Regelung zu den Widerrufsfolgen in § 9, nach der bei entsprechender Belehrung dem VR die Prämie für die Zeit vor dem Widerruf zusteht. 57 Dies gilt auch, wenn die Frist mangels ordnungsgemäßer Belehrung noch nicht zu laufen beginnt.155 § 33 Abs. 1 weicht hiervon lediglich insoweit ab, dass die Fälligkeit auf den Zeitpunkt festgelegt ist, zu dem „im Normalfall“ die Widerrufsfrist abläuft; dieser Zeitpunkt ist gem. § 8 14 Tage nach Zugang des Versicherungsscheins. Hierfür spricht auch, dass § 33 Abs. 1 auf den Zugang allein des Versicherungsscheins abstellt; die darüber hinaus in § 8 Abs. 2 Satz 1 genannten Erfordernisse (Informationen nach Nr. 1 und Belehrung nach Nr. 2) nennt § 33 Abs. 1 nicht. Eine von der Fälligkeit abweichende Frage ist indes, ob der VN wegen der ihm gesetzlich zustehenden Überlegungszeit bis zum Ende der Widerrufsfrist die Leistung verweigern darf. Es ist also zwischen Fälligkeit und Durchsetzbarkeit zu unterscheiden.156 Im Bürgerlichen Recht wird für die Zeit der Widerrufsmöglichkeit zu Recht ein Leistungsverweigerungsrecht des Kunden angenommen und damit die Durchsetzbarkeit des Anspruchs des Unternehmers abgelehnt.157 Da der VR zur ordnungsgemäßen Belehrung und Information gem. §§ 7, 8 verpflichtet ist – und es sich hierbei um eine echte Rechtspflicht handelt158 –, steht dem VN ein entsprechender Gegenanspruch zu, den der VN dem fälligen Zahlungsanspruch des VR entgegenhalten kann. Solange es also an einer ordnungsgemäßen Information und Belehrung fehlt, kann der VR seinen Zahlungsanspruch nicht durchsetzen.159 Relevant kann dies insbesondere für § 37 sein.

58 cc) Fälligkeit beim „Invitatio-Modell“. Bei dem sog. „Invitatio-Modell“ gibt der Versicherungsinteressierte zunächst nur eine invitatio ad offerendum ab. Den eigentlichen Antrag (Angebot) auf Vertragsabschluss erklärt der VR und fügt alle erforderlichen Informationen sowie – wie wohl regelmäßig – dann auch schon den Versicherungsschein bei.160 Erst anschließend erklärt der VN die Annahme zum Angebot des VR.161 Bei dieser Konstellation wird man nicht annehmen können, dass die Frist für eine Zahlung schon mit Zugang des Versicherungsscheins zu laufen beginnt.162 So besteht vor der Annahmeerklärung des VN noch kein Versicherungsvertrag, so dass von vorneherein noch gar keine Zahlungspflicht besteht.163 Mit der Annahmeerklärung durch den VN kommt der Versicherungsvertrag zustande. Im Schrifttum wird angenommen, dass in diesem Fall die Fälligkeit erst frühestens 14 Tage nach Abgabe und Zugang der Annahmeerklärung des VN eintreten könne.164 Dem könnte zwar entgegengehalten werden, bei dieser Konstellation greife § 33 Abs. 1 gar nicht ein, so dass sogar die allgemeine Regelung des § 271 BGB zur Anwendung gelange. Indes ist der Zweck des § 33 Abs. 1 zu beachten, der die Fälligkeit an die vierzehntägige Widerrufsfrist gem. § 8 Abs. 1 knüpft (siehe oben Rn. 4). Da dem VN auch beim „Invitatio-Modell“ diese Widerrufsfrist gem. § 8 Abs. 1 zusteht, kann die Fälligkeit in der Tat frühestens erst 14 Tage nach Abgabe und Zugang der Annahmeerklärung des VN eintreten; konsequenterweise wird man Vgl. Palandt/Grüneberg80 § 355 Rn. 9. NK-BGB/Ring4 § 355 Rn. 2; Palandt/Grüneberg80 § 355 Rn. 3. Vgl. Palandt/Grüneberg80 § 355 Rn. 3 m.w.N. Bruck/Möller/Herrmann10 § 7 Rn. 112 (betr. die Informationspflichten gem. § 7); Bruck/Möller/Knops10 § 8 Rn. 57 (betr. die Belehrung gem. § 8 Abs. 2). 159 Ebenso Bruck/Möller/Knops10 § 8 Rn. 8. 160 Vgl. Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 27. 161 Zum „Invitatio-Modell“ und zu den Vertragsschlussmodellen nach neuem Recht vgl. Wandt6 Rn. 524; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 7 Rn. 35; Schimikowski RuS 2006 441; Gaul VersR 2007 21. 162 Vgl. Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 27; Armbrüster2 Rn. 974; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 12; Gal VersR 2021 414, 416. 163 So bereits Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 21; Ganster Prämienzahlung S. 281 f. 164 Schirmer FS Wälder, 67, 70; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn.400; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 21; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 27; Wandt6 Rn. 524 (wonach der vor Vertragsschluss übersandte Versicherungsschein erst mit Vertragsschluss zum „echten Versicherungsschein“ erstarke).

155 156 157 158

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auch bei dieser Konstellation auf das Tatbestandsmerkmal der unverzüglichen Zahlung nach Ablauf der Widerrufsfrist nicht verzichten können. In der Praxis ergeben sich jedoch seltener Probleme als sich dies vermuten ließe, da die Annahmeerklärung des VN vielfach konkludent in der Überweisung der Erstprämie zu erblicken ist.165

dd) Fälligkeit bei Ausschluss des Widerrufsrechts. Problematisch ist, ob die Fälligkeitsre- 59 gel des § 33 Abs. 1 auch dann gilt, wenn das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 3 ausgeschlossen ist. Einerseits könnte gegen die Anwendbarkeit des § 33 Abs. 1 die Systematik des Gesetzes sprechen und es ließe sich argumentieren, § 33 Abs. 1 knüpfe aufgrund der Fälligkeit nach Ablauf von 14 Tagen konkret an § 8 Abs. 1 an. Folglich richte sich die Fälligkeit bei Eingreifen von § 8 Abs. 3 nach § 271 BGB.166 Zwar ging es dem Gesetzgeber darum, für den „Normalfall“ einen Gleichlauf von Fälligkeit und Ablauf der Widerrufsfrist herzustellen. Gleichwohl heißt es in der Gesetzesbegründung auch, dass aufgrund des dispositiven Charakters von § 33 Abs. 1 (vgl. § 42) eine Ausnahmeregelung für die Fälle des § 8 Abs. 3 entbehrlich sei.167 Hieraus wird zu Recht gefolgert, dass sich auch in den Fällen des § 8 Abs. 3 die Fälligkeit nach § 33 Abs. 1 bestimmt.168 Der VR hat es in der Hand, hiervon eine abweichende Bestimmung in den Vertrag aufzunehmen.169

ee) Rückwärtsversicherung und vorläufige Deckung. § 33 Abs. 1 gilt auch für die Rück- 60 wärtsversicherung. Die Prämienzahlung wird unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins fällig; es gelten für die Fälligkeit keine Besonderheiten170 (vgl. aber zur Nichtanwendbarkeit des § 37 Abs. 2 Kommentierung zu § 37 Rn. 76). Auch im Fall einer vorläufigen Deckungszusage gilt grundsätzlich § 33 Abs. 1.171 Indes wird für die vorläufige Deckung vielfach kein gesonderter Versicherungsschein ausgestellt, obgleich es sich um einen eigenständigen Vertrag handelt.172 Vielfach wird vereinbart, dass die Prämie für die vorläufige Deckung mit der Erstprämie des endgültigen Versicherungsvertrages bezahlt wird;173 darüber hinausgehend ist in diesem Fall die Zahlung bis zum Zugang der Prämienrechnung gestundet, wenn der VR nicht ausdrücklich sofortige Zahlung der Prämie verlangt.174 Hingegen gestattet § 51 Abs. 1, dass der Beginn des Versicherungsschutzes von der Zahlung der Prämie abhängig gemacht werden kann, sofern der VR den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Voraussetzung aufmerksam gemacht hat.

b) Folgeprämien. § 33 Abs. 1 betrifft die Erstprämie und die Einmalprämie (vgl. oben Rn. 37). 61 Die Fälligkeit der Folgeprämien ist wie auch schon vor der VVG-Reform im Gesetz nach wie vor nicht ausdrücklich geregelt. Deshalb finden sich Bestimmungen über die Fälligkeit von Folgeprämien regelmäßig in entsprechenden AVB (z.B. Abschn. B § 5 AFB 2010 Version 1.4.2014).175 165 166 167 168

Gal VersR 2021 414, 416. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 13. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 22; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 4; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 30; Gal VersR 2021 414, 415. 169 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 22; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 30. 170 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 23. 171 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 23. 172 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann3 § 7 Rn. 21. 173 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 23; Dreher S. 105. 174 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski3 § 51 Rn. 1; BGH 17.4.1967 – II ZR 228/64, BGHZ 47 352, 356 = VersR 1967 569, 570 (juris Rn. 15). 175 Unverbindliche Bekanntgabe des GDV (abrufbar unter: http://www.gdv.de [Abrufdatum: 7.10.2021]; abgedruckt bei Dörner7 Versicherungsbedingungen S. 36). 435

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Fälligkeit

Bei Fehlen einer entsprechenden vertraglichen Regelung über die Fälligkeit von Folgeprämien greift die allgemeine Vorschrift des § 271 BGB ein.176 Die Rechtsfolgen bei Nichtzahlung von Folgeprämien sind geregelt in § 38. Bei nicht rechtzeitiger Zahlung kann der VR dem VN – auf dessen Kosten – in Textform eine Zahlungsfrist bestimmen, die mindestens zwei Wochen betragen muss; insofern orientiert sich diese Zahlungsfrist an der grundsätzlichen Fälligkeitsregelung des § 33 Abs. 1.177

62 c) Unterjährige Zahlungsweise. Der VR kann dem VN die Möglichkeit bieten, anstatt einer jährlichen Bezahlung die Prämie über das Jahr verteilt (monatlich, viertel- oder halbjährig) zu bezahlen. Der VN leistet dann Teilzahlungen (sog. unterjährige Zahlungsweise).178 Dabei lässt sich differenzieren: Eine echte unterjährige Prämienzahlung liegt vor, wenn sowohl die Versicherungsperiode als auch die Zahlungsweise kürzer als ein Jahr sind.179 Eine unechte unterjährige Prämienzahlung hingegen, wenn eine unterjährige Prämienzahlung vereinbart wird, es allerdings bei einer einjährigen Versicherungsperiode bleibt.180 Aufgrund der Tatsache, dass der VN insbesondere bei der unechten unterjährigen Prämienzahlung Teilzahlungen vornimmt, erscheint es denkbar, hierin eine Kreditgewährung in Form eines entgeltlichen Zahlungsaufschubs zu sehen. In einem solchem Fall könnte dem VN ein Widerrufsrecht nach den §§ 506 Abs. 1, 495 Abs. 1, 355 BGB zustehen. Ein entgeltlicher Zahlungsaufschub i.S.d. § 506 Abs. 1 BGB ist eine Vereinbarung zwischen dem Unternehmer als Gläubiger und dem Verbraucher als Schuldner, bei dem die Durchsetzbarkeit oder Fälligkeit der Forderung auf einen späteren Zeitpunkt hinausgeschoben wird, als es sich nach den allgemeinen Regeln ergäbe.181 Entscheidend ist folglich, ob im VVG oder BGB eine dispositive Bestimmung über eine jährliche Zahlungsweise enthalten ist, von der durch Vereinbarung einer unterjährigen Zahlungsweise abgewichen wird. § 33 enthält lediglich eine Regelung für die Erstprämie. Für die Folgeprämie gilt § 271 BGB.182 Nach einigen Stimmen in der Literatur183 folgt die Fälligkeit der Prämien aus dem Beginn einer Versicherungsperiode. Diese umfasse nach § 12 den Zeitraum eines Jahres, so dass sich nach § 271 Abs. 1 BGB die sofortige Fälligkeit der Prämie ergebe. Die Konstellation der unterjährigen Prämienzahlung falle daher unter den Begriff des Zahlungsaufschubs. Dies sei auch entgeltlich, da die Teilzahlungen in der Regel die Einmalzahlung übersteigen.184 Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur185 beruht die erstgenannte 63 Auffassung indes auf dem unzutreffenden Ausgangspunkt, dass der Begriff Versicherungsperiode in § 12 die Fälligkeit der Prämienleistung bestimme. Die Versicherungsperiode sei lediglich der Zeitabschnitt, nach dem die Berechnung der Prämie erfolge und habe keinen Einfluss auf die Fäl176 Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. 3 Anm.F 10; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 26; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 1. 177 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 26. 178 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 157 = VersR 2013 341, 343 Rn. 18; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 33 Rn. 18. 179 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 157 f. = VersR 2013 341, 343 Rn. 19. 180 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 157 f. = VersR 2013 341, 343 Rn. 19; BGH 2.10.1991 – IV ZR 249/90, BGHZ 115 347, 353 = NJW 1992 107, 109 (juris Rn. 28); Engeländer VersR 2011 1364 f. 181 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 153 = VersR 2013 341, 342 Rn. 11; vgl. BGH 16.11.1995 – I ZR 177/ 93, NJW 1996 457, 458 (juris Rn. 22); OLG Düsseldorf 25.10.1996 – 22 U 50/96, NJW-RR 1997 1074 (juris Rn. 8); Staudinger/Kessal-Wulf (2012) § 506 Rn. 1; MüKoBGB/Schürnbrand/Weber8 § 506 Rn. 6. 182 Siehe bereits Rn. 4. 183 MüKoBGB/Schürnbrand/Weber8 § 506 Rn. 9; Staudinger/Kessal-Wulf (2012) § 506 Rn. 8; Jauernig/Berger18 § 506 Rn. 5; Schürnbrand WM 2011 481, 483. 184 MüKoBGB/Schürnbrand/Weber8 § 506 Rn. 8; Schürnbrand WM 2011 481. 185 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 154 f. = VersR 2013 341, 342 Rn. 13; OLG Bamberg 10.11.2011 – 1 U 37/11 (juris Rn. 36); OLG Oldenburg 4.4.2012 – 5 U 32/12, VersR 2012 1245 (juris Rn. 7 f.); OLG Hamburg 18.11.2011 – 9 U 103/11, VersR 2012 41, 46 f. (juris Rn. 92 ff.); Schürnbrand WM 2011 481, 482; Hadding VersR 2010 697, 700. Beckmann

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B. Tatbestand und Rechtsfolgen

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ligkeit der Zahlungspflicht.186 Vereinbarten die Beteiligten für das Versicherungsverhältnis „Jahresprämien” und werde demgemäß für die Folgeprämien auf das Versicherungsjahr abgestellt, so werde damit eine Versicherungsperiode von einem Jahr festgelegt. Die Versicherungsperiode von im Zweifel einem Jahr nach § 12 ergebe aber nicht umgekehrt die grundsätzliche Vereinbarung einer Jahresprämie. Die Prämienfälligkeit könne vielmehr in den Grenzen des § 307 BGB frei vereinbart werden.187 Da weder im BGB noch im VVG eine Regelung vorliegt, von der abgewichen wird, liegt somit in der Tat kein entgeltlicher Zahlungsaufschub vor.188 Dies wird man mit der h.M. auch dann annehmen können, wenn die Teilprämien die Einmalprämie übersteigen. Insoweit wird argumentiert, dass der VR dem VN hiermit nichts anderes biete, als einen Anreiz, sich für die günstige Zahlungsweise (Einmalprämie) zu entscheiden.189 Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 506 BGB ergebe sich kein anderes Ergebnis. Diese solle den Verbraucher davor schützen, dass ihm Mittel zur Verfügung gestellt werden, über die er ohne einen entgeltlichen Zahlungsaufschub nicht verfügen würde. Ein solcher Fall liege jedoch gerade nicht vor.190 Der BGH hat zudem darauf abgestellt, dass dieses Verständnis auch der europarechtlichen Aus- 64 legung des § 506 Abs. 1 BGB entspreche.191 Art. 3 lit. c der Richtlinie 2008/48/EG bestimmt, dass Verträge über die wiederkehrende Erbringung von Dienstleistungen, bei denen der Verbraucher Teilzahlungen zu leisten hat, keine Kreditverträge sind. Im Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2008/48/ EG werden ausdrücklich derartige Versicherungsverträge nicht als Kreditverträge angesehen.

8. Stundung Wie bei jedem anderen Schuldverhältnis können die Parteien auch eine Stundungsvereinba- 65 rung treffen und damit die Fälligkeit der Zahlung der Prämie verschieben. Vereinzelt wurde früher vertreten, die Stundung der Erstprämie ändere deren Qualität in eine Folgeprämie ab und führe daher nur zu den Rechtsfolgen des § 39 VVG a.F. (jetzt § 38).192 Dem ist mit der heute ganz herrschenden Ansicht nicht beizupflichten. Vielmehr hat die Stundungszusage des VR keine Auswirkungen auf das Vorliegen einer Erstprämie, denn sie bleibt aus zeitlicher Sicht immer noch die erste zu entrichtende Prämie.193 Durch eine bloße Stundung ändert sich also der Charakter der Erstprämie nicht. Fraglich sind insbesondere die Auswirkungen einer Stundung auf das Bestehen des Versicherungsschutzes (sog. deckende Stundung), insbesondere ob bei Eintritt eines Versicherungsfalles vor Zahlung der (gestundeten) Prämie Versicherungsschutz besteht; zu dieser Frage § 37 Rn. 23.

9. Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung/Erfüllungswirkung Die Frage nach der Rechtzeitigkeit der Zahlung ist von der Erfüllungswirkung zu unterschei- 66 den.194 Hierzu im Einzelnen die Kommentierung zu § 36 Rn. 28 ff. 186 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 12 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 12 Rn. 1; BeckOK-VVG/Filthuth (Stand: 9.8.2021) § 12 Rn. 3; Hadding VersR 2010 697, 700 f.; Bruck/Möller/Johannsen/Koch10 § 12 Rn. 6.

187 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 12 Rn. 3; Langheid/Wandt/Fausten2 § 12 Rn. 19. 188 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 154 f. = VersR 2013 341, 342 Rn. 13 f.; OLG Bamberg 10.11.2011 – 1 U 37/11 (juris Rn. 39); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 14; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 26. 189 BGH 16.11.1995 – I ZR 177/93, NJW 1996 457, 458 (juris Rn. 19); Schürnbrand WM 2011 481. 190 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 14. 191 BGH 6.2.2013 – IV ZR 230/12, BGHZ 196 150, 158 = VersR 2013 341, 343 Rn. 20. 192 Sieg3 S. 90. 193 BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 131 ff. (juris Rn. 12); BGH 17.4.1967 – II ZR 228/64, BGHZ 47 352, 362 = VersR 1967 569, 571 (juris Rn. 28); Ganster Prämienzahlung S. 93; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 4; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 19. 194 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 35a. 437

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Fälligkeit

10. Erfüllbarkeit 67 Auch im Hinblick auf die Erfüllbarkeit der Prämienzahlungspflicht gelten die allgemeinen Grundsätze. Daraus folgt, dass die Prämienzahlungspflicht des VN gem. § 271 Abs. 1 BGB auch vor eingetretener Fälligkeit erfüllbar ist. Verweigert der VR die Vorauszahlung, so gerät er in Annahmeverzug.195

11. Verjährung 68 Im VVG finden sich mit Ausnahme des § 15 keine Regelungen zur Verjährung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen. § 15 bezieht sich allerdings schon dem Wortlaut nach nur auf den Anspruch des VN gegen den VR, mithin nicht auf die Prämie, so dass für die Verjährung der Prämie die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften gelten; damit bestimmt sich die Verjährung des Prämienzahlungsanspruchs nach § 195 BGB und beträgt drei Jahre.196 Der Beginn der Verjährung richtet sich nach § 199 Abs. 1 BGB. Danach beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den – anspruchsbegründenden – Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Im Hinblick auf das notwendige Entstehen des Anspruchs kommt es auf die Fälligkeit an.197 Aufgrund der Anknüpfung des Fälligkeitszeitpunkts an eine „unverzügliche“ Zahlung 14 Tage nach Zugang des Versicherungsscheins, ist der konkrete Zeitpunkt der Fälligkeit mit Unsicherheiten verbunden (vgl. oben Rn. 50 f.). Dies ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen,198 ist aber aufgrund des klaren Wortlautes des Gesetzes jedenfalls de lege lata hinzunehmen.

II. Abholung der Prämie, § 33 Abs. 2 69 § 33 Abs. 2 entspricht inhaltlich im Wesentlichen der Vorschrift des § 37 a.F.; die geltende Vorschrift enthält lediglich sprachliche Änderungen. Hintergrund der Regelung ist die – bei Inkrafttreten des VVG 1908 bestehende – tatsächliche Übung, dass die Prämien vom VR regelmäßig beim VN abgeholt wurden.199 Nach wohl herrschender Ansicht galt die Vorgängervorschrift des § 37 a.F. nur für den Fall, dass die regelmäßige Einziehung der Prämie beim VN aufgrund einer tatsächlichen Übung erfolgt. Die regelmäßige Einziehung der Prämie beim VN bewirkte das Entstehen einer „Holschuld kraft tatsächlicher Übung“.200 Von dieser konnte sich der VR unter den Voraussetzungen des § 37 a.F. einseitig lösen. Bei einer vertraglich vereinbarten Holschuld sollte § 37 a.F. nicht gelten.201 Von einer vertraglich vereinbarten Holschuld kommt eine einseitige Lossagung grundsätzlich auch nicht in Betracht. Zu § 37 a.F. wurde insbesondere diskutiert, inwieweit die Vereinbarung eines Lastschrift70 verfahrens erfasst ist. Die Vereinbarung eines Lastschriftverfahrens202 lässt sich dahingehend 195 Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 26 mit weiteren Hinweisen (auch zur anderen Rechtslage in Österreich). 196 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 69; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 31. 197 Bruck/Möller/Johannsen/Koch10 § 15 Rn. 12; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 31; allgemein Palandt/Ellenberger80 § 199 Rn. 3; juris PK-BGB/Lakkis8 § 199 Rn. 5; Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 199 Rn. 4 f. 198 Vgl. etwa Wandt6 Rn. 522 Fn. 22. 199 Berliner Kommentar/Riedler § 37 Rn. 2; vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 19. 200 Bruck/Möller/Möller8 § 37 Anm. 8; Berliner Kommentar/Riedler § 37 Rn. 3 m.w.N.; nach a.A. unverändert Schickschuld, aber Ruhen der Übersendungspflicht während des Zeitraumes der regelmäßigen Einziehung (so etwa Hofmann PVR § 11 Rn. 36). 201 Bruck/Möller/Möller8 § 37 Anm. 8; Berliner Kommentar/Riedler § 37 Rn. 9. 202 § 1 Abs. 21 ZAG definiert eine Lastschrift als einen Zahlungsvorgang zur Belastung des Zahlungskontos des Zahlers, bei dem dieser vom Zahlungsempfänger aufgrund einer Zustimmung des Zahlers gegenüber dem Zahlungsempfänger (oder dessen Zahlungsdienstleister) oder seinem eigenen Zahlungsdienstleister ausgelöst wird. Beckmann

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B. Tatbestand und Rechtsfolgen

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verstehen, dass die Prämienzahlungspflicht zu einer Holschuld wird;203 durch das heutige SEPA-Lastschriftverfahren hat sich hieran nichts geändert.204 Der Schuldner hat insoweit das Erforderliche getan, wenn er sicherstellt, dass sein Konto hinreichende Deckung aufweist.205 Da insoweit eine vertragliche Vereinbarung über ein Lastschriftverfahren vorliegt, könnte man hieraus schließen, dass eine einseitige Beendigung des vereinbarten Lastschriftverfahrens durch den VR und damit eine Wiederkehr zur ursprünglichen Schuld (d.h. nach h.M. zur qualifizierten Schickschuld, bzw. nach neuerdings vertretener Ansicht zur modifizierten Bringschuld) nicht möglich ist (zur grundsätzlichen Einordnung der Prämienzahlungspflicht vgl. § 36 Rn. 15 ff.). Indes sind insoweit Sinn und Zweck des Lastschriftverfahrens zu berücksichtigen. Zum einen führt ein Scheitern des Einzugs im Rahmen eines Lastschriftverfahrens dazu, dass die Schuld wieder zur Schickschuld wird;206 das ist z.B. der Fall, wenn das Konto nicht mehr gedeckt ist oder aufgelöst wurde und der Gläubiger den Schuldner aufgefordert hat.207 Darüber hinaus kann ein Lastschriftverfahren prinzipiell auch durch den Gläubiger beendet werden. Hierbei ist zu differenzieren: Für den Fall, dass das Lastschriftverfahren vertraglich – zumindest konkludent – vereinbart worden ist, kann der VR dieses regelmäßig nach den AVB nur bei Vorlage eines wichtigen Kündigungsgrundes i.S.v. § 314 BGB beenden;208 fehlt es hingegen an einer vertraglichen Vereinbarung, ist das Lastschriftverfahren für den Gläubiger frei widerruflich.209 Eine einvernehmliche Vereinbarung zwischen den Parteien ist hingegen selbstverständlich immer möglich.210 Nichtsdestotrotz wurde auch für die Vorgängervorschrift des § 37 a.F. zu Recht der Standpunkt vertreten, dass bei Beendigung eines Lastschriftverfahrens durch den Gläubiger die Voraussetzungen des § 37 a.F. zu beachten sind.211 Der seit 1.1.2008 geltende § 33 Abs. 2 enthält im Wesentlichen die Regelung des früheren 71 § 37 a.F. (§ 37 a.F. ging noch von einer „regelmäßigen“ Einziehung der Prämie aus und verlangte eine schriftliche Anzeige vom VR; § 33 Abs. 2 lässt genügen, dass die Prämie „zuletzt“ vom VR eingezogen worden ist und verlangt lediglich eine Aufforderung in Textform). Der Reformgesetzgeber ist davon ausgegangen, dass der an sich in § 37 a.F. und nun in § 33 Abs. 2 geregelte Fall der unmittelbaren Einziehung beim VN heute keine praktische Bedeutung mehr habe212 (gemeint sein dürfte die unmittelbare Einziehung kraft tatsächlicher Übung); ein Bedürfnis für die Beibehaltung einer solchen Regelung sieht der Reformgesetzgeber aber im Hinblick auf die in der Praxis übliche Einziehungsermächtigung, aufgrund derer der VR die Prämie vom Konto des VN einziehen kann. Nach den Gesetzesmaterialien findet § 33 Abs. 2 somit jedenfalls auch auf die – vertraglich vereinbarte – Einziehungsermächtigung Anwendung.213 Damit weicht diese

203 BGH 7.12.1983 – VIII ZR 257/82, NJW 1984 871, 872 (juris Rn. 15); Palandt/Grüneberg80 § 270 Rn. 3 f.; BeckOKBGB/Lorenz (Stand: 1.8.2021) § 270 Rn. 7; BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 14; Berliner Kommentar/Riedler § 37 Rn. 9; Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) § 270 Rn. 19; Armbrüster2 Rn. 1612; Looschelders/Pohlmann/ Stagl/Brand3 § 33 Rn. 22. 204 MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 11; grds. zum Lastschriftverkehr etwa MüKoHGB/Omlor4, Bd. 6, Bankvertragsrecht, C. Lastschriftverkehr. 205 BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 14. 206 Berliner Kommentar/Riedler § 37 Rn. 9; Canaris Bankvertragsrecht4 I, 629; vgl. auch Schimansky/Bunte/Lwowski/Ellenberger5 Bankrechts-Handbuch, § 58 Rn. 175; zur grundsätzlichen Einordnung der Prämienzahlungspflicht vgl. § 36 Rn. 15 ff. 207 BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 14. 208 So auch BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 14; Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) § 270 Rn. 19; Armbrüster2 Rn. 1613; a.A. Schimansky/Bunte/Lwowski/Ellenberger5 Bankrechts-Handbuch, § 58 Rn. 190 ein Kündigungsrecht auch ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes bejahend. 209 Canaris Bankvertragsrecht4 I, 649. 210 BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 14; Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) § 270 Rn. 19. 211 Berliner Kommentar/Riedler § 37 Rn. 9. 212 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 213 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 36a; a.A. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 28. 439

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Vorstellung des Gesetzgebers von der früher herrschenden Ansicht ab, wonach § 37 a.F. grundsätzlich nur auf eine tatsächliche Übung Anwendung fand (s.o.). Wendet man also § 33 Abs. 2 richtigerweise (auch) auf vertragliche Vereinbarungen über eine Einziehung der Prämie an,214 so lässt sich diese Vorschrift nicht dahingehend verstehen, dass es zu einer erleichterten einseitigen Aufhebung einer solchen Vereinbarung eines Lastschriftverfahrens allein durch eine einseitige Erklärung durch den VR kommen kann. Vielmehr ist § 33 Abs. 2 in dem Sinne zu verstehen, dass die allgemeinen vertragsrechtlichen Grundlagen hierdurch nicht berührt werden; es bedarf zusätzlich einer vom VR erklärten Aufforderung in Textform.215 Letztlich ist die Vorstellung des Reformgesetzgebers auch mit dem Wortlaut des § 33 Abs. 2 in Einklang zu bringen, da der Tatbestand („Ist die Prämie zuletzt vom VR eingezogen worden, …“) auch vertragliche Vereinbarungen erfasst. Von dem in der Praxis relevanten Lastschriftverfahren (in Form der Einzugsermächtigung) kann der VR demnach nicht ohne Weiteres Abstand nehmen; vielmehr kann er es – neben den allgemeinen Voraussetzungen der Beendigung eines Lastschriftverfahrens durch den Gläubiger – erst dann beenden, wenn er den VN in Textform zur Übermittlung der Prämie aufgefordert hat. Nicht ausreichend als Aufforderung i.S.d. § 33 Abs. 2 ist also eine qualifizierte Mahnung.216 § 33 Abs. 2 setzt voraus, dass von der Einzugsermächtigung auch tatsächlich Gebrauch gemacht worden ist; das Eingreifen jedenfalls der Voraussetzung des § 33 Abs. 2 zum Abstandnehmen vom Prämieneinzug ist also nicht erforderlich, wenn trotz erteilter Einzugsermächtigung in der Vergangenheit ein Prämieneinzug noch nicht stattgefunden hat.217 Unterschiedlich wird beurteilt, wie oft der VR von der Einzugsermächtigung Gebrauch gemacht haben muss, damit das in § 33 Abs. 2 normierte Erfordernis für ein Abstandnehmen von dieser Vorgehensweise zum Tragen kommt. Die Erforderlichkeit eines zweimaligen Gebrauchmachens der Einzugsermächtigung218 ist indes schon dem Wortlaut („zuletzt“) nicht zu entnehmen; ein einmaliges Einziehen der Prämie reicht für das Eingreifen von § 33 Abs. 2 aus219 (vgl. auch § 36 Rn. 44). Unmittelbar anwendbar ist § 33 Abs. 2 nur dann, wenn eine frühere Prämie aus demselben Versicherungsvertrag eingezogen wurde. Eine analoge Anwendbarkeit ist allerdings geboten, wenn der bisherige Vertrag durch einen neuen ersetzt wird und der VN nunmehr wieder eine Erstprämie schuldet.220

C. Abdingbarkeit 77 Gem. § 42 kann von § 33 Abs. 2 und den §§ 37 bis 41 nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. Praxisbedeutsam kann deshalb allenfalls eine von § 33 Abs. 1 abweichende Vereinba-

214 Ebenso Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 36a; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 20; Präve/Rehberg Lebensversicherung, ARB § 10 Rn. 9; a.A. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 28. 215 So auch Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 36a. 216 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 19; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 36; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 30; OLG Hamm, 9.5.1979 – 20 U 43/79, VersR 1979 1047, 1048 (noch zu § 37 a.F.); Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 23; a.A. noch Bruck/Möller/Möller8 § 37 Anm. 11. 217 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 20; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 23. 218 So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 19; OLG Hamm, 9.5.1979 – 20 U 43/79, VersR 1979 1047, 1048 (noch zu § 37 a.F.). 219 I.E. ebenso Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 11; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 36; Beckmann/MatuscheBeckmann/Hahn3 § 12 Rn. 35. 220 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 30.1; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 37; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 11. Beckmann

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C. Abdingbarkeit

VVG § 33

rung sein. Gleiches galt vor der VVG-Reform 2008 nach früherem Recht für § 35 a.F.221 Die Abdingbarkeit des § 33 Abs. 1 hat der Gesetzgeber insbesondere im Hinblick auf die Fälle vorgesehen, in denen kein Widerrufsrecht des VN gem. § 8 Abs. 3 besteht.222 Damit kommt eine von § 33 Abs. 1 abweichende Vereinbarung insbesondere im Hinblick auf unwiderrufliche Verträge gem. § 8 Abs. 3 in Betracht. Für solche Verträge erscheint es insbesondere denkbar, den Zeitpunkt der Fälligkeit der Prämienzahlungspflicht auf den Zeitpunkt des materiellen Versicherungsbeginns – auch in AVB – vorzuverlegen.223 In der Diskussion steht vor allem aber die Vorverlagerung der Fälligkeit der Prämienzah- 78 lungspflicht bei widerruflichen Verträgen. Wegen § 42 ist von einer grundsätzlichen Abdingbarkeit auszugehen. Im Schrifttum wird eine Vorverlagerung der Prämienfälligkeit qua AVB auf eine Zeit vor Ablauf der Widerrufsfrist für zulässig erachtet.224 Entsprechende Bestimmungen finden sich in AVB, z.B. in B § 4 Nr. 1 der AFB 2010.225 Zur Begründung der Zulässigkeit wird auf ein eigenständiges Leitbild eines widerruflichen Versicherungsvertrages abgestellt, das sich aus § 9 und auch aus §§ 33 Abs. 1 und 37 Abs. 2 ergebe. Auch wenn man insbesondere aus dem nicht ganz unproblematischen Verhältnis zwischen § 37 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 (dazu § 37 Rn. 71 ff.) nicht so einfach ein klares Leitbild ableiten kann, ist der Auffassung insoweit grundsätzlich zuzustimmen, dass bei Bestehen des materiellen Versicherungsschutzes auch die Fälligkeit der Prämienzahlung im Grundsatz jedenfalls nicht unangemessen i.S.d. AGB-Rechts ist. Da der Versicherungsvertrag im Hinblick auf die Widerrufsmöglichkeit des VN noch in der 79 Schwebe ist, setzt eine solche Vorverlagerung des Fälligkeitszeitpunkts aber voraus, dass hierdurch die Rechte des VN (insbesondere seine möglichen Rückzahlungsansprüche gem. § 9) für den Fall des Widerrufs nicht beeinträchtigt werden. So wird die Ansicht vertreten, dass § 9 Abs. 1 Satz 1 im Lichte der Parallelnorm des § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB (bis zum 13.6.2014: § 312e Abs. 2 Nr. 2 BGB) sowie der Vorgaben in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 der RL 2002/65/EG (Fernabsatzrichtlinie II) voraussetzt, dass der Versicherungsschutz mit ausdrücklicher Zustimmung des VN bereits vor Erlöschen des Widerrufsrechts begonnen hat;226 ausgehend vom Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 Satz 1, den VN davor zu schützen, sich allzu leicht seines Widerrufsrechts zu begeben, sei diesbezüglich ein strenger Maßstab anzulegen: Ein lediglich konkludent oder im Wege der Formularabrede erteiltes Einverständnis genüge nicht; vielmehr bedürfe es jedenfalls einer Individualabrede.227 Auch andere Stimmen im Schrifttum erachten mit beachtlichen Argumenten eine ausdrückliche Erklärung für die Zustimmung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 für notwendig.228 Kon221 BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 135 = VersR 1956 482, 484 (juris Rn. 13); Berliner Kommentar/ Riedler § 35 Rn. 41; Prölss/Martin/Knappmann27 § 35 Rn. 24. 222 Regierungsbegründung BTDrucks. 16/1945 S. 70; vgl. bereits oben Rn. 59. 223 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 43; Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1035. 224 Wandt/Ganster VersR 2007 1034 ff.; Wandt6 Rn. 526; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 46; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 14; Armbrüster2 Rn. 1603 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 13; BeckOK-VVG/ Klimke (Stand: 9.8.2021) § 33 Rn. 36; hiervon ausgehend auch Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 54; Gal VersR 2021 414, 416; a.A. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 26, wonach es aufgrund der Vorgaben von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 der RL 2002/65/EG (Fernabsatzrichtlinie II) einer ausdrücklichen Zustimmung des VN bedarf; zweifelnd auch Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 33 Rn. 16. 225 Unverbindliche Bekanntgabe des GDV (abrufbar unter: http://www.gdv.de [Abrufdatum: 7.10.2021]). 226 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 26 (vgl. bereits oben Fn. 224). 227 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 26 (vgl. bereits oben Fn. 224). 228 So BeckOK-VVG/Brand (Stand: 9.8.2021) § 9 Rn. 13; ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers3 § 9 Rn. 17; i.E. auch Bruck/Möller/Knops10 § 9 Rn. 15; a.A. (wohl überwiegende Meinung) Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky3 § 9 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 9 Rn. 10; Langheid/Wandt/Eberhardt2 § 9 Rn. 18; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 9 Rn. 16; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Schimikowski4 § 9 Rn. 11; Wandt/Ganster VersR 2008 425, 432; OLG Jena 26.2.2021 – 4 U 307/20, VersR 2021 690, 692 f.; offen gelassen durch BGH 13.9.2017 – IV ZR 445/14, BGHZ 216 1, 8 = VersR 2017 1321, 1323 Rn. 23; OLG Karlsruhe 17.5.2019 – 12 U 141/17, VersR 2019 865, 867 = RuS 2019 380, 381 (juris Rn. 37). 441

Beckmann

§ 33 VVG

Fälligkeit

sequenz dieser Ansicht ist in der Tat, dass eine formularmäßige Vorverlagerung der Fälligkeit der Prämienzahlungspflicht bei widerruflichen Verträgen jedenfalls im Anwendungsbereich der RL 2002/65/EG (Fernabsatzrichtlinie II) nicht zulässig ist. Indes wird in der Praxis vielfach eine ausdrückliche Zustimmung des VN vorliegen, wenn er einen bestimmten und gewünschten Versicherungsbeginn im Antragsformular bestätigt.229 Im Übrigen hält die wohl h.L. indes im Rahmen von § 9 Abs. 1 Satz 1 eine ausdrückliche Zustimmung nicht für erforderlich.230 Danach ergibt sich entgegen der vorgenannten Gegenansicht auch aus Art. 7 Abs. 3 Satz 2 der RL 2002/ 65/EG (Fernabsatzrichtlinie II) kein Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung durch den VN.231 So wird argumentiert, dass bereits umstritten sei, ob nach der Richtlinie eine (ausdrückliche) Zustimmung des VN erforderlich sei; so wird unterschiedlich gesehen, ob für Art. 7 Abs. 4 Satz 1, 2. Hs. der Richtlinie, der die Erstattungspflicht begrenzt, auch das Zustimmungserfordernis nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 3 Satz 2 gilt.232 Art. 7 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie beziehe sich nur auf eine nachträgliche Zahlungspflicht;233 für das „Behaltendürfen“ sei Art. 7 Abs. 4 Satz 1, 2. Hs. der Richtlinie maßgeblich, der aber keine ausdrückliche Zustimmung erfordere.234 Diese Lesart erscheint indes diskussionswürdig, insbesondere wenn man den Regelungsgehalt des Art. 7 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie primär in der Fälligkeit der Erstattungspflicht („unverzüglich und spätestens binnen 30 Kalendertagen“) erblickt. Weiter wird argumentiert, die Richtlinie verlange nur eine ausdrückliche Zustimmung zum Beginn der Vertragsausführung, nicht auch dazu, dass der Beginn in die Zeit vor Ende der Widerrufsfrist fällt.235 Indes bezieht sich das Zustimmungserfordernis gem. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie auf die gesamte Passage („wenn er vor Ende der Widerrufsfrist gem. Art. 6 Abs. 1 ohne ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers mit der Vertragsausführung begonnen hat“). 80 Eine rückwirkende Vorverlegung der Prämienfälligkeit auf einen vor Vertragsschluss liegenden Zeitpunkt verbunden mit einer Rückwärtsversicherung erscheint nicht ausgeschlossen.236 In diesem Fall greift das Einlösungsprinzip gem. § 37 Abs. 2 nicht ein (vgl. § 37 Rn. 76). Im Anwendungsbereich der RL 2002/65/EG (Fernabsatzrichtlinie II) gelten indes die oben (Rn. 79) genannten Vorgaben. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 42 (oben Rn. 77 f.) ist § 210 Abs. 1 zu beachten. 81

D. Beweislast 82 Für den Zugang des Versicherungsscheins ist im Rahmen von § 33 Abs. 1 der VR darlegungsund beweispflichtig.237 Im Schrifttum ist darauf hingewiesen worden, dass sich in der Praxis 229 Wandt/Ganster VersR 2008 425, 432 Fn. 47; Wandt6 Rn. 349 Fn. 206; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 9 Rn. 15 (wonach im Übrigen zwischen Zustimmung zum Beginn des Versicherungsschutzes und zum Beginn vor Ende der Widerrufsfrist unterschieden werden müsse); nach Bruck/Möller/Knops10 § 9 Rn. 15 ist dem VN eine eigene Entscheidung zu ermöglichen; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky3 § 9 Rn. 14 sehen hierin eine lediglich konkludente Zustimmung. 230 Halbach/Rüffer/Schimikowski/Schimikowski4 § 9 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky3 § 9 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 9 Rn. 10; Armbrüster2 Rn. 1019; Wandt6 Rn. 348; Langheid/Wandt/Eberhardt2 § 9 Rn. 18. 231 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 9 Rn. 16; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 9 Rn. 10; Halbach/Rüffer/Schimikowski/ Schimikowski4 § 9 Rn. 11; Wandt6 Rn. 348; Wandt/Ganster VersR 2008 425, 428. 232 Vgl. Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowsky3 § 9 Rn. 13. 233 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 9 Rn. 10. 234 Wandt6 Rn. 348. 235 Prölss/Martin/Armbrüster31 § 9 Rn. 16. 236 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 27; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 24; BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 135 = VersR 1956 482, 483 (juris Rn. 13). 237 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 38; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 25; OLG Stuttgart 10.9. 2015 – 7 U 78/15, RuS 2015 540, 541 (juris Rn. 5). Beckmann

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D. Beweislast

VVG § 33

hierbei erhebliche Beweisprobleme ergeben können, da der Versicherungsschein als einfacher Brief übersandt wird.238 Insoweit gelten die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätze für den Beweis des Zugangs von schriftlichen Willenserklärungen. Der Zugang wird nicht – auch nicht prima facie – durch die Absendung bewiesen,239 da es keine Erfahrungssätze gibt, wonach Postsendungen den Empfänger erreichen; es liegt in der Hand des VR, etwaige Beweisschwierigkeiten zu vermeiden.240 Auch wenn unstreitig ist, dass der Versicherungsschein zugegangen ist, gilt Entsprechendes für die Frage nach dem Zeitpunkt des Zugangs.241 Für den Fall, dass der VR dem VN unstreitig Mahnungen bzw. Belehrungen übersandt hat, aus denen der VN erkennen kann, dass der VR vom Zugang des Versicherungsscheins ausgeht, ergeben sich prinzipiell noch keine Nachteile für den VN; insbesondere ist dies für sich gesehen noch kein treuwidriges Verhalten des VN mit der Folge, dass er sich nicht mehr auf den fehlenden Zugang des Versicherungsscheins berufen könnte; insoweit bedarf es schon weiterer Umstände zulasten des VN.242 Der VR hat es im Übrigen selbst in der Hand, durch Empfangsbestätigungen des VN eine klare Situation herbeizuführen. Den VN trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die von ihm geschuldete Zahlung der Prämie tatsächlich vorgenommen hat.243 Gleiches gilt auch für die Frage der Rechtzeitigkeit der Zahlung (zur Rechtzeitigkeit und zur erforderlichen Leistungshandlung vgl. § 36 Rn. 28 ff.). Zum früheren Recht wurde der Standpunkt vertreten, dass die Aushändigung des Versicherungsscheins im Hinblick auf die Prämienzahlung eine Beweislastumkehr mit sich bringe, da der Übersendung des Versicherungsscheins die Wirkung einer Quittung zukomme.244 Diesem Meinungsstreit ist nach der neuen Gesetzeslage indes der Boden entzogen.245 Beim Lastschriftverfahren wird eine besondere Beweissituation angenommen. Danach obliegt es dem VR, zu beweisen, dass er zur rechten Zeit einen ordnungsgemäßen Einziehungsversuch unternommen hat; von dieser Beweislast wird auch erfasst, dass der VR den VN über konkrete Höhe und Fälligkeitszeitpunkt der Prämie unterrichtet hat; der VN hat wiederum zu beweisen, dass zum Fälligkeitszeitpunkt eine hinreichende Kontodeckung bestand.246 Für den Zugang der Zahlungsaufforderung ist im Rahmen des § 33 Abs. 2 der VR darlegungs- und beweispflichtig.247

238 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 21. 239 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 21; OLG Stuttgart 10.9.2015 – 7 U 78/15, RuS 2015 540, 541 (juris Rn. 5). 240 OLG Stuttgart 10.9.2015 – 7 U 78/15, RuS 2015 540, 541 (juris Rn. 5); vgl. auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 43. 241 Ebenso Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 22. 242 Ebenso Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 22. 243 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 23; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 39. 244 Prölss/Martin/Knappmann27 § 35 Rn. 22; a.A. Berliner Kommentar/Riedler § 35 Rn. 45; Fenyves/Perner/Riedler/ Riedler8 § 35 ÖVVG Rn. 41, welcher zwischen der „Polizze“ und einer Prämienquittung unterscheidet. 245 Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 19; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 33; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 33 Rn. 25. 246 BGH 19.10.1977 – IV ZR 149/76, BGHZ 69 361, 367 f. = VersR 1977 1153, 1155 (juris Rn. 20); Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 39; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 20. 247 Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 41. 443

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§ 34 Zahlung durch Dritte (1) Der Versicherer muss fällige Prämien oder sonstige ihm auf Grund des Vertrags zustehende Zahlungen vom Versicherten bei einer Versicherung für fremde Rechnung, von einem Bezugsberechtigten, der ein Recht auf die Leistung des Versicherers erworben hat, sowie von einem Pfandgläubiger auch dann annehmen, wenn er die Zahlung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zurückweisen könnte. (2) Ein Pfandrecht an der Versicherungsforderung kann auch wegen der Beträge einschließlich ihrer Zinsen geltend gemacht werden, die der Pfandgläubiger zur Zahlung von Prämien oder zu sonstigen dem Versicherer auf Grund des Vertrags zustehenden Zahlungen verwendet hat.

Schrifttum Bürkle Mitteilungspflichten des Lebensversicherungsunternehmens gegenüber Arbeitnehmern im Rahmen der Direktversicherung, BB 2003 2007; Ganster Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008) (zit.: Ganster Prämienzahlung); Langohr-Plato Zur Information des bezugsberechtigten Arbeitnehmers bei Prämienverzug des Arbeitgebers, VersR 2003 628; Prahl Zur Mitteilungspflicht des Lebensversicherers – unter Berücksichtigung des neuen Schuldrechts, VuR 2004 170; Riedler Aktuelle Probleme des Prämienzahlungsverzugs im Privatversicherungsrecht, VersRdsch 1993 300; vgl. im Übrigen Schrifttum zu § 33.

Übersicht 1

A.

Funktion und Bedeutung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Die Annahmepflicht des VR, § 34 7 Abs. 1

I.

Bürgerlich-rechtliche Ausgangslage

1 4

5

II. 1. 2.

8 Tatbestandsvoraussetzungen 8 Ablösungsberechtigte Personen Ablösungsberechtigende Leistungen

III.

Rechtsfolgen

C.

Pfandrechtserweiterung, § 34 Abs. 2

D.

Abdingbarkeit

13

14 19

21

7

A. Funktion und Bedeutung I. Entstehungsgeschichte 1 Durch § 34 ist – mit Ausnahme von sprachlichen Korrekturen – die vor der VVG-Reform 2008 geltende Regelung des § 35a a.F. beibehalten worden.1 Die Vorgängervorschrift des § 35a a.F. wurde durch Gesetz vom 7.11.19392 in das VVG von 2 1908 eingefügt und schloss insofern die bis dahin bestehende Gesetzeslücke, indem der Kreis der zahlungsberechtigten Personen erweitert wurde.3 Nach der bis 1939 geltenden Rechtslage konnte der VR die von einem Dritten angebotene Leistung ablehnen, wenn der VN widersprochen hat. Eine Ausnahme hiervon sah lediglich § 105 VVG 1908 für die Gebäudefeuerversiche1 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 70. 2 RGBl. I 2223. 3 Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 2; Ganster Prämienzahlung S. 331. Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522624-017

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A. Funktion und Bedeutung

VVG § 34

rung vor, nach dem der VR selbst bei einem Widerspruch des VN die Annahme der von einem Hypothekengläubiger angebotenen Prämienzahlung zu dessen Schutz nicht verweigern durfte.4 Wiederum in § 38 SchiffsRG und in § 38 LuftFzgG5 finden sich inhaltlich im Wesentlichen 3 ähnliche Regelungen.

II. Inhalt und Zweck der Regelung Die Vorschrift dient als Schutznorm zugunsten des zahlungsberechtigten Dritten, um durch 4 entsprechende Zahlung an den VR einen Wegfall der Versicherung zu verhindern.6 Zum Schutze eines bestimmten privilegierten Personenkreises bestimmt § 34, dass der VR die Prämienzahlung durch den zu dem geschützten Personenkreis gehörenden Dritten nicht zurückweisen darf; dies gilt selbst dann, wenn der VN der Zahlung widerspricht. Damit werden die §§ 267, 268 BGB dahingehend modifiziert, dass der Kreis der ablösungsberechtigten Dritten erweitert7 und das Widerspruchsrecht des Schuldners (hier des VN) begrenzt wird.8 Hierdurch werden die privilegierten Personen davor geschützt, dass der Versicherungsschutz, von dem sie in ihrer Position profitieren, wegen ausstehender Zahlung durch den VN verloren geht.

III. Anwendungsbereich Im Schrifttum wird vertreten, dass § 34 Abs. 1 als Ausnahmevorschrift eng auszulegen sei.9 Ob 5 man dies aus dem Charakter einer Ausnahmevorschrift allgemein herleiten kann, soll hier nicht näher untersucht werden.10 Jedenfalls aber ergibt sich ein tatbestandlich klarer Anwendungsbereich.11 Eine Erweiterung auf Personen, die gegebenenfalls im Übrigen ein schützenswertes Interesse an der Aufrechterhaltung des Versicherungsvertrages haben, findet damit grundsätzlich nicht statt (vgl. auch Rn. 11),12 sollte aber von vorneherein nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Die §§ 267 f. BGB bleiben neben § 34 anwendbar;13 indes stellt § 34 gerade eine Sonderregel 6 gegenüber § 267 Abs. 2 BGB dar.14 Damit gerät der VR auch bei Nichtannahme einer Prämienzah-

4 Motive S. 173. 5 Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen v. 26.2.1959, BGBl. I 57, zuletzt geändert durch Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGGRG) v. 17.12.2008, BGBl. I 2586. 6 Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 4. 7 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 1. 8 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 1. 9 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 2; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 3; Ganster Prämienzahlung S. 329; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7; a.A. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 34 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 2; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 4. 10 Dazu etwa MüKoBGB/Säcker9 Band 1/1 Einleitung Rn. 123 m.w.N., wonach Ausnahmevorschriften auch auf einen solchen Sachverhaltstyp sinngemäß (analog) anzuwenden sind, der zwar keine völlige, wohl aber eine essentielle Strukturgleichheit mit dem Sachverhaltstyp aufweist, auf den die Ausnahmevorschrift unmittelbar Anwendung findet. 11 Für abschließende Festschreibung Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 3; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 35a Rn. 2. 12 Kritisch zu Recht Ganster Prämienzahlung S. 330 ff., 380 f. 13 Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 5; Ganster Prämienzahlung S. 329. 14 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 1. 445

Beckmann

§ 34 VVG

Zahlung durch Dritte

lung durch einen nicht vom Anwendungsbereich des § 34 erfassten Dritten in Annahmeverzug,15 es sei denn der VN hat dieser Zahlung wirksam widersprochen.16

B. Die Annahmepflicht des VR, § 34 Abs. 1 I. Bürgerlich-rechtliche Ausgangslage 7 Schuldner der Prämie ist grundsätzlich der VN als Partei des Versicherungsvertrages.17 Die Geldschuld des VN ist jedoch nicht höchstpersönlicher Natur, so dass es grundsätzlich nach § 267 BGB auch möglich ist, dass anstelle des VN ein Dritter die Leistung erbringt.18 Dabei ist nach § 267 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Einwilligung des VN nicht erforderlich. Der VR ist jedoch zur Ablehnung der Leistungserbringung durch den Dritten gem. § 267 Abs. 2 BGB dann berechtigt, wenn der VN der Prämienzahlung durch den Dritten wirksam widersprochen hat. Demgegenüber gibt § 268 BGB allgemein dem Dritten, dem durch Zwangsvollstreckung ein Rechts- oder Besitzverlust droht, ein Ablösungsrecht, welches nicht durch Widerspruch des Schuldners eingeschränkt werden kann.19 Damit gewinnt der Dritte unter den Voraussetzungen des § 268 BGB eine wesentlich stärkere Rechtsposition als im Rahmen des § 267 BGB.20 Diesen Grundgedanken setzt § 34 fort.21

II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Ablösungsberechtigte Personen 8 Ausweislich des Gesetzeswortlauts des § 34 Abs. 1 sind zunächst Versicherte bei der Versicherung für fremde Rechnung ablösungsberechtigt,22 §§ 43, 44, 179 Abs. 1. In der Personenversicherung fällt die Gefahrperson (§§ 150 Abs. 2, 179 Abs. 2, 193) nur dann darunter, wenn die Versicherung für fremde, d.h. für ihre, Rechnung genommen wurde.23 Ferner sind zahlungsbefugt Bezugsberechtigte, die ein eigenes Leistungsrecht erworben 9 haben. Dies ist nach h.M. bei einem unwiderruflichen Bezugsrecht i.S.v. § 159 Abs. 3 der Fall.24 Nach der Auslegungsregel des § 159 Abs. 1 ist bei der Lebensversicherung im Zweifel jedoch von einer widerruflichen Begünstigung als Regelfall auszugehen.25 Gem. § 159 Abs. 2 ist der Eintritt des Versicherungsfalles für den Rechtserwerb erforderlich. Nach Eintritt des Versicherungsfalles hat demzufolge auch der ursprünglich nur widerruflich begünstigte Bezugsberechtigte ein un15 Deutsch/Iversen7 Rn. 197; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 1; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 7. 16 Palandt/Grüneberg80 § 267 Rn. 5, 6; MüKoBGB/Krüger8 § 267 Rn. 16; a.A. wohl LG Köln 27.2.1980 – 74 O 199/79, VersR 1980 962. 17 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 18; Deutsch/Iversen7 Rn. 196; vgl. hierzu auch § 33 Rn. 44. 18 Deutsch/Iversen7 Rn. 196; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 3. 19 BGH 12.7.1996 – V ZR 106/95, NJW 1996 2791, 2792 (juris Rn. 12); jurisPK-BGB/Kerwer9 § 268 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikwoski/Karczewski4 § 34 Rn. 1. 20 Palandt/Grüneberg80 § 268 Rn. 1. 21 Weyers/Wandt3 Rn. 368; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 3. 22 BGH 18.10.2000 – IV ZR 100/99, VersR 2001 53 f. (juris Rn. 9 ff.); BGH 18.9.1991 – IV ZR 189/90, VersR 1991 1404 f. (juris Rn. 11 ff.). 23 Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 2. 24 Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 2; Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 5; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 3. 25 Vgl. BGH 17.2.1966 – II ZR 286/63, BGHZ 45 162, 164 f. = VersR 1966 359, 360 (juris Rn. 9 ff.); Langheid/Rixecker/ Rixecker6 § 159 Rn. 3. Beckmann

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B. Die Annahmepflicht des VR, § 34 Abs. 1

VVG § 34

widerrufliches Bezugsrecht erworben,26 so dass auch ihm das Ablösungsrecht aus § 34 Abs. 1 zusteht. Schließlich gehören zu dem nach § 34 Abs. 1 privilegierten Personenkreis Pfandgläubiger. 10 Nach h.M. ist ein Pfandrecht an der Versicherungsforderung erforderlich.27 Ein Pfändungspfandrecht an der Versicherungsforderung (§ 804 ZPO) – auch wenn es sich nur um ein bedingtes handelt (§§ 845, 930 ZPO) – ist ausreichend; gleiches gilt für die Erstreckung des Grundpfandrechtes auf die Versicherungsforderung (§ 1127 Abs. 1 BGB für die Hypothek, § 1192 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1127 Abs. 1 BGB für die Grundschuld).28 Ein Pfandrecht an dem versicherten Gegenstand genügt nach h.M. jedoch nicht.29 Die Aufzählung der von § 34 Abs. 1 erfassten Personen ist abschließend (indes str.; vgl. hierzu 11 bereits Rn. 5). Eine Erweiterung des bereits von § 35a a.F. erfassten Personenkreises hat im Zuge der VVG-Reform 2008 jedenfalls nicht stattgefunden; dies ist bei der diskutierten Frage einer analogen Anwendung der Vorschrift auch zu berücksichtigen. Auch wenn teilweise eine Erstreckung der Ablösungsberechtigung nach § 34 Abs. 1 auf den Zessionar,30 auf den Drittgeschädigten in der Pflichtversicherung,31 auf den Erwerber i.S.d. §§ 95 ff. und auf den VN bei einer Schuldübernahme32 befürwortet wird, hat der Reformgesetzgeber diese Personen – trotz vergleichbarer Sachlage und bestehendem Interesse an dem Bestand des Versicherungsvertrages – nicht in den Kreis der Privilegierten aufgenommen, obgleich die h.L. bereits seinerzeit diese Personengruppen als nicht von der insoweit inhaltsgleichen Vorgängervorschrift (§ 35a a.F.) erfasst ansah.33 Von einer entsprechenden Anwendung auf diese Personen ist daher grundsätzlich abzusehen.34 Nicht zahlungsberechtigt ist demnach der widerruflich Begünstigte vor Eintritt des Versi- 12 cherungsfalls,35 der Zessionar,36 der Inhaber des Versicherungsscheins nach § 4,37 der Geschädigte in der Haftpflichtversicherung,38 der Indossatar einer Orderpolice,39 der nicht durch Sicherungsschein gesicherte Hypothekengläubiger, soweit die Versicherungsforderung sich nicht auf ein Gebäude bezieht (§ 1129 BGB), und diejenige Person, auf deren Namen eine Lebens- oder Prölss/Martin/Reiff/Schneider31 § 9 ALB 2016 Rn. 15; Ganster Prämienzahlung S. 328. Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 6; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 2. Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 2; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 6. Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 5; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7; Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 5; Ganster Prämienzahlung S. 329; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 3. 30 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 2; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 34 Rn. 6; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 4; Ganster Prämienzahlung S. 381; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 4; a.A. LG Köln 27.2.1980 – 74 O 199/79, VersR 1980 962; Armbrüster2 Rn. 1616; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7. 31 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 2; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 34 Rn. 7 (jedenfalls wenn diesem ein Direktanspruch aus § 115 VVG zusteht); so auch Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 4; a.A. Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 5; Schimikowski6 Rn. 150; zu Recht weist Armbrüster2 Rn. 1616 darauf hin, dass sich ein Prämienzahlungsverzug des VN bei der Pflichthaftpflichtversicherung wegen § 117 Abs. 1 ohnedies nicht nachteilig auf die Leistungspflicht des VR gegenüber dem geschädigten Dritten auswirkt. 32 So etwa Ganster Prämienzahlung S. 381 f. 33 Vgl. Prölss/Martin/Kollhosser27 § 35a Rn. 5; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7. 34 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 2; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 5; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 6; Armbrüster2 Rn. 1616; Schimikowski6 Rn. 150; indes wie dargestellt str. 35 Vgl. bereits Rn. 9. 36 LG Köln 27.2.1980 – 74 O 199/79, VersR 1980 962; Armbrüster2 Rn. 1616; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7; a.A. Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 3; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 34 Rn. 6. 37 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 2; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7; a.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 3; a.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 4. 38 Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 5; Schimikowski6 Rn. 150; Armbrüster2 Rn. 1616; a.A. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 2 für den Geschädigten in der Pflichtversicherung; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 34 Rn. 7 (jedenfalls wenn diesem ein Direktanspruch gem. § 115 zusteht). 39 Noch zu § 35a a.F.: Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7.

26 27 28 29

447

Beckmann

§ 34 VVG

Zahlung durch Dritte

Unfallversicherung genommen ist (§§ 150 Abs. 2, 179 Abs. 2).40 Den nicht vom Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 erfassten Personen kommt jedoch eine Befriedigungsbefugnis gegenüber dem VR nach § 267 BGB zu (vgl. hierzu bereits Rn. 7). Während dem Inhaber eines Pfandrechts am versicherten Gegenstand kein Ablösungsrecht zukommt (vgl. bereits Rn. 10), kommt dem Hypothekengläubiger in der Feuerversicherung (§ 142 Abs. 1) eine Zahlungsberechtigung zu, so dass dieser selbst dafür Sorge tragen kann, dass zukünftig Versicherungsschutz besteht.41

2. Ablösungsberechtigende Leistungen 13 Eine Zahlungsberechtigung nach § 34 Abs. 1 besteht nur hinsichtlich fälliger Prämien und sonstiger Zahlungen, die dem VR aufgrund des Versicherungsvertrages zustehen. Erfasst werden folglich nur Geldschulden, für sonstige Leistungsverpflichtungen gilt § 34 Abs. 1 nicht.42 Zu den sonstigen Zahlungen zählen auch Zinsen, Versicherungssteuern oder echte Nebengebühren (vgl. § 33 Rn. 29 f.). Dabei ist jedoch zu beachten, dass nicht nur die sonstigen Zahlungen, sondern auch die Prämien gerade aus dem Versicherungsverhältnis geschuldet sein müssen, aus dem der Dritte berechtigt ist.43

III. Rechtsfolgen 14 Seitens des privilegierten Dritten lässt § 34 Abs. 1 keine Zahlungspflicht im Hinblick auf die Prämie entstehen. Der Dritte ist lediglich berechtigt, die Geldschulden zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes zu begleichen. Eine einklagbare Rechtsposition erlangt der VR gegenüber dem Dritten jedenfalls nicht.44 Insbesondere besteht kein Widerspruchsrecht seitens des VN.45 Die Privilegierung des Dritten erstreckt sich zudem darauf, dass dieser den VR in gleicher Weise befriedigen kann wie der VN. Damit kommt zur Tilgung der Prämienzahlungspflicht nicht bloß Zahlung in Betracht. Der Ablösungsberechtigte kann entsprechend § 268 Abs. 2 BGB auch durch Hinterlegung oder Aufrechnung seinem Befriedigungsrecht nachkommen.46 Auch seitens des VR begründet § 34 Abs. 1 – entgegen seines Wortlauts („Der Versicherer 15 muss … annehmen …“) – keine echte Rechtspflicht zur Annahme der Leistung des Dritten. Nach h.M. handelt es sich hierbei um eine bloße Obliegenheit des VR.47 Verweigert der VR jedoch entgegen § 34 Abs. 1 die Entgegennahme der Prämie, gerät er in Annahmeverzug,48 so dass er daran gehindert ist, sich auf einen Zahlungsverzug des VN zu berufen, wenn ihm eine Leistung

40 Noch zu § 35a a.F.: Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 35a Rn. 5; Bruck/Möller/ Möller8 § 35a Anm. 5. 41 Motive S. 170; Prölss/Martin/Klimke31 § 142 Rn. 1; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 7. 42 Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 6. 43 Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 6; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 9; Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 6. 44 Schauer S. 213; Riedler VersRdsch 1993 302; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 8; Ganster Prämienzahlung S. 329. 45 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 9. 46 Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 9; Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 7; für Klarstellung de lege ferenda Ganster Prämienzahlung S. 382; a.A. in Bezug auf die Aufrechnung Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 3; Prölss/ Martin/Reiff31 § 34 Rn. 8. 47 BGH 12.3.1964 – II ZR 226/62, VersR 1964 497, 500; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 2; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 6; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35a ÖVVG Rn. 12; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 43; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 2. 48 Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 7; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 34 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 § 34 Rn. 6; Deutsch/Iversen7 Rn. 197; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 12. Beckmann

448

C. Pfandrechtserweiterung, § 34 Abs. 2

VVG § 34

durch den Befriedigungsberechtigten angeboten worden ist.49 Die nicht berechtigte Annahmeverweigerung durch den VR begründet aber keine Erfüllung. Diese kann der Dritte nur herbeiführen, wenn er die Prämie zugunsten des VR gem. § 372 Satz 1 BGB hinterlegt.50 In entsprechender Anwendung des § 268 Abs. 3 BGB geht die Prämienforderung des VR 16 gegen den VN auf den Dritten über (zur Anwendung des § 268 Abs. 3 BGB vgl. auch Rn. 19).51 Aus § 34 Abs. 1 erwächst dem privilegierten Personenkreis kein Informationsrecht hin- 17 sichtlich eines Prämienverzuges des VN. Der VR ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, dem Dritten von einem Zahlungsverzug des VN Mitteilung zu machen, damit dieser von seinem Ablösungsrecht Gebrauch machen kann.52 Anders ist die Sachlage jedoch dann, wenn sich eine Benachrichtigungspflicht des VR aufgrund von Sondervorschriften (so etwa aus § 142 Abs. 1 für den Hypothekengläubiger in der Feuerversicherung bei Verzug des VN mit einer Folgeprämie; nach § 34 Abs. 1 Satz 1 LuftFzgG und § 34 Abs. 1 des SchiffsRG) oder aufgrund einer besonderen Vereinbarung (etwa aufgrund einer Sicherungsvereinbarung)53 ergibt. Darüber hinaus wird auch angenommen, dass sich eine Informationspflicht des VR aus 18 Treu und Glauben gem. § 242 BGB ergeben kann.54 Dies wird man dann annehmen können, wenn die Versicherung einem besonderen sozialen Schutzbedürfnis des Dritten unterliegt.55 So hat die Rechtsprechung eine Informationspflicht des VR im Falle des Prämienverzugs des Arbeitgebers bei einer Direktversicherung nach § 1 Abs. 2 BetrAVG mit unwiderruflicher Bezugsberechtigung für den Arbeitnehmer bejaht.56 Entsprechendes ist durch Einführung von § 166 Abs. 4 bestätigt worden.57 Vgl. zu Mitteilungspflichten des VR gegenüber Dritten im Übrigen § 38 Rn. 21.

C. Pfandrechtserweiterung, § 34 Abs. 2 § 34 Abs. 2 bestimmt, dass das Pfandrecht des Pfandgläubigers an der Versicherungsforderung 19 (§ 34 Abs. 1, 3. Var.) auf die Beträge und Zinsen ausgeweitet wird, die der Pfandgläubiger gem. § 34 Abs. 1 dem VR geleistet hat. Bei § 34 Abs. 2 handelt es sich deshalb um eine kraft Gesetzes eintretende Pfandrechtserweiterung.58 Ein neues Pfandrecht wird hierdurch nicht begrün49 BGH 12.3.1964 – II ZR 226/62, VersR 1964 497, 500; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 § 34 Rn. 6; a.A. Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 8, der im Falle der Erstprämie eine Hinterlegung nach § 372 BGB verlangt. 50 Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 3; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 6. 51 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 3; Looschelders/ Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 7; Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 8; für Klarstellung de lege ferenda Ganster Prämienzahlung S. 382; a.A. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 10, wonach nur ein Rückgriff des Dritten gegen den VN über §§ 683, 670 BGB möglich sein soll. 52 OLG Nürnberg 28.9.1971 – 3 U 42/71, VersR 1973 413, 414; OLG Köln 7.12.1989 – 5 U 232/88, VersR 1990 1261, 1263 f.; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 12; Prölss/Martin/ Reiff31 § 34 Rn. 10; Riedler S. 126; a.A. Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 9; Ganster Prämienzahlung S. 380. 53 OLG Hamm 24.2.1988 – 20 U 267/87, RuS 1988 155, 156 (juris Rn. 40 ff.). 54 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 3; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 34 Rn. 12; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 10; vgl. auch Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 6 (bei besonderer Schutzbedürftigkeit des Dritten). 55 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 4. 56 OLG Düsseldorf 17.12.2002 – 4 U 78/02, VersR 2003 627, 628 (juris Rn. 19 ff.); BAG 17.11.1992 – 3 AZR 51/92, NJW 1994 276, 278 (juris Rn. 33); zustimmend auch Prahl VuR 2004 170 ff.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 4; a.A. Bürkle BB 2003 2007 ff.; Langohr-Plato VersR 2003 628 ff. 57 Bruck/Möller/Winter9 § 166 Rn. 26; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 10. 58 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 34 Rn. 13; Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 10; Berliner Kommentar/ Riedler § 35a Rn. 13 (betreffend § 35a a.F.); Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 8. 449

Beckmann

§ 34 VVG

Zahlung durch Dritte

det.59 Ein Pfandrecht sichert eine auf Geld geschuldete Forderung, so dass an sich die Formulierung „wegen der Beträge einschließlich ihrer Zinsen“ ungenau erscheint. Das Gesetz setzt offenbar eine Forderung des Pfandgläubigers gegen den VN auf Erstattung der an den VR geleisteten Beträge voraus. Deshalb ist nachvollziehbar, dass im Schrifttum die Ansicht vertreten wird, die Norm (§ 34 Abs. 2) setze ein Eingreifen des § 268 Abs. 3 BGB voraus.60 Zwingend ist dies indes nicht. Denn selbst ohne Anwendung des § 268 Abs. 3 BGB steht dem Dritten, der für einen Schuldner berechtigterweise eine Forderung tilgt, ein Erstattungsanspruch, ggf. aus §§ 683, 670 BGB bzw. aus Bereicherungsrecht zu.61 Nichtsdestotrotz liegt eine Anwendung des § 268 Abs. 3 BGB nahe (vgl. bereits oben Rn. 16). 20 Steht die Versicherungsforderung nicht dem VN, sondern z.B. dem Versicherten zu, richtet sich die persönliche Forderung des ablösungsberechtigten Pfandgläubigers gegen den VN; das nach § 34 Abs. 2 erweiterte Pfandrecht erfasst jedoch den Versicherungsanspruch des Versicherten.62

D. Abdingbarkeit 21 § 34 ist im Katalog des § 42 nicht aufgeführt, so dass grundsätzlich eine Abweichung zulasten des VN zulässig ist. Nichtsdestotrotz ist eine Vereinbarung im Versicherungsvertrag, wonach zulasten der durch § 34 Abs. 1 geschützten Personen von dem diesen zustehenden Ablösungsrecht bzw. von der Pfandrechtserweiterung nach § 34 Abs. 2 abgewichen wird, als Vertrag zulasten Dritter unzulässig.63

59 Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 13; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 35a Rn. 8; Römer/Langheid/Römer2 § 35a Rn. 3.

60 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 8; vgl. Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 5; vgl. des Weiteren auch Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 3, der vom Übergang der Forderungen des VR gegen den VN (im Hinblick auf die Akzessorietät des Pfandrechts) auf den Pfandrechtsgläubiger ausgeht – indes ohne Bezugnahme auf § 268 Abs. 3 BGB; a.A. BeckOK-VVG/Klimke (9.8.2021) § 34 Rn. 14, wonach sich aus § 34 Abs. 2 nicht entnehmen lasse, dass auch die Prämienforderung analog § 268 Abs. 3 BGB auf den Pfandgläubiger übergehen und vom Pfandrecht gesichert werden soll; ebenso Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 12. 61 Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 12; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 10; vgl. auch BeckOK-BGB/Lorenz (Stand: 1.8.2021) § 267 Rn. 18 ff. m.w.N. (indes einen Bereichungsanspruch verneinend). 62 Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 12; Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 10; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 13. 63 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 34 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 13; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 34 Rn. 6; Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 11; Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 14. Beckmann

450

§ 35 Aufrechnung durch den Versicherer Der Versicherer kann eine fällige Prämienforderung oder eine andere ihm aus dem Vertrag zustehende fällige Forderung gegen eine Forderung aus der Versicherung auch dann aufrechnen, wenn diese Forderung nicht dem Versicherungsnehmer, sondern einem Dritten zusteht.

Schrifttum Lorenz Zur Aufrechnungsbefugnis eines Leasingnehmers, der zugunsten des Leasinggebers für fremde Rechnung eine Kaskoversicherung abgeschlossen hat, gegenüber Prämienforderungen des Versicherers, VersR 1997 1267; Schulz Nachteilige Auswirkungen bei Ausübung des Aufrechnungs- oder Abzugsrechts des Versicherers, VersR 1957 707; Sieg Abwicklung von Schäden im Konkurs des Haftpflichtversicherers, VersR 1964 693; vgl. im Übrigen Schrifttum bei § 33.

Übersicht 1

A.

Funktion und Bedeutung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Die Voraussetzungen der Aufrechnungsbe10 fugnis

I.

1

II.

Qualifizierte Konnexität

III.

Gleichartigkeit von Forderung und Gegenforde14 rung

IV.

Ausübung der Aufrechnung

C.

Rechtsfolgen

D.

Abdingbarkeit

13

3 16

7 18 19

Aufrechnungsrecht gegenüber dem Dritten i.S.d. 10 § 35

A. Funktion und Bedeutung I. Entstehungsgeschichte § 35 ist gegenüber dem bis 31.12.2007 geltenden § 35b a.F. sachlich unverändert geblieben. Le- 1 diglich sprachlich wurde § 35 im Rahmen der VVG-Reform 2008 an die Terminologie des § 387 BGB angeglichen.1 § 35b a.F. wurde seinerseits durch Gesetz vom 7.11.19392 entsprechend dem Vorbild der 2 § 27 ÖVVG 19173 und § 27 ÖVO 19154 in das VVG von 19085 eingefügt.6 Bis zu diesem Zeitpunkt sah § 78 VVG 1908 ein Aufrechnungsrecht des VR lediglich bei der Versicherung für fremde Rechnung vor.

1 2 3 4 5 6

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 71; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35b ÖVVG Rn. 1. RGBl. I 2223. ÖRGBl. 501. ÖRGBl. 343. Gesetz über den Versicherungsvertrag v. 30.5.1908, RGBl. 263. Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 1; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 1; Motive S. 639.

451 https://doi.org/10.1515/9783110522624-018

Beckmann

§ 35 VVG

Aufrechnung durch den Versicherer

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 Die Vorschrift dient dem Schutz des Interesses des VR am Erhalt der fälligen Prämie, insbesondere in den Fällen, in denen der VR die Versicherungsleistung nicht dem VN, sondern einem Dritten schuldet.7 § 35 gewährt dem VR das Recht zur Aufrechnung in Fällen, in denen die Gegenseitigkeit der Forderung nicht gegeben ist und daher eine Aufrechnung nach den allgemeinen Normen des BGB nicht zulässig wäre.8 Nach den §§ 387 ff. BGB kann der Schuldner (hier: der VR) nur dann aufrechnen, wenn er 4 Gläubiger der Gegenforderung und Schuldner der Hauptforderung ist; Aufrechnungsgegner ist dann der Schuldner der Gegenforderung und Gläubiger der Hauptforderung. Dies führt zum Erfordernis der Gegenseitigkeit.9 Schuldet der VR die Versicherungsleistung nicht dem VN, sondern einem Dritten, so fehlt es am Erfordernis der Gegenseitigkeit. In diesen Fällen kommt eine Aufrechnung nach den Vorschriften des BGB im Falle der Zession durch den VN gem. § 406 BGB dann in Betracht, wenn der VR dem Zessionar nun die Versicherungsleistung schuldet. Auch in diesem Falle wird das Erfordernis der Gegenseitigkeit durchbrochen.10 Indes schränkt § 406 2. Hs. BGB diese Möglichkeit der Aufrechenbarkeit ein. Deshalb kommt eine Aufrechnung des VR gegenüber dem Zessionar zum einen nur in Betracht, wenn die Aufrechnungslage bereits bestand, als der VR von der Abtretung Kenntnis erlangte.11 Ist die Prämienforderung erst nach Abtretung der Versicherungsforderung fällig geworden, so kann der VR zum anderen aufrechnen, sofern die Fälligkeit der Prämienforderung vor Kenntnis des VR von der Abtretung eingetreten und nicht später als die abgetretene Versicherungsforderung fällig geworden ist.12 Damit entfällt nach dieser Regelung eine Aufrechnung seitens des VR dann, wenn die Prämienforderung nach der Erlangung der Kenntnis der Abtretung und zusätzlich später als die Versicherungsleistung fällig geworden ist. Zudem kann der VR als Schuldner der Versicherungsleistung beim echten Vertrag zuguns5 ten Dritter nicht mit seiner Prämienforderung gegen den Dritten als Versprechensempfänger aufrechnen.13 Um auch in diesen Fällen dem VR entsprechenden Schutz zukommen zu lassen, hebt § 35 das Erfordernis der Gegenseitigkeit auf.14 Dem VR wird – eingeschränkt durch das Erfordernis der qualifizierten Konnexität (vgl. 6 hierzu Rn. 13) – einem dritten Anspruchsteller gegenüber die Möglichkeit einer Kürzung dessen Anspruchs wegen eigener Forderungen gegen den VN in dem gleichen Umfang eingeräumt, in dem er dem VN gegenüber aufrechnen könnte, wenn dieser die Versicherungsleistung zu beanspruchen hätte. Der VR soll aus der Risikoübernahme insoweit nicht in Anspruch genommen werden können, als ihm dafür zustehende Gegenleistungen noch nicht zugeflossen sind.15

7 BGH 2.2.1977 – IV ZR 165/75, VersR 1977 346, 348 (juris Rn. 34); BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655 (juris Rn. 15); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 35 Rn. 1; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 43; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 1; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 2. 8 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 71. 9 Palandt/Grüneberg80 § 387 Rn. 4; MüKoBGB/Schlüter8 § 387 Rn. 6. 10 Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 3; MüKoBGB/Roth/Kieninger8 § 406 Rn. 1. 11 Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 3. 12 Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 3. 13 BGH 27.1.1961 – I ZR 119/59, MDR 1961 481; jurisPK-BGB/Schinkels9 § 334 Rn. 4; Palandt/Grüneberg80 § 334 Rn. 4. Abweichend in Österreich, wo Rspr. und Lit. den mit § 334 BGB wortgleichen § 882 Abs. 2 ABGB anders auslegen und dem Schuldner diese Aufrechnung gewähren, Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35b ÖVVG Rn. 3. 14 Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 1; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 35 Rn. 1; zu dieser Funktion für das deutsche Recht auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35b ÖVVG Rn. 3. 15 BGH 2.2.1977 – IV ZR 165/75, VersR 1977 346, 348 (juris Rn. 34); BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655 (juris Rn. 15). Beckmann

452

B. Die Voraussetzungen der Aufrechnungsbefugnis

VVG § 35

III. Anwendungsbereich § 35 regelt die Aufrechnungsmöglichkeit des VR für alle Versicherungszweige. Lediglich für die 7 Pflicht-Haftpflichtversicherung ist § 35 nicht anwendbar, vgl. § 121. Eine Aufrechnung des VR gegen die Forderung des Dritten mit eigenen Ansprüchen gegen diesen Dritten bleibt jedoch möglich.16 Aus der Regelung des § 121 ergibt sich jedoch, dass § 35 für die allgemeine Haftpflichtversicherung Anwendung findet.17 Jedoch gilt bzgl. der allgemeinen Haftpflichtversicherung im Hinblick auf deren Sozialbindung aus § 108 Abs. 1 für die Aufrechnungsmöglichkeit des VR eine zeitliche Schranke. So muss sich der Dritte die Aufrechnung nur mit solchen Forderungen entgegenhalten lassen, die vor dem Versicherungsfall fällig geworden sind.18 Eine vergleichbare Einschränkung gibt es für die anderen Versicherungszweige allerdings nicht.19 So besteht auch keine zeitliche Beschränkung der Abzugsmöglichkeit auf Prämien, die vor dem Versicherungsfall fällig geworden sind.20 8 § 35 ist auch im Notlagentarif in der Krankenversicherung anwendbar.21 § 35 stellt ein erweitertes Aufrechnungsrecht des VR dar. Die §§ 387 ff. BGB bleiben dane- 9 ben anwendbar.22

B. Die Voraussetzungen der Aufrechnungsbefugnis I. Aufrechnungsrecht gegenüber dem Dritten i.S.d. § 35 Ausweislich des Gesetzeswortlauts kann der VR mit den ihm zustehenden Forderungen gegen- 10 über dem Dritten aufrechnen, dem ein Anspruch auf die Versicherungsleistung zusteht. Dritter i.S.d. § 35 ist dabei zunächst der Versicherte bei der Versicherung für fremde Rechnung, §§ 43, 44, 179 Abs. 1;23 hierzu zählt z.B. der Leasinggeber bei der Kfz-Kaskoversicherung.24 Die KfzSachversicherung eines geleasten Fahrzeugs ist eine Fremdversicherung des Leasingnehmers als VN zugunsten des Leasinggebers. Die Ansprüche gegen den VR aus dem Versicherungsvertrag stehen deswegen allein dem Leasinggeber zu. Damit ist der Leasinggeber auch Dritter i.S.d. § 35. Demgegenüber kann der VN (Leasingnehmer) gegenüber einer Prämienforderung des VR allenfalls dann aufrechnen, wenn der Leasinggeber ihm seine Forderung gegenüber dem VR

16 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 90. 17 Vgl. BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655 (juris Rn. 11); Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 6. 18 BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655 (juris Rn. 13); Sieg VersR 1964 693, 695; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 35 Rn. 3; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 9; Motive S. 639; Looschelders/ Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 6. 19 BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, RuS 2001 97, 98 (juris Rn. 18); Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 35 Rn. 4; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 5. 20 BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, RuS 2001 97, 98 (juris Rn. 18); OLG Köln 18.2.2003 – 9 U 94/02, RuS 2003 409, 411 (juris Rn. 17). 21 BGH 5.12.2018 – IV ZR 81/18, NJW 2019 359, 360 f. Rn. 14, 16; OLG Jena 4.8.2016 – 4 U 756/15, NJW 2017 177 f. (juris Rn. 21 ff.); Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 2; a.A. OLG Hamm 24.8.2016 – 20 U 235/15, VersR 2018 925 (juris Rn. 51 ff.); Langheid/Wandt/Staudinger2 § 35 Rn. 3. 22 Motive S. 639; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 4; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 6. 23 BGH 2.2.1977 – IV ZR 165/75, VersR 1977 346, 348 (juris Rn. 19); ÖOGH 22.11.1995 – 7 Ob 19/95, VersR 1996 1307; OLG Köln 18.2.2003 – 9 U 94/02, RuS 2003 409, 411 (juris Rn. 17); Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 9; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Karczewski4 § 35 Rn. 2; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 4. 24 ÖOGH 22.11.1995 – 7 Ob 19/95, VersR 1996 1307; OLG Köln 18.6.1996 – 9 U 229/95, VersR 1997 1265, 1266 (juris Rn. 8); Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 9; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35b ÖVVG Rn. 7. 453

Beckmann

§ 35 VVG

Aufrechnung durch den Versicherer

abtritt. Das gilt auch dann, wenn der Leasinggeber in die Aufrechnung durch den VN (Leasingnehmer) eingewilligt hat.25 11 Weiterhin sind als Dritte i.S.d. Vorschriften anzusehen der widerruflich bzw. unwiderruflich Bezugsberechtigte,26 im Falle der Abtretung der Zessionar, der Erwerber der versicherten Sache,27 der Hypothekengläubiger in der Feuerversicherung (§ 142 Abs. 1), der Schiffshypothekengläubiger nach §§ 34, 36 SchiffsRG, der Gläubiger einer Luftfahrzeughypothek, §§ 34, 36 LuftFzgG sowie der geschädigte Dritte in der Haftpflichtversicherung,28 auch solange der VN nur einen Befreiungsanspruch hat.29 Jedoch muss sich der Dritte die Aufrechnung nur mit solchen Forderungen entgegenhalten lassen, die vor dem Versicherungsfall fällig geworden sind (vgl. Rn. 4).30 Dritter i.S.d. § 35 ist demnach jeder, der nicht VN ist und dem ein Anspruch auf die 12 Versicherungssumme zusteht.31 Das Interesse des VR am Erhalt seines Prämienanspruches steht dabei im Vordergrund. Deshalb gebietet es der Schutzzweck des § 35 nicht, dass bzgl. der Person des Dritten darauf abgestellt wird, dass sich dessen Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag direkt ergeben und dass der VR bei Abschluss des Versicherungsvertrages mit dessen Ansprüchen rechnen musste. Damit ist auch der Pfandgläubiger als Dritter i.S.d. § 35 anzusehen.32

II. Qualifizierte Konnexität 13 Zum Schutze des Interesses des VR am Erhalt seiner Prämienforderung hebt § 35 das Erfordernis der Gegenseitigkeit auf (vgl. bereits Rn. 3, 5).33 Im Gegenzug zu dieser Auflockerung der allgemeinen Aufrechnungsregeln der §§ 387 ff. BGB fordert § 35 das Vorliegen einer sog. qualifizierten Konnexität.34 Danach ist der VR zur Aufrechnung gegenüber dem Dritten mit ihm zustehenden fälligen Prämienforderungen oder anderen ihm aus dem Versicherungsvertrag zustehenden Forderungen (hierzu noch Rn. 15) nur dann berechtigt, wenn auch die dem Dritten vom VR geschuldete Leistung (i.d.R. die Versicherungsleistung) auf demselben Vertrag beruht.35 Stehen die gegenseitigen Forderungen zwar in einem gewissen Zusammenhang, entspringen 25 OLG Köln 18.6.1996 – 9 U 229/95, VersR 1997 1265, 1266 (juris Rn. 9) mit Anm. Lorenz VersR 1997 1267 f.; jurisPKBGB/Rüßmann9 § 387 Rn. 13. 26 Zur genauen Abgrenzung und Einordnung vgl. § 34 Rn. 9. 27 Dies gilt jedoch nur dann, wenn der VR das Versicherungsverhältnis nach § 96 Abs. 1 innerhalb eines Monats gekündigt hat und der Versicherungsfall während der Monatsfrist eingetreten ist. Wird das Vertragsverhältnis fortgeführt, gelten gem. § 95 Abs. 3 die §§ 406 ff. BGB; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 35 Rn. 2. 28 OLG Hamm 14.11.1984 – 20 U 124/84, VersR 1985 773; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 35 Rn. 2. 29 Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 7; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 8. 30 BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12/86, VersR 1987 655 (juris Rn. 13); Sieg VersR 1964 693, 695; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 35 Rn. 1; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 9; Motive, S. 639; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowksi/Karczewski4 § 35 Rn. 2. 31 Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 41; vgl. auch zum Begriff des Dritten, Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 7; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 4 jeweils m.w.N. 32 So auch Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 9; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 7; a.A. ÖOGH 12.11.1987 – 7 Ob 52/87, VersR 1989 419. 33 Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 1; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 35 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimiowksi/Karczewski4 § 35 Rn. 1. 34 BGH 2.2.1977 – IV ZR 165/75, VersR 1977 346, 348 (juris Rn. 34); Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 3; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 35 Rn. 2; Deutsch/Iversen7 Rn. 197; Looschelders/ Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 5. 35 Motive S. 639; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 35 Rn. 1; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 3; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 10; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 35 Rn. 2; Looschelders/ Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 5. Beckmann

454

B. Die Voraussetzungen der Aufrechnungsbefugnis

VVG § 35

etwa demselben Lebenssachverhalt, beruhen jedoch auf unterschiedlichen Vertragsgrundlagen, kommt eine Aufrechnung nach § 35 nicht in Betracht.36 Sind jedoch durch einen Versicherungsvertrag mehrere Gegenstände versichert, so kann der VR den Betrag der für alle diese Gegenstände geschuldeten fälligen Prämien von der Versicherungsleistung abziehen, auch wenn der Versicherungsfall nur hinsichtlich einzelner versicherter Gegenstände eingetreten ist.37 Eine zeitliche Beschränkung der Abzugsmöglichkeit auf Prämien, die vor dem Versicherungsfall fällig geworden sind, besteht zudem nicht (vgl. Rn. 7).38 Das Recht des VR, fällige Prämienforderungen von geschuldeten Versicherungsleistungen in Abzug zu bringen, wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der VR sich zuvor geweigert hat, Prämienzahlungen entgegenzunehmen, in der irrigen Annahme, der Versicherungsvertrag sei bereits durch Rücktritt oder Kündigung beendet gewesen.39 Über eine Anwendung von § 242 BGB kann man im Einzelfall zu anderen Ergebnissen gelangen.40

III. Gleichartigkeit von Forderung und Gegenforderung Aus dem Schutzzweck der Vorschrift, der darin besteht, dem VR seinen Prämienanspruch zu erhal- 14 ten, folgt auch, dass eine völlige Gleichartigkeit von Leistung und Gegenleistung anders als nach § 387 BGB41 i.R.d. § 35 nicht gefordert werden kann.42 Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine Abzugsmöglichkeit, so etwa, wenn ein Haftpflichtversicherer nicht Geld, sondern Schuldbefreiung zu leisten hat.43 So ist mit der Abänderung des Wortlauts von „in Abzug bringen“ (§ 35b a.F.) zu „aufrechnen“ nach dem Willen des Gesetzgebers insoweit keine sachliche Änderung verbunden gewesen; die Vorschrift sollte sachlich unverändert erhalten bleiben.44 Die Aufrechnungsbefugnis des VR besteht entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes hin- 15 sichtlich fälliger Prämienforderungen und anderer, dem VR aus dem Vertrag zustehender fälliger Forderungen. Zu den sonstigen Zahlungen zählen auch Zinsen, Versicherungssteuern, echte Nebengebühren (vgl. § 33 Rn. 29 f.) oder Selbstbehalte.45

36 Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 5. 37 BGH 2.2.1977 – IV ZR 165/75, VersR 1977 346, 348 (juris Rn. 34); BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, VersR 2001 235, 236 (juris Rn. 17); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 35 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 35 Rn. 3; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 41; Deutsch/Iversen7 Rn. 197; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 3. 38 BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, VersR 2001 235, 236 (juris Rn. 18); OLG Köln 18.2.2003 – 9 U 94/02, RuS 2003, 409, 411 (juris Rn. 17); Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 1, 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 35 Rn. 1. 39 LG Köln 24.11.1982 – 9 S 227/82, VersR 1983 1023, 1024; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 35 Rn. 1; Prölss/Martin/ Reiff31 § 35 Rn. 6; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 10; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 35 Rn. 3, der hierin eine Annahmeverweigerung des VR zulasten des Dritten sieht, die zu einem Ausschluss des Aufrechnungsrechts aus § 35 führen soll. 40 Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 6. 41 Palandt/Grüneberg80 § 387 Rn. 8 ff.; MüKoBGB/Schlüter8 § 387 Rn. 29. 42 Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 11; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 5. 43 Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 35 Rn. 3; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 35 Rn. 3; Schulz VersR 1957 768; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 5; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 11; dies genügt nicht i.R.d. § 387 BGB: BGH 19.6.1957 – IV ZR 214/56, BGHZ 25 1, 6 = NJW 1957 1514, 1515; BGH 14.1.1999 – IX ZR 208/97, BGHZ 140 270, 273 = NJW 1999 1182 (juris Rn. 27); Palandt/Grüneberg80 § 387 Rn. 10; a.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 7; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 35 Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 8, der darauf abstellt, dass der Befreiungsanspruch des VN gegen den VR, in der Hand des Dritten zu einem Zahlungsanspruch werde, so dass es keiner Lockerung des Gleichartigkeitserfordernisses bedürfe. 44 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 71; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 35 Rn. 3. 45 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 35 Rn. 4; vgl. Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 35b ÖVVG Rn. 11; auch bereits § 34 Rn. 13. 455

Beckmann

§ 35 VVG

Aufrechnung durch den Versicherer

IV. Ausübung der Aufrechnung 16 Bei der Aufrechnungsbefugnis des VR aus § 35 handelt es sich um ein Gestaltungsrecht. Zur wirksamen Aufrechterhaltung seines Prämienanspruchs muss der VR damit gem. § 388 BGB gegenüber dem Dritten die Aufrechnung erklären. Eine Berücksichtigung der Aufrechnungslage von Amts wegen findet nicht statt.46 Dies ist auch sachgerecht, da der Dritte oftmals gar nicht wissen wird, ob und in welcher Höhe Prämien oder sonstige Forderungen noch ausstehen.47 Eine konkludente Aufrechnungserklärung ist jedoch grundsätzlich möglich. Erforderlich dafür ist, dass sich der Aufrechnungswille zumindest aus den Umständen deutlich erkennen lässt. Dies wurde nach alter Rechtslage bereits dann angenommen, wenn der VR die Versicherungsleistung – ohne zusätzliche Erklärung – in verminderter Höhe erbrachte.48 Begründet wurde dies mit Verweis auf den Wortlaut des § 35b a.F.,49 wonach der VR entsprechende Forderungen „in Abzug bringen“ konnte. Durch die sprachliche Angleichung des jetzt geltenden § 35 an § 387 BGB entfällt zwar diese Argumentation. Jedoch ist zu beachten, dass auch nach § 388 BGB die Aufrechnung konkludent erklärt werden kann, sofern eine klare Erkennbarkeit des Aufrechnungswillens gegeben ist.50 Nichtsdestotrotz kann die Erbringung der bloß verminderten Versicherungsleistung i.R.d. § 35 nicht als ausreichend im Hinblick auf die Aufrechnungserklärung angesehen werden.51 Dabei ist zu beachten, dass § 35 zum Schutz des VR von dem Erfordernis der Gegenseitigkeit Abstand nimmt, damit eine Aufrechnung auch gegenüber Dritten möglich ist. Dieser Dritte jedoch wird i.d.R. mangels Kenntnis über rückständige Forderungen bloß anhand der verminderten Leistungserbringung durch den VR keinen Aufrechnungswillen erkennen können. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer konkludenten Aufrechnungserklärung liegen demnach in einem solchen Fall nicht vor. 17 Die Aufrechnungserklärung ist – nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen – bedingungsfeindlich und unwiderruflich.52

C. Rechtsfolgen 18 Entsprechend § 389 BGB bewirkt die wirksam erklärte Aufrechnung, dass die Forderungen erlöschen, soweit sie sich decken. Zudem entfaltet die Aufrechnung Rückwirkung i.S.d. § 389 BGB, d.h. die Aufrechnung bringt die Forderungen mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt zum Erlöschen, in dem sie sich erstmals aufrechenbar gegenüber standen.53 Bei Forderungen mit schwankender Höhe ist die Höhe zum Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage maßgeblich.54

Prölss/Martin/Kollhosser27 § 35b Rn. 2; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 12; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 6. So bereits Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 6. Weyers/Wandt3 Rn. 369; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 12. Weyers/Wandt3 Rn. 369. BVerfG 26.2.1993 – 2 BvR 1463/92, NJW-RR 1993 764, 765 (juris Rn. 13); Palandt/Grüneberg80 § 388 Rn. 1; MüKoBGB/Schlüter8 § 388 Rn. 1 m.w.N. 51 A.A. Wandt6 Rn. 538 Fn. 53; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 35 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 8. 52 Palandt/Grüneberg80 § 388 Rn. 1; BeckOK-BGB/Dennhardt (Stand: 1.8.2021) § 388 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 35 Rn. 8. 53 Palandt/Grüneberg80 § 389 Rn. 2; BeckOK-BGB/Dennhardt (Stand: 1.8.2021) § 389 Rn. 3; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 11. 54 BGH 17.4.1958 – II ZR 335/56, BGHZ 27 123, 125 = NJW 1958 1040 (juris Rn. 12); Grunsky JuS 1963 102, 105; BeckOK-BGB/Dennhardt (Stand: 1.8.2021) § 389 Rn. 7; Palandt/Grüneberg80 § 389 Rn. 2.

46 47 48 49 50

Beckmann

456

D. Abdingbarkeit

VVG § 35

D. Abdingbarkeit § 35 ist im Katalog des § 42 nicht aufgeführt; folglich handelt es sich hierbei um eine dispositive 19 Vorschrift. Eine Vereinbarung zulasten des Dritten, die eine Verschärfung der Voraussetzungen des § 35, etwa durch Erweiterung oder Verzicht auf die Konnexität, bedingt, ist jedoch nur dann zulässig, wenn der maßgebliche Dritte auch in diese Vereinbarung miteinbezogen wurde.55

55 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 35 Rn. 6; Bruck/Möller/Möller8 § 35b Anm. 7; Berliner Kommentar/Riedler § 35b Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 12. 457

Beckmann

§ 36 Leistungsort (1)

1

Leistungsort für die Zahlung der Prämie ist der jeweilige Wohnsitz des Versicherungsnehmers. 2Der Versicherungsnehmer hat jedoch auf seine Gefahr und seine Kosten die Prämie dem Versicherer zu übermitteln. (2) Hat der Versicherungsnehmer die Versicherung in seinem Gewerbebetrieb genommen, tritt, wenn er seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort hat, der Ort der Niederlassung an die Stelle des Wohnsitzes.

Schrifttum Abel/Winkens Gerichtsstand für im Jahr 2008 erhobene Klagen aus Vers-Altverträgen, RuS 2009 102; Faust Rechtzeitigkeit der Leistung bei Geldschulden, JuS 2009 81; Frels Zur Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung, VersR 1971 591; Gal Erstprämienzahlungsverzug und Einlösungsklausel, VersR 2021 414; Goll/Gilbert Handbuch der Lebensversicherung, 4. Aufl. (1967); Gsell Rechtzeitigkeit der Zahlung per Banküberweisung und Verzugsrichtlinie, GPR 2008 165; Herresthal Die Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung bei der Erfüllung von Geldschulden, ZGS 2007 48; Hilbig Anmerkung zu EuGH Urteil vom 3.4.2008 – C-306, JZ 2008 992; Jäger Anm. zum Urteil des EuGH v. 3.4.2008 – C306/06, MittBayNot 2008 469; Kaiser Rechtzeitigkeit der Zahlung bei Banküberweisung – Konsequenzen der aktuellen EuGH-Rechtsprechung, BC 2008 257; Kalka Zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beitragszahlung, VersR 1967 14; Klimke Die Bedeutung der Zahlungsverzugsrichtline 2000/35/EG für die Prämienschuld des Versicherungsnehmers, VersR 2010 1259; Knöpper Rechtzeitigkeit der Leistung bei Geldschulden? – Prämienzahlung, NJW-Spezial 2009 105; Lang Prämienverzug, Voraussetzungen und Rechtsfolgen in der Rechtsprechung des BGH, VersR 1987 1157; Marlow/Spuhl Das Neue VVG kompakt, 4. Aufl. (2010); Musielak/Voit Kommentar zur Zivilprozessordnung ZPO, 18. Aufl. (2021); Riedler Der Prämienzahlungsverzug bei Erst- und Folgeprämie (1990); ders. Aktuelle Probleme des Prämienzahlungsverzugs im Privatversicherungsrecht, VersRdsch 1993 332; Staub HGB, Großkommentar, 4. Aufl. (1983 ff.) Staudinger Zahlungsverzug bei Banküberweisung, DNotZ 2009 196; von Westphalen Verspätete Überweisung – Einige Bemerkungen zur neuen Rechtslage, BB 2000 15; Wittwer/Meusburger Geldschulden sind Bringschulden! ELR 2008 344; vgl. im Übrigen Schrifttum bei § 33.

Übersicht 1

1.

A.

Funktion und Bedeutung

I.

Entstehungsgeschichte und Entwicklung

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Die tatbestandlichen Regelungen im Einzel6 nen

I. 1. 2.

Grundsätzliches 6 Leistungsort 8 Erfolgsort

II.

Traditionelle Einordnung der Prämienschuld als 10 „qualifizierte Schickschuld“

III.

Auswirkungen der Entscheidung des EuGH vom 13 3.4.2008

1

2

4

6

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522624-019

3.

Meinungsstand zur Prämienzahlungs15 pflicht Versicherungsverträge außerhalb des Anwen16 dungsbereichs der Richtlinie 19 Stellungnahme

IV. 1. 2. 3. 4. 5.

Die Rechtzeitigkeit der Leistung 30 Barzahlung 31 Aufrechnung 34 Überweisung 41 Lastschriftverfahren 45 Scheck/Wechsel

28

V.

Erfüllungswirkung der Zahlung

48

VI.

Abweichende Vereinbarungen

2.

49

458

A. Funktion und Bedeutung

VVG § 36

A. Funktion und Bedeutung I. Entstehungsgeschichte und Entwicklung § 36 war bereits im VVG von 19081 enthalten2 und wurde im Zuge der Reform des Versiche- 1 rungsrechts 2008 sachlich unverändert übernommen.3 Die traditionelle Einordnung der Verpflichtung zur Zahlung der Prämie als qualifizierte Schickschuld4 ist angesichts einer Entscheidung des EuGH5 aus dem Jahre 2008 in die Diskussion geraten und wird im Lichte dieser Judikatur mittlerweile teilweise anders gesehen: So wird die Prämienschuld (nur) im Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie6 als Bringschuld eingeordnet;7 nach noch weitergehender Aufassung wird die Prämienschuld insgesamt – also auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Zahlungsverzugsrichtlinie – als (modifizierte) Bringschuld angesehen8 (zu diesen Fragen Rn. 15 ff.)

II. Inhalt und Zweck der Regelung Zweck des § 36 ist eine Anpassung der Regeln über den Leistungsort und die Gefahrtragung im 2 allgemeinen Schuldrecht an die Besonderheiten im Prämienrecht des VVG.9 § 36 modifiziert dabei das Normsystem der §§ 269, 270 BGB nur punktuell.10 Während § 270 Abs. 4 i.V.m. § 269 Abs. 1, 2 BGB vorsieht, dass der Schuldner im Zweifel an dem Ort zu leisten hat, an welchem er zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hat, oder falls die Verbindlichkeit im Gewerbebetrieb des Schuldners entstanden ist, der Ort der Niederlassung anstelle des Wohnsitzes maßgeblich ist, weicht § 36 Abs. 1 Satz 1 hiervon im Interesse des VN und unter Beachtung der besonderen Gegebenheiten der Prämienzahlungspflicht ab.11 § 36 Abs. 1 Satz 1 bestimmt den Ort als Leistungsort für die Entrichtung der Prämie, an dem der VN seinen jeweiligen Wohnsitz hat bzw. ist nach § 36 Abs. 2 der Ort Leistungsort, an welchem sich jeweils die gewerbliche Niederlassung des VN befindet.12 Ein weiterer – primär rechtstheoretischer – Unterschied besteht darin, dass es sich bei der allgemeinen Gefahrtragungsregel gem. § 270 Abs. 1 („im Zweifel“) um eine gesetzliche

1 2 3 4

Gesetz über den Versicherungsvertrag v. 30.5.1908, RGBl. 263. Vgl. auch Motive S. 107. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 71. Aus früherer Zeit BGH 20.11.1970 – IV ZR 58/69, VersR 1971 216 (juris Rn. 7); Berliner/Kommentar/Riedler § 36 Rn. 8; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 7. 5 EuGH 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008 1935. 6 RL 2000/35/EG v. 29.6.2000, ABl. EG 2000 Nr. 200 S. 35; neugefasst durch die Zahlungsrichtlinie II, RL 2011/7/EU v. 16.2011, ABl. Nr. L 48 v. 23.2.2011. 7 Armbrüster2 Rn. 1611; Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 4 ff.; Wandt6 Rn. 534; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 36 Rn. 7 f.; ders. VersR 2010 1259, 1265; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 36 Rn. 2; Staudinger/Halbach/Wendt/ Thessinga2 § 37 Rn. 21; wohl auch Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 10; offen gelassen Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 36 Rn. 2. 8 So etwa Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 4 ff.; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 36 Rn. 3; Knöpper NJW-Spezial 2009 105 f.; im Einzelnen str. dazu Rn. 16 ff. 9 Vgl. Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 2. 10 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 36 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 36 Rn. 1; Looschelders/ Pohlmann/Stagl/Brand3 § 36 Rn. 1; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 1; Prölss/Martin/Reiff31 § 35 Rn. 1. 11 Motive S. 107; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 36 Rn. 1. 12 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 1. 459

Beckmann

§ 36 VVG

Leistungsort

Auslegungsregel handelt,13 während § 36 Abs. 1 Satz 1 diese für eine Auslegungsregel typische Formulierung nicht enthält. Entsprechendes gilt für den Leistungsort, wenn man die allgemeine Regelung gem. § 270 Abs. 4 i.V.m. § 269 Abs. 1 BGB als gesetzliche Auslegungsregel ansieht;14 eine solche dogmatische Einordnung lässt sich angesichts des Wortlauts des § 36 Abs. 1 Satz 1 („Leistungsort der Zahlung der Prämie ist …“) nicht annehmen. 3 Nach § 36 richtete sich nach früherem Recht vor der VVG-Reform 2008 zudem der Gerichtsstand des Erfüllungsortes i.S.d. § 29 Abs. 1 ZPO.15 Gesetzlicher Erfüllungsort ist nach § 29 Abs. 1 ZPO der Ort, an dem nach den gesetzlich bestehenden und von den Vertragsparteien nicht abbedungenen Vorschriften die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist, demnach also der Leistungsort.16 Folglich war für Prämienklagen des VR sowie für Feststellungsklagen des VR oder VN hinsichtlich der Prämienzahlungspflicht der zum Zeitpunkt der Klageeinreichung zutreffende Wohnsitz bzw. die gewerbliche Niederlassung des VN entscheidend.17 Die mit der VVG-Reform 2008 eingeführte Regelung des § 215 Abs. 1 Satz 2 enthält aber für Klagen gegen den VN einen ausschließlichen Gerichtsstand,18 so dass ein Rückgriff auf die Gerichtsstände der ZPO nicht mehr möglich ist.19

III. Anwendungsbereich 4 Zwar spricht der Gesetzeswortlaut nur von der „Zahlung der Prämie“; nichtsdestotrotz werden vom Anwendungsbereich des § 36 auch sonstige Geldleistungen des VN, z.B. echte Nebengebühren (vgl. § 33 Rn. 29 f.) erfasst.20 § 36 gilt sowohl für Erst- als auch für Folgeprämien.21 § 270 Abs. 3 BGB findet auf das Versicherungsverhältnis Anwendung.22 Damit hat der VR 5 die Mehrkosten zu tragen, die durch Änderung seiner gewerblichen Niederlassung entstanden sind.23 Zudem trägt der VR gem. § 270 Abs. 3 die Verlustgefahr bzgl. der Prämie, wenn sich diese infolge einer nach Abschluss des Versicherungsvertrages eintretenden Änderung seiner gewerblichen Niederlassung erhöht.24

13 BGH 14.7.1958 – VII ZR 99/57, BGHZ 28 123, 127 = NJW 1958 1681, 1682 (juris Rn. 64); BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 1; NK-BGB/Schwab4 § 220 Rn. 1. 14 Zu § 269 Abs. 1 BGB, auf den § 270 Abs. 4 BGB im Hinblick auf den Leistungsort verweist BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 269 Rn. 1; NK-BGB/Schwab4 § 269 Rn. 1. 15 Prölss/Martin/Knappmann27 § 36 Rn. 1; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 6; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 17. 16 MüKoZPO/Patzina6 § 29 Rn. 19; Musielak/Voit/Heinrich18 ZPO § 29 Rn. 14. 17 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 1; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 6; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 17. 18 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 28; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 215 Rn. 8; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 215 Rn. 2. 19 Langheid/Wandt/Looschelders2 § 215 Rn. 2; ders. zum persönlichen Anwendungsbereich des § 215 Rn. 6 ff. Zur umstrittenen Frage des zeitlichen Geltungsbereichs von § 215, insbesondere ob die Übergangsvorschrift des Art. 1 EGVVG auch § 215 erfasst vgl. inzwischen BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15, BGHZ 214 160, 164 ff. = VersR 2017 779, 780 f. Rn. 17 ff.; Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. A Rn. 84 f.; Prölss/Martin/Klimke31 § 215 Rn. 2; BeckOK-VVG/Staudinger/Ruks (Stand: 9.8.2021) § 215 Rn. 19; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 215 Rn. 16. 20 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 3; Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 2; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 3; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 2. 21 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 3; Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 2; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 2. 22 Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 10 unter Bezugnahme auf die Motive S. 107; a.A. Prölss/Martin/Knappmann27 § 36 Rn. 1; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Rn. 5. 23 MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 26. 24 MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 15; BeckOK-BGB/Lorenz (Stand: 1.8.2021) § 270 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 36 Rn. 1. Beckmann

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B. Die tatbestandlichen Regelungen im Einzelnen

VVG § 36

B. Die tatbestandlichen Regelungen im Einzelnen I. Grundsätzliches 1. Leistungsort Ausweislich der amtlichen Überschrift regelt § 36 den Leistungsort. Der Begriff des Leistungsor- 6 tes meint den Ort, an dem die Leistungshandlung, jedenfalls der letzte Handlungsabschnitt, der auch den Leistungserfolg herbeiführt, vorzunehmen ist.25 Im Rahmen des § 36 ist demnach unter Leistungsort der Ort zu verstehen, an dem der VN die für die Entrichtung der Prämie erforderliche Leistungshandlung zu vollziehen hat (daher auch die vorzufindende Bezeichnung als Vollzugsort).26 Davon zu unterscheiden ist der Erfolgsort, also der Ort, an dem der Leistungserfolg eintritt27 (sogleich Rn. 8). Leistungsort i.S.d. § 36 Abs. 1 ist der jeweilige Wohnsitz des VN zur Zeit der Fälligkeit28 der 7 Prämienzahlungspflicht, nicht jedoch der Wohnsitz des VN zur Zeit der Antragstellung.29 Hat der VN den Versicherungsvertrag im Zusammenhang mit seinem Gewerbebetrieb geschlossen, tritt nach § 36 Abs. 2 an die Stelle des Wohnsitzes der Sitz der Niederlassung. Dabei ist zu beachten, dass für die Anwendbarkeit des § 36 Abs. 2 entgegen dem Gesetzeswortlaut („… in seinem Gewerbebetrieb genommen, …“) nicht die Örtlichkeit des Vertragsschlusses entscheidend ist; maßgeblich ist vielmehr der innere Zusammenhang des Versicherungsvertrages mit dem Gewerbebetrieb des VN.30 Insofern gilt die Vermutung aus § 344 Abs. 1 HGB, wonach die von einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte im Zweifel als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig gelten.31

2. Erfolgsort Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 hat der VN die Prämie – auf seine Gefahr und seine Kosten – dem VR zu 8 übermitteln. Der Leistungserfolg soll also beim VR eintreten,32 weshalb vom Erfolgsort gesprochen wird (auch als Erfüllungsort33 bezeichnet). Erfolgsort ist also der Ort, an welchen der VN die Prämienzahlung zu übermitteln hat und an welchem diese auch tatsächlich ankommen muss, damit der VN seiner Zahlungsverpflichtung wirksam nachgekommen ist.34 Leistungs- und Erfolgsort fallen nach diesem Verständnis auseinander.35 Wechselt der VR den Ort seiner Niederlassung, ändert sich demzufolge auch der Erfolgsort 9 der Prämienleistung. In diesem Zusammenhang treffen den VR ggf. die Mehrkosten der Übermittlung gem. § 270 Abs. 3 BGB.36 Hat der VR einen Zweitsitz angemeldet, kann der VN dem VR 25 MüKoBGB/Krüger8 § 269 Rn. 2; BeckOK-BGB/Lorenz (Stand: 1.8.2021) § 269 Rn. 2; Palandt/Grüneberg80 § 269 Rn. 1. 26 BeckOK-BGB/Lorenz (Stand: 1.8.2021) § 269 Rn. 2; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 4. Nach der Anpassung an das ABGB spricht das ÖVVG nunmehr von „Erfüllungsort“, meint indes das Gleiche, Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 36 ÖVVG Rn. 1, 7. 27 Palandt/Grüneberg80 § 269 Rn. 1; MüKoBGB/Krüger8 § 269 Rn. 2. 28 Zur Fälligkeit vgl. § 33 Rn. 50 ff. sowie Deutsch/Iversen7 Rn. 190 ff.; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 398 ff.; Meixner/ Steinbeck2 § 6 Rn. 6 ff. 29 So im Hinblick auf das Antragsmodell; vgl. hierzu RegE BTDrucks. 16/3945 S. 48; Langheid/Wandt/Looschelders2 § 1 Rn. 138; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 32. 30 Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 4. 31 Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 4. 32 Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 5. 33 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 37; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 7. 34 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 37; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 4; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 5; MüKoBGB/Krüger8 § 269 Rn. 2. 35 BGH 20.11.1970 – IV ZR 58/69, VersR 1971 216, 217 (juris Rn. 7); Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 37; Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 3; Schauer 215; Deutsch/Iversen7 Rn. 198; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 4. 36 Vgl. bereits Rn. 5. 461

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§ 36 VVG

Leistungsort

die Prämie an jeden der beiden Sitze übermitteln. Gleiches gilt für den Fall, dass der VR eine Zweigniederlassung, einen Versicherungsvertreter oder eine sonstige Stelle als Zahlstelle angegeben hat; auch dorthin kann der VN die Prämienzahlung übermitteln.37

II. Traditionelle Einordnung der Prämienschuld als „qualifizierte Schickschuld“ 10 Gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 ist der Leistungsort für die Prämienzahlung der Wohnsitz des VN bzw. gem. Abs. 2 der Ort der Niederlassung des VN; dazu oben Rn. 7. Gem. § 36 Abs. 1 Satz 2 hat der VN die Prämie jedoch auf seine Gefahr und seine Kosten dem VR zu übermitteln; damit trägt der VN die Verlustgefahr der von ihm auf den Weg gebrachten Prämie.38 Insofern entspricht § 36 Abs. 1 Satz 2 der Regelung des § 270 Abs. 1 BGB. Die Pflicht zur Prämienzahlung ist demnach nach der bislang überwiegend vertretenen Ansicht als Geldschuld eine Schickschuld mit der Besonderheit, dass der VN das Verlustrisiko (Übermittlungsrisiko) trägt. Aufgrund dieser Besonderheit handelt es sich bei der Prämienzahlungspflicht – wie auch allgemein der Geldschuld – nach traditioneller Einordnung nicht um eine „einfache“, sondern um eine qualifizierte Schickschuld.39 Leistungsort ist also der Wohnsitz bzw. der Ort der gewerblichen Niederlassung des VN; Erfolgsort ist der Sitz des VR.40 Geht die auf den Weg gebrachte Prämie verloren, tritt keine Erfüllung ein, da der VN die Verlustgefahr trägt;41 der VN muss in diesem Fall noch einmal zahlen.42 11 Hingegen trägt der VR nach bisherigem Verständnis die Verzögerungsgefahr, d.h. die Gefahr des verspäteten Eingangs des Geldes trotz rechtzeitiger Leistungshandlung des VN.43 12 Der VN hat seine Leistungshandlung erbracht, wenn er die Übermittlung veranlasst hat, vorausgesetzt, dass der geschuldete Betrag später beim Gläubiger tatsächlich eingeht oder seinem Konto gutgeschrieben wird; denn erst dann ist der Schuldner – wie gezeigt – befreit.44 Der Schuldner (und seine etwaigen Erfüllungsgehilfen) müssen also rechtzeitig alles getan haben, was seinerseits am Leistungsort – seinem Wohnsitz oder Niederlassungsort – erforderlich ist, um den Gläubiger zu befriedigen.45 Für die Rechtzeitigkeit der Leistung kommt es auf den Zeitpunkt der Leistungshandlung, nicht auf den des Leistungserfolges an;46 nach traditioneller Sicht ist für die Rechtzeitigkeit der Leistung des Schuldners also z.B. nicht auf den Eingang der Gutschrift auf dem Konto des VR abzustellen.47 Zur Rechtzeitigkeit der einzelnen Leistungshandlungen des VN je nach Zahlungsmethode siehe noch Rn. 28 ff. Die mit der Übermittlung im Übrigen betrauten Stellen, wie etwa Post oder Bank, sind demnach dabei bislang keine 37 Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 5. 38 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 37. 39 BGH 20.11.1970 – IV ZR 58/69, VersR 1971 216, 217 (juris Rn. 7); Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 37; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 36 Rn. 2; Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 3; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 36 Rn. 2; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 7; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 8; Frels VersR 1971 591; und allgemein zur Geldschuld Palandt/Grüneberg80 § 270 Rn. 1; MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 1. 40 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 3. 41 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 36 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 36 Rn. 1 (Übermittlungsgefahr); Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 37. 42 BGH 5.12.1963 – II ZR 219/62, VersR 1964 129 (juris Rn. 8); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 36 Rn. 1; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 37; Schauer 215; Deutsch/Iversen7 Rn. 198; Präve Lebensversicherung, Teil 2 § 10 Rn. 12; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 5. 43 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 36 Rn. 1; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 36 Rn. 3; Schauer 215; Frels VersR 1971 591; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 7; allgemein zur Geldschuld BGH 5.10.2016 – VIII ZR 222/15, BGHZ 212 140, 146 f. = NJW 2017 1596, 1597 m.w.N. Rn. 23; Palandt/ Grüneberg80 § 270 Rn. 6; BeckOK-BGB/Lorenz (Stand: 1.8.2021) § 270 Rn. 15; MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 16. 44 BGH 5.12.1963 – II ZR 219/62, VersR 1964 129 (juris Rn. 8). 45 BGH 5.10.2016 – VIII ZR 222/15, BGHZ 212 140, 146 f. = NJW 2017 1596, 1597 m.w.N. Rn. 23; BGH 5.12.1963 – II ZR 219/62, VersR 1964 129 (juris Rn. 8); Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 3; Schimikowski6 Rn. 157. 46 BGH 7.10.1965 – II ZR 120/63, BGHZ 44 178, 179 = NJW 1964 46, 47 (juris Rn. 7). 47 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 33 Rn. 13; Schimikowski6 Rn. 157. Beckmann

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B. Die tatbestandlichen Regelungen im Einzelnen

VVG § 36

Erfüllungsgehilfen des VN, da sie nicht in dessen Pflichtenkreis tätig wurden.48 Für die zur Absendung der Prämie eingesetzten Erfüllungsgehilfen haftet der VN indes nach § 278 BGB.49

III. Auswirkungen der Entscheidung des EuGH vom 3.4.2008 Indes hat sich bereits vor einigen Jahren die Frage nach der Vereinbarkeit dieser bisher ganz 13 herrschenden verbreiteten Ansicht mit den Vorgaben des EU-Rechts gestellt. Der EuGH hat am 3.4.2008 entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 lit. c Ziff. ii der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.6.2000 zur Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Geschäftsverkehr50 „dahin auszulegen ist, dass bei einer Zahlung durch Banküberweisung der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers rechtzeitig gutgeschrieben sein muss, wenn das Entstehen von Verzugszinsen vermieden oder beendet werden soll“.51 Nach der bisherigen Auslegung der §§ 269, 270 BGB kommt es für die Rechtzeitigkeit der 14 Zahlung darauf an, ob der Schuldner an seinem Wohnsitz (Leistungsort) alles getan hat, was erforderlich war, um den Gläubiger zu befriedigen,52 vorausgesetzt, dass der geschuldete Betrag später beim Gläubiger tatsächlich eingeht (vgl. bereits oben Rn. 12). Es ist insbesondere unmaßgeblich, wann die Gutschrift auf dem Konto des Empfängers erfolgt ist.53 Die Übermittlung des Geldes gehört deshalb nicht mehr zur Leistung des Schuldners.54 Das Risiko einer durch die Bearbeitung bei den zwischengeschalteten Banken entstehenden Verspätung trägt nach traditionellem Verständnis demzufolge der Gläubiger, da die Banken nicht mehr im Pflichtenkreis des Schuldners tätig wurden und deshalb nicht als Erfüllungsgehilfen i.S.d. § 278 BGB einzuordnen sind.55 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, die alle mitgliedstaatlichen Gerichte trifft,56 könnte indes dazu führen, für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit auf die Gutschrift des überwiesenen Betrages auf dem Konto des Gläubigers abzustellen. Eine solche Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung würde dabei nicht nur die Zahlung von Verzugszinsen erfassen; vielmehr muss die Rechtzeitigkeit der Leistung bei allen Verzugsfolgen einheitlich beurteilt werden.57 Vor diesem Hintergrund haben sich nach der Entscheidung des EuGH Stimmen gemehrt, die davon ausgehen, dass an der bisherigen Einordnung der Geldschuld als „qualifizierte Schickschuld“ und der bislang vertretenen Auslegung des § 270 BGB nicht mehr festgehalten werden könne und die Geldschuld europarechtskonform als Bringschuld einzuordnen sei.58 Eine mögliche Einordnung der Geldschuld i.S.d. § 270 BGB als Bringschuld betrifft nicht nur Schuldverhältnisse des BGB, sondern auch das Versicherungsvertragsrecht, da Rechtsprechung und Literatur bisher von einem Gleichklang des § 270 BGB und des § 36 sowie einer einheitli48 Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 7; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 6. 49 Deutsch/Iversen7 Rn. 198; Bruck/Möller/Möller8 § 36 Anm. 7. 50 Zahlungsverzugsrichtlinie, ABl. EG L 200 v. 8.8.2000 S. 35. Diese Richtlinie wurde mittlerweile neugefasst durch die RL 2011/7/EU v. 16.2.2011, ABl. L 48 v. 23.2.2011 S. 1. Der betroffene Art. 3 Abs. 1 lit. c Ziff. ii der Richtlinie 2000/ 35/EG findet sich entsprechend in der neugefassten RL 2011/7/EU in Art. Art. 3 Abs. 1 lit. b) und Art. 4 Abs. 1 lit. b). 51 EuGH 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008 1935, 1936 Rn. 32. 52 BGH 20.11.1970 – IV ZR 58/69, VersR 1971 216, 217 (juris Rn. 7); OLG Düsseldorf 10.9.1984 – 17 W 67/84, DB 1984 2686; OLG Karlsruhe 2.10.1997 – 12 U 64/97, NJW-RR 1998 1483, 1484 (juris Rn. 41); LG Darmstadt 4.3.1984 – 8 O 718/83, ZfS 1984 205; Riedler VersRdsch 1993 334. 53 OLG Karlsruhe 2.10.1997 – 12 U 64/97, NJW-RR 1998 1483, 1484 (juris Rn. 41); OLG Düsseldorf 10.9.1984 – 17 W 67/84, DB 1984 2686; OLG Nürnberg 25.3.1999 – 8 U 4317/98, NJW-RR 2000 800 (juris Rn. 13). 54 BGH 5.12.1963 – II ZR 219/62, VersR 1964 129 (juris Rn. 8). 55 Jäger MittBayNot 2008 469 m.w.N; vgl. auch oben Rn. 12. 56 Staudinger DNotZ 2009 196. 57 Vgl. noch Palandt/Grüneberg75 § 270 Rn. 6. 58 Für das allgemeine Schuldrecht Jauernig/Stadler18 § 270 Rn. 7; Palandt/Grüneberg80 § 270 Rn. 1, 5 f.; Staudinger/ Bittner/Kolbe (2019) § 270 Rn. 35 ff.; Kaiser BC 2008 257, 259 f.; wohl auch Staudinger DNotZ 2009 196, 206 ff.; Gsell GPR 2008 165, 169 ff.; Hilbig JZ 2008 991, 992; für das VVG Knöpper NJW-Spezial 2009 105. 463

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§ 36 VVG

Leistungsort

chen Einordnung von Geldschulden i.S.d. § 270 BGB und Prämienzahlungspflichten i.S.d. § 36 ausgehen.59

1. Meinungsstand zur Prämienzahlungspflicht 15 Die wohl h.M. differenziert im Hinblick auf die Einordnung der versicherungsvertraglichen Prämienzahlungspflicht danach, ob entsprechende Versicherungsverträge vom Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie erfasst werden oder nicht.60 So wird – vom Ansatz zu Recht – argumentiert, dass die Zahlungsverzugsrichtlinie gem. Art. 1 Abs. 2 RL 2011/7/EU (ebenfalls schon Art. 1 RL 2000/35/EG) auf alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden ist. Art. 2 Nr. 1 RL 2011/7/EU (ebenfalls schon Art. 2 Nr. 1 RL 2000/35/ EG) versteht unter dem Begriff „Geschäftsverkehr“ Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen. Damit ist bei Versicherungsverträgen mit Unternehmern auf Versicherungsnehmerseite die Zahlungsverzugsrichtlinie anzuwenden und die Entscheidung des EuGH v. 3.4.200861 zu berücksichtigen. Hieraus schließt die ganz h.M., dass im Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie in richtlinienkonformer Auslegung von einer Bringschuld des VN auszugehen sei;62 abweichend von der traditionellen Sichtweise trägt unter dieser Prämisse der unternehmerisch tätige VN – neben der Verlustgefahr – auch die Verzögerungsgefahr. Für die Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung i.S.d. §§ 37, 38 kommt es nach dieser Auffassung grundsätzlich nicht auf die Erteilung des Zahlungsauftrags, sondern auf den Eingang der Prämie beim VR an.63 Indes ist noch zu zeigen, dass es verfehlt ist, aus der Anwendbarkeit der Zahlungsverzugsrichtlinie eine Bringschuld zu schlussfolgern (dazu Rn. 21).

2. Versicherungsverträge außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 16 Unterschiedlich wird die Frage beantwortet, ob sich aus der Rechtsprechung des EuGH auch eine Bringschuld außerhalb des Anwendungsbereichs der Zahlungsverzugsrichtlinie, mithin auch für Verbraucher ergeben kann. Eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch außerhalb des persönlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie ergibt sich nicht auf der Grundlage des Europarechts. Aus Erwägungsgrund 8 ergibt sich, dass der Anwendungsbereich dieser Richtlinie auf die als Entgelt für Handelsgeschäfte geleisteten Zahlungen beschränkt sein soll; die Richtlinie soll Geschäfte mit Verbrauchern nicht erfassen.64 Gleichwohl wird auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Zahlungsverzugsrichtlinie 17 infolge der Entscheidung des EuGH vom 3.4.200865 die Geldschuld als Bringschuld eingeord-

59 Vgl. Knöpper NJW-Spezial 2009 105; bereits oben Rn. 10. 60 Vgl. etwa Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 5 f.; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 36 Rn. 7 f.; ders. VersR 2010 1259, 1265. 61 EuGH 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008 1935, 1936 (Rn. 32). 62 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 5; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 36 Rn. 8; ders. VersR 2010 1259, 1265; Armbrüster2 Rn. 1635; Schimikowski6 Rn. 157; Wandt6 Rn. 534; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 36 Rn. 2 (keine qualifizierte Schickschuld); wohl auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 36 Rn. 2; noch weitergehender auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Zahlungsverzugsrichtlinie: Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 4 ff.; (dazu hier noch Rn. 17); Gal VersR 2021 414, 418. 63 Klimke VersR 2010 1259, 1265. 64 Erwägungsgrund 8 der RL 2011/7/EU; vgl. bereits Erwägungsgrund 13 der RL 2000/35/EG. 65 EuGH 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008 1935. Beckmann

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B. Die tatbestandlichen Regelungen im Einzelnen

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net.66 Als Gründe für diese Ansicht sind insbesondere die Vermeidung von Wertungswidersprüchen und die eintretende Rechtsklarheit, mithin eine einheitliche Auslegung ins Feld geführt worden;67 es solle eine gespaltene Auslegung vermieden werden (zur Gegenansicht noch Rn. 18). Speziell zur versicherungsvertraglichen Prämienzahlungspflicht lehnt die ganz überwiegende 18 Ansicht indes eine Bringschuld ab. Bei Versicherungsverträgen mit Verbrauchern habe es danach bei der Regelung des § 36 und damit der Qualifikation der Prämienschuld als qualifizierte Schickschuld zu bleiben.68 Unter anderem wird vorgebracht, die Qualifikation als Bringschuld würde die Rechtsposition des Verbrauchers als VN erheblich verschlechtern; zudem sei eine gespaltene Auslegung – wie § 286 Abs. 3 BGB zeige – eine auch im Gesetz vorzufindende Differenzierung.69

3. Stellungnahme Gegen eine richtlinienkonforme Auslegung des § 36 und Einordnung als Bringschuld spricht 19 auch nicht bereits, dass eine solche Auslegung mit dem Wortlaut der §§ 269, 270 BGB oder § 36 unvereinbar wäre und damit die Grenzen einer richtlinienkonformen Auslegung erreicht wären. Auch wäre, wenigstens im allgemeinen Schuldrecht, eine solche Auslegung grundsätzlich mit der Dogmatik des deutschen Schuldrechts vereinbar. Dies zeigt auch eine schon vor der EuGH-Entscheidung vertretene Literaturansicht, die sich bei gleichem Wortlaut der Norm, für eine Einordnung der Geldschuld als Bringschuld ausgesprochen hat.70 Eine Einordnung der Prämienzahlungspflicht als Bringschuld hätte allerdings zur Folge, 20 dass der VN sich das Verschulden sämtlicher eingeschalteter Banken über § 278 BGB zurechnen lassen müsste.71 Bei einer Einordnung der Prämienzahlungspflicht als (modifizierte) Bringschuld wäre Leistungsort der Prämienzahlungspflicht sozusagen das Konto des VR und deshalb wäre auch das Verschulden der Bank des VR, auf deren Auswahl und Tätigkeit der VN keinerlei Einfluss hat, dem VN zuzurechnen. Auch ein Verweis des VN auf Ansprüche wegen eines Fehlverhaltens einer beteiligten Bank erscheint wegen der möglichen Haftungsbegrenzung nach § 675z BGB auf A 12.500, die von den Banken regelmäßig genutzt wird,72 nicht ausreichend. Eine Einordnung der Geldschuld und damit der Prämienzahlungspflicht i.S.d. § 36 als 21 Bringschuld ist durch die EuGH-Entscheidung im Übrigen auch nicht zwingend geboten.73 Vielmehr kann die Geldschuld auch im Lichte der Zahlungsverzugsrichtlinie und der EuGHEntscheidung vom 3.4.2008 insgesamt (also nicht nur außerhalb des Anwendungsbereichs der 66 Allgemein Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) § 270 Rn. 2 ff. 4; Staudinger/Omlor (2020) § 675f Rn. 37; Herresthal ZGS 2008 259, 264 f.; Gsell GPR 2008 165, 169 ff.; OLG Karlsruhe 9.4.2014 – 7 U 177/13, WM 2014 1422, 1424 (juris Rn. 22 f.); speziell für die Prämienzahlungspflicht Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 36 Rn. 3. 67 Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) § 270 Rn. 38; Staudinger DNotZ 2009 196, 205; Gsell GPR 2008 165, 170. 68 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 6 f.; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 36 Rn. 8; ders. VersR 2010 1259, 1264 f.; Armbrüster2 Rn. 1611; Wandt6 Rn. 534; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 36 Rn. 2; Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 37 Rn. 21.; Gal VersR 2021 414, 418 f.; für Österreich Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 36 ÖVVG Rn. 12. 69 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 6 f. 70 Vgl. Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) § 270 Rn. 2 ff.; Gsell GPR 2008 165, 169; Staudinger DNotZ 2009 196, 201; Schön AcP 198 (1998) 401, 442 ff.; vgl. ferner Einsele AcP 199 (1999) 145, 183 ff. 71 Gsell GPR 2008 165, 168; vgl. MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 24, 17; BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 56; vgl. bereits Vorauflage Bruck/Möller/Beckmann9 § 36 Rn. 17; einschränkend Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) § 270 Rn. 38, wonach sich der Empfänger ein vorwerfbares Verhalten seiner Bank (keine unverzügliche Gutschrift des Überweisungsbetrags trotz Eingangs bei der Bank) analog § 278 BGB zurechnen lassen müsse. 72 Vgl. statt vieler Bunte AGB-Banken und Sonderbedingungen5 (2019) SB Üb Rn. 121. 73 Vgl. ebenso MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 17; BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 57; BeckOKBGB/Lorenz (Stand: 1.8.2021) § 270 Rn. 16; so auch Gsell GPR 2008 165, 169, die freilich ohnehin eine Bringschuld befürwortet. 465

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Zahlungsverzugsrichtlinie) weiterhin als modifizierte Schickschuld eingeordnet werden. Gem. Art. 3 Abs. 1 lit. c Ziff. ii der Richtlinie 2000/35/EG ist „der Gläubiger berechtigt, bei Zahlungsverzug Zinsen insoweit geltend zu machen, als er (…) den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat, es sei denn, dass der Schuldner für die Verzögerung nicht verantwortlich ist“74 (Hervorhebung durch Verf.). Dementsprechend heißt es in Rn. 30 des EuGH-Urteils vom 3.4.2008, die Richtlinie schließe „die Zahlung von Verzugszinsen in den Fällen aus, in denen der Zahlungsverzug nicht die Folge des Verhaltens eines Schuldners ist, der den üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen sorgfältig Rechnung getragen hat“ (Hervorhebung durch Verf.). Auch der EuGH stellt also darauf ab, dass der Schuldner nicht für Verzögerungen verantwortlich gemacht werden kann, die ihm nicht zugerechnet werden können.75 Der EuGH will offenbar die Haftung des Schuldners für eine Verzögerung der überweisenden Bank ausschließen.76 Auch unter diesen Prämissen der Richtlinie und EuGH-Rechtsprechung kann die Geldschuld 22 damit als modifizierte Schickschuld verstanden werden. Dies setzt aber voraus, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts möglich ist, nach der es für die Rechtzeitigkeit der Leistung und den Zeitpunkt der Beendigung des Verzuges auf die Gutschrift auf dem Konto des VR ankommt, ohne dass der VN sich das Verhalten der zwischengeschalteten Banken (im deutschen Recht nach § 278 BGB) zurechnen lassen muss.77 Eine solche Auslegung ist im deutschen Recht in richtlinienkonformer Auslegung möglich. Ausgangspunkt dieser Auslegung ist die Leistungshandlung. Die bisherige Auslegung von Leistungsort und Erfolgsort sowie die Einordnung als Schickschuld bleiben bei dieser Auslegung unberührt. Es wird lediglich im Hinblick auf die Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung das auf Seiten des VN „Erforderliche“ so ausgelegt, dass neben der Kostendeckung der Überweisungsauftrag so rechtzeitig bei der Bank eingehen muss, dass den „üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen Rechnung getragen ist“,78 um eine fristgemäße Gutschrift beim Gläubiger zu gewährleisten.79 Ein solcher Ansatz wird im Schrifttum zu Recht zunehmend befürwortet: Aus der Zahlungsverzugsrichtlinie in ihrer Auslegung durch den EuGH ergibt sich danach lediglich, dass der Schuldner die Leistungshandlung an seiner Niederlassung so früh vornimmt, dass diese nach der allgemeinen Lebenserfahrung rechtzeitig an der Niederlassung des Gläubigers eingehen müsste.80 Instruktiv formuliert Krüger, Verzugszinsen schulde der Schuldner nur, wenn er für eine verspätete Gutschrift verantwortlich sei. Und das ist er dann, wenn er nicht den üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen sorgfältig Rechnung getragen hat, nicht aber, „wenn die überweisende Bank geschludert hat“.81 Hinsichtlich der Überweisungsfristen ist die Regelung des Art. 83 Abs. 1 der Zahlungsdienste-Richtlinie (RL 2015/2366/EU)82 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt – umgesetzt in § 675s Abs. 1 BGB83 – zu beachten, wonach der Betrag, der Gegenstand des Zahlungsvorgangs ist, spätestens am Ende des folgenden Geschäftstags dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass der VN bei der Erstprämie, je nach Auslegung des Begriffes „unverzüglich“ in § 33 Abs. 1 weite74 75 76 77 78 79 80 81 82

Heute gererelt in Art. 3 Abs. 1 lit. b) RL 2011/7/EU. MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 17. Faust JuS 2009 81, 82. So der Ansatz von Faust JuS 2009 81, 83, der allerdings zu einem anderen Endergebnis kommt. Ähnlich schon Staub/Canaris Rn. 480, weniger streng in Bezug auf die Erstprämie allerdings Rn. 480a. Jäger MittBayNot 2008 469, 470. BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 57. MüKoBGB/Krüger8 § 270 Rn. 17. Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. L 337 v. 23.12.2015 S. 35. 83 BeckOK-BGB/Schmalenbach (Stand: 1.5.2021) § 675s Rn. 1. Beckmann

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B. Die tatbestandlichen Regelungen im Einzelnen

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ren Schutz genießt. Ferner können außerhalb der Ausführungsfristen von der Bank verursachte Verzögerungen dem VN, der das „seinerseits Erforderliche“ getan hat und in dessen Pflichtenkreis die ausführende Bank deshalb gerade nicht mehr tätig wird, nicht mehr über § 278 BGB zugerechnet werden.84 Eine solche Auslegung des § 270 BGB, auch des § 36 entspricht der Auslegung der Richtlinie durch den EuGH, wonach die Richtlinie die Zahlung von Verzugszinsen in den Fällen ausschließt, in denen der Zahlungsverzug nicht die Folge des Verhaltens eines Schuldners ist, der den üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen sorgfältig Rechnung getragen hat;85 erst recht muss dies für weitere (schwerwiegendere) Folgen gelten. Die Richtlinie zwingt auch nicht dazu, die Prämienzahlungspflicht des VN als Bringschuld einzuordnen, da durch sie lediglich das Solldatum präzisiert und damit der Zeitpunkt, auf den für die Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung abzustellen ist, vorgegeben wird. Eine Neuinterpretation des Leistungsortes ist dagegen nicht erforderlich, weshalb der EuGH-Entscheidung auch bei einer Einordnung der Prämienzahlungspflicht als qualifizierte Schickschuld Rechnung getragen werden kann.86 Auch der BGH hat eine solche Interpretation bestätigt: Die Zahlungsverzugsrichtlinie begründe selbst innerhalb ihres Anwendungsbereichs keine Verzugsfolgen, wenn „der Schuldner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist“ (Art. 3 I Buchst. b Hs. 2 der neugefassten Zahlungsverzugs-RL; ebenso bereits Art. 3 I Buchst. c Unterabs. ii Hs. 2 der Vorgängerrichtlinie). Danach schließt die Richtlinie die von ihr erfassten Verzugsfolgen in den Fällen aus, in denen der Zahlungsverzug nicht die Folge des Verhaltens eines Schuldners ist, der den üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen sorgfältig Rechnung getragen hat (EuGH […] Rn. 30). Vor diesem Hintergrund dürfe der Schuldner auch nach der Zahlungsverzugsrichtlinie in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof nicht für Verzögerungen im Bereich der beteiligten Banken verantwortlich gemacht werden.87 Unabhängig hiervon hat der BGH klargestellt, dass (Miet-)Verträge mit Verbrauchern bereits nicht Gegenstand der Zahlungsverzugsrichtlinie sind. Die Richtlinie, die nach ihrem Art. 1 Abs. 1 der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr dient, um sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu fördern, ist gem. Art. 1 Abs. 2 (lediglich) auf Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden. (Miet-)Verträge mit Verbrauchern unterfallen daher nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie.88 Entsprechendes lässt sich auf Versicherungsverträge mit Verbrauchern übertragen. Wenn auch nach dem dargestellten Ansatz eine richtlinienkonforme Auslegung de lege lata zu Recht angenommen wird, nach der es für die Rechtzeitigkeit der Leistung und den Zeitpunkt der Beendigung des Verzuges auf die Gutschrift auf dem Konto des VR ankommt, ohne dass der VN sich das Verhalten der zwischengeschalteten Banken zurechnen lassen muss, so wäre trotzdem, schon wegen des europarechtlichen Gebots der klaren und transparenten Richtlinienumsetzung und des Verbraucherschutzes, eine Regelung des Problems durch den Gesetzgeber wünschenswert.89

84 Jäger MittBayNot 2008 469, 470. 85 EuGH 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008 1935, 1936 Rn. 30. 86 MüKoBGB/Krüger § 270 Rn. 17; BeckOGK-BGB/Beurskens (Stand: 1.9.2021) § 270 Rn. 57; Jäger MittBayNot 2008 469, 470; vgl. auch BeckOK-BGB/Lorenz (Stand: 1.8.2021) § 270 Rn. 16; Gsell GPR 2008 165, 167, die sich indes gleichwohl ausspricht die Geldschuld als Bringschuld einzuordnen. 87 BGH 5.10.2016 – VIII ZR 222/15, BGHZ 212 140, 149 = NJW 2017 1596, 1598 Rn. 30. 88 BGH 5.10.2016 – VIII ZR 222/15, BGHZ 212 140, 149 ff. = NJW 2017 1596, 1598 f. Rn. 31 ff.; noch offen gelassen BGH 25.11.2015 – IV ZR 169/14, NJW-RR 2016 511, 512 Rn. 14. 89 So auch Faust JuS 2009 81, 83. 467

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Insgesamt lässt sich festhalten: Auch nach der Entscheidung lässt sich die Prämienzahlungspflicht insgesamt weiterhin nach der herkömmlichen Betrachtung als modifizierte Schickschuld einordnen; es sind lediglich die Erfordernisse der Leistungshandlung zu modifizieren90 (vgl. oben Rn. 22). Für Verträge, die nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst werden, wird dies für die Prämienzahlungspflicht ohnehin von der h.A. angenommen (vgl. oben Rn. 18). In Österreich hat diese Frage – zumindest für den unternehmerischen Verkehr – eine Regelung in § 36 Abs. 2 Satz 1 2. Hs. ÖVVG erfahren, der mit (dem allgemeineren) § 907a Abs. 2 Satz 1 ABGB korrespondiert.91

IV. Die Rechtzeitigkeit der Leistung 28 Die Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung durch den VN kann in mehrfacher Hinsicht Bedeutung erlangen. So kommt gem. § 37 Abs. 1 ein Rücktritt vom Vertrag durch den VR in Betracht. Ist die einmalige oder die erste Prämie bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht gezahlt, droht gem. § 37 Abs. 2 Leistungsfreit des VR (zur Frage der Rechtzeitigkeit der Zahlung im Rahmen von § 37 Abs. 2 vgl. dort Rn. 44). Und § 38 regelt die Folgen der nicht rechtzeitigen Zahlung einer Folgeprämie, die zur Leistungsfreiheit des VR gem. § 38 Abs. 2 und/oder zur Kündigung durch den VR gem. § 38 Abs. 3 führen kann. Die Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung durch den VN richtet sich danach, wie man diese Geldschuld rechtlich einordnet, namentlich als modifizierte Schickschuld bzw. Bringschuld (dazu oben Rn. 15 ff.). Wenn man – wie nach hier vertretener Auffassung – die Prämienzahlungspflicht weiterhin als modifizierte Schickschuld einordnet, so ist für die Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung die rechtzeitige Vornahme der Leistungshandlung seitens des VN maßgebend. Nicht entscheidend ist damit die Erfüllung der Prämienzahlungspflicht, die erst dann zu bejahen ist, wenn der VR oder der nach § 69 Abs. 2 empfangsberechtigte Versicherungsvertreter die geschuldete Prämie entweder in bar erhalten hat oder der entsprechende Betrag auf dem Konto des VR gutgeschrieben wurde.92 Geht man hingegen von einer (modifizierten) Bringschuld aus, so kommt es für die Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung auf den Zeitpunkt des Leistungserfolgs an, also darauf, dass der VR den geschuldeten Betrag noch innerhalb der Zahlungsfrist erhalten hat.93 Vielfach wird insbesondere im Hinblick auf die Prämienzahlungspflicht auch differenziert: So sei zwischen Versicherungsverträgen mit Verbrauchern und solchen mit Unternehmern zu unterscheiden, weil nur im ersten Fall eine qualifizierte Schickschuld vorliege, im zweiten hingegen eine Bringschuld.94 Der Nachweis der Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung obliegt dem VN.95 Für die Recht29 zeitigkeit der Prämienzahlung ist nach der jeweiligen vom VN gewählten Zahlungsart zu unterscheiden:

1. Barzahlung 30 Auch wenn die Barzahlung schon seit langem in bestimmten Branchen nicht mehr der Üblichkeit entspricht, so geht die h.M. davon aus, dass Geldschulden grundsätzlich durch Übereig90 Jäger MittBayNot 2008 469, 470. 91 Hierzu Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 36 ÖVVG Rn. 15. 92 BGH 2.2.1972 – VIII ZR 152/70, BGHZ 58 108, 109 f. = WM 1972 309 f. (juris Rn. 3); BGH 5.12.1963 – II ZR 219/62, VersR 1964 129 (juris Rn. 8); OLG München 23.1.1975 – 12 W 524/75, VersR 1975 851, 852; Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 35; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 35; Frels VersR 1971 591. 93 So etwa Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 13. 94 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 8; 95 AG München 22.9.1982 – 28 C 2295/82, ZfS 1983 336; Lang VersR 1987 1158; Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 § 36 Rn. 11. Beckmann

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nung von Bargeld zu erfüllen sind.96 Wählt der VN diesen unüblichen Weg der Barzahlung, so kommt es hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Leistung auf den Zeitpunkt der Übergabe des Geldes an den VR oder einen zuständigen Vertreter an. In diesem Augenblick wird der VN von seiner Prämienzahlungspflicht frei.97 Insoweit kommen die unterschiedlichen Ansichten zur Einordnung der Prämienzahlungspflicht als modifizierte Schickschuld oder als Bringschuld nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen. Anders ist dies hingegen bei einer Bareinzahlung durch den VN bei einer Bank; in diesem Fall lassen sich die Grundsätze zur Überweisung heranziehen (dazu unten Rn. 34 ff.).

2. Aufrechnung Die Parteien können auch Aufrechnungsrechte geltend machen, um Prämienzahlungspflich- 31 ten zu tilgen. Die Erklärung der Aufrechnung wirkt gem. § 389 BGB auf jenen Zeitpunkt zurück, in welchem sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden. Daraus folgt, dass der Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung für die Frage nach der Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung irrelevant ist. Vielmehr ist entscheidend, ob sich die Forderungen im Zeitpunkt der Fälligkeit der Prämie gegenüberstanden.98 Hieraus ergibt sich, dass der VR selbst dann nicht leistungsfrei wird, wenn die erstmalige Aufrechnungslage vor dem Eintritt des Versicherungsfalls lag, der VN seine Prämie also nicht rechtzeitig geleistet hat, später jedoch die Aufrechnung erklärt.99 Besteht eine solche Aufrechnungslage, kann sich der VR nach Treu und Glauben später nicht auf Leistungsfreiheit berufen, § 242 BGB.100 Anders sieht die Rechtslage nur dann aus, wenn die Aufrechnungslage erst nach Eintritt des Versicherungsfalles entsteht. In diesem Fall ändert auch die erklärte Aufrechnung nichts an der Leistungsfreiheit des VR. Die Ansprüche der Parteien können bei Gleichartigkeit der Schuld stets miteinander aufge- 32 rechnet werden, gleich welchem Versicherungsverhältnis sie entsprangen. So kann etwa der Anspruch des VR auf eine Haftpflichtprämie gegen einen Anspruch des VN aus einem Vollkaskoschaden aufgerechnet werden.101 Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass Aufrechnungsverbote zu beachten sind.102 So kann 33 das Mitglied gem. § 181 VAG gegen eine Forderung des VVaG aus der Beitragspflicht nicht aufrechnen. In Betracht kommen auch vertraglich vereinbarte Aufrechnungsverbote; bei solchen in AVB sind die Grenzen von § 309 Nr. 3 und § 307 BGB zu berücksichtigen.

3. Überweisung Auch im Versicherungswesen ist die Tilgung mittels Überweisung gebräuchlich. Die Überwei- 34 sung wird durch eine einseitige Weisung des Bankkunden (Zahlungsdienstnutzers) nach §§ 675c Abs. 1, 665 BGB – im Rahmen des Zahlungsdienstvertrags (§ 675f), in der Praxis zumeist ein Girovertrag – in Gang gesetzt; die einzelne Weisung zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs (insbesondere die Überweisung) wird auch als Zahlungsauftrag bezeichnet, vgl. § 675f Abs. 4

96 BeckOGK-BGB/Looschelders (Stand: 1.9.2021) § 362 Rn. 141. 97 Frels VersR 1971 591. 98 OLG Hamm 30.5.1986 – 20 W 21/86, VersR 1987 354 f.; OLG Hamm 4.2.1966 – 7 U 162/65, VersR 1967 249; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 38; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 9. 99 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 40; Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 16. 100 OLG Hamm 22.11.1995 – 20 U 186/95, VersR 1996 1408 (juris Rn. 8). 101 OLG Koblenz 12.11.1993 – 10 U 297/93, VersR 1995 527; OLG Hamm 22.11.1995 – 20 U 186/95, VersR 1996 1408 (juris Rn. 8). 102 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 17. 469

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Leistungsort

Satz 2 BGB.103 Die Zulässigkeit der Zahlung durch Überweisung richtet sich danach, ob der Gläubiger sich mit dieser Form der Leistung – ggf. konkludent – einverstanden erklärt hat.104 Von einem solchen Einverständnis ist auszugehen, wenn der Gläubiger ein entsprechendes Konto auf Briefbögen, Rechnungen oder sonstigen Geschäftspapieren oder auf sonstige Weise (z.B. im Internet) öffentlich bekanntgemacht hat.105 Bis heute nicht eindeutig geklärt ist, welche Handlungen seitens des VN erforderlich sind, um von seiner Leistungspflicht frei zu werden. Diese Frage hat aufgrund der Diskussion um die erörterte Entscheidung des EuGH v. 3.4.2008106 noch einmal an Brisanz gewonnen (vgl. schon ausführlich zu dieser Frage Rn. 15 ff. in dieser Kommentierung). Nach der vor der Entscheidung des EuGH ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung sollte spätestens in dem Moment der Abbuchung des Prämienbetrages vom Konto des VN die Zahlung erfolgt sein.107 Nach der bis zur Entscheidung des EuGH mehrheitlich vertretenen Literaturauffassung genügte für die rechtzeitige Vornahme der Leistungshandlung, dass der VN seiner Bank den Überweisungsauftrag übermittelt und diese nach dem zugrunde liegenden Girovertrag verpflichtet ist, diesen auszuführen.108 Maßgeblich für dieses Ergebnis waren Überlegungen dahingehend, dass der VN mit Übersendung des Überweisungsauftrages alles seinerseits Mögliche und in seiner Macht Stehende getan hatte, um die Übermittlung der Prämie sicherzustellen, unter der Voraussetzung, dass die Verpflichtung seiner Bank zur Ausführung der Überweisung besteht. Mehr konnte folglich nach vorherrschender Ansicht von ihm nicht verlangt werden. Auf die darauf folgende Abbuchung des Prämienbetrages von seinem Konto hat der VN bereits keinen Einfluss mehr. Ist sein Konto kreditorisch geführt oder wurde ihm ein Überziehungskredit gewährt, kann er regelmäßig davon ausgehen, dass die Bank den Überweisungsauftrag ausführen wird.109 Eine Einstandspflicht für die erforderlichen Handlungen der Bank konnte ihm nach der bis dahin vorherrschend vertretenen Auffassung nicht auferlegt werden. War die Bank jedoch nicht zur Ausführung der Überweisung verpflichtet, weil etwa keine ausreichende Deckung auf dem Konto vorhanden war, konnte der VN auch nicht davon ausgehen, dass er mit Abgabe der Überweisung seiner Zahlungspflicht nachkommen kann. In diesen Fällen lag eine rechtzeitige Vornahme der Leistungshandlung erst mit Abbuchung des Betrages vom Konto des VN vor, wenn die Bank beispielsweise einen Überziehungskredit gewährte, ohne dazu vertraglich verpflichtet gewesen zu sein. Eine Verpflichtung des Zahlungsdienstleisters, eine durch seinen Kunden eingereichte Weisung zur Überweisung durchzuführen, ergibt sich nach heute geltendem Recht aus dem Zahlungsdienstevertrag gem. § 675f BGB;110 fehlt es an den vereinbarten Ausführungsbedingungen, etwa weil Angaben unvollständig sind, oder weil es an einer erforderlichen Deckung fehlt, darf der Zahlungsdienstleister den Auftrag ablehnen.111 Nach hier vertretener Auffassung lässt sich die Geldschuld und damit die Prämienzahlungspflicht insgesamt (und nicht nur, wenn der Schuldner Verbraucher ist) weiterhin als modifizierte Schickschuld ansehen (vgl. oben Rn. 21 sowie zu den Gegenauffassungen Rn. 14, 15, 17 ); abzustellen ist also auf die Leistungshandlung des VN. Im Hinblick auf die Rechtzeitigkeit der Leistungs103 104 105 106 107

BeckOGK-BGB/Looschelders (Stand: 1.9.2021) § 362 Rn. 143. BeckOGK-BGB/Looschelders (Stand: 1.9.2021) § 362 Rn. 151. Vgl. BeckOGK-BGB/Looschelders (Stand: 1.9.2021) § 362 Rn. 152 m.w.N. EuGH 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008 1935. BGH 20.11.1970 – IV ZR 58/69, VersR 1971 216, 217 (juris Rn. 7); OLG Hamm 10.3.1978 – 20 U 240/77, VersR 1978 753, 754; OLG Köln 25.2.1997 – 9 U 30/96, VersR 1998 317 (juris Rn. 7); LG Hamburg 14.9.1984 – 81 O 92/84, RuS 1985 131. 108 Kalka VersR 1967 14, 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 32; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 34; Frels VersR 1971 591, 592. 109 BGH 5.12.1963 – II ZR 219/62, NJW 1964 499 (juris Rn. 11); Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn1 § 12 Rn. 34. 110 BeckOK-BGB/Schmalenbach (Stand: 1.5.2021) § 675f Rn. 65 f. 111 BeckOK-BGB/Schmalenbach (Stand: 1.5.2021) § 675o Rn. 10. Beckmann

470

B. Die tatbestandlichen Regelungen im Einzelnen

VVG § 36

handlung hat der VN das „Erforderliche“ getan, wenn neben der Kostendeckung der Überweisungsauftrag so rechtzeitig bei der Bank eingeht, dass den „üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen Rechnung getragen ist“,112 um eine fristgemäße Gutschrift beim Gläubiger zu gewährleisten113 (vgl. bereits oben Rn. 22). Der Schuldner darf – auch nach der Zahlungsverzugsrichtlinie (RL) in ihrer Auslegung durch den EuGH – nicht für Verzögerungen im Bereich der beteiligten Banken verantwortlich gemacht werden.114 Vor diesem Hintergrund hat der VN seine Leistungshandlung rechtzeitig erbracht, wenn er den Überweisungsauftrag bei seiner Bank so einreicht, dass den „üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen Rechnung getragen ist“, um eine fristgemäße Gutschrift beim Gläubiger zu gewährleisten. Wie schon oben zum Ausdruck gebracht (Rn. 22), ist hinsichtlich der Überweisungsfristen die Regelung des Art. 83 Abs. 1 der Zahlungsdienste-Richtlinie (RL 2015/ 2366/EU)115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt – umgesetzt in § 675s Abs. 1 BGB116 – zu beachten, wonach der Betrag, der Gegenstand des Zahlungsvorgangs ist, spätestens am Ende des folgenden Geschäftstags dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutzuschreiben ist.

4. Lastschriftverfahren Häufigstes Zahlungsmittel im Rahmen von Versicherungsverträgen ist sicherlich das Lastschrift- 41 verfahren. Durch die Vereinbarung der Parteien über die Verwendung dieses Verfahrens ändert sich die Prämienzahlungspflicht von einer qualifizierten Schickschuld oder einer Bringschuld in eine Holschuld nach § 269 Abs. 1 BGB117 (vgl. zur Abdingbarkeit des § 36 noch Rn. 49). Wurde zwischen den Parteien das Lastschriftverfahren vereinbart, so ist dies grundsätzlich bindend. Eine Zahlungsaufforderung an den VN ist insoweit dann nicht mehr statthaft, solange der VR die Prämie von dem Konto des VN abbuchen lassen kann118 (vgl. zur Beendigung des Lastschriftverfahrens auch § 33 Rn. 70). Da es bei diesem Verfahren einzig und allein darauf ankommt, dass der VR die Abbuchung 42 des Prämienbetrages vom Konto des VN veranlasst – durch Einreichung der Lastschrift bei seiner Bank –, genügt es für die Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung, wenn die Parteien die Verwendung des Verfahrens vereinbaren (sog. Lastschriftabrede) und der VN dafür sorgt, dass sein Konto entsprechende Deckung aufweist, so dass der Betrag von seinem Konto abgebucht werden kann. Bezüglich der Abbuchungstermine besteht seitens des VR eine Hinweispflicht, wann bzw. in welchem Zeitraum der entsprechende Betrag abgebucht wird.119 Nur so kann der VN seiner Pflicht, für ausreichende Deckung zu sorgen, auch nachkommen.120 Da sich bei Vereinbarung eines Lastschriftverfahrens die Prämienzahlungspflicht des VN in 43 eine Holschuld umwandelt, gehen Verzögerungen im Zahlungsverkehr zu Lasten des VR, da es 112 113 114 115

Ähnlich schon Staub/Canaris Rn. 480, weniger streng in Bezug auf die Erstprämie allerdings Rn. 480a. Jäger MittBayNot 2008 467, 470. BGH 5.10.2016 – VIII ZR 222/15, BGHZ 212 140, 149 = NJW 2017 1596, 1598 Rn. 30. Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. L 337 v. 23.12.2015 S. 35. 116 BeckOK-BGB/Schmalenbach (Stand: 1.5.2021) § 675s Rn. 1. 117 BGH 19.10.1977 – IV ZR 149/76, BGHZ 69 361, 367 (juris Rn. 19); BGH 30.1.1985 – IV a ZR 91/83, VersR 1985 447, 448 (juris Rn. 9); Lang VersR 1987 1137, 1159; Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 36 Rn. 6; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 15. 118 OLG Köln 9.5.2000 – 9 U 127/99, VersR 2000 1266, 1267 (juris Rn. 29). 119 Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 36 Rn. 6. 120 BGH 30.1.1985 – IVa ZR 91/83, VersR 1985 447, 448 (juris Rn. 11); Lang VersR 1987 1158, 1159; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 33 Rn. 8. 471

Beckmann

§ 36 VVG

Leistungsort

Aufgabe des VR ist, dafür Sorge zu tragen, dass der Betrag rechtzeitig abgebucht wird. Reicht er die Lastschrift daher zu spät ein oder führt eine Bank die Lastschrift nicht rechtzeitig aus, geht dies ausschließlich zu Lasten des VR. Das bedeutet, dass bei einem entstandenen Versicherungsfall und noch ausstehender Zahlung der VR weiterhin haftet, wenn die Abbuchung nicht rechzeitig erfolgt ist. Gleiches gilt, wenn der VN von seinem – nur im Einzugsermächtigungsverfahren gegebenen – Widerspruchsrecht Gebrauch macht, weil der VR einen unzutreffenden bzw. zu hohen Prämienbetrag abbuchen lässt. Ein Widerspruch ist, in den Grenzen der Neuregelung des § 675p Abs. 2 Satz 2 BGB, insbesondere zulässig, sofern der VR ohne vorherige Angaben bzgl. der Zusammensetzung der Summe einfach den entsprechenden Betrag abbuchen lässt.121 Der VR muss daher zuvor detaillierte Angaben zur ausstehenden Verbindlichkeit machen. Andernfalls hat der VN die Nichtzahlung auch nicht zu vertreten, § 37 Abs. 2 Satz 1. 44 In der Vergangenheit aufgetretene Mängel haben grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Pflicht des VR, auch weiterhin den Versuch zu unternehmen, den Betrag vom Konto des VN abbuchen zu lassen.122 Vielmehr muss er durch vertragliche Vereinbarung auf eine andere Zahlungsweise hinwirken. Eine solche Wertung ergibt sich nicht zuletzt aus § 33 Abs. 2, wonach der VR einer Selbstbindung unterliegt, wenn er bisher die Prämie mittels Lastschrift eingezogen hat. Es genügt insoweit schon, wenn die zeitlich letzte Prämie mittels Lastschrift eingezogen wurde.123 In diesem Fall ist er gem. § 33 Abs. 2 nur nach vorheriger Anzeige in Textform dazu berechtigt, zu einer anderen Zahlungsmethode überzugehen; zudem bedarf es der Beendigung der Lastschriftvereinbarung nach allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen (vgl. § 33 Rn. 72). Bis dahin kann sich der VN gegen die Aufforderung einer Zahlung auf anderem Wege zulässigerweise weigern.

5. Scheck/Wechsel 45 Bei der Hingabe von Wechseln oder Schecks besteht die Besonderheit, dass sie nur erfüllungshalber zur Tilgung von Verbindlichkeiten akzeptiert werden, sprich, dass der Leistungserfolg erst mit tatsächlicher Auszahlung des Wechsel- oder Scheckbetrages eintritt. Bis zum Eintritt der Erfüllung, also der erfolgreichen Einlösung des Schecks, wird damit der Prämienbetrag gestundet.124 Der Versicherungsschutz bleibt davon unberührt. Problematisch ist das Auseinanderfallen von Leistungshandlung und Leistungserfolg dann, wenn sich der VN in Verzug befindet. In der Annahme eines Schecks durch den VR liegt lediglich eine vorübergehende Aussetzung der Geltendmachung bestehender Rechte durch den VR (pactum de non petendo). Ein Verzicht des VR auf bereits entstandene Rechte ist darin nicht zu sehen.125 46 Für die Frage nach der Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung kommt es jedoch bei der Prämienzahlungspflicht nicht auf den Leistungserfolg an. Nach der hier vertretenen Einordnung der Prämienzahlungspflicht als modifizierte Schickschuld genügt die rechtzeitige Vornahme der Leistungshandlung. Der VN muss also das seinerseits Erforderliche getan haben, um die Verbindlichkeit zu begleichen. Diese erforderliche Handlung ist im Scheck- und Wechselverkehr die rechtzeitige Übergabe eines gedeckten Wechsels oder Schecks.126 Da § 36 Abs. 1 lediglich den Leistungsort bestimmt, ändert sich nichts daran, dass der VN den Scheck oder Wechsel auf seine Kosten und seine Gefahr hin übermitteln muss. Entscheidend für die Rechtzeitigkeit 121 122 123 124 125 126

BGH 30.1.1985 – IV a ZR 91/83, VersR 1985 447, 448. Vgl. BGH 19.10.1977 – IV ZR 149/76, BGHZ 69 361, 368 = VersR 1978 215, 217 (juris Rn. 20). Anders noch nach § 37 a.F. Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 13. Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 15. BGH 7.10.1965 – II ZR 120/63, BGHZ 44 178, 180 = NJW 1966 46, 47 (juris Rn. 7); Gärtner 92; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 28; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 4; Kalka VersR 1967 14, 16; Frels VersR 1971 591, 592. Beckmann

472

B. Die tatbestandlichen Regelungen im Einzelnen

VVG § 36

der Leistungshandlung unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 3.4.2008 und des BGH vom 5.10.2016127 ist daher, dass der VN den Scheck oder Wechsel so rechtzeitig zur Post, einem sonstigen Boten oder einer vom VR zum Empfang berechtigten Person übergibt, dass der VR ihn vor Ablauf der Zahlungsfrist einlösen kann.128 Der VR ist im Regelfall zur Annahme von Schecks und Wechseln verpflichtet, sofern nicht 47 vertraglich ein anderes Zahlungsmittel vereinbart wurde.129 Lediglich in seltenen Ausnahmefällen, wenn etwa wiederholt die Einlösung eines Schecks misslang, kann ein VR die Leistung mittels Scheck oder Wechsel zurückweisen; dies muss der VR dem VN indes unverzüglich mitteilen und den Scheck zurückgeben.130

V. Erfüllungswirkung der Zahlung Die Zahlung durch den VN hat Erfüllungswirkung gem. § 362 BGB erst in dem Zeitpunkt, in dem 48 die Zahlung beim VR eingegangen ist. Insbesondere bei Überweisung ist dies der Fall, wenn die Gutschrift auf dem Konto des VR erfolgt ist. Beim Lastschriftverfahren genügt die Gutschrift durch die Gläubigerbank noch nicht; erforderlich ist des Weiteren die wirksame Belastung des Schuldnerkontos.131 Insgesamt gelten damit für die Frage der Erfüllungswirkungen die allgemeinen Regelungen des bürgerlichen Rechts.

VI. Abweichende Vereinbarungen Da § 36 entsprechend der Aufzählung des § 42 nicht zu den halbzwingenden Vorschriften zu 49 rechnen ist, ist die Norm dispositiv. Die Parteien können daher den Leistungsort frei wählen und folglich auch eine Bringschuld vereinbaren.132 Nicht möglich ist dies, soweit gleichzeitig die Verwendung des Lastschriftverfahrens vereinbart wurde; dadurch wandelt sich eine Schickschuld oder eine Bringschuld in eine Holschuld nach § 269 Abs. 1 BGB um, so dass es alleine am VR liegt, den Betrag einzuziehen. Bei Vereinbarung einer Bringschuld ist für die Rechtzeitigkeit der Zahlung nicht auf die Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung, sondern auf den Zeitpunkt des Leistungserfolges abzustellen.133 Insoweit ist problematisch, ob der VN das Risiko eines Fehlverhaltens der Bank des VR tragen muss. Dies wird größtenteils in der Literatur als unbillig empfunden und die Vereinbarung einer Bringschuld deshalb teilweise unter Bezugnahme auf § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB in AVB als unwirksam erachtet.134 Im Zuge der Rechtsprechung des EuGH vom 3.4.2008135 hat der BGH nunmehr zu Recht klargestellt, dass der Schuldner für Verzögerungen im Bereich der beteiligten Banken nicht verantwortlich gemacht werden darf136 (vgl. oben Rn. 24). Hieraus ist zu schließen, dass die Vereinbarung einer Bringschuld im Rahmen 127 Vgl. Rn. 15 ff. 128 Vgl. Palandt/Grüneberg80 § 270 Rn. 5; a.A. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 20, der indes die Prämienzahlungspflicht als Bringschuld einordnet; vgl. oben Rn. 15. BGH 7.10.1965 – II ZR 120/63, BGHZ 44 178, 179 = NJW 1966 46 f. (juris Rn. 7). BGH 7.10.1965 – II ZR 120/63, BGHZ 44 178, 182 = NJW 1966 46 f. (juris Rn. 11); Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 29. Prölss/Martin/Reiff31 § 33 Rn. 35. BGH 20.11.1970 – IV ZR 58/69, VersR 1971 216, 217 (juris Rn. 10); Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 2; Prölss/ Martin/Reiff31 § 36 Rn. 19; a.A. Gärtner 97. 133 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 36 Rn. 3. 134 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 36 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 36 Rn. 3; BeckOK-VVG/ Klimke (Stand: 9.8.2021) § 36 Rn. 14; Berliner Kommentar/Riedler § 36 Rn. 14; vgl. auch Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C Rn. 330 (dort als bedenklich angesehen). Auch für die österreichische Rechtslage Fenyves/Perner/Riedler/ Riedler8 § 36 ÖVVG Rn. 17. 135 EuGH 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008 1935. 136 BGH 5.10.2016 – VIII ZR 222/15, BGHZ 212 140, 149 = NJW 2017 1596, 1598 Rn. 30.

129 130 131 132

473

Beckmann

§ 36 VVG

Leistungsort

von AVB nicht dazu führen kann, dass der Geldschuldner das Risiko des Fehlverhaltens der Bank des VR tragen muss.137 50 Unabhängig von der Einordnung der Geldschuld als modifizierte Schick- bzw. Bringschuld (dazu oben Rn. 15 ff.) sehen einzelne AVB ohnehin vor, dass die Prämienzahlungspflicht als modifizierte Schickschuld anzusehen ist. Dies gilt z.B. für § 10 Abs. 3 Satz 1 der Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung,138 wo es heißt: „Sie haben den Beitrag rechtzeitig gezahlt, wenn Sie bis zum Fälligkeitstag (Absatz 2) alles getan haben, damit der Beitrag bei uns eingeht.“ Hiermit verbunden ist die Klarstellung einer modifizierten Schickschuld.139

137 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 36 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 36 Rn. 3; wohl auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 36 Rn. 4; offener noch Bruck/Möller/Beckmann9 § 36 Rn. 43. 138 Unverbindliche Musterbedingungen des GDV, abrufbar unter https://www.gdv.de/de/ueber-uns/unsere-services/musterbedingungen-23924 (Abrufdatum: 4.2.2021); abgedruckt bei Prölss/Martin31 unter 450 Kapitalbildende Lebensversicherung § 36 Rn. 2; ebenso etwa § 10 Abs. 3 Satz 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung (ARB); abgedruckt bei Präve Lebensversicherung unter Teil 2. 139 Präve/Rehberg Lebensversicherung, ARB § 10 Rn. 51. Beckmann

474

§ 37 Zahlungsverzug bei Erstprämie (1) Wird die einmalige oder die erste Prämie nicht rechtzeitig gezahlt, ist der Versicherer, solange die Zahlung nicht bewirkt ist, zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten. (2) 1Ist die einmalige oder die erste Prämie bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht gezahlt, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten. 2Der Versicherer ist nur leistungsfrei, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge der Nichtzahlung der Prämie aufmerksam gemacht hat.

Schrifttum Beckmann Das Einlösungsprinzip nach neuem VVG, in: Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2011 (2012) 43 (zit. Beckmann Einlösungsprinzip); Brockmann Sind die gestundeten Raten der Erstprämie Folgeprämien im Sinne von § 39 VVG? VersR 1953 345; Frels Zur Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung, VersR 1971 591; Gal Erstprämienzahlungsverzug und Einlösungsklausel, VersR 2021 414; Gärtner Prämienzahlungsverzug, 2. Aufl. (1977); Ganster Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008) (zit.: Ganster Prämienzahlung); Gitzel Die Beendigung eines Vertrages über vorläufige Deckung bei Prämienzahlungsverzug nach dem Reg-E eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, VersR 2007 322; R. Johannsen Zum Einlösungsprinzip und seinen Abweichungen gemäß dem VVGEntwurf, Festschrift Schirmer (2005) 263; Kalka Zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beitragszahlung, VersR 1967 14; Lang Prämienverzug, Voraussetzungen und Rechtsfolgen in der Rechtsprechung des BGH, VersR 1987 1157; Riedler Der Prämienzahlungsverzug bei Erst- und Folgeprämie (1990); ders. Aktuelle Probleme des Prämienzahlungsverzuges im Privatversicherungsrecht, VersRsch 1993 332; Schulz Zur Begründungspflicht beim Rücktritt vom Versicherungsvertrag, VersR 1968 332; Thiel Der Prämienzahlungsverzug in der D&O-Versicherung, VersR 2018 946; Wandt/ Ganster Zur Harmonisierung von Versicherungsbeginn und Prämienfälligkeit durch AVB im Rahmen des VVG 2008, VersR 2007 1034; vgl. im Übrigen Schrifttum bei § 33.

Übersicht d)

1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III. 1. 2. 3.

5 Anwendungsbereich 9 Begriff der Einmalprämie 10 Begriff der Erstprämie 12 Abgrenzungsprobleme a) Vertragsänderung oder Neuab13 schluss 14 aa) Erweiterung auf neues Risiko bb) Änderung des versicherten Ob17 jekts 18 cc) Wechsel der Vertragsparteien dd) Abänderung der Vertrags19 dauer ee) Rechtsfolgen von Leistungsfreiheit/ Rücktritt/Kündigung auf Neuver20 trag 21 b) Ratenzahlung 23 c) Stundung der Prämie

1

e)

Vorläufige Deckung/Rückwärtsversiche24 rung Wiederherstellung eines bereits beendeten 26 Vertrages

2

475 https://doi.org/10.1515/9783110522624-020

29

B.

Tatbestand

I.

Nicht rechtzeitige Zahlung im Rahmen des § 37 29 Abs. 1 Leistungsanforderung durch den Versiche29 rer Leistungshandlung des Versicherungsneh30 mers Abweichungen bei der Prämienzahlung und de31 ren Auswirkungen 31 a) Qualitative Abweichungen 32 b) Quantitative Abweichungen aa) Teilzahlung des Prämienbetra32 ges bb) Geringfügige Prämienrück33 stände Aufrechnung und Zurückbehaltungs39 recht

1. 2. 3.

4.

Beckmann

§ 37 VVG

Zahlungsverzug bei Erstprämie

5.

Tilgungsbestimmungen

II.

Keine Zahlung der Erstprämie im Rahmen des 43 § 37 Abs. 2

III.

Hinweispflicht des Versicherers, § 37 Abs. 2 46 Satz 2

IV.

Vertretenmüssen § 37 Abs. 1, 2. Hs., Abs. 2 53 Satz 1, 2. Hs.

V. 1.

61 Rechtsfolgen des Zahlungsverzugs Zahlungspflicht des Versicherungsnehmers/Ver61 zugszinsen 62 Rücktrittsrecht des VR § 37 Abs. 1 68 Leistungsfreiheit des VR § 37 Abs. 2 68 a) Nichtzahlung bei Versicherungsfall

2. 3.

41

b)

71 Besonderheiten zu § 37 Abs. 2 aa) Auswirkungen der Zahlungsfrist gem. § 33 Abs. 1 auf eine mögliche Leis71 tungsfreiheit gem. § 37 Abs. 2 bb) Vorläufige Deckung/deckende Stun75 dung/Rückwärtsversicherung cc) Leistungspflicht gegenüber Drit78 ten dd) Erweiterte Einlösungsklau79 seln 80 ee) Verzicht des Versicherers 82 ff) Sicherungsschein

VI.

Dispositivität

83

C.

Prozessuales

85

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Der heutige § 37 lässt sich auf die ursprüngliche Normierung des § 38 a.F. aus dem Jahre 1908 zurückführen. Der damalige Regelungsgegenstand der Norm umfasste jedoch die Nichtzahlung der Prämie, „die vor oder bei dem Beginne der Versicherung zu erfolgen“ hatte.1 Eine wesentliche Neuordnung erfuhr die Norm im Jahre 1939, aufgrund derer sie seither vom Tatbestand her die Nichtzahlung der ersten oder einmaligen Prämie erfasst.2 Während die Vorschrift in ihrer ursprünglichen Fassung noch ein Kündigungsrecht kannte (§ 38 Abs. 2 VVG 1908), wurde dieses im Wege der Neuordnung durch ein Rücktrittsrecht des VR ersetzt (§ 38 Abs. 1 VVG 1939). Durch die VVG-Reform ist diese Norm heute mit inhaltlichen Änderungen in § 37 VVG in der Fassung vom 23.12.2007, gültig ab 1.1.2008, zu finden.3 In der Vorschrift aufgegangen ist auch § 91 a.F., der die Zahlungsfrist bei Gebäudeversicherungen regelte. Im Wege der VVG-Reform 2008 hat die Norm im Vergleich zur früheren Fassung drei grundlegende Änderungen erfahren: 1. Sowohl das gesetzlich vorgesehene Rücktrittsrecht, als auch die Befreiung von der Leistungspflicht im Verzugsfall werden begrenzt für Fälle, in denen der VN die Nichtleistung nicht zu vertreten hat. Jedoch hat der VN die Verschuldensvermutung, wie bei § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, selbst zu widerlegen. 2. Die bis 2007 im Gesetz vorgesehene Rücktrittsfiktion nach § 38 Abs. 1 Satz 2 a.F., wonach es als Rücktritt des VR galt, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit den Anspruch geltend machte, entfällt ersatzlos. 3. Im Sinne eines erweiterten Schutzes des VN erlegt das Gesetz dem VR qualifizierte Belehrungspflichten gegenüber dem VN bzgl. der durch § 37 Abs. 2 drohenden Leistungsfreiheit des VR auf, § 37 Abs. 2 Satz 2.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 § 37 beinhaltet Regelungen über die Folgen der nicht fristgerechten Entrichtung der ersten oder einmaligen Prämie. Als Rechtsfolgen eines Zahlungsverzugs des VN sieht das Gesetz zum einen einen möglichen Rücktritt des VR nach Maßgabe des § 37 Abs. 1 vor. Zum anderen kann gem. 1 RGBl. 1908 I 263. 2 RGBl. 1939 I 2443. 3 BGBl. 2007 I 2640. Beckmann

476

A. Einführung

VVG § 37

§ 37 Abs. 2 Satz 1 aus der nicht rechtzeitigen Entrichtung der Prämie die Befreiung des VR von der Leistungspflicht zur Gefahrübernahme resultieren. Die Vorschrift des § 37 ist, soweit sie die Rücktrittsmöglichkeiten des VR betrifft, lex specialis zu § 323 BGB.4 Daraus folgt, dass der VR ausschließlich unter den Voraussetzungen des § 37 zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt ist. Indes ist zu beachten, dass grundsätzlich eine speziellere Norm nur insoweit Sperrwirkung gegenüber generellen Normen beanspruchen kann, soweit sich auch ihr Regelungsbereich überschneidet. Daher können insbesondere Verzugsschäden nach § 286 BGB, speziell Verzugszinsen nach § 288 BGB nach allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften geltend gemacht werden.5 Die Norm basiert in erster Linie auf dem sog. Einlösungsprinzip, wonach der VR solange 3 nicht zur Zahlung verpflichtet sein soll, solange der VN noch nicht einmal die erste Prämie entrichtet hat.6 Es stellt einen maßgeblichen Grundsatz des Versicherungsrechts dar, dass die Leistung des VR eng verknüpft ist mit der Prämienzahlungspflicht des VN, da der pünktliche Eingang fälliger Prämien wesentliche Bedingung für einen ordnungsmäßigen Geschäftsbetrieb ist.7 Daher kann Versicherungsschutz grundsätzlich auch erst gewährt werden, sofern der VN zum Ausdruck bringt, dass ihm an der Erfüllung des Vertrages gelegen ist. Andernfalls hat er dieses Privileg nicht verdient. Anders verhält es sich hingegen bei den sog. Folgeprämien, bei denen die fortlaufende Zahlung nicht in gleicher Weise maßgeblich für den Fortbestand des Versicherungsschutzes ist (vgl. dazu § 38 Rn. 3). Hier bedarf es einer Mahnung des VR, um die Rechtsfolgen des § 38 herbeizuführen. Das Gesetz sieht daher den VN bei Ausbleiben der Erstprämie als weniger schutzwürdig an. Im Rahmen der vorläufigen Deckung gilt das Einlösungsprinzip grundsätzlich nicht; dies 4 folgt aus § 51 Abs. 1 (vgl. noch Rn. 75 sowie Kommentierung dort.)

III. Anwendungsbereich Die Norm findet grundsätzlich auf alle Versicherungssparten gleichermaßen Anwendung. Je- 5 doch wird in ihr ausschließlich der Zahlungsverzug mit der ersten oder einmaligen Prämie geregelt. Keine Anwendung findet § 37 nach § 211 Abs. 1 auf die dort genannten Versicherungen, mithin auf Pensionskassen, kleinere Versicherungsvereine sowie Lebens- und Unfallversicherungen mit geringfügigen Beiträgen; vgl. näher § 211. Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob der Ausschluss der Kündigung bei einer 6 Krankenversicherung, die zur Erfüllung der Verpflichtung aus § 193 Abs. 3 dient, gem. § 206 Abs. 1 Satz 1 auch das Rücktrittsrecht des VR gem. § 37 Abs. 1 berührt. Vielfach wird mit Blick auf den Wortlaut des § 206 Abs. 1 Satz 1 die Auffassung vertreten, diese Vorschrift stehe einem Rücktrittsrecht gem. § 37 Abs. 1 nicht entgegen.8 Nach der Gegenauffassung geht § 206 Abs. 1 Satz 1 auch einem Rücktrittsrecht nach § 37 bei Verzug mit der Zahlung der Erstprämie vor.9 Der BGH hat zum Ausdruck gebracht, dass § 206 Abs. 1 Satz 1 nicht jeder Lösung vom Vertrag durch den VR entgegensteht. Danach finden wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten die §§ 19 ff., 22 – mit der Modifikation durch § 194 Abs. 1 Satz 3 – Anwendung; dem VR bliebe daher auch im Bereich der Pflichtversicherung nach § 193 Abs. 3 das Recht zum Rücktritt vom Vertrag bzw. der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei Verletzung der Anzeigepflicht anlässlich

4 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 26; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 37 Rn. 1; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 19; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 3. 5 Vgl. Riedler 155, 159; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 3. 6 Instruktiv hierzu Gärtner 71. 7 Vgl. hierzu die Motive zum Versicherungsvertragsgesetz von 1908, S. 108. 8 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Rogler4 § 206 Rn. 4; Boetius/Rogler/Schäfer/Brömmelmeyer § 21 Rn. 9; Marko Private Krankenversicherung nach GKV-WSG und VVG-Reform, 2. Aufl. (2010), Teil B Rn. 132. 9 Prölss/Martin/Voit31 § 206 Rn. 7; BeckOK-VVG/Gramse (Stand: 9.8.2021) § 206 Rn. 1. 477

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des Vertragsschlusses erhalten.10 Zudem sei § 206 Abs. 1 Satz 1 teleologisch dahin zu reduzieren, dass er ausnahmslos lediglich eine außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist.11 Hieraus ließe sich auf den ersten Blick zwar schließen, dass § 206 Abs. 1 Satz 1 auch einem Rücktritt nach § 37 Abs. 1 nicht entgegensteht. Indes zeigt § 206 Abs. 1 Satz 1, dass dem VR speziell im Falle des Prämienverzugs des VN die Hände gebunden sind. Dies spricht dafür, dass diese Vorschrift auch einem Rücktritt gem. § 37 Abs. 1 wegen Zahlungsverzugs entgegensteht. 7 Unterschiedlich beurteilt wird zudem auch das Verhältnis zwischen § 193 Abs. 6 und § 37 Abs. 2. § 193 Abs. 6 bis Abs. 10 regeln für eine Krankenversicherung, die zur Erfüllung der Verpflichtung aus § 193 Abs. 3 dient, Rechtsfolgen für den Fall, dass der VN Prämien nicht bezahlt. Teilweise wird vertreten, § 193 Abs. 6 bzw. § 8 Abs. 6 MB/KK 2009 modifizierten § 37 Abs. 2 dahingehend, dass der Beginn des Versicherungsschutzes im Bereich der Pflichtversicherung nicht davon abhänge, dass die Erstprämie bezahlt wurde.12 Nach anderer Auffassung gilt – trotz der Regelung gem. § 193 Abs. 6 – für den Verzug mit der Erstprämie die allgemeine Regelung des § 37, so dass bei Nichtzahlung der Erstprämie der materielle Versicherungsschutz in der Pflichtkrankenversicherung gem. § 37 Abs. 2 nicht beginnen soll.13 Der erstgenannten Auffassung ist zu folgen. Der Tatbestand des § 193 Abs. 6 ist weit gefasst und differenziert nicht zwischen Erstund Folgeprämie. Vielmehr werden schon vom Wortlaut dieser speziellen Norm für den Bereich der substitutiven Krankenversicherung sowohl Erst- wie auch Folgeprämien erfasst. 8 Beim Begriff der Erstprämie können sich Abgrenzungsschwierigkeiten in Bezug auf die Folgeprämien ergeben, bei denen sich die Rechtsfolgen eines Zahlungsverzugs ausschließlich nach § 38 richten. Die Unterscheidung ist vor allem für den VN von großer Bedeutung, da die Rechtsfolgen eines Zahlungsverzugs mit der Erst- oder Einmalprämie deutlich gravierender sind, als bei dem Verzug mit einer Folgeprämie. Bei Letzterem muss der VR zunächst den VN abmahnen, um von der Leistungspflicht frei zu werden; zur Abgrenzung zwischen Erst- und Folgeprämie sogleich Rn. 10 ff.

1. Begriff der Einmalprämie 9 Zahlungsverzug kann unter anderem eintreten, sofern der VN seiner Pflicht zur Zahlung einer einmaligen Prämie nicht rechtzeitig nachkommt. Was unter einer Einmalprämie zu verstehen ist, ergibt sich praktisch von selbst. Wesentliche Bedeutung kommt dieser Art von Prämie vor allem bei Versicherungsverträgen zu, die nur einen kurzen Zeitraum abdecken, oder nur ein einzelnes Ereignis absichern sollen. Als prägnante Beispiele lassen sich vor allem Reiserücktritts- und Reisegepäckversicherungen nennen, aber auch im Bereich von Lebensversicherungen ist es durchaus denkbar, eine Einmalprämie zu vereinbaren; hiervon geht bereits § 168 Abs. 2 aus.

2. Begriff der Erstprämie 10 Der Begriff der Erstprämie ist nicht legaldefiniert. Die Abgrenzungskriterien zwischen Erstund Folgeprämie sind bis heute nicht einheitlich, wobei diese Abgrenzungsschwierigkeiten schon seit der ersten Kodifikation des VVG im Jahre 1908 bestehen. Damals sprach das Gesetz 10 BGH 7.12.2011 – IV ZR 105/11, BGHZ 192 67, 75 = VersR 2012 304, 306 Rn. 21. 11 BGH 7.12.2011 – IV ZR 105/11, BGHZ 192 67, 72 = VersR 2012 304, 306 Rn. 13. 12 Bruck/Möller/Waldkirch9 § 8 MB/KK Rn. 37; Boetius/Rogler/Schäfer/Hof § 32 Rn. 5; Prölss/Martin/Voit31 § 193 Rn. 40; Schwintowski/Brömmelmeyer/Brömmelmeyer3 § 193 Rn. 58.

13 Langheid/Rixecker/Muschner6 § 193 Rn. 81; Looschelders/Pohlmann/Reinhard3 § 193 Rn. 28. Beckmann

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noch von der „vor oder bei dem Beginne der Versicherung“ und der „nach dem Beginn der Versicherung“ zu zahlenden Prämie. Seit dem Jahre 1939 findet sich hingegen der bis heute noch gültige Wortlaut, der zwischen der „ersten oder einmaligen Prämie“ und der „Folgeprämie“ differenziert, wieder. Zur Abgrenzung werden im Wesentlichen zwei Ansichten vertreten. Der heute sowohl in 11 der Rechtsprechung als auch in der Literatur vorherrschenden Ansicht zufolge kommt es für die Abgrenzung zwischen den jeweiligen Prämienarten ausschließlich darauf an, ob die zu entrichtende Prämie aus zeitlicher Sicht zum ersten Mal zu entrichten ist oder aber ob es sich um eine Prämie handelt, die nach einer bereits zuvor erbrachten Prämie zu entrichten ist.14 Die Gegenansicht, die vor allem in früherer Zeit häufig vertreten war, differenziert zwischen den beiden Prämienarten dahingehend, dass eine Erstprämie nur in den Fällen vorliege, in denen ohne entsprechende Zahlung des VN kein Versicherungsschutz bestehe, weil zwischen der Zahlung und dem materiellen Versicherungsbeginn ein aufschiebendes Bedingungsverhältnis bestehe.15 Diese Ansicht überzeugt jedoch insoweit nicht, da die Zahlung der Erstprämie zwar für den Beginn des Versicherungsschutzes notwendig ist, daraus jedoch nicht gefolgert werden kann, dass es sich im Umkehrschluss um ein Abgrenzungskriterium zur Folgeprämie handelt. Auch die grundlegende Änderung des Wortlauts der Norm aus dem Jahre 1939 sollte diesbezüglich klarstellende Wirkung entfalten (vgl. oben Rn. 1).16

3. Abgrenzungsprobleme Obwohl die Abgrenzung zwischen Erst- und Folgeprämie auf den ersten Blick einfach erscheint, 12 stellen sich dennoch in der Praxis diverse Abgrenzungsprobleme.

a) Vertragsänderung oder Neuabschluss. Um von einer Erstprämie sprechen zu können, ist 13 der Neuabschluss eines Vertrages erforderlich.17 Probleme tauchen vor allem in den Fällen auf, in denen ein bereits bestehender Vertrag grundlegend geändert oder erneuert wird. In Bezug auf die Rechtsfolgen der §§ 37, 38 kann es für den VN von außerordentlicher Bedeutung sein, ob es sich hierbei um eine Erstprämie oder aber um eine Folgeprämie handelt. Im Falle eines Neuabschlusses ist die daraufhin zu zahlende Prämie Erstprämie.18 Daher treffen den VN die Rechtsfolgen des § 37. Eine bloße Vertragsänderung ändert hingegen nichts an der Einordnung der Prämie als Folgeprämie, soweit die Erstprämie zuvor entrichtet wurde.19 Ob es sich in diesen Fällen um einen neuen Vertrag handeln soll, oder ob lediglich eine Änderung eines bestehenden Vertrages vorliegt, richtet sich ausschließlich nach dem Willen der Parteien, §§ 133, 157 BGB.20 Die Vermutung geht grundsätzlich dahin, dass die Parteien zumeist auf eine bloße Vertragsän14 BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 132 f. = NJW 1956 1634, 1636 (juris Rn. 12); BGH 17.4.1967 – II ZR 228/ 64, BGHZ 47 352, 361 = NJW 1967 1800, 1803 (juris Rn. 27); Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 10; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 6; Riedler 49; Ganster Prämienzahlung S. 87; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Pilz3 § 37 Rn. 3; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/ Stagl/Brand3 § 37 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 3. 15 So noch Bruck/Möller/Möller8 § 38 Rn. 4; Sieg3 S. 90. 16 Lang VersR 1987 1157; Ganster Prämienzahlung S. 88. 17 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 6; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 3; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 9. 18 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 6; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 9. 19 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 11. 20 OLG Hamm 17.9.1975 – 20 U 82/75, VersR 1976 1032, 1033; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 9; Prölss/Martin/ Reiff31 § 37 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 4; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 9; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 6, der gleichfalls auf den Parteiwillen abstellt; a.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 § 37 Rn. 6. 479

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derung abzielen.21 Um von einem Neuabschluss auszugehen, müssen daher deutliche Anzeichen im Parteiwillen vorhanden sein. Zur Klärung ist letztlich eine Gesamtwürdigung der zum Vertragsschluss bzw. zur Vertragsänderung führenden Umstände notwendig.22 Als Indizien für einen Neuabschluss werden von der Rechtsprechung genannt: die Veränderung wesentlicher Vertragsinhalte, etwa des versicherten Risikos, des versicherten Objekts, der Vertragsdauer, der Vertragsparteien und der Gesamtversicherungssumme.23 Ansonsten ist regelmäßig von einer bloßen Vertragsänderung auszugehen, sofern lediglich im Wege von „Nachträgen“ oder „Zusatzvereinbarungen“ Teile des Vertrages abgeändert werden sollen. Insbesondere die bloße Änderung von Versicherungsbedingungen allein genügt nicht für die Bejahung eines Neuabschlusses.24 Vor allem in Fällen, in denen lediglich die Prämienhöhe angepasst wird, eine Erweiterung oder Verkürzung des Versicherungsschutzes stattfinden soll, oder aber die Vertragsdauer verändert wird, ist von einem Fortbestand des alten Vertrages auszugehen (hierzu sogleich genauer).25 Hierbei bleibt im Regelfall auch die alte Versicherungsnummer erhalten, was zweifelsohne für die Fortsetzung des Vertrages spricht.26 Auch der Umstand, dass ein neuer Versicherungsschein ausgestellt wird, reicht für die Annahme eines Neuvertrags nicht aus.27 Wird der Beginn eines Versicherungsvertrages von den Parteien auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, weil zuvor die Einziehung der Erstprämie erfolglos blieb, so handelt es sich bei der dann zu zahlenden Prämie immer noch um eine Erstprämie.28

14 aa) Erweiterung auf neues Risiko. Die Problematik der Abgrenzung zwischen Erst- und Folgeprämie stellt sich vor allem bei der Integration neuer Risiken in einen bereits bestehenden Vertrag. Ein solcher Fall kann etwa dann vorliegen, wenn der bestehende Vertrag zusätzliche Risiken abdecken soll, oder aber, wenn bisher noch nicht erfasste Objekte Versicherungsschutz erhalten sollen.29 Insoweit ist ebenfalls danach zu fragen, ob sich aus den Gegebenheiten des Einzelfalls herauslesen lässt, dass entweder ein neuer Vertrag gewollt ist, oder eine bloße Vertragsänderung anvisiert wird. In Fällen, in denen eine notwendige Verknüpfung des alten Vertrages mit dem neu entstandenen Risiko besteht, also das neue Risiko nur aufgrund des bereits bestehenden Vertrages überhaupt versicherbar ist, liegt nur eine Vertragsänderung vor.30 Schwieriger gestaltet sich die Frage, sofern das hinzukommende Risiko auch selbständig durch eigenen Vertrag versicherbar wäre. Hierbei wird größtenteils dafür plädiert, dass ein verständiger VN nicht erwarten könne, dass der VR die Prämie für das selbständige Risiko als Folgeprämie ansehen werde.31 Werde also bspw. eine Teilkasko- in eine Vollkaskoversicherung umgewandelt, müsste man die erste Prämie für die Vollkaskoversicherung als Erstprämie einstufen.32 21 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 5; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 11; Prölss/Martin/ Reiff31 § 37 Rn. 3; a.A. wohl Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 4. 22 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 5; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 6 m.w.N.; Prölss/ Martin/Reiff31 § 37 Rn. 3. 23 BGH 22.10.2014 – IV ZR 242/13, VersR 2015 45, 48 Rn. 37; BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563, 1565 Rn. 21. 24 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski 4 § 37 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 34 Rn. 5. 25 A.A. wohl Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 9, der aber auch darauf verweist, dass ein Merkmal keineswegs zwingend die Annahme eines neuen Vertrages bedeutet, vielmehr eine Gesamtschau nötig ist. 26 OLG Hamm 29.9.1978 – 20 W 18/78, VersR 1979 413. 27 OLG Köln 16.7.2002 – 9 U 48/01, VersR 2002 1225 (juris Rn. 5). 28 OLG Oldenburg 8.10.2003 – 3 U 52/03, RuS 2005 250 (juris Rn. 13). 29 Riedler 54. 30 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 11; Riedler 55; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 10. 31 Riedler 55. 32 LG Würzburg 11.1.1967 – 2 O 233/66, VersR 1969 52, 53; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 11; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 10; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 6. Beckmann

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Weitere Beispiele zeigen sich etwa in einer Umwandlung einer Teilkosten- in eine Krankheitskosten-Vollversicherung33 oder bei Erweiterung einer Krankheitskostenversicherung um eine Krankenhaustagegeldversicherung. Jedoch ist in diesen Fällen nur die Differenzprämie, also die Zusatzprämie für das erweiterte Risiko, eine Erstprämie i.S.d. § 37 Abs. 2 Satz 1.34 Folglich entfällt der Versicherungsschutz im Falle des Zahlungsverzugs auch nur für diesen Teilbereich der Versicherung. Auch wenn dieser Ansicht im Grunde zuzustimmen ist, kann aus der Auslegung des Parteiwillens im Einzelfall auch ein anderes Ergebnis resultieren. Für den ursprünglichen Teil gelten bei Zahlungsverzug die Voraussetzungen des § 38. Dass ein VN, der u.U. jahrelang ordnungsgemäß seine Prämien entrichtet hat, nur aufgrund einer derartigen Änderung in eine weniger geschützte Position gerät, entspricht weder dem Willen des VN noch dem des VR.35 Ein Anhaltspunkt dafür findet sich bspw. in C.3 AKB 2015, wonach selbst nach dem Wechsel des versicherten Fahrzeugs und Neuabschlusses eines Vertrages bzgl. eines anderen PKW noch innerhalb von sechs Monaten und gleichem Verwendungszweck die Regelung über die Folgeprämie nach C 2.2 bis 2.4 AKB 2015 eingreift, obwohl die Auswechslung des versicherten Objekts allgemein als Neuabschluss zu werten ist. Insofern kann in Fällen, in denen ein zusätzliches Risiko auch eigenständig versichert werden kann, nicht zwangsläufig auf einen neuen Vertrag geschlossen werden. Vielmehr muss es auch hier darauf ankommen, ob die Erweiterung des Risikos lediglich als gering oder aber als wesentlich zu betrachten ist. Gleiches gilt im Falle der Erhöhung der Versicherungssumme.36 Nicht gleich jede Erhö- 15 hung führt zwangsläufig zu einem neuen Vertragsschluss. Vielmehr ist auch hier eine Abwägung der Auswirkungen dieser quantitativen Erweiterung nötig. So wird lediglich im Falle gravierender Erhöhungen der Versicherungssumme wirklich ein neuer Vertrag gewollt sein. Kein neuer Versicherungsvertrag liegt bei einer Reduktion des Schadensrisikos, etwa 16 bei einer Umwandlung einer Voll- in eine Teilkaskoversicherung,37 oder bei einer Herabsetzung der Versicherungssumme vor.38

bb) Änderung des versicherten Objekts. Beim Wechsel des versicherten Objekts ist grund- 17 sätzlich von der Begründung eines neuen Vertragsverhältnisses auszugehen.39 Als prägnantes Beispiel ist vor allem der Wechsel eines Kraftfahrzeuges, sei es in Folge der Zerstörung des Vorgängers oder durch Neuerwerb, zu nennen. Diese Einordnung ergibt sich auch daraus, dass die Versicherung eines neuen Objekts im Regelfall einhergeht mit einer geänderten Risikoverteilung. So sind insbesondere Kraftfahrzeuge nach Typklassen unterteilt, so dass hier stets von einem neuen Vertrag ausgegangen werden muss. Dafür spricht des Weiteren die gesetzliche Wertung des § 95 Abs. 1, wonach mit Veräußerung eines Pkw der ursprüngliche VN aus dem bestehenden Vertrag ausscheidet. Der Kennzeichnung durch die Vertragsparteien ist dabei keine Bedeutung beizumessen, so dass auch die Bezeichnung als „Nachtrag“, „Veränderung“ oder „Ersatzpolice“ nichts an der Einstufung als neuer Vertrag ändert.40 Unbenommen ist es den 33 LG Düsseldorf 15.7.1988 – 20 S 35/88, RuS 1988 342; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 5; Fenyves/Perner/Riedler/ Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 10. 34 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 12; a.A. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 11. 35 Ähnlich Ganster Prämienzahlung S. 90. 36 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 11; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 11; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 5; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 11. 37 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 11; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 10; Prölss/Martin/ Reiff31 § 37 Rn. 5. 38 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 14; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 11. 39 BGH 21.11.1975 – IV ZR 112/74, VersR 1976 136, 137 (juris Rn. 20); OLG Saarbrücken 29.3.1974 – 3 U 34/73, VersR 1974 765; OLG Koblenz 8.2.1980 – 10 U 759/79, VersR 1980 617 f. (juris Rn. 32); OLG Karlsruhe 10.6.1981 – 12 U 132/80, VersR 1982 591, 592; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 5; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 12. 40 BGH 21.11.1975 – IV ZR 112/74, VersR 1976 136, 137 (juris Rn. 20); Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 12. 481

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Zahlungsverzug bei Erstprämie

Parteien jedoch, durch vertragliche Vereinbarung die Prämie dennoch als Folgeprämie einzustufen, und somit im Falle des Zahlungsverzugs die Rechtsfolgen des § 38 herbeizuführen, vgl. hierzu C.3 AKB 2015 für Kfz. Diese für den VN ausschließlich vorteilhafte Abänderung der gesetzlichen Vorschriften verstößt mithin nicht gegen § 42.

18 cc) Wechsel der Vertragsparteien. Bei einem Wechsel auf Seiten des VR, sei es durch Umwandlung oder durch Bestandsübertragung von Versicherungsverträgen nach § 13 VAG, ändert sich an der Qualität der Prämie als Folgeprämie nichts,41 da auf beiden Seiten kein Interesse besteht, ein neues Versicherungsverhältnis anzunehmen.42 Im Falle der Universalnachfolge aufgrund einer Erbschaft besteht das Versicherungsverhältnis unverändert fort (vgl. auch § 33 Rn. 44). Auch im Falle der Veräußerung einer Sache rückt der Erwerber in die Stellung des bisherigen VN ein, § 95 Abs. 1.43 Somit sind die folgenden Prämien als Folgeprämien zu werten. Schließt der Veräußerer der Sache im Hinblick auf einen neu angeschafften Gegenstand einen Anschlussvertrag, so lässt sich dieser Vertrag als neuer Vertrag einordnen.44

19 dd) Abänderung der Vertragsdauer. Auch die bloße Verlängerung des bestehenden Vertrages stellt im Regelfall nur eine Fortsetzung dieses Vertrages dar.45 So können die Parteien sowohl ausdrücklich aufgrund von Verlängerungsklauseln oder aber auch konkludent den bestehenden Vertrag fortführen. Dabei ist ein starkes Indiz für ein Beibehalten des Vertrages die Identität der Versicherungsnummer. Daher treten bei Zahlungsverzug auch nur die Rechtsfolgen des § 38 ein. Zumeist wird ohnehin der Parteiwille auf eine bloße Fortführung hindeuten. Um einen völlig neuen Vertragsschluss anzunehmen, müssen daher starke Indizien im Parteiwillen auf einen diesbezüglichen Erfolg hindeuten. In einem solchen Falle ist ein Hinweis durch den VR auf die Rechtsfolgen des § 37 geboten.

20 ee) Rechtsfolgen von Leistungsfreiheit/Rücktritt/Kündigung auf Neuvertrag. Teilweise wird sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur die Ansicht vertreten, dass bei Annahme eines neuen Vertrags und darauf folgendem Zahlungsverzug der alte Vertrag wieder auflebt, sofern der VR kündigt, von seiner Leistung frei wird oder zurücktritt. Begründet wird dieses Ergebnis damit, dass aus § 139 BGB folge, dass eine Kündigung des neuen Vertrages zugleich auch die Abänderungs- und Aufhebungsabrede beseitige und so der alte Vertrag wieder auflebe.46 Aus diesem Grund sei ein Rücktritt des VR nur nach § 38 möglich. Resultat wäre, dass sich die Leistungsfreiheit des VR auch nur auf das Risiko des neuen Vertrages auswirken würde, nicht jedoch auf die Leistungspflicht bezüglich des alten Risikos. Letztlich würde der VN damit genauso gestellt, wie im Falle einer bloßen Vertragsänderung. Diese Ansicht vermag nur in Teilen zu überzeugen. Sie ist überzeugend, soweit sich die Rechtsstellung des VN durch den Abschluss des Vertrages eigentlich verbessern sollte, er jedoch durch den neuen Vertrag nicht durch den günstigeren § 38 geschützt ist. Nichtsdestotrotz macht es bspw. keinen Sinn, im Falle des Wechsels des Versicherungsobjekts einfach den ursprünglichen Vertrag wieder aufleben zu lassen, der sich doch seinerzeit auf ein anderes Objekt bezog. Ein dahingehender Parteiwille, Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 8; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 9. Riedler 60 ff. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 7. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 9; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 14. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 8; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 3; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 13. 46 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 6; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 17; LG Düsseldorf 15.7.1988 – 20 S 35/88, RuS 1988 342; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 6.

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vor allem seitens des VR, ist nicht vorhanden. Auch die Vermutung, dass im Regelfall eine Vertragsänderung und kein Neuabschluss eines Vertrages gewollt sei (vgl. Rn. 13), lässt erkennen, dass beim Neuabschluss der VN nicht so schutzwürdig ist, wie im Falle einer Vertragsänderung, da er objektiv nicht davon ausgehen kann, dass im Falle der Kündigung des neuen Vertrages der VR dennoch für später eintretende Schäden einstehen werde. Daher erscheint es sachgerechter, diese Situationen über eine Hinweispflicht des VR zu lösen.47

b) Ratenzahlung. Haben die Parteien im Rahmen des Versicherungsverhältnisses eine Raten- 21 zahlung vereinbart, ist nach ganz herrschender Ansicht nur die erste Rate eine Erstprämie i.S.d. § 37.48 Die darauf folgenden Raten sind bereits als Folgeprämien zu sehen. Ob eine dahingehende Vereinbarung überhaupt besteht, ist jedoch zunächst zu ermitteln. Unter Ratenzahlung versteht man allgemein die Entrichtung der Prämie anhand von Teilbeträgen.49 Grundsätzlich schreibt das Gesetz eine Versicherungsperiode von einem Jahr vor, § 12. Aufgrund der Dispositivität der Norm steht es den Parteien jedoch frei, kürzere Perioden zu vereinbaren. In diesem Fall ist die Prämie für die kürzeren Zeiträume eine „normale“ Prämie und keine Rate. Behalten die Parteien jedoch die jährliche Versicherungsperiode bei und vereinbaren bspw. monatliche, viertel- oder halbjährliche Zahlweise, liegen hingegen Ratenzahlungen in den einzelnen Teilzahlungen. Davon zu unterscheiden sind Fälle, in denen zwar die gesamte Prämie mit Versicherungsbe- 22 ginn fällig wird, der VR jedoch aufgrund der Gegebenheiten des Einzelfalls nur Teilbeträge davon verlangt. Hierin ist ein Verzicht des VR auf sein Recht, gem. § 266 BGB Teilleistungen abzulehnen, zu sehen.50 Gleichzeitig liegt hierin eine Stundung der übrigen Teilleistungen. Der VR muss hier deutlich herausstellen, inwieweit es sich um eine deckende Stundung handelt und inwieweit er auf die diesbezüglichen Rechtsfolgen des § 37 verzichtet.51 Dies ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. auch Rn. 23). In diesem Zusammenhang wird des Weiteren diskutiert, ob die noch ausstehenden Teilleistungen immer noch die Qualität der Erstprämie aufweisen. Dies ist zu bejahen.52 Alleine durch die Stundung von Teilen der Prämie kann sich noch nichts an der Qualität der Prämie als Erstprämie ändern. Während im Vergleich zu einer Ratenzahlungsvereinbarung die Fälligkeit der einzelnen Teile deutlich herausgestellt ist, ändert sich an der ursprünglichen Fälligkeit der vollen Prämie auch im Falle der Annahme von Teilleistungen nichts. Daher ist jede Teilleistung noch eine Erstprämie und führt nach Ablauf der Stundung zu den Rechtsfolgen des § 37.53 Geringfügige Restbeträge können jedoch im Einzelfall eine Anwendung des § 37 ausschließen (dazu unter Rn. 33). Zur Einordnung einer Teilzahlung als entgeltlichen Zahlungsaufschub i.S.v. §§ 506 Abs. 1, 495 Abs. 1, 355 BGB vgl. § 33 Rn. 62 ff.

c) Stundung der Prämie. Vereinbaren die Parteien die Stundung der Erst- bzw. Einmalprämie 23 (vgl. bereits § 33 Rn. 65), so stellt sich die Frage, ob bei Eintritt eines Versicherungsfalles vor Zahlung der (gestundeten) Prämie Versicherungsschutz besteht. Dem könnte § 37 Abs. 2 Satz 1 entgegenstehen. Indes kann eine sog. deckende Stundung vereinbart sein; damit ist gemeint,

47 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 6. 48 Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 4; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 2; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 23; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 10; Brockmann VersR 1953 345; Ganster Prämienzahlung S. 92; Gal VersR 2021 414, 419. 49 Ganster Prämienzahlung S. 91. 50 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 24; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 5. 51 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 24. 52 Ebenso Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 5; vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 4. 53 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 47; einschränkend Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 25. 483

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§ 37 VVG

Zahlungsverzug bei Erstprämie

dass der VR auch während der Stundung schon Versicherungsschutz gewährt.54 Bei Vereinbarung einer deckenden Stundung ist demnach § 37 Abs. 2 zugunsten des VN abbedungen. Fraglich ist, was gilt, wenn es an einer ausdrücklichen Vereinbarung fehlt. Zur früheren Rechtslage ist der Standpunkt vertreten worden, dass eine solche deckende Stundung grundsätzlich nicht anzunehmen sei.55 Neuerdings wird der Standpunkt vertreten, dass die deckende Stundung nach der VVG-Reform der Regelfall sei, da jetzt ohnehin schon Versicherungsschutz mit Abschluss des Vertrages bestehe, obwohl die Prämie noch nicht unbedingt fällig sei.56 Indes lässt sich dies so pauschal nicht feststellen57 (vgl. dazu noch Rn. 75). Vielmehr ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine deckende Stundung gewollt ist. Ist dies der Fall, so besteht bereits während der Stundung Versicherungsschutz. Anderenfalls richtet sich die Frage nach § 37 Abs. 2. Versicherungsschutz besteht nur dann, wenn der VN die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat (dazu insbesondere Rn. 53 ff.).

24 d) Vorläufige Deckung/Rückwärtsversicherung. Einer Unterscheidung zwischen Erst- und Folgeprämie bedarf es zudem im Rahmen einer sog. vorläufigen Deckung, §§ 49 bis 52. Dabei gewährt der VR dem VN bereits vor dem Abschluss des endgültigen Versicherungsvertrages Versicherungsschutz. Grundlage des gewährten Versicherungsschutzes ist dabei eine zuvor getroffene vertragliche Übereinkunft der Parteien, die unabhängig vom späteren Zustandekommen des Versicherungsvertrages gilt. Diese stellt einen in sich eigenständigen Versicherungsvertrag dar.58 Da es sich um einen eigenständigen Versicherungsvertrag handelt, entsteht folglich mit Zusage der vorläufigen Deckung ein Anspruch des VR auf die Erstprämie. Aufgrund der Trennung der beiden Verträge ist auch die erste, für den endgültigen Versicherungsvertrag zu zahlende Prämie, eine Erstprämie i.S.d. § 37.59 In der Praxis ist es jedoch auch möglich, dass beide Prämien gemeinsam nach Zustandekommen des endgültigen Versicherungsvertrages eingezogen werden. 25 Viele Gemeinsamkeiten weist die vorläufige Deckung mit der sog. Rückwärtsversicherung gem. § 2 Abs. 1 auf. Auch hier setzt der materielle Versicherungsbeginn bereits vor dem formellen Abschluss des eigentlichen Versicherungsvertrages ein.60 Der Versicherungsbeginn wird somit auf einen Zeitpunkt vor Annahme des Vertragsangebots vorverlegt. Gem. § 2 Abs. 4 findet die Vorschrift des § 37 Abs. 2 ausdrücklich keine Anwendung (vgl. dazu noch Rn. 76).

26 e) Wiederherstellung eines bereits beendeten Vertrages. Die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Erst- und Folgeprämie stellen sich ebenfalls dann, wenn ein Versicherungsvertrag in irgendeiner Art beendet wurde, sei es durch Rücktritt, Kündigung oder zeitlichen Ablauf, und später wieder reaktiviert wird. Im Falle eines Rücktritts des VR nach § 37 Abs. 1 wegen nicht rechtzeitiger Leistung der 27 Erstprämie ist auch die zeitlich erste Prämie des wieder in Vollzug gesetzten Vertrages eine Erstprämie.61 Unbenommen bleibt es den Parteien jedoch, die Erst- als Folgeprämie zu bewer-

Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 9. Vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 33 Rn. 9 m.w.N. Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 25. Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 37 Rn. 12. Sog. Trennungstheorie: Ganster Prämienzahlung S. 94; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 17; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 21. 59 BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 132 f. = NJW 1956 1634, 1636 (juris Rn. 12); Langheid/Rixecker/ Rixecker6 § 37 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 3; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 4; a.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 5. 60 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 3. 61 Ganster Prämienzahlung S. 93; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 27.

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B. Tatbestand

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ten, eine Rückwärtsversicherung zu vereinbaren oder aber den neuen Vertragsbeginn auf den des ursprünglichen Vertrages festzusetzen. In diesem Fall handelt es sich richtigerweise um eine Folgeprämie.62 Sind die Parteien lediglich darin übereingekommen, dass der Vertrag für eine gewisse Zeit ruhen soll und wird er später wieder fortgesetzt, ist die dann fällige Prämie eine Folgeprämie.63 Anders ist die Lage zu beurteilen, sofern der VR aufgrund der Nichtleistung einer Folgeprä- 28 mie nach § 38 Abs. 3 Satz 1 kündigt, der VN jedoch innerhalb der Monatsfrist nach § 38 Abs. 3 Satz 3 noch leistet. Insoweit schreibt das Gesetz vor, dass durch die Zahlung die Kündigung unwirksam wird. Die nächste zu zahlende Prämie ist dann auch eine Folgeprämie nach § 38. Umgekehrt ist § 37 anwendbar, soweit die Zahlung des VN nicht mehr innerhalb der Monatsfrist erfolgt, der Vertrag also bereits erloschen ist und durch Parteivereinbarung wieder auflebt.64 Hierbei wird ein gänzlich neuer Vertrag geschlossen. Gleiches gilt auch, wenn aufgrund der Kündigung des VR eine Versicherung nach § 166 in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt wurde und diese wieder reaktiviert wird.65

B. Tatbestand I. Nicht rechtzeitige Zahlung im Rahmen des § 37 Abs. 1 1. Leistungsanforderung durch den Versicherer § 37 Abs. 1 setzt voraus, dass der VN die Erstprämie nach Abs. 1 nicht rechtzeitig gezahlt hat. 29 Um aber überhaupt von einer wirksamen Zahlungsverpflichtung sprechen zu können, bedarf es einer exakten Leistungsanforderung durch den VR. Da an eine nicht rechtzeitige Zahlung schwerwiegende Folgen geknüpft sind, muss die Anforderung bzgl. der Erstprämie sehr präzise sein. Die ausgewiesenen Prämienforderungen müssen genau beziffert und korrekt gekennzeichnet sein.66 Werden mehrere Prämien gleichzeitig eingefordert, so ist eine deutliche Trennung und Kennzeichnung der Herkunft zwingend geboten.67 Diese akribische Betrachtungsweise ist im Sinne der Rechtssicherheit des VN erforderlich. Ein Verstoß hiergegen führt zu einer unwirksamen Leistungsanforderung und kann nicht in einem Rücktrittsrecht oder einer Leistungsfreiheit des VR münden. Bereits geringfügige Mehrforderungen sind geeignet, die Anforderung unwirksam zu machen.68

2. Leistungshandlung des Versicherungsnehmers Gemäß § 33 Abs. 1 hat der VN die einmalige, sofern laufende Prämien vereinbart sind, die erste 30 Prämie unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheines zu entrichten. Es kommt mithin nicht mehr wie nach früherer Rechtslage auf den Zeitpunkt des Ver62 Vgl. hierzu OLG Köln 18.5.1989 – 5 U 192/88, VersR 1990 1004, 1005; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 27. Prölss/Martin/Reiff/Schneider31 § 11 ALB Rn. 2; LG Hamburg 14.12.1950 – 9 S 316/50, VersR 1951 75. Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 7; vgl. auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 27. BGH 23.6.1993 – IV ZR 37/92, VersR 1994 39, 40 (juris Rn. 19). BGH 9.7.1986 – IVa ZR 5/85, VersR 1986 986, 987 (juris Rn. 19); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 7; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 10; Präve/Rehberg Lebensversicherung ARB § 11 Rn. 10; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 45. 67 BGH 9.10.1985 – IVa ZR 29/84, VersR 1986 54 (juris Rn. 20); OLG Hamm 22.9.1998 – 20 W 21/98, VersR 1999 957 (juris Rn. 5); Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 10. 68 BGH 30.1.1985 – IVa ZR 91/83, VersR 1985 447, 448 (juris Rn. 17) (DM 26,05 anstatt DM 19); BGH 7.10.1992 – IV ZR 247/91, VersR 1992 1501 „selbst Pfennigbeträge genügen für die Unwirksamkeit“; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 10.

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Zahlungsverzug bei Erstprämie

tragsschlusses an (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 33 sowie zur erforderlichen Leistungshandlung und Einordnung der Prämienschuld des VN § 36 Rn. 10 ff.).

3. Abweichungen bei der Prämienzahlung und deren Auswirkungen 31 a) Qualitative Abweichungen. Haben die Parteien eine bestimmte Art der Zahlungsweise (vgl. hierzu § 36 Rn. 29 ff.) vereinbart und möchte der VN die Prämienschuld dennoch in unzulässiger Weise mittels einer anderen Zahlungsmethode begleichen, hat der VR grundsätzlich das Recht, diese Art der Zahlung zurückzuweisen. Dies gilt jedoch nicht, sofern er sich zuvor konkludent mit dieser Art der Zahlung einverstanden erklärt hat, etwa durch Angabe von Kontodaten auf der Versicherungspolice o.Ä. Zudem kann eine Zurückweisung gem. § 242 BGB im Einzelfall als treuwidrig einzuordnen sein.

b) Quantitative Abweichungen 32 aa) Teilzahlung des Prämienbetrages. Es kann vorkommen, dass der VN den geschuldeten Prämienbetrag nicht vollständig entrichtet. Rechtlich gesehen handelt es sich hierbei um eine Teilleistung nach § 266 BGB, die der VR auch grundsätzlich zurückweisen kann. Um den Rechtsfolgen des § 37 zu entgehen, muss der VN jedoch den vollständigen Prämienbetrag entrichten. Die Teilleistung vermag somit nichts daran zu ändern, dass der VN in Verzug gerät, solange noch Teile der Prämie ausstehen. Dem § 37 liegt das sog. Alles-oder-nichts-Prinzip zugrunde. Das ist auch insoweit nicht unbillig, da der VN durch die exakte Auflistung des Prämienbetrages und seiner Bestandteile sowie neuerdings durch die gesetzliche Informationspflicht bzgl. der Rechtsfolgen des § 37 (§ 37 Abs. 2 Satz 2) hinreichend geschützt ist. Folglich kann der VR die Leistung verweigern, sofern nach Zahlung der Teilleistung und vor Zurückweisung durch den VR der Schadensfall eintritt. Das gilt nicht, sofern der VR die Teilleistung akzeptiert und im Hinblick auf die fehlenden Teilzahlungen eine Stundung angenommen werden kann oder wenn der VN den Zahlungsverzug nicht zu vertreten hat, § 37 Abs. 2 Satz 1.

33 bb) Geringfügige Prämienrückstände. In seltenen Ausnahmefällen ist an diesem Alles-odernichts-Prinzip nicht festzuhalten. Unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wird zumindest dann, wenn im Verhältnis zur Prämie nur sehr geringfügige Prämienrückstände offen sind, dem VR eine Berufung auf die Rechtsfolgen des § 37 verwehrt. Dies entspricht – soweit ersichtlich – heute auch der allgemeinen Auffassung.69 Diese Ausnahme lässt sich in rechtlicher Hinsicht auf § 320 Abs. 2 BGB stützen, wonach die Einrede des nicht erfüllten Vertrages dem anderen Teil dann nicht entgegengehalten werden kann, wenn der andere Teil mit nur einem verhältnismäßig geringfügigen Teil im Rückstand ist. 34 Die Grenze, wann ein noch ausstehender Betrag als geringfügig zu bewerten ist, ist nach deutschem Recht (anders die Rechtslage insbesondere in Österreich, vgl. § 39a ÖVVG) nicht leicht zu ziehen.70 Richtigerweise ist im ersten Schritt das Verhältnis des ausständigen Prämi-

69 BGH 9.3.1988 – IVa ZR 225/86, VersR 1988 484 (juris Rn. 15); BGH 9.10.1985 – IVa ZR 29/84, VersR 1986 54 (juris Rn. 14); BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 136 (juris Rn. 14); OLG Koblenz 3.5.1966 – 1a W 93/66, VersR 1966 1128; OLG Frankfurt 3.8.2005 – 7 U 84/04, VersR 2006 537, 538 (juris Rn. 11); Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 42; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 47; Gärtner 111; Langheid/ Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 10; Gal VersR 2021 414, 420. 70 Zur österreichischen Rechtslage vgl. Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 112; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 43 ff. Beckmann

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enbetrags zur insgesamt fälligen Prämie einschließlich Zinsen und Kosten zu betrachten.71 Dies alleine genügt jedoch nicht. Im zweiten Schritt muss auch der noch ausstehende Betrag für sich allein gesehen geringfügig sein. Im Unterschied zur österreichischen Rechtslage (§ 39a ÖVVG) existiert im deutschen Recht keine pauschale Prozentangabe von 10 %. Da der Reformgesetzgeber auch weiterhin bewusst auf eine solche pauschale Schranke verzichtet hat, ist eine derartige Berechnungsmethode nicht anwendbar.72 Einen ausschlaggebenden Orientierungspunkt bietet vielmehr die Regelung des § 38 Abs. 2, wonach Leistungsfreiheit nach Mahnung bereits im Falle rückständiger Kosten oder Zinsen gegeben ist. Demnach können richtigerweise Prämienrückstände nur dann als geringfügig gewertet werden, solange sie die Kosten und Zinsen nicht übersteigen. Die Frage nach der Geringfügigkeit ist daher restriktiv zu handhaben.73 Dafür spricht zum einen die klare gesetzgeberische Wertung und zum anderen die grundsätzliche Vorgehensweise bei teleologischen Reduktionen bzw. Ausnahmen nach Treu und Glauben. Nach herrschender Meinung verbleibt darüber hinaus kein Raum für einen Schutz des VN nach Treu und Glauben, wenn dieser bewusst und gewollt nicht vollständig erfüllt bzw. eigenmächtig Kürzungen an der Prämie vornimmt.74 Ein Beispiel für einen geringfügigen Prämienrückstand ist: DM 2,70 gegenüber DM 162 (OLG Düsseldorf 28.10.1975 – 4 U 26/75, VersR 1976 429). Als nicht geringfügig wurde zudem erachtet: DM 64,37 zu DM 201,38 (OLG Saarbrücken 29.3.1974, – 3 U 34/73, VersR 1974 765, 766); DM 52,50 gegenüber DM 1052,50 (BGH 5.6.1985, – IVa ZR 113/83, VersR 1985 981, 983). Aus den Augen gelassen werden darf folgerichtig auch nicht der Aspekt, dass grundsätzlich auch die häufige Rückständigkeit mit Prämienzahlungen beim VR zu hohen Verwaltungskosten führt, die er ansonsten nicht zu tragen hätte. Daher sind im Sinne eines fairen Ausgleichs nur völlig vernachlässigbare Prämienrückstände von dieser Ausnahme nach Treu und Glauben erfasst.

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4. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht Der VN kann die Prämienforderung auch durch Aufrechnung erfüllen (vgl. § 36 Rn. 31 ff.).75 Die 39 bloße Möglichkeit genügt jedoch nicht, vielmehr muss von der Ausübung des Gestaltungsrechts tatsächlich Gebrauch gemacht werden.76 Wegen § 389 BGB ist die Zahlung als rechtzeitig anzusehen, wenn die objektive Aufrechnungslage vor Eintritt des Versicherungsfalles bestand, der VN diese jedoch erst danach erklärt.77 Bestand die Aufrechnungslage für den VR bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls, so ist ihm das Rücktrittsrecht und die Berufung auf Leistungsfreiheit verwehrt, da in diesem Fall das Interesse an der Erlangung der Erstprämie gewahrt ist.78 Die Gegenforderung kann sogar die streitige Versicherungsforderung sein.79 Nach im Schrifttum vertretener Ansicht sollen diese Erwägungen auf die Haftpflichtversicherung nicht übertragbar sein, da der VR gem. § 100 lediglich Freistellung schuldet.80 Indes kann einer Berufung des VR auf die Nichtzahlung entgegenstehen, wenn der VN eine ungleichartige Gegenforderung gegen 71 72 73 74

OLG Hamm 30.9.1960 – 7 U 94/60, NJW 1961 1411; OLG Koblenz 3.5.1966 – 1a W 93/66, VersR 1966 1128. Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 47. Lang VersR 1987 1157, 1159; Riedler VersRsch 1993 332, 336. BGH 9.3.1988 – IVa ZR 225/86, VersR 1988 484 (juris Rn. 15); Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 12; OLG Frankfurt 3.8.2005 – 7 U 84/04, VersR 2006 537 (juris Rn. 11). 75 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 17; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 13. 76 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 9. 77 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 13; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 12. 78 BGH 12.6.1985 – IVa ZR 108/83 VersR 1985 877, 878 (juris Rn. 11); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 9. 79 OLG Düsseldorf 23.13.1999 – 4 U 81/98, RuS 2000 185, 186. 80 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 9; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 13. 487

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Zahlungsverzug bei Erstprämie

den VR hat und er deshalb die Zahlung der Prämie nach §§ 320, 273 BGB verweigern kann, dem VN also ein Zurückbehaltungsrecht zusteht. Wenn der VN von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch macht, hat der VR mangels Durchsetzbarkeit der Prämienforderung kein schutzwürdiges Interesse an einer Sanktionierung der Nichtzahlung.81 Ein solches kann sich auch im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie aus Art. 240 § 1 Abs. 1 bzw. Abs. 2 EGBGB ergeben82 (dazu § 38 Rn. 14 ff.). 40 Kann der VR nach § 35 VVG aufrechnen, so gelten die dargestellten Grundsätze ebenfalls.83

5. Tilgungsbestimmungen 41 Probleme bei der Verrechnung von Prämieneingängen können entstehen, sobald der VN aus mehreren Verträgen mit Prämienzahlungen im Rückstand ist und seine Zahlung nicht ausreicht, um alle Prämienschulden zu tilgen. Nach § 366 Abs. 1 BGB ist dabei der Wille des VN dafür entscheidend, auf welche Prämienschuld die Zahlung angerechnet werden soll. In den meisten Fällen ergibt sich der Wille konkludent daraus, dass ein von einem bestimmten Vertrag herrührender Betrag eingefordert wird und dieser exakt vom VN beglichen wird. Bei Identität von Gefordertem und Geleistetem zeigt sich der Wille, diese Prämienschuld zu tilgen.84 Für die seltenen Fälle, in denen keine Tilgungsbestimmung ersichtlich ist, gilt § 366 Abs. 2 42 BGB. Danach ist aus Sicht des VN der „lästigere“ Anspruch zu tilgen. Das ist zumeist der, bei dem am ehesten der Verlust der Deckung droht.85 Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn der eingehende Betrag zwar nicht zur Tilgung der „lästigsten“ Schuld ausreicht, jedoch zur Tilgung einer anderen Schuld genügt. In diesen Fällen wird die Leistung auf diese andere Schuld angerechnet, um sicherzustellen, dass zumindest ein Versicherungsverhältnis aufrecht erhalten bleibt.86

II. Keine Zahlung der Erstprämie im Rahmen des § 37 Abs. 2 43 Ebenso wie im Rahmen von § 37 Abs. 1 setzt eine Leistungsfreiheit gem. § 37 Abs. 2 eine exakte Leistungsaufforderung durch den VR gegenüber dem VN voraus (dazu oben Rn. 29 ). Im Gegensatz zu § 37 Abs. 1, der von „nicht rechtzeitiger Zahlung“ spricht, ist in § 37 Abs. 2 44 ausschließlich von der „Nichtzahlung der Erstprämie“ die Rede. Auch nach der VVG-Reform ist noch ungeklärt, ob das Merkmal der „Rechtzeitigkeit“ in den Abs. 2 hineinzulesen ist. Ein solches Hineinlesen dieses Merkmals in § 37 Abs. 2 hätte zur Folge, dass § 37 Abs. 2 den Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Fälligkeit der Prämie (ca. zwei Wochen nach Erhalt des Versicherungsscheins) nicht erfasst. Dennoch erfolgt ein solches „Hineinlesen“ durch Schrifttum und auch durch Rechtsprechung, wenn auch ohne ausdrückliche Erläuterung und Begründung, wobei oftmals schon nicht hinreichend zwischen § 37 Abs. 1 und § 37 Abs. 2 unterschieden wird.87 Zum früheren Recht hat bereits Riedler diese Frage im Rahmen von § 38 VVG a.F. thema-

81 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 26; in diesem Sinne auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 12.

82 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 26a. 83 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 14. 84 OLG Koblenz 2.5.1980 – 10 U 1024/79, VersR 1980 961; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 11; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 16.

85 BGH 21.11.1975 – IV ZR 112/74, VersR 1976 136, 138 (juris Rn. 22); Gal VersR 2021 414, 420; Lang VersR 1987 1157, 1159. 86 BGH 27.2.1978 – II ZR 3/76, NJW 1978 1524 (juris Rn. 15); Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 15. 87 Schimikowski6 Rn. 155; Wandt6 Rn. 541; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 6; OLG Stuttgart 10.9.2015 – 7 U 78/15, RuS 2015 540, 541 (juris Rn. 5). Beckmann

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B. Tatbestand

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tisiert.88 Gegen ein Hineinlesen der Rechtzeitigkeit in § 37 Abs. 2 lassen sich Einwände erheben. Zunächst einmal enthält der Wortlaut des § 37 Abs. 2, trotz der historisch begründeten Auffassung von Riedler,89 keinen Hinweis auf eine nicht rechtzeitige Leistung. Die „Rechtzeitigkeit der Leistung“ und damit die „Fälligkeit der Prämie“ ist daher kein Merkmal von § 37 Abs. 2.90 Auch aus teleologischen Gesichtspunkten folgt kein anderes Ergebnis. Ein sich am Wortlaut der Vorschrift orientierendes Verständnis wird im Gegenteil dem Willen des Gesetzgebers, am Einlösungsprinzip festzuhalten, in vollem Umfang gerecht. Auch systematische Gesichtspunkte sprechen für diese Lesart. Dass § 37 Abs. 2 gerade nicht auf eine nicht rechtzeitige Zahlung, sondern auf eine Nichtzahlung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls abstellt, ist ein Indiz dafür, dass die Regelung auch in der Phase anwendbar ist, in der die Prämie bis zum Eintritt des Versicherungsfalles nach § 33 Abs. 1 noch nicht fällig geworden ist (vgl. dazu Rn. 71 ff.). Bei einem anderen Verständnis bliebe das VVG im Hinblick auf diese wichtige Fallgruppe lückenhaft.91 Dieser Meinungsstreit ist allerdings nicht entscheidend, wenn AVB § 37 Abs. 2 dahingehend 45 abwandeln, dass es auf eine „nicht rechtzeitige Zahlung“ ankommt, wie z.B. in Nr. 9.2 Satz 1 der AHB Stand 2016.92

III. Hinweispflicht des Versicherers, § 37 Abs. 2 Satz 2 Bereits vor der VVG-Reform 2008 wurde dem VR seitens der Rechtsprechung aufgegeben, den 46 VN über die gravierenden Folgen eines Zahlungsverzugs mit der Erstprämie bei vorläufiger Deckungszusage hinzuweisen.93 Mit der VVG-Reform 2008 hat der Gesetzgeber eine solche Hinweispflicht ausdrücklich in § 37 Abs. 2 Satz 2 kodifiziert. Danach kann der VR sich nur dann auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er zuvor durch „gesonderte Mitteilung in Textform“ oder durch „auffälligen Hinweis im Versicherungsschein“ auf die Rechtsfolgen der Nichtzahlung der Erstprämie aufmerksam gemacht hat.94 Diesen besonderen formalen Voraussetzungen kommt der VR nach, sofern augenscheinlich die Rechtsbelehrung im Versicherungsschein hervorgehoben wird, so dass sie dem VN quasi ins Auge springt. So formuliert das OLG Naumburg, es bedürfe „einer auffälligen, d.h. in besonderem Maße deutlichen und das gravierende Risiko dergestalt eindringlich vor Auge führenden Belehrung des Versicherungsnehmers über die bei nicht rechtzeitiger Zahlung der Erstprämie ihm drohenden Konsequenzen, mit welcher ausdrücklich kraft Gesetzes zu erfüllenden Hinweispflicht der Versicherer auch nicht sonderlich belastet oder gar überfordert wird“.95 Die besondere Bedeutung muss für den VN klar erkennbar sein, so dass grundsätzlich ein Vermerk auf der Rückseite des Versicherungsscheins nicht genügt. Anderes gilt dann, wenn auf der Vorderseite in herausgestelltem Fett- oder Großdruck auf die später folgende Belehrung hingewiesen wird.96 Im Hinblick auf eine gesonderte Mitteilung in Text88 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 55 ff. 89 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 55 ff. 90 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 21; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 410; Wandt/Ganster VersR 2007 1034; BeckOK-VVG/ Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 42; Höra/Steinbeck4 MAH § 2 Rn. 243; Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 37 Rn. 33; a.A. OLG Stuttgart 10.9.2015 – 7 U 78/15, RuS 2015 540, 541 (juris Rn. 5); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 6. 91 Vgl. Höra/Steinbeck4 MAH § 2 Rn. 243. 92 Abgedruckt bei Prölss/Martin31 200. Allgemeine Haftpflichtversicherung. 93 BGH 17.4.1967 – II ZR 228/64, BGHZ 47 352, 362 = VersR 1967 569, 571 (juris Rn. 31); OLG Düsseldorf 8.9.1998 – 4 U 201/97, VersR 1999 829, 830 (juris Rn. 33); allgemein Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 20; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 76. 94 Zur Ausnahme bei arglistigem Handeln durch den VN vgl. noch Rn. 52. 95 OLG Naumburg 23.6.2011 – 4 U 94/10, VersR 2012 973, 974 (juris Rn. 31). 96 OLG Naumburg 23.6.2011 – 4 U 94/10, VersR 2012 973, 974 (juris Rn. 31); LG Dortmund 19.1.2011– 2 O 192/10, RuS 2015 543, 544 (juris Rn. 28); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 15; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 31; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 27. 489

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form gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 ist nicht erforderlich, dass der Hinweis auf einem separaten Schriftstück enthalten ist; es reicht aus, wenn der erforderliche Hinweis durch einen in Schrifttyp und/ oder Farbe hervorstechenden Hinweis erteilt wird.97 Insoweit lassen sich die zur Hinweispflicht gem. § 28 Abs. 4 durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze heranziehen; dazu hat der BGH gleichfalls einen Hinweis in einem separaten Schriftstück nicht für erforderlich gehalten.98 Inhaltlich muss die Belehrung so ausgestaltet sein, dass sie die Gratwanderung zwischen guter Verständlichkeit und umfangreicher Belehrung meistert. Dem VN muss unmissverständlich verdeutlicht werden, dass er zur Zahlung aufgefordert wird und welche Konsequenzen ihm im Falle der Nichtentrichtung der Prämie drohen. Dabei darf sie wiederum nicht zu komplex sein, um die Verständlichkeit zu wahren. Sie muss insbesondere auf die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des VR hinweisen.99 Allein der Hinweis auf „rechtzeitige Zahlung“ ist nicht ausreichend, vielmehr muss dem VN auch mitgeteilt werden, bis wann er zu zahlen hat.100 Darüber hinaus empfiehlt es sich, den VN darüber zu belehren, dass er im Falle einer nicht verschuldeten Nichtleistung den Versicherungsschutz retten kann, sofern er danach schnellstmöglich seine Prämienschuld tilgt. Je nach Art der Versicherung oder der Zahlungsweise können darüber hinaus weitere Ausführungen von Nöten sein. In der Kraftfahrtversicherung ist erforderlich, dass für den VN hinreichend deutlich erkennbar ist, welchen Betrag er für jede Versicherungsart gesondert zur Erhaltung des Versicherungsschutzes aufwenden muss.101 Bei Verwendung des Lastschriftverfahrens bedarf es des Hinweises, dass das Konto des VN hinreichende Deckung oder Kredit aufweist, damit das Lastschriftverfahren durchgeführt werden kann,102 und der Ankündigung des Lastschriftverfahrens in geeigneter Weise, damit er für Deckung sorgen kann.103 Eines entsprechenden Hinweises bedarf es auch bei Vereinbarung der sog. erweiterten Einlösungsklausel (dazu noch Rn. 79). Wird dabei der Versicherungsschutz rückwirkend mit Zahlung der Prämie gewährt, muss auch hier eine qualifizierte Belehrung nach § 37 Abs. 2 Satz 2 über die Rechtsfolgen einer nicht rechtzeitigen Zahlung innerhalb der Frist des § 33 erfolgen.104 Bei Fehlen oder Fehlerhaftigkeit der Belehrung gem. Abs. 2 Satz 2 wird der VR nicht leistungsfrei; der VN wird so gestellt, als habe er rechtzeitig gezahlt.105 Unerheblich ist hierbei, ob der Fehler in der Belehrung kausal für die Nichtzahlung war.106 Zu dieser Hinweispflicht nach § 37 Abs. 2 Satz 2 wird bisweilen angenommen, dass sie sich auch auf § 37 Abs. 1 bezieht und somit der VR auch hinsichtlich der Rücktrittsfolgen warnen muss.107 Dieser Aspekt steht in Zusammenhang mit der Wirkung des Rücktritts und wird unter Rn. 67 angesprochen. Das VVG statuiert an verschiedenen Stellen besondere Hinweispflichten des VR. Speziell zu den Hinweispflichten gem. § 19 Abs. 5 und zu § 28 Abs. 4 nimmt die überwiegende Meinung an, dass es keines Hinweises durch den VR bedarf, wenn der VN arglistig gehandelt hat.108 Ange97 LG Dortmund 19.1.2011– 2 O 192/10, RuS 2015 543, 544 (juris Rn. 31); Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 27; Gal VersR 2021 414, 422.

98 BGH 9.1.2013 – IV ZR 197/11, BGHZ 196 67, 71 f. = VersR 2013 297, 298 Rn. 17 zu § 28 Abs. 4; dem auch für § 37 Abs. 2 Satz 2 folgend Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 27; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 30. 99 Formulierungsvorschlag bei Gitzel VersR 2007 322, 324. 100 LG Dortmund 4.8.2011 – 2 O 130/11, RuS 2012 482 (juris Rn. 20). 101 OLG Hamm 24.1.1990 – 20 U 160/89, RuS 1990 401 (juris Rn. 13); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 23. 102 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 22; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 17. 103 OLG Celle 10.1.1986 – 8 U 79/85, NJW-RR 1986 1359. 104 Armbrüster2 Rn. 1625. 105 LG Dortmund 4.8.2011 – 2 O 130/11, RuS 2012 482 (juris Rn. 20). 106 BGH 26.4.2006 – IV ZR 248/04, NJW-RR 2006 1101, 1104 (juris Rn. 31); Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 30. 107 Gitzel VersR 2007 322. 108 BGH 12.3.2014 – IV ZR 306/13, BGHZ 200 286, 291 = VersR 2014 565 f. Rn. 9 ff.; betreffend § 28 Abs. 4: Langheid/ Wandt/Wandt2 § 28 Rn. 350. Beckmann

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sichts dieser Handhabung bei § 19 Abs. 5 und § 28 Abs. 4 wird dies im Schrifttum nachvollziehbar auch im Rahmen von § 37 Abs. 2 für möglich gehalten, in welchem positive Kenntnis bzgl. einer fehlenden Unterweisung i.S.d. § 37 Abs. 2 Satz 2 bestand und eine Zahlung ausblieb, da scheinbar keine nachteiligen Rechtsfolgen eintreten könnten bzw. dies die Leistungspflicht des VR nicht tangierte.109

IV. Vertretenmüssen § 37 Abs. 1, 2. Hs., Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. Im Rahmen der VVG-Reform 2008 wurde § 37 um eine weitere Besonderheit ergänzt. Die Rechtsfolgen sowohl von § 37 Abs. 1 (Rücktrittsrecht des VR) und des Abs. 2 (Leistungsfreiheit des VR) können nur dann eintreten, sofern der VN die Nichtzahlung zu vertreten hat. Vor der VVGReform spielte es gerade keine Rolle, ob der VN den Zahlungsverzug zu vertreten hatte oder nicht. Mit der Gesetzesänderung wurde damit die Rechtslage an die allgemeinen Verzugsregelungen aus dem BGB angepasst, wonach Verzug nur eintreten kann, wenn der Schuldner diesen auch zu vertreten hatte, §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 286 BGB. Dabei trifft den VN, wie auch in den Regelungen des allgemeinen Schuldrechts, die Darlegungs- und Beweislast bzgl. der Tatsachen, die belegen, dass er den Zahlungsverzug nicht zu vertreten hat („es sei denn“).110 In welchen Fällen sich der VN aber auf ein fehlendes Verschulden berufen kann, ist noch nicht hinreichend geklärt. Gewiss fällt hierunter die frühere Fallgruppe des Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), nach der dem VR nach ganz herrschender Ansicht die Berufung auf die Leistungsfreiheit verwehrt blieb. Ein solcher Fall liegt regelmäßig dann vor, wenn die Unterlassung der rechtzeitigen vollständigen Zahlung der Prämie auf dem Fehlverhalten des VR beruht. Insbesondere bei treuwidriger Vereitelung der rechtzeitigen Zahlung ist dieser Umstand vom VR zu vertreten. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn er den Versicherungsschein nicht rechtzeitig vorlegt,111 bei ungerechtfertigter Ablehnung von Zahlungsangeboten112 oder bei Setzen eines Vertrauenstatbestandes, kraft dessen der VN davon ausgehen kann, dass zunächst keine offene Prämienschuld besteht. Nach § 34 Abs. 1 darf der VR insbesondere keine Zahlungen von Bezugsberechtigten zurückweisen, die ein Recht auf die Versicherungsleistung haben oder auch von Pfandgläubigern. Ein solcher Fall liegt ebenfalls vor, wenn der VR mittels einer Einzugsermächtigung einen zu hohen Betrag abbucht oder er es vor der Abbuchung versäumt hat, den VN über die kommende Belastung seines Kontos zu informieren und in der Folge die Lastschrift mangels Kontodeckung von der Zahlstelle wieder zurückgegeben wird; diese Konstellation lässt sich im Rahmen von § 37 Abs. 2 auch als fehlerhafte Belehrung einordnen (vgl. oben Rn. 48, § 36 Rn. 43). Weiterhin wäre denkbar, dass der VN sich im Falle längerer Ortsabwesenheit auf diesen Ausschluss beruft. Dabei kann jedoch kein Vergleich mit Fällen des Zugangs von Willenserklärungen nach § 130 BGB gezogen werden.113 Regelmäßig liegt der Abschluss des Versicherungsvertrages im Zusammenhang mit Fragen der Erstprämie nicht allzu lange zurück, so dass der VN eine Zahlungsaufforderung in den kommenden Tagen erwarten muss. Eine längere Ortsabwesenheit kann daher regelmäßig nicht ausreichen, um ein Verschulden zu verneinen. Der VN hat dafür Sorge zu tragen, dass ihn in angemessener Zeit derartige Schreiben erreichen. 109 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 30. 110 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 15; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 32; a.A. Gal VersR 2021 414, 417, nach dem es nicht angemessen sei, wenn der VN das Nichtvorliegen einer korrekten Erstprämienanforderung beweisen müsse. Vielmehr könne sich der VR nach Treu und Glauben in einem solchen Fall nicht auf die Rechte aus § 37 VVG berufen. 111 RG 26.2.1935 – VII 227/34, RGZ 147 103, 111. 112 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 24; a.A. LG Köln 27.2.1980 – 74 O 199/79, VersR 1980 962. 113 Erwogen und zutreffend abgelehnt Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 11; vgl. auch Präve/Rehberg Lebensversicherung ARB § 11 Rn. 17. 491

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Ein Beispiel für einen unverschuldeten Verzug mit der Prämie ist etwa bei plötzlich auftretenden Krankheiten oder ähnlichen plötzlich eintretenden Ereignissen, die den VN aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten an einer rechtzeitigen Zahlung hindern, gegeben.114 Außerdem wird angenommen, dass ein Vertretenmüssen verneint werden kann im Falle etwa von missverständlichen Rechnungen, der Zusendung mehrerer Aufforderungen in wechselnder Höhe innerhalb der Zahlungsfrist sowie Diskrepanzen zwischen der angekündigten und der eingeforderten Prämie.115 Im Grundsatz ist dem zuzustimmen; indes setzt § 37 bereits tatbestandlich eine präzise Leistungsaufforderung voraus (oben Rn. 29 und Rn. 43), so dass ein mangelndes Verschulden des VN ein zusätzliches Argument gegen das Eingreifen von § 37 darstellt. In besonderen Ausnahmefällen kann ein Fall des unverschuldeten Verzugs mit der Prämie auch dann vorliegen, wenn der VN sich in einem unverschuldeten Rechtsirrtum über das „ob“, die Höhe oder den Zeitpunkt der Prämienzahlungspflicht befand.116 Im Hinblick auf die Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung kann dem VN ein Fehlverhalten der eingeschalteten Banken ohnehin nicht zugerechnet werden, da es sich bei der Prämienzahlungspflicht um eine modifizierte Schickschuld handelt (vgl. dazu § 36 Rn. 22). Soweit Stimmen im Schrifttum demgegenüber eine modifizierte Bringschuld annehmen wollen,117 soll aber gleichfalls eine Zurechnung des Fehlverhaltens eingeschalteter Banken doch nicht erfolgen.118 Exkulpieren kann sich der VN jedenfalls nicht mit dem Einwand des Fehlens der nötigen 58 finanziellen Mittel.119 Nach dem aus dem geltenden Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht abgeleiteten Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung hat jedermann, ohne Rücksicht auf ein Verschulden, für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen.120 Problematisch gestaltet sich darüber hinaus die Frage, ob der VR leisten muss, wenn inner59 halb der Zahlungsfrist des § 33 ein Versicherungsfall eintritt, der VN bis dato noch nicht gezahlt hat, aber innerhalb der Frist die Prämienschuld noch begleicht (dazu Rn. 71 ff.). Bisher lediglich vereinzelt problematisiert ist zudem der Fall einer dem VN gelingenden 60 Exkulpation, wenn dieser nach Wegfall des schuldausschließenden Umstandes nicht umgehend die Zahlung der Erstprämie vornimmt. Zwar deutet der Wortlaut auf ein Fortbestehen des Versicherungsschutzes hin, jedoch vermag eine einzig am Wortlaut haftende Betrachtung nicht zu überzeugen, da die Deckung in diesem Fall nicht eingelöst ist, sondern lediglich so behandelt wird.121 Ein rückwirkender Wegfall einer einmal eingetretenen Deckungspflicht ist jedoch nicht anzunehmen.122 57

V. Rechtsfolgen des Zahlungsverzugs 1. Zahlungspflicht des Versicherungsnehmers/Verzugszinsen 61 Der Eintritt des Zahlungsverzugs mit der Erst- oder Einmalprämie hat keinen Einfluss auf die Pflicht des VN, die vereinbarte Prämie zu entrichten. Vielmehr bleibt die Prämienzahlungspflicht des VN bestehen. Nach früherem Recht vor der VVG-Reform 2008 galt es gem. § 38 Abs. 1 114 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 20; R. Johannsen FS Schirmer, 263, 264; Beckmann Einlösungsprinzip, 43, 46.

115 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 20. 116 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 28; vgl. auch BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15, VersR 2017 677, 679 Rn. 19 f. 117 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 36 Rn. 10. 118 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 19. 119 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 1; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 16; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 34 Rn. 1. 120 BGH 4.2.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204 134, 140 = NJW 2015 1296, 1297 Rn. 18. 121 Gal VersR 2021 414, 423. 122 Gal VersR 2021 414, 423. Beckmann

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Satz 2 a.F. als Rücktritt des VR, wenn der Anspruch auf die Prämie nicht innerhalb von drei Monaten vom Fälligkeitstage an gerichtlich geltend gemacht wird; nach h.M. handelte es sich hierbei um eine Fiktion.123 Dies gilt nach neuem Recht nicht mehr.124 Vielmehr ist einzig der tatsächlich erklärte Rücktritt vom Vertrag dazu geeignet, die Prämienzahlungspflicht des VN zu beseitigen. Durch den Zahlungsverzug mit der Erst- oder Einmalprämie können jedoch Sekundäransprüche in Form von Verzugszinsen gegen den VN entstehen, die der VR nach den allgemeinen Vorschriften des BGB geltend machen kann, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 BGB.

2. Rücktrittsrecht des VR § 37 Abs. 1 Eine der beiden von § 37 angeordneten Rechtsfolgen für den Fall des Zahlungsverzugs mit der Erst- oder Folgeprämie ist das Rücktrittsrecht des VR nach § 37 Abs. 1. § 37 Abs. 1 ist dabei lex specialis zu den allgemeinen Rücktrittsvorschriften des § 323 BGB.125 Vor allem ist das Setzen einer Nachfrist nicht erforderlich. Der VR hat demnach, unabhängig von einer etwaigen Leistungsfreiheit gem. Abs. 2 die Option, vom bestehenden Vertrag Abstand zu nehmen. Voraussetzung für das Bestehen des Rücktrittsrechts ist die nicht rechtzeitige Zahlung der Erst- oder Einmalprämie. Des Weiteren muss der VN diesen Zahlungsverzug zu vertreten haben, wofür jedoch das Gesetz die grundsätzliche Vermutung eines Vertretenmüssens aufstellt; zum Vertretenmüssen vgl. bereits oben Rn. 53 ff. § 37 Abs. 1 setzt voraus, dass die einmalige oder die erste Prämie nicht rechtzeitig gezahlt ist. „Zahlungsverzug bei Erstprämie“ – so die amtliche Bezeichnung der Vorschrift – i.S.d. § 286 BGB ist demnach nicht Voraussetzung.126 Für die nicht rechtzeitige Zahlung der einmaligen oder ersten Prämie gem. § 37 Abs. 1 genügt das Ausbleiben der Leistungshandlung zum Zeitpunkt der Fälligkeit.127 Soweit keine vorrangige wirksame Vereinbarung zur Fälligkeit besteht, bestimmt sich die Fälligkeit nach § 33 Abs. 1. Danach hat der VN die fällige Prämie unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins zu zahlen. Unter „unverzüglich“ ist im Grunde zu verstehen, dass der VN ohne schuldhaftes Zögern zahlt. Hierin steckt eine subjektive Komponente, die auf ein Verschulden anspielt.128 Zur Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung vgl. die Ausführungen zu § 36 Rn. 28 ff. Der Rücktritt muss vom VR gegenüber dem VN ausdrücklich erklärt werden129 und diesem zugehen. Alleine die Berufung auf Leistungsfreiheit genügt den Anforderungen an eine Rücktrittserklärung nicht.130 Eine Begründungspflicht des VR, wie sie teilweise angenommen wird,131 kann schon vom Wortlaut her nicht verlangt werden. Ein Hinweis auf den Zahlungsverzug ist jedoch angebracht. Eine Form ist bei der Rücktrittserklärung nicht einzuhalten.132 Der Rücktritt ist nur solange möglich, wie der VN seiner Zahlungspflicht nicht nachgekommen ist; vgl. § 37 Abs. 1 („solange die Zahlung nicht bewirkt ist“). Selbst nach Eintritt des Verzugs ist dieser nämlich berechtigt, nachzuzahlen, um so den Versicherungsschutz wieder herzu123 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 88. 124 A.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 17, wonach sich aus § 242 BGB eine Pflicht des VR ergebe, den Schwebezustand innerhalb von drei Monaten zu beenden; danach sollten die Rechtsfolgen des Rücktritts von Rechts wegen eintreten. Vgl. auch zur Rechtslage in Österreich Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 52. 125 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 19. 126 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 81. 127 OLG Stuttgart 10.9.2015 – 7 U 78/18, VersR 2015 1541 (juris Rn. 5); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 9. 128 Höra/Steinbeck4 MAH § 2 Rn. 242. 129 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 12; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 35; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 19. 130 OLG Hamm 3.4.1981 – 20 U 162/80, VersR 1981 1148, 1149 f.; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 26. 131 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 85; a.A. Schulz VersR 1968 332. 132 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 19. 493

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stellen.133 Das Recht des VN erlischt erst mit Zugang der Rücktrittserklärung. Eine Nachzahlung ist daher selbst im Falle einer bereits abgesandten Erklärung möglich. Nach Zugang der Rücktrittserklärung gilt die Zahlung als ein Angebot des VN auf Abschluss eines neuen Vertrages, welches der VR annimmt, soweit er den Betrag nicht nach Ablauf einer angemessenen Frist zurücksendet.134 Zudem besteht das Rücktrittsrecht nicht, wenn der VN die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat (dazu bereits oben Rn. 53; zur Beweislast Rn. 54). 66 Rechtsfolge des erklärten Rücktritts ist nach allgemeinem Verständnis die Umwandlung des Versicherungsvertrages in ein Rückgewährschuldverhältnis. Dadurch erlischt jedenfalls die Zahlungspflicht des VN rückwirkend.135 Auf Seiten des VN hat dies zur Folge, dass er gezahlte Prämien zurückfordern kann. Nach allgemeinen Grundsätzen würde der Rücktritt – auch rückwirkend – den Versicherungsschutz beseitigen136 (dazu sogleich Rn. 67). Wurde vorläufige Deckung vereinbart, steht dem VR eine angemessene Prämie für die bis dahin bestandene Laufzeit zu, wenn der Vertrag später nicht zustande kommt, § 50. Ansonsten kann der VR eine angemessene Geschäftsgebühr verlangen, wie es sich aus § 39 Abs. 1 Satz 3 ergibt. Die Frage der Angemessenheit beurteilt sich in erster Linie nach der Art der Versicherung und den beim VR entstandenen Kosten137 (vgl. § 39 Rn. 15). 67 Dass ein Rücktritt – nach allgemeinen Rücktrittswirkungen – zu einem rückwirkenden Wegfall des Versicherungsschutzes führen würde,138 ist problematisch. Teilweise wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, der Rücktritt habe ex-tunc-Wirkung.139 Damit kann nicht gemeint sein, dass der Vertrag von Anfang an beseitigt wird, so wie dies bei einer Anfechtung gem. § 142 BGB der Fall ist. Vielmehr soll zum Ausdruck kommen, dass der Versicherungsvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt wird. Konsequenz wäre nach allgemeinem Verständnis der Wirkungen eines Rücktritts, dass im Falle eines Rücktritts durch den VR – auch rückwirkend – kein Versicherungsschutz mehr besteht.140 Hierfür spricht neben der allgemeinen Wirkung eines Rücktritts auch die Vorschrift des § 39 Abs. 1 Satz 3, wonach der VR im Falle eines Rücktritts lediglich eine angemessene Geschäftsgebühr verlangen kann. Zu Recht hat indes Wandt Bedenken geäußert, wenn Leistungsfreiheit insbesondere gem. § 37 Abs. 2 nur unter strengen Voraussetzungen eintreten solle. So könne der VR, wenn er den in § 37 Abs. 2 Satz 2 geforderten Rechtsfolgenhinweis unterlassen hat und deshalb nach dieser Vorschrift nicht leistungsfrei ist, gem. § 37 Abs. 1 vom Vertrag zurücktreten und hierdurch rückwirkend den Versicherungsschutz vermeiden und damit letztlich Leistungsfreiheit herbeiführen. Zur Harmonisierung bedürfe es deshalb Korrekturen des § 37 Abs. 1.141 Für ein selbständiges Nebeneinander von § 37 Abs. 1 und Abs. 2 lassen sich durchaus Gründe nennen. So wollte der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage (Rücktritt mit rückwirkendem Wegfall des Versicherungsschutzes)142 offenbar aufrecht erhalten. Weiter stellen § 37 Abs. 1 und Abs. 2 unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen auf; so kann der VN immerhin einen Rücktritt des VR durch Zahlung der Prämie verhindern („solange die Zahlung nicht bewirkt ist“). Andererseits ist der Schutzzweck insbesondere des § 37 Abs. 2 Satz 2 zu beachten. Dem VN soll die Konsequenz der Nichtzahlung der Prämie bewusst sein; nur dann soll Leistungsfreiheit bestehen. Dieser Gedanke gilt unabhängig davon, ob der Versicherungsschutz durch Leistungsfreiheit (Abs. 2) oder durch Rücktritt (Abs. 1)

Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 11; Gärtner 84; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 83. Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 96. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 37. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 38. Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 57. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 38. Wandt6 Rn. 544; RegE S. 72. Vgl. Wandt6 Rn. 544; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 38; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 416; a.A. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 27 (ex-nunc-Wirkung des Rücktritts). 141 Wandt6 Rn. 544; a.A. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 27. 142 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 94.

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entfällt. Soweit deshalb ein rückwirkender Wegfall des Versicherungsschutzes infolge eines Rücktritts im Raum steht, wird man zumindest § 37 Abs. 2 Satz 2 analog anzuwenden haben.143 Im Ergebnis kann der Rücktritt gem. § 37 Abs. 1 nur dann auch zur Leistungsfreiheit des VR führen, wenn zusätzlich die formalen Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 2 erfüllt sind.144 Ohne die Belehrung ist wegen der sonst offensichtlichen Diskrepanz zwischen § 37 Abs. 1 und Abs. 2 Leistungsfreiheit erst ab Zugang der Rücktrittserklärung anzunehmen.

3. Leistungsfreiheit des VR § 37 Abs. 2 a) Nichtzahlung bei Versicherungsfall. Leistungsfreiheit des VR gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 setzt 68 zunächst voraus, dass die Erst- oder Einmalprämie zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles nicht entrichtet wurde. Ausschlaggebend für die Frage nach der erfolgten Zahlung ist der Zeitpunkt der Leistungshandlung145 (vgl. zum Inhalt der erforderlichen Leistungshandlung § 36 Rn. 10 ff.). Der VN muss also vor Eintritt des Versicherungsfalles seine Leistungshandlung erbracht haben. Anders als bei § 37 Abs. 1 (wo es heißt: „nicht rechtzeitig gezahlt“) heißt es in Abs. 2 „nicht gezahlt“; auf die Fälligkeit der Prämienforderung kommt es im Rahmen des § 37 Abs. 2 damit nicht an146 (vgl. bereits oben Rn. 44). Der Begriff des Versicherungsfalles ist nicht legaldefiniert, findet regelmäßig eine Konkretisierung in den jeweiligen Versicherungsbedingungen. Allgemein lässt sich der Versicherungsfall umschreiben als ein Ereignis, das dazu imstande ist, die Eintrittspflicht des VR hervorzurufen.147 Bei sog. gedehnten Versicherungsfällen ist der Zeitpunkt entscheidend, zu dem erstmals der Zustand des Versicherungsfalles vorlag.148 Trotz Nichtzahlung der Prämie bei Eintritt des Versicherungsfalles besteht indes gem. § 37 69 Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. Versicherungsschutz, wenn der VN die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat (dazu bereits oben Rn. 53); insoweit trägt der VN die Beweislast149 (dazu Rn. 54). Weiter setzt Leistungsfreiheit des VR gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 voraus, dass er den Versiche- 70 rungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge der Nichtzahlung der Prämie aufmerksam gemacht hat (dazu bereits oben Rn. 46 ff.)

b) Besonderheiten zu § 37 Abs. 2 aa) Auswirkungen der Zahlungsfrist gem. § 33 Abs. 1 auf eine mögliche Leistungsfrei- 71 heit gem. § 37 Abs. 2. Infolge der Neufassung des § 33 Abs. 1 ist umstritten, ob Versicherungsschutz besteht, wenn der Versicherungsvertrag geschlossen wurde und ein Versicherungsfall vor Prämienzahlung eingetreten ist, der VN aber seiner Prämienzahlungspflicht noch innerhalb der Frist des § 33 Abs. 1 nachkommt. Dabei geht es um die Frage, wie sich die Neuregelung 143 Ähnlich Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 416; Gitzel VersR 2007 322 (der § 37 Abs. 2 Satz 2 als einen eigenen Abs. 3 der Vorschrift ansehen möchte und damit zum gleichen Ergebnis gelangt).

144 Im Ergebnis ebenso Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 20; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 16; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 27; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 38. 145 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 21. 146 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 21; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 42; Staudinger/Halm/Wendt/ Thessinga2 § 37 Rn. 33; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 410; Wandt/Ganster VersR 2007 1034; Höra/Steinbeck4 MAH § 2 Rn. 243; Beckmann Einlösungsprinzip, 43, 52 ff.; a.A. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 6; OLG Stuttgart 10.9.2015 – 7 U 78/15, RuS 2015 540, 541 (juris Rn. 5). 147 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 58. 148 Vgl. hierzu BGH 22.2.1984 – IVa ZR 63/82, VersR 1984 630, 632 (juris Rn. 27). 149 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 58. 495

Beckmann

§ 37 VVG

Zahlungsverzug bei Erstprämie

der Fälligkeit gem. § 33 Abs. 1 auf das Einlösungsprinzip gem. § 37 Abs. 2 auswirkt.150 Diese Konstellation ergibt sich z.B., wenn der Vertragsschluss am 2.4. mit gleich datiertem Versicherungsbeginn erfolgt, die Zahlungsfrist nach § 33 bis zum 19.4. läuft, der Versicherungsfall am 6.4. eintritt und der VN die Prämie am 11.4. bezahlt. Die wohl überwiegende Ansicht bejaht hier das Bestehen einer Leistungspflicht des VR; zur Begründung wird insbesondere angeführt, dass nach § 37 Abs. 2 die Leistungsfreiheit nur bestehen könne, wenn der VN die Nichtzahlung nicht zu vertreten habe.151 Solange er innerhalb der Zahlungsfrist von § 33 Abs. 1 die Prämie entrichte, würde er unverschuldet handeln. Der VR müsse demnach leisten. Es erscheint allerdings fraglich, ob bei dieser Konstellation tatsächlich stets von einem fehlenden Verschulden (dazu unten) und der Leistungsfreiheit des VR als Regelfall ausgegangen werden kann. Hintergrund dieser Ansicht ist, dass nach alter Rechtslage der VN die Erstprämie unverzüglich nach Erhalt des Versicherungsscheins bezahlen musste, § 35 a.F. Nach aktueller Fassung des § 33 Abs. 1 bleibt ihm hierzu eine Frist (unverzüglich nach Ablauf) von 14 Tagen. Grund hierfür ist die Widerrufbarkeit von Versicherungsverträgen nach § 8. Der Leistungsaustausch soll erst erfolgen, sofern der Versicherungsvertrag endgültig besteht.152 Eine Benachteiligung des VN sollte hiermit allerdings nicht einhergehen. Nutzt der VN aber gem. § 33 Abs. 1 zulässigerweise diese gesetzliche Frist aus, führt dies zu einer vom Gesetzgeber kaum beabsichtigten „Irreführung“ des VN, die als unbillig empfunden wird.153 Der VN kann faktisch die ihm vom Gesetzgeber eingeräumte Frist nicht ausnutzen, da er andernfalls Gefahr läuft, im Versicherungsfall nicht abgesichert zu sein. Ein Schutz des VN lässt sich auch nicht darüber erreichen, dass § 37 Abs. 2 erst ab Fälligkeit der Erstprämie Anwendung findet.154 Eine derartige Einschränkung ergibt sich weder aus dem Wortlaut, noch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Der Wortlaut umfasst gerade nicht „die Nichtzahlung trotz Fälligkeit“ (vgl. Rn. 44). Vor diesem Hintergrund und angesichts der Bedeutung des Einlösungsprinzips lässt sich die Systematik der §§ 33, 37 zumindest als missglückt bezeichnen. Hier hätte es einer klareren rechtlichen Regelung bedurft. 72 Gleichwohl ist das Einlösungsprinzip mit § 33 Abs. 1 vereinbar, so dass der Versicherungsschutz erst beginnt, wenn der Versicherungsnehmer zunächst seine Prämie bezahlt.155 Für die Anwendung und den Vorrang des § 37 Abs. 2 gegenüber § 33 Abs. 1 spricht bereits der Wortlaut des § 37 Abs. 2, der darauf abstellt, dass die einmalige oder erste Prämie „nicht gezahlt“ ist; insoweit kommt es – anders als bei § 37 Abs. 1 („nicht rechtzeit gezahlt“) – nicht auf die Fälligkeit der Prämie an (dazu bereits oben Rn. 44). Hiermit bringt der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck, dass er am Einlösungsprinzip festhalten möchte. Würde man den Versicherungsschutz schon vor Zahlung der Erstprämie bejahen, käme dies einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Abschwächung des Einlösungsprinzips gleich. Es kommt ein Weiteres hinzu: Ausdrücklich geht der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien davon aus, dass die erweiterte Einlösungsklausel unverändert Bedeutung hat.156 So werden in der Gesetzesbegründung die Wirkungen der sog. erweiterten Einlösungsklausel beschrieben. Danach bewirkt eine erweiterte Einlösungsklausel: „Versicherungsschutz tritt rückwirkend ein, wenn die Erstprämie rechtzei-

150 Dazu Beckmann Einlösungsprinzip, 43, 52 ff. 151 R. Johannsen FS Schirmer, 263 ff.; Schimikowski6 Rn. 155; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 47; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 37 Rn. 22; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 18; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 17; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 37 Rn. 19; Höra/Steinbeck4 MAH § 2 Rn. 243; Meixner/Steinbeck2 § 6 Rn. 28 f.; im Ergebnis ähnlich aber mit anderer Begründung Riedler VersRsch 1993 332, 340; a.A. Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 22; Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1035; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 410; Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 37 Rn. 34; Beckmann Einlösungsprinzip S. 43. 152 BTDrucks. 16/3945 S. 70. 153 R. Johannsen FS Schirmer, 263, 264 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 37 Rn. 18. 154 So aber Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1036. 155 Ebenso Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 22; Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1035; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 410; Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 37 Rn. 34; Gal VersR 2021 414, 423. 156 BTDrucks. 16/3945 S. 71. Beckmann

496

B. Tatbestand

VVG § 37

tig gezahlt wird.“157 Im Umkehrschluss bedeutet dies: In der Gesetzesbegründung geht man eben nicht davon aus, dass die rechtzeitige Zahlung rückwirkenden Versicherungsschutz begründet. Die erweiterte Einlösungsklausel wäre im Grunde nicht mehr vonnöten, wenn immer Versicherungsschutz rückwirkend bestehen würde, sofern der VN die Erstprämie rechtzeitig zahlt.158 Ein entscheidender Ansatzpunkt für die hier vertretene Ansicht ist in der vom Gesetzgeber 73 eingeführten Belehrung gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 zu sehen.159 Danach ist der VR leistungsfrei, wenn er den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge aufmerksam gemacht hat. Diese Regelung ist zunächst ein weiterer Beleg dafür, dass das Einlösungsprinzip trotz der neuen Fälligkeitsregelung des § 33 Bestand haben sollte. Der Gesetzgeber stellt mit ihr sicher, dass der VR den VN schon in eigenem Interesse, um seine Leistungspflicht zu vermeiden, in aller Deutlichkeit darauf hinweist, dass erst die Zahlung seiner Erstprämie zum materiellen Versicherungsbeginn führt. Durch einen solchen deutlichen Hinweis (zu den Anforderungen oben Rn. 46) lässt sich eine Ungewissheit des VN über die Rechtslage in der Regel vermeiden. Konsequenz ist, dass der VN die Nichtzahlung der Prämie zu vertreten hat, da es nach diesem Hinweis an ihm liegt, den Versicherungsbeginn herbeizuführen und eine Leistungsfreiheit des VR zu vermeiden.160 Damit will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Leistungsfreiheit des VR der Ausnahmefall bleibt und das Einlösungsprinzip auch in dieser Konstellation gewahrt ist. Sofern der VR eine erweiterte Einlösungsklausel verwendet, stellt sich dieses Problem an- 74 sonsten nicht161 (zur erweiterten Einlösungsklausel vgl. auch Rn. 79).

bb) Vorläufige Deckung/deckende Stundung/Rückwärtsversicherung. Im Falle der Ver- 75 einbarung einer vorläufigen Deckung oder deckenden Stundung ist der VR unabhängig von der Prämienzahlung zunächst verpflichtet, Versicherungsschutz zu gewähren. Für die vorläufige Deckung folgt dies aus § 51 Abs. 1; danach kann aber der Versicherungsschutz der vorläufigen Deckung von der Prämienzahlung abhängig gemacht werden. Wurde eine diesbezügliche Regelung getroffen, entfällt die Leistungspflicht des VR, wenn der VN die Prämie zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles noch nicht entrichtet hat. Dazu bedarf es einschränkend jedoch ebenfalls einer gesonderten Mitteilung seitens des VR in Textform oder eines auffälligen Hinweises im Versicherungsschein, § 51 Abs. 1. Das Gesetz ordnet des Weiteren die Beendigung des Vertrages über die vorläufige Deckung an, sobald der VN in Zahlungsverzug gerät. Hierzu ist ebenfalls eine gesonderte Mitteilung des VR notwendig, § 52 Abs. 1 Satz 2. Auf Rückwärtsversicherungen passt § 37 Abs. 2 schlichtweg nicht. Es ist gerade die Beson- 76 derheit bei Rückwärtsversicherungen, dass Versicherungsschutz bereits ab einem Zeitraum gewährt wird, der vor dem eigentlichen Vertragsschluss liegt, § 2 Abs. 1. In diesem Fall kann Versicherungsschutz nicht erst nach Zahlung der Prämie bestehen. Der Gesetzgeber hat dies ausdrücklich in § 2 Abs. 4 klargestellt und § 37 Abs. 2 für unanwendbar erklärt. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass die Nichtzahlung der Erstprämie unsanktioniert 77 bliebe. Der VR kann zwar nicht über § 37 Abs. 2 von seiner Leistungspflicht frei werden. Bei Zahlungsverzug mit der Erstprämie und darauf folgendem Rücktritt entfällt der Versicherungsschutz aber rückwirkend; notwendig ist indes eine Belehrung gem. § 37 Abs. 2 Satz 2. Insofern bedarf es keiner teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 4, um die nicht rechtzeitige Zahlung

157 158 159 160

BTDrucks. 16/3945 S. 71. Beckmann Einlösungsprinzip, 43, 54 ff.; vgl. auch auch Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1036. Ebenso Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 22. I.E. ebenso Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 22; Wandt/Ganster VersR 2007 1034, 1035; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 410; Staudinger/Halm/Wendt/Thessinga2 § 37 Rn. 34. 161 Ebenso Prölss/Martin/Reiff31 § 36 Rn. 22. 497

Beckmann

§ 37 VVG

Zahlungsverzug bei Erstprämie

zu sanktionieren.162 Zahlt der VN gar nicht, kann kein Versicherungsschutz bestehen.163 Zum einen ist der VN überhaupt nicht schutzwürdig. Wenn er schon allgemein bei Zahlungsverzug nicht auf den gegenwärtigen Versicherungsschutz vertrauen kann, gilt dies erst recht für den rückwirkend gewährten Versicherungsschutz. Auch der VR wird kein Interesse haben, seine zusätzlich erbrachte Leistung weiterzugewähren, obwohl sich der VN vertragswidrig verhalten hat.164

78 cc) Leistungspflicht gegenüber Dritten. Abweichend von § 37 Abs. 2 legt § 117 Abs. 1 fest, dass die Leistungsfreiheit bei Pflichtversicherungen nicht gegenüber dem geschädigten Dritten gilt. Die Regelungen über die Pflichtversicherungen dienen in erster Linie dem Schutz des Verletzten. Da dieser keine Kenntnis über die jeweiligen vertraglichen Verhältnisse haben kann, muss sein Vertrauen im Rahmen von Pflichtversicherungen auf das Bestehen des Versicherungsschutzes seines Gegenübers geschützt werden. Nach früherem Recht resultierte aus § 158c deshalb zwar kein Direktanspruch gegen den VR. Die Norm diente jedoch zur Schaffung eines fiktiven Deckungsanspruchs, so dass die Leistungsfreiheit sich nicht gegenüber dem Dritten auswirken konnte. Lediglich für Kfz-Versicherungen normierte § 3 Nr. 6 PflVG a.F. einen Direktanspruch des Dritten gegen den VR. Nach der seit der VVG-Refom 2008 geltenden Rechtslage gewährt § 115 Abs. 1 Satz 2 2. Var. in den in § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Fällen dem Dritten nunmehr auch im Falle der Leistungsfreiheit des VR gegenüber dem VN einen Direktanspruch unter den Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 bis 4. Der VR haftet dann neben dem VN als Gesamtschuldner, § 115 Abs. 1 Satz 4. Damit der VR endgültig von seiner Leistungspflicht frei wird, muss er die Erfordernisse des § 117 Abs. 2 erfüllen. Demnach wirkt eine Leistungsfreiheit gegenüber Dritten erst einen Monat nach Anzeige des Nichtbestehens des Versicherungsverhältnisses gegenüber der zuständigen Stelle.165

79 dd) Erweiterte Einlösungsklauseln. Das in § 37 enthaltene Einlösungsprinzip statuiert eine Haftungspflicht des VR im Grunde erst ab dem Zeitpunkt der Zahlung der Erst- bzw. Einmalprämie. Erst ab diesem Zeitpunkt ist er grundsätzlich verpflichtet, Versicherungsschutz zu gewährleisten. Zahlt der VN jedoch seine Prämie rechtzeitig, hat dies Rückwirkung auf den Zeitpunkt des eigentlich vorgesehenen formellen Versicherungsbeginns, solange der VR ihn nicht gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 darauf hingewiesen hat, dass erst seine Prämienzahlung zum Beginn des Versicherungsschutzes führt (vgl. hierzu Rn. 49 f.). Viele AVB sehen jedoch ohnehin in Abweichung von § 37 vor, dass bei rechtzeitiger Prämienzahlung durch den VN dieser rückwirkend auf den Zeitpunkt des formellen Versicherungsbeginns Versicherungsschutz erlangen soll (sog. erweiterte Einlösungsklausel). Der vorverlegte Versicherungsschutz entfällt zumeist nur dann, wenn der VN die Prämie nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 33 entrichtet. Dann wird erst ab dem Zeitpunkt der Zahlung Versicherungsschutz gewährt. Eine solche Regelung stellt für den VN eine vorteilhafte dar, so dass eine derartige Abweichung nicht an § 42 scheitert. Gleichwohl muss der VR den VN auch bei der erweiterten Einlösungsklausel gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 über die Folgen einer nicht rechtzeitigen Zahlung ordnungsgemäß belehren166 (vgl. auch Rn. 84).

162 So aber Schirmer FS Wälder, 67, 78, der von einer ex-nunc-Wirkung des Rücktritts ausgeht. 163 Vgl. auch Prölss/Martin/Armbrüster31 § 2 Rn. 43, wonach beim Verzug des VN der Versicherungsschutz erst vom Zeitpunkt der Zahlung an in Kraft tritt (soweit eine Belehrung gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 vorliegt). 164 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 60. 165 Vgl. hierzu die Kommentierung der §§ 113 ff. 166 Veith/Gräfe/Gebert/Marlow/Anschlag4 § 12 Rn. 81; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 60. Beckmann

498

B. Tatbestand

VVG § 37

ee) Verzicht des Versicherers. In seltenen Einzelfällen ist es möglich, dass der VR auf die 80 rechtlichen Wirkungen des § 37 Abs. 2 verzichtet.167 Ein derartiger Ausnahmefall ist jedoch an enge Kriterien zu knüpfen. Der VR muss ausdrücklich oder konkludent diesen Verzicht deutlich machen. Dabei muss er in Kenntnis aller zur Leistungsfreiheit beitragenden Gegebenheiten handeln. An dem Erklärungsinhalt dürfen hinsichtlich des Verzichts keine Zweifel bestehen. Alleine in der Mitteilung bezüglich der Schadensabwicklung kann noch kein hinreichender 81 Beleg für einen Verzicht des VR gesehen werden. Zumeist wird hierbei ohnehin der Umfang der Vollmacht des jeweiligen Vertreters nicht ausreichen, um eine derartige Vorgehensweise zu rechtfertigen. Auch in der Annahme oder Anmahnung weiterer Prämien liegt kein Verzicht.168 In der Annahme einer Leistung auf die Prämienschuld kann nicht zugleich ein Verzicht auf bereits entstandene Rechte gesehen werden. Der VR ist jedoch nach Treu und Glauben dazu verpflichtet, auf die mangelnde Deckung hinzuweisen, da er ansonsten möglicherweise im Wege des Schadensersatzes zum Ersatz verpflichtet ist.169

ff) Sicherungsschein. Zwar kann sich der VR bei Ausstellung eines Sicherungsscheins gegen- 82 über dem VN auf Leistungsfreiheit berufen, jedoch gilt dies nicht gegenüber dem redlichen Inhaber des Sicherungsscheins, sofern der VR in diesem nicht deutlich darauf hinweist, dass der Versicherungsschutz mangels Zahlung der Erstprämie noch nicht besteht oder wieder entfallen kann, da der Inhaber auf die Korrektheit vertrauen darf.170

VI. Dispositivität § 37 ist halbzwingend. Die Norm kann aufgrund der Vorschrift des § 42 nicht zu Lasten des VN 83 abgeändert werden. Eine anders lautende vertragliche Vereinbarung wäre demnach unzulässig und daher unwirksam. Zulässig ist etwa die Vereinbarung einer erweiterten Einlösungsklausel (vgl. Rn. 79).171 84 Diese sieht vor, dass bei rechtzeitiger Zahlung der ersten oder einmaligen Prämie der Versicherungsschutz ab dem Zeitpunkt, der im Versicherungsschein vorgesehen ist, rückwirkend besteht (vgl. bereits oben Rn. 79). Nur für den Fall, dass der erste oder einmalige Beitrag zu spät entrichtet wird, soll der materielle Versicherungsbeginn erst ab dem Zeitpunkt der Zahlung ansetzen. Ein Beispiel stellt § 7 Satz 1 ARB 2010 dar.172 Bei AVB zu Wohngebäude- und Hausratversicherungen wird von § 33 insoweit abgewichen, als dass die erste oder einmalige Prämie unverzüglich nach dem vereinbarten und im Versicherungsschein angegebenen Zeitpunkt zu zahlen ist, Abschnitt B Nr. 2 VHB 2008, Abschnitt B Nr. 2 VGB 2008. Zahlt der Versicherungsnehmer hiernach nicht unverzüglich, beginnt der Versicherungsschutz auch erst mit erfolgter Zahlung. Auch bei der erweiterten Einlösungsklausel muss der VR den VN gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 über die Folgen einer nicht rechtzeitigen Zahlung ordnungsgemäß belehren.173 Ebenso kann auch weiterhin klargestellt werden, dass erst die Zahlung der Erstprämie zum Beginn des Versicherungsschutzes führt. Die Behandlung einer Erst- als Folgeprämie stellt eine für den VN günstigere Regelung 167 OLG Hamm 12.3.1986 – 20 U 242/85, VersR 1987 926. 168 BGH 24.1.1963 – II ZR 89/61, NJW 1963 1054, 1056; LG Berlin 10.7.1967 – 7 S 23/67, VersR 1969 51, 52; Prölss/ Martin/Reiff31 § 37 Rn. 23; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 38 ÖVVG Rn. 70.

169 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 19; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 24. 170 BGH 5.6.1985 – IVa ZR 113/83, VersR 1985 981, 982; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 37 Rn. 19; Prölss/Martin/ Reiff31 § 37 Rn. 33.

171 Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 34; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 53; kritisch gegenüber erweiterten Einlösungsklauseln BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 37 Rn. 65.

172 Vgl. Harbauer/Cornelius-Winkler9 Rechtsschutzversicherung, Teil C § 7 Rn. 4. 173 Veith/Gräfe/Gebert/Marlow/Anschlag4 § 12 Rn. 81; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 60. 499

Beckmann

§ 37 VVG

Zahlungsverzug bei Erstprämie

dar, da die Leistungsfreiheit des VR nur unter den Voraussetzungen des § 38 eintritt. Sie wäre daher zulässig. Ebenfalls keine unzulässige Vereinbarung ist die Klausel, dass im Falle des Verzugs mit einer Rate alle noch ausstehenden Raten verlangt werden können.174 Insoweit wird der Regelungsbereich von § 37 schon nicht berührt.

C. Prozessuales 85 Die Beweislastverteilung im Prozess ist von besonderer Bedeutung für beide Parteien. Dem Grundsatz entsprechend, dass jede Partei die für sie günstigeren Umstände zu beweisen hat, obliegt die Beweislast hinsichtlich der Rechtzeitigkeit und Korrektheit der Zahlung dem VN.175 Des Weiteren trägt der VN die Beweislast, wenn er sich auf die Exkulpationsmöglichkeit des § 37 Abs. 1 a.E. und Abs. 2 Satz 1 a.E. beruft (vgl. auch Rn. 54). Er hat also darzulegen, dass er die nicht rechtzeitige Zahlung nicht zu vertreten hat. Ebenfalls zu beweisen hat er das Bestehen einer vorläufigen Deckungszusage.176 Umgekehrt hat der VR den Umstand zu beweisen, dass eine vorläufige Deckungszusage entfallen ist, da der VN nicht unverzüglich die Prämie bezahlt hat.177 86 Den VR trifft die Beweislast hinsichtlich der vom Gesetz aufgegebenen Hinweis- und Belehrungspflichten, insbesondere des § 37 Abs. 2 Satz 2. Ebenso muss er bei erklärtem Rücktritt den Zugang der Willenserklärung beim VN beweisen. Weiterhin hat er darzulegen, dass die Berechnungen des Prämienbetrages in der jeweiligen Zahlungsaufforderung korrekt sind.178

174 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 97. 175 BGH 29.1.1969 – IV ZR 545/68, VersR 1969 368; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 23; Prölss/Martin/ Reiff31 § 37 Rn. 32; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 100.

176 BGH 19.3.1986 – IVa ZR 182/84, VersR 1986 541, 542 (juris Rn. 12); Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 37 Rn. 23. 177 BGH 13.12.1995 – IV ZR 30/95, VersR 1996 445 (juris Rn. 10); Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 101. 178 BGH 9.7.1986 – IV a ZR 5/85, VersR 1986 986, 988 (juris Rn. 29). Beckmann

500

§ 38 Zahlungsverzug bei Folgeprämie (1)

1

Wird eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, kann der Versicherer dem Versicherungsnehmer auf dessen Kosten in Textform eine Zahlungsfrist bestimmen, die mindestens zwei Wochen betragen muss. 2Die Bestimmung ist nur wirksam, wenn sie die rückständigen Beträge der Prämie, Zinsen und Kosten im Einzelnen beziffert und die Rechtsfolgen angibt, die nach den Absätzen 2 und 3 mit dem Fristablauf verbunden sind; bei zusammengefassten Verträgen sind die Beträge jeweils getrennt anzugeben. (2) Tritt der Versicherungsfall nach Fristablauf ein und ist der Versicherungsnehmer bei Eintritt mit der Zahlung der Prämie oder der Zinsen oder Kosten in Verzug, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet. (3) 1Der Versicherer kann nach Fristablauf den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist kündigen, sofern der Versicherungsnehmer mit der Zahlung der geschuldeten Beträge in Verzug ist. 2Die Kündigung kann mit der Bestimmung der Zahlungsfrist so verbunden werden, dass sie mit Fristablauf wirksam wird, wenn der Versicherungsnehmer zu diesem Zeitpunkt mit der Zahlung in Verzug ist; hierauf ist der Versicherungsnehmer bei der Kündigung ausdrücklich hinzuweisen. 3Die Kündigung wird unwirksam, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb eines Monats nach der Kündigung oder, wenn sie mit der Fristbestimmung verbunden worden ist, innerhalb eines Monats nach Fristablauf die Zahlung leistet; Absatz 2 bleibt unberührt.

Schrifttum Brockmann Zum Wiederaufleben eines aufgekündigten Versicherungsvertrages durch Zahlungsnachholung des VN nach § 39 Abs. 3 S. 3 VVG, VersR 1960 678; Frey Eine Lücke im VVG: §§ 69 Abs. 1 und 2, 70 Abs. 2 und 3, 39 VVG, VersR 1959 324; Gärtner Zum Wiederaufleben eines aufgekündigten Versicherungsvertrages durch Zahlungsnachholung, VersR 1961 104; Ganster Die Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008) (zit.: Ganster Prämienzahlung); Kalischko Läßt eine Stundungsvereinbarung oder ein Ruhen der Versicherung die Rechtsfolgen einer Mahnung nach § 39 VVG entfallen? VersR 1988 671; ders. Problemfälle im Zusammenhang mit rückständigen Prämien und der Mahnung nach § 39 VVG, VersR 1988 1002; Lang Prämienverzug, Voraussetzungen und Rechtsfolgen in der Rechtsprechung des BGH, VersR 1987 1157; Mohr Versicherungsnehmer – Prämienschuldner, Beitragsschuldner, VersR 1969 885; Reinhardt Zu den Anforderungen an den Inhalt einer Mahnung bei ausstehenden Versicherungsbeträgen (Anmerkung zu dem Urteil des OLG München 15.2.2000, 25 U 4815/99), VersR 2000 1096; Riedler Der Prämienzahlungsverzug bei Erst- und Folgeprämie (1990); Rohde Muß ein Mahnschreiben gemäß § 39 VVG dem gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen VN zugehen, um wirksam zu sein? VersR 1960 295; Schäfer Der privilegierte Prämienzahlungsverzug in der privaten Krankenversicherung, RuS 2011 96; Schirmer Prämienzahlung und Prämienzahlungsverzug nach dem VVG 2008, Festschrift Wälder (2009) 67; vgl. im Übrigen Schrifttum bei § 33.

Übersicht 1

b)

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand

I. 1.

Nicht rechtzeitige Zahlung 13 Fälligkeit 13 a) Grundsätzliches

1

2. 3. 3

5

12 12

501 https://doi.org/10.1515/9783110522624-021

Auswirkungen der COVID-19-Pande14 mie 17 Keine rechtzeitige Zahlung 18 Qualifizierte Mahnung des VR 19 a) Mahnender 20 b) Mahnungsadressat 22 c) Zugang der Mahnung 31 d) Form der Mahnung 33 e) Inhalt der Mahnung 34 aa) Prämienschuld 40 bb) Zinsen und Kosten 42 cc) Zahlungsfrist 45 dd) Zahlungsaufforderung Beckmann

§ 38 VVG

Zahlungsverzug bei Folgeprämie

ee) Angabe aller Rechtsfolgen 46 55 Zeitpunkt der Mahnung Mahnung bei Verzug mit mehreren Prä56 mien Keine Zahlung innerhalb der gesetzten Zah60 lungsfrist Vertretenmüssen des Versicherungsneh61 mers

a)

f) g) 4. 5.

II. 1. 2.

3.

64 Rechtsfolgen 64 Allgemeines Leistungsfreiheit des Versicherers in den jeweili65 gen Stadien a) Keine Leistungsfreiheit während des Laufs 66 der Zahlungsfrist 67 b) Rechtslage nach Fristablauf aa) Zeitraum zwischen Ende der Zahlungsfrist und des Versicherungsfal67 les bb) Leistungsfreiheit nach Eintritt des Ver68 sicherungsfalles 70 Das Kündigungsrecht des VR

b) c) d) e)

Allgemeine Voraussetzungen der Kündi71 gung 72 Isolierte Kündigung 73 Verbundene Kündigung 74 Wirkung der Kündigung Reaktivierung des Versicherungsvertrages, 75 Abs. 3 Satz 3

III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

76 Ausbleiben der Rechtsfolgen 77 Stundung der Folgeprämie 81 Ruhen der Versicherung 82 Verzicht des Versicherers 84 Treu und Glauben 85 Pflichthaftpflichtversicherung 86 Lebensversicherung

IV.

Abdingbarkeit

C.

Regelungen in AVB

D.

Beweislast

87 88

89

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Der heutige § 38 in seiner geltenden Fassung hat seine Wurzeln in § 39 a.F. aus dem Jahre 1908.1 In der ersten Ausführung umfasste der Regelungsbereich der Norm noch die Prämienzahlung, „die nach dem Beginne der Versicherung zu erfolgen hatte“. Die ursprüngliche Fassung enthielt beide heute bekannten Rechtsfolgen, namentlich Leistungsfreiheit des VR und Kündigungsrecht des VR. In den darauf folgenden Jahrzehnten wurde die Vorschrift zweimal einer Änderung unterzogen. Im Jahre 1924 wurde dem VR die Möglichkeit eingeräumt, die Bestimmung der Zahlungsfrist mit der Kündigung zu verbinden (heute geregelt in § 38 Abs. 3 Satz 2); zugleich wurde dem VN die Möglichkeit eingeräumt, auch noch nach erfolgter Kündigung die Kündigungswirkung mittels Zahlung wieder aufzuheben2 (heute geregelt in § 38 Abs. 3 Satz 3). Mit der Novellierung der Norm durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung aus dem Jahre 1939 hatte der Gesetzgeber vor allem die Intention, die Klarheit der Norm zu verbessern und bestehende Zweifel und Missinterpretationen auszuräumen.3 Unter dem Begriff der Folgeprämie wurde fortan nicht mehr die Prämienzahlung verstanden, „die nach dem Beginne der Versicherung zu erfolgen hatte“, sondern „jede Prämie, die nicht Erst- oder Einmalprämie im Sinne des § 38“ (a.F.) ist. Zudem wurde dem VR gestattet, durch exakte Nachbildung der originalen Unterschrift die Mahnung an den VN auszustellen, § 38 Abs. 1 2. Hs. a.F. Hinsichtlich der Frage, ob für die Aufhebung der Kündigungswirkung mittels Zahlung der Folgeprämie (Abs. 3) der Ablauf der Mahnfrist oder der Zeitpunkt der Kündigung maßgeblich sei, beinhaltet die Neuregelung eine Klarstellung zugunsten der letzten Alternative.4

1 2 3 4

RGBl. 1908 I 263. RGBl. 1924 I 65, 66. RGBl. 1939 I 2443; zum Vorstehenden Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 1. Zum Vorstehenden Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 1.

Beckmann

502

A. Einführung

VVG § 38

Durch die VVG-Reform im Jahre 2008 ist der Verzug mit der Folgeprämie nunmehr in § 38 2 in seiner Fassung vom 23.12.2007, gültig ab 1.1.2008, geregelt. Im Vergleich zum bisherigen Wortlaut finden sich nur geringe Änderungen. Das in § 39 Abs. 1 a.F. enthaltene Schriftformerfordernis wurde in ein bloßes Textformerfordernis nach § 126b BGB abgeändert. Zudem wurden zum Schutze des VN die Anforderungen an die Mahnung durch den VR erhöht, wonach nunmehr die rückständige Prämie, Zinsen und Kosten detailliert ausgewiesen werden müssen, § 38 Abs. 1 Satz 2. Außerdem wird klargestellt, dass bei zusammengefassten Verträgen die jeweiligen Beträge getrennt aufzulisten sind. Eine Änderung ergibt sich weiterhin aus § 38 Abs. 3 Satz 3, wonach der VN nunmehr eine Kündigung des Vertrages auch dann noch verhindern kann, wenn der Versicherungsfall bereits eingetreten ist; indes bleibt die Leistungsfreiheit des VR davon unberührt. Ansonsten wurde der Wortlaut der Norm lediglich etwas gestrafft und modernisiert.5

II. Inhalt und Zweck der Regelung Die Vorschrift regelt im Gegensatz zu § 37 die Rechtsfolgen, die im Falle des Verzugs mit Folge- 3 prämien eintreten. Im Vergleich zu der vorangehenden Norm sind die Rechtsfolgen weniger schwerwiegend in ihren Auswirkungen auf den Prämienschuldner. Dies basiert auf dem Grundgedanken, dass für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts die Zahlung von Folgeprämien nicht derart bedeutsam ist wie die Entrichtung der Erstprämie. Daher liegt § 38 auch nicht das Einlösungsprinzip zugrunde, welches bei Erstprämien maßgebliche Bedeutung erlangt. Vielmehr ist Sinn und Zweck der Norm, den Versicherungsschutz für den VN möglichst lange aufrechtzuerhalten. Erst nach Ablauf der Frist einer qualifizierten Mahnung soll der Versicherungsschutz entfallen. § 38 regelt detailliert die Rechte des VR und die Voraussetzungen dieser Rechte, wenn ein 4 VN eine fällige Folgeprämie nicht rechtzeitig bezahlt. Konkret gibt die Norm darüber Aufschluss, unter welchen Voraussetzungen der VR von seiner Leistungspflicht frei werden kann und er den bestehenden Vertrag kündigen kann. § 38 ist insofern lex specialis zu § 323 BGB, als dass es um die Frage des Rücktritts- bzw. Kündigungsrechts des VR geht. Daher kommt ein Rücktritt nach §§ 323 ff. BGB nicht in Betracht. Allerdings ist die Anwendung der Vorschriften zur Unmöglichkeit nicht ausgeschlossen, §§ 326, 275 BGB.6 Unberührt von § 38 bleiben indes die Forderungen nach Verzugszinsen sowie Schadensersatz wegen verspäteter Leistung, die nach den allgemeinen Regelungen der §§ 286, 288 BGB geltend zu machen sind. Auch die Anforderungen an eine Mahnung nach § 38 sind nicht auf § 286 BGB übertragbar. Dort genügt vielmehr weiterhin eine einfache Mahnung, die bisweilen entbehrlich sein kann, sofern kalendermäßig der Zeitpunkt der Prämienzahlung bestimmt ist, §§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.7

III. Anwendungsbereich § 38 ist ausschließlich auf den Zahlungsrückstand bei Folgeprämien anzuwenden. Folgeprämi- 5 en sind von der Einmalprämie bzw. der Erstprämie, auf die bei Zahlungsrückstand § 37 Anwendung findet, abzugrenzen. Diese Unterscheidung vermag in Einzelfällen durchaus Probleme zu bereiten. Folgeprämien sind allgemein negativ zu definieren als alle Prämien, die gerade nicht

5 Vgl. auch BTDrucks. 16/3945 S. 71. 6 Vgl. RG 30.10.1936 – VII 346/35, RGZ 152 268, 270 (Unmöglichkeit der Zahlung von in US-Dollar geschuldeten Prämien wegen Devisenbewirtschaftung); vgl. auch Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 2. 7 Vgl. zum Vorstehenden auch Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 2. 503

Beckmann

§ 38 VVG

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Zahlungsverzug bei Folgeprämie

Erst- oder Einmalprämie sind8 (vgl. hierzu ausführlich die Kommentierung zu § 37 Rn. 10 f.). Anders ausgedrückt versteht man unter einer Folgeprämie alle auf die zeitlich erste Prämie folgenden Prämienzahlungspflichten, sofern zwischen VR und VN eine fortdauernde Prämienzahlung vereinbart ist. Sieht der Vertrag indes vor, dass der VN während der gesamten Vertragsdauer nur eine Prämie zu entrichten hat, so handelt es sich stets um eine Einmalprämie, auf die § 37 anzuwenden ist. Die Stundung der zeitlich ersten Prämie ändert an der Einordnung als Erstprämie nichts.9 Ebenso ist die erste Prämie für den Vertrag über die vorläufige Deckung als Erstprämie einzustufen. Wird danach der endgültige Versicherungsvertrag abgeschlossen, ist auch hierbei die zeitlich erste Prämie wiederum Erstprämie. Beide Verträge sind für sich gesehen eigenständige Versicherungsverträge, so dass stets eine Erstprämie zu Beginn des jeweiligen Vertrages vorliegen muss (vgl. § 37 Rn. 24). Im Falle einer Vertragsänderung handelt es sich regelmäßig auch bei den darauf folgenden Prämienzahlungsverpflichtungen um Folgeprämien, da für das Vorliegen einer Erstprämie ein Neuabschluss eines Vertrages notwendig ist. Ob die Parteien einen derartigen Neuabschluss anstreben, oder ob sie lediglich eine Änderung des bestehenden Vertrages anvisieren, ist anhand des Parteiwillens zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB. Dazu ist stets eine Gesamtwürdigung aller in Betracht kommenden Aspekte vorzunehmen. Wird ein neues Risiko in den Vertrag integriert, kann die Grenze zum Abschluss eines neuen Vertrages schnell überschritten sein. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob das entsprechende Risiko selbständig versicherbar ist oder ob es nur aufgrund des bestehenden Vertrages versichert werden kann (vgl. dazu bereits § 37 Rn. 13 ff.). Bei vereinbarter Ratenzahlung ist nach herrschender Ansicht nur die erste Rate eine Erstprämie.10 Dazu müssen die Parteien jedoch die Entrichtung der Prämie anhand von Teilbeträgen vereinbart haben. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Vereinbarung über kürzere Versicherungsperioden. § 12, der eine Versicherungsperiode von einem Jahr vorsieht, ist dispositiv und kann daher von den Parteien abgeändert werden. In diesem Fall ist für jeden einzelnen Zeitraum gesondert jeweils eine eigene Prämie fällig und keine Teilprämie (zur Vereinbarung von Teilzahlungen vgl. bereits § 37 Rn. 21 f.; zur Einordnung einer Teilzahlung als entgeltlichen Zahlungsaufschub i.S.v. §§ 506 Abs. 1, 495 Abs. 1, 355 BGB vgl. § 33 Rn. 62 ff.). Bei der Reaktivierung von ruhenden oder beendeten Verträgen ist regelmäßig zu differenzieren: Wurde der Vertrag etwa durch Kündigung oder Rücktritt beendet und später wieder in Gang gesetzt, ist die zeitlich erste Prämie des neuen Vertrages eine Erstprämie. Anders verhält es sich jedoch, sofern der VN die Möglichkeit von § 38 Abs. 3 Satz 3 nutzt und den bereits gekündigten Vertrag durch Zahlung der Folgeprämie innerhalb eines Monats aufrechterhält. Hier sind auch die zeitlich nächsten Prämien Folgeprämien. Sind die Parteien lediglich darin übereingekommen, dass der Vertrag für eine gewisse Zeit ruhen soll und wird er später wieder fortgesetzt, ist die dann fällige Prämie eine Folgeprämie11 (vgl. zu diesen Fragen auch § 37 Rn. 26 ff.). Des Weiteren ist richtigerweise die fällige Prämie als Folgeprämie einzuordnen, sofern bei einem bestehenden Vertrag die zu zahlende Prämie neu festgesetzt wird.12 Auch Nachtragsprämien sind als Folgeprämien zu qualifizieren. Gerichtlich entschieden ist weiterhin, dass auch im Falle der Versicherung eines Zweitwagens unter Mitnahme des Schadensfreiheitsrabattes und der Versicherungsnummer sowie gleichzeitiger Ausgabe einer neuen Versicherungsnummer

8 BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 131 ff. = NJW 1956 1634 (juris Rn. 12); Schwintowski/Brömmelmeyer/ Pilz3 § 38 Rn. 3; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 3. 9 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 37 Rn. 2. 10 Brockmann VersR 1953 345; BGH 7.10.1965 – II ZR 120/63, BGHZ 44 178, 181 f. = NJW 1966 46, 47 (juris Rn. 11); Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 3; Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 23; Ganster Prämienzahlung S. 92. 11 Prölss/Martin/Reiff/Schneider31 § 11 ALB Rn. 2; LG Hamburg 14.12.1950 – 9 S 316/50, VersR 1951 75 f. 12 Berliner Kommentar/Riedler § 38 Rn. 6. Beckmann

504

B. Tatbestand

VVG § 38

für den Erstwagen der Vertrag für den Erstwagen gleichwohl fortgesetzt wird und die zeitlich nächsten Prämien dieses Vertrages Folgeprämien sind.13 § 38 Abs. 2 stellt den Verzug mit Zinsen oder Kosten dem Verzug mit der Folgeprämie 11 gleich. Der VN hat daher sämtliche fälligen Beträge zu entrichten, um dem Zahlungsverzug zu entgehen und nicht Gefahr zu laufen, den Versicherungsschutz zu verlieren. Für Versicherungen im Sinne des § 193 Abs. 3 enthält § 193 Abs. 6 eine gegenüber § 38 abschließende Spezialregelung.14

B. Tatbestand I. Nicht rechtzeitige Zahlung § 38 Abs. 1 Satz 1 setzt voraus, dass der VN eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt hat. Zur 12 Setzung einer Zahlungsfrist nach § 38 Abs. 1 Satz 1 ist nicht erforderlich, dass der VN in Verzug ist. Vielmehr genügt es, dass der VN die Folgeprämie nicht bei Fälligkeit und somit rechtzeitig entrichtet hat (dazu sogleich Rn. 13 ff.). § 38 Abs. 1 setzt auch ein Vertretenmüssen des VN nicht voraus15 (vgl. demgegenüber zu § 38 Abs. 2 Rn. 61 ff.).

1. Fälligkeit a) Grundsätzliches. Voraussetzung für eine Zahlungsaufforderung des VR ist, dass der VN die 13 Prämie bei Fälligkeit nicht bezahlt. Die Fälligkeit der Folgeprämie wird durch das VVG nicht bestimmt, da § 33 ausschließlich auf Erst- und Einmalprämien Anwendung findet. Soweit keine vertragliche Vereinbarung über die Fälligkeit der Folgeprämien vorliegt, ist auf die allgemeine gesetzliche Regelung des § 271 BGB zurückzugreifen. Nach § 271 BGB ist für die Fälligkeit der Folgeprämie stets der erste Tag des jeweiligen vom Versicherungsvertrag vorgesehenen Abschnitts maßgeblich. Demnach ist die Folgeprämie entweder am ersten Tag der neuen Versicherungsperiode oder am ersten Tag des jeweils vereinbarten Ratenzahlungszeitraumes fällig. Folglich bedarf es grundsätzlich keiner vertraglichen Übereinkunft über die Fälligkeit. Es bleibt den Parteien jedoch unbenommen, durch vertragliche Vereinbarung die Fälligkeit der Folgeprämie autonom zu bestimmen, was regelmäßig anhand der jeweiligen AVB und Versicherungspolicen geschieht.16 In der Regel wird eine Vorausleistung am ersten Tag des Monats der jeweiligen Versicherungsperiode verlangt, Nr. 10.1 AHB 2014. Die kalendermäßige Bestimmung des Fälligkeitstermins hat darüber hinaus für den VR den Vorteil, dass eine weitere Mahnung gem. § 286 Abs. 1 Nr. 1 BGB entbehrlich ist, um den VN in Verzug zu setzen und Verzugszinsen zu fordern.17 Um in das Stadium der Leistungsfreiheit zu gelangen, muss der VR aber zwingend eine qualifizierte Mahnung vornehmen.

b) Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie hat der 14 deutsche Gesetzgeber im März 2020 Art. 240 EGBGB erlassen, welcher in § 1 ein Moratorium ent13 KG Berlin 23.10.1981 – 6 U 2104/81, VersR 1982 865, 866; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 4. 14 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 3; Schäfer Der privilegierte Prämienzahlungsverzug in der privaten Krankenversicherung, RuS 2011 96.

15 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 2; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 5. 16 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 26; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 38 Rn. 5; Fenyves/ Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 8.

17 Vgl. Späte/Schimikowski/Harsdorf-Gebhardt2 Ziff. 10 AHB Rn. 6; parallel im österreichischen Recht, Fenyves/ Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 8. 505

Beckmann

§ 38 VVG

Zahlungsverzug bei Folgeprämie

hält, wonach Verbrauchern nach Abs. 1 und Kleinstunternehmern nach Abs. 2 unter den dortigen Voraussetzungen, bei Bestehen eines Dauerschuldverhältnisses, ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht, das bis zum 30.06.2020 geltend gemacht werden konnte, eingeräumt worden war.18 Nach § 1 Abs. 1 Satz 2, 3 und § 1 Abs. 2 Satz 2, 3 bestand das Leistungsverweigerungsrecht in Bezug auf alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse, worunter solche, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge (Abs. 1) bzw. zur angemessenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebs (Abs. 2) erforderlich sind, verstanden werden. Versicherungsverträge stellen Dauerschuldverhältnisse dar (vgl. § 40 Rn. 5). 15 Der Wortlaut des Gesetzes lässt offen, ob und welche Versicherungsverträge als wesentliche Dauerschuldverhältnisse unter Abs. 1 und Abs. 2 zu fassen sind. Allerdings ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass Pflichtversicherungen erfasst sind.19 Dazu zählen für Verbraucher vor allem die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und die private Krankheitskostenversicherung, soweit es sich bei ihr um eine substitutive Krankenversicherung handelt.20 Für Kleinstunternehmer fallen darunter die obligatorischen Berufshaftpflichtversicherungen von Ärzten, Anwälten, Architekten und Versicherungsvermittlern.21 Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob auch weitere Versicherungen erfasst sind, da Pflichtversicherungen lediglich beispielhaft in der Gesetzesbegründung Erwähnung finden. Eine Übertragung der (nicht unumstrittenen) Rechtsprechung des BGH22 zu § 1357 BGB ist jedenfalls nicht angezeigt.23 Verfehlt wäre jedoch die Annahme, dass lediglich Pflichtversicherungen für Verbraucher und Kleinstunternehmer von existenzieller Bedeutung sein können und damit nur diese von § 1 Abs. 1 und Abs. 2 erfasst seien.24 Es spricht vielmehr einiges dafür, auch die private Haftpflichtversicherung, die Betriebshaftpflichtversicherung sowie die Krankentagegeldversicherung von Selbstständigen unter Art. 240 § 1 Abs. 1, 2 EGBGB zu fassen.25 Selbiges gilt wohl auch für die Gebäudeversicherung mit Einschluss der Elementarschadenversicherung und die Hausratversicherung.26 Art. 240 § 1 EGBGB ließ den Anspruch des VR nicht entfallen, sondern gewährte dem VN eine 16 Einrede, die dieser erheben musste.27 Für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen trägt er die Beweislast.28 Erhob der VN die Einrede zu Recht, so hinderte dies die Durchsetzbarkeit des Prämienanspruchs des VR. Dem VN dürfen daraus keine Nachteile erwachsen.29 Auch ist ein bereits bestehender Verzug des VN mit Ausübung des Rechts entfallen.30 Der VR ist folglich in diesem Stadium weder nach § 38 Abs. 2 leistungsfrei noch nach § 38 Abs. 3 zur Kündigung berech-

18 Vgl. dazu im Einzelnen die Kommentierungen BeckOK-BGB/Martens (Stand: 1.8.2021) EGBGB Art. 240 § 1 Rn. 1 bis 68 sowie MüKoBGB/Gaier 8 EGBGB Art. 240 § 1 Rn. 1 bis 54. Gem. Art. 6 Abs. 6 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht v. 27.3.2020, BGBl. I 569, tritt Art. 240 EGBGB am 30.9.2022 außer Kraft. 19 BTDrucks. 19/18110 S. 33. 20 MüKoBGB/Gaier8 EGBGB Art. 240 § 1 Rn. 15; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24c; Schmidt/Rixecker COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. (2021) § 12 Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise Rn. 25. 21 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24h; Schmidt/Rixecker COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. (2021), § 11 Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise Rn. 25. 22 BGH 28.2.2018 – XII ZR 94/17, BGHZ 218 34 = VersR 2018 557 m.krit.Anm. von Rixecker ZfS 2018 512. 23 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24c. 24 BeckOK-BGB/Martens (Stand: 1.8.2021) EGBGB Art. 240 § 1 Rn. 17.1. 25 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 38 Rn. 7b; Schmidt/Rixecker COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. (2021), § 12 Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise Rn. 28. 26 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24c. 27 Palandt/Weidenkaff80 EGBGB Art. 240 § 1 Rn. 1; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24c; Schmidt/Rixecker COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. (2021) § 12 Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise Rn. 29. 28 BTDrucks. 19/18110 S. 34; BeckOK-BGB/Martens (Stand: 1.8.2021) EGBGB Art. 240 § 1 Rn. 65. 29 Schmidt/Rixecker COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. (2021), § 12 Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise Rn. 29. 30 BTDrucks. 19/18110 S. 34. Beckmann

506

B. Tatbestand

VVG § 38

tigt gewesen.31 Eine qualifizierte Belehrung nach § 38 Abs. 1, die dem VN vor oder während des Bestehens des Leistungsverweigerungsrechts zugegangen ist, entfaltet keinerlei Wirkungen, so dass der VR den VN nach Ablauf des Moratoriums, bei Vorliegen der Voraussetzungen, erneut mahnen muss, wenn er die Sanktionen des § 38 Abs. 2 oder Abs. 3 herbeizuführen beabsichtigt.32

2. Keine rechtzeitige Zahlung Neben der Fälligkeit der Folgeprämie ist weiterhin Voraussetzung, dass der VN die Folgeprämie 17 nicht rechtzeitig gezahlt hat. Das bedeutet, dass er den vollen Prämienbetrag zur vorgegebenen Zeit am richtigen Leistungsort (vgl. dazu die Kommentierung § 36 Rn. 6 ff.) entrichtet haben muss. Ausreichend ist alleine die objektive Tatsache, dass die Zahlung nicht rechtzeitig erfolgt ist.33 Nicht erforderlich ist gerade, dass der VN sich in Verzug befindet.34 Wie auch bei der Erstprämie ist für die Frage nach der rechtzeitigen Zahlung nach hier vertretener Auffassung trotz der Entscheidung des EuGH35 vom 3.4.2008 alleine die Leistungshandlung maßgeblich (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 36 Rn. 13 ff.). Der VN muss somit rechtzeitig das seinerseits Erforderliche getan haben, um die Zahlung zu veranlassen (vgl. zur Frage, worin das seinerseits Erforderliche je nach Zahlungsweise besteht, die Kommentierung zu § 36 Rn. 28 ff.). Eine Besonderheit besteht in Fällen, in denen dem VR eine Einzugsermächtigung erteilt wurde. Hier liegt die Verantwortung für die rechtzeitige Zahlung auf Seiten des VR. Macht er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, so ist ihm die nicht rechtzeitige Leistung anzulasten. Da der VN insoweit keine Initiative beim Zahlungsvorgang ergreifen kann, kann ihm folglich auch nicht das Versäumnis des VR zugerechnet werden. Da es dann an der Voraussetzung der „nicht rechtzeitigen Zahlung“ fehlt, kann folglich auch eine etwaige Mahnung des VR nicht die Rechtsfolgen des § 38 herbeiführen.36 Will der VR nicht vom Lastschriftverfahren Gebrauch machen, so hat er dies im Vorfeld gegenüber dem VN deutlich zu machen (vgl. dazu § 36 Rn. 41 ff.).

3. Qualifizierte Mahnung des VR Hat der VN die Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, hat der VR nach § 38 Abs. 1 die Möglich- 18 keit, dem VN auf dessen Kosten in Textform (§ 126b BGB) eine Zahlungsfrist zu setzen, die mindestens zwei Wochen betragen muss. Da eine derartige Zahlungsfrist ausschließlich einer rechtlichen Besserstellung des VR dient, handelt es sich naturgemäß nur um ein Recht und nicht um eine vertragliche Pflicht. Dem VR wird jedoch daran gelegen sein, von diesem Recht Gebrauch zu machen, da er nur auf diesem Wege die Rechtsfolgen des § 38 herbeiführen kann. Im Vergleich zu den Vorschriften des BGB über die Begründung des Zahlungsverzugs genügt eine einfache Mahnung gem. § 286 Abs. 1 BGB nicht. § 38 Abs. 1 knüpft spezielle Voraussetzungen an die Wirksamkeit einer Mahnung, weshalb von qualfizierter Mahnung die Rede ist. Wird die Mahnung diesen Anforderungen nicht gerecht, können die Rechtsfolgen des § 38 nicht eintreten.

31 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24 f. 32 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 38 Rn. 7a; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24 f. 33 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 5; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 9. 34 BGH 25.1.1968 – II ZR 76/65, VersR 1968 241, 242 (juris Rn. 16); BGH 19.10.1977 – IV ZR 149/76, BGHZ 69 361, 365 ff. = VersR 1977 1153, 1154 (juris Rn. 16 ff.). 35 EuGH 3.4.2008 – C-306/06, NJW 2008 1935. 36 BGH 19.10.1977 – IV ZR 149/76, BGHZ 69 361, 365 ff. = VersR 1977 1153, 1154 f. (juris Rn. 16); OLG Oldenburg 28.4.1999 – 2 U 28/99, VersR 2000 617 (juris Rn. 5 ff.); OLG Hamm 29.9.1978 – 20 W 18/78, VersR 1979 413, 414; a.A. OLG Celle 30.4.1976 – 8 U 70/75, VersR 1976 854, 855. 507

Beckmann

§ 38 VVG

Zahlungsverzug bei Folgeprämie

19 a) Mahnender. Zur Mahnung berechtigt sind in erster Linie der VR und seine jeweiligen Bevollmächtigten. Der VR kann natürlich nach seinem Belieben verschiedene weitere Personen zu derartigen Handlungen bevollmächtigen (bspw. Inkasso). Bei einer offenen Mitversicherung ist jeder beteiligte VR aufgrund seines Anteils an der Mitversicherung berechtigt, den VN zu mahnen. Das gilt grundsätzlich auch, sofern einem der VR durch Erteilung einer Führungs- bzw. Inkassovollmacht die Aufgabe der Einziehung der Prämien übertragen wurde.37 Durch Ausstellung einer Vollmacht verliert der Vertretene nicht sein Recht, auf eigene Initiative hin tätig zu werden. Eine derartige Vollmacht stellt in erster Linie eine Aufgabenverteilung unter den Beteiligten einer Mitversicherung dar. Auch ein Abschlussvertreter ist richtigerweise zur Mahnung berechtigt. A maiore ad minus ist eine derartige Sichtweise geboten, da er nach § 71 sogar zur Kündigung bzw. zum Rücktritt bevollmächtigt ist.38 Grundsätzlich nicht zur Mahnung berechtigt ist hingegen der Vermittlungsvertreter und erst recht nicht der Versicherungsmakler.39 Es bleibt dem VR jedoch unbenommen, jedenfalls den Vermittlungsvertreter vertraglich zur Setzung einer Zahlungsfrist zu ermächtigen. Für den Versicherungsmakler wird diese Möglichkeit indes in Zweifel gezogen,40 nachdem der BGH es als unerlaubte Rechtsberatung angesehen hat, wenn ein Versicherungsmakler im Auftrag und mit Vollmacht des VR den Schaden des VN reguliert.41

20 b) Mahnungsadressat. Adressat der Mahnung ist der Prämienschuldner; das ist in der Regel der VN. Der VN muss indes nicht zugleich Schuldner der Prämie sein, was sich im Falle einer Schuldübernahme oder auch bei Veräußerung der versicherten Sache für spätere Versicherungsperioden zeigt; vgl. § 95 Abs. 1, 2. Würde die Mahnung in diesen Fällen dem VN zugestellt, würde zu etwas gemahnt, das er nicht zu erfüllen hat.42 Teilweise wird aufgrund der Tatsache, dass die Rechtsfolgen in erster Linie auch bei Auseinanderfallen von VN und Prämienschuldner primär den VN treffen, gefolgert, dass die Mahnung beiden zugehen müsse.43 Hat der VN eine versicherte Sache veräußert, so dass der Erwerber nach § 95 in das bestehende Versicherungsverhältnis eintritt, genügt eine Mahnung gegenüber dem Veräußerer nur, solange der VR von dem Übergang keine Kenntnis erlangt hat. Soweit ein gesetzlicher Vertreter vorhanden ist, ist die Mahnung diesem zuzustellen.44 Sind mehrere VN vorhanden, so ist jeder VN einzeln zu mahnen, selbst wenn diese unter derselben Adresse wohnhaft sind. Notwendig ist dies, um jedem VN die Möglichkeit zu geben, den bei Nichtzahlung der Prämie drohenden Verlust des Versicherungsschutzes abzuwenden.45 Ist der VN insolvent und gehört die Versicherung zur Insolvenzmasse, ist die Mahnung an den Insolvenzverwalter zu richten.46 Bei Versicherung für fremde Rechnung hat die Mahnung stets an den VN zu gehen, da dieser Vertragspartei ist, § 43 Abs. 1. Ein anderes Verständnis lässt sich auch nicht aus § 44 Abs. 1 herleiten, der dem Versicherten zwar die Rechte aus dem Vertrag zuschreibt, jedoch in Satz 2 deutlich macht, dass der VN für den Empfang wesentlicher Dokumente der richtige Empfänger ist. Die versicherte Person Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 9; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 11. Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 38 Rn. 9. Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 11. Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 10. BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14, VersR 2016 1118, 1119 Rn. 12 ff.; a.A. Werber VersR 2015 1321, 1325 ff. Ganster Prämienzahlung S. 339. Mohr VersR 1969 886. BGH 17.4.1967 – II ZR 228/64, BGHZ 47 352, 357 f. = VersR 1967 569, 570 (juris Rn. 18); vgl. auch OLG Düsseldorf 9.5.1961 – 4 U 21/61, VersR 1961 878; a.A. Rohde VersR 1960 295. 45 BGH 8.1.2014 – IV ZR 206/13, VersR 2014 229 f. Rn. 11 ff.; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 38 Rn. 18; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 8; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 12; OLG Hamm 24.10.1961 – 7 U 56/61, VersR 1962 502, 503; a.A. Hahn VersR 2014 733, 734. 46 OLG Karlsruhe 9.6.1978 – 14 U 107/77, RuS 1978 199, 200; vgl. auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 12.

37 38 39 40 41 42 43 44

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ist somit nicht der richtige Adressat der Mahnung;47 das Gleiche gilt für den Pfandgläubiger, da auch diese Person nicht Vertragspartner ist.48 Wenn auch manche Personen keine geeigneten Mahnungsempfänger sind, so können doch 21 im Einzelfall Verständigungspflichten des VR gegenüber diesen bestehen. Eine allgemeine Mitteilungspflicht gegenüber Dritten ist jedoch abzulehnen.49 Das ergibt sich nicht zuletzt aus einem Urteil des BVerfG, wonach durch die Mitteilung von Prämienrückständen des VN dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sein kann.50 Ansonsten kann sich eine Mitteilungspflicht aus gesetzlichen Regelungen, aus vertraglichen Vereinbarungen oder nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB ergeben. Eine gesetzliche Pflicht ist etwa für den Hypothekengläubiger in § 142 Abs. 1 Satz 1 geregelt für den Fall, dass dem Prämienschuldner eine Frist bzgl. der Entrichtung der Folgeprämie einer Gebäudefeuerversicherung gesetzt wurde. Nach § 148 gilt diese Mitteilungspflicht ebenfalls für Grundstücke, die mit einer Grundschuld, Rentenschuld oder Reallast belastet sind. Weitere gesetzliche Vorschriften sind § 34 SchiffRG und § 34 LuftRG; vgl. auch § 166 Abs. 4. Diskutiert wurde bislang eine Mitteilungspflicht gegenüber dem (Sicherungs-)Zessionar, Pfand- und Pfändungsgläubiger, was unter Berufung auf Treu und Glauben teilweise als geboten angesehen wurde.51 Eine derartige Pflicht wird jedoch heute größtenteils abgelehnt52 (vgl. Kommentierung zu § 34 Rn. 18). Im Falle einer Schuldübernahme hat der VR aufgrund von Rücksichtnahmepflichten auch den VN zu benachrichtigen, der nicht mehr Prämienschuldner ist.53 Wie zum Ausdruck gebracht, kommt eine Mitteilungspflicht nach Treu und Glauben in Betracht, wenn die Versicherung einem besonderen sozialen Schutzbedürfnis des Dritten unterliegt.54 Die Nichtbeachtung einer bestehenden Mitteilungspflicht hat keine Auswirkungen bzgl. der Wirksamkeit der Fristsetzung gegenüber dem VN. Nur im Verhältnis zu dem, der die Mitteilung erhalten muss, kann sich der VR nicht auf die Mahnung berufen, vgl. § 143 Abs. 1.55

c) Zugang der Mahnung. Bei der qualifizierten Mahnung i.S.d. § 38 Abs. 1 handelt es sich 22 um eine geschäftsähnliche Handlung, auf die die allgemeinen Regeln über Willenserklärungen Anwendung finden.56 Die Mahnung muss dem VN bzw. dem Prämienschuldner (Rn. 20) zugehen.57 Der VN muss nicht tatsächlich Kenntnis von der Mahnung erhalten. Es genügt der eigentliche Zugang. Ob ein solcher erfolgt ist, bestimmt sich nach den anerkannten Regeln über den Zugang von Willenserklärungen.58 Eine Willenserklärung ist demnach dann zugegangen, wenn diese derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter gewöhnlichen

47 LG Köln 19.9.2018 – 26 O 79/18, VersR 2019 927 (juris Rn. 21); Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 12. 48 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 12. 49 OLG Nürnberg 28.9.1971 – 3 U 42/71, VersR 1973 413, 414 (Zessionar); OLG Köln 7.12.1989 – 5 U 232/88, VersR 1990 1261, 1264 (Zessionar, Abtretungsempfänger); Berliner Kommentar/Riedler § 35a Rn. 11; Prölss/Martin/Reiff31 § 34 Rn. 9; a.A. Bruck/Möller/Möller8 § 35a Anm. 9. 50 BVerfG 14.12.2001 – 2 BvR 152/01, VersR 2002 1405; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 13; Staudinger/Halbach/ Wendt/Thessinga2 § 38 Rn. 11; a.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 34 Rn. 5. 51 Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 24; aktuell auch Ganster Prämienzahlung S. 365 ff. 52 OLG Köln 7.12.1989 – 5 U 232/88, VersR 1990 1261, 1264 (betreffend Bezugsberechtigten oder Abtretungsempfänger); Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 13 (betreffend Zessionar, dem Bezugsberechtigten oder sonstigen nach § 34 privilegierten Personen); s. auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 13; zu Bezugsberechtigten vgl. aber § 166 Abs. 4. 53 Ausführlich hierzu Ganster Prämienzahlung S. 357. 54 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 34 Rn. 5; vgl. auch Kommentierung zu § 34 Rn. 17 f. 55 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 13. 56 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 14. 57 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 14. 58 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 8. 509

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Zahlungsverzug bei Folgeprämie

Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat.59 Danach erfolgende Störungen liegen von diesem Zeitpunkt an in der Sphäre des Empfängers, so dass sie weder Absender noch Übermittler zuzurechnen sind. Da die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt, ist jedenfalls im Moment der Übergabe der Mahnung an den VN selbst der Zugang der Mahnung erfolgt. 23 Bei Aushändigung der Mahnung an Dritte ist danach zu differenzieren, ob diese als Empfangsvertreter, Empfangsboten oder sog. Erklärungsboten einzustufen sind. Erteilt der VN einem Dritten Empfangsvertretungsmacht, ist bereits von einem Zugang der Mahnung auszugehen, wenn die Mahnung dem Empfangsvertreter zugeht, vgl. § 164 Abs. 3 BGB. Nimmt ein Empfangsbote die Mahnung entgegen, so erfolgt der Zugang, sofern nicht ein früherer Zugang feststeht, wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit der Weiterleitung der Erklärung zu rechnen ist. Bei Empfangnahme durch einen Erklärungsboten ist die Mahnung erst bei richtiger Übermittlung zugegangen (dazu sogleich). 24 Als Empfangsbote gilt eine Person, die zum Empfang bereit, geeignet und empfangsberechtigt ist oder doch wenigstens nach der Verkehrsanschauung als zum Empfang berechtigt angesehen werden kann.60 Allgemein zum Empfang berechtigt sind beispielsweise Ehegatten, solange sie nicht getrennt leben.61 Gleiches gilt für Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die zusammen wohnen.62 Auch sonstige Mitbewohner sind grundsätzlich geeignete Empfangsboten, etwa die Eltern des VN, wenn dieser noch bei diesen wohnt.63 Haushälterinnen und Reinigungskräfte sind nur dann Empfangsboten, wenn sie (ggf. konkludent) zur Entgegennahme ermächtigt wurden.64 Auch Unternehmensangestellte und Sekretärinnen können als Empfangsboten einzustufen sein.65 Dagegen können kleinere Kinder, Nachbarn und Handwerker nach der Verkehrsanschauung im Regelfall nicht als zur Entgegennahme von Willenserklärungen ermächtigt und damit als Empfangsboten angesehen werden. Fehlt es an den Voraussetzungen, um einen Empfangsboten annehmen zu können, lässt sich eine solche Person als Erklärungsbote verstehen. Bei Aushändigung an einen Erklärungsboten trägt der Erklärende das Risiko der unterlassenen, verspäteten oder unrichtigen Weitergabe seiner Erklärung an den Empfänger.66 Ein Zugang der Mahnung beim VN kann also nur angenommen werden, wenn die Mahnung durch den Erklärungsboten dem VN richtig übermittelt wird.67 Lediglich Erklärungsboten sind grundsätzlich auch Eltern, die nicht mit dem VN zusammenwohnen, wenn diese nicht vom VN zum Empfang ermächtigt wurden.68 Vom VN getrennt lebende Eltern können nicht ohne weiteres bereits nach der Verkehrsanschauung als zum Empfang von Willenserklärungen ermächtigt angesehen werden. Wird die Mahnung einem beschränkt geschäftsfähigen VN gegenüber abgegeben, so setzt 25 dies gem. § 131 Abs. 2 BGB grundsätzlich den Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter voraus. Dabei genügt es, wenn sie einem vertretungsberechtigten Elternteil zugeht.69 Erst bei erlangter Geschäftsfähigkeit ist die Mahnung dem VN selbst zuzustellen.

59 BGH 3.11.1976 – VIII ZR 140/75, BGHZ 67 271, 275 = NJW 1977 194 (juris Rn. 13); BGH 27.10.1982 – V ZR 24/82, NJW 1983 929, 930 (juris Rn. 29); MüKoBGB/Einsele8 § 130 Rn. 16; parallel nach österreichischer Rechtslage, Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 15. 60 Palandt/Ellenberger80 § 130 Rn. 9. 61 BGH 3.6.1970 – IV ZR 181/69, VersR 1970 755, 756 (juris Rn. 12); OLG Schleswig 13.5.1981 – 9 U 137/80, VersR 1982 357, 358; OLG München 30.1.1969 – 14 U 453/68, VersR 1969 728, 729; OLG Köln 16.2.1972 – 17 W 27/72, VersR 1973 315; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 15; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 16. 62 OLG Celle 12.1.1982 – 18 UF 189/81, FamRZ 1983 202, 203. 63 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 10. 64 OLG Karlsruhe 23.2.1977 – 12 U 238/76, VersR 1977 902 (juris Rn. 25). 65 BGH 6.6.1966 – II ZR 66/64, VersR 1966 723, 724 (juris Rn. 10). 66 BeckOK-BGB/Wendtland (Stand: 1.8.2021) § 130 Rn. 18. 67 Palandt/Ellenberger80 § 130 Rn. 9. 68 OLG Neustadt 10.6.1960 – 1 U 75/60, VersR 1961 457 f. 69 Vgl. BGH 9.2.1977 – IV ZR 25/75, VersR 1977 442, 443 (juris Rn. 13); Erman/Arnold16 § 131 Rn. 2. Beckmann

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Eine Willenserklärung ist dann zugegangen, wenn diese derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (vgl. oben Rn. 22). Für den Zugang einer schriftlichen Mahnung genügt regelmäßig der Einwurf in den Hausbriefkasten oder in das Postfach des Erklärungsempfängers. Der Zugang erfolgt jedoch nur mit dem Einwurf, wenn der Einwurf zu einer Zeit erfolgt, zu der mit der Kenntnisnahme vernünftigerweise zu rechnen ist, ansonsten am nächsten Tag.70 Nimmt der Adressat die Erklärung früher zur Kenntnis als unter normalen Umständen zu erwarten war, so ist die Erklärung mit tatsächlicher Kenntnisnahme durch den Empfänger zugegangen.71 Da gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 eine Mahnung in Textform gem. § 126b BGB genügt, ist die Zusendung der Mahnung insbesondere auch per E-Mail oder Telefax möglich. Eine Versendung per E-Mail kommt insbesondere in Betracht, wenn der VN ihm zu diesem Zweck seine Mailadresse übermittelt hat; zugegangen ist eine E-Mail, wenn sie auf dem Posteingangsserver des VN abrufbar gespeichert ist, bei Eingang zur Unzeit am folgenden Tag.72 Unterschiedlich beurteilt wird der Zugang bei Telefax-Sendungen. Der BGH hat den Zugang von prozessualen Erklärungen bereits angenommen, wenn die gesendeten Signale rechtzeitig vom Telefaxapparat des Gerichts empfangen und gespeichert wurden.73 Indes kann der VN ein Telefax vor dem Ausdruck nicht zur Kenntnis nehmen, weshalb zu Recht für § 38 angenommen wird, dass für den Zugang einer Mahnung per Fax jedenfalls der Ausdruck der Mahnung beim VN erforderlich ist.74 Für eingeschriebene Briefe75 gilt grundsätzlich das zu sonstigen Schreiben Gesagte (Rn. 22); dies gilt insbesondere für das sog. Einwurf-Einschreiben.76 Hat der Briefträger bei einem Übergabe-Einschreiben dem Adressaten wegen dessen Abwesenheit den Brief nicht ausgehändigt, so reicht es für den Zugang noch nicht aus, wenn der Briefträger einen Benachrichtigungszettel hinterlässt und den Brief bei der zuständigen Poststelle hinterlegt;77 der Benachrichtigungszettel enthält keinen Hinweis auf den Absender des Einschreibebriefes und lässt den Empfänger im Ungewissen darüber, welche Angelegenheit die Einschreibsendung zum Gegenstand hat.78 Bei einer anderen Sichtweise würde der Schutzzweck der qualifizierten Mahnung unterlaufen. Auch wenn die vorstehenden Voraussetzungen nicht erfüllt sind, muss sich der VN in bestimmten Fällen jedoch nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB so behandeln lassen, als sei die Mahnung zugegangen. Das ist vor allem in Fällen der sog. Zugangsvereitelung anzunehmen. So kann den Empfänger im Einzelfall eine Obliegenheit treffen, dafür zu sorgen, dass ihn Postsendungen erreichen. Tut er das nicht, kann er sich möglicherweise nach Treu und Glauben

70 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 15. 71 MüKoBGB/Einsele8 § 130 Rn. 16. 72 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 16; allgemein hierzu aus neuerer Zeit Wertenbruch Abgabe und Zugang von Willenserklärungen, JuS 2020 481. 73 BGH 25.4.2006 – IV ZB 20/05, BGHZ 167 214, 219 ff. = NJW 2006 2263, 2265 Rn. 15 ff.; ebenso für den privaten Rechtsverkehr Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 8; OLG Celle 19.6.2008 – 8 U 80/07, VersR 2008 1477, 1479 (juris Rn. 38). 74 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 16; BeckOK IT-Recht/Borges (Stand: 1.5.2021) § 130 BGB Rn. 33; a.A. Langheid/ Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 8; OLG Celle 19.6.2008 – 8 U 80/07, VersR 2008 1477, 1479 (juris Rn. 38). 75 Zur Unterscheidung zwischen Einwurf-Einschreiben und Übergabe-Einschreiben vgl. etwa BGH 27.9.2016 – II ZR 299/15, BGHZ 212 104, 107 f. = NJW 2017 68 f. Rn. 13. 76 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 17a; zu Beweisfragen noch Rn. 90. 77 BGH 18.12.1970 – IV ZR 52/69, VersR 1971 262, 263; BGH 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, BGHZ 137 205, 208 = NJW 1998 976, 977 (juris Rn. 14); BGH 27.9.2016 – II ZR 299/15, BGHZ 212 104, 111 = NJW 2017 68, 69 Rn. 23; OLG Köln 20.6.1991 – 5 U 183/90, RuS 1991 290 (juris Rn. 10); OLG Hamm 8.9.1989 – 20 U 96/89, RuS 1990 37 (juris Rn. 8); OLG Hamm 16.4.1982 – 20 U 365/81, VersR 1982 1070; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 17; a.A. Berliner Kommentar/ Riedler § 39 Rn. 15. 78 BGH 18.12.1970 – IV ZR 52/69, VersR 1971 262, 263; OLG Köln 20.6.1991 – 5 U 183/90, RuS 1991 290 (juris Rn. 10). 511

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nicht darauf berufen, dass ihm die Sendung nicht zugegangen sei.79 Eine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen für Erklärungen zu treffen, besteht indes grundsätzlich nicht.80 Um einen Zugang gem. § 242 BGB zu begründen, ist deshalb mehr erforderlich als nur ein objektives Zugangshindernis im Bereich des Empfängers. Die Rechtsprechung nimmt solche zusätzlichen Umstände an, wenn der Empfänger den Zugang bewusst vereitelt oder verzögert oder wenn er mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechnen muss und nicht dafür sorgt, dass diese ihn erreichen.81 Dies gilt insbesondere, wenn der VN mehrere Wochen abwesend ist und keinerlei Vorkehrungen getroffen hat, um in regelmäßigen Abständen Kenntnis von wichtigen Erklärungen zu erhalten;82 vor allem dann, wenn er mit derartiger Post rechnen musste. Zudem hat die Rechtsprechung auch verlangt, dass der Erklärende nach Kenntnis von dem nicht erfolgten Zugang in der Regel unverzüglich einen erneuten Versuch unternimmt, seine Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers zu bringen, dass diesem ohne weiteres eine Kenntnisnahme ihres Inhalts möglich ist.83 Es bedarf keiner besonderen Maßnahme, wenn der VN nur für kurze Zeit (etwa eine Woche) abwesend ist.84 Verweigert der VN die Entgegennahme von Postsendungen, obwohl er hierzu nicht berechtigt ist, lässt sich ebenfalls der Zugang bereits mit versuchter Zustellung bejahen.85 Zum Teil hilft in diesen Fällen auch die Zugangsfiktion des § 13, der bezüglich Adressen30 und Namensänderungen auch im Rahmen von § 38 Anwendung findet.86 Dieser beinhaltet den allgemeinen Grundsatz, dass sich der VN jede fehlgeschlagene Zustellung dann zurechnen lassen muss, wenn er schuldhaft bzw. aufgrund von verkehrswidrigem Verhalten den Fehlschlag zu verantworten hat. Den VN trifft im Rahmen des Versicherungsverhältnisses insbesondere die Pflicht, eine erfolgte Adressänderung seinerseits dem VR mitzuteilen.87 Indes kommt § 13 nur bei eingeschriebenen Briefen zur Anwendung. Vertraglich vereinbarte Zugangsfiktionen sind, jedenfalls soweit es sich um Erklärungen von besonderer Bedeutung handelt, nach § 308 Nr. 6 BGB unwirksam.88

31 d) Form der Mahnung. Im Gegensatz zu der früheren, bis 31.12.2007 geltenden Vorgängerregelung des § 39 VVG a.F. reicht für die qualifizierte Mahnung seit der VVG-Reform statt der Schriftform nach § 126 BGB auch die Textform nach § 126b BGB aus; eine eigenhändige Unterschrift ist somit nicht mehr erforderlich. Auch zum früheren VVG war aber anerkannt, dass zur Erleichterung im Massengeschäft die Nachbildung der eigenhändigen Unterschrift zur Wahrung der Form des § 39 VVG a.F. genügt.89 Teilt der VN dem VR seine Mail-

79 BGH 27.9.2016 – II ZR 299/15, BGHZ 212 104, 111 = NJW 2017 68, 69 Rn. 23; BGH 11.7.2007 – XII ZR 164/03, NJWRR 2007 1567, 1568 Rn. 20; BeckOK-BGB/Wendtland (Stand: 1.8.2021) § 130 Rn. 22 (über § 242 BGB oder § 162 Abs. 1 BGB analog). 80 BGH 18.12.1970 – IV ZR 52/69, VersR 1971 262, 263; BGH 3.11.1976 – VIII ZR 140/75, BGHZ 67 271, 278 = NJW 1977 194, 195 (juris Rn. 18); BGH 17.4.1996 – IV ZR 202/95, VersR 1996 742, 743 (juris Rn. 19). 81 BGH 17.4.1996 – IV ZR 202/95, VersR 1996 742, 743 (juris Rn. 19); BGH 3.11.1976 – VIII ZR 140/75, BGHZ 67 271, 277 f. = NJW 1977 194, 195 (juris Rn. 18). 82 BGH 18.12.1970 – IV ZR 52/69, VersR 1971 262, 263; vgl. auch Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 8. 83 BGH 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, BGHZ 137 205, 209 = NJW 1998 976, 977 (juris Rn. 17); Höra/Steinbeck4 MAH § 2 Rn. 262; a.A. MüKoBGB/Einsele8 § 130 Rn. 38. 84 OLG Köln 20.6.1991 – 5 U 183/90, RuS 1991 290, 291 (juris Rn. 16); Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 17; Langheid/ Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 10. 85 BGH 27.10.1982 – V ZR 24/82, NJW 1983 929, 930 (juris Rn. 29); Prölss/Martin/Knappmann27 § 39 Rn. 13. 86 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 18. 87 LG Köln 17.4.1986 – 1 S 450/85, JurBüro 1987 620, 621. 88 OLG Hamburg 27.6.1980 – 11 U 14/80, VersR 1981 125, 126 noch zu der inhaltsgleichen Vorschrift § 10 Nr. 6 AGBG a.F.; kritisch auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 12. 89 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 71. Beckmann

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adresse zu diesem Zweck mit, so ist auch die Versendung der Mahnung per E-Mail möglich.90 Ein Vorausverzicht des VN auf die Einhaltung der Formvoraussetzungen ist ungültig, jedoch 32 ist eine nachträgliche Vereinbarung ebenso möglich wie der nachträgliche Verzicht auf die Folgen formeller Mängel.91

e) Inhalt der Mahnung. Nach § 38 Abs. 1 muss der VR in der Mahnung eine mindestens zwei- 33 wöchige Zahlungsfrist bestimmen, die rückständigen Beträge der Prämie, Zinsen und Kosten im Einzelnen beziffern und den VN umfassend über die Rechtsfolgen der Nichtzahlung informieren. An den Inhalt der Mahnung sind nach der Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen zu stellen.

aa) Prämienschuld. Nach wohl herrschender Meinung zu § 39 VVG a.F. war eine genaue Bezif- 34 ferung der Prämienrückstände in der Mahnung nicht notwendig, sondern es genügte die Benennung der Prämienschuld.92 Die genaue Bezifferung sollte allerdings nur dann entbehrlich sein, wenn es sich um eine Prämie aus einem bestimmten Versicherungsverhältnis handelte und der VN die Höhe der zu zahlenden Prämie unschwer aus dem Mahnschreiben und seinem Versicherungsschein ermitteln konnte.93 Diese Ansicht kann zu dem seit der VVG-Reform geltenden § 38 nicht aufrechterhalten werden, da der Gesetzestext jetzt klar erfordert, „dass rückständige Beträge der Prämie, Zinsen und Kosten im Einzelnen beziffert werden.“94 Auch in der Gesetzesbegründung ist von einer Bezifferung und nicht bloßer Benennung der Prämienschuld die Rede.95 Die rückständigen Prämien müssen ganz exakt angegeben werden, bereits eine geringe Zu- 35 vielforderung macht die Mahnung unwirksam.96 Dies gilt selbst dann, wenn der zu viel geforderte Betrag so gering ist, dass er auf die Disposition des VN keinen Einfluss haben kann.97 Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn der Prämienbetrag so offensichtlich falsch ist, dass er jedem VN sofort ins Auge springt und dieser den korrekten Betrag dennoch erkennen kann.98 Den VN trifft aber grundsätzlich keine Nachprüfungspflicht hinsichtlich des vom VR in der Mahnung angegebenen Betrages, auch wenn ihm dies anhand seiner Unterlagen möglich wäre.99 Wird die rückständige Prämie in der Mahnung dagegen zu gering angegeben, so ist die 36 Mahnung gleichwohl wirksam. Der VR ist dann an den von ihm geforderten Betrag gebunden, sodass bei Zahlung dieses Betrages der Eintritt der Rechtsfolgen wegen der eigentlich zu niedrigen Prämienzahlung ausgeschlossen ist. Der VR kann dann aber wegen des noch ausstehenden Betrages erneut mahnen.100 90 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 16. 91 BerlinerKommentar/Riedler § 39 Rn. 21; Prölss/Martin/Knappmann27 § 39 Rn. 24. 92 BerlinerKommentar/Riedler § 39 Rn. 23; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 19; a.A. Römer/Langheid/Römer2 § 39 Rn. 9. 93 Riedler 133. 94 Für eine Bezifferung im Einzelnen auch Wandt6 Rn. 546; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 9; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 5. 95 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 71. 96 BGH 7.10.1992 ‒ IV ZR 247/91, VersR 1992 1501 (juris Rn. 11) („Pfennigbeträge“); BGH 9.7.1986 ‒ IV a ZR 5/85, VersR 1986 986, 987; BGH 13.2.1967 ‒ II ZR 152/64, BGHZ 47 88, 94 = VersR 1967 467, 468 (juris Rn. 17); Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 24; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 19; Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 64; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 19. 97 BGH 6.3.1985 ‒ IV a ZR 52/83, VersR 1985 533. 98 Kalischko VersR 1988 1003. 99 BGH 13.2.1967 ‒ II ZR 152/64, BGHZ 47 88, 93 = VersR 1967 467, 468 (juris Rn. 16). 100 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 19; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 26; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 19; Riedler 134; Schirmer FS Wälder, 67, 74. 513

Beckmann

§ 38 VVG

Zahlungsverzug bei Folgeprämie

In § 38 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. hat der Gesetzgeber seit der VVG-Reform 2008 klargestellt, dass in Fällen, in denen einzelne Verträge im Versicherungsschein zusammengefasst werden, die rückständigen Beträge gesondert für jeden Vertrag angegeben werden müssen.101 Auch zu § 39 VVG a.F. hatte der BGH eine Mahnung dann für unwirksam erklärt, wenn darin rückständige Prämien aus mehreren selbständigen Versicherungsverhältnissen so zusammen angemahnt wurden, dass der irrige Eindruck entstand, der Versicherungsschutz für das einzelne Versicherungsverhältnis hänge von der Zahlung des gesamten Prämienrückstandes ab, auch soweit dieser auf ein anderes Versicherungsverhältnis entfällt.102 Diese Pflicht des VR, die Beträge getrennt auszuweisen, hat vor allem in der Kfz-Versicherung, aber auch in der Krankenversicherung Bedeutung. In der Kraftfahrtversicherung hat der VR daher Rückstände aus der Haftpflichtund solche aus der Kaskoversicherung getrennt auszuweisen.103 Gleiches gilt in der Krankenversicherung für die Krankheitskosten- und Krankengeldtageversicherung.104 Eine getrennte Ausweisung ist auch erforderlich bei einem Unfallversicherungsvertrag, in dem nicht nur der VN, sondern eine weitere versicherte Person eingeschlossen ist.105 38 Entspricht die qualifizierte Mahnung diesen Anforderungen nicht, so löst sie nicht die Rechtsfolgen von § 38 Abs. 2, 3 aus. Dem VR ist es dann möglich, erneut qualifiziert zu mahnen und damit, sofern die erneute Mahnung allen gesetzlichen Anforderungen genügt, die Rechtsfolgen von § 38 Abs. 2 und 3 auszulösen.106 Eine falsche Angabe des Fälligkeitstermins ist unschädlich, sofern sich daraus keine Folgen 39 für die Berechnung der Mahnfrist ergeben.107 37

40 bb) Zinsen und Kosten. Auch die Zinsen und Kosten muss der VR in der Mahnung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 genau beziffern. Mit den Kosten sind diejenigen für die Mahnung gemeint. Die Nebengebühren im weiteren Sinn (vgl. § 33 Rn. 30) sind nach der Legaldefinition des § 1 Satz 2 Bestandteil der Prämie (vgl. § 33 Rn. 10). Mit Zinsen und Kosten i.S.d. § 38 Abs. 1 sind dagegen echte Nebengebühren (vgl. § 33 Rn. 29) gemeint. Zu den Zinsen und Kosten zählen grundsätzlich nur die infolge des Zahlungsverzuges entstandenen Nebengebühren, also echte, nicht vertraglich vereinbarte Nebengebühren.108 Von der Zahlung anderer Schulden (z.B. Verpflichtungen aus einer bei Gelegenheit des Ab41 schlusses des Versicherungsvertrages vereinbarten Schuldübernahme oder eines Schuldbeitritts) kann der VR den Bestand des Versicherungsschutzes nicht abhängig machen.109

42 cc) Zahlungsfrist. Der VR hat dem VN eine Frist zu setzen, die „mindestens zwei Wochen“ betragen muss. Fehlerhaft ist die Fristsetzung, wenn eine Zahlung „innerhalb von zwei Wochen“ ab Zugang der Mahnung verlangt wird.110 Die Frist beginnt mit dem Zugang des Schrift101 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 71; vgl. auch AG Mannheim 22.12.2006 ‒ 1 C 295/06, ZfS 2007 453, 454; Prölss/ Martin/Reiff31 § 38 Rn. 20.

102 BGH 13.2.1967 ‒ II ZR 152/64, BGHZ 47 88, 94 = VersR 1967 467, 468 (juris Rn. 18). 103 BGH 9.10.1985 ‒ IV a ZR 29/84, VersR 1986 54, 55 (juris Rn. 21); LG Köln 19.9.2018 – 26 O 79/18, VersR 2019 927 (juris Rn. 21).

104 OLG Düsseldorf 17.8.2010 – I-4 U 2/10, VersR 2010 1439, 1440 (juris Rn. 59); LG Köln 19.9.2018 – 26 O 79/18, VersR 2019 927 (juris Rn. 21); LG Köln 24.9.1991 – 25 O 448/90, RuS 1992 352. 105 LG Köln 19.9.2018 – 26 O 79/18, VersR 2019 927 f. (juris Rn. 21); Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 20. 106 BGH 6.3.1985 ‒ IV a ZR 52/83, VersR 1985 533, 534 (juris Rn. 14). 107 OLG Hamm 17.9.1975 – 20 U 82/75, VersR 1976 1032, 1033; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 28. 108 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 33 Rn. 10. 109 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 29; OLG Hamm 6.3.1987 – 20 U 197/86, RuS 1987 166. 110 OLG München 15.2.2000 ‒ 25 U 4815/99, VersR 2000 1094, 1095 (juris Rn. 41); BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 38 Rn. 8.1; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 38 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 4; a.A. Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 9. Beckmann

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B. Tatbestand

VVG § 38

stücks beim VN zu laufen;111 die Berechnung der Frist erfolgt nach den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.112 Die Frist darf dem VN erst bestimmt werden, wenn die Prämie fällig ist und nicht rechtzeitig gezahlt wurde; eine vor Fälligkeit der Prämie gesetzte Frist ist wirkungslos.113 Werden zeitlich nacheinander zwei qualifizierte Mahnschreiben mit gleichem Wortlaut und 43 ohne Hinweis im zweiten Schreiben auf das erste an den VN abgesandt, so wird die endgültige Zahlungsfrist erst durch das zweite Mahnschreiben bestimmt.114 Bei der Setzung einer kürzeren, als im Gesetz vorgesehenen Frist ist die Mahnung unwirksam.115 Eine wirksam gesetzte Frist wird nicht dadurch verlängert, dass der VR vor Erhebung einer Zahlungsklage eine „letzte Nachfrist“ gewährt.116 Wann die Frist – nachdem der VN eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt hat – gesetzt 44 werden muss, ist nicht bestimmt. Es steht dem VR frei, wann er mahnen will.117

dd) Zahlungsaufforderung. Das Mahnschreiben muss die Aufforderung des VR an den VN 45 zum Inhalt haben, innerhalb der gesetzten Zahlungsfrist die rückständigen Prämien, Kosten und Zinsen zu begleichen.118

ee) Angabe aller Rechtsfolgen. Der VR muss den VN mit der Fristbestimmung umfassend 46 über die in den Abs. 2 und 3 bestimmten Rechtsfolgen sowie über die ihm nach Abs. 3 offenstehenden Möglichkeiten belehren. Der VN ist also darauf hinzuweisen, dass, wenn der Versicherungsfall nach Fristablauf ein- 47 tritt und der VN bei Eintritt mit der Zahlung der Prämie oder der Zinsen oder der Kosten in Verzug ist, der VR nach Abs. 2 nicht zur Leistung verpflichtet ist. Außerdem ist er darauf hinzuweisen, dass der VR nach Fristablauf den Vertrag nach Abs. 3 ohne Einhaltung einer Frist kündigen kann, wenn der VN mit der Zahlung der geschuldeten Beträge in Verzug ist. Der VN ist außerdem gesondert darauf hinzuweisen, dass die Kündigung mit der Fristbestimmung so verbunden werden kann, dass sie mit Fristablauf wirksam wird, wenn der VN zu diesem Zeitpunkt mit der Zahlung in Verzug ist. Der VN ist in jedem Fall auf alle in Betracht kommenden Rechtsfolgen vollständig hinzuwei- 48 sen, da ansonsten die Mahnung unwirksam ist.119 Die Belehrung muss vollständig und rechtlich zutreffend sein, um dem VN die notwendige Rechtssicherheit zu geben, damit er in Kenntnis der Sachlage ordnungsgemäß handeln kann.120 Das Erfordernis der umfassenden Belehrung des VN gilt auch dann, wenn der VR von Anfang an nur beabsichtigt, eine von mehreren möglichen Rechtsfolgen geltend zu machen.121 111 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 30; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 20. 112 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 8; BGH 7.10.1965 ‒ II ZR 120/63, BGHZ 44 178, 182 (juris Rn. 11); Reinhardt VersR 2000 1096. 113 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 7; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 30; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 8. 114 OLG Koblenz 20.9.1967 ‒ 1a U 303/66, VersR 1967 1061, 1062; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 30. 115 Riedler 135; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 20. 116 OLG Karlsruhe 22.12.1954 – 2 U 130/54, VersR 1955 98, 99; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 31. 117 Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 25. 118 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 33; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 21. 119 BGH 9.3.1988 – IVa ZR 225/86, VersR 1988 484, 485 (juris Rn. 21 ff.); BGH 6.10.1999 – IV ZR 118/98, VersR 1999 1525 f. (juris Rn. 10); Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 7; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 22; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 34. 120 BGH 7.10.1992 – IV ZR 247/91, VersR 1992 1501 (juris Rn. 7). 121 Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 22; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 34; OLG Nürnberg 8.2.1973 – 2 U 88/ 72, VersR 1973 910, 911. 515

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Zahlungsverzug bei Folgeprämie

Die Rechtsfolgen, die im Falle der Nichtzahlung eintreten können, und deren Voraussetzungen müssen weitestgehend an den Gesetzeswortlaut angelehnt sein.122 Beispielsweise darf in der Belehrung statt der Leistungsfreiheit des VR nicht das Ruhen der Versicherung angedroht werden oder statt von Kündigung darf nicht davon gesprochen werden, der Vertrag werde als aufgehoben betrachtet.123 Die Rechtsfolgen Leistungsfreiheit und Recht zur Kündigung dürfen nicht als Folge des Verzugs schlechthin angegeben werden. Es muss zusätzlich erwähnt werden, dass dazu auch der Eintritt des Versicherungsfalls und der fortdauernde Verzug gehören.124 Der VN darf nicht in den Glauben versetzt werden, dass ihm die Zahlung nach Ablauf der Frist nichts mehr nützt.125 Der „Verzug“ darf nicht durch den Begriff Rückstand ersetzt werden.126 Dem Gesetzeswortlaut entsprechend reicht die Verwendung des Begriffs „Verzug“ aus.127 Der Gesetzestext muss aber an sich nicht verwendet werden; seine alleinige Abschrift in der Mahnung ist auch darüber hinaus nicht ausreichend.128 Da der VN nicht in den Glauben versetzt werden darf, dass ihm eine Zahlung nach Ablauf der Frist nichts mehr nütze (oben Rn. 49), muss der VN auch auf § 38 Abs. 3 Satz 3 hingewiesen werden.129 Dies gilt selbst dann, wenn die Kündigung noch nicht mit der Mahnung verbunden ist. Rechtsfolge einer nach Form und Inhalt unzureichenden Belehrung ist deren Unwirksamkeit. Es ist unerheblich, ob der VN dadurch tatsächlich von der rechtzeitigen Zahlung abgehalten wurde oder wenigstens eine solche Möglichkeit bestand. Die ordnungsgemäße Belehrung ist also formelle Wirksamkeitsvoraussetzung einer für § 38 ausreichenden Mahnung.130 Die Mahnung soll dazu dienen, den VN vor den Folgen der nicht rechtzeitigen Zahlung zu warnen. Daher wurde auch erwogen, die Unwirksamkeit bei einer Mahnung anzunehmen, die den Hinweis auf die Rechtsfolgen in besonders kleinem Druck am unteren Rand des Schreibens enthält. Der BGH hat diese Frage in seiner Entscheidung vom 5.6.1985131 offen gelassen, da die dort verwendete Mahnung bereits aus anderen Gründen unwirksam war.132 In einer weiteren Entscheidung133 hat der BGH darauf hingewiesen, dass bereits die Gestaltung des Schreibens dem VN den Ernst der Lage und die Konsequenzen vor Augen führen muss. Der Hinweis auf den drohenden Verlust des Versicherungsschutzes muss daher jedenfalls auf der Vorderseite des Schreibens erfolgen.134 Es ist dem VR nicht möglich, eine wegen unzureichender Mahnung fehlerhafte Kündigung durch ein Korrekturschreiben zu heilen; vielmehr ist eine erneute Mahnung erforderlich.135 122 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 7; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 35. 123 Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 35. 124 BGH 9.3.1988 – IVa ZR 225/86, VersR 1988 484, 485 (juris Rn. 20 f.); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 38 Rn. 9; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 22.

125 RG 4.6.1918 – VII 28/18, RGZ 93 80; OLG Hamm 23.2.1977 – 20 U 177/76, VersR 1977 715; OLG Koblenz 24.3.1981 – 10 W 119/81, VersR 1981 1148; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 22.

126 Vgl. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 7. 127 OLG Hamm 18.12.1991 – 20 U 187/91, VersR 1992 1205 (juris Rn. 3); strenger dagegen OLG Hamm 3.7.1991 – 20 U 26/91, VersR 1992 558 (juris Rn. 7).

128 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 35; a.A. wohl Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 21. 129 OLG Hamm 17.9.1975 – 20 U 82/75, VersR 1976 1032, 1033; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 35; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 64; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 22. 130 BGH 13.2.1967 – II ZR 152/64, BGHZ 47 88, 94 = VersR 1967 467, 468 (juris Rn. 19); OLG Hamm 6.12.1978 – 20 U 125/78, VersR 1980 178, 179 (juris Rn. 25); OLG Köln 23.10.2001 – 9 U 226/00, RuS 2001 447, 448 (juris Rn. 13); Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 36; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24. 131 BGH 5.6.1985 – IV A ZR 113/83, VersR 1985 981, 983. 132 Für die Unwirksamkeit Lang VersR 1987 1157, 1161. 133 BGH 6.10.1999 – IV ZR 118/98, VersR 1999 1525, 1526 (juris Rn. 12 ff.). 134 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 21. 135 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 65; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 24; BGH 6.3.1985 – IV a ZR 52/83, VersR 1985 533, 534. Beckmann

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B. Tatbestand

VVG § 38

Die formalisierte Mahnung kann auch nicht durch einen Mahnbescheid ersetzt werden oder 54 deshalb unterbleiben, weil wegen der Prämien bereits ein Prozess schwebt oder weil der VN den Wunsch nach Aufhebung des Vertrages geäußert und ihm dadurch Nachdruck verliehen hat, dass er die Prämienzahlung abgelehnt hat.136

f) Zeitpunkt der Mahnung. Der VR darf den VN erst dann mahnen, wenn die Folgeprämie fällig 55 geworden ist; eine vor Fälligkeit bestimmte Frist ist wirkungslos.137 Die falsche Angabe des Fälligkeitstermins in der Mahnung stellt aber jedenfalls so lange keinen Verstoß gegen die Belehrungspflicht dar, als sich daraus etwa für die Berechnung der Mahnfrist keinerlei Folgen ergeben.138

g) Mahnung bei Verzug mit mehreren Prämien. Nicht selten kann es vorkommen, dass der 56 VN nicht bloß mit einer, sondern mit mehreren Prämien im Zahlungsverzug ist bzw. fällige Prämien nicht rechtzeitig entrichtet. Derartige Fallkonstellationen lassen sich jedoch gleichermaßen nach den vorhandenen gesetzlichen Vorschriften adäquat lösen. Sind sowohl Erst- als auch Folgeprämie fällig und zahlt der VN nur auf die Erstprämie, besteht keine Leistungsfreiheit des VR. Dieser hat die Folgeprämie zuerst anzumahnen. Im umgekehrten Fall – der VN zahlt also nur auf die Folgeprämie – ist der VR hingegen von seiner Leistung frei, bis die Erstprämie entrichtet wird, § 37 Abs. 2 Satz 1, es sei denn, der VN hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten. Einer übergesetzlichen Hinweispflicht, wie sie teilweise angedacht wird, bedarf es heute nicht mehr, da dem VR bereits durch § 37 Abs. 2 Satz 2 eine gesonderte Hinweispflicht auferlegt wird.139 Hat der VN sowohl die Erst- als auch die Folgeprämie nicht beglichen, so kann er der Leistungsfreiheit des VR alleine durch Zahlung der Erstprämie entgegenwirken, solange der VR die Folgeprämie nicht angemahnt hat. Bei Fälligkeit mehrerer Folgeprämien stellt das Gesetz darauf ab, welche Prämien bereits 57 vom VR qualifiziert angemahnt wurden und welche Prämien der VN bereits gezahlt hat. Hierbei ist strikt zwischen den einzelnen Folgeprämien zu differenzieren. Erste Voraussetzung für eine mögliche Leistungsfreiheit oder Kündigung des VR ist stets die ordnungsgemäße qualifizierte Mahnung. Für jede Folgeprämie ist daher gesondert zu untersuchen, ob die Mahnung den gesetzlichen Vorschriften entsprechend erfolgt ist. Befindet sich der VN mit mehreren Folgeprämien in Verzug und begleicht er von diesen nur die ordnungsgemäß angemahnte(n) Folgeprämie(n), so muss der VR, um erneut die Rechtsfolgen des § 38 herbeizuführen, erneut eine der ausstehenden Folgeprämien anmahnen.140 Ist der VN beispielsweise mit mehreren Folgeprämien in Verzug, ist aber nur eine dieser Folgeprämien angemahnt worden und begleicht der VN diese angemahnte Prämie, so ist der VR wieder ab dem Zeitpunkt der Zahlung an zur Leistung verpflichtet. Die weiteren fälligen Folgeprämien sind gesondert anzumahnen und sind als eigenständige Verbindlichkeiten nicht Bestandteil der ersten Mahnung. Hat der VN dagegen auch nach Ablauf der Zahlungsfrist eine qualifiziert angemahnte Folgeprämie nicht beglichen, so hat das Hinzutreten weiterer fälliger Folgeprämien keinen Einfluss auf die bereits bestehende Leistungsfreiheit des VR, da der Verzug erst dann endet, wenn die angemahnte Prämie bezahlt wurde.141 Daran ändert sich auch nichts, wenn die weiteren Folgeprämien ebenfalls angemahnt wurden. Der VR bleibt auch während der Zahlungsfrist für die neu hinzugekommenen FolgepräPrölss/Martin/Knappmann27 § 39 Rn. 22; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 37. Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 38; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 7. OLG Hamm 17.9.1975 – 20 U 82/75, VersR 1976 1032, 1033. Für eine derartige Pflicht noch Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 39; aus neuerer Zeit Langheid/Wandt/ Staudinger2 § 38 Rn. 3; für die österreichische Rechtslage mit Verweis auf § 38 ÖVVG Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 39. 140 OLG Koblenz 24.3.1981 – 10 W 119/81, VersR 1981 1148. 141 BGH 24.1.1963 – II ZR 89/61, VersR 1963 376, 377; OLG Köln 16.9.1992 – 5 W 29/92, RuS 1992 398, 399; OLG Nürnberg 14.7.1952 – 1 W 115/52, VersR 1952 370, 371.

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§ 38 VVG

Zahlungsverzug bei Folgeprämie

mien von seiner Leistungspflicht frei, da die bereits bestehende Leistungspflicht eben nur durch die jeweilige Zahlung auf die bereits zuvor angemahnte Folgeprämie erlöschen kann.142 Wurde der VN aufgrund mehrerer ausstehender Folgeprämien auch bzgl. aller Folgeprämien ordnungsgemäß gemahnt, bezahlt daraufhin jedoch nur den Betrag einer dieser Folgeprämien, so ist auch klar, dass sich an der Leistungsfreiheit des VR nichts ändern kann, da der Verzug mit den übrigen Folgeprämien auch fortan besteht. 58 Auch im Falle der Verjährung einer Folgeprämie bleibt die Leistungsfreiheit des VR bestehen;143 die einmal eingetretene Leistungsfreiheit kann nachträglich nicht beseitigt werden. Indes kann in diesem Fall eine übergesetzliche Hinweispflicht des VR bestehen, sofern der VN – z.B. aufgrund der zeitlichen Spanne – von einem bestehenden Versicherungsschutz ausgeht und der VR dies erkennt.144 Bei vereinbarter Ratenzahlung ist die Rechtslage weitestgehend identisch, wenn es sich bei 59 den Raten um Folgeprämien handelt.145 Eine Besonderheit ergibt sich für den Fall, dass durch Vereinbarung der Verzug mit einer Rate zum sofortigen Fälligwerden der noch ausstehenden Raten führt. Diese als zulässig deklarierte Klausel führt dazu, dass die gesamte Jahresprämie fällig wird. Wird der VN diesbezüglich ordnungsgemäß gemahnt, muss er, um die Leistungsfreiheit des VR zu verhindern, auch die gesamte Jahresprämie entrichten.146

4. Keine Zahlung innerhalb der gesetzten Zahlungsfrist 60 Der VN kann das Kündigungsrecht und die Leistungsfreiheit des VR dadurch abwenden, dass er innerhalb der gesetzten Frist die angemahnten Folgeprämien begleicht. Gelingt ihm dies, besteht der Versicherungsvertrag unter Beibehaltung der gegenseitigen Leistungspflichten fort. Die vom VR gesetzte Frist muss mindestens zwei Wochen betragen, kann jedoch auch länger bemessen werden. Die Bezahlung eines bestimmten Betrages aufgrund einer vorangegangenen Mahnung stellt rechtlich gesehen eine Tilgungsbestimmung hinsichtlich exakt dieser angemahnten Folgeprämie dar. Insofern ist auch eine spätere Verrechnung des VR mit sonstigen, möglicherweise älteren, Forderungen irrelevant in Bezug auf § 38. Durch die Tilgung der angemahnten Prämien endet der Verzug des VN.

5. Vertretenmüssen des Versicherungsnehmers 61 Leistungsfreiheit des VR gem. § 38 Abs. 2 setzt voraus, dass der VN die Nichtzahlung zu vertreten hat.147 Dies folgt daraus, dass § 38 Abs. 2 voraussetzt, dass sich der VN in Verzug befindet. Das Vertretenmüssen wird grundsätzlich vermutet, § 286 Abs. 4 BGB. Insofern hat der VN selbst den Entlastungsbeweis anzutreten. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage des Verschuldens ist der Eintritt des Versicherungsfalles.148 Das folgt aus dem Wortlaut des § 38 Abs. 2, wonach der VN bei Eintritt des Versicherungsfalles in Verzug sein muss.

142 BGH 20.12.1956 – II ZR 8/56, VersR 1957 55. 143 Prölss/Martin/Knappmann27 § 39 Rn. 25. 144 BGH 7.11.1973 – IV ZR 128/71, VersR 1974 121 (juris Rn. 9 f.); OLG Karlsruhe 16.10.1986 – 12 U 19/86, VersR 1988 487, 488.

145 Vgl. zur Abgrenzung § 37 Rn. 21 f. 146 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 46. 147 OLG Köln 9.10.2018 – 9 U 53/18, RuS 2019 211, 213 (juris Rn. 17); Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 26; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 18; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 14. Zum Verschulden bei Nichtzahlung aufgrund von Umsatzeinbußen in der Corona-Pandemie vgl. Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 48a (freilich unter Zugrundelegung der in Österreich ergriffenen Maßnahmen). 148 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 26. Beckmann

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B. Tatbestand

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Folgende Tatsachen genügen den Anforderungen an den Gegenbeweis nicht: Nichtzahlung 62 aufgrund Illiquidität kann den VN nach allgemeinen Grundsätzen nicht entlasten.149 Auch das Vergessen der Zahlung genügt ohne Zweifel nicht, um den Beweis zu erbringen. Auch eine zu hohe Minderung der Versicherungssumme nach § 74 Abs. 1 (Überversicherung) hat der VN zu vertreten. Exemplarisch sind aber derartige Gegebenheiten als Gegenbeweis anzuerkennen: Schwere 63 Krankheiten können im Einzelfall sehr wohl ein Verschulden ausschließen.150 Ansonsten können natürlich Leistungshindernisse aufgrund höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Ereignisse, die der VN nicht zu beeinflussen vermag, zum Gegenbeweis angeführt werden.151 Weiterhin kann ein Verhalten des VR oder seiner Mitarbeiter bzw. Erfüllungsgehilfen dazu führen, dass der VN den Verzug nicht zu vertreten hat. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der VN in unzutreffender Weise über die Zahlung der Prämie belehrt wird, getäuscht wird, oder er sich aufgrund missverständlicher Äußerungen in einem entschuldbaren Irrtum befindet. Vor allem bei missverständlicher Prämienberechnung kann dies der Fall sein, wenn Forderungen in wechselnder Höhe während der Zahlungsfrist geltend gemacht werden oder die Zusendung der Zahlungsaufforderung den geforderten Betrag nicht klar widerspiegelt. Ist der VN daraufhin in Unkenntnis über den geschuldeten Betrag und verschafft er sich hierüber Klarheit, verhindert auch die spätere Zahlung nach Ablauf der Frist den Verzug.152 Der VN kommt des Weiteren nicht in Verzug, wenn er entsprechende Gegenrechte geltend machen kann. Hierzu zählen insbesondere Schadensersatz- und Zurückbehaltungsrechte sowie Gestaltungsrechte wie etwa die Aufrechnung nach § 387 BGB. Einschränkend ist jedoch erforderlich, dass das Gegenrecht bzw. die Forderung des VN gegen den VR vor Ablauf der Zahlungsfrist entstanden sein muss. Ansonsten kommt der VN in Verzug, kann jedoch zweifellos durch Aufrechnung die Prämienforderung zum Erlöschen bringen.

II. Rechtsfolgen 1. Allgemeines Die Rechtsfolgen des § 38 regeln nur die Befreiung von der Leistungspflicht (Abs. 2) in dem 64 Falle, dass der VN die fällige Prämie nicht innerhalb der Zahlungsfrist bezahlt, und das hieraus entspringende Kündigungsrecht (Abs. 3) des VR. Darüber hinaus entfaltet § 38 jedoch keinerlei Wirkungen auf den bestehenden Versicherungsvertrag. So bleibt es dem VR auch weiterhin unbenommen auf Vertragserfüllung, also Prämienzahlung, zu klagen bzw. hierzu das Mahnverfahren anzustrengen; indes kommt dies in der Praxis selten vor.153 So kann der VR auch trotz eventuell bestehender Leistungsfreiheit noch lange Zeit später die Zahlung der Prämien verlangen, da der Bestand des Versicherungsvertrages nicht berührt wird. Die Grenze bildet letztlich nur die eigentliche Beendigung des Versicherungsvertrages oder aber die Verjährung des Anspruchs. Teilweise ist indes in AVB vereinbart, dass Folgeprämien nur bis zu einer gewissen zeitlichen Grenze geltend gemacht werden können.154 Alleine der Verzug des VN mit der Prämienzahlungspflicht ändert ansonsten nichts an den beiderseitigen Leistungspflichten aus dem Versicherungsverhältnis. Hieraus kann sich allenfalls ein Schadensersatzanspruch ableiten las-

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Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 48. Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 26; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 14. Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 26; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 Rn. 48. BGH 21.12.1977 – IV ZR 21/77, VersR 1978 241, 242; OLG Bremen 8.12.1976 – 3 U 66/76, VersR 1977 855 (juris Rn. 40); OLG Düsseldorf 11.7.1978 – 4 U 23/78, VersR 1978 912. 153 Wandt6 Rn. 544. 154 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 50. 519

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sen, der die Verzugszinsen umfasst, §§ 286, 288 BGB.155 Umstritten ist, ob im Rahmen von Verzugsschäden auch eventuell angefallene Kosten für Mahnbescheide hinzugerechnet werden können. Mahnt der VR etwa den VN und beantragt innerhalb der Zahlungsfrist einen Mahnbescheid, so sind nach richtiger Ansicht auch die Kosten hierfür ersatzfähig. Für die Herbeiführung der allgemeinen Verzugsfolgen ist lediglich eine einfache und keine qualifizierte Mahnung erforderlich. Die einfache Mahnung ist jedoch zumeist nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich, so dass auch die Mahnkosten zu ersetzen sind.156

2. Leistungsfreiheit des Versicherers in den jeweiligen Stadien 65 Alleine der Verzug mit der Folgeprämie führt nach dem Willen des Gesetzgebers noch nicht zur Leistungsfreiheit des VR. § 38 ist vom Grundgedanken getragen, dass der Versicherungsschutz ein wichtiges Gut ist, das besonderen Schutz verdient und nicht bereits dadurch entfallen soll, dass lediglich eine fällige Zahlungsverpflichtung übersehen wurde.157 Ganz im Gegensatz zu § 37, der im Rahmen von Erstprämien das sog. Einlösungsprinzip zu Grunde legt, wonach der VR grundsätzlich bis zur Leistung der ersten Prämie nicht zur Zahlung verpflichtet ist, hat der Gesetzgeber in § 38 erkannt, dass im Falle von Folgeprämien der VN sehr wohl sein Interesse am Bestehen des Versicherungsvertrages deutlich bekundet hat und somit schützenswert ist. Darauf basierend ist für die Frage nach der Leistungsfreiheit stets nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles zu differenzieren.

66 a) Keine Leistungsfreiheit während des Laufs der Zahlungsfrist. Weder der Eintritt des eigentlichen Verzugs noch der Lauf der Zahlungsfrist nach § 38 Abs. 1 Satz 1 vermag die Leistungsfreiheit des VR zu begründen. Sofern der VN die Folgeprämie begleicht, können die Rechtsfolgen des § 38 nicht mehr eintreten. Es bleibt somit weder Raum für ein Kündigungsrecht des VR, noch für eine etwaige Leistungsfreiheit. Selbst dann, wenn während der Zahlungsfrist wirklich der Versicherungsfall eintritt und der VN in Kenntnis hiervon die Folgeprämie nachzahlt, muss der VR leisten.158 Unbenommen bleibt es dem VR jedoch, Verzugszinsen geltend zu machen nach §§ 286, 288 BGB.

b) Rechtslage nach Fristablauf 67 aa) Zeitraum zwischen Ende der Zahlungsfrist und des Versicherungsfalles. Nach dem Ablauf der ordnungsgemäß gesetzten Zahlungsfrist nach § 38 Abs. 1 Satz 1 ist der VR nach § 38 Abs. 2 von seiner Leistungspflicht frei. Solange jedoch kein Versicherungsfall eintritt, hat dies in der Praxis zunächst einmal keine Konsequenzen. Auch im Hinblick auf das Versicherungsverhältnis, seine Dauer und die Prämienzahlungspflicht ergibt sich nichts anderes. Der VN kann auch in diesem Zeitraum noch die angemahnte Folgeprämie bezahlen und so die Rechtsfolgen des § 38 für die Zukunft ausräumen. Der VR ist auch in diesem Zeitraum zur Entgegennahme verpflichtet und gerät im Falle der Weigerung in Annahmeverzug.159 Eine Besonderheit ergibt sich weiterhin in den Fallkonstellationen, in denen der VN die Prämie noch vor Eintritt des Versicherungsfalles begleicht, obwohl er genaue Kenntnis davon hat, dass dieser alsbald eintreBruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 31; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 50. Ebenso Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 2; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 29; a.A. Ehrenzweig ZfV 1955 45. Begr. zu § 39 VVG 1908 Motive 110. OLG Düsseldorf 1.3.1966 – 4 U 296/65, VersR 1966 819; vgl. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 15; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 52. 159 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 16; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 34.

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ten wird. Hier wird teilweise angenommen, dass dies gegen Treu und Glauben verstoße und daher die Leistungsfreiheit des VR trotz Zahlung der Prämie weiterbestehe.160 Eine derartige teleologische Auslegung erscheint indes nur in krassen Ausnahmesituationen geboten. Erforderlich müsste sein, dass zum einen der Versicherungsfall tatsächlich in unmittelbarer zeitlicher Nähe stattfinden wird, ein sehr hoher Schaden zu erwarten ist und der Eintritt des Versicherungsfalles sicher feststeht. Ansonsten nutzt der VN nämlich nur die bestehende Rechtslage zu seinen Gunsten aus, was ihm nur schwerlich verwehrt werden kann.

bb) Leistungsfreiheit nach Eintritt des Versicherungsfalles. Liegen die Tatbestandsvo- 68 raussetzungen des § 38 vor und ist die gesetzte Zahlungsfrist fruchtlos verstrichen und tritt daraufhin der Versicherungsfall ein, so ist der VR stets von seiner Leistung frei. Eine Zahlung durch den VN nach dem Eintritt des Versicherungsfalles ist dann unerheblich. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass alleine das rechtzeitige Absenden des Prämienbetrages genügt, um den Verzug zu beseitigen (indes str.; zur erforderlichen Leistungshandlung vgl. § 36 Rn. 10 ff., auch im Hinblick auf unterschiedliche Zahlungsmethoden vgl. § 36 Rn. 29 ff., wie z.B. das Lastschriftverfahren vgl. § 36 Rn. 41 ff.). Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 38 Abs. 2 muss dem VN im Zeitpunkt des 69 Eintritts des Versicherungsfalles der Zahlungsverzug anzulasten sein.161 Der Gesetzgeber hat den hiergegen vorgebrachten Bedenken im Rahmen der VVG-Reform keine Beachtung geschenkt und es bei dieser Rechtslage belassen.162 Bei manchen Versicherungsarten bzw. Situationen kann diese Auslegung auf den ersten Blick zu einer schwer nachvollziehbaren Rechtslage führen. Als markantestes Beispiel wird hierbei die Todesfallversicherung genannt. Es kann vorkommen, dass bei einer Todesfallversicherung der VN vor seinem Tode mehrere Tage zuvor bereits bettlägerig ist und aus diesem Grund im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles alleine keine Zahlungen mehr tätigen kann. In diesem Fall liegt im entscheidenden Moment häufig subjektiv kein Verzug vor. Dem VN ist somit kein Verschulden zur Last zu legen, obwohl er möglicherweise Monate zuvor bereits die Möglichkeit hatte, die Prämienschuld zu begleichen. Diese Rechtslage ist aufgrund des Wortlauts und des Abstellens auf den Versicherungsfall, letztlich aber im Hinblick auf den Zweck der Norm so zu akzeptieren.163

3. Das Kündigungsrecht des VR Hat der VN auch während der Zahlungsfrist die angemahnte fällige Prämie nebst Zinsen und 70 Kosten nicht entrichtet, so steht dem VR nach Ablauf der Zahlungsfrist des Weiteren die Möglichkeit der Kündigung des Versicherungsvertrages zu, § 38 Abs. 3. Aus formaler Sicht steht es ihm dabei frei, ob er nach Fristablauf gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 eine eigenständige Kündigung an den VN versendet (isolierte Kündigung) oder aber die Kündigung gleichsam mit der qualifizierten Mahnung derart verbindet, dass diese mit Fristablauf wirksam wird, § 38 Abs. 3 Satz 2 (verbundene Kündigung).

a) Allgemeine Voraussetzungen der Kündigung. Wie im Rahmen der Leistungsfreiheit des 71 VR bereits erörtert, ist auch das Kündigungsrecht des VR an allgemeine Voraussetzungen geknüpft. Der VN muss die ausstehende fällige Prämie nebst Zinsen oder Kosten trotz erfolgter Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 54; zu Recht zweifelnd Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 28. Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 35; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 14. Siehe hierzu Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 54. Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 26; a.A. BeckOK-VVG/ Klimke (Stand: 9.8.2021) § 38 Rn. 27.

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ordnungsgemäßer qualifizierter Mahnung (dazu Rn. 18 ff.) nicht innerhalb der Zahlungsfrist beglichen haben. Da die Kündigung eine rechtsgestaltende, empfangsbedürftige Willenserklärung ist, muss sie darüber hinaus von einem zur Erteilung einer Kündigung Berechtigten erklärt worden sein und dem richtigen Empfänger bzw. einem Empfangsberechtigten zugehen. Hierbei gelten weitestgehend die Erwägungen, die bereits im Rahmen der Mahnung dargestellt wurden (vgl. hierzu Rn. 22 ff.). Inkassobevollmächtigte, Versicherungsmakler und Versicherungsvertreter sind grundsätzlich nicht berechtigt, Kündigungen auszusprechen, da dies ihren Kompetenzbereich überschreitet. Es ist jedoch gewiss möglich, auch derartigen Personen vertraglich die Befugnis hierzu einzuräumen. Die Kündigung ist anders als die qualifizierte Mahnung grundsätzlich formfrei. Schriftform kann jedoch vereinbart werden. Die Kündigung muss aber in jedem Falle endgültig ausgesprochen werden. Bloße Androhungen oder Ankündigungen genügen nicht.164 Der VN muss hier Klarheit über die Zukunft des Versicherungsvertrages haben. Über diese allgemeinen Voraussetzungen hinaus bestehen für die zwei möglichen Kündigungsarten noch weitere Besonderheiten.

72 b) Isolierte Kündigung. Die isolierte Kündigung ist erst nach Ablauf der Zahlungsfrist möglich. Im Rahmen der isolierten Kündigung ist jedoch stets zu beachten, dass die Kündigungsvoraussetzungen auch noch im Zeitpunkt, in dem die Kündigung zugeht, vorliegen müssen.165 Insbesondere muss sich der VN noch bei Zugang im subjektiven Zahlungsverzug mit der Prämie befinden. War der Zahlungsverzug bis zu diesem Zeitpunkt unverschuldet, so kann die Kündigung keine Wirkung entfalten. Gleiches gilt, sofern der VN die zur Begleichung der Prämienschuld erforderliche Leistungshandlung vorgenommen hat, bevor ihm das Kündigungsschreiben zugeht. Hat der VN bspw. die Zahlung der Prämie mittels Überweisung oder Scheck bereits in die Wege geleitet, so bleibt die spätere Kündigung wirkungslos (vgl. zur Leistungshandlung § 36 Rn. 10 ff.).

73 c) Verbundene Kündigung. Die verbundene Kündigung stellt für den VR gewiss die sinnvollere Kündigungsvariante dar. Dabei kann der VR innerhalb der qualifizierten Mahnung der Prämie bereits erklären, dass der Versicherungsvertrag mit Ablauf der Zahlungsfrist als gekündigt gilt, sofern der VN die Prämie bis dahin nicht bezahlt hat, § 38 Abs. 3 Satz 2. Dadurch erspart er sich zum einen entstehende Verwaltungskosten bzw. Verwaltungsaufwand, andererseits aber vor allem die Beweislast bzgl. des Zugangs der späteren Kündigung (vgl. hierzu Rn. 89 ff.). Zu beachten ist auch im Rahmen der verbundenen Kündigung, dass bis zum Ablauf der Zahlungsfrist die Voraussetzungen der Kündigung vorliegen müssen. Insbesondere muss sich der VN zu diesem Zeitpunkt noch in verschuldetem Verzug befinden.166 Das Eintreten der Wirkungen der Kündigung ist bei der verbundenen Kündigung durch die Nichtentrichtung der Prämie innerhalb der Zahlungsfrist aufschiebend bedingt, § 158 Abs. 1 BGB. Umstritten, aber wohl zu bejahen ist, dass der VR auch eine längere Befristung für das Eintreten der Kündigungsfolgen bestimmen kann.167 Insbesondere liegt in dieser längeren Befristung keine Beschneidung der Rechte des VN, sondern eine Besserstellung, so dass vor allem § 42 nicht dagegen spricht.

164 OLG Köln 19.3.1992 – 5 U 134/91, RuS 1992 151. 165 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 18; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 57; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 40. 166 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 18; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 57. 167 Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 45; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 57; a.A. Prölss/Martin/Knappmann27 § 39 Rn. 31. Beckmann

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d) Wirkung der Kündigung. Die Kündigungswirkung tritt bei Vorliegen aller Voraussetzungen 74 ab dem Zugang der Kündigungserklärung bzw. bei der verbundenen Kündigung mit Ablauf der Zahlungsfrist ein (ex-nunc-Wirkung). Ab diesem Zeitpunkt ist der Versicherungsvertrag aufgelöst. Eine Ausnahme hierzu findet sich jedoch im Bereich der Lebensversicherung. Hier führt die Kündigung gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 nicht zur Auflösung des Versicherungsvertrages, sondern zur Umwandlung in eine prämienfreie Lebensversicherung, worauf der VR bei Bestimmung der Zahlungsfrist nach § 38 Abs. 1 hinzuweisen hat, § 166 Abs. 3. Obwohl die Kündigung grundsätzlich bewirkt, dass die Leistungspflicht aus dem Versicherungsvertrag ab diesem Zeitpunkt erlischt, gebührt dem VR nunmehr gemäß § 39 Abs. 1 nicht mehr die gesamte Prämie bis zum Ablauf der jeweiligen Versicherungsperiode, sondern nur noch für den Zeitraum, zu dem Versicherungsschutz bestanden hat.

e) Reaktivierung des Versicherungsvertrages, Abs. 3 Satz 3. Obwohl der Versicherungs- 75 vertrag mit Zugang einer wirksamen Kündigung erloschen ist, gesteht der Gesetzgeber dem VN jedoch weiterhin das Recht auf Reaktivierung des Versicherungsvertrages für den Fall zu, dass er innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung, bzw. bei verbundenen Kündigungen innerhalb eines Monats nach Fristablauf die Zahlung auf die Prämie mitsamt der sonstigen Kosten und Zinsen nachholt, § 38 Abs. 3 Satz 3. Dann fallen die Wirkungen der Kündigung nachträglich fort. Der Versicherungsvertrag lebt durch das einseitige Gestaltungsrecht des VN in seiner ursprünglichen Form wieder auf.168 Rechtlich lässt sich dieses Wiederaufleben am ehesten mit dem Rechtskonstrukt einer auflösend bedingten Kündigung erklären, § 158 Abs. 2 BGB.169 Ab Zahlung der Prämie besteht der Versicherungsvertrag wieder. Der Zahlung kommt keineswegs die Wirkung zu, auch die Leistungsfreiheit des VR rückwirkend zu beseitigen, vgl. Abs. 3 Satz 3, 2. Hs. Die Leistungspflicht des VR besteht erst wieder ab dem Zeitpunkt, ab dem der VN seiner Prämienzahlungspflicht ordnungsgemäß nachkommt. War zuvor ein Versicherungsfall eingetreten und der VR aufgrund des Prämienzahlungsverzugs nicht mehr zur Leistung verpflichtet, so kann der VN zwar gewiss immer noch den Versicherungsvertrag wiederaufleben lassen, an der vorherigen Leistungsfreiheit ändert dies jedoch nichts. Umstritten ist die Frage, ob eine Reaktivierung des Versicherungsvertrages auch dann noch anzunehmen ist, wenn der VN lediglich aufgrund der Zwangsvollstreckung bzw. zur Abwendung der Zwangsvollstreckung die Prämienpflicht begleicht. Richtigerweise ist dies zu verneinen. Der Leistung auf die vormals bestehende Prämienzahlungspflicht liegt grundsätzlich eine autonome Willensentscheidung des VN zugrunde, durch welche dieser zum Ausdruck bringt, dass er an dem Versicherungsvertrag festhalten möchte. Es reicht deshalb nicht aus, wenn der VR die Zwangsvollstreckung betreibt oder der VN lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zahlt.170 Vielmehr zahlt er aufgrund anderer Beweggründe. Ohne weitere Anhaltspunkte tritt die Wirkung des § 38 Abs. 3 Satz 3 in diesem Fall somit nicht ein.171 III. Ausbleiben der Rechtsfolgen Es existieren Fallgruppen, bei denen anerkanntermaßen die Rechtsfolgen des § 38 nicht eintre- 76 ten. Hierzu zählen insbesondere die Stundung der Folgeprämie durch den VR, der Verzicht des 168 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 61. 169 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 22; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 41; Bruck/Möller/Möller8 § 39 Anm. 50; Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 61. 170 AG Alsfeld 1.2.1991 – C 533/90, NJW-RR 1991 1312; Gärtner VersR 1961 104, 105; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 38 Rn. 27; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 38 Rn. 19; a.A. LG Duisburg 2.8.1961 – 4 S 135/61, VersR 1961 793; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 23; Brockmann VersR 1960 678. 171 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 62. 523

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VR auf die Geltendmachung der Rechtsfolgen des § 38 und der Ausschluss der Rechtsfolgen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB):

1. Stundung der Folgeprämie 77 Sofern der VN in Zahlungsschwierigkeiten geraten ist, kommt es nicht selten vor, dass die Parteien sich darüber einigen, dass die Prämienforderung gestundet werden soll oder aber jedenfalls nicht vom VR innerhalb eines bestimmten Zeitraumes geltend gemacht werden soll. Welche rechtlichen Folgen eine derartige Vereinbarung nach sich zieht, ist daraufhin jedoch durch Auslegung zu ermitteln. So kann von Seiten des VR die Prämie bis auf weiteres gestundet worden sein. Eine solche Stundung hindert die Fälligkeit der Prämienforderung. Ohne fällige Prämienforderung kann aber gleichzeitig auch kein Verzug des VN eintreten. Eine Stundung vor Fristsetzung bewirkt, dass es mangels Fälligkeit an einer nicht rechtzeitigen Zahlung des VN fehlt. Die Rechtsfolgen des § 38 können somit nicht eintreten. Verhandlungen um die Gewährung einer Stundung reichen für die Annahme einer Stundungsabrede grundsätzlich nicht aus.172 78 Erfolgt die Stundung der Prämie während der Phase, in der die Zahlungsfrist läuft, wird lediglich der Termin, an dem die Zahlungsfrist endet, nach hinten verlegt auf den Zeitpunkt, in dem die Stundungsfrist abläuft. Solange diese Stundungsfrist läuft, trägt der VR weiterhin die Gefahr des Versicherungsfalles. Zuvor erfolgte Rechtsgeschäfte, wie z.B. die Mahnung, bleiben von der Stundungsabrede grundsätzlich unberührt.173 Überwiegend wird jedoch angenommen, dass nach Ablauf der Stundungsfrist die Verzugsfolgen nicht ohne deutliche Kennzeichnung des VR wieder aufleben würden.174 Vielmehr müsse der VR nach Ablauf der Stundungsfrist erneut mahnen, um die Rechtsfolgen des § 38 herbeiführen zu können. Das ist durchaus nachvollziehbar, da im Unterschied zu einer bloßen Fristverlängerung der VN bei Erhalt einer Stundung nicht ohne weiteres davon ausgehen kann, dass er sofort nach Ablauf der Frist keinen Versicherungsschutz mehr genießt, sondern vielmehr auf eine Neuregelung des Versicherungsvertrages mit dem VR vertraut.175 79 Nach Ablauf der Zahlungsfrist, also bei bestehender Leistungsfreiheit des VR, bewirkt eine Stundung der Prämie nicht, dass der VR wieder zur Leistung verpflichtet ist. Hierzu ist eine Zahlung der noch ausstehenden Prämien notwendig.176 Den VR trifft in diesem Fall eine Hinweispflicht auf die bestehende Leistungsfreiheit. Andernfalls könnte der VN fälschlicherweise von einem bestehenden Versicherungsschutz ausgehen. Da durch die Stundungsvereinbarung der Rechtsschein für den VN erweckt werden könnte, dass der VR an einer Neuregelung des Versicherungsvertrages interessiert sei, muss der VR nach Ablauf der Stundungsfrist erneut mahnen, um kündigen zu können. Die Leistungsfreiheit besteht jedoch auch ohne weitere Mahnung fort. Die Stundung nach Eintritt der Leistungsfreiheit führt indes dazu, dass das Kündigungsrecht des VR nach § 38 Abs. 3 nicht besteht,177 da sich der VN während der Stundung nicht in Verzug befindet. 80 Alleine die Annahme von Teilzahlungen lässt nicht zwingend auf ein Zustandekommen einer Stundungsvereinbarung schließen. Der VR sollte sich jedoch stets durch entsprechende Hinweise absichern, um die Gefahr einer Haftung nach Treu und Glauben auszuschließen.

172 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 22; Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 22. 173 OLG München 25.4.1958 – 3 U 1515/57, VersR 1959 798, 799. 174 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 68; Kalischko VersR 1988 671, 673; Prölss/Martin/Knappmann27 § 39 Rn. 40.; a.A. Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 32, wonach die Mahnung nach Ende der verlängerten Frist nicht wiederholt werden muss. 175 Kalischko VersR 1988 671, 673. 176 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 32; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 69. 177 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 32. Beckmann

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2. Ruhen der Versicherung Neben der Stundungsvereinbarung steht den Parteien auch die Möglichkeit offen, den Vertrag für 81 einen bestimmten Zeitraum ruhen zu lassen. Hierdurch werden beide Parteien ihrer vertraglichen Leistungspflichten enthoben. Erst nach Ablauf der Ruhezeit lebt der Vertrag in seiner ursprünglichen Fassung wieder auf. Dies schließt auch die einmal eingetretenen Verzugsfolgen ein. Hierzu bedarf es keiner weiteren Mahnung, sofern der VR durch die Vereinbarung nicht einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, durch den der VN zulässigerweise von einem bestehenden Versicherungsschutz ausgehen konnte. Natürlich steht es dem VR daneben jederzeit frei, auf die Verzugsfolgen zu verzichten oder sogar die rückständigen Prämien zu erlassen. In letzterem Falle bestünde ab Erlass wieder voller Versicherungsschutz für den VN. Andernfalls besteht Versicherungsschutz erst wieder durch Zahlung der ausstehenden Prämien. Soweit der VR jedoch erkennt, dass der VN irrtümlich von einem bestehenden Versicherungsschutz ausgeht, treffen ihn je nach Fallkonstellation übergesetzliche Hinweispflichten. Er hat diesen Irrtum unverzüglich zu beseitigen.

3. Verzicht des Versicherers Des Weiteren steht es dem VR frei, auf die ihm nach § 38 gebührenden Rechte zu verzichten.178 82 Der Verzicht kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen.179 Da jedoch ein Verzicht auf derart starke Rechte eher selten mit den Interessen des VR im Einklang stehen wird, müssen zur Annahme eines konkludenten Verzichts eindeutige Anzeichen vorliegen, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass er auf die Rechte verzichten möchte. Andernfalls kann eine Auslegung seiner Willenserklärung nicht ohne Zweifel als Verzicht qualifiziert werden, §§ 133, 157 BGB. So liegt bspw. kein Verzicht in der gerichtlichen Geltendmachung der Prämie.180 Auch die Nichtbefolgung der Benachrichtigungspflicht bei Prämienzahlungsverzug bei Kfz-Versicherungen lässt hierauf nicht schließen. Ebenso genügt auch die Sachverhaltsermittlung und Schadensfeststellung durch den VR nicht den Anforderungen an einen konkludenten Verzicht. Ein kurzzeitiger Zahlungsaufschub oder eine Stundung der Prämie ist ebenfalls nicht ausreichend.181 Ein Verzicht auf das Recht zur Kündigung beinhaltet nicht zwangsläufig auch den Verzicht auf die Leistungsfreiheit. Unzweifelhaft liegt auch kein konkludenter Verzicht vor, wenn der VR verspätete Prämienzahlungen widerspruchslos annimmt oder rückständige Beträge nach Eintritt der Leistungsfreiheit akzeptiert.182 Hierauf hat er auch in diesen Phasen noch einen Anspruch, so dass hierin kein weitergehender Wille zu sehen ist. Schwierig einzuordnen ist die Fallgruppe, in der der VR alle momentan fälligen Folgeprämien annimmt, sich jedoch bei späterem Versicherungsfall auf Leistungsfreiheit beruft, weil der VN vor längerer Zeit eine angemahnte Folgeprämie nicht beglichen hat. Nach Ansicht des BGH liegt hierin ein Verstoß gegen Treu und Glauben.183 Nach anderer Ansicht wäre die widerspruchslose Annahme von Folgeprämien über einen längeren Zeitraum trotz bestehender Leistungsfreiheit als konkludenter Verzicht auf die rückständige Folgeprämie zu werten.184 Es spricht im Ergebnis mehr dafür, die Berufung auf die Leistungsfreiheit als Verstoß gegen Treu und Glauben zu versagen. Letztlich hängt diese Fallgruppe eng mit dem Grundsatz zusam178 OLG Hamm 5.5.1982 – 20 W 33/82, VersR 1983 577, 578; OLG Hamm 7.7.1952 – 7 U 94/52, VersR 1952 421, 422; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 21; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 20. 179 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 21; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 38 Rn. 14. 180 OLG Nürnberg 14.7.1952 – 1 W 115/52, VersR 1952 370, 371. 181 OLG Düsseldorf 24.10.1949 – 4 U.H. 12/49, VersR 1950 22; OLG Hamm 7.7.1952 – 7 U 94/52, VersR 1952 421, 422; LG Krefeld 14.5.1959 – 1 S 139/58, VersR 1959 785; LG Berlin 1.10.1952 – 7 OH 59/52, VersR 1952 426. 182 BGH 24.1.1963 – II ZR 89/61, VersR 1963 376, 378. 183 BGH 24.1.1963 – II ZR 89/61, VersR 1963 376, 378; in diese Richtung auch Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 21. 184 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 64. 525

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men, dass den VR Aufklärungspflichten treffen, soweit der VN von einem bestehenden Versicherungsschutz ausgeht. Auch in diesem Fall wird der VN aufgrund seiner nunmehr regelmäßigen Zahlung auf diesen vertrauen. Insofern ist es nicht notwendig, dem VR gänzlich das Recht zur Geltendmachung der rückständigen Prämie zu versagen. Die zeitliche Grenze zur Geltendmachung von Forderungen sind ansonsten nämlich ohnehin die Verjährungsregeln. 83 Ist für beide Seiten unklar, ob ein konkludenter Verzicht auf die Prämie erfolgt ist, oder erkennt der VR, dass der VN von einem bestehenden Versicherungsschutz ausgeht, so tut er gut daran, den VN auf die bestehende Rechtslage hinzuweisen, um der Gefahr einer Einstandspflicht entgegen zu wirken.

4. Treu und Glauben 84 Die Berufung auf die Rechtsfolgen des § 38 kann dem VR darüber hinaus nach Treu und Glauben versagt sein. Als bedeutendste Fallgruppe zählt hierzu insbesondere der Verzug mit einem nur vergleichbar unbedeutenden Teil der Prämie (vgl. hierzu bereits § 37 Rn. 33). Darüber hinaus wird dem VR nach herrschender Ansicht die Leistungsfreiheit bzw. die Kündigung verwehrt, wenn der VR seinen Anspruch auf die Folgeprämie mit einem Anspruch des VN aufrechnen kann.185 Das kann etwa der Fall sein, wenn der VN einen zu hohen Betrag als Prämie überwiesen hat und nunmehr einen Rückzahlungsanspruch gegen den VR hatte. Problematisch sind jedoch die Konstellationen, in denen der VR keine Kenntnis von einer möglichen Aufrechnungslage hatte. Hier bestehen berechtigte Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 242 BGB. Der VN muss in diesem Fall eine Aufrechnungserklärung gegenüber dem VR abgeben.186 Andernfalls würde der VR über Gebühr benachteiligt. Zu beachten bleibt jedoch, dass der VN nach eingetretenem Versicherungsfall die Leistungsfreiheit nur beseitigen kann, sofern die Forderung bereits bei Eintritt fällig war. Danach entstandene Forderungen können auch die Leistungsfreiheit nicht mehr nachträglich beseitigen.

5. Pflichthaftpflichtversicherung 85 Im Rahmen der Pflichthaftpflichtversicherung hat die bestehende Leistungsfreiheit zwischen VN und VR keinen Einfluss auf den Anspruch des Dritten gegen den VR. Der Dritte erhält über § 117 Abs. 1 einen fiktiven Deckungsanspruch, so dass der VR an diesen in jedem Falle leisten muss, solange er nicht die Gegenmaßnahmen nach § 117 Abs. 2 ergriffen hat.

6. Lebensversicherung 86 In der Lebensversicherung ist der VR nicht leistungsfrei, sondern der VN verfügt über einen verminderten Versicherungsschutz, § 166 Abs. 2.187

IV. Abdingbarkeit 87 Eine Abänderung der nach § 38 bestehenden Rechtslage zu Lasten des VN ist gem. § 42 nicht möglich. Indes lässt § 211 bei Versicherungsverträgen mit Pensionskassen und kleineren VVaG 185 OLG Frankfurt a.M. 3.8.2005 – 7 U 84/04, VersR 2006 537 f. (juris Rn. 11); vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 18. 186 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 65; Prölss/Martin/Knappmann27 § 39 Rn. 36. 187 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 32a. Beckmann

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D. Beweislast

VVG § 38

sowie bei Lebens- und Unfallversicherungen mit kleineren Beträgen Abweichungen auch von § 38 zu bzw. erklärt u.a. diese Vorschrift für nicht anwendbar,188 sofern die Aufsichtsbehörde solche Abweichungen in AVB genehmigt hat.

C. Regelungen in AVB Durch die AVB wird regelmäßig die Fälligkeit der Folgeprämie geregelt, da hierzu auch nach 88 der VVG-Reform keine gesetzliche Vorschrift vorhanden ist. Der gebräuchlichste Fälligkeitstermin ist dabei der Monatserste des vereinbarten Versicherungszeitraumes, z.B. Nr. 10.1 AHB 2008. Andere AVB verweisen auf den im Versicherungsschein vermerkten oder den vereinbarten Zeitpunkt, Abschnitt B § 4 Nr. 1 a) VHB 2008; C.2.1 AKB 2008; Nr. 11.3.1 AUB 2008. Ansonsten ist es weiterhin der Regelfall, dass bei vereinbarter Ratenzahlung und Verzug mit einer Rate die gesamte Prämie für den jeweiligen Zeitraum sofort fällig wird, z.B. Nr. 12 AHB 2008, Abschnitt B § 6 VHB 2008.

D. Beweislast Wie im Zivilprozess muss grundsätzlich jede Partei die für sie vorteilhaften Tatsachen nachwei- 89 sen. So hat der VN vor allem den Beweis zu erbringen, dass er die Prämie rechtzeitig abgesandt hat. Ebenso wäre von ihm eine etwaige Stundungsvereinbarung oder auch ein Verzicht des VR auf die Rechte des § 38 zu beweisen.189 Der VR ist beweispflichtig hinsichtlich der Tatsache, dass die qualifizierte Mahnung dem 90 richtigen Empfänger zugegangen ist.190 Alleine die Absendung genügt für den Beweis nicht, auch nicht bei Einschreibesendungen.191 Bei Postsendungen bietet – neben Übergabe durch Boten gegen Empfangsquittung – größte Sicherheit dem VR ein Einschreiben mit Rückschein;192 insoweit wird zumindest ein Anscheinsbeweis angenommen, dass die Mahnung zu dem im Rückschein genannten Datum dem VN zugegangen ist.193 Auch das Einwurfeinschreiben kann einen Anscheinsbeweis für den Zugang begründen, wenn der Einwurf des Schreibens in den Briefkasten des VN ordnungsgemäß dokumentiert ist.194 Ist zwischen den Parteien unstrittig, dass das Einschreiben zuging, so gilt des Weiteren die Vermutung, dass sich in diesem auch die besagte Mahnung befand, solange der VN nicht darlegen kann, dass er von Seiten des VR andere wichtige Dokumente erwartete.195 Das Bezugnehmen des VN auf die erfolgte Mahnung in einem späteren Schreiben reicht 91 für den Beweis des Zugangs aus.196 Auch die (beweisbare) Kontaktaufnahme per Telefon unter Bezugnahme auf das Schreiben genügt. Verwendet der VN einen der Mahnung beigefügten 188 Prölss/Martin/Klimke31 § 211 Rn. 1. 189 Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 76; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 38 Rn. 21. 190 OLG Köln 7.5.2004 – 9 U 75/03, RuS 2004 316 f. (juris Rn. 31); OLG München 21.4.2004 – 7 U 5648/03, VersR 2005 674 (juris Rn. 23); OLG Köln 23.10.2001 – 9 U 226/00, RuS 2001 447 (juris Rn. 2); LG Düsseldorf 24.9.2004 – 20 S 82/04, RuS 2006 13; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 28. 191 LG Arnsberg 8.3.2011 – 3 S 152/10 (juris Rn. 34); AG Köln 11.9.2002 – 125 C 277/02, VersR 2003 490 (juris Rn. 29); vgl. zum Einschreiben Hunke VersR 2002 660 sowie Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 51 ff.; Dübbers PVR 2001 271; Lang VersR 1987 1161; zum Einschreiben auch oben Rn. 28. 192 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 12. 193 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 53; Jauernig/Mansel18 § 13 Rn. 19; weiter gehend MüKoBGB/Einsele8 § 130 Rn. 46 (voller Beweis dafür, dass der Aussteller den Empfang bestätigt hat). 194 Prölss/Martin/Reiff31 § 38 Rn. 52; MüKoBGB/Einsele8 § 130 Rn. 46; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 12. 195 OLG Köln 7.12.1989 – 5 U 232/88, VersR 1990 1261, 1263; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 38 Rn. 29. 196 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 12; Lang VersR 1987 1161. 527

Beckmann

§ 38 VVG

Zahlungsverzug bei Folgeprämie

Überweisungsträger zur Begleichung der Prämie ist der Beweis ebenfalls erbracht, solange dieser von den zuvor zugegangenen Formularen unterscheidbar ist. Allein die exakte Zahlung der ausstehenden Prämie reicht nicht aus, da der VN diesen Betrag auch anderen Prämienrechnungen entnehmen kann.197 Wurde die Mahnung nur mittels einfachen Briefes versandt, so kann der VN den Zugang relativ leicht bestreiten. Er muss dies auch nicht näher begründen. Das Gericht kann gewiss nach vorhandener Faktenlage den Zugang in Einzelfällen bejahen, wird hiervon jedoch regelmäßig absehen, da für den Zugang von Postsendungen keine hinreichenden Erfahrungsgrundsätze bestehen, die deren Zugang vermuten ließen.198 Es gibt keinen Beweis des ersten Anscheins, dass eine Postsendung den Empfänger auch erreicht.199 Allerdings können sich durchaus Indizien für den Zugang aus der Art und Weise des Bestreitens und dem zeitlichen Rahmen, in dem der Zugang bestritten wird, ergeben. Wurden drei Anschreiben des VR an den VN zugestellt und bezahlt der VN zwei Tage nach Schadenseintritt, kann dies Indizwirkung haben.200 Gewährleistet der VR einen Rücklauf von unzustellbaren Schriftstücken, so kann auch dies bei Vorliegen weiterer Umstände Indizwirkung haben, da bei Unzustellbarkeit des Briefes dieser wieder an den Absender zurückgeschickt würde.201 Darüber hinaus wurde eine Indizwirkung in einem Fall bejaht, in dem der VR ein EDV-gestütztes Mahnverfahren verwendet hatte.202 Der VN ist grundsätzlich nicht verpflichtet, unverzüglich den Zugang einer Mahnung zu bestreiten. Auch ist er keineswegs verpflichtet, zu reagieren, sofern der VR in einem Schreiben auf eine zuvor versandte Mahnung Bezug nimmt. Die Rechtsprechung hat den Nachweis des Zugangs indes angesehen, wenn der VN in einem späteren Schreiben des VR, das ihm unstreitig innerhalb der zweijährigen Aufbewahrungsfrist für Ablieferungsscheine zugegangen ist, auf die früher übersandte Mahnung hingewiesen worden ist und daraufhin den Zugang des Mahnschreibens nicht in Abrede gestellt hat.203 Der VR ist weiterhin bzgl. des Zeitpunktes des Zugangs der Mahnung beweisbelastet.204 92 Entgegnet der VN, dass das Schreiben erst zu einem ungewöhnlichen späten Zeitpunkt angekommen ist, wird ihm von Seiten der Rechtsprechung jedoch aufgetragen, plausible Gründe dafür vorzutragen, dass die Mahnung erst so spät zugegangen ist.205 Wie dem VN dies gelingen soll, ist jedoch kaum vorstellbar. Schließlich liegt die Zustellung der Post nicht in seiner Herrschaftssphäre, so dass er über das Geschehen bisweilen keine Kenntnis haben kann. Der VR muss weiterhin beweisen, dass die rückständigen Prämien nebst Zinsen und Kosten 93 exakt beziffert wurden. Erhebt der VN die Einrede der unkorrekten Angabe der ausstehenden Prämie, so hat er das Mahnschreiben vorzulegen, um dies glaubhaft zu machen. Ist ihm dies nicht mehr möglich, so reicht eine Durchschrift, Kopie, o.ä. des Mahnschreibens, um die Korrektheit der Angaben zu belegen. Kann der VR diese ebenfalls nicht vorlegen, so ist der Beweis nicht erbracht und die Einrede wirkt zu Lasten des VR. Der VR hat weiterhin die ordnungsgemäße Belehrung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 zu beweisen. 94 Nur eine ordnungsgemäß erfolgte qualifizierte Mahnung kann die Rechtsfolgen des § 38 Abs. 2 und Abs. 3 hervorrufen. Allerdings geht die Vermutung dahin, dass das dem VN zugegangene

197 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 12. 198 OLG Hamm 11.5.2007 – 20 U 272/06, VersR 2007 1397 f. (juris Rn. 22); LG Düsseldorf 24.9.2004 – 20 S 82/04, RuS 2006 13.

199 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 12; OLG München 21.4.2004 – 7 U 5648/03, VersR 2005 674 (juris Rn. 23); OLG Köln 23.10.2001 – 9 U 226/00, RuS 2001 447 (juris Rn. 2); LG Düsseldorf 24.9.2004 – 20 S 82/ 04, RuS 2006 13; s. auch Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 39 ÖVVG Rn. 77. 200 OLG München 21.4.2004 – 7 U 5648/03, VersR 2005 674 (juris Rn. 25). 201 Vgl. AG Diepholz 4.9.2002, Schaden-Praxis 2003 30. 202 LG Düsseldorf 13.3.2003 – 21 S 427/01, RuS 2003 445, 446 (juris Rn. 3); zu Recht kritisch Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Karczewski4 § 38 Rn. 11 Fn. 23. 203 BGH 25.1.1968 – II ZR 76/65, VersR 1968 241 (juris Rn. 12). 204 OLG Hamm 11.5.2007 – 20 U 272/06, VersR 2007 1397 f. (juris Rn. 22). 205 LG Koblenz 17.5.1979 – 3 S 171/78, ZfS 1981 208 f.; LG Köln 5.3.1985 – 11 T 389/84, ZfS 1985 304. Beckmann

528

D. Beweislast

VVG § 38

Mahnschreiben die regelmäßig verwendeten Belehrungen des VR enthielt.206 Da das Formerfordernis der Faksimile-Unterschrift nunmehr entfallen ist, trifft den VR diesbezüglich keine Beweislast mehr. Da der VR bereits den Zeitpunkt des Zugangs der Mahnung beweisen muss, obliegt ihm gleichfalls die Beweislast, dass ein Versicherungsfall nach Ablauf der Zahlungsfrist eingetreten ist, um seine Leistungsfreiheit zu belegen. Will der VN dagegen einwenden, dass er die ausstehende Prämie bereits vorher bezahlt hat, so muss er den Entlastungsbeweis antreten. Steht der Zeitpunkt der Zahlung fest, nicht aber der Zeitpunkt des Versicherungsfalls, so muss der VN darlegen, zu welchem Zeitpunkt der Versicherungsfall eingetreten ist. Da ein Verschulden hinsichtlich der nicht rechtzeitigen Zahlung grundsätzlich vermutet wird, muss der VN beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft. Das fehlende Verschulden muss sich dabei z.B. auf den Zeitpunkt beziehen, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist und die rückständigen Prämien nicht bezahlt wurden. Die Kündigung ist stets eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem Vertragspartner somit zugehen muss. Der VR muss also auch hier den Zugang beweisen. Aus der Tatsache, dass über einen längeren Zeitraum keine rückständige Prämie bezahlt wurde, kann nur eine sehr geringe Indizwirkung folgen.207 Wie bei der Einrede der Leistungsfreiheit hat der VR ansonsten ebenfalls die ordnungsgemäße qualifizierte Mahnung zu beweisen sowie die Eindeutigkeit hinsichtlich des Wortlauts der Kündigung. Dagegen kann der VN vorbringen, dass er rechtzeitig geleistet hat oder aber unverschuldet nicht geleistet hat, wofür er beweispflichtig ist. Letztlich muss der VN beweisen, dass er innerhalb der Reaktivierungsfrist nach § 38 Abs. 3 Satz 3 die rückständigen Prämien beglichen hat.

206 OLG Hamm 9.5.79 – 20 U 43/79, VersR 1979 1047; OLG Hamm 28.9.56 – 7 W 76/56, VersR 1957 225, 226. 207 Zweifelnd Berliner Kommentar/Riedler § 39 Rn. 87. 529

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§ 39 Vorzeitige Vertragsbeendigung (1)

1

Im Fall der Beendigung des Versicherungsverhältnisses vor Ablauf der Versicherungsperiode steht dem Versicherer für diese Versicherungsperiode nur derjenige Teil der Prämie zu, der dem Zeitraum entspricht, in dem Versicherungsschutz bestanden hat. 2Wird das Versicherungsverhältnis durch Rücktritt auf Grund des § 19 Abs. 2 oder durch Anfechtung des Versicherers wegen arglistiger Täuschung beendet, steht dem Versicherer die Prämie bis zum Wirksamwerden der Rücktritts- oder Anfechtungserklärung zu. 3Tritt der Versicherer nach § 37 Abs. 1 zurück, kann er eine angemessene Geschäftsgebühr verlangen. (2) Endet das Versicherungsverhältnis nach § 16, kann der Versicherungsnehmer den auf die Zeit nach der Beendigung des Versicherungsverhältnisses entfallenden Teil der Prämie unter Abzug der für diese Zeit aufgewendeten Kosten zurückfordern.

Schrifttum Funck Ausgewählte Fragen aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Ganster Die Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008) (zit.: Ganster Prämienzahlung); Heiss Unteilbarkeit oder Teilbarkeit der Prämie: nationalrechtliche oder EWG-Aspekte, VersR 1989 1125; Kramer Leistung ohne Gegenleistung? VersR 1970 599; Looschelders Zum Anspruch des Versicherers aus § 40 Abs. 1 S. 1 VVG auf die geleisteten Prämien bei Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, JR 2006 423; Markopoulos Zur Bestimmung der angemessenen Geschäftsgebühr bei der Rückabwicklung von Versicherungsverträgen, RuS 2013 110; Prahl Zum Prämienanspruch des Versicherers nach Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung des VN, VersR 2007 459; Schildt Zur Verfassungsmäßigkeit des VVG § 40 Abs. 2 S. 1, JR 1993 236; Sieg Prämienbelegte Zeiträume ohne Versicherungsschutz nach VVG, BB 1987 2249; ders. Betrachtungen zur Geschäftsgebühr, VersR 1988 309; vgl. im Übrigen Schrifttum bei § 33.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte und Übergangsvorschrif1 ten

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand und Rechtsfolgen

I.

Teilbarkeit der Prämie bei vorzeitiger Vertragsbe7 endigung, § 39 Abs. 1 Satz 1

IV.

Beschränkung der Zahlungspflicht auf eine angemessene Geschäftsgebühr nach § 39 Abs. 1 Satz 3 bei Nichtzahlung der Erstprämie 15

V.

Rückforderungsrecht des Versicherungsnehmers nach § 39 Abs. 2 bei Insolvenz des Versiche16 rers

VI.

Über die gesetzlichen Regelungen hinausgehender allgemeiner Grundsatz der Teilbarkeit der 17 Prämie und Einlösungsprinzip

C.

Abdingbarkeit

D.

Prozessuales

3

6 7

II.

Rücktritt aufgrund des § 19 Abs. 2 und Anfechtung seitens des VR wegen arglistiger Täu11 schung, § 39 Abs. 1 Satz 2

III.

Weitere Ausnahmen gem. §§ 74 Abs. 2, 78 14 Abs. 4, 80 Abs. 3 VVG

Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522624-022

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A. Einführung

VVG § 39

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte und Übergangsvorschriften § 39 ersetzt den vor der VVG-Reform 2008 geltenden § 40 a.F. Dieser war in seiner Grundkonzep- 1 tion schon im VVG 1908 enthalten, wurde aber durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939 neu gefasst und stark erweitert. Der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 a.F. war bis dahin auf Rücktritt oder Kündigung wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht oder Gefahrerhöhung beschränkt und galt nach der Neufassung auch für die Verletzung anderer Obliegenheiten und für die Anfechtung durch den VR, da die Interessenlage in diesen Fällen die gleiche ist.1 Nach § 40 VVG 1908 wurde als maßgebliche Versicherungsperiode auf diejenige abgestellt, in der Kündigung oder Rücktritt wirksam wurden, während die Neufassung im Interesse des VN diejenige für maßgeblich erklärte, in der der VR Kenntnis von der Verletzung der Obliegenheit, der Gefahrerhöhung oder dem Anfechtungsgrund erlangte.2 Eine Ausnahme davon galt nur dann, wenn die Kündigung erst in der folgenden Versicherungsperiode wirksam wurde. § 40 Abs. 2 VVG 1908 wurde durch die Neufassung nur stilistisch geändert,3 während § 40 Abs. 3 VVG 1908 dahingehend erweitert wurde, dass auch der Konkurs des VN ein Rückforderungsrecht für diesen begründete.4 In § 39 Abs. 1 Satz 1 wurde der vor der VVG-Reform 2008 geltende Grundsatz der Unteil- 2 barkeit der Prämie aufgegeben. Dem VR steht nach der seit dem 1.1.2008 geltenden Fassung nur noch der Teil der Prämie zu, der dem vom VR zeitanteilig getragenen Risiko entspricht.5

II. Inhalt und Zweck der Regelung In den Fällen, in denen der Versicherungsvertrag durch Kündigung, Anfechtung oder Rücktritt 3 endet, muss es eine Regelung dafür geben, für welche Zeit und in welcher Höhe dem VR die Versicherungsprämie zusteht. Für diese Frage gibt es mehrere mögliche Lösungsansätze.6 Der in § 40 a.F. geregelte Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie war ein möglicher Lösungsansatz, wurde aber vom Gesetzgeber in § 39 aufgegeben, da seine Anwendung vielfach zu einer unangemessenen Begünstigung des VR zu Lasten des VN führte. Dem VR stand nach § 40 Abs. 1 a.F. die Versicherungsprämie bis zum Schluss der Versicherungsperiode zu, in der er von der Verletzung der Obliegenheit, der Gefahrerhöhung oder dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangte. Nach § 40 Abs. 2 a.F. gebührte dem VR bei einer Kündigung wegen nicht rechtzeitiger Zahlung der Prämie die Prämie bis zur Beendigung der laufenden Versicherungsperiode. Nach Maßgabe dieser Vorschrift stand dem VR die Versicherungsprämie für einen Zeitraum zu, in dem er selbst zumeist keinerlei Risiko mehr trug. Aufgrund dieser Ungleichheit zwischen der vollständig zu zahlenden Prämie und dem nur teilweise gewährten Versicherungsschutz wurden in der Literatur auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Vorschrift wegen eines möglichen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG geltend gemacht.7 Diese Bedenken 1 Amtliche Begründung zur Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939 in Motive S. 642, 644.

2 Amtliche Begründung zur Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939 in Motive S. 642, 644.

3 Berliner Kommentar/Riedler § 40 Rn. 1. 4 Amtliche Begründung zur Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939 in Motive S. 642, 644.

5 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. In Österreich wurde dieser bereits früher aufgegeben, vgl. Fenyves/Perner/Riedler/ Riedler8 § 40 ÖVVG Rn. 2.

6 Siehe dazu näher Berliner Kommentar/Riedler § 40 Rn. 4. 7 Vgl. hierzu Prölss/Martin/Prölss27 § 40 Rn. 9 ff.; Berliner Kommentar/Riedler § 40 Rn. 10; Römer/Langheid/Römer2 § 40 Rn. 3; Looschelders JR 2006 423; Sieg BB 1987 2249; Schildt JR 1993 236. 531

Beckmann

§ 39 VVG

Vorzeitige Vertragsbeendigung

hatten indes sowohl der BGH8 als auch das BVerfG9 nicht geteilt. Als Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Vorschrift ein Ausgleich dafür sei, dass der VN nicht mit möglicherweise höheren Schadensersatzforderungen belastet werde und dass die Norm letztlich ein zulässiges Druckmittel für den VR darstelle, um den VN zu vertragsgemäßem Handeln zu veranlassen. Trotz der damit bestätigten Zulässigkeit sind viele VR in ihren AVB vom Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie abgewichen und verlangten bereits vor der VVG-Reform 2008 zumeist nur noch eine anteilige Prämie.10 Auch der Gesetzgeber ist nunmehr durch das VVG 2008 von dem Grundsatz der Unteilbar4 keit der Prämie abgerückt, da die bisherige Regelung in vielen Fällen zu durchweg unbefriedigenden Ergebnissen führte. Durch die Aufgabe des Grundsatzes der Unteilbarkeit mussten die Regelungen des § 40 Abs. 1 und 2 a.F. grundsätzlich neu gestaltet werden. Lediglich § 40 Abs. 3 a.F. wurde in § 39 Abs. 2 unverändert übernommen, da dieser bereits eine Ausnahme vom Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie enthielt. Als Hauptanwendungsfall von § 39 Abs. 1 Satz 1 sieht der Gesetzgeber die vorzeitige Beendi5 gung des Vertragsverhältnisses durch Ausübung eines besonderen Kündigungsrechts an, das durch das VVG eingeräumt wird.11 Auch in den Fällen der Anfechtung oder des Rücktritts wäre es unbillig, dem VR die volle Versicherungsprämie zu gewähren, obwohl dessen vertragliche Gefahrtragung entfällt (dazu noch unten Rn. 9 und Rn. 11 f.).12

III. Anwendungsbereich 6 § 39 regelt im Grunde umfassend für fast alle Versicherungsarten den Prämienanspruch des VR für den Fall, dass der Versicherungsvertrag aus den in § 39 geregelten Gründen vorzeitig beendet wird. Ausnahmeregelungen sind hier nur in vier Fällen vorgesehen. In der Hagelversicherung enthält § 92 Abs. 3 eine § 39 entgegenstehende Regelung, für deren Fortbestand sich der Gesetzgeber aber ausdrücklich entschieden hat, da sie der typischen Risikosituation in diesem Versicherungszweig Rechnung trägt.13 Hier kann der VR nur zum Ende der Versicherungsperiode kündigen, weil andernfalls der VN aufgrund der jahreszeitlichen Besonderheiten nur unter erschwerten Bedingungen einen neuen Versicherungsvertrag abschließen könnte. Aufgrund dieser Situation muss der VN hier stets die Prämie bis zum Ende der Versicherungsperiode zahlen. Ausnahmen von § 39 Abs. 1 Satz 1 bestehen weiterhin nach §§ 74 Abs. 2 (Überversicherung), 78 Abs. 4 (Mehrfachversicherung) und 80 Abs. 3 (fehlendes versichertes Interesse), da es sich in diesen Fällen um Betrugsfälle handelt, bei denen der VN nicht schützenswert ist. Hier steht dem VR die Prämie bis zu dem Zeitpunkt zu, zu dem er Kenntnis von den Umständen erlangt, die zur Nichtigkeit des Vertrages führen. Nicht anwendbar ist § 39 Abs. 1 in der Lebensversicherung bei dem Tod der versicherten Person.14

8 BGH 1.6.2005 – IV ZR 46/04, BGHZ 163 148, 151 ff. = VersR 2005 1065, 1066 (juris Rn. 11 ff.); BGH 2.10.1991 – IV ZR 249/90, BGHZ 115 347, 348 ff. = VersR 1991 1277, 1277 f. (juris Rn. 11, 13 ff.). 9 BVerfG 8.3.1999 – 1 BvR 645/95, VersR 1999 1221 f. (juris Rn. 7 ff.). 10 Vgl. Nr. 14 AHB 2006, § 9 F ARB 2000/Fassung Juni 2006, § 15 VGB 2000 Nr. 11.6 AUB 99. 11 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. 12 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. 13 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. 14 BGH 23.7.2014 – IV ZR 204/13, VersR 2015 353, 354 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 3; Langheid/Rixecker/ Rixecker6 § 39 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 39 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 39 Rn. 2. Beckmann

532

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 39

B. Tatbestand und Rechtsfolgen I. Teilbarkeit der Prämie bei vorzeitiger Vertragsbeendigung, § 39 Abs. 1 Satz 1 Dem VR steht „im Fall der Beendigung des Versicherungsverhältnisses vor Ablauf der Versicherungsperiode … für diese Versicherungsperiode nur derjenige Teil der Prämie zu, der dem Zeitraum entspricht, in dem Versicherungsschutz bestanden hat.“ Die Prämie ist also nur noch „pro rata temporis“ zu entrichten, d.h. proportional zu der Zeit, in der der VR tatsächlich auch die Gefahr getragen hat. Maßgebliches Kriterium für die Bestimmung des Umfangs der zu zahlenden Versicherungsprämie bei vorzeitiger Vertragsbeendigung ist somit die Dauer des Versicherungsschutzes. Dieses Kriterium sieht der Gesetzgeber zu Recht als geeignet an, um zu einem angemessenen Ausgleich der beiderseitigen Interessen zu gelangen.15 Der Hauptanwendungsfall der Vorschrift ist der Fall, in dem das Versicherungsverhältnis durch Ausübung eines besonderen Kündigungsrechts vorzeitig beendet wird. Das VVG räumt den Parteien des Versicherungsvertrages in zahlreichen Fällen ein solches Kündigungsrecht ein. Beispielsweise in § 19 Abs. 3 Satz 2 bei der Verletzung einer Anzeigepflicht, § 24 bei einer Gefahrerhöhung, § 28 Abs. 1 bei der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit, § 38 Abs. 3 wegen Zahlungsverzug bei der Folgeprämie oder §§ 19 Abs. 6 und 25 Abs. 2 wegen Erhöhung der Versicherungsprämie. Ausweislich des Regierungsentwurfs ist § 39 Abs. 1 Satz 1 auch bei einer rückwirkenden Vertragsbeendigung durch Anfechtung oder Rücktritt16 anwendbar und führt in diesen Fällen grundsätzlich dazu, dass kein Prämienanspruch besteht, da die Gefahrtragung des VR mit Wirkung ex tunc entfällt.17 Indes wird dieser Grundsatz in praxisrelevanten Fällen insbesondere durch die Sonderregeln gem. § 39 Abs. 1 Satz 2 durchbrochen (dazu Rn. 11 f.). § 39 Abs. 1 Satz 1 ist nur dann anwendbar, wenn das Versicherungsverhältnis vor Ablauf der Versicherungsperiode beendet wird. Im Fall des § 38 verliert der VR seine Ansprüche auf die Prämienzahlung nicht allein dadurch, dass er den VN nach § 38 Abs. 1 qualifiziert gemahnt hat und dann nach § 38 Abs. 2 leistungsfrei wird. Vielmehr bedarf es für die Anwendung von § 39 Abs. 1 Satz 1 auch in dieser Konstellation einer Kündigung durch den VR nach § 38 Abs. 3.18 Diese Lösung muss für den VN nicht immer nachteilig sein, da auch er ein Interesse daran haben kann, dass seine Versicherung trotz vorübergehender Leistungsfreiheit nicht gekündigt wird und nach Zahlung der ausstehenden Prämien dann wieder Versicherungsschutz besteht. Dies ist beispielsweise denkbar bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung, wenn zwischenzeitlich neue gesundheitliche Risiken bekannt geworden sind.19 Auch wenn der VR sich entscheidet, den Versicherungsvertrag nach § 38 Abs. 3 erst zum Ende der Versicherungsperiode zu kündigen, obwohl vorher bereits Leistungsfreiheit nach § 38 Abs. 2 eingetreten ist, behält er für diese Versicherungsperiode den vollen Prämienzahlungsanspruch. Es gibt auch nach neuem Recht in diesen Fällen keine Obliegenheit des VR, den Versicherungsvertrag zu kündigen, denn in § 38 Abs. 3 ist ausdrücklich weiterhin von „kann“ die Rede.20 Vereinzelt wird vertreten, dass in diesen Fällen eine Begrenzung des Prämienanspruchs über § 242 BGB vorzunehmen ist, da der VR sich den Vorwurf der Treuwidrigkeit machen lassen muss, wenn er nicht auch gleich-

15 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 39 Rn. 3. Vergleichbare Erwägungen trugen die Novelle in Österreich, vgl. Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 40 ÖVVG Rn. 2.

16 Zur Wirkung des Rücktritts Bruck/Möller/Rolfs10 § 19 Rn. 125; Palandt/Grüneberg80 Einf. v. § 346 Rn. 3. 17 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 39 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 39 Rn. 2; Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 2; vgl. aber Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 7, der insoweit von einem Redaktionsversehen (bzgl. Anfechtung) ausgeht. 18 BGH 11.9.2013 – IV ZR 303/12, VersR 2013 1397, 1399 Rn. 23; Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 4; Langheid/Wandt/ Staudinger2 § 39 Rn. 10; Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 425; Funck VersR 2008 163, 167; a.A. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 39 Rn. 7. 19 Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 427. 20 Funck VersR 2008 163, 167. 533

Beckmann

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10

§ 39 VVG

Vorzeitige Vertragsbeendigung

zeitig mit Setzung der Zahlungsfrist die Kündigung ausspricht, obwohl er keine Anhaltspunkte dafür hat, dass der VN nach Ablauf der Zahlungsfrist doch noch zahlen wird.21 Dagegen spricht allerdings, dass für diesen Ansatz keinerlei Anhaltspunkte in den betreffenden Vorschriften des neuen VVG zu finden sind. Der Gesetzgeber hat zu dieser Frage vielmehr geschwiegen. Daraus lässt sich ableiten, dass er sie der Rechtsprechung überlassen wollte.22 Gegen eine Begrenzung des Prämienanspruches spricht auch, dass der VN sich durch den Versicherungsvertrag für eine bestimmte Zeit zur Prämienzahlung verpflichtet hat und durch die Nichtzahlung eine Pflichtverletzung begeht. Es wäre ein „ungerechtfertigter Eingriff in die Rechtsposition des VR“,23 ihm in diesem Fall eine Kündigung aufzudrängen und ihm dadurch die Möglichkeit zu nehmen, die Prämienforderung notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Erst bei einer rechtsmissbräuchlichen Hinauszögerung über einen längeren Zeitraum, ohne dass der VN Ansätze einer Zahlungswilligkeit zeigt, kann eine Begrenzung der Prämienforderung zu erwägen sein.24

II. Rücktritt aufgrund des § 19 Abs. 2 und Anfechtung seitens des VR wegen arglistiger Täuschung, § 39 Abs. 1 Satz 2 11 Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 steht dem VR die Prämie bei Rücktritt aufgrund des § 19 Abs. 2 oder Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung bis zum Wirksamwerden der Rücktrittsoder Anfechtungserklärung zu. § 19 Abs. 2 regelt die Möglichkeit des VR, von dem Versicherungsvertrag in dem Fall zurückzutreten, in dem der VN seine ihm nach § 19 Abs. 1 obliegende Anzeigepflicht bzgl. aller ihm bekannten Gefahrumstände verletzt hat. In diesem Fall sieht es der Gesetzgeber als angemessen an, dem VR einen Prämienanspruch bis zum Wirksamwerden der Rücktrittserklärung zu geben, da er nach § 21 Abs. 2 auch weiterhin zur Leistung verpflichtet ist, wenn die Verletzung der Anzeigepflicht für den Versicherungsfall nicht kausal ist. Auch bei einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung entspricht es nach Ansicht des Gesetzgebers „der Billigkeit“, dem VR einen Anspruch auf die Prämie bis zum Wirksamwerden der Anfechtungserklärung zuzugestehen.25 Andernfalls könnte der arglistig täuschende VN quasi sorglos einen Versicherungsvertrag eingehen, da er für den Fall, dass der VR die Täuschung erkennt, zwar keinen Versicherungsschutz genießt, aber auch überhaupt keine Prämien zahlen müsste.26 12 § 39 Abs. 1 Satz 2 enthält somit eine Ausnahme zu dem in Absatz 1 geregelten Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie. Dem VR steht hier die Prämie für einen Zeitraum zu, in dem er, abgesehen von dem Fall des § 21 Abs. 2, keine Gegenleistung dafür erbringt. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich für diese Lösung entschieden und hält sie für angemessen. Dies ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen, da der VN durch sein vertragswidriges Verhalten dem VR ja erst die Möglichkeit gegeben hat, den Vertrag aufzuheben.27 Es wäre jedoch auch möglich gewesen, in diesen Fällen den Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie anzuwenden und es bei der Rechtsfolge des Abs. 1 Satz 1 zu belassen, dem VR dann aber in Anlehnung an das BGB einen Schadensersatzanspruch zu gewähren.28

21 22 23 24 99,

25 26 27 28

Marlow/Spuhl/Spuhl4 Rn. 434; Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 5. Funck VersR 2008 163, 167. Funck VersR 2008 163, 167. OLG Düsseldorf 20.2.2001 – 4 U 107/00, VersR 2002 217, 218 (juris Rn. 24 f.); OLG Koblenz 29.9.2000 – 10 U 1937/ VersR 2002 699, 700 (juris Rn. 13) f.; Römer/Langheid/Römer2 § 40 Rn. 6. RegE VVGRefG BTDrucks. 16/3945 S. 72. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 39 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 39 Rn. 6. Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 39 Rn. 5. Ganster Prämienzahlung S. 315.

Beckmann

534

B. Tatbestand und Rechtsfolgen

VVG § 39

Von der Wirkung des § 39 Abs. 1 Satz 2 sind in der Krankheitskostenversicherung auch Al- 13 tersrückstellungen erfasst, die aus den Prämien gebildet werden. Eine analoge Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 2 a) findet nicht statt.29

III. Weitere Ausnahmen gem. §§ 74 Abs. 2, 78 Abs. 4, 80 Abs. 3 VVG Wie bereits oben zum Ausdruck gebracht (Rn. 6) bilden §§ 74 Abs. 2, 78 Abs. 3, 80 Abs. 3 Aus- 14 nahmen zum Grundsatz von § 39 Abs. 1 Satz 1. Bei betrügerischem Handeln des VN verdient der VN dann keinen Schutz.30

IV. Beschränkung der Zahlungspflicht auf eine angemessene Geschäftsgebühr nach § 39 Abs. 1 Satz 3 bei Nichtzahlung der Erstprämie Im Falle der Nichtzahlung der Erstprämie kann der VR unter den Voraussetzungen des § 37 15 Abs. 1 zurücktreten. Er kann dann nach § 39 Abs. 3 Satz 1 lediglich eine angemessene Geschäftsgebühr verlangen. Die Geschäftsgebühr soll dazu dienen, dem VR Aufwendungen zu ersetzen, die ihm aufgrund des gescheiterten Versicherungsverhältnisses entstanden sind.31 Diese Regelung greift § 40 Abs. 1 Satz 3 a.F. auf.32 Hat der VR noch keine Gefahr getragen, erscheint es bei vorzeitiger Beendigung des Versicherungsverhältnisses ausreichend, ihm nur eine angemessene Geschäftsgebühr zuzubilligen. Durch die Gebühr soll dem VR ein Ausgleich für seine vergeblich aufgewendete Verwaltungsarbeit zugebilligt werden.33 Die Höhe der Geschäftsgebühr richtet sich also nach den Verwaltungskosten des VR.34 Grundsätzlich kommen innere und äußere Verwaltungskosten in Betracht;35 indes können äußere Verwaltungskosten (etwa Provisionen) nur insoweit berücksichtigt werden, wie sie auch angefallen sind.36 Für die Angemessenheit der Geschäftsgebühr ist der VR darlegungs- und beweispflichtig.37 Für möglich gehalten werden Pauschalierungen in AVB.38 Insoweit ist indes bereits § 42 zu beachten. Darüber hinaus müssen Pauschalierungen den AGB-rechtlichen Anforderungen standhalten.39 AGB-rechtlich müssen sich entsprechende Bestimmungen insbesondere an § 309 Nr. 5a BGB sowie an der Generalklau-

29 OLG Köln 15.1.2016 – 20 U 186/15, VersR 2017 150 (Leitsatz; juris Rn. 5); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 39 Rn. 3. 30 Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 12. 31 In § 4 Abs. 6 Satz 2 AKB 86 bspw. war die Geschäftsgebühr in Höhe des Kurztarifs, höchstens jedoch mit 40 % der Jahresprämie festgelegt; in C.1.3. der AKB 2015, unverbindliche Musterbedingungen des GDV, Stand 30.6.2020 (abrufbar unter: http://www.gdv.de [Abrufdatum: 30.3.2021]) ist ebenfalls eine Regelung zur Festlegung der angemessenen Geschäftsgebühr enthalten, jedoch ohne konkrete Empfehlung zu deren Höhe. 32 RegE VVGRefG BTDrucks. 16/3945 S. 72. 33 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 6; AG Arnsberg 17.4.2007 – 3 C 519/06, NJW-RR 2017 1254, 1255 (juris Rn. 11); Kramer VersR 1970 599, 600; Letztere jeweils noch zu § 40 Abs. 2 Satz 2 a.F. 34 AG Rosenheim 14.2.2018 – 8 C 2076/17 (juris Rn. 22). Dies stellt einen Unterschied zur österreichischen Rechtslage dar, da sich hier der VR gem. § 40 Satz 1 ÖVVG eine „angemessene Konventionalstrafe“ ausbedingen muss, Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 40 ÖVVG Rn. 7. 35 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 6; AG Arnsberg 17.4.2007 – 3 C 519/06, NJW-RR 2017 1254, 1255 (juris Rn. 11); Kramer VersR 1970 599, 600. 36 AG Arnsberg 17.4.2007 – 3 C 519/06, NJW-RR 2017 1254, 1255 (juris Rn. 12). 37 Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 39 Rn. 7. 38 Beckmann/Matusche-Beckmann/Hahn3 § 12 Rn. 57; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 39 Rn. 15; Prölss/ Martin/Reiff31 § 39 Rn. 14; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 39 Rn. 7; kritisch Markopoulos RuS 2013 110, 114. 39 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 6. 535

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§ 39 VVG

Vorzeitige Vertragsbeendigung

sel des § 307 BGB messen lassen.40 Zu Recht problematisch wird eine Staffelung nach der Zeit zwischen Antrag des VN und Rücktritt des VR in der Weise, dass bei einem Monat 15 % und bei vier und mehr Monaten 40 % des Jahresbeitrags zu entrichten sind, eingestuft.41 Ob starre Prozentwerte AGB-rechtlich haltbar sind, erscheint zweifelhaft; das gilt insbesondere dann, wenn sie keine näheren Kriterien zur Ermittlung der Geschäftsgebühr enthalten. Wenn der VR seine Kosten gegenüber dem Gericht nicht konkret und überprüfbar offenlegt, so soll es dem Gericht indes möglich sein, im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO eine Gebühr festzusetzen.42 So ist beispielsweise über eine Schätzung gem. § 287 ZPO eine angemessene Geschäftsgebühr i.H.v. 20 % der Jahresprämie akzeptiert worden.43 Zu berücksichtigen sind hierbei Bearbeitungsgebühren (Personal und Material) sowie der Aufwand, der im Zusammenhang mit der Ermittlung des Versicherungsrisikos anfällt; es wurde auch darauf abgestellt, dass die inneren Verwaltungskosten, die im Zusammenhang mit der Anbahnung des Vertrags anfallen, höher anzusiedeln sind als bei einem bereits laufenden Vertrag.44 Andere Gerichte kamen zu geringeren bzw. höheren Quoten. So wurden Quoten von 18,5 %,45 weniger als 25 %46 bzw. 27,5 %47 angenommen.48 Auch bei einer Schätzung über § 287 ZPO ist es jedenfalls notwendig, dass der VR Umstände ggf. dargelegt, aus denen sich eine Ermittlung der angemessenen Geschäftsgebühr ergeben kann.

V. Rückforderungsrecht des Versicherungsnehmers nach § 39 Abs. 2 bei Insolvenz des Versicherers 16 Wird über das Vermögen des VR das Insolvenzverfahren eröffnet, endet nach § 16 Abs. 1 das Versicherungsverhältnis mit Ablauf eines Monats seit der Eröffnung. Hat der VN die Prämie bereits über den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung hinaus bezahlt, ergibt sich aus § 39 Abs. 2 ein Rückforderungsanspruch des VN für den auf die Zeit nach Vertragsbeendigung entfallenden Prämienanteil. Der Anspruch besteht ausweislich des Wortlauts unter Abzug der für diese Zeit aufgewendeten Kosten. Abzugsfähig sind insbesondere auch die vom VR dem Versicherungsvertreter gezahlten Provisionen; es kommt dabei nicht darauf an, ob die Forderung des Versicherungsvertreters eine Insolvenzforderung geworden ist.49

VI. Über die gesetzlichen Regelungen hinausgehender allgemeiner Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie und Einlösungsprinzip 17 In der Literatur wird aufgrund der Neustrukturierung der Norm die Frage aufgeworfen, ob sich aus § 39 nunmehr ein allgemeiner Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie herleiten lässt, der für das gesamte VVG Geltung beansprucht.50 Dies hätte zur Folge, dass dem VR grundsätzlich 40 AG Rosenheim 14.2.2018 – 8 C 2076/17 (juris Rn. 22); Markopoulos RuS 2013 110, 114; Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 14 (zumindest analoge Anwendung); a.A. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 39 Rn. 15. Vgl. AG Rosenheim 14.2.2018 – 8 C 2076/17 (juris Rn. 22); Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 14. Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 14; a.A. Markopoulos RuS 2013 110, 113. LG Arnsberg 17.4.2007 – 3 C 519/06, NJW-RR 2007 1254, 1255 (juris Rn. 12); Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 14. LG Arnsberg 17.4.2007 – 3 C 519/06, NJW-RR 2007 1254, 1255 (juris Rn. 12). LG Hamburg 2.10.1970 – 74 O 367/69, VerBAV 1971 118 f. AG Aachen 1.6.1950 – 12 C 389/50, VersR 1951 35, 36. LG Hamburg 2.10.1970 – 74 O 367/69, VerBAV 1971 118 f. Vgl. auch Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 6; ablehnend gegenüber der Festsetzung der angemessenen Geschäftsgebühr als Prozentsatz der Netto-Jahresprämie Markopoulos RuS 2013 110, 112. 49 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 39 Rn. 8. 50 Ganster Prämienzahlung S. 316 ff.; in diese Richtung, wenn auch deutlich vorsichtiger Halm/Engelbrecht/Krahe/ Wandt6 1. Kap. Rn. 514.

41 42 43 44 45 46 47 48

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536

D. Prozessuales

VVG § 39

nur für die Zeit ein Prämienanspruch zustünde, in der er auch tatsächlich Versicherungsschutz geleistet hätte. In Verbindung mit dem Einlösungsprinzip des § 37 hätte dies erhebliche Auswirkungen. Als Beispielsfall wird hierzu Folgendes angeführt: VN und VR vereinbaren im Januar, dass ab 8.2. Versicherungsschutz bestehen soll. Am 1.2. geht dem VN der ordnungsgemäße Versicherungsschein zu. Ein Widerruf erfolgt nicht. Der VN zahlt jedoch unentschuldigt erst am 24.2. Obwohl der VR erst ab 24.2. Versicherungsschutz gewährt, wird die Prämie aber ab 8.2. berechnet. Würde man nun einen allgemeinen Grundsatz bzgl. der Teilbarkeit der Prämie anerkennen, müsste der VR die Prämie für den Zeitraum vom 8.2. bis 24.2. wieder zurückerstatten. Als Argumente hierfür werden die Gesetzesbegründung zu § 39 und der Verweis auf das allgemeine Schuldrecht angeführt, wonach man ohne Leistung auch grundsätzlich keine Gegenleistung erhalte.51 Ein allgemein gültiger Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie existiert jedoch nicht. Zum ei- 18 nen findet sich keine gesetzliche Grundlage für einen derartigen allgemeinen Grundsatz. § 39 ist seinem Wortlaut nach nur auf die vorzeitige Beendigung von Versicherungsverträgen anwendbar. Ein darüber hinausgehender Inhalt im Sinne eines allgemeinen Prinzips kann der Norm gerade nicht entnommen werden.52 Es bleibt somit festzuhalten, dass keine gesetzliche Grundlage für ein derartiges Prinzip existiert. Zweifelhaft ist überdies, woraus sich der Rückforderungsanspruch für die „zu viel gezahlte Prämie“ ergeben soll. Im VVG findet sich keine derartige Anspruchsgrundlage. § 39 ist aufgrund des eindeutigen Wortlauts keiner Analogie zugänglich. Andere denkbare Ansprüche wären Schadensersatzansprüche oder Ansprüche aus Rücktritt. Beide Arten sind nicht einschlägig. Letztlich kämen noch Bereicherungsansprüche in Betracht. Jedoch erfolgte die Leistung der Prämie gerade mit Rechtsgrund im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB. Der VR hat ja gerade einen Anspruch auf die Prämie ab dem 8.2. aus Vertrag. Folglich fehlt dem allgemeinen Grundsatz der Teilbarkeit eine Verankerung im Gesetz. Es verbleibt bei einer Anwendung für die Bereiche, in denen die Teilbarkeit gesetzlich ausdrücklich geregelt ist.

C. Abdingbarkeit Von § 39 kann wegen § 42 nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. § 39 ist damit halb- 19 zwingend (zu berücksichtigen ist indes der Anwendungsbereich des § 39; dazu Rn. 6). Der VR hat aufgrund des halbzwingenden Charakters der Vorschrift also keine Möglichkeit, z.B. bei deutlichen Abweichungen des Risikoverlaufs innerhalb der Versicherungsperiode von § 39 abweichende Vereinbarungen in den Vertrag aufzunehmen.53 Auch ist eine unangemessene Festsetzung der Geschäftsgebühr mit § 42 nicht vereinbar.54

D. Prozessuales Der VR trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Angemessenheit der Geschäftsgebühr im 20 Fall des § 39 Abs. 1 Satz 3.55 Erwidert der VN auf eine Prämienzahlungsklage des VR, dass diesem nur eine angemessene Geschäftsgebühr zustehe, so hat der VN die Vertragsauflösung durch

51 52 53 54 55

Ganster Prämienzahlung S. 316 ff. Vgl. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 10. Niederleithinger Das neue VVG S. 41. Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 11. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 39 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 39 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 39 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 39 Rn. 7; Berliner Kommentar/Riedler § 40 Rn. 17. 537

Beckmann

§ 39 VVG

Vorzeitige Vertragsbeendigung

Rücktritt nach § 37 Abs. 1 zu beweisen.56 Da dem VR von nun an nur noch derjenige Teil der Prämie zusteht, der der Zeit für die Gefahrtragung entspricht, muss der VR auch darlegen können, dass die berechnete Prämie auch wirklich angemessen ist.

56 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 39 Rn. 9; Baumgärtel/Prölss § 40 Rn. 2; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 39 Rn. 12; Prölss/Martin/Reiff31 § 39 Rn. 17; Berliner Kommentar/Riedler § 40 Rn. 17. Beckmann

538

§ 40 Kündigung bei Prämienerhöhung (1)

1

Erhöht der Versicherer auf Grund einer Anpassungsklausel die Prämie, ohne dass sich der Umfang des Versicherungsschutzes entsprechend ändert, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers mit sofortiger Wirkung, frühestens jedoch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Erhöhung, kündigen. 2Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer in der Mitteilung auf das Kündigungsrecht hinzuweisen. 3Die Mitteilung muss dem Versicherungsnehmer spätestens einen Monat vor dem Wirksamwerden der Erhöhung der Prämie zugehen. (2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn der Versicherer auf Grund einer Anpassungsklausel den Umfang des Versicherungsschutzes vermindert, ohne die Prämie entsprechend herabzusetzen.

Schrifttum Armbrüster Wirksamkeitsvoraussetzungen für Prämienanpassungsklauseln, RuS 2012 365; Beckmann Die Zulässigkeit von Preis- und Prämienanpassungsklauseln nach dem AGB-Gesetz (1990) (zit.: Beckmann Zulässigkeit); ders. Auswirkungen des § 31 VVG auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen, VersR 1996 540; Bunte Das Urteil des BGH zur Gestaltung von Automobilvertragshändlerverträgen, NJW 1985 600; Frenz AGB-Gesetz und Allgemeine Versicherungsbedingungen, VersR 1979 394; Hau Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag (2003); Heidinger Gemeinsamer Markt für Versicherungen und Auswirkungen auf das nationale Versicherungsvertragsrecht am Beispiel der Prämienanpassungsklausel, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 1998 271; Herrmann Vertragsanpassung – Ein Problem des Freiheitsschutzes nach Vertragsschluss, Jura 1988 505; Horn Vertragsbindung unter veränderten Umständen, NJW 1985 1118; Hübner Vertragsbindung und Beitragsanpassungsklauseln in Assekuranz im Wandel, Festschrift aus Anlass des 125-jährigen Bestehens der Concordia Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit (1989) 57; Köndgen/König Grenzen zulässiger Konditionenanpassung beim Hypothekenkredit, ZIP 1984 129; Lübke-Detring Preisklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1989); Marlow Neuere Aspekte zur Zulässigkeit von Beitragsanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen – Beliebigkeit durch Lösungsrecht? Festschrift Baumann (1999) 209; Römer Der Prüfungsmaßstab bei der Mißstandsaufsicht nach § 81 VAG und der AVB-Kontrolle nach § 9 AGBG (1996); ders. Gerichtliche Kontrolle Allgemeiner Versicherungsbedingungen nach den §§ 8, 9 AGBG, NVersZ 1999 97; Schwarz Bestimmtheitsgrundsatz und variabler Zins in vorformulierten Kreditverträgen, NJW 1987 626; Thomas Preisfreiheit im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, AcP 209 2009 84; Wandt Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen (2009); ders. Tarifänderungsklauseln in der Kfz-Haftpflichtversicherung, VersR 2000 129; ders. Prämien- und Bedingungsänderungen in laufenden Versicherungsverträgen, in: Beckmann/Matusche-Beckmann (Hrsg.) Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. (2015) § 11; vgl. im Übrigen Schrifttum bei § 33.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte und Übergangsvorschrif1 ten

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Anwendungsvoraussetzungen

I.

Prämienerhöhung ohne Änderung des Umfangs 9 des Versicherungsschutzes

II.

Prämienerhöhung

III.

Auf Grund einer Anpassungsklausel

IV.

Kündigungsrecht des Versicherungsneh18 mers 19 Form und Inhalt 20 Kündigungsfrist 21 Beteiligte Personen

5 1. 2. 3.

6

14 17

9 V.

539 https://doi.org/10.1515/9783110522624-023

Hinweispflichten des VR (Abs. 1 Satz 2, 22 3)

Beckmann

§ 40 VVG

Kündigung bei Prämienerhöhung

VI.

Verminderung des Versicherungsschutzes 28 (Abs. 2)

C.

Prämienanpassungsklauseln und AGB-Kon29 trolle

I.

Bedeutung von Prämienanpassungsklau29 seln

II.

Begriffliches

III.

Einordnung als AGB und Einbeziehung in den 32 Vertrag gem. §§ 305 ff. BGB

a)

31 3.

IV.

Kontrollfähigkeit von Prämienanpassungsklau34 seln gem. § 307 Abs. 3 BGB

V.

Inhaltliche Anforderungen an Prämienanpas35 sungsklauseln 35 Rechtliche Rahmenbedingungen Überblick über die Rechtsprechung zu Preis37 und Prämienanpassungsklauseln

VI. 1. 2.

1. 2.

Rechtsprechung des BVerwG zu Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträ38 gen b) Rechtsprechung des BGH zu Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträ45 gen c) Rechtsprechung des BGH zu Preisanpassungsklauseln in anderen Vertragsty50 pen 55 d) Stellungnahme 61 Verwendung gegenüber Unternehmern Rechtsfolgen unwirksamer Prämienanpassungs62 klauseln Auswirkungen auf den Versicherungsver62 trag 65 Sonstige Rechtsfolgen

VII. Abdingbarkeit D.

66

Darlegungs- und Beweislast

67

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte und Übergangsvorschriften 1 § 40 ist infolge der VVG-Reform 2008 an die Stelle des früheren § 31 a.F. getreten. Diese Vorgängervorschrift wurde mit dem Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften1 erst 1990 in das frühere VVG eingeführt. In dem ursprünglich vorgelegten Gesetzesentwurf der Bundesregierung war eine entsprechende Bestimmung noch nicht enthalten, vielmehr geht die Vorschrift auf eine Anregung des Bundesrates zurück. Dieser begründete seinen Vorschlag damit, dass Prämienanpassungsklauseln in verschiedenen Massenversicherungszweigen üblich seien und diese ein Kündigungsrecht des VN oft nur dann vorsähen, wenn die Prämienerhöhung eine gewisse Schwelle übersteige. Der VN könne dann nicht prüfen, ob er den Versicherungsschutz unter den neuen Bedingungen noch wolle. Zudem sah der Bundesrat eine solche Vertragsgestaltung als ein „den Wettbewerb unnötig dämpfendes Element“ an.2 Der Finanzausschuss hingegen empfahl die Einführung eines Kündigungsrechts für den VN bei Prämienanpassungen nur für die Fälle, in denen die Prämienerhöhung eine gewisse Grenze überschreitet.3 Dieser Vorschlag wurde dann auch in § 31 a.F. aufgegriffen und dieser so geregelt, dass der VN dann ein Kündigungsrecht hatte, wenn das Entgelt pro Jahr um mehr als 5 % des zuletzt gezahlten Betrages oder um mehr als 25 % des Erstbeitrages stieg. Diese frühere Fassung trat am 1.1.1991 in Kraft. 2 Die 1990 eingeführte Fassung des § 31 a.F. hielt sich nur gut drei Jahre. Durch das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG vom 21.7.19944 wurde § 31 a.F. insoweit geändert, als der VN den Versicherungsvertrag nunmehr bei jeder Prämienerhöhung kündigen konnte. Dieses 1 Gesetz vom 17.12.1990, BGBl. I 2864. Im ÖVVG fehlt es an einer mit § 40 vergleichbaren Regelung; vgl. Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 46.

2 Stellungnahme des Bundesrates Anlage 2 zu BTDrucks. 11/6341 S. 45. 3 BTDrucks. 11/8321 S. 2. 4 Drittes Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) v. 21.7.1994, BGBl. I 1630. Beckmann

540

A. Einführung

VVG § 40

Gesetz diente der Umsetzung der sog. dritten Richtliniengeneration und damit einer weitergehenden Harmonisierung des Versicherungsrechts. Durch die Umsetzung der Richtlinien entfiel das Genehmigungserfordernis der AVB durch die Aufsichtsbehörde und dies veranlasste die Bundesregierung dazu, das Kündigungsrecht in § 31 a.F. auf alle Fälle der Prämienerhöhung auszuweiten. Zudem sah nun auch die Bundesregierung „in der Vertragsgestaltung, die Kündigungsrechte bei Prämienanpassung ausschließt, ein den Wettbewerb unnötig dämpfendes Element“.5 Im Rahmen der VVG-Reform 2008 wurde das bis Ende 2007 geltende in § 31 a.F. geregelte 3 Kündigungsrecht des VN bei einer Prämienerhöhung auf Grund einer vertraglichen Anpassungsklausel in § 40 Abs. 1 Satz 1 sachlich unverändert übernommen. Durch den im Zuge der VVG-Reform neu eingeführten § 40 Abs. 1 Satz 2 wird der VR verpflichtet, den VN in der Mitteilung über die Prämienerhöhung über sein Kündigungsrecht zu belehren. Dies ist nach der Gesetzesbegründung erforderlich, da der VN normalerweise nicht über die Rechtslage in einem solchen Fall informiert ist.6 In dem ebenfalls mit der VVG-Reform 2008 neu eingeführten § 40 Abs. 1 Satz 3 wird zusätzlich gefordert, dass diese Mitteilung dem VN spätestens einen Monat vor Wirksamwerden der Erhöhung zugeht. Dieses Erfordernis soll gewährleisten, dass der VN für ausreichende Deckung auf seinem Konto sorgen und von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen kann.7 Der gleichfalls mit der VVG-Reform 2008 neu eingefügte Absatz 2 stellt klar, dass eine Prämienerhöhung auch dann vorliegt, wenn sich auf Grund einer Anpassungsklausel der Umfang des Versicherungsschutzes vermindert, ohne dass die Prämie entsprechend herabgesetzt wird. Schließlich hat sich der systematische Standort im Zuge der VVG-Reform 2008 verändert. Die Vorschrift des § 31 a.F. fand sich noch im Titel über Anzeigepflicht und Gefahrerhöhung. Nun gehört die Vorschrift des § 40 zum Abschnitt über die Prämie. Für das Inkrafttreten der Vorschrift bzw. für den Übergang zwischen dem früheren VVG 4 und dem Recht nach der VVG-Reform gelten die allgemeinen Regeln über das Inkrafttreten, insbesondere Art. 12 VVG RefG.

II. Inhalt und Zweck der Regelung § 40 trägt dazu bei, unterschiedlichen Interessen von VN und VR Rechnung zu tragen. Bei Versi- 5 cherungsverträgen handelt es sich regelmäßig um langfristige Dauerschuldverhältnisse, bei denen sich die vertragsrelevanten Umstände ändern können und deren Entwicklung in der Zukunft für die Parteien des Vertrages nur unzureichend abschätzbar ist.8 Der VR hat dabei ein Interesse daran, die beim Vertragsschluss vereinbarte Prämie an möglicherweise auftretende Kostenänderungen anzupassen. Eine Berücksichtigung dieses Interesses ist in Rechtsprechung und Schrifttum grundsätzlich auch anerkannt.9 Durch Anpassungsklauseln soll das bei Vertragsschluss vereinbarte Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung (Versicherungsschutz) und Gegenleistung (Prämie) für die gesamte Dauer des Versicherungsvertrages gewahrt werden.10 Andererseits besteht auch ein Interesse des Kunden, dass es prinzipiell bei den bei Vertragsschluss vereinbarten Rechten und Pflichten verbleiben soll. Dies gebietet auch der Grundsatz 5 6 7 8 9

BTDrucks. 12/6959 S. 101. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 1, 3. BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 223 (juris Rn. 132); BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55, 59 = VersR 1992 1211, 1212 (juris Rn. 18); Beckmann VersR 1996 540; Hübner FS Concordia, 57, 63; Präve in: Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke (Stand: Oktober 2020) Allgemeine Versicherungsbedingungen Rn. 89. 10 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 3; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 1. 541

Beckmann

§ 40 VVG

Kündigung bei Prämienerhöhung

„Pacta sunt servanda“. Das Prinzip der Vertragsbindung hat einen enormen Stellenwert für das Vertragsrecht, auch im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen. Einen abschließenden Ausgleich dieser gegenüberstehenden Interessen kann § 40 nicht bieten. Vielmehr räumt die Vorschrift dem VN lediglich ein gesetzlich unabdingbares Kündigungsrecht ein. Dieses soll den Kunden zumindest vor übermäßigen Prämienerhöhungen schützen; zudem soll er prüfen können, ob er bei der geänderten Prämie noch ein Interesse an dem Versicherungsvertrag hat.11 Damit gewährt § 40 lediglich einen Mindestschutz des VN; andererseits kommt durch die Vorschrift auch zum Ausdruck, dass Prämienanpassungsklauseln prinzipiell zulässig sind. Davon ging die h.M. indes auch schon vor Einführung der Vorgängervorschrift des § 31 a.F. aus.12

III. Anwendungsbereich 6 Da § 40 dem VN ein Sonderkündigungsrecht gewährt, wird dessen Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung nach § 11 Abs. 2 und 4 davon nicht berührt. Ein Sonderkündigungsrecht bei Prämienerhöhung findet sich zudem in § 25 Abs. 2 (vgl. noch Rn. 10) sowie in § 19 Abs. 6 (vgl. noch Rn. 11). § 163 und § 203 enthalten abweichend von § 40 gesetzliche Ermächtigungen, die Prämie bei 7 der Lebens- bzw. Krankenversicherung auch ohne vertragliche Regelung unter bestimmten Voraussetzungen anzupassen.13 § 163 ist gem. § 176 auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung entsprechend anwendbar. Der Grund für diese Regelungen besteht im Anpassungsbedarf bei den meist langfristigen Kranken- und Lebensversicherungsverträgen.14 Da § 40 unter den Vorschriften für alle Versicherungszweige und damit im allgemeinen Teil des VVG steht und die §§ 163, 203 Sonderregelungen für die Kranken- bzw. Lebensversicherung und gem. §§ 176, 163 für die Berufsunfähigkeitsversicherung enthalten, gehen diese als speziellere Regelungen vor. Zur Prämienanpassung in diesen Versicherungszweigen wird auf die entsprechenden Kommentierungen zu diesen Vorschriften verwiesen. 8 Für die Anwendbarkeit des § 40 kommt es auf die Dauer des Versicherungsvertrages nicht an und eine Anwendung der Vorschrift erfolgt nicht erst bei Verträgen mit einer Laufzeit von mindestens einem Jahr.15

B. Anwendungsvoraussetzungen I. Prämienerhöhung ohne Änderung des Umfangs des Versicherungsschutzes 9 Der VN kann den Versicherungsvertrag gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 kündigen, wenn der VR auf Grund einer Anpassungsklausel die Prämie erhöht, ohne dass damit eine entsprechende Änderung des Umfangs des Versicherungsschutzes einhergeht. § 40 greift also nur bei einer Erhöhung der Prämie ohne Änderung des Umfangs des Versicherungsschutzes ein; gem. dem

11 BTDrucks. 11/6341 S. 45; Berliner Kommentar/Harrer § 40 Rn. 4. 12 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 223 (juris Rn. 133); Beckmann Zulässigkeit S. 133 ff.; Hübner FS Concordia Versicherung, 61; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 4.

13 Vgl. wegen der Begründungsanforderungen der Prämienanpassung in der Krankenversicherung BGH 16.12.2020 – IV ZR 294/19, VersR 2021 240, 241 ff. Rn. 21 ff.; LG Köln 24.2.2021 – 23 O 113/20 (juris Rn. 33 ff.); zur Prämienanpassung in der Krankenversicherung allgemein: Rudolph Beitragsanpassungsklausel – Entwicklung und aktueller Stand, VersR 2014 545; Boetius Zu den Folgen einer einzelvertraglich unwirksamen Prämienanpassung in der Krankenversicherung, RuS 2021 11; Wiemer/Richter Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung – zum Erfordernis einer teleologischen Reduktion des § 203 Abs. 2 S. 1 VVG, VersR 2018 641. 14 Beckmann VersR 1996 540, 544; Langheid/Rixecker/Grote6 § 163 Rn. 3. 15 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 5; vgl. anders noch Römer/Langheid/Langheid2 § 31 Rn. 28. Beckmann

542

B. Anwendungsvoraussetzungen

VVG § 40

mit der VVG-Reform 2008 eingefügten Abs. 2 wird dem eine Verminderung des Versicherungsschutzes bei gleich bleibender Prämie gleichgestellt (dazu unten Rn. 28). Der Anwendungsbereich des § 40 ist damit nicht gegeben, wenn nicht nur eine Prämienänderung im Raum steht, sondern zugleich eine Veränderung des Umfangs des Versicherungsschutzes Platz greift.16 Für § 31 a.F. ist beispielsweise das Eingreifen abgelehnt worden im Falle einer Prämienerhöhung im Rahmen einer Gewerbehaftpflichtversicherung auf der Grundlage von § 8 II Ziff. 2 AHB a.F.,17 nachdem auf eine erneute Anfrage des VR die Jahreslohn- und Gehaltssumme wesentlich höher angegeben wurde; nach Auffassung des Gerichts hatte sich der Umfang des Versicherungsschutzes tatsächlich geändert, da mehr Personen beschäftigt waren.18 Soweit in der Tat eine Erweiterung des Versicherungsschutzes mit der Prämienveränderung verbunden ist, ist demnach der Anwendungsbereich des § 40 nicht eröffnet. Beruht hingegen eine Prämienerhöhung tatsächlich auf einer Gefahrerhöhung, so stellt sich die Frage, ob solche Fälle vom Anwendungsbereich der Norm erfasst sind: Vor der Reform des VVG fanden sich unterschiedliche Standpunkte zu der Frage, ob unter den Anwendungsbereich des § 31 a.F. auch Prämienerhöhungen fallen, die aufgrund einer Gefahrerhöhung erfolgen. Die herrschende Meinung hat dies bejaht.19 Dies lässt sich mit dem Schutzzweck der Norm begründen; der VN soll selbst entscheiden, ob er in diesen Fällen an dem Vertrag festhalten möchte.20 Indes findet sich seit der VVG-Reform 2008 in § 25 Abs. 2 eine neue Regelung, die ein Kündigungsrecht des VN vorsieht, wenn sich die Prämie als Folge der Gefahrerhöhung um mehr als 10 % erhöht oder der VR die Absicherung der höheren Gefahr ausschließt. Hierin liegt eine Sonderregelung, die in ihrem Anwendungsbereich dem § 40 Abs. 1 vorgeht.21 Auch § 19 Abs. 6 stellt eine gegenüber § 40 Abs. 1 vorgehende Sondervorschrift dar.22 Da eine Voraussetzung des § 40 ausweislich seines Tatbestands auch darin liegt, dass die Prämienerhöhung auf Grund einer Anpassungsklausel erfolgt, steht dem VN das Kündigungsrecht nicht bei individuell ausgehandelten neuen Prämien oder bei Prämienerhöhungen zu, die mit einer Anhebung der Deckungssumme oder einer anderen Erweiterung des Deckungsumfangs einhergehen.23 Fraglich ist, ob auch die bloße Erhöhung der Versicherungssumme eine Änderung des Versicherungsumfangs darstellt. Dies könnte zu verneinen sein, weil damit inhaltlich keine Änderung des Versicherungsschutzes verbunden ist. Andererseits erhöht sich dadurch aber auch das Leistungsbezugsrecht des VN und somit liegt eine Umfangsänderung im Sinne des § 40 vor, so dass das Kündigungsrecht hier nicht eingreift.24 Etwas anderes gilt aber, wenn hiermit eine Prämienerhöhung verbunden ist und diese im Verhältnis zur Versicherungssumme stärker steigt.25 In diesem Fall bleibt das bei Vertragsschluss vereinbarte Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung (Versicherungsschutz) und Gegenleistung (Prämie) (vgl. Rn. 5) nicht gewahrt.

16 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 2. 17 Eine Bestimmung zur Beitragsregulierung findet sich nun in Ziff. 13 AHB 2016 (unverbindliche Bekanntgabe des GDV; abrufbar unter www.gdv.de [Abrufdatum 6.10.2021]). 18 LG Berlin 9.12.2003 – 7 S 54/02, VersR 2004 726 (juris Rn. 6 ff.). 19 Prölss/Martin/Prölss27 § 31 Rn. 1; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 5; a.A. Römer/Langheid/Langheid2 § 31 Rn. 27. 20 So noch Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis/Pilz2 § 40 Rn. 3; dagegen nun Schwintowski/Brömmelmeyer/ Pilz3 § 40 Rn. 3. 21 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 4; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 1. 22 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 7; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 1. 23 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 6, 10; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 40 Rn. 4. 24 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 11. 25 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 40 Rn. 6. 543

Beckmann

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§ 40 VVG

Kündigung bei Prämienerhöhung

II. Prämienerhöhung 14 § 40 Abs. 1 setzt eine Prämienerhöhung voraus. Auf den Umfang der Prämienerhöhung kommt es dabei nicht an; auch geringfügige Prämienerhöhungen begründen das Kündigungsrecht gem. § 40 Abs. 1. Anders war die Rechtslage aufgrund der ursprünglichen Fassung des § 31 a.F., wonach das Kündigungsrecht nur bestand, wenn die Prämienerhöhung über bestimmten Schwellenwerten lag (vgl. oben Rn. 1). 15 Die Vorschrift des § 40 selbst stellt keine weiteren Voraussetzungen für eine Prämienerhöhung auf. Darin liegt ein Unterschied zu anderen speziellen Regelungen wie § 163 Abs. 1 für die Lebensversicherung, welcher entsprechend gem. § 176 auf die Berufsunfähigkeitsversicherung anzuwenden ist, sowie § 203 Abs. 2 für die Krankenversicherung. Diese speziellen Regelungen selbst berechtigen allerdings auch den VR zur Prämienerhöhung. Hiervon unterscheidet sich § 40 auch insoweit, als diese Vorschrift selbst nicht zur Prämienerhöhung berechtigt, sondern eine entsprechende Ermächtigung aufgrund einer Anpassungsklausel gegeben sein muss. Voraussetzungen einer wirksamen Prämienerhöhung kann deshalb nur die zugrundeliegende Anpassungsklausel selbst aufstellen. § 40 regelt auch nicht, welche Zulässigkeitsvoraussetzungen an die Anpassungsklausel selbst zu stellen sind (dazu sogleich Rn. 16 und 35 ff.). 16 Indes kann eine Prämienerhöhung aus verschiedenen Gründen unwirksam sein. Zum einen kann es bereits an einer Anpassungsklausel fehlen. Denkbar ist des Weiteren, dass die Voraussetzungen einer vorhandenen Anpassungsklausel nicht erfüllt sind.26 Schließlich kann die Wirksamkeit einer Prämienerhöhung daran scheitern, dass die zugrunde liegende Anpassungsklausel unwirksam ist; wesentlicher Beurteilungsmaßstab für Anpassungsklauseln ist § 307 BGB (dazu noch unten Rn. 29 ff.). Dem VN steht nach überwiegender Ansicht ein Kündigungsrecht auch dann zur Seite, wenn die Prämienerhöhung unwirksam ist.27 Danach steht dem VN in den Fällen der unwirksamen Prämienerhöhung ein Wahlrecht dahingehend zu, dass er sich entweder von dem Vertrag durch Kündigung lösen oder ihn zu den bisherigen Bedingungen fortsetzen kann. Hierfür spricht bereits die Tatsache, dass es vielfach für den VN kaum überschaubar ist, ob die Prämienerhöhung überhaupt wirksam ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit muss dem VN eine Kündigungsmöglichkeit auch bei unwirksamer Prämienerhöhung eingeräumt werden. Der VN, der den Versicherungsvertrag bei seinem Altversicherer kündigt und dann anderweitig einen neuen Versicherungsvertrag abschließt, muss sich sicher sein können, dass seine Kündigung wirksam war. Es wäre eine für ihn nicht hinnehmbare Situation, wenn er nach Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages weiter an seinen Altversicherer gebunden bliebe, weil sich herausstellt, dass dessen Prämienerhöhung unwirksam war. Der VN kann aber statt zu kündigen auch unter den bisherigen Prämienbedingungen an dem Versicherungsvertrag festhalten. Für den Fall, dass eine Prämienerhöhung daran scheitert, dass die zugrundeliegende Anpassungsklausel gegen das AGB-Recht verstößt, ergibt sich diese Kündigungsmöglichkeit ferner aus der Behandlung unwirksamer AGB; geht man nämlich bei AGB, die gegen §§ 307 ff. BGB verstoßen, von einer personalen Teilunwirksamkeit aus, so kann sich der Vertragspartner des Klauselverwenders sehr wohl auf die Rechte aufgrund einer an sich rechtswidrigen AGB berufen (dazu unten Rn. 62 ff.).

26 BGH 15.7.2009 – VIII ZR 225/07, BGHZ 182 59, 66 f. = NJW 2009 2662, 2664 Rn. 18; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 40 Rn. 6.

27 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 17; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Pilz3 § 40 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 40 Rn. 9; a.A. Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 37. Beckmann

544

B. Anwendungsvoraussetzungen

VVG § 40

III. Auf Grund einer Anpassungsklausel § 40 Abs. 1 setzt eine Erhöhung der Prämie auf Grund einer Anpassungsklausel voraus, mit- 17 hin in aller Regel eine AVB, die sich im Bedingungswerk des VR findet und Inhalt des Versicherungsvertrages geworden ist. Nach ganz überwiegender Auffassung ermöglicht § 40 aber keine schrankenlose Prämienerhöhung, die allein durch die Kündigungsmöglichkeit des VN kompensiert wird; vielmehr muss sich eine Anpassungsklausel an den Anforderungen insbesondere des AGB-Rechts messen lassen.28 Die Gegenansicht kann nicht überzeugen; sie steht schon im Widerspruch zum Prinzip der Vertragsbindung und ist unvereinbar mit wesentlichen Kernaussagen der Rechtsprechung: Danach verstoßen Preiserhöhungsklauseln gegen AGB-Recht, wenn sie allein Gewinnsteigerungen des Klauselverwenders ermöglichen.29 Darüber hinaus hat die Rechtsprechung wiederholt entschieden, dass allein die Existenz eines Kündigungsrechts nicht die Zulässigkeit einer Anpassungsklausel rechtfertigen kann.30 Zudem war schon vor Inkrafttreten des § 31 a.F. in der Rechtsprechung wohl unbestritten, dass an Prämienanpassungsklauseln inhaltliche Anforderungen zu stellen sind. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit dem seinerseitigen Erlass des § 31 a.F. zulasten des VN hiervon Abstand nehmen wollte (zur Entwicklung der Vorschrift oben Rn. 1 ff.). Schließlich ist nicht erkennbar, dass § 31 a.F. und nun § 40 das gesamte AGB-Recht verdrängen soll; vielmehr regelt diese Vorschrift mit dem Kündigungsrecht zugunsten des VN nur einen Teilaspekt. Anpassungsklauseln i.S.v. § 40 unterliegen deshalb allgemeinen AGB-rechtlichen Anforderungen (dazu unten Rn. 29 ff.).

IV. Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 bzw. Abs. 2 steht dem VN ein Kündigungs- 18 recht zu (nach h.A. auch bei unwirksamer Prämienerhöhung, vgl. oben Rn. 16 und unter Rn. 63). Der VN kann den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des VR mit sofortiger Wirkung, frühestens jedoch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Erhöhung, kündigen. Sowohl für die Mitteilung des VR als auch für die Kündigung des VN gelten die allgemeinen Grundsätze des Bürgerlichen Rechts über Rechtsgeschäfte.

1. Form und Inhalt Die Kündigung ist formfrei möglich, aus Beweisgründen empfiehlt sich jedoch zumindest die 19 Schriftform, ggf. auch ein Einschreiben mit Rückschein oder aber eine Empfangsbescheinigung durch den VR. Aus der Kündigungserklärung muss zweifelsfrei hervorgehen, dass der VN sich von dem Vertrag lösen will.31

28 Beckmann VersR 1996 540, 544; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 6 ff.; Armbrüster RuS 2012 365, 366; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 40 Rn. 13; Bruck/Möller/Johanssen8 Bd. III Feuerversicherung Anm. F 6; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 18 ff.; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 29; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 40 Rn. 4; wohl auch Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 4 ff.; tendenziell a.A. Marlow FS Baumann, 209 ff.; Reiff EWiR 1997 961. 29 BGH 21.4.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180 257, 266 f. = VersR 2010 950, 952 Rn. 25 m.w.N.; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Dammann7 § 309 Nr. 1 Rn. 127 f. m.w.N. 30 Vgl. etwa BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394, 402 = VersR 1997 1517, 1519 (juris Rn. 36); BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 224 (juris Rn. 145 ff.); OLG Celle 22.7.1999 – 8 U 82/98, VersR 2000 47 (juris Rn. 73); Beckmann VersR 1996 540, 544. 31 Berliner Kommentar/Gruber § 8 Rn. 44; vgl. allgemein zur Kündigung auch Bruck/Möller/Johannsen/Koch10 § 11 Rn. 32 ff. 545

Beckmann

§ 40 VVG

Kündigung bei Prämienerhöhung

2. Kündigungsfrist 20 Die Kündigungsfrist beträgt gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 einen Monat ab Zugang der Mitteilung des VR. Eine zu spät erklärte außerordentliche Kündigung lässt sich im Einzelfall nach den Grundsätzen des § 140 BGB in eine ordentliche umdeuten.32

3. Beteiligte Personen 21 Nach § 40 kündigen können dieselben Personen, die auch im Rahmen des § 11 zur Kündigung berechtigt sind. Auch die Frage, wer Empfänger der Kündigung sein kann, richtet sich nach dieser Vorschrift.33

V. Hinweispflichten des VR (Abs. 1 Satz 2, 3) 22 Durch den mit der VVG-Reform 2008 eingefügten § 40 Abs. 1 Satz 2 und 3 wird der VR verpflichtet, den VN rechtzeitig über sein Kündigungsrecht zu belehren. Satz 2 normiert die Pflicht des VR, den VN in der Mitteilung über die Prämienerhöhung auch auf das Kündigungsrecht hinzuweisen; gem. Satz 3 muss die Mitteilung dem VN spätestens einen Monat vor dem Wirksamwerden der Erhöhung der Prämie zugehen. In § 31 a.F. war eine solche Hinweispflicht noch nicht enthalten, wurde von der herrschenden Meinung aber aus § 242 BGB hergeleitet.34 Die Mitteilung gem. § 40 Abs. 1 Satz 2 muss ordnungsgemäß erfolgen. Der VR muss dem VN 23 den Umfang und den Zeitpunkt, zu dem die Prämienerhöhung wirksam werden soll, mitteilen.35 Des Weiteren muss der VR gem. § 40 Abs. 1 Satz 2 den VN auf das Kündigungsrecht hinweisen. Aufgrund des Hinweises muss sich der VN über das Bestehen und die Modalitäten des Kündigungsrechts klar werden; notwendig ist deshalb u.a. eine Belehrung über die Monatsfrist nach Abs. 1 Satz 1 und den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung.36 Einigkeit besteht darüber, dass ein bloßer Verweis auf § 40 nicht ausreicht.37 Eine besondere Form für die Mitteilung und die Belehrung schreibt § 40 Abs. 1 Satz 2 nicht 24 vor. Gleichwohl muss die Belehrung in formaler Hinsicht so ausgestaltet sein, dass sie ihrem Zweck gerecht wird. Deshalb wird im Schrifttum – obgleich das Gesetz dies nicht voraussetzt – eine Belehrung (mindestens) in Textform verlangt.38 Indes trifft den VR das Risiko, dass eine etwaige Mitteilung und Belehrung ins Leere geht, so dass schon aus Gründen der Beweisbarkeit die Einhaltung einer Form den Regelfall darstellen wird.39 Unabhängig hiervon kann sich ein Formerfordernis im Hinblick auf eine Prämienanpassung unmittelbar aus einer Anpassungsklausel selbst ergeben. In zeitlicher Hinsicht setzt § 40 Abs. 1 Satz 3 voraus, dass die Mitteilung dem VN spätestens einen Monat vor dem Wirksamwerden der Erhöhung der Prämie zugehen muss. Damit kann eine Prämienerhöhung frühestens einen Monat nach Zugang der entsprechenden Mitteilung des VR wirksam werden. Da § 40 selbst keine ausdrückliche Regelung über

32 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 14. 33 Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 42; vgl. allgemein zur Kündigung auch Bruck/Möller/Johannsen/Koch10 § 11 Rn. 32 ff. 34 Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 38; Schimikowski/Höra 137; Armbrüster FS Schirmer, 1, 12. 35 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 14. 36 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 15. 37 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 15. 38 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 16. 39 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 17; Beckmann

546

B. Anwendungsvoraussetzungen

VVG § 40

den Zugang der Mitteilung des VR enthält, ist aus systematischen Gründen die allgemeine Regelung über die Zugangsfiktion des § 13 anwendbar.40 § 40 regelt nicht ausdrücklich die Rechtsfolge einer unterbliebenen, fehlerhaften bzw. nicht 25 rechtzeitigen Belehrung. Fehlt es an einer Mitteilung überhaupt oder ist die Mitteilung unvollständig, so fehlt es an einer wirksamen Prämienerhöhung.41 Da die Kündigungsfrist erst mit dem Zugang ordnungsgemäßer Belehrung zu laufen beginnt, besteht im Falle fehlender oder unvollständiger Mitteilung zudem ein zeitlich unbegrenztes Kündigungsrecht.42 Indes kann der gebotene Hinweis auf das Kündigungsrecht des VN gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich nachgeholt werden.43 Die wohl h.A. geht im Falle einer ordnungsgemäßen Nachholung von einer ex-nuncWirkung aus.44 Nach a.A. ist der gesamte Vorgang zu wiederholen.45 Die unterschiedlichen Auffassungen wirken sich insbesondere dann aus, wenn eine Prämienerhöhung nach den einschlägigen AVB immer nur zu einem bestimmten Termin vorgenommen werden kann, also z.B. jährlich nur zum 1. Oktober. Nach der erst genannten Auffassung, die eine ordnungsgemäße Nacholung ex nunc zuässt, könnte eine solche Nachholung eine Prämienerhöhung bereits zum 1. November bewirken. Nach der Gegenansicht kommt infolge einer ordnungsgemäßen Nachholung eine Prämienerhöhung erst zum 1. Oktober des Folgejahres in Betracht.46 Für eine nach wohl h.A. mögliche ex-nunc-Nachholung der Belehrung ohne zeitliche Beschränkung wird ins Feld geführt, der VN sei ausreichend geschützt, weil er in jedem Falle die vom Gesetz vorausgesetzte Überlegungsfrist habe;47 die Interessen des VN seien gewahrt und die Voraussetzungen der Prämienanpassungsklauseln würden eingehalten.48 Im Zusammenhang mit den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 2 und 3 ist dieser Auffassung grundsätzlich zu folgen; eine fehlende oder fehlerhafte Belehrung kann im Grundsatz mit ex-nunc-Wirkung nachgeholt werden. Soweit der VR eine nicht ordnungsgemäße Mitteilung nachholt und der VN hinreichend belehrt ist, kann die Prämienerhöhung frühestens einen Monat nach Zugang der Mitteilung wirksam werden. Etwas anderes kann sich indes aus der Anpassungsklausel selbst ergeben. So setzt eine wirksame Prämienerhöhung aufgrund einer Anpassungsklausel voraus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der entsprechenden Anpassungsklausel erfüllt sind. Ermöglicht diese eine Preisanpassung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr, so muss sich der VR hieran festhalten lassen, da die Anpassungsklausel selbst das Fundament einer wirksamen Prämienanpassung darstellt. Ist das hingegen nicht der Fall und ermöglicht eine Anpassungsklausel nicht nur eine Anpassung zu einem bestimmten Zeitpunkt, so ist eine ex-nunc-Nachholung zuzulassen. Die Grundsätze lassen sich auch auf den Fall einer zwar vollständigen, aber verspäteten 26 Mitteilung über die Prämienerhöhung übertragen. Grundsätzlich scheitert die vom VR ange-

40 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 18; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 18; vgl. Berliner Kommentar/ Harrer § 31 Rn. 41 betr. die frühere Rechtslage; a.A. Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 40 Rn. 8; Staudinger/ Halm/Wendt/Thessinga2 § 40 Rn. 6. 41 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 20; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 40 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 15; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 20; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 40 Rn. 10. 42 AG Berlin-Charlottenburg 2.10.2012 – 235 C 158/12, RuS 2013 12 (juris Rn. 16); Langheid/Wandt/Staudinger2 § 40 Rn. 12; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 20; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 20. 43 BGH Urt. v. 19.12.2018 – IV ZR 255/17, BGHZ 220 297, 322 = VersR 2019 283, 289 Rn. 68; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 15; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 21 f.; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 40 Rn. 10; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 22. 44 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 15; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 21 f.; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 20. 45 Staudinger/Halbach/Wendt/Thessinga2 § 40 Rn. 8; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 40 Rn. 7. 46 Vgl. zu diesem Beispiel BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 21.1. 47 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 22. 48 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 22. 547

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strebte Prämienerhöhung, dem VN steht gleichwohl ein Kündigungsrecht gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 zur Seite.49 Unter den zuvor in Rn. 25 genannten Grundsätzen kommt aber eine ex-nunc-Nachholung durch den VR in Betracht.50 Ein rückwirkender Anspruch auf die Prämienerhöhung im Hinblick auf den vom VR ursprünglich angestrebten Zeitpunkt kommt auch bei dieser Konstellation nicht in Betracht. 27 Aufgrund des gem. § 42 halbzwingenden Charakters auch der Hinweispflichten kann hiervon zum Nachteil des VN nicht abgewichen werden.

VI. Verminderung des Versicherungsschutzes (Abs. 2) 28 Der mit der VVG-Reform eingeführte § 40 Abs. 2 dient der Klarstellung, dass eine Prämienerhöhung im Sinne des Absatz 1 auch dann vorliegt, wenn sich auf Grund einer Anpassungsklausel der Umfang des Versicherungsschutzes vermindert, ohne dass die Prämie entsprechend herabgesetzt wird.51 Durch eine Verminderung des Versicherungsschutzes ist das bei Vertragsschluss bestehende Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ebenso betroffen wie durch eine Erhöhung der Prämie ohne gleichzeitige Erhöhung des Versicherungsumfangs. Die Verminderung führt zwar nicht dazu, dass der VN betragsmäßig mehr bezahlen muss, letztlich aber doch zu einer mittelbaren Prämienerhöhung. Bereits zum alten Recht wurde die Verminderung des Versicherungsschutzes der Prämienerhöhung gleichgestellt.52 Als eine Verminderung des Leistungsumfangs sind beispielsweise die Erhöhung des Selbstbehalts oder eine nachträgliche Summenbegrenzung bei gleichbleibender Prämie anzusehen.53

C. Prämienanpassungsklauseln und AGB-Kontrolle I. Bedeutung von Prämienanpassungsklauseln 29 Je länger die Vertragsdauer eines Versicherungsvertrags ausgestaltet ist, desto größer ist das Interesse des VR, den Vertrag an veränderte Umstände anzupassen. Deshalb stellt das VVG für typischerweise auf Dauer angelegte Versicherungen mit besonders hoher sozialer Bedeutung – namentlich für die Lebens-, die Berufsunfähigkeits- und die Krankenversicherung (§§ 163, 176, 203 Abs. 2; vgl. oben Rn. 7) – gesetzliche Befugnisse zugunsten des VR zur einseitigen Prämienanpassung zur Verfügung. Gesetzliche Prämienanpassungsbefugnisse im Rahmen der vorgenannten Versicherungsarten sind nicht Gegenstand dieser Kommentierung; auf die entsprechenden Kommentierungen zu den speziellen Vorschriften wird deshalb verwiesen.54 Bei allen anderen Versicherungszweigen muss der VR vertragliche Anpassungsbestimmungen in den Versicherungsvertrag aufnehmen, um eine einseitige Prämienanpassung ohne Mitwirkung des VN vornehmen zu können. Solche Anpassungsklauseln können zwar individuell vereinbart

Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 23 f. Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 23 f. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 45; Römer/Langheid/Langheid2 § 31 Rn. 3; a.A. Prölss/Martin/Prölss27 § 31 Rn. 1. 53 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 24; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 25; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 3. 54 Zu aktuellen Entwicklungen zur Prämienanpassung in der Krankenversicherung vgl. etwa Franz VersR 2020 449; Boetius RuS 2021 11.

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werden. Sie werden aber regelmäßig als Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) in den Bedingungswerken der VR Bedeutung haben.55 § 40 Abs. 1 Satz 1 normiert ein Kündigungsrecht für den Fall, dass der VR einseitig die Prä- 30 mie aufgrund einer Anpassungsklausel erhöht. § 40 setzt demnach das Vorliegen einer Anpassungsklausel voraus, ohne aber inhaltliche Voraussetzungen für solche Anpassungsklauseln zu normieren. Nach ganz h.M. müssen Anpassungsklauseln, die eine einseitige Prämienerhöhung durch den VR ermöglichen, gleichwohl Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllen (vgl. dazu bereits oben Rn. 16). Soweit es sich tatsächlich um Individualvereinbarungen handeln sollte, unterliegen sie den allgemeinen Grenzen der Gestaltungsfreiheit (insbesondere § 134 BGB, § 138 BGB und § 242 BGB). Größere praktische Bedeutung hat indes die AGB-rechtliche Zulässigkeit gem. §§ 305 ff. BGB, die im Folgenden zu beleuchten ist.

II. Begriffliches Anpassungsklauseln i.S.v. § 40 Abs. 1 ermächtigen den VR zur einseitigen Prämienerhöhung. 31 Demzufolge werden solche Klauseln vornehmlich als Prämien- bzw. Beitragsanpassungsklauseln bezeichnet; aber auch der Begriff der Tarifanpassungsklauseln ist gebräuchlich. Im Folgenden ist die Rede von Prämienanpassungsklauseln.

III. Einordnung als AGB und Einbeziehung in den Vertrag gem. §§ 305 ff. BGB Für die Einordnung einer Prämienanpassungsklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d. 32 § 305 Abs. 1 BGB und auch für die Einbeziehung solcher Prämienanpassungsklauseln gelten die allgemeinen AGB-rechtlichen Grundsätze gem. §§ 305 ff. BGB.56 Prinzipiell gelten insoweit keine Besonderheiten. Insbesondere wird man Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen grundsätzlich nicht als überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB einordnen können.57 Gerade bei langfristigen Verträgen kann im Grundsatz nicht davon die Rede sein, dass der Vertragspartner nicht mit ihnen zu rechnen braucht. Prämienanpassungsklauseln sind weder ungewöhnlich noch enthalten sie ein Überraschungsmoment.58 Im Einzelfall kann ausnahmsweise etwas anderes gelten, sofern die Klausel an einer Stelle in das Bedingungswerk aufgenommen ist, an der der VN mit ihr nicht zu rechnen braucht.59 Für die Frage der Einbeziehung einer AGB in den Vertrag ist des Weiteren der Grundsatz 33 des Vorrangs der Individualabrede gem. § 305b BGB zu beachten. Danach haben individuelle Abreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Typischerweise erfolgen Preisabsprachen individuell,60 so dass solche Preisabsprachen grundsätzlich durchaus Vorrang vor einer Preis- oder Prämienanpassungsklausel haben können. Allerdings wird man dies nur bei Vereinbarung eines Festpreises annehmen können. Solche dürften bei Versicherungsverträgen eher eine Seltenheit darstellen. In der Regel dürfte es sich um Preisabsprachen mit einfacher Verbind-

55 Die Kommentierung des § 40 beschäftigt sich allein mit Prämienanpassungsklauseln. Zu Bedingungsanpassungsklauseln vgl. BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153 = VersR 1999 697 (Bedingungsanpassungsklausel in Rechtsschutzversicherungsbedingungen); BGH 23.1.2008 – IV ZR 169/06, VersR 2008 482 (Abweichung einer Bedingungsanpassungsklausel vom gesetzlichen Anpassungsrecht des § 178g Abs. 3 a.F.); Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C Rn. 184 ff.; Baumann JZ 1999 881; Matusche-Beckmann NJW 1998 112; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Wandt3 § 11. 56 Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C Rn. 39 ff. 57 Dazu Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C Rn. 126 ff. 58 Dazu Beckmann Zulässigkeit S. 20 ff. 59 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 27; Palandt/Grüneberg80 § 305c BGB Rn. 4. 60 Staudinger/Mäsch (2019) § 305b Rn. 13. 549

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lichkeit handeln; in solchen Fällen wird man in aller Regel keinen Vorrang einer Individualabsprache annehmen können.61

IV. Kontrollfähigkeit von Prämienanpassungsklauseln gem. § 307 Abs. 3 BGB 34 Gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterliegen der Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB nur solche AGB, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzende Regelungen enthalten. Die Vorschrift bezweckt insbesondere, vorformulierte vertragliche Vereinbarungen über Leistungsgegenstand und Entgelt, für die es an rechtlichen Bewertungsmaßstäben fehlt und bei denen sich eine Angemessenheitsprüfung außerhalb der durch § 138 BGB gezogenen Grenzen aus verfassungsrechtlichen und marktwirtschaftlichen Gründen verbietet, von der Inhaltskontrolle auszunehmen.62 Deshalb sind Klauseln der richterlichen Inhaltskontrolle entzogen, die die gegenseitigen Hauptleistungen zum Inhalt haben, insbesondere Preisabreden. Hierzu gehören nach h.M. indes nicht Preisanpassungsklauseln, die damit der Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB unterliegen.63 Ein deutliches Argument für diesen Standpunkt folgt bereits aus der Existenz des § 309 Nr. 1 BGB, der ja gerade die Inhaltskontrolle bestimmter Preisanpassungsklauseln ausdrücklich regelt.64 Auch den §§ 315 ff. BGB ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen.65

V. Inhaltliche Anforderungen an Prämienanpassungsklauseln 1. Rechtliche Rahmenbedingungen 35 § 309 Nr. 1 BGB enthält ein spezielles Klauselverbot für bestimmte Preisanpassungsklauseln. Dieses Verbot gilt indes nicht für Leistungen, die im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen erbracht werden (§ 309 Nr. 1, 2. Hs. BGB). Da es sich bei Versicherungsverträgen um Dauerschuldverhältnisse handelt, greift dieses Klauselverbot demzufolge für Prämienanpassungsklauseln nicht ein.66 Während teilweise vertreten wird, Versicherungsverträge fielen unter § 309 Nr. 1, 1. Hs. BGB, wenn sie auf eine Abwicklung in kurzer Zeit angelegt seien,67 berufen sich andere darauf, dass eine teleologische Reduktion des § 309 Nr. 1, 2. Hs. BGB in diesem Fall nicht möglich sei.68 Nach ganz überwiegender Ansicht unterliegen Preisanpassungsklauseln außerhalb des Anwendungsbereichs von § 309 Nr. 1 BGB der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB.69 Damit haben sich Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen an den Wirksamkeitsvoraussetzungen dieser Generalklausel zu orientieren. Nach Absatz 1 Satz 1 sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von 61 Beckmann Zulässigkeit S. 25 ff.; im Ergebnis ähnlich Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau7 § 305b Rn. 21; Staudinger/Mäsch (2019) § 305b Rn. 13; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer12 § 305b Rn. 20. 62 Beckmann Zulässigkeit S. 29 m.w.N.; vgl. auch zur sog. Doppelfunktion dieser Regelung Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 14. 63 BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55, 59 = VersR 1992 1211, 1212 (juris Rn. 17); Armbrüster RuS 2012 365, 366; Langheid/Wandt/Bruns2 § 307 BGB Rn. 23; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 40 Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 29; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 40 Rn. 13. 64 Vgl. Beckmann Zulässigkeit S. 29 f.; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 § 307 Rn. 181; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Pfeiffer7 § 307 Rn. 324 jeweils m.w.N. 65 Armbrüster RuS 2012 365, 367. 66 Armbrüster RuS 2012 365, 366; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 29. 67 BeckOK-BGB/Becker (Stand: 1.5.2021) § 309 Nr. 1 Rn. 14; Palandt/Grüneberg80 § 309 BGB Rn. 6. 68 MüKoBGB/Wurmnest8 § 309 Rn. 22. 69 Armbrüster RuS 2012 365, 366; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 17; BGH 21.4.2009 – XI ZR 55/08 (juris); BGH 21.4.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180 257, 264 Rn. 15 = VersR 2010 950, 951; BGH 19.11.2002 – X ZR 243/01, NJW 2003 507, 508 (juris Rn. 16); BGH 7.10.1981 – VIII ZR 229/80, BGHZ 82 21, 23 = NJW 1982 331 (juris Rn. 10) noch zu § 11 Beckmann

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Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Auch wenn in Absatz 2 eine gewisse Konkretisierung erfolgt, bleiben die eigentlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen sehr allgemein gehalten, so dass letztlich genauere Kriterien für die Zulässigkeit durch die Rechtsprechung vorgegeben werden. Obwohl Prämienanpassungsklauseln nach wie vor praktische Bedeutung haben und Preisan- 36 passungsklauseln ganz allgemein, aber auch Prämienanpassungsklauseln wiederholt Gegenstand der Rechtsprechung geworden sind, hat diese insbesondere für Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen bis heute noch keine eindeutigen Zulässigkeitsvoraussetzungen entwickelt.70 Vielmehr liegt eine Reihe von Entscheidungen vor, die teilweise unterschiedliche Einzelaspekte ansprechen. Im Schrifttum wird diese Rechtsprechung vielfach analysiert, strukturiert und es werden allgemeine Zulässigkeitskriterien aufgestellt.71

2. Überblick über die Rechtsprechung zu Preis- und Prämienanpassungsklauseln Es finden sich eine Reihe von wichtigen Entscheidungen zur Zulässigkeit von Preis- und Prämi- 37 enanpassungsklauseln, auf die im Folgenden zunächst einzugehen ist:72

a) Rechtsprechung des BVerwG zu Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsver- 38 trägen. Eine wesentliche Leitentscheidung zu Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen bildet das sog. DAS-Urteil des BVerwG aus dem Jahre 198073 zu einer Prämienanpassungsklausel in der Rechtsschutzversicherung. Das BVerwG hatte sich mit der Zulässigkeit einer Prämienanpassungsklausel im Rahmen des damals noch notwendigen Genehmigungsverfahrens nach §§ 13, 5, 8 VAG a.F. auseinandergesetzt. Nach diesen Vorschriften konnte die Aufsichtsbehörde die Genehmigung von AVB versagen, wenn die Belange des VN durch die Bedingungen nicht hinreichend gewahrt wurden. Die Entscheidung wirkt sich, obwohl es sich um ein aufsichtsrechtliches Genehmigungsverfahren handelte, unmittelbar auf die AGB-rechtliche Beurteilung aus, da das BVerwG die Genehmigungsvoraussetzungen der §§ 13, 5, 8 VAG a.F. inhaltlich mit der Angemessenheitskontrolle der AGB-rechtlichen Generalklausel (damals noch § 9 AGBG a.F.) gleichsetzte.74 In dieser Entscheidung hat das BVerwG einige Grundsätze für die Zulässigkeit einer Prämienanpassungsklausel aufgestellt.75 In dem damaligen Verfahren standen mehrere von einem VR zur Genehmigung bei der Auf- 39 sichtsbehörde vorgelegte Prämienanpassungsklauseln auf dem Prüfstand. Die als einzige vom BVerwG als zulässig erachtete Prämienanpassungsklausel sah eine Ermächtigung des VR vor, die Prämie an eine näher bestimmte Änderung des Schadensaufwands (dem Produkt von Schadenshäufigkeit und Durchschnitt der Schadenszahlungen des vergangenen Kalenderjahres) anzupassen. Die Klausel legte also Veränderungsfaktoren und Referenzgrößen fest, an deNr. 1 und § 9 AGBG a.F. Für die Anwendung des § 307 BGB spricht zudem die Tatsache, dass Preisanpassungsklauseln auch dann im Rahmen von § 307 BGB auf ihre Zulässigkeit hin überprüft werden, wenn diese unter § 309 Nr. 1 BGB tatbestandlich fallen, aber nicht gegen diese Vorschrift verstoßen (jurisPK-BGB/Lapp/Salomon8 § 309 Rn. 11). Dies muss im Umkehrschluss dann erst recht für Anpassungsklauseln gelten, die erst gar nicht von § 309 Nr. 1 BGB erfasst werden. 70 Vgl. auch Armbrüster RuS 2012 365, 366, wonach höchstrichterliche Entscheidungen zu dieser Thematik – anders als zu anderen Vertragstypen – bislang rar sind. 71 Vgl. etwa Armbrüster Wirksamkeitsvoraussetzungen für Prämienanpassungsklauseln, RuS 2012 365; Beckmann Zulässigkeit. 72 Vgl. auch Übersichten bei Beckmann Zulässigkeit S. 43 ff., 133 ff.; Marlow FS Baumann 209, 211 ff. 73 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221. 74 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 223 (juris Rn. 129); zustimmend Hübner FS Concordia, 57, 61; Armbrüster RuS 2012 365, 366; dazu auch Römer 9 f. 75 Ausführlich dazu Beckmann VersR 1996 540, 541. 551

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nen sich die Prämienanpassung zu orientieren hatte. Die Entscheidung des BVerwG kann nur so verstanden werden, dass die Existenz solcher Veränderungsfaktoren, an denen sich die Prämienanpassung zu orientieren hat, Voraussetzung für eine zulässige Prämienänderungsklausel ist.76 Als zulässige Referenzgröße sah das BVerwG die Änderung des Schadensaufwandes an. Da alle vom BVerwG zu beurteilenden Klauseln als Veränderungskriterium die Änderung des Schadensaufwandes zugrunde legten, kann aus dieser Entscheidung nicht entnommen werden, ob das BVerwG dies als einzig zulässiges Veränderungskriterium ansieht. Es lässt sich aus der Entscheidung lediglich herleiten, dass nach dem Standpunkt des BVerwG die Klausel Veränderungskriterien zugrunde legen muss, die außerhalb des versicherten Risikos auftretende Änderungen der für die Preisgestaltung wesentlichen Umstände betreffen.77 Durch das in einer Prämienanpassungsklausel anzugebende Veränderungskriterium muss außerdem nach Ansicht des BVerwG sichergestellt sein, „dass Änderungen der für die Prämiengestaltung wesentlichen Grundlagen nur für die VN zu einer Prämienanpassung führen, deren versicherte Risiken von diesen Änderungen tatsächlich betroffen sind“78 (gruppenspezifische bzw. risikobezogene Beurteilung). Eine einheitliche Ermittlung des Veränderungssatzes ist somit unzulässig, wenn die Veränderungsfaktoren nicht für alle Versicherungsverhältnisse gleich sind.79 Die unterschiedlichen Entwicklungen verschiedener Risikogruppen müssen also berücksichtigt werden. Für die Rechtsschutzversicherung sei es angemessen, wenn der Veränderungssatz für drei Gruppen ([Verkehrs-Rechtsschutz, Fahrzeug-Rechtsschutz, Fahrer-Rechtsschutz], [Familien-Rechtsschutz, Rechtsschutz für Vereine, Rechtsschutz für Grundeigentum und Miete] und [Familien- und Verkehrs-Rechtsschutz für Lohn und Gehaltsempfänger, Landwirtschafts- und Verkehrs-Rechtsschutz]) gesondert ermittelt werde. In der vom BVerwG zu beurteilenden Klausel wurden bei der Ermittlung des Veränderungssatzes Branchenwerte zugrunde gelegt. Dies erachtete das BVerwG als zulässig und förderlich.80 Es lässt sich der Entscheidung aber nicht ausdrücklich entnehmen, ob dies notwendig und die Zugrundelegung von ausschließlich unternehmenseigenen Werten zulässig ist. Gegen Letzteres bestehen nach der Rechtsprechung wohl dann keine Bedenken, wenn die unternehmenseigenen Zahlen die außerhalb des versicherten Risikos auftretenden Veränderungen der für die Preisgestaltung wesentlichen Umstände angemessen berücksichtigen.81 Die Klausel sah weiterhin eine einheitliche Anhebung aller Prämienelemente, neben Wagnisanteil und Verwaltungsanteil also auch des Gewinnanteils, vor; dies erachtete das BVerwG allerdings für unerheblich.82 Die Belange der Versicherten seien hinsichtlich des Grundes und des Umfangs der Anpassung ausreichend gewahrt, wenn die Prämienanpassung nur 76 Beckmann VersR 1996 540, 541. 77 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 223 (juris Rn. 130); vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 40 Rn. 8 (in erster Linie erhöhte Kosten infolge gestiegener Aufwendungen für die Regulierung von Schadensfällen); ähnlich Armbrüster RuS 2012 365, 369, der von externen Kostensteigerungen spricht; dabei handele es sich um „erhöhte Schadenkosten, bisweilen auch um höhere Verwaltungskosten“; ähnlich Prölss/Martin/ Reiff31 § 40 Rn. 36; vgl. dazu noch unten Rn. 55. 78 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78 VersR 1981 221, 224 (juris Rn. 137). 79 Vgl. Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 41; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 6; ähnlich Armbrüster RuS 2012 365, 375 weiter gehende Unterteilungen nach risikobezogenen Kriterien, die nicht bereits in einer Prämiendifferenzierung ihren Niederschlag gefunden haben, seien nicht geboten, aber zulässig. BerlinerKommentar/Harrer § 31 Rn. 20; Wandt6 Rn. 149. 80 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 225 (juris Rn. 161). 81 Für Zulässigkeit, wenn sich der VR alleine an seinen eigenen Unternehmenszahlen orientiert Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 11. Grds. für Zugrundelegung des Schadensbedarfs des jeweiligen VR mit der Möglichkeit, „Branchenzahlen“ zu verwenden Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 43. 82 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 225 f. (juris Rn. 164); a.A. Armbrüster RuS 2012 365, 370 f.; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 37; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 9; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 34. Beckmann

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für den Fall einer nicht nur unwesentlichen Änderung der bei Vertragsschluss vorliegenden und für die Preisgestaltung maßgeblichen Umstände vorgesehen ist und das Ausmaß der Prämienanpassung in einem angemessenen Verhältnis zu der eingetretenen Änderung steht. An dieser Angemessenheit fehle es nicht schon deswegen, weil eine Veränderung des Schadensbedarfs zu einer dementsprechenden linearen Erhöhung der gesamten Prämie führt. Das BVerwG machte keine besonderen Ausführungen zu dem Erfordernis der Bestimmtheit 44 einer Prämienanpassungsklausel. Es hat ebenso wenig bei der Ermittlung des Veränderungssatzes ausdrücklich die Einschaltung eines unabhängigen Treuhänders für erforderlich erachtet. Da aber alle ihm vorgelegten Klauseln eine derartige Regelung enthielten, kann sich nicht unbedingt herleiten lassen, ob die Einschaltung eines Treuhänders nach Ansicht des BVerwG notwendig ist oder nicht.

b) Rechtsprechung des BGH zu Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträ- 45 gen. Der BGH hat bisher in seinen Entscheidungen zu Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen keine einheitlichen Zulässigkeitskriterien aufgestellt. Vielmehr ging es in der Regel nur um einzelne Aspekte. In einer Entscheidung vom 1.7.199283 stand eine Klausel der privaten Krankenversicherung auf dem Prüfstand. Der BGH erkannte darin das Bedürfnis des VR an, Prämien den im Allgemeinen nicht vorhersehbaren Entwicklungen der Kosten im Gesundheitswesen und der generellen Entwicklung der Preise wie des Geldwertes anzupassen, und stellte darauf ab, dass sich der VR kein schrankenloses Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt hatte.84 Auf die vom BVerwG entwickelten Grundsätze zur Zulässigkeit entsprechender Klauseln ging der BGH nicht ein und sah die ihm damals vorgelegte Klausel als zulässig an. Ein Grund für die Zurückhaltung des BGH in dieser Entscheidung liegt darin, dass Tarifänderungen in der privaten Krankenversicherung zum damaligen Zeitpunkt der Zustimmung der Aufsichtsbehörde bedurften. Im Ergebnis lassen sich aus dieser Entscheidung keine allgemeinen AGBrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen herleiten.85 Entsprechendes gilt für eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2004, in der eine Prämi- 46 enanpassung in der privaten Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung im Raum stand.86 In dieser Entscheidung hatte der BGH gleichfalls einen Altfall zu bewerten, für den die Rechtslage vor dem Wegfall der Genehmigung von AVB durch die Aufsichtsbehörde galt. In der Entscheidungsbegründung verweist der BGH bezüglich der Zulässigkeit der Klausel deshalb auf seine Entscheidung vom 1.7.1992,87 da in beiden Entscheidungen die Prämienanpassung aufgrund derselben Klausel erfolgte. In einer Entscheidung aus dem Jahr 199788 hatte der BGH sich mit der Frage zu befassen, 47 ob bei einer formularmäßigen Bestimmung über eine fünfjährige Laufzeit eines Rechtsschutzversicherungsvertrages ein Verstoß gegen § 9 AGBG a.F. vorliegt, wenn gleichzeitig eine Prämienanpassungsklausel verwendet wird, die dem VN erst bei einer Beitragserhöhung von mehr als 15 % oder von mehr als 30 % innerhalb von drei aufeinanderfolgenden Jahren ein Kündigungsrecht gewährt; dieses Kündigungsrecht entsprach der vom BVerwG im DAS-Urteil genehmigten Klausel (dazu oben Rn. 38 ff.). Der BGH verneinte in dieser Entscheidung einen Verstoß und schloss sich im Hinblick auf das Kündigungsrecht der Begründung des BVerwG ausdrück-

83 84 85 86 87 88

BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55 = VersR 1992 1211. BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55, 59 = VersR 1992 1211, 1212 (juris Rn. 18 f.). Beckmann VersR 1996 540, 542; Marlow FS Baumann, 209, 217. BGH 22.9.2004 – IV ZR 97/03, VersR 2004 1446, 1447 (juris Rn. 22 ff.). BGH 1.7.1992 – IV ZR 191/91, BGHZ 119 55 = VersR 1992 1211. BGH 26.3.1997 – IV ZR 71/96, VersR 1997 685, 686 f. (juris Rn. 26 f.); der in der Entscheidung zu beurteilende Versicherungsvertrag wurde vor dem 1.1.1991 abgeschlossen und daher war § 31 VVG a.F. in seiner damaligen Fassung (oben Rn. 1) Beurteilungsmaßstab. 553

Beckmann

§ 40 VVG

Kündigung bei Prämienerhöhung

lich an. Wegen des heute in § 40 Abs. 1 Satz 1 vorgesehenen uneingeschränkten Kündigungsrechts kommt dieser Entscheidung indes keine entscheidende Wirkung zu. 48 In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 1997 stand die Wirksamkeit von Anpassungsklauseln in einer Satzung eines VVaG auf dem Prüfstand.89 Der Schwerpunkt der Entscheidung lag indes in der vom BGH bejahten Frage nach dem AGB-Charakter von Satzungsbestimmungen.90 Im Hinblick auf die AGB-rechtliche Zulässigkeit stellte der BGH darauf ab, dass sich der Beklagte mit der in Rede stehenden Klausel ein uneingeschränktes Abänderungsrecht vorbehalten habe. Die Klauseln enthielten keine dem Beklagten irgendwie gezogenen Grenzen für die Anpassung der Tarifbestimmungen, Beiträge und sonstigen versicherungsvertraglichen Rechte und Pflichten. Der VN sei jeder Beurteilung des Beklagten über die Richtigkeit und Notwendigkeit einer Anpassung ausgeliefert. Hierin liege ein Verstoß gegen das Transparenzgebot; danach sei der Verwender von AGB entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Schließlich stellte der BGH klar, dass die Unangemessenheit der Klausel nicht dadurch beseitigt und auch nicht gemildert werde, dass der VN den Vertrag nach der Satzungsbestimmung innerhalb von zwei Wochen kündigen könne. 49 Für unwirksam wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG a.F. erachtete der BGH eine Klausel in einem Wartungs- und Reparaturkostenversicherungsvertrag, die den Klauselverwender „bei Eintritt von Kostensteigerungen“ befugt, die Prämie zu erhöhen.91 Diese Klausel sei jedenfalls im nichtkaufmännischen Verkehr zu allgemein und unbestimmt gehalten.

50 c) Rechtsprechung des BGH zu Preisanpassungsklauseln in anderen Vertragstypen. Aufgrund der primären Zuständigkeit der Zivilgerichte für die Angemessenheitskontrolle nach § 307 BGB ist für die Beurteilung von Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen auch die umfangreiche Rechtsprechung zu Preisanpassungsklauseln in anderen Vertragstypen nicht außer Acht zu lassen.92 Im Rahmen der BGH-Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Preisanpassungsklauseln geht es im Wesentlichen um die Fragen, ob Preiserhöhungen nur zulässig sind, um den Preis den Erhöhungen der Gestehungskosten anzupassen und welche Anforderungen an die Bestimmtheit von Preiserhöhungsklauseln zu stellen sind. Die Frage, ob dem Vertragspartner ein Kündigungsrecht eingeräumt wird und wie dieses ausgestaltet sein muss, spielt für Versicherungsverträge keine Rolle mehr, da diese durch § 40 beantwortet wird. Auf die Frage, ob das Kündigungsrecht dazu führen kann, dass es auf weitere Zulässigkeitskriterien gar nicht mehr ankommt, wurde bereits eingegangen (oben Rn. 16). 51 Zur ersten Frage nach dem Anknüpfungspunkt (Bemessungsgrundlage) einer zulässigen Preiserhöhung hat der BGH bereits 198093 entschieden, dass Preiserhöhungsklauseln als Folge des Äquivalenzprinzips nicht der nachträglichen Gewinnsteigerung des Klauselverwenders dienen dürfen. Eine Klausel sei nach § 9 AGBG a.F. unwirksam, wenn sie zur Vornahme von Preiserhöhungen ausschließlich zu dem Zweck berechtigt, „den Gewinn zu erhöhen, selbst wenn eine Steigerung der Gestehungskosten … nicht eingetreten ist.“94 Auch in späteren Entscheidungen hat der 89 BGH 8.10.1997 – IV ZR 220/96, BGHZ 136 394 = VersR 1997 1517. 90 Kritisch Marlow FS Baumann, 209, 218. 91 BGH 16.3.1988 – IVa ZR 247/84, VersR 1988 1281, 1283 (juris Rn. 21); die gesamte Klausel war wie folgt formuliert: „Bei Eintritt von Kostensteigerungen ist die Fa. V berechtigt, die Monatspauschalen zu erhöhen. Sie ist verpflichtet, die Erhöhung einen Monat vorher bekannt zu geben. Beträgt die Erhöhung mehr als 20 % der bisherigen Monatspauschale, so ist der Kunde berechtigt, zum Ende des Vertragsjahres zu kündigen, in dem die Erhöhung angekündigt wird.“. 92 Beckmann VersR 1996 540, 542; Armbrüster RuS 2012 365, 368; Hübner FS Concordia, 57, 62; Überblicke hierzu finden sich etwa bei Beckmann Zulässigkeit S. 43 ff.; Marlow FS Baumann, 209, 211 ff. 93 BGH 11.6.1980 – VIII ZR 174/79, NJW 1980 2518 (erstes Zeitschriftenabonnement-Urteil); vgl. auch BGH 21.4.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180 257, 266 f. = VersR 2010 950, 952 Rn. 25. 94 BGH 11.6.1980 – VIII ZR 174/79, NJW 1980 2518, 2519 (juris Rn. 22). Beckmann

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C. Prämienanpassungsklauseln und AGB-Kontrolle

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BGH wiederholt zum Ausdruck gebracht, Preisanpassungsklauseln dürften nicht ermöglichen, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen.95 Im Schrifttum wurden auch gegenteilige Standpunkte geäußert, wonach sogenannte wettbewerbsorientierte Preiserhöhungsklauseln, die die Anpassung nicht an Kostensteigerungen, sondern an die Veränderungen am Markt angleichen, zulässig sein sollen.96 Die wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum97 ist der Rechtsprechung des BGH gefolgt und vertritt den Standpunkt, dass alleine eine Kostensteigerung auf Klauselverwenderseite Anlass für Preisanpassungen sein darf. Auch in Zusammenhang mit Gasbezugsverträgen hat der BGH in einer Reihe von Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, eine Preisanpassungsklausel müsse das Äquivalenzverhältnis wahren.98 Insgesamt lässt sich auch sagen, dass das vertragliche Äquivalenzprinzip das maßgebliche Gesetzesleitbild ist, an dem sich Prämienanpassungsklauseln zu orientieren haben; danach legen die Parteien das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung durch Vereinbarung fest und bringen damit ihre Vorstellung von der Gleichwertigkeit der von ihnen zu erbringenden Leistungen zum Ausdruck.99 Ermöglichen es Preisanpassungsklauseln dem Klauselverwender, Kostensteigerungen auf 52 den Kunden abzuwälzen und beschränkt sich eine Preiserhöhung demnach auf das Ausmaß zwischenzeitlicher Kostensteigerungen,100 so müssen umgekehrt auch Kostensenkungen in einer angemessenen Zeit an den Kunden weitergegeben werden.101 So hat der BGH in Entscheidungen zu Gaslieferungsverträgen102 sowie zum Bankenrecht103 deutlich gemacht, dass der Klauselverwender nicht nur zu Prämienerhöhungen berechtigt, sondern spiegelbildlich bei entsprechenden Veränderungen der externen Kosten zu einer Prämienherabsetzung verpflichtet ist. Andernfalls liegt ein Verstoß gegen das Symmetriegebot und damit wegen der Unausgewogenheit eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vor. Dies kann auch auf den Versicherungsvertrag übertragen werden.104 An die Bestimmtheit von Preisanpassungsklauseln hatte der BGH zunächst äußerst hohe 53 Anforderungen gestellt.105 Notwendig sei, dass der Käufer bereits bei Vertragsabschluss aus der Formulierung der Klausel erkennen könne, in welchem Umfang Preiserhöhungen auf ihn zukommen können, und dass er in der Lage sei, die Berechtigung vorgenommener Preiserhöhungen an der Ermächtigungsklausel zu messen.106 Dieses Zulässigkeitskriterium ist jedoch trotz dieser deutlichen Ausführungen problematisch. Der BGH schwankt hinsichtlich dieser Voraussetzung und 95 BGH 13.12.2006 – VIII ZR 25/06, NJW 2007 1054, 1055 Rn. 21; BGH 24.3.2010 – VIII ZR 178/08, BGHZ 185 96, 111 = NJW 2010 2789, 2792 Rn. 35 (jeweils zu Gasbelieferungsverträgen mit Verbraucher); OLG Stuttgart 27.3.2019 – 4 U 184/18, ZIP 2019 910, 912 f. (juris Rn. 164) (Zinsanpassungsklausel); vgl. bereits Armbrüster RuS 2012 365, 369. 96 Herrmann Jura 1988 505; Horn NJW 1985 1118, 1122; Lübke-Detring 78 ff.; Thomas AcP 209 (2009) 84, 101 ff. 97 Vgl. etwa Löwe BB 1982 152, 157; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann7 § 309 Nr. 1 Rn. 117; differenzierend Beckmann Zulässigkeit S. 82 ff. 98 BGH 28.10.2009 – VIII ZR 320/07, NJW 2010 993, 994 Rn. 25; BGH 13.10.2009 – VIII ZR 312/08, WuM 2010 436 f. Rn. 6; vgl. bereits Armbrüster RuS 2012 365, 367 f. 99 Armbrüster RuS 2012 365, 367 f. 100 Vgl. beispielsweise BGH 11.6.1980 – VIII ZR 174/79, NJW 1980 2518, 2519 (juris Rn. 22); und später wiederholt festgestellt: BGH 7.10.1981 – VIII ZR 229/80, BGHZ 82 21, 25 = NJW 1982 331, 332 (juris Rn. 14) (erstes Tagespreisklausel-Urteil); BGH 20.5.1985 – VII ZR 198/84, BGHZ 94 335, 338 f. = NJW 1985 2270 (juris Rn. 13); BGH 6.3.1986 – III ZR 195/84, BGHZ 97 212, 217 f. = NJW 1986 1803, 1804 (juris Rn. 28) (erstes Zinsanpassungsklausel-Urteil); BGH 21.9.2005 – VIII ZR 38/05, NJW-RR 2005 1717 (juris Rn. 18); BGH 13.12.2006 – VIII ZR 25/06, NJW 2007 1054, 1055 Rn. 21; BGH 11.10.2007 – III ZR 63/07, NJW-RR 2008 134, 135 Rn. 19; BGH 15.11.2007 – III ZR 247/06, NJW 2008 360, 361 Rn. 12. 101 BGH 6.3.1986 – III ZR 195/84, BGHZ 97 212, 217 = ZIP 1986 698, 700 (juris Rn. 26). 102 BGH 31.7.2013 – VIII ZR 162/09, BGHZ 198 111, 126 = NJW 2013 3647, 3650 (juris Rn. 39). 103 BGH 21.4.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180 257, 266 f. = VersR 2010 950, 952 (juris Rn. 25). 104 Langheid/Wandt/Staudinger2 § 40 Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 40; Armbrüster RuS 2012 365, 373. 105 BGH 11.6.1980 – VIII ZR 174/79, NJW 1980 2518, 2519 (juris Rn. 23); BGH 26.5.1986 – VIII ZR 218/85, NJW 1986 3134, 3135 (juris Rn. 19); BGH 16.3.1988 – IVa ZR 247/84, VersR 1988 1281, 1283 (juris Rn. 21). 106 BGH 11.6.1980 – VIII ZR 174/79, NJW 1980 2518, 2519 (juris Rn. 23). 555

Beckmann

§ 40 VVG

Kündigung bei Prämienerhöhung

erwähnt sie teils überhaupt nicht107 oder schränkt sie ein.108 In einem weiteren Urteil109 hat der BGH dem Klauselverwender darüber hinaus die Möglichkeit eingeräumt, eine an sich zu unbestimmte Klausel durch die Einräumung eines Kündigungs- oder Lösungsrechts auszugleichen. Andererseits hat der BGH110 diese sogenannte Heilungsfunktion des Lösungsrechts erst dann für möglich gehalten, wenn eine Konkretisierung der Preiserhöhungsfaktoren praktisch nicht mehr möglich ist oder zu komplizierten, nicht mehr nachvollziehbaren Klauselformulierungen führt. Aufgrund solcher Formulierungsschwierigkeiten im Hinblick auf die Konkretisierung wird insbesondere im Schrifttum vereinzelt vom strengen Bestimmtheitsgebot abgerückt.111 Zunehmend hat das Transparenzgebot als Zulässigkeitskriterium auch für Preisanpassungs54 klauseln an Bedeutung gewonnen.112 Auch schon vor der ausdrücklichen Normierung in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB hatte das Transparenzgebot in Rechtsprechung und Schrifttum einen wesentlichen Stellenwert im Rahmen der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle.113 Danach ist der Verwender von AGB verpflichtet, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen; abzustellen sei dabei nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners, auch nicht auf das Verständnis eines Fachmanns, insbesondere eines Juristen, der sich eingehend mit den betreffenden AGB beschäftigt hat. Maßgebend seien vielmehr die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden.114 In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass nach Ansicht des EuGH ein Kündigungsrecht keinen Ausgleich für eine intransparente Preisanpassungsklausel im Rahmen von Gaslieferungsverträgen mit Verbrauchern darstellt.115

55 d) Stellungnahme. Eine zentrale Frage im Hinblick auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen betrifft den Anknüpfungspunkt (Bemessungsgrundlage). Die Rechtsprechung des BGH zu Preisanpassungsklauseln außerhalb von Versicherungsverträgen stellt auf Kostensteigerungen seit Vertragsschluss ab (vgl. oben Rn. 51). In diese Richtung hat für das Versicherungsvertragsrecht das BVerwG in seiner DAS-Entscheidung auf die Entwicklung des Schadensbedarfs als zulässiges Kriterium abgestellt (oben Rn. 40). Dieses wird im Schrifttum gleichfalls als zulässige Bemessungsgrundlage angesehen116 und kann als gefestigter Standpunkt bezeichnet werden. Eine gesetzliche Rechtfertigung findet diese Bemessungsgrundlage zudem durch die Vorgaben in § 178g Abs. 2 VVG a.F., auch wenn der Reformgesetzgeber in § 203 Abs. 2 nicht mehr allein auf eine Veränderung des Schadensbedarfs abstellt, sondern auf eine Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage. Für ein unverändertes Abstellen auf eine Änderung des Schadensbedarfs spricht des Weiteren § 163 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, der den VR zu einer Prämienänderung berechtigt, wenn sich der Leistungsbedarf nicht nur vorübergehend ändert. Als Anknüpfungspunkt könnte auch auf andere bei Vertragsschluss nicht vorhersehbare

107 BGH 29.10.1985 – X ZR 12/85, NJW-RR 1986 211, 212 (juris Rn. 22). 108 BGH 6.3.1986 – III ZR 195/84, BGHZ 97 212, 217 f. (juris Rn. 28) wonach die Voraussetzungen einer Preiserhöhungsklausel je nach Vertragstyp unterschiedlich ausfallen können. 109 BGH 7.10.1981 – VIII ZR 229/80, BGHZ 82 21, 27 = NJW 1982 331, 332 (juris Rn. 17). 110 BGH 6.4.1989 – III ZR 281/87, NJW 1989 1796, 1797 (juris Rn. 24). 111 Bunte NJW 1985 600; Köndgen/König ZIP 1984 129, 134; Reuter DB 1981 71, 72; Schwarz NJW 1987 626, 627. 112 BGH 24.11.1988 – III ZR 188/87, BGHZ 106 42, 49 = VersR 1989 82, 84 = NJW 1989 222, 224 (juris Rn. 26 ff.); BGH 19.11.2002 – X ZR 253/01, NJW 2003 746, 747 (juris Rn. 16 ff.). 113 Lorenz/Riehm Rn. 108 m.w.N. 114 BGH 24.11.1988 – III ZR 188/87, BGHZ 106 42, 49 = VersR 1989 82, 83 f. = NJW 1989 222, 224 (juris Rn. 26 ff.). 115 EuGH 21.3.2013 – C-92/11, NJW 2013 2253, 2255 Rn. 51; BeckOGK-BGB/Zschieschack (Stand: 1.9.2021) § 307 BGB Preisanpassungsklausel Rn. 45. 116 Beckmann VersR 1996 540, 544 f.; ders. Zulässigkeit S. 136; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 8; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 6; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 41, 43; Armbrüster RuS 2012 365, 369; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 29; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Feuerversicherung Anm. F 6. Beckmann

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C. Prämienanpassungsklauseln und AGB-Kontrolle

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Kostensteigerungen (z.B. Verwaltungskosten) abgestellt werden;117 im Vergleich zur Veränderung des Schadensbedarfs dürfte einem solchen Anknüpfungspunkt aber keine allzu große Bedeutung zukommen. Nicht vollständig einheitlich ist die Rechtsprechung des BGH und des BVerwG im Hinblick 56 auf die Gewinnmaximierung. Während die BGH-Rechtsprechung ein Gewinnerzielungsverbot ausspricht (oben Rn. 51), sah das BVerwG in der Bruttobezogenheit der Prämienerhöhung, die faktisch eine Gewinnerhöhung mit sich bringen kann, keine Probleme. Indes hat es das BVerwG für die Zulässigkeit der Erhöhung der Bruttoprämie als wesentlichen Umstand angesehen, dass der erhöhte Beitrag den zum Zeitpunkt der Tariferhöhung geltenden Beitrag nicht übersteigt.118 Sowohl § 163 als auch § 203 geben für die dort geregelten Versicherungszweige zu dieser Frage keine ausdrückliche Auskunft. Andererseits enthalten diese Vorschriften auch keine ausdrücklichen Verbote.119 Für die Zulässigkeit der Bruttobezogenheit von Prämienerhöhungen spricht auch, dass für die Inhaltskontrolle von Preisklauseln immer eine vertragstypengerechte Untersuchung angezeigt ist. Die Prämienberechnung im Rahmen von Versicherungsverträgen ist ungleich schwieriger als die Preiskalkulation in anderen Wirtschaftszweigen.120 In anderen Vertragstypen ist eine genauere Berechnung der konkret gestiegenen Kosten möglich. Da es schwierig ist, eine geeignete Bezugsgröße für die Berechnung von Prämienerhöhungen zu finden, rechtfertigt es sich bereits aus diesem Grund, die Bruttobezogenheit der Prämienanpassungsklausel als angemessen zu erachten.121 Auch die Anforderungen an das Konkretisierungsgebot (bzw. Bestimmtheitsgebot) sind 57 problematisch. Während in den Entscheidungen (des BVerwG und auch des BGH) zu Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen – soweit ersichtlich – bisher auf ein Konkretisierungsgebot praktisch nicht eingegangen wird,122 hat der BGH in Entscheidungen zu Preisanpassungsklauseln außerhalb von Versicherungsverträgen wiederholt auf eine erforderliche Bestimmtheit solcher Klauseln abgestellt; allerdings hat der BGH zu diesem Aspekt nicht immer einen einheitlichen Standpunkt vertreten (oben Rn. 50 ff.). Nichtsdestotrotz hat das Bestimmtheitsgebot im Rahmen von Prämienanpassungsklauseln einen hohen Stellenwert. Die Bestimmtheit bindet den VR und steht ungerechtfertigten Spielräumen entgegen.123 Deshalb muss eine Prämienanpassungsklausel so bestimmt sein, dass Prämienanpassungen nach Belieben des VR ausgeschlossen sind.124 Des Weiteren ist erforderlich, dass die Preiserhöhung an der Kostenentwicklung des Verwenders ausgerichtet ist, die Ermittlung der Prämienanpassung im Voraus absehbar ist und die die Anpassung auslösenden Kostenfaktoren in der Klausel angegeben sind.125 Deshalb ist zu Recht ein nicht näher konkretisierter Hinweis auf den „Eintritt von Kostensteige-

117 Beckmann VersR 1996 540; betr. Verwaltungskosten ebenso Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 32; Bruck/ Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Feuerversicherung Anm. F 6; Armbrüster RuS 2012 365, 369; Langheid/Wandt/ Staudinger2 § 40 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowksi/Karczewski4 § 40 Rn. 8. 118 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 226 (juris Rn. 168); vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 13. 119 Beckmann VersR 1996 540, 545; dagegen Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 24. 120 Beckmann Zulässigkeit S. 139; vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 9, der auch darauf hinweist, dass das BVerwG die Bruttobezogenheit nur unter einschränkenden Voraussetzungen für zulässig erachtet hat (Geringfügigkeitsgrenze; Änderung erst nach dem ersten Versicherungsjahr; kein Übersteigen des zur Zeit der Erhöhung geltenden Tarifbeitrages). 121 Beckmann Zulässigkeit S. 139; Römer/Langheid/Langheid2 § 31 Rn. 23; a.A. Armbrüster RuS 2012 365, 370 f.; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 37; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 9; Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 34. 122 Lediglich in seiner Entscheidung vom 16.3.1988 (VersR 1988 1281) stellt der BGH auf die Unbestimmtheit einer Klausel ab (vgl. oben Rn. 49). 123 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 129. 124 Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 33 m.w.N. 125 So bereits Beckmann Zulässigkeit S. 141. 557

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§ 40 VVG

Kündigung bei Prämienerhöhung

rungen“ als unzulässig angesehen worden.126 Indes besteht gerade bei Prämienanpassungsklauseln in Versicherungsverträgen die Gefahr, dass eine Klauselfassung zu kompliziert oder sogar nicht mehr möglich wird. In diesen Fällen kann ein allzu strenges Bestimmtheitsgebot nicht mehr gefordert werden.127 Gleichwohl tendiert die Rechtsprechung zu Recht dahin, dem Vertragspartner bzw. auch dem Gericht eine Überprüfbarkeit und Angemessenheitskontrolle der jeweiligen Preis- bzw. Prämienerhöhung zu ermöglichen.128 Auch zeigt die vom BVerwG als zulässig bewertete Klausel (oben Rn. 39), dass auf Seiten des VR nichts Unmögliches verlangt wird (zum Transparenzgebot noch Rn. 59). 58 Da sich die Anpassung an einem zulässigen Veränderungskriterium orientieren muss (insbesondere an Veränderungen des Schadensaufwands, vgl. oben Rn. 40), ist es grundsätzlich nicht erforderlich, eine Höchstgrenze für mögliche Prämienerhöhungen als Zulässigkeitsvoraussetzung aufzustellen.129 Indes hat es das BVerwG für die Zulässigkeit der Erhöhung der Bruttoprämie als wesentlichen Umstand angesehen, dass der erhöhte Beitrag den zum Zeitpunkt der Tariferhöhung geltenden Beitrag nicht übersteigt.130 Vor diesem Hintergrund wird im Schrifttum die Frage diskutiert, ob die Erhöhung durch die Höhe des Beitragssatzes für Neuabschlüsse begrenzt sein muss.131 Gleiches gilt auch für die Frage, ob die Anpassungsklausel das Überschreiten einer Geringfügigkeitsgrenze (Erheblichkeitsschwelle) als Zulässigkeitsvoraussetzung beinhalten muss. Das BVerwG hatte dieses Kriterium in der DAS-Entscheidung nicht ausdrücklich als Voraussetzung für die Zulässigkeit für erforderlich gehalten, allerdings die Existenz der Geringfügigkeitsgrenze in der zu überprüfenden Prämienanpassungsklausel als Argument für die Angemessenheit mit einbezogen.132 Indes besteht hierfür weder aus Sicht des VR noch aus Sicht des VN ein besonderes Interesse.133 Insbesondere für den VN ist es nicht von Vorteil, wenn der VR nur Prämienerhöhungen z.B. von über 5 % vornimmt; im Übrigen „droht“ dem VR auch bei geringfügigen Prämienerhöhungen eine Kündigung durch den VN. Schließlich besteht für den VR die Möglichkeit, auf die Änderungen des Schadensbedarfs mehrerer Jahre abzustellen, wenn diese Bezugsgröße in der Klausel zugrunde gelegt wird. 59 Da – wie gesagt – die erforderliche Bestimmtheit einer Prämienanpassungsklausel (oben Rn. 53) die Gefahr in sich birgt, dass die Klausel zu kompliziert und nicht verständlich wird, stellt sich die Frage nach den Anforderungen an das Transparenzgebot. Gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Bestimmtheitsgebot und Transparenzgebot stellen inhaltsnahe Anforderungen auf; gleichwohl lässt sich zwischen beiden Anforderungen differenzieren: Das Bestimmtheitsgebot setzt eine Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen und der Rechtsfolgen der Anpassungsklausel voraus; das Transparenzgebot verlangt Klarheit und Verständlichkeit der AGB.134 Diskutiert und wohl nicht endgültig geklärt ist das Rangverhältnis von Bestimmtheitsgebot und Transparenzgebot. Vielfach wird im Konfliktfall der Bestimmtheit der Anpassungsklausel gegenüber der Verständlichkeit für den VN letzt126 BGH 16.3.1988 – IVa ZR 247/84, VersR 1988 1281, 1283 (juris Rn. 21); ebenso Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 33. 127 Armbrüster RuS 2012 365, 377. 128 Beckmann VersR 1996 540, 545. 129 Beckmann Zulässigkeit S. 141; BGH 26.3.1997 – IV ZR 71/96, VersR 1997 685, 686 (juris Rn. 26 f.); Armbrüster RuS 2012 365, 372: Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 39. 130 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 226 (juris Rn. 168); vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 13. 131 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 5; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 39; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8 Bd. III Feuerversicherung Anm. F 6. 132 BVerwG 14.10.1980 – 1 A 12.78, VersR 1981 221, 226 (juris Rn. 170). 133 Beckmann Zulässigkeit S. 140; umfassend Armbrüster RuS 2012 365, 371; a.A. Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 38; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 12. 134 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 129 f.; ders. Änderungsklauseln Rn. 84, 89; Armbrüster RuS 2012 365, 367. Beckmann

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C. Prämienanpassungsklauseln und AGB-Kontrolle

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lich der Vorrang eingeräumt.135 Beide Grundsätze haben ihre Gründe und Berechtigung, so dass man dies in dieser Stringenz vielleicht nicht feststellen kann. Jedenfalls kann das Transparenzgebot durch einen solchen Vorrang nicht verdrängt werden. Als Mindestvoraussetzung muss für den Vertragspartner des Klauselverwenders erkennbar und nachvollziehbar bleiben, auf welcher Grundlage die Forderung nach einem erhöhten Entgelt erhoben wird.136 In §§ 163 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 203 Abs. 2 Satz 1 ist die Bestellung eines unabhängigen Treu- 60 händers vorgesehen, der die Berechnungsgrundlagen und das Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen, einschließlich der Angemessenheit, überprüfen und bestätigen muss. Die umstrittene Frage, ob diese Verpflichtung auch für andere Versicherungszweige als die Kranken-, Lebens- und nach § 176 die Berufsunfähigkeitsversicherung gilt, ist zu bejahen.137 Den §§ 163, 203 kommt insoweit eine Leitbildfunktion zu.138 Schon vor Einführung der Mitwirkung eines unabhängigen Treuhänders bei den genannten Versicherungszweigen hatte das BVerwG im DAS-Urteil eine Klausel für zulässig erachtet, die die Mitwirkung eines unabhängigen Treuhänders vorsieht (vgl. oben Rn. 44). Für die generelle Pflicht zur Einschaltung eines Treuhänders spricht auch, dass sich Anpassungsklauseln kaum so abfassen lassen, dass dem VR keinerlei Beurteilungsspielräume verbleiben. Diese bestehen insbesondere bei der Wiederherstellung des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung unter Berücksichtigung der versicherungsmathematischen und -technischen Grundsätze.139 Der durchschnittliche VN verfügt aber nicht über die Fähigkeiten, die rechtlichen sowie versicherungsmathematischen und -technischen Voraussetzungen einer Anpassung überprüfen zu können. Auch die Möglichkeit des VN, eine Anpassung gerichtlich überprüfen zu lassen, ist kein durchschlagendes Argument gegen das Erfordernis eines Treuhänders, denn der VN trägt dann ein regelmäßig schwer einschätzbares Prozesskostenrisiko.140

3. Verwendung gegenüber Unternehmern Gem. § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB finden u.a. die §§ 308 Nr. 1, 2 bis 8 und 309 BGB keine Anwendung 61 auf AGB, die gegenüber einem Unternehmer, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen verwendet werden. Die Inhaltskontrolle erfolgt über die Generalklausel gem. § 307 BGB. Gem. § 310 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. BGB ist auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche angemessen Rücksicht zu nehmen. Vor diesem Hintergrund werden insbesondere Preisanpassungsklauseln, die gegenüber Unternehmern verwendet werden, an anderen Kriterien gemessen als solche, die gegenüber nichtunternehmerischen Vertragspartnern verwendet werden.141 Die für den unternehmerischen Bereich aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen weisen deutlich geringere Voraussetzungen auf. Im Hinblick auf das Versicherungsvertragsrecht könnte man dies deshalb anders beurteilen, da das VVG selbst nicht differenziert, ob der VN Unternehmer ist oder nicht. Insbesondere gelten die Vorschriften, die nicht zum Nachteil des VN verändert werden können, vorbehaltlich des § 210, für alle VN. Deshalb könnte man annehmen, dass nicht nur § 40, sondern auch die AGB-rechtli135 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 129 f.; ders. Änderungsklauseln Rn. 91; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 32; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 40 Rn. 5. 136 BGH 19.11.2002 – X ZR 253/01, NJW 2003 746, 747 f. (juris Rn. 18); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 7. 137 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 45; Beckmann VersR 1996 540, 544; Wandt 57; a.A. Berliner Kommentar/Harrer § 31 Rn. 35; Armbrüster RuS 2012 365, 376 f., der allerdings eine Aufnahme in die Klausel für sinnvoll hält. 138 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 121; Präve in: Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke (Stand: Oktober 2020), Allgemeine Versicherungsbedingungen Rn. 104. 139 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 121. 140 Beckmann/Matusche-Beckmann/Wandt3 § 11 Rn. 121; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 45; a.A. Armbrüster RuS 2012 365, 376, der aber die Aufnahme in die Klausel jedenfalls für sinnvoll hält. 141 Beckmann Zulässigkeit S. 100; BGH 27.9.1984 – X ZR 12/84, BGHZ 92 200, 205 f.= NJW 1985 426, 427 (juris Rn. 24); BGH 16.1.1985 – VIII ZR 153/83, BGHZ 93 252, 260= NJW 1985 853, 854 f. (juris Rn. 19). 559

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chen Zulässigkeitskriterien uneingeschränkt für alle VN gelten, unabhängig von ihrer Unternehmereigenschaft. Soweit ersichtlich hat die Rechtsprechung diese Frage im Hinblick auf Prämienanpassungsklauseln ausdrücklich noch nicht berücksichtigt. In einzelnen Entscheidungen des BGH bezieht sich z.B. aber der Klageantrag des jeweils klagenden Verbraucherschutzvereins lediglich auf die Unterlassung der streitgegenständlichen Klausel außerhalb des kaufmännischen bzw. unternehmerischen Rechtsverkehrs.142 Auch die meisten Stellungnahmen im Schrifttum zur Zulässigkeit von Prämienanpassungsklauseln greifen diese Differenzierung nicht auf. Da es sich bei der Zulässigkeit solcher Klauseln – abgesehen von § 40 – primär um eine AGBrechtliche Frage handelt, spricht Einiges dafür, bei Verwendung gegenüber Unternehmern andere, moderatere Kriterien für die Zulässigkeitsfrage heranzuziehen.143

VI. Rechtsfolgen unwirksamer Prämienanpassungsklauseln 1. Auswirkungen auf den Versicherungsvertrag 62 Eine Prämienanpassungsklausel, die der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht standhält, ist unwirksam (vgl. dazu aber noch sogleich Rn. 63).144 Eine geltungserhaltende Reduktion ist nach allgemeinen AGB-rechtlichen Grundsätzen unzulässig.145 Dem VR ist es dann also nicht möglich, die Prämie nachträglich zu erhöhen. Gem. § 306 Abs. 1 BGB bleibt der Vertrag bei Unwirksamkeit einer AGB im Übrigen grundsätzlich bestehen. Gem. § 306 Abs. 2 BGB treten an die Stelle der unwirksamen Klausel die gesetzlichen Vorschriften. Der VR ist damit auf allgemeine – wenngleich aufwändige – Anpassungsmechanismen bzw. auf die Kündigung des Versicherungsverhältnisses angewiesen.146 Lediglich für den Fall, dass ein Festhalten am Vertrag auch unter Berücksichtigung der nach § 306 Abs. 2 BGB vorgesehenen Änderungen für eine Vertragspartei eine unzumutbare Härte darstellen würde, bestimmt § 306 Abs. 3 BGB seine Unwirksamkeit. 63 Geht man im Falle einer gegen das AGB-Recht verstoßenden Prämienanpassungsklausel von einer grundsätzlichen Unwirksamkeit aus (oben Rn. 62), so folgt hieraus, dass eine Anpassung aufgrund einer unangemessenen Prämienanpassungsklausel keine rechtlichen Folgen nach sich ziehen würde. Der Vertrag bliebe unter dem bisherigen Inhalt unangetastet. Fraglich ist aber, ob dem VN im Falle einer Anpassung aufgrund einer unzulässigen Prämienanpassungsklausel gleichwohl ein Kündigungsrecht zusteht. Auf der Grundlage einer (Gesamt-)Unwirksamkeit der Klausel müsste man ein Kündigungsrecht verneinen. Gleichwohl geht die h.M. – wie schon an anderer Stelle erläutert (oben Rn. 16) – von einem Kündigungsrecht des VN aus, auch wenn die Prämienanpassung als solche unwirksam ist. Dem ist schon deshalb zuzustimmen, da der VN schon angesichts der Komplexität der AGB-rechtlichen Prüfung einer Anpassungsklausel nicht ohne Weiteres weiß, ob diese wirksam erfolgt ist oder nicht. Dieses Ergebnis lässt sich zudem mit der hier vertretenen personalen Teilunwirksamkeit von AGB, die gegen das AGB-Recht verstoßen, begründen.147 64 Stellt sich die Unwirksamkeit der Erhöhung nach der Kündigung heraus – sei es weil die Anpassungsklausel unwirksam ist, sei es weil die Prämienerhöhung aus anderen Gründen unwirksam ist – ist der VR nach §§ 280 Abs. 1, 249 BGB verpflichtet, die Kündigungsfolgen rück142 BGH 26.3.1997 – IV ZR 71/96, VersR 1997 685; BGH 17.3.1999 – IV ZR 218/97, BGHZ 141 153 = VersR 1999 697 (betr. Bedingungsanpassungsklausel); BGH 11.6.1980 – VIII ZR 174/79, NJW 1980 2518.

143 Zu den von der Rechtsprechung zu Preisanpassungsklauseln außerhalb des Versicherungsvertragsrechts aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen Beckmann Zulässigkeit S. 51 f.; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann7 § 309 Nr. 1 Rn. 160 ff. 144 BerlinerKommentar/Harrer § 31 Rn. 36; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 46. 145 BGH 16.5.1990 – IV ZR 137/89, BGHZ 111 278, 279 = VersR 1990 896 (juris Rn. 13). 146 Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 46. 147 Dazu Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C Rn. 392, dort m.w.N. Beckmann

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D. Darlegungs- und Beweislast

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gängig zu machen und den VN rückwirkend so zu stellen, als ob der Vertrag mit der bisherigen Prämie fortgesetzt worden wäre.148

2. Sonstige Rechtsfolgen Neben den zuvor angesprochenen Rechtsfolgen im Hinblick auf den konkreten Versicherungs- 65 vertrag kommen wegen Verstoßes einer Preisanpassungsklausel gegen das AGB-Recht weitere allgemeine Rechtsfolgen in Betracht: Zum einen gelangt das praxisrelevante Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) zur Anwendung. Unter dem Aspekt des Verschuldens bei Vertragsschluss gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ist auch ein Schadensersatzanspruch gegen den Verwender denkbar.149 Des Weiteren kann das Aufsichtsrecht berührt sein. Die Verwendung einer gegen das AGB-Recht verstoßenden AVB kann einen Missstand i.S.d. § 298 Abs. 1 VAG darstellen, so dass die Aufsichtsbehörde die entsprechenden behördlichen Maßnahmen ergreifen kann.150

VII. Abdingbarkeit Von § 40 kann wegen § 42 nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. § 40 ist damit halbzwin- 66 gend. Auf Großrisiken gem. § 210 Abs. 2 und auf laufende Versicherungen sind die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG – und damit auch § 42 – indes nicht anzuwenden.151

D. Darlegungs- und Beweislast Für § 40 gelten hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislastverteilung die allgemeinen zivil- 67 rechtlichen Grundsätze, wonach jede Partei diejenigen für sie günstigen Tatsachen darzulegen und unter Umständen zu beweisen hat, auf welche sie sich beruft. Macht der VR eine Prämienanpassung geltend, so hat er das Vorliegen der Voraussetzungen der zugrunde liegenden Anpassungsklausel darzulegen und ggf. zu beweisen. Gleiches gilt für den Zugang der nach Abs. 1 Satz 2 erforderlichen Mitteilung beim VN.152 Umgekehrt hat der VN den Zugang seiner Kündigung beim VR darzulegen und im Falle des Bestreitens durch den VR zu beweisen. Die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Einbeziehung der Anpassungsklausel in den Vertrag obliegt dem VR. Hingegen trägt der VN die Darlegungs- und Beweislast, sofern er sich auf eine gem. § 305b BGB vorrangige Individualvereinbarung beruft.153 Die Inhaltskontrolle einer Prämienanpassungsklausel ist i.d.R. als Rechtsfrage anzusehen. Soweit es im Rahmen der Inhaltskontrolle allerdings auf Tatsachen ankommt, trägt grundsätzlich derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der die Unwirksamkeit der Klausel geltend macht.154 Sind nach dem ggf. bewiesenen Vortrag des VN die Voraussetzungen eines der Regelbeispiele des § 307 Abs. 2 BGB erfüllt, so ist es wiederum Sache des Klauselverwenders, die aus der Verwirklichung der Regelbeispiele folgende Vermutung einer unangemessenen Benachteiligung zu entkräften.155 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 40 Rn. 8.1; Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 15. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vor § 307 Rn. 104. Vgl. im Übrigen zu den Rechtsfolgen unwirksamer AVB Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C Rn. 387 ff. Vgl. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 115. AG Charlottenburg 2.10.2012 – 235 C 158/12, RuS 2013 12 (juris Rn. 16). Prölss/Martin/Reiff31 § 40 Rn. 47; allgemein Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher/Hau7 § 305b Rn. 49 m.w.N. BGH 6.12.2002 – V ZR 220/02, BGHZ 153 148, 155 f. = NJW 2003 1313, 1315 (juris Rn. 11); BGH 21.11.1995 – XI ZR 255/94, NJW 1996 388, 389 (juris Rn. 19). 155 BGH 20.6.1984 – VIII ZR 137/83, NJW 1985 914, 916 (juris Rn. 28); Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs12 Vor § 307 Rn. 109.

148 149 150 151 152 153 154

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§ 41 Herabsetzung der Prämie 1

Ist wegen bestimmter gefahrerhöhender Umstände eine höhere Prämie vereinbart und sind diese Umstände nach Antragstellung des Versicherungsnehmers oder nach Vertragsschluss weggefallen oder bedeutungslos geworden, kann der Versicherungsnehmer verlangen, dass die Prämie ab Zugang des Verlangens beim Versicherer angemessen herabgesetzt wird. 2Dies gilt auch, wenn die Bemessung der höheren Prämie durch unrichtige, auf einem Irrtum des Versicherungsnehmers beruhende Angaben über einen solchen Umstand veranlasst worden ist.

Schrifttum Brockmann Risiko- und Prämienänderung in der Unfallzusatzversicherung, VersR 1988 890; Ganster Die Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008) (zit.: Ganster Prämienzahlung); Schmidt-Tüngler Beitragsänderung bei höherer Gefahr und Gefahrminderung, ZVersWiss 1942 140; vgl. im Übrigen Schrifttum bei § 33.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte und Übergangsvorschrif1 ten 3

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand

I.

Wegfall oder Bedeutungslosigkeit von Gefahrum6 ständen, Satz 1

5

6

II.

Irrtümliche Falschanzeige von Gefahrumstän11 den, Satz 2

III.

Abgrenzung

C.

Rechtsfolgen

D.

Abdingbarkeit/AVB

E.

Prozessuales

12 13 18

20

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte und Übergangsvorschriften 1 Die Vorgängervorschrift des § 41a a.F. wurde durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939 (RGBl. I 2443) als Gegenstück zu der in § 41 a.F. geregelten Prämienerhöhung in das VVG eingeführt. Als Vorbild dienten dem damaligen deutschen Gesetzgeber die Vorschriften § 31 ÖVVG 1917 (ÖRGBl. 501) bzw. § 31 ÖVVG 1915 (ÖRGBl. 343).1 Seit ihrer Einführung bis zur VVG-Reform 2008 hat die ursprüngliche Vorschrift keinerlei Änderungen erfahren. Im VVG 2008 weicht § 41 lediglich in einem Punkt von seiner Vorgängervorschrift ab: Bisher konnte der VN entsprechend dem in § 40 a.F. geregelten Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie eine angemessene Herabsetzung der Prämie wegen des Wegfalls eines gefahrerhöhenden Umstandes erst für die künftige Versicherungsperiode verlangen. Nachdem dieser Grundsatz mit der VVG-Reform 2008 im § 39 aufgegeben wurde, gibt nun auch § 41 dem VN die Möglichkeit, die Herabsetzung der Prämie bereits ab Zugang des Verlangens geltend zu machen. Die sonstigen Änderungen des § 41 sind redaktioneller Natur. Der frühere 1 Amtliche Begründung zur Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939 S. 11 zu Nr. 19; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 41a ÖVVG Rn. 1. Beckmann https://doi.org/10.1515/9783110522624-024

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B. Tatbestand

VVG § 41

Absatz 2 wurde wegen des engen Sachzusammenhangs mit Satz 1 direkt hinter diesen als Satz 2 angefügt.2 Für das Inkrafttreten der Vorschrift bzw. für den Übergang zwischen dem früheren VVG 2 und dem Recht nach der VVG-Reform gelten die allgemeinen Regeln über das Inkrafttreten, insbesondere Art. 12 VVG RefG.

II. Inhalt und Zweck der Regelung § 41 gibt dem VN die Möglichkeit, eine angemessene Herabsetzung der Prämie zu verlangen, 3 wenn gefahrerhöhende Umstände, die bei dem Vertrag zur Vereinbarung einer höheren als der normalen Prämie geführt haben, nach Stellung des Antrags wegfallen oder bedeutungslos werden. Das Gleiche gilt, wenn die Bemessung der höheren Prämie durch unrichtige, auf einem Irrtum des VN beruhende Angaben erfolgt ist. § 41 gewährt also dem VN einen angemessenen Ausgleich für die Fälle, in denen das versicherte Risiko nicht mehr der vom VN zu zahlenden Prämie entspricht.3 In diesen Fällen soll die vereinbarte Prämie an das „tatsächlich existente Risiko“4 angepasst werden. § 41a a.F. stellte nach herrschender Meinung5 zum alten VVG eine Sonderregelung für einen 4 bestimmten Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dar, neben dem die allgemeinen Grundsätze keine Anwendung finden.6

III. Anwendungsbereich Im alten VVG war § 41a a.F. generell nicht anwendbar für die Lebensversicherung, § 164a a.F. 5 Seit der VVG-Reform 2008 erklärt § 158 Abs. 3 die Vorschrift des § 41 mit der Maßgabe für anwendbar, dass eine Herabsetzung der Prämie nur wegen solcher Minderung der Gefahrumstände verlangt werden kann, die nach ausdrücklicher Vereinbarung als Gefahrminderung angesehen werden soll. In der Krankenversicherung ist § 41 uneingeschränkt anwendbar, was sich aus dem Umkehrschluss aus § 194 herleiten lässt.7

B. Tatbestand I. Wegfall oder Bedeutungslosigkeit von Gefahrumständen, Satz 1 Damit eine Herabsetzung der Prämie möglich ist, muss ein ungünstiger, die Gefahr erhöhender 6 Umstand wegfallen.8 Dies ist nur dann der Fall, „wenn bei Vertragsschluss für die nunmehr weggefallenen Risiken – sei es auch nur intern – ein Zuschlag berechnet oder wenn der VN oder der versicherte Gegenstand in eine höhere Tarifklasse als für Risiken dieser Gattung üblich eingereiht worden ist“.9 Nach einer Entscheidung des LG Berlin kann Maßstab für die Beurtei2 3 4 5

RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 41 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 41 Rn. 1. Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 2. BGH 5.2.1981 – IVa ZR 42/80, VersR 1981 621, 622 (juris Rn. 16); Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 2; Prölss/ Martin/Reiff31 § 41 Rn. 1; Römer/Langheid/Römer2 § 41a Rn. 1. 6 Palandt/Grüneberg80 § 313 Rn. 16; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 41 Rn. 1; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 41a ÖVVG Rn. 2. 7 BGH 15.7.2015 – IV ZR 70/15, VersR 2015 1012, 1015 Rn. 22; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 2. 8 Bruck/Möller/Möller8 § 41a Anm. 5. 9 Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 4. 563

Beckmann

§ 41 VVG

Herabsetzung der Prämie

lung, ob gefahrerhöhende Umstände weggefallen oder bedeutungslos geworden sind, nur die der vorangehenden Prämienerhöhung zugrunde liegende subjektive Risikoeinschätzung des VR gem. § 19 Abs. 1 sein.10 Dies entspricht dem Maßstab zur Einordnung einer Gefahrerhöhung gem. § 23. So spricht die Rechtsprechung von einer Gefahrerhöhung, wenn nachträglich eine Gefahrenlage eingetreten ist, bei welcher der VR den in Frage stehenden VersVertrag entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht zu der vereinbarten Prämie abgeschlossen hätte.11 Diese Feststellung ist stets durch eine Gesamtschau zu ermitteln und eine isolierte Betrachtungsweise ist nicht gestattet. Es ist nämlich durchaus vorstellbar, dass zwar ein konkreter gefahrerhöhender Umstand wegfällt, gleichzeitig aber ein anderer auftritt. In diesem Fall liegt eine sogenannte Gefahrkompensation vor, bei der von einer Gefahrminderung nicht mehr gesprochen werden kann.12 Eine Gefahrminderung ist also nur gegeben, wenn im Zeitpunkt des Verlangens des VN eine Sachlage gegeben ist, aufgrund derer der VR eine niedrigere als die ursprünglich vereinbarte Prämie berechnen würde. Die Gefahrminderung kann allerdings nur dann zu einer Prämienänderung führen, wenn sie dauerhaft ist.13 Verringert sich das Risiko nur für kurze Zeit gegenüber demjenigen, das bei Vertragsschluss angenommen wurde, greift § 41 demzufolge nicht ein. Beruhen die Prämienzuschläge auf prognostischen Erwägungen und besteht das Risiko von Folgebeschwerden, lassen beschwerde- oder behandlungsfreie Zeiten allein die Risikoerheblichkeit noch nicht entfallen.14 § 41 kann von dem VN auch dann geltend gemacht werden, wenn er die Gefahrminderung 7 willentlich herbeigeführt hat.15 Weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus der Begründung der Verordnung vom 19.12.1939 ergibt sich, dass es sich bei der Gefahrminderung um eine nicht vom VN herbeigeführte Gefahrminderung handeln muss. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, das durch die Gefahrminderung gestörte Gleichgewicht zwischen Risiko und Prämie wiederherzustellen. Dafür spielt es aber keine Rolle, ob die Gefahrminderung ohne Zutun des VN eingetreten ist oder vom VN herbeigeführt wurde.16 Dem Wegfall eines gefahrerhöhenden Umstands steht der Fall gleich, dass dieser „bedeu8 tungslos“ wird. In dieser Variante bleibt der Gefahrumstand zwar bestehen, wird aber so vermindert, dass die höhere Prämie jedenfalls in dem vereinbarten Umfang unangemessen wird.17 Weitere Voraussetzung für den Eintritt der Prämienminderung ist, dass der gefahrerhöhen9 de Umstand dem VR bei Abgabe seiner Willenserklärung zur Prämienhöhe bekannt war,18 denn nur dann kann die erhöhte Prämie gerade auf diesem Umstand beruhen. § 41 bezieht daher für die Möglichkeit des Wegfalls eines Gefahrumstands auch den Zeitraum zwischen Antragstellung und Annahme des Antrags durch den VR mit ein. Es könnte nämlich zu dem Fall kommen, dass der VN dem VR bei Antragstellung den gefahrerhöhenden Umstand anzeigt und dieser dann das Angebot angenommen hat, bevor er von dem zwischenzeitlichen Wegfall des Umstandes Kenntnis erlangt.19 10 LG Berlin 17.4.2013 – 23 O 261/11, VersR 2014 97, 98 (juris Rn. 26); BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 6.

11 BGH 20.6.2012 – IV ZR 150/11, VersR 2012 1300, 1301 Rn. 11; BGH 16.6.2010 – IV ZR 229/09, BGHZ 186 42, 45 = VersR 2010 1032 Rn. 16; vgl. auch Bruck/Möller/Matusche-Beckmann10 § 23 Rn. 6. 12 OLG Karlsruhe 31.3.2011 – 12 U 164/10, VersR 2011 788 (juris Rn. 25); Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 7; BeckOKVVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 41 Rn. 2; Fenyves/Perner/Riedler/Riedler8 § 41a ÖVVG Rn. 4; vgl. auch Looschelder/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 41 Rn. 5. 13 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 41 Rn. 2; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/ Stagl/Brand3 § 41 Rn. 5. 14 LG Berlin 17.4.2013 – 23 O 261/11, VersR 2014 97; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Karczewski4 § 41 Rn. 2. 15 Brockmann VersR 1988 890, 893. 16 Brockmann VersR 1988 890, 893. 17 Bruck/Möller/Möller8 § 41a Anm. 5. 18 Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 6. 19 Bruck/Möller/Möller8 § 41a Anm. 6. Beckmann

564

B. Tatbestand

VVG § 41

Es ist für die Herabsetzung der Prämie nicht erforderlich, dass die konkreten Umstände, die 10 zu einer Erhöhung der Prämie geführt haben, im Versicherungsschein genannt sind oder dem VN die Prämienkalkulation des VR offengelegt worden ist.20 Erforderlich ist aber, dass der Vereinbarung der Erhöhung der Prämie eine „spezifizierende Prämienkalkulation“21 und nicht nur eine allgemeine Vorstellung des versicherten Risikos zugrunde liegt. Dabei können nur Gefahrumstände und nicht auch reine Gefahrindizien zur Prämienerhöhung führen. Gefahrindizien sind solche, die für die Bewertung einer Gefahr nur mittelbar eine Rolle spielen, beispielsweise die Ablehnung anderer Versicherungsanträge. Gefahrumstände dagegen sind Tatsachen, die für die Einschätzung der Gefahr unmittelbar erheblich sind,22 beispielsweise der Beruf des VN in der Berufsunfähigkeitsversicherung.

II. Irrtümliche Falschanzeige von Gefahrumständen, Satz 2 Voraussetzung von § 41 Satz 2 ist, dass der VN irrtümlich falsche Angaben über einen Gefahrum- 11 stand gemacht hat, welche dann wiederum Grund für die Vereinbarung einer erhöhten Prämie waren. Auch bei dieser Variante muss es sich um eine falsche Angabe über einen ungünstigen gefahrerhöhenden Umstand handeln. Der Fall, dass es der VN bei der Antragstellung unterlassen hat, auf die Prämie begünstigende Umstände hinzuweisen, ist von § 41 Satz 2 ebenso wenig erfasst wie der Irrtum des VR, der seiner Prämienkalkulation fälschlicherweise ungünstige Umstände zugrunde gelegt hat. In beiden Fällen ist jedoch eine analoge Anwendung geboten, da die Interessenlage für den VN in allen Fällen vergleichbar ist und es keine anderweitigen Regelungen für diese Fälle gibt.23 Da der Wortlaut des § 41 Satz 2 nicht zwischen verschuldetem und unverschuldetem Irrtum unterscheidet, ist auch der verschuldete Irrtum von seiner Anwendung erfasst.24 Dies gilt sowohl für den Irrtum des VN in der direkten als auch den des VR in der analogen Anwendung. Auch bei Satz 2 ist Voraussetzung, dass die Prämie gerade wegen des ungünstigen Umstandes erhöht ist, den der VN irrtümlich falsch angegeben hat. Bei der analogen Anwendung ist somit erforderlich, dass gerade der nicht angezeigte begünstigende Umstand zu einer Prämienvergünstigung geführt hätte. § 41 Satz 2 verdrängt als lex specialis in seinem Anwendungsbereich § 119 Abs. 2 BGB.25

III. Abgrenzung Von dem Wegfall bzw. der Bedeutungslosigkeit eines Gefahrumstandes ist der Fall zu unter- 12 scheiden, dass statt des gefahrerhöhenden Umstandes, den § 41 regelt, gleich das gesamte versicherte Interesse wegfällt.26 Dieser Wegfall nach dem Beginn der Versicherung ist in § 80 Abs. 2 geregelt, der anfängliche Interessemangel in § 80 Abs. 1 (vgl. insoweit die Ausführungen dort). Kein Interessensfortfall, sondern Wegfall eines gefahrerhöhenden Umstandes liegt beispielsweise vor, wenn bei einer von dem Grundstückseigentümer abgeschlossenen Haftpflichtversicherung das Grundstücksgebäude zerstört wird.27 Dadurch vermindert sich zwar das Versi20 BGH 5.2.1981 – IVa ZR 42/80, VersR 1981 621, 622 (juris Rn. 16); Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 41 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 41 Rn. 2; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 6. 21 Bruck/Möller/Möller8 § 41a Anm. 7. 22 Schmidt-Tüngler ZVersWiss 1942 190, 196. 23 Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 6; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 41 Rn. 6. 24 Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 9; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 41 Rn. 5. 25 Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 9; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 41 Rn. 8; Armbrüster2 Rn. 1032; Wandt6 Rn. 810. 26 Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 41 Rn. 4; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 4. 27 BGH 24.1.1951 – II ZR 12/50, VersR 1951 76 (juris 1. Leitsatz); Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 4. 565

Beckmann

§ 41 VVG

Herabsetzung der Prämie

cherungsrisiko, das versicherte Interesse wird aber nicht berührt. Brennt dagegen im Rahmen einer verbundenen Gebäudeversicherung z.B. das versicherte Gebäude vollständig ab, liegt ein Fortfall des gesamten versicherten Interesses i.S.d. § 80 Abs. 2 vor.28

C. Rechtsfolgen 13 Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 41 vor, so kann der VN, verlangen, dass die Prämie ab Zugang des Verlangens beim VR angemessen herabgesetzt wird. Dies ist die einzige Möglichkeit des VN, auf eine Gefahrminderung zu reagieren, ein Recht auf Anfechtung wegen Irrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB im Anwendungsbereich des § 41 Satz 2 besteht nicht (vgl. bereits oben Rn. 11). Das Herabsetzungsverlangen entfaltet nur zukünftige Wirkung, so dass eine Rückzahlung von in der Zeit davor zu viel gezahlten Prämienanteilen nicht möglich ist.29 Sofern der Zugang in eine laufende Versicherungsperiode fällt und der VN die Prämie im Voraus entrichtet hat, kann er allerdings den zu viel gezahlten Teil gem. § 812 BGB kondizieren.30 Einig ist man sich darin, dass die Prämienermäßigung, wenn deren Voraussetzungen vorlie14 gen, nicht ipso jure eintritt.31 Umstritten ist aber die Rechtsnatur des § 41 Satz 1. Teilweise wurde vertreten, es handele sich dabei um einen kraft Gesetzes entstehenden obligatorischen Anspruch des VN, der darauf gerichtet sei, dass der VR die Prämie angemessen herabsetze.32 Begründet wurde dies damit, dass derjenige, der die Prämienherabsetzung herbeiführe, nicht der VR sei, sondern das Gesetz selbst eine Korrektur des Vertrages vornehme. In der neueren Literatur wird vertreten, dass es sich bei dem Recht aus § 41 Satz 1 um ein unbefristetes, formfrei auszuübendes Gestaltungsrecht handele.33 Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Zwar sieht das Gesetz selbst vor, dass der Versicherungsvertrag korrigiert werden soll, aber dieser Mechanismus tritt nur dadurch ein, dass der VN eine Erklärung abgibt. Tut er dies nicht, ändert sich auch die Prämie nicht und der Vertrag bleibt so bestehen, wie er geschlossen wurde. Diese Unterscheidung ist insbesondere maßgeblich für die Frage der Verjährung, da Gestaltungsrechte im Gegensatz zu Ansprüchen nicht verjähren. Qualifiziert man § 41 als Anspruch, so unterliegt dieser, mangels speziellerer Regelung der Verjährung im neuen VVG, den allgemeinen Regeln der §§ 195 ff. BGB.34 Für den Fall, dass der VN bereits Prämien vorausbezahlt hat, die dem VR dann aber aufgrund der Prämienminderung gar nicht mehr zustehen, besteht für diese ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch.35 Da sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen eigene Regelungen einer Verjährung im neuen VVG ausgesprochen hat,36 stellt sich die früher umstrittene Frage, ob der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch wegen der zu viel gezahlten Prämie der Verjährungsdauer nach dem VVG oder dem BGB unterliegt, nun nicht mehr. Durch das Verlangen des VN wird der VR verpflichtet, die Prämie angemessen herabzuset15 zen. Die Herabsetzung ist also ein einseitiger Akt des VR, bei dem dieser aber durch das Merkmal der Angemessenheit gebunden ist. Für die Bemessung der Neuprämie kommt es nicht darauf an, welche Prämie ein VR bei Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Gefahrverminderung

28 BGH 8.7.1992 – IV ZR 229/91, VersR 1992 1221, 1222 (juris Rn. 10); Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 4. 29 Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 41 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 41 Rn. 1. 30 Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 12. 31 Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 8; Bruck/Möller/Möller8 § 41a Anm. 11. 32 So Schmidt-Tüngler ZVersWiss 1942 195; Bruck/Möller/Möller8 § 41a Anm. 11. 33 Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 41 Rn. 2; BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 9 f.; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 41 Rn. 6; Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 8. 34 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64. 35 Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 9; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 12. 36 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 64. Beckmann

566

D. Abdingbarkeit/AVB

VVG § 41

oder des Herabsetzungsverlangens bestehenden Marktverhältnisse verlangt hätte.37 Vielmehr ist die Herabsetzung angemessen, die sich aus dem Prämienberechnungssystem des VR ergibt, das dem Vertrag zugrunde gelegt wurde.38 Das im Versicherungsvertrag zugrunde gelegte Prämienberechnungssystem bleibt also unberührt. Es sind daher nur die veränderten Risikofaktoren anstelle der bei Vertragsschluss berücksichtigten in die Rechnung einzustellen.39 Da es auf eine angemessene Herabsetzung ankommt, sind für die Frage der Risikobewertung die Grundsätze entscheidend, die der VR generell bei der Risikoprüfung verwendet; es kommt deshalb insoweit auf die Grundsätze zum Zeitpunkt des Änderungsverlangens an.40 Für eine „freie richterliche Prämienschöpfung“41 für den Fall, dass der VR die Minderung nicht oder unangemessen vornimmt und diese deshalb durch Urteil zu treffen ist, bleibt jedenfalls kein Raum.42 Der VR muss den VN nach § 6 Abs. 4 auf die Möglichkeit einer Herabsetzung der Prämie 16 hinweisen, soweit der nachträgliche Wegfall eines prämienrelevanten gefahrerhöhenden Umstandes für den VR erkennbar ist. Verletzt der VR diese Pflicht, so ist der VN nach § 6 Abs. 5 so zu stellen, als hätte er die Herabsetzung verlangt.43 Die einzige Änderung in § 41 gegenüber § 41a a.F. betrifft den Zeitpunkt, ab dem die Prämi- 17 enminderung eintritt (siehe hierzu oben Rn. 1). Auch wenn im neuen VVG der Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie aufgegeben worden ist, kann der VN im Rahmen des § 41 die Prämienminderung nur für die Zukunft ab Zugang des Verlangens beim VR fordern. Dies kann dazu führen, dass der VR eine erhöhte Prämie verlangen könnte, obwohl er für die Zeit vor dem Zugang des Verlangens des VN dafür nicht mehr die entsprechende Gefahr trägt (vgl. dazu auch § 39 Rn. 17 f.).44

D. Abdingbarkeit/AVB In § 42 ist geregelt, dass von § 41 nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden darf. Die Vor- 18 schrift ist also halbzwingend. Unbeschadet dessen können aber in den AVB einzelne Fälle der Prämienherabsetzung wegen Gefahränderung ausdrücklich geregelt werden.45 Geschehen ist dies beispielsweise in Nr. 6 der AUB 2014 (Stand: 25.3.2014). Dort ist geregelt, 19 dass eine Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung des VN zu einer Senkung des Beitrages (Prämie) oder zu einer anderen Versicherungssumme führen kann. Der VN muss dazu auch nicht die Herabsetzung der Prämie verlangen, sondern eine Änderung des Vertrages tritt bereits durch die Mitteilung der geänderten Berufstätigkeit an den VR ein. Der VN muss dann lediglich nach 6.1.2 der AUB 2014 erklären, dass er statt einer anderen Versicherungssumme eine gesenkte Prämie zahlen möchte. Auch in Nr. 13 der AHB 2016 ist eine Regelung über die Herabsetzung der Prämie enthalten, die über § 41 hinausgeht. Danach muss der VN bei Verringerung der versicherten Gefahr die Herabsetzung der Versicherungsprämie nicht erst verlangen, vielmehr muss

37 BGH 5.2.1981 – IVa ZR 42/80, VersR 1981 621, 624 (juris Rn. 30); a.A. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 41 Rn. 3. 38 Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 13. 39 BGH 5.2.1981 – IVa ZR 42/80, VersR 1981 621, 624 (juris Rn. 30); OLG Karlsruhe 31.3.2011 – 12 U 164/10, VersR 2011 788 (juris Rn. 26); Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 41 Rn. 3. 40 Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 13; OLG Karlsruhe 31.3.2011 – 12 U 164/10, VersR 2011 788 (juris Rn. 27); a.A. BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 13 unter Berufung auf BGH 5.2.1981 – IVa ZR 42/80, VersR 1981 621, 624 (juris Rn. 30); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 41 Rn. 3. 41 Prölss/Martin/Knappmann28 § 41 Rn. 5. 42 Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 41 Rn 3. 43 BGH 5.2.1981 – IVa ZR 42/80, VersR 1981 621, 623 (juris Rn. 25 f.); BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 14. 44 Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 41 Rn. 4. 45 Bruck/Möller/Möller8 § 41a Anm. 19; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 41 Rn. 9. 567

Beckmann

§ 41 VVG

Herabsetzung der Prämie

der VR in diesem Fall die Prämie von sich aus ermäßigen.46 Zulässig sind also Abreden, wonach sich die Prämie bei Wegfall eines gefahrerhöhenden Umstands automatisch ermäßigt oder die dem VN ein Wahlrecht zwischen einer Herabsetzung der Prämie und einer Ausweitung des Versicherungsschutzes gewähren.47

E. Prozessuales 20 Der VN trägt die Beweislast dafür, dass der weggefallene bzw. bedeutungslos gewordene Umstand prämienrelevant war, also zur Vereinbarung einer höheren Prämie geführt hat.48 Wenn dem VN die zugrunde liegende Prämienkalkulation des VR unbekannt ist, trifft den VR eine sekundäre Darlegungslast.49 Erforderlich ist eine substantiierte Darlegung, wie sich die ursprüngliche Prämienberechnung zusammensetzt.50 Der VN trägt auch die Beweislast dafür, dass der gefahrerhöhende Umstand jetzt nicht mehr besteht bzw. im Fall von Satz 2, dass der fragliche Umstand in Wirklichkeit nicht vorliegt.51

46 Prölss/Martin/Lücke31 AHB Ziff. 13 Rn. 4; Littbarski Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) (2001) § 8 Rn. 42. 47 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 17; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 15. 48 Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 11; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 14; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 41 Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 41 Rn. 5. 49 BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 16. 50 OLG Karlsruhe 31.3.2011 – 12 U 164/10, VersR 2011 788 (juris Rn. 28); BeckOK-VVG/Klimke (Stand: 9.8.2021) § 41 Rn. 16; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 14; Langheid/Wandt/Staudinger2 § 41 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 § 41 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 41 Rn. 3; a.A. Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 11. 51 Berliner Kommentar/Riedler § 41a Rn. 11; Prölss/Martin/Reiff31 § 41 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Pilz3 § 41 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 41 Rn. 8. Beckmann

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§ 42 Abweichende Vereinbarungen Von § 33 Abs. 2 und den §§ 37 bis 41 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Schrifttum Ganster Die Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008) (zit.: Ganster Prämienzahlung); Klimke Die halbzwingenden Vorschriften des VVG, Diss. Berlin 2003; Gebauer Grenzen der Ausgestaltung weicher Tarifmerkmale, NVersZ 2000 7; Martin „Einlösungsklausel“ in den Zweigen der technischen Versicherung, VersR 1971 189; Michaelis Die Unwirksamkeit von Vertragsstrafenregelungen in den Tarifbestimmungen der Kraftfahrzeugversicherung, DAR 1997 433; Sasse Die halbzwingenden Schutzvorschriften des VVG, VersWissArch 1956 163; Schirmer/Marlow Die versicherungsrechtliche Behandlung sogenannter weicher Tarifmerkmale, VersR 1997 782; Werber Halbzwingende Vorschriften des neuen VVG und Inhaltskontrolle, VersR 2010 1253; vgl. im Übrigen Schrifttum bei § 33.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte und Übergangsvorschrif1 ten 3

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Anwendungsbereich

B.

Tatbestand, insbesondere „zum Nachteil des 5 VN“

4

I.

Maßstab zur Ermittlung einer nachteiligen Ab6 weichung

II.

Berücksichtigung von Vorteilen

C.

Rechtsfolgen und Abdingbarkeit

D.

Prozessuales

7 9

15

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte und Übergangsvorschriften § 42 ist seinem Inhalt nach seit dem Inkrafttreten des VVG im Jahre 1908 unverändert geblieben 1 und macht die Vorschriften über die Prämie, abgesehen von denjenigen, welche Zeit und Ort der Prämienzahlung betreffen, zu halbzwingenden. Durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19.12.1939 wurde § 42 a.F. lediglich dahingehend neu gefasst, dass der ebenfalls durch die Verordnung eingeführte § 41a a.F. (entspricht heute § 41) in den Katalog der halbzwingenden Vorschriften aufgenommen wurde. Im neuen VVG wurde der Wortlaut des § 42 von „kann sich der VR nicht berufen“ zu „kann nicht abgewichen werden“ geändert. In der Gesetzesbegründung schweigt der Gesetzgeber darüber, ob diese Wortlautänderung auch eine inhaltliche Änderung mit sich bringen soll (dazu unten Rn. 10) und bestimmt nur, dass die bisherigen halbzwingenden Regeln soweit sie – wenn auch verändert – beibehalten wurden, auch weiterhin im bisherigen Umfang halbzwingend bleiben.1 Für das Inkrafttreten der Vorschrift bzw. für den Übergang zwischen dem früheren VVG 2 und dem Recht nach der VVG-Reform gelten die allgemeinen Regeln über das Inkrafttreten, insbesondere Art. 12 VVG RefG.

1 RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72. 569 https://doi.org/10.1515/9783110522624-025

Beckmann

§ 42 VVG

Abweichende Vereinbarungen

II. Inhalt und Zweck der Regelung 3 § 42 regelt, dass von den Vorschriften des § 33 Abs. 2 und der §§ 37 bis 41 nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden darf. § 42 a.F. wurde laut den Motiven in das VVG 1908 aufgenommen, weil bei dem Versicherungsvertrag der VN „im Allgemeinen der schwächere Teil“ ist und er „insbesondere an Geschäftserfahrung dem VR regelmäßig nachsteht“. Daher ist er, „wenn es sich um die Abschließung eines Vertrages handelt, der zu seinem Nachteil von den gesetzlichen Bestimmungen in ungerechtfertigter Weise abweicht, häufig außerstande, solchen Vereinbarungen rechtzeitig zu begegnen“.2

III. Anwendungsbereich 4 Nach § 210 Abs. 1 sind die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach § 42 nicht auf die in § 210 Abs. 2 genannten Großrisiken und auf laufende Versicherungen anzuwenden. Durch die Präzisierung der Verweisung hat der Gesetzgeber klargestellt, dass dies auch anzunehmen ist, wenn es sich um ein Großrisiko im Ausland handelt.3 Durch diese Regelung werden die nach § 42 halbzwingenden Vorschriften aber nicht unanwendbar, sondern können lediglich durch ausdrückliche vertragliche Regelung abbedungen werden.4

B. Tatbestand, insbesondere „zum Nachteil des VN“ 5 Von den in § 42 genannten Vorschriften darf nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. Häufig findet sich in diesem Zusammenhang die Formulierung, dass Abweichungen zu Ungunsten des VN nicht, Abweichungen zu seinen Gunsten aber ohne Weiteres möglich sind. Diese ist indes ein wenig pauschal und hilft bei der Bestimmung, wann ein Nachteil des VN vorliegt, nicht immer weiter.5 Die Frage, nach welchen Kriterien das Vorliegen eines Nachteils in § 42 zu bestimmen ist, ist im Einzelnen umstritten.

I. Maßstab zur Ermittlung einer nachteiligen Abweichung 6 Uneinigkeit besteht über den Maßstab der Feststellung einer nachteiligen Abweichung. Zwar ist anerkannt, dass im Falle von Individualabreden zur Feststellung einer nachteiligen Abweichung individuell-konkret auf das jeweilige Vertragsverhältnis abzustellen ist.6 Ganz überwiegend wird bei AVB auf eine (überindividuell) generell-abstrakte Gesamtwürdigung (bzw. einen typisierenden Maßstab) abgestellt.7 Nach der Gegenauffassung soll die Beurteilung eines möglichen Nachteils im Sinne der Norm individuell-konkret im Kontext des Einzelfalles gese-

2 3 4 5 6 7

Motive S. 63. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 115. Prölss/Martin/Klimke31 § 210 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 210 Rn. 1. Ganster Prämienzahlung S. 20. Wandt6 Rn. 184; Prölss/Martin/Reiff31 § 42 Rn. 3; Bruck/Möller/Johannsen/Koch10 § 18 Rn. 8. OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06-81, VersR 2008 621, 622 (juris Rn. 44); OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 384 (juris Rn. 48); OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61, 62 (juris Rn. 33); OLG Hamm 28.1.1992 – 20 U 305/91, RuS 1992 391 (juris Rn. 7) indes alle ohne Begründung; Wandt6 Rn. 184; Prölss/ Martin/Reiff31 § 42 Rn. 1; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 18 Rn. 6; ders. Privatversicherungsrecht2 Rn. 584; Bruck/Möller/Johannsen/Koch10 § 18 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski4 § 40 Rn. 1. Beckmann

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B. Tatbestand, insbesondere „zum Nachteil des VN“

VVG § 42

hen werden.8 Zur Begründung wird auf „die Eigenart des Versicherungsvertrages, die Vielzahl der AVB, die Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten der Verwirklichung des versicherten Risikos und die sich daraus ableitende Zahl an denkbaren rechtlichen Konstellationen“ abgestellt.9 Unter Berücksichtigung dieser Kriterien sei eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung individuell-konkret, nicht jedoch abstrakt zu würdigen. Für eine generell-abstrakte Würdigung spricht in der Tat der entsprechende Maßstab bei der AGB-Kontrolle.10 Allerdings sind bei Verbraucherverträgen gem. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Dies folgt aus Art. 4 Abs. 1 der Klauselrichtlinie.11 Die Argumentation, ein typisierender Maßstab stehe den Bedürfnissen des Versicherungssektors bzw. den Besonderheiten des Geschäftsmodells entgegen,12 kann – jedenfalls für Verbraucherverträge – den Grundgedanken des § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB und Art. 4 Abs. 1 der Klauselrichtlinie indes nicht beiseiteschieben.

II. Berücksichtigung von Vorteilen Uneinigkeit besteht weiterhin darüber, ob eine den VN benachteiligende Abweichung vom Ge- 7 setz durch eine Bestimmung, die zu seinem Vorteil vom Gesetz abweicht, kompensiert werden kann. Es besteht insoweit Einigkeit, dass eine Gesamtsaldierung, d.h. die Abwägung mehrerer inhaltlich eigenständiger Vereinbarungen eines ganzen Vertragswerks miteinander, nicht zulässig ist.13 Umstritten ist hingegen, ob, so die sog. enge Kompensationstheorie, gegeneinander abzuwägende Vor- und Nachteile aus der Regelung des gleichen rechtlichen Tatbestandes folgen müssen,14 oder ob es ausreichend ist, dass Vor- und Nachteile als Inhalt einer einheitlichen vertraglichen Regelung aufeinander bezogen sind, selbst wenn sie aus unterschiedlichen halbzwingenden Vorschriften herrühren (sog. weite Kompensationstheorie).15 Vertreter der weiten Kompensationstheorie legen indes eine strenge Handhabe zugrunde, 8 um zu gewährleisten, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen Vor- und Nachteilen besteht und die Vorteile der abweichenden Vereinbarung überwiegen.16 Zudem lasse sich ein Verstoß gegen eine halbzwingende Vorschrift nicht mit einem vom VN zu zahlenden geringen Preis kompensieren; der VR soll den dem VN gesetzlich gewährten Schutz nicht „abkaufen“ können.17 Bereits diese Einschränkungen der weiten Kompensationstheorie zeigen, dass mit einer Kompensation vorsichtig umzugehen ist. Zudem wird geäußert, dass regelmäßig kein Bedarf bestehe, nachteilige Abweichungen von halbzwingenden Vorschriften mit Blick auf kompensierende Vorteile zuzulassen, da der Reformgesetzgeber den Schutz der VN bereits sorgsam und umfassend bestimmt hat.18 Dies alles spricht für eine enge Kompensation, zumal der VR es als Klauselverwender selbst in der Hand hat, die Bestimmungen so zu gestalten, dass Vorteile in der entsprechenden Klausel genannt werden, oder jedenfalls einen direkten inhaltlichen Bezug zu 8 RG 19.12.1939 – VII 69/39, RGZ 162 238, 242 f. (betreffend AVB); Langheid/Wandt/Fausten2 § 18 Rn. 23; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers3 § 18 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer4 § 18 Rn. 4; Ganster Prämienzahlung S. 29 f. 9 Langheid/Wandt/Fausten2 § 18 Rn. 23. 10 Armbrüster2 Rn. 584; dazu Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C AVB Rn. 206. 11 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. Nr. L 95, S. 29; dazu Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. C AVB Rn. 12 ff. 12 Armbrüster2 Rn. 584. 13 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 13; Prölss/Martin/Reiff31 § 42 Rn. 2; Armbrüster2 Rn. 591. 14 Berliner Kommentar/Riedler § 42 Rn. 2. 15 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff31 § 42 Rn. 2; Prölss VersR 1988 347, 348; Armbrüster2 Rn. 591. 16 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff31 § 42 Rn. 2. 17 Armbrüster2 Rn. 591; Wandt6 Rn. 184. 18 Langheid/Wandt/Wandt2 § 32 Rn. 14; Prölss/Martin/Reiff31 § 42 Rn. 2. 571

Beckmann

§ 42 VVG

Abweichende Vereinbarungen

einer anderen Klausel herzustellen. Der BGH hat zur Frage der Gesamtsaldierung bei halbzwingenden Vorschriften bisher nicht eindeutig Stellung genommen. Vereinzelt werden im Schrifttum Aussagen des BGH jedoch dahingehend gedeutet, dass auch er die Möglichkeit der Gesamtsaldierung ablehnt.19

C. Rechtsfolgen und Abdingbarkeit 9 Bereits zu § 42 a.F. war umstritten, welche Rechtsfolge sich aus der Abweichung von den halbzwingenden Regeln zum Nachteil des VN ergibt. Denkbar sind grundsätzlich zwei verschiedene Möglichkeiten. Eine Ansicht sprach sich dafür aus, dass eine Regelung, die eine nachteilige Abweichung 10 von den halbzwingenden Vorschriften enthält, unwirksam ist.20 Nach herrschender Ansicht zum alten VVG21 war es nur dem VR verwehrt, sich auf eine für den VN nachteilige Regelung zu berufen. Der VN selbst sollte sich aber auf diese Vereinbarung berufen können und hatte dadurch ein Wahlrecht. Diese Ansicht wurde vor allem mit dem Wortlaut des § 42 a.F. begründet, der bestimmte, dass sich der VR auf eine abweichende Regelung nicht berufen kann. Trotz der Änderung des Wortlauts des § 42 durch den Reformgesetzgeber, wird man dies auch für die neue Rechtslage bejahen können.22 Einigkeit besteht darüber, dass im Falle der Unwirksamkeit einer vertraglichen Abrede we11 gen Verstoßes gegen eine halbzwingende Vorschrift an deren Stelle die gesetzliche Regelung tritt.23 Dem VN nachteilige Abweichungen durch AVB unterliegen uneingeschränkt auch der Kon12 trolle nach §§ 307 ff. BGB und sind an der halbzwingenden Norm zu messen.24 Es versteht sich, dass § 42 selbst nicht abdingbar sein kann. 13 Wie schon ausgeführt (Rn. 4) findet § 42 gem. § 210 Abs. 1 indes auf Großrisiken und auf 14 laufende Versicherungen keine Anwendung.

D. Prozessuales 15 Fragen der Beweislast bezüglich der einzelnen Vorschriften dieses Abschnitts sind im Rahmen der jeweiligen Kommentierung thematisiert. Die Beweislastregeln haben entscheidenden Einfluss auf die Anwendung oder Nichtanwendung einer Norm, so dass für deren Abdingbarkeit dasselbe gelten muss wie für die Abdingbarkeit der Norm selbst.25

19 Hierzu Ganster Prämienzahlung S. 30 f. 20 Berliner Kommentar/Riedler § 42 Rn. 4; Michaelis DAR 1997 433, 436. 21 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 65; Bruck/Möller/Möller8 Einl. Anm. 49; Klimke 110; Hofmann PVR § 3 Rn. 23; Weyers/Wandt Rn. 141; Sasse VersWissArch 1956 163, 172.

22 Bruck/Möller/Beckmann10 Einf. A Rn. 171; Prölss/Martin/Armbrüster Einl. Rn. 8; a.A. Bruck/Möller/Johannsen/ Koch10 § 18 Rn. 11 f.; Wandt6 Rn. 186; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 42 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Stagl/Brand3 § 42 Rn. 3. 23 Berliner Kommentar/Dörner Einl. Rn. 65; Prölss/Martin/Armbrüster31 Einl. Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Stagl/ Brand3 § 42 Rn. 3; Klimke 110; Ganster Prämienzahlung S. 33; BGH 22.6.1967 — II ZR 183/64, VersR 1967 771, 772; LG Hamburg 14.12.1950 — 9 S 316/50, VersR 1951 75, 76. 24 BGH 18.3.2009 – IV ZR 298/06, VersR 2009 769 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer4 § 18 Rn. 6; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 18 Rn. 11; im Grundsatz a.A. Werber VersR 2010 1253. 25 Berliner Kommentar/Riedler § 42 Rn. 5; Baumgärtel/Prölss4 § 42 Rn. 1; ebenso Langheid/Wandt/Staudinger2 § 42 Rn. 6. Beckmann

572

Abschnitt 4 Versicherung für fremde Rechnung Vorbemerkungen zu §§ 43–48 Schrifttum Ahrens Konkurrenz der Ansprüche aus dem Eigenversicherungsvertrage und dem Versicherungsvertrage zugunsten eines Dritten (1909); Arens Die Rechtsstellung des Geschädigten bei der Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung, Diss. Köln 1938; Anli Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Heidelberg 1967; Armbrüster Der Schutz von Haftpflichtinteressen in der Sachversicherung (1994); ders. Regress des Gebäudeversicherers gegen Mieter, NJW 2006 3683; ders. Zum Schutz von Haftpflichtinteressen in der Sachversicherung, NVersZ 2001 193; ders. Zur Haftung des Mieters für Sachschäden bei bestehender Sachversicherung des Vermieters, NJW 1997 177; ders. Zum vertraglichen und gesetzlichen Schutz des Haftpflichtigen vor einem Regreß des Sachversicherers, VersR 1994 893; ders./ Pilz Schicksal des Lebensversicherungsvertrages in der Insolvenz des Versicherungsnehmers, KTS 2004 481; Basedow/Fock Europäisches Versicherungsvertragsrecht (2002); Basedow et al. Principles of European Insurance Contract Law (2009); Bornschier Die Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Würzburg 1921; Brünjes Der Eintritt des Immobilienerwerbers in den Versicherungsvertrag nach § 69 Abs. 1 VVG, VersR 1995 1416; Bruck Das Privatversicherungsrecht (1931); ders. Zwischenstaatliches Versicherungsrecht (1924); Byk Die Versicherung für fremde Rechnung verglichen mit der Kommission, Diss. Heidelberg 1911; Corrodi Die Versicherung für fremde Rechnung nach dem schweizerischen und dem deutschen Versicherungsvertragsgesetz (1916); Cremer Die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten und Pflichten bei der Versicherung für fremde Rechnung durch Versicherungsnehmer und Versicherten (1935); Drews Die Zustimmung des Versicherten in der Lebensversicherung, VersR 1987 634; Ehrenberg Die Versicherung für fremde Rechnung – ein Beitrag zur Lehre von der Stellvertretung, JherJb. 30 (1891) 422; Elfring Drittwirkungen der Lebensversicherung (2003); ders. Das System der drittbezogenen Ansprüche bei der Lebensversicherung, NJW 2004 483; W. Fischer Die Versicherung für fremde Rechnung in der Schadensversicherung, Diss. Leipzig 1913; Francke Der Sicherungsschein und seine rechtliche und praktische Bedeutung, FLF 2004 78; Fuchs Die Gefahrsperson im Versicherungsrecht (1974); Ganz Die Fremdversicherung in der Schadens-, Lebens- und Unfallversicherung, Diss. Bern 1972; v. Gierke Der Lebensversicherungsvertrag zugunsten Dritter nach deutschem und ausländischem Recht (1936); Grassl-Palten Gehilfenmitverschulden, Fremdversicherung und anderes, JBl. 1992 501; Gruneke Versicherte Gefahr und Anzeigepflicht in der privaten Krankenversicherung (1965); Gundlach Die haftungsrechtliche Bedeutung der Versicherung für fremde Rechnung in der Insolvenz des Versicherungsnehmers, DZWiR 2000 309; Hasse Zwangsvollstreckung in Kapitallebensversicherungen – Eine kritische Bestandsaufnahme de lege lata, VersR 2005 15; ders. Der neue Pfändungsschutz der Altersvorsorge und Hinterbliebenenabsicherung, VersR 2007 870; ders. Zur Lebensversicherung für fremde Rechnung, VersR 2010 837; Heimbücher Mitversicherte Kinder in Privathaftpflicht und Familienrechtsschutz, VW 1987 1236; Honsell Der Regreß des Sachversicherers nach § 67 VVG bei Gebrauchsüberlassung an Dritte im österreichischen Recht, VersR 1985 301; Chr. Huber Rechtsfolgen der Überwälzung von Prämien einer Sachversicherung beim Mietvertrag, VersR 1998 265; J. Huber Die Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Jena 1914; Kiesselbach Die wirtschafts- und rechtsgeschichtliche Entwicklung der Seeversicherung in Hamburg (1901); Knappmann Die Zurechnung des Verhaltens Dritter zu Lasten des VN, VersR 1997 261; R. Koch Die Rechtsstellung der Gesellschaft und des Organmitglieds in der D&O-Versicherung Teil I, GmbHR 2004 18; Teil II, GmbHR 2004 160; Teil III, GmbHR 2004 288; Krause Der Begriff des versicherten Interesses und seine Auswirkungen auf die Versicherung für fremde Rechnung (1997); Kühlmorgen Die Lebensversicherungsverträge zugunsten Dritter (1924); Küstner Ist die Gruppenlebensversicherung eine Versicherung für fremde Rechnung? VersR 1954 575; Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Lenné Das Versicherungsgeschäft für fremde Rechnung, Diss. Marburg 1911; Lentz Die Dogmatik der Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Mannheim 2015; Looschelders Ausschluß der Klagebefugnis des Mitversicherten und Teilklageobliegenheit des VN in der Rechtsschutzversicherung nach den ARB 75, VersR 2000 23; ders. Der Dritte im Versicherungsvertragsrecht, RuS 2015 581; Löhnig Treuhand (2006); E. Lorenz Zur stillschweigend abgeschlossenen Fremdversicherung zugunsten des Mieters an dessen in das Gebäude eingebrachten und seinem Wegnahmerecht unterliegenden Sachen, VersR 1994 1104; ders. Zum Regreßverzicht gegenüber dem Mieter bei der Gebäudefeuerversicherung, VersR 2001 96; Martin Grundprobleme bei der Neufassung allgemeiner Sachversicherungs-Bedingungen, ZVersWiss 1973 493; ders. Rechtsprobleme bei der Fremdversicherung, VersR 1974 252; ders. Deckung des Haftpflichtrisikos in der Sachversicherung – zugleich Anmerkung zu BGH VersR 74, 535, VersR 1978 821; Mathy Die Mitversicherung des nichtehelichen Lebenspartners in der Rechtsschutzversicherung, VersR 2003 820; Meiser Derivate in der Filmversicherung – ein Nachtrag, ZfV 1997 192; Mitsdörffer Rechtsfragen der Insassenunfallversicherung bei Kraftfahrzeugen, Diss. Freiburg 1974; Möller Wer ist bei der Versicherung für Rechnung, wen es angeht, unmittelbar aufgrund des

573 https://doi.org/10.1515/9783110522624-026

Brand

Vor §§ 43–48 VVG

Vorbemerkung zu §§ 43–48

Versicherungsvertrags Versicherter? JRPV 1928 337; ders. Innenverhältnis zwischen Versichertem und Versicherungsnehmer bei der Versicherung für fremde Rechnung, VersR 1950 81; ders. et al. Die Rechte Dritter gegen den Versicherer, ZVersWiss 1970 17; Müller-Erzbach Zur Lehre von der mittelbaren Stellvertretung (1909); Nießen Die Rechtswirkungen der Versicherung für fremde Rechnung unter besonderer Berücksichtigung des Innenverhältnisses zwischen Versichertem und Versicherungsnehmer (2004); Otto Betriebliche Altersversorgung: Invaliditätsschutz nurmehr über eine Versicherung für fremde Rechnung, DStR 2009 1022; Pannenbecker Die Private Krankenversicherung (Krankentagegeld- und Krankheitskostenversicherung) des Interesses Dritter als Versicherung für fremde Rechnung nach §§ 74 ff. VVG oder als „schlichter“ Vertrag zugunsten Dritter gem. §§ 328 ff. BGB? VersR 1998 1322; Prölss Stille Teilhabe an fremden Versicherungsverträgen – zur konkludenten Einbeziehung von Drittinteressen in der Sachversicherung, RuS 1997 221; Ritter/Abraham Recht der Seeversicherung, Bd. 1, 2. Aufl. (1967); Ruscher Die Besonderheiten des Versicherungsanspruchs bei der Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Köln 1969; Schirmer Zur Vereinbarung von Obliegenheiten zu Lasten Dritter insbesondere in Verträgen zu ihren Gunsten, Festschrift R. Schmidt (1976) 821; ders. Zur Versicherbarkeit des Sachersatzinteresses in der Sachversicherung, ZVersWiss 1981 636; ders. Rezension von Martin, Sachversicherungsrecht, ZVersWiss 1984 553; ders. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum allgemeinen Versicherungsvertragsrecht – ein Überblick, ZVersWiss 1992 381; E. Schulz Rechtsverhältnisse bei der Versicherung für fremde Rechnung, ZfV 1959 529; Schwan Der Anspruch auf die Versicherungsleistung in der Gruppenunfallversicherung, Diss. Köln 1961; Sieg Der Versicherungsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter, ZVersWiss 1995 697; ders. Zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung bei Leistung des Kaskoversicherers unmittelbar an den Leasinggeber in Unkenntnis eines leistungsbefreienden Tatbestands, VersR 1994 210; ders. Der Quasi-Versicherungsnehmer in der Sachversicherung, VersR 1976 105; ders. Die versicherungsrechtliche Stellung des Sacherwerbers nach Gefahrübergang auf ihn, VersR 1995 125; ders. Zur Zulässigkeit von Haftungsüberwälzungen unter Versicherungsaspekten, BB 1993 149; Stegmann/Lind Der Lebensversicherungsvertrag in der Insolvenz, NVersZ 2002 193; Strauß Das Institut der Fremdversicherung de lege ferenda (1917); Thume Der Regress des Transportversicherers, VersR 2008 455; v. d. Thüsen Ansprüche aus kollektiven Unfallversicherungen, VersR 1954 155; Trautmann Das Innenverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem bei der Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Hamburg 1971; Voigt Zum See- und Versicherungsrecht (1880); Voit Die Mitversicherung von Ehegatten in der privaten Krankenversicherung, NJW 2006 2225; Walker Die eingeschränkte Haftung des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der Schuldrechtsmodernisierung, JuS 2002 736.

Übersicht A.

Wesen der Versicherung für fremde Rech1 nung

B.

Entwicklungsgeschichte

C.

Rechtsnatur

I.

Frühere Einordnungsversuche

II.

Vertrag zugunsten Dritter

III.

Treuhand

D.

Recht des Vertrags zugunsten Dritter

I.

Unanwendbare Vorschriften

II.

Anwendbare Vorschriften

E.

Anwendungsbereich

I.

Grundsatz

II.

Sonderregeln

Analoge Anwendung

IV.

Seeversicherung

F.

Phänomenologie der Versicherung für frem41 de Rechnung

I. 1. 2. 3.

41 Praktischer Bedarf 42 Schadensversicherung 45 Haftpflichtversicherung Personen-, insbes. Lebensversicherung

II.

Arten der Versicherung für fremde Rech51 nung Rechtspflicht zur Versicherung für fremde Rech52 nung Versicherung für fremde Rechnung als gesetzli58 che Vermutung Versicherung für fremde Rechnung kraft vertrag59 licher Vereinbarung 60 a) Berufsunfähigkeitsversicherung 61 b) Haftpflichtversicherung 62 c) Gruppenversicherung

40

9

14 14 17

46

20 24 1. 25 2. 29 3.

Brand

39

III.

31

31

36 574

VVG Vor §§ 43–48

A. Wesen der Versicherung für fremde Rechnung

d) e) f) g) h)

Kredit-, Kautions- und Vertrauensschadens63 versicherung 64 Lebensversicherung 65 Rechtsschutzversicherung 66 Rentenversicherung 67 Sachversicherung

i)

Transportversicherung

G.

Abdingbarkeit

H.

PEICL

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69

71

A. Wesen der Versicherung für fremde Rechnung Unter einer Versicherung für fremde Rechnung versteht man einen Versicherungsvertrag, den der VN im eigenen Namen für einen anderen, nicht am Vertrag beteiligten Dritten – die versicherte Person – abschließt, um dessen Interessen abzusichern. Es handelt sich zwingend um ein Drei-Personen-Verhältnis. Die Beziehungen zwischen den drei Parteien sind sorgfältig zu trennen. Das durch den Versicherungsvertrag geregelte Vertrags- oder Deckungsverhältnis besteht ausschließlich zwischen dem VR und dem VN. Es bestimmt den Inhalt der zu erbringenden Leistung, die Modalitäten der Prämienzahlung und die Person des Dritten. Zugleich ist das Deckungsverhältnis Rechtsgrund für die Leistung des VR.1 Die §§ 44 Abs. 1 S. 2, 45 Abs. 3 und 47 treffen Sonderregeln für das Deckungsverhältnis. Das Innen- oder Valutaverhältnis zwischen der versicherten Person und dem VN beinhaltet den Rechtsgrund dafür, dass Versicherung für fremde Rechnung genommen wird. Das VVG regelt in § 46 nur einen eng begrenzten Teilbereich dieses Rechtsverhältnisses. Seit den 1970er Jahren wird angenommen, dass das Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person zumindest aus einem gesetzlichen Treuhandverhältnis besteht, das den VN in Verbindung mit dem für ihn geltenden Bereicherungsverbot verpflichtet, den ihm nicht zustehenden Entschädigungsbetrag (§ 44 Abs. 1) einzuziehen und an den Versicherten auszukehren (näher § 46 Rn. 12 ff.). Neben dem Treuhandverhältnis kann zwischen dem VN und der versicherten Person ein weiteres vertragliches (z.B. Auftrag, Arbeits-, Dienst-, Werk-, Speditions- oder Frachtvertrag) oder gesetzliches (z.B. Geschäftsführung ohne Auftrag) Schuldverhältnis bestehen, welches das Treuhandverhältnis ergänzt und modifiziert (dazu § 46 Rn. 6). Ein solches weiteres Schuldverhältnis ist aber keine Voraussetzung für das Bestehen einer Versicherung für fremde Rechnung. Das Vollzugsverhältnis zwischen dem VR und der versicherten Person wird durch §§ 44 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 und 2 näher ausgestaltet. Es ist von dem wesensbestimmenden Merkmal der Versicherung für fremde Rechnung nach deutschem Recht bestimmt: der Trennung zwischen Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis. Rechtsinhaber ist nach der zwingenden Vorschrift des § 44 Abs. 1 die versicherte Person, verfügungsbefugt nach § 45 Abs. 1, 2 regelmäßig der VN. Regelungen, die sich auf das Vollzugsverhältnis beziehen, finden sich auch in § 34 (Befriedigungsrecht des Versicherten gegenüber dem VR), § 35 (Aufrechnungsrecht des VR gegenüber dem Versicherten) und § 123 (Durchbrechung des § 334 BGB in der Pflicht-Haftpflichtversicherung). Das versicherte Interesse bei der Versicherung für fremde Rechnung liegt (zumindest auch) bei der versicherten Person. Es besteht wie bei der Versicherung eigenen Interesses darin, einen Vermögensnachteil auszugleichen, wenn der Versicherungsfall eintritt. Im Einzelnen kann der befürchtete Vermögensnachteil unterschiedliche Gestalt annehmen, etwa, dass Sachen zerstört oder beschädigt werden bzw. verloren gehen, dass der Dritte von anderen auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, dass er Kosten für Heilbehandlungen zu tragen hat oder in Folge eines Unfalls arbeitsunfähig wird.

1 Vgl. auch Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 10. 575

Brand

1

2

3

4

5

Vor §§ 43–48 VVG

Vorbemerkung zu §§ 43–48

Versicherung für fremde Rechnung kann als reine Fremdversicherung genommen werden. Das ist der Fall, wenn ausschließlich Interessen eines Dritten versichert sind. Es ist aber auch möglich, eine kombinierte Eigen- und Fremdversicherung abzuschließen.2 Dann fallen Eigenversicherung und Versicherung für fremde Rechnung in einem Vertrag zusammen. Zu denken ist an eine Kfz-Haftpflichtversicherung, bei der regelmäßig, neben dem Interesse des Halters (Eigenversicherung), auch dasjenige des Fahrers (Fremdversicherung) mitversichert ist (für weitere Beispiele siehe § 47 Rn. 47). Die verschiedenen Interessen können bei kombinierter Eigenund Fremdversicherung gleichrangig nebeneinander versichert sein. Es kann aber auch ein Voroder Nachrang oder eine bestimmte zeitliche Folge der Versicherung (z.B. bei geplanter Veräußerung einer versicherten Sache) vereinbart werden. 7 Die Regelung des Rechtsinstituts der Versicherung für fremde Rechnung in den § 43 bis 48 ist nicht in jeder Hinsicht glücklich. So ist es bedenklich, dass das Regelungssystem der §§ 44, 45 sowohl den Besitz des Versicherungsscheins als auch die Zustimmung des jeweils anderen Teils (§ 44 Abs. 2: VN; § 45 Abs. 3: versicherte Person) zum Legitimationsgrund für eine Verfügung erhebt. Das ermöglicht widersprüchliche Verfügungen. 8 Auch fragt man sich, ob es zwingend erforderlich ist, dass § 45 Abs. 1, 2 dem VN abweichend von § 328 Abs. 1 BGB eine so weitreichende Verfügungsmacht einräumt. Um seine Rechte zu wahren, hätte es genügt, ihm das Recht zu gewähren, die Versicherungsforderung einzuziehen. 6

B. Entwicklungsgeschichte 9 Die § 43 bis 48 sind Ergebnis eines gesamteuropäischen Schöpfungsprozesses, der bis in die Urstunden des Versicherungsvertragsrechts zurückreicht.3 Träger der Entwicklung war der Seehandel und das damit verbundene Versicherungswesen. Ausgangspunkt sind Seeversicherungen in Form des Kommissionskaufs im Genua des 14. Jahrhunderts. Die früheste namentliche Erwähnung einer Versicherung für fremde Rechnung findet sich in einer Magistratsverordnung der Stadt Barcelona aus dem Jahre 1435. Von Spanien aus gelangt das Rechtsinstitut in die (damals noch spanischen) Niederlande und das heutige Belgien. Die Assecuranzordnung Antwerpens diente schließlich dem Hamburgischen Recht als Vorbild, das die Versicherung für fremde Rechnung in der Assecuranz- und Haverey-Ordnung von 1731 für das deutsche Recht rezipiert.4 Im Laufe ihrer Rezeptionsgeschichte musste die Versicherung für fremde Rechnung lange 10 Zeit um klare Konturen ringen. Die überkommenen Statuten blieben zu sehr auf das Innenverhältnis von VN und versicherter Person konzentriert. Noch das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 fasste das Rechtsinstitut ausführlich, aber nicht klar. Die Regeln des ALR waren auch nicht immer praxisgerecht – vor allem für die Binnenversicherung. Hier schränkte das traditionelle Erfordernis, dass der VN von der versicherten Person aufgrund eines Rechtsverhältnisses („Auftrag oder Bevollmächtigung“) ermächtigt sein musste, Versicherung für fremde Rechnung zu nehmen, deren Anwendungsbereich ein.5 Noch stärker zurückgedrängt blieb die Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ (§ 48). Diese war Kaufleuten vorbehalten.6 2 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43 bis 48 Rn. 32 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 123 ff. 3 Näher Corrodi 36 ff.; J. Huber 5 ff. 4 Zu einem früheren Fall der Versicherung für fremde Rechnung unter Hamburgischem Recht (1590): Kiesselbach 167. 5 § 1945 II 8 ALR: „Wer für fremde Rechnung Versicherung nimmt, muß dazu mit Vollmacht oder Auftrag versehen seyn; widrigenfalls die Versicherung ungültig und die bedungene Prämie verfallen ist“; dazu auch Krause 20; Corrodi 88 f. 6 § 2071 II 8 ALR: „Nur Kaufleuten ist erlaubt, mit Verschweigung ihres Namens unter dem Ausdrucke: An Zeiger dieses oder für Rechnung dessen, den es angeht, Versicherung zu nehmen.“. Brand

576

C. Rechtsnatur

VVG Vor §§ 43–48

Dogmatisch ist das heutige Rechtsinstitut erst im 19. Jahrhundert geprägt worden, insbes. 11 von den Bestimmungen für die Seeversicherung in §§ 781, 783, 807, 886 bis 890 HGB und den ADS vorangehenden Bedingungen.7 Hier erhält die deutschrechtliche Ausprägung der Versicherung für fremde Rechnung auch das ihr eigentümliche Charakteristikum der Trennung von Rechtsinhaberschaft (Versicherte Person) und Verfügungsbefugnis (VN). Das preußische Allgemeine Landrecht kannte eine solche Regelung noch nicht. Die Regeln des BGB zum Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB), die ebenfalls keine Trennung von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis vorsehen, haben kaum Prägekraft entfalten können. In den Motiven zum VVG 1908 werden sie nicht in Bezug genommen. Der Blick bleibt auf das Seeversicherungsrecht konzentriert. So zeigt sich die Versicherung für fremde Rechnung als Beispiel für das bis zur Reform von 2008 verbreitete separatistische Denken im Versicherungsvertragsrecht, das sich nicht verpflichtet sah und auch keine Neigung verspürte, an die Regeln des allgemeinen Zivilrechts anzuknüpfen. Die §§ 43 bis 48 haben ihre Fassung seit dem Inkrafttreten des VVG im Wesentlichen behal- 12 ten. Die Neukodifikation des VVG im Jahre 2008 hat allerdings zwei systematische Veränderungen mit sich gebracht. Von geringerer Bedeutung ist die Umgliederung der gesetzlichen Vermutung für eine Eigenversicherung (§ 80 Abs. 1 a.F.). Sie ist jetzt den Begriffsbestimmungen in § 43 zugeordnet. Dort sollte sie nach einem Entwurf für das VVG von 1903 auch ursprünglich ihren Platz haben (dazu näher § 43 Rn. 1). Weiterreichend ist die systematische Neuverortung des gesamten Rechts der Versicherung 13 für fremde Rechnung, das zuvor in den §§ 74 bis 77, 79 bis 80 a.F. geregelt war und jetzt von den Allgemeinen Bestimmungen für die Schadensversicherung zu Bestimmungen des Allgemeinen Teils befördert worden ist. § 78 a.F. ist schon durch eine VO vom 19.12.1939 gestrichen worden; er ist in der allgemeinen Bestimmung des § 35 (§ 35b a.F.) aufgegangen.8 Vorbehaltlich spezieller Regeln vor allem in der Kranken-, Lebens- und Unfallversicherung sind die Regeln über die Versicherung für fremde Rechnung damit auf alle Versicherungszweige anwendbar.9 Sonderregeln für die genannten Versicherungszweige sind erforderlich, weil der VN hier oft nicht die versicherte Person ist. Es handelt sich aber dort nicht notwendig um eine Versicherung für fremde Rechnung (näher § 43 Rn. 5 ff.).

C. Rechtsnatur I. Frühere Einordnungsversuche Die Rechtsnatur der Versicherung für fremde Rechnung war lange Zeit umstritten. Da der VN im 14 eigenen Namen für fremde Rechnung handelt, zog das Schrifttum etwa das Kommissionsgeschäft als dogmatische Anbindung heran.10 Indes vermag die Kommission die Versicherung für fremde Rechnung nicht zu erklären. Diese lässt das Ausführungsgeschäft, das hier ausschlaggebend ist, außer Betracht. Kommission mag zwar im Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person vorliegen, etwa wenn der Kommissionär oder Spediteur das Gut des Kunden versichert. Aber nicht jede Versicherung für fremde Rechnung beruht auf einem Kommissionsgeschäft. Insbes. fehlt hier ein Abwicklungsgeschäft zwischen Kommittenten und Kommissionär, das dem Kommittenten erst die Früchte des Ausführungsgeschäfts verschafft. Lediglich die bei der Einkaufskommission entwickelte Übereignung an „wen es angeht“ hat gewisse Verwandtschaft mit

7 Bruck Materialien zu den ADS, Bd. 2 (1919) 10. 8 Amtl. Begründung zur VO, in: Motive zum VVG (1963) 645. 9 Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 72; Langheid/Wandt/Dageförde2 Vor § 43 Rn. 7. 10 RG 6.10.1894 – I 176/94, RGZ 35 48, 54; Byk 31; W. Fischer 17; Lenné 10 bis 12, 35, der aber (32 f.) zugleich einen Vertrag zugunsten Dritter annimmt. 577

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der Versicherung für Rechnung wen es angeht (§ 48): dem Partner des Kommissionärs wie dem VR ist es in der Regel gleichgültig, wem das Erfüllungsgeschäft zugutekommt.11 15 Mit der Kommissionstheorie verwandt ist die Auffassung, die Versicherung für fremde Rechnung sei als mittelbare Stellvertretung zu begreifen.12 Auch diese Konstruktion trägt jedoch nicht. Abgesehen davon, dass das Innenverhältnis zwischen versicherter Person und VN letzteren häufig nicht legitimiert, als (mittelbarer) Stellvertreter der versicherten Person aufzutreten, ist diese Rechtsfigur zu farblos, um die Besonderheiten der Versicherung für fremde Rechnung zu erklären. Insbes. treffen die versicherte Person – anders als den Vertretenen bei der mittelbaren Stellvertretung – zwar Obliegenheiten, aber keine Pflichten. Den VN als direkten Stellvertreter der versicherten Person zu behandeln,13 ist nicht mit § 43 Abs. 2 vereinbar. Liegt eine Versicherung für fremde Rechnung vor, hat der VN zwingend im eigenen Namen gehandelt. 16 Auch Vorstöße, die Versicherung für fremde Rechnung mit den Rechtsinstituten des Auftrags oder einer Geschäftsführung ohne Auftrag zu erklären,14 sind ins Leere gelaufen. Dieser Erklärungsversuch vermag schon das Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person nicht überzeugend zu erklären. Diesem mag auch ein anderes Rechtsverhältnis als eine GoA oder ein Auftrag zugrunde liegen. Das Rechtsverhältnis der versicherten Person zum VR bleibt gänzlich unerklärt, da in diesem Verhältnis aus der Geschäftsführung im Innenverhältnis keine Rechte entstehen können.

II. Vertrag zugunsten Dritter 17 Die heute herrschende Ansicht ordnet die Versicherung für fremde Rechnung als gesetzlich geregelten Sonderfall eines Vertrags zugunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB ein.15 Diese Einordnung ist zutreffend, obwohl einige Abweichungen des Rechts der Versicherung für fremde Rechnung vom Recht des Vertrags zugunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB auffallen.16 Zunächst ist die versicherte Person als Begünstigte bei der Versicherung für fremde Rechnung stärker in das Deckungsverhältnis eingebunden, als dies beim bürgerlich-rechtlichen Vertrag zugunsten Dritter normalerweise der Fall ist (vgl. § 47, welcher der versicherten Person eigene Obliegenheiten auferlegt, deren Verletzung die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des VR zeitigen kann). Weiterhin ist die versicherte Person, abweichend von § 328 Abs. 1 BGB, regelmäßig hinsichtlich ihrer Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht verfügungsbefugt, § 45 Abs. 1, 2. Etwas anders kann sich allerdings aus dem Gesetz (z.B. § 2 Abs. 3 KfzPflVV) oder dem Versicherungsvertrag ergeben. Weiterhin ist die versicherte Person – vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen (z.B. § 12 Abs. 1 Satz 3 VGB 2008 – Wert 1914) – verfügungsbefugt, wenn der VN zustimmt oder die versicherte Person sich im Besitz des Versicherungsscheins befindet, § 44 Abs. 2. 18 All dies spricht aber nicht gegen eine Einordnung der Versicherung für fremde Rechnung als Vertrag zugunsten Dritter. Zwar darf der Dritte bei einem bürgerlich-rechtlichen Vertrag zugunsten Dritter nur berechtigt, nicht aber verpflichtet werden, damit kein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter vorliegt. Die versicherte Person treffen bei der Versicherung für fremde 11 12 13 14 15

ÖOGH 18.2.1970 – 7 Ob 23/70, VersR 1971 140. Müller-Erzbach 64 f.; Corrodi 82 ff. Voigt 28 ff. Voigt 28 f. RG 27.6.1939 – VII 31/39, RGZ 161 23, 27; BGH 19.1.1967 – II ZR 37/64, VersR 1967 343, 344; BGH 15.11.1978 – IV ZR 183/77, VersR 1979 176, 178; BGH 15.7.2020 – IV ZR 4/19, VersR 2020 1097 Rn. 19; BAG 30.1.1958 – 2 AZR 293/56, NJW 1958 764 = VersR 1958 360; ÖOGH 11.12.1986 – 7 Ob 48/86, VersR 1988 502; OLG Düsseldorf 9.8.1995 – 4 U 219/94, VersR 1996 1267, 1268; Kisch PVR III 378 ff.; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 10; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43 bis 48 VVG Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 Vor § 43 Rn. 14; Beckmann/MatuscheBeckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 92; Trautmann 15 bis 18 m.w.N.; Ruscher 22; Schwan 29; Anli 30; Looschelders RuS 2015 581; a.A. BGH 13.1.1988 – IVa ZR 152/86, VersR 1988 362, 363. 16 Im Überblick Pannenbecker VersR 1998 1322 f. Brand

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C. Rechtsnatur

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Rechnung aber keine Vertragspflichten, sondern nach Maßgabe des § 47 lediglich Obliegenheiten. Diese haben eine andere Qualität als Rechtspflichten, da ihre Verletzung im schlimmsten Fall dazu führt, dass der Begünstigte den ihm zugewandten Anspruch verliert. Zudem ist anerkannt, dass auch der Begünstigte eines bürgerlich-rechtlichen Vertrags zugunsten Dritter mit Auflagen belastet werden kann.17 Dem VN fehlt auch nicht zwingend ein eigenes Interesse an der Leistung des VR, wie gegen eine Qualifikation der Versicherung für fremde Rechnung als Vertrag zugunsten Dritter eingewandt worden ist. So kann der VN etwa im Innenverhältnis zur versicherten Person darauf haften, diesen schadlos zu halten, und daher ein mittelbares Eigeninteresse an wirksamem Versicherungsschutz haben. Überdies ist das eigene Interesse des Versprechensempfängers kein wesensnotwendiger Bestandteil eines Vertrags zugunsten Dritter. Entscheidend für eine Einordnung der Versicherung für fremde Rechnung als Vertrag zu- 19 gunsten Dritter spricht die Verteilung der Rechte aus dem Vertrag. Diese müssen bei jedem Vertrag zugunsten Dritter zwingend dem Dritten zustehen;18 wer hingegen die Verfügungsbefugnis hinsichtlich dieser Rechte besitzt, ist nebensächlich.19 Für die Versicherung für fremde Rechnung bestimmt § 44 Abs. 1 Satz 1, dass die versicherte Person zwingend Rechtsinhaber ist. Sämtliche Modifikationen, welche die §§ 43 ff. gegenüber §§ 328 ff. BGB vornehmen, schließen eine Qualifikation als Vertrag zugunsten Dritter also nicht aus, da dessen Hauptmerkmal erhalten bleibt. Es handelt sich bei der Versicherung für fremde Rechnung lediglich um einen atypischen Vertrag zugunsten Dritter.20

III. Treuhand Vor einiger Zeit ist im Zuge einer verbreiteten Strömung in der Zivilrechtswissenschaft, welche der Treuhand größere Erklärungsmacht einräumen will, auch die Versicherung für fremde Rechnung insgesamt und nicht nur deren Innenverhältnis als Treuhand begriffen worden.21 Eine Treuhand kann so ausgestaltet sein, dass eine Person die Treuhand begründet (Treuhandbegründer) und eine andere Person (Treuhandbegünstigter) die Vorteile aus der Wahrnehmung der Interessen des Treuhandbegründers durch den Treuhänder ziehen soll. In diesen Fällen liegt eine „Treuhand zugunsten Dritter“ vor, wie z.T. auch für die unselbständige Stiftung und die Testamentsvollstreckung angenommen wird. Eine solche Konstruktion ist möglich, da jeder schuldrechtliche Vertrag als Vertrag zugunsten eines Dritten geschlossen wird und jede Leistung, die Gegenstand eines Schuldverhältnisses sein kann, auch Gegenstand eines Vertrags zugunsten eines Dritten sein kann.22 Bei der Versicherung für fremde Rechnung sollen der VR Treuhänder, der VN Treuhandbegründer und der Versicherte Treuhandbegünstigter sein. Die Ursache dafür, dass der Treuhandbegründer (VN) anstelle des Treuhandbegünstigten (Versicherter) die Wahrnehmung von dessen Interessen durch den Treuhänder (VR) herbeiführe, könne entweder im Innenverhältnis zwischen Versichertem und VN oder in einer gesetzlichen Anordnung liegen.23 Eine solche Konstruktion ist möglich, wenn man den Versicherungsvertrag selbst als Treuhandverhältnis versteht. Dies mag entgegen der h.M., die den Versicherungsvertrag als Austauschvertrag qualifiziert, durchaus möglich sein. Das Konstrukt einer Treuhand hat aber den 17 Kisch PVR III 380 ff.; Anli 19 differenzierend MüKoBGB/Gottwald8 § 328 Rn. 193 (bejahend für Obliegenheiten, verneinend für Auflagen).

18 Statt aller BGH 22.9.2005 – III ZR 295/04, NJW 2005 3778; BGH 8.2.2006 – IV ZR 205/04, VersR 2006 686; Palandt/Grüneberg § 328 Rn. 3; Hofmann VersR 1960 97, 99. 19 Ruscher 27 bis 30; a.A. Loppuch JRPV 1936 292 f. 20 So etwa Ehrenzweig 211. 21 Löhnig 341. 22 Vgl. schon RG 27.1.1936 – IV 246/35, RGZ 150 133; Palandt/Grüneberg80 § 328 Rn. 1. 23 Löhnig 338. 579

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Nachteil, dass diese im deutschen Recht nicht gesetzlich geregelt ist und in vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen auftritt. Als Anknüpfungspunkt bietet sie daher weniger Rechtssicherheit als die §§ 328 ff. BGB. Auf diesen tönernen Füßen aufzubauen, verspricht nur dann Gewinn, wenn das Treuhandmodell die §§ 43 ff. besser erklären kann als die Annahme eines atypischen Vertrags zugunsten Dritter. Zumindest auf den von Löhnig vorgestellten Erklärungsversuch trifft dies nicht zu. Jenseits des Innenverhältnisses zwischen VN und versicherter Person greift er nämlich auf die Figur des Vertrages zugunsten Dritter zurück, um seine Ergebnisse zu begründen: „Diese Treuhandverhältnisse folgen den Regeln der Verträge zugunsten Dritter“.24 Eine Treuhandlösung kann nur überzeugen, wo sie dies nicht muss. Ansonsten erscheint der direkte Rückgriff auf die §§ 328 ff. BGB als die konsequentere dogmatische Anknüpfung.

D. Recht des Vertrags zugunsten Dritter 24 Da sie ein atypischer Vertrag zugunsten Dritter ist, finden auf die Versicherung für fremde Rechnung die §§ 328 ff. BGB Anwendung, soweit sich aus den §§ 43 ff. nicht etwas anderes ergibt. Diese sind keine abschließenden Sonderregeln, sondern lediglich leges speciales. Viel Raum bleibt für die Anwendung der Regeln bürgerlichen Rechts aber nicht.

I. Unanwendbare Vorschriften 25 Zu den Vorschriften, die nicht auf eine Versicherung für fremde Rechnung anwendbar sind, zählt § 328 Abs. 1 BGB.25 Zwar erwirbt die versicherte Person nach § 44 Abs. 1 einen eigenen Anspruch gegen den VR. Sie hat jedoch keine Verfügungsmacht über ihren Anspruch. Diese steht, wie erläutert, nach § 45 Abs. 1, 2 grundsätzlich dem VN zu (vgl. oben Rn. 3 und § 45 Rn. 2 f.). Entgegen jüngerer Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des BGH ist auch § 328 Abs. 2 BGB 26 nicht anwendbar auf die Versicherung für fremde Rechnung.26 Er wird von § 44 Abs. 1 verdrängt. Während bei bürgerlich-rechtlichen Verträgen zugunsten Dritter die Vertragsparteien bestimmen können, ob dem Dritten ein unmittelbares Forderungsrecht gegen den Versprechenden überhaupt zustehen soll, zu welchem Zeitpunkt dies geschieht und ob der Dritte sein Recht widerruflich oder unwiderruflich erwirbt, weist § 44 Abs. 1 die Rechte aus dem Versicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn kraft Gesetzes zwingend dem Versicherten als dem Interesseträger zu. Die Frage der Widerruflichkeit der Berechtigung ist für die Versicherung für fremde Rechnung grundsätzlich mit der Rechtsregel des § 45 Abs. 1, 2 geklärt (dazu § 45 Rn. 10). § 329 BGB ist als eine der besonderen Bestimmungen, auf die § 328 Abs. 2 BGB verweist, ebenfalls nicht anwendbar.27 Die §§ 330 bis 332 BGB sind, soweit es sich um Versicherungsverträge handelt, auf die 27 Bezugsberechtigung i.S.d. §§ 159 Abs. 1, 160 zugeschnitten, die sich enger an die §§ 328 ff. BGB anlehnt, und erfassen die Versicherung für fremde Rechnung nicht.28 Die Auslegungsregel des § 335 BGB wird durch die Bestimmungen der §§ 43, 44 verdrängt. 28 Bei der Versicherung für fremde Rechnung haben entweder die versicherte Person als Dritte

24 Löhnig 341. 25 So auch Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 11. 26 Wie hier Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43 bis 48 Rn. 6; Wandt VersR 2013 857; offengelassen von Prölss/Martin/Klimke31 Vor § 43 Rn. 14; a.A. BGH 8.5.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013 853 Rn. 25.

27 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 12; Prölss/Martin/Klimke31 Vor § 43 Rn. 14. 28 Staudinger/Jagmann (2004) § 330 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 12; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43 bis 48 Rn. 6. Brand

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E. Anwendungsbereich

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oder der VN das Verfügungsrecht. Hat es der Dritte (§ 44 Abs. 2), wovon § 335 BGB ausgeht, so kann nicht auch der VN Leistung an den Dritten fordern.29

II. Anwendbare Vorschriften Zu den wenigen Vorschriften des bürgerlichen Rechts über den Vertrag zugunsten Dritter, die 29 auf die Versicherung für fremde Rechnung Anwendung finden, gehört § 333 BGB.30 Weist die versicherte Person den Erwerb des Rechts zurück, ohne dass sie dieses zuvor zumindest konkludent angenommen hat, gilt danach ihr Interesse als von Anfang an nicht versichert. Die Rechte aus dem Versicherungsvertrag gehen nicht etwa auf den VN über. Dem VR wird es vielmehr nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich, die Versicherungsleistung zu erbringen.31 Eines Rückgriffs auf § 333 BGB bedarf es für die Versicherung für fremde Rechnung nicht zwingend, da die Vorschrift Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens ist, dass niemandem gegen seinen Willen Rechte aufgenötigt werden können („invito beneficium non datur“).32 Es ist dennoch sinnvoll, in der praktischen Arbeit auf § 333 BGB abzustellen, um die dazu ergangene Rechtsprechung, die sich ohne weiteres auf die Versicherung für fremde Rechnung übertragen lässt, als Rechtserkenntnisquelle fruchtbar machen zu können. Auch § 334 BGB findet auf die Versicherung für fremde Rechnung grundsätzlich Anwen- 30 dung.33 Dass der VR Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag auch gegenüber der versicherten Person geltend machen kann, ergibt sich allerdings bereits daraus, dass dieser nach § 44 Abs. 1 nur die Rechte „aus dem Versicherungsvertrag“ zustehen. Die Rechtsstellung der versicherten Person ist somit akzessorisch zu der des VN. Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen VN und VR binden dementsprechend die versicherte Person bei ihrer eigenen Rechtsverfolgung. Verletzt der VN eine Pflicht, die ihn als Vertragspartei betrifft. Gerät er z.B. in Prämienverzug, so wirkt dies – soweit sich aus dem Gesetz oder dem Versicherungsvertrag nichts anderes ergibt – auch gegen die versicherte Person. Gleiches gilt, wenn der VN einen Risikoausschluss verwirklicht. Ob und inwieweit sich Obliegenheitsverletzungen des VN nachteilig auf den Versicherungsanspruch des Versicherten auswirken, beurteilt sich nach Sinn und Zweck der Obliegenheit und dem Gewicht der durch sie geschützten Interessen des VR (siehe § 47 Rn. 11).34 Zu einer Durchbrechung der Akzessorietät kann es kommen, wenn bei der Auslegung des Versicherungsvertrags auch auf die Verständnismöglichkeiten der versicherten Person abzustellen ist (dazu § 43 Rn. 58).35

E. Anwendungsbereich I. Grundsatz Vor der VVG-Reform war die Versicherung für fremde Rechnung im Abschnitt über die Scha- 31 densversicherung geregelt. Ausdrücklich ordnete § 85 a.F. für die Feuerversicherung an, dass die Versicherung eines Inbegriffs von Sachen als für fremde Rechnung der in häuslicher Gemeinschaft mit dem VN lebenden oder an dem Ort, den die Versicherung betrifft, ihren Beruf 29 BGH 8.2.2006 – IV ZR 205/04, VersR 2006 686 = NJW 2006 1434; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 43 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 13; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43 bis 48 Rn. 6; Prölss/Martin/Klimke31 Vor § 43 Rn. 14; Trautmann 13, 16 f. 30 BGH 28.4.1954 – VI ZR 38/53, VersR 1954 297, 298; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 13. 31 Kisch PVR III 381; Lenné 41; Schwan 31. 32 Schon L. 69 Dig. 50, 17. 33 BGH 19.1.1967 – II ZR 37/64, VersR 1967 343, 344; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 14. 34 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 14. 35 BGH 8.5.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013 853; BGH 16.7.2014 – IV ZR 88/13, VersR 2014 1118. 581

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ausübenden Personen genommen gilt. Für den Bereich der Betriebshaftpflichtversicherung und der Pflicht-Haftpflichtversicherung folgte aus §§ 151 Abs. 1 Satz 2, 158i Satz 1 a.F., dass es sich um eine Versicherung auf eigene Rechnung des Unternehmers und auf fremde Rechnung zugunsten der Betriebsangehörigen handeln konnte. Keine unmittelbare Anwendung fanden die Bestimmungen über die Versicherung für fremde Rechnung auf Personenversicherungen. Hintergrund war die – inhaltlich fragwürdige – Unterscheidung in Personen- und Schadensversicherung, die sich aus § 1 Abs. 1 ergab. Diese Unterscheidung führte dazu, dass die §§ 74 ff. a.F. aufgrund ihrer Verortung im Abschnitt über die Schadensversicherung aus rechtssystematischen Gründen keine unmittelbare Anwendung auf die Personenversicherung finden konnten – und zwar selbst dann nicht, wenn letztere nach den Grundsätzen der Schadenversicherung Versicherungsschutz gewährten.36 Nicht anwendbar waren deshalb die Bestimmungen über die Versicherung für fremde Rechnung auf die Kranken- und die Lebensversicherung. Soweit der VN in diesen Versicherungszweigen fremde Interessen versichern und den Begünstigten eigene und selbständig wahrnehmbare Rechte gegenüber dem VR einräumen wollte, musste er einen bürgerlich-rechtlichen Vertrag zu Gunsten eines Dritten i.S.d. § 328 Abs. 1 BGB abschließen (näher unten Rn. 46 ff.). Für die Unfallversicherung sah § 179 Abs. 2 Satz 2 a.F. eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Fremdversicherung vor. Die Neukodifikation des VVG von 2008 hat die Regeln über die Versicherung für fremde Rechnung in Kapitel 1 des Teils 1 verschoben. Dadurch erstreckt sich dieses Rechtsinstitut nunmehr unmittelbar auf sämtliche Versicherungszweige, namentlich die Unfall-, die Kranken-, die Berufsunfähigkeits- und die Lebensversicherung. Gerade bei der Lebensversicherung eröffnet die Anwendbarkeit der §§ 43 ff. neue Gestaltungsmöglichkeiten. Es ist allerdings fraglich, ob sich der Reformgesetzgeber dieser Gestaltungsmöglichkeiten und der damit verbundenen Konsequenzen für die Frage der Erforderlichkeit eines versicherten Interesses in der Lebensversicherung vollständig bewusst war (vgl. unten Rn. 48). Im internationalen Vergleich ist die Positionierung der Regeln über die Versicherung für fremde Rechnung außerhalb der Vorschriften über die Schadensversicherung jedenfalls unüblich, wie nicht zuletzt die PEICL (dort Art. 11–101 ff.) zeigen. Durch die Verschiebung der Vorschriften über die Versicherung für fremde Rechnung in den Allgemeinen Teil des VVG hat sich der Streit darüber erledigt, ob sich die Regeln auf die Summenversicherung anwenden lassen.37 Des Weiteren haben sich die genannten Verweisungsvorschriften des alten Rechts erübrigt, so z.B. der ersatzlos gestrichene § 179 Abs. 2 Satz 2 a.F., der die Vorschriften über die Versicherung für fremde Rechnung entsprechend für auf die Unfallversicherung anwendbar erklärte.38

II. Sonderregeln 36 Die §§ 194 und 179 enthalten Sonderregeln zu den §§ 43 bis 48 für die Kranken- und für die Unfallversicherung. Diese Regeln sind erforderlich, da in der Kranken- und Unfallversicherung ein Auseinanderfallen von VN und versicherter Person nicht notwendig bedeutet, dass es sich um eine Fremdversicherung handelt.39 Entgegen einer Auffassung im Schrifttum40 36 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 7; Fuchs 43 f.; Pannenbecker VersR 1998 1322, 1324 f.; Voit NJW 2006 2225, 2226; a.A. Anli 15 (für einige Lebensversicherungsarten, u.a. die Aussteuerversicherung); Hasse VersR 2007 870, 873 f. Fn. 49. 37 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 43 Rn. 1. 38 Vgl. Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 155. 39 Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 73; näher Bruck/Möller/Brand9 § 194 Rn. 53 ff.; Prölss/Martin/Voit31 § 194 Rn. 11 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 194 Rn. 19 ff.; Millauer 90 f.; Pannenbecker VersR 1998 1322, 1323 f. 40 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 43 Rn. 23. Brand

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E. Anwendungsbereich

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finden die Vorschriften der §§ 43 bis 48 nach dem klaren Wortlaut des § 194 Abs. 3 Satz 1 in der Krankenversicherung modifiziert Anwendung. Versicherung für fremde Rechnung liegt etwa vor, wenn ein Ehegatte den anderen mitversichern will, ohne selbst hinsichtlich der Kosten für die Behandlungsbedürftigkeit des anderen vollständig unterhaltsverpflichtet zu sein. Die Modifikation der §§ 43 ff. in der Krankenversicherung besteht darin, dass nach § 194 37 Abs. 3 Satz 1 ausschließlich die versicherte Person die Versicherungsleistung erhalten kann, wenn der VN sie als empfangsberechtigte Person benannt hat. Entgegen § 45 Abs. 2 kann der VN ferner die Leistung in der Krankenversicherung auch erlangen, wenn er nicht im Besitz des Versicherungsscheins ist, § 194 Abs. 3 Satz 2. Keine Versicherung für fremde Rechnung liegt allerdings bei der Mitversicherung von Kindern vor. Diese werden zwar in den Krankheitskostenvertrag einbezogen. Es ist aber von einer reinen Eigenversicherung des unterhaltspflichtigen Elternteils als VN auszugehen.41 Der Elternteil will sich mit der Versicherung lediglich gegen wirtschaftliche Einbußen schützen, die für ihn mit der Erkrankung der versicherten Person verbunden sind. Eine weitere Sonderregel enthält § 89 Abs. 2 Satz 2 bezüglich einer Versicherung für 38 einen Inbegriff von Sachen. Eine solche Versicherung ist nach § 89 Abs. 2 Satz 2 Versicherung für fremde Rechnung für die Sachen der Personen, mit denen der VN zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls in häuslicher Gemeinschaft lebt, oder die zu diesem Zeitpunkt für den VN an einem Ort, für den die Versicherung gilt, Dienste erbringt. In der Haftpflichtversicherung ist § 102 eine Sonderregel zur Versicherung für fremde Rechnung (s. näher Rn. 45).

III. Analoge Anwendung Teilweise werden die § 43 ff. auch analog angewandt. Ein jüngeres Beispiel für eine solche ana- 39 loge Anwendung42 sind die sog. Completion Bonds. Dabei handelt es sich um ein Deckungskonzept, das aus den angelsächsischen Rechtsordnungen stammt. Es dient als Sicherung der Geldgeber für die Fertigstellung von Filmen. Der VR verpflichtet sich bei Begebung eines Completion Bonds, Mehrkosten für die Fertigstellung des jeweiligen Filmes auszugleichen. Hinzukommen kann die Verpflichtung zur Rückzahlung des investierten Kapitals für den Fall, dass das Projekt nicht fertiggestellt wird. VN ist der Produzent des Filmvorhabens, der die Versicherung für Rechnung des finanzierenden Kreditinstituts nimmt.43 Um eine Garantiezusage mit der Folge, dass das auf den Ausgleich der Interessen im Dreiecksverhältnis gerichtete System der §§ 43 ff. nicht zur Anwendung käme, handelt es sich nicht.

IV. Seeversicherung Für die Seeversicherung gelten die §§ 43 bis 48 nicht, § 209. Das Gesetzesrecht des HGB ist ver- 40 drängt durch §§ 52 bis 57 ADS. Die Rechtslage stimmt weitgehend mit der überein, die sich auf Grund des VVG ergibt. Allerdings weist § 57 ADS noch nicht die weite Fassung auf, die § 47 auf Grund der VO vom 19.12.1939 erhalten hat (vgl. § 47 Rn. 2).

41 LG Dortmund 9.11.2006 – 2 O 172/06, VuR 2007 120; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 43 Rn. 25; Voit NJW 2006 2225.

42 Für eine direkte Anwendung offenbar Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 37. 43 Vgl. OLG Köln 6.11.2007 – 9 U 144/06, VersR 2008 680; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 22; a.A. Meiser ZfV 1997 192. 583

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F. Phänomenologie der Versicherung für fremde Rechnung I. Praktischer Bedarf 41 In der Praxis besteht ein starkes Bedürfnis danach, ein fremdes Interesse im eigenen Namen versichern zu können. Dieses Bedürfnis verspüren alle, die fremde Sachen in Besitz und Obhut nehmen (z.B. Kommissionäre, Spediteure, Frachtführer) oder am Bestand einer fremden Sache beteiligt sind. Zu denken ist an Mieter, Pächter und Nießbraucher, die oftmals gesetzlich verpflichtet sind oder eine entsprechende vertragliche Verpflichtung eingegangen sind, die fremde Sache versichern zu lassen.

1. Schadensversicherung 42 In der Praxis kommt der Versicherung für fremde Rechnung in der Schadensversicherung besondere Bedeutung zu – auch und gerade für diejenigen Schadensversicherungszweige, die im VVG nicht (mehr) ausdrücklich geregelt sind. Bis zur Reform von 2008 war die Versicherung für fremde Rechnung daher, durchaus zutreffend, in den allgemeinen Bestimmungen für die Schadensversicherung geregelt. 43 Oftmals ist der VN vertraglich, in Ausnahmefällen auch gesetzlich (vgl. unten Rn. 52) verpflichtet, fremdes Interesse auf eigene Kosten zu versichern. Gleichartige Interessen Dritter lassen sich zusammen vielfach zweckmäßiger und i.d.R. zu günstigeren Prämien als einzeln versichern. Durch den Einschluss fremder Interessen lassen sich zudem mehrere ungleichartige Interessen des Vertragschließenden und Dritter (z.B. das Sacherhaltungsinteresse des Eigentümers und das Sachersatz-/Haftpflichtinteresse des Besitzers) versichern (dazu näher § 43 Rn. 45). Schließlich lässt sich bei ungewisser Interessenlage, etwa weil das Eigentum schnell wechselt oder die Eigentumsverhältnisse nicht geklärt sind, ein effektiver Versicherungsschutz nur durch eine Versicherung erreichen, die neben dem eigenen Interesse auch fremdes Interesse mitversichert (sog. kombinierte Eigen- und Fremdversicherung) oder als Versicherung für Rechnung wen es angeht (§ 48) entweder eigenes oder fremdes Interesse abdeckt. Dasselbe gilt in solchen Fällen, in denen mehrere schwebende Interessen verschiedener Personen (z.B. die Interessen des Verkäufers und des die Gefahr tragenden Käufers) betroffen sind. 44 In der Sachversicherung sind i.d.R. nicht nur im Eigentum des VN stehende Sachen, sondern auch fremde Sachen versichert, die der VN unter Eigentumsvorbehalt erworben, die er geleast oder die er zur Sicherheit übereignet hat. Darüber hinaus ist fremdes Eigentum versichert, soweit es seiner Art nach zu den versicherten Sachen gehört und dem VN zur Bearbeitung, Benutzung, Verwahrung oder zum Verkauf in Obhut gegeben wurde. Die Versicherung gilt ausdrücklich für Rechnung des VN und des Eigentümers genommen (vgl. Abschnitt A § 3 Ziff. 5 AFB 2008/2010). Im Falle der Zerstörung, Beschädigung oder des Abhandenkommens fremder Sachen ist somit nicht nur das Sacherhaltungsinteresse des Eigentümers, sondern – weil dem VR der Regress nach § 86 Abs. 1 Satz 1 verwehrt ist – auch das Sachersatz-/Haftpflichtinteresse des VN versichert, wenn er dem Eigentümer gegenüber für die Zerstörung, Beschädigung oder das Abhandenkommen haftet.

2. Haftpflichtversicherung 45 Soweit die Haftpflichtversicherung Schutz gegen Haftpflichtrisiken aus gewerblicher oder selbständig beruflicher Tätigkeit bieten soll (z.B. Betriebs-, Berufs-, Vermögensschadenhaftpflichtversicherung), besteht vielfach ein Bedürfnis danach, auch Tochterunternehmen in den Versicherungsschutz einzubeziehen und den Versicherungsschutz auf die Mitarbeiter auszudehnen. Letztere haften nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadenausgleichs gegenBrand

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über dem Unternehmer oftmals gar nicht oder nur beschränkt. Sie können im Falle ihrer Inanspruchnahme durch Dritte wegen Schäden aus ihrer betrieblichen/beruflichen Tätigkeit Freistellung vom Unternehmer verlangen.44 Die Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf die Mitarbeiter hilft, Spannungen zwischen den Mitarbeitern und dem VN zu vermeiden, die bei ihrer unmittelbaren Inanspruchnahme durch den geschädigten Dritten entstehen können. § 102 Abs. 1 Satz 1 stellt deshalb die Vermutung auf, dass die Betriebshaftpflichtversicherung als für Rechnung der Betriebsangehörigen genommen gilt.45 In der Privathaftpflichtversicherung bleibt der Versicherungsschutz lückenhaft, wenn er nicht auch Schutz gegen Schäden bietet, die von Ehegatten, Lebenspartnern, Kindern sowie von im Haushalt des VN beschäftigten Personen verursacht worden sind. Selbst wenn der VN rechtlich für die von diesen Personen angerichteten Schäden nicht verantwortlich ist, wird er sie wirtschaftlich meist selbst zu tragen haben.

3. Personen-, insbes. Lebensversicherung Vor der Neukodifikation des VVG von 2008 musste der VN in der Lebensversicherung einen 46 bürgerlich-rechtlichen Vertrag zugunsten Dritter schließen, um fremde Interessen versichern zu können.46 Es fehlte an einer Verweisungsnorm auf die in der Schadensversicherung geregelten Vorschriften über die Versicherung für fremde Rechnung, wie sie § 179 Abs. 2 a.F. für die Unfallversicherung vorsah. Im Schrifttum wurde aber eine analoge Anwendung der heutigen §§ 43 ff. vor allem auf Fälle der Gruppenversicherung im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge47 sowie auf die Sterbegeldversicherung48 aufgrund der sachlichen Nähe der geregelten Konstellationen zur Schadensversicherung gefordert. Gedacht wurde auch an die Risikolebensversicherung in Form der Restschuld- oder der Kreditlebensversicherung.49 Die Rechtsprechung griff diese Ansätze auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung auf. Hier gelten die Grundsätze der Lebensversicherung.50 Wegen des Bezugs der Versicherungsleistung zum Nettoeinkommen wurde ferner angenommen, dass auch die Krankentagegeldversicherung derart im Nähebereich der Schadensversicherung stehe, dass eine entsprechende Anwendung der §§ 74 ff. a.F. gerechtfertigt sei.51 Mit der Umgruppierung der §§ 74 ff. a.F. als § 43 ff. in die Allgemeinen Bestimmungen hat 47 der Reformgesetzgeber von 2008 das Institut der Versicherung für fremde Rechnung für die Personenversicherung, insbes. auch für die Lebensversicherung, geöffnet.52 In der Praxis ist diese neue Gestaltungsmöglichkeit bisher noch auf kein sonderliches Interesse gestoßen. Offenbar befriedigt die Bezugsberechtigung in ihren Erscheinungsformen die Marktbedürfnisse. Die Frage, ob der Abschluss einer Versicherung für fremde Rechnung im Einzelfall der 48 Bezugsberechtigung vorzuziehen ist, hängt von einer objektiven Gegebenheit ab: Versicherung für fremde Rechnung kommt grundsätzlich nur in Betracht, wo der Begünstige Träger des versicherten Interesses ist. Ist dies nicht der Fall, heißt dies für die Lebensversicherung, dass nur die Bezugsberechtigung als Gestaltungsform bleibt. Indes gibt es in der Lebensversiche-

44 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 4; Walker JuS 2002 736, 742. 45 Heimbücher VW 1987 1236. 46 Vgl. BGH 8.2.2006 – IV ZR 205/04, VersR 2006 686, 688 = NJW 2006 1434; OLG Celle 13.9.2007 – 8 U 29/07, VersR 2008 60, 61. 47 Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 14; v.d. Thüsen VersR 1954 155, 156 f. 48 Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 15 f. 49 AG Breisach 13.6.2006 – 2 C 18/06, VersR 2007 936. 50 Siehe nur BGH 15.7.2020 – IV ZR 4/19, VersR 2020 1097 Rn. 26. 51 BGH 19.12.1973 – IV ZR 130/72, VersR 1974 184 unter I 3; OLG Hamm 19.4.1972 – 20 U 7/1972, VersR 1972 968 unter I 2. 52 A.A. ohne überzeugende Begründung Deutsch/Iversen Versicherungsvertragsrecht Rn. 7 und 107; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 153. 585

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rung nach wohl noch h.M. kein versichertes Interesse.53 Diese Ansicht wird sich mit der Verschiebung der Vorschriften über die Versicherung für fremde Rechnung in die Allgemeinen Bestimmungen des VVG nicht mehr halten lassen, wie Hasse herausgearbeitet hat.54 Anderenfalls müsste man eine interessenlose Versicherung für fremde Rechnung zulassen. Dies erscheint dogmatisch überaus fragwürdig. Hasse definiert das versicherte Interesse als „die wirtschaftliche oder persönliche Beziehung des Anspruchsberechtigten zu der Gefahrperson, aus der sich bei Erreichen eines bestimmten Lebensalters oder Eintritt des Todes der Gefahrperson (Versicherungsfall) ein anerkennenswertes Verlangen nach Ausgleich eines Vermögensnachtteils oder Erhalt eines Vermögensvorteils anlässlich des Eintritts des Versicherungsfalls ergibt“.55 Ein anerkennenswertes Verlangen auf Ausgleich eines Vermögensnachteils in diesem Sinne können etwa unterhaltsberechtigte Hinterbliebene der versicherten Gefahrsperson geltend machen, ein anerkennenswertes Verlangen auf Erhalt eines Vermögensvorteils Personen, die Pflegeleistungen für die Gefahrperson erbracht haben (§ 2057b BGB). Seither hat Lentz einen weiteren, engeren Begriff des versicherten Interesses für die Lebensversicherung vorgeschlagen. Ihr zufolge liegt ein solches Interesse immer dann vor, „wenn die versicherte Person durch den Eintritt des Versicherungsfalls einen Vermögensnachteil erleidet, dessen Ausgleich durch die Versicherungssumme aufgrund der Beziehung zwischen VN und versicherten Person geboten ist.“56 Diese Definition entspricht in ungefähr den Anforderungen, die das englische Recht an ein „insurable interest“ in der Lebensversicherung stellt, und hat den Vorteil, dass sie Hasses unbestimmten Rechtsbegriff des „anerkennenswerten Verlangens“, der letztlich beinahe beliebig auffüllbar ist, durch das konkretere Erfordernis der wirtschaftlichen oder persönlichen Beziehung zwischen VN und versicherter Person ersetzt. Eine solche Beziehung wird man etwa zwischen einem Start-Up-Unternehmen und seinem einzigen Know-How-Träger, dem Hauptschuldner und seinem Bürgen oder dem Filmhersteller und seinen Hauptdarstellern annehmen können.57 Ist der Dritte Träger eines derart festgestellten Interesses, bestimmt das Innenverhältnis 49 zwischen ihm und dem VN darüber, ob eine Versicherung für fremde Rechnung als Begünstigungsform von Interesse ist. Insbes. wenn das Innenverhältnis von familiären Beziehungen geprägt ist und es dem VN darauf ankommt, den Versicherten möglichst stark zu positionieren, mag sich die Versicherung für fremde Rechnung anbieten. Weiterhin muss sich der VN fragen, wie viel an Verfügungsgewalt er über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag behalten will. Letztere besitzt er durch die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs bei der widerruflichen Bezugsberechtigung nahezu vollständig. Gegenüber der widerruflichen Bezugsberechtigung hat die Versicherung für fremde Rechnung aber dann einen Vorteil, wenn es dem VN darauf ankommt, den Begünstigten möglichst stark zu sichern. Wird Versicherung für fremde Rechnung genommen, ist der Begünstigte als Versicherter bei Zwangsvollstreckung in das Vermögen des VN und bei dessen Insolvenz besser gegen den Zugriff durch dessen Gläubiger geschützt. Während diese bei der Bezugsberechtigung in das Vermögen des Bezugsberechtigten vollstrecken können,58 gelingt ihnen dies bei der Versicherung für fremde Rechnung nicht (dazu § 44 Rn. 18). Außerdem erlangt der Begünstigte als Versicherter eine Rechtsposition, die er im Wege

53 OLG Celle 4.11.1993 – 8 U 93/92, VersR 1995, 405, 406; Berliner Kommentar/Schauer Vorbem. §§ 49–68a Rn. 45; Bruck/Möller/Möller8 § 49 Anm. 42; Krause 66 ff.; Beckmann/Matusche-Beckmann/E. Lorenz3 § 1 Rn. 123; Wandt Rn. 664; a.A. Franz VersR 2008 1565, 1575; Hasse VersR 2007 870, 873 Fn. 49; differenzierend Bruck/Möller/Baumann/Koch10 § 1 Rn. 80 bis 82. 54 Siehe Hasse VersR 2010 837, 841 ff.; ders. VersR 2011 156, 157; dem folgend u.a. Bruck/Möller/Winter9 Einf. Vor § 150 Rn. 171 ff. 55 Hasse VersR 2010 837, 848 und Vorauflage Rn. 33. 56 Lentz 93. 57 Weitere Beispiele bei Lentz 93 f. 58 Hasse VersR 2005 15, 18; zu Anfechtungsansprüchen der Gläubiger Elfring NJW 2004 483, 484 f. Brand

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der Gesamtrechtsnachfolge weitergeben kann (dazu § 44 Rn. 20), als widerruflich Bezugsberechtigter nicht (vgl. § 160 Abs. 3 VVG).59 Bei unwiderruflicher Bezugsberechtigung bestehen die vollstreckungsrechtlichen60 und 50 erbrechtlichen61 Vorteile der Versicherung für fremde Rechnung freilich nicht. Hier hat die Versicherung für fremde Rechnung aber für den VN einen Vorteil, wenn es ihm auf seine Verfügungsgewalt ankommt. Nach §§ 43 ff. kann er im Wege der gegebenen oder verweigerten Zustimmung bzw. Weitergabe des Versicherungsscheins steuern, ob er selbst über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag verfügungsbefugt bleibt (§§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1, 2), oder ob die Verfügungsbefugnis dem Begünstigten zufällt, der Inhaber der Rechte ist. Bei der unwiderruflichen Bezugsberechtigung ist hingegen zwingend der Begünstigte verfügungsberechtigt.62

II. Arten der Versicherung für fremde Rechnung Versicherungen für fremde Rechnung treten in drei Spielarten auf: sie können gesetzlich vorge- 51 schrieben sein (1), nach dispositivem Gesetzesrecht als Regelfall vorgesehen sein (2) oder von den Parteien frei vereinbart werden (3).

1. Rechtspflicht zur Versicherung für fremde Rechnung Gesetzliche Verpflichtungen zur Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf dritte Personen finden sich in Versicherungen, zu deren Abschluss der VN verpflichtet ist. Im Folgenden finden sich die wichtigsten Beispiele: Im Bewachungsgewerbe haben Gewerbetreibende nach §§ 34a Abs. 2 Nr. 3a GewO, 6 Abs. 1 BewO für sich und die in ihrem Gewerbebetrieb beschäftigten Personen zur Deckung der Schäden, die den Auftraggebern oder Dritten bei der Durchführung des Bewachungsvertrages entstehen, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Der Kfz-Halter mit regelmäßigem Standort im Inland ist gemäß § 1 PflVG verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten. § 2 Abs. 2 Nr. 4 bis 6 KfzPflVV dehnt den Versicherungsschutz auf Beifahrer, Omnibusschaffner und Arbeitgeber oder öffentliche Dienstherren des VN aus. Nach § 1 Abs. 1 AuslPflVG dürfen Kfz, die in Deutschland keinen regelmäßigen Standort haben, nur gebraucht werden, wenn für den Halter, den Eigentümer und den Führer zur Deckung der durch den Gebrauch verursachten Personen- und Sachschäden eine Haftpflichtversicherung besteht. Im Bereich der klinischen Forschung hat der Sponsor i.S.v. § 1 Abs. 24 AMG gem. § 40 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG eine Unfallversicherung zugunsten der von der klinischen Prüfung eines Arzneimittels oder eines Medizinprodukts betroffenen Person abzuschließen (vgl. auch § 20 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 MedizinprodukteG). Bei einem Nießbrauch hat der Nießbraucher eine Feuerversicherung und ggf. auch andere Schadensversicherungsarten zugunsten des Eigentümers zu nehmen, soweit das einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entspricht, § 1045 Abs. 1 BGB (zur Rechtslage, wenn der Eigentümer die Versicherung nimmt, § 43 Rn. 12).

59 Kühlmorgen 66. 60 Zur Einzelvollstreckung: Looschelders/Pohlmann/Peters3 § 159 Rn. 20; Bruck/Möller/Winter8 V/2 Anm. H 118; zur Insolvenz: Stegmann/Lind NVersZ 2002 193, 194; Armbrüster/Pilz KTS 2004 481, 486.

61 Bruck/Möller/Winter8 V/2 Anm. H 122. 62 Looschelders/Pohlmann/Peters3 § 159 Rn. 22; Bruck/Möller/Winter9 § 159 Rn. 173. 587

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Rechtsanwälte und Notare: Rechtsanwälte (§ 51 Abs. 1 BRAO), Rechtsanwaltsgesellschaften (§ 59j BRAO) und Notare (§ 19a BNotO) sind verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung zu unterhalten, um Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden zu decken, die sich aus ihrer Berufstätigkeit und der Tätigkeit von Personen ergeben, für die sie haften. § 61 Abs. 2 BNotO verpflichtet die Notarkammern, sich und den Notariatsverwalter gegen Verluste aus der Haftung für Amtspflichtverletzungen durch Abschluss einer Haftpflichtversicherung bzw. einer Vertrauensschadensversicherung abzusichern.63 Das Gleiche gilt gem. § 67 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 BNotO zugunsten der durch ein vorsätzliches Handeln eines Notars in ihrem Vermögen Geschädigten.

2. Versicherung für fremde Rechnung als gesetzliche Vermutung 58 Nach dem VVG gilt als Versicherung für fremde Rechnung die Versicherung für einen Inbegriff von Sachen, die sich gemäß § 89 Abs. 2 auf die Sachen der Personen erstreckt, mit denen der VN bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt oder die zu diesem Zeitpunkt in einem Dienstverhältnis zum VN stehen und ihre Tätigkeit an dem Ort ausüben. Die Betriebshaftpflichtversicherung erstreckt sich nach § 102 Abs. 1 auf die Haftpflicht der zur Vertretung des Unternehmens befugten Personen sowie der Personen, die in einem Dienstverhältnis zu dem Unternehmen stehen. In der Betriebshaftpflichtversicherung sind in Abgrenzung zur Privat- und Berufshaftpflichtversicherung vornehmlich Risiken aus gewerblicher Tätigkeit versichert. Spezielle Ausprägungen der Betriebshaftpflichtversicherungen sind die Produkthaftpflichtversicherung, die Umwelthaftpflichtversicherung und die Umweltschadenversicherung. Eine Versicherung gegen Unfälle eines anderen gilt nach § 179 Abs. 1 Satz 2 im Zweifel als für Rechnung des anderen genommen.

3. Versicherung für fremde Rechnung kraft vertraglicher Vereinbarung 59 Kraft vertraglicher Vereinbarung können als Versicherung für fremde Rechnung u.a. folgende Versicherungstypen ausgestaltet sein. Maßgeblich für die Frage, ob Versicherung für fremde Rechnung vorliegt, sind dabei der Inhalt der getroffenen Vereinbarungen und die nach diesen Vereinbarungen geschützten Interessen.64

60 a) Berufsunfähigkeitsversicherung. Eine Restschuldversicherung des Kreditgebers, die das Risiko der Arbeitsunfähigkeit erfasst, zugunsten des Kreditnehmers.65 Des Weiteren eine Berufsunfähigkeitsversicherung, die durch den Arbeitgeber abgeschlossen wird, wenn dadurch nicht dessen Interesse an einer Rückdeckung der gegebenen Versorgungszusage,66 sondern das Interesse der versicherten Person an der Erfüllbarkeit der Pensionsverpflichtung ihres Arbeitgebers gesichert werden soll.67 Auch bei einer Versicherung von Familienangehörigen gegen die Folgen gesundheitlicher Beeinträchtigungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese nur im

63 BGH 27.5.1998 – IV ZR 166/97, NJW 1998 2537; BGH 12.12.1990 – IV ZR 213/89, BGHZ 113 151, 153; BGH 29.7.1991 – NotZ 25/90, BGHZ 115 275, 278. 64 Vgl. auch BGH 15.7.2020 – IV ZR 4/19, VersR 2020 1097 Rn. 18. 65 OLG Celle 31.5.2007 – 8 U 271/06, VersR 2007 1641; OLG Karlsruhe 2.2.2006 – 12 U 243/05, VersR 2006 637; OLG Hamm 18.11.1986 – 20 W 33/86, VersR 1987 354. 66 OLG Köln 3.6.2011 – 20 U 168/10 (juris Rn. 21) (Eigenversicherung). 67 OLG Saarbrücken 13.4.2005 – 5 U 842/01 – 67, 5 U 842/01, VersR 2006 778; Voit/Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung2 Teil D Rn. 11 f.; Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung Teil E Rn. 58 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Rixecker3 § 46 Rn. 236. Brand

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Interesse des VN abgeschlossen wird, mögen diese Beeinträchtigungen auch wegen unterhaltsrechtlicher Pflichten finanzielle Folgen für ihn haben (siehe auch § 43 Rn. 11).68

b) Haftpflichtversicherung. Eine D&O-Versicherung (eine freiwillige Vermögensschaden-Haft- 61 pflichtversicherung, die von einem Unternehmen als VN zur Absicherung seiner Organmitglieder in der Innen- und Außenhaftung abgeschlossen wird);69 eine Haftpflichtversicherung des Betreuungsvereins zugunsten seiner Mitarbeiter (§ 1908f BGB); eine Privathaftpflichtversicherung;70 eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung zugunsten der anwaltlichen Mitarbeiter.71

c) Gruppenversicherung. Gruppenversicherungsverträge zugunsten von Arbeitnehmern,72 62 Kreditkarteninhabern,73 Urlaubsreisenden,74 Vereinsmitgliedern in der Unfallversicherung, (Auslands-)Krankenversicherung, Kfz-Kaskoversicherung, Haftpflichtversicherung, Rechtsschutzversicherung.75 Für Gruppenversicherungsverträge ist bei deren praktischer Ausgestaltung das Rundschreiben 3/2021 der BaFin vom 3.3.2021 zu beachten. Darin sind einige Vorgaben enthalten, die von den §§ 43 ff. abweichen (u.a. Abbedingung des § 44 Abs. 2).

d) Kredit-, Kautions- und Vertrauensschadensversicherung. Eine Kautionsversiche- 63 rung;76 eine Notarvertrauensschadensversicherung zugunsten des vom Notar Geschädigten;77 eine Personenkautionsversicherung.78

e) Lebensversicherung. Eine Restschuldversicherung des Ehemanns als Kreditnehmer zu- 64 gunsten der Ehefrau als sog. Kreditnehmerin;79 Restschuldversicherung eines Kreditinstituts zugunsten des Kreditnehmers.80 f) Rechtsschutzversicherung. Rechtsschutzversicherung zugunsten von weiteren Miteigentü- 65 mern nach Aufteilung im Wohnungseigentum;81 zugunsten von Personen, die zusammen mit

68 BGH 15.7.2020 – IV ZR 4/19, VersR 2020 1097 Rn. 22. 69 OLG Köln 2.9.2008 – 9 U 151/07, RuS 2008 469; OLG Dresden 25.9.2007 – 2 U 318/07, ZBB 2008 125; OLG Düsseldorf 21.12.2006 – I-4 U 6/06 (juris); OLG München 15.3.2005 – 25 U 3940/04, VersR 2005 540. 70 Vgl. BGH 22.2.1978 – IV ZR 105/76, VersR 1978 409; BGH 13.1.1954 – II ZR 45/53, LM Nr. 1 zu § 74 VVG. 71 LG Düsseldorf 8.12.1978 – 11 O 350/78, VersR 1980 81. 72 BAG 26.7.2007 – 8 AZR 707/06, NJZ 2008 3171 ff.; BAG 21.2.1990 – 5 AZR 169/89, NZA 1990 701; Nießen 40; zur steuerrechtlichen Bedeutung Otto DStR 2009 1022. 73 ÖOGH 11.5.1994 – 7 Ob 19/94, VersR 1995 443. 74 LG Stade 16.1.2013 – 2 S 34/12, VersR 2014 58 Rn. 22. 75 LG Karlsruhe 15.1.1982 – 9 S 378/81, VersR 1982 997. 76 LG Hamburg 19.7.1951 – 6 O 37/50, VersR 1951 275. 77 BGH 12.12.1990 – IV ZR 213/89, NJW 1991 1055. 78 BGH 24.11.1971 – IV ZR 71/70, VersR 1972 194, 195; BGH 11.7.1960 – II ZR 254/58, BGHZ 33 97, 102 ff. = NJW 1960 1903. 79 OLG Hamm 9.11.1988 – 20 U 56/88, VersR 1989 694. 80 ÖOGH 29.11.2006 – 7 Ob 234/06x, VersR 2008 283; vgl. auch AG Breisach 13.6.2006 – 2 C 18/06, VersR 2007 936. 81 OLG Karlsruhe 4.5.2000 – 12 U 41/00, NJW-RR 2001 599. 589

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dem VN eine Rechtsgemeinschaft an der Mietwohnung bilden;82 zugunsten von Ehegatten und nichtehelichen Lebenspartnern.83

66 g) Rentenversicherung. Private Rentenversicherung für eine betriebliche Altersvorsorge des Arbeitgebers zugunsten des Arbeitnehmers.84

67 h) Sachversicherung. Automatenversicherung des Gastwirts zugunsten des Aufstellers;85 Bauwesenversicherung des Bauherrn zugunsten der beauftragten Unternehmer;86 Mitversicherung von Ernteerzeugnissen des Hofpächters in der Feuerversicherung des Hofeigentümers;87 Feuer-, Leitungswasserschäden-, Sturm- und Einbruchsdiebstahlversicherung des Nießbrauchers zugunsten des Eigentümers (§ 1054 BGB); Gebäudeversicherung der Wohnungseigentümergemeinschaft für das Sondereigentum der einzelnen Miteigentümer;88 Gebäudeversicherung des Zwangsverwalters zugunsten des Grundstückseigentümers;89 Glasversicherung des Mieters zugunsten des Vermieters;90 Hausratversicherung zugunsten des Eigentums(anteils) der Ehefrau des VN;91 Kfz-Vollkaskoversicherung des Leasingnehmers zugunsten des Leasinggebers;92 Kaskoversicherung nach den Sonderbedingungen zur Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung im Kfz-Handel und -Handwerk bei Anbringung eines roten Kennzeichens an einem betriebsfremden Kfz (Versicherung für Rechnung wen es angeht nach § 48);93 Kaskoversicherung eines Fahrzeugs, das im Miteigentum von Eheleuten steht.94 Versicherung des Kommissionsgutes durch den Kommissionär zugunsten des Eigentümers des Gutes gegen Diebstahl, Feuer etc.;95 Versicherung von Kundeneigentum in Reinigungsbetrieben;96 Schlachttierversicherung des Käufers zugunsten des Verkäufers.97

68 i) Transportversicherung. Frachtführer-Haftpflichtversicherung;98 Lagerversicherung des Lagerhalters zugunsten der Einlagerer;99 Speditionsversicherung zugunsten des Auftraggebers des Spediteurs oder Frachtführers;100 Transportversicherung (§ 130 I) des Verkäufers zugunsten des Käufers,101 des Spediteurs bzw. Frachtführers zugunsten der Ladungsbeteiligten102 oder einer 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91

AG Kehlheim 29.4.1985 – C 137/85, NJW-RR 1986 110. AG Pfaffenhofen 12.4.2001 – 1 C 0175/01, 1 C 175/01, RuS 2002 20; Mathy VersR 2003 820. Vgl. OLG Celle 13.9.2007 – 8 U 29/07, VersR 2008 60. Sieg BB 1993 149, 152. OLG Köln 14.1.1997 – 9 U 111/96, VersR 1998 184; OLG München 27.3.2015 – 25 U 3746/14, ZfIR 2016 32 Rn. 34. BGH 2.12.1987 – IVa ZR 150/86, NJW-RR 1988 468. OLG Hamm 3.1.2008 – 15 W 420/06, ZMR 2008 401. LG Essen 7.11.1991 – 18 O 263/91, VersR 1995 211. Sieg BB 1993 149, 150 f.; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 1 AGlB Rn. 10 ff. OLG Hamm 4.2.1994 – 20 U 222/92, NJW-RR 1995 287; OLG Karlsruhe 20.11.1997 – 12 U 211/97, RuS 1998 162,

163.

92 BGH 31.10.2007 – VIII ZR 278/05, VersR 2008 501, 502; BGH 14.7.1993 – IV ZR 181/92, VersR 1993 1223; OLG Köln 3.6.1996 – 12 U 29/96, VersR 1997 57. 93 BGH 11.3.1987 – IVa ZR 240/85, NJW-RR 1987 856; OLG Köln 18.10.1989 – 11 U 327/88, VersR 1990 847, 848. 94 OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12, VersR 2013 1123 Rn. 31 f. 95 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43 bis 48 Rn. 40. 96 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43 bis 48 Rn. 40. 97 LG Osnabrück 19.9.1962 VersR 1963 448. 98 Zur CMR-Haftpflichtversicherung OLG Bremen 15.5.1997, VersR 1998 450 f. 99 Sieg BB 1993 149, 153. 100 BGH 23.1.2002 – IV ZR 174/01, VersR 2002 436. 101 ÖOGH 10.10.1991 – 7 Ob 27/91, VersRdsch 1992 85, 86. 102 BGH 7.5.2003 – 7.5.2003, VersR 2003 1171, 1172; Thume VersR 2008 455, 457 f. Brand

590

H. PEICL

VVG Vor §§ 43–48

Schwestergesellschaft zugunsten der anderen;103 Valoren-Transportversicherung zugunsten der Auftraggeber des VN.104

G. Abdingbarkeit Die §§ 43 ff. sind grundsätzlich disponibel. Etwas anderes gilt für diejenigen Vorschriften, die 69 dazu dienen, den Abschluss von Wettversicherungen zu verhindern. Das sind § 44 Abs. 1 (vgl. dort Rn. 50) und § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 (vgl. § 47 Rn. 59). Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist zu beachten, dass diese beiden Vorschriften 70 Bestandteil des deutschen ordre public sind. Es handelt sich um die Kernvorschrift zur Verhinderung der Wettversicherung als einem krassen Fall ungerechtfertigter Bereicherung (der VN hat keinen Schaden erlitten). Wenn nach kollisionsrechtlichen Grundsätzen ausländisches Recht Vertragsstatut ist und dieses ausländische Recht eine Fremdversicherung kennt, ohne dass dem Versicherten der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zusteht, so darf ein deutscher Richter nach Art. 21 Rom-I-Verordnung insoweit der fremden Rechtsordnung nicht folgen.105

H. PEICL Die unter Führung von Helmut Heiss entwickelten und seit 2007 vorliegenden Principles of Euro- 71 pean Insurance Contract Law (PEICL) enthalten in ihrem 11. Kapitel Regeln über die Versicherung für fremde Rechnung. Anders als das VVG 2008 haben sich die PEICL in Übereinstimmung mit der Rechtslage in den meisten Mitgliedstaaten dazu entschieden, Regeln über die Versicherung für fremde Rechnung nur mit Geltung für den Bereich der Schadensversicherung aufzustellen. Das ergibt sich aus der systematischen Stellung der Bestimmungen im 2. Teil der PEICL. Für die Rechtspraxis sind die PEICL insoweit von Belang, als sie sich als „optionales In- 72 strument“ verstehen, welches die Parteien durch Rechtswahl zum Vertragsstatut bestimmen können sollen. Das ist für VR interessant, da ihnen ermöglicht würde, gesamteuropäische Versicherungsprodukte anzubieten. Ob die PEICL als nichtstaatliches Recht auf Grundlage von Art. 3 Abs. 1 Rom-I-Verordnung tatsächlich durch Rechtswahl zum Vertragsstatut erhoben werden können, ist umstritten. Dies ist aber zumindest dann der Fall, wenn sich der europäische Gesetzgeber entschließt, die PEICL zum Gegenstand eines Rechtsakts (z.B. einer Verordnung) zu machen. Im 11. Kapitel der PEICL sind nur Teilfragen der Versicherung für fremde Rechnung gere- 73 gelt (vgl. dazu auch die jeweils letzte Rn. zu den einzelnen Bestimmungen der §§ 43 bis 48). Nach Art. 11–101 Abs. 1 PEICL steht der Anspruch gegen den VR der Person zu, für welche die Versicherung genommen wurde. Der VN soll die Deckung zugunsten des Versicherten erst dann nicht mehr widerrufen dürfen, wenn der Versicherungsfall eingetreten ist, Art. 11–101 Abs. 2 lit. b) PEICL. Des Weiteren stellt Art. 11–102 PEICL eine praktisch bedeutsame Zurechnungsregel hinsichtlich des Wissens der Versicherten oder Bezugsberechtigten auf. Schließlich schreibt Art. 11–103 PEICL den Grundsatz der Einzelwirkung von Pflichtverletzungen fest. Das Innenverhältnis von VN und Drittem wird ebenso wenig geregelt wie die Frage der Legitimation des Dritten gegenüber dem VR. Zu beachten ist allerdings der Generalverweis auf das „gemeineuropäische Zivilrecht“ der Principles of European Contract Law (PECL) in Art. 1–105 Abs. 2 PEICL. Ist eine Frage im Sonderprivatrecht der PEICL nicht geregelt, kann danach zur Lückenfüllung auf die allgemein-zivilrechtlichen Regeln der PECL zurückgegriffen werden. 103 OLG Frankfurt 28.7.1998 – 22 U 102/96, NJW-RR 1998 1327. 104 OLG Celle 19.9.2008 – 8 U 63/08 (juris). 105 Zu Art. 30 EGBGB Bruck/Möller/Sieg8 Vor §§ 74 ff. Anm. 16; zuvor schon Bruck Zwischenstaatliches VR 36, 41. 591

Brand

§ 43 Begriffsbestimmung (1) Der Versicherungsnehmer kann den Versicherungsvertrag im eigenen Namen für einen anderen, mit oder ohne Benennung der Person des Versicherten, schließen (Versicherung für fremde Rechnung). (2) Wird der Versicherungsvertrag für einen anderen geschlossen, ist, auch wenn dieser benannt wird, im Zweifel anzunehmen, dass der Versicherungsnehmer nicht als Vertreter, sondern im eigenen Namen für fremde Rechnung handelt. (3) Ergibt sich aus den Umständen nicht, dass der Versicherungsvertrag für einen anderen geschlossen werden soll, gilt er als für eigene Rechnung geschlossen.

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Vor §§ 43–48) Armbrüster Der Schutz von Haftpflichtinteressen in der Sachversicherung (1994); ders. Zum Schutz von Haftpflichtinteressen in der Sachversicherung, NVersZ 2001 193; Brand Grenzen der vorvertraglichen Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers, VersR 2009 715; Brünjes Der Veräußerungsbegriff des § 69 VVG (1995); ders. Der Eintritt des Immobilienerwerbers in den Versicherungsvertrag nach § 69 Abs 1 VVG, VersR 1995 1416; Fischer-Czermak Schadensersatz nach Verkehrsunfällen mit Leasingfahrzeugen, ZVerkR 1997 38; Fuchs Die Gefahrsperson im Versicherungsrecht, Diss. Berlin 1973; Hasse Zwangsvollstreckung in Kapitallebensversicherungen, VersR 2005 15, 35; Müller Die Minderjährigen im Versicherungsvertragsrecht (2007); Prölss Das Wegnahmerecht des Mieters in der Gebäudefeuerversicherung, VersR 1994 1404; ders. Drittinteressen in der Sachversicherung, RuS 1997 221; Schneider Die Versicherung für fremde Rechnung nach dem Gesetzesentwurf über den Versicherungsvertrag unter Vergleichung mit dem Handelsgesetzbuch, ZVersWiss 1905 230; Sieg Die versicherungsrechtliche Stellung des Sacherwerbers nach Gefahrübergang auf ihn, VersR 1995 125.

Übersicht 1

A.

Normgeschichte

B.

Normzweck

2

C.

Allgemeines

6

I.

Begriff

II.

Abgrenzung von anderen Rechtsinstitu7 ten Versicherung eines eigenen Interesses an frem8 der Sache Versicherung eines fremden Interesses für eige9 ne Rechnung Versicherung in Vertretung eines ande10 ren Versicherung eines eigenen Interesses unter Ver11 zicht auf die Verfügungsbefugnis Dinglich an der Versicherungsforderung Berech12 tigte Versicherung einer fremden Person für eigene 13 Rechnung (Gefahrsperson) 15 Bezugsberechtigung 17 Eintrittsberechtigte 18 Erwerber der versicherten Sache

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

10. 11. 12.

Geschädigte Dritte in der Haftpflichtversiche19 rung 20 Begünstigte eines Regressverzichts 22 Rückversicherung

D.

Tatbestand

I.

Prüfungsreihenfolge

II. 1.

24 Vertragsschluss im eigenen Namen Handeln im eigenen Namen; Abgrenzung zur 24 Stellvertretung und zu § 1357 BGB Auslegungsregel für Zweifelsfälle (Ab29 satz 2)

23

6

Brand https://doi.org/10.1515/9783110522624-027

2.

III. 1. 2. 3.

23

33 Vertragsschluss für einen anderen 33 Versicherung eines fremden Interesses Wegfall und Nichtbestehen des Interes36 ses Besonderheiten einzelner Versicherungs37 zweige 37 a) Haftpflichtversicherung 39 b) Sachversicherung 39 aa) Grundlagen 41 bb) Versicherung eigener Sachen 41 (1) Sacherhaltungsinteresse

592

VVG § 43

B. Normzweck

cc)

(2) Sachersatzinteresse 45 Versicherung fremder Sachen

Vertragsschluss als solcher

I.

Grundlagen

II. 1.

59 Anfechtung 59 Irrtumsanfechtung a) Anfechtung durch den Versicherungsneh59 mer 64 b) Anfechtung durch den Versicherer 65 c) Rechtsfolgen Anfechtung wegen arglistiger Täu66 schung 69 Schadensersatz 71 Einrede der Anfechtbarkeit

3. 4. F.

Erlöschen

II.

Umwandlung in eine Eigenversicherung

III.

Insolvenz des Versicherungsnehmers

G.

Vermutung für Eigenversicherung (Ab77 satz 3)

I.

Grundlagen

II.

Sonderregeln

H.

Beweislast

I.

Auslandsrechte/PEICL

74

55

E.

2.

72

I. 51

76

55

77 81 82 83

Beendigung eines Versicherungsvertrags für 72 fremde Rechnung

A. Normgeschichte Die Definition der Versicherung für fremde Rechnung in § 43 Abs. 1 stimmt sachlich mit § 74 1 Abs. 1 a.F. überein.1 § 43 Abs. 2 entspricht der Regelung des § 74 Abs. 2 a.F. Die Vorschrift ist – wie Absatz 1 – lediglich sprachlich geändert („Versicherungsnehmer“ statt: „demjenigen, welcher den Vertrag mit dem Versicherer schließt“), ohne dass damit eine inhaltliche Änderung verbunden wäre. § 43 Abs. 3 enthält den bisherigen § 80 Abs. 1 a.F., der wegen des Sachzusammenhanges einbezogen wird. Mit der Umgruppierung erhält die Vorschrift ihren ursprünglich zugedachten Platz. In dem Entwurf zum VVG von 1903 waren § 43 Abs. 1 und 3 bereits als § 74 Abs. 1 und 2 im Zusammenhang geregelt. Ihren Ursprung hat die Regelung des § 43 Abs. 3 in dem inhaltsgleichen, inzwischen aufgehobenen § 781 Abs. 3 HGB. Insgesamt hat sich an der Rechtslage gegenüber dem VVG 1908 nichts geändert.

B. Normzweck § 43 Abs. 1 definiert die Versicherung für fremde Rechnung und stellt klar, dass der VN grds. 2 dazu berechtigt ist, fremde Interessen im eigenen Namen zu versichern. § 43 Abs. 2 enthält eine Auslegungsegel zur Abgrenzung zwischen einer Versicherung für fremde Rechnung und einer Stellvertretung, Abs. 3 eine Vermutung bei Zweifeln, ob Eigen- oder Fremdversicherung vorliegt. Abs. 2 ist lex specialis zu § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB und legt fest, dass der Antragsteller im 3 Zweifel nicht als Vertreter des (namentlich benannten) begünstigten Dritten handelt, sondern im eigenen Namen für fremde Rechnung. Das VVG trifft eine vom bürgerlichen Recht abweichende Regelung, um den VR zu schützen.2 Er erlangt den Vorteil, in Zweifelsfällen nicht einen ihm ggf. unbekannten Dritten als Vertragspartei, insbes. als Prämienschuldner und

1 Begr. RegE. BTDrucks. 16/3945 S. 73. 2 Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 17; Ehrenzweig 212. 593

Brand

§ 43 VVG

Begriffsbestimmung

Erklärungsempfänger, zu erhalten, sondern den VN, mit dem er die Vertragsverhandlungen geführt hat. Reflexartig wird auch der VN geschützt, der als solcher dem Grunde nach die Verfügungsbefugnis über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag behält. Das würde er als Vertreter nicht tun. 4 § 43 Abs. 3 enthält eine widerlegbare gesetzliche Vermutung3 für Fälle, in denen es zweifelhaft erscheint, ob der Vertrag für ein eigenes Interesse des VN oder für ein fremdes Interesse geschlossen ist. In diesen Fällen gilt der Vertrag als für eigene Rechnung geschlossen, um Streitfällen vorzubeugen und sicher zu stellen, dass nach Eintritt des Versicherungsfalls nur derjenige gegen den VR vorgehen kann, der Vertragspartner des VR geworden ist.4 § 43 Abs. 3 stellt zugleich klar, dass die Versicherung fremden Interesses sich nicht nur aus dem Versicherungsvertrag, sondern auch aus den Umständen ergeben kann. Der Normaufbau des neu gefassten § 43 ist missglückt. Die Absätze 2 und 3 hätten in um5 gekehrter Reihenfolge niedergelegt werden sollen, wie dies bei den Parallelvorschriften in § 52 Abs. 1 und 2 ADS der Fall ist. Die Frage, ob überhaupt Versicherung für einen anderen genommen wird (§ 43 Abs. 3), ist derjenigen, ob dieser andere VN oder bloß versicherte Person ist (§ 43 Abs. 2), gegenüber vorrangig.

C. Allgemeines I. Begriff 6 Der Begriff der Versicherung für fremde Rechnung entstammt der Geschäftssprache und ist denkbar unglücklich.5 Er erweckt den Eindruck, die Pflicht zur Prämienzahlung treffe nicht den VN, sondern die versicherte Person. Dies ist aber – zumindest im Außenverhältnis zum VR – nicht der Fall. Mit der Versicherung für fremde Rechnung soll vielmehr ein Vorgang bezeichnet werden, bei dem im eigenen Namen das Interesse eines Dritten (der versicherten Person) versichert wird. Konkurrierende Vorschläge wie die Begriffe „Fremdversicherung“6 oder „Versicherungskommission“ haben sich in der Gesetzessprache nicht durchsetzen können. Da Abschnitt 4, in dem die Versicherung für fremde Rechnung geregelt ist, als amtliche Überschrift denselben Namen trägt, sollte diese Bezeichnung auch verwendet werden.

II. Abgrenzung von anderen Rechtsinstituten 7 Schon die Auslegungsregel des § 43 Abs. 2 zeigt, dass die Versicherung für fremde Rechnung von anderen Rechtsinstituten abzugrenzen ist. Die Abgrenzung hat vom Horizont des VN als Vertragspartner des VR aus zu erfolgen.7 Auf die versicherte Person kommt es insoweit selbst bei reiner Fremdversicherung nicht an.8 Ihre Erkenntnismöglichkeiten und Interessen können aber auf nachgelagerter Ebene, bei der Auslagung des Vertrags zur Geltung kommen (dazu unten Rn. 58).

3 Berliner Kommentar/Hübsch § 80 Rn. 1 und Honsell VersR 1985 301, 303 sehen die Regel des § 43 Abs. 3 als Auslegungsregel an; wie hier Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 5; Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 9; BeckOKVVG/Bauerschmidt11 § 43 Rn. 1; Nießen 15. 4 Amtl.Begr. RTDrucks. 364/12 S. 120. 5 Kritisch etwa Ehrenzweig 211; Kisch PVR III 384. 6 Siehe aber Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 43 Rn. 1; Langheid/Wandt/Dageförde2 Vor § 43 Rn. 1. 7 Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 2a. 8 A.A. offenbar Prölss/Martin/Klimke31 § 44 Rn. 3 (bei reiner Fremdversicherung); Staudinger/Halm/Wendt/ Schramm/Kassing2 § 43 Rn. 9. Brand

594

C. Allgemeines

VVG § 43

1. Versicherung eines eigenen Interesses an fremder Sache Keine Versicherung für fremde Rechnung liegt vor, wenn der VN ein (beschränktes) eigenes 8 Interesse an einer fremden Sache versichert, etwa weil er an ihr aufgrund eines (Grund-)Pfandrechts berechtigt ist. Hier wird Versicherung für eigene Rechnung genommen, denn der Antragsteller will sein eigenes Interesse an der Erhaltung der fremden Sache versichern, nicht das fremde Eigentümerinteresse. Das Gleiche gilt, wenn ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer gegen Unfälle versichert; hier sucht er Deckung für den Arbeitsausfallschaden, der ihm selbst droht. Dem Antragsteller bleibt in beiden Fällen freilich unbenommen, Versicherung für fremde Rechnung zu nehmen, was i.d.R. wegen des weitergehenden Fremdinteresses allerdings teurer sein wird.9 Ob im Einzelfall ein bestehendes eigenes Interesse an fremder Sache tatsächlich gegeben ist, oder ob ein Fall der §§ 43 ff. vorliegt, ist unter Berücksichtigung der AVB durch Auslegung zu ermitteln.

2. Versicherung eines fremden Interesses für eigene Rechnung Die Versicherung eines fremden Interesses für eigene Rechnung ist grds. nicht zulässig. Das 9 ergibt sich aus § 44 Abs. 1, der insbes. Wettversicherungen vorbeugen soll und der eine Vorschrift zwingenden Rechts ist (näher § 44 Rn. 2 und 36).10 In der Summenversicherung ist die Versicherung einer Gefahrsperson in der Art, dass dem VN der Versicherungsanspruch zustehen soll, allerdings ausdrücklich anerkannt (vgl. § 150 Abs. 2 für die Lebens- und § 179 Abs. 2 für die Unfallversicherung). Es wird aber jeweils die Einwilligung der Gefahrsperson verlangt, um zu verhindern, dass auf ihren Tod oder ihre Verletzung spekuliert wird.

3. Versicherung in Vertretung eines anderen Die Auslegungsregel des § 43 Abs. 2 spricht im Zweifel gegen eine solche Gestaltung. Sie ist aber 10 durchaus möglich. So ließe sich der Fall bilden, dass Prokurist P im Namen des Verkaufskommissionärs K einen Versicherungsvertrag das Kommissionsgut des A betreffend abschließt. Handelt P hier als Untervertreter des K für den A, liegt nicht etwa eine Versicherung für fremde Rechnung vor.11 A hat vielmehr (unter Vermittlung des K) das eigene Interesse für eigene Rechnung versichert. Zur Abgrenzung der Versicherung für fremde Rechnung von Fällen der Stellvertretung näher unten Rn. 11 f.).

4. Versicherung eines eigenen Interesses unter Verzicht auf die Verfügungsbefugnis Es ist dem VN möglich, ein eigenes Interesse zu versichern, die Verfügungsbefugnis über die 11 Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag aber einem Dritten, etwa einem Freund, zu übertragen.12 Mit dem VR schließt der VN dann einen bürgerlich-rechtlichen Vertrag zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB. In einem solchen Fall ist der begünstigte Dritte materiell-rechtlich Inhaber des Leistungsanspruchs gegen den VR. Zudem ist er formell verfügungsberechtigt, d.h. er kann seine Rechte selbständig wahrnehmen. In der Nichtpersonenversicherung werden solche Fallge-

9 Näher Anli 11 f. 10 Ferner Kisch PVR III 416. 11 Ebenso Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 4. 12 BGH 2.2.1977 – IV ZR 165/75, VersR 1977 346, 347; Prölss/Martin/Prölss27 Vor § 74 Rn. 4; Kisch PVR III 399; Lenné 10; Nießen 13 f. 595

Brand

§ 43 VVG

Begriffsbestimmung

staltungen eher selten sein. In der Personenversicherung treten sie hingegen häufig in Form der Bezugsberechtigung auf (näher unten Rn. 13 f.).

5. Dinglich an der Versicherungsforderung Berechtigte 12 Keine Anwendung finden die §§ 43 ff. auf die Rechte der Grundpfandgläubiger (Inhaber von Hypotheken und Grundschulden) an der Entschädigungsforderung. Deren Rechte ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz, §§ 1127, 1128 Abs. 3 BGB ggf. i.V.m. § 1192 Abs. 1 BGB.13 Einer vertraglichen Vereinbarung zwischen VR und VN bedarf es nicht. Gleiches gilt beim Nießbrauch, wenn nicht der VN, sondern der Eigentümer die Sache versichert hat (§§ 1045 Abs. 2, 1046 BGB).14 Die Stellung der jeweiligen Gläubiger ist stärker als die des Versicherten, weil letzterer regelmäßig nicht verfügungsbefugt ist. Da der Hypothekar nicht Versicherter ist, schadet dessen Brandstiftung dem VN nicht. Auf den leistenden VR geht der Schadensersatzanspruch des VN gegen den Hypothekar nach § 86 über.

6. Versicherung einer fremden Person für eigene Rechnung (Gefahrsperson) 13 Bei einer Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Unfall- oder Krankenversicherung, die nicht auf die Person des VN, sondern auf die Person „eines anderen“ genommen wird (vgl. §§ 150 Abs. 1, 176, 179 Abs. 1, 193 Abs. 1), verwirklicht sich die versicherte Gefahr (Tod, Berufsunfähigkeit, Unfall oder Krankheit) nicht in der Person des VN, sondern in der eines Dritten. Ob der andere – die Gefahrsperson – eigene Rechte aus dem Versicherungsvertrag erlangt, hängt davon ab, ob die Versicherung für fremde Rechnung – also für Rechnung der Gefahrsperson genommen ist – oder nicht. Für die Unfallversicherung wird dies gemäß § 179 Abs. 1 Satz 2 vermutet. In der Krankenversicherung besteht eine solche Vermutung dagegen nicht. Insoweit gilt gemäß §§ 194 Abs. 3, 43 Abs. 3, dass die Krankenversicherung – wie etwa eine Familienversicherung – im Zweifel auf eigene Rechnung genommen wird.15 Was die Berufsunfähigkeitsversicherung anbelangt, ist zu differenzieren:16 Dient die die Versicherung zur Rückdeckung einer Versorgungszusage des Arbeitgebers des Begünstigten als VN17 oder der Erfüllung von Unterhaltspflichten des VN gegenüber dem Begünstigten, ist davon auszugehen, dass sie ausschließlich im Eigeninteresse genommen worden ist und folglich die §§ 43 ff. unanwendbar sind. Soll die Berufsunfähigkeitsversicherung hingegen zumindest auch das Interesse des Versicherten an der Erfüllbarkeit einer Pensionsverpflichtung seines Arbeitgebers sichern, liegt eine Versicherung für fremde Rechnung vor.18 Das Gleiche gilt für die Versicherung naher Familienangehöriger gegen Berufsunfähigkeit, und zwar unabhängig davon, inwieweit diese einen wirtschaftlichen Beitrag zur Führung des gemeinsamen Haushalts leisten.19 Zu dieser Gruppe von Versicherungsverträgen zählt auch die Restschuldversicherung. Bei 14 dieser zur Absicherung etwa von Bauherren-Eigenleistungen abgeschlossenen Versicherung ist nur das Risiko des Kreditgebers bei einem Ausfall der Tilgung durch den Kreditnehmer versi-

Ebenso Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 20; Staudinger/Halm/Wandt/Schramm/Kassing2 § 43 Rn. 23. Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 20; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 §§ 43–48 Rn. 36. Näher Bruck/Möller/Brand9 § 194 Rn. 52 ff. Jetzt ausdrücklich auch BGH 15.7.2020 – IV ZR 4/19, VersR 2020 1097 Rn. 20 f. OLG Köln 3.6.2011 – 20 U 168/10 (juris Rn. 21). OLG Saarbrücken 13.4.2005 – 5 U 842/01, VersR 2006 778; Voit/Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung2 Teil D Rn. 11 f.; Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung3 Teil E Rn. 58 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Rixecker3 § 46 Rn. 236. 19 BGH 15.7.2020 – IV ZR 4/19, VersR 2020 1097 Rn. 22.

13 14 15 16 17 18

Brand

596

C. Allgemeines

VVG § 43

chert – auch in Gruppenversicherungskonstellationen.20 Dem Bauherren, dessen Eigenleistungen infolge Erkrankung ausfallen, steht daher im Rahmen eines solchen Versicherungsvertrages kein eigener Anspruch auf Auszahlung der Versicherungsleistung zu. Das Gleiche gilt für die von einigen Bausparkassen abgeschlossenen Restschuldversicherungen auf das Leben des Darlehensnehmers.21 Eine Filmausfallversicherung ist ebenfalls eine Versicherung einer fremden Person auf eigene Rechnung.22 Versichert wird darin das eigene wirtschaftliche Interesse des Filmproduzenten an der Vermeidung eigener Vermögensschäden mit der Folge, dass die §§ 43 ff. keine Anwendung finden.

7. Bezugsberechtigung Die Bezugsberechtigung ist eine Form der Drittbegünstigung, bei welcher der VN nicht ein frem- 15 des, sondern sein eigenes Interesse versichern lässt und seinen Versicherungsanspruch im Wege eines bürgerlich-rechtlichen Vertrages zugunsten Dritter einem anderen zuwendet.23 Die Bezugsberechtigung spielt eine Rolle in der Personenversicherung, vor allem in der Lebensversicherung und in der Unfallversicherung, soweit sie als Summenversicherung ausgestaltet ist. Die Bezugsberechtigung hat sich in diesen Versicherungszweigen als unkomplizierte Form der Drittbegünstigung aufgedrängt: Während es bei der Versicherung für fremde Rechnung einer Einigung zwischen VN und VR darüber bedarf, dass ein Dritter berechtigt ist, eigene Rechte aus dem Versicherungsvertrag geltend zu machen, genügt für die Einräumung einer Bezugsberechtigung in der Lebens-, Berufsunfähigkeits- und Unfallversicherung – abweichend von § 328 Abs. 1 BGB – eine einseitige Willenserklärung des VN gegenüber dem VR (vgl. §§ 159 Abs. 1, 176, 185 sowie § 13 Abs. 4 ALV 2008 und § 9 Abs. 2 Satz 1 ARLV und AKLV 2021). Die Bezugsberechtigung kann widerruflich (vgl. § 159 Abs. 2) oder unwiderruflich (§ 159 Abs. 3) ausgestaltet sein. Letzteres kommt in der Praxis eher selten vor. Die Stellung als Bezugsberechtigter unterscheidet sich von derjenigen einer versicherten 16 Person in der Versicherung für fremde Rechnung in mannigfaltiger Hinsicht.24 Seine Stellung ist einerseits schwächer als die des Versicherten, weil er anders als dieser nicht seinerseits eine Bezugsberechtigung einräumen kann (Ob eine unwiderufliche Bezugsberechtigung in der Restschuld-/Kreditlebensversicherung von der versicherten Person freilich auch zugunsten des VN eingeräumt werden kann, ist allerdings zweifelhaft).25 Weiterhin erwirbt der Bezugsberechtigte das Recht nicht schon bei Vertragsschluss, sondern – insoweit vergleichbar mit einem testamentarisch eingesetzten Erben – erst mit Eintritt des Versicherungsfalls. Bis dahin kann die Bezugsberechtigung – falls sie, wie dies das Gesetz als Regelfall vorsieht (§ 159 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 2 ALV 2008), widerruflich ausgestaltet ist – einseitig vom VN widerrufen werden (§ 13 Abs. 4 ALV 2008 und § 9 Abs. 2 Satz 3 ARLV und AKLV 2021). Andererseits steht der Bezugsberechtigte günstiger als die versicherte Person, weil er selbst das Verfügungsrecht über seine Forderung hat und nicht mit Obliegenheiten belastet ist. Die Bezugsberechtigung muss ausdrücklich eingeräumt sein, während sich eine Versicherung für fremde Rechnung aus den Umständen ergeben kann. Erstere kann vom VN jedem beliebigen Dritten eingeräumt werden, insbes. Familienangehörigen und Kreditgebern, die gegen den Ausfall der versicherten Person abgesichert werden

20 21 22 23

OLG Dresden 8.6.2020 – 4 W 397/20, VersR 2020 1437 m. Anm. Wandt; Göbel/Köther VersR 2015 425, 426. LG Osnabrück 23.6.1982 – 7 O 2/82, VersR 1983 871. OLG Köln 6.11.2012 – I-9/U 66/12 (juris); Aldenhoff Die deutsche Filmversicherung 1998 29. Motive 224 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 43 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 16; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 43 Rn. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 92; E. Lorenz FS Schwebler, 350 f. 24 Dazu Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 4. 25 Dazu Brömmelmeyer VersR 2015 1460, 1461. 597

Brand

§ 43 VVG

Begriffsbestimmung

sollen, die Stellung einer versicherten Person vermag der VN nur dem Interesseträger zu verschaffen.

8. Eintrittsberechtigte 17 § 170 Abs. 1 und 2 räumt dem Bezugsberechtigten ein Recht zum Eintritt in den Lebensversicherungsvertrag ein, wenn in die Versicherungsforderung ein Arrest vollzogen, eine Zwangsvollstreckung vorgenommen oder das Insolvenzverfahren über das Vermögen des VN eröffnet wird. Macht der Bezugsberechtigte von seinem Recht Gebrauch, wird er Vertragspartner des VR mit allen Rechten und Pflichten. Der ursprüngliche VN sinkt zur versicherten Person herab.26 Der Bezugsberechtigte hat nun die Forderungen der betreibenden Gläubiger oder der Insolvenzmasse bis zur Höhe des Betrags zu befriedigen, dessen Zahlung der VN im Fall der Kündigung des Versicherungsverhältnisses vom VR verlangen könnte.

9. Erwerber der versicherten Sache 18 Veräußert der VN die versicherte Sache, wird die Versicherung dadurch nicht zu einer Versicherung für fremde Rechnung. Es findet vielmehr eine Umwandlung statt, da der Erwerber und neue Träger des versicherten Interesses nach § 95 Abs. 1 an Stelle des alten Eigentümers in den Vertrag eintritt und die Versicherung – auf eigene Rechnung – weiterführt.27 In der Gebäudeversicherung ist das Interesse des Käufers in der Zeit zwischen Gefahrübergang und Eigentumswechsel durch Grundbuchumschreibung im Zweifel nach § 48 mitversichert (dazu § 48 Rn. 10).

10. Geschädigte Dritte in der Haftpflichtversicherung 19 Die Haftpflichtversicherung dient zwar auch – die obligatorische Haftpflichtversicherung sogar vorwiegend – dem Schutz des geschädigten Dritten. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine Versicherung für Rechnung des Geschädigten. Der Geschädigte hat in der freiwilligen Haftpflichtversicherung erst nach Abtretung28 oder nach Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs (§§ 829, 835 ZPO) einen Leistungsanspruch gegen den VR. Im Fall der Insolvenz des VR kann er abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des VN verlangen (§ 110). Soweit der Dritte in der obligatorischen Haftpflichtversicherung unter den Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 unmittelbar gegenüber dem VR anspruchsberechtigt ist, geht es nicht um den versicherungsrechtlichen Freistellungsanspruch, sondern um den auf Schadensersatz gerichteten Haftpflichtanspruch.

11. Begünstigte eines Regressverzichts 20 Ist der Regress des VR gegen denjenigen Dritten, der den Schaden verursacht hat, aufgrund einer Verzichtserklärung des VR beschränkt, wirkt jede Schadensversicherung faktisch wie eine Haftpflichtversicherung auf Rechnung des Dritten.29 Die Regressforderung verbleibt in einem 26 Hasse VersR 2005 15, 35. 27 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 43 Rn. 4; Nießen 14. 28 BGH 13.4.2016 – IV ZR 304/13, VersR 2016 786; Bruck/Möller/Koch9 § 108 Rn. 36; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Retter3 § 108 Rn. 26 ff.

29 BGH 18.3.1986 – VI ZR 213/84, VersR 1986 755, 756; Bruck/Möller/Sieg8 Vor §§ 74–80 Anm. 13; Looschelders/ Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 22. Brand

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D. Tatbestand

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solchen Fall beim VN; der VR kann den Übergang nach § 86 Abs. 1 nicht geltend machen. Ein Beispiel für einen gesetzlichen Regressverzicht ist § 86 Abs. 3, ein Beispiel für eine Regelung in AVB der Regressverzicht des Kaskoversicherers gegenüber Fahrer, Mieter und Entleiher (A.2.15 AKB 2008 bzw. A.2.8 AKB 2015). Einen Regressverzicht des Gebäudeversicherers zugunsten des Mieters (zumindest bei einfacher Fahrlässigkeit) hat die Rechtsprechung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung entwickelt.30 Von der Versicherung für fremde Rechung unterscheidet sich der Regressverzicht in seinen Wirkungen dadurch, dass der Dritte beim Regressverzicht keinen eigenen Anspruch gegen den VR auf Ersatz des Schadens erlangt. Zudem ist der Dritte nur geschützt, wenn der VN vom VR, und nicht von ihm, Ersatz des eingetretenen Schadens verlangt.31 Das wird praktisch zwar häufig der Fall sein; dem VN steht grds. aber ein Wahlrecht zu, wen er in Anspruch nimmt. Etwas anderes gilt nur, wenn das Rechtsverhältnis, das zwischen ihm und dem Dritten besteht, etwas anderes bestimmt.32 Diesbzüglich ist die Rechtsprechung in den letzten Jahren strenger geworden. Aus § 241 Abs. 2 BGB wird geschlossen, dass bei Bestehen einer Sonderverbindung eine Inanspruchnahme der versicherten Person nur noch ausnahmsweise in Betracht kommt.33 Grundsätzlich muss sich der VN an den VR halten. Hat der Dritte, der den Schaden verursacht, selbst eine Versicherung abgeschlossen, die für 21 die Folgen des schädigenden Ereignisses aufzukommen hätte (z.B. eine Haftpflichtversicherung), hängt die Frage, ob bei Vorliegen eines Regressverzichts des VR des Geschädigten ein Ausgleich analog § 78 Abs. 2 Satz 1 zwischen dem verzichtenden VR und dem VR des Schädigers stattfindet, von den Umständen ab. Die Rechtsprechung bejaht einen solchen Ausgleich zwischen einem Feuer- und einem Haftpflichtversicherer.34

12. Rückversicherung Aus einem Rückversicherungsvertrag erwerben die bei dem Erstversicherer versicherten Perso- 22 nen keine Rechte.35

D. Tatbestand I. Prüfungsreihenfolge Wenn sich aus dem Inhalt des Vertrags oder den Umständen ergibt, dass fremdes Interesse 23 versichert werden soll, kommen hierfür zwei Varianten in Betracht: Der Antragsteller kann als Vertreter des Interesseträgers, also im fremden Namen, den Vertrag schließen (dann liegt Versicherung für eigene Rechnung des Interesseträgers vor). Er kann aber auch als VN in eigenem Namen auftreten (dann liegt Versicherung für fremde Rechnung vor). Nach der Auslegungsregel des § 43 Abs. 2 ist im Zweifel davon auszugehen, dass der VN nicht als Stellvertreter, sondern im eigenen Namen gehandelt hat und entsprechend Versicherung für fremde Rechnung vorliegt, und zwar selbst dann, wenn der Dritte benannt worden ist. § 43 Abs. 2 bedingt daher 30 BGH 18.6.2008 – IV ZR 108/06, NJW-RR 2008 1413, 1414; dazu auch Looschelders/Pohlmann/Brand3 Vor § 142 Rn. 6; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 28 f. 31 BGH 18.3.1986 – VI ZR 213/84, VersR 1986 755, 756; BGH 23.1.1991 – IV ZR 284/89, VersR 1991 462, 463; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 51. 32 BGH 18.3.1986 – VI ZR 213/84, VersR 1986 755, 756; BGH 23.1.1991 – IV ZR 284/89, VersR 1991 462, 463. 33 BGH RuS 2015 70, 75; OLG Düsseldorf TransportR 2014 341; Bruck/Möller/Voit9 § 86 Rn. 93; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 22; Looschelders RuS 2015 582 f. 34 BGH 13.9.2006 – IV ZR 273/05, VersR 2006 1536; OLG Koblenz 9.3.2007 – 10 U 1111/03, VersR 2007 687; OLG Köln 3.7.2007 – 9 U 51/06, VersR 2007 1411; OLG Bamberg 11.10.2007 – 1 U 114/07, VersR 2007 1651. 35 Siehe Langheid/Wandt/Looschelders2 § 209 Rn. 36 ff. 599

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§ 43 VVG

Begriffsbestimmung

als vorrangige lex specialis § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB ab: Wenn der Vertragsinhalt auf Deckung des Risikos des Dritten geht, würde sich danach aus den Umständen ergeben, dass der Antragsteller als Vertreter jenes Dritten abschließt.36

II. Vertragsschluss im eigenen Namen 1. Handeln im eigenen Namen; Abgrenzung zur Stellvertretung und zu § 1357 BGB 24 Der Antragsteller schließt den Versicherungsvertrag im eigenen Namen und damit eine Versicherung für fremde Rechnung ab, wenn der VR als Erklärungsempfänger die vom Antragsteller abgegebene Willenserklärung objektiv so verstehen konnte und durfte, dass dieser selbst Vertragspartner des VR werden wollte. Der Antragsteller kann sich dabei seinerseits durch einen Stellvertreter vertreten lassen.37 Hat der Antragsteller indes ausdrücklich als Vertreter gehandelt oder haben ihn die Um25 stände38 als Vertreter erkennen lassen (§ 164 Abs. 1 Satz 2 BGB), finden die bürgerlich-rechtlichen Regeln über die Stellvertretung Anwendung. Das ist etwa der Fall, wenn Organmitglieder juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter, Prokuristen oder Handelsbevollmächtigte unternehmensbezogene Versicherungsverträge abschließen.39 Bei Personengesellschaften (OHG, KG) gilt dies unbeschadet der Tatsache, dass die Gesellschafter aufgrund der Verfassung der Gesellschaft (gesamthänderische Beteiligung der Gesellschafter) mitversichert sind, wie etwa in der Kaskoversicherung, wo die Gesellschaft Trägerin des versicherten Sachwertinteresses ist, die Gesellschafter aber das (mitversicherte) Sachersatzinteresse innehaben.40 In der Vor-GmbH wird man unternehmensbezogenes Handeln mit der Folge des Abschlusses des Versicherungsvertrages in Namen der Gesellschaft nur annehmen können, wenn der Antragsteller hinreichend deutlich gemacht hat, dass die Gesellschaft verpflichtet werden soll.41 Im Allgemeinen spricht bereits die Unterschrift unter einem Firmenstempel auch ohne Vertretungszusatz dafür, dass der Unterzeichnende als Vertreter gehandelt hat.42 Wenn der Inhaber des Unternehmens falsch bezeichnet ist oder ein Irrtum über seine Identität besteht, schließt dies allein ebenfalls unternehmensbezogenes Handeln noch nicht aus.43 Ebenso liegt keine Versicherung für fremde Rechnung vor, wenn eine Partei kraft Amtes 26 (Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Zwangsverwalter) auf Grundlage ihrer gesetzlichen Ermächtigung einen Versicherungsvertrag über Gegenstände schließen, die ihrer Verwaltung unterliegen.44 Soweit Stellvertretung vorliegt, verdrängen § 2 Abs. 3 und § 20 den § 166 BGB.45 Uneingeschränkt gelten die bürgerlich-rechtlichen Regeln über Anscheins- und Duldungsvollmacht.46

Ritter/Abraham2 § 52 Anm. 15. LG Osnabrück 19.9.1962 – 3 O 253/61, VersR 1963 448, 449; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 6. Dazu etwa FG Bremen 28.4.1988 – II 102/85 K, EFG 1988 601 f. BGH 11.12.1996 – IV ZR 284/95, VersR 1997 477, 478; BGH 13.10.1994 – IX ZR 25/94, NJW 1995 43; BGH 15.1.1990 – II ZR 311/88, NJW 1990 2678; BGH 28.2.1985 – III ZR 183/83, NJW 1986 1675; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 40; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 43 Rn. 6. 40 BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, BGHZ 175 374, 377 = VersR 2008 634; Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 24; Langheid/ Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 34. 41 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 33. 42 BGH 3.2.1975 – II ZR 128/73, NJW 1975 1166. 43 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 33. 44 Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 21; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 40. 45 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 40; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 4; Lenné 108. 46 Für eine Duldungsvollmacht mit versicherungsrechtlichem Hintergrund s. BGH 27.9.1956 – II ZR 178/55, BB 1956 978.

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Schließt der Antragsteller zwar im fremden Namen, aber ohne Vertretungsmacht den 27 Versicherungsvertrag ab, gelten die §§ 177 ff. BGB. Die Wirksamkeit des Versicherungsvertrags hängt also von der Genehmigung des Vertretenen ab. Verweigert der Vertretene diese, hat der Vertreter gemäß § 179 Abs. 1 BGB nach Wahl des VR entweder zu erfüllen oder den Schaden zu ersetzen. Wählt der VR Erfüllung, wird der Vertreter jedoch nicht Vertragspartner, weil die gesetzliche Haftung aus § 179 Abs. 1 BGB nichts an der Unwirksamkeit des Vertrages ändert. Die Vorschrift des § 179 Abs. 1 BGB gewährt dem Geschäftspartner nämlich keinen vertraglichen Anspruch gegen den vollmachtlosen Vertreter, dieser haftet ihm vielmehr nur kraft Gesetzes auf Vertragserfüllung. Da dem Vertreter das Interesse fehlt, kann der VR gem. § 80 Abs. 1 Satz 2 eine angemessene Geschäftsgebühr bis zu dem Zeitpunkt verlangen, zu dem er Kenntnis von der endgültigen Unwirksamkeit des Vertrages erhält. Im Anwendungsbereich der Schlüsselgewalt aus § 1357 BGB ist ebenfalls kein Raum für 28 die Annahme einer Versicherung für fremde Rechnung. Liegen die Voraussetzungen des § 1357 BGB47 für den Abschluss eines konkreten Versicherungsvertrags vor, verpflichtet der Ehegatte, der den Versicherungsvertrag abschließt, zugleich seinen Ehepartner mit. Beide werden VN. Welche Versicherungsverhältnisse in Ausübung der Schlüsselgewalt eingegangen oder verlängert werden können, hängt von den Lebensverhältnissen der Ehegatten ab. Hausrats- und Krankenversicherung werden regelmäßig von der Schlüsselgewalt erfasst sein.48 Mit steigendem Wohlstand können auch Lebens-, Haftpflicht-, Kraftfahr- oder Transportversicherung unter § 1357 BGB fallen.

2. Auslegungsregel für Zweifelsfälle (Absatz 2) Ergibt sich weder aus dem Versicherungsantrag noch aus den Umständen des Einzelfalls ein- 29 deutig, dass der Antragsteller den Versicherungsvertrag im fremden Namen schließen wollte, legt § 43 Abs. 2 fest, dass „im Zweifel“ die Versicherung für fremde Rechnung genommen wird. Dabei handelt es sich – entgegen dem Wortlaut der Bestimmung um eine widerlegbare Auslegungsregel, nicht um eine Rechtsvermutung nach § 292 ZPO, wie dies etwa bei § 89 Abs. 2 Satz 2 der Fall ist.49 § 43 Abs. 2 hat zwei Voraussetzungen:50 (1) Es muss feststehen, dass der Antragsteller ein fremdes Interesse versichern wollte. Das ist nur dann der Fall, wenn eine ausdrückliche vertragliche Regelung dies festlegt, oder wenn aufgrund der Umstände die Vermutung des § 43 Abs. 3 widerlegt ist. (2) Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls darf die Auslegung des Versicherungsvertrags zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt haben, ob der Antragsteller in eigenem oder in fremdem Namen gehandelt hat. Zu den vorangig zu beachtenden Auslegungsregeln gehören u.a. auch die Grundsätze über unternehmensbezogene Geschäfte (dazu oben Rn. 22). Bedeutung hat die Auslegungsregel des § 43 Abs. 2 z.B. bei Bruchteilsgemeinschaften (Gü- 30 tergemeinschaft, Erbengemeinschaft). Wird hier Versicherung für einen Gegenstand genommen, welcher der Gemeinschaft gehört, kann der Antragsteller entweder als Vertreter der übrigen handeln oder im eigenen Namen für deren Rechnung Versicherung nehmen, soweit es sich nicht um seinen eigenen Anteil handelt. Nach § 43 Abs. 2 liegt im Zweifel eine Versicherung für fremde Rechnung vor.51

47 Dazu MüKoBGB/Roth8 § 1357 Rn. 13 ff. 48 Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 27. 49 BGH 7.1.1965 – II ZR 115/62, VersR 1965 274; BGH 11.12.1996 – IV ZR 284/95, VersR 1997 477, 478; ÖOGH 11.12.1986 – Ob 48/86, VersR 1988 502; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 32; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 42; Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 83; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 43 Rn. 5. 50 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 5. 51 RG 13.5.198 – VII 6/38, RGZ 157 313, 319; Lenné 53. 601

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§ 43 VVG

Begriffsbestimmung

Weichen Versicherungsantrag und Versicherungsschein hinsichtlich der Stellung des Antragstellers als versicherter Person oder VN voneinander ab, ist § 5 anzuwenden.52 Werden zwei Personen im Versicherungsvertrag als VN bezeichnet, kann die Auslegung ergeben, dass nur eine von ihnen VN und die andere versicherte Person i.S.d. § 43 ist.53 Für das Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person gilt § 43 Abs. 2 entgegen 32 einer im Schrifttum vertretenen Ansicht54 nicht. Das liegt daran, dass die Norm eine Schutzvorschrift zugunsten des VR ist. Dementsprechend gilt sie nur im Rahmen derjenigen Beziehungen, an denen der VR beteiligt ist. Die versicherte Person hat nicht die Wahl, ob sie den Schutz des § 43 Abs. 2 annehmen oder sich auf den Boden des § 164 Abs. 1 BGB stellen will. 31

III. Vertragsschluss für einen anderen 1. Versicherung eines fremden Interesses 33 Für einen anderen ist die Versicherung geschlossen, wenn nicht (nur) das Interesse des VN versichert ist. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse des VN am Abschluss der Versicherung schließt das Vorliegen einer Versicherung für fremde Rechnung nicht aus.55 Die Parteien des Versicherungsvertrages müssen sich aber einig sein, dass (auch) ein Vermögensnachteil eines Dritten – Eigenschaden/Fremdschaden in Form der Belastung mit einer Verbindlichkeit – ausgeglichen werden soll. Wer Träger des versicherten Interesses ist, muss nicht ausdrücklich im Versicherungsver34 trag bezeichnet sein. Es genügt, wenn sich aus den Umständen eindeutig ergibt, wer Träger sein soll. In der Praxis ist oft bereits in den AVB festgelegt, wer versichert ist. Maßgeblich für die Bestimmung der Umstände ist die objektive Rechtslage.56 Für das Vorliegen einer Versicherung für fremde Rechnung ist es entsprechend gleichgültig, ob dem VR bekannt ist, dass ein Dritter Träger des versicherten Interesses ist, ob der VR den VN als Eigentümer ansieht, oder ob sich der VN bei Vertragsschluss für den Eigentümer hält oder sich als solcher bezeichnet.57 Wessen und welches Interesse im Einzelnen versichert ist, muss vielmehr durch Auslegung des Versicherungsvertrages einschließlich der wirksam einbezogenen AVB und der sonstigen Umstände ermittelt werden. Von besonderer Bedeutung im Rahmen dieser Auslegung sind ausdrückliche Regelungen der Parteien im Vertrag sowie gesetzliche Auslegungs- oder Vermutungsregeln. Liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte vor, kommt auch eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht.58 Die Umstände, die eine Versicherung für fremde Rechnung begründen, können sich konludent auch erst nach dem Vertragsschluss ergeben. So kann z.B. eine Betriebsunterbrechungsversicherung nachträglich zu einer Fremdversicherung werden, wenn der VN das Unternehmen, auf das sich der Versicherungsvertrag bezieht, verpachtet, dies dem VR anzeigt und dennoch selbst weiterhin die Prämie zahlt.59 Unter den möglichen Auslegungskriterien ist zunächst darauf abzustellen, welche Interes35 sen überhaupt durch die fragliche Versicherung abgedeckt werden können (vgl. etwa für die Sachversicherung unten Rn. 39 ff.). Ist eine Sache versichert, kommt es des Weiteren maßgeblich auf die Eigentumsverhältnisse an der Sache an (unten Rn. 41, 47). OLG Köln 30.7.1979 – 5 U 86/78, VersR 1979 1094; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 8. FG Bremen 28.4.1988 – II 102/85 K, EFG 1988 601 f. Kisch PVR III 390; wie hier Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 17. BVerwG 11.11.1986 – 1 A 45.83, VersR 1987 273; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 13. BGH 18.10.2000 – IV ZR 100/99, VersR 2001 53; BGH 6.7.1988 – IVa ZR 241/87, VersR 1988 949; OLG Hamm 6.12.1991 – 20 U 228/91, RuS 1993 247; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 45. 57 BGH 18.10.2000 – IV ZR 100/99, VersR 2001 53. 58 BGH 8.11.2000 – IV ZR 298/99, BGHZ 145 393 = VersR 2001 94, 96. 59 BGH 15.4.1987 – IVa ZR 244/85, NJW-RR 1987 1105, 1106; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 43 Rn. 4.1.

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2. Wegfall und Nichtbestehen des Interesses Interessewegfall nach § 80 sowie eine Überversicherung nach § 74 sind aus der Person des Versi- 36 cherten heraus zu beurteilen.60 An einem versicherten Interesse fehlt es in der reinen Fremdversicherung, wenn der Versicherte den Erwerb der Rechte nach § 333 BGB zurückweist.

3. Besonderheiten einzelner Versicherungszweige a) Haftpflichtversicherung. Die Haftpflichtversicherung kann Versicherung für fremde Rech- 37 nung sein, wenn der VN das Bedürfnis hat, neben sich selbst weitere Personen, zu denen er in Verbindung steht, mitzuversichern oder wenn eine Betriebshaftpflichtversicherung vorliegt, welche nach der dispositiven Vorschrift des § 102 auch die persönlichen Haftpflichtrisiken der gesetzlichen Vertreter und der zur Leitung oder Beaufsichtigung angestellten Personen abdeckt. Schon aus diesem groben Überblick ergibt sich, dass die Abgrenzung danach, inwieweit Versicherung für fremde Rechnung vorliegt, in der Haftpflichtversicherung personen- und nicht interessenbezogen erfolgt. I.d.R. sind die versicherten Personen im Versicherungsvertrag zwar nicht namentlich bezeich- 38 net, jedoch durch persönliche Merkmale individualisiert. In der Betriebshaftpflichtversicherung (Ziff. 7.1.2 GDV-Muster-Tarifstruktur für die Allgemeine Haftpflichtversicherung 2007 Allgemeiner Teil 2008) und in der Umweltschadensversicherung (Ziff. 1.2 USV) sind es die Betriebsangehörigen, in der Privathaftpflichtversicherung sind es u.a. der Ehegatte und die in häuslicher Gemeinschaft lebenden unverheirateten Kinder des VN (Ziff. 1 GDV-Muster-Tarifstruktur für die Allgemeine Haftpflichtversicherung 2007 Privathaftpflicht). In der Berufshaftpflichtversicherung sind die beim VN angestellten Berufsträger (§ 1 Abs. 3 AVB-Vermögen) versicherte Personen. Bei diesen Versicherungstypen ist sowohl das Fremdschaden-Haftpflichtinteresse des VN als auch das der versicherten Personen versichert (sog. kombinierte Eigen- und Fremdversicherung). Um eine reine Fremdversicherung zugunsten der Organmitglieder und leitenden Angestellten des VN handelt es sich bei der D&O-Versicherung (Ziff. 1 AVB-AVG 2007 und Ziff A-1 und A-2 AVB-D&O 2020). Diese wird von juristischen Personen zum Schutze ihrer Organmitglieder – und regelmäßig auch der Organmitglieder ihrer Tochterunternehmen sowie leitender Angestellter – vor den Folgen einer Inaspruchnahme wegen Pflichtverletzungen genommen. b) Sachversicherung aa) Grundlagen. In der Sachversicherung sind drei verschiedene Interessen voneinander zu un- 39 terscheiden: das Sacherhaltungsinteresse, das Sachnutzungs- und das Sachersatzinteresse.61 Unter dem Sacherhaltungsinteresse versteht man das Interesse, den Substanzwert der Sache im Vermögen zu haben und dort zu erhalten.62 Ist eine Sache zerstört, deckt sich das Sacherhaltungsinteresse mit dem Wiederherstellungsinteresse. Primär ist Träger des Sacherhaltungsinteresses der sachenrechtliche Eigentümer der Sache. Ausnahmen gelten in der Transport- und in der Betriebsunterbrechungsversicherung, § 3 Abs. 5 VGB 88/94. Ausnahmsweise kann auch ein Nichteigentümer ein versicherbares Sacherhaltungsinteresse haben (dazu sogleich Rn. 37). Das Sachnutzungsinteresse ist das Interesse des Sachnutzers, die Sache zeitweilig gebrauchen zu können. Bei diesem Interesse handelt es sich um ein grds. versicherbares Interesse, das häufig auch das Motiv für den Abschluss des Versicherungsvertrags darstellt. In den gängigen AVB ist das Sachnutzungsinteresse ebenso wie ein etwaiges Rückzahlungsinteresse des Kreditgebers oder das Interesse des Pfandgläu60 BGH 22.9.1958 – II ZR 87/57, BGHZ 28 137, 141; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 15. 61 Nießen 21; Prölss RuS 1997 221, 222. 62 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 11. 603

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§ 43 VVG

Begriffsbestimmung

bigers, die Sache als Gegenstand seines Pfandrechts zu erhalten, nicht mitversichert. Das Sachersatzinteresse bezeichnet das Interesse einer Person, dem sachenrechtlichen Eigentümer einer fremden Sache, mit der sie in Berühung kommt, nicht für deren Beschädigung, Zerstörung oder Verlust zum Ersatz verpflichtet zu sein und so einen Haftungsschaden zu erleiden.63 40 Die Individualisierung des Interesses erfolgt anhand dieser Typologie der Interessen und derjenigen Personen, die nach der Vereinbarung im jeweiligen Versicherungsvertrag Träger des Interesses sind. So ist z.B. in der Feuerversicherung (Abschnitt A § 3 Ziff. 5 AFB 2008/2010) bestimmt, dass die Versicherung für Rechnung des VN und des Eigentümers genommen gilt, soweit der VN die versicherten Sachen unter Eigentumsvorbehalt erworben oder mit Kaufoption geleast, sie zur Sicherheit übereignet, als Mieter auf seine Kosten angeschafft und in das Gebäude eingefügt hat oder ihm zur Bearbeitung, Benutzung, Verwahrung oder zum Verkauf in Obhut gegeben wurden. Grds. geben die ausdrücklichen Regelungen der Parteien im Versicherungsvertrag darüber Aufschluss, wessen Interesse konkret versichert ist. Fehlt es an einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung, ist bei der Ermittlung der versicherten Interessen zu unterscheiden zwischen den Fällen, in denen der VN eine eigene Sache versichert, und Fällen, in denen ein Nichteigentümer Versicherung nimmt.

bb) Versicherung eigener Sachen 41 (1) Sacherhaltungsinteresse. Gehört die versicherte Sache dem VN, ist regelmäßig dessen Eigeninteresse an der Erhaltung der Sache versichert.64 Ausnahmsweise ist auch das Sacherhaltungsinteresse Dritter versicherbar. Das ist dann der Fall, wenn diese als „wirtschaftliche Eigentümer“ anzusehen sind. Die Rechtsprechung hat dies angenommen für Sicherungsgeber einer Sache, die zur Sicherheit übereignet wird, sofern der Sicherungsnehmer nicht nach §§ 95 ff. in den Vertrag eintritt,65 Käufer eines Grundstücks für die Zeit nach Gefahrübergang bis zur Eintragung ins Grundbuch,66 Eigentumsvorbehalts-67 und Versendungskäufer,68 Mieter, die ein dingliches Wegnahmerecht aus § 539 Abs. 2 BGB an einer Sache haben, die im Eigentum des Vermieters steht,69 Leasingnehmer, wenn sie die Gefahr des Untergangs, des Verlusts und der Beschädigung der betreffenden Sache tragen, wie dies nach den gängigen AVB üblich ist, wenn die Parteien eine Kaufoption vereinbart haben,70 sowie Fälle, in denen die fragliche Sache dem VN vom Eigentümer zur Bearbeitung, Benutzung, Verwahrung oder zum Verkauf in Obhut gegeben wurde.71 42 Früher hatte der IV. Zivisenat des BGH72 Zweifel angemeldet, ob ein Sacherhaltungsinteresse – und nicht bloß ein Sachersatzinteresse – dieses Personenkreises tatsächlich versicherbar 63 BGH 27.10.1993 – IV ZR 33/93, VersR 1994 85, 86. 64 BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, BGHZ 175 374, 377 = VersR 2008 634; BGH 27.10.1993 – IV ZR 33/93, VersR 1994 85; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 43 Rn. 38; Nießen 21.

65 BGH 28.10.1953 – II ZR 240/52, BGHZ 10 376, 378; BGH 27.9.2006 – VIII ZR 217/05, NJW 2007 290, 291; OLG Köln 21.5.1996 – 9 U 255/95, SP 1996 287 f.; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 16. 66 BGH 18.10.2000 – IV ZR 100/99, VersR 2001 53; LG Düsseldorf 3.9.1992 – 11 O 677/91, RuS 1995 425; s. auch Martin SVR J II Rn. 24; Brünjes VersR 1995 1416, 1418; a.A. Bruck/Möller/Sieg/Johannsen8 Bd. III Anm. C 27; Sieg VersR 1995 125, 126. 67 Berliner Kommentar/Dörner § 69 Rn. 30 ff.; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 47; Brünjes 87 ff. 68 Brünjes 75 ff.; Nießen 22. 69 Zum Normvorgänger § 547a Abs. 1 BGB a.F. BGH 12.6.1991 – XII ZR 17/90, NJW 1991 3031; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 49; Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 74 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 131. 70 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 38; Fischer-Czermak ZVerkR 1997 38; zu den Grenzen BGH 25.3.1998 – VIII ZR 244/97, BB 1998 1126. 71 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 47. 72 BGH 23.1.1991 – IV ZR 284/89, VersR 1991 462; BGH 18.12.1991 – IV ZR 259/91, VersR 1992 311; kritisch Prölss RuS 1997 221, 222. Brand

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ist, da er sah, dass dadurch entgegen der Typologie des Gesetzes aus der Sach- eine Haftpflichtversicherung zugunsten des Nichteigentümers wird, dessen Haftung gegenüber dem Eigentümer wegen Sachbeschädigung und -zerstörung mitversichert ist. Diese Bedenken hat der Senat mittlerweile fallen lassen, da er jetzt anerkennt, dass der VN, der eine ihm gehörende Sache versichert, ein schützenswertes Interesse an der Mitversicherung des wirtschaftlichen Eigentümers hat, da anderenfalls seine Vertragsbeziehungen zu diesem gestört würden.73 Ob das Interesse von Nichteigentümern dieser Art im Einzelfall tatsächlich mitversichert 43 ist, muss im Wege der Auslegung des Versicherungsvertrags ermittelt werden.74 Mangels Versicherbarkeit nicht versichert ist das Interesse des Mieters eines Hausgrundstücks an der Erhaltung der Substanz des Hauses oder das Interesse des Frachtführers am Erhalt des Transportguts. In beiden Fällen ist das Erhaltungsinteresse, das die betreffenden Nichteigentümer haben, ein nur mittelbares.75 Zudem ist zumindest der Frachtführer durch gesetzliche Vorschrift (§ 7a GüKG) verpflichtet, Haftpflichtversicherung zu nehmen. Es besteht daher gar kein Bedarf, sein Sachersatzinteresse zusätzlich in der Sachversicherung der beförderten Güter mitzudecken. Das Sacherhaltungsinteresse ist regelmäßig in Höhe des vollen Sachwertes versicherbar.76 44 In Fällen, wo ein Nichteigentümer die fragliche Sache in Obhut genommen hat, bestimmt sich die Höhe des Versicherungswertes nach dem Interesse des Eigentümers.77 Beim sachenrechtlichen Eigentümer kann das versicherbare Interesse ausnahmsweise auch fehlen, nämlich dann, wenn bei der Sicherungsübereignung die gesicherte Schuld bereits vollständig getilgt ist, das Sicherungseigentum aber nach der Sicherungsabrede nicht automatisch an den Sicherungsgeber zurückfällt.78 Ebenso wird ein Vermieter an Einrichtungsgegenständen, die einem Wegnahmerecht des Mieters nach § 539 Abs. 2 BGB unterliegen, regelmäßig kein Sacherhaltungsinteresse haben.79 Ob im Übrigen tatsächlich sowohl das Sacherhaltungsinteresse des Eigentümers als auch dasjenige des Dritten versichert ist, ist wiederum eine Frage der Auslegung des konkreten Versicherungsvertrags.80

(2) Sachersatzinteresse. Die Auslegung des Vertrages kann auch ergeben, dass über das Sa- 45 cherhaltungsinteresse hinaus das Sachersatzinteresse, also dessen Haftpflichtinteresse, des berechtigten Fremdbesitzers (z.B. eines zur Obhut Verpflichteten oder eines obligatorisch oder dinglich zur Nutzung Berechtigten) mitversichert ist.81 Das ergibt sich daraus, dass es den Parteien in Ausübung ihrer Privatautonomie freisteht, zu bestimmen, wessen und welches Interesse mitversichert sein soll. Ist das Sachersatzinteresse eines Dritten mitversichert, kann der VR bei ihm keinen Regress nach § 86 Abs. 1 Satz 1 nehmen.82 Der Dritte ist dann nämlich nicht „Dritter“ i.S.d. § 86, sondern versicherte Person. An diesem Punkt ist indes abzugrenzen. So kann die Auslegung auch ergeben, dass nur ein Regressverzicht des VR zugunsten eines berechtigten Fremdbesitzers vereinbart ist. Allein das (berechtigte) Interesse das haftpflichtigen Dritten, davor geschützt zu werden, dass der VR ihn in anspruch nimmt, genügt jedenfalls nicht, um das 73 Zustimmend Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 11; Prölss RuS 1997 221, 224. 74 BGH 12.6.1991 – XII ZR 17/90, RuS 1991 346 f.; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 49. 75 BGH 20.1.1988 – IVa ZR 165/86, NJW-RR 1988 727, 728; zum Frachtführer ferner Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 61. 76 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 39. 77 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 47. 78 A.A. Sieg VersR 1995 125, 126 Fn. 16. 79 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 39; Prölss VersR 1994 1404 f.; a.A. E. Lorenz VersR 1994 1104, 1105. 80 BGH 12.6.1991– XII ZR 17/90, NJW 1991 3031. 81 BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, BGHZ 175 374, 377 = VersR 2008 634; BGH 8.11.2000 – IV ZR 298/99, BGHZ 145, 393 = VersR 2001 94, 95; BGH 28.3.2001 – IV ZR 163/99,VersR 2001 713, 715. 82 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 33; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 43 Rn. 38; Armbrüster NVersZ 2001 193, 194. 605

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Vorliegen einer Versicherung für fremde Rechnung anzunehmen. Es sind vielmehr darüber hinausgehende, konkrete Anhaltspunkte erforderlich, dass die Parteien die Wirkung der §§ 43 ff. gewollt haben.83 Früher hat die Rechtsprechung auch Überlegungen angestrengt, ob nicht ein Haftungsausschluss zwischen dem VR und dem Dritten vereinbart ist. Diese Überlegungen hat sie mittlerweile aber abgebrochen.84 Maßgeblich kommt es auf den im Vertrag zum Ausdruck gebrachten, ggf. durch Auslegung ergänzten85 Willen der Parteien an. Eine stillschweigende Mitversicherung des Sachersatzinteresses wird man entgegen den bisher im Schrifttum vertretenen Ansichten weder pauschal annehmen86 noch pauschal ablehnen87 können. Auszugehen ist von der Rechtsregel des § 86. Dieser liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass ein Dritter regelmäßig vom VR in Anspruch genommen werden kann und selbst für Versicherung sorgen muss.88 Wollen die Parteien von diesem Leitbild abweichen, müssen sie dies zum Ausdruck bringen. Regelmäßig wird man verlangen können, dass dies ausdrücklich geschieht, damit der VR keinen ungebührlichen Nachteil in Form des Verlustes der Regressmöglichkeit erleidet. Anders ist aber zu entscheiden, wo von vornherein für beide Vertragsparteien klar ist, dass der versicherte Gegenstand von einer dritten Person genutzt werden wird, etwa weil es sich um eine typischerweise zur Vermietung oder Verpachtung bestimmte Sache handelt. Hier wird sich im Wege der Auslegung auch eine stillschweigende Mitversicherung annehmen lassen.89 Ist mit der Benutzung durch einen Dritten keine Gefahrerhöhung verbunden, gilt diese Regel auch für den Fall der Mitbenutzung der versicherten Sache durch einen Dritten.90 Beispiele: Bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft hat der IV. Zivilsenat des BGH eine Mitversicherung des Sachersatzinteresses der einzelnen Miteigentümer am Gemeinschaftseigentum und dem Sondereigentum der anderen Mitglieder der Gemeinschaft in einer Gebäudeversicherung angenommen, die durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft abgeschlossen wird.91 Dies begründet der Gerichtshof damit, dass dort eine besondere Verbundenheit der Wohnungseigentümer untereinander bestehe und daher auch ein Sachersatzinteresse einzelner Wohnungseigentümer in Bezug auf Schäden am Gemeinschaftseigentum und am Sondereigentum der anderen Wohnungseigentümer gegeben sei. Anders liegt der Fall aber, wenn ein Wohnungseigentümer nicht nur seinen Bruchteil, sondern die gesamte Sache versichert hat. Dann handelt es sich um eine kombinierte Eigen- und Fremdversicherung, bei der die übrigen Bruchteilseigentümer versicherte Personen sind.92 Die Einbeziehung des Sachersatzinteresses zu Gunsten des Mieters – als dem nutzungsberechtigten Nichteigentümer – im Rahmen einer Gebäudeversicherung lehnt der IV. Zivilsenat des BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung ab.93 Zwar bedürfe der Mieter des Schutzes davor, bei einem nur leicht fahrlässig verursachten Brand des Gebäudes vom VR in Anspruch genommen zu werden. Um diesen Schutz zu erreichen, brauche der Mieter aber nicht als Mitversicherter in den Versicherungsvertrag einbezogen zu werden mit der Folge, dass ihm – 83 BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, BGHZ 175 374 = BGH VersR 2008 634, 635. 84 Vgl. dazu noch BGH 8.11.2000 – IV ZR 298/99, BGHZ 145 393 = VersR 2001 94, 96 mit Anm. E. Lorenz und Wolter. 85 BGH 13.9.2006 – IV ZR 378/02, VersR 2006 1530; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 9. 86 Prölss/Martin/Prölss27 § 80 Rn. 2 ff. und 13 ff.; Martin SVR J II Rn. 1 ff.; Armbrüster 78 ff.; Honsell VersR 1985 301. 87 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 34; Krause 280 ff.; E. Lorenz VersR 1992 399. 88 BGH 30.4.1959 – II ZR 126/57, BGHZ 30 40, 44; BGH 7.12.1961 – II ZR 254/59, VersR 1962 129. 89 In diesem Sinne wohl ÖOGH 26.5.1993 – 7 Ob 8/93, VersR 1993 1303, 1304; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 54. 90 ÖOGH 26.5.1993 – 7 Ob 8/93, VersR 1993 1303, 1304. 91 BGH 28.3.2001 – IV ZR 163/99, VersR 2001 713. 92 BGH 8.2.1965 – II ZR 171/62, VersR 1965 425, 427; OLG Saarbrücken 9.7.1997 – 5 U 91/97- 15, VersR 1998 883; OLG Düsseldorf 24.10.1995 – 4 U 173/94, NJW-RR 1996 1174, 1175; OLG Karlsruhe 4.7.1996 – 12 U 28/96, VersR 1997 104. 93 BGH 8.11.2000 – IV ZR 298/99, BGHZ 145 393, 398 = VersR 2001 94. Brand

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entgegen möglichen Interessen des Vermieters – eigene Ansprüche gegen den VR zustünden. Der BGH hat stattdessen einen über die ergänzende Vertragsauslegung des Gebäudeversicherungsvertrages gewonnenen Regressverzicht des VR für die Fälle angenommen, in denen der Mieter einen Brandschaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat (s. auch oben Rn. 20) – und zwar unabhängig daon, ob der Mieter eigenen Haftpflichtversicherungsschutz genießt oder nicht.94 Der Verzicht umfasst dabei auch die Haftung des Mieters für einen Untermieter nach § 540 Abs. 2 BGB.95 Dessen Verhalten muss sich der Mieter indes nur zurechnen lassen, wenn der Untermieter im Falle einer eigenen Versicherung als sein Repräsentant anzusehen wäre. Schließt eine Kapitalgesellschaft oder ein Verein einen Versicherungsvertrag ab, ist eben- 50 falls durch Auslegung zu ermitteln, ob das Sachersatzinteresse der Organe und Gesellschafter bzw. Vereinsmitglieder mitversichert ist. Bejaht hat der IV. Zivilsenat des BGH den Einschluss des Sachersatzinteresses von Gesellschaftern und Geschäftsführern in der Kfz-Kaskoversicherung, soweit den betreffenden Personen gesellschaftsintern die Nutzung der betreffenden Kfz gestattet ist.96 Das Gleiche gilt für Personengesellschaften (OHG, KG, GbR, Partnerschaftsgesellschaft), da ihnen wie juristischen Personen als verselbständigter Gesamthand das versicherte Sacherhaltungsinteresse zugewiesen ist. Der BGH rechtfertigt die Mitversicherung entsprechend mit der Überlegung, dass bei Personengesellschaften die Nutzung des versicherten Kfz und die Ausübung des unmittelbaren Besitzes daran der VN als körperschaftlich strukturierte und damit als solche nicht handlungsfähige Gesellschaft überhaupt nur durch natürliche Personen möglich sei.97 Für eine Mitversicherung in der Kfz-Kaskoversicherung spreche die innergesellschaftliche Interessenlage: Der Gesellschaft sei, für den VR erkennbar, daran gelegen, nicht in haftungsrechtliche Auseinandersetzungen mit ihren eigenen Gesellschaftern und Organen verwickelt zu werden, auf die sie zur Ausübung der unmittelbaren Sachherrschaft angewiesen ist, wenn die diesen anvertrauten Sachen beschädigt oder zerstört werden. Gesellschafter und Geschäftsführer könnten andererseits aufgrund ihres Innenverhältnisses zur Gesellschaft, der sie den Besitz an dem Kfz vermitteln, die berechtigte Erwartung hegen, dass ihnen der Schutz der abgeschlossenen Kaskoversicherung zugute komme, um nicht im Falle einer Beschädigung der Sache Regressansprüchen ausgesetzt zu sein. Ein bloßer Regressverzicht des VR genüge nicht, da das Interesse des VN auch und gerade darauf gerichtet sei, den Gesellschaftern und Geschäftsführern, die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Sache haben, einen eigenen Anspruch gegen den VR zu verschaffen. Dem könne der VR angesichts des Umstandes, dass sich für ihn das versicherte und bei Begründung der vertraglichen Beziehungen erkennbare Risiko nicht erhöhe, gleichrangige eigene Interessen, die gegen eine Einbeziehung des Sachersatzinteresses sprächen, nicht entgegensetzen.

cc) Versicherung fremder Sachen. Werden fremde Sachen versichert, ist der Versicherungs- 51 vertrag regelmäßig dahingehend auszulegen, dass diejenigen Interessen versichert sein sollen, die nach der objektiven Rechtslage als Gegenstand der Versicherung in Betracht kommen.98 Im Zweifel ist demnach das Sacherhaltungsinteresse des jeweiligen Eigentümers versichert, da die Sachversicherung im Wesentlichen der Erhaltung des Sachwerts eines bestimmten Gegenstands in einem bestimmten Vermögen dient.99 Die Vermutung des § 43 Abs. 3 wäre demnach wider94 Näher – auch zur Rechtslage bei grober Fahrlässigkeit des Mieters – Looschelders/Pohlmann/Brand3 Anhang K Rn. 12. Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 48; a.A. LG Waldshut-Tiengen RuS 2006 115. BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, BGHZ 175 374, 381 ff. = VersR 2008 634. BGH 5.3.2008 – IV ZR 89/07, BGHZ 175 374, 382 f. = VersR 2008 634. BGH 18.10.2000 – IV ZR 100/99, VersR 2001 53, 54. BGH 6.7.1988 –IVa ZR 241/87, NJW 1988 2803; BGH 18.10.2000 – IV ZR 100/99, VersR 2001 53, 54; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 55.

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legt: Es besteht zugunsten des Eigentümers Versicherung für fremde Rechnung. Ob dem VR bei Vertragsschluss bekannt war, dass der Gegenstand der Versicherung nicht im Eigentum des VN stand,100 oder ob er sich im Irrtum darüber befand, wer Eigentümer des betreffenden Gegenstandes ist,101 ist insoweit unerheblich. Das ist in der Sachversicherung der Fall, weil die Versicherungsleistung sich ausschließlich am Sachwert des Gegenstandes ausrichtet (vgl. z.B. Ziff. A 2.1 AKB 2008/2015), sodass es auf die persönlichen Verhältnisse des Interesseträgers nicht ankommt. Dem VR kann es daher gleichgültig sein, ob das versicherte Interesse im Einzelfall dem VN oder der versicherten Person zusteht. 52 Ist der VN als Besitzer gegenüber dem Eigentümer der Sache zur Obhut verpflichtet (z.B. als Werkstattinhaber, Spediteur, Lagerhalter, Frachtführer oder Handwerker), ist ebenfalls das Sacherhaltungsinteresse des Eigentümers versichert. Hier besteht aber kein Zweifel, die Interessenlage ist vielmehr eindeutig.102 Die obigen Ausführungen zu den Zweifelsfällen gelten entsprechend. Neben dem Sacherhaltungsinteresse des Eigentümers kann auch das Sachersatzinteresse des Besitzers mitversichert sein, sodass ein Regress nach § 86 Abs. 1 Satz 1 ausgeschlossen ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist im Einzelfall durch Auslegung des Versicherungsvertrags zu ermitteln.103 Ergibt die Auslegung, dass Mitversicherung gewollt ist, bestehen insoweit keine Bedenken hinsichtlich einer etwaigen Benachteiligung des VR. Da sich die zu erbringende Versicherungsleistung nach dem Wert der versicherten Sache bestimmt, erhöht sich für ihn das versicherte Risiko nicht. 53 Etwas anderes gilt für den Fall, dass der VN nach dem Gesetz zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet ist (§ 7a GüKG), deren maßgeblicher Inhalt die Abdeckung des Sachersatzinteresses ist.104 Dann besteht keine Veranlassung für den Sachversicherer, das Sachersatzinteresse (zusätzlich) mitzuversichern (sog. Subsidiarität der Sachversicherung).105 Ist der VN als Besitzer gegenüber dem Eigentümer zur Nutzung der Sache, z.B. als Lea54 singnehmer oder Mieter, berechtigt und/oder trägt er die Gefahr für die Sache, etwa als Eigentumsvorbehaltskäufer oder derjenige, der die versicherte Sache zur Sicherheit übereignet hat (sog. wirtschaftlicher Eigentümer), hat er regelmäßig ein eigenes Sacherhaltungsinteresse, das mitversichert ist. Solange der VN entweder den geschuldeten Schadensersatz oder – bei Eigentumsvorbehalts- oder Sicherungsgut – den Kaufpreis oder das Darlehen noch nicht voll (zurück-)gezahlt hat, ist daneben auch das Sacherhaltungsinteresse des Sicherungsnehmers und Eigentumsvorbehaltsverkäufers (und zwar in Höhe ihrer Rest- [Darlehens- oder Kaufpreis-] forderung) versichert.106 Es liegt eine kombinierte Eigen-/Fremdversicherung vor. Soweit die Sachsubstanzentschädigung die Restschuld übersteigt, steht sie dem Besitzer als wirtschaftlichem Eigentümer zu.107 Gleicht er den Schaden des mitversicherten (rechtlichen) Eigentümers aus (bevor dieser den VR in Anspruch genommen hat), hat er einen eigenen Zahlungsanspruch gegen den VR.

100 BGH 6.7.1988 – IVa ZR 241/87, NJW 1988 2803, 2804. 101 ÖOGH 23.11.1994 – 7 Ob 39/94, VersR 1995 1339, 1340. 102 BGH 18.10.2000 – IV ZR 100/99, VersR 2001 53, 54; OLG Köln 9.11.2004 – 9 U 1/04, ZfS 2005 248; Looschelders/ Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 55; Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 29.

103 ÖOGH 23.11.1994 – 7 Ob 39/94, VersR 1995 1339, 1340; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 60; genereller Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 29 („ist mitversichert“).

104 BGH 7.5.2003 – IV ZR 239/02, VersR 2003 1171; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 55. 105 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 55; Armbrüster 193; a.A. Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 31; Prölss ZMR 2001 157.

106 BGH 17.6.2009 – IV ZR 59/06, VersR 2009 1531; LG Dortmund 27.2.2014 – 2 O 370/13, NJW-RR 2014 1182 Rn. 16; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 56; Prölss/Martin/Klimke31 § 43 Rn. 77; a.A. Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 16. 107 Martin SVR J IV 5; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 56. Brand

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E. Vertragsschluss als solcher

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E. Vertragsschluss als solcher I. Grundlagen Ob und mit welchem Inhalt bei der Versicherung für fremde Rechnung ein Versicherungsvertrag zustande gekommen ist, ergibt sich allein aus der Vereinbarung zwischen VR und VN. Einer besonderen Form bedarf diese nicht. Auch muss der VR nicht zwingend wissen, dass Versicherung für fremde Rechnung genommen werden soll, etwa wenn er den VN irrtümlich für den Eigentümer der versicherten Sache hält.108 Der Vertragsschluss im eigenen Namen hat zur Folge, dass der VN Vertragspartei wird. Für die Wirksamkeit des Vertrages kommt es auf seine Einigung mit dem VR, auf seine Verständnismöglichkeiten, auf seine Geschäftsfähigkeit, auf seinen Irrtum, auf seine Arglist und auf seine Kenntnis von Gefahrumständen an, die für den Entschluss des VR, den Vertrag abzuschließen, erheblich sind. Hinsichtlich der Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag ist zu unterscheiden. Die Pflichten treffen allein den VN. Er schuldet insbes. Zahlung der Prämie (§ 1 Satz 2). Hinsichtlich der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ist eine differenzierte Betrachtung geboten. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 stehen die Rechte aus dem Versicherungsvertrag allein der versicherten Person zu (dazu § 44 Rn. 5 ff.). Bei einer kombinierten Eigen- und Fremdversicherung beschränkt sich diese Anordnung des § 44 Abs. 1 auf den Teil des Vertrages der Fremdversicherung ist. Zu den „Rechten aus dem Versicherungsvertrag“ zählen alle Forderungsrechte, die mit der Entschädigung zusammenhängen, nicht jedoch die den Vertrag als Ganzes betreffenden Gestaltungsrechte (dazu § 44 Rn. 9 f.). Diese verbleiben bei dem VN. Dieser hat zudem das Recht, vom VR die Aushändigung der Police zu verlangen, § 44 Abs. 1 Satz 2. Tatsachen, die den Bestand des Versicherungsvertrags berühren oder Willensmängel betreffen, sind grds. aus der Person des VN zu beurteilen, da nur dieser Vertragspartei ist.109 Es sind für den Bestand des Versicherungsvertrags dem Grunde nach aber nicht nur Willensmängel der versicherten Person unbeachtlich: Der Versicherungsvertrag ist unabhängig davon wirksam, ob sie zugestimmt oder auch nur Kenntnis vom Abschluss des Vertrages hatte.110 Überhaupt kommt es nicht darauf an, ob der Vertragsschluss seinem Willen entspricht – dies ist nur für das Innenverhältnis von VN und versicherter Person von Belang. Daher muss die versicherte Person auch nicht geschäftsfähig sein.111 Gesetzliche und vertragliche Obliegenheiten nach Maßgabe des § 47 treffen sie unabhängig von ihrer Geschäftsfähigkeit.112 Auf diese kommt es nur insoweit an, als die versicherte Person ihre Rechte nach Maßgabe der §§ 44, 45 geltend machen will. Fraglich ist, auf wessen Verständnismöglichkeiten es für die Auslegung der AVB bei der Versicherung für fremde Rechnung ankommt: nur auf diejenigen des durchschnittlichen VN oder auch auf diejenigen der versicherten Person. Das ist nicht nur von Belang, wenn diese Verständnismöglichkeiten sich voneinander unterscheiden. Es kann auch – insbes. in der D&O-Versicherung – zu einem Interessengegensatz zwischen dem VN und der versicherten Person kommen. Etwas pauschal heißt es in Rechtsprechung und Schrifttum häufiger, es komme neben den Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen VN „auch“ auf diejenigen der durchschnittlichen versicherten Person an.113 Das ist zu relativieren.114 Bei solchen Klauseln, 108 BGH 18.10.200 – IV ZR 100/99, VersR 2001 53, 54; BGH 17.6.2009 – IV ZR 43/07, VersR 2009 1114, 1115; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 43 Rn. 11; a.A. OLG München 17.12.1987 – 24 U 325/87, ZfS 1988 147; Prölss/ Martin/Klimke31 § 43 Rn. 8. 109 ÖOGH 14.5.1982 – 7 Ob 11/81, VersR 1982 687, 688; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 18; Corrodi 108 f. 110 ÖOGH 19.4.1979 – 7 Ob 20/79, VersR 1980 936; Anli 28; Nießen 10. 111 J. Huber 56 f.; Schneider ZVersWiss 1905 230, 251. 112 Zu versicherungsrechtlichen Obliegenheiten und Minderjährigen im Allgemeinen Müller 203 ff. 113 BGH 12.1.2011 – IV ZR 118/10, VersR 2011 611 Rn. 11; BGH 8.5.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013 853 Rn. 40; BGH 8.10.2014 – IV ZR 16/13, NJW 2015 339 Rn. 16; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 19. 114 Dafür auch Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 11 ff. 609

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Begriffsbestimmung

die ausschließlich an den VN adressiert sind, weil sie dessen Rechte und Pflichten betreffen (z.B. Prämienzahlung oder Kündigung), kommt es naturgemäß auch nur auf die Verständnismöglichkeiten des VN an. Die versicherte Person mag zwar von der Nichterfüllung der Pflichten betroffen sein. Der Verständnishorizont fragt indes nicht nach der Betroffenheit, sondern danach, ob der Verpflichtete erkennen hat, was er zu tun hat. Ist hingegen auch die versicherte Person von einer Klausel angesprochen, etwa von einer Obligenheit, die (auch) sie trifft, oder einem Risikoausschluss, muss der VR, wenn er Vewender ist, bei der Formulierung der Klausel auch den Verständnishorizont der versicherten Person berücksichtigen. Bei einer gemischten Fremd- und Eigenversicherung ist eine gespaltene Auslegung vorzunehmen.115

II. Anfechtung 1. Irrtumsanfechtung 59 a) Anfechtung durch den Versicherungsnehmer. Wollte der Antragsteller als Vertreter für den Träger des Interesses handeln, führt die Auslegungsregel des § 43 Abs. 2 aber dazu, dass eine Versicherung für fremde Rechnung anzunehmen ist, so kann der Antragssteller wegen Erklärungsinhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten. Die Anfechtung ist nicht durch § 164 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, denn im Unterschied zu dieser Bestimmung sagt § 43 Abs. 2 nicht, dass der Willensmangel unbeachtlich sei. Will der VN anfechten, nachdem der Versicherungsfall bereits eingetreten ist, so bedarf 60 die Anfechtung der Zustimmung des Versicherten, wenn der VN diesem gegenüber zur Verschaffung des Versicherungsschutzes verpflichtet ist (vgl. Vor §§ 43–48 Rn. 41 ff.). Dieser Fall ist vergleichbar mit dem der Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den ursprünglichen VN nach Veräußerung der versicherten Sache. Der VN schuldet dem VR Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 BGB. Der umgekehrte Fall, dass der Antragsteller Versicherung für fremde Rechnung nehmen wollte, aber der Vertrag ergibt, dass er als Vertreter gehandelt hat, ist angesichts der erschwerten Voraussetzungen für die Bejahung des wirksamen Vertreterhandelns kaum vorstellbar.116 61 Der VN kann ferner anfechten, wenn das Interesse, das er decken wollte, gar nicht der im Versicherungsschein genannten versicherten Person zusteht.117 In diesem Fall bedarf es der Anfechtung allerdings gar nicht, da ein anfänglicher Interessemangel vorliegt. Wird dennoch die Anfechtung erklärt, richten sich die Rechtsfolgen nicht nach § 122 BGB, sondern nach § 80 Abs. 1. Nach der vorrangigen Auslegungsregel des § 43 Abs. 3 ist eine Anfechtung wegen Irrtums 62 ausgeschlossen, wenn Versicherung für fremde Rechnung gewollt, aber Eigenversicherung erklärt ist. Dann liegt eine wirksame Eigenversicherung vor. Gehörte die versicherte Sache nicht der versicherten Person, sondern dem VN selbst, wird die Versicherung für fremde Rechnung häufig in eine Eigenversicherung umzudeuten sein.118 Wenn das Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person nichtig oder anfecht63 bar ist, der VN aber dennoch Versicherung für fremde Rechnung genommen hat, liegt lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum vor, der nicht zur Anfechtung berechtigt.119

64 b) Anfechtung durch den Versicherer. Auch der VR kann nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten, wenn er den Vertrag nicht als Versicherung für fremde Rechnung, sondern als Versicherungsver115 116 117 118 119

Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 14; Pilz 82 ff.; tendenziell a.A. Wandt VersR 2013 856. Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 28. Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 20; Kisch PVR III 412 f.; Anli 32 und 57. Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 28; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 20; a.A. Kisch PVR III 416. Kisch PVR III 403.

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610

E. Vertragsschluss als solcher

VVG § 43

trag mit dem Interesseträger, vertreten durch den Antragsteller, eingehen wollte, etwa weil ihm ersterer für die Prämienzahlung sicherer erscheint oder weil er es bei der Vertragsdurchführung nur mit einer Person zu tun haben möchte. Ebenso kann der VR anfechten, wenn er im Irrtum bezüglich der Person des bezeichneten Versicherten ist, weil dieser in Wirklichkeit nicht Interesseträger ist.120 Auch hier ergeben sich die Rechtsfolgen aus § 80 Abs. 1. Nicht anfechten nach § 119 Abs. 1 BGB kann der VR mit der Begründung, er habe sich über Gefahrumstände geirrt, wenn VN und versicherte Person nicht nach §§ 19 ff. verpflichtet waren, diese anzuzeigen, etwa weil sie erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt121 bekannt geworden sind. §§ 19 ff. weisen derartige Gefahrumstände der Risikosphäre des VR zu. Anfechtungsgegner ist auf jeden Fall der VN, nicht die versicherte Person.122 Ficht der VR an, steht dem VN ein Schadensersatzanspruch nach § 122 BGB zu. Der versicherten Person gegenüber ist der VR nicht nach § 122 BGB ersatzpflichtig, denn nur ein wirksamer atypischer Vertrag zugunsten Dritter schafft ein rechtliches Band zwischen dieser und dem VR;123 für eine Analogie zu § 122 BGB124 fehlt es daher an der Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte. Die Interessen der versicherten Person lassen sich im Wege der Drittschadensliquidation wahren.

c) Rechtsfolgen. Ist wirksam wegen Irrtums angefochten, verliert die versicherte Person rück- 65 wirkend die Deckung. Auf ihre Kenntnis vom Irrtum kommt es nicht an.125 Das ist Ausprägung der Folgepflicht der versicherten Person (dazu Rn. 72). 2. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung Hat der VN den VR arglistig getäuscht, kann dieser ihm gegenüber anfechten. Die Anfechtung 66 führt dann zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags und wirkt entsprechend auch gegenüber versicherten Personen, §§ 123 Abs. 1, 334 BGB (siehe auch § 47 Rn. 38).126 Ob die versicherte Person dabei von der Täuschung gewusst hat oder von ihr hätte wissen müssen, ist gleichgültig. § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB ist nicht einschlägig.127 Diese Vorschrift knüpft an § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB an, geht also von einer Täuschung durch einen Dritten, nicht von der Täuschung durch eine Vertragspartei aus. Die Täuschungsanfechtung des VR wirkt sich auch zu Lasten der Gefahrsperson aus. Diese hat zwar im Unterschied zur versicherten Person keinen Anspruch, dessen sie verlustig gehen könnte, aber sie kann doch mittelbar Nachteile aus dem Vertragswegfall haben.128 Hat der VR arglistig getäuscht, so ist der VN ihm gegenüber anfechtungsberechtigt, muss 67 aber hierbei evtl. auf die versicherte Person Rücksicht nehmen. Nicht zu folgen ist der Meinung, die Willensmängel beurteilten sich stets allein nach den 68 Vertragsparteien.129 Täuscht die versicherte Person arglistig, ist nicht § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB anzuwenden. Der Versicherte ist nämlich kein Dritter im Sinne dieser Vorschrift, weil er aufgrund des Vertrages zugunsten Dritter begünstigte Partei ist. Dass der VR in diesem Falle an-

Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 29. Dazu Brand VersR 2009 715, 718. Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 20. Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 29; Kisch PVR III 403 f. Dafür Anli 30. Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 29. BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563 Rn. 32; OLG Celle 19.11.2009 – 8 U 238/08, RuS 2010 424; Prölss/ Martin/Klimke31 § 45 Rn. 3. 127 BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, VersR 2011 1563 Rn. 34; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 3. 128 Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 30. 129 Ruscher 36 Fn. 1 und wohl auch Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 8.

120 121 122 123 124 125 126

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§ 43 VVG

Begriffsbestimmung

fechten kann, und zwar gegenüber dem Versicherten,130 ergibt sich aus § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB: Wenn dem Versicherten schon Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von der Täuschung durch Außenstehende schadet, muss erst recht eine eigene Täuschung gegen ihn gelten. Ob der VN gutgläubig war, ist gleichgültig.131 Hat ein Außenstehender getäuscht, ist § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB unmittelbar anzuwenden. Der Vertrag ist der versicherten Person gegenüber anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Auf die Gutgläubigkeit des VN kommt es wiederum nicht an.132

3. Schadensersatz 69 Nach §§ 823 Abs. 2, 826 BGB kann die arglistige Täuschung des VN eine Pflicht zum Schadensersatz nach sich ziehen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob angefochten worden ist oder nicht. Anspruchsberechtigt kann dabei nicht nur der VR sein, sondern auch der Versicherte. Er geht auf das negative Interesse (§ 249 BGB), das hier nicht durch das positive, wie in § 122 Abs. 1 BGB, begrenzt ist. Das negative erreicht das positive Interesse, wenn z.B. die versicherte Person ohne den mangelbehafteten Vertrag eine anderweitige Versicherung genommen hätte, die ihr nunmehr, da ein Schadensfall vorliegt, Deckung geboten haben würde. Der Berechtigte kann auch nach Ablauf der Frist des § 124 BGB den aus der unerlaubten Handlung fließenden Schadensersatzanspruch nach Maßgabe des § 852 BGB geltend machen. 70 Die Schadensersatzverpflichtung des VN gegenüber dem VR ist begrenzt durch § 39, der halbzwingend ist, § 42. In der Lebensversicherung können die AVB nicht wirksam vorsehen, dass bei Täuschungsanfechtung auch die Prämienreserve dem VR verfallen sei: §§ 176, 178 Abs. 2 a.F.

4. Einrede der Anfechtbarkeit 71 Ist wirksam angefochten worden, gewinnt der VR hieraus, wenn er trotzdem auf Leistung in Anspruch genommen wird, eine Einwendung nach § 334 BGB. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht133 genügt hingegen die bloße Anfechtbarkeit des Versicherungsvertrags nicht, um dem VR ein Leistungsverweigerungsrecht zu geben. Die Anfechtbarkeit ist in §§ 770, 1137 BGB, 129 Abs. 2 HGB nur deshalb der Angefochtenheit gleichgestellt, weil der Verpflichtete nicht selbst ein Anfechtungsrecht hat. Das ist hier anders. Der VR, der sich geirrt hat oder der getäuscht worden ist, kann selbst anfechten. Umgekehrt hat der auf Leistung der Prämie in Anspruch genommene VN aus dem gleichen Grunde keine Einwendungen, ehe er angefochten hat.

F. Beendigung eines Versicherungsvertrags für fremde Rechnung I. Erlöschen 72 Gestaltungserklärungen, die den Vertrag betreffen, etwa eine Kündigung oder ein Rücktritt, sind vom und gegenüber dem VN abzugeben (vgl. auch § 44 Rn. 10 ff.). Dabei kommt es nicht darauf an, aus welchem Grund (fristlos oder fristgemäß) gekündigt oder zurückgetreten (z.B. 130 Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 31; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 22; Kisch PVR III 424 Fn. 2; Corrodi 108; Lenné 116.

131 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 43 Rn. 22; Kisch PVR III 404; Anli 29; Bruck PVR 603. 132 Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 31; Anli 29. 133 Kisch PVR III 424; wie hier Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 33. Brand

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F. Beendigung eines Versicherungsvertrags für fremde Rechnung

VVG § 43

Nichtanzeige gefahrerheblicher Umstände, Nichtzahlung der Erstprämie) wird. Auf eine Zustimmung des Versicherten kommt es nicht an. Ihn trifft eine „Folgepflicht“ der Gestalt, dass er selbst dann an das Verhalten des VN gebunden ist, wenn diesen eine gesetzliche Pflicht trifft, Versicherung für fremde Rechung zugunsten des Versicherten zu nehmen.134 Das liegt daran, dass der Versicherte selbst nicht Partei des Vertrages ist. Der Versicherungsvertrag erlischt auch bei Interessewegfall. Deckt der Vertrag eigenes In- 73 teresse des VN und fremdes Interesse, so genügt es für das Erlöschen des Versicherungsvertrages grds., dass Interessefortfall beim VN vorliegt, denn bei kombinierter Eigen- und Fremdversicherung folgt aus dem Akzessorietätsgrundsatz, dass das fremde Interesse nicht ohne das eigene gedeckt sein kann. Dem Interessefortfall steht die Ablehnung des Vertrags durch die versicherte Person gleich, vgl. § 45 Abs. 3. Bezieht sich die Versicherung für fremde Rechnung auf einen Inbegriff von Sachen (z.B. Hausrat, Arbeitsgerät, untergestellte Fahrzeuge, lagernde Ware), wie häufig bei Kundenversicherungen, so bleibt der Vertrag bei Entfernung einer Sache aus dem Inbegriff bestehen, der Versicherungsschutz erlischt nur bezüglich dieser herausgenommenen Sache. In diesem Falle liegt (partieller) Gefahrenwegfall vor, der einem Interessewegfall entspricht.135

II. Umwandlung in eine Eigenversicherung Die Versicherung für fremde Rechnung wird zur Eigenversicherung, wenn der VN die versicherte 74 Person oder umgekehrt diese den VN beerbt (§ 1922 BGB). Das gilt aber nur vorbehaltlich der Fälle, in denen der Nachlass ein Sondervermögen bildet (Hauptbeispiel: § 1976 BGB). Der Erbfolge ist die Verschmelzung juristischer Personen, von denen die eine VN, die andere Versicherter ist, gleichzustellen.136 Die Versicherung für fremde Rechnung wandelt sich auch dann in eine Eigenversicherung 75 um, wenn die versicherte Person die versicherte Sache oder den versicherten Miteigentumsanteil an den VN veräußert, sodass letzterer gleichzeitig zum Versicherten wird. Die Veräußerung der versicherten Person an einen Außenstehenden bewirkt hingegen Übergang des Versicherungsverhältnisses auf diesen, ebenso wenn der VN dessen Sache veräußert und der Erwerber Eigentümer wird (kraft § 185 BGB oder § 932 BGB).137 Übernimmt hingegen die versicherte Person im Einverständnis mit dem VR die Schuldnerstellung des VN i.S.d. §§ 414, 415 BGB, geht wiederum die Versicherung für fremde Rechnung in Eigenversicherung auf, nur dass hier die versicherte Person zum VN wird.

III. Insolvenz des Versicherungsnehmers Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des VN eröffnet, kann sich der VR nach § 11 76 ausbedingen, das Versicherungsverhältnis mit einer Frist von einem Monat zu kündigen. Diese Bestimmung steht im Zusammenhang mit der Prämienzahlungspflicht des VN. Sie ist dementsprechend nicht auf die Insolvenz der versicherten Person anzuwenden. Letztere lässt den Versicherungsvertrag unberührt. Inwieweit die Insolvenz des VN das Recht auf die Entschädigungsforderung berührt, vgl. § 45 Rn. 32. Im Übrigen ergeben sich nur wenige Besonderheiten gegenüber der gewöhnlichen Eigenversicherung.

134 135 136 137 613

Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 34; Kisch PVR III 428. Bruck/Möller/Sieg8 § 43 Anm. 35. Fuchs 140 und 147. Teilweise a.A. Anli 67 f., 108 bis 112. Brand

§ 43 VVG

Begriffsbestimmung

G. Vermutung für Eigenversicherung (Absatz 3) I. Grundlagen 77 Versicherung für fremde Rechnung muss ebenso wie Versicherung für Rechnung wen es angeht nicht ausdrücklich als solche genommen werden. Es muss sich aber zumindest aus den Umständen eindeutig ergeben, dass die Parteien einen entsprechenden Willen haben, da eine Qualifikation des Versicherungsvertrags als Versicherung für fremde Rechnung eigene Ansprüche eines vertragsfremden Dritten begründet (§ 44) und diesem eigene Obliegenheiten auferlegt (§ 47).138 Aus den Umständen wird sich ein Parteiwille auf Abschluss einer Versicherung für fremde Rechnung dort ergeben, wo anzunehmen ist, dass ein verständiger VN ein erkennbares Interesse am Schutz eines Dritten hat und keine Gegeninteressen des VR bestehen.139 Weiterhin kommt es entscheidend darauf an, wer nach objektiver Auslegung des Versicherungsvertrages unter Berücksichtigung der wirksam einbezogenen AVB Träger des versicherten Interesses ist. Nur wenn dies eine Person ist, die nicht mit dem VN identisch ist, kommt Versicherung für fremde Rechnung in Betracht. Das ist etwa der Fall, wenn ein Lagerhalter eine Versicherung über das Lagergut abschließt.140 78 Ergibt sich aus den Umständen hingegen, dass unbestimmt bleiben soll, ob die Versicherung für den VN oder einen Dritten geschlossen werden soll, so besteht eine Versicherung für Rechnung wen es angeht i.S.d. § 48. Auf diesen eigenen Typus eines Versicherungsvertrags finden die Vorschriften des §§ 43 bis 47 in dem Umfang Anwendung, in dem die Versicherung dem Schutz des fremden Interesses dient (s. § 48 Rn. 32 ff.). 79 Ergeben die Umstände kein eindeutiges Bild, wird nach § 43 Abs. 3 vermutet, dass eine reine Eigenversicherung genommen ist. Diese Vermutung muss entgegen einer früher im Schrifttum vertretenen Ansicht141 schon deswegen widerlegbar sein, weil es dem Wortlaut nach auf die „Umstände“ des Einzelfalls ankommt.142 Die Vorschrift überträgt den Rechtsgedanken des § 164 Abs. 3 BGB in das Versicherungsvertragsrecht: Tritt der Wille, fremdes Interesse zu versichern, nicht eindeutig hervor, so kommt der Mangel des Willens, eigenes Interesse zu versichern, nicht in Betracht.143 Die Vermutungsregel, die § 43 Abs. 3 aufstellt, ist allerdings schwach.144 Sie greift erst dann ein, wenn das Auslegungsergebnis Zweifel offen lässt und ist recht leicht zu widerlegen, wenn aufgrund objektiver Merkmale erkennbar ist, dass ein fremdes Interesse mitversichert sein soll.145 So widerlegt schon die Erteilung eines Sicherungsscheins die Vermutung für eine Eigenversicherung.146 Allein die Mitfinanzierung einer Versicherung durch einen Mieter im Wege der Nebenkosten genügt allerdings nicht, um die Vermutung des § 43 Abs. 3 zu entkräften.147 Führt die Auslegung zu einem eindeutigen Ergebnis, das auch lauten kann, dass eine reine Eigen- oder eine kombinierte Eigen- und Fremdversicherung vorliegt, ist kein Raum für die Anwendung des § 43 Abs. 3.

Prölss/Martin/Prölss27 § 80 Rn. 1; Nießen 15. BGH 5.7.1995 – IV ZR 133/94, VersR 1995 951; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 39. Corrodi 86; Lenné 94. Lenné 94. Für die Widerleglichkeit auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 43 Rn. 27; Ritter/Abraham2 § 52 ADS Anm. 55. 143 So schon Lenné 95. 144 BGH 18.9.1991 – V ZR 189/90, VersR 1991 1404; BGH 16.3.1994 – IV ZR 282/92, VersR 1994 1103, 1104; ÖOGH 23.11.1994 – 7 Ob 39/94, VersR 1995 1339, 1340; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 43 Rn. 39; Staudinger/Halm/Wendt/ Schramm/Kassing2 § 43 Rn. 10. 145 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 43 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 43 Rn. 27; Thume VersR 2004 1222. 146 LG Duisburg 2.12.1986 – 2 C 594/86, VersR 1987 875. 147 OLG Düsseldorf 16.12.1993 – 13 U 35/93, RuS 1996 110.

138 139 140 141 142

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614

H. Beweislast

VVG § 43

Anders als in den Fällen des § 43 Abs. 2 ist in Fällen des § 43 Abs. 3 aber eine Irrtumsan- 80 fechtung ausgeschlossen. Der VN kann den Versicherungsvertrag nicht mit der Begründung anfechten, er habe ein fremdes Interesse versichern wollen, wenn eine Auslegung des Vertrags ergibt, dass ein eigenes Interesse versichert ist.148 Das folgt aus dem Wortlaut („gilt“).

II. Sonderregeln Eine Ausnahme zu § 43 Abs. 3 ist in § 179 Abs. 1 Satz 2 für die Unfallversicherung geregelt. Hier 81 gilt umgekehrt die Versicherung im Zweifel als für einen anderen genommen, wenn Unfälle, die diesem anderen zustoßen, versichert werden. Soll die Unfallversicherung abweichend von § 179 Abs. 1 Satz 2 für eigene Rechnung des VN genommen werden, so ist zur Wirksamkeit des Vertrages die schriftliche Einwilligung der versicherten Person erforderlich. Eine Einwilligung in Textform genügt auch nach der Neukodifikation des VVG von 2008 nicht. Liegt keine Einwilligung vor, so ist die Versicherung Fremdversicherung zugunsten der Gefahrsperson.

H. Beweislast Die meisten Fragen nach der Beweislast im Zusammenhang mit § 43 betreffen die Abgrenzung 82 der Versicherung für fremde Rechung zur Stellvertretung. Hier gelten dieselben Regeln, die auch im Übrigen für Vertretungsverhältnisse gelten: Den Antragsteller trifft die Beweislast, dass er als Vertreter gehandelt hat, wenn ihn der VR auf Zahlung der Prämie in Anspruch nimmt.149 Verlangt der VR vom Träger des Interesses Zahlung, muss der VR beweisen, dass der Antragsteller den Interesseträger wirksam vertreten hat. Ebenso muss der VR die Vertretereigenschaft des Antragstellers beweisen, wenn er dessen Einziehungsrecht nach § 45 Abs. 2 bestreitet.150 Verlangt der Interesseträger vom VR Leistung der Entschädigung, hat er zu beweisen, dass der VN entweder für ihn als Vertreter gehandelt oder zwar im eigenen Namen gehandelt hat, aber sein Interesse mitversichert ist. Im letzteren Fall muss der versicherte Dritte ferner die Zustimmung des VN beweisen oder den Versicherungsschein beibringen, da ihm anderenfalls das Einziehungsrecht nach § 45 Abs. 2 fehlt.151

I. Auslandsrechte/PEICL Regelungen wie § 43 Abs. 1, der eine Begriffsbestimmung der Versicherung für fremde Rechung 83 enthält und die Zulässigkeit dieses Rechtsinstituts klarstellt, sind international durchaus verbreitet. Sie finden sich etwa in Art. 22 belg. VVG; Art. 9 griech. VVG; Art. 16 schw. VVG. Auslegungsregeln und Vermutungen, wie sie § 43 Abs. 2 und 3 vorsehen, treten im ausländischen Recht deutlich seltener auf. Die Rechtsprechung kommt dort aber regelmäßig zu ähnlichen Auslegungsergebnissen, wie sie in Deutschland geschriebenes Recht sind. Die PEICL verfahren ähnlich. Auch hier findet sich in Art. 11-101 Abs. 1 PEICL ein Hinweis 84 auf die Zulässigkeit einer Versicherung für fremde Rechnung. Eine weitere Konkretisierung in Form von Auslegungsregeln oder Vermutungen findet nicht statt.

148 149 150 151 615

Kisch PVR III 408; Ehrenzweig 213; Anli S. 34; a.A. Ritter/Abraham2 § 52 Anm. 14; Bruck PVR 606. Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 22; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 59. Bruck/Möller/Sieg8 § 74 Anm. 22. Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 59; Ritter/Abraham2 § 52 Anm. 15; Kisch PVR III 390. Brand

§ 44 Rechte des Versicherten (1) Bei der Versicherung für fremde Rechnung stehen die Rechte aus dem Versicherungsvertrag dem Versicherten zu. Die Übermittlung des Versicherungsscheins kann jedoch nur der Versicherungsnehmer verlangen. (2) Der Versicherte kann ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers nur dann über seine Rechte verfügen und diese Rechte gerichtlich geltend machen, wenn er im Besitz des Versicherungsscheins ist.

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Vor §§ 43–48) Bohn Die Zwangsvollstreckung in die Rechte des Versicherungsnehmers (VN) aus dem Versicherungsvertrag und der Konkurs des Versicherungsnehmers, Festschrift Schiedermair (1976) 33; Drews Die Zustimmung des Versicherten in der Lebensversicherung, VersR 1987 634; Dreher/Fritz Die D&O-Versicherung als Gruppenversicherung, VersR 2021 220; Francke Der Sicherungsschein und seine rechtliche und praktische Bedeutung, FLF 2004 80; GrasslPalten Sacherwerb und Versicherungsschutz (1996); Hellwig Die Verträge auf Leistung an Dritte (1899); Koch Rechtsstellung in der D&O-Versicherung, GmbHR 2004 18, 160, 288; Koenig Die Anspruchsberechtigung in der Versicherung für fremde Rechnung, Festschrift E. Prölss (1967) 221; Lange Prozessführungsbefugnis der Versicherungsnehmerin einer D&O-Versicherung, VersR 2007 893; Langheid Nach der Reform: Neue Entwicklungen in der Haftpflichtversicherung, VersR 2009 1043; Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Nothoff Rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Directors’ & Officers’-Versicherung – Effektiver Schutz von Vorständen und Aufsichtsräten gegen Haftpflichtrisiken, NJW 2003 1350; Prahl Zur Schadensversicherung fremden Interesses für eigene Rechnung – oder alternativ eine Summenversicherung? VersR 2019 854; Riedel Sicherungsschein und Sicherungsbestätigung in der Versicherungswirtschaft (2004); Säcker Streitfragen zur D&O-Versicherung, VersR 2005 10; Schimmer Die D&O-Versicherung und §§ 105, 108 Abs. 2 VVG 2008 – kann die Versicherungsnehmerin „geschädigte“ Dritte sein? VersR 2008 875; Schirmer Die Rechtsstellung mitversicherter Personen in der Haftpflichtversicherung, Festschrift Sieg (1976) 451; Schnepp Sachversicherung bei Mobilienleasing (1989); Sieg Rechtsverhältnisse bei erteiltem Sicherungsschein in der Kfz-Versicherung, VersR 1953 219; ders. Die feststellenden Schiedsgutachter im Privatversicherungsrecht, VersR 1965 629; Tron Der Kraftfahrzeug-Sicherungsschein (1967); v. Westphalen D&O-Versicherung und Direktanspruch der Gesellschaft gegenüber der Versicherung, DB 2005 431.

Übersicht 1

A.

Normgeschichte

B.

Normzweck

C.

Versicherte Person als Rechtsinhaberin (Ab5 satz 1)

I. 1. 2.

IV.

Aushändigung des Versicherungsscheins (Absatz 1 Satz 2) 15

V.

Zwangsvollstreckung/Insolvenz

VI.

Rechtsnachfolge

2

5 Rechte aus dem Versicherungsvertrag Recht auf Gefahrtragung/Versicherungsleis5 tung 8 Zinsen und Verzugsschaden

II.

Akzessorietät der Rechtsstellung der versicher9 ten Person

III.

Rechte und Pflichten des Versicherungsneh10 mers

Brand https://doi.org/10.1515/9783110522624-028

VII. Aufrechnung

18

20 21 22

VIII. Veräußerung der versicherten Sache D.

Verfügungsbefugnis der versicherten Person 24 (Absatz 2)

I.

Grundlagen

II.

Zustimmung des Versicherungsnehmers

III.

Besitz des Versicherungsscheins

24 30

33

616

VVG § 44

B. Normzweck

IV.

Rechtsmissbräuchliches Verhalten des Versiche37 rers

V.

Sonderregeln

E.

Ausstellung eines Sicherungsscheins

F.

Rechtsfolgen bei Leistung an die versicherte 47 Person

49

G.

Beweislast

H.

Abdingbarkeit

I.

Auslandsrechte/PEICL

50

42 54

44

A. Normgeschichte § 44 stimmt weitgehend mit § 75 a.F. überein. Zwei Änderungen sind allerdings zu beachten. 1 Absatz 1 Satz 2 stellt nicht mehr auf die Aushändigung des Versicherungsscheins ab, sondern auf dessen Übermittlung. Dabei handelt es sich um eine redaktionelle Änderung, die der Neufassung des § 3 Abs. 1 Rechnung trägt.1 In Absatz 2 ist ein zweites einschränkendes „nur“ vor „gerichtlich geltend machen“ weggefallen. Diese Änderung ist stilistischer Natur und hat keine inhaltliche Bedeutung.

B. Normzweck § 44 regelt die Rechtsstellung der versicherten Person in der Versicherung für fremde Rechnung. 2 § 44 Abs. 1 beinhaltet in Satz 1 den für die Versicherung für fremde Rechnung begriffswesentlichen Grundsatz, dass die Rechte aus dem Versicherungsvertrag der versicherten Person kraft Gesetzes zustehen, ohne dass es ihrer Mitwirkung (etwa eines Beitritts oder der Abgabe einer Annahmeerklärung) bedarf.2 Einer Auslegung des Umfangs der Berechtigung, wie diese nach § 328 Abs. 2 BGB erforderlich ist, um den bürgerlich-rechtlichen Vertrag zugunsten Dritter vom unechten Vertrag zugunsten Dritter abzugrenzen,3 bedarf es nicht. Das VVG legt sich im Gegensatz zum BGB auf die versicherte Person als Inhaberin der Rechte aus dem Versicherungsvertrag fest, um dem Abschluss von Wettversicherungen vorzubeugen.4 Die Aushändigung des Versicherungsscheins kann nach Absatz 1 Satz 2 aber nur der VN verlangen. Dieser Vorbehalt beruht darauf, dass der Versicherungsschein die Rechte des VN im Innenverhältnis zur versicherten Person absichern soll und damit unbedingt in dessen Hände gelangen muss.5 Nur so behält er die vom deutschen Recht gewollte Kontrolle darüber, wer im Einzelfall verfügungsbefugt ist, er oder die versicherte Person (dazu sogleich). § 44 Abs. 2 ist in unmittelbarem Zusammenhang mit § 45 Abs. 1 zu sehen und zu verstehen. 3 Dieser weist die Verfügungsbefugnis über die Rechte der versicherten Person abweichend von § 328 Abs. 1 BGB grds. dem VN zu, damit dieser in den durchaus zahlreichen Fällen, in denen ihm Ansprüche gegen die versicherte Person (etwa auf Ausgleich der Prämie) zustehen, ein Druckmittel in der Hand hat, um die Erfüllung der Ansprüche durch die versicherte Person zu erzwingen (vgl. § 45 Rn. 2). § 44 Abs. 2 stellt die bürgerlich-rechtliche Rechtslage in zwei Fällen wieder her, weist also die Verfügungsbefugnis der versicherten Person zu. Das ist zum einen dann der Fall, wenn diese sich im Besitz des Versicherungsscheins befindet, zum anderen dann, wenn sie mit Zustimmung des VN handelt. § 44 Abs. 2 ist also auch eine Norm, die den VN 1 2 3 4 5

Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 73. BGH 25.1.1963 – II ZR 54/61, BGHZ 40 297, 301; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 2; Trautmann 14. Dazu MüKo-BGB/Gottwald8 § 328 Rn. 32 bis 35. Ehrenberg 190; J. Huber 55; Nießen 45. Ehrenzweig 215.

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schützt.6 Sie ermöglicht es ihm, als Prämienschuldner durch Zustimmung oder Weitergabe/ Nichtweitergabe des Versicherungsscheins die Geltendmachung von Ansprüchen zu steuern. Der Zustimmung und dem Besitz des Versicherungsscheins steht die missbräuchliche Berufung des VR auf eine mangelnde Verfügungsbefugnis gleich (unten Rn. 24 ff.). Die Rückausnahme des § 44 Abs. 2 soll eigentlich verhindern, dass VN und versicherte Person gleichzeitig verfügungsbefugt sind und den VR nebeneinander in Anspruch nehmen. Dieser Aufgabe wird sie aber nur sehr eingeschränkt gerecht, da sie einerseits auch die Zustimmung des VN für den Übergang der Verfügungsbefugnis auf die versicherte Person genügen lässt und es andererseits tatsächliche Umstände sowie vertragliche und gesetzliche Regelungen gibt, die konkurrierende und damit auch widersprüchliche Verfügungen von VN und versicherter Person ermöglichen (vgl. auch § 45 Rn. 12 ff.). 4 Der Gesamtregelungszusammenhang der Aufspaltung von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsmacht bei der Versicherung für fremde Rechnung in §§ 44, 45 verfolgt zwei verschiedene Zwecke.7 Einerseits dient die Aufspaltung dem Schutz geschäftlicher Forderungen des VN gegen die versicherte Person, die durch ein gesetzliches Pfandrecht an den versicherten Sachen (§ 647 BGB, §§ 397, 410, 421, 623 HGB) gesichert sind. Könnte die versicherte Person die Versicherungsleistung bei Untergang der Sachen selbst einziehen, so wäre die Position des VN, der sich ansonsten aus dem Gegenstand des Vertrags mit der versicherten Person hätte befriedigen können, gefährdet. Andererseits soll der VR davor bewahrt werden, sich im Versicherungsfall mit einer Vielzahl von Dritten auseinandersetzen zu müssen, die behaupten, ein Recht aus der Versicherung herleiten zu können.8

C. Versicherte Person als Rechtsinhaberin (Absatz 1) I. Rechte aus dem Versicherungsvertrag 1. Recht auf Gefahrtragung/Versicherungsleistung 5 Die versicherte Person erwirbt nach § 44 Abs. 1 die Rechte aus dem Versicherungsvertrag mit Vertragsabschluss oder, wenn formeller und materieller Versicherungsbeginn auseinander fallen, zum Zeitpunkt des materiellen Versicherungsbeginns unmittelbar kraft Gesetzes, nicht etwa im Wege des Durchgangserwerbs durch Abtretung des VN.9 Zu den Rechten, die ihr nach § 44 Abs. 1 zustehen, zählen alle, aber auch nur die Rechte, die mit der Gefahrtragung oder (nach Eintritt des Versicherungsfalls) mit der Entschädigung zusammenhängen.10 Das ist zunächst, aber nicht ausschließlich, der Anspruch auf die Versicherungsleistung. In der Sachversicherung ist dies die Zahlung der Entschädigung, in der Unfallversicherung die Zahlung der vereinbarten Versicherungssumme, in der Haftpflichtversicherung die Gewähr von Rechtsschutz und die Befreiung von Haftpflichtverbindlichkeiten sowie in der Rechtsschutzversicherung die Gewähr von Rechtsschutz. 6 Die früher im Schrifttum vertretene Auffassung, § 44 Abs. 1 erfasse nur Ansprüche auf Geldleistung,11 ist zu eng. Abgesehen davon, dass der Versicherungsfall ausnahmsweise auch NatuLangheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 5. Dazu auch Mot. 148; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 1. ÖOGH 13.7.1994 – 7 Ob 15/94, VersR 1995 1123. RG 14.11.1930 – VII 94, 30, RGZ 130 237, 242; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 2; Corrodi 131; Schirmer FS Sieg, 451, 475; a.A. Krause 24. 10 ÖOGH 22.9.1983 – 7 Ob 19/83, VersR 1984 1196; ÖOGH 9.5.2012 – 7 Ob 67/12 x, VersR 2013 650, 651; OLG Celle 19.9.2008 – 8 U 11/08, VersR 2008 1532, 1537; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 2; Prölss/Martin/ Klimke31 § 44 Rn. 3; Kisch PVR III 470; Ruscher 90. 11 So noch Prölss/Martin20 § 75 Anm. 2 zu § 75 Abs. 1 a.F.

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ralersatzansprüche umfassen kann, soll die versicherte Person nach dem Willen der Vertragsparteien auch schon die Vorteile der Gefahrtragung haben. Dass auch andere als Geldansprüche von § 44 Abs. 1 erfasst sind, folgt überdies schon daraus, dass die Vorschrift als eine solche des allgemeinen Teils auch für Versicherungszweige gilt, bei denen die Versicherungsleistung nicht zwingend in einer Geldleistung besteht (z.B. Haftpflichtversicherung). Weiterhin fallen auch andere Ansprüche als solche auf die Versicherungsleistung unter § 44 Abs. 1. Das zeigt der Vergleich mit anderen Rechtsordnungen und den PEICL, welche den Umfang der Rechte, die der versicherten Person zugewiesen sind, häufig – anders als das deutsche Recht – ausdrücklich auf die Versicherungsleistung (in der Schadensversicherung) beschränken (dazu unten Rn. 39). Entsprechend kann die versicherte Person nach § 44 Abs. 1 den Ersatz von Rettungskos- 7 ten i.S.d. § 83 Abs. 1, erweiterten Aufwendungsersatz i.S.v. § 90 oder Kosten für die Schadensermittlung nach § 85 verlangen, sofern sie diese Kosten getragen hat – und nicht der VN.12 Hat wegen des Schadens ein Sachverständigenverfahren stattgefunden (§ 84 für die Schadensversicherung allgemein, § 189 für die Unfallversicherung) und ist die versicherte Person wegen der von ihr im Rahmen dieses Verfahrens verauslagten Kosten erstattungsberechtigt (so etwa, wenn das Ergebnis des Sachverständigenverfahrens nicht den Standpunkt des VR bestätigt hat),13 fällt auch diese Forderung unter § 44 Abs. 1. Welche Kosten an der Erstattung teilnehmen, ist eine andere Frage. So verneint die Rechtsprechung die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten im Schiedsgutachterverfahren.14

2. Zinsen und Verzugsschaden Als Annex zur Hauptforderung stehen der versicherten Person auch Ansprüche auf Ersatz von 8 Verzugsschäden (§ 286 BGB) einschließlich der nach § 14 Abs. 3 unabdingbaren Verzugszinsen (§ 288 BGB) sowie Prozesszinsen nach § 291 BGB zu.15 Ebenso kann sie Verzinsung nach § 91 verlangen. Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen der Versicherte Zinsen bereits ab Fälligkeit (§ 353 HGB) und in Höhe von 5 % (§ 352 Abs. 1 Satz 1 HGB) verlangen kann. Beide Bestimmungen fordern ein beiderseitiges Handelsgeschäft. Beim VR liegt, sofern er nicht kleiner VVaG oder öffentlich-rechtliches Unternehmen ist, diese Voraussetzung stets vor. Auf der anderen Seite muss der Versicherungsvertrag für den VN nicht zwingend Handelsgeschäft sein.16 Maßgeblich ist vielmehr, ob der versicherte Gegenstand zu einem Handelsgewerbe gehört, das die versicherte Person betreibt: Verzugszinsen sind pauschalierter Mindestschaden desjenigen, dem die Leistung zusteht. Das ist bei der Versicherung für fremde Rechnung die versicherte Person. Ist der VR gleichzeitig aus mehreren Vorschriften zur Zinszahlung verpflichtet, muss er ausschließlich den höchsten Zinssatz zahlen; eine Kumulation der einzelnen Zinspflichten findet nicht statt.17

II. Akzessorietät der Rechtsstellung der versicherten Person Die Rechte der versicherten Person sind aufgrund der Rechtsnatur der Versicherung für fremde 9 Rechnung untrennbar mit dem Schicksal des Versicherungsvertrags, aus dem sie sich erge12 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 44 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Hübsch3 § 44 Rn. 5. 13 Sieg VersR 1965 629, 633. 14 LG Regensburg 19.5.1971 – S 133/70, VersR 1972 338; kritisch Sieg VersR 1965 629, 633. 15 OLG Hamm 17.1.1986 – 20 U 183/85, RuS 1986 317; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 34; Prölss/Martin/ Klimke31 § 44 Rn. 3. 16 A.A. Ehrenberg 78. 17 OLG Hamburg 23.2.1989 – 6 U 234/88, NJW-RR 1989 680; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 94 Rn. 3; Nießen 53. 619

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ben, verbunden. Sie entstehen nicht, wenn der Versicherungsvertrag unwirksam ist, und gehen unter, wenn der Versicherungsvertrag durch Ausübung eines Gestaltungsrechts aufgehoben wird. Der VR kann der versicherten Person gegenüber auch Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag (z.B., wenn er durch eine Pflicht- oder Obliegenheitsverletzung des VN von der Leistung frei wird) geltend machen. Das ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1, der davon spricht, dass der versicherten Person nur die Rechte „aus dem Versicherungsvertrag“, also insoweit, als dies der Versicherungsvertrag zulässt, zustehen. Hinter § 44 Abs. 1 steht freilich die Regelung des § 334 BGB, auf die man allerdings nicht zurückgreifen muss.18 Aus § 47, der dem Versicherten ein eigenständiges Obliegenheiten- und Pflichtenprogramm auferlegt, folgt, dass der VR Ansprüchen der versicherten Person auch Einwendungen aus dem Verhältnis zu diesem entgegenhalten kann.

III. Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers 10 Die Rechte, die nicht als solche „aus dem Versicherungsvertrag“ erscheinen, und die Pflichten aus dem Versicherungsvertrag, verbleiben beim VN. Letzteres folgt schon daraus, dass die versicherte Person nicht die Rechtsstellung einer Vertragspartei hat. Zu den Pflichten, die den VN und nicht die versicherte Person treffen, zählt insbes. die Pflicht, die geschuldete Prämie zu zahlen. Prämienschuldner ist allein der VN.19 Eine Ausnahme für den Fall, dass der VN insolvent geworden ist, wie sie § 812 Abs. 3 HGB früher für die Seeversicherung vorsah und wie sie etwa nach Art. 18 Abs. 2 schw. VVG auch in der Binnenversicherung gebräuchlich ist, schien schon den Verfassern des VVG von 1908 als „nicht mehr zeitgemäße Abweichung von den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs“, nach denen der Dritte gerade keine Vertragspartei und damit kein Schuldner des VR – auch kein Ausfallschuldner – ist, so dass sie nie in das VVG übernommen wurde.20 Der VR kann allerdings die versicherte Person aufgrund eines eigenständigen Vertrags verpflichten, für die Prämienschuld des VN zu bürgen oder gar deren Erfüllung i.S.d. § 414 BGB zu übernehmen. Spiegelbildlich zu der Verpflichtung zur Prämienzahlung ist auch der VN – und nicht etwa die versicherte Person – Inhaber des Anspruchs auf Prämienrückerstattung (etwa bei überzahlten Prämien), da dieser ausschließlich dem Prämienschuldner zusteht.21 11 Damit die versicherte Person die Folgen des Verzugs abwenden kann, gewährt § 34 ihr aber das Recht, vom VR die Annahme der Prämie zu verlangen (vgl. § 34 Rn. 8). Wie bei der Bezugsberechtigung ist der VR aus Treu und Glauben verpflichtet, die versicherte Person darüber zu informieren, wenn der VN in Verzug mit der Prämienzahlung gerät, damit sie Maßnahmen ergreifen kann, um den Versicherungsschutz, der zu ihren Gunsten besteht, aufrecht zu erhalten. Ihre Grenze findet diese Pflicht in der Zumutbarkeit. Vergleichbares gilt auch zugunsten der Grundpfandgläubiger in der Gebäudefeuerversicherung, § 142. Im Zweifel kann für die Auslegung darauf zurückgegriffen werden.22 Bekommt der VR auf Nachfrage Name und Anschrift der versicherten Person nicht mitgeteilt, so trifft ihn keine Pflicht, diese selbständig zu ermitteln. Es ist Aufgabe des VN, die Interessen der versicherten Person zu wahren.23

18 Wie hier Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 43 Rn. 14; a.A. wohl Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 10. 19 BGH 25.11.1963 – II ZR 54/61, BGHZ 40 297, 300 ff. = VersR 1964 131, 302; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 6. 20 Vgl. Amtl.Begr. RTDrucks. 364/12 S. 120; J. Huber 75 f.; Kisch PVR III 433; zur gegenteiligen Wertung des schweizerischen Rechts Moser 25; vergleichend und kritisch Corrodi 113 f. 21 Wie hier Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 4; Prölss/ Martin/Klimke31 § 44 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 8; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 44 Rn. 3; a.A. Anli 71; Schwan 15. 22 Ebenso Anli 74. 23 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 2. Brand

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Nach Maßgabe des § 47 treffen die versicherte Person aber gesetzliche und vertragliche Ob- 12 liegenheiten als eigene. Außerdem kommt es für das Vorliegen eines subjektiven Risikoausschlusses (auch) auf ihre Person an (dazu § 47 Rn. 46 und 51). Zu den Rechten, die nach § 44 Abs. 1 dem VN zustehen, gehören vor allem solche, die 13 das Vertragsganze betreffen.24 Das ergibt sich aus der Ausgestaltung der Versicherung für fremde Rechnung als atypischer Vertrag zugunsten Dritter. Da der VN, anders als die versicherte Person, Vertragspartei ist, bleibt er Herr des Vertrags. Hätte das VVG etwas anderes regeln wollen, so hätte es dies ausdrücklich anordnen müssen. Unabhängig davon, ob sie die Verfügungsbefugnis über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag gem. § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 besitzt, kann die versicherte Person demnach keine Gestaltungsrechte bzgl. des Versicherungsvertrags ausüben.25 Das Recht zur Anfechtung, zur Kündigung und zum Rücktritt verbleibt auf jeden Fall beim VN (vgl. auch § 45 Rn. 7), und zwar auch wenn der VN sie nicht ausübt. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Sicherungsschein ausgestellt ist, der die (durchaus übliche) Regelung enthält, dass der VN den Vertrag nicht ohne Zustimmung der versicherten Person kündigen darf (näher zum Sicherungsschein unten Rn. 30 ff.). Auch für den Empfang von Erklärungen, die den Versicherungsvertrag als Ganzen betreffen (z.B. die Kündigung), ist ausschließlich der VN tauglicher Adressat, selbst wenn die Verfügungsbefugnis nach § 44 Abs. 2 bei der versicherten Person liegt.26 Das gilt entgegen einer älteren Entscheidung des OLG München27 schon aus Gründen der Rechtssicherheit auch in der Gruppenversicherung, da die versicherte Person hier nicht zum Herrn des Vertrags aufsteigt, wie das Gericht meint; dies bleibt vielmehr die Gruppenspitze.28 Ist ein Nießbrauch bestellt, kann die Kündigung des Versicherungsvertrags nur gemeinschaftlich durch den Nießbraucher und den Eigentümer bzw. ihnen gegenüber erklärt werden, § 1077 Abs. 2 BGB. Allgemein gilt: Nur der VN – und nicht die versicherte Person – kann sich mit dem VR über 14 Vertragsänderungen einigen und in den Fällen der §§ 74, 78 eine Herabsetzung der Prämie verlangen. Die versicherte Person kann schließlich ohne besondere Vereinbarung nicht das Fortgelten eines Versicherungsvertrags zu ihren Gunsten verlangen, den der VN selbst nicht mehr fortführen will.29 Auch Information und Beratung nach Maßgabe der §§ 6 bis 7 hat grundsätzlich nur gegenüber dem VN als Vertragspartei zu erfolgen. Das Gleiche gilt für andere Hinweisund Auskunftspflichten, etwa für diejenige aus § 186.30 Eine Ausnahme kann sich bei der Erteilung eines Sicherungsscheins ergeben (s. unten Rn. 46).

IV. Aushändigung des Versicherungsscheins (Absatz 1 Satz 2) Da § 45 die Verfügungsbefugnis grds. dem VN zuweist, kann die versicherte Person, obwohl sie 15 als Inhaberin der Versicherungsforderung gem. § 952 Abs. 2 BGB Eigentümer des Versicherungsscheins ist (vgl. unten Rn. 22), keine Übermittlung (§ 44 Abs. 1 Satz 2) des Versicherungsscheins verlangen – auch nicht an den VN.31 Das liegt daran, dass der Versicherungsschein die Rechte des VN im Innenverhältnis zur versicherten Person absichern soll und damit unbedingt

24 ÖOGH 22.9.1983 – 7 Ob 19/83, VersR 1984 1196; Kisch PVR III 471; Anli 70; Ruscher 90; a.A. die ältere Lehre z.B. Ehrenzweig 214; Lenné 124; Schwan 16.

25 ÖOGH 11.5.1994 – 7 Ob 19/94, VersR 1995 443, 444; ÖOGH 11.12.1986 – 7 Ob 48/86, VersR 1988 502; ÖOGH 22.9.1983 – 7 Ob 39/83, VersR 1984 1195; OLG Köln 18.6.1996 – 9 U 229/95, VersR 1997 1265, 1266; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 3. 26 OLG Hamburg 11.9.1979 – 7 U 43/79, VersR 1980 375, 376; Kisch PVR III 424; Nießen 56. 27 OLG München 27.10.1994 – 19 U 3605/94, VersR 1995 902. 28 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 44 Rn. 8; Nießen 57; Wriede VersR 1996 873. 29 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 4. 30 BGH 22.5.2019 – IV ZR 73/18, NJW 2019 2534 Rn. 23 ff. 31 Zu letzterem Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 5. 621

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in die Hände des VN gelangen muss (s.o. Rn. 2). Genauso verhält es sich, wenn die versicherte Person nach § 44 Abs. 2 verfügungsbefugt ist. In diesem Fall müssen immer noch die Ansprüche des VN im Innenverhältnis abgesichert werden. Aus § 44 Abs. 2 lässt sich allerdings der allgemeine Rechtsgedanke ableiten, dass dem VN die Dispositionsbefugnis über den Versicherungsschein zusteht. Daher kann er durchaus selbst verlangen, dass der Versicherungsschein an die versicherte Person übermittelt wird, oder Entsprechendes im Versicherungsvertrag vereinbaren.32 § 44 Abs. 1 Satz 2 gebietet, dass auch die Ausstellung von Ersatzurkunden (§ 3 Abs. 3) nur 16 der VN verlangen kann, da sie die gleiche Legitimationswirkung wie das Original haben. Daraus folgt weiterhin, dass die Anfertigung von Abschriften (§ 3 Abs. 4) ebenfalls nur auf Verlangen des VN erfolgen kann. Ausnahmsweise wird man allerdings dem VN das Recht zusprechen müssen, eine Abschrift der Erklärungen, die in Bezug auf den Versicherungsvertrag abgegeben worden sind, vom VR zu verlangen, wenn diese erforderlich sind, um eine Leistungs- oder Feststellungsklage gegen den VR erheben zu können.33 Es steht auch dem VN als Vertragspartner des VR – und nicht der versicherten Person – zu, 17 dem Inhalt des Versicherungsscheins nach § 5 zu widersprechen und das Widerrufsrecht nach § 8 auszuüben (s. dazu § 45 Rn. 10). Unterlässt der VN es, diese Rechte geltend zu machen, und entsteht der versicherten Person dadurch ein Nachteil, kann der VN im Innenverhältnis ggf. zum Schadensersatz verpflichtet sein. Ist der VN in Besitz des Versicherungsscheins gelangt, kann die versicherte Person Herausgabe des Versicherungsscheins nach Maßgabe des § 46 Satz 1 nur verlangen, wenn sie dazu nach dem Innverhältnis, das zwischen ihr und dem VN besteht, berechtigt ist. Die versicherte Person kann vom VR zur Klarstellung ihrer Ansprüche aber verlangen, dass ihr der Versicherungsschein an dem Ort, an dem er sich befindet, zugänglich gemacht wird, und dass sie eine Abschrift oder Kopie fertigen darf.34

V. Zwangsvollstreckung/Insolvenz 18 Da die Rechte aus dem Versicherungsvertrag nach § 44 Abs. 1 der versicherten Person – und nicht dem VN – zustehen, können auch nur deren Gläubiger, nicht solche des VN, diese Ansprüche nach § 829 ZPO pfänden.35 Die Pfändung erfasst die Ansprüche so, wie sie in der Person des Versicherten bestehen. Das bedeutet insbes., dass eine Verfügungsmacht des VN bestehen bleibt.36 Bei einigen Versicherungsarten (z.B. Unfallversicherung) sind die Pfändungsgrenzen des § 850b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO zu beachten. In der Sachversicherung sind Ansprüche der versicherten Person nur der Pfändung unterworfen, wenn dies auch die Sache ist, an der das versicherte Interesse besteht, §§ 811, 812, 851 Abs. 1 ZPO. Gegen eine Pfändung durch Gläubiger des VN kann die versicherte Person Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO erheben.37 Zwar wäre eine Pfändung der Ansprüche gegen den VR nichtig, da diese dem VN nicht zustehen; allein der Rechtsschein einer wirksamen Pfändung führt aber schon zu einer Beschwer des Rechtsinhabers, die ihm ein Rechtsschutzbedürfnis verleiht. Die versicherte Person benötigt zur Erhebung der Drittwiderspruchsklage weder die Zustimmung des VN noch den Besitz des Versicherungsscheins. Mit der Pfändung erlangt der Gläubiger die Rechtsstellung der versicherten Person. Eine Überweisung nach § 835 ZPO ist nur zulässig, soweit die 32 Nießen 59. 33 Trautmann 7. 34 Wie hier Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 6; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 8 unter fälschlicher Berufung auf ÖOGH 22.9.1983 – 7 Ob 39/83, VersR 1984 1196.

35 OLG Hamm 5.11.1986 – 20 U 23/86, NJW-RR 1987 217; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 6; Prölss/Martin/ Klimke31 § 44 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 11; Nießen 210 f. 36 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 6. 37 Anli 74; Kisch PVR III 484; Lentz 181; Ritter/Abraham2 § 53 ADS Anm. 5; Trautmann 96. Brand

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C. Versicherte Person als Rechtsinhaberin (Absatz 1)

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versicherte Person nach §§ 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 selbst über ihre Rechte verfügen kann,38 da dem Vollstreckungsgläubiger als ihrem Teilrechtsnachfolger nicht mehr Rechte zustehen können als ihr selbst. Ist die versicherte Person nicht verfügungsbefugt, kann der Vollstreckungsgläubiger erst dann die Überweisung verlangen, wenn er zuvor den Anspruch der versicherten Person gegen den VN auf Einwilligung in die Auszahlung (dazu § 46 Rn. 12) erfolgreich durchgesetzt hat. Dazu muss er in jedem Fall den Anspruch der versicherten Person gegen den VN pfänden und sich überweisen lassen39 und diesen ggf. auch im Wege der Klage gegen den VN verfolgen.40 Pfändung und Überweisung greifen allerdings ins Leere, wo der versicherten Person ein Anspruch auf Einwilligung des VN zur Auszahlung überhaupt nicht zusteht. Um den Anspruch auf Zustimmung zu sichern, kann der Gläubiger eine einstweilige Verfügung gegen den VN beantragen, die es ihm verbietet, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen. Findet eine Überweisung an einen Gläubiger der versicherten Person statt, ohne dass die Voraussetzungen dafür vorliegen, etwa weil deren Ansprüche mit der regelmäßigen Verfügungsbefugnis des VN belastet sind, kann dieser gegen die Überweisung Erinnerung nach § 766 ZPO einlegen.41 Wird über das Vermögen der versicherten Person ein Insolvenzverfahren eröffnet, fallen 19 ihre Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in die Insolvenzmasse, § 35 InsO.42 Hat bei einer Insolvenz des VN der Insolvenzverwalter die Entschädigung zur Insolvenzmasse eingezogen, verbleibt der versicherten Person nur eine gewöhnliche Masseschuld nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO.43 Die Treuhänderstellung des VN im Innenverhältnis ändert daran nichts, da im Falle der Insolvenz des VN nicht das eigentliche Treugut, die Versicherungsforderung, betroffen ist, sondern ein Surrogat. Etwas anderes gilt aber, wenn die eingezogene Entschädigung in der Insolvenzmasse noch unterscheidbar vorhanden ist.44 Dann hat die versicherte Person ein Ersatzaussonderungsrecht nach § 48 Satz 2 InsO – vorausgesetzt das Innenverhältnis zwischen ihr und dem VN rechtfertigt ein solches.

VI. Rechtsnachfolge Die Einzelrechtsnachfolge in das Vermögen der versicherten Person aus § 44 Abs. 1 ist ohne 20 Zustimmung des VN nicht möglich, wenn sie über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht verfügungsbefugt ist. Das liegt daran, dass es sich um eine Verfügung i.S.d. § 44 Abs. 2 handelt. Selbst wenn die versicherte Person verfügungsbefugt ist, scheitert eine Einzelrechtsnachfolge in der Praxis häufig an Abtretungsverboten, die in AVB enthalten sind. Eine Gesamtrechtsnachfolge ist hingegen möglich. Beim Tod der versicherten Person fallen ihre Rechte aus dem Versicherungsvertrag in den Nachlass.45 Die Rechtsstellung der versicherten Person geht

38 OLG Düsseldorf 29.10.1996 – 4 U 197/95, VersR 1997 1475; OLG Hamburg 5.7.1951– 3 U 421/50, VersR 1951 227; OLG München 29.3.1999 – 30 U 761/98, RuS 2000 58, 59; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 8; Prölss/Martin/ Klimke31 § 44 Rn. 5. 39 OLG Düsseldorf 29.10.1996 – 4 U 197/95, VersR 1997 1475. 40 ÖOGH 1.3.1960 – 3 Ob 398/59, VersR 1960 454; ÖOGH 18.2.1970 – 7 Ob 23/70, VersR 1971 140; Prölss/Martin/ Klimke31 § 44 Rn. 5. 41 Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 38; Nießen 211. 42 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 10; Prölss/Martin/Prölss27 § 75 Rn. 4; Schwan 16. 43 BGH 29.10.1952 – II ZR 283/51, BGHZ 7 376 = VersR 1953 448; OLG Celle 1.10.1953 – 1 U 76/53, VersR 1953 489, 490; Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 43. 44 BGH 28.10.1953 – II ZR 240/52, BGHZ 10 376, 384; BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 1541; Looschelders/ Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 10; Prölss/Martin/Klimke31 § 44 Rn. 6; Trautmann 100. 45 BGH 4.4.1973 – IV ZR 130/71, VersR 1973 634, 635; BGH 8.2.1960 – II ZR 136/58, BGHZ 32, 44 = VersR 1960 339; LG Hamburg 5.8.1957 – 5 OH 42/57, VersR 1957 677, 678. 623

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entsprechend auf ihre Erben über.46 Was die Gefahrtragung anbelangt, gilt dies aber nur, wenn sich beim Erben dieselbe Gefahr verwirklichen kann, wie beim Erblasser. Ist dies nicht der Fall – wie häufig in der Betriebshaftpflichtversicherung – greift § 80 Abs. 1.

VII. Aufrechnung 21 Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht47 können Gläubiger der versicherten Person durchaus mit der Entschädigungsforderung aufrechnen, wenn ihr diesbezüglich die Verfügungsbefugnis fehlt – Gegenseitigkeit der Forderungen i.S.d. § 387 BGB ist schließlich gegeben. Das Recht des Gläubigers zur Aufrechnung wird aber durch das Befriedigungsvorrecht des VN aus § 46 Satz 2 beschränkt. Im Gegensatz dazu ist der VR trotz fehlender Gegenseitigkeit der Forderungen gem. § 35 berechtigt, der versicherten Person gegenüber mit einer offenen Prämienforderung gegen den VN aufzurechnen.48 Wäre er das nicht, müsste er aus der Rollenspaltung, welche die §§ 44, 45 bei der Versicherung für fremde Rechnung bewirken, Nachteile hinnehmen. Das widerspräche aber dem Willen des Gesetzgebers (dazu auch § 47 Rn. 3 ff.). Bei einheitlichen Verträgen über mehrere Risiken kann der VR auch mit Prämienforderungen, welche die jeweils anderen Risiken betreffen, aufrechnen.49 Einschränkungen hinsichtlich der Aufrechnungsmöglichkeit des VR können sich im Hinblick auf Forderungen, die bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls fällig geworden sind, bei der Haftpflichtversicherung aufgrund der ratio legis des § 108 Abs. 1 ergeben.50

VIII. Veräußerung der versicherten Sache 22 Veräußert die versicherte Person als Eigentümer die versicherte Sache an einen Dritten, finden die §§ 95 ff. keine Anwendung.51 Vielmehr rückt der Dritte als Erwerber an die Stelle der versicherten Person. Das liegt daran, dass in der Sachversicherung bei Versicherung für fremde Rechnung regelmäßig das Erhaltungsinteresse des Eigentümers versichert ist (vgl. § 43 Rn. 39 und 41 ff.). Ein Interessewegfall nach § 80 Abs. 2 liegt nur dann vor, wenn ausnahmsweise ausschließlich das Interesse der versicherten Person gedeckt ist.52 Übereignet diese eine ihr gehörige versicherte Sache an den VN, verwandelt sich die Fremd- in eine Eigenversicherung. Ein Anwendungsfall der §§ 95 ff. liegt ebenfalls nicht vor. Veräußert der VN als Nichteigentümer die versicherte Sache an einen Dritten, nimmt die23 ser nach Maßgabe der §§ 95 ff. nur dann die Rechtsstellung des VN ein, wenn er Eigentümer der Sache und damit Rechtsnachfolger des Versicherten53 wird. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts. Danach wird der Dritte Eigentümer, wenn die versicherte Person als ursprüngliche Eigentümerin der Verfügung des VN nach § 185 BGB zustimmt oder der Dritte gem. §§ 932 bis 934 BGB gutgläubig Eigentum erwirbt. Erlangt der Dritte auf einem dieser beiden Wege die Stellung eines Eigentümers, wandelt sich die Fremdversicherung zugunsten der versicherten Person als ursprünglicher Eigentümerin wiederum in eine Eigenversicherung zugunsten des Dritten als neuem Eigentümer und VN um. 46 47 48 49 50 51

BGH 14.12.1994 – IV ZR 14/94, VersR 1995 332, 333. Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 14. Ritter/Abraham2 § 53 ADS Anm. 2. Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 11. Dazu Langheid/Wandt/Staudinger2 § 35 Rn. 7. OLG Hamm 19.4.1996 – 20 U 284/95, NZV 1996 412; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 14; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 14; a.A. ohne nähere Begründing Kisch PVR III 552. 52 Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 14. 53 Das übersieht Kisch PVR III 553. Brand

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D. Verfügungsbefugnis der versicherten Person (Absatz 2)

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D. Verfügungsbefugnis der versicherten Person (Absatz 2) I. Grundlagen Obwohl ihr die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zustehen, kann die versicherte Person über sie nicht ohne Weiteres selbst verfügen oder sie gerichtlich geltend machen, § 44 Abs. 2. In dieser Vorschrift ist kein gesetzliches Veräußerungsverbot nach § 135 BGB zu sehen, sondern eine Verfügungsbeschränkung, die auf dem Versicherungsvertrag beruht.54 Verfügungen des VN sind daher grds. unwirksam. Eine Leistungsklage, welche die versicherte Person gegen den VR erhebt, ist unzulässig, da die Prozessführungsbefugnis nach § 45 ebenfalls grds. dem VN zugewiesen ist.55 Der Leistungsklage stehen das Erwirken eines Mahnbescheids, der Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen den VR etc. gleich (vgl. auch § 45 Rn. 14). Etwas anderes gilt in drei Ausnahmefällen. Neben den Fällen des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des VR erlangt die versicherte Person die Verfügungsbefugnis über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag, wenn entweder eine Zustimmung des VN vorliegt oder wenn sie sich im Besitz des Versicherungsscheins befindet. Ist die versicherte Person nach § 44 Abs. 2 ausnahmsweise verfügungsbefugt, kann sie sich gegen Verfügungen des VN über die Versicherungsforderung mithilfe einer einstweiligen Verfügung wehren. Verweigert der VR einer versicherten Person, die verfügungsbefugt ist, zu Unrecht die Leistung, kann dem VN gegen den VR ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB zustehen. Ist der VR im Unklaren darüber, ob der VN oder die versicherte Person im Einzelfall verfügungsbefugt ist, kann er nach § 372 Satz 2 BGB vorgehen und die Versicherungsleistung in Geld bei der zuständigen öffentlichen Stelle hinterlegen. Als Verfügung, auf die sich die Regelungen der §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 beziehen, sind nach den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regeln sämtliche Rechtsakte anzusehen, die mittelbar oder unmittelbar auf den Bestand oder die Ausgestaltung der Rechte des Versicherten aus dem Versicherungsvertrag, insbes. die Versicherungsforderung, einwirken.56 Neben der Einziehung der Versicherungsleistung57 sind dies vor allem die Annahme einer anderen Leistung als der Entschädigungszahlung an Erfüllung statt, die Ermächtigung zur Einziehung, der Erlass und die Abtretung.58 Ferner ist zu denken an die Verpfändung oder die Stundung der Forderung einschließlich der Zinsen, die Bestellung eines Nießbrauchs an der Versicherungsforderung, die Aufrechnung mit der oder gegen die Forderung oder eine Mahnung. Auf letztere findet, wenn die versicherte Person sie dem VR gegenüber erklärt, § 182 Abs. 3 BGB Anwendung.59 Auch der Vergleich mit dem VR, die Anerkennung von Gegenrechten des VR und Vereinbarungen des VR über die Schadenshöhe stellen Verfügungen dar, die nach § 45 Abs. 1 grds. dem VN zugewiesen sind (vgl. dazu auch § 45 Rn. 9 f.). Keine Verfügung in diesem Sinne ist die Zurückweisung des Erwerbs der Rechte durch die versicherte Person nach § 333 BGB. Auf deren Verfügungsbefugnis über ihre Rechte aus dem Versicherungsvertrag kommt es entsprechend nicht an. Das Gleiche gilt, wenn die versicherte Person eine versicherte Sache, die ihr gehört, an einen Dritten veräußert, da dieser nach den oben niedergelegten Grundsätzen (vgl. oben Rn. 22 f.) an die Stelle der versicherten Person tritt. Keine Verfügung liegt weiterhin vor, wenn die versicherte Person auf Feststellung klagt, dass ein Versicherungsvertrag besteht und dass sie (die versicherte Person) zum Kreise der Versicher-

Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 15; Ritter/Abraham2 § 56 ADS Anm. 2. OLG Celle 8.10.1982 – 8 U 65/82, VersR 1986 1099; Langheid/Rixecker/Landheid6 § 76 Rn. 1. Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 18. Dazu BGH 30.10.1954 – II ZR 131/53, BGHZ 15 154; BGH 8.4.1987 – IVa ZR 12186, VersR 1987 655; BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223. 58 ÖOGH 20.12.1979 – 7 Ob 50/79, VersR 1981 991. 59 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 18.

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ten zählt – das ändert an den bestehenden Verfügungsrechten nichts.60 Des Weiteren liegt keine Verfügung über die Rechte der versicherten Person aus dem Versicherungsvertrag vor, wenn diese gegen den VR eine einstweilige Verfügung in Form der Regelungsverfügung beantragt oder auf Feststellung klagt, weil er dem VN gegenüber das Bestehen einer Forderung – also das Bestehen der Rechte der versicherten Person – abstreitet. In beiden Fällen macht die versicherte Person noch keine Rechte aus dem Versicherungsvertrag geltend. Eine einstweilige Verfügung in Form der Regelungs-, nicht der Leistungsverfügung, dient nur der einstweiligen Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen VN und VR, die Feststellungsklage noch dahinter zurückstehend nur dazu, die bloße Existenz eines vorgreiflichen Rechtsverhältnisses festzustellen. Schließlich ist auch keine Verfügung darin zu sehen, dass die versicherte Person Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO erhebt, weil Gläubiger des VN den Versicherungsanspruch gepfändet haben (dazu näher oben Rn. 10). Hier geht es ebenfalls nicht um eine Änderung, Belastung o.ä. der Forderungsrechte. 29 Handlungen, welche die versicherte Person vornimmt, um Obliegenheiten wahrzunehmen, die sie nach Maßgabe des § 47 treffen, oder Handlungen, die eine solche Obliegenheit verletzen, stellen keine Verfügungen i.S.d. § 44 Abs. 2 dar. Es handelt sich jeweils um rein tatsächliches Verhalten, dem der für eine Verfügung notwendige Wille zum rechtsgeschäftlichen Handeln nicht zugrunde liegt.61 Obliegenheitsverletzungen berühren im Übrigen auch nicht den Bestand der Versicherungsforderung, sondern begründen lediglich ein (teilweises) Leistungsverweigerungsrecht des VR, dem es frei steht, sich darauf zu berufen oder dies zu unterlassen.62

II. Zustimmung des Versicherungsnehmers 30 Erteilt der VN seine Zustimmung nach §§ 183, 185 BGB, erhält die versicherte Person die Verfügungsmacht über ihre Rechte aus dem Versicherungsvertrag. Die Zustimmung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, welche die Geschäftsfähigkeit des VN voraussetzt.63 Sie kann nach Maßgabe des § 185 BGB vor oder nach der zustimmungsbedürftigen Verfügung, gegenüber der versicherten Person oder dem VR erfolgen. Sie kann auch in AGB aus dem Rechtsverhältnis zwischen VN und versicherter Person enthalten sein64 und konkludent erklärt werden, sich also aus den Umständen ergeben. Eine konkludente Zustimmung liegt etwa vor, wenn der VN die versicherte Person in gewillkürter Prozessstandschaft ermächtigt, die Rechte aus dem Versicherungsvertrag geltend zu machen,65 ihr die fraglichen Rechte „abtritt“66 oder auf seine eigene Verfügungsbefugnis verzichtet.67 Voraussetzung ist, dass der „Abtretung“, die eigentlich ins Leere geht, da die versicherte Person ohnehin Inhaberin des Anspruchs ist, zu entnehmen ist, dass sie über das Recht auch verfügen können soll. Desgleichen ist bei einer Haftpflichtversicherung von einer konkludenten Zustimmung auszugehen, wenn der VN und die versicherte Person den Schadensfall gemeinsam anzeigen und von dem VR Deckung verlangen.68 31 Regelmäßig wird der VN zu einer Zustimmung nur bereit sein, wenn er hinsichtlich der Ansprüche, die ihm gegen die versicherte Person zustehen, befriedigt worden ist (vgl. § 46 60 BGH 4.5.1983 – IV a ZR 106/81, VersR 1983 823, 824 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 4; BeckOK-VVG/ Bauerschmidt11 § 44 Rn. 11. 61 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 19. 62 BGH 26.1.2005 – IV ZR 239/03, RuS 2005 143 f.; BGH 7.7.1993 – IV ZR 131/92, VersR 1993 1222, 1223. 63 Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 10. 64 ÖOGH 11.5.1994 – 7 Ob 19/94, VersR 1995 443, 444; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 10. 65 OLG Celle 31.5.2007 – 8 U 271/06, VersR 2007 1641. 66 OLG Stuttgart 7.2.1991 – 7 U 176/90, RuS 1992 331. 67 RG 14.11.1930 – VII 94, 30, RGZ 130 237, 242; Kisch PVR III 490; Nießen 82. 68 OLG Frankfurt 7.2.2012 – 3 U 307/10, VersR 2013 617, 618; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 10. Brand

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Rn. 40 ff.). Unter Ehegatten kann sich eine Verpflichtung zur Zustimmung aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB ergeben.69 Hat der VN einmal seine Zustimmung erteilt, kann er sie nach § 183 Abs. 1 BGB nicht mehr widerrufen, wenn die versicherte Person bereits über den fraglichen Anspruch aus dem Versicherungsverhältnis verfügt, oder ihn gerichtlich geltend gemacht hat. Bei der gerichtlichen Geltendmachung wird man stets ein Interesse der versicherten Person an der Prozessführung annehmen müssen, da sie schließlich die Rechtsträgerin ist. Etwas anders gilt nur bei „gestuften Versichertenverhältnissen“, wie etwa in der Sportversicherung. Hier macht ein Mitversicherter (z.B. ein Sportverein) den Anspruch eines anderen Mitversicherten (z.B. eines Vereinsmitglieds) geltend.70 Einseitige Rechtsgeschäfte der versicherten Person kann der VR gem. §§ 182 Abs. 3, 111 Satz 2 BGB zurückweisen, wenn diese die Zustimmung des VN nicht in schriftlicher Form vorlegt.71 In AVB wird häufig zulässig geregelt, dass die versicherte Person auch bei Vorliegen einer 32 Zustimmung des VN nicht verfügungsbefugt ist. Es handelt sich zumeist um Fälle, in denen die Verfügungsbefugnis abweichend von § 44 Abs. 2 in jedem Fall dem VN zugewiesen ist (dazu unten Rn. 51).

III. Besitz des Versicherungsscheins Die versicherte Person ist nach § 44 Abs. 2 auch dann verfügungsbefugt und kann ihre Rechte 33 gerichtlich geltend machen, wenn sie im Besitz des Versicherungsscheins ist. Entgegen einer Ansicht im Schrifttum ist der Besitz des Versicherungsscheins aber kein Unterfall der Zustimmung des VN.72 Zwar ist richtig, dass sie den Versicherungsschein aufgrund der Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 2 i.d.R. nur mit Einwilligung des VN erlangt. Legitimationswirkung entfaltet er aber auch dann, wenn dies nicht der Fall ist (dazu sogleich Rn. 35). Daher steht der Besitz des Versicherungsscheins der Zustimmung lediglich gleich. Eine Pflicht des VN, den Versicherungsschein an die versicherte Person herauszugeben, kann sich nur aus einem Rechtsverhältnis ergeben, das zwischen den beiden besteht (dazu § 46 Rn. 3). Bei laufender Versicherung legitimiert nur die Einzelpolice, nicht auch die laufende.73 Der Besitz des Versicherungsscheins hat bei der Versicherung für fremde Rechnung Legiti- 34 mationswirkung. Diese entfaltet auch ein abhanden gekommener Versicherungsschein, allerdings nur, wenn dem VR der fehlende Wille des VN, den Versicherungsschein an die versicherte Person zu übermitteln, unbekannt geblieben ist.74 Insoweit bestritten wird, dass § 44 Abs. 2 auch bei abhanden gekommenen Versicherungsscheinen gilt,75 ist darauf hinzuweisen, dass es Sinn eines jeden Legitimationspapiers, nicht nur eines solchen i.S.d. § 808 BGB, ist, dass befreiend an den Inhaber geleistet werden kann, gleich auf welche Weise er in den Besitz des Papiers gekommen ist. Außerdem käme dem Besitz des Versicherungsscheins neben der Zustimmung des VN kein eigenständiger Regelungsgehalt zu, wenn nicht auch der abhandengekommene Schein Legitimationswirkung entfalten würde. Um verfügungsbefugt zu sein, muss die versicherte Person tatsächlichen unmittelbaren 35 Besitz an der Urkunde haben – nur dann besteht aus Sicht des VR die von § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 angestrebte Klarheit über den Inhaber der Verfügungsbefugnis. Weder mittelbarer Besitz 69 70 71 72

LG Köln 12.6.1997 – 6 S 320/96, RuS 1997 423. Dazu OLG Köln 28.3.2000 – 9 U 114/99, RuS 2000 367. Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 20. So Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 31; Römer/Langheid/Römer2 §§ 75, 76 Rn. 17; Schwan 19; a.A. zu Recht Motive 148; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 22. 73 Ritter/Abraham2 § 53 ADS Anm. 14. 74 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 20; Ritter/Abraham2 § 53 Anm. 14; Koenig FS E. Prölss, 221, 230; a.A. offenbar Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 4; unklar Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 9. 75 So Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 23. 627

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der Urkunde (dazu auch § 45 Rn. 23) noch eine dem VR nach § 3 nachgelassene Übermittlung des Versicherungsscheins in Textform gem. § 126b BGB76 genügen. Man wird allerdings aus Gründen der Praktikabilität mit der Rechtsprechung den tatsächlichen Besitz einer Kopie des Versicherungsscheins genügen lassen können.77 § 44 Abs. 1 Satz 2 ist demnach so auszulegen, dass das Verlangen des VN auf die Übermittlung der Urkunde des Versicherungsscheins gerichtet ist. Nur so erlangt er „Besitz“ i.S.v. §§ 44, 45. Die Übermittlung des Versicherungsscheins ist dabei keine Übereignung i.S.d. §§ 929 ff. BGB, da die versicherte Person als Inhaberin der Versicherungsforderung – und nicht der VN – Eigentum am Versicherungsschein nach § 952 Abs. 2 BGB erwirbt.78 In der Sachversicherung ist § 44 Abs. 2 teilweise zulässig (dazu unten Rn. 51) dahingehend 36 abbedungen, dass selbst der Besitz des Versicherungsscheins dem Versicherten keine Verfügungsbefugnis gibt (etwa Teil B § 12 Ziff. 2 Satz 2 AFB 2008 und 2010). Der VR kann aber auf diese für ihn günstige Regelung verzichten, so dass der Versicherte seine Ansprüche bei Besitz des Versicherungsscheins wieder geltend machen kann, sofern der VN einverstanden ist.79

IV. Rechtsmissbräuchliches Verhalten des Versicherers 37 Liegt keine ausdrückliche oder konkludente Zustimmung des VN vor und ist die versicherte Person auch nicht im Besitz des Versicherungsscheins, bedeutet dies nicht zwingend, dass letztere nicht zur Verfügung über ihre Rechte aus dem Versicherungsvertrag berechtigt ist. Die versicherte Person ist dies selbst gegen den Willen des VN dann, wenn der VR eine Regulierung ablehnt und der VN zu verstehen gibt, dass er seinerseits die Ansprüche der versicherten Person nicht weiterverfolgen will. Eine Berufung des VR auf die fehlende Verfügungsbefugnis der versicherten Person wäre dann rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB, weil er durch die Ablehnung der Deckung die Person des Versicherten und die maßgeblichen Umstände für die Regulierung bereits kennt und seine Interessen nicht gefährdet sind, sofern es nicht noch weitere Personen gibt, die in die Verhandlungen involviert sind.80 Der Reformgesetzgeber von 2008 hat den Fall des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des VR nicht ausdrücklich in seinen Willen aufgenommen. Da es sich um die Anwendung allgemein-zivilrechtlicher Grundsätze handelt, welche durch die Neukodifikation des VVG nicht berührt werden, ist aber davon auszugehen, dass die vor 2008 entwickelten Ansätze weiterhin Geltung beanspruchen können,81 da das Recht der Versicherung für fremde Rechnung keine strukturelle Änderung erfahren hat. Kann sich der VR nicht auf die mangelnde Verfügungsbefugnis berufen, bedeutet dies zugleich auf prozessualer Ebene, dass die versicherte Person Klage gegen den VR erheben kann, ohne zuvor auf Grundlage des Treuhandverhältnisses (und ggf. des Schuldverhältnisses), das im Innenverhältnis zwischen ihr und dem VN besteht, die Zustimmung des VN nach § 44 Abs. 2 einholen zu müssen.82 Der VR handelt auch dann rechtsmissbräuchlich, wenn er eine Verfügung der versicherten Person zurückweist, der VN aber von vornherein den VR nicht in Anspruch nimmt und er keine

76 So auch Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 3. 77 Etwa OLG Köln 5.12.2014 – 20 U 100/14, VersR 2015 1115 Rn. 24; zustimmend BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 44 Rn. 7. 78 J. Huber 63; Lenné 173. 79 BGH 7.1.1965 – II ZR 115/62, BGHZ 43 42, 43. 80 BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 327; BGH 29.7.1991 – NotZ 25/90, BGHZ 115 275, 282; BGH 11.3.1987 – IVa ZR 240/85, NJW-RR 1987 856 f.; BGH 13.12.2006 – IV ZR 261/04, VersR 2007 238; OLG Hamm 6.10.2004 – 20 U 53/ 04, VersR 2005 934; OLG Köln 18.2.2003 – 9 U 94/02, RuS 2003 409; Prölss/Martin/Klimke31 § 44 Rn. 11; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 11; teils differenzierend Nießen 89 ff.; Looschelders VersR 2000 23, 25 f. 81 So auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 12. 82 Nießen 93; a.A. Krause 42 f. Brand

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D. Verfügungsbefugnis der versicherten Person (Absatz 2)

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billigenswerte Gründe ins Feld führen kann, warum er dies nicht tut.83 Etwas anderes ist es aber, wenn der VN zumindest vorprozessual Ansprüche gegen den VR geltend macht,84 in Vergleichsverhandlungen mit dem VR eintritt oder gar einen Vergleich abschließt.85 Hier mangelt es nicht an einer Verfolgung des Anspruchs. Was als billigenswerter Grund gelten kann, der das Verhalten des VN rechtfertigt, bestimmt der Schutzzweck des Zustimmungserfordernisses aus § 44 Abs. 2 i.V.m. den Grundsätzen aus § 45 Abs. 1. Nach dem oben Gesagten (vgl. Rn. 24) geht es in diesem Regelungszusammenhang u.a. darum, den VN in der Geltendmachung seiner Ansprüche gegen die versicherte Person abzusichern. Stehen dem VN aus dem Innenverhältnis keine solchen Ansprüche zu, dürfte es ihm regelmäßig an einem billigenswerten Motiv fehlen, um die Zustimmung zu verweigern.86 Ist der VN Ehemann, so kann er seiner in der Unfall- oder Haftpflichtversicherung (mit-)versicherten Ehefrau nicht verwehren, ihre Rechte aus dem Versicherungsvertrag selbständig zu verfolgen, wenn er dies selbst nicht tut, weil ihre Ehe zerrüttet ist und er sich für die Belange seiner Ehefrau nicht mehr interessiert. Eine drohende Prämienerhöhung bei Geltendmachung von Ansprüchen gegen den VR ist ebenfalls kein billigenswerter Grund für die Verweigerung der Zustimmung durch den VN.87 Dem Fehlen eines billigenswerten Grundes steht es gleich, wenn der VN nach Eintritt des Versicherungsfalls als Rechtssubjekt wegfällt. Das ist etwa der Fall bei der Auflösung einer Kapitalgesellschaft durch Löschung im Handelsregister.88 Könnte sich der VR in einem solchen Fall auf die fehlende Verfügungsbefugnis der versicherten Person berufen, wäre dieser jede Möglichkeit genommen, ihre Rechte zu verfolgen. Der Löschung einer Kapitalgesellschaft im Handelsregister steht – trotz fortbestehender Parteifähigkeit der Kapitalgesellschaft – die Vermögenslosigkeit gleich, da der VR durch einen Rechtsstreit mit der versicherten Person nicht schlechter gestellt wird, als wenn er der Klage einer vermögenslosen Gesellschaft mit dem entsprechenden Kostenrisiko ausgesetzt wäre.89 Den VR kann auch aufgrund eigenen Verhaltens der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs treffen, wenn er eine Verfügung der versicherten Person zurückweist, weil die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 nicht vorliegen. Daran ist zu denken, wenn der VR zuvor mit der versicherten Person bereits hinsichtlich des Versicherungsverhältnisses korrespondiert hat oder anderweitig bei dessen Durchführung mit ihr zusammengearbeitet hat, es aber versäumt, sie darauf hinzuweisen, dass nur der VN klagebefugt ist.90 Erst recht kann der VR eine Regulierung gegenüber der versicherten Person nicht verweigern, wenn er dieser eine Deckungszusage erteilt hat, obwohl die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 nicht vorliegen.91 Kein Fall des Rechtsmissbrauchs durch den VR liegt vor, wenn er „billigenswerte Gründe“ vorweisen kann, warum er Verfügungen der versicherten Person nicht gelten lassen will. Das ist etwa der Fall, wenn der VR ein Leistungsbegehren der versicherten Person zurückweist, weil der VN sich unter Verstoß gegen Bestimmungen in AVB weigert, die an ihn gezahlte Versicherungssumme an die versicherte Person auszukehren.92 Das Gleiche gilt, wenn VN und VR sich über die Höhe des Schadens geeinigt haben, die versicherte Person aber die ausgehandelte 83 BGH 27.5.1998 – IV ZR 166–97, NJW 1998 2537, 2538; BGH 14.12.1994 – IV ZR 14/94, VersR 1995 332, 333; ÖOGH 29.11.2006 – 7 Ob 234/06 x, VersR 2008 283; OLG Hamm 6.10.2004 – 20 U 53/04, VersR 2005 934. 84 OLG Hamm 6.10.2004 – 20 U 53/04, VersR 2005 934 f. 85 Ebenso ÖOGH 10.7.1984 – 7 Ob 19/83, VersR 1984 1196; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 25. 86 Römer/Langheid/Römer2 §§ 75, 76 Rn. 15. 87 BGH 11.3.1987 – IVa ZR 240/85, NJW-RR 1987 856 f. 88 OLG Köln 19.8.1997 – 9 U 222/96, VersR 1998 1104, 1105; OLG Hamm 21.12.1995 – 6 U 54/95, NJW-RR 1996 1375; Prölss/Martin/Klimke31 § 44 Rn. 11a. 89 BGH 19.9.1995 – VI ZR 166/94, VersR 1996 83 m. Anm. Frahm VersR 1996 163; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 9; a.A. OLG Hamm 21.12.1995 – 6 U 54/95, NJW-RR 1996 1375, 1376. 90 OLG Hamm 6.10.2004 – 20 U 53/04, VersR 2005 934; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 25. 91 BGH 16.7.2014 – IV ZR 88/13 VersR 2014 1118 Rn. 20 f. 92 BGH 14.12.1994 – IV ZR 14/94, VersR 1995 332, 333. 629

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Entschädigung für unzureichend hält.93 In einem solchen Fall muss sie sich mit einem Schadensersatzanspruch aus dem Innenverhältnis gegen den VN wenden, gegen den VR erhält sie keine Klagebefugnis. Damit würde der Normzweck des § 44, der u.a. auf eine Vereinfachung der Regulierung abzielt, verfehlt. Auch kein Rechtsmissbrauch ist gegeben, wenn der VN bloß Verhandlungen zwischen der versicherten Person und dem VR zugestimmt hat.94 Schließlich handelt der VR nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der VN verstorben und dessen Erbe zunächst unbekannt geblieben ist und er, der VR, sich auf die fehlende Verfügungsbefugnis der versicherten Person beruft, da mehrere Anspruchsberechtigte in Betracht kommen.95

V. Sonderregeln 42 In der D&O-Versicherung ist umstritten, ob § 44 Abs. 2 durch die Vorschriften über die Haftpflichtversicherung (§§ 100 ff.) als leges speciales verdrängt wird. Eine starke Strömung in Rechtsprechung und Schrifttum nimmt dies mit der Begründung an, anderenfalls sei bei Innenhaftungsansprüchen das in der Haftpflichtversicherung geltende Trennungsprinzip verletzt.96 Die Frage eines Spezialitätsverhältnisses von §§ 100 ff. zu § 44 Abs. 2 stellt sich in Wirklichkeit aber gar nicht. Sie beruht auf einer mangelnden Unterscheidung von Haftpflicht- und Deckungsanspruch. Ein Haftpflichtanspruch des VN, der bei der D&O-Versicherung untypischerweise zugleich Geschädigter ist, kann sich auf Grundlage von § 44 Abs. 2 überhaupt nicht ergeben, da diese Vorschrift nur im Deckungsverhältnis zur Anwendung kommt.97 Hier kann der VN auf Grundlage von § 44 Abs. 2 gegen den VR vorgehen, es sei denn diese Vorschrift ist in AVB wirksam abbedungen. 43 In sämtlichen Formen der privaten Krankenversicherung kann nach der Sonderregel des § 194 Abs. 3 Satz 1 abweichend von §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 ausschließlich die versicherte Person die Versicherungsleistung verlangen, wenn der VN sie gegenüber dem VR in Textform als Empfangsberechtigten der Versicherungsleistung benannt hat (vgl. auch § 6 Abs. 2, 3 MB/KK 2009). Dadurch sollten Probleme bei der Leistungsabwicklung im Massengeschäft (vor allem eine Vermeidung von mehrfacher Befriedigung) vermieden werden.98 Die Benennung der versicherten Person ist eine rechtsgestaltende, einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die bereits von Anfang an im Versicherungsvertrag erfolgen, aber auch während der Laufzeit des Versicherungsvertrags nachgeholt werden kann.99 Sie kann widerruflich oder unwiderruflich vorgenommen werden (näher § 194 Rn. 52 ff.).100

E. Ausstellung eines Sicherungsscheins 44 Grundpfandgläubiger genießen nach §§ 94, 142 ff. besonderen versicherungsrechtlichen Schutz. Ein entsprechender Schutz für die Inhaber von Mobiliarsicherheiten fehlt. Schließt der Besitzer 93 Berliner Kommentar/Hübsch § 75 Rn. 17; Prölss/Martin/Klimke31 § 44 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner4 § 44 Rn. 13; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 108; a.A. LG Berlin 15.9.1983 – 7 O 630/ 82, VersR 1984 250, 251. 94 ÖOGH 22.9.1983 – 7 Ob 19/83, VersR 1984 1196. 95 OLG Celle 29.4.2016 – 8 U 22/16, ZfS 2016 516; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 11. 96 OLG Köln 2.9.2008 – 9 U 151/07, VersR 2008 1673, 1674; LG Marburg 3.6.2004 – 4 O 2/03, DB 2005 437; Langheid/ Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 7; Koch GmbHR 2004 18, 24; Langheid VersR 2009 1043, 1044; offen gelassen von OLG München 15.3.2005 – 25 U 3940/04, VersR 2005 540, 542; a.A. Schimmer VersR 2008 875, 877. 97 Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1171. 98 Bruck/Möller/Brand9 § 194 Rn. 53; Schwintowski/Brömmelmeyer/Brömmelmeyer3 § 194 Rn. 9. 99 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Rogler4 § 194 Rn. 18. 100 Bruck/Möller/Brand9 § 194 Rn. 55; Schwintowski/Brömmelmeyer/Brömmelmeyer3 § 194 Rn. 8; Langheid/ Wandt/Kalis2 § 194 Rn. 45. Brand

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E. Ausstellung eines Sicherungsscheins

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einer beweglichen Sache zugunsten des Eigentümers eine Versicherung für fremde Rechnung ab, verlangen die versicherten Personen (z.B. Vorbehaltsverkäufer, Sicherungseigentümer, Darlehens- oder Leasinggeber) daher i.d.R., dass der VR einen Sicherungsschein (bzw. eine Sicherungsbestätigung oder eine Versicherungsbestätigung für Leasinggesellschaften) ausstellt.101 Ein solcher Sicherungsschein hat den Zweck, den Eigentümer der Sache davor zu schützen, dass er durch den ersatzlosen Untergang der (von ihm finanzierten) Sache Einbußen erleidet.102 Ihrer Rechtsnatur nach sind Sicherungsscheine keine Versicherungsscheine i.S.d. § 3, sondern rechtsgeschäftliche Erklärungen des VR, mit denen das Versicherungsverhältnis bestätigt und i.d.R. näher ausgestaltet wird.103 Ein Sicherungsschein verstärkt in jedem Fall die Rechtsposition der versicherten Person gegenüber den allgemeinen Bestimmungen über die Versicherung für fremde Rechnung. Welche Rechte im Einzelnen aus dem Sicherungsschein folgen, hängt von seinem Inhalt ab, der je nach Versicherungssparte und Sicherungszweck ein anderer sein kann. Mit der Ausstellung eines Sicherungsscheins werden zumeist die §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1, 2 45 konkludent abbedungen (vgl. etwa den „Antrag auf Ausstellung eines Kraftfahrzeugsicherungsscheins“).104 Der Versicherte soll allein berechtigt sein, die Rechte aus dem Versicherungsvertrag geltend zu machen, insbes. die Entschädigung anzunehmen, auch wenn er nicht mit Zustimmung des VN handelt und nicht im Besitz des Versicherungsscheins ist.105 Verfügungen des VN, etwa die Abtretung des Entschädigungsanspruchs an einen Dritten, sind unwirksam.106 Dem VN steht es aber frei, die Rechte – neben der versicherten Person – in gewillkürter Prozessstandschaft gerichtlich geltend zu machen; er muss dabei aber auf Leistung an den Inhaber des Sicherungsscheins klagen.107 Zahlt der VR an den VN, erlischt der Anspruch der versicherten Person nicht gem. § 362 BGB.108 Zuweilen verzichtet der VR im Sicherungsschein gegen Mehrprämie darauf, bestimmte Ein- 46 wendungen aus seinem Rechtsverhältnis zum VN gegenüber der versicherten Person geltend zu machen, z.B. sich auf § 81 Abs. 1 zu berufen.109 Andere Einwendungen, die ihm gegen den VN zustehen, sind von diesem Verzicht naturgemäß nicht betroffen. Er kann sie nach den allgemeinen Regeln der versicherten Person entgegenhalten.110 Regelmäßig übernimmt der VR bestimmte Auskunftspflichten ihr gegenüber, etwa wenn der VN die Erstprämie nicht gezahlt oder den Versicherungsschein nicht eingelöst hat.111 Ebenso ist der VR verpflichtet, die versicherte Person auf Umstände hinzuweisen, die dieser nicht bekannt, aber für die Werthaltigkeit des Versiche-

101 Siehe nur BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, RuS 2001 97, 98; OLG Köln 26.9.1991 – 5 U 62/90, RuS 1992 225; Beispiele bei Martin SVR Texte 52 und 53.

102 BGH 15.11.1978 – IV ZR 183/77, VersR 1979 176; BGH 25.11.1963 – II ZR 54/61, BGHZ 40 297, 300 ff. = VersR 1964 131; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 26; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 44 Rn. 11; Nießen 84; Sicherungsscheine dürfen ausschließlich an Kreditinstitute i.S.d. KWG begeben werden. Für Sicherungsbestätigungen gilt diese Einschränkung nicht. 103 BGH 25.11.1963 – II ZR 54/61, BGHZ 40 297, 302 = VersR 1964 131; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 15. 104 OLG Köln 26.7.2005 – 9 U 189/04, RuS 2005 459; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 44 Rn. 10; Riedel 19. 105 BGH 8.10.2003 – VIII ZR 55/03, NJW 2004 1041, 1042; BGH 10.3.1993 – XII ZR 253/91, BGHZ 122 46, 49; BGH 25.11.1963 – II ZR 54/61, BGHZ 40 297, 301 = VersR 1964 131; OLG Hamm 17.1.1986 – 20 U 183/85, RuS 1986 317; OLG Hamm 5.12.1997 – 20 U 230/96, VersR 1999 44, 45; LG Aurich 4.4.1984 – 4 O 1571, 83, ZfS 1985 181, 182; Schnepp 198. 106 BGH 12.2.1985 – X ZR 31/84, BGHZ 93 391, 393; OLG Hamm 5.12.1997 – 20 U 230/96, VersR 1999 44, 45. 107 BGH 5.6.1985 – IV A ZR 113/83, VersR 1985 981, 982; BGH 19.1.1967 – II ZR 37/64, VersR 1967 343 f.; OLG Karlsruhe 7.12.1989 – 12 U 253/89, VersR 1990 1222; OLG Hamm 20.11.1987 – 20 U 135/87, VersR 1988 926; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 44 Rn. 24; Schnepp 198 f. 108 OLG Köln 26.7.2005 – 9 U 189/04, NJOZ 2006 1664, 1665; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 26. 109 Näher dazu Riedel 19. 110 BGH 15.11.1978 – IV ZR 183/77, VersR 1979 176. 111 BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, VersR 2001 235, 236. 631

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rungsanspruchs von Bedeutung sind.112 Im Sicherungsschein kann auch bestimmt sein, dass die Wirksamkeit einer Kündigung des Versicherungsvertrags durch den VN von einer Zustimmung der versicherten Person abhängt. Dies muss aber ausdrücklich so vereinbart werden.113 Der VR haftet der versicherten Person dafür, dass die Angaben im Sicherungsschein richtig, vollständig und nicht irreführend sind.114 Ist dem nicht so, kann der VR der versicherten Person zum Schadensersatz verpflichtet sein.

F. Rechtsfolgen bei Leistung an die versicherte Person 47 Hat der VR die Versicherungsleistung an eine versicherte Person erbracht, die verfügungsberechtigt ist, wird er gem. § 362 BGB von seiner Leistungspflicht gegenüber dem VN durch Erfüllung befreit. Hat der VR in Unkenntnis eines leistungsbefreienden Tatbestandes gezahlt, richtet sich der Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gegen den VN, nicht gegen die versicherte Person (näher § 45 Rn. 38 ff.). Hat der VR die Versicherungsleistung an eine versicherte Person erbracht, die nicht verfü48 gungsberechtigt ist, wird er von seiner Schuld gegenüber dem VN nicht befreit. Etwas anderes gilt nur, wenn der VN die Zahlung an die versicherte Person als Erfüllung akzeptiert. Der Rückforderungsanspruch richtet sich gegen diese. Insoweit beurteilt sich die Rechtslage nicht anders als im Fall der irrig angenommenen Zession, bei der die dem vermeintlichen Zessionar erbrachte Leistung bei diesem kondiziert werden kann.115 Der VR kann mit dem Bereicherungsanspruch gegen die versicherte Person nicht gegenüber dem Anspruch des VN aufrechnen.116

G. Beweislast 49 Macht die versicherte Person ihre Forderungsrechte aus dem Versicherungsvertrag gerichtlich geltend, so muss sie das Vorliegen einer Ausnahme vom Verfügungsverbot des § 44 Abs. 2 beweisen. Lehnt der VN die Geltendmachung des Versicherungsanspruchs ab und herrscht zwischen der versicherten Person und dem VN Streit über das Vorliegen billigenswerter Gründe für die Ablehnung, so muss dies in einem Prozess zwischen versicherter Person und VN geklärt werden.117 Ist die versicherte Person im Besitz des Versicherungsscheins, hat der VN zu beweisen, dass ihm der Versicherungsschein abhandengekommen ist, wenn er vom VR Auszahlung an sich verlangt.118

H. Abdingbarkeit 50 Als Kernvorschrift des Rechts der Versicherung für fremde Rechnung ist § 44 Abs. 1 Satz 1 anders als die übrigen Vorschriften des 4. Abschnitts überhaupt nicht abdingbar.119 Regeln die Parteien etwas von § 44 Abs. 1 Abweichendes, liegt keine Versicherung für fremde Rechnung BGH 6.12.2000 – IV ZR 28/00, VersR 2001 235, 236; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 44 Rn. 5. OLG Hamm 17.1.1986 – 20 U 183/85, RuS 1986 317 f.; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 44 Rn. 11. BGH 12.6.1985 – IV A ZR 113/83, VersR 1985 981, 982; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 15. OLG Hamm 14.7.1986 – 20 W 14/86, VersR 1988 30; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 31. BGH 28.11.1990 – XII ZR 130/89, NJW 1991 919, 920. Looschelders VersR 2000 23, 25. Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 32. Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 73; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 44 Rn. 1; Ehrenzweig 215; Nießen 44; Ruscher 73 ff.; a.A. Hellwig 543 f., der anführt, der VN sei zur Herausgabe des Erlangten nach den Grundsätzen einer Geschäftsführung ohne Auftrag verpflichtet.

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H. Abdingbarkeit

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vor, sondern ein Wettgeschäft und damit auch ein versicherungsfremdes Geschäft i.S.d. § 15 Abs. 1 VAG. Absatz 1 Satz 2 ist einseitig zwingend (halbzwingend). Von ihm kann nicht zu Lasten des VN abgewichen werden, etwa dergestalt, dass der Versicherungsschein von vornherein an die versicherte Person übermittelt wird. Absatz 2 ist abdingbar. Schon in der Ausstellung eines Sicherungsscheins ist eine Abbe- 51 dingung des § 44 Abs. 2 zu sehen. In AVB ist vielfach vorgesehen, dass ausschließlich der VN über die Rechte aus dem Vertrag verfügen darf (vgl. Ziff. 27.2 Satz 1 AHB 2008 und 2016; § 7 Ziff. 1 Satz 2 AVB-Vermögen; Teil B § 12 Ziff. 1 AFB 2008 und 2010; Ziff. A1-2.4 S. 1 AVB PHV 2016 und 2020).120 Das erspart dem VR im Einzelfall eine Legitimationsprüfung. Die Verfügungsmacht des VN wird durch eine entsprechende Regelung in den AVB sämtlichen gesetzlichen Beschränkungen entzogen. Der VN bedarf weder zur Annahme der Entschädigung noch zur Übertragung der Rechte einer Zustimmung der versicherten Person. Dem Versicherungsschein kommt keinerlei Legitimationswirkung mehr zu. Die versicherte Person kann nur dann noch über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag verfügen, wenn der VN sie nach §§ 164 ff. BGB bevollmächtigt oder wenn er der Verfügung durch die versicherte Person zustimmt.121 Die vollständige Zuweisung der Verfügungsbefugnis bei der Versicherung für fremde Rechnung an den VN ist mit § 307 Abs. 2 Satz 1 BGB vereinbar. Die Rechtsprechung erkennt an, dass der VN ein berechtigtes Interesse habe, sich nur mit seinem Vertragspartner über den Anspruch auf die Versicherungsleistung auseinandersetzen zu müssen, u.a. auch deshalb, weil er dann nur in Bezug auf diesen das Prozesskostenrisiko trage.122 Das gilt selbst dann, wenn, wie z.B. in Teil B 12 Nr. 1 VGB 2010, der VN ausschließlich über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag verfügen kann, wenn die versicherte Person im Besitz des Versicherungsscheins ist.123 Eher selten wird der versicherten Person in AVB eine selbständige Verfügungsbefugnis 52 eingeräumt (z.B. Ziff. A.1.2 AKB 2008 und 2015 für in der Kfz-Haftpflichtversicherung mitversicherte Personen, Ziff. A.4.2.6 AKB 2008 und 2015 für in der Kraftfahrtunfallversicherung namentlich Versicherte, vgl. auch § 15 Abs. 2 ARB 2009 für in der Rechtsschutzversicherung mitversicherte Personen, Ziff. 10.1 AVB-AVG bzw. Ziff. A-8.1 AVB D&O 2020 für in der D&O-Versicherung versicherte Organmitglieder). Durch Klauseln wie die beiden letztgenannten wird zwar § 44 Abs. 2, nicht aber zugleich auch § 45 Abs. 1, 2 abbedungen.124 Der VR begibt sich also des von den §§ 44, 45 bezweckten Schutzes, das Versicherungsverhältnis nur mit einer Person abwickeln zu müssen. Der VN bleibt neben der versicherten Person verfügungsbefugt (anders § 16 Nr. 3 AKB 88 für die Insassenunfallversicherung).125 Nach dem Rundschreiben 3/2021 der BaFin zu Gruppenversicherungen ist – von näher erwähnten Ausnahmefällen abgesehen – versicherten Personen in der echten Gruppenversicherung abweichend von § 44 Abs. 2 grundsätzlich ein eigenes Forderungsrecht einzuräumen.126 Das begründet die Aufsichtsbehörde mit der besonderen Schutzwürdigkeit des Bedürfnisses der versicherten Person in einer solchen Vertragskonstellation, Deckungs- und Leistungsansprüche ohne Mitwirken des VN durchsetzen zu können. Auch wenn § 44 Abs. 2 zugunsten der versicherten Person abbedungen wird, bedeutet das entgegen einer nicht näher begründeten Entscheidung des IV. Zivilsenats des BGH aus dem Jahre 2020127 nicht, dass im Falle der Insolvenz des VN der Insolvenzverwalter kein Erfüllungs-

120 Kritisch mit Blick auf die Unfallversicherung Schneider ZVersWiss 1905 235, 256. 121 Kisch PVR III 480 f.; Schwan 20. 122 BGH 29.4.1998 – IV ZR 21–97, NJW 1998 2449, 2450; OLG Düsseldorf 15.7.1993 – 4 U 114/93, VersR 1995 525; OLG Köln 18.4.1994 – 5 U 244/93, VersR 1995 525. OLG Frankfurt 8.5.2018 – 3 U 59/17, NJW-RR 2018 1243; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 3. A.A. offenbar BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15 VersR 2017 683 Rn. 15. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 3. Rundschreiben 3/2021 3.3.2021 Ziff. 8 f.; dazu Dreher/Fritz VersR 2021 220, 225. BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, RuS 2020 268.

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wahlrecht nach § 103 InsO mehr hat.128 Der IV. Zivilsenat verkennt, dass die für § 103 InsO erforderliche Synallagma bei einem Vertrag zugunsten Dritter, zu dem auch die Versicherung für fremde Rechnung zählt, auch den Leistungsanspruch des begünstigten Dritten, also den Deckungsanspruch der versicherten Person erfasst. Die (fehlende) Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters wirkt sich dementsprechend auf eben diesen Deckungsanspruch aus. 53 Der VR kann die Entschädigung auch von einer Einigung zwischen VN und versicherter Person abhängig machen.129 Bei widersprüchlichen Verfügungen von VN und versicherter Person gilt das Prioritätsprinzip (s. § 45 Rn. 9).

I. Auslandsrechte/PEICL 54 Die klare Zuweisung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag an die versicherte Person in § 44 Abs. 1 Satz 1 ist international zwar bekannt (Art. 7:945 niederl. BW; Art. 808 Abs. 3 poln. ZGB; Art. 7 Abs. 3 span. VVG). Oft beschränkt sie sich freilich auf die Inhaberschaft der Versicherungsforderung. Selbst das ist aber keinesfalls üblich. Das schweizerische Recht etwa enthält in Art. 17 Abs. 3 schw. VVG nur versteckt den Gedanken, dass die versicherte Person Inhaberin des Entschädigungsanspruchs gegen den VR ist. Andere Rechtsordnungen, etwa Frankreich oder Griechenland, belassen es bei der Rechtslage der Regeln des allgemeinen Zivilrechts zu Verträgen zugunsten Dritter. Danach ist häufig – wie auch im deutschen Recht nach § 328 Abs. 1 BGB – im Einzelfall auszulegen, wer Träger der Rechte aus dem Versicherungsvertrag sein soll. Wiederum andere Rechtsordnungen weisen die Inhaberschaft der Rechte aus dem Versicherungsvertrag bei der Versicherung für fremde Rechnung dem VN zu (§ 10 Abs. 3 tschech. VVG). 55 Die PEICL enthalten in Art. 11–101 Abs. 1 eine Teilregelung über die Inhaberschaft der Rechte bei einer Versicherung für fremde Rechnung. Abweichend von den Regeln der PECL über den Vertrag zugunsten Dritter bestimmt die Vorschrift, dass die versicherte Person Inhaberin des Anspruchs auf die Versicherungsleistung nach Eintritt des Versicherungsfalls ist. Diese Bestimmung ist nicht abdingbar.130 Andere Rechte aus dem Versicherungsvertrag als dasjenige an der Versicherungsforderung sind von Art. 11–101 Abs. 1 PEICL nicht erfasst.

128 Wie hier LG Wiesbaden 6.3.2019 – 5 O 234/17, RuS 2019 455 m. diff. Anm. Fortmann; ferner Looschelders/ Pohlmann/Schneider3 § 11 Rn. 29; Prölss/Martin/Klimke31 § 44 Rn. 6b; Lange RuS 2014 261, 267; Buntenbroich/Schneider RuS 2020 271; Armbrüster NJW 2020 1888. 129 OLG Oldenburg 6.12.1995 – 2 U 162/95, RuS 1996 64; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 3. 130 Basedow et al. PEICL Art. 11:101 C 2. Brand

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§ 45 Rechte des Versicherungsnehmers (1) Der Versicherungsnehmer kann über die Rechte, die dem Versicherten aus dem Versicherungsvertrag zustehen, im eigenen Namen verfügen. (2) Ist ein Versicherungsschein ausgestellt, ist der Versicherungsnehmer ohne Zustimmung des Versicherten zur Annahme der Leistung des Versicherers und zur Übertragung der Rechte des Versicherten nur befugt, wenn er im Besitz des Versicherungsscheins ist. (3) Der Versicherer ist zur Leistung an den Versicherungsnehmer nur verpflichtet, wenn der Versicherte seine Zustimmung zu der Versicherung erteilt hat.

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Vor §§ 43–48) Bayer Der Vertrag zugunsten Dritter (1995); Bischoff Versicherung eigenen Sachwertinteresses an fremder Sache, VersR 1963 8; Dörner Kondiktion gegen den Zedenten oder gegen den Zessionar, NJW 1990 473; Drews Die Zustimmung des Versicherten in der Lebensversicherung, VersR 1987 634; Frahm Die vermögenslose GmbH als gewillkürte Prozeßstandschafterin, VersR 1996 163; Henke Die Leistung (1991); Kohler Bereicherungshaftung in Zessionsfällen, WM 1989 1629; Looschelders Ausschluss der Klagebefugnis des Mitversicherten und Teilklageobliegenheit des VN in der Rechtsschutzversicherung nach den ARB 1975, VersR 2000 23; Richter Die Rechtsstellung des Versicherten bei der Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Leipzig 1933; Rodiek Der Versicherungsanspruch im Falle der Versicherung für fremde Rechnung (1914); Sieg Versicherungsschutz beim Kraftfahrzeugleasing, BB 1993 1746; Sommer Verzicht auf das Recht zur Arglistanfechtung in AGB/AVB, ZVersWiss 2013 491; Stolle Die Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Göttingen 1906; Taube Ermächtigung – Versicherung für fremde Rechnung (1948); Thiel Die Unfallfremdversicherung als unabhängiges Rechtsinstitut, VersR 1955 726; Winter Das Abtretungsverbot in der Berufsunfähigkeitsversicherung, RuS 2001 133.

Übersicht I.

Verzicht

2

II.

Rechtsnachfolge

Tatbestand

4

III.

Insolvenz

I.

Grundlagen

4

E.

Zustimmungserfordernis (Absatz 3)

II.

Regelmäßige Verfügungsbefugnis (Ab6 satz 1) 9 Materiellrechtliche Wirkung 14 Prozessuale Wirkung

F.

Bereicherungsausgleich

I.

Zahlung an den Versicherungsnehmer

II.

Zahlung an die versicherte Person

G.

Abdingbarkeit und verdrängendes Sonder45 recht

H.

Auslandsrecht/PEICL

A.

Normgeschichte

B.

Normzweck

C.

1. 2. III. 1. 2.

D.

1

Einschränkung der Verfügungsbefugnis (Ab22 satz 2) 22 Voraussetzungen Folgen bei Vorliegen der Voraussetzun25 gen Einzelfragen

29 31

32 33

38 38 41

51

29

635 https://doi.org/10.1515/9783110522624-029

Brand

§ 45 VVG

Rechte des Versicherungsnehmers

A. Normgeschichte 1 § 45 stimmt inhaltlich weitgehend mit § 76 a.F. überein. Dieser hatte seit dem Inkrafttreten des VVG 1908 unverändert Bestand und war dem mittlerweile aufgehobenen § 886 HGB nachgebildet.1 Der Begriff der „Zahlung“ i.S.v. § 76 Abs. 2 und 3 a.F. ist im VVG 2008 durch den Begriff der „Leistung“ ersetzt worden. In der Sache ändert sich dadurch nichts.2 Sämtliche vom VR geschuldeten Zahlungen (Entschädigung, Aufwendungsersatz, Verzugsschadensersatz) und sonstige Leistungen (z.B. „Assistance“-Leistungen nach § 192 Abs. 3 in der privaten Krankenversicherung) fallen unter den Begriff der „Leistung“. Eine Änderung im Wortlaut des Absatzes 3, deren Motivation im Dunkeln liegt, hat materiellrechtliche Auswirkung: maßgeblich für die Fälligkeit der dort geregelten Leistung an den VN ist nicht mehr wie nach § 76 Abs. 3 a.F. der Zeitpunkt, in dem der VN dem VR gegenüber nachweist, dass die versicherte Person ihre Zustimmung erteilt hat, sondern der Zeitpunkt der Erteilung selbst (näher dazu unten Rn. 33 ff.).

B. Normzweck 2 § 45 regelt in seinen Absätzen 1 und 2 die Rechtsstellung des VN in der Versicherung für fremde Rechnung. Diese ist im deutschen Recht durch die charakteristische Aufspaltung von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis geprägt. Rechtsinhaber ist nach § 44 Abs. 1 zwingend die versicherte Person. Die Verfügungsmacht über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag einschließlich der Klagebefugnis weist § 45 Abs. 1 dagegen grds. allein dem VN zu. Der VN erhält eine so weitgehende Verfügungsbefugnis, da er alleiniger Vertragspartner des VR ist und auch – im Außenverhältnis – für die Prämien aufzukommen hat. Gesamtversicherungen, wie sie Kommissionäre und Spediteure nehmen, wären wohl gar nicht handhabbar, wenn die Verfügungsmacht nicht beim VN konzentriert wäre, sondern einer Vielzahl von (versicherten) Personen zustände. Auch der VR soll in seinem Interesse geschützt werden, grundsätzlich nur mit seinem Vertragspartner verhandeln zu müssen. Das Merkmal „im eigenen Namen“ stellt lediglich klar, dass der VN in Ausübung seiner Verfügungsmacht bei der Versicherung für fremde Rechnung nicht als Vertreter der versicherten Person handelt.3 3 Die Absätze 2 und 3 dienen dazu, einen Missbrauch der Rechtsfigur der Versicherung für fremde Rechnung durch den VN zu verhindern.4 Da beide Normen disponibel sind (unten Rn. 45 f.), ist der Schutz, den sie entfalten, relativ schwach. § 45 Abs. 2 will verhindern, dass der VN die Entschädigung in die Hand bekommt oder sie der versicherten Person durch Übertragung der Forderung aus der Hand schlägt, ohne dass besondere Kautelen (Besitz des Versicherungsscheins; Zustimmung des Versicherten) vorliegen. Die alleinige Verfügungsbefugnis des VN für die beiden wichtigen Rechtsakte der Annahme der Leistung und der Übertragung der Versicherungsforderung an Dritte wird entsprechend zum Schutze der versicherten Person beschränkt. § 45 Abs. 3 will Wettversicherungen vorbeugen.5 Schließt der VN einen Vertrag über die Versicherung einer fremden Sache, ohne dass der Interesseträger etwas davon weiß, kann der Fall eintreten, dass der VN die empfangene Leistung nicht an die versicherte Person auskehren muss: Besitzt der VN den Versicherungsschein, kann er nach § 45 Abs. 1 und 2 Zahlung verlangen und die erhaltene Leistung behalten, da es an einer Zurückweisung der Entschädigung nach § 333 BGB fehlt. Damit der VN nicht auf diesen Fall spekulieren kann, bestimmt 1 2 3 4 5

Zur Bedeutung des § 886 HGB für § 45: J. Huber 59 f. Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 2. Kisch PVR III 487; ähnlich Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 1 („keine eigenständige Bedeutung“). Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 1; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 2; Corrodi 146; Nießen 63 f. Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 1 und 16; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 30; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 16; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 3; Ritter/Abraham2 § 54 ADS Anm. 14. Brand

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C. Tatbestand

VVG § 45

Absatz 3, dass die Auszahlung der Entschädigung nicht fällig ist, solange die versicherte Person nicht ihre Zustimmung zur Versicherung erteilt hat.

C. Tatbestand I. Grundlagen Materiellrechtlich stellt die Verfügungsbefugnis des VN in der Versicherung für fremde Rech- 4 nung nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 eine gesetzliche Einziehungsermächtigung (zur prozessrechtlichen Qualifikation unten Rn. 14 f.)6 und keine bloße Formallegitimation7 dar. Dogmatisch ist die Verfügungsbefugnis des VN mit § 185 BGB8 und der Verwaltung der Erbmasse durch den Testamentsvollstrecker gem. §§ 2205, 2211, 2212 BGB9 verwandt. Die Verwandtschaft des § 45 mit § 185 BGB ist dabei lose. Der Unterschied zwischen beiden Normen besteht darin, dass die Verfügungsberechtigung des VN auf dem Gesetz beruht, die Verfügungsmacht nach § 185 BGB hingegen auf einer Willenserklärung des Rechtsinhabers. Weiterhin verdrängt die Verfügungsmacht des VN nach § 45 Abs. 1 diejenige der versicherten Person. Bei § 185 BGB bleibt die Verfügungsmacht des Rechtsinhabers neben derjenigen des Ermächtigten bestehen. Die Verwandtschaft mit der Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers ist enger. Der 5 Erbe, dessen Erbschaft unter Verwaltung steht, ist – ähnlich wie die versicherte Person bei der Versicherung für fremde Rechnung – der Wahrnehmung seiner Rechte weitgehend beraubt. Nach außen handelt der Testamentsvollstrecker wie der VN bei der Versicherung für fremde Rechnung im eigenen Namen und kraft eines eigenen Verwaltungsrechts. Im Innenverhältnis zum Erben unterliegt der Testamentsvollstrecker – ebenso wie der VN im Rahmen der §§ 43 ff. (dazu § 46 Rn. 6 ff.) – einer treuhänderischen Bindung.

II. Regelmäßige Verfügungsbefugnis (Absatz 1) § 45 Abs. 1 bestimmt, dass der VN über die Rechte der versicherten Person im eigenen Namen 6 verfügen darf. Das gilt zeitlich unbeschränkt, also auch noch nach Eintritt des Versicherungsfalls. Die versicherte Person ist daneben nicht zur Verfügung berechtigt. Der VN erwirbt die Verfügungsbefugnis nach § 45 Abs. 1 originär zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem VR, d.h. ohne Zwischenerwerb der versicherten Person.10 Die Verfügungsbefugnis erlischt mit der vollständigen Abwicklung der Versicherung. Nicht unter § 45 Abs. 1 fallen die Rechte, die dem VN in seiner Stellung als Vertragspartei 7 zustehen. Diese bedürfen keiner besonderen Regelung im Recht der Versicherung für fremde Rechnung, da sie ohnehin von einem Vertragsfremden, z.B. der versicherten Person, nicht ausgeübt werden können. So sind Erklärungen zum Versicherungsvertrag stets vom VN und ihm gegenüber abzugeben. Das betrifft etwa die Prämienmahnung nach § 38 oder die Erklärung von Gestaltungsrechten wie der Kündigung, der Herabsetzung der Versicherungsleistung nach § 74, dem Widerruf nach § 8 oder der Vertragsänderung (s. auch § 44 Rn. 13).11 Auch die Aufhe-

6 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 3; Nießen 74; a.A. Kisch PVR III 488 („Recht ganz eigener Art“). 7 So aber Taube 82 ff.; Trautmann 32 f. 8 Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 9; Trautmann 32 f. 9 Nießen 74. 10 Nießen 64; Trautmann 23. 11 ÖOGH 11.5.1994 – 7 Ob 19/94, VersR 1995 443, 444; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 2; Langheid/Rixecker/ Rixecker6 § 45 Rn. 1; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 16; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 2; vgl. auch Anli 101; unklar Rüffer/Halbach/Schmikowski/Muschner4 § 45 Rn. 2. 637

Brand

§ 45 VVG

Rechte des Versicherungsnehmers

bung des Vertrags fällt kraft Natur der Sache – und nicht nach § 45 Abs. 112 – unter die Verfügungsbefugnis des VN. 8 Durch AVB (unten Rn. 45 ff.) oder auch das Ausstellen eines Sicherungsscheins (dazu § 44 Rn. 45) kann die Verfügungsbefugnis des VN nach § 45 Abs. 1 eingeschränkt werden.

1. Materiellrechtliche Wirkung 9 Die Verfügungsbefugnis des VN nach § 45 Abs. 1 besteht unabhängig davon, ob er im Besitz des Versicherungsscheins ist oder mit Zustimmung der versicherten Person handelt. Der VN ist in der Versicherung für fremde Rechnung stets ermächtigt, verbindlich Willenserklärungen abzugeben und zu empfangen, die Grund und Höhe der Entschädigungsforderung betreffen. Ferner darf der VN Zahlungsmodalitäten vereinbaren und an der Schadensfeststellung mitwirken, insbes. Sachverständige benennen oder sich an einem Sachverständigenverfahren beteiligen.13 Seine Verfügungsbefugnis umfasst auch alle Handlungen, die dazu dienen, die Einziehung vorzubereiten. Der VN kann den VR dementsprechend mahnen, mit ihm einen Vergleich abschließen oder die Stundung vereinbaren.14 Die Befugnis des VN reicht letztlich so weit, dass er sich mit einer gesetzlich nicht zulässigen Aufrechnung durch den VR einverstanden erklären kann und anordnen darf, dass die Zahlung der Versicherungssumme an die versicherte Person auf Schadensersatzansprüche gegen ihn angerechnet wird.15 Der VN ist umgekehrt auch derjenige, dem gegenüber der VR seine Erklärungen abzugeben hat, etwa bei einem Rücktritt.16 Anders als bei der Bezugsberechtigung kann der VN die von der versicherten Person erwor10 benen Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht einseitig widerrufen.17 Das liegt daran, dass er – zumindest in der Schadensversicherung – wegen der zwingenden Natur des § 44 das fremde Interesse nicht im eigenen Namen versichern kann. Er kann aber mit dem VR einen Erlassvertrag i.S.v. § 397 Abs. 1 BGB schließen.18 Das Innenverhältnis zur versicherten Person schränkt die Verfügungsmacht des VN im 11 Außenverhältnis zum VR grds. nicht ein. Die treuhänderische Bindung zwischen VN und versicherter Person (dazu § 46 Rn. 6 ff.) kann aber Vereinbarungen zwischen VN und VR über die Entschädigung oder einen Erlass im Einzelfall nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig machen.19 Das ist dann der Fall, wenn für den VR erkennbar ist, dass der VN zum schwerwiegenden Nachteil des Versicherten handelt. Auch unterhalb der Schwelle der Sittenwidrigkeit kann das Treuhandverhältnis zwischen VN und versicherter Person die Verfügungsbefugnis des VN im Einzelfall nach § 242 BGB einschränken, etwa wenn bei einigen Versicherten eines Gruppenversicherungsvertrags bereits Deckungsansprüche entstanden sind, der VN aber dennoch mit dem VR einen rückwirkenden Risikoausschluss vereinbaren will.20 War der VN gegenüber dem Versicherten im Innenverhältnis nicht dazu befugt, die getroffenen Vereinbarungen mit dem VR zu treffen, kann dies über die Rechtsfolge der Nichtigkeit hinaus Schadensersatzansprüche der versicherten 12 So aber BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 3. 13 OLG Hamm 28.9.2001 – 20 U 48/01, NJW-RR 2002 534; LG Berlin 15.9.1983 – 7 O 630/82, VersR 1984 250, 251; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 6; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 3. 14 OLG Hamm 28.9.2001 – 20 U 48/01, NJW-RR 2002 534; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 2; Looschelders/ Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 6. 15 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 5. 16 ÖOGH 11.5.1994 – 7 Ob 19/94, VersR 1995 443, 444. 17 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 6; a.A. Bayer 246. 18 BGH 23.4.1963 – VI ZR 142/62, VersR 1963 521, 522; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 2; Anli 103; Kisch PVR III 494; Lenné 160. 19 OLG Hamburg 1.3.1960 – 7 U 154/59, VersR 1960 1132; LG Berlin 15.9.1983 – 7 O 630/82, VersR 1984 250; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schmikowski/Muschner4 § 45 Rn. 2. 20 BGH 8.5.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013 853 m.Bespr. Cornelius-Winkler EWiR 2013 711. Brand

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C. Tatbestand

VVG § 45

Person aus dem Rechtsverhältnis zwischen ihr und dem VN auslösen.21 Das gilt auch für den – von § 45 nicht geregelten – Fall, dass der VN den Versicherungsvertrag aufhebt.22 Es kommt im Einzelfall auch ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB in Betracht. Aufgrund des „verwickelten Verhältnisses“23 der §§ 44 Abs. 2 und 45 Abs. 1 zueinander, las- 12 sen sich Konstellationen vorstellen, in denen sowohl der VN als auch die versicherte Person über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag verfügen können. Das ist etwa der Fall, wenn der VN sich im Besitz des schon ausgestellten Versicherungsscheins befindet und neben ihm auch die versicherte Person kraft Zustimmung des VN gem. § 44 Abs. 2 verfügen kann. Des Weiteren steht die Verfügungsbefugnis, teils auch aufgrund gesetzlicher Anordnung (vgl. § 61 Abs. 2 BNotO) oder durch Bestimmungen in AVB, sowohl dem VN als auch dem Versicherten zu (z.B. F.2 S. 2 AKB 2008 und 2015 in der Kfz-Haftpflicht- und Unfallversicherung). Hier besteht die Gefahr, dass es zu sich widersprechenden Verfügungen kommt. Ist dies der Fall, werden die Verfügungen von VN und versicherter Person betrachtet, als 13 wären sie von ein und derselben Person abgegeben.24 Insoweit die zeitlich spätere Verfügung der zeitlich früheren widerspricht, ist sie als venire contra factum proprium unwirksam. Eines Rückgriffs auf die Figur der Gesamtgläubigerschaft bedarf es insoweit nicht. Dem gegenüber überzeugt es nicht, grds. auf die Verfügung des Versicherten abzustellen.25 Die dem zugrunde liegende Überlegung, dass dadurch der bürgerlich-rechtliche Normalfall des Zusammentreffens von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis wiederhergestellt wird, trifft zwar zu. Eine solche „Wiederherstellung“, die nach § 44 Abs. 2 bei der Versicherung für fremde Rechnung ein Ausnahmefall ist, überzeugt aber allenfalls dann, wenn die konkurrierende Verfügungsbefugnis der versicherten Person auf Zustimmung oder Übergabe des Versicherungsscheins durch den VN beruht, nicht für den Fall, dass es sich um eine gesetzliche Anordnung handelt. Beide Fälle sind aber gleich zu behandeln.

2. Prozessuale Wirkung Obwohl dies der Wortlaut der Norm nicht ausdrücklich festlegt, folgt aus § 45 Abs. 1 als prozes- 14 suales Äquivalent zur materiellen Befugnis, dass der VN prozessführungsbefugt ist, was die Rechte der versicherten Person aus dem Versicherungsvertrag anbelangt.26 Das gilt vor allem für den Anspruch auf Entschädigung. Die gerichtliche Geltendmachung ist zwar keine Verfügung i.S.d. § 45 Abs. 1.27 Dass der VN bei der Versicherung für fremde Rechnung aber grds. aktivund passivlegitimiert ist, ergibt sich aus der Natur der Sache und einer Parallelwertung zu § 44 Abs. 2.28 Dass § 45 Abs. 1 die gerichtliche Geltendmachung anders als § 44 Abs. 2 nicht ausdrücklich erwähnt, ist ein historisches Redaktionsversehen. Der VN kann entsprechend einen Mahnbescheid erwirken, auf Feststellung der Leistungspflicht des VR klagen oder den VR auf Leistung an sich oder die versicherte Person verklagen.29 Ebenso kann er Vollstreckungshand-

21 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 6. 22 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 7. 23 Nießen 85. 24 Kisch PVR III 511; Anli 105. 25 So aber Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 37; Nießen 86. 26 OLG München 15.3.2005 – 25 U 3940/04, VersR 2005 540; OLG Düsseldorf 21.12.2006 – I-4 U 6/06 (juris); OLG Hamm 21.12.1995 – 6 U 54/95, NJW-RR 1996 1375, 1376; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 5; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 5; Nießen 65; Sieg VersR 1997 160. 27 So irrtümlich Ehrenzweig 219 Fn. 15. 28 Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 7; Anli 97 Fn. 8. 29 OLG Karlsruhe 5.5.1994 – 12 U 310/93, VersR 1995 1087, 1088; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 6. 639

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Rechte des Versicherungsnehmers

lungen beantragen, die auf eine erfolgreiche Klage gegen den VR folgen. Der VN ist auch Kostenschuldner im Rechtsstreit.30 Macht der VN die Rechte der versicherten Person geltend, liegt ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft vor.31 Der VN muss zur Begründung seiner Prozessführungsbefugnis entsprechend kein schutzwürdiges Interesse vortragen,32 das sich im Übrigen aber aus den Pflichten des VN gegenüber der versicherten Person aus dem treuhänderischen Innenverhältnis ergibt. Klagt der VN auf Leistung an sich, ist die Klage nur begründet, wenn er entweder den Versicherungsschein vorlegt oder die versicherte Person ihre Zustimmung erteilt hat, § 45 Abs. 2 und 3. Für die D&O-Versicherung haben einzelne Untergerichte bezweifelt, ob der VN prozessführungsbefugt ist, wenn der Versicherungsvertrag keine entsprechende Klausel enthält.33 Diese Zweifel sind unberechtigt.34 Der VN ist von Gesetzes wegen prozessführungsbefugt, so dass es keiner vertraglichen Vereinbarung bedarf, wenn er die Rechte der versicherten Person geltend machen möchte. In der Gruppenversicherung ist der Mitgliedsverein eines Verbandes nicht prozessführungsbefugt, wenn der Verband Versicherung für sich, seine Mitglieder und deren Mitglieder genommen hat.35 Der Mitgliedsverein ist dann nämlich nicht (prozessführungsbefugter) VN, sondern lediglich Mitversicherter. Macht der VN kraft Ermächtigung die Rechte eines Versicherten geltend, der selbst verfügungsbefugt ist, handelt es sich um eine gewillkürte Prozessstandschaft.36 In diesen Fällen ist der VN nur prozessführungsbefugt, wenn er ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran hat, den Anspruch des Versicherten geltend zu machen. Das ist etwa dann der Fall, wenn er durch die Versicherungsleistung in entsprechender Höhe von eigenen Verpflichtungen gegenüber der versicherten Person frei wird.37 Die versicherte Person ist im Prozess des VN gegen den VR nicht Partei.38 Sie kann daher als Zeuge vernommen werden, es sei denn sie ist streitgenössischer Nebenintervenient.39 Die Folgen der Prozessführung, insbes. die Rechtskraft des Urteils, erstrecken sich aber auf die versicherte Person. Das ist die übliche Folge bei Prozessstandschaft.40 Insoweit dies für Verträge zugunsten Dritter nach bürgerlichem Recht anders gesehen wird, ist dies für die Versicherung für fremde Rechnung unbeachtlich, da sie sich von gewöhnlichen Verträgen zugunsten Dritter durch die Spaltung zwischen Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis unterscheidet sowie dadurch, dass entweder nur der Dritte oder nur der Versprechensempfänger verfügungsberech30 BGH 29.4.1998 – IV ZR 21/97, NJW 1998 2449, 2450. 31 BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017 683; BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 10; OLG Dresden 20.8.2018 – 4 W 600/18, VersR 2018 1441 Rn. 4; OLG Köln 13.11.2001 – 9 U 14/00, NVersZ 2002 515; OLG Hamm 21.12.1995 – 6 U 54/95, NJW-RR 1996 1375, 1376; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/ Koch3 § 45 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 5; Nießen 65; Sieg VersR 1997 160; a.A. OLG Düsseldorf 21.12.2006 I-4 U 6/06 (juris). 32 Übersehen in OLG Karlsruhe 11.5.1989 – 12 U 49/89, VersR 1990 1222. 33 LG Marburg 3.6.2004 – 4 O 2/03, DB 2005 437. 34 So auch OLG München 15.3.2005 – 25 U 3940/04, VersR 2005 540; OLG Düsseldorf 21.12.2006 I-4 U 6/06 (juris); Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 7; zur Frage der Begründetheit der Klage Lange VersR 2007 893, 896 f. 35 OLG Köln 28.3.2000 – 9 U 114/99, RuS 2000 367; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 4. 36 BGH 19.1.1967 – II ZR 37/64, VersR 1967 343; OLG Hamm 5.12.1997 – 20 U 230/96, VersR 1999 44, 45; OLG Köln 14.6.1984 – 5 U 2/84, VersR 1986 229. 37 OLG Hamm 5.12.1997 – 20 U 230/96, VersR 1999 44, 45; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 12; Beckmann/ Matusche-Beckmann/v. Rintelen3 § 23 Rn. 51. 38 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 9; Ruscher 107. 39 Lenné 159; Nießen 69. 40 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 9; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 24; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 107; Nießen 67; a.A. Kisch PVR III 510. Brand

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C. Tatbestand

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tigt ist. Teleologisch lässt sich für eine Erstreckung der Rechtskraft auf die versicherte Person anführen, dass der VR anderenfalls der Gefahr ausgesetzt wäre, mehrere Verfahren hinsichtlich des gleichen Gegenstands führen zu müssen – z.B. wenn der VN nach Abweisung seiner Klage dem Versicherten die Zustimmung zur gerichtlichen Geltendmachung erteilt und der Versicherte gegen den VR vorgeht. Damit wären unnötige Kosten verbunden und die Gerichte ohne erkennbaren Sinn stärker belastet. Die versicherte Person hat die Möglichkeit, im Verfahren als Nebenintervenient nach § 66 19 ZPO aufzutreten.41 Der VN kann ihr auch den Streit verkünden, §§ 72, 74 ZPO. Das erforderliche rechtliche Interesse für einen Beitritt des Versicherten ergibt sich einerseits aus etwaigen Regressansprüchen, die er gegen den VN haben kann, andererseits aus seiner Stellung als Rechtsinhaber (§ 44 Abs. 1) und der Tatsache, dass sich die Rechtskraft des Verfahrens auf ihn erstreckt. Umgekehrt kann der VR im Wege der Widerklage Ansprüche gegen den VN aus dem Versicherungsverhältnis – etwa wegen noch ausstehender Prämienforderungen, soweit sie die Versicherungsleistung übersteigen – geltend machen. Die Abtretung der Forderung lässt die Aktivlegitimation nicht entfallen.42 Führt eine verfügungsbefugte versicherte Person den Prozess, kann der VN der Klage als Nebenintervenient beitreten und die versicherte Person dem VN den Streit verkünden. Findet die EuGVVO in diesen Fällen Anwendung, kann der Versicherte den VR nach Art. 11 Abs. 1 EuGVVO nicht nur an dessen Sitz, sondern auch an seinem eigenen Wohnsitz verklagen. Das wurde für das zuvor geltende EuGVÜ teilweise anders gesehen.43 Im Anerkennungsverfahren kann sich der VR nach Art. 38 i.V.m. 45 Abs. 2 EuGVVO entsprechend nicht mehr darauf berufen, das Wohnsitzgericht des Versicherten sei im Ausgangsverfahren nicht zuständig gewesen. Macht der VN die Rechte der versicherten Person aus dem Versicherungsvertrag in gesetzli- 20 cher Prozessstandschaft gerichtlich geltend, kann er von seiner Rechtsschutzversicherung Deckung verlangen. Dem steht die Ausschlussklausel der Ziff. 3.2.19 ARB 2012 und 2019 (bzw. § 3 Abs. 4 lit. d) ARB 2009) nicht entgegen, da sie Fälle der Versicherung für fremde Rechnung grds. nicht erfasst.44 Das ergibt sich aus dem Zweck der Regelung, die – wie ihre systematische Stellung innerhalb von Regelungen zu treuwidrigem Verhalten zeigt – darauf abzielt, zu verhindern, dass ein nicht versicherter Rechtsinhaber sein Risiko durch nachträgliche rechtliche Gestaltung zu Lasten des VR auf einen Rechtsschutzversicherten verlagert. Bei der Versicherung für fremde Rechnung handelt es sich hingegen nicht um eine nachträgliche Rechtsgestaltung zu Lasten des VR; der VN ist vielmehr aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis, das ihn mit dem Versicherten verbindet, zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Versicherungsverhältnis verpflichtet. Etwas anderes gilt nur, wenn die versicherte Person selbst verfügungsbefugt ist, also bei gewillkürter Prozessstandschaft. Dann besteht nach Ziff. 3.2.19 ARB 2012 und 2019 kein Versicherungsschutz.45 Die Kosten des Rechtsstreits hat der VN zu tragen.46 Nach den allgemeinen zivilprozes- 21 sualen Regeln wird Prozesskostenhilfe nur gewährt, wenn die Voraussetzungen für die Gewähr sowohl beim Prozessstandschafter als auch beim Rechtsinhaber vorliegen.47 Das ist bei gewill41 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 8; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 9; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 23. 42 OLG Hamm 20.5.1985 – 20 W 15/85, VersR 1986 758. 43 So etwa BGH 2.5.1979 – VIII ZB 1/79, BGHZ 74 248, 252; Berliner Kommentar/Hübsch § 76 Rn. 6. 44 BGH 29.4.1998 – IV ZR 21/97, NJW 1998 2449, 2450 zu § 4 Abs. 2 lit. c) ARB 75; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 7; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 10; Nießen 65 f. 45 BGH 29.4.1998 – IV ZR 21/97, NJW 1998 2449, 2450; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 12. 46 BGH 29.4.1998 – IV ZR 21/97, NJW 1998 2449, 2450; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 10. 47 BGH 16.9.1991 – VIII ZR 264/90, VersR 1992 594; OLG Hamm 14.11.1989 – 7 U 70/89, NJW 1990 1053; Zöller/ Philippi33 § 114 ZPO Rn. 8; die Ausnahme von dieser Regel für den Fall, dass der materiell Berechtigte offenkundig kein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, spielt für die Versicherung für fremde Rechnung keine Rolle, da die versicherte Person hier Rechtsinhaberin ist und stets ein Interesse am Ausgang des Verfahrens hat. 641

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kürter Prozessstandschaft erforderlich, damit die versicherte Person nicht einen mittellosen VN vorschiebt, um einen günstigen Prozess führen zu können. Auch bei der gesetzlichen Prozessstandschaft muss es neben der Bedürftigkeit des VN grds. auch auf diejenige der versicherten Person ankommen, da auch hier die Partei den Rechtsstreit im Interesse des Dritten führt.48 Einzuräumen ist, dass dies bei einer Vielzahl von versicherten Personen zu Schwierigkeiten in der Praxis führen kann. Diese werden aber dadurch in erträglichen Grenzen gehalten, dass Prozesskostenhilfe nur angemessen erscheint, soweit es dem prozessführenden VN nicht möglich oder zumutbar ist, von der versicherten Person bzw. den versicherten Personen einen Kostenvorschuss nach § 669 BGB zu erwirken oder sie anderweitig für die Prozesskosten heranzuziehen.49 Das wird bei einer Vielzahl von versicherten Personen regelmäßig der Fall sein. Etwas anderes muss allerdings gelten, wenn der VN aufgrund einer gesetzlichen Pflicht, Versicherung (für fremde Rechnung) zu nehmen, gezwungen ist, den Prozess selbst zu führen. Dann ist es nicht gerechtfertigt, auch auf die Vermögensverhältnisse der versicherten Person abzustellen.

III. Einschränkung der Verfügungsbefugnis (Absatz 2) 1. Voraussetzungen 22 § 45 Abs. 2 schränkt die Verfügungsbefugnis des VN für den Fall ein, dass ein Versicherungsschein ausgestellt worden ist. Praktisch ist dies regelmäßig der Fall.50 Sobald ein Versicherungsschein ausgestellt ist, kann der VN Leistungen des VR mit Erfüllungswirkung gegenüber der versicherten Person51 nur noch annehmen und/oder deren Rechte nur noch übertragen, wenn er im Besitz des Versicherungsscheins ist oder der Versicherte zustimmt. Die uneingeschränkte Verfügungsbefugnis nach § 45 Abs. 1 bleibt dem VN nur für die restlichen Verfügungsfälle. Insbes. kann er unabhängig von den Voraussetzungen des Absatzes 2 vom VR Zahlung an die versicherte Person verlangen. Entgegen einer in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Ansicht52 genügt bloß mittel23 barer Besitz am Versicherungsschein nicht.53 § 45 Abs. 2 soll vor missbräuchlichen Gestaltungen schützen. Abweichungen von der Grundregel des § 45 Abs. 1 sind vor diesem Hintergrund nur zulässig und sinnvoll, wenn der Versicherungsschein die Kraft eines Legitimationspapiers entfaltet. Dies ist nur der Fall, wenn sich der VR, der Zessionar, der Pfandnehmer oder ein anderer Interessierter den Versicherungsschein tatsächlich vorlegen lassen kann, was ohnehin in der Praxis regelmäßig verlangt werden wird. Nur dann können die Interessierten sicher sein, dass nicht in Wahrheit der Versicherte nach § 44 Abs. 2 verfügungsbefugt ist. Auch § 808 BGB lässt im Übrigen für qualifizierte Legitimationspapiere, zu denen u.a. auch Versicherungsscheine zählen, den mittelbaren Besitz nicht genügen (Absatz 2 Satz 1).54 Der gute Glaube des VR an das Vorliegen einer Zustimmung oder den Besitz des Versicherungsscheins ist als guter Glaube an die Verfügungsbefugnis nur unter den Voraussetzungen des § 366 Abs. 1 HGB geschützt.55 Zur Zahlung an den VN 48 Ebenso Berliner Kommentar/Hübsch § 76 Rn. 7; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen8, Band 3, Anm. J 139; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 12; a.A. Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 23; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 10 f. 49 OLG Hamm 22.5.1981 – 20 U 71/81, VersR 1982 381; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 10; Nießen 68. 50 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 1 und schon Corrodi 145. 51 BGH 12.6.1991 – XII ZR 17/90, VersR 1994 1101, 1102; OLG Köln 5.12.2014 – 20 U 100/14, VersR 2015 1155. 52 BGH 7.7.1980 – II ZR 244/79, VersR 1980 1022, 1023; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 4; Prölss/Martin/ Klimke31 § 45 Rn. 29; Ritter/Abraham2 § 53 Anm. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 11; BeckOK-VVG/ Bauerschmidt11 § 44 Rn. 7; Kisch PVR III 476; Lenné 176; Nießen 78. 53 Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 9; Corrodi 148; Stolle 37; Schneider ZVersWiss 1905 230, 240. 54 Dazu Staudinger/Marburger13 § 808 Rn. 22. 55 Enger: Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 11 (kein Schutz). Brand

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C. Tatbestand

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ist der VR nur verpflichtet, wenn dieser ihm nachweist, dass die versicherte Person ihre Zustimmung erteilt hat, § 45 Abs. 3 (näher unten Rn. 33 ff.) Die Zustimmung der versicherten Person, die den Besitz des Versicherungsscheins als 24 Legitimationsgrund ersetzen kann, ist eine Zustimmung i.S.d. §§ 182 bis 184 BGB und setzt entsprechend Geschäftsfähigkeit der versicherten Person voraus.56 Die Zustimmung kann vor der Verfügung als Einwilligung oder danach als Genehmigung erteilt, für einzelne Verfügungen, Arten von Verfügungen oder generell, gegenüber dem VN oder seinem Geschäftsgegner ausgesprochen werden. Eine Zustimmung kann sich auch konkludent aus dem Verhalten der versicherten Person ergeben, etwa wenn sie von der Einleitung von Abtretungs- oder Entschädigungsverhandlungen durch den VN erfährt und nichts dagegen unternimmt. Ob die versicherte Person zur Zustimmung verpflichtet ist, richtet sich nach dem Innenverhältnis zwischen ihr und dem VN. Ist dort eine Verpflichtung der versicherten Person geregelt, kann der VN auf Zustimmung klagen und diese ggf. nach § 894 ZPO ersetzen lassen.

2. Folgen bei Vorliegen der Voraussetzungen Ist er im Besitz des Versicherungsscheins oder handelt er mit Zustimmung der versicherten Per- 25 son, kann der VN die Leistung ganz oder teilweise und in jedweder Form annehmen, also eine Barzahlung ebenso wie einen Scheck oder die Überweisung auf ein Bankkonto. Als Annahme i.S.d. § 45 Abs. 2 ist letztlich jedwede Handlung zu werten, durch welche die Schuld des VR getilgt wird. Deshalb handelt es sich auch bei der Aufrechnung des VN mit einer Gegenforderung aus dem Versicherungsvertrag oder bei der Annahme einer Leistung an Erfüllungs statt nach § 364 Abs. 1 BGB um eine Annahme i.S.d. § 45 Abs. 2.57 Eine Aufrechnung i.S.d. § 387 BGB58 gegen die Prämienforderung des VR ist dabei möglich, obwohl bei der Versicherung für fremde Rechnung Verfügungsbefugnis und materielle Anspruchsinhaberschaft auseinander fallen und es an der Gegenseitigkeit der Forderung mangelt (Forderung: versicherte Person gegen VR; Gegenforderung: VR gegen VN).59 Es genügt, dass die Verfügungsmacht des VN der Prämienforderung des VR gegenübersteht. Das leuchtet vom Ergebnis her ein: Es kann keinen Unterschied machen, ob der VN zunächst die ganze Leistung einzieht und die von ihm geschuldete Prämie oder Nebenverpflichtung gesondert tilgt, oder ob er durch Aufrechnung gegen die Prämienforderung des VR das Hin- und Herschieben von Werten vermeidet. Für diese Überlegung spricht auch § 35, der für eine Aufrechnung – von einem „Abzugsrecht“ wie nach § 35b a.F. ist nicht mehr die Rede – auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit verzichtet. Schließlich ist zu bedenken, dass – nähme man nicht an, dass die Aufrechnungsbefugnis der Verfügungsbefugnis nach § 45 folgt – eine Aufrechnung gegen den Rückzahlungsanspruch des VR überhaupt nicht möglich wäre. Mangels Verfügungsbefugnis kann nämlich auch die versicherte Person als Inhaberin der Forderung nicht wirksam die Aufrechnung erklären. Teilweise wird bestritten, dass auch die Erhebung einer Leistungsklage, die auf Verurtei- 26 lung des VR zur Zahlung an den VN gerichtet ist, als Annahme zu behandeln ist.60 Dem kann nicht gefolgt werden. Der bloßen Annahme steht, wie bereits die Motive zum VVG 1908 zeigen – ihre Erzwingung mit Mitteln des Rechts gleich. Das betrifft nicht nur die Leistungsklage, son56 Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 29; Nießen 77; Taube 103. 57 So auch Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 27; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 6; Looschelders RuS 2015 581, 585. 58 Ausdrücklich OLG Hamm 24.7.2002 – 20 U 71/02, VersR 2003 190; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 2. 59 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 2; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 5; Ritter/Abraham2 § 56 Anm. 3 f.; E. Lorenz VersR 1997 1267 f.; a.A. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 2; (keine Anwendung des Absatzes 2). 60 So Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 12. 643

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Rechte des Versicherungsnehmers

dern auch die auf sie folgende Zwangsvollstreckung in das Vermögen des VR61 und das Erwirken eines Mahnbescheids auf Leistung an den VN.62 27 Spiegelbildlich lässt sich formulieren, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Erfüllungshandlungen des VR nur wirksam sind, wenn sie an den VN erfolgen. Rechte der versicherten Person gehen in diesem Fall nach § 86 auf den VR über, und zwar auch dann, wenn die versicherte Person nichts von der Versicherung für fremde Rechnung weiß.63 Zahlt der VR hingegen eine Kaskoentschädigung an den (Sicherungs-)Eigentümer, ohne dass ein Sicherungsschein vorliegt oder der VN zugestimmt hat, wird der VR nicht leistungsfrei, sofern der VN noch Inhaber des Versicherungsscheins ist.64 Nachdem der VR unberechtigt an den Eigentümer gezahlt hat, kann der VN Zahlung an sich verlangen.65 Unter „Übertragung der Rechte“ ist nicht nur die Vollabtretung, sondern auch eine Teilab28 tretung, eine Inkasso- und Sicherungszession sowie die Verpfändung oder die Bestellung eines Nießbrauchs zu verstehen.66 Das ergibt sich für die Inkassozession daraus, dass auch der VN, wenn er selbst die Einziehung vornimmt, entweder im Besitz des Versicherungsscheins sein oder die Zustimmung der versicherten Person haben muss. Die Sicherungsabtretung wirkt sich für diese nicht anders als die Vollabtretung aus. Wegen der Verwandtschaft mit der Sicherungszession ist auch die Verpfändung als Übertragung i.S.d. § 45 Abs. 2 anzusehen.67 Fasst man unter den Begriff der Übertragung schon die Verpfändung kann für die Bestellung eines Nießbrauchs an der Versicherungsforderung nichts anderes gelten. Keine Übertragung i.S.d. § 45 Abs. 2, sondern eine Zustimmung i.S.d. § 44 Abs. 2 oder ein Verzicht auf die Verfügungsbefugnis zugunsten der versicherten Person68 liegt vor, wenn der VN der versicherten Person gestattet, aus seiner Rechtsstellung gegen den VR vorzugehen, da die versicherte Person in diesem Fall bereits Inhaber der Forderung ist.69

D. Einzelfragen I. Verzicht 29 Der VN kann zugunsten der versicherten Person auf seine Verfügungsbefugnis durch einseitige Erklärung gegenüber dem VR als Vertragspartner verzichten, da sie wie eine Belastung des Rechts des Versicherten wirkt.70 Das folgt aus ihrer Rechtsnatur als Einziehungsermächtigung. Verzichtet der VN, unterliegen die Rechte aus dem Versicherungsvertrag der freien Verfügung ihres Inhabers, des Versicherten. Etwas anderes gilt, wenn die Verfügungsbefugnis dem VN ausdrücklich in AVB zugewiesen ist. Dann kann er ohne Zustimmung des VR nicht auf diese

61 Motive (Neudruck 1963) S. 148; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 4; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 8. 62 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 27 (a.A. noch 28. Aufl.); Ritter/Abraham2 § 54 ADS Anm. 7; a.A. OLG Karlsruhe 5.5.1994 –12 U 310/93, VersR 1995 1087, 1088; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 12. 63 Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 27. 64 OLG Hamm 14.7.1986 – 20 W 14/86, VersR 1988 30. 65 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 4. 66 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 28; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Muschner4 § 45 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 12. 67 Nießen 75; Trautmann 28; Ehrenzweig 219. 68 So ÖOGH 29.11.2006 – 7 Ob 234/06 x, VersR 2008 283. 69 OLG Hamm 19.4.1996 – 20 U 284/95, NZV 1996 412 (a.A. aber OLG Hamm 28.9.2001 – 20 U 48/01, NVersZ 2002 181); Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 4; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 28. 70 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 2; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 25; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Hübsch3 § 45 Rn. 13; Anli 99, Corrodi 146; Ehrenzweig 219 Fn. 12; Kisch PVR III 490; Lenné 161; a.A. Ehrenberg 465. Brand

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D. Einzelfragen

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Befugnis verzichten.71 Verweigert der VR die Zustimmung, ist der Versicherte regelmäßig berechtigt, seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag selbst geltend zu machen.72 Erfolgt der Verzicht, was häufig der Fall sein wird, ohne Gegenleistung des Versicherten, so unterliegt er dennoch nicht der Anfechtung der Gläubiger des VN nach § 4 AnfG.73 Der VN hat mit dem Verzicht nichts aus seinem Vermögen gegeben, in das die Gläubiger hätten vollstrecken können. Die Erklärung des VN, er „trete die Rechtsposition aus dem Versicherungsvertrag an den 30 Versicherten ab“, bedarf der Umdeutung. Eine Abtretung im Rechtssinne ist nicht möglich: Die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag kann der VN nicht abtreten, weil die versicherte Person bereits von Gesetzes wegen ihre Inhaberin ist, § 44 Abs. 1; die Verfügungsbefugnis des VN ist wegen ihrer Rechtsnatur nicht abtretbar. Die unwirksame Abtretung lässt sich entweder in einen Verzicht des VN auf die Verfügungsbefugnis74 oder in die Erteilung einer Zustimmung nach § 44 Abs. 275 umdeuten.

II. Rechtsnachfolge Die Verfügungsbefugnis des VN hängt mit seiner Stellung als Vertragspartei untrennbar zusam- 31 men und kann daher nicht abstrakt im Wege der Einzelrechtsnachfolge übertragen werden.76 Sie ist also weder pfändbar noch verpfändbar und damit nach § 400 BGB auch nicht abtretbar. Ist der VN nach § 45 Abs. 2 verfügungsbefugt, kann er allerdings einem Dritten eine Einzugsermächtigung erteilen. Vermag er ein eigenes schutzwürdiges Interesse nachzuweisen, kann der ermächtigte Dritte die Forderung anschließend im Wege gewillkürter Prozessstandschaft gerichtlich geltend machen. Bei Gesamtrechtsnachfolge geht die Verfügungsmacht nur dann auf einen anderen über, wenn dieser in die Rechtsstellung des VN im Ganzen eintritt. Das ist etwa bei einer Erbschaft der Fall, bei einem Erbschaftskauf nach § 2382 BGB, einem Rechtsübergang nach § 25 HGB oder bei der Verschmelzung einer AG.77 Mehrere Erben können die Verfügungsbefugnis nur gemeinschaftlich ausüben. Ist die versicherte Person Erbe des VN, wandelt sich die Versicherung für fremde Rechnung in eine Eigenversicherung um.78 Bei Testamentsvollstreckung wird zumeist der Testamentsvollstrecker verfügungsbefugt sein. Das ist aber Frage des Einzelfalls, da die Funktion des Testamentsvollstreckers nicht einen ähnlich fest umrissenen Inhalt hat, wie diejenige des Insolvenzverwalters.

III. Insolvenz Bei Insolvenz des VN ist entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht79 nicht dieser als 32 Gemeinschuldner, sondern der Insolvenzverwalter nach § 80 Abs. 1 InsO verfügungsbefugt, obwohl die Verfügungsbefugnis des VN nicht zur Masse gehört.80 Die Verfügungsmacht dient 71 BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 327, 329; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 13. 72 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 15. 73 So schon zutreffend Bruck/Möller/Sieg9 §§ 75, 76 Anm. 30 zum Normvorgänger des § 3 Abs. 1 Nr. 3, 4 AnfG 1879. 74 ÖOGH 29.11.2006 – 7 Ob 234/06 x, VersR 2008 283; OLG Köln 29.4.1997 – 9 U 186/96, VersR 1997 1222. 75 OLG Hamm 19.4.1996 – 20 U 284/95, NZV 1996 412. 76 RG 14.11.1930 – VII 94, 30, RGZ 130 237, 242; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 14; Anli 100; Ruscher 89. 77 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 14; Anli 100; Kisch PVR III 491. 78 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 14. 79 Rodiek 59; Thiel VersR 1955 726, 731. 80 BGH 16.7.2014 – IV ZR 88/13, BGHZ 202 122 Rn. 30 = VersR 2014 1118, 1119; BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 11; OLG Hamm 19.4.1996 – 20 U 284/95, NZV 1996 412; OLG Köln 5.12.2014 – 20 U 100/14, NJW-RR 645

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§ 45 VVG

Rechte des Versicherungsnehmers

aber der Realisierung eines Vorzugsrechts zugunsten der Masse, so dass ihr Übergang auf den Insolvenzverwalter angemessen erscheint. Wäre dies nicht der Fall, könnte der VN sein Befriedigungsrecht aus § 46 Satz 2 auch im Falle seiner Insolvenz noch zum Nachteil der Massegläubiger ausüben. Die versicherte Person kann die Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters aber überwinden, wenn sie Zustimmung zur Eigenverfügung nach § 44 Abs. 2 verlangen kann.81 Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Versicherungsvertrags ab, wirkt die Ablehnung nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO auch gegen die versicherte Person.82 Hinsichtlich der Entschädigungsforderung hat diese ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO bzw. ein Recht zur Ersatzaussonderung nach § 48 Satz 2 InsO.83 Dieses kann sie im Wege der Feststellungsklage durchsetzen; es ändert an der Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nichts.84 Der VR muss in der Insolvenz des VN die Auszahlung der Versicherungssumme an diesen verweigern.85

E. Zustimmungserfordernis (Absatz 3) 33 Um Wettversicherungen vorzubeugen (näher oben Rn. 3), ist der VR nur zur Leistung an denjenigen VN verpflichtet, der Versicherung für fremde Rechnung ohne den Willen der versicherten Person genommen hat und durch den Besitz des Versicherungsscheins legitimiert ist, wenn die versicherte Person ihre Zustimmung zu der Versicherung erteilt hat, § 45 Abs. 3. Die Zustimmung muss sich dabei nach dem klaren Wortlaut des Absatzes 3 nur auf die Versicherung für fremde Rechnung als solche beziehen, nicht auch auf eine bestimmte Leistung des VR.86 Diese Regelung ist nur von Bedeutung, soweit der VN seine Legitimation aus dem Versicherungsschein ableitet. Ergibt sie sich aus der Zustimmung der versicherten Person, hat diese den Vertrag ohnehin gebilligt. Umgekehrt lässt sich dasselbe nicht sagen. Wer mit dem Vertrag einverstanden ist, hat damit noch nicht zugestimmt, dass der VN Verfügungen über die konkrete Versicherungsforderung vornimmt.87 34 Der VR kann die Zahlung vom Nachweis der Zustimmung der versicherten Person abhängig machen, er muss es aber nicht. Solange der VN im Besitz des Versicherungsscheins ist, kann der VR vielmehr jederzeit mit befreiender Wirkung an ihn leisten, ohne sich die Zustimmung der versicherten Person zur Auszahlung nachweisen lassen zu müssen.88 Verlangt der VR aber einen solchen Nachweis, wird der Anspruch auf Auszahlung der Entschädigung erst fällig, wenn eine Zustimmungserklärung abgegeben wurde.89 Auf den nach dem Recht vor 2008 maßgeblichen Zeitpunkt der Erbringung des Nachweises der Zustimmung durch den VN gegenüber dem VR kommt es aufgrund des geänderten Wortlauts des Absatzes 3 (dazu oben Rn. 1) nicht mehr an.90 Das ist von Bedeutung für den Fall, dass die versicherte Person die Zustim2015 725; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 15; Nießen 217; Gundlach DZWiR 2000 309, 311; zur KO schon Kisch PVR III 492. 81 Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Rn. 41. 82 OLG Celle 8.10.1982 – 8 U 65/82, VersR 1986 1099; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 15; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 15. 83 BGH 16.7.2014 – IV ZR 88/13, BGHZ 202 122 Rn. 30 = VersR 2014 1118, 1119; BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 11. 84 BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 15. 85 OLG Köln 5.12.2014 – 20 U 100/14, NJW-RR 2015 725; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 1. 86 Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 31. 87 Ehrenzweig 220. 88 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 7. 89 LG Nürnberg-Fürth 17.11.1971 – 10 O 4611/77, VersR 1978 73, 74; LG Berlin 28.4.1994 – 7 O 1/94, RuS 1995 109; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 7; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 30; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 13. 90 Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 32; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 8; a.A. ohne Berücksichtigung des geänderten Wortlauts Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 17; zum Recht vor 2008 LG Nürnberg-Fürth 17.11.1977 – 10 O 4611/77, VersR 1978 73, 74; LG Berlin 28.4.1994 – 7 O 1/94, RuS 1995 109, 110. Brand

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F. Bereicherungsausgleich

VVG § 45

mung nicht dem VR, sondern dem VN gegenüber erklärt. Hier ist die Fälligkeit nach dem VVG 2008 um den Zeitraum der Übermittlung der Erklärung der versicherten Person vom VN an den VR vorverlegt. Der Wechsel des maßgeblichen Zeitpunkts macht den Nachweis als solchen praktisch aber nicht entbehrlich. Bestreitet der VR die Zustimmung der versicherten Person, wenn der VN nach Eintritt des Versicherungsfalls Leistung an sich selbst verlangt, wird dieser die Zustimmung nach den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen müssen.91 Für die Fälligkeit von Schadensabwendungskosten, die der VN oder die versicherte Per- 35 son aufgewendet haben, gelten die gleichen Grundsätze wie für die Fälligkeit der Entschädigung. Eine Zustimmung – und damit auch deren Nachweis – ist nicht erforderlich, wenn der VN gesetzlich verpflichtet ist, Versicherung zu nehmen.92 Der VR hat keine Möglichkeit, sicher zu stellen, dass die Entschädigung die versicherte Person tatsächlich erreicht. Insbesondere kann er vom VN keinen Nachweis hierüber verlangen. Die Frage, wem die Versicherungssumme gebührt, ist letztlich eine Frage des Innenverhältnisses und steht nicht mit der Leistungspflicht des VR in Zusammenhang.93 Die Zustimmung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die keiner Form bedarf. 36 Sie kann gegenüber dem VN oder dem VR, ausdrücklich oder konkludent, vor oder nach Vertragsschluss und auch noch nach dem Versicherungsfall erklärt und eingefordert werden.94 Als Zustimmung zur Versicherung ist auch eine Zustimmung zur Auszahlung der Entschädigung an den VN zu werten, die einige AVB vorsehen (z.B. Abschnitt B § 12 Ziff. 2 AERB 2008; Abschnitt B § 12 Ziff. 2 AFB 2008 und 2010; Abschnitt B § 12 Ziff. 2 VHB 2008 bzw. Abschnitt B Ziff. 4.9.2 VHB 2016). Der VN hat die Zustimmung der versicherten Person nachzuweisen.95 Der VR, der diesen 37 Nachweis verlangt, bestreitet damit qualifiziert die Aktivlegitimation des VN. In der Sachversicherung kann sich der VR nur dann auf § 45 Abs. 3 berufen, wenn er beweist, dass der VN nicht Eigentümer ist.96 War kein eigenes Interesse des VN an fremden Sachen mitversichert und gelingt dem VN der Nachweis der Zustimmung der versicherten Person nicht, gilt § 48.97

F. Bereicherungsausgleich I. Zahlung an den Versicherungsnehmer Hat der VR an den VN gezahlt, ohne zu wissen, dass ein Tatbestand vorliegt, der ihn von der 38 Leistungspflicht (teilweise) befreit (z.B. Zuvielzahlung, Vorhandensein primärer oder sekundärer Risikobeschränkungen; Vortäuschung eines Versicherungsfalls; Zahlung an den VN, ohne dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 vorliegen), kann er das Geleistete vom VN nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB herausverlangen, da der VR eine Verbindlichkeit aus dem Versicherungsvertrag tilgt.98 Hat der VR die Versicherungssumme noch nicht an die versicherte Person ausgekehrt, ist Bereicherungsgegenstand der Anspruch, den der VN gegen den Versicherten erworben hat, da keine Verpflichtung zur Auskehrung besteht („Kondiktion der Kondiktion“). Unerheblich ist, ob die versicherte Person ihre Zustimmung erteilt hat oder nicht. Ein Aus91 Wie hier Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 32. 92 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 17; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 30; Ritter/Abraham2 § 53 ADS Anm. 14. 93 OLG Hamm 14.7.1986 – 20 W 14/86, VersR 1988 30. 94 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 18; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 45 Rn. 8; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 16. 95 Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 15. 96 LG Berlin 28.4.1994 – 7 O 1/94, RuS 1995 109, 110. 97 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 16. 98 OLG Karlsruhe 17.11.1994 – 12 U 185/94, VersR 1995 1301; Nießen 122; Martin VersR 1976 242. 647

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§ 45 VVG

Rechte des Versicherungsnehmers

schluss der Rückforderung gem. § 814 BGB besteht nur dann, wenn die Entschädigung in positiver Kenntnis der wahren Sachlage gezahlt wurde.99 39 Hat der VN die Entschädigung an die versicherte Person ausgekehrt, so ist zu unterscheiden: War das Zuwendungsverhältnis, also das Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person, eine Schenkung, so richtet sich der Bereicherungsanspruch des VR nach § 822 BGB gegen die versicherte Person.100 Lag jedoch ein entgeltliches Zuwendungsverhältnis vor, steht dem Anspruch des VR gegen den VN auf Erstattung der vollen Entschädigung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB grds. § 818 Abs. 3 BGB entgegen. Das ist nur dann nicht der Fall, wenn der VN sich aus der geleisteten Entschädigung gem. § 46 Satz 2 befriedigt hat oder anderweitige Leistungen für die Geltendmachung der Versicherungsforderung erhalten hat. Dann liegt noch eine Bereicherung in seinem Vermögen vor. So kann die Bereicherung z.B. in der Entlohnung für die Beschaffung des Versicherungsschutzes bestehen oder darin, was der VN gegenüber der versicherten Person erspart hat, weil er sich mit der Besorgung der Versicherung Haftungsfreiheit verschafft hat (Kundenversicherung).101 Eine Berufung auf Entreicherung ist weiterhin nicht möglich, wenn der VN wusste, dass der VR nichts schuldete, und er gleichwohl die Versicherungsforderung eingezogen und den Erlös weitergeleitet hat. Hier ist seine Haftung wegen §§ 818 Abs. 4, 819 BGB trotz Entreicherung auf das ursprünglich Erlangte gerichtet. 40 Überhaupt kann der VR bei fehlender Auskehrungsverpflichtung des VN bei diesem gem. § 818 Abs. 2 den Wert der Entschädigungszahlung kondizieren, nicht etwa den Bereicherungsanspruch des VN gegen die versicherte Person102 (zur Begründung s.u. Rn. 41 ff.).

II. Zahlung an die versicherte Person 41 Die Leistung an die versicherte Person lässt sich mit den klassischen Lehrbuchfällen der abgekürzten Lieferung vergleichen: Regelmäßig hätte der VN die Leistung eingezogen und an die versicherte Person weitergeleitet. Die unmittelbare Zahlung des VR an diese beschleunigt die Abwicklung und befreit den VN von seiner Auskehrungsverpflichtung gegenüber dem Versicherten. Hat der VR in einem solchen Fall an die versicherte Person ohne rechtlichen Grund gezahlt 42 und stimmt der einziehungsberechtigte VN der Zahlung zu, ist dieser selbst Bereicherungsschuldner, da der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Beziehung dann im Deckungsverhältnis liegt, und zwar unabhängig davon, ob der VN oder die versicherte Person das Fehlen des rechtlichen Grundes verursacht hat.103 Gegenstand des Bereicherungsanspruchs des VR ist gem. § 818 Abs. 2 BGB der Wert der Versicherungsleistung, nicht etwa die Abtretung des Kondiktionsanspruchs des VN gegen den Versicherten, der dem VN zusteht, da er dem Versicherten gegenüber nicht zur Ausschüttung verpflichtet wäre. Käme es nur zur Kondiktion der Kondiktion, wäre der VR mit dem Insolvenzrisiko der versicherten Person belastet und sowohl deren Einwendungen gegenüber dem VN (etwa einer Aufrechnung mit Forderungen, die sie seinerseits gegen den VN hat),104 als auch den Einwendungen des VN gegen ihn selbst ausgesetzt. Dadurch wäre der VR über Gebühr belastet. Hat der VR hingegen an die versicherte Person geleistet, obwohl die Verfügungsbefugnis 43 nach dem Vertrag dem VN zustand, und lässt dieser die Zahlung an die versicherte Person

99 BGH 2.11.1988 – IV b ZR 102/187, VersR 1989 74, 75; OLG Köln 19.11.1992 – 5 U 146/92, ZfS 1993 311. 100 Ritter/Abraham2 § 53 ADS Anm. 17; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 30. 101 Bruck/Möller/Sieg9 §§ 75, 76 Anm. 53. 102 So aber Prölss/Martin/Prölss27 § 75 Rn. 15; Kisch PVR III 503; Martin VersR 1976 242. 103 Nießen 121. 104 So zu Unrecht Nießen 124. Brand

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G. Abdingbarkeit und verdrängendes Sonderrecht

VVG § 45

nicht gegen sich gelten, kann und muss der VR direkt bei Letzterer kondizieren.105 Das ergibt sich schon daraus, dass der VR in einem solchen Fall selbst dann, wenn er zur Leistung verpflichtet wäre, nicht durch eine Zahlung an die versicherte Person von seiner Leistungspflicht frei würde. Sonst würden die Rechte des VN aus §§ 45 Abs. 1, 46 umgangen. Entsprechend darf der VN in der Rückabwicklung auch nicht mit Bereicherungsansprüchen belastet werden. Wenn der VR an eine versicherte Person gezahlt hat, die verfügungsbefugt war, sei es 44 nach § 44 Abs. 2 oder sei es, weil sie, etwa als Leasinggeber, Inhaber eines Sicherungsscheins war, richtet sich der Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB grds. dennoch gegen den VN und nicht gegen die versicherte Person.106 Das ergibt sich daraus, dass VR und versicherte Person übereinstimmend davon ausgehen, dass der VR mit der Zahlung die Verbindlichkeit aus dem Versicherungsvertrag erfüllen will. Etwas anderes muss aber gelten, wenn die versicherte Person die Ursache für die Leistungsfreiheit des VR gesetzt hat. Hier hat der VN, dessen Position als Vertragspartner durch das Zusammenfallen von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis in der Person des Versicherten ohnehin schon geschwächt ist, keinen Einfluss mehr auf die Zahlung des VR. Die Geldleistung kann dann nicht mehr als Leistung an ihn angesehen werden, sondern als eine solche an die versicherte Person, so dass die (Direkt-)Kondiktion gegen diese im Vollzugsverhältnis stattzufinden hat.107

G. Abdingbarkeit und verdrängendes Sonderrecht § 45 ist in allen drei Absätzen abdingbar. Für Absatz 3 folgt dies daraus, dass der VR nach der 45 gesetzlichen Bestimmung den Nachweis der Zustimmung der versicherten Person zwar fordern kann, dies aber nicht muss. Deswegen muss er erst recht bei Abschluss des Versicherungsvertrags durch Vereinbarung auf das Erfordernis des Nachweises einer Zustimmung der versicherten Person verzichten können.108 Der VR kann aber den Gegenbeweis führen, dass der VN die Entschädigung nicht an die versicherte Person herauszugeben braucht, so dass eine versteckte Wettversicherung vorliegt.109 In der Praxis finden sich vor allem AVB, die von § 45 Abs. 2 zugunsten des VN abweichen 46 und bestimmen, dass er die Entschädigung auch annehmen und die Forderung abtreten kann, wenn er nicht im Besitz des Versicherungsscheins ist (z.B. Abschnitt B § 12 Ziff. 1 Satz 3 AERB 2008 und 2010; Abschnitt B § 12 Ziff. 1 Satz 3 AFB 2008 und 2010; Ziff. F.2 Satz 1 AKB 2008 und 2015; Ziff. 12.1 Satz 1 AUB 2008 und 2014; Abschnitt B Ziff. 4.9.1 Satz 3 VHB 2016). Der Versicherungsschein verliert entsprechend seine Funktion als Legitimation für die Verfügungsmacht. Dahinter steht das Interesse des VR, im Versicherungsfall nur einer Partei gegenüberzustehen, von einer Legitimationsprüfung entbunden zu sein und mit dem VN nicht als Zeuge in einem etwaigen Verfahren gegen die versicherte Person konfrontiert zu sein. Letzteres könnte dem VR die Beweisführung erschweren.110 Die Abtretung führt dazu, dass der Zessionar die volle Rechtsstellung gegenüber dem VR erwirbt, nicht nur diejenige des VN; die Rechtsstellung der versicherten Person geht unter.111 105 OLG Köln 5.12.2014 – 20 U 100/14, VersR 2015 1155 Rn. 38; Ritter/Abraham2 § 53 ADS Anm. 17; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 18; Nießen 122. 106 BGH 10.3.1993 – XII ZR 253/91, BGHZ 122 46, 49 ff.; BGH 14.7.1993 – IV ZR 179/92, VersR 1993 1007; BGH 4.5.1994 – IV ZR 298/93, NJW-RR 1994 988; BGH 10.3.1993 – XII ZR 253/91, VersR 1994 208, 209 mit zustimmender Anm. Nicolai JZ 1993 1118; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 45 Rn. 6; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 44 Rn. 30; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 45 Rn. 20; a.A. OLG Karlsruhe 7.11.1991 – 12 U 97/91, VersR 1992 1463; LG München II 25.6.1991 – 2 S 93/91, RuS 1991 344; Prölss/Martin/Prölss27 § 75 Rn. 14. 107 Dazu LG München II 25.6.1991 – 2 S 93/91, RuS 1991 344. 108 Ebenso Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 24; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 21. 109 Ritter/Abraham2 § 53 ADS Anm. 15. 110 Vgl. BGH 4.5.1964 – II ZR 153/61, BGHZ 41 327; Nießen 80. 111 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 45 Rn. 23; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 45 Rn. 20. 649

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§ 45 VVG

Rechte des Versicherungsnehmers

Obwohl solche Vereinbarungen die anomale Trennung der Rechtsinhaberschaft von der Verfügungsmacht in der Versicherung für fremde Rechnung noch vertiefen, sind sie AGB-rechtlich nicht bedenklich. Die versicherte Person erwirbt in solchen Fällen von vornherein nur ein eingeschränktes Recht, so dass ihr als vertragsfremde Partei nichts genommen wird, was ihr nach dem Gesetz zustehen soll. Betroffen ist hingegen § 137 Satz 1 BGB, der bestimmt, dass die Befugnis zur Verfügung über ein veräußerliches Recht nicht durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen werden kann. Praktisch hat das jedoch keine Auswirkung.112 Nach § 137 Satz 2 BGB bleiben vereinbarte Beschränkungen der Verfügungsmacht schuldrechtlich wirksam; daher kann sich der VR gem. § 334 BGB auf die Vereinbarung mit dem VN berufen, wenn die versicherte Person Leistung verlangt. 48 Nach § 399 BGB zulässig und AGB-rechtlich unbedenklich sind auch Klauseln, nach denen der VN die Rechte gegen den VR bis zur Feststellung des genauen Umfangs dieser Ansprüche nicht oder nur mit Zustimmung des VR abtreten darf.113 Dadurch soll dieser ebenfalls davor geschützt werden, mit fremden Personen verhandeln zu müssen; weiterhin soll es ihm erspart bleiben, dem VN als Zeugen in einem Prozess gegen den Zessionar gegenüberzustehen. 49 In der Kraftfahrtunfallversicherung und der Fahrerschutzversicherung wird die Rechtsstellung des VN über § 45 Abs. 2 hinausgehend eingeschränkt. Hier benötigt er selbst dann die Zustimmung der versicherten Person zur Auszahlung der Entschädigung, wenn er im Besitz des Versicherungsscheins ist (Ziff. A 4.11.2 und A 5.5.3 AKB 2008 und 2015).114 Teilweise übertragen die AVB das Verfügungsrecht auf die versicherte Person (§ 11 PKautV) und bedingen damit § 45 Abs. 1 ab.115 Das kommt auch in der D&O-Versicherung vor.116 Dort ist im Einzelfall zu untersuchen, ob die Berufung auf eine solche Klausel durch den VR nicht rechtsmissbräuchlich ist. Das kann dann der Fall sein, wenn der VN ein schützenswertes Interesse daran hat, einen Anspruch gegen den VR geltend zu machen, die versicherte Person dies aber nicht tut.117 In der Gruppenunfallversicherung wird dem Versicherten durch Individualabrede teilweise das Recht eingeräumt, Versicherungsleistungen ohne Zustimmung des VN unmittelbar gegenüber dem VR geltend zu machen. Die §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 können auch zugunsten des Inhabers eines Sicherungsscheins abbedungen werden. 50 Bei Nießbrauchsverhältnissen wird § 45 Abs. 1 und 2 durch vorrangiges Sonderrecht verdrängt. Nach § 1046 Abs. 1 BGB hat bei der Versicherung des Nießbrauchers zugunsten des Eigentümers (§ 1045 BGB) weder der VN noch die versicherte Person das alleinige Einziehungsrecht; vielmehr können nur beide zusammen über die Versicherungsforderung verfügen.118 47

H. Auslandsrecht/PEICL 51 Die Trennung zwischen Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis ist durchaus eine Besonderheit des deutschen Rechts. Andere Rechtsordnungen, etwa die französische (Art. 112-1 Abs. 3 CdA) oder die griechische (Geltung der allgemein-zivilrechtlichen Regelung für Verträge zugunsten Dritter, Art. 410 bis 415 ZGB), lassen es bei den allgemein-zivilrechtlichen Vorschriften über 112 Ebenso Bruck/Möller/Sieg9 §§ 75, 76 Anm. 49; Richter 32. 113 Vgl. etwa Ziff. 28 AHB 2008; Ziff. A.2.14.2 AKB 2008; zum Normvorgänger der Ziff. 28 AHB 2008; BGH 26.3.1997 – IV ZR 137/96, VersR 1997 1088, 1090 m. Anm. E. Lorenz; zum Abtretungsverbot in der Berufsunfähigkeitsversicherung Winter RuS 2001 133. 114 Zum Vorgängerbedingungswerk (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AKB); BGH 14.12.1994 – IV ZR 14/94, VersR 1995 332 f. 115 Vgl. Koch Vertrauensschadenversicherung (2006) Rn. 541. 116 A-8.1 Hs. 1 AVB D&O 2020; dazu BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, BGHZ 214 1, 14 f. = VersR 2017 683; BGH 4.3.2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020 541 Rn. 12; Prölss/Martin/Voit31 Ziff. 10.1 AVB-AVG Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Haehling von Lanzenauer/Kreienkamp3 Anhang C Rn. 161. 117 BGH 5.4.2017 – IV ZR 360/15, BGHZ 214 1 Rn. 17 und 23 f. = VersR 2017 683. 118 Näher Bruck/Möller/Sieg9 §§ 75, 76 Anm. 50; MüKoBGB/Pohlmann8 § 1046 Rn. 3; Kisch PVR III 512 f.; Lenné 105 f. Brand

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H. Auslandsrecht/PEICL

VVG § 45

den Vertrag zugunsten Dritter bewenden. So erwirbt die versicherte Person in der Versicherung für fremde Rechnung einen Direktanspruch gegen den VR. Die PEICL regeln die Frage der Verfügungsbefugnis nicht. Nach dem Grundkonzept des 52 Regelwerks (Art. 1-105 Abs. 2 PEICL) kommt es damit zur Anwendung der allgemeinen Regeln der PECL (dort Art. 6-110 Abs. 1), die für den Vertrag zugunsten Dritter die Verfügungsbefugnis dem Dritten, also dem Versicherten, zuweisen.

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§ 46 Rechte zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem 1

Der Versicherungsnehmer ist nicht verpflichtet, dem Versicherten oder, falls über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist, der Insolvenzmasse den Versicherungsschein auszuliefern, bevor er wegen seiner Ansprüche gegen den Versicherten in Bezug auf die versicherte Sache befriedigt ist. 2Er kann sich für diese Ansprüche aus der Entschädigungsforderung gegen den Versicherer und nach deren Einziehung aus der Entschädigungssumme vor dem Versicherten und dessen Gläubigern befriedigen.

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Vor §§ 43–48) Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Möller Innenverhältnis zwischen Versichertem und Versicherungsnehmer bei der Versicherung für fremde Rechnung, VersR 1950 81; Sieg Rechtsverhältnisse bei erteiltem Sicherungsschein in der Kfz-Versicherung, VersR 1953 219; Thomas Unternehmensinterne Informationspflichten bei Verlust der D&O-Deckung, VersR 2010 281; Trautmann Das Innenverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem bei der Versicherung für fremde Rechnung (1971); Tron Der KraftfahrzeugSicherungsschein (1967).

Übersicht 1

A.

Normgeschichte

B.

Normzweck und -struktur

C.

Rechtsverhältnis zwischen Versicherungs3 nehmer und versicherter Person

2

2. 3.

12 a) Grundlagen 17 b) Grenzen 24 Auskunftsverpflichtung Verpflichtung zum Schadensersatz

26

E.

Rechte des Versicherungsnehmers nach 29 § 46

I. 1. 2.

Zurückbehaltungsrecht (Satz 1) 30 Erfasste Ansprüche Voraussetzungen und Wirkungen

II. 1. 2. 3.

40 Befriedigungsvorrecht (Satz 2) 40 Grundlagen 44 Insolvenz der versicherten Person 46 Insolvenz des Versicherungsnehmers

F.

Abdingbarkeit

G.

Auslandsrechte/PEICL

3

I.

Schuldverhältnis

II.

Gesetzliches Treuhandverhältnis

D.

Rechtspflichten des Versicherungsnehmers 11 als Treuhänder

6

11

I.

Vor Eintritt des Versicherungsfalls

II. 1.

12 Nach Eintritt des Versicherungsfalls Einziehungs- und Auskehrungsverpflich12 tung

29 33

47 48

A. Normgeschichte 1 § 46 entspricht im Wesentlichen der Vorgängernorm des § 77 a.F., der seit dem Inkrafttreten des VVG im Jahre 1908 unverändert gegolten hat. Regelungsvorbild ist die ursprüngliche Fassung des aufgehobenen § 888 HGB.1 Die Neukodifikation des § 77 a.F. von 2008 ersetzt lediglich den veralteten Rechtsbegriff des „Konkurses“ im Tatbestand gegen den heute gebräuchlichen der „Insolvenz“.2 1 Dazu Ritter/Abraham2 § 55 ADS Anm. 1, 2. 2 Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 73. Brand https://doi.org/10.1515/9783110522624-030

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C. Rechtsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und versicherter Person

VVG § 46

B. Normzweck und -struktur § 46 ist eine Schutzvorschrift zugunsten des VN, die seine Rechtsstellung im Innen- (oder Valu- 2 ta-)Verhältnis zur versicherten Person gegenüber den Regeln des bürgerlichen Rechts stärkt.3 Die Norm regelt nur einen eng begrenzten Teilbereich des Innenverhältnisses zwischen Versichertem und VN (näher dazu Vor §§ 43–48 Rn. 2): § 46 beschränkt sich darauf, dem VN ein Befriedigungs(vor)recht an der Versicherungsforderung einzuräumen (Satz 2), soweit ihm „Ansprüche in Bezug auf die versicherte Sache“ zustehen. Dies gilt selbst für den Fall, dass über das Vermögen der versicherten Person ein Insolvenzverfahren eröffnet ist. Diese Regelung beruht auf der Überlegung, dass die Versicherung nicht aus Mitteln der insolventen versicherten Person, sondern aus denen des VN genommen worden ist.4 Um den VN in die Lage zu versetzen, das Vorzugsrecht nach Satz 2 sicher ausüben zu können,5 gewährt Satz 1 ihm ein besonderes Zurückbehaltungsrecht an dem Versicherungsschein, dem gem. §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 2 Legitimationswirkung hinsichtlich der Verfügungsbefugnis zukommt (vgl. § 44 Rn. 33 f. und § 45 Rn. 22 ff.). Solange der VN sein Zurückbehaltungsrecht nach § 46 Satz 1 ausübt, kann die versicherte Person nicht nach § 44 Abs. 2 über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag verfügen. Das Zurückbehaltungsrecht sollte nach dem Willen des historischen Gesetzgebers rein deklaratorischer Natur sein.6 Tatsächlich ist es dies aber nicht (s.u. Rn. 29 ff.).

C. Rechtsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und versicherter Person I. Schuldverhältnis Die Versicherung für fremde Rechnung ist ein atypischer Vertrag zugunsten Dritter (dazu Vor 3 §§ 43–48 Rn. 17 f.). Nach den Vorstellungen des bürgerlichen Rechts über den Vertrag zugunsten Dritter ergibt sich der Rechtsgrund für die Zuwendung des Versprechensempfängers (hier des VN) an den Dritten (hier der versicherten Person) aus dem Rechtsverhältnis, das zwischen Versprechensempfänger und Drittem besteht, dem sog. Innenverhältnis. Dieses Rechtsverhältnis kann auf völlig unterschiedlichen Rechtsgründen beruhen. Das VVG legt den Parteien bei der Versicherung für fremde Rechnung insoweit keine Beschränkungen auf. Versicherung für fremde Rechnung kann insbes. auf Basis eines Vertrages zwischen versicherter Person und VN genommen werden.7 Zu denken ist etwa an einen Auftrag, einen Speditions- oder Frachtvertrag, eine Kommission, einen Miet- oder Leasingvertrag, einen Dienst- oder Werkvertrag, eine Sicherungsübereignung oder einen Nießbrauch. Leasingverträge oder Anstellungsverträge von Organmitgliedern enthalten häufig Verpflichtungen zum Abschluss von Versicherungen für fremde Rechnung.8 Der Vertrag zwischen VN und versicherter Person, der das „Motiv“ für den Abschluss einer solchen Versicherung für fremde Rechnung bildet, hat aber nur mittelbare Auswirkungen auf die Pflicht zur Inanspruchnahme des VR oder auf die Verteilung der Versicherungsleistungen zwischen VN und versicherter Person (dazu unten Rn. 21). Aus ihm kann sich aber die Pflicht für den VN ergeben, überhaupt Versicherung für fremde Rechnung zu nehmen. Ein Schuldverhältnis, das den Abschluss einer solchen Versicherung motiviert, kann auch aus einer familiären Nähebeziehung heraus erwachsen.

3 4 5 6 7 8

Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 73; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 46 Rn. 1; Corrodi 151 f.; Nießen 181. Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 1; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 20. Dazu Bruck/Möller/Sieg8 § 77 Anm. 1; Corrodi 151 f. Motive zum VVG 150; ebenso Trautmann 113. Vgl. nur Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 110. Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 2; zur D&O-Versicherung Thomas VersR 2010 281.

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§ 46 VVG

Rechte zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem

Entgegen der älteren Rechtsprechung9 muss zwischen VN und versicherter Person nicht zwingend ein Schuldverhältnis vorliegen.10 Nach einem Grundlagenurteil des BGH vom 7.5.197511 geht die Rechtsprechung und mit ihr der weit überwiegende Teil der Lehre davon aus, dass zwischen VN und versicherter Person ein gesetzliches Treuhandverhältnis besteht (dazu unten Rn. 6 ff.). Fehlt ein anderweitiges Rechtsverhältnis zwischen VN und versicherter Person, entscheidet allein das Treuhandverhältnis über den Interessenausgleich. Zuvor wollten die ältere Rechtsprechung und das Schrifttum das Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person auf Grundlage der Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) regeln.12 So sollte etwa der Halter eines Kraftfahrzeugs bei Abschluss einer Insassenunfallversicherung als Geschäftsführer ohne Auftrag für den Fahrgast tätig werden. Wäre dem so, hätte der Versicherte einen klagbaren Anspruch gegen den VN auf Auskehrung einer geleisteten Entschädigungszahlung.13 5 Der BGH verneint dies seit Längerem zutreffend.14 Eine Geschäftsführung ohne Auftrag kann das Innenverhältnis von VN und versicherter Person prägen, dies ist aber nicht automatisch der Fall, wenn keine anderweitigen schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den Partien bestehen: Wer eine fremde Sache in der irrigen Meinung versichert, es handele sich um seine eigene, ist nach § 687 Abs. 1 BGB kein Geschäftsführer ohne Auftrag; der Versicherungsvertrag ist infolge Interessemangels inhaltslos. Beim Abschluss einer D&O-Police durch die Muttergesellschaft eines Konzerns zugunsten der Organe der konzernangehörigen Gesellschaften liegt ebenfalls keine Geschäftsführung ohne Auftrag vor; da das Eigeninteresse der Muttergesellschaft überwiegt, lässt sich nicht von einem auch-fremden Geschäft sprechen.15 Eine Ausnahme gilt lediglich nach § 1959 BGB für Geschäfte des vorläufigen Erben vor der Ausschlagung; sie werden nach der Ausschlagung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag abgewickelt. VN bleibt der vorläufige Erbe, der endgültige Erbe wird versicherte Person.16

4

II. Gesetzliches Treuhandverhältnis 6 Das Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person wird also unabhängig von einem etwaig zusätzlich bestehenden Schuldverhältnis zwischen den Parteien durch ein gesetzliches Treuhandverhältnis eigener Art17 bestimmt, welches die Rechtsprechung aus den Grundsätzen von Treu und Glauben herleitet.18 Seiner Rechtsnatur nach ist dieses Treuhandverhältnis ein gesetzliches Schuldverhältnis, bei dessen Verletzung dem Versicherten Schadensersatz- und Auskunftsansprüche zustehen. Besteht ein motivierendes Schuldverhältnis zwischen VN und versicherter Person, tritt dieses grds. unabhängig neben das Treuhandverhältnis;19 dieses kann allenfalls 9 BGH 8.2.1960 – II ZR 136/58, BGHZ 32 44 = NJW 1960 912; BAG 30.1.1958 – 2 AZR 293/56, VersR 1958 360; schon kritisch BGH 4.4.1973 – IV ZR 130/71, VersR 1973 634.

10 Ebenso Ritter/Abraham2 § 52 ADS Anm. 9. 11 BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 260 = VersR 1975 703; dem folgend etwa Beckmann/Matusche-Beckmann/ Armbrüster3 § 6 Rn. 111; Wandt Rn. 698 u.v.m. 12 Z.B. BGH 8.2.1960 – VI ZR 136/58, BGHZ 32 44 = NJW 1960, 912; BGH 16.11.1967 – VI ZR 259/64, VersR 1968 138; OLG Oldenburg 2.12.1964 – 2 U 125/64, VersR 1965 78; Millauer 81; zu den Bedenken gegen diese Auffassung Nießen 141. 13 BGH 8.2.1960 – II ZR 136/58, BGHZ 32 44, 51 = NJW 1960 912; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 46 Rn. 5. 14 BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 260 = VersR 1975 703. 15 Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 3; zur D&O-Versicherung Thomas VersR 2010 281, 288. 16 Bruck/Möller/Sieg9 § 77 Anm. 23. 17 Zur Abgrenzung gegenüber vertraglichen und gesetzlichen Treuhandverhältnissen Nießen 151 f. 18 BGH 4.4.1973 – IV ZR 130/71, VersR 1973 634; BGH 12.12.1990 – IV ZR 213/89, VersR 1991 299; BGH 16.9.2016 – V ZR 29/16, VersR 2016 1564 Rn. 6; OLG Köln 18.10.1989 – 11 U 327/88, VersR 1990 847, 848; LG Saarbrücken 8.4.2021 – 14 O 103/17, VersR 2021 888, 889; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 4 und auch Looschelders/Pohlmann/ Koch3 § 46 Rn. 4 und 10. 19 OLG Köln 18.10.1989 – 11 U 327/88, VersR 1990 847, 848; Berliner Kommentar/Hübsch § 77 Rn. 2. Brand

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durch Vertragsbeziehungen zwischen VN und versicherter Person modifiziert sein.20 Das ergibt sich einerseits daraus, dass die versicherte Person sich die Einwendungen aus dem motivierenden Rechtsverhältnis entgegenhalten lassen muss, die der VN daraus herleiten kann (näher unten Rn. 15).21 Andererseits kann auch die Motivation des anderen Rechtsverhältnisses, etwa das Genügen einer (arbeitsrechtlichen) Fürsorgepflicht des VN gegenüber dem Versicherten, das Treuhandverhältnis beeinflussen.22 Häufig wird es freilich so sein, dass das von der Rechtsprechung des BGH ausgeformte Treuhandverhältnis gegenüber anderweitigen Rechtsbeziehungen zwischen ihnen vorrangig über Rechte und Pflichten der Parteien im Innenverhältnis bestimmt. Das gesetzliche Treuhandverhältnis hat die Wirkung, dass der VN seine Verfügungsbefugnis nach § 45 Abs. 1 und 2 über die Rechte der versicherten Person aus dem Versicherungsvertrag nur zu treuen Händen geltend machen kann. Die Treuhänderstellung des VN bezieht sich insbes. auf den Anspruch der versicherten Person auf Gefahrtragung durch den VR, nach Eintritt des Versicherungsfalls auf den Entschädigungsanspruch und nach Auszahlung der Versicherungsleistung an den VN auf die Entschädigungssumme. Wird diese auf ein Girokonto des VN überwiesen, handelt es sich um Treugut, das nicht in einen Saldo einbezogen werden darf und an dem das Kreditinstitut kein (vertragliches) Pfandrecht erwirbt.23 § 46 beschränkt das gesetzliche Treuhandverhältnis zwischen VN und versicherter Person, indem die Vorschrift in Satz 1 bestimmt, dass der VN nicht verpflichtet ist, der versicherten Person bzw. deren Insolvenzverwalter den Versicherungsschein auszuliefern, bevor er wegen seiner Ansprüche gegen die versicherte Person in Bezug auf die versicherte Sache befriedigt ist (näher unten Rn. 20 f.). Er kann sich aus der Entschädigungsforderung bzw. nach deren Einziehung vor der versicherten Person und deren Gläubigern befriedigen, Satz 2. Im Umkehrschluss aus § 46 folgt positiv, dass ein Herausgabeanspruch immer dann besteht, wenn der VN keine Ansprüche (mehr) gegen die versicherte Person hat.24 Das gesetzliche Treuhandverhältnis zwischen VN und versicherter Person bestimmt auch, an wen die Versicherungssumme herauszugeben ist. Dies ist regelmäßig der VN.25 Auch im Anwendungsbereich des § 179 Abs. 2 sind für die Frage der Berechtigung an der Versicherungsleistung nur die Rechtsbeziehungen zwischen VN und Versichertem maßgebend. Fehlt es an der schriftlichen Einwilligung des Dritten, gilt die Versicherung nach Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift im Zweifel als für Rechnung des anderen genommen (dazu § 43 Rn. 81). Neben der Verteilung des Versicherungserlöses regelt das gesetzliche Treuhandverhältnis auch die übrigen Pflichten, welche VN und versicherte Person einander gegenüber haben. Dazu zählt insbes. die Pflicht, sich im Vorfeld der Auszahlung wechselseitig bei der Geltendmachung gegenüber dem VR beizustehen.

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D. Rechtspflichten des Versicherungsnehmers als Treuhänder I. Vor Eintritt des Versicherungsfalls Bis zum Eintritt eines Versicherungsfalls kann der VN grds. frei über das Versicherungsverhält- 11 nis und dessen Fortbestand verfügen, es sei denn aus einem Schuldverhältnis, das zwischen

20 BGH 12.12.1990 – IV ZR 219/89, BGHZ 113 151 = VersR 1991 299; BGH 16.9.2016 – V ZR 29/16, VersR 2016 1564; BAG 17.6.1997 – 9 AZR 839/95, NZA 1998 376, 377; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 3; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 46 Rn. 6. 21 BAG 21.2.1990 – 5 AZR 169/89, NZA 1990 701, 702. 22 BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 260 = VersR 1975 703. 23 OLG Düsseldorf 9.7.1985 – 4 U 53/85, VersR 1986 269. 24 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 76 Rn. 7. 25 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 76 Rn. 7. 655

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ihm und dem VN besteht, ergibt sich etwas anderes.26 So muss er ohne entsprechende Abrede mit der versicherten Person den Versicherungsschutz insbes. nicht für die Zukunft und im ursprünglichen Umfang aufrechterhalten.27 Das liegt daran, dass sich die treuhänderische Bindung des VN gegenüber der versicherten Person nicht auf die Rechte am Vertrag erstreckt. Trifft der VN Verfügungen, die für die versicherte Person nachteilig sind, hat er ggf. Schadensersatzansprüche aus dem betreffenden Schuldverhältnis zwischen ihm und der versicherten Person zu gewärtigen (z.B. Dienstvertrag bei der D&O-Versicherung).28

II. Nach Eintritt des Versicherungsfalls 1. Einziehungs- und Auskehrungsverpflichtung 12 a) Grundlagen. Nach Eintritt des Versicherungsfalls ist der VN nicht mehr uneingeschränkt frei. Er muss die Pflichten beachten, die ihn aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis treffen. Vornehmlich ist der VN treuhänderisch verpflichtet, den Anspruch gegenüber dem VR durch Einhaltung der Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen zu wahren,29 ihn geltend zu machen,30 den ihm nicht zustehenden Entschädigungsbetrag einzuziehen31 und an den Geschädigten auszukehren.32 Die Auskehrungspflicht erstreckt sich auch auf solche Leistungen des VR, die aus Kulanz geflossen sind.33 Wird neben dem fremden auch ein eigenes Interesse des VN in einer kombinierten Eigen-/Fremdversicherung gedeckt, hat der VN kein bevorzugtes Befriedigungsrecht. Vielmehr gebieten die Rücksichtnahmepflichten, die er aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis gegenüber der versicherten Person hat, dass der VN denjenigen Bruchteil der Entschädigungssumme an die versicherte Person herauszugeben hat, der dem Anteil am Gesamtschaden entspricht, den sie erlitten hat.34 13 Etwas anderes gilt nur, wenn der VN im Auftrag eines anderen Versicherung für Rechnung wen es angeht nach § 48 genommen hat. Hier herrscht keine Klarheit darüber, ob ein gesetzliches Treuhandverhältnis überhaupt besteht, da auch eigenes Interesse versichert sein kann (dazu § 48 Rn. 24 ff.). Eine Verpflichtung des VN, die erlangte Versicherungssumme auszukehren, besteht in einem solchen Fall entsprechend nur, wenn sie sich aus einem anderweitigen Rechtsverhältnis zwischen VN und versicherter Person ergibt.35

26 BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 261, 264 = VersR 1975 703, 704 f.; OVG Münster 31.8.2012 – 4 A 119/07, BeckRS 2012 57715; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43–48 Rn. 13. 27 BGH 8.5.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013 853 f. 28 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 8. 29 BGH 22.5.2019 – IV ZR 73/18, NJW 2019 2534 Rn. 12. 30 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 §§ 43 bis 48 Rn. 14; a.A. BGH 29.4.1998 – IV ZR 21/97, NJW 1998 2449, 2450. 31 OLG Bremen 29.11.1977 – 1 U 121/77, VersR 1978 315; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 10 und 12; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 76 Rn. 7; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 §§ 43 bis 48 Rn. 14; Beckmann/MatuscheBeckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 111. 32 BGH 16.9.2016 – V ZR 29/16, VersR 2016 1564; BAG 17.6.1997 – 9 A ZR 839/95, NZA 1998 376, 377; OLG Oldenburg 6.12.1995 – 2 U 162/95, VersR 1996 1364, 1366; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 4. 33 ÖOGH 5.8.2003 – 7 Ob 147/03 y, VersR 2005 1267; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 15; mit alternativer Begründung (über § 667 BGB) auch Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 6; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 46 Rn. 11. 34 OLG Karlsruhe 17.12.1975 – 13 U 33/75, VersR 1976 239, 240; OLG Bremen 29.11.1977 – 1 U 121/77, VersR 1978 315; 316; OLG Hamm 3.1.2008 – 15 W 420/06, ZMR 2008 401, 402; Berliner Kommentar/Hübsch § 77 Rn. 6; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 113. 35 BGH 16.11.1967 – III ZR 12/67, VersR 1968 42; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 10; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 5. Brand

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Mit dem Tod der versicherten Person geht der Einziehungs- und Auskehrungsanspruch 14 auf ihre Erben über.36 Abtretung der Versicherungsforderung kann die versicherte Person nicht verlangen, da sie durch den Einziehungs- und Auskehrungsanspruch aus dem Treuhandverhältnis hinreichend geschützt ist.37 Einwendungen des VN aus dem motivierenden Schuldverhältnis muss sich die versicherte 15 Person entgegenhalten lassen. Dies betrifft zum einen Gegenrechte aus einem zwischen ihr und dem VN bestehenden schuldrechtlichen Vertrag. Dazu zählt auch die Frage, ob die (zur Geltendmachung seiner Ansprüche befugte) versicherte Person die Versicherungsleistung in einer bestimmten Weise verwenden darf.38 Zum anderen kann der VN – vorbehaltlich abweichender vertraglicher Abreden – gegenüber dem Anspruch der versicherten Person auf Auskehrung der vom VR gezahlten Entschädigung mit (sonstigen) eigenen Ansprüchen gegen sie aufrechnen. Ist der VN der versicherten Person aus demselben Unfall zum Schadensersatz verpflichtet, 16 hat er das Recht, eine Tilgungsbestimmung dahingehend zu treffen, dass die Entschädigungsleistung auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen ist.39 Der VN kann auch die Anrechnung auf Schadensersatzansprüche der versicherten Person gegen Dritte anordnen, wenn er am Schutz des Dritten ein berechtigtes Interesse hat. Die Anrechnung oder wenigstens deren Vorbehalt muss dabei spätestens bei Auszahlung erklärt sein.40 Etwas anders gilt in der Gruppenunfallversicherung, für die nach § 179 Abs. 2 vermutet wird, dass es sich um eine Versicherung für fremde Rechnung handelt. Hier steht der Schutzzweck einer zugunsten der Arbeitnehmer abgeschlossenen Versicherung, mit welcher der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht genügen will, der Anrechnung der Entschädigungsleistung auf eine vom Arbeitgeber geleistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entgegen.41

b) Grenzen. Ob der VN die Versicherung in jedem Fall in Anspruch nehmen oder eine eingezo- 17 gene Entschädigungsleistung an die versicherte Person auskehren muss, richtet sich danach, ob ein Fall der obligatorischen oder der freiwilligen Versicherung vorliegt. Ist der VN kraft Gesetzes verpflichtet, Versicherung für fremde Rechnung zu nehmen 18 (dazu auch Vor §§ 43–48 Rn. 52 ff.), muss er die Versicherung stets zugunsten der versicherten Person in Anspruch nehmen.42 Hier steht der Schutz des Dritten (der versicherten Person) so stark im Vordergrund, dass man auf das Recht auf eigennützige Motive des VN keine Rücksicht nehmen kann. Es steht diesem allerdings frei, der versicherten Person die Verfügungsbefugnis über deren Anspruch zu übertragen.43 Teilweise ist die versicherte Person parallel ermächtigt, die Rechte aus der Pflichtversicherung geltend zu machen (z.B. § 2 Abs. 3 KfzPflVV, Ziff. A 1.2 AKB 2015). Selbst wenn die versicherte Person einen „sicheren Anspruch“ auf Ersatz ihres Schadens hat – sei es gegenüber dem eigenen Haftpflichtversicherer, sei es gegenüber dem VR eines Dritten –, befreit dies den VN in der obligatorischen Versicherung nicht von seiner Einziehungsund Auskehrungspflicht.

36 BAG 21.2.1990 – 5 A ZR 169/89, NZA 1990 701, 702. 37 BGH 27.5.1998 – IV ZR 166/97, NJW 1998 2537, 2538; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43–48 Rn. 18. 38 BGH 12.2.1985 – X ZR 31/84, VersR 1985 679 = JZ 1985 798 m. Anm. Hoffmann; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 6; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 6. 39 BGH 13.1.1981 – VI ZR 180/79, VersR 1981 447; BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 260, 265 = VersR 1975 703, 704 f.; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 15; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Hübsch3 Vor §§ 43–48 Rn. 25. 40 BGH 13.1.1981 – VI ZR 180/79, VersR 1981 447. 41 BAG 17.6.1997 – 9 AZR 839/95, NZA 1998 376, 377; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 15. 42 BGH 7.11.1995 – XI ZR 261/94, BGHZ 131 151, 155 = NJW 1996 725; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 6; Prölss/ Martin/Klimke31 § 46 Rn. 9. 43 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 13; Martin VersR 1976 239, 240. 657

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Anders liegt der Fall in der freiwilligen Versicherung. Hier bleibt dem VN mehr Freiraum für die Wahrnehmung eigener Interessen. Er ist nicht zwingend aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis verpflichtet, die Versicherung in Anspruch zu nehmen, wenn die versicherte Person über einen eigenen sicheren Anspruch gegen einen anderen VR verfügt.44 In diesem Fall ist die versicherte Person nicht schutzbedürftig. Dem VN ist es folglich nicht zumutbar, die Nachteile, die mit einer Inanspruchnahme des VR in Form von Rabattverlusten, Prämienerhöhungen oder gar einer Kündigung verbunden sind, in Kauf zu nehmen. Bei kombinierter Eigen-/Fremdversicherung droht ihm sogar die Kürzung der eigenen Entschädigung. Das Gleiche gilt, wenn dem VN ein Recht zur Aufrechnung45 oder Anrechnung46 zusteht. 20 So wird für die Insassenunfallversicherung angenommen, dass der VN gegenüber dem Anspruch der versicherten Person (des verletzten Fahrzeuginsassen) auf Auskehrung der vom VR gezahlten Entschädigung mit einer eigenen Schadensersatzforderung aufrechnen kann, die ihm gegen die versicherten Person aus demselben Ereignis zusteht.47 In einem solchen Fall würde die versicherte Person gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sie vom VN verlangen würde, dass dieser ihr zunächst die erlangte Versicherungssumme unverzüglich aushändigt, um erst dann seine Forderung gegen sie geltend zu machen. Auch die Anrechnung der Versicherungssumme auf Ansprüche der versicherten Person gegen Dritte kann der VR nach zutreffender Ansicht des IV. Zivilsenats des BGH fordern, wenn er ein Interesse am Schutz des Dritten hat und die Anrechnung – oder zumindest die Absicht dazu – spätestens bei Auszahlung erklärt wird.48 Auch ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien kann den Anspruch auf Auskehrung 21 der Versicherungssumme modifizieren. So kann der VN bei einem Nießbrauch von der versicherten Person verlangen, dass die erlangte Versicherungssumme zur Wiederherstellung der Sache oder zur Beschaffung von Ersatz verwendet wird.49 Eine Wiederherstellungsklausel i.S.d. § 93 wirkt ebenfalls modifizierend auf den Auskehrungsanspruch ein. Hat ein Leasingnehmer Versicherung für Rechnung des Leasinggebers genommen, ist im Falle einer Beschädigung des geleasten Kfz der Anspruch des Leasinggebers solange gestundet, bis feststeht, dass der Leasingnehmer mit Versuchen, Entschädigung vom Kaskoversicherer zu erlangen, erfolglos bleibt.50 Man wird aber aus diesen Ausnahmefällen nicht schließen können, dass der VN bei freiwil22 liger Versicherung aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis überhaupt nicht zur Auskehrung etc. verpflichtet ist.51 Das gesetzliche Treuhandverhältnis ist ein Wesensmerkmal des Innenverhältnisses bei der Versicherung für fremde Rechnung, nicht nur eine Besonderheit in Fällen, in denen der VN verpflichtet ist, Versicherung für fremde Rechnung zu nehmen. Besteht etwa eine besondere Vertrauensbeziehung zwischen dem VN und der versicherten Person, kann das eigennützige Motive des VN ausblenden. Das ist insbes. bei der Mitversicherung von Familienangehörigen in der Privathaftpflicht- oder Hausratsversicherung der Fall. Hier sichern sich die Angehörigen im Vertrauen auf den bestehenden Versicherungsschutz nicht selbst ab, oder können dies wegen Minderjährigkeit gar nicht tun. Der VN ist entsprechend kraft des bestehenden 19

44 BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 260, 267 = VersR 1975 703, 704 f.; OLG Karlsruhe 17.12.1975 – 13 U 33/75, VersR 1976 239, 240; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 14; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 5; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 9; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 46 Rn. 9.1; Zuther VersR 1975 1114. 45 Langheid/Wandt/Dageförde2 § 46 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 46 Rn. 23. 46 Dazu Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 46 Rn. 24 bis 26; ferner Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 11. 47 BGH 4.4.1973 – IV ZR 130/71, VersR 1973 634; BGH 7.5.1975 – IV ZR 209/73, BGHZ 64 260, 265 = VersR 1975 703, 704 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 5; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 6; Prölss/Martin/ Klimke31 § 46 Rn. 10; a.A. noch OLG Oldenburg 2.12.1964 – 2 U 125/64, VersR 1965 78. 48 BGH 13.1.1981 – IV ZR 180/79, VersR 1981 447; zustimmend Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 11. 49 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 9; Kisch PVR III 538. 50 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 4; a.A. OLG Koblenz 31.10.1995 – 6 U 690/94, VersR 1997 627. 51 So aber wohl Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 14; einschränkend auch Deutsch/Iversen Versicherungsvertragsrecht Rn. 100; immerhin kritisch Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 22. Brand

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Treuhandverhältnisses zwischen ihm und seinen Angehörigen verpflichtet, die Versicherung in Anspruch zu nehmen und die erlangte Versicherungsleistung auszukehren.52 Das Treuhandverhältnis fällt erst fort, wenn die versicherte Person nach § 44 Abs. 2 zur 23 Verfügung über ihre Rechte aus dem Versicherungsvertrag befugt ist.53

2. Auskunftsverpflichtung Zur Sicherung des Herausgabeanspruchs kann die versicherte Person – sowohl bei der freiwilli- 24 gen als auch bei der obligatorischen Versicherung für fremde Rechnung – aus dem Treuhandverhältnis zum VN von diesem Auskunft über Existenz und Inhalt der Versicherung verlangen.54 Dazu gehört auch ein Hinweis darauf, dass die versicherte Person den VR selbständig in Anspruch nehmen kann, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.55 Hat ein Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer eine Gruppenunfallversicherung abgeschlossen und hat er ihnen in einer Vereinbarung mit dem VR das Recht eingeräumt, Versicherungsleistungen ohne seine Zustimmung unmittelbar gegenüber dem VR geltend zu machen, so hat er die betroffenen Arbeitnehmer unaufgefordert, d.h. von sich aus, von dieser Vereinbarung zu unterrichten.56 Neben die treuhänderische Auskunftspflicht kann eine vertragliche Auskunftspflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB treten.57 So kann der VN verpflichtet sein, die versicherte Person darüber zu unterrichten, bei wem er Versicherung genommen und welchen Inhalt der Vertrag hat.58 Vertragliche Auskunftspflichten sind von besonderer Bedeutung, was den Wegfall des Versicherungsschutzes anbelangt. Über diesen muss der VN die versicherte Person nämlich nicht ohne Weiteres aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis aufklären.59 In der D&O-Versicherung kommt es entsprechend entscheidend auf Aufklärungspflichten aus dem Anstellungsverhältnis an, wenn das Unternehmen als VN den Versicherungsvertrag kündigt.60 Wurde der VN beauftragt, Versicherung für fremde Rechnung zu nehmen, hat die versicherte Person einen Anspruch auf Benachrichtigung, Auskunft und Rechnungslegung aus § 666 BGB. Die Auskunftspflicht des VN gegenüber der versicherten Person, macht es ihm unmöglich, 25 prozessual den Vortrag des VR zum Inhalt des Versicherungsverhältnisses mit Nichtwissen zu bestreiten.61

3. Verpflichtung zum Schadensersatz Versäumt es der VN, nach Eintritt des Versicherungsfalls seiner Einziehungs- oder Auskehrungs- 26 pflicht zu genügen, verzichtet er auf Rechte aus dem Versicherungsvertrag oder trifft er mit dem VR eine Vereinbarung im Hinblick auf die Höhe der Entschädigungsforderung, die für die versicherte Person nachteilig ist, kann dieser ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung 52 Ebenso Nießen 161. 53 Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 118. 54 BGH 12.6.1991 – XII ZR 17/90, NJW 1991 3031, 3032 (Gebäudeversicherung); BGH 12.12.1990 – IV ZR 213/89, BGHZ 113 151, 154 = VersR 1991 299, 300 f. (Vertrauenschadenversicherung); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 17; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 111; a.A. LG Bonn 24.10.1975 – 2 O 283/75, VersR 1976 260. 55 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 4. 56 BAG 26.7.2007 – 8 AZR 707/06, VersR 2008 558. 57 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 7; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 15; vgl. auch Nießen 173. 58 LG Wiesbaden 26.3.1968 – 1 S 100/68, VersR 1969 824, 825. 59 Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 15. 60 Thomas VersR 2010 281, 282 ff., insbes. 289. 61 BGH 13.12.2006 – IV ZR 261/04 (juris). 659

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Rechte zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem

des gesetzlichen Treuhandverhältnisses zustehen.62 Anspruchsgrundlage ist unmittelbar das gesetzliche Treuhandverhältnis i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB, da es sich bei dem Treuhandverhältnis um ein gesetzliches Schuldverhältnis handelt.63 Die Pflicht zum Schadensersatz gilt auch dann, wenn der VN der versicherten Person gegenüber nicht zum Abschluss des Versicherungsvertrags verpflichtet war. Insoweit dies bestritten wird,64 liegt dem ein Fehlverständnis über die Reichweite des gesetzlichen Treuhandverhältnisses zugrunde (vgl. oben Rn. 22). Ein Verzicht des VN auf Rechte gegenüber dem VR löst dann keinen Schadensersatzanspruch der versicherten Person aus, wenn der Verzicht im Lichte des Innenverhältnisses gesehen, auch im Interesse der versicherten Person lag.65 Der versicherten Person kann auch dann ein Schadensersatzanspruch aus dem gesetzlichen 27 Treuhandverhältnis zustehen, wenn der VN eine Obliegenheit verletzt oder einen subjektiven Risikoausschluss erfüllt (z.B. § 81) und die versicherte Person dadurch ihren Anspruch verliert.66 Das Gleiche gilt, wenn der VN auf die Leistung des VR ohne Sachgrund verzichtet67 oder eine Frist zur Geltendmachung der Versicherungsforderung versäumt,68 er die Forderung nicht an die versicherte Person weiterleitet, sondern an den VR zurück überweist,69 oder wenn der VN mit dem VR kollusiv zum Nachteil der versicherten Person zusammenwirkt, indem der VR etwa die Versicherungssumme an den VN in dem sicheren Wissen auskehrt, dass letzterer die Summe nicht an die versicherte Person weiterleiten wird.70 Ferner kann die versicherte Person vom VN Schadensersatz verlangen, wenn dieser eine Auskunftspflicht verletzt und die versicherte Person selbst für Versicherungsschutz sorgt, weil sie von der Versicherung für fremde Rechnung nichts weiß.71 Hinsichtlich des Verschuldens des VN im Rahmen des Anspruchs der versicherten Person auf Schadensersatz gelten die allgemeinen Regeln der §§ 276, 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Ist der VN im Rahmen einer freiwilligen Versicherung für fremde Rechnung verpflichtet, die Ansprüche der versicherten Person geltend zu machen, haftet er bei der Verletzung dieser Pflicht privilegiert analog § 521 BGB nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz.72 Bei freiwilliger Mitversicherung von Familienangehörigen haftet der VN aufgrund derselben Überlegung analog der familienrechtlichen Bestimmungen (§§ 1359, 1664 BGB) nur für die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten. 28 Bei unberechtigter Verfügung des VN über den Anspruch der versicherten Person, kann diese wegen Eingriffs in ihre Forderungszuständigkeit in einem absoluten Recht nach § 823 Abs. 1 BGB verletzt sein.73 Auch im Übrigen haftet der VN der versicherten Person deliktisch. Liegen die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung vor, kann sich

62 BGH 23.4.1963 – VI ZR 142/62, VersR 1963 521, 522; OLG Köln 18.10.1989 – 11 U 327/88, VersR 1990 847, 848; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 4; a.A. KG 29.7.1954 – 4 W 2011/54, VersR 1954 454. 63 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 116. 64 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 8. 65 BGH 8.5.2013 – IV ZR 233/11, VersR 2013 853, 855 m Anm. Wandt; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 8; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 13. 66 BGH 10.10.1985 – I ZR 124/83, VersR 1986 285, 286; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 46 Rn. 28. 67 BGH 23.4.1963 –VI ZR 142/62, VersR 1963 521 = NJW 1963 1201, 1202; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 4. 68 BAG 26.7.2007 – 8 AZR 707/06, VersR 2008 558. 69 OLG Köln 18.10.1989 – 11 U 327/88, VersR 1990 847; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 8. 70 OLG Hamm 12.9.2001 – 20 U 48/01, RuS 2002 145, 146; LG Berlin 15.9.1983 – 7 O 630/82, VersR 1984 250; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 8; Schwan 71; a.A. Nießen 179. 71 Bruck/Möller/Sieg9 § 77 Anm. 32; Kisch PVR III 533 f. 72 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 18; Nießen 176; noch unter Annahme einer GoA im Verhältnis VN – versicherte Person: BGH 8.2.1960 – II ZR 136/58, BGHZ 32 44, 52 = NJW 1960 912. 73 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 5. Brand

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E. Rechte des Versicherungsnehmers nach § 46

VVG § 46

die versicherte Person dem VN gegenüber auch auf § 826 BGB berufen.74 Besteht zwischen ihr und dem VN neben dem Treuhandverhältnis noch ein vertragliches Schuldverhältnis, kann die versicherte Person zusätzlich aufgrund dieses Rechtsverhältnisses Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB verlangen.75

E. Rechte des Versicherungsnehmers nach § 46 I. Zurückbehaltungsrecht (Satz 1) Nach § 46 Satz 1 muss der VN den Versicherungsschein an die versicherte Person nur herausge- 29 ben, wenn er wegen seiner Ansprüche, die ihm in Bezug auf die versicherte Sache zustehen, befriedigt worden ist. § 46 begründet ein Zurückbehaltungsrecht des VN gegenüber dem Anspruch der versicherten Person auf Herausgabe des Versicherungsscheins. Dieser Anspruch ergibt sich nicht aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis zwischen VN und versicherter Person, wie die Existenz der Regel des § 44 Abs. 1 Satz 2 belegt. Er besteht nur, wenn ein weiteres Schuldverhältnis zwischen beiden dies anordnet.76 Ein Anspruch der versicherten Person auf Übermittlung des Versicherungsscheins geht also entgegen dem Wortlaut des § 46 Satz 1 („ist nicht verpflichtet“) nicht unter, sondern ist nur einredebehaftet. Wegen der in zahlreichen AVB geregelten (ausschließlichen) Einziehungsbefugnis des VN hat das Zurückbehaltungsrecht nach § 46 Satz 1 nur eine geringe praktische Bedeutung.

1. Erfasste Ansprüche Bei den Ansprüchen, gegen die der VN das Zurückbehaltungsrecht geltend machen kann, muss 30 es sich um Ansprüche aus dem Innenverhältnis zwischen ihm und der versicherten Person handeln.77 Bei einem Lagerhalter kommen als solche etwa die Ansprüche auf das Lagergeld und den Ersatz der Auslagen für den Versicherungsschutz (z.B. Provisionen für die Versicherungnahme, Steuerauslagen etc.) in Betracht. Ist das Innenverhältnis als Auftrag, Geschäftsbesorgung oder Geschäftsführung ohne Auftrag i.S.d. § 683 BGB zu qualifizieren, können sich Ansprüche auf Grundlage von § 670 BGB ergeben. Dabei ist es gleichgültig, ob die fremdnützige Geschäftsbesorgung selbständig besteht oder in umfassendere Rechtsverhältnisse (z.B. Kommission, Frachtgeschäft, Lagergeschäft, Kauf, Werkvertrag, Übertragung der Vermögensverwaltung durch einen Ehegatten auf den anderen) eingebettet ist. Ansprüche können sich auch aus dem Gesellschaftsrecht ergeben, etwa wenn ein Verein Versicherung für seine Mitglieder nimmt. Ist die versicherte Person vertraglich oder kraft Gesetzes zum Ersatz verpflichtet, geht der Anspruch des VN nicht unter, wenn die versicherte Person die Versicherungsleistung nach § 333 BGB zurückweist.78 § 46 Satz 1 gilt auch, wenn Gläubiger der versicherten Person deren Ansprüche aus dem Innenverhältnis zum VN haben pfänden lassen.79 Ihnen können nicht mehr Rechte zustehen als der versicherten Person selbst. 74 LG Berlin 15.9.1983 – 7 O 630/82, VersR 1984 250, 251 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 8; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 16; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 Vor §§ 43–48 Rn. 28. 75 BGH 23.4.1963 – VI ZR 142/62, VersR 1963 521, 522 f.; BGH 10.10.1985 – I ZR 124/83, VersR 1986 285, 286; KG 29.7.1954 – 4 W 2011/54, VersR 1954 454; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 3; Langheid/Rixecker/ Rixecker6 § 46 Rn. 4. 76 Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 115. 77 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 19; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 46 Rn. 2. 78 Bruck/Möller/Sieg8 § 77 Anm. 2. 79 Ritter/Abraham2 § 55 ADS Anm. 8. 661

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Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht80 besteht das Zurückbehaltungsrecht des VN aus § 46 Satz 1 auch wegen solcher Ansprüche des VN, die nichts mit dem Versicherungsverhältnis zu tun haben, aber einen Bezug zur versicherten Sache haben. Zu denken ist bspw. an eine Forderung, für welche die versicherte Sache als Gegenstand eines Pfandrechts haftet im Gegensatz etwa zum Anspruch auf Erstattung gezahlter Prämien.81 Dafür spricht vor allem der Wortlaut des § 46 Satz 1. Anders als § 273 Abs. 1 BGB, in dem einschränkend von „demselben rechtlichen Verhältnis“ die Rede ist, aus dem die fraglichen Ansprüche herrühren müssen, lässt § 46 Satz 1 Ansprüche mit „Bezug zur versicherten Sache“ genügen. Praktisch ist diese Auslegungsfrage bisher nicht relevant geworden. Dass dieser abweichende Wortlaut historisch bedingt ist (Herkunft aus dem ehemaligen § 888 Satz 1 HGB) und im HGB vor 1908 möglicherweise anders zu lesen war, ist insofern unbeachtlich, da der Reformgesetzgeber von 2008 den Wortlaut überarbeitet, also in seinen Willen aufgenommen, den „Bezug zur versicherten Sache“ aber unverändert gelassen hat. Es ist allerdings anzumerken, dass der Wortlaut zu eng geraten ist. Da die Regelung des § 46 Satz 1 seit der Neukodifikation von 2008 Bestandteil der Allgemeinen Bestimmungen des VVG ist, hätte sich statt des Bezugs zur „versicherten Sache“ der Bezug zum „versicherten Interesse“ als Anknüpfungspunkt angeboten. Die Vorschrift ist entsprechend zu lesen.82 An einem Anspruch mangelt es, wenn das Innenverhältnis eine Schenkung ist (vgl. auch 32 § 685 BGB) oder einen bestimmten familienrechtlichen Hintergrund hat (z.B. wenn der gesetzliche Vertreter im eigenen Namen Sachen seines Kindes für dessen Rechnung versichert, um dem Kind die Prämien zu ersparen). 31

2. Voraussetzungen und Wirkungen 33 Anders als § 273 Abs. 1 BGB setzt § 46 Satz 1 nicht voraus, dass der Anspruch des VN fällig ist.83 Das würde der Interessenlage nicht entsprechen, da die Ansprüche des VN aus dem Innenverhältnis oft erst in der Zukunft entstehen. Sein Schutz wäre lückenhaft, hinge er von der Fälligkeit ab. Dass § 46 Satz 2, der auf die Ansprüche in Satz 1 Bezug nimmt, nur fällige Ansprüche meinen kann, ist unerheblich, da in Satz 2 lediglich ein Ausschnitt der von Satz 1 erfassten Sachverhalte geregelt wird. Das Zurückbehaltungsrecht nach Satz 1 verlangt aber, dass ein Anspruch der versicherten 34 Person gegen den VN auf Herausgabe des Versicherungsscheins besteht. Ein solcher Anspruch kann sich nur aus dem Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person ergeben. Lässt sich aus diesem Verhältnis kein Anspruch herleiten, kann der VN bereits deswegen die Herausgabe des Versicherungsscheins verweigern. § 46 Satz 1 ist dann nicht anwendbar – einer Anwendung bedarf es auch nicht. Das Zurückbehaltungsrecht nach § 46 Satz 1 kann abweichend von § 273 Abs. 3 BGB nicht 35 durch Sicherheitsleistung abgewendet werden.84 Das ergibt sich aus der engen Verbindung des Zurückbehaltungsrechts mit dem Befriedigungsvorrecht aus Satz 2. Diese Verbindung lässt 80 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 6; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 19; Ritter/Abraham2 § 55 ADS Anm. 4.

81 Wie hier Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 20; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 46 Rn. 4; Kisch PVR III 546; unklar Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 46 Rn. 2. 82 So auch Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 46 Rn. 2; Nießen 183; Ruscher 57; a.A. (allerdings zum alten Recht, in dem die Versicherung für fremde Rechnung noch nicht im Allgemeinen Teil geregelt war) Thiel VersR 1955 726, 728. 83 BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 46 Rn. 4; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 19; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 18; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 46 Rn. 3; Ehrenzweig 222; Trautmann 115; a.A. Ritter/Abraham2 § 55 ADS Anm. 5; Lenné 193. 84 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 19; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 18; Staudinger/Halm/Wendt/ Schramm/Kassing2 § 46 Rn. 4; Ehrenzweig 222; Nießen 184; a.A. Trautmann 115. Brand

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E. Rechte des Versicherungsnehmers nach § 46

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darauf schließen, dass der Gesetzgeber auf eine zügige Erledigung des Innenverhältnisses abzielt. Eine Abwendungsbefugnis der versicherten Person stünde dem im Wege. Außerdem ließe sich die Höhe der Sicherheitsleistung im Gegensatz zu § 273 Abs. 3 BGB möglicherweise nicht immer mit hinreichender Sicherheit (z.B. hinsichtlich der Zinsen) bestimmen, da die Ansprüche des VN, um die es in § 46 Satz 1 geht, nicht zwingend fällig sein müssen. Obwohl der Wortlaut des § 46 den Zusammenhang verdunkelt, ergeben sich die Wirkungen des Zurückbehaltungsrechts nach § 46 Satz 1 aus § 274 BGB. Der VN gewinnt eine Einrede, deren Voraussetzungen er im Prozess beweisen muss. Beruft sich der VN erfolgreich auf sein Zurückbehaltungsrecht, führt dies zur Verurteilung Zug um Zug. Letzteres gilt nicht nur, wenn Gegenstand der Klage der versicherten Person die Herausgabe des Versicherungsscheins ist, sondern auch dann, wenn er auf Zustimmung (§ 44 Abs. 2) klagt: Auch Urteile auf Abgabe einer Willenserklärung können die Leistung des Schuldners von einer Gegenleistung des Gläubigers abhängig machen, wovon § 894 Abs. 1 Satz 2 ZPO ausgeht, der für diesen Fall die Vollstreckungsmodalitäten regelt. § 46 Satz 1 ist keine abschließende Regelung. Daneben kann sich der VN auch auf die bürgerlich-rechtlichen Zurückbehaltungsrechte aus §§ 273, 320 BGB sowie auf das Zurückbehaltungsrecht aus § 369 HGB berufen, letzteres wenn der Versicherungsschein Order- oder Inhaberpapier ist.85 Die Regelung des § 46 Satz 1 ist erweiternd auszulegen.86 Es geht um den Zugriff auf die Grundlage der Geltendmachung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag. Da im Rahmen des § 44 Abs. 2 die Zustimmung durch den VN dem Besitz des Versicherungsscheins gleichsteht (s. § 44 Rn. 30 und 33), muss dies auch im Rahmen des § 46 Satz 1 der Fall sein. Bei laufender Versicherung ist § 46 Satz 1 auch auf die Herausgabe der Einzelpolice anzuwenden. Die Regel des § 46 Satz 1 hat besondere Bedeutung, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der versicherten Person eröffnet worden ist.87 Dann verhindert das Zurückbehaltungsrecht des VN – anders als dasjenige nach § 273 BGB, welches in der Insolvenz regelmäßig keinen Bestand hat –, dass der Insolvenzverwalter gem. § 985 BGB den Versicherungsschein, dessen Eigentümer nach § 952 Abs. 2 BGB die versicherte Person als Gemeinschuldner ist, herausverlangen und damit die Verfügungsbefugnis erlangen kann.

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II. Befriedigungsvorrecht (Satz 2) 1. Grundlagen Das Befriedigungsrecht des VN aus § 46 Satz 2 ist ein pfandähnliches Vorzugsrecht88 und besteht 40 innerhalb und außerhalb eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der versicherten Person. Es ist aber als pfandähnliches Recht untrennbar mit der Stellung als VN verbunden. Versuchen Gläubiger des VN, es zu pfänden oder versucht dieser, es abzutreten, so erlischt das Befriedigungsvorrecht. Das Gleiche gilt, wenn der VN die Versicherungsforderung erlässt. Pfändet hingegen ein Gläubiger der versicherten Person die Versicherungsforderung, ändert dies nichts an der Verfügungsbefugnis des VN und seinem Befriedigungsvorrecht nach § 46 Satz 2. Es gilt das zu Satz 1 Gesagte: Der Gläubiger der versicherten Person kann nicht mehr Rechte haben als diese selbst. Kraft seines Befriedigungsvorrechts nach § 46 Satz 2 kann der VN die Versicherungsleistung 41 einziehen. Die Einziehung bewirkt, dass der VN in Höhe seiner Ansprüche gegen die versicher85 ÖOGH 1.3.1960 – 3 Ob 398/59, VersR 1960 454, 455; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 46 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 21; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 46 Rn. 1; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 18; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 46 Rn. 4. 86 Ebenso Bruck/Möller/Sieg8 § 77 Anm. 12; Nießen 181. 87 Bruck/Möller/Sieg8 §§ 75, 76 Anm. 14; Kisch PVR III 598. 88 Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 20; Ch. Brand NZI 2017 518, 519. 663

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te Person entsprechend § 1288 Abs. 2 BGB befriedigt wird. Er muss lediglich den Überschuss an die versicherte Person, an deren Gläubiger oder an die Insolvenzmasse auskehren.89 Voraussetzung ist allerdings, dass er gem. § 45 Abs. 2 berechtigt ist, die Versicherungsleistung entgegenzunehmen.90 Ist dies der Fall, ersetzt § 46 Satz 2 die Zustimmung der versicherten Person nach § 45 Abs. 3. Auch seine Zustimmung zur Auszahlung der Entschädigung an die versicherte Person kann der VN so lange verweigern, wie seine Ansprüche bzgl. der versicherten Sache noch nicht befriedigt sind. Vor Einziehung der Versicherungsforderung kann der VN sein Befriedigungsvorrecht dahingehend nutzen, dass er die Versicherungsforderung abtritt oder pfänden lässt, ohne dabei die für die Verwertung eines Pfandrechts geltenden Vorschriften der §§ 1281 ff. BGB einhalten zu müssen. 42 Zu den Gläubigern der versicherten Person kann auch der VR zählen. Ist dies der Fall, folgt aus dem Befriedigungsvorrecht des VN, dass der VR dem VN gegenüber nicht mit Forderungen aufrechnen kann, die ihm gegenüber der versicherten Person zustehen. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht91 geht das Aufrechnungsrecht des VR aus § 35 dem Befriedigungsvorrecht des VN aus § 46 Satz 2 also nicht vor.92 Handelt es sich bei dem Innenverhältnis von VN und versicherter Person um ein Kommis43 sionsgeschäft, steht dem VN neben93 dem Befriedigungsvorrecht aus § 46 Satz 2 auch das Befriedigungsvorrecht nach § 399 HGB zu. Dieses reicht weiter als § 46 Satz 2, da es sämtliche „Forderungen, welche durch das für Rechnung des Kommittenten geschlossene Geschäft begründet werden“ und nicht nur solche „mit Bezug zur versicherten Sache“ erfasst. Voraussetzung ist allerdings, dass die Forderungen dem VN als Kommissionär zustehen, was regelmäßig der Fall sein dürfte.

2. Insolvenz der versicherten Person 44 In der Insolvenz der versicherten Person gewährt § 46 Satz 2 dem VN wegen des pfandrechtsähnlichen Charakters des Befriedigungsvorrechts ein Recht auf abgesonderte Befriedigung94 und zwar nicht nur an der Versicherungsforderung, sondern analog § 1289 BGB auch an den Zinsen, die darauf entfallen. Ein gleichzeitig bestehendes Absonderungsrecht des geschädigten Dritten nach § 50 InsO ist allerdings vorrangig.95 Mit Hilfe des zurückgehaltenen Versicherungsscheins kann er seine Ansprüche aus dem Innenverhältnis einziehen, ohne dass er insoweit einer Zustimmung der versicherten Person nach § 45 Abs. 3 bedürfte. Der Insolvenzverwalter kann den Versicherungsschein oder die Zustimmung zur Einziehung nur dann vom VN verlangen, wenn er diesen aus der Masse befriedigt.96 Den Betrag, der die Ansprüche des VN übersteigt, hat dieser an die Insolvenzmasse abzuführen. Ist der VN nach § 46 Satz 2 zur Einziehung berechtigt, kann er sich wegen einer Einziehung nicht nach §§ 283 ff. StGB strafbar machen.97 45 Hat der VN den Versicherungsschein an den Insolvenzverwalter herausgegeben und dieser daraufhin die Forderung gegen den VR eingezogen, handelt es sich nach § 55 Abs. 1 Satz 3 89 ÖOGH 29.11.1962 – 2 Ob 238/62, VersR 1964 1161; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 46 Rn. 5; Nießen 187.

90 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 22; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 20. 91 Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 46 Rn. 3. 92 Wie hier Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 22; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 20; Ritter/Abraham2 § 55 ADS Anm. 13.

93 Wie hier Ritter/Abraham2 § 55 ADS Anm. 16; a.A. Lenné 201. 94 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 23; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 46 Rn. 3; MüKoInsO /Ganter4 § 51 Rn. 233; Ch. Brand NZI 2017 518, 519; zum früheren Konkursrecht bereits Bruck/Möller/Sieg8 § 77 Anm. 15.

95 Uhlenbrock15 § 50 InsO Rn. 47; Nießen 188. 96 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 23; Ritter/Abraham2 § 55 ADS Anm. 14; Kisch PVR III 548. 97 Ch. Brand NZI 2017 518, 519; die Wirkung des § 46 Satz 2 übersieht BGH 9.3.2017 – 3 StR 424/16, NZI 2017 542. Brand

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G. Auslandsrechte/PEICL

VVG § 46

InsO um eine Masseverbindlichkeit.98 Ist die Entschädigung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die versicherte Person gezahlt worden, steht dem VN analog § 48 Satz 2 InsO ein Ersatzabsonderungsrecht zu.99

3. Insolvenz des Versicherungsnehmers Nicht geregelt in § 46 ist die Stellung der versicherten Person in der Insolvenz des VN. Dort 46 hat sie ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO, da ihr Anspruch gegen den VR nicht in die Insolvenzmasse des VN fällt (siehe auch § 44 Rn. 32).100 Das gilt auch dann, wenn die Versicherungsforderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf das Konto des Gemeinschuldners überwiesen wurde.101 Der VN fungiert insoweit als Treuhänder der versicherten Person. Mit der Zahlung an den VN wird der VR von seiner Verpflichtung zur Leistung frei. Die Versicherungssumme bleibt jedoch treuhänderisch gebundenes Vermögen des VN, auf das sich die Beschlagnahmewirkung des Insolvenzverfahrens nicht erstreckt.102 Der Insolvenzverwalter kann nicht über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag verfügen, weil sie nicht zum Vermögen gehören, das der Gesamtvollstreckung unterworfen ist. Er kann aber mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Rechte des VN aus § 46 geltend machen.103

F. Abdingbarkeit § 46 ist mit keiner Form von zwingendem Charakter ausgestattet und daher frei abdingbar.104 47

G. Auslandsrechte/PEICL Mit seiner Entscheidung, zumindest einen eng begrenzten Teil des Innenverhältnisses zwischen 48 VN und versicherter Person zu regeln, steht das deutsche Recht fast noch exponiert (vgl. aber § 77 ÖVersVG). Verbreitet wird das Verhältnis zwischen VN und versicherter Person überhaupt nicht geregelt, sondern den allgemeinen Bestimmungen des Zivilrechts überlassen.105 Üblicherweise vertrauen andere Rechtsordnungen, anders als das deutsche VVG nach § 46 Satz 1, auch den Zurückbehaltungsrechten des allgemeinen Zivilrechts. Der deutsche „Sonderweg“ ist wohl damit zu erklären, dass das VVG mit der Versicherung für fremde Rechnung – auch was die Regelungsmaterie des § 46 anbelangt – eher seeversicherungsrechtlichen (dazu oben Rn. 1) als bürgerlich-rechtlichen Vorbildern folgt. Den meisten europäischen Rechtsordnungen folgend, regeln auch die PEICL das Innenver- 49 hältnis zwischen VN und versicherter Person nicht. Es gelten nach dem Verweis in Art. 1–105 Abs. 2 die allgemeinen Vorschriften der PECL.

98 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 24; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 20; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Hübsch3 § 46 Rn. 3. 99 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 24; MünchKoInsO/Ganter4 § 51 Rn. 233. 100 BGH 28.10.1953 – II ZR 240/52, BGHZ 10 376, 384 = NJW 1953 1825; BGH 16.7.2014 – IV ZR 88/13, VersR 2014 1118 = NJW 2014 3030 Rn. 11; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 46 Rn. 3; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 46 Rn. 2. 101 OLG Celle 1.10.1953 – II ZR 240/52, VersR 1953 489. 102 Braun/Bäuerle8 § 47 InsO Rn. 89; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 46 Rn. 2. 103 Braun/Bäuerle8 § 47 InsO Rn. 82; Nießen 181. 104 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 46 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 46 Rn. 25; Prölss/Martin/Klimke31 § 46 Rn. 21. 105 Für das schweizerische Recht schon Corrodi 149 f. 665

Brand

§ 47 Kenntnis und Verhalten des Versicherten (1) Soweit die Kenntnis und das Verhalten des Versicherungsnehmers von rechtlicher Bedeutung sind, sind bei der Versicherung für fremde Rechnung auch die Kenntnis und das Verhalten des Versicherten zu berücksichtigen. (2) 1Die Kenntnis des Versicherten ist nicht zu berücksichtigen, wenn der Vertrag ohne sein Wissen geschlossen worden ist oder ihm eine rechtzeitige Benachrichtigung des Versicherungsnehmers nicht möglich oder nicht zumutbar war. 2Der Versicherer braucht den Einwand, dass der Vertrag ohne Wissen des Versicherten geschlossen worden ist, nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn der Versicherungsnehmer den Vertrag ohne Auftrag des Versicherten geschlossen und bei Vertragsschluss dem Versicherer nicht angezeigt hat, dass er den Vertrag ohne Auftrag des Versicherten schließt.

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Vor §§ 43–48) Cremer Die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten und Pflichten bei der Versicherung für fremde Rechnung durch den Versicherungsnehmer und den Versicherten (1935); Dreher/Thomas Die D&O-Versicherung nach der VVG-Novelle 2008, ZGR 2009 31; Gruneke Versicherte Gefahr und Anzeigepflicht in der privaten Krankenversicherung, Diss. Köln 1965; Gädtke Der Schutz gutgläubiger Organmitglieder bei Anfechtung des Versicherers, RuS 2013 313; Hofmann Die Rechtsstellung des Verletzten in der Insassenunfallversicherung für fremde Rechnung, VersR 1960 97; Ihlas D&O, 2. Aufl. (2009); Klimke Täuschungsanfechtung bei der Fremdversicherung, 100 Jahre Hamburger Seminar für Versicherungswissenschaft (2016) 151; Knappmann Die Zurechnung des Verhaltens Dritter zu Lasten des Versicherungsnehmers, VersR 1997 261; Koch Die Rechtsstellung der Gesellschaft und des Organmitglieds in der D&O-Versicherung, GmbHR 2004 160; Krause Der Begriff des versicherten Interesses und seine Auswirkungen auf die Versicherung für fremde Rechnung (1997); Lange Zur vorvertraglichen Anzeigepflicht in der D&O Versicherung, VersR 2006 605; Langheid/Grote Deckungsfragen der D&O-Versicherung, VersR 2005 1165; Millauer Rechtsgrundsätze der Gruppenversicherung, 2. Aufl. (1966); Möller Die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter (1939); Olbrich Die D&O-Versicherung in Deutschland (2003); Ruscher Die Besonderheiten des Versicherungsanspruchs bei der Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Köln 1969; Schirmer Zur Vereinbarung von Obliegenheiten zu Lasten Dritter insbesondere in Verträgen zu ihren Gunsten, Festschrift R. Schmidt (1976) 821; ders. Die Rechtsstellung mitversicherter Personen in der Haftpflichtversicherung, Festschrift Sieg (1976) 451; ders. Neuere Entwicklungstendenzen in der Versicherung für fremde Rechnung, ZVersWiss 1981 121; Winterling/ Herzenetter Vorvertragliche Anzeigepflichten in der D&O-Versicherung, VW 2007 1792.

Übersicht 1

A.

Normgeschichte

B.

Normzweck und -aufbau

C.

Tatbestand

I.

Gleichstellung von Versichertem und Versiche10 rungsnehmer (Absatz 1) 10 Regelungsgehalt 13 Rechtsnatur 22 Anwendungsbereich

1. 2. 3.

3

2.

10

1.

Ausnahmen von der Beachtlichkeit der Kennt25 nis (Absatz 2) Fehlendes Wissen vom Versicherungsver25 trag

Brand https://doi.org/10.1515/9783110522624-031

35

D.

Rechtsfolgen

I. 1. 2.

36 Reine Fremdversicherung 36 Grundlagen Obliegenheitsverletzung der versicherten Per41 son Kenntnis, Rechtspflichts- oder Obliegenheitsver42 letzung des Versicherungsnehmers 46 Subjektive Risikoausschlüsse

3. II.

a) Grundsatz (Absatz 2 Satz 1) 25 30 b) Rückausnahme (Absatz 2 Satz 2) Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Be32 nachrichtigung (Absatz 2 Satz 1 Alt. 2)

4.

666

VVG § 47

B. Normzweck und -aufbau

II. 1. 2.

Kombinierte Eigen- und Fremdversiche47 rung 48 Fehlverhalten der versicherten Person Fehlverhalten des Versicherungsneh49 mers a) Auswirkungen auf den Eigenversicherungs49 schutz b) Auswirkungen auf den Fremdversiche50 rungsschutz

56

E.

Sonderregeln

F.

Beweislast

G.

Abdingbarkeit

H.

Auslandsrecht/PEICL

58 59 62

A. Normgeschichte § 47 Abs. 1 entspricht weitgehend § 79 Abs. 1 a.F. Er enthält allerdings eine wichtige sprachliche 1 Änderung. Der Versicherte haftet für eigenes Fehlverhalten nach Absatz 1 nicht mehr nur, soweit Kenntnis und Verhalten nach „den Vorschriften dieses Gesetzes“ bedeutsam sind. § 47 Abs. 2 Satz 1 stimmt sachlich mit § 79 Abs. 2 a.F. überein. An die Stelle des unklaren und veralteten Begriffs „nicht tunlich“ in § 79 Abs. 2 Alt. 2 a.F. ist die modernere, inhaltsgleiche Formulierung „nicht möglich oder nicht zumutbar“ in § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 getreten. § 47 Abs. 2 Satz 2 nimmt die Regelung des § 79 Abs. 3 a.F. wegen engen Sachzusammenhangs in den zweiten Absatz der Regelung auf und vereinfacht die bisherige Regelung sprachlich.1 § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 ist nach wie vor unglücklich gestellt. Die Normfassung verdunkelt 2 den Zusammenhang zwischen Alternative 1 und Absatz 2 Satz 2. Das ist noch immer Folge der Rechtsänderung durch die Verordnungen vom 19.12.1939 und 28.12.1942, die den Normvorgänger des § 47 Abs. 1 neu fassten und seinen Anwendungsbereich erweiterten, die Normvorgänger des Absatz 2 allerdings unverändert ließen. Da der Reformgesetzgeber § 47 Abs. 2 ohnehin umgestaltet hat, hätte er den Zusammenhang der Vorschriften, der auch in der Neufassung schwer verständlich ist, klarer machen können.

B. Normzweck und -aufbau Die Regeln des § 47 dienen dem Schutz des VR. Es handelt sich um eine besondere Einstands- 3 pflicht des VN und der versicherten Person für deren Kenntnis und Verhalten, welche die Zurechnungsregel des § 334 BGB ergänzt. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die für die Versicherung für fremde Rechnung typische Trennung der Rechtsinhaberschaft (Versicherter) von der Geltendmachung des Anspruchs (VN) die Rechtsstellung des VR nicht verschlechtert.2 Zu diesem Zweck sollen Kenntnis und Verhalten der versicherten Person dieselbe rechtliche 4 Bedeutung haben wie Kenntnis und Verhalten des VN, und zwar unabhängig davon, ob sie auch Repräsentant, Wissens- oder Wissenserklärungsvertreter des VN ist.3 Käme es nicht zu einer solchen Zurechnung, könnten sich die VN herausgefordert fühlen, niemals selbst oder durch einen Vertreter Versicherung zu nehmen, sondern stattdessen stets die Rolle einer versicherten Person in einer Versicherung für fremde Rechnung einzunehmen und den VN schlecht zu instruieren, um für ihr Verhalten und ihre Kenntnis nicht einstehen zu müssen.4 Kenntnis spielt bei den Obliegenheiten vor (z.B. Anzeigeobliegenheiten nach §§ 19 ff.) und nach Eintritt 1 Begr. RegE BTDrucks. 16/3945 S. 73; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 2. 2 So auch Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 47 Rn. 1; Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 1; Staudinger/Halm/Wendt/ Schramm/Kassing2 § 47 Rn. 1.

3 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 47 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 47 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 1.

4 Ehrenberg 194; Ehrenzweig 216; Imseng 45. 667

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§ 47 VVG

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6

7

8

9

Kenntnis und Verhalten des Versicherten

des Versicherungsfalls (Rettungsobliegenheiten nach § 82) eine Rolle. Die Frage nach der Verantwortlichkeit für Verhalten betrifft neben den Obliegenheiten auch subjektive Risikoausschlüsse wie die Herbeiführung des Versicherungsfalls (u.a. § 81).5 Die Trennung der Rechtsinhaberschaft von der Verfügungsbefugnis bei der Versicherung für fremde Rechnung darf auch nicht dazu führen, dass der VR besser steht als im ZweiPersonen-Verhältnis. Daher muss jede Vorschrift, die von Kenntnis oder Verhalten des VN spricht, daraufhin überprüft werden, inwieweit sie auch ein Verhalten bzw. die Kenntnis der versicherten Person sanktioniert.6 § 47 Abs. 2 Satz 1 trifft zwei Ausnahmeregeln, was die Beachtlichkeit von Kenntnis nach Absatz 1 anbelangt. Auf die Kenntnis der versicherten Person soll es zum einen dann nicht ankommen, wenn sie auch keine Kenntnis davon hat, dass Versicherung für fremde Rechnung zu ihren Gunsten genommen worden ist (Alternative 1). In diesem Fall kann man ihr keinen Vorwurf machen, wenn sie weder dem VN noch dem VR von ihrer Kenntnis Mitteilung macht. Würde es hierbei sein Bewenden haben, wäre dem VR allerdings in weitem Umfang die Berufung auf Obliegenheitsverletzungen der versicherten Person verschlossen. Er müsste aus der Rollenspaltung auf der Gegenseite Nachteile auf sich nehmen. Um das zu vermeiden, ordnet § 47 Abs. 2 Satz 2 eine Rückausnahme zugunsten des VR an. Diese bezieht sich nur auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1: Selbst wenn die versicherte Person keine Kenntnis vom Abschluss des Versicherungsvertrags hat, wird diese unwiderleglich vermutet, sofern der VN dem VR beim Vertragsschluss nicht angezeigt hat, dass er die Versicherung ohne Auftrag des Versicherten nimmt. Gibt der VN hingegen bei Vertragsschluss eine solche Erklärung ab, ist der VR nicht schutzwürdig. Weiß er nämlich um das auftragslose Handeln des VN, hat er es in der Hand, seinerseits die versicherte Person zu benachrichtigen, um die für ihn ungünstigen Folgen des § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 zu beseitigen.7 Eine zweite Ausnahmeregel zur Zurechnung von Kenntnis nach § 47 Abs. 1 regelt § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2. Danach findet eine Zurechnung nicht statt, wenn dem Versicherten eine rechtzeitige Benachrichtigung des VN nicht möglich oder nicht zumutbar war. In § 47 ist zumindest angedeutet, dass die versicherte Person auch für Kenntnis und Verhalten des VN einstehen muss.8 Das ergibt sich aus dem Wort „auch“ in Absatz 1. Die Vorschrift lässt allerdings unerfreulich unklar, wieweit die Einstandspflicht der versicherten Person reicht. Aus dem Gesetz lässt sich auch nicht klar entnehmen, ob und inwieweit bei einer Mehrheit von Versicherten eine versicherte Person Kenntnis und Verhalten anderer Versicherter gegen sich gelten lassen muss. Diese Fragen werden hier im Sachzusammenhang behandelt (s. Rn. 35 ff.).

C. Tatbestand I. Gleichstellung von Versichertem und Versicherungsnehmer (Absatz 1) 1. Regelungsgehalt 10 Die Regel des § 47 Abs. 1 ist logische Folge der Rechteverteilung in der Versicherung für fremde Rechnung nach deutschem Recht. Rechtsinhaber ist danach die versicherte Person, § 44 Abs. 1. Es wäre merkwürdig, wenn sie vor diesem Hintergrund keine eigenen Verhaltenspflich5 OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12, VersR 2013 1123 Rn. 34; OLG München 27.3.2015 – 25 U 3746/14, ZfIR 2016 32 Rn. 34; a.A. OLG Saarbrücken 9.7.1997 – 5 U 91/97, VersR 1998 883.

6 Dazu schon Amtl.Begr. RTDrucks. 364/12 S. 95. 7 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 47 Rn. 16; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 15; Ehrenzweig 217; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1167.

8 A.A. offenbar Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 48 Rn. 3. Brand

668

C. Tatbestand

VVG § 47

ten gegenüber dem VR hätte und für eigene Kenntnis nicht einzustehen hätte. § 47 Abs. 1 ordnet entsprechend an, dass der Versicherte auch für eigene Kenntnis und eigenes Verhalten im Rahmen gesetzlicher Obliegenheiten und Risikoausschlüsse einzustehen hat. Das Gleiche gilt für vertragliche Obliegenheiten, die sich auf das versicherte Interesse beziehen, wenn VR und VN im Versicherungsvertrag verabredet haben, dass diese auch vom (Mit-)Versicherten einzuhalten sind.9 Es ist dabei nicht erforderlich, dass die vertraglichen Obliegenheiten ausdrücklich an die versicherte Person gerichtet werden.10 Regelungsadressat des § 47 sind ausschließlich versicherte Personen, nicht auch Gefahr- 11 spersonen, oder – in der D&O-Versicherung – „versicherte Gesellschaften“. Letztere sind eine vertragliche Konstruktion, das Gesetz kennt sie nicht. Wissen von Angehörigen mitversicherter Gesellschaften eines Konzerns wird daher nicht ohne Weiteres anderen Konzerngesellschaften nach § 47 Abs. 1 zugerechnet, sondern nur wenn Kenntnis oder Verhalten einer versicherten Person erheblich sind. Das zeigen auch Ziff. 1.1 und 1.2 AVB-AVG.11 Soll die Regelungswirkung des § 47 Abs. 1 erweitert werden, müssen Klauseln wie Ziff. 3.1 AVB-AVG vereinbart werden. Unter Kenntnis versteht § 47 Abs. 1 positive Kenntnis von den Umständen, die im Rahmen 12 der Erfüllung von Obliegenheiten von Belang sind. Kennenmüssen steht der Kenntnis nicht gleich.12 Das zeigt beispielhaft § 19 („ihm bekannte Umstände“). Verhalten i.S.d. § 47 sind ausschließlich selbständige Verhaltensweisen, bei denen es auf die Kenntnis der versicherten Person von der Versicherung nicht ankommt, so vor allem bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls.13 Knüpft der einschlägige Tatbestand an ein Verschulden an (z.B. § 81), ist nach § 47 insoweit auch das Verschulden der versicherten Person maßgeblich.14 Ein Verhalten, das der versicherten Person aufgrund ihrer Kenntnis abverlangt (z.B. Wahrnehmen einer vorvertraglichen Anzeigepflicht) oder verboten (z.B. arglistige Täuschung) wird, ist hingegen Annex der Kenntnis15 und wird wie die Kenntnis selbst behandelt. Das ist von Bedeutung für die Ausnahmevorschriften zu § 47 Abs. 1, die teilweise für das Verhalten versicherter Personen nicht gelten (z.B. § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1).

2. Rechtsnatur § 47 Abs. 1 ist entgegen einer in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansicht16 keine rei- 13 ne Zurechnungsnorm. Die Vorschrift bewirkt vielmehr zweierlei.17 Zunächst sorgt sie dafür, dass sich die Obliegenheiten bei der Versicherung für fremde Rechnung grds. sowohl an den VN als 9 BGH 3.6.1987 – IVa ZR 292/85, VersR 1987 924, 926; BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003 445, 446; Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 1; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 4; Corrodi 120.

10 BGH 28.11.1957 – II ZR 325/56, BGHZ 26 133, 137 f.; BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239, 240; BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003, 445, 446; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 4; unklar Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 2. 11 Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/Seitz, D&O-Versicherung, Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 7. 12 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 6; zu § 19 VVG: BGH 2.3.1994, VersR 1994 711. 13 Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 13; Ritter/Abraham § 57 ADS Anm. 8; Ehrenzweig 217; Millauer 36; unklar Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 6 f. 14 Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 2. 15 A.A. wohl (als „unselbständige Verhaltensweisen“) Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 6. 16 Etwa BGH 18.9.1991 – IV ZR 189/90, VersR 1991 1404; OLG Köln 11.4.1994 – 5 U 43/93, VersR 1994 1097; OLG Hamm 4.2.1994 – 20 U 222/92, VersR 1994 1464; Berliner Kommentar/Voit § 16 Rn. 54; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 47 Rn. 2; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 2; Römer/Langheid/Römer2 § 79 Rn. 1; Gruneke 114 bis 118, 144; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 63; Winterling/Harzenetter VW 2007 1792 ff. 17 BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239; BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003 445, 446; OLG Düsseldorf 11.4.2000 – 4 U 67/99, VersR 2001 888; OLG Rostock 28.1.2011 – 5 U 93/10, ZfS 2011 393; OLG Celle 26.7.2012 – 8 W 39/12, ZfS 2012 571; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 1; offengelassen von BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 43 Rn. 7.1; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 48 Rn. 2. 669

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Kenntnis und Verhalten des Versicherten

auch an die versicherte Person richten, soweit sie deren versichertes Interesse betreffen und sich nicht etwas anderes aus dem Versicherungsvertrag ergibt.18 Das hat bereits der historische Gesetzgeber festgelegt, indem er formulierte, „inwieweit die Obliegenheiten (…) bei der Versicherung für fremde Rechnung den Versicherungsnehmer oder den Versicherten treffen …“.19 Wäre die versicherte Person nicht selbst auch Träger der entsprechenden Obliegenheiten, verbliebe bei der Versicherung für fremde Rechnung das eingangs beschriebene Missbrauchspotential (oben Rn. 4). Rechtstechnisch wäre es überdies umständlich, dem VN zunächst das Verhalten bzw. die Kenntnis des Versicherten zuzurechnen, um letzteren als Rechtsinhaber (§ 44 Abs. 1) sodann die Folgen der Zurechnung tragen zu lassen. Insoweit den VN die Folgen aus Gesetz oder Vertrag treffen, werden ihm aber Kenntnis und Verhalten der versicherten Personen zugerechnet, ohne dass es darauf ankäme, dass diese Repräsentanten, Wissens- oder Wissenserklärungsvertreter wären.20 Dass in der Versicherung für fremde Rechnung dem Grunde nach sowohl der VN als auch die versicherte Person Adressaten der Obliegenheiten sind, gilt auch für den Fall, dass ein Zwangsverwalter als VN für ein Hausgrundstück eine Gebäudeversicherung abschließt.21 Hier ist neben dem Zwangsverwalter auch der Gemeinschuldner/Versicherte verpflichtet – und zwar gegenüber dem VR und nicht nur gegenüber dem Verwalter als VN. Durch die Vereinbarung von Obliegenheiten, die zumindest auch die versicherte Person treffen, wird die Versicherung für fremde Rechnung nicht zu einem (unzulässigen) Vertrag zu Lasten Dritter:22 Die Obliegenheiten stellen einerseits keine einklagbaren Pflichten dar; andererseits ändert sich am Charakter der Versicherung für fremde Rechnung als atypischem Vertrag zugunsten Dritter nichts, wenn die versicherte Person ihre Rechte mit der Belastung von Obliegenheiten erhält. Verletzt sie diese, droht ihr schlimmstenfalls der Verlust der zugewandten Rechtsstellung. Der Grundsatz, dass Obliegenheiten bei der Versicherung für fremde Rechnung sowohl den VN als auch die versicherte Person treffen, wird von zwei Ausnahmen durchbrochen. Die erste Ausnahme ist durch die Rechtsstellung der Parteien in der Versicherung für fremde Versicherung bedingt. Wenn Obliegenheiten ihrer Natur nach nur vom VN oder nur von einer versicherten Person erfüllt werden können, ist ausschließlich der jeweils natürlich Verpflichtete betroffen. So hat z.B. nur die versicherte Person, nicht aber der VN das Verbot der Anspruchsaufgabe als Teil23 der Wahrungs- und Mitwirkungsobliegenheit nach § 86 Abs. 2 zu beachten. Andernfalls stünde der VR durch die Rollenspaltung bei der Versicherung für fremde Rechnung ohne sachlichen Grund besser, als er im Zwei-Personen-Verhältnis stünde. Das sieht § 47 aber nicht vor (vgl. oben Rn. 3). Die zweite Ausnahme knüpft an der Interessenlage des Begünstigten von § 47 an. Eine Obliegenheit muss nicht vom VN und von den versicherten Personen beachtet werden, wenn dem Sicherungsinteresse des VR auch Genüge getan ist, wenn einer von ihnen die entsprechende Verhaltenspflicht erfüllt.24

18 BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003 445, 446; OLG Köln 11.4.1994 – 5 U 43/93, VersR 1994 1097, 1098; BGH 14.1.1997 – 9 U 111/96, VersR 1998 184, 185; OLG Karlsruhe 29.12.1981 – 12 U 173/80, VersR 1983 236; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders3 § 19 Rn. 10; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 99; Anli 125 f.; Corrodi 116; J. Huber 73 f.; Kisch PVR III 436; Lenné 128 ff.; Nießen 105; Chlosta VersR 1976 238; Schirmer ZVersWiss 1981 121, 125. 19 Amtl.Begr. RTDrucks. 364/12 S. 95. 20 OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12, VersR 2013 1123 Rn. 33. 21 Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 3; a.A. LG Essen 7.11.1991 – 18 O 263/91, VersR 1995 211, 212; Prölss/Martin/ Prölss27 § 75 Rn. 6; jeweils mit Blick auf die (heutige) Anzeigeobliegenheit nach § 30 bzw. B § 8 Nr. 2 lit. a) bb) VGB 2008. 22 Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 4; Schirmer FS R. Schmidt, 821, 840 ff.; a.A. noch Prölss/Martin/Prölss27 § 6 Rn. 30. 23 Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus3 § 86 Rn. 39. 24 Insoweit wohl schon Amtl.Begr. RTDrucks. 364/12 S. 95. Brand

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C. Tatbestand

VVG § 47

Teile des Schrifttums25 haben versucht, die Frage, ob und wann die versicherte Person neben dem VN obliegenheitsverpflichtet ist, danach zu entscheiden, ob die fraglichen Obliegenheiten ein Gebot zum aktiven Handeln (sog. „Tuns-Obliegenheiten“, z.B. §§ 19, 23 Abs. 2, 30, 82 Abs. 1, 97, 122) oder zum Unterlassen (sog. „Unterlassens-Obliegenheiten“, z.B. § 23 Abs. 1) beinhalten. Unterlassens-Obliegenheiten sollen nach dieser Ansicht schon dann verletzt sein, wenn entweder der VN oder die versicherte Person dem fraglichen Gebot zuwiderhandelt. Grundsätzlich haben also beide Beteiligte das Unterlassungsgebot zu befolgen.26 Bei Tuns-Obliegenheiten soll es hingegen genügen, wenn einer von beiden, VN oder versicherte Person, sie befolgt.27 Die Unterscheidung danach, ob eine Obliegenheit ein Handelns- oder Unterlassungsgebot zum Gegenstand hat, ist aber kein taugliches Abgrenzungsmerkmal. Einmal lässt sich die Grenze zwischen Tun und Unterlassen kaum treffsicher ziehen.28 Das wird schon daran deutlich, dass die Verfechter einer Unterteilung in Tuns- und Unterlassensobliegenheiten sich gezwungen sehen, eine Reihe von Ausnahmen von ihrem Konzept zuzulassen. So erkennen sie etwa im Rahmen der „Unterlassens-Obliegenheiten“ an, dass ausnahmsweise nur der Versicherte verpflichtet sein soll, wenn sich das Normgebot naturgemäß nur von ihm erfüllen lässt (z.B. Verbot der Anspruchsaufgabe als Teil der Obliegenheit nach § 86 Abs. 2). Dieses Beispiel zeigt zugleich, dass die Qualifikation einer Obliegenheit als Tuns- oder Unterlassensobliegenheit nicht statisch ist und auch deswegen als Abgrenzungsmerkmal nicht taugt: Wurde das Verbot der Anspruchsaufgabe nach § 67 a.F. noch als Unterlassensobliegenheit gewertet, ist es jetzt als Teil der erweiterten Mitwirkungsobliegenheit des Versicherten nach § 86 Abs. 2 wohl Teil einer Tunsobliegenheit. Stattdessen ist auf den Sinn und Zweck der fraglichen Obliegenheit und das Gewicht der durch sie geschützten Interessen des VR abzustellen. So genügt es z.B., wenn entweder die versicherte Person oder der VN die Anzeige der Veräußerung der versicherten Sache nach §§ 97 Abs. 1, 122 erstattet (auch die Anzeige des Erwerbers genügt, um nachteilige Folgen abzuwenden).29 Das Gleiche gilt, was die Anzeige des Eintritts des Versicherungsfalls anbelangt. In beiden Fällen ist das Kenntnisinteresse des VR befriedigt. Die Obliegenheit muss aber von zumindest einem der beiden, Versichertem oder VN, ordnungsgemäß erfüllt werden.30 Nicht ausreichend ist, wenn der Versicherte einen Versicherungsfall nur dem VN, nicht aber dem VR anzeigt, da hier nicht sichergestellt ist, dass der VR Kenntnis nehmen kann.31 Bei Aufklärungsobliegenheiten verdienen Fälle besondere Aufmerksamkeit, in denen sich der bösgläubige Versicherte des gutgläubigen VN bedient. Karl Sieg hat anschaulich von Fällen der „mittelbaren Täterschaft“ gesprochen.32 Verschweigt die versicherte Person dem VN gefahrerhebliche Umstände und übernimmt dieser die Angaben der versicherten Person in den Antrag, oder macht letztere falsche Angaben in der Schadenanzeige, die der VN gutgläubig an den VR weitergibt, schadet das Verhalten in beiden Fällen der versicherten Person:33 Die fragli25 Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 5 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 3; Möller 15 f.; auch BGH 15.11.1978 – IV ZR 183/77, VersR 1979 176, 178. 26 BGH 15.11.1978 – IV ZR 183/77, VersR 1979 176, 178; Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 6; Möller 15 f.; vgl. aus den AVB auch etwa § 3 Abs. 2 Satz 1 AKB 2002; a.A. zu Unrecht BGH 10.3.1993 – XII ZR 253/91, BGHZ 122 46, 49 = VersR 1994, 208 (Versicherte Person nicht verpflichtet). 27 BGH 15.11.1978 – IV ZR 183/77, VersR 1979 176, 177 (Schadensmeldung); Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 2; Möller 16 f. 28 Wie hier Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 17. 29 Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 7; a.A. Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 3; Schirmer FS Sieg, 451, 479; kritisch Nießen 104. 30 Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 7; Kisch PVR III 421. 31 OLG Köln 14.1.1997 – 9 U 111/96, VersR 1998 184, 185. 32 Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 7. 33 OLG Hamm 12.6.1996 – 20 U 20/96, ZfS 1998 58; OLG Köln 6.6.1952 – 4 U 285/51, VersR 1952, 268 = NJW 1952 1297; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 4; Lenné 142; auch Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 8a (mit abweichender dogmatischer Begründung über § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB). 671

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§ 47 VVG

Kenntnis und Verhalten des Versicherten

che Meldeobliegenheit ist von keiner Seite richtig erfüllt, das Verschulden des einen Teils vom anderen mitzuvertreten.

3. Anwendungsbereich 22 Nach den soeben dargelegten Grundsätzen betreffen die meisten gesetzlichen Obliegenheiten (auch) den Versicherten. Zumeist ergibt sich dessen Verantwortlichkeit bereits daraus, dass die zugrundeliegenden Ereignisse, welche die Obliegenheiten auslösen, in seiner Rechts- und Machtsphäre eintreten. Der Versicherte hat zu beachten: die Obliegenheit, Gefahrerhöhungen zu unterlassen nach § 23 Abs. 1,34 die Obliegenheit, eine eingetretene Gefahrerhöhung anzuzeigen, § 23 Abs. 2 und 3,35 Rettungsobliegenheiten nach § 82,36 die Obliegenheit, den Eintritt des Versicherungsfalls zu melden nach § 3037 oder die Anzeige der Veräußerung der versicherten Sache nach §§ 97 Abs. 1, 122, wenn die Veräußerung durch den Versicherten erfolgt.38 Umstritten ist, ob die versicherte Person auch vorvertragliche Anzeigeobliegenheiten 23 nach §§ 19 ff. zu beachten hat.39 Dagegen sollen der Wortlaut der §§ 19 ff. und die Zurechnungsrichtung des § 47 sprechen. Beide Argumente überzeugen nicht. Es besteht mittlerweile Einigkeit darüber, dass das VVG den Verpflichteten von Obliegenheiten durchweg als VN bezeichnet, damit aber jeden meint, der die Obliegenheit wahrzunehmen hat.40 Des Weiteren ist § 47 gar keine reine Zurechnungsnorm (s.o. Rn. 10), so dass es auf eine etwaige Zurechnungsrichtung nicht ankommen kann. In der Sachversicherung wird überdies regelmäßig die versicherte Person derjenige sein, der den Fragenkatalog des VR am besten beantworten kann, da sein Interesse versichert ist. Deswegen sollte auch die versicherte Person Adressat der Anzeigeobliegenheiten sein. 24 Durch die sprachliche Neufassung des § 47 Abs. 1 hat sich die Streitfrage erledigt, ob die Vorschrift auch auf die arglistige Täuschung durch die versicherte Person anzuwenden ist. Unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 79 Abs. 1 a.F. („Soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes“) wurde die Ansicht vertreten, die arglistige Täuschung gem. § 123 BGB, auf die in § 22 nur verwiesen wird, sei nicht vom Anwendungsbereich der Norm erfasst.41 Dadurch, dass der Reformgesetzgeber von 2007 den Passus „soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes“ gestrichen hat, ist dieser Auffassung die Grundlage entzogen. Sie war auch, wie Robert Koch zu Recht feststellt, niemals richtig.42 Das zeigt die Entstehungsgeschichte von § 47 bzw. § 79 a.F. Ursprünglich war nur in den Fällen der Rückwärtsversicherung und der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit die Kenntnis und Arglist der versicherten Person beachtlich. Erst später wurde die Vorschrift dahinge-

34 RG 11.4.1919 – VII 21/19, RGZ 95 250; BGH 22.6.1967 – II ZR 154/64, VersR 1967 746, 747; Staudinger/Halm/ Wendt/Schramm/Kassing2 § 47 Rn. 4; Corrodi 119; Lenné 135; J. Huber 84 f.; Chlosta VersR 1976 238; Schneider ZVersWiss 1905 230, 233; a.A. OLG Stuttgart 24.7.1974 – 13 U 47/74, VersR 1975 705, 706. 35 Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 5; Corrodi 119 f.; Imseng 46 f.; a.A. OLG Hamm 29.2.1980 – 20 U 138/79, VersR 1981 870, 872. 36 Corrodi 120. 37 OLG Köln 14.1.1997 – 9 U 111/96, VersR 1998 184; Imseng 49. 38 Dazu Anli 127. 39 Dafür BGH 18.9.1991 – IV ZR 189/90, VersR 1991 1404, 1405; Bruck/Möller/Rolfs10 § 19 Rn. 25; Looschelders/ Pohlmann/Looschelders3 § 19 Rn. 10; Anli 126; Imseng 45 f.; wohl auch Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 4; dagegen Berliner Kommentar/Beckmann § 16 Rn. 54, 59; Lange VersR 2006 605, 608. 40 Vgl. Schon Ehrenberg 73; Corrodi 116. 41 Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 4; dem folgend Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 1 und noch zum reformierten Recht Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 2; a.A. BGH 18.9.1991 – IV ZR 189/90, VersR 1991 1404; Römer/ Langheid/Römer2 § 79 Rn. 1; Prölss/Martin/Prölss27 § 79 Rn. 1; Gruneke 129. 42 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 5; dem folgend u.a. auch Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 47 Rn. 5. Brand

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C. Tatbestand

VVG § 47

hend erweitert, dass schlechthin Kenntnis und Verhalten der versicherten Person in Betracht kommen, wie das beim VN der Fall ist.

II. Ausnahmen von der Beachtlichkeit der Kenntnis (Absatz 2) 1. Fehlendes Wissen vom Versicherungsvertrag a) Grundsatz (Absatz 2 Satz 1). § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 regelt eine Ausnahme von der Be- 25 achtlichkeit der Kenntnis des Versicherten nach Absatz 1. Die Kenntnis des Versicherten ist danach nicht zu berücksichtigen, wenn der Versicherungsvertrag ohne sein Wissen abgeschlossen worden ist. Das versteht sich im Grunde von selbst. Kenntnis kann der versicherten Person nur schaden, wenn sie diese beim Vertragsschluss hätte verwerten lassen können. Das bloße Nichtnennen der versicherten Person im Versicherungsvertrag löst die Ausnahme des Absatzes 2 Satz 1 Alt. 1 nicht aus – wohl um missbräuchlichen Vertragsgestaltungen durch den VN vorzubeugen.43 In der D&O-Versicherung spielt § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 nur eine unbedeutende Rolle.44 Zwar sind regelmäßig nicht sämtliche versicherten Personen am Vertragsschluss beteiligt. Sie können jedoch auf andere Weise vom Bestehen einer D&O-Versicherung in ihrem Konzern Kenntnis erlangen, bspw. durch mündliche Informationen oder Rundschreiben. Die Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer sind aufgrund ihrer Befassung mit dem Vertragsschluss ohnehin informiert. Die Anstellungsverträge der Organmitglieder enthalten vielfach Versicherungsverschaffungsklauseln, so dass eine entsprechende Kenntnis nachgewiesen werden kann. In Bezug auf ihr Verhalten kann sich eine versicherte Person nicht darauf berufen, vom Abschluss des Versicherungsvertrags nichts gewusst zu haben. Diese Grundentscheidung leuchtet ein: Wusste die versicherte Person überhaupt nichts von einem bestehenden Versicherungsschutz, rechnete sie also gar nicht mit einer Entschädigung, so darf ihr, insbes. wenn das vorwerfbare Verhalten darin besteht, dass sie den Versicherungsfall herbeigeführt hat, nicht unerwarteter Ersatz zufallen.45 § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 kann dem VR nicht entgegengehalten werden, wenn feststeht, dass die versicherte Person positive Kenntnis vom Versicherungsvertrag hatte. In zwei Fällen steht das Kennenmüssen der Kenntnis gleich. Das ist einmal der Fall, wenn der Versicherte dem VN einen Auftrag zum Abschluss des Vertrages erteilt hat.46 Dann muss der Versicherte damit rechnen, dass ein Versicherungsvertrag zu seinen Gunsten abgeschlossen wird und sich diesem Vertrag gemäß verhalten. Der Auftrag, Versicherung zu nehmen, kann auch stillschweigend erteilt werden; er liegt etwa im internationalen Warenverkehr auf Käuferseite im Abschluss eines Vertrages mit CIF-Klausel.47 Kommissionäre, Spediteure, Lagerhalter gelten hingegen nicht als beauftragt, für Rechnung des Kommittenten, des Versenders, des Einlagerers bzw. der Reederei Versicherung zu nehmen (vgl. §§ 390, 407, 417, 493 HGB).48 Ebenso verhält es sich bei Schiffsmaklern mit Blick auf die Kaskoversicherung. Der zweite Fall, in dem das Kennenmüssen eines Vertragsschlusses der Kenntnis gleichsteht, liegt vor, wenn zu Gunsten der versicherten Person eine gesetzliche Versicherungspflicht besteht, die in den betreffenden Wirtschaftskreisen allgemein bekannt ist. Die gesetzliche Verpflichtung, Versicherung zu nehmen, ersetzt insoweit den Auftrag. Zu denken ist in 43 44 45 46 47

Dazu Imseng 45. Vgl. nur Ihlas 570; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 64. Vgl. Ehrenberg 195; J. Huber 86 f.; Schneider ZVersWiss 1905 230, 262. Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 13; Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 23. Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 13; a.A. Ritter/Abraham § 57 ADS Anm. 11 und dem folgend Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 8 (ausdrückliche Vereinbarung). 48 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 8. 673

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Kenntnis und Verhalten des Versicherten

diesem Zusammenhang an die kombinierte Eigen- und Fremdversicherung sowie die Fälle der § 1045 BGB oder des § 6 Abs. 1 VO über das Bewachungsgewerbe in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Juli 2003.49

30 b) Rückausnahme (Absatz 2 Satz 2). § 47 Abs. 2 Satz 2 enthält eine Rückausnahme von der Bestimmung des § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1. Danach wird die Kenntnis der versicherten Person vom Abschluss des Versicherungsvertrags – unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis oder Unkenntnis – unwiderleglich vermutet, sofern der VN den Vertrag ohne Auftrag der versicherten Person schließt und er dies dem VR bei Vertragsschluss nicht angezeigt hat. Das hat zur Folge, dass die Kenntnis der versicherten Person bei Obliegenheitsverletzungen wieder nach Absatz 1 Berücksichtigung findet. Grundgedanke dieser Rückausnahme ist, dass der VR zu schützen ist, weil der Informationsfluss zwischen ihm und der versicherten Person gestört ist und der VR selbst dagegen durch Rückfragen nichts tun kann.50 Die Anzeige vom Fehlen des Auftrages ist eine Obliegenheit des VN.51 Nachteilige Folgen treten daher nur ein, wenn dem VN ein Verschulden vorzuwerfen ist. 31 Der VN muss den fehlenden Auftrag grds. auch dann anzeigen, wenn der VR hiervon Kenntnis hat. VR und VN können jedoch – auch stillschweigend – vereinbaren, dass der Mangel des Auftrags nicht angezeigt zu werden braucht.52 Dann bleibt es bei der Ausnahmebestimmung des § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1. Solche Vereinbarungen werden ganz regelmäßig bei der laufenden Versicherung getroffen, weil dort noch ungewiss ist, welche Fremdinteressen „künftig“ entstehen werden. Von „Aufträgen“ kann insoweit zur Zeit des Vertragsschlusses nicht die Rede sein. Das ist dem VR bekannt. Der Mangel der Aufträge muss deshalb nicht angezeigt werden.53

2. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Benachrichtigung (Absatz 2 Satz 1 Alt. 2) 32 Der unglücklich gestellte § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 regelt eine selbständige Ausnahme von der Erheblichkeit der Kenntnis des Versicherten nach Absatz 1 wegen Kommunikationsstörungen zwischen VN und Versichertem. Der VR kann sich danach nicht auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Versicherten berufen, wenn es diesem nicht möglich oder nicht zumutbar ist, dem VN seine Kenntnis rechtzeitig zu übermitteln. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Übermittlung mit dem schnellsten verkehrsüblichen Übermittlungsmedium nicht bewirkt werden kann (vgl. § 57 Abs. 3 Satz 2 ADS; enger der mittlerweile aufgehobene § 807 Abs. 2 HGB).54 Die Ausnahme des § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 ist rein objektiver Natur. Auf ein etwaiges Verschulden des VN hinsichtlich der Kommunikationsstörung kommt es nicht an.55 33 Die Bestimmung des § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 hat heute nur noch einen schmalen Anwendungsbereich. Aufgrund der Schnelligkeit der modernen Nachrichtenübermittlung und der stetig wachsenden Möglichkeiten der Wahl des Übermittlungsmediums ist es kaum noch einmal der Fall, dass der versicherten Person eine rechtzeitige Übermittlung nicht zumutbar ist. Sie ist nämlich gehalten, sich des schnellsten verkehrsüblichen Kommunikationsmittels zu bedienen.56 49 BGBl. I 1378; zuletzt geändert durch die Verordnung vom 14. Januar 2009 (BGBl. I 43). 50 Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1167. 51 Ebenso jetzt Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 47 Rn. 11; Einordnung offengelassen von Looschelders/Pohlmann/ Koch3 § 47 Rn. 8. 52 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 9. 53 Ritter/Abraham § 57 ADS Anm. 14. 54 Prölss/Martin/Prölss27 § 79 Rn. 4; vgl. auch Ritter/Abraham § 57 ADS Anm. 9. 55 Vgl. auch Lange VersR 2006 605, 608 Fn. 30. 56 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 10; Ritter/Abraham § 57 ADS Anm. 9. Brand

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D. Rechtsfolgen

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§ 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 geht von der rechtstatsächlichen Grundannahme aus, dass der Versi- 34 cherte zwar den VN, nicht aber den VR kennt. Ist ihm hingegen der VR bekannt, und ist es ihm zwar nicht möglich, den VN rechtzeitig zu benachrichtigen, wohl aber den VR, so kann die versicherte Person analog § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 verpflichtet sein, diesen zu benachrichtigen.57 Eine Vergleichbarkeit der Interessenlage als Voraussetzung für eine analoge Anwendung wird man aber nur annehmen können, wenn eine Mitteilung dringend geboten ist, etwa bei Eintritt des Versicherungsfalls oder dem Eintritt einer Gefahrerhöhung.

D. Rechtsfolgen Verletzen der VN und/oder die versicherte Person Obliegenheiten oder verwirklichen sie subjek- 35 tive Risikoausschlüsse, ist hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen der reinen Fremdversicherung und der kombinierten Eigen- und Fremdversicherung und der Eigenversicherung zu unterscheiden.

I. Reine Fremdversicherung 1. Grundlagen Eine reine Fremdversicherung liegt vor, wenn die Versicherung nur die Interessen des oder der 36 versicherten Personen schützt und nicht zugleich auch ein Interesse des VN. Der Anspruch auf Leistung kann also nur in der Person des oder der Versicherten entstehen. Beispiele sind die D&O-Versicherung,58 die Hausratsversicherung bzgl. einer gestohlenen Sache,59 die Kfz-KaskoVersicherung, wenn der VN weder rechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer des Fahrzeugs ist,60 die Kfz-Haftpflichtversicherung, wenn der VN weder Halter noch Fahrer des versicherten Fahrzeugs ist,61 oder ein echter Gruppenversicherungsvertrag.62 Liegt Versicherung für fremde Rechnung zugunsten mehrerer versicherter Personen vor, 37 schadet grds. weder Kenntnis noch Verhalten eines Mitversicherten den anderen mitversicherten Personen (Grundsatz der Einzelwirkung). In der Kfz-Kaskoversicherung etwa wird dem VN eine Fahrt unter Alkoholeinfluss durch einen Ehepartner, der das Kfz mitbenutzt, nicht ohne Weiteres zugerechnet.63 Das ergibt sich daraus, dass § 47 Abs. 1 nur das Verhältnis der versicherten Person zum VN als Vertragspartei im Blick hat, andere Mitversicherte aber Vertragsfremde sind,64 sowie im Übrigen aus dem Prinzip der Einzelverantwortung und dem Rechtsgedanken des § 29 Abs. 1.65 Folge des Fehlverhaltens eines Mitversicherten ist also nur, dass dieser seinen eigenen Anspruch gegen den VR (teilweise) verliert. Abweichend von diesem Grundsatz muss 57 Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 25; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 47 Rn. 10; Millauer 36; a.A. Gruneke 125. 58 OLG München 15.3.2005 – 25 U 2940/04, VersR 2005 540; Bruck/Möller/Baumann9 AVB-AVG 2011/2013 Einf. Rn. 13; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 43 Rn. 21; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 6; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 47 Rn. 7; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 63; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1166; missverständlich aber i.E. ebenfalls Seitz/Finkel/Klimke/Finkel/ Seitz D&O-Versicherung Einf. Rn. 84 f. 59 LG Berlin 28.4.1994 – 7 O 1/94, RuS 1995 109. 60 ÖOGH 6.11.1986 – 7 Ob 45/86, VersR 1987 1204; OLG Stuttgart 7.2.1991 – 7 U 176/90, RuS 1992 331; OLG Hamm 10.12.1993 – 20 U 195/93, VersR 1994 1223; OLG Oldenburg 26.6.1996 – 2 U 106/96, VersR 1997 997. 61 ÖOGH 5.12.1961 VersR 1963 590; OLG Schleswig 18.12.1996 – 9 U 5/96, NZV 1997 442. 62 LG Stade 16.1.2013 – 2 S 34/12, VersR 2014 58 Rn. 22 (Reiseversicherung); Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 6. 63 OLG Hamm 29.10.1986 – 20 U 134/86, VersR 1988 240. 64 Dazu Corrodi 119; Lenné 133. 65 Dieser Rechtsgedanke lässt sich zumindest insoweit fruchtbar machen, als gleichartige Interessen versichert sind; dazu auch Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 68. 675

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§ 47 VVG

Kenntnis und Verhalten des Versicherten

sich bei einer Mehrheit versicherter Personen ein Mitversicherter Kenntnis und Verhalten eines anderen Mitversicherten zurechnen lassen, wenn letzterer sein Repräsentant ist.66 Das Gleiche gilt erst recht, soweit auf Versichertenseite mehrere Personen in Gesamthänderschaft oder als Bruchteilseigentümer miteinander verbunden sind.67 Hier schadet das Verhalten des einen Versicherten den anderen. Das gilt allerdings nicht in der Haftpflichtversicherung, wo jede einzelne versicherte Person einen selbständigen Befreiungsanspruch von der gegen sie erhobenen Forderung hat. 38 Eine faktische Ausnahme zum Grundsatz der Einzelwirkung kann sich ergeben, wenn die Obliegenheitsverletzung einer versicherten Person den VR zu einer Anfechtung (z.B. § 22 i.V.m. § 123 BGB) berechtigt. Anders als bei einem Rücktrittsrecht (z.B. § 19 Abs. 2), dessen Wirkungen nach § 29 Abs. 1 auf diejenige versicherte Person beschränkt bleiben, welche das Fehlverhalten an den Tag gelegt hat,68 erfasst die Wirkung der Anfechtung nach § 142 Abs. 1 BGB den gesamten Vertrag, so dass auch der Versicherungsschutz der übrigen versicherten Personen entfällt.69 Mangels einer Parallelregelung zu § 29 Abs. 1 für den Fall der Anfechtung lässt sich diese Entscheidung des Gesetzgebers auch nicht durch Überlegungen zum Schutz der versicherten Person in der Versicherung für fremde Rechnung wertungsmäßig korrigieren. Auch § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB hilft nicht, um die Folgen der Anfechtung zu beschränken. Diesbezügliche Überlegungen im Schrifttum70 scheitern schon daran, dass die versicherte Person, wie §§ 44, 45 deutlich zeigen, kein „Dritter“ in Bezug auf das Versicherungsverhältnis ist71 – und im Übrigen nach den Wertungen des § 44 im Regelfall auch nicht Adressat von Erklärungen des VR sein kann, was nach § 123 Abs. 2 BGB erforderlich wäre. Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen wird man die Wirkungen der Anfechtungen nach Treu und Glauben und dem Rechtsgedanken des § 139 BGB auf einen Vertragsteil beschränken können.72 Dazu bedarf es aber eines Anhaltspunktes im Versicherungsvertrag selbst dahingehend, dass der VR eine solche Einschränkung der Möglichkeit zur Anfechtung wegen Arglist in seinen Vertragswillen von vornherein aufgenommen hat und die verbleibenden Interessen auch ohne dasjenige der täuschenden versicherten Person in Deckung genommen hätte. Das kommt etwa in der D&O-Versicherung in Betracht: 39 In der D&O-Versicherung ließen sich dem VN regelmäßig – bei Abschluss der üblichen Konzernpolice – Kenntnis und Verhalten einer Vielzahl von Mitversicherten (bzw. Repräsentanten) zurechnen, nämlich der Organmitglieder auf sämtlichen Konzernebenen einschließlich der Kontrollorgane und der leitenden Angestellten.73 Das ist insbes. bei der Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit brisant. Ohne besondere vertragliche Abreden kann hier die Obliegenheitsverletzung einer einzigen mitversicherten Person dazu führen, dass der VR den gesamten Vertrag durch Anfechtung oder Rücktritt beenden kann. Das ist nicht interessengerecht. 66 BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, VersR 2003 445, 446; OLG Stuttgart 7.2.1991 – 7 U 176/90, RuS 1992 331, 332: BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 43 Rn. 11; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 11; Staudinger/Halm/Wendt/ Schramm/Kassing2 § 47 Rn. 7; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1168. 67 Vgl. Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Rn. 11; Ruscher 138. 68 Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 43 Rn. 6; Langheid/Wandt/Wandt2 § 29 Rn. 14; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 13; Prölss/Martin/Armbrüster31 § 29 Rn. 3 f.; a.A. Rudzio Vorvertragliche Anzeigepflicht bei der D&O-Versicherung der Aktiengesellschaft 2010 174. 69 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 13; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 43 Rn. 13; Gädtke RuS 2013 313, 321. 70 Etwa Prölss/Martin/Klimker31 § 47 Rn. 13; ähnlich Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 43 Rn. 7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 47 Rn. 11; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1169; s. auch OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, NJOZ 2012 1200. 71 Ebenso Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 14; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 98; Rudzio Vorvertragliche Anzeigepflicht bei der D&O-Versicherung der Aktiengesellschaft 2010 176; Gädtke RuS 2013 313, 321. 72 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 15; a.A. Rudzio Vorvertragliche Anzeigepflicht bei der D&O-Versicherung der Aktiengesellschaft 2010 176 f.; kritsch BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 43 Rn. 13.1. 73 Ihlas 570 f.; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 63. Brand

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D. Rechtsfolgen

VVG § 47

In der Praxis ist die Lösung auf vertraglicher Ebene zu suchen. Wenig hilfreich74 erscheinen dabei sog. „severability clauses“. Diese stammen, wie der Name suggeriert, aus der angelsächsischen Vertragspraxis und sollen bewirken, dass die Kenntnis eines Versicherten den anderen Versicherten nicht zugerechnet wird.75 Einem Rücktritt oder einer Anfechtung des VR stehen solche Klauseln bei Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht jedoch regelmäßig nicht entgegen, da sie überwiegend nur die Zurechnung wissentlicher Pflichtverletzungen ausschließen und/oder die Wirkung von Anfechtung oder Rücktritt nicht auf die Personen mit Kenntnis beschränken.76 Anders ist dies bei sog. „full severability clauses“.77 Diese haben jedoch den Nachteil, dass sie das Risikomanagement im Unternehmen verschlechtern, weil sie Anreize setzen, gefahrerhebliche Umstände innerhalb des Konzerns oder Unternehmens möglichst wenig zu kommunizieren, um den Deckungsschutz möglichst wirkungsvoll aufrecht zu erhalten. Ihre Wirksamkeit steht zudem seit Längerem in Rede und ist auch nach der „Heros II“-Entscheidung des IV. Zivilsenats des BGH noch immer nicht zweifelsfrei.78 Vorzugswürdig sind daher sog. „Repräsentantenklauseln“,79 nach denen nur solches Wis- 40 sen um Gefahrumstände für Obliegenheitsverletzungen und Risikoausschlüsse erheblich ist, das aus dem Kreis der in der Repräsentantenklausel bezeichneten Personen stammt. Ist eine solche Repräsentantenklausel vereinbart, wirkt selbst eine Anfechtung des VR nicht zu Lasten versicherter Personen jenseits des in der Klausel bezeichneten Personenkreises. Teilweise wird allerdings gefordert, dass diese Rechtsfolge nur eintritt, wenn die vereinbarte Klausel ausdrücklich einen Anfechtungsverzicht vorsieht.80 Haben die Parteien es versäumt, eine solche Klausel zu vereinbaren, kann das Rücktritts- bzw. Anfechtungsrecht des VR nur in den unter Rn. 38 näher beschriebenen besonders gelagerten Ausnahmefällen auf Grundlage von § 242 BGB auf das jeweils von der Anzeigepflicht betroffene Interesse beschränkt werden.81

2. Obliegenheitsverletzung der versicherten Person Verletzt die versicherte Person eine Obliegenheit, hat sie dieselben Rechtsfolgen zu gewärtigen, 41 die den VN treffen, wenn er eine Obliegenheit verletzt, § 47 Abs. 1. Ist für eine bestimmte Verletzung als Rechtsfolge vorgesehen, dass der VR (teilweise) leistungsfrei wird, führt eine Verletzung durch die versicherte Person dementsprechend ebenfalls zur (teilweisen) Leistungsfreiheit.82

3. Kenntnis, Rechtspflichts- oder Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers Verstößt nicht die versicherte Person, sondern der VN gegen eine Obliegenheit oder eine Rechts- 42 pflicht, die ihn von Gesetzes wegen oder aufgrund des Versicherungsvertrags trifft, kann sich A.A. offenbar Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 12. Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1168; Lange VersR 2006 605, 608 mit Praxisbeispielen in Fn. 35. Vgl. Seibt/Saame AG 2006 901, 911; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 69 f. Dazu Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1794; Seibt/Saame AG 2006 901, 911. BGH 21.9.2011 – IV ZR 38/09, NJW 2012 296; Lenz/Weitzel PHi 2012 122 ff.; Langheid VW 2012 1768 ff.; im Überblick zum Streitstand Gädtke RuS 2013 313, 314 f. 79 Ihlas 571; Dreher/Thomas ZGR 2009 31, 71 f.; Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1795; Gädtke RuS 2013 313, 318 ff. 80 Gädtke RuS 2013 313, 318. 81 A.A. Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1169 (in jedem Fall Beschränkung auf das versicherte Interesse); dem folgend Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 12; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 47 Rn. 6. 82 Zutreffend, aber terminologisch unsauber, da von einer Verletzung der „dem Versicherungsnehmer obliegenden“ Aufklärungspflicht die Rede ist: OLG Frankfurt a.M. 28.6.1994 – 14 U 117/93, VersR 1995 164.

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§ 47 VVG

Kenntnis und Verhalten des Versicherten

der VR auch der versicherten Person gegenüber darauf berufen, wenn deren Interesse betroffen ist.83 Das Gleiche gilt für die Zurechnung von Kenntnis. So muss sich die versicherte Person etwa die Kenntnis des Bedingungswerks und der vorvertraglichen Informationen i.S.d. § 7 seitens des VN unabhängig davon zurechnen lassen, ob sie selbst entsprechende Kenntnis besaß.84 Eine Anfechtung des VR wegen arglistiger Täuschung durch den VN lässt entsprechend den Deckungsanspruch des Versicherten auch dann entfallen, wenn dieser an der Täuschung nicht mitgewirkt hat.85 Auch treffen ihn die Rechtsfolgen für einen Verstoß gegen die Hauptleistungspflicht des VN auf Prämienzahlung.86 Begründen lässt sich dies damit, dass der Versicherte aus dem Versicherungsvertrag nicht mehr Rechte herleiten kann als der VN selbst.87 Anderenfalls stünde der VR entgegen dem Normzweck des § 47 bei der Versicherung für fremde Rechnung schlechter als im Zwei-Personen-Verhältnis. Ergänzend lässt sich auf den Rechtsgedanken des § 334 BGB hinweisen,88 den § 47 ergänzt. Ein Ausgleich kann im Innenverhältnis zwischen VN und Versichertem erfolgen. 43 § 47 regelt nicht, was Kenntnis des VN ist. Insbes. ist die Vorschrift keine lex specialis zu allgemein-zivilrechtlichen, gesellschafts- oder konzernrechtlichen Regeln der Wissenszurechnung zum VN.89 § 47 baut vielmehr auf diesen Regeln auf. Ist der VN eine juristische Person, bestimmt sich nach allgemeinen Regeln, welche Organkenntnis ihm als eigenes Wissen zuzurechnen ist. § 47 – und zusätzlich die versicherungsrechtlichen Grundsätze über die Repräsentantenhaftung und die Wissensvertretung – bestimmen über die nachgelagerten Fragen, inwieweit diese Kenntnis versicherten Personen schadet und ob deren Kenntnis dem VN zuzurechnen ist. Das Gleiche gilt auch für Repräsentantenklauseln. Auch sie verdrängen die allgemeinen Zurechnungsregeln für Wissen des VN nicht, sondern setzen an diesen an. 44 Von den in Rn. 35 geschilderten Grundsätzen ist eine Ausnahme zu machen, wenn der Versicherungsvertrag der versicherten Person auch Schutz gegenüber dem VN gewähren soll.90 Das ist eine Konstellation, die vor allem in der Haftpflichtversicherung vorkommen kann und vom Gesetzgeber nicht bedacht worden ist. Zur Zeit des Inkrafttretens des VVG 1908 hatte allerdings bereits das Reichsoberhandelsgericht für eine Expedientenversicherung, die ausreisewilligen versicherten Personen u.a. Schutz gegen das Fehlverhalten des sie verschiffenden VN gewährte, entschieden, dass dessen Verletzung von Obliegenheiten beim Anlegen von Schiffen den Versicherungsschutz der versicherten Ausreisenden nicht schmälert.91 Der BGH hat dieser Wertung später für eine Kfz-Versicherung mit Kfz-Sicherungsschein beigepflichtet.92 Soll eine Police die versicherte Person auch gegen das Verhalten oder eine Inanspruchnahme durch den VN schützen, wäre es problematisch, ihr dessen Fehlverhalten zuzurechnen. Der VN könnte sich nämlich herausgefordert fühlen, planmäßig Obliegenheiten zu verletzen, um den Deckungsanspruch der versicherten Person zu schmälern und so Druck auf diese auszuüben – in der Haftpflichtversicherung könnte sie sich dann z.B. nicht einmal auf ungeschmälerte Abwehrdeckung des VR verlassen. Diese Konfliktlage tritt auch bei einer D&O-Versicherung auf, soweit diese Deckungsschutz gegen eine Inanspruchnahme durch den VN im Innenverhältnis gewährt. 83 BGH 18.9.1991 – IV ZR 189/90, VersR 1991 1404, 1408; OLG Hamm 6.5.1992 – 20 U 344/91, VVGE § 3 AKB Nr. 2; Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 8; Staudinger/Klumpp (2020) § 334 Rn. 2; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 43 Rn. 10. 84 LG Stade 16.1.2013 – 2 S 34/12, VersR 2014 58 Rn. 22. 85 OLG Düsseldorf 23.8.2005 – I-4 U 140/04, VersR 2006 785. 86 J. Huber 83. 87 Dazu schon Corrodi 117; Lenné 122; vgl. auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 47 Rn. 3; Langheid/ Grote VersR 2005 1165, 1169. 88 So Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 8. 89 So aber Winterling/Harzenetter VW 2007 1792, 1794; wie hier Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 22b; Gädtke RuS 2013 313, 319. 90 Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 18; Kisch III 427. 91 ROHG 1.11.1872 – Slg. VII 394 Rn. 103. 92 BGH 25.11.1963 – II ZR 54/61, NJW 1964 654 Rn. 17. Brand

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D. Rechtsfolgen

VVG § 47

Daher wird man auch hier Obliegenheitsverletzungen des VN nicht ohne Weiteres der versicherten Person auf Grundlage des § 47 Abs. 1 anlasten können.93 Im Rahmen der Pflicht-Haftpflichtversicherung sind Verletzungen von Obliegenheiten 45 durch den VN der versicherten Person nach Maßgabe des § 123 Abs. 1 zuzurechnen.94 Die Vorschrift sorgt dafür, dass der VR nur dann (ganz oder teilweise) leistungsfrei bleibt, wenn die versicherte Person Kenntnis von den maßgeblichen Umständen der Obliegenheitsverletzung des VN hatte, oder ihr diese grob fahrlässig unbekannt geblieben sind.95 Die Privilegierung des § 123 Abs. 1 gilt aber nach der insoweit rechtspolitisch zweifelhaften Regelung96 nur, soweit die versicherte Person verfügungsbefugt ist, § 44 Abs. 2. Verletzt die versicherte Person selbst eine Obliegenheit, die sich ihrem Sinn und Zweck nach zumindest auch an sie richtet, ist § 123 nicht anwendbar.97 Dieser will nur die gutgläubige versicherte Person schützen, die von einer Kürzung der Leistung oder gar deren Wegfall aufgrund eines Verhaltens bewahrt werden soll, das sie selbst nicht überblicken oder steuern kann.

4. Subjektive Risikoausschlüsse Verwirklicht die versicherte Person einen subjektiven Risikoausschluss (§§ 81, 103), ist der VR ihr 46 gegenüber (teilweise) leistungsfrei.98 Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich bei der Mitversicherung des Sachersatz-/Haftpflichtinteresses in der Sachversicherung die (teilweise) Leistungsfreiheit des VR nicht nach § 103, sondern nach § 81 beurteilt.99 Keine Anwendung auf den Versicherten findet § 81 in der Vertrauensschadenversicherung, da dies dem Zweck der Versicherung widersprechen würde:100 Die Vertrauensschadenversicherung soll die Haftpflichtversicherung wirksam ergänzen und folgt entsprechend deren Regeln. In der Haftpflichtversicherung ist es für das Bestehen des Anspruchs aber unerheblich, ob der Geschädigte den Versicherungsfall mitverursacht hat. Aus dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 („auch“) folgt, dass § 81 allerdings dann auf die versicherte Person anzuwenden ist, wenn der VN den Versicherungsfall herbeigeführt hat.101 Das entspricht dem Rechtsgedanken des § 334 BGB: Die versicherte Person hat für die Vertragsuntreue des VN gegenüber dem VR einzustehen. In der Kautionsversicherung (auch der PersonenKautionsversicherung) ist dies ausdrücklich geregelt – und zwar auch für den Fall, dass der VN den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat.102

II. Kombinierte Eigen- und Fremdversicherung Eine kombinierte Eigen- und Fremdversicherung deckt durch denselben Versicherungsvertrag 47 sowohl das eigene Interesse des VN als auch ein fremdes Interesse der versicherten Person(en). Ein Versicherungsanspruch kann in diesen Fällen in der Person des VN und in der Person des (oder der) Versicherten entstehen. Gedanklich ist der einheitliche Versicherungsvertrag in eine Veith/Gräfe/Lange Der Versicherungsprozess3 § 16 Rn. 251; Lange VersR 2010 162, 175; Ruchatz AG 2015 1, 9. OLG Stuttgart 24.7.1974, VersR 1976 238; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 10; R. Johannsen VersR 1991 500. Näher dazu Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 16 ff. Dazu Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 15. OLG Naumburg 5.2.2004 – 4 O 158/03, RuS 2005 280; Berliner Kommentar/Hübsch § 158 i Rn. 6; Bruck/Möller/ Beckmann9 § 123 Rn. 14; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 10; Looschelders/Pohlmann/Schwartze3 § 123 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Langheid6 § 123 Rn. 9; Prölss/Martin/Knappmann31 § 123 Rn. 6; R. Johannsen VersR 1991 500, 503. 98 OLG Koblenz 12.3.2004 – 10 U 550/03, VersR 2004 1410, 1411; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 7. 99 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 12; Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 10. 100 BGH 30.9.1998 – IV ZR 323/97, VersR 1998 1504, 1505. 101 Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 9; Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 9; a.A. Ehrenzweig 217 unter irrtümlicher Berufung auf Ehrenberg 203. 102 BGH 11.7.1960 – II ZR 254/58, BGHZ 33 97, 101 f.; Kossen Die Kautionsversicherung (1996) 165 f., 227.

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Brand

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Kenntnis und Verhalten des Versicherten

Versicherung für eigene Rechnung des VN und eine Versicherung für fremde Rechnung der versicherten Person(en) zu trennen (Trennungsgrundsatz). Beispiele sind die Betriebshaftpflichtversicherung des Unternehmers zugunsten der Betriebsangehörigen,103 die Kfz-Haftpflichtversicherung des Halters zugunsten des mitversicherten Fahrers,104 die Privathaftpflichtversicherung zugunsten der mitversicherten Familienangehörigen,105 die Feuerversicherung zugunsten Eigentümer fremder Sachen oder die Hausratsversicherung, wenn sowohl eigene als auch fremde Sachen versichert sind.106

1. Fehlverhalten der versicherten Person 48 Obliegenheitsverletzungen und die Verwirklichung subjektiver Risikoausschlüsse durch die versicherte Person schaden nach dem Trennungsgrundsatz (dazu oben Rn. 47) grds. nur ihr selbst.107 Der Versicherungsanspruch des VN und anderer versicherter Personen bleibt unberührt – gerade auch dann, wenn in der Person des Versicherten ein personenbezogener Haftungsausschluss vorliegt.108 Das gilt u.a. auch für schwerwiegende Vertragsverletzungen in der Krankenversicherung, welche den VR zur außerordentlichen Kündigung berechtigen.109 Etwas anderes gilt nach den allgemeinen Regeln nur, wenn die mitversicherte Person Repräsentant des VN bzgl. dessen mitversichertem Eigeninteresse ist.110 Zu beachten ist dabei, dass die Grundsätze der Repräsentantenhaftung in der Kfz-Haftpflichtversicherung keine Anwendung finden. Eine weitere Ausnahme gilt hinsichtlich der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten, und zwar für den Fall, dass die versicherte Person eine ihr obliegende vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt und der VR deshalb den Versicherungsvertrag anficht. Zwar erstreckt sich die Obliegenheit der versicherten Person nur auf die Fremdversicherung. Da Eigen- und Fremdversicherung jedoch Bestandteil ein und desselben Versicherungsvertrags sind, entfällt gem. § 142 BGB auch der Eigenversicherungsschutz, soweit nicht der VR die Anfechtung auf die Fremdversicherung beschränkt.111 Eine derartige Teilanfechtung ist daher – anders als bei einer reinen Fremdversicherung (dazu oben Rn. 38) – grds. möglich, da die Eigenversicherung nach Wegfall des angefochtenen Teils bei objektiver und vom Parteiwillen unabhängiger Betrachtungsweise als selbständiges und unabhängig von dem angefochtenen Teil bestehendes Rechtsgeschäft denkbar ist. Ob der restliche Teil – die Eigenversicherung – wirksam bleibt, beurteilt

103 OLG Koblenz 25.6.1993 – 10 U 1274/92, VersR 1994 715, 716. 104 BGH 22.9.1958 – II ZR 87/57, BGHZ 28 137, 141; BGH 14.12.1967 – II ZR 169/65, BGHZ 49 130, 133; BGH 15.12.1970 – VI ZR 97/69, VersR 1971 239, 241; OLG München 14.8.1956 – 5 U 2064/55 VersR 1957 89.

105 OLG Köln 6.6.1952 – 4 U 285/51, VersR 1952 268, 269; OLG Düsseldorf 28.10.1997 – 4 U 101/96, RuS 1998 145, 147.

106 OLG Karlsruhe 4.7.1996 – 12 U 28/96, VersR 1997 104; LG Nürnberg-Fürth 17.11.1977 – 10 O 4617/77, VersR 1978 73.

107 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 21; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 47 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 47 Rn. 8; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 5; Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 11; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 124; Langheid/Grote VersR 2005 1165, 1168. 108 BGH 10.3.1966 – II ZR 247/63, VersR 1966 674. 109 OLG Nürnberg 30.7.2020 – 8 U 49/20, ZfS 2020 579 Rn. 27 f. 110 BGH 29.1.2003 – IV ZR 41/02, RuS 2003 186; BGH 13.7.1971 – VI ZR 140/70, VersR 1971 1119, 1121; zur Kfz-KaskoVersicherung: OLG Nürnberg 25.10.1990 – 8 U 1458/90, NJW-RR 1992 360; OLG Hamm 12.12.1997 – 20 U 121-97, NJWRR 1998 821; OLG Saarbrücken 9.7.1997 – 5 U 91/97, VersR 1998 883; OLG Karlsruhe 18.1.2013 – 12 U 117/12, VersR 2013 1123 Rn. 35 f.; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 43 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 24; Langheid/ Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 5; Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 11 f. m.w.N; Stiefel/Maier/Maier Kraftfahrtversicherung AKB 2008 F Rn. 57; a.A. LG Mannheim 14.2.1962 – 5 S 168/61, VersR 1962 317 f. 111 LG Köln 19.4.2018 – 14 O 38/17, 24 O Rn. 51 (juris); Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 47 Rn. 11; a.A. Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 47 Rn. 8; Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 13. Brand

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D. Rechtsfolgen

VVG § 47

sich nach § 139 BGB.112 Es kommt darauf an, ob die Parteien den Versicherungsvertrag nur als Eigenversicherung, d.h. ohne Mitversicherung fremder Risiken, abgeschlossen hätten.

2. Fehlverhalten des Versicherungsnehmers a) Auswirkungen auf den Eigenversicherungsschutz. Was den Eigenversicherungsschutz 49 des VN anbelangt, unterscheidet sich die Rechtslage bei der kombinierten Eigen- und Fremdversicherung nicht von derjenigen bei reiner Eigenversicherung: Verstößt der VN gegen Obliegenheiten oder verwirklicht er einen subjektiven Risikoausschluss, wird der VR hinsichtlich der Eigenversicherung ganz oder teilweise (§ 81 Abs. 2) leistungsfrei.

b) Auswirkungen auf den Fremdversicherungsschutz. Schwieriger ist die Frage zu beant- 50 worten, ob der VN, der durch Obliegenheitsverletzung oder Herbeiführung des Versicherungsfalls durch ihn oder einen Repräsentanten den eigenen Schutz verwirkt hat, damit bei der kombinierten Eigen- und Fremdversicherung auch die versicherte Person um ihre Ansprüche bringt. Früher ging man ausnahmslos von der Akzessorietät der Deckung der versicherten Person aus, d.h. sie verlor den Versicherungsschutz immer dann, wenn ihn auch der VN nicht beanspruchen konnte (Akzessorietätsregel). Das entspricht dem Normzweck des § 47 sowie dem Rechtsgedanken des § 334 und ist nach der Rechtsprechung grds. auch heute noch so.113 Die Akzessorietätsregel hat entsprechend Eingang in einige AVB gefunden, so z.B. in F.3 Satz 1 AKB 2008 und 2015. Bei der Verwirklichung subjektiver Risikoausschlüsse gilt die Akzessorietätsregel aus- 51 nahmslos: Verwirklicht der VN einen subjektiven Risikoausschluss, ist der VR auch gegenüber der versicherten Person (teilweise, vgl. § 81 Abs. 2) leistungsfrei,114 und zwar unabhängig von einer etwaigen Repräsentanteneigenschaft des VN.115 So verliert etwa der Leasinggeber (zumindest anteilig) seinen Anspruch auf die Kaskoentschädigung auf Grundlage von § 47, wenn der Leasingnehmer als VN den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt, § 81.116 Das Gleiche gilt bei vorsätzlichem Verhalten des VN nach § 103 in der Haftpflichtversicherung, selbst wenn die versicherte Person selbst bloß fahrlässig gehandelt hat. Demgegenüber wirken sich Obliegenheitsverletzungen des VN nicht stets zu Lasten der versicherten Person aus. Schon der Wortlaut des § 47 Abs. 1 („auch … die Kenntnis und das Verhalten des Versicherten“) lässt erkennen, dass Obliegenheitsverletzungen des VN der versicherten Person zugerechnet werden können, nicht aber, dass eine solche Zurechnung schlechthin bei allen, insbes. auch vertraglichen, Obliegenheiten stattfinden soll. Für die Frage, ob Obliegenheitsverletzungen des VN sich nachteilig auf den Leistungsan- 52 spruch der versicherten Person auswirken, ist vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen (oben Rn. 11) auf den Zweck der Obliegenheit und das Gewicht der durch sie geschützten Interessen des VR abzustellen. Soweit es sich also um Obliegenheiten handelt, die ausschließlich die Sphäre des VN betreffen, bleibt die Rechtsstellung der versicherten Person dadurch 112 OLG Saarbrücken 5.10.2011 – 5 U 90/11, VersR 2012 429; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 15; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 47 Rn. 8. 113 BGH 12.3.1959 – II ZR 130/57, VersR 1959 329; BGH 8.2.1965 – II ZR 171/62, VersR 1965 425; BGH 6.5.1965 – II ZR 217/62, BGHZ 44 1 = VersR 1965 701; BGH 21.4.1971 – IV ZR 162/69, VersR 1971 558. 114 BGH 8.2.1965 – II ZR 171/62, VersR 1965 425, 428; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 17. 115 Zutreffend OLG Hamm 2.11.1994 – 20 U 165/94, VersR 1995 1348; Rischar NZV 1998 59, 60; § 47 (bzw. § 79 a.F.) übersieht OLG Nürnberg 25.10.1990 – 8 U 1458/90, NJW-RR 1992 360; missverständlich Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 5. 116 OLG Hamm 2.11.1994 – 20 U 165/94, VersR 1995 1348; LG Dortmund 27.2.2014 – 2 O 370/13, NJW-RR 2014 1182 Rn. 16 f. 681

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Kenntnis und Verhalten des Versicherten

unberührt.117 Anders ist dies, wenn zumindest auch deren Sphäre betroffen ist; dann bleibt der VR auch der versicherten Person gegenüber leistungsfrei.118 Das gilt etwa für die Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit. Verletzt der VN diese arglistig, greift zum Schutze der versicherten Person nicht § 123 Abs. 2 BGB ein, da sie kein „Dritter“ i.S.d. Vorschrift ist (s. auch oben Rn. 38).119 Die Aufspaltung nach dem Zweck der Obliegenheit gilt auch in der Pflichthaftpflichtversicherung.120 Zu einer Anwendung des § 123 Abs. 1 (dazu sogleich Rn. 55) kommt es dort nur, soweit eine Obliegenheit die Sphäre versicherter Personen berührt. Ansonsten bleibt der VR der versicherten Person gegenüber auch unabhängig von den Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 zur Leistung verpflichtet. 53 Der VR bleibt aber – abgesehen von den Fällen der Arglist – zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist (vgl. §§ 21 Abs. 2, 26 Abs. 3 Nr. 1, 28 Abs. 3, 82 Abs. 4). Hinsichtlich der Auswirkungen von Obliegenheitsverletzungen des VN auf den Fremdversicherungsschutz der versicherten Person bedeutet dies, dass der Fremdversicherungsschutz unberührt bleibt, wenn die Obliegenheitsverletzung des VN, z.B. wegen Erfüllung der Obliegenheit durch den Versicherten, für den VR folgenlos geblieben ist.121 So betrifft es den mitversicherten Fahrer in der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht, wenn der VN dem VR keine Auskunft über den Versicherungsfall gibt, solange der Versicherte selbst für den Schadensbericht sorgt. Damit ist dem Informationsinteresse des VR Genüge getan.122 54 Die Akzessorietätsregel kann auch durch vertragliche Vereinbarung durchbrochen werden. So können die Parteien vereinbaren, dass der VR der versicherten Person in höherem Maße verantwortlich ist als dem VN, also seine Leistungspflicht dem Versicherten gegenüber (vollständig) bestehen bleibt, während sie dem VN gegenüber (teilweise) erlischt. Hauptbeispiele sind die Kautionsversicherung, die Kfz-Kaskoversicherung mit Sicherungsschein,123 die sonstige Sachversicherung mit Warensicherungsschein und die Kundenversicherung. Soweit hier die Akzessorietätsregel zugunsten der versicherten Person durchbrochen wird, ist aber streng darauf zu achten, inwieweit der Vertrag Ausnahmen vorsieht. 55 In der Pflicht-Haftpflichtversicherung durchbricht § 123 Abs. 1 zum Zwecke der sozialen Risikoabsicherung des gutgläubigen (Mit-)Versicherten124 die Akzessorietätsregel.125 Würde man diese auch in der Pflicht-Haftpflichtversicherung ungefiltert anwenden, liefen versicherte Personen Gefahr, ihren Versicherungsschutz durch ein Verhalten des VN zu verlieren, auf das sie selbst keinen Einfluss haben. Das ist im Bereich der Pflicht-Haftpflichtversicherung, insbes. in der Berufshaftpflichtversicherung der Notare und Rechtsanwälte, der Betriebshaftpflichtversicherung und der Kfz-Haftpflichtversicherung,126 besonders bedenklich, da angesichts hoher Haftungssummen leicht die Insolvenz des (Mit-)Versicherten droht. Vor diesem Hintergrund ord117 OLG Saarbrücken 17.7.1968 – 3 U 67/67, VersR 1968 1133; OLG Hamm 19.4.1996 – 20 U 284/95, NZV 1996 412; Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 18; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 47 Rn. 5. 118 Vgl. auch Schirmer ZVersWiss 1981 121, 126. 119 BGH 8.12.2011 BeckRS 2012 04158; OLG Celle 19.11.2009 BeckRS 2009 87575; Staudinger/Halm/Wendt/ Schramm/Kassing2 § 47 Rn. 11; a.A. bzgl. der Stellung der versicherten Person als Drittem Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 13. 120 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 9. 121 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 20. 122 BGH 14.12.1967 – II ZR 169/65, BGHZ 49 130 134; Bruck/Möller/Baumann9 § 89 Rn. 139 ff.; Koch GmbHR 2004 160, 161; zu weitreichend die Interpretation dieser Ausnahme durch Staudinger/Klumpp (2020) § 334 Rn. 2. 123 BGH 19.1.1967 – II ZR 37/64, VersR 1967 343; BGH 15.11.1978 – IV ZR 183/77, VersR 1979 176, 178; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Hübsch3 § 47 Rn. 10. 124 Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 1; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 47 Rn. 10; Schirmer FS Sieg, 451 ff.; ders. ZVersWiss 2006 (Supplement) 427, 448. 125 OLG Stuttgart 24.7.1974 – 13 U 47/74, VersR 1975 705; Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 19. 126 Näher Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 6 bis 8. Brand

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E. Sonderregeln

VVG § 47

net § 123 einen Einwendungsausschluss an, der eine Anwendung des § 334 BGB zu Lasten versicherter Personen ausschließt, soweit diese die Umstände, die zur Leistungsfreiheit gegenüber dem VN geführt haben, nicht selbst zu vertreten haben bzw. diese ihnen nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt sind. Als Reflex des Einwendungsausschlusses bleibt der VR der versicherten Person zur Leistung verpflichtet – auch insoweit er dem VN gegenüber nicht leisten muss.127 Voraussetzung ist allerdings, dass die versicherte Person die Rechte aus dem Vertrag selbständig geltend machen kann. Damit sind weniger die Ausnahmen des § 44 Abs. 2 angesprochen, die in der Pflicht-Haftpflichtversicherung nur wenig praktische Relevanz besitzen, sondern vertragliche Abweichungen von § 44 Abs. 2, wie sie sich etwa in Ziff. A. 1.2 Satz 2 AKB 2008 finden. Die Durchbrechung der Akzessorietätsregel durch § 123 spiegelt sich in Ziff. F.3 Satz 2 AKB 2008 und 2015 im Bedingungswerk. Sie geht über den Normvorgänger des § 123, § 158 i a.F., in seiner Fassung vor 1990 hinaus, der lediglich ein Regressverbot zu Lasten des VR gegenüber versicherten Personen bei Obliegenheitsverletzungen des VN vorsah.128

E. Sonderregeln Dadurch, dass § 47 nunmehr eine Bestimmung des Allgemeinen Teils ist, die für sämtliche im 56 VVG geregelten Versicherungszweige gilt, konnten die Verweisungen, kraft derer zuvor die Regeln über die Versicherung für fremde Rechnung auf die Unfall- (§ 179 Abs. 2 Satz 2 a.F.) und die Krankenversicherung Anwendung fanden, ersatzlos gestrichen werden. Es sind aber weiterhin Besonderheiten zu beachten. So schadet in der Krankenversicherung nur vorsätzliches Verhalten, was die Herbeiführung des Versicherungsfalls anbelangt (§ 201). In der Unfallversicherung gelten hingegen die allgemeinen Grundsätze, da § 183 Abs. 1 an § 179 Abs. 2 anknüpft und nicht auch an § 179 Abs. 1 Satz 2.129 Ist der vertragsfremde Dritte nicht versicherte Person i.S.d. § 43, sondern bloße Gefahrsperson, bedarf es der Anwendung von § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1, Satz 2 bei der Unfall- und Krankenversicherung nicht; auf Kenntnis und Verhalten der Gefahrsperson kommt es nach Maßgabe des § 179 Abs. 3 bzw. des § 193 Abs. 2 an, die vorrangige leges speciales sind.130 Das bedeutet insbes., dass der VR jeweils auch bei einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch die Gefahrsperson leistungsfrei wird, und dass die Gefahrsperson eine Obliegenheitsverletzung begehen kann. Hat etwa in der Krankenversicherung der Familienangehörige als Gefahrsperson von Vorerkrankungen gewusst, der VN aber nicht, und hat letzterer sie dementsprechend auf Nachfrage des VR hin nicht angegeben, so ist das dem VN dennoch zuzurechnen.131 Der Unterschied zu § 47 besteht darin, dass Kenntnis und Verhalten der Gefahrsperson nach §§ 179 Abs. 3, 193 Abs. 2 dem Anspruch des VN schaden und nicht dem Anspruch des Versicherten, wie dies nach § 47 der Fall ist. Zum alten Recht wurde zu Recht vertreten, die Entlastungsvorschrift des heutigen § 47 57 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 sei entsprechend auf die Obliegenheit des Bezugsberechtigten in der Unfallversicherung nach § 182 a.F. anzuwenden, da er insoweit wie eine versicherte Person stand.132 Dieses Anwendungsgebiet für die Regel aus § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 ist mit der Neukodifikation von 2008 weggefallen, da der Reformgesetzgeber § 182 a.F. ersatzlos gestrichen hat. 127 Berliner Kommentar/Hübsch § 158i Rn. 14; Langheid/Wandt/Brand2 § 123 Rn. 25; Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber3 § 123 Rn. 1; R. Johannsen VersR 1991 500, 503; Schirmer RuS 1990 253, 256; a.A. Bauer Die Kraftfahrtversicherung Rn. 895 f. 128 Dazu näher BRDrucks. 615/1/89 S. 104 bis 108; Bruck/Möller/Johannsen8, Band V/1, Anm. H 35 ff.; Langheid/ Wandt/Brand2 § 123 Rn. 3; Schirmer ZVersWiss 1981 121, 128 f.; ders. RuS 1990 253, 256 f. 129 Zu § 183 und der Versicherung für fremde Rechnung Looschelders/Pohlmann/Looschelders/Götz3 § 183 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Brömmelmeyer3 § 183 Rn. 4. 130 Siehe dazu etwa Bruck/Möller/Brand9 § 193 Rn. 13 f. 131 Bruck/Möller/Brand9 § 193 Rn. 13; Gruneke 116, 126, 128. 132 Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 24. 683

Brand

§ 47 VVG

Kenntnis und Verhalten des Versicherten

F. Beweislast 58 Will der VR sich auf eine Obliegenheitsverletzung nach § 47 berufen oder diese Vorschrift als Zurechnungsregel bemühen, muss er nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung darlegen und beweisen, dass es sich beim streitgegenständlichen Versicherungsvertrag um eine Versicherung für fremde Rechnung handelt, da dies eine Anwendungsvoraussetzung des § 47 ist.133

G. Abdingbarkeit 59 § 47 ist grds. abdingbar.134 Eine Ausnahme gilt aber für § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1.135 Diese Vorschrift dient – wie auch § 44 Abs. 1 – der Absicherung des Verbots von Wettversicherungen (Eigenversicherungen auf fremdes Risiko) und ist daher zwingendes Recht. 60 Insoweit § 47 abdingbar ist, gilt im Einzelnen Folgendes: Die bei der Versicherung für fremde Rechnung vorhandene Gefährdung der Rechte der versicherten Personen durch ihre Abhängigkeit von dem Verhalten des VN kann durch besondere Vereinbarungen der Beteiligten ausgeschlossen werden.136 Vereinbart der VN mit dem VR allerdings umgekehrt, dass versicherten Personen von ihnen nicht verschuldete Obliegenheitsverletzungen des VN entgegengehalten werden können, so ist dies ebenfalls wirksam möglich. Auch kann der VR gegenüber der versicherten Person (etwa einem Kreditinstitut oder einem Leasinggeber) auf bestimmte Einwendungen aus seinem Rechtsverhältnis zum VN verzichten.137 In diesen Fällen bleibt er gegenüber der versicherten Person kraft vertraglicher Vereinbarung verpflichtet, auch wenn eine solche Verpflichtung gegenüber dem VN nicht besteht. Ist der VN Dritter i.S.v. § 86, ist ein Regress gegen den VN möglich.138 Schließlich können die Rechtsfolgen von Anzeigeobliegenheitsverletzungen der versicherten Person auf deren Versicherungsanspruch beschränkt werden. 61 Häufig finden sich in AVB Vorschriften, dass gewisse näher aufgeführte Bestimmungen der Vertragsregelung, die den VN betreffen, sinngemäß auf mitversicherte Personen Anwendung finden. Beispiele hierfür bieten Ziff. F.1 AKB 2008 und 2015, Ziff. 27.1 Satz 1 AHB 2008 und 2016, sowie Abschnitt B § 12 Nr. 3 lit. a) AFB 2008/2010. Ihre Bedeutung ist angesichts des weit gefassten § 47 Abs. 1 gering.139

H. Auslandsrecht/PEICL 62 Was das ausländische Recht anbelangt, ist hinsichtlich Verantwortlichkeit für Wissen und Verhalten zu unterscheiden. Was das Wissen des Versicherten anbelangt, haben sich zwei verschiedene Regelungsmodelle herausgebildet, die aber praktisch zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Das eine, dem teilweise auch irrtümlich das deutsche und das österreichische Recht zugerechnet werden,140 stellt Zurechnungsregeln auf, die das Wissen des Versicherten als Wissen des VN behandeln (vgl. etwa Art. 5 Abs. 2 schw. VVG). Das andere Modell, das die meisten 133 OLG Oldenburg 30.9.1999 – 2 U 161/99, NVersZ 2000 280 f.; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 § 47 Rn. 16; Langheid/ Rixecker/Rixecker6 § 47 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 28; a.A. Prölss/Martin/Klimke31 § 47 Rn. 14. 134 Berliner Kommentar/Hübsch § 79 Rn. 26; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 22. 135 Bruck/Möller/Sieg8 Vor §§ 74–80 Anm. 14; Krause 23. 136 BGH 14.12.1967 – II ZR 169/65, BGHZ 49 130, 134 = NJW 1968 447; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 29. 137 BGH 15.11.1978 – II ZR 183/77, VersR 1979 176, 178. 138 ÖOGH 21.4.1993 – 7 Ob 11/93, VersR 1994 459, 460; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 47 Rn. 29; ders. VersR 2016 765, 766. 139 So schon Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 3. 140 Basedow et al. PEICL Art. 11-102 N 2. Brand

684

H. Auslandsrecht/PEICL

VVG § 47

europäischen Versicherungsrechtsordnungen verwenden, sieht vor, dass den Versicherten eine eigene Verantwortlichkeit trifft (vgl. etwa § 79 Abs. 1 ÖVersVG, Art. 9 Abs. 2 Satz 2 griech. VGG; Art. 7 span. VVG; Art. 22 fin. VVG). Was die Verantwortlichkeit für Verhalten bei der Versicherung für fremde Rechnung anbelangt, ist die Rechtslage international uneinheitlich. Auf der einen Seite stehen Rechtsordnungen wie das französische, belgische und luxemburgische Recht sowie das Recht der nordischen Länder, die auf das Verhalten des Versicherten nicht abstellen wollen. Dem gegenüber kennen das österreichische, das schweizerische und das griechische Recht Bestimmungen, die der des § 47 Abs. 1 im Wesentlichen gleichen. Die Entscheidung der einzelnen Rechtsordnungen für einen der beiden Ansätze verläuft parallel zur jeweiligen Grundentscheidung, ob Obliegenheiten von Rechtspflichten unterschieden werden. Rechtsordnungen, die dies – anders als das deutsche Recht – nicht tun, sehen in der Maßgeblichkeit des Verhaltens einen (unzulässigen) Vertrag zu Lasten Dritter, da der Versicherte zu einem Verhalten verpflichtet wird, zu dem er seine Zustimmung nicht gegeben hat.141 Die PEICL tragen den unterschiedlichen Ansätzen der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten 63 zur Frage der Erheblichkeit des Verhaltens der versicherten Person Rechnung und klammern diesen Bereich weitgehend aus den Bestimmungen über die Versicherung für fremde Rechnung aus. Eine Teilregelung, die im Wesentlichen der Bestimmung des § 123 Abs. 1 entspricht,142 findet sich allerdings in Art. 11–103 PEICL. Sie schreibt den Grundsatz der Einzelwirkung von Fehlverhalten fest und bestimmt, dass Kenntnis und Verhalten der versicherten Person die Rechtsstellung anderer Versicherter nur im Rahmen einer Gruppenversicherung oder einer vergleichbaren Versicherung gemeinsamer Interessen beeinträchtigt. Das ist auch die Wertung des deutschen Rechts (vgl. oben Rn. 26) Art. 11–102 PEICL enthält eine weitere Teilregelung des Fragenkomplexes, den § 47 an- 64 spricht. Diese Regel beschränkt die Beachtlichkeit der Kenntnis der versicherten Person auf den Fall, dass der VN verpflichtet ist, dem VR wesentliche Informationen zur Verfügung zu stellen (Äquivalent zu § 47 Abs. 1). Ebenfalls in den PEICL geregelt ist ein Äquivalent zu § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1, wonach die Zurechnung nur erfolgt, wenn die versicherte Person ihren Status kennt. Regelungstechnisch haben sich die PEICL – vielleicht auch in Verkennung der Rechtslage in Deutschland und Österreich – für ein Zurechnungsmodell entschieden.

141 Dazu auch Basedow/Fock Europäisches Versicherungsrecht I 105. 142 So auch Basedow et al. PEICL Art. 11-103 Note; ferner Armbrüster ZEuP 2008 775, 808. 685

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§ 48 Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ Ist die Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ genommen oder ist dem Vertrag in sonstiger Weise zu entnehmen, dass unbestimmt bleiben soll, ob eigenes oder fremdes Interesse versichert ist, sind die §§ 43 bis 47 anzuwenden, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass fremdes Interesse versichert ist.

Schrifttum (vgl. auch Schrifttum Vor §§ 43–48) Cohn Das rechtsgeschäftliche Handeln für denjenigen, den es angeht, Diss. Marburg 1931; Dreischmeier Neue Allgemeine Maschinenversicherungs-Bedingungen (AMB) und Klauseln zu den AMB, VA 1969 30; Embden Die Versicherung für Rechnung wen es angeht, Diss. Hamburg 1930; Glitza Die Versicherung für Rechnung „wen es angeht“ und entsprechende Rechtsinstitute im englischen, französischen und italienischen Recht, Diss. Hamburg 1964); Langenbeck Anmerkungen über das Hamburgische Schiff- und Seerecht (1724); Mitsdörffer Rechtsfragen der Insassenunfallversicherung bei Kraftfahrzeugen, Diss. Freiburg 1974; Möller Cif-Geschäft und Versicherung (1932); ders. Wer ist bei der Versicherung für Rechnung, wen es angeht, unmittelbar aufgrund des Versicherungsvertrags Versicherter? JRPV 1928 337; Orlowski Rechtsfragen der Insassenversicherung, VersR 1954 45; Schirmer Zur Versicherbarkeit des Sachersatzinteresses in der Sachversicherung, ZVersWiss 1981 637; Sieg Die versicherungsrechtliche Stellung des Sacherwerbers nach Gefahrübergang auf ihn, VersR 1995 125; Sieveking Von der Assekuranz für Rechnung eines ungenannten Versicherten (1791).

Übersicht 1

A.

Normgeschichte

I.

Entstehung

II.

Gesetzgebungsgeschichte

B.

Normzweck

C.

Interessegestaltungen

I.

Versicherung alternativer Interessen

6

II.

Versicherung sukzessiver Interessen

9

III.

Versicherung kumulativer Interessen

IV.

Geheimhaltungsinteresse des Versicherungsneh14 mers

D.

Tatbestand

I.

Dogmatik und Rechtsnatur

II.

Anwendungsbereich

III.

Vereinbarung einer Versicherung für Rechnung wen es angeht 20

IV. 1. 2. 3.

25 Feststellung des versicherten Interesses 25 Grundlagen Meinungsstand zu sukzessiven und kumulati27 ven Interessen 29 Stellungnahme

E.

Rechtsfolgen

I.

Rechte gegen den Versicherer

II.

Pflichten und Obliegenheiten gegenüber dem 33 Versicherer

F.

Unanwendbare Vorschriften

G.

Auflösung

39

H.

Beweislast

42

I.

Auslandsrecht/PEICL

1 2

3 5

11

32 32

38

15 15 43

17

Brand https://doi.org/10.1515/9783110522624-032

686

B. Normzweck

VVG § 48

A. Normgeschichte I. Entstehung Die Entwicklungsgeschichte der Versicherung für Rechnung wen es angeht folgt eng den Entwick- 1 lungslinien der Versicherung für fremde Rechnung (dazu Vor §§ 43–48 Rn. 7 ff.).1 Auch die Versicherung für Rechnung wen es angeht stammt geographisch aus Italien und materiell aus der Seegüterversicherung. Eine erste Erwähnung findet sich im Versicherungsvertragsgesetz der Republik Florenz von 1523. Das Interesse der Kaufmannschaft an der Geheimhaltung ihrer Geschäfte verhalf dem Rechtsinstitut zum Durchbruch. Über Spanien und die (zunächst spanischen) Niederlande (Ordinantie van Assecurantie ofte Verseckering von 1563) gelangte die Versicherung für Rechnung wen es angeht in den deutschen Raum. Die Hansestädte waren das Einfallstor. In Hamburg findet sich eine Police aus dem Jahr 1590, die Deckung für „eigene oder fremde Rechnung“ gewährte. Die Hamburgische Assecuranz- und Haverey-Ordnung von 1731 nahm sich als erste deutsche Rechtsquelle dieses Instituts an (Titel I § 4, Titel II § 3). Sie diente wiederum als Vorbild für das preußische Recht, das seit 1766 die Versicherung für Rechnung wen es angeht anerkannte.2 Man legte die jeweiligen Bestimmungen bereits so aus, dass eigenes und fremdes Interesse gedeckt war, ohne dass die Versicherung ausdrücklich „für Rechnung wen es angeht“ genommen werden musste.3 Zwischenzeitlich musste diese Freizügigkeit gegenüber den Interessenten dem Verlangen der VR weichen, unterrichtet zu sein, ob sie Interessen ihrer VN oder diejenigen Dritter gedeckt hielten. Nach dem II. Weltkrieg kehrte die Normpraxis zu § 48 bzw. dessen Normvorgänger § 80 Abs. 2 a.F. und zu § 52 Abs. 3 ADS, der § 80 Abs. 2 a.F. nachgebildet ist, allerdings zur ursprünglichen, liberaleren Handhabung zurück (vgl. unten Rn. 21 f.).

II. Gesetzgebungsgeschichte § 48 entspricht § 80 Abs. 2 a.F. Die Regelung des § 80 Abs. 1 a.F. wurde als § 43 Abs. 3 neu kodifi- 2 ziert. Die Abtrennung von § 80 Abs. 1 a.F. erfolgte aufgrund des Sachzusammenhangs dieser Bestimmung mit den übrigen Regeln des § 43.4 Dass § 48 nunmehr im Allgemeinen Teil des VVG geregelt ist, ist eine glückliche Wahl des Reformgesetzgebers von 2007, da er dadurch die zuvor umstrittene Frage, ob es auch eine Versicherung für Rechnung wen es angeht in der Summenversicherung geben kann, von Rechtsunsicherheit befreit hat (dazu unten Rn. 18). Für die Seeversicherung trifft § 52 Abs. 3 ADS eine inhaltsgleiche Regelung. Regelungsvorbild ist jeweils der mittlerweile aufgehobene § 781 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F.

B. Normzweck § 48 regelt einen eigenen Versicherungstypus, der zwischen der Versicherung eines eigenen und 3 der Versicherung eines fremden Interesses steht.5 Die Vorschrift ermöglicht es den Parteien, im Versicherungsvertrag zunächst offen zu lassen, ob ein eigenes oder ein fremdes Interesse versichert wird. Dadurch entsteht ein „Schattenkabinett, ein huschendes Durcheinander von Personen, 1 Speziell zur Entwicklung der Versicherung für Rechnung wen es angeht: Glitza 23 ff. m.w.N.; Ritter/Abraham2 § 52 ADS Anm. 16; Sieveking 10 ff.; Langenbeck 378.

2 Assecuranz- und Havarey-Ordnung für sämtliche preußischen Staaten von 1766; dazu Bruck PVR 6; nach dem preußischen ALR von 1794 (§ 2017 II 17) durften allerdings nur Kaufleute eine Versicherung für Rechnung wen es angeht nehmen. 3 Bruck/Möller/Sieg8 § 79 Anm. 10; Ritter/Abraham2 § 52 ADS Anm. 16. 4 Begr. RegE. BTDrucks. 16/3945 S. 73. 5 Wie hier Lentz 31; Embden 8 f; a.A. Glitza 79. 687

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§ 48 VVG

Versicherung für Rechnung „wen es angeht“

Gefahren und Risiken“.6 Es können auf diesem Wege aber Interessen gedeckt werden, für die bei Abschluss des Versicherungsvertrags bzw. bei materiellem Versicherungsbeginn nicht feststeht oder sich nur schwer feststellen lässt, wer ihr Träger ist. Insoweit sind vier verschiedenen Formen der Interessegestaltung denkbar (unten Rn. 6 ff.). Wäre es in diesen Fällen nicht möglich, Versicherung für Rechnung wen es angeht zu nehmen, wäre der Abschluss mehrerer Versicherungsverträge notwendig. Dadurch käme es regelmäßig zu einer Überversicherung und zur Behandlung einheitlicher Sachen/Sachverhalte nach unterschiedlichen Versicherungsverträgen.7 Der Praxis dient § 48 darüber hinaus dazu, Härten des § 43 Abs. 3 abzufedern: Dieser ent4 hält eine – allerdings schwache – Vermutungsregel, nach der von einer Versicherung eigenen Interesses auszugehen ist, wenn die Umstände Zweifel daran lassen, dass ein fremdes Interesse versichert ist. Lässt sich auch kein Eigeninteresse des VN feststellen, liegt Interessemangel vor; der VR bleibt leistungsfrei. Kommt § 43 Abs. 3 zur Anwendung, geht es also darum, ob überhaupt Versicherungsschutz besteht. § 48 behandelt hingegen die Frage, wer einen unzweifelhaft zu gewährenden Versicherungsschutz beanspruchen kann. Die Vorschrift ermöglicht es der Rechtsprechung also, durch Annahme des Abschlusses einer konkludenten Versicherung für Rechnung wen es angeht, die im Einzelfall unliebsame Annahme eines Interessemangels zu vermeiden.

C. Interessegestaltungen 5 Im deutschen Recht werden nach Kisch8 drei verschiedene Interessegestaltungen unterschieden, die Grundlage einer Versicherung für Rechnung wen es angeht sein können. Eine vierte – heute allerdings praktisch weniger relevante – kommt hinzu. Die Grenzen zwischen den vier Gestaltungsformen sind fließend; rechtliche Bedeutung hat die Einteilung nicht. Sie dient nur dazu, das komplexe Institut der Versicherung für Rechnung wen es angeht zu veranschaulichen.

I. Versicherung alternativer Interessen 6 Bei der Versicherung alternativer Interessen ist bei Vertragsschluss bzw. materiellem Versicherungsbeginn noch nicht bekannt, wem das zu versichernde Interesse zusteht. Zu dieser Gruppe zählt in der Aktivenversicherung der Fall, dass die Berechtigung an einer versicherten Sache – etwa aufgrund konfligierender Kreditsicherungsrechte (z.B. Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung) oder einer zweifelhaften Erbfolge – unklar ist, oder Streit über sie besteht. Der Prozessausgang entscheidet im letzteren Fall darüber, ob eigenes Interesse des VN oder fremdes Interesse des Dritten gedeckt ist. Auch der Inhaber des Sachwertinteresses kann ungewiss sein, z.B. wenn die Identität des Treugebers unklar ist.9 Eigenversicherung oder Versicherung für fremde Rechnung genügen in den genannten Fällen nicht, wenn das Interesse auf jeden Fall versichert sein soll. Die Berechtigung an der versicherten Sache kann auch in der Kaskoversicherung unklar sein. Nach den Sonderbedingungen für den Kfz-Handel und -Handwerk liegt eine Versicherung alternativer Interessen etwa bei Verwendung eines roten Kfz-Kennzeichens vor. Versichert sind hier nach den Grundsätzen der Versicherung für Rechnung wen es angeht auch Schäden an einem betriebsfremden Fahrzeug, an dem das rote Kennzeichen angebracht ist.10 Auch jenseits der Sachversicherung kann der Träger des versicherten Risikos bei 6 Imseng 20. 7 Lentz 32; näher Anli 40. 8 Kisch PVR III 586. 9 Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 145; Deutsch/Iversen Versicherungsvertragsrecht Rn. 101. 10 BGH 11.3.1987 – IVa ZR 240/85, NJW-RR 1987 856; OLG Köln 18.10.1989 – 11 U 327/88, VersR 1990 847, 848; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 1; Prölss/Martin/Klimke31 § 45 Rn. 4; BeckOK-VVG/Bauerschmidt11 Rn. 3; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 48 Rn. 4. Brand

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C. Interessegestaltungen

VVG § 48

Vertragsschluss noch nicht feststehen. In der Insassenunfallversicherung des Halters liegt regelmäßig eine Versicherung für Rechnung wen es angeht zugunsten der bei Vertragsschluss noch unbekannten zukünftigen Insassen des Fahrzeugs.11 Ähnlich ist die Sachlage, wenn ein zukünftiges Interesse versichert werden soll, von dem 7 man nicht weiß, ob oder inwieweit es in der Person des VN oder in der eines Dritten entstehen wird (z.B. Abschluss einer Wohngebäudeversicherung durch den Alleineigentümer als künftiger Verwalter zugunsten einer noch nicht bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft).12 In der Passivenversicherung liegt eine Versicherung alternativer Interessen vor, wenn 8 Haftpflichtschäden aus einer Verkehrspflicht zu versichern sind, die mit einem Grundstück zusammenhängt, dessen Eigentumsverhältnisse unklar sind.

II. Versicherung sukzessiver Interessen Von sukzessiven Interessen spricht man, wenn ein versichertes Interesse bestimmungsgemäß 9 auf einen anderen Inhaber oder eine Reihe anderer Inhaber übertragen werden soll. Bei einer solchen Interessenlage kann sich die Versicherung für Rechnung wen es angeht in einem Sonderfall13 anbieten, der sich durch zwei Merkmale auszeichnet. Einmal muss es sich bei dem versicherten Interesse, das übertragen werden soll, um eines des VN handeln. Weiterhin muss der VN auch nach der Übertragung VN bleiben wollen. Nähme er in einem solchen Fall nur eine Versicherung für das künftige Interesse des Dritten (Erwerbers), bliebe dieser bis zur Wirksamkeit der Übertragung versicherungsrechtlich ungeschützt und auf den bürgerlich-rechtlichen Schutz durch § 285 BGB14 verwiesen. Scheitert der Veräußerungsvorgang, wäre die Versicherung gar gegenstandslos. Eine Eigenversicherung entspricht ebenfalls nicht der Interessenlage des VN. Zwar wäre der Erwerber vor der Übertragung zumindest nach § 285 BGB und nach der Übertragung aufgrund der §§ 95 ff. geschützt. Der VN würde aber nach der Übertragung entgegen seinem Willen seine Stellung als VN verlieren. Anwendungsfälle der Versicherung für Rechnung wen es angeht bei sukzessiven Interes- 10 sen sind die Versicherung von Nachlasssachen durch den Vorerben in seinem und des Nacherben Namen oder die Versicherung des Interesses an einem Gut, das durch verschiedene Hände und Interessensphären geht (z.B. in der Transport- oder Seeversicherung zu versendende Ware, welche die Rechtssphären des Absenders, des Spediteurs, des Frachtführers, des Lagerhalters und des Adressaten durchwandert).15 Ist das Interesse, dessen Träger wechseln soll, von vornherein ein fremdes, genügt allerdings Versicherung für fremde Rechnung mit unbenanntem Interesseträger nach § 43 Abs. 1. Umstritten ist, ob eine Versicherung für Rechnung wen es angeht hinsichtlich des Interesses eines potentiellen Käufers zwischen Gefahrübergang und Eigentumswechsel möglich ist.16 Dies ist zu bejahen, wenngleich es sich um einen Grenzfall handelt. Es ist nämlich nicht gesagt, dass Veräußerer und Erwerber ein identisches Interesse haben, wie die Versicherung für Rechnung wen es angeht dies voraussetzt. Nähme man im Zweifel jedoch keine Versicherung für Rechnung wen es angeht an, müsste der Erwerber für den Zeitraum zwischen 11 ÖOGH 30.5.1973 – 7 Ob 69/73 VersR 1974 455. 12 Brandenburgisches OLG 20.12.2006 – 13 U 85/06 (juris); OLG Koblenz 31.5.1996 – 10 U 632/95, RuS 1996 450, 451; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 1; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 38 Rn. 5; Anli 41; a.A. Prölss/Martin/ Klimke31 § 48 Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 148 und 194. 13 Vom Regelfall gehen zu Unrecht aus Ehrenzweig 213 f.; Lenné 96, 98 f.; wie hier Anli 41. 14 Dazu Sieg VersR 1995 125, 126. 15 BGH 11.3.1987 – IVa ZR 240/85, NJW-RR 1987 856; BGH 5.12.1966 – II ZR 83/64, VersR 1967 151, 152; BGH 16.11.1967 – II ZR 253/64, VersR 1968 42, 43; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 45 Rn. 1. 16 Dafür OLG Jena 24.2.2004 – 4 U 857/03, RuS 2004 331, 333; OLG Düsseldorf 16.11.1993 – 4 U 212/92, RuS 1995 425; OLG Hamburg 22.6.1978 – 6 U 6/78, VersR 1978 1138; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 48 Rn. 4; Looschelders/ Pohlmann/Koch3 § 48 Rn. 5; Martin VersR 1974 821, 825; dagegen R. Schmidt BB 1955 399; Schirmer ZVersWiss 1981 637, 651; Sieg VersR 1995 125 f. 689

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§ 48 VVG

Versicherung für Rechnung „wen es angeht“

Gefahrübergang und Eigentumswechsel eine eigene Versicherung abschließen, da er ansonsten in der Insolvenz des Veräußerers nur nach Maßgabe des § 285 BGB geschützt wäre. Dem Erwerber den Abschluss einer eigenen Versicherung zuzumuten, wäre aber nicht gerechtfertigt, da der VR für die Prämie nur die Gegenleistung bietet, die er auch ohne den Verkauf hätte bieten müssen.

III. Versicherung kumulativer Interessen 11 Eine Versicherung kumulativer Interessen liegt vor, wenn jemand nebeneinander stehende Interessen verschiedener Personen mit einem einheitlichen Vertrag versichern möchte. Sind die Beteiligungsverhältnisse veränderlich, handelt es sich um einen Sonderfall der Versicherung sukzessiver Interessen. Ist einer der beteiligten Interessenträger der VN selbst und sollen Träger und Maß der einzelnen beteiligten Interessen nicht angegeben werden, etwa weil die Beteiligungsverhältnisse unklar sind, empfiehlt es sich, Versicherung für Rechnung wen es angeht zu nehmen.17 Dadurch lässt sich sicherstellen, dass die Versicherung nicht unwirksam wird, wenn sich herausstellt, dass die Interessenlage eine andere ist, als bei Vertragsschluss angenommen wurde. 12 Anwendungsfälle der Versicherung kumulativer Interessen für Rechnung wen es angeht sind z.B. die Versicherung eines Lagers, in dem sich in unklarem Mengenverhältnis eigene Sachen des VN befinden und Sachen, die ihm kommissionsweise überlassen worden sind (etwa Brennstoff oder Goldwaren eines Goldschmieds), oder die Versicherung von Sachen durch Pächter oder Nießbraucher, die das eigene Nutzungs- und das Eigentümerinteresse versichern wollen. 13 Im Schrifttum wird vertreten, Versicherung für Rechnung wen es angeht solle immer dann genommen werden, wenn der VN als Miteigentümer eine Sachversicherung abschließt, die hinsichtlich seines Anteils Eigenversicherung ist, hinsichtlich des Anteils der Miteigentümer aber Fremdversicherung.18 Hier handelt es sich zwar um einen Fall der Versicherung kumulativer Interessen. Eine Versicherung für Rechnung wen es angeht empfiehlt sich aber nur dann, wenn der VN selbst zwingend die Kontrolle über die Versicherung behalten will.19 Ansonsten genügt es, wenn er für das Gesamtinteresse Eigenversicherung nimmt und mit dem VR vereinbart, dass sich die Versicherung auch auf fremde Interessen erstreckt und insoweit als Versicherung für fremde Rechnung genommen werden soll, vgl. auch § 89 Abs. 2. Ebenso ist in der Passivenversicherung die Kfz-Haftpflichtversicherung nicht als Versicherung für Rechnung wen es angeht anzusehen.20 Zwar bleiben die Person des Halters und des Fahrers im Versicherungsvertrag unbestimmt. Unsicherheit herrscht dennoch nicht, da die Deckung des VN unabhängig von der Deckung der mitversicherten Personen besteht.

IV. Geheimhaltungsinteresse des Versicherungsnehmers 14 Die Versicherung für Rechnung wen es angeht bietet sich schließlich in den Fallgestaltungen an, die zu ihrer Entstehung geführt haben: Fälle, in denen der VN aufgrund irgendeines Motives im Dunklen halten will, ob eigenes oder fremdes Interesse versichert ist.

ÖOGH 26.5.1993 – 7 Ob 8/93, VersR 1993 1303, 1304; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 48 Rn. 3. Möller 137; Kisch PVR III 588; Glitza 19. Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 17; Anli, S. 43. So aber Keller Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag2 (1968) 284; Ruscher 15; Glitza 19 f.; unklar Kisch PVR III 589.

17 18 19 20

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D. Tatbestand

VVG § 48

D. Tatbestand I. Dogmatik und Rechtsnatur Dogmatisch gehört die Versicherung für Rechnung wen es angeht zu den Rechtsgeschäften, bei 15 denen ein Inhaltselement (und zwar das subjektive) zunächst unbestimmt bleibt und erst später ausgefüllt werden soll. Sie steht damit in einer Reihe mit der Blankovollmacht, dem Blankowechsel und dem Blankoindossament.21 Es besteht auch eine lose Verwandtschaft mit der sachenrechtlichen Übereignung an wen es angeht. Bei der Versicherung für Rechnung wen es angeht beschränkt sich die Unbestimmtheit des Vertrags indes darauf, dass zunächst unklar bleibt, ob die Vorteile daraus unmittelbar dem VN zufließen oder einem Dritten. Bei der Übereignung an wen es angeht ist darüber hinaus unbestimmt, ob der Erklärende im eigenen oder im fremden Namen handelt, ob also auch die Pflichten aus dem Rechtsgeschäft den Vertragsschließenden oder einen Dritten treffen.22 Von der Versicherung für Rechnung eines unbekannten Dritten, die nach § 43 Abs. 1 16 zulässig ist, unterscheidet sich die Versicherung für Rechnung wen es angeht dadurch, dass bei ihr nicht feststeht, dass ein (unbekannter) Dritter versicherte Person ist, sondern dass dies auch der VN sein kann. Keine Versicherung für Rechnung wen es angeht, sondern eine Versicherung für Rechnung eines unbekannten Dritten liegt in der Kaskoversicherung vor, was Schäden an Fahrzeugen anbelangt, die der Eigentümer in die Obhut des VN gegeben hat.23

II. Anwendungsbereich Schon die systematische Stellung des § 48 im Allgemeinen Teil des VVG verdeutlicht, dass eine 17 Versicherung für Rechnung wen es angeht für sämtliche Versicherungsarten genommen werden kann, also neben der Aktivenversicherung auch für die Passivenversicherung24 und für die Summenversicherung. Am gebräuchlichsten ist die Versicherung für Rechnung wen es angeht in der Aktivenversicherung – und zwar in der Schadensversicherung, die zugleich Sachversicherung ist. Das Anwendungsgebiet der Versicherung für Rechnung wen es angeht wächst hier in dem gleichen Maße, wie die Versicherung wirtschaftlicher Einheiten zunimmt, d.h. die Versicherung von Objekten ohne Rücksicht darauf, ob sie dem VN oder einem Dritten gehören, sofern sie nur zu einem bestimmten Zweck zusammengefasst sind. Letzteres geschieht häufig in den technischen Versicherungszweigen. Die Musterbedingungen in Abschnitt A § 3 Nr. 3 bis 5 AFB 2008/ 2010, § 3 Nr. 1 AMB 2008 oder § 3 Nr. 1 ABE 2008 bezeugen dies. In der Passivenversicherung kann etwa der Grundstückseigentümer, der sich mit Veräußerungsgedanken trägt und seinen etwaigen Rechtsnachfolger gegen die Haftpflichtgefahr des Grundstücks gedeckt sehen möchte, eine Versicherung für Rechnung wen es angeht nehmen. Hierfür besteht eigentlich sogar ein stärkeres Bedürfnis als in der Aktivenversicherung, weil die §§ 95 ff. nicht auf die Haftpflichtversicherung angewendet werden können.25 Die herrschende Lehre nahm schon vor dem Verschieben der Regel des § 48 von den Allge- 18 meinen Bestimmungen für die Schadensversicherung (§ 80 Abs. 2 a.F.) in den Allgemeinen Teil des VVG an, dass – systematischen Bedenken wegen der Stellung des § 80 Abs. 2 a.F. zum Trotz – auch die Summenversicherung als Versicherung für Rechnung wen es angeht abge-

21 Cohn 21; dem folgend Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 48 Rn. 1. 22 Glitza 4. 23 BGH 20.3.1974 – IV ZR 94/73, VersR 1974 535, 536; BGH 30.4.1959 – II ZR 126/57, BGHZ 30 40, 42 = NJW 1959 1221.

24 So schon Amtl.Begr. RTDrucks. 364/12 S. 66; dazu Glitza 15. 25 Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 21. 691

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Versicherung für Rechnung „wen es angeht“

schlossen werden könne.26 Dem lag die Erwägung zugrunde, dass die Unfallsummenversicherung unstreitig sowohl für eigene als auch für fremde Rechnung genommen werden konnte. Dann musste es logisch auch das zwischen diesen beiden Gestaltungen liegende Institut der Versicherung für Rechnung wen es angeht in der Summenversicherung geben. Auch in anderen Konstellationen der Summenversicherung besteht Bedarf für die Möglichkeit, eine Versicherung für Rechnung wen es angeht abschließen zu können: Ein Unternehmer schließt eine Krankentagegeldversicherung auf die Beschäftigten ab; die Gefahrspersonen haben zugestimmt. Es schweben zugleich Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung, nach welcher der Unternehmer auch nach Ablauf der ersten sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit zur Entgeltfortzahlung verpflichtet bleibt. Kommt die Betriebsvereinbarung zustande, ist der Unternehmer Interesseträger, zerschlagen sich die Verhandlungen, sind es die Arbeitnehmer. Hier lassen sich angemessene Lösungen erreichen, wenn man eine Versicherung für Rechnung wen es angeht in Gestalt der Gruppenversicherung annimmt. Die systematische Neuordnung der Versicherung für Rechnung wen es angeht im Rahmen der Neukodifikation des VVG von 2008 ermöglicht dies auf Grundlage eines dogmatisch saubereren und sichereren Fundaments, als es dies vor der Reform gab. 19 Der CIF-Verkäufer ist kraft Handelsbrauchs verpflichtet, die von ihm zu besorgende Versicherung für Rechnung wen es angeht zu nehmen.27 Häufig wird die Versicherung für Rechnung wen es angeht in laufender Versicherung genommen,28 so etwa wenn ein Überseespediteur alle von ihm besorgten Transporte unter Versicherungsschutz bringt, sei es kraft Auftrages, sei es kraft Handelsbrauchs.

III. Vereinbarung einer Versicherung für Rechnung wen es angeht 20 § 48 ist anwendbar, wenn die Parteien sich darüber einig sind, dass sie unbestimmt lassen wollen, ob eigenes oder fremdes Interesse versichert ist. Ob tatsächlich Unklarheit über den Interesseträger herrscht, ist unerheblich.29 Der Träger des Interesses muss bei Vertragsabschluss vielmehr überhaupt noch nicht feststehen.30 In der Praxis entspricht es der Regel, dass bei der Versicherung für Rechnung wen es angeht die eventuell Versicherten namentlich nicht benannt werden.31 Diese müssen aber im Rahmen des Vertrags so konkret bezeichnet sein, dass ihre Identität im Versicherungsfall festgestellt werden kann. Dazu ist auch erforderlich, dass sich die Parteien über die Art des Interesses (z.B. Inhaber- oder Nutzungsinteresse oder sämtliche Interessen an einer Sache, ggf. auch die Sache, an die das Interesse geknüpft ist) und die versicherte Gefahr geeinigt haben.32 Ist die Art des Interesses nicht bestimmt, wird bei einer Sachversicherung das Eigentümerinteresse versichert; liegt ein solches nicht vor, ist die Versicherung aufgrund von Interessemangel unwirksam. 21 Die Parteien können Versicherung für Rechnung wen es angeht ausdrücklich vereinbaren. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn sie die Bezeichnung „für Rechnung wen es angeht“ oder „Versicherung für eigene oder fremde Rechnung“ verwenden. Eine solche Klausel kann nicht nur zum Ausdruck bringen, dass entweder Eigen- oder Fremdinteresse versichert werden soll, sondern auch, dass teils eigenes, teils fremdes Interesse gedeckt sein soll. § 48 Halbs. 2 ist entsprechend zu lesen: ,,… dass unbestimmt gelassen werden soll, ob und inwieweit eigenes Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 21; Trautmann 5, 61; Ruscher 198; Orlowski VersR 1954 45; a.A. Glitza 14. BGH 5.12.1966 – II ZR 83/64, LM ADS Nr. 6 = VersR 1967 151. Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 11; Glitza 17; Lenné 2, 108. RG 21.10.1916 – Rep. V. 204/16, RGZ 89 21, 25; Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 13; Ritter/Abraham2 § 52 ADS Anm. 17; Anli 44. 30 Bereits RG 11.12.1884 – Rep. I. 346/84, RGZ 13 99. 31 Ein Wesensmerkmal ist dies aber nicht: Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 13; Ehrenzweig 60; a.A. Glitza 28. 32 RG 9.1.1934 – II, 59/32, RGZ 145 384, 386 f.; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 48 Rn. 3; Prölss/Martin/Klimke31 § 48 Rn. 2; Embden 16.

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oder fremdes Interesse versichert ist.“ Versicherung für Rechnung wen es angeht kann selbst dann vorliegen, wenn eine entsprechende, vorgedruckte Klausel im Versicherungsvertrag gestrichen worden ist. Das soll nach dem BGH dann belanglos sein, wenn die Streichung aus außerversicherungsrechtlichen Gründen erfolgte, etwa um die Aufnahme der Dokumente durch die Bank des Käufers zu erleichtern.33 Vereinbaren die Parteien jedoch eine Versicherung für Rechnung wen es angeht, obwohl 22 von vornherein feststeht, dass Interessen des VN nicht entstehen können (z.B. weil sich die Parteien im Klaren darüber sind, dass der Spediteur keine eigene Ware zur Beförderung gibt), dann liegt tatsächlich eine Versicherung für fremde Rechnung mit unbenannten versicherten Personen nach § 43 Abs. 1 vor, mag auch der erste Interessent als Versicherter benannt sein. Für eine Versicherung für Rechnung wen es angeht genügt es auch, wenn sich das versi- 23 cherte Interesse konkludent anhand objektiver Umstände ergibt, die im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss stehen und zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls klar bestimmbar sind.34 Hauptbeispiele hierfür sind Fremdeigentumsklauseln bei der Versicherung eines Inbegriffs und die Kaskoversicherung bei erteiltem Sicherungsschein.35 Ergibt sich auf Grund solcher Auslegung, dass der VR auch fremdes Interesse zu decken 24 hat, obwohl er nachweislich nur das Eigentum des VN versichern wollte, so kann er nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB anfechten (Inhaltsirrtum in Gestalt des error in objecto).36 Im Gegensatz dazu ist der Irrtum des VN über die Person des Interessenten aufgrund der Natur der Versicherung für Rechnung wen es angeht ein Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtigt.37 Ob der Vertrag nach Anfechtung insoweit aufrechterhalten werden kann, als eigene Sachen versichert sind, entscheidet § 139 BGB: Im Mittelpunkt steht eine Abwägung der beteiligten Interessen (objektives Kriterium), wobei von den Bewertungsmaßstäben der Parteien bei Vertragsschluss (subjektives Kriterium) auszugehen ist. Allerdings ist hier nur darüber zu entscheiden, ob das Rechtsgeschäft nichtig ist oder wirksam bleibt bei gleicher Prämie, denn eine Anpassung der Gegenleistung an den restlichen Teil des Rechtsgeschäfts ist nicht zulässig.

IV. Feststellung des versicherten Interesses 1. Grundlagen Ist Versicherung für Rechnung wen es angeht genommen worden, gilt es zunächst festzustellen, 25 ob eigenes oder fremdes Interesse – oder beides – versichert ist.38 Steht das versicherte Interesse zum maßgeblichen Zeitpunkt dem VN zu, liegt eine Eigenversicherung vor. Ist hingegen ein fremdes Interesse versichert, so sind die Regeln über die Versicherung für fremde Rechnung in den §§ 43 bis 47 anzuwenden. Die zentrale Frage ist, auf welchen Zeitpunkt man abzustellen hat, um festzustellen, inwie- 26 weit Eigen- und inwieweit Fremdversicherung vorliegt. Diese Frage ist vor allem für die Versicherung sukzessiver Interessen von Bedeutung, spielt aber auch bei kumulativen Interessen eine Rolle, etwa wenn Stücke aus einem versicherten Inbegriff übereignet werden. Lediglich bei alternativen Interessen folgt aus der Natur der Sache, welcher Zeitpunkt maßgeblich ist. Fällt die Entscheidung über das Eigentum zugunsten des VN aus, hat von Anfang an Eigenversicherung vorgelegen, im anderen Fall von vornherein Fremdversicherung. Hier tritt also vom Ent33 OLG Frankfurt 30.3.1977 – 17 U 71/76, VersR 1978 169, 170; vgl. aber die gegenteilige Entscheidung, die der BGH, zum zweiten Mal mit der Sache befasst, in seinem Urteil vom 16.12.1968 in der Sache II ZR 220/67 gefällt hat. 34 RG 9.11.1934 – II 59/32, RGZ 145 384, 387; Langheid/Wandt/Dageförde2 § 48 Rn. 2; Anli 44; Kisch PVR III 586. 35 Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 14. 36 Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 14; Kisch PVR III 591; a.A. RG 15.3.1932 – VII 472, 31, JRPV 1932 134. 37 Ritter/Abraham2 § 52 ADS Anm. 17. 38 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 48 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 48 Rn. 2. 693

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scheidungszeitpunkt aus notwendigerweise eine Rückwirkung ein, da etwa ein Urteil im Eigentumsprozess nicht erst das Recht schafft, sondern nur feststellt, wem es schon vorher zustand.39

2. Meinungsstand zu sukzessiven und kumulativen Interessen 27 Schwieriger ist es, den maßgeblichen Zeitpunkt bei der Versicherung sukzessiver und kumulativer Interessen zu bestimmen. Insoweit werden drei verschiedene Ansichten vertreten: Teilweise wird angenommen, der Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei entscheidend.40 Liege hier ein eigenes Interesse des VN vor, sei von Anfang an eine Eigenversicherung gegebben, handele es sich hingegen um ein fremdes Interesse, liege von Anfang an eine Fremdversicherung vor. Sukzessive Interesseträger erwürben abgeleitete Rechte aus dem Versicherungsvertrag nach §§ 95 ff. Die Gegenauffassung nimmt an, erst der Versicherungsfall entscheide – rückwirkend – 28 darüber, ob die Versicherung als Eigen- oder Fremdversicherung zu behandeln sei. Jeder Interesseerwerber erhalte die Versicherungsansprüche originär aus dem Vertrag. Er leite seine Rechte weder vom VN noch vom versicherten Vormann ab.41 Eine vermittelnde Ansicht stellt weder auf den Abschluss des Vertrags noch auf den Versicherungsfall ab, sondern lässt den Zeitpunkt des Wechsels des Interesseträgers entscheiden.42

3. Stellungnahme 29 Die beiden erstgenannten Auffassungen vermögen nicht zu überzeugen. Stellt man auf den Vertragsschluss als maßgeblichen Zeitpunkt ab, lässt sich die Versicherung sukzessiver Interessen als Anwendungsfall der Versicherung für Rechnung wen es angeht nicht überzeugend lösen. Es muss immer zur Anwendung der §§ 95 ff. kommen. Das widerspricht einmal dem erklärten Willen des VN, Prämienschuldner sein und bleiben zu wollen. Nach § 95 würde dies zwingend der Erwerber. Weiterhin ließen sich sukzessive Haftpflichtinteressen nicht decken. Denn in der Passivenversicherung finden §§ 95 ff. keine Anwendung. Auch auf den Versicherungsfall, wie dies die zweite Auffassung möchte, lässt sich aber nur schlecht abstellen. Beunruhigend ist schon, dass nach dieser Ansicht bis zum Eintritt des Versicherungsfalls niemand vorhanden ist, der über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag nach § 45 Abs. 1 und 2 verfügen, insbes. den Versicherungsvertrag bei Bedarf verlängern könnte. Weiterhin ist unklar, wie diese Ansicht mit einer Mehrzahl von Versicherungsfällen bei sukzessiv versicherten Interessen umgehen will. Wird ein versichertes Gut beim VN (Versicherter Nr. 1) zunächst beschädigt, geht es aber bei Übertragung auf einen Dritten (Versicherter Nr. 2) dann bei diesem unter, ist unklar, welcher der beiden Versicherungsfälle die Rückwirkung auslösen soll. Schließlich ist der VR nach der Rückwirkungslösung schutzlos gestellt, wenn der Versicherungsfall bei einem Dritten eintritt, der VN zuvor aber schädigende Handlungen begangen hat. 30 Zu folgen ist daher der vermittelnden Ansicht, die bei der Versicherung sukzessiver Interessen auf den Interessewechsel abstellt. Solange der VN Interesseträger ist, ist die betreffende Versicherung Eigenversicherung. Ist ein anderer Interesseträger, liegt hingegen Fremdversicherung vor, und zwar jeweils ohne Rückwirkung. Allein auf dieser Grundlage lässt sich auch die Versicherung beim CIF-Geschäft sinnvoll erklären.43 39 Glitza 140. 40 Ritter/Abraham2 § 52 ADS Anm. 18, 21; Bruck PVR 607; Embden 14; Dreischmeier VA 1969 30, 31. 41 Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 48 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 48 Rn. 5; Kisch PVR III 590 ff.; Möller 137.

42 RG 11.12.1884 – RGZ 13 99, 103; Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 26; Anli 52 ff.; Glitza 46 mit allerdings unglücklicher Annahme einer Rückwirkung auf S. 143.

43 Zu Problemen der anderen Ansichten mit der Versicherung beim CIF-Geschäft: Glitza 52 ff. Brand

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E. Rechtsfolgen

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Wann die Interesseträgerschaft wechselt, hängt mit dem Begriff der Veräußerung i.S.d. 31 § 95 zusammen. Hier kommt es in der Binnenversicherung auf den formellen Eigentumswechsel, in der Seeversicherung auf die wirtschaftliche Eigentümerstellung an. Die Universalsukzession bedeutet hingegen keinen Interessewechsel in diesem Sinne. Der Erbe des VN bleibt auch bei der Versicherung für Rechnung wen es angeht VN – er wird nicht versicherte Person; der Erbe einer versicherten Person behält diesen Status.

E. Rechtsfolgen I. Rechte gegen den Versicherer Erklärungsbedürftig ist nur die Rechtslage, wenn VN und versicherte Person nicht identisch 32 sind. Die Verteilung der Rechte gegen den VR richtet sich dann aufgrund des Verweises in § 48 nach § 44 Abs. 1 Satz 1. Danach kommen der versicherten Person das Recht auf Leistung bei Eintritt des Versicherungsfalls, der Anspruch auf Vergütung zuviel gezahlter Prämien und auch das Recht auf Ersatz von Aufwendungen zu, selbst wenn der VN diese Aufwendungen getätigt hat.44 Die Verfügungsbefugnis richtet sich nach §§ 44 Abs. 2, 45. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht,45 gilt auch § 45 Abs. 3 bei Versicherung für Rechnung wen es angeht.46 Die Gefahren des Missbrauchs in Form von Wettgeschäften und der ungerechtfertigten Bereicherung des VN, denen § 45 Abs. 3 vorbeugen soll, bestehen genau so wie bei Versicherung für fremde Rechnung. Zustimmung i.S.d. § 45 Abs. 3 kann der VN zwar regelmäßig nicht in Form der vorherigen Einwilligung, wohl aber in Form der nachträglichen Genehmigung bei der versicherten Person einholen, so dass in der Vereinbarung einer Versicherung für „wen es angeht“ kein Verzicht auf den Einwand des § 45 Abs. 3 zu sehen ist. Die versicherte Person ist auch zur Zurückweisung berechtigt, etwa wenn er das betreffende Interesse bereits selbst versichert hat. Die Rechtsfolgen der Zurückweisung richten sich nach § 333 BGB. Der VR wird – auch außerhalb der Lebensversicherung (§ 160 Abs. 3) – aber nur dann von der Leistung frei, wenn der zurückweisende Versicherte der letzte verbliebene Interesseträger ist. Das ist etwa bei Ablösung des Zurückweisenden durch einen Dritten nicht der Fall.

II. Pflichten und Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer Die Pflichten und Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag treffen bei der Versicherung für 33 Rechnung wen es angeht in erster Linie den VN. Er haftet nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 33 ff. für die Prämie – anderenfalls wäre die Versicherung für Rechnung wen es angeht ein Vertrag zu Lasten Dritter, wenn sich herausstellt, dass jemand anderes als der VN Interesseträger ist.47 Eine Ausnahme besteht dann, wenn der Versicherte den VN beauftragt hat, Versicherung zu nehmen. Dann kann der VN seinen Anspruch auf Befreiung von der Prämienschuld als Ausnahme zu § 399 BGB48 nach §§ 670, 257 Satz 1 BGB an den VR abtreten, so dass dieser gegen den Versicherten vorgehen kann. Auch die gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten treffen grds. den VN. Dementsprechend haftet auch ein Dritter für die Verletzung etwaiger Oblie-

44 Glitza 92 f.; a.A., was den Aufwendungsersatz anbelangt, im Widerspruch zu § 44 Abs. 1 Satz 1 Kisch PVR III 464. 45 Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 147; Ehrenzweig 214 Fn. 6; Möller JRPV 1928 337, 341; zweifelnd Kisch PVR III 599 f. 46 Prölss/Martin/Klimke31 § 48 Rn. 5; Ritter/Abraham2 § 54 Anm. 16; Glitza 94; Lenné 117. 47 Vgl. insoweit die Aufhebung des § 812 Abs. 3 HGB durch Gesetz v. 30.5.1908 (RGBl. 1908 307). 48 RG 8.10.1912 – RGZ 80 183; BGH 22.1.1954 – I ZR 34/53, BGHZ 12 136, 141 = NJW 1954, 795. 695

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genheiten durch den VN, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Dritte ganz oder teilweise Träger des versicherten Interesses ist.49 Bei der Versicherung alternativer Interessen schadet der tatsächlich versicherten Person weiterhin eigenes Fehlverhalten während der gesamten Versicherungsdauer. Stellt sich heraus, dass der VN und kein Dritter Versicherter ist, schadet ein Fehlverhalten des Dritten nicht, da dieser ein Außenstehender ist, der nicht am Vertrag beteiligt ist. Sind gleichartige kumulative Interessen versichert (z.B. Interessen von Miteigentümern), kann das Verhalten eines Mitinteressenten allen Mitinteressenten entgegen gehalten werden. Das gilt erst recht bei der Versicherung von Gesamthandsinteressen, da es sonst zu einer unterschiedlichen Behandlung der Beteiligten der Gemeinschaft käme. Sind die versicherten Interessen hingegen verschieden (z.B. das Interesse des Nießbrauchers einer Sache und das Interesse ihres Eigentümers), wird das Verhalten einer versicherten Person den anderen Versicherten nicht zugerechnet, da im Grunde zwei verschiedene Versicherungen vorliegen.50 Bei der Versicherung sukzessiver Interessen muss sich der Letztversicherte hinsichtlich einer Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht nur das Verhalten des VN und sein eigenes Verhalten anrechnen lassen, sondern auch das Verhalten anderer Personen, die vor ihm Träger des versicherten Interesses waren.51 Das folgt aus § 334 BGB und gilt daher unabhängig davon, ob der Zwischenversicherte Repräsentant des Letztversicherten ist. Hat der Letztversicherte selbst ein Verhalten an den Tag gelegt, das dem Anspruch auf Leistung schadet, muss er sich dieses auch dann entgegenhalten lassen, wenn dieses Verhalten zu einer Zeit stattgefunden hat, als er noch nicht Interesseträger war. Dieses Verhalten nicht gegen sich gelten lassen zu wollen, wäre ein venire contra factum proprium.52 Für das Verhalten Vorversicherter haftet der Letztversicherte nicht, wenn dieses außerhalb des Zeitraums stattgefunden hat, in dem diese Interesseträger waren.53 Der Letztversicherte muss sich das Verhalten Vorversicherter nach § 47 Abs. 2 Satz 1 nicht entgegenhalten lassen, wenn dieser vom Abschluss eines Versicherungsvertrags nichts wusste. Das wird praktisch bei der Versicherung für Rechnung wen es angeht auch nicht häufiger der Fall sein als bei der gewöhnlichen Versicherung für fremde Rechnung.54 Das liegt daran, dass der Auftrag zur Versicherungsnahme der Kenntnis vom Vertrag gleichsteht. Aus § 334 BGB folgt weiter, dass der Letztversicherte insoweit keine Versicherungsansprüche erwirbt, als ein Vorversicherter sie während des Zeitraums, in dem er Interesseträger ist, erlassen oder sich mit dem VR darüber verglichen hat. Anders liegt es dann, wenn der betreffende Vorversicherte den Anspruch nach § 333 BGB zurückgewiesen hat. Daraus gewinnt der VR nur dem Ablehnenden gegenüber eine Einwendung.

F. Unanwendbare Vorschriften 38 Auf eine Versicherung für Rechnung wen es angeht nicht anzuwenden sind die Vorschriften, nach denen der Träger des versicherten Interesses bereits bei Vertragsschluss bezeichnet sein muss.55 Auch die Auslegungsregel des § 43 Abs. 2 greift nicht, da bei der Versicherung für Rechnung wen es angeht nicht unklar ist, für wen der VN abgeschlossen hat. Unanwendbar sind weiterhin grds. die Vorschriften über die versicherungsvertragsrechtlichen Folgen einer

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Kisch PVR III 594 f. Glitza 141 f.; Kisch PVR III 571. Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 27; Glitza 144 f.; a.A. Ehrenzweig 214. Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 27; einschränkend (nur, wenn er im Bewusstsein des künftigen Erwerbs der Stellung als Versicherter gehandelt hat) Kisch PVR III 596; Glitza 143; Möller JRPV 1928 337, 341. 53 Ehrenzweig 213; a.A. Schneider ZVersWiss 1905 230, 247. 54 A.A. Glitza 120. 55 RG 21.10.1916 – Rep. V. 204/16, RGZ 89 21, 25; Prölss/Martin/Klimke31 § 48 Rn. 1. Brand

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I. Auslandsrecht/PEICL

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Veräußerung der versicherten Sache (§§ 95 ff.).56 Das liegt daran, dass der Erwerber seine Rechtsstellung als Versicherter nicht aus der Person des Veräußerers, sondern unmittelbar aus dem Versicherungsvertrag herleitet. Etwas anders muss aber dann gelten, wenn der VN selbst die Sache veräußert.57 Dann hat er – für den VR erkennbar – kein Interesse mehr daran, VN und (alleiniger) Prämienschuldner zu bleiben. Bei Veräußerung durch den VN finden entsprechend die Vorschriften der §§ 95 ff. und nicht die Regeln für Versicherung für Rechnung wen es angeht Anwendung.

G. Auflösung Die Versicherung für Rechnung wen es angeht wird zur Eigenversicherung, wenn ausnahmswei- 39 se ein bestimmter Versicherter benannt war und Universalsukzession im Verhältnis von VN und Versicherten eintritt, also der VN den Versicherten beerbt oder umgekehrt. Sind alternative Interessen versichert, führt die Beendigung des Streits um das Interesse die Klärung herbei, ob die Versicherung als eigene oder als gewöhnliche Fremdversicherung zu gelten hat. Anders verhält es sich jedoch bei der Versicherung sukzessiver und kumulativer Interes- 40 sen. Hier führt der Wechsel der Trägerschaft des Interesses vom VN auf den Erstversicherten nicht zu einer gewöhnlichen Versicherung für fremde Rechnung. Es bleibt vielmehr bei der Versicherung für Rechnung wen es angeht, was vor allem Bedeutung hat, wenn der Erstversicherte weiter veräußert: Der weitere Versicherte gewinnt die Versicherungsansprüche nicht als Rechtsnachfolger, sondern originär. Vereinbarungen über die Umwandlung einer Versicherung für fremde Rechnung in eine 41 Eigen- oder gewöhnliche Fremdversicherung sind bei Einverständnis des VR und des VN möglich, solange die versicherte Person noch keine konkreten Ansprüche erworben hat.58 Praktisch wird es jedoch kaum zu einer solchen Vereinbarung kommen.

H. Beweislast Die Rechte einer versicherten Person stehen demjenigen zu, der nachweisen kann, dass er 42 zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls Träger des versicherten Interesses war.59

I. Auslandsrecht/PEICL Konstruktiv ähnliche Regelungen wie das deutsche Recht treffen auch das österreichische (§ 80 43 Abs. 2 ÖVersVG), das französische (§ 112–1 Abs. 2 CdA: assurance pour compte de qui il appartiendra) und das italienische (Art. 1891 CC: assicurazione per conto di chi spetta) Recht. Das schweizerische (Art. 16 Abs. 1 VVG) und das spanische Recht (Art. 7 Abs. 1 CdA) regeln entgegen anderslautender Annahmen im Schrifttum die Versicherung für Rechnung wen es angeht nicht ausdrücklich (sondern nur das Recht der Parteien, einen versicherten Dritten unbenannt zu 56 OLG Koblenz 31.5.1996 – 10 U 632/95, RuS 1996 450, 451; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 48 Rn. 4; Prölss/ Martin/Prölss27 § 80 Rn. 45; Schwintowski/Brömmelmeyer/Hübsch3 § 48 Rn. 5; a.A. Ritter/Abraham2 § 52 ADS Anm. 21. 57 Wie hier Langheid/Rixecker/Rixecker6 § 48 Rn. 2 f.; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 48 Rn. 4; Prölss/Martin/ Klimke31 § 45 Rn. 2; Staudinger/Halm/Wendt/Schramm/Kassing2 § 48 Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 148; Dreischmeier VA 1969 30; a.A. noch Prölss/Martin/Prölss27 § 80 Rn. 45. 58 Bruck/Möller/Sieg8 § 80 Anm. 41; Kisch PVR III 593. 59 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner4 § 48 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Koch3 § 48 Rn. 7; Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster3 § 6 Rn. 147. 697

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lassen), erkennen diesen Versicherungstypus aber an.60 Ganz anders aufgestellt ist das englische Recht: Dieses unterscheidet nicht, wie die zuvor genannten Rechtsordnungen, zwischen der Versicherung für fremde Rechnung und der Versicherung für eigene Rechnung, die durch einen Vertreter abgeschlossen wird. Beide Formen des Versicherungsvertrags werden mit Hilfe des als Einheit begriffenen Rechtsinstituts der „agency“ gelöst. In diesem Rahmen kann „insurance for account whom it may concern“ genommen werden.61 In den PEICL ist die Versicherung für Rechnung wen es angeht nicht ausdrücklich gere44 gelt. Die Verfasser sind jedoch davon ausgegangen, dass dieser Versicherungstypus zulässig ist und in den Anwendungsbereich von Art. 11–101 PEICL fällt, wenn das versicherte Interesse ein fremdes ist.62

60 Dazu Honsell et. al./Hasenböhler Schweizerisches VVG Art. 16 Rn. 25. 61 Glitza 10 ff. 62 Basedow et al. PEICL Art. 11-101 N. 10. Brand

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Abschnitt 5 Vorläufige Deckung Vorbemerkung zu §§ 49 bis 52 Schrifttum Armbrüster Das Versicherungsrecht im Common Frame of Reference, ZEuP 2008 775; Gerathewohl Rückversicherung Grundlage und Praxis Band I (1976); Gintzel Die Beendigung eines Vertrages über vorläufige Deckung bei Prämienzahlungsverzug nach dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, VersR 2007 322; Grebe Die vorläufige Deckungszusage unter besonderer Berücksichtigung ihrer Handhabung in der Lebensversicherung, 1987; Henzler Theorie und Praxis der vorläufigen Deckungszusage (1997); Jabornegg Die vorläufige Deckung, 1992; Kerst Verbot des rückwirkenden Wegfalls der vorläufigen Deckung gemäß § 54 Absatz 2 Satz 1 VVG-E, ZfVw 2005 212 ff.; Maier Die vorläufige Deckung nach dem Regierungsentwurf zur VVG-Reform RuS 2006 485; Rixecker VVG 2008 – Eine Einführung ZfS 2007 314; Marlow/Spuhl Das neue VVG kompakt, 4. Auflage (2010); Marlow/Spuhl Zur (Un-)Wirksamkeit von Ausschlussklauseln für „bekannte ernstliche Erkrankungen” in Restschuldversicherungsverträgen, RuS 2009 177; Schimikowski/Höra Das neue Versicherungsvertragsgesetz (2007); Schirmer Neues VVG und die Kraftfahrzeughaftpflicht- und Kaskoversicherung, DAR 2008 181 und 319; Wiesemann Der Versicherungsschutz bei der vorläufigen Deckungszusage (1940).

Übersicht 1

A.

Einleitung

I.

Wesen der vorläufigen Deckung

II. 1. 2. 3.

6 Historische Entwicklung 6 Entwicklung bis zur VVG-Reform Einführung der §§ 49 bis 52 durch die VVG-Re10 form 14 Europäische Harmonisierung

III.

Verbreitung

B.

Grundlagen

I.

Rechtsnatur des Vertrages

II. 1. 2.

Unterschiede zu ähnlichen Verträgen 24 Rückwärtsversicherung „Sofort beginnender“ Versicherungs25 schutz „Nachträgliche Rückwärtsversicherung“

3. III. 1. 2.

3

3.

16 19 20 24

Zustandekommen der vorläufigen De29 ckung 29 Allgemeines 32 Auslegung des Antrags a) Antrag auf Abschluß des Hauptvertrags 32 und der vorläufigen Deckung

699 https://doi.org/10.1515/9783110522624-033

28

34 b) Kraftfahrtversicherung 36 c) Andere Versicherungssparten Vorläufige Deckungszusage durch Versiche38 rungsvermittler

IV.

Beginn und Ende des Versicherungsschutzes in 41 der vorläufigen Deckung

V.

AVB der vorläufigen Deckung

VI.

Beratungspflicht

50

54

58 VII. Vorvertragliche Anzeigepflicht 58 1. Allgemeines 2. Rechtslage bei ausbleibender Risikoprü59 fung 3. Anfechtung in Ausnahmefällen bei arglistigem 60 Verschweigen 4. Sonderfall bei Anzeigepflichtverletzung hinsichtlich der für den Hauptvertrag gestellten Antrags61 fragen 62 VIII. Ausschlussklauseln 62 1. Allgemeines 2. Beanstandete Ausschlussklauseln für die vorläu64 fige Deckung 66 3. Zulässige Klauselfassungen

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Vor §§ 49–52 VVG

Vorbemerkung zu §§ 49–52

A. Einleitung 1 Versicherungsverträge über die vorläufige Deckung bestimmter Risiken sind weit verbreitet. Sie finden sich in nahezu allen Versicherungssparten, selbst in der Rückversicherung.1 Lediglich in der Krankenversicherung sind sie, zumindest bislang, nicht vertreten. An die Stelle der vorläufigen Deckung tritt dort der unter bestimmten Voraussetzungen mögliche Verzicht des VR auf Wartezeiten. Die vorläufige Deckung in der Kraftfahrzeugversicherung (in den Unterformen der Haft2 pflicht-, Fahrzeug- (=Kasko) und Unfallversicherung) wird ausführlich im Rahmen der Kommentierung der Kraftfahrtversicherung in Band 122 und daher in der nachfolgenden Darstellung nur in ihren Grundzügen erläutert.

I. Wesen der vorläufigen Deckung 3 Die vorläufige Deckung soll den Zeitraum zwischen Stellung des Versicherungsantrags und dem tatsächlichen Beginn der gewünschten Versicherungsdeckung überbrücken. Dieser Zeitraum kann durch Verhandlungen über Einzelheiten des beabsichtigten Versicherungsvertrags, die Erfüllung der Informationspflichten, die Beibringung notwendiger Unterlagen und der Antragsprüfung durch den VR bis zur Tarifierung und Aushändigung des Versicherungsscheins beträchtlich sein. In vielen Fällen ist dies problematisch. Der Versicherungsinteressent hat ein anzuerkennendes Interesse, während dieser Zeit nicht ungeschützt zu sein, gelegentlich ist vorläufige Deckung unumgänglich.3 Wer ein Kfz zur Teilnahme am Straßenverkehr zulassen möchte, muss der Straßenverkehrsbehörde nachweisen, dass Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung besteht. Wer sein von einem Bauträger errichtetes Eigenheim übernimmt, benötigt sofort beginnenden Versicherungsschutz gegen Feuer, Wasser, Blitzschlag, Einbruchdiebstahl und gegebenenfalls Elementarereignisse. Dem berechtigten Versicherungsinteresse können die VR in der Regel nicht durch eine so4 fortige Antragsannahme entsprechen. Sie müssen das ihnen angetragene Risiko anhand der Antworten des VN auf die Antragsfragen prüfen (§ 19). Ein Verzicht auf die Antragsprüfung hätte zur Folge, dass der VR unabhängig davon, ob etwa die Antragsfragen wahrheitsgemäß beantwortet wurden, an den Vertrag gebunden wäre.4 Selbst für Massengeschäfte wie etwa die Reisegepäck-, Reisekranken- oder Kreditlebensversicherung, bei denen das Interesse des VN einen sofortigen endgültigen Vertragsabschluss erfordert, ist umstritten, inwieweit die Ersetzung von Antragsfragen durch spezifische Risikoausschlüsse mit dem VVG vereinbar ist, wobei entsprechende Klauseln ganz überwiegend als grundsätzlich zulässig angesehen werden, jedoch (wie auch sonst) der AGB-Kontrolle unterliegen.5 Dem erkannten Bedürfnis vieler Versicherungsinteressenten an zumindest teilweisem sofor5 tigen Schutz sowie dem Unvermögen des VR, ohne hinreichende Antragsprüfung einen Versicherungsantrag anzunehmen, trägt der von der Versicherungswirtschaft entwickelte vorläufige Versicherungsschutz Rechnung.

1 2 3 4

Gerathewohl S. 451. Bruck/Möller/Koch9 B AKB Rn. 13 ff. Vgl. RegE S. 125. Vgl. etwa BGH 20.9.2000 – IX ZR 203/99, VersR 2000 1486, 1487 und OLG Hamm 23.7.1999 – 20 U 162/98, VersR 2000 878, 880 (zur Risikoprüfungsobliegenheit). 5 Weitergehend Rn. 62 ff. Schnepp

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A. Einleitung

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II. Historische Entwicklung 1. Entwicklung bis zur VVG-Reform Die ältesten Formen eines der heutigen vorläufigen Deckung vergleichbaren Versicherungsschut- 6 zes finden sich in der See- und Transportversicherung am Ende des 19. Jahrhunderts.6 Das Reichsgericht hatte sich erstmals 1897 mit einem derartigen Fall aus dem Jahr 1878 zu befassen.7 Etwa zeitgleich entwickelten sich vergleichbare Formen in der Feuerversicherung.8 Bis zu Beginn und auch noch während des ersten Weltkriegs war die vorläufige Deckung mit dem kennzeichnenden Merkmal eines Versicherungsschutzes noch vor Zahlung der Erstprämie jedoch eine Seltenheit.9 Wegen der im Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Jahre 1908 noch fehlenden Verbreitung des Rechtsinstituts hat die vorläufige Deckung im VVG a.F. keine Regelung gefunden. Allmählich wurde vorläufige Deckung jedoch immer mehr nachgefragt und von den VR 7 auch gewährt. Folge war, dass sich das Reichsgericht im Jahre 1923 in einer Grundsatzentscheidung10 mit dem Rechtsinstitut befassen musste. Es hat mangels einer gesetzlichen Regelung im VVG a.F. das Wesen des vorläufigen Versicherungsschutzes dahingehend definiert, dass der VR eine Deckungszusage erteilt, „wenn zwischen ihm und dem VN über den Abschluss oder die Abänderung eines bestehenden Versicherungsvertrages soweit Einigung erzielt ist, dass der künftige Abschluss in Aussicht genommen werden kann, während der endgültige Abschluss namentlich die Ausfertigung der Versicherungspapiere, vielleicht auch die Besprechung minder wesentlicher Einzelheiten, mutmaßlich noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen werden. Für diese Zwischenzeit bis zum endgültigen Abschluss will und soll der Versicherte nicht ohne den Versicherungsschutz bleiben. Zu diesem Zweck gewährt ihm der VR mittels der Deckungszusage vorläufigen Schutz, d.h. das Versprechen bei etwaigem Eintritt des Versicherungsfalles die vorgesehene Entschädigung in gleicher Weise auszubezahlen, wie wenn der Vertrag jetzt schon fertig geschlossen wäre. Der auf der Deckungszusage beruhende Schutz dauert, wenn nicht die Zusage von vornherein befristet, ist so lange, bis entweder der Versicherungsvertrag durch Ausstellung der Papiere seinen endgültigen, auch formellen Abschluss, findet oder der VR zurücktritt oder die Verhandlungen endgültig scheitern.“

Eine Bindung in Bezug auf den Abschluss des beantragten Hauptvertrags geht der VR mit der 8 Gewährung vorläufiger Deckung danach nicht ein. Er stellt dem VN lediglich für einen vorübergehenden Zeitraum Deckungsschutz und eine pflichtgemäße Antragsprüfung in Aussicht. Daran hat sich im Grundsatz – auch durch die VVG-Reform – seither nichts geändert. Erst in § 5a Abs. 3 a.F., der im Zuge der Deregulierung11 1994 in das Gesetz eingefügt wurde, und 9 in § 9 der zeitgleich in Kraft getretenen KfzPflVV vom 29.7.199412 finden sich rudimentäre Regelungsansätze. § 5a Abs. 3 a.F. beinhaltete lediglich die Zulassung eines Verzichts auf die Aushändigung der AVB und der vorgeschriebenen Verbraucherinformationen. Die Regelungen in § 9 KfzPflVV beschränken sich auf zwingende Notwendigkeiten der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung.

2. Einführung der §§ 49 bis 52 durch die VVG-Reform Seit der VVG-Reform enthalten die §§ 49 bis 52 eine erste gesetzliche Regelung für die vorläufige 10 Deckung. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es zwar, „angesichts der Verbreitung 6 Näher Henzler S. 8 ff. 7 RG 18.5.1887 – I 66/87, RGZ 19 216 ff. 8 Vgl. Wiesemann S. 7. 9 Näher Henzler S. 8 ff. 10 RG 16.10.1923 – VII 18/23, RGZ 107 198, 200. 11 3. Durchführungsgesetz/EWG vom 21.7.1994, BGBl. I S. 1630. 12 BGBl. I 1994 S. 1837. 701

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Vorbemerkung zu §§ 49–52

und Bedeutung der vorläufigen Deckung“ sei es „sachgerecht“ Grundregeln für die vorläufige Deckung festzuschreiben.13 Tatsächlich enthalten die neu in das VVG aufgenommenen Bestimmungen – die §§ 49 bis 52 – jedoch im Wesentlichen nur durch die Besonderheiten der vorläufigen Deckung bedingte Ausnahmen von den für alle Versicherungsverträge geltenden allgemeinen Regeln. Die wenigen Normen sollen vornehmlich den raschen Abschluss des Versicherungsvertrags erleichtern bzw. überhaupt erst ermöglichen14 sowie eine die Interessen des VN wahrende Regelung zur Beendigung der vorläufigen Deckung schaffen. 11 Die Regelung der vorläufigen Deckung in den §§ 49 bis 52 beruht auf der bereits im Abschlussbericht der Kommission niedergelegten Überlegung, dass es weder möglich noch sachgerecht ist, „im Gesetz verbindliche Vorgaben über den Umfang des vorläufigen Versicherungsschutzes zu machen. Maßgebend kann insoweit nur der Inhalt des Vertragsangebots des Versicherers sein. Ihm bleibt überlassen, welchen Versicherungsschutz er zunächst einmal vorläufig zusagen will. Die Zusage muss nicht so weit gehen, wie sie für den Hauptvertrag vorgesehen ist. Reicht dem Versicherungsnehmer der angebotene vorläufige Versicherungsschutz nicht aus, hat er die Möglichkeit, bei diesem Versicherer oder einem anderen Unternehmen einen weitergehenden Schutz zu beantragen.“15

Dem ist zuzustimmen. Aufgrund der Vielfalt der Sparten, in denen die vorläufige Deckung heute gebräuchlich ist, und der zu berücksichtigenden spartenspezifischen Besonderheiten des Deckungsschutzes verbietet es sich, für alle derartigen Verträge – von wenigen notwendigen Normen abgesehen – verbindliche Regelungen aufzustellen. 12 Im Gesetzgebungsverfahren war umstritten, inwieweit der Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung rückwirkend entfällt, falls der VN schuldhaft eine für die vorläufige Deckung vereinbarte Prämie oder alternativ die Erstprämie des beantragten Hauptvertrages nicht bezahlt. Der Kommissionsentwurf sah vor, dass der rückwirkende Entfall des Versicherungsschutzes – entgegen der Regelung in § 9 Satz 2 KfzPflVV – unzulässig ist. Der VR könne den Beginn der vorläufigen Deckung von einer vorherigen Zahlung abhängig machen; verzichte er hierauf, handele er auf eigenes Risiko. Dieses Risiko könne er nicht auf den VN abwälzen, indem er wegen Zahlungsverzugs den Versicherungsschutz rückwirkend auch für bereits eingetretene Schäden aufkündige. Gegen eine Rückwirkung spreche auch der Umstand, dass die Höhe des Prämienanspruchs sich erst aus dem später vorgesehenen Hauptvertrag ergebe. Ein Anspruch des VR auf Abschluss des Hauptvertrags und damit auf die Erstprämie bestehe bei Abgabe des Deckungsangebots nicht. Der VR müsse damit rechnen, dass der Hauptvertrag scheitere und er dann allenfalls Anspruch auf eine Prämie für die vorläufige Deckung habe.16 13 Dem ist der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nicht gefolgt. Er war der Ansicht, die in § 9 Satz 2 KfzPflVV normierte Belehrung mache dem Versicherungsinteressenten die Folgen eines Prämienzahlungsverzugs hinreichend deutlich. Ein Ausschluss des Rücktrittsrechts, wie dies von der VVG-Kommission vorgeschlagen worden ist, hätte zur Folge, dass dem VR, der mit der vorläufigen Deckung in der Kfz-Versicherung eine Vorleistung erbringt, bei Nichtzahlung der Prämie keine wirksame Sanktion zur Verfügung stehen würde. Dies erscheint unangemessen; ein VN, der trotz Belehrung schuldhaft seine Zahlungspflicht verletzt, ist nicht schutzwürdig. Die von der VVG-Kommission angeführte Möglichkeit für den VR, vorläufige Deckung nur gegen Vorkasse zu gewähren, entspräche nicht den Interessen der

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RegE S. 50. Vgl. Marlow/Spuhl S. 207. KomE S. 50. KomE S. 330.

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Verbraucher und wäre im Kfz-Massengeschäft auch nicht praktikabel.17 Diese Wertentscheidung des Gesetzgebers erscheint sachgerecht.18

3. Europäische Harmonisierung Auch der Europäische Gesetzgeber sieht in seinen Vorabüberlegungen zur beabsichtigten Har- 14 monisierung des Versicherungsvertragsrechts innerhalb der Gemeinschaft19 zur vorläufigen Deckung nur wenige Grundsätze vor. In dem Entwurf der privaten Projektgruppe „Restatement of European Insurance Contract Law“ („Neufassung des Europäischen Versicherungsvertragsrechts“) für die Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) vom 1.11.201520 sind abgesehen von zwei Erwähnungen in Artikel 2:20321 und Artikel 2:30322 nur in Artikel 2:402 und Artikel 2:403 folgende Regelungsansätze enthalten:23 Artikel 2:402 – Vorläufige Deckung (1) Bei Abschluss eines Versicherungsvertrags über vorläufige Deckung hat der Versicherer eine Deckungsbestätigung auszustellen, die die in Artikel 2:501 lit. a, b, d, e und h näher bezeichneten Informationen enthält, sofern diese von Bedeutung sind. (2) Die Artikel 2:201 bis 2:203 und, vorbehaltlich des obigen Absatzes 1, Artikel 2:501 sind auf die vorläufige Deckung nicht anzuwenden. Artikel 2:403 – Dauer der vorläufigen Deckung (1) Sofern dem Antragsteller eines Versicherungsvertrags vorläufige Deckung gewährt wird, endet der vorläufige Deckungsschutz frühestens zu dem Zeitpunkt, zu dem die Deckung nach dem Versicherungsvertrag vereinbarungsgemäß beginnen soll oder zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsteller vom Versicherer die endgültige Ablehnung des Antrags erhält. (2) Sofern einer Person vorläufige Deckung gewährt wird, die nicht bei demselben Versicherer einen Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrags gestellt hat, so kann der vorläufige Deckungsschutz für einen kürzeren als den in Artikel 2:601 Absatz 1 genannten Zeitraum gewährt werden. Eine solche Deckung kann von jeder Partei unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

Ob diese Vorstellungen Bestandteil einer europäischen Richtlinie werden oder Bestandteil einer 15 neben dem nationalen Recht verfügbaren, der Parteivereinbarung überlassenen Rechtswahl werden, bleibt abzuwarten. Sollte es zu einer europäischen Richtlinie kommen, müssen die Vorschriften des VVG zumindest hinsichtlich der Ausstellung einer Versicherungsbestätigung und des Endes der vorläufigen Deckung entsprechend angepasst werden. Die Ausstellung einer Versicherungsbestätigung (z.B. Deckungskarte bzw. elektronisch der Zulassungsstelle übermittelte Nachricht) ist im deutschen Recht bislang lediglich für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung 17 18 19 20

RegE S. 74. Anders offenbar Bruck/Möller/Höra9 Vor §§ 49 ff. Rn. 36. Überblick bei Armbrüster S. 669 ff. Abrufbar unter www.uibk.ac.at/zivilrecht/forschung/evip/restatement/sprachfassungen (Stand 5.10.2021) in der englischen Originalfassung sowie der diversen, auch der deutschen (aus der die nachfolgenden Zitate entnommen sind) Übersetzungen. Zu dem Projekt Armbrüster S. 669 ff. 21 Artikel 2:203 sieht bei dem VR erkennbaren Fehlvorstellungen des VN eine Aufklärungspflicht des VR vor, „dass der Deckungsschutz außer bei Gewährung vorläufiger Deckung nicht beginnt, bevor der Vertrag abgeschlossen ist und gegebenenfalls die erste Prämie bezahlt wurde.“. 22 Nach Artikel 2:303 Abs. 2 lit. c) ist das Widerspruchsrecht des VN ausgeschlossen, wenn es sich um eine „vorläufige Versicherung“ handelt. 23 Zu diesen Regelungen in dem insoweit identischen Vorentwurf der PEICL vom 17.12.2007 Armbrüster ZEuP 2008 775, 790 f. 703

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vorgesehen. Das deutsche Recht schützt den VN andererseits besser, als es das Ende der vorläufigen Deckung bei Nichtzahlung oder verspäteter Zahlung des sog. Einlösungsbeitrags (also der Erstprämie, deren Zahlung für den Beginn des materiellen Versicherungsschutzes erforderlich ist) von einer Rechtsbelehrung abhängig macht und Verzug voraussetzt (§ 52). Außerdem endet die vorläufige Deckung, sofern diese nicht rechtswirksam zeitlich befristet worden ist, bei fristloser Kündigung durch den VR erst zwei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung; dem VN soll damit Gelegenheit gegeben werden, sich bei entsprechendem Bedarf anderweitigen vorläufigen Versicherungsschutz zu beschaffen (§ 52 Abs. 4).

III. Verbreitung 16 In der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist vorläufiger Versicherungsschutz unumgänglich. Damit ein Kraftfahrzeug zum Straßenverkehr zugelassen werden kann, ist die Vorlage einer Versicherungsbestätigung durch §§ 3 Abs. 1, 23 FZV zwingend erforderlich.24 Sehr häufig finden sich Verträge über vorläufigen Deckungsschutz zudem in der Lebens-,25 Berufsunfähigkeits- und Unfallversicherung,26 außerdem in allen Bereichen der gewerblichen Sach- und Haftpflichtversicherung. Die weite Verbreitung der vorläufigen Deckung auch außerhalb der Kraftfahrzeugversicherung 17 hat mehrere Gründe. Wer eine Lebens-, Berufsunfähigkeits- oder Unfallversicherung beantragt, möchte möglichst sofort geschützt sein. Wer die Zulassung als Rechtsanwalt beantragt, muss eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung nachweisen. In der gewerblichen Sachversicherung ist vorläufige Deckung häufig im betrieblichen Interesse notwendig; sie wird nicht selten zudem benötigt, um die Fremdfinanzierung von Anschaffungsgütern sicherzustellen. Abgesehen davon dient die Gewährung vorläufiger Deckung den Versicherungsunternehmen auch zur Kundenbindung.27 Die vorläufige Deckung wird aus Sicht eines durchschnittlichen VN in der Regel „kosten18 frei“ gewährt. Tatsächlich trifft dies nur bedingt zu. Verbreitet sind Regelungen, dass bei Eintritt des Versicherungsfalles aus der vorläufigen Deckung eine Prämie nacherhoben und mit der Versicherungsleistung verrechnet wird.28 Anderenfalls wird aus Vereinfachungsgründen das aus der vorläufigen Deckung resultierende Risiko in die Prämie des Hauptvertrages eingerechnet und nicht gesondert erhoben.29

B. Grundlagen 19 Aufgrund ihrer weiten Verbreitung in den unterschiedlichen Versicherungssparten und der auch in den §§ 49 bis 52 nur punktuell erfolgten gesetzlichen Regelung unterscheiden sich die Verträge im Detail. In Bezug auf Rechtsnatur, Zustandekommen und Form des Vertrages sowie Beginn des Versicherungsschutzes ergeben sich jedoch keine grundlegenden Unterschiede.

I. Rechtsnatur des Vertrages 20 Nach der noch in der achten Auflage vertretenen Einheitstheorie30 ist der Wille des VN, der im Vorfeld des beabsichtigten endgültigen Versicherungsschutzes vorläufige Deckung beanVgl. Bruck/Möller/Koch9 B AKB Rn. 13 ff. Vgl. Bruck/Möller/Winter9 § 150 Rn. 145. Vgl. Bruck/Möller/Leverenz9 § 179 Rn. 129 und Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 17. Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 1. Vgl. etwa § 5 der „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“, zu diesen Bedingungen Rn. 52, abgedruckt im Anhang zu § 52. 29 Vgl. Martin SVR K II Rn. 5. 30 Ausführlich zum Theorienstreit Henzler S. 13 ff.

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B. Grundlagen

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sprucht, auf ein einheitliches Vertragsverhältnis gerichtet, das in einem zusammenfassenden Versicherungsschein dokumentiert ist und eine gemeinsame Versicherungsdauer sowie eine darauf bezogene einheitliche Prämienkalkulation aufweist. Zum Zustandekommen der vorläufigen Deckung wird jedoch eine zusätzliche zweite Einigung der Vertragsparteien gefordert. Der Deckungsschutz aus der vorläufigen Deckung ist auch nach der Einheitstheorie nicht vom Zustandekommen des endgültigen Vertrages abhängig.31 Nach der schon vor der VVG-Reform herrschenden Trennungstheorie ist die vorläufige 21 Deckung ein von der Hauptversicherung zu unterscheidender eigenständiger Versicherungsvertrag.32 An der Eigenständigkeit dieses Vertrages ändert es nichts, dass der VR das Risiko des VN nur vorübergehend absichert. Für den Vertrag gelten grundsätzlich alle einschlägigen Vorschriften des Gesetzes. Soweit sie zwingend sind, können sie zu Lasten des VN nicht abbedungen werden. Dies ist sachgerecht, denn der Schutzzweck der einzelnen Vorschrift entfällt nicht schon deshalb, weil der Vertrag regelmäßig nur eine kurze Laufzeit hat und durch einen anderen längerfristigen Vertrag abgelöst werden soll.33 In der Rechtspraxis hatte der Theorienstreit nur für einige Sachfragen Bedeutung. Unter- 22 schiedliche Auffassungen bestanden etwa in Bezug auf die Folgen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Differenziert bewertet wurde ferner, ob bei Dokumentation der vorläufigen Deckung und des endgültigen Versicherungsvertrages in einem einheitlichen Versicherungsschein dann, wenn für die Zeitdauer des vorläufigen Versicherungsschutzes ein Prämienanteil in die Versicherungsprämie einbezogen war, es sich um eine Erstprämie im Sinne von § 38 a.F. handele oder ob die für den Hauptvertrag geforderte Erstprämie eine Folgeprämie nach § 39 a.F. sei.34 Der Theorienstreit ist durch § 49 Abs. 1 Satz 1 im Sinne der gesetzlichen Festlegung auf die 23 Trennungstheorie obsolet geworden. Das Gesetz sieht die Gewährung vorläufiger Deckung als selbständigen Versicherungsvertrag an.35 Von einer vertieften Darstellung des Theorienstreites kann deshalb abgesehen werden.

II. Unterschiede zu ähnlichen Verträgen 1. Rückwärtsversicherung Mit einer Rückwärtsversicherung lässt sich ein vergleichbarer Versicherungsschutz, wie ihn die 24 vorläufige Deckung bietet, nicht erreichen. § 2 Abs. 1 erlaubt zwar eine Vertragsgestaltung dahin gehend, dass der Versicherungsschutz vor dem Zeitpunkt des Zustandekommens des Versicherungsvertrages beginnt. Der materielle Haftungsbeginn geht dem formellen Vertragsbeginn voran.36 Der VN hat keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung, wenn er bei Schließung des Vertrages bereits Kenntnis vom Eintritt eines Versicherungsfalles besitzt (§ 2 Abs. 2 Satz 2). Weiß der VR, dass ein Versicherungsfall noch nicht eingetreten ist, hat er keinen Anspruch auf die Prämie für die Vergangenheit (§ 2 Abs. 2 Satz 1). Die mit einer derartigen Vereinbarung verbundene Abdeckung des Risikos ab einem vor dem Vertragsabschluss liegenden Zeitpunkt setzt jedoch voraus, dass es tatsächlich zu dem beantragten Vertragsabschluss hinsichtlich der Hauptversicherung kommt. Lehnt der VR den Versicherungsantrag berechtigt ab, hilft die vorgesehene Rückverlagerung des Deckungsschutzes nicht. Darin zeigt sich der Unterschied zur vor31 Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 94 ff.; Martin SVR K II Rn. 10 ff. 32 BGH 21.2.2001 – IV ZR 259/99, VersR 2001 489; BGH 25.1.1995 – IV ZR 328/93, VersR 1995 409, 410; BGH 9.5.1951 – II ZR 8/51, BGHZ 2 87, 91; Langheid/Rixecker/Rixecker § 49 Rn. 3. 33 Vgl. KomE S. 49. 34 Eingehend dazu Henzler S. 69 ff. 35 RegE S. 73. 36 BGH 21.3.1990 – IV ZR 40/89, BGHZ 111 29, 30. 705

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läufigen Deckung. Als selbständiger Versicherungsvertrag ist der Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung von dem Zustandekommen der beabsichtigten Hauptversicherung unabhängig. Auch wenn der endgültige Vertrag scheitert, lässt dies die Haftung des VR aus der vorläufigen Deckung unberührt.37

2. „Sofort beginnender“ Versicherungsschutz 25 In einigen Bereichen, vorwiegend bei Reiseversicherungen und Restschuldversicherungsverträgen, gewährt der VR ohne individuelle Antragsprüfung Versicherungsschutz ab einem bestimmten Ereignis, beispielsweise dem Antritt der Reise bzw. der Auszahlung des Darlehensbetrages durch die kreditgewährende Bank. Der VN muss lediglich den Versicherungsantrag unterzeichnen. Dieser enthält eine antizipierte Annahmeerklärung des VR, die den materiellen Versicherungsbeginn ab Eintritt des betreffenden Ereignisses vorsieht. Hintergrund derartiger Vertragsgestaltungen ist, dass ein Reisender, dem auf dem Flugha26 fen einfällt, dass sein Reisegepäck nicht oder nur unzureichend versichert ist oder er im Zielland seiner Reise keinen Krankenversicherungsschutz genießt, auf sofort beginnende Versicherungsdeckung angewiesen ist. Bei dem Kreditnehmer, der dringenden Finanzierungsbedarf hat, hängt die Auszahlung des beantragten Ratenkreditdarlehens wegen unzureichender Sicherheiten möglicherweise von der Gewährung des Versicherungsschutzes für den Todes- und Arbeitsunfähigkeitsfall ab. Die besondere Vertragsgestaltung entspricht deshalb einem dringenden Verkehrsbedürfnis. Verträge mit solchermaßen „sofort beginnendem“ Versicherungsschutz haben gegenüber 27 typischen Spartenverträgen in der Regel eine (relativ) kurze Laufzeit und sind in der Höhe der Versicherungssummen limitiert. Im Gegensatz zur vorläufigen Deckung, der ein Hauptvertrag folgen soll, handelt es sich um Hauptverträge, auf die die §§ 49 bis 52 keine Anwendung finden.

3. „Nachträgliche Rückwärtsversicherung“ 28 Gelegentlich sagen VR vorläufigen Versicherungsschutz mit der Maßgabe zu, dass dieser bei Zustandekommen der Hauptversicherung durch eine prämienfreie Rückwärtsversicherung ab Antragsdatum ersetzt wird. Eine derartige Vertragsgestaltung ist zwar grundsätzlich zulässig. Sie wirft aber dann Probleme auf, wenn ein Versicherungsfall in der Zeit zwischen Antragstellung und Vertragsabschluss eintritt und der Deckungsschutz in der vorläufigen Deckung von dem der Hauptversicherung inhaltlich abweicht. Das kann auf Einschränkungen der Deckungshöhe in der Hauptversicherung beruhen, die der VR im Rahmen der Antragsprüfung vornimmt (§ 5) oder auf spezifischen Risikoausschlüssen, zu beachtenden Obliegenheiten etc., die in der Zusage vorläufiger Deckung fehlen. Denn die Abwicklung eines in der Zeit zwischen Antrag und Vertragsabschluss eingetretenen Versicherungsfalles richtet sich bei dieser Vertragsgestaltung ab Zustandekommen der Hauptversicherung nach dem Vertragsregime der Hauptversicherung. Für einen durchschnittlichen VN ist dies in der Regel nicht transparent. Er erkennt nicht, dass sich sein Versicherungsschutz mit Zustandekommen der Hauptversicherung für den Zeitraum der Rückwärtsversicherung negativ verändert. Ob wirksam ein nachträgliches Erlöschen oder eine nachträgliche Einschränkung der vorläufigen Deckung durch Rückwärtsversicherung vereinbart wurde, ist daher im Einzelfall kritisch zu hinterfragen.38

37 Vgl. BGH 25.6.1956 – II ZR 101/55, BGHZ 21 122, 129. 38 Weitergehend § 52 Rn. 18 ff. Schnepp

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III. Zustandekommen der vorläufigen Deckung 1. Allgemeines Wie bei jedem zivilrechtlichen Vertrag sind auch bei der vorläufigen Deckung Antrag und An- 29 nahme erforderlich. Typischerweise werden Verträge über die vorläufige Deckung auf entsprechend vorformu- 30 lierten Antragsformularen beantragt.39 Sie können aber auch formlos und selbst durch mündliche Erklärung40 sowie bei modernen Vermittlerplattformen und bei dem Direktvertrieb über Webseiten oder Apps auf elektronischem Geschäftsverkehr zustande kommen. Genügend für den Antrag ist beispielsweise, dass der VN oder für ihn ein Versicherungsvermittler den VR bittet, ein bestimmtes Risiko „sofort in Deckung“ zu nehmen oder einen sinngemäß vergleichbaren Wunsch äußert. Auf die Wortwahl kommt es nicht an, sofern nur der Wunsch nach sofort beginnendem, zumindest vorläufigem Versicherungsschutz hinreichend deutlich ist.41 Der VR muss den Antrag für das Zustandekommen der vorläufigen Deckung annehmen. Auch dies kann formlos erfolgen, etwa durch telefonische Bestätigung oder selbst durch konkludentes Verhalten. Allerdings wird man fordern müssen, dass dazu nicht jedwede Erklärung irgendeines Mitarbeiters des VR ausreicht. Wer etwa (bei traditioneller Struktur des Antragswegs) mit der Telefonzentrale des VR spricht, kann ohne Weiterleitung an einen Sachbearbeiter redlicherweise nicht erwarten, dass ihm gegenüber verbindliche Erklärungen abgegeben werden. Ob der Sachbearbeiter, an den der VN oder der Versicherungsvertreter weiter vermittelt wird, tatsächlich für eine Sachentscheidung zuständig ist, kann dagegen keine Rolle spielen, da dies für den Anrufer nicht überprüfbar ist und allein die interne Organisation des VR betrifft. Bei heute üblichen Vermittlerplattformen sowie bei dem Direktvertrieb über Webseiten oder Apps, können der Versicherungsvermittler bzw. der VN regelmäßig davon ausgehen, dass der VR rechtsverbindliche Erklärungen abgibt. In der Praxis spielen diese Fragen oft keine entscheidende Rolle. In allen Fällen, in denen 31 die Versicherungswirtschaft ein dringendes Bedürfnis nach vorläufiger Deckung erkannt hat, diese aufgrund gesetzlicher Vorgaben unumgänglich ist oder zum Zwecke der Kundenbindung dem künftigen VN angeboten werden soll, enthalten die Antragsformulare bzw. jedenfalls im Massengeschäft regelmäßig eine antizipierte Annahmeerklärung des VR, wonach die vorläufige Deckung mit Eingang des Versicherungsantrags bei dem VR beginnt, seltener auch schon mit Unterzeichnung des Antrags. Der vorläufige Versicherungsschutz kommt dann mit dem betreffenden Ereignis – Eingang des Antrags bei dem VR oder dessen Unterzeichnung durch den VN – zustande.42

2. Auslegung des Antrags a) Antrag auf Abschluß des Hauptvertrags und der vorläufigen Deckung. Versicherungs- 32 anträge, bei denen als Versicherungsbeginn das Datum der Antragstellung angegeben ist, ohne dass förmlich gleichzeitig ein Antrag auf vorläufige Deckung gestellt wird, sind nicht immer als Antrag auf eine Rückwärtsversicherung zu werten. Maßgebend ist, wie ein durchschnittlicher VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse das Antragsformular und die damit verbundene rechtliche Tragweite des von ihm gestellten Antrags bei verständiger Würdigung, aufmerk39 In der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist die in der Vergangenheit übliche Deckungskarte durch die elektronische Übermittlung an die Zulassungsstelle ersetzt. 40 Vgl. dazu OLG Karlsruhe 3.3.1988 – 12 U 105/87, VersR 1990 889, 890; Langheid/Rixecker/Rixecker § 49 Rn. 4. 41 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 9. 42 BGH 7.7.1999 – IV ZR 32/98, VersR 1999 1266, 1267 f.; BGH 3.4.1996 – IV ZR 152/95, NJW-RR 1996 856; OLG Saarbrücken 21.3.2001 – 5 U 691/00, NVersZ 2001 506 f. 707

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samer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht.43 Zu berücksichtigen ist dabei, dass ein durchschnittlicher VN die rechtlichen Unterschiede zwischen einer Rückwärtsversicherung und vorläufiger Deckung regelmäßig nicht kennt. Abhängig von der Dringlichkeit seines konkreten Versicherungsbedürfnisses geht er davon aus, ab dem von ihm angegebenen Zeitpunkt an und nicht nur rückwirkend bei Zustandekommen des beantragten Versicherungsvertrages Versicherungsschutz zu erhalten. In der Regel wird deshalb von einem Wunsch nach vorläufiger Deckung und nicht von einem Antrag auf Rückwärtsversicherung auszugehen sein.44 Vorläufige Deckung setzt nicht einen bis dahin vertragslosen Zustand voraus.45 Denkbar ist 33 auch, dass ein VN in einem bestehenden Vertragsverhältnis Veränderungen des Deckungsschutzes und/oder eine Prämienänderung beantragt und der VR ihm für die Dauer der Vertragsverhandlungen vorläufige Deckung zusagt. Tritt bis zur Änderung des bestehenden Versicherungsvertrages ein Versicherungsfall ein, ist fraglich, ob dieser aus dem bisherigen Versicherungsvertrag oder aus der „vorläufigen Deckungszusage“ zu regulieren ist. Haben die Vertragsverhandlungen ausschließlich Deckungserweiterungen zum Gegenstand, sind über den bisherigen Leistungsumfang hinausgehende Versicherungsleistungen zweifelsohne aus der vorläufigen Deckungszusage zu befriedigen, wenn ein Versicherungsfall im maßgebenden Zeitraum eintritt. Geht es um Einschränkungen des Versicherungsschutzes, kann die Auslegung dazu führen, dass hinter dem Begehren des VN das dringende Verlangen nach Prämienermäßigung steht. Da seine Prämienzahlungsverpflichtung aus dem bisherigen Vertragsstand bis zur Entscheidung über das Änderungsbegehren unberührt bleibt, kann die vorläufige Deckungszusage (zu verminderten Leistungen) allenfalls bei Hinzutritt weiterer Erklärungen (zur vorläufigen Prämienhöhe oder gegebenenfalls auch der Zusage einer rückwirkenden Prämienstundung) dazu führen, dass ein im Prüfungszeitraum eintretender Versicherungsfall nicht nach den bislang geltenden Vertragsregelungen entschädigt werden muss. Enthält das Änderungsverlangen sowohl Deckungs- und Prämieneinschränkungen als auch Deckungserweiterungen, wird die vorläufige Deckungszusage und der Vertragsstand, sofern keine weiteren Umstände hinzutreten, wohl aus Sicht eines durchschnittlichen VN dahingehend ausgelegt werden müssen, dass die vorläufige Deckung die beantragten Deckungserweiterungen umfasst, während es hinsichtlich des bisherigen Deckungsumfangs zunächst noch bei der versicherungsvertraglichen Vereinbarung verbleibt.46

34 b) Kraftfahrtversicherung.47 Jedenfalls in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist selbst dann, wenn im Antragsformular der Wunsch nach vorläufiger Deckung in der entsprechenden Spalte des Antragsformulars nicht vermerkt sein sollte, in der Regel von einem zusätzlichen Antrag auf vorläufige Deckung als gewollt auszugehen. Denn der Antrag auf Neuabschluss einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung wird üblicherweise gestellt, um die Zulassung eines von dem VN erworbenen Kraftfahrzeugs zu ermöglichen.48 Für die Fälle des VRwechsels gilt nichts anderes; der VN muss nach Kündigung seines bisherigen Vertrages für unterbrechungsfreie Weiterversicherung sorgen. Entspechendes ist in B.2.1 AKB 2015 geregelt.49 Auch wer für ein Neufahrzeug zusätzlich zu der zwingend erforderlichen Kraftfahrzeughaft35 pflichtversicherung Vollkasko- und/oder Kraftfahrtunfallversicherungsschutz beantragt, 43 BGH 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123 83, 85. 44 Umstritten, wie hier Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 98; anders und zu Unrecht aber, wonach im Zweifel keine vorläufige Deckung gewünscht sein soll, Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 11; Prölss/Martin/Klimke vor § 49 Rn. 7a; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 49 Rn. 3. 45 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 12. 46 Ähnlich Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 12. 47 Ergänzend und wegen Detailfragen wird auf Bruck/Möller/Koch9 B AKB Rn. 13 ff. verwiesen. 48 Vgl. OLG Hamm 29.1.1993 – 20 U 218/92, NJW-RR 1993 995. 49 Vgl. Bruck/Möller/Koch9 B AKB Rn. 13 ff. m.w.N. Schnepp

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möchte in aller Regel vom Zeitpunkt der Ingebrauchnahme des Kraftfahrzeugs an geschützt sein, unabhängig von dem noch ausstehenden Zustandekommen des Hauptvertrages. Die AKB (so auch noch B.2.2 AKB 2015) sehen zwar vor, dass vorläufiger Versicherungsschutz nur besteht, wenn der VR dies ausdrücklich zusagt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung50 sieht jedoch die VR aufgrund der Bedürfnisse der VN zu Recht für verpflichtet an, vorläufigen Versicherungsschutz auch in der Kasko- bzw. Kraftfahrzeugunfallversicherung zu gewähren, sofern sie nicht deutlich darauf hinweisen, dass die vorläufige Deckung nur in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung übernommen wird. Das gilt auch, wenn der Wunsch nach Kaskoversicherung nur telefonisch oder anderweitig mündlich mitgeteilt wird.51 Die bloße Einschränkung des Versicherungsschutzes für die vorläufige Deckung in den AKB 201552 (und deren früheren Fassungen) auf die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, sofern nicht eine ausdrückliche Zusage des VR für den mitbeantragten Kasko- und Unfallschutz erteilt wird, ist ungenügend.53 Von einem durchschnittlichen VN, der um Versicherungsschutz über die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung hinaus bittet, kann redlicherweise nicht erwartet werden, dass er ohne gesonderten Hinweis bei Erhalt der Deckungskarte oder der elektronisch übermittelten Nachricht an die Zulassungsstelle erkennt, dass bei Ingebrauchnahme des Fahrzeugs nur eingeschränkter Versicherungsschutz besteht. Dasselbe gilt, wenn an Stelle eines bislang nicht lediglich in der Haftpflichtsparte versicherten Fahrzeugs ein neu erworbenes versichert werden soll. Ein durchschnittlicher VN geht im Regelfall davon aus, dass sich bei einem derartigen Antrag „nichts ändert“, sondern lediglich an Stelle des bisherigen Fahrzeugs das neue entsprechend versichert wird. Anders kann die Rechtslage nur dann sein, wenn kommentarlos eine „Deckungskarte“ für ein bislang bei dem VR nicht versichertes Fahrzeug beantragt wird und dem VR nicht erkennbar ist, ob und zu welchen Konditionen ein bisheriges Fahrzeug bei einem anderen VR versichert war.54 Wenn für den VR nicht erkennbar ist, dass dieses anstatt eines bislang bei ihm oder einem anderen VR versicherten Kraftfahrzeugs versichert werden soll und auch sonst keine Wünsche des VN bekannt sind, ist weder im Hinblick auf die aus § 6 Abs. 1 resultierenden Beratungspflichten noch in Bezug auf einen etwaigen Vorvertrag (§ 6 Abs. 4) in aller Regel ein Beratungsanlass erkennbar. Anders ist dies jedoch dann, wenn für den VR Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der VN den Umfang der vorläufigen Deckung fehlerhaft beurteilt.55

c) Andere Versicherungssparten. Auch außerhalb der Kraftfahrtversicherung kann die Aus- 36 legung eines Versicherungsantrags als (zusätzlicher) Antrag auf vorläufige Deckung geboten sein. Sie liegt immer nahe, wenn es dem VN erkennbar auf einen sofort einsetzenden und nicht nur auf einen von dem Zustandekommen des Hauptvertrages, gegebenenfalls rückwirkend einsetzenden Versicherungsschutz ankommt. Das kann etwa in der Feuer- und Wohngebäudeversicherung der Fall sein, ebenso bei industriellen Versicherungen, vor allem wenn die Finanzierung von Anlagen oder Maschinen vom Bestehen eines Versicherungsschutzes erkennbar abhängt.

50 St.Rspr. seit BGH 19.3.1986 – IVa ZR 182/84, VersR 1986 541, 542; bestätigt etwa durch BGH 14.7.1999 – IV ZR 112/98, VersR 1999 1274, 1275; Bruck/Möller/Koch9 B AKB Rn. 19 ff. m.w.N. 51 BGH 14.7.1999 – IV ZR 112/98, VersR 1999 1274, 1275; BGH 19.3.1986 – IVa ZR 182/84, VersR 1986 541, 542; KG Berlin 9.12.2014 – 6 U 22/14, RuS 2015 287, 288; KG Berlin 11.2.2014 – 6 U 64/12, VersR 2015 1285, 1286; OLG Schleswig 24.5.2007 – 7 U 64/06, MDR 2007 1422 f.; OLG Köln 24.10.2000 – 9 U 34/00, VersR 2002 970, 971. 52 Vgl. B 2.1. und B 2.2. AKB 2015. 53 Vgl. BGH 14.7.1999 – IV ZR 112/98, VersR 1999 1274, 1275; KG Berlin 9.12.2014 – 6 U 22/14, RuS 2015 287, 288; OLG Karlsruhe 20.7.2006 – 12 U 86/06, RuS 2006 414, 415; OLG Saarbrücken 20.4.2006 – 5 U 575/05, VersR 2006 1353, 1354. 54 Wohl ebenso Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 16. 55 Bruck/Möller/Koch9 B AKB Rn. 21; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 49 Rn. 5. 709

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Falls die Auslegung des Antrags in solchen und vergleichbaren Fällen ergibt, dass für den VN sofortige Deckung vertragswesentlich ist und es ihm nicht nur auf einen auf den beantragten Zeitpunkt rückwirkenden, von der Policierung des Versicherungsvertrages abhängigen Versicherungsschutz angekommen ist, weicht der eine bloße Rückwärtsversicherung dokumentierende Versicherungsschein von dem Antrag ab. Sofern auf die Abweichung nicht ausdrücklich hingewiesen ist, gilt der Versicherungsvertrag nach § 5 als mit dem Inhalt des (ausgelegten) Antrags zustande gekommen.

3. Vorläufige Deckungszusage durch Versicherungsvermittler 38 Sofern Versicherungsvermittler nicht ausnahmsweise mit einer Abschlussvollmacht durch den VR ausgestattet sind (vgl. § 71 für den Versicherungsvertreter), fehlt ihnen die erforderliche Vertretungsmacht zu einer den VR bindenden Zusage vorläufiger Deckung. Aber selbst wenn der Versicherungsvertreter nur über die gesetzliche Vollmacht des § 69 verfügt und ebenso bei einem Versicherungsmakler, kommt vorläufige Deckung zu Lasten des VR rechtswirksam zustande, wenn dieser den Versicherungsvermittler mit Antragsformularen ausgestattet hat bzw. ein Versicherungsvermittler, insbesondere bei dem Versicherungsmakler relevant, mit Einwilligung des VR selbst erstellte Formulare verwendet, die vorläufige Deckung ab Antragstellung oder Antragseingang bei dem VR vorsehen. Denn bei dem Versicherungsvertreter schließt die gesetzliche Vermittlungsvollmacht ausdrücklich die Entgegennahme von Anträgen und den Auftrag zur Weiterleitung an den VR ein (§ 69 Abs. 1 Ziffer 1). Auf eine eigene gesonderte Annahmeentscheidung hat der VR in diesen Fällen durch seine in den Formulartext aufgenommene antizipierte Annahmeerklärung verzichtet. Entscheidend für den vorläufigen Versicherungsschutz ist bedingungsgemäß nur, dass der Antrag von dem VN unterzeichnet wird bzw. nach Unterzeichnung dem VR zugeht, d.h. zu der Posteingangsstelle des VR gelangt. Der Annahme einer konkludenten Vertretungsmacht56 bedarf es deshalb in diesen Fällen nicht (auch wenn dies nur auf einen dogmatischen Unterschied der Begründung eines gleichen Ergebnisses hinausläuft). Von einer konkludenten Vertretungsmacht muss dagegen ausgegangen werden, wenn ein Versicherungsmakler mit entsprechenden Formularsätzen ausgestattet worden ist oder mit Einwilligung des VR eigene Formularsätze verwendet und diese im Rahmen des ihm vom VR vorgegebenen Verwendungszwecks einsetzt, auch wenn ein Makler grundsätzlich im Lager des VN steht.57 Diese Grundsätze gelten bei Anträgen im elektronischen Geschäftsverkehr, etwa über Vermittlerplattformen, entsprechend. 39 Falls der Vermittler ohne eine derartige Antragsgestaltung Zusagen auf eine vorläufige Deckung macht oder den Anschein erweckt, zu einer solchen Zusage ermächtigt zu sein, ist eine differenziertere Betrachtung geboten. Handelt auf Seiten des VN ein Makler, kommt eine Zurechnung seines Handelns zu Lasten des VR allenfalls bei Hinzutreten weiterer Umstände in Betracht; fehlt es daran, bleiben dem VN nur Schadenersatzansprüche gegen seinen Makler. 40 Wenn die Antragsverhandlungen von einem Versicherungsvertreter geführt worden sind und sich aus den Antragsdokumenten keine – wenn auch bedingte und von der Unterzeichung des Versicherungsantrags bzw. des Eingangs dieses Antrags bei dem VR abhängige – antizipierte Annahmeerklärung des VR in Bezug auf vorläufigen Deckungsschutz findet, kann von einer stillschweigend erklärten vorläufigen Deckungszusage zu Lasten des VR nur ausnahmsweise ausgegangen werden. Die Entscheidung des LG Hannover vom 26.7.1979,58 das eine „Art vorläufiger Deckungszusage“ mit der Begründung angenommen hat, ein VN dürfe bei einem über einen Versicherungsvertreter gestellten Antrag, der als gewünschten Versicherungsbeginn das Antragsdatum ausweist, erwarten, dass nunmehr alles in Ordnung gehe und er (sofort) Versicherungsschutz 56 So aber BGH 13.11.1985 – IVa ZR 24/84, VersR 1986 131; OLG Koblenz 25.7.1997 – 10 U 737/96, VersR 1998 311, 314; Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 19.

57 KG Berlin 9.12.2014 – 6 U 22/14, RuS 2015 287, 289; OLG Düsseldorf 31.10.2003 – 4 U 48/03, VersR 2004 1170. 58 LG Hannover 26.7.1979 – 15 O 112/79, VersR 1980 350. Schnepp

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erhalten werde, dürfte zu weit gehen59 oder lässt sich zumindest nicht verallgemeinern. Denn auch einem durchschnittlichen VN ist regelmäßig bewusst, dass die Entscheidung über einen Versicherungsantrag dem VR und nicht etwa dem Vermittler obliegt. Er weiß in der Regel auch, dass in der privaten Versicherungswirtschaft kein Annahmezwang besteht. Deshalb wird er – jedenfalls außerhalb der Kraftfahrtversicherung60 – nicht ohne besondere Umstände annehmen können, unabhängig von dem späteren Zustandekommen der beantragten (Haupt-)Versicherung, sofort und unter allen Umständen bereits ab dem von ihm gewünschten Zeitpunkt an Versicherungsschutz aus einer vorläufigen Deckungszusage des Versicherungsvertreters zu haben. Vorrangig muss durch Auslegung der wechselseitigen Erklärungen überprüft werden, ob der VN eine Rückwärtsversicherung oder vorläufigen Versicherungsschutz wollte.61 Wenn der Versicherungsvertreter lediglich den Eindruck erweckt hat, der Annahme des Versicherungsantrags auf eine Rückwärtsversicherung stehe nichts entgegegen, bindet dies den VR möglicherweise nur hinsichtlich seiner Annahmeentscheidung62 und führt gegebenenfalls zu einem Schadenersatzanspruch, sofern die Erwartung des VN enttäuscht wird. Dann ist der VN jedoch nur so zu stellen, als wäre die beantragte Rückwärtsversicherung tatsächlich zustande gekommen.63

IV. Beginn und Ende des Versicherungsschutzes in der vorläufigen Deckung Wann die vorläufige Deckung (materiell) beginnt und der VN daraus vorübergehenden De- 41 ckungsschutz genießt, ist von dem Inhalt der Zusage abhängig.64 Unproblematisch ist der Beginn des Versicherungsschutzes in der Kraftfahrzeughaftpflicht- 42 versicherung, sofern kein VRwechsel bei bestehendem Versicherungsschutz vorliegt. Die vorläufige Deckung beginnt mit der Zulassung des Kraftfahrzeugs zum öffentlichen Straßenverkehr (B.2.1 Satz 1 AKB 2015). Darunter fallen auch die Zulassung zu Probe-, Prüfungs- und Überführungsfahrten für den Zeitraum der jeweiligen Zulassung. Soll in den Versicherungsschutz auch eine Kasko- bzw. Kraftfahrzeugunfallversicherung eingeschlossen werden, besteht auch insoweit vorläufige Deckung, sofern der VR die vorläufige Deckung nicht rechtswirksam auf die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung eingeschränkt hat.65 Im Falle eines bloßen VRwechsels unter fortbestehender Zulassung gelten die nachstehend erläuterten Grundsätze. Ist festgelegt, dass die vorläufige Deckung „mit Unterzeichnung des Versicherungsantrags“ 43 oder „mit Eingang des Antrags (auf die Hauptversicherung) bei dem VR“ beginnen soll, ist dieser Zeitpunkt maßgebend. Beide Fassungen der Zusage des VR beinhalten eine aufschiebende Bedingung. Dagegen bestehen jedoch keine Bedenken. Im ersten Fall – Unterzeichnung des Versicherungsantrags, wobei damit der Hauptvertrag gemeint ist – hat es der VN selbst in der Hand, den Bedingungseintritt herbeizuführen und kennt den Zeitpunkt des Beginns der vorläufigen Deckung. Im zweiten Fall – Eingang des Antrags auf die Hauptversicherung bei dem VR – weiß der VN zwar nicht, ob und wann sein Antrag bei dem VR eingeht. Er kennt jedoch die üblichen Postlaufzeiten und ist hinreichend dadurch geschützt, dass der Versicherungsvermittler zur unverzüglichen Weiterleitung des Antrags verpflichtet ist. Verstößt der Versicherungsvermittler gegen diese Pflicht, resultieren daraus Schadenersatzansprüche. Der VN ist so zu stellen, als ob sein Antrag innerhalb der üblichen Postlaufzeit bei dem VR eingegangen wäre. 59 60 61 62

Ablehnend Prölss/Martin/Klimke vor § 49 Rn. 10. Vgl. zur Kraftfahrtversicherung Rn. 34 f. Vgl. dazu Rn. 33. An dieser Stelle soll dahinstehen, ob dies dogmatisch aus den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht oder aus den (in ihrem Fortgelten nach der VVG-Reform umstrittenen) sog. ungeschriebenen Regeln der Erfüllungshaftung hergeleitet werden kann, dazu grundsätzlich Bruck/Möller/Schwintowski § 63 Rn. 7 ff, 15 m.w.N. 63 BGH 16.6.1982 – IVa ZR 270/80, BGHZ 84 268. 64 BGH 26.4.2006 – IV ZR 248/04, VersR 2006 913, 914 m.w.N.; vgl. KG Berlin 2.1.2017 – 6 W 129/06, ZfS 2017 397. 65 Vgl. oben Rn. 35. 711

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Fehlt es an einer entsprechenden, sich aus dem Antragsformular oder den gegebenenfalls beigefügten AVB ergebenden Regelung, etwa weil die Zusage vorläufiger Deckung auf einer dem VR zurechenbaren Erklärung des Vermittlers beruht und dabei Details des Versicherungsvertrages über die vorläufige Deckung nicht abgesprochen worden sind, beginnt der vorläufige Versicherungsschutz sofort mit dem Zustandekommen der Zusage. Denn wenn einem VN vorläufige Deckung ohne einschränkende Bedingungen zugesagt wird, kann er dies nicht anders verstehen. Wenn für die vorläufige Deckung eine Prämie gefordert wird, kann der Beginn des Versicherungsschutzes aus der vorläufigen Deckung gemäß § 51 Abs. 1 von der vorherigen Zahlung der Prämie abhängig gemacht werden, sofern der VR den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform oder einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Voraussetzung aufmerksam gemacht hat. § 51 Abs. 1 modifiziert in diesem Fall die allgemeine Regelung zum Zahlungsverzug mit der Erstprämie (§ 37 Abs. 1 und 2).66 Regelungen, bei denen es für den VN klar erkennbar ist, ob und wann der Versicherungsschutz für die vorläufige Deckung beginnt, sind unbedenklich. Dies gilt für die Fälle, in denen der vorläufige Versicherungsschutz von der Erteilung einer Ermächtigung zum Prämieneinzug abhängig gemacht wird.67 Auch Klauseln, wonach das Zustandekommen der beantragten Hauptversicherung von dem VN nicht von besonderen Bedingungen abhängig gemacht werden darf,68 erscheinen unbedenklich. Hier hat es der VN selbst in der Hand, seinen Antrag zur Hauptversicherung entsprechend zu formulieren, weiß also, ob er vorläufige Deckung erlangt oder nicht. Ambivalent sind Klauseln, nach denen aufgrund objektiver Kriterien keine Versicherbarkeit vorgesehen ist und dies dem VN erkennbar ist, dennoch aber ein Vertrag über vorläufige Deckung zustande kommt, so etwa bei Klauseln in der Lebensversicherung, wonach ein bestimmtes Lebensalter der zu versichernden Person für den vorläufigen Deckungsschutz noch nicht überschritten sein darf.69 Hier ist im Einzelfall zu prüfen, ob entsprechende AVB-Regelungen durch Individualvereinbarungen abbedungen wurden. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der VR seine Willenserklärung zum Zustandekommen der vorläufigen Deckung in Kenntnis der fehlenden Versicherbarkeit (also etwa in Kenntnis des zu hohen Lebensalters des VN bzw. der versicherten Person) abgibt.70 Problematisch sind Klauseln, die die vorläufige Deckung davon abhängig machen, dass der Antrag zur Hauptversicherung „nicht von den von uns angebotenen Tarifen und Bedingungen abweicht“.71 Wie Rixecker72 zu Recht bemerkt, ist diese Klausel für einen durchschnittlichen VN undurchschaubar, da er die von dem VR angebotenen Tarife und Bedingungen nicht kennt. Eine derartige Klausel ist folglich intransparent und nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Davon muss selbst dann ausgegangen werden, wenn dem VN zu der beabsichtigten Hauptversicherung die nach § 7 und den entsprechenden Bestimmungen der VVG-InfoV vorgeschriebenen Informationen erteilt worden sind. Wann der Deckungsschutz aus der vorläufigen Deckung endet, war bis zur VVG-Reform streitig.73 Nunmehr gilt § 52, auf dessen Kommentierung verwiesen wird.

66 Näher § 51 Rn. 8. 67 So etwa § 2 lit. b der „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“, zu diesen Bedingungen Rn. 52, abgedruckt im Anhang zu § 52. 68 So etwa § 2 lit. c der „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“, zu diesen Bedingungen Rn. 52, abgedruckt im Anhang zu § 52. 69 So etwa § 2 lit. e der „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“, zu diesen Bedingungen Rn. 52, abgedruckt im Anhang zu § 52. 70 Anders noch Bruck/Möller/Höra9 Vor §§ 49 ff. Rn. 19, wonach in diesen Fällen unproblematisch kein Versicherungsschutz bestehen soll. 71 So etwa § 2 lit. c der „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“, zu diesen Bedingungen Rn. 52, abgedruckt im Anhang zu § 52. 72 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 26. 73 Zum Rechtszustand bis zum Inkrafttreten der VVG-Reform detailliert Henzler S. 174 ff. Schnepp

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V. AVB der vorläufigen Deckung Im Regelfall verwenden die VR keine gesonderten AVB für die vorläufige Deckung, sondern 50 gewähren die vorläufige Deckung unter – ausdrücklichem oder stillschweigendem – Verweis auf die Bedingungen für den Hauptvertrag. Zu den sich hieraus ergebenden Rechtsfragen wird auf die Kommentierung zu § 49 Abs. 2 verwiesen. Teilweise finden sich in den (an sich) für den Hauptvertrag bestimmten AVB Bestimmungen 51 zu der vorläufigen Deckung. In der Praxis wichtigstes Beispiel sind die AKB; so enthält B.2 AKB 2015 Regelungen für das Zustandekommen und den Inhalt der vorläufigen Deckung.74 Soweit für die vorläufige Deckung gesonderte AVB vorliegen, verweisen diese zur Beschrei- 52 bung der Leistungsinhalte und Leistungsvoraussetzungen regelmäßig auf die Bedingungen des beantragten Hauptvertrages. Ein Beispiel ist § 6 der zuletzt 2009 von dem GDV empfohlenen „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“ für das Antragsverfahren:75 „(1) Soweit in diesen Bedingungen nichts anderes bestimmt ist, finden die Allgemeinen und Besonderen Bedingungen für die beantragte Versicherung Anwendung, einschließlich derjenigen für eine mitbeantragte Unfall-Zusatzversicherung. Dies gilt insbesondere für die dort enthaltenen Einschränkungen und Ausschlüsse. Eine Überschussbeteiligung erfolgt jedoch nicht. (2) Haben Sie im Antrag ein Bezugsrecht festgelegt, gilt dieses auch für die Leistungen aus dem vorläufigen Versicherungsschutz.“

Dabei enthalten spezielle AVB der vorläufigen Deckung gelegentlich summenmäßige Einschrän- 53 kungen des Versicherungsschutzes wie zum Beispiel § 1 Abs. 2 der vorstehend zitierten „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“ für das Antragsverfahren: „(2) Aufgrund des vorläufigen Versicherungsschutzes zahlen wir einschließlich der Leistungen aus einer UnfallZusatzversicherung höchstens … Euro, auch wenn Sie höhere Leistungen beantragt haben. Diese Begrenzung gilt auch dann, wenn mehrere Anträge auf das Leben derselben Person bei uns gestellt worden sind.“

Die summenmäßige Begrenzung des Versicherungsschutzes dient dem Ausgleich der gegenläufigen Interessen des VN an sofortiger Versicherungsdeckung und dem Interesse des VR, das ihm angetragene Risiko erst nach eingehender Risikoprüfung übernehmen zu wollen. Der VN soll nicht schutzlos dastehen. Eine für die Hauptversicherung beantragte sehr hohe Versicherungsleistung will der VR jedoch nicht ungeprüft übernehmen.

VI. Beratungspflicht Nach §§ 6, 6a, 61 f. treffen sowohl den VR als auch den Versicherungsvermittler umfassende 54 Beratungs- und Dokumentationspflichten. Diese Regelungen gelten grundsätzlich (bis auf die nachstehend angesprochenen Besonderheiten) auch für den Vertrag über die Gewährung einer

74 Dazu im Einzelnen Bruck/Möller/Koch9 B AKB Rn. 8 ff. 75 Die „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“ wurden zuletzt in der Fassung der unverbindlichen Empfehlung des GDV vom 14.10.2009 bzw. 23.8.2010 veröffentlicht, dies sowohl in einer Fassung für das Antragsverfahren als auch für das Invitatioverfahren. Die Fassung für das Invitatioverfahren weicht teilweise in der Formulierung ab. Zitiert wurde nach der Fassung für das Antragsverfahren. Beide Fassungen sind im Anhang zu § 52 abgedruckt. Inzwischen (Stand September 2021) werden diese Bedingungen nicht mehr durch den GDV auf der Webseite vorgehalten. 713

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vorläufigen Deckung,76 so dass insoweit auf die Kommentierungen der §§ 6, 6a, 61 und 62 verwiesen wird. 55 Soweit zu dem beabsichtigten Versicherungsvertrag eine vorläufige Deckung branchenüblich angeboten wird, besteht grundsätzlich eine besondere, hierauf bezogene Beratungspflicht zumindest dann, wenn der VR bzw. der Versicherungsvermittler aus den im Beratungsgespräch mitgeteilten Umständen Kenntnis davon hatte, dass ein vorläufiger Versicherungsschutz notwendig oder aus erkennbaren Umständen gewünscht ist bzw. dies hätte erkannt werden müssen.77 Wenn die Notwendigkeit vorläufiger Deckung oder auch nur deren Zweckmäßigkeit aus den Angaben des VN erkennbar ist, muss hierauf hingewiesen und dies nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung mit dem VN erörtert werden. Erkennbare Dringlichkeit liegt dabei nicht nur dann vor, wenn sich dies aus Angaben des VN ergibt. Der Versicherungsvermittler muss auch auf objektive Umstände, die seiner Wahrnehmung unterliegen, reagieren. Davon ist etwa in der betrieblichen Sachversicherung auszugehen, wenn der Versicherungsvermittler von einem Spediteur und Lagerhalter zur Einweihung eines neu errichteten Außenlagers aufgrund langjähriger Geschäftsverbindung in Versicherungsfragen eingeladen wird und er erkennt oder erkennen kann, dass für die unmittelbar bevorstehende Einlagerung kein oder kein ausreichender Versicherungsschutz besteht. 56 Nach der VVG-Reform erlaubte § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 (a.F., d.h. in der ab 2008 geltenden Fassung) dem VR in Bezug auf die vorläufige Deckung Ausnahmen von der ansonsten nach einer Beratung bestehenden Dokumentations- und Übermittlungspflicht. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 a.F. reichte die mündliche Übermittlung der Angaben zu dem erteilten Rat und den Gründen hierfür aus. Die Angaben waren nach § 6 Abs. 2 Satz 3 a.F. unverzüglich in Textform nach Vertragsschluss zu übermitteln; dies galt nicht, wenn der Vertrag nicht zustande kam oder für Verträge über vorläufige Deckung bei Pflichtversicherungen (und damit insbesondere bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung). Damit korrespondierte § 62 Abs. 2, der eine gleichlautende Regelung bei der Beratung durch den Versicherungsvermittler vorsieht. Der Gesetzgeber hatte damit das sowohl auf VR- als auch VN-Seite bestehende Bedürfnis nach einem schnellen Abschluss des Vertrages über die vorläufige Deckung anerkannt. Im Rahmen der Umsetzung der IDD-Richtlinie78 wurde § 6 neu gefasst und durch den neuen § 6a ergänzt. Hierdurch ist die Sonderregelung für die vorläufige Deckung hinsichtlich der Beratung durch den VR mit Wirkung ab dem 23.2.2018 ersatzlos weggefallen, so dass für diese nun die allgemeinen Regeln gelten (vgl. §§ 6, 6a). § 62, der für den Rat durch den Versicherungsvermittler gilt, blieb hingegen unverändert, was wohl auf den Vorgaben der IDD beruhen dürfte, im Ergebnis aber inkonsequent ist. 57 Sofern der VN aufgrund fehlender oder mangelhafter Beratung durch fehlende Eindeckung eines an sich möglichen vorläufigen Versicherungsschutzes einen Schaden erleidet, sind der VR und/oder der Versicherungsvermittler zu Schadenersatz wegen Beratungsverschuldens verpflichtet. Der Anspruch geht auf das negative Interesse. Der VN ist so zu stellen, als wäre ihm zu vorläufiger Deckung geraten worden.79 Er muss dann nachweisen, dass er vorläufigen Versicherungsschutz bei hinreichender Beratung eingedeckt hätte. Dabei kommt ihm die Vermutung zugute, dass grundsätzlich von einer interessengerechten Entscheidung bei hinreichender Beratung ausgegangen werden muss. Welchen Deckungsumfang der vorläufige Versicherungsschutz bei einem Schadenfall vor Zustandekommen der Hauptversicherung nach den Geschäftsplänen des VR gehabt hätte und ob der Schaden in vollem Umfang oder nur teilweise zu ersetzen gewesen wäre, weiß der VN nicht. Den VR trifft deshalb insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Er 76 RegE S. 73. 77 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 31; Prölss/Martin/Armbrüster § 1 Rn. 100. 78 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. 2017 I S. 2789. 79 BGH 5.11.1986 – IVa ZR 32/85, VersR 1987 147; OLG Karlsruhe 3.3.1988 – 12 U 105/87, VersR 1990 889, 891; OLG Köln 14.1.1993 – 5 U 175/91, VersR 1993 1385. Schnepp

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muss anhand seiner Vertragsbedingungen und Tarife darstellen, wie der Schadenfall zu behandeln gewesen wäre, falls vorläufiger Versicherungsschutz eingedeckt worden wäre.80

VII. Vorvertragliche Anzeigepflicht 1. Allgemeines Da der Vertrag über die vorläufige Deckung ein (gesonderter) Versicherungsvertrag ist, gelten 58 für ihn die allgemeinen Regeln.81 In Bezug auf die vorvertragliche Anzeigepflicht und arglistiges Verhalten des VN im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss sieht das Gesetz für die vorläufige Deckung keine Besonderheiten vor. Die §§ 19 bis 22 gelten uneingeschränkt. Falls der VR für die vorläufige Deckung gesonderte Antragsfragen nach gefahrerheblichen Umständen in Textform stellt und vor Gewährung des Versicherungsschutzes eine Antragsprüfung vornimmt, richten sich die Rechtsfolgen falscher Angaben, verschwiegener Gefahrumstände oder arglistigen Einwirkens auf den Abschlusswillen des VR nach den genannten Bestimmungen. Dass gesonderte Antragsfragen gestellt werden und eine auf den vorläufigen Versicherungsschutz bezogene Risikoprüfung stattfindet, ist jedoch sehr selten. Nahezu immer fehlen gesonderte Antragsfragen und es findet in aller Regel auch keine gesonderte Risikoprüfung statt, bedingt durch die Eilbedürftigkeit der vorläufigen Deckung.

2. Rechtslage bei ausbleibender Risikoprüfung Werden zwar gesonderte Antragsfragen für die vorläufige Deckung gestellt, nimmt der VR je- 59 doch für die vorläufige Deckung keine eigenständige Risikoprüfung vor, insbesondere, indem er durch antizipierte Annahmeerklärung Versicherungsschutz „ab Unterzeichnung des Antrags“ oder „ab Zugang des Antrags bei der Gesellschaft“ verspricht, sind die Antworten des VN auf die Antragsfragen ohne Relevanz für den vorläufigen Versicherungsschutz. Dasselbe gilt in einem derartigen Fall, wenn entweder überhaupt keine gesonderten Antragsfragen gestellt werden oder vermerkt ist, dass die zum Hauptvertrag gestellten Antragsfragen auch für den vorläufigen Versicherungsschutz gelten sollen. Denn ein VR, der das Zustandekommen der vorläufigen Deckung auf einen Zeitpunkt zusagt, zu dem er keine Kenntnis von etwaigen Antworten des VN auf die Antragsfragen haben kann, belegt, dass etwaige Angaben des VN für seine Annahmeentscheidung irrelevant sind. Es ist offenkundig, dass die Antworten nicht interessieren. Sonst hätte der VR sich eine Überprüfung im Hinblick auf die Übernahme des Versicherungsschutzes vorbehalten oder vorbehalten müssen. In diesem Fall kann der VR aus gegebenenfalls unzutreffenden Antworten des VN weder ein Rücktritts- noch Kündigungsrecht noch ein Anfechtungsrecht ableiten.82 Die abweichende Ansicht von Henzler83 überzeugt nicht; sie steht auf dem Boden der Einheitstheorie,84 die durch § 49 Abs. 1 Satz 1 obsolet geworden ist. Der VR ist danach selbst bei nachgewiesener Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht an seine antizipierte Annahmeerklärung gebunden, sofern während der Dauer des vorläufigen Deckungsschutzes ein Versicherungsfall eintritt.

80 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 32. 81 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 34. 82 OLG Karlsruhe 20.7.2006 – 12 U 86/06, RuS 2006 414, 415; OLG Saarbrücken 12.3.2003 – 5 U 460/01, VersR 2004 50, 51; OLG Köln 23.10.1996 – 5 U 84/96, RuS 1997 211, 213; Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 37; Prölss/ Martin/Klimke vor § 49 Rn. 11 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 49 Rn. 14. 83 Henzler S. 100, 104 ff. 84 Vgl. Rn. 20. 715

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Vor §§ 49–52 VVG

Vorbemerkung zu §§ 49–52

3. Anfechtung in Ausnahmefällen bei arglistigem Verschweigen 60 § 19 Abs. 1 verlangt von dem VN im Antragsstadium die zutreffende Beantwortung der ihm von dem VR in Textform gestellten Antragsfragen. Die noch in § 16 Abs. 1 a.F. verankerte spontane Anzeigepflicht85 kennt das Gesetz zu Recht nicht mehr. Ob daraus abgeleitet werden kann, eine arglistige Täuschung durch Unterlassen der Anzeige nicht nachgefragter Gefahrumstände komme nicht86 oder nur dann in Betracht, wenn die fehlende Offenbarung als konkludente Vorspiegelung des Nichtvorhandenseins zu betrachten sei,87 erscheint zweifelhaft. § 22 stellt klar, dass das Recht des VR, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, durch die §§ 19 ff. nicht berührt wird. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 123 BGB, nach dem sich die Anfechtung inhaltlich richtet, ist deshalb nach dem Willen des Gesetzgebers weder beabsichtigt88 noch geboten. Die Täuschung kann nach § 123 BGB sowohl durch bewusst unzutreffende Angaben als auch durch Verschweigen gefahrerheblicher Umstände erfolgen, sofern eine Aufklärungs- bzw. Offenbarungspflicht besteht.89 Die Aufklärungs- und Offenbarungspflicht muss nicht immer gesetzlich normiert sein oder sich aus berechtigten Fragen des VR ergeben. Sie kann auch aus Treu und Glauben folgen. Da sich der VN nach § 19 grundsätzlich darauf verlassen darf, dass nur das, wonach ihn der VR in Textform gefragt hat, für dessen Annahmeentscheidung wesentlich ist, kommt eine Aufklärungs- bzw. Offenbarungspflicht aus Treu und Glauben nur ausnahmsweise hinsichtlich solcher Umstände in Betracht, bei denen eine ungefragte Mitteilungspflicht für jeden redlich denkenden VN offenkundig ist.90 Wer als Gebäudeeigentümer weiß, dass seine Immobilie durch eine unmittelbar bevorstehende Hochwasserwelle bedroht ist, kann redlicherweise nicht wenige Stunden vor Eintreffen der vorausgesagten Hochwasserwelle sofortigen Deckungsschutz gegen Elementarschäden in Anspruch nehmen wollen. Wer weiß, dass er an einer äußerst seltenen Krankheit leidet, die seine restliche Lebenserwartung dramatisch verkürzt, muss sich bewusst sein, dass er dies auch ungefragt dem LebensVR anzuzeigen hat. In diesen Sonderfällen ist daher eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auch dann möglich, wenn der VR nach derartigen Umständen nicht gefragt hat oder auf eine Risikoprüfung insgesamt verzichtet.91

4. Sonderfall bei Anzeigepflichtverletzung hinsichtlich der für den Hauptvertrag gestellten Antragsfragen 61 Ein weiterer Sonderfall liegt vor, wenn der Versicherungsschutz für die vorläufige Deckung zwar ohne gesonderte Risikoprüfung beginnt, jedoch gemeinsam mit dem Hauptvertrag beantragt wird und der VN bei Beantwortung der Fragen zum Hauptvertrag eine Anzeigepflichtverletzung begeht oder arglistig täuscht. Ereignet sich dann noch unter der vorläufigen Deckung ein Versicherungsfall, steht dem VR zwar grundsätzlich kein Rücktritts- oder Kündigungsrecht92 und in der Regel auch kein Anfechtungsrecht zu.93 Wenn dem VR jedoch der Nachweis gelingt, bei Kenntnis des nicht angezeigten Gefahrumstandes hätte er den Hauptvertrag nicht abgeschlossen und den Vertrag über die vorläufige Deckung rechtswirksam vor Eintritt des Versicherungs85 Auch unter dem alten VVG führte deren Verletzung nur unter den Voraussetzungen des § 18 a.F. zu einem Rechtsverlust des VN, vgl. Römer/Langheid2 § 18 Rn. 1 ff. 86 Marlow/Spuhl S. 77. 87 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 35. 88 Vgl. RegE S. 64. 89 Vgl. Palandt/Ellenberger § 123 Rn. 5. 90 Vgl. Looschelders/Pohlmann § 22 Rn. 7 ff. 91 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 49 Rn. 14. 92 Vgl. Rn. 59. 93 Vgl. Rn. 60. Schnepp

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B. Grundlagen

VVG Vor §§ 49–52

falles gemäß § 52 Abs. 4 gekündigt, kann der VR dem VN (bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Übrigen) einen Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB oder §§ 823 BGB, 263 StGB entgegenhalten.94 Soweit der materielle Versicherungsschutz für den Hauptvertrag begonnen hat und damit der für die vorläufige Deckung endet (§ 52 Abs. 1 Satz 1), führen die zum Hauptvertrag im Hinblick auf die Anzeigepflichtverletzung ausgeübten Rechte nicht zu einem Wiederaufleben der vorläufigen Deckung.95

VIII. Ausschlussklauseln 1. Allgemeines Vorläufige Deckung soll ihrem Wesen nach einen sofort oder zumindest alsbald beginnenden 62 Versicherungsschutz begründen. Deshalb scheidet eine Prüfung des dem VR angetragenen Risikos vor Annahme des Antrags auf vorläufige Deckung nahezu immer aus. Der VR ist daher regelmäßig ohne ein Rücktritts-, Kündigungs- oder Anfechtungsrecht an seine Annahmeerklärung gebunden96 und hat bei Eintritt des Versicherungsfalles in dem Zeitraum, für den vorläufige Deckung besteht, zu leisten. Der BGH hat deshalb grundsätzlich ein berechtigtes Interesse der VR anerkannt, bei einer ohne Risikoprüfung zugesagten vorläufigen Deckung Missbrauchsmöglichkeiten durch Klauseln entgegenzuwirken, die sich dem VN dadurch eröffnen können, dass ihm hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines Eintritts des Versicherungsfalles im Zeitraum der vorläufigen Deckung ein Wissensvorsprung zukommt.97 Nur er kennt, wenn etwa eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen werden soll, seinen aktuellen Gesundheitszustand und weiß, welche Risiken dieser im Hinblick auf den baldigen Eintritt von Berufsunfähigkeit beinhaltet. Risikoausschlussklauseln, mit denen die VR wegen der Missbrauchsgefahr versuchen, nicht 63 schlechter als bei einer durchgeführten Risikoprüfung gestellt zu sein, sind allerdings nicht unproblematisch.98 Abweichend von dem gesetzlichen Leitbild einer Risikoprüfung anhand von in Textform gestellten Antragsfragen schließen sie bestimmte Risiken generell vom Versicherungsschutz aus. Wenn nicht in der Klausel selbst auf Verschulden oder einen bestimmten Verschuldensmaßstab abgestellt ist, kommt es auf Verschulden des VN nicht an. Der Kausalitätsgegenbeweis (§ 21) ist ihm abgeschnitten. Ausschlussklauseln bergen deshalb die Gefahr in sich, dass der aus Sicht eines durchschnittlichen VN erwartete Versicherungsschutz in der vorläufigen Deckung entwertet wird. Gemäß § 32 Satz 1 ist ein Abweichen von den §§ 19 ff. und damit von dem gesetzlichen Leitbild der Risikoprüfung zum Nachteil des VN ausgeschlossen. Dennoch sehen Rechtsprechung99 und Literatur100 entsprechende Klauseln (auch außerhalb der vorläufigen Deckung) als grundsätzlich zulässig an. Solche Klauseln unterliegen allerdings (wie auch sonst) der AGB-Kontrolle. Sie müssen also zudem dem Transparenzgebot genügen und sind auf ihre Angemessenheit hin zu prüfen (§ 307 Abs. 1 und 2 BGB). Insbesondere müssen sie so 94 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 38; Prölss/Martin/Klimke vor § 49 Rn. 12a. 95 Vgl. § 52 Rn. 16 ff. 96 Vgl. etwa BGH 20.9.2000 – IX ZR 203/99, VersR 2000 1486, 1487 und OLG Hamm 23.7.1999 – 20 U 162/98, VersR 2000 878, 880 (zur Risikoprüfungsobliegenheit).

97 BGH 21.2.2001 – IV ZR 259/99, VersR 2001 489, 491; vgl. auch OLG Hamm 24.9.1999 – 20 W 10/99, NVersZ 2000 517.

98 Guter Überblick etwa bei van Bühren/Prang § 14 Rn. 220 ff. 99 OLG Koblenz 1.6.2007 – 10 U 1321/06, VersR 2008 383, 384; OLG Karlsruhe 15.11.2007 – 19 U 57/07, VersR 2008 524; OLG Dresden 30.6.2005 – 4 U 232/05, VersR 2006 61; OLG Stuttgart 5.6.2008 – 7 U 28/08, VersR 2008 1343; a.A. OLG Brandenburg 25.4.2007 – 4 U 183/06, VersR 2007 1071, 1072; nicht ausdrücklich angesprochen (obwohl dies jedenfalls obiter dictum möglich gewesen wäre) in BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318. 100 Prölss/Martin/Schneider vor § 150 Rn. 26; Beckmann/Matusche-Beckmann/Brömmelmeyer § 42 Rn. 10a; a.A. Marlow/Spuhl RuS 2009 177. 717

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Vor §§ 49–52 VVG

Vorbemerkung zu §§ 49–52

transparent ausgestaltet sein, dass der VN oder (bei einem Kollektivvertrag, der Regelfall bei der Restschuldversicherung) die versicherte Person bei Abgabe der Vertragserklärung erkennt, ob bzw. unter welchen Risikoausschlüssen der Versicherungsschutz gewährt wird.101 So darf insbesondere für den Risikoausschluss nicht etwa auf den dem VN oder der versicherten Person bei Abgabe der Vertragserklärung unbekannten späteren Zeitpunkt des Beginns des Versicherungsschutzes abgestellt werden, sondern allein auf den Zeitpunkt seiner Vertragserklärung.102

2. Beanstandete Ausschlussklauseln für die vorläufige Deckung 64 Die für die vorläufige Deckung in der Lebensversicherung früher verwendete Klausel „Unsere Leistungspflicht ist – soweit nicht etwas anderes vereinbart ist – ausgeschlossen für Versicherungsfälle aufgrund von Ursachen, die vor Unterzeichnung des Antrags erkennbar geworden sind, auch wenn diese im Antrag angegeben wurden.“

hat der BGH unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze mit der Begründung verworfen, einem durchschnittlichen VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse erschließe sich aus dem Wortlaut der Klausel schon nicht, ob die Ursachen für ihn erkennbar geworden sein müssen oder ob auf die objektive Erkennbarkeit für einen Dritten abzustellen sei. Außerdem gebe die Wendung „aufgrund von Ursachen“ keinen Aufschluss darüber, ob und gegebenenfalls inwieweit das Erfordernis der Ursächlichkeit Begrenzungen oder Einschränkungen unterliege. In dieser Auslegung schränke die Ausschlussklausel wesentliche Rechte des VN, die sich aus der Natur eines Vertrages über vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung ergeben, so sehr ein, dass der Vertragszweck gefährdet werde.103 Das verdient uneingeschränkte Zustimmung. 65 Verworfen hat die Rechtsprechung auch folgende Nachfolgeklausel:104 „Unsere Leistungspflicht ist – soweit nicht etwas anderes vereinbart ist – ausgeschlossen für Versicherungsfälle, zu deren Eintritt gefahrerhebliche Erkrankungen, Beschwerden oder Gesundheitsstörungen zumindest mitursächlich beigetragen haben, die Ihnen bzw. der zu versichernden Person bei Antragstellung bekannt waren, auch wenn diese im Antrag angegeben wurden. Gefahrerheblich sind solche Erkrankungen, Beschwerden oder Gesundheitsstörungen, die geeignet sind auf unseren Entschluss, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss ausüben. Erkrankungen, Beschwerden oder Gesundheitsstörungen, nach denen wir bei Antragstellung ausdrücklich und schriftlich gefragt haben, gelten im Zweifel als erheblich.“

Auch dem muss zugestimmt werden. Abweichend von ähnlichen Formulierungen in der Kreditlebensversicherung, bei denen unter exemplarischer Aufzählung bestimmter Krankheitsbilder auf „ernstliche“ Erkrankungen abgestellt wird,105 kennt der VN die Annahmerichtlinien des VR nicht. Diese werden durch die nachfolgende Formulierung „… die geeignet sind …“ nicht in einer Weise erläutert, dass er anhand des Klauseltextes erkennen kann, wann Versicherungsschutz besteht und wann nicht. Ein durchschnittlicher VN weiß nicht, was „gefahrerheblich“ aus Sicht des VR ist und insbesondere nicht, wie er den Klauseltext „… zumindest mitursächlich beigetragen …“ einordnen soll.

101 102 103 104 105

BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318, 320. BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318, 320. BGH 21.2.2001 – IV ZR 259/99, VersR 2001 489, 490 f. OLG Saarbrücken 11.7.2007 – 5 U 643/06, VersR 2008 621, 622. Vgl. BGH 10.12.2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015 318.

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B. Grundlagen

VVG Vor §§ 49–52

3. Zulässige Klauselfassungen Die Versicherungswirtschaft hat auf die Kritik der Rechtsprechung reagiert. Neuere Risikoaus- 66 schlussklauseln, für die etwa die Regelung in § 4 Abs. 1 der „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“ aus 2009 für das Antragsverfahren als Beispiel dienen kann,106 „Unsere Leistungspflicht ist ausgeschlossen für die Versicherungsfälle aufgrund von Ursachen, nach denen im Antrag gefragt ist und von denen die versicherte Person vor seiner Unterzeichnung Kenntnis hatte, auch wenn diese im Antrag angegeben wurden. Dies gilt nicht für Umstände, die für den Eintritt des Versicherungsfalls nur mitursächlich geworden sind.“

berücksichtigen analog § 19 einmal, dass relevant nur im Antrag nachgefragte Gefahrumstände sind. Sie berücksichtigen ferner das Verschuldenserfordernis. Der Risikoausschluss greift nur, wenn der VN positive Kenntnis von dem nachgefragten Gefahrumstand hatte. Bloßes Kennenmüssen oder grob fahrlässige Unkenntnis reichen nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel nicht aus. Durch den Rückausschluss von Umständen, die für den Eintritt des Versicherungsfalles nur mitursächlich geworden sind, ist das in § 19 verankerte Kausalitätserfordernis gewahrt. Lediglich die Regelung in § 19 Abs. 4 – Annahme zu geänderten Bedingungen – ist in der Klauselfassung nicht adäquat nachgebildet. Allein deshalb kann die Klauselfassung jedoch mit Rücksicht auf die kurze Laufzeit der Verträge über vorläufigen Versicherungsschutz nicht als unangemessen angesehen werden. Dadurch, dass nachgefragte Umstände, die nur mitursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles geworden sind, den Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung nicht beeinträchtigen, sind nur sehr wenige Fälle denkbar, in denen der Ausschluss greift.107 Deshalb erscheint es auch nicht als notwendig, dass auf den Risikoausschluss gesondert und hervorgehoben aufmerksam gemacht werden müsste,108 zumindest dann nicht, wenn die in § 19 Abs. 5 vorgeschriebene umfassende Belehrung erteilt ist. Denn auch einem durchschnittlichen VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse erschließt sich ohne weiteres, dass Antragsfragen nicht grundlos gestellt werden, sondern deren Beantwortung Einfluss auf das Zustandekommen bzw. den Umfang des gewünschten Versicherungsschutzes haben wird. Die vorstehend erörterte Klauselfassung hilft allerdings dann nicht weiter, wenn es bei Ab- 67 gabe der Willenserklärung des VN zum Zustandekommen keine Antragsfragen gibt (nicht für die vorläufige Deckung und auch – jedenfalls noch – nicht für den Hauptvertrag). Entsprechend der herrschenden Rechtsprechung und Literatur können jedoch entsprechende Ausschlussklauseln auch bei der vorläufigen Deckung zulässig sein, insbesondere soweit der VN bei Abgabe der Vertragserklärung erkennt, ob bzw. unter welchen Risikoausschlüssen der Versicherungsschutz gewährt wird, wobei hinsichtlich der Kenntnis des VN allein auf den Zeitpunkt der Abgabe seiner Vertragserklärung abgestellt werden darf.109

106 107 108 109 719

Vgl. zu diesen Bedingungen Rn. 52. So zu Recht Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 41. Zweifelnd Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 41. Vgl. Rn. 63 m.w.N. Schnepp

§ 49 Inhalt des Vertrags (1)

1

Bei einem Versicherungsvertrag, dessen wesentlicher Inhalt die Gewährung einer vorläufigen Deckung durch den Versicherer ist, kann vereinbart werden, dass dem Versicherungsnehmer die Vertragsbestimmungen und die Informationen nach § 7 Abs. 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 7 Abs. 2 nur auf Anforderung und spätestens mit dem Versicherungsschein vom Versicherer zu übermitteln sind. 2 Auf einen Fernabsatzvertrag im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist Satz 1 nicht anzuwenden. (2) 1Werden die Allgemeinen Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss nicht übermittelt, werden die vom Versicherer zu diesem Zeitpunkt für den vorläufigen Versicherungsschutz üblicherweise verwendeten Bedingungen, bei Fehlen solcher Bedingungen die für den Hauptvertrag vom Versicherer verwendeten Bedingungen auch ohne ausdrücklichen Hinweis hierauf Vertragsbestandteil. 2Bestehen Zweifel, welche Bedingungen für den Vertrag gelten sollen, werden die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vom Versicherer verwendeten Bedingungen, die für den Versicherungsnehmer am günstigsten sind, Vertragsbestandteil.

Schrifttum Siehe Vor §§ 49 ff.

Übersicht 1

A.

Einführung

B.

Tatbestandsmerkmale des § 49

I.

§ 49 Abs. 1 Satz 1 (eigenständiger Versicherungs2 vertrag)

II.

§ 49 Abs. 1 Satz 1 (Informationspflichten)

III.

§ 49 Abs. 1 Satz 2 (Fernabsatz)

IV.

§ 49 Abs. 2 (Vertragsinhalt und Einbezug von 14 AVB) 14 Allgemein

1.

2.

18 Einbezug von AVB a) Problemstellung: keine Wahrung von § 305 18 Abs. 2 BGB b) Einbeziehung nicht überlassener Bedingun21 gen für die vorläufige Deckung c) Einbeziehung der Bedingungen des Haupt24 vertrags d) Zweifel hinsichtlich der in Betracht kom25 menden Bedingungen 28 e) Grenzen der Regelung

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

2

3

11

29 30

A. Einführung 1 § 49 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur vorläufigen Deckung (§§ 49 bis 52), mit der VVGReform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Der Verweis auf die BGB-Norm für den Fernabsatz in § 49 Abs. 1 Satz 2 wurde 2014 ohne inhaltliche Änderung angepasst.1 Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der vorläufigen Deckung auf die Vorbemerkungen zu §§ 49 ff. verwiesen.

1 Im Einzelnen Rn. 12. Schnepp https://doi.org/10.1515/9783110522624-034

720

B. Tatbestandsmerkmale des § 49

VVG § 49

B. Tatbestandsmerkmale des § 49 I. § 49 Abs. 1 Satz 1 (eigenständiger Versicherungsvertrag) § 49 enthält keine Definition des vorläufigen Versicherungsschutzes. Das Gesetz beschreibt die 2 vorläufige Deckung lediglich als eigenständigen, von dem Bestand und Zustandekommen des beabsichtigten Hauptvertrages unabhängigen Versicherungsvertrag.2

II. § 49 Abs. 1 Satz 1 (Informationspflichten) Bis zur VVG-Reform konnte der Vertragsabschluss nach § 5a a.F. im sog. Policenmodell erfolgen. Dem VN konnten die AVB und die gesetzlich vorgeschriebenen Informationen erst zusammen mit der Übersendung der Police ausgehändigt werden. Um ihn zu schützen, sah das Gesetz ein zeitlich befristetes Widerspruchsrecht vor. Sofern der VN dem Vertragsabschluss nach hinreichender Belehrung fristgemäß widersprach, kam der bis dahin schwebend unwirksame Vertrag nicht zustande.3 Aufgrund europarechtlicher Bedenken hat der Gesetzgeber das Policenmodell aufgegeben.4 § 7 Abs. 1 schreibt vor, dass der VR dem VN rechtzeitig vor Unterzeichnung des Versicherungsantrags („dessen Vertragserklärung“) seine Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB sowie die in der VVG-InfoV vorgeschriebenen Informationen in Textform zu erteilen habe (sog. Antragsmodell). Bei dem Invitatiomodell, das die VR in dem Bestreben entwickelt haben, langjährige Betriebsabläufe so weitgehend als möglich aufrecht zu erhalten, erfolgt die Übermittlung der Vertragsunterlagen zwar zusammen mit der Police, beinhaltet jedoch nur ein Vertragsangebot des VR, das der Annahme durch den VN bedarf.5 Das von dem Gesetzgeber anerkannte Bedürfnis nach einem zeitnahen Zustandekommen der vorläufigen Deckung schließt aus, dass dem VN die in der VVG-InfoV vorgeschriebenen Informationen rechtzeitig vor seinem Antrag, d.h. so, dass er hinreichend Zeit hat, alle Vertragsunterlagen zu prüfen, übermittelt sein müssen. Auch ein Abwarten auf das eventuelle Vertragsangebot des VR im Invitatiomodell wäre nicht praxisgerecht.6 § 49 Abs. 1 Satz 1 hebt die Informationspflichten weder auf noch erfolgt eine inhaltliche Änderung. Beides wäre mit dem Charakter des vorläufigen Versicherungsschutzes als eigenständigem Versicherungsvertrag unvereinbar. § 49 Abs. 1 Satz 1 lässt lediglich zu, dass für den vorläufigen Versicherungsschutz vereinbart werden darf, dass dem VN die ihm nach § 7 sowie der VVG-InfoV zu erteilenden Informationen nicht vorab, sondern „nur auf Anforderung und spätestens mit dem Versicherungsschein“ übermittelt werden können. Diese Regelung ist in zweierlei Hinsicht nicht eindeutig. Zum einen ist unklar, ob der VR bei einer erfolgten Anforderung die Vertragsbestimmungen und Informationen unverzüglich zu übersenden hat oder ob er bis zur Übersendung des Versicherungsscheins abwarten kann. Zum anderen ist unklar, ob eine Übersendung mit dem Versicherungsschein auch dann zu erfolgen hat, wenn eine entsprechende Anforderung des VN unterbleibt.7 Im Hinblick darauf, dass der § 49 Abs. 1 Satz 1 zwar der Eilbedürftigkeit des Abschlusses eines Vertrags über die vorläufige

2 Vgl. dazu Vor §§ 49 ff. Rn. 20 ff. 3 Näher Prölss/Martin/Prölss27 § 5a Rn. 12 ff. 4 Dass diese Bedenken jedenfalls teilweise berechtigt waren, steht inzwischen im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 5a Abs. 2 Satz 4 a.F. fest; vgl. EuGH 19.12.2013 – C-209/12, VersR 2014 225, 227; BGH 7.5.2014 – IV ZR 76/11, VersR 2014 817, 820. 5 Vgl. grundsätzlich zum Antrags- und Invitatiomodell nach dem neuen VVG Bruck/Möller/Herrmann § 7 Rn. 90 ff. 6 Vgl. KomE S. 48 ff.; Begründung zum RefE S. 8. 7 Ablehnend Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 21. 721

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§ 49 VVG

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10

Inhalt des Vertrags

Deckung Rechnung tragen soll,8 aber darüber hinaus das Informationsbedürfnis des VN grundsätzlich auch bei der vorläufigen Deckung besteht, ist richtigerweise (1.) von einer Pflicht zur unverzüglichen Übersendung nach Anforderung auszugehen und (2.) eine Übersendung der Vertragsbestimmungen und Informationen mit dem Versicherungsschein auch dann erforderlich, wenn der VN diese nicht angefordert hat.9 Gemeint sind in der Vorschrift mit den zu übermittelnden Unterlagen nicht die Vertragsbestimmungen und Informationen für den in Aussicht genommenen Hauptvertrag, sondern ausschließlich diejenigen für den vorläufigen Deckungsschutz. Die Vertragsunterlagen und vorgeschriebenen Informationen für den Hauptvertrag werden von der Regelung nicht erfasst. Für sie gelten § 7 Abs. 1 und 2 und die Bestimmungen der VVG-InfoV uneingeschränkt.10 Versicherungsschein im Sinne der Norm ist der Versicherungsschein über die vorläufige Deckung. Wird ein solcher nicht erstellt, sind die Vertragsbestimmungen und Informationen über die vorläufige Deckung (spätestens) mit dem Versicherungsschein für den Hauptvertrag zu übermitteln.11 § 49 Abs. 1 Satz 1 sieht für die zur Zulässigkeit erleichterter Informationserteilung notwendige Vereinbarung kein Formerfordernis vor.12 Die Vereinbarung kann aus diesem Grunde sowohl formularmäßig als auch mündlich oder konkludent getroffen werden.13 Als hinreichender Anhaltspunkt für eine konkludente Abrede wird man regelmäßig schon den Wunsch des VN nach rascher Deckung ohne große Formalitäten genügen lassen können.14 Lässt sich selbst eine konkludent getroffene Vereinbarung nicht feststellen, wird die Rechtswirksamkeit des durch Antrag und Annahme zustande gekommenen Vertrages über die vorläufige Deckung davon nicht berührt. Bei Versicherungsverträgen über vorläufigen Deckungsschutz führt die Verletzung von Informationspflichten nach § 8 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, sofern es sich nicht um einen Fernabsatzvertrag handelt, nicht zu einem Widerrufsrecht des VN. Auch Schadenersatzansprüche sind wohl eher theoretischer Natur und auf Sonderfälle beschränkt.15 Denkbar wäre, dass der VN dann, wenn ihm (1.) trotz Anforderung die vorgeschriebenen Informationen nicht rechtzeitig übersandt wurden, (2.) während der Geltung der vorläufigen Deckung der Versicherungsfall eintritt und (3.) bei der Schadenregulierung eine anteilige Prämie bedingungsgemäß in Abzug gebracht wird, diesen Abzug als Schadenersatz fordern kann, dies aber nur, sofern ihm (4.) der Nachweis gelingt, dass er bei rechtzeitiger Information über die Vertragsregelung die vorläufige Deckung sofort fristlos gekündigt (§ 52 Abs. 4) und (5.) noch vor Eintritt des Versicherungsfalles bei einem anderen VR vorläufige Deckung ohne Kostenabzug erlangt hätte.

III. § 49 Abs. 1 Satz 2 (Fernabsatz) 11 Für den vorläufigen Deckungsschutz bei Fernabsatzverträgen (§ 312c BGB) gelten die Erleichterungen in Bezug auf die Informationspflichten nach § 49 Abs. 1 Satz 2 nicht. Die allgemeine Regel, dass die besonderen Vorschriften des BGB zum Fernabsatz auf den Fernabsatz von Versicherungsverträgen weitgehend keine Anwendung finden (§ 312 Abs. 6 BGB, wonach nur § 312a Abs. 3, 4 und 6 BGB anzuwenden sind), ist durch die Sonderbestimmungen in §§ 7 Abs. 1 Satz 3, 8 und 152 ersetzt. Durch die ausdrückliche Bezugnahme auf § 312c BGB i.V.m. § 312 Abs. 1 BGB 8 RegE S. 73. 9 Prölss/Martin/Klimke § 49 Rn. 6; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 49 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 49 Rn. 21. 10 RegE S. 73; LG Saarbrücken 30.3.2012 – 13 S 49/11, RuS 2013 275, 276; Prölss/Martin/Klimke § 49 Rn. 4. 11 Prölss/Martin/Klimke § 49 Rn. 6a; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 21. 12 RegE S. 73. 13 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 28; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 49 Rn. 22. 14 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 28. 15 Vgl. Prölss/Martin/Klimke § 49 Rn. 7; Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 28. Schnepp

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B. Tatbestandsmerkmale des § 49

VVG § 49

betrifft die Rückausnahme von den allgemeinen Informationspflichten, wie sie in § 7 Abs. 1 und 2 sowie der VVG-InfoV normiert sind, jedoch nur Verbraucherverträge im Sinne von § 13 BGB. Für gewerbliche Verträge gilt § 49 Abs. 1 Satz 2 folglich nicht. § 49 Abs. 1 Satz 2 nahm in der seit der VVG-Reform geltenden Fassung zunächst auf Fernab- 12 satzverträge im Sinne des § 312b Abs. 1 und 2 BGB a.F. Bezug. Mit der Neufassung der §§ 312 ff. BGB durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.201316 wurde § 49 Abs. 1 Satz 2 durch die heutige Verweisung auf § 312c BGB mit Wirkung zum 13.6.2014 neu gefasst, ohne dass damit – aus Sicht des VVG – eine inhaltliche Änderung verbunden war. Hintergrund der Sonderregelung für Verbraucherverträge im Fernabsatz ist, dass die Richtli- 13 nie 2002/65 EG vom 23.9.2002 (Fernabsatzrichtlinie II oder Finanzdienstleistungs-Fernabsatzrichtlinie)17 entsprechende Erleichterungen nicht vorsieht. § 49 Abs. 1 Satz 2 hat insbesondere in der Kraftfahrtversicherung, wo vorläufige Deckung Zulassungsvoraussetzung für das Kraftfahrzeug ist, häufig entsprechende Deckungsanträge telefonisch gestellt werden und die elektronische Übermittlung der Deckungsbestätigung gesetzlich vorgeschrieben ist, die unerfreuliche Konsequenz, dass in der Praxis Verstöße gegen § 7 Abs. 1 und 2 nahezu unausweichlich sind. Dass sich ein VN hinsichtlich der vorläufigen Deckungszusage für sein Fahrzeug auf ein Widerrufsrecht beruft oder Schadenersatzansprüche wegen fehlender Information geltend macht, ist allerdings kaum vorstellbar.18 Mit § 242 BGB wäre ein solches Verhalten nicht in Einklang zu bringen.

IV. § 49 Abs. 2 (Vertragsinhalt und Einbezug von AVB) 1. Allgemein Deckungsumfang, Leistungsvoraussetzungen, etwaige Ausschlüsse etc. werden inhaltlich durch 14 die von den Vertragsparteien getroffenen Vereinbarungen bestimmt. Erforderlich sind Antrag und Annahme (§§ 145 ff. BGB). Die gebräuchliche Formulierung, dass der VR vorläufigen Versicherungsschutz gewährt, ändert daran nichts.19 Sowohl Antrag als auch Annahme bedürfen weder der Schrift- noch der Textform, sondern 15 können auch mündlich erfolgen. Ein typisches Beispiel ist die Bitte um vorläufige Deckung in der Kraftfahrzeugversicherung, die häufig nur telefonisch gestellt wird. Falls der VR die Annahme des Antrags gegenüber dem VN nicht bestätigt, sondern stattdessen die Übernahme der vorläufigen Deckung der Zulassungsstelle elektronisch mitteilt, entspricht dies der Verkehrssitte (§ 151 BGB). Der Versicherungsvertrag über die vorläufige Deckung kommt dann antragsgemäß zustande. Als Willenserklärung bedarf der Antrag des VN der Auslegung. Wer in Kenntnis handelt, 16 dass sein für den beabsichtigten Hauptvertrag gestellter Antrag auf Übernahme des Versicherungsschutzes ab dem Tag der Antragstellung beginnen soll, beantragt keineswegs immer eine Rückwärtsversicherung; vielmehr wird in der Regel von einem Wunsch nach vorläufiger Deckung und nicht von einem Antrag auf Rückwärtsversicherung auszugehen sein.20 Bei bereits bestehenden Vertragsbeziehungen zu dem VR in einem zeitlich befristeten oder zu einem bestimmten Zeitpunkt gekündigten Versicherungsvertrag wird bei Beantragung einer Vertragsverlängerung oder eines Anschlussvertrages im Regelfall davon auszugehen sein, dass der VN keine Deckungsunterbrechung oder -einschränkung und damit vorläufige Deckung im Umfang des 16 17 18 19 20 723

BGBl. 2013 I 3642. ABl. 2002 L 271 vom 9.10.2002 S. 16. So zutreffend Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 29; vgl. auch Schirmer DAR 2008 181. Vgl. Vor §§ 49 ff. Rn. 29 ff. Vgl. Vor §§ 49 ff. Rn. 32. Schnepp

§ 49 VVG

Inhalt des Vertrags

bisherigen Versicherungsschutzes bis zur Annahme seines Antrages wünscht.21 Falls aus dem Beratungsgespräch oder anderweitig, etwa durch in den Versicherungsantrag integrierte AVB für den vorläufigen Versicherungsschutz, keine Einschränkungen des Haftungsumfangs ersichtlich sind, ist anzunehmen, dass der VN davon ausgeht, bereits ab Beginn der vorläufigen Deckung im Umfang des beabsichtigten Hauptvertrags geschützt zu sein.22 17 Sofern vorläufige Deckung für den VN durch einen Versicherungsmakler begehrt wird, ist es – vor allem im gewerblichen Bereich – üblich, dass dieser Vorgaben im Namen des (späteren) VN gegenüber dem VR für den gewünschten Deckungsumfang und ggf. zu Vertragseinzelheiten in Form einer sog. Deckungsaufgabe macht. Bestätigt der angesprochene VR eine derartige Deckungsaufgabe und weist nicht unter Beachtung von § 5 auf Abweichungen hin, bestimmt sich der Versicherungsumfang des vorläufigen Versicherungsschutzes nach den Anforderungen der Deckungsaufgabe. Auf § 49 Abs. 2 und damit den Rückgriff auf etwa abweichende AVB kann sich der VR nicht berufen. § 49 Abs. 2 beinhaltet lediglich eine Auffangregelung für den Fall, dass AVB oder vertragliche Absprachen überhaupt nicht vereinbart wurden.23

2. Einbezug von AVB 18 a) Problemstellung: keine Wahrung von § 305 Abs. 2 BGB. Nach § 305 Abs. 2 BGB werden Allgemeine Geschäftsbedingungen nur dann Bestandteil des Vertrages, wenn der Verwender bei Vertragsschluss ausdrücklich auf sie hinweist, die andere Vertragspartei in ihr zumutbarer Weise von den Allgemeinen Geschäftsbedingungen Kenntnis zu nehmen vermag und mit ihnen einverstanden ist. Auch AVB sind ohne Rücksicht darauf, dass erst durch sie das abstrakte Produkt Versicherungsschutz konkretisiert wird, Allgemeine Geschäftsbedingungen und unterliegen deshalb § 305 Abs. 2 BGB. Sie werden Vertragsbestandteil und bestimmen den Inhalt des Versicherungsvertrages über die vorläufige Deckung, wenn sie – wie etwa vielfach in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung – in das Antragsformular für den Hauptvertrag eingebunden sind. 19 Die Aufnahme von AVB über die vorläufige Deckung in das Antragsformular oder Überlassung der AVB für die vorläufige Deckung als gesondertes Dokument ist nicht der Regelfall. Maßgebender Zeitpunkt für den Einbezug der AVB ist jedoch nach dem gesetzlichen Leitbild des § 305 Abs. 2 BGB das Zustandekommen des Versicherungsvertrages über die vorläufige Deckung. Eine nachträgliche Aushändigung oder ein Hinweis auf zumutbare Kenntnismöglichkeiten kann den Inhalt eines abgeschlossenen Vertrages ohne Zustimmung des Vertragspartners nicht mehr beeinflussen. Soweit überhaupt besondere AVB für den vorläufigen Versicherungsschutz bestehen, fehlt gelegentlich jeder Hinweis des VR auf sie und/oder – dies vielfach – die Aushändigung bzw. die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Derartige Fälle haben vor dem Inkrafttreten des neuen VVG zu erheblichen Rechtsproblemen geführt. § 5a Abs. 3 a.F. ließ zwar abweichend von § 305 Abs. 2 BGB einen Verzicht auf die Aushändigung durch entsprechende Vereinbarung der Parteien zu. In der Rechtspraxis war jedoch der Nachweis eines solchen Verzichts problematisch, vor allem in Bezug auf konkludente Vereinbarungen.24 20 Das reformierte VVG ist von dem Bestreben geprägt, dem VN die Erlangung des benötigten Versicherungsschutzes zu erleichtern und einen gewährten Versicherungsschutz im Rahmen einer adäquaten Interessenabwägung möglichst aufrecht zu erhalten. Deshalb sieht § 49 Abs. 2 eine abgestufte Auffangregelung vor. Sie ähnelt § 5a Abs. 3 a.F., schafft jedoch im Interesse des VN nunmehr Rechtsklarheit. 21 22 23 24

Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 42. Stiefel/Maier/Stadler AKB 2015 Teil 2 B.2 Rn. 24; vgl. auch Vor §§ 49 ff. Rn. 34 ff. Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 44 f. Vgl. Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 100; Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 101 ff.; Prölss/Martin/Prölss27 Zusatz zu § 1 Rn. 9 f. Schnepp

724

B. Tatbestandsmerkmale des § 49

VVG § 49

b) Einbeziehung nicht überlassener Bedingungen für die vorläufige Deckung. Falls die 21 Einbezugsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB, wie meist, nicht gewahrt sind, dem VN die AVB also bei Vertragsschluss nicht überlassen waren, sind nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 für Umfang und Inhalt des Versicherungsschutzes in der vorläufigen Deckung die von dem VR üblicherweise dafür verwendeten Bedingungen maßgebend. Sie werden kraft Gesetzes in den Vertrag einbezogen. Da der VN nicht kennen kann, was die üblicherweise verwendeten Bedingungen sind, trifft den VR insoweit eine sekundäre Darlegungslast, auch wenn der VN an sich den Abschluss und den Inhalt des Vertrages nach allgemeinem Beweisrecht25 zu beweisen hätte. Soweit die Darlegungs- und Beweislast generell bei dem VR gesehen wird,26 entspricht dies der allgemeinen Beweislastverteilung nach dem Günstigkeitsprinzip nur dann, wenn der VR sich auf Einschränkungen der vorläufigen Deckung in seinen üblicherweise verwendeten AVB berufen will. Verfügt der VR über üblicherweise verwendete AVB für die vorläufige Deckung, werden nur 22 diese Vertragsinhalt. Etwas anderes gilt dann, wenn und soweit ergänzend auf die AVB des beabsichtigten Hauptvertrags Bezug genommen wird.27 Dass dies zulässig ist, folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, ergibt sich jedoch unzweifelhaft aus § 49 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2. Denn wenn bei völligem Fehlen von AVB für die vorläufige Deckung die Bedingungen des in Aussicht genommenen Hauptvertrags gelten (vgl. nachfolgend Rn. 23), muss erst Recht deren Inbezugnahme als von der gesetzlichen Ausnahme zu § 305 Abs. 2 BGB gedeckt angesehen werden.28 Fehlt es an einer Inbezugnahme der Bedingungen des in Aussicht genommenen Hauptver- 23 trags und enthalten die AVB für die vorläufige Deckung lediglich kurz gefasste Sonderklauseln, sind etwaige, nur in den AVB des Hauptvertrags enthaltene Deckungseinschränkungen, zu beachtende Obliegenheiten, Selbstbehalte etc. ohne Bedeutung für das Vertragsverhältnis.29 Der VR kann sich im Leistungsfall nicht darauf berufen.

c) Einbeziehung der Bedingungen des Hauptvertrags. Immer, aber auch nur dann, wenn 24 zwischen den Vertragsparteien keine ausdrückliche oder konkludente Abrede über den Inhalt der vorläufigen Deckung getroffen worden ist und der VR auch nicht über üblicherweise verwendete AVB für die vorläufige Deckung verfügt, werden nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 die Bedingungen des angestrebten Hauptvertrages Vertragsinhalt. Maßgebend ist die Bedingungsfassung im Zeitpunkt des Zustandekommens der vorläufigen Deckung.30

d) Zweifel hinsichtlich der in Betracht kommenden Bedingungen. In sehr vielen Sparten 25 werden von den VR unterschiedliche Tarifwerke in Anpassung an spezifische Bedürfnisse des VN angeboten. Bestehen deshalb Zweifel in den in den Rn. 20 bis 23 aufgeführten Fällen, welche Bedingungen ersatzweise für die vorläufige Deckung die fehlende Parteivereinbarung oder ein üblicherweise dafür verwendetes Bedingungswerk ersetzen, werden nach § 49 Abs. 2 Satz 2 diejenigen vom VR verwendeten Bedingungen Vertragsinhalt, die für den VN am günstigsten sind. Nach dem Gesetzeszweck, den mit der vorläufigen Deckung angestrebten Versicherungsschutz möglichst zu gewährleisten, gilt § 49 Abs. 2 Satz 2 auch für den Fall, dass im Zeitpunkt des

25 Näher zur allgemeinen Beweislast MüKo-ZPO/Prütting § 286 Rn. 113 ff.; BeckOK-ZPO/Bacher § 284 Rn. 72 f. 26 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 48; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 85. 27 So § 6 der „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“, zu diesen Bedingungen Vor §§ 49 ff. Rn. 52, abgedruckt im Anhang zu § 52. 28 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 48; vgl. OLG Frankfurt 22.11.2016 – 14 U 24/15, TransR 2018 15, 16. 29 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 48. 30 OLG Köln 7.2.2012 – 9 U 61/11, VersR 2012 1514, 1515. 725

Schnepp

§ 49 VVG

Inhalt des Vertrags

Zustandekommens der vorläufigen Deckungszusage noch kein Versicherungsantrag für den beabsichtigten Hauptvertrag vorliegt.31 26 Welches Tarifwerk das für den VN günstigste ist, bestimmt sich nach den Verhältnissen des konkreten VN.32 Abzuwägen sind Vor- und etwaige Nachteile der einzelnen angebotenen Tarifwerke im Zeitpunkt des Vertragsschlusses über die vorläufige Deckung.33 Eine davon in zeitlicher Hinsicht abweichende Beurteilung, bezogen auf eine etwa geänderte Interessenlage bei Eintritt des Versicherungsfalles,34 lässt der Gesetzeswortlaut nicht zu. Sofern der VR etwa neben allgemeinen Tarifen in der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung 27 solche anbietet, in denen die gebräuchliche Definition der Berufsunfähigkeit durch eine spezifische Beamtenklausel ersetzt ist, wird dieser Tarif im Regelfall für einen Beamten am günstigsten sein, nicht jedoch für einen Soldaten, da dieser nicht als Beamter gilt. Ein Tarif, der in der Hausratversicherung einen Unterversicherungsverzicht beinhaltet, ist im Zweifel günstiger als ein Tarif ohne diesen Verzicht. Da auf die jeweilige persönliche Situation des VN abzustellen ist, muss dieser im Streitfall die dafür maßgebenden Umstände vortragen und beweisen.

28 e) Grenzen der Regelung. Obwohl § 49 Abs. 2 fehlende Abreden der Vertragsparteien und auch fehlende AVB weitgehend ersetzt, hilft das Gesetz nicht immer. Falls in den Bedingungen, die nach § 49 Abs. 2 gelten sollen, eine individuell festzulegende Selbstbeteiligung vorgesehen ist und kein Tarif ohne Selbstbeteiligung angeboten wird, bedarf es der Parteivereinbarung über deren Höhe. Ergibt sich trotz § 49 Abs. 2 eine solche Einigungslücke, kann diese im Streitfall nur entsprechend §§ 315 ff. BGB nach billigem Ermessen geschlossen werden.35

C. Abdingbarkeit 29 § 49 ist weder zwingend noch halbzwingend ausgestaltet. Abweichungen zu Lasten des VN sind deshalb zwar grundsätzlich möglich. Für die Praxis hat dies aber keine Bedeutung. Sind konkrete Vereinbarungen über die vorläufige Deckung getroffen, gelten diese im Rahmen des gesetzlich Zulässigen. Fehlt es daran, verbieten sich Abweichungen aufgrund des Leitbildcharakters der gesetzlichen Regelung. So gilt für die vorläufige Deckung (soweit § 49 nicht Abweichungen zulässt) insbesondere die zwingende Regelung des § 7 (vgl. § 18).36 Wollte sich allerdings ein VR im Leistungsfalle wegen Inhaltsleere einer von ihm zugesagten vorläufigen Deckung auf Leistungsfreiheit berufen, wäre dies unzweifelhaft rechtsmissbräuchlich.

D. Beweislast 30 Es bestehen keine Besonderheiten gegenüber anderen Versicherungsverträgen. Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast entspricht der allgemeinen Beweislastregel, dass jede Prozesspartei im Zivilprozess die ihrem Begehren „günstigen“ Umstände darzulegen und zu beweisen hat. Wer sich auf vorläufigen Deckungsschutz für einen Versicherungsfall außerhalb der materi-

31 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 49. 32 RegE S. 74. 33 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 49; Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 49 Rn. 10; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Karczewski § 49 Rn. 5. 34 So aber Prölss/Martin/Klimke § 49 Rn. 23; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 49 Rn. 27. 35 OLG Saarbrücken 20.4.2006 – 5 U 575/05, VersR 2006 1353, 1355; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 49 Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 49 Rn. 10. 36 Prölss/Martin/Klimke § 49 Rn. 25. Schnepp

726

D. Beweislast

VVG § 49

ellen Deckungsdauer der angestrebten Hauptversicherung beruft (also regelmäßig der VN), muss darlegen und gegebenenfalls nachweisen, dass 1. ein Vertrag über vorläufige Deckung zustande gekommen ist, 2. der Versicherungsfall während der Geltungsdauer der vorläufigen Deckung eintrat und 3. Versicherungsdeckung im Rahmen des – gegebenenfalls eingeschränkten – Versicherungsschutzes für den geltend gemachten Anspruch besteht.37 Im Rahmen des Nachweises, dass ein Vertrag über die vorläufige Deckung zustande gekommen 31 ist, hat der VN regelmäßig insbesondere einen von ihm gestellten Antrag (im Antragsmodell) auf vorläufigen Versicherungsschutz, einschließlich dessen Zugang beim VR, nachzuweisen. So ist etwa darzulegen und zu beweisen, ob – in dem in der Gerichtspraxis relevantesten Fall der Kfz-Versicherung – er eine vorläufige Deckung lediglich in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung oder auch in einer Kaskoversicherung beantragt hat.38 Von einem Antrag auch auf vorläufige Deckung für die Kaskoversicherung ist insbesondere dann auszugehen, wenn der VN schon für das bisher versicherte Fahrzeug kaskoversichert war und er dann ohne weitere Erläuterungen um die Unterlagen für eine Neuzulassung bittet.39 Ist für den VR nicht erkennbar, dass der ihm bislang unbekannte VN Kaskoschutz beantragt, weil er z.B. „eine „Deckungskarte“ für ein bislang bei dem VR nicht versichertes Fahrzeug beantragt,40 reichen auch Angaben des VN, dass er Fahranfänger sei oder das zu versichernde Kfz besonders teuer gewesen sei, als Beweis für einen einheitlich gestellten Antrag auf sowohl Haftpflicht- als auch Kaskoversicherung nicht aus.41 Hat der VN einen ausreichenden Beweis für das Vorliegen eines einheitlichen Antrags er- 32 bracht, liegt es beim VR darzulegen und zu beweisen, dass er dem VN den nach der Rechtsprechung erforderlichen deutlichen Hinweis42 über die vorläufige Deckung nur für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung erteilt hat.43 Bei der Frage, welche AVB im Sinne von Absatz 2 „üblich“ sind, ist zu differenzieren, wer 33 sich auf die Einbeziehung bestimmter AVB beruft. Ist dies der VR, trifft diesen die Beweislast nach den allgemeinen Regeln.44 Wenn es darum geht, dass der VN sich auf bestimmte AVB beruft, kann den VR, obwohl nicht primär beweisbelastet, eine sekundäre Darlegungslast treffen.45

37 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 18; Prölss/Martin/Klimke Vor §§ 49 Rn. 17; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Lehmann § 7 Rn. 85 ff. 38 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 18; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 85. 39 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 18. 40 Siehe dazu Vor §§ 49 ff. Rn. 35. 41 Langheid/Wandt/Rixecker § 49 Rn. 18. 42 Siehe dazu Vor §§ 49 ff. Rn. 35. 43 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 85. 44 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 85. 45 Vgl. Rn. 21 m.w.N. 727

Schnepp

§ 50 Nichtzustandekommen des Hauptvertrags Ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, im Fall des Nichtzustandekommens des Hauptvertrags eine Prämie für die vorläufige Deckung zu zahlen, steht dem Versicherer ein Anspruch auf einen der Laufzeit der vorläufigen Deckung entsprechenden Teil der Prämie zu, die beim Zustandekommen des Hauptvertrags für diesen zu zahlen wäre.

Schrifttum Siehe Vor §§ 49 ff.

Übersicht A.

Einführung

1

I.

Allgemeines

1

II.

Regelungsgehalt der Norm

III.

Anspruch auf eine Versicherungsprämie für die 3 vorläufige Deckung bis zur VVG-Reform

II.

Nichtzustandekommen des Hauptvertrags 5

III.

Höhe der Prämie

IV.

Fälligkeit der Prämie

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

6

2

4

B.

Tatbestandsmerkmale des § 50

I.

Anspruch auf eine Versicherungsprämie dem 4 Grunde nach

10 11

12

A. Einführung I. Allgemeines 1 § 50 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur vorläufigen Deckung (§§ 49 bis 52), mit der VVGReform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der vorläufigen Deckung auf die Vorbemerkungen zu §§ 49 ff. verwiesen.

II. Regelungsgehalt der Norm 2 Die amtliche Überschrift der Norm ist missverständlich. Entgegen ihrem Wortlaut wird nur eine der Rechtsfolgen geregelt, die sich bei Nichtzustandekommen des beabsichtigten Hauptvertrages ergeben. Die Vorschrift betrifft lediglich die Höhe des Prämienanspruchs, sofern eine Prämie für den vorläufigen Versicherungsschutz zu zahlen ist. Voraussetzung ist eine ausdrücklich oder konkludent getroffene Vereinbarung darüber, dass für die vorläufige Deckung überhaupt eine Prämie geschuldet sein soll.

III. Anspruch auf eine Versicherungsprämie für die vorläufige Deckung bis zur VVG-Reform 3 Es kann auch aus Sicht eines durchschnittlichen VN nicht davon ausgegangen werden, dass der VR die vorläufige Deckung völlig prämienfrei gewährt. Der VR trägt erkennbar, wenn auch Schnepp https://doi.org/10.1515/9783110522624-035

728

B. Tatbestandsmerkmale des § 50

VVG § 50

nur für einen begrenzten Zeitraum, ein zum Teil nicht unerhebliches Risiko, z.B. in der Feuerversicherung, wenn während der vorläufigen Deckung das zu versichernde Gebäude abbrennt. Die Risikoübernahme liegt teilweise im alleinigen oder überwiegenden Interesse des VN, aber wegen des Kundenbindungsinteresses auch auf Seiten des VR. Ein durchschnittlicher VN wird deshalb zu dem Schluss kommen, sofern ihm nicht ausdrücklich prämienfreie vorläufige Deckung zugesagt sein sollte, dass eine Versicherungsprämie für den beanspruchten vorläufigen Versicherungsschutz entweder in die Prämie des Hauptvertrages eingerechnet ist oder, sollte dieser nicht zustande kommen, möglicherweise gesondert erhoben wird. Die Bestimmung der Höhe der Prämie war bis zur VVG-Reform im Streitfall von dem VR gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu bestimmen.1 Es war erklärter Wille des Gesetzgebers, diesen Zustand zu beenden.2

B. Tatbestandsmerkmale des § 50 I. Anspruch auf eine Versicherungsprämie dem Grunde nach Soweit § 50 nunmehr regelt, dass der VN verpflichtet ist, im Falle des Nichtzustandekommens 4 des Hauptvertrages eine Prämie für die vorläufige Deckung zu zahlen, wird nach dem Gesetzeswortlaut eine entsprechende Verpflichtung vorausgesetzt; insoweit hat sich durch die Neuregelung nichts geändert. Eine solche Verpflichtung kann sich aus einer ausdrücklichen Vereinbarung, aber auch konkludent ergeben, sofern die Risikoübernahme nach der Verkehrssitte nur gegen Entgelt zu erwarten ist.3 Außerhalb gewerblicher Risikoübernahmen, bei denen etwa die Aufnahme einer risikobehafteten Produktionstätigkeit ansteht oder eine Finanzierung von vorläufigem Versicherungsschutz abhängt, sollte jedoch insoweit Zurückhaltung geübt werden. Außerhalb von zu Finanzierungszwecken abgeschlossenen Lebens-, Berufsunfähigkeits- und Unfallversicherungen ist eine konkludent vereinbarte Prämienzahlungspflicht aufgrund des überwiegenden Vermarktungsinteresses des VR im Zweifel zu verneinen.4 Ob es wirklich zutrifft, dass ein privater VN, der zur Zulassung eines Kraftfahrzeugs um vorläufige Deckung bittet, davon ausgehen muss, dass ihm dann, wenn er sich für einen anderen VR entscheidet, ein Prämienbetrag für die (bis dahin) vorläufige Deckung in Rechnung gestellt wird, erscheint zweifelhaft,5 ist aber im Hinblick auf den gerade auch für die Fahrzeugversicherung (Kaskoversicherung) oft bestehenden Wunsch an einer vorläufigen Deckung6 wohl zu bejahen.7

II. Nichtzustandekommen des Hauptvertrags § 50 setzt voraus, dass der Hauptvertrag nicht zustande kommt. Der Grund hierfür ist grundsätz- 5 lich unerheblich, kann daher sowohl auf einem Verhalten des VN als auch des VR beruhen.8 Aus Treu und Glauben können sich in Ausnahmefällen Grenzen ergeben.9 Es kommt auf das 1 So die h.M. zu dem bisherigen Rechtsstand, vgl. OLG Düsseldorf 29.2.2000 – 4 U 44/99, VersR 2000 1355, 1356; OLG Celle 9.5.1975 – 8 U 154/74, VersR 1976 673; Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 101; Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 1. 2 RegE S. 74. 3 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 1. 4 Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 2; Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 4. 5 Ablehnend noch Bruck/Möller/Höra9 § 50 Rn. 2. 6 Vgl. Vor §§ 49 ff. Rn. 35 sowie Bruck/Möller/Koch9 B AKB Rn. 13 ff. m.w.N. 7 Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 2; Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 2. 8 Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 3; Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 7. 9 So Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 7 unter Hinweis auf den in der Praxis wohl eher unwahrscheinlichen Fall, dass der VR den Hauptvertrag ohne besonderen Grund ablehnt, um für die vorläufige Deckung Prämie nach einem teuren Kurztarif zu vereinbaren. 729

Schnepp

§ 50 VVG

Nichtzustandekommen des Hauptvertrags

Nichtzustandekommen bei dem VR an, mit dem die vorläufige Deckung besteht. § 50 greift daher auch dann, wenn der Hauptvertrag mit einem anderen VR zustande kommt.10

III. Höhe der Prämie 6 Sofern bei ausdrücklicher oder anzunehmender Parteivereinbarung zur Entgeltlichkeit des vorläufigen Versicherungsschutzes keine Regelung zur Höhe der für die vorläufige Deckung zu entrichtenden Prämie getroffen ist – die dann dem Gesetz vorgehen würde –, sieht § 50 vor, dass dem VR ein der Laufzeit der vorläufigen Deckung entsprechender Teil derjenigen Versicherungsprämie zu zahlen ist, der bei Zustandekommen des Hauptvertrags für diesen Zeitabschnitt zu zahlen wäre. Fehlt eine Absprache zur Höhe der Versicherungsprämie, ist damit (anders als bis zur VVG-Reform)11 kein Rückgriff auf eine Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB zulässig.12 Die Prämie ist pro rata temporis der für den beantragten Hauptvertrag vorgesehenen Prä7 mie zu entrichten. Es ist also im Regelfall auf die für den Hauptvertrag vorgesehene Jahresprämie (und nicht etwa auf etwaige Kurztarife)13 abzustellen.14 Etwaige Risikozuschläge, die der VR bei Zustandekommen des Hauptvertrags genommen hätte oder hat, bleiben außer Betracht.15 Die Bezugnahme auf denjenigen Teil der Versicherungsprämie, der bei Zustandekommen 8 des Hauptvertrags für diesen Zeitabschnitt zu zahlen wäre, greift nach dem Wortlaut der Norm dann nicht, wenn im Zeitpunkt des Zustandekommens der vorläufigen Deckung noch kein für den VN verbindlicher Antrag zu der in Aussicht genommenen Hauptversicherung (oder im Invitatiomodell ein entsprechendes Angebot des VR) vorliegt. Vergleichbar ist die Rechtslage dann, wenn zwar ein Antrag (bzw. eine Angebot) vorliegt, jedoch mehrere Tarife und damit Prämienhöhen in Betracht kommen. Dass in einem solchen, nicht ausdrücklich, geregelten Fall auf § 315 BGB zurückgegriffen werden müsste, wäre angesichts der in § 49 Abs. 2 Satz 2 enthaltenen Regelung zu einer vergleichbaren Problematik nicht sachgerecht. Sachgerecht erscheint es deshalb, in analoger Anwendung des in § 49 Abs. 2 Satz 2 enthaltenen Rechtsgedankens auf die von dem angefragten VR im Zeitpunkt des Zustandekommens der vorläufigen Deckung angebotenen Tarifvarianten abzustellen und daraus die dem VN günstigste heranzuziehen.16 Hiervon sind die Fälle abzugrenzen, in denen die in Betracht kommende Prämie für den 9 Hauptvertrag bei Beendigung der vorläufigen Deckung deshalb nicht feststeht, weil der VR dafür Angaben des VN benötigt. Dies gilt insbesondere für die Kraftfahrtversicherung. Soweit die AVB bzw. Tarifbestimmungen des Hauptvertrags17 vorsehen, dass im Zweifel die für den VN ungünstigste Prämie gilt, begegnet dies keinen grundsätzlichen Bedenken und gilt damit auch im Rahmen von § 50.18 Man wird den VR allerdings dann, wenn er die tarifrechtlichen Fragen noch gar nicht gestellt hat, als verpflichtet ansehen müssen, bei dem VN vor Berechnung der Prämie für die vorläufige Deckung nachzufragen.19 Soweit vor diesem Hintergrund im Einzelfall in Frage gestellt wird, dass derartige für den Hauptvertrag getroffene Regelungen nicht für die 10 11 12 13 14

Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 3; Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 7. Rn. 3 m.w.N. Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 43. Zur möglichen Vereinbarung dieser Kurztarife Rn. 11. Soweit aus Bruck/Möller/Höra9 § 50 Rn. 5 etwas anderes zu entnehmen sein sollte, wird dies nicht aufrechterhalten. 15 Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 4. 16 So im Ergebnis auch LG Düsseldorf 13.7.2017 – 9 S 5/16, ZfS 2017 637, 638; Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 5; Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 5. 17 Hiervon abzugrenzen sind Regelungen, die nur für die vorläufige Deckung und deren vorzeitige Beendigung gelten, dazu Rn. 6 a.E. 18 LG Düsseldorf 13.7.2017 – 9 S 5/16, ZfS 2017 637, 638; LG Kassel 15.10.2015 – 1 S 245/15 (juris); Langheid/Wandt/ Rixecker § 50 Rn. 5; Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 7. 19 So im Fall LG Kassel 15.10.2015 – 1 S 245/15 (juris). Schnepp

730

D. Beweislast

VVG § 50

vorläufige Deckung bei deren vorzeitiger Beendigung Vertragsinhalt wurden, weil hier auf Fragen im Antrag abgestellt wird und mit dem Antrag nur der für den Hauptvertrag gemeint sein könne,20 begegnet dies vor dem Hintergrund des Regelungsmechanismus der §§ 49, 50 Bedenken.

IV. Fälligkeit der Prämie § 50 trifft keine Aussage zur Fälligkeit der Prämie. Wenn nicht § 51 und auch sonst keine beson- 10 dere Regelung für die vorläufige Deckung vereinbart wurde, ist die Prämie im Zweifel bis zum Zustandekommen des Hauptvertrags oder bis zur anderweitigen Beendigung der vorläufigen Deckung gestundet.21

C. Abdingbarkeit § 50 ist weder zwingend noch halbzwingend ausgestaltet. Abweichungen zu Lasten des VN sind 11 deshalb grundsätzlich möglich. So kann insbesondere vereinbart werden, dass bei Nichtzustandekommen der Hauptversicherung nach einem Kurztarif abgerechnet wird; entsprechende Vereinbarungen durch AVB müssen jedoch einer AVB-Kontrolle und insbesondere dem Transparenzgebot standhalten.22 Zulässig ist es auch, wenn für die vorläufige Deckung zwar grundsätzlich kein Entgelt vorgesehen ist, aber ein – nach dem Hauptvertrag bemessenes – Entgelt dann vorzusehen, wenn es während der vorläufigen Deckung zu einem Versicherungsfall kommt.23 Wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) sind allerdings Klauseln, die für die vorläufige Deckung zu überhöhten Prämien führen; dies gilt insbesondere dann, wenn diese Klauseln daran anknüpfen, dass dem VR Angaben zu den Tarifierungsmerkmalen fehlen und die dann vorgesehene Prämie über der im Zweifel höchsten Prämie für den Hauptvertrag liegt.24

D. Beweislast Es gelten keine Besonderheiten. Jede Partei muss die ihr günstigen Voraussetzungen darlegen 12 und beweisen. Insbesondere trifft den VR die Darlegungs- und Beweislast, dass überhaupt eine Prämie für die vorläufige Deckung geschuldet ist25 und wie diese zu berechnen ist.

20 So in den konkreten Fällen LG Düsseldorf 13.7.2017 – 9 S 5/16, ZfS 2017 637, 638 (zustimmend aber offenbar Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 7a); AG Potsdam 16.5.2019 – 24 C 514/18 (juris).

21 Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 6. 22 RegE S. 74; LG Düsseldorf 13.7.2017 – 9 S 5/16, ZfS 2017 637, 638; Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 7; Langheid/ Wandt/Rixecker § 50 Rn. 6; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 42.

23 So § 5 der „Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung“, zu diesen Bedingungen Vor §§ 49 ff. Rn. 52, abgedruckt im Anhang zu § 52; wie hier Langheid/Wandt/Rixecker § 50 Rn. 4. 24 AG Bernkastel-Kues 11.3.2016 – 4a C 372/15, RuS 2016 341 = ZfS 2016 694 mit insoweit zust. Anm. Rixecker; Prölss/Martin/Klimke § 50 Rn. 7a. 25 Dazu Rn. 4. 731

Schnepp

§ 51 Prämienzahlung (1) Der Beginn des Versicherungsschutzes kann von der Zahlung der Prämie abhängig gemacht werden, sofern der Versicherer den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Voraussetzung aufmerksam gemacht hat. (2) Von Absatz 1 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Schrifttum Siehe Vor §§ 49 ff.

Übersicht A.

Einführung

1

II.

Sonderfall und Modifikation des § 51

I.

Allgemeines

1

III. 1.

II.

Regelungsgehalt der Norm

III.

Anspruch auf eine Versicherungsprämie für die 3 vorläufige Deckung bis zur VVG-Reform

8 Verhältnis zu § 37 Vertragliche Vereinbarung und ordnungsgemä8 ßer Warnhinweis Rechtslage bei fehlender Vereinbarung oder un9 zureichender Belehrung

B.

Tatbestandsmerkmale des § 51

I.

Ausgangslage des § 37

2 2.

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

5

10

4 11

4

A. Einführung I. Allgemeines 1 § 51 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur vorläufigen Deckung (§§ 49 bis 52), mit der VVGReform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der vorläufigen Deckung auf die Vorbemerkungen zu §§ 49 ff. verwiesen.

II. Regelungsgehalt der Norm 2 Die amtliche Überschrift der Norm ist missverständlich. Entgegen ihrem Wortlaut wird in § 51 die Prämienzahlung bei der vorläufigen Deckung nicht generell, sondern nur für den Sonderfall geregelt, dass der VR den Beginn des Versicherungsschutzes von der Zahlung der Prämie für die vorläufige Deckung abhängig machen möchte.

III. Anspruch auf eine Versicherungsprämie für die vorläufige Deckung bis zur VVG-Reform 3 Bis zum Inkrafttreten des neuen VVG war herrschende Meinung, dass bei Verträgen über vorläufigen Versicherungsschutz § 38 Abs. 1 a.F. (Einlösungsklausel) als stillschweigend abbedungen Schnepp https://doi.org/10.1515/9783110522624-036

732

B. Tatbestandsmerkmale des § 51

VVG § 51

anzusehen sei, da die Regelung mit Sinn und Zweck der vorläufigen Deckung als unvereinbar angesehen wurde. Wenn der VN aus nachvollziehbaren Gründen Wert auf vorläufige Deckung legt und Eile geboten ist, soll der Beginn des materiellen Versicherungsschutzes nicht von der Bewirkung einer etwa gesondert – außerhalb der Prämie für den Hauptvertrag – geforderten Prämienzahlung abhängen dürfen. Die Prämie war erst bei Abschluss des endgültigen Versicherungsvertrages zu leisten. Trat ein Versicherungsfall vor Zahlung der Erstprämie für den Hauptvertrag ein, war der VR zur Leistung verpflichtet.1

B. Tatbestandsmerkmale des § 51 I. Ausgangslage des § 37 Seit Inkrafttreten des neuen VVG ist der VR nach § 37 Abs. 1 bei nicht rechtzeitiger Zahlung der 4 ersten oder einmaligen Prämie für den Hauptvertrag zwar nach wie vor zum Rücktritt berechtigt, jedoch nur, wenn der VN die Nichtzahlung zu vertreten hat. Ist die erste oder einmalige Prämie bei Eintritt des Versicherungsfalles noch nicht gezahlt, ist der VR gemäß § 37 Abs. 2 nur unter zwei Voraussetzungen leistungsfrei. Der VN muss die Nichtzahlung zu vertreten haben und der VR muss den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen haben.2

II. Sonderfall und Modifikation des § 51 § 51 Abs. 1 modifiziert diese Regelung für die vorläufige Deckung nur geringfügig. Er erlaubt 5 zwar, den Beginn des materiellen Versicherungsschutzes aus der vorläufigen Deckung von der vorherigen Zahlung einer Versicherungsprämie abhängig zu machen. Dies kann entweder eine gesonderte Prämie sein oder die vorgezogene Zahlung eines zeitanteiligen Teils der Prämie für den beabsichtigten Hauptvertrag.3 Wegen der grundsätzlichen Vertragsfreiheit im Versicherungsrecht kommt der Regelung insoweit nur deklaratorische Bedeutung zu. Derartige Vertragsgestaltungen sind in der Praxis jedoch sehr selten. Wird in einem dieser raren Fälle eine solche Klausel vereinbart, handelt es sich um eine aufschiebende Bedingung für den Beginn des (materiellen) Versicherungsschutzes aus dem Vertrag über die vorläufige Deckung.4 Zum Schutz des VN verlangt § 51 Abs. 1, dass der VR durch gesonderte Mitteilung in Text- 6 form oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf die Bedingung aufmerksam macht. Es soll verhindert werden, dass der VN auf vorläufige Deckung vertraut, sofern er nicht eine besonders hervorgehobene Warnung erhalten hat. Eigenständige Versicherungsscheine für die vorläufige Deckung werden in der Regel nicht ausgestellt. Dass der Warnhinweis in einen Versicherungsschein aufgenommen wird, hat deshalb eher theoretische Bedeutung. Wenn überhaupt eine solche Vertragsgestaltung gewählt wird, kommt für die Praxis nur die gesonderte Mitteilung in Textform in Betracht. Dabei muss es sich nicht um eine von anderen Informationen getrennte Mitteilung in einem eigenen Textdokument handeln. Es genügt – wie bei der in § 7 Abs. 1 Satz 3 normierten Hinweispflicht –, dass der Warnhinweis beispielsweise in das Antragsformular für den Hauptvertrag, drucktechnisch hervorgehoben und auch bei flüchtiger Durchsicht auffällig, aufgenommen wird.5 1 Vgl. BGH 26.4.2006 – IV ZR 248/04, VersR 2006 913, 914; BGH 25.1.1995 – IV ZR 328/93, VersR 1995 409, 411; Römer/Langheid2 § 38 Rn. 21; Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 1. 2 Siehe im Einzelnen die Kommentierung Bruck/Möller/Beckmann § 37 Rn. 43 ff. 3 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 2. 4 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 5. 5 Vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 51 Rn. 2; Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 3; Looschelders/ Pohlmann/Kammerer-Galahn § 51 Rn. 4. 733

Schnepp

§ 51 VVG

7

Prämienzahlung

Über den Zeitpunkt, zu dem der Warnhinweis erfolgt sein muss, schweigt das Gesetz. Wenn der von dem Gesetz beabsichtigte Schutz des VN6 nicht inhaltsleer sein soll, muss die Belehrung des VN deshalb spätestens im Zeitpunkt des Zustandekommens der vorläufigen Deckung erfolgt sein.7 Wenn der Versicherungsvertrag bereits mit dem Antrag des VN, dessen Eingang bei dem VR8 oder – wie teilweise bei der Kraftfahrtversicherung9 – zu einem anderen, früheren Zeitpunkt als vor dem Zugang einer Annahmeerklärung des VR bei dem VN zustande kommt, muss der Warnhinweis mit dem Antrag (oder vorher) erfolgen.10 Dem steht nicht entgegen, dass der Wortlaut des § 51 auch einen Warnhinweis in dem Versicherungsschein zulässt. Aus der Tatsache, dass auch ein Warnhinweis in dem Versicherungsschein möglich ist, wird man jedoch ableiten müssen, dass der Rechtsgedanke des § 7 Abs. 1, der eine rechtzeitige Unterrichtung des VN vor Abgabe von dessen Vertragserklärung fordert, nicht auf § 51 übertragbar ist;11 denn eine Übersendung des Versicherungsscheins i.S.v. § 3 vor Abgabe der Vertragserklärung des VN scheidet aus Rechtsgründen aus.

III. Verhältnis zu § 37 1. Vertragliche Vereinbarung und ordnungsgemäßer Warnhinweis 8 Welche Rechtsfolgen eintreten, wenn eine gesondert geforderte Versicherungsprämie für die vorläufige Deckung trotz (1.) vertraglicher Vereinbarung, dass der Versicherungsschutz für die vorläufige Deckung von der Zahlung der Prämie abhängig sein soll, und (2.) trotz hinreichender und rechtzeitiger Belehrung nicht rechtzeitig gezahlt wird, ist in § 51 nicht ausdrücklich geregelt. Nach allgemeinem Recht führt der Nichteintritt einer aufschiebenden Bedingung zwar dazu, dass deren Rechtsfolgen ohne Rücksicht auf Verschulden nicht eintreten (§ 158 Abs. 1 BGB). Ob aus diesem Grundsatz gefolgert werden kann, bei ordnungsgemäßer Belehrung führe ein Ausbleiben der Zahlung zum Ausbleiben des Versicherungsschutzes, wobei es entgegen § 37 Abs. 2 Satz 1 nicht darauf ankomme, ob der VN die Nichtzahlung zu vertreten hat,12 ist zweifelhaft. Denn § 51 modifiziert die Grundregelung nicht rechtzeitiger Zahlung des Einlösungsbetrages in Bezug auf den vorläufigen Versicherungsschutz nur geringfügig. Wenn § 37 Abs. 2 das Recht des VR zum Rücktritt von dem Versicherungsvertrag nach Eintritt des Versicherungsfalls bei nicht rechtzeitiger Zahlung des Einlösungsbetrages in bewusster und gewollter Abweichung von dem früheren § 38 a.F. davon abhängig macht, dass der VN dies zu vertreten hat und der Reformgesetzgeber zu § 37 auf das besondere Schutzbedürfnis des VN hinweist, wenn der erst durch Zahlung der Erstprämie begründet wird,13 ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Wertung in Bezug auf die Erstprämie der vorläufigen Deckung keine Bedeutung haben sollte. Dies gilt umso mehr, als in § 52 Abs. 1 Satz 2 auch die Beendigung der vorläufigen Deckung bei Nichtzahlung oder nicht rechtzeitiger Zahlung der Erstprämie für den Hauptvertrag oder einer weiteren vorläufigen Deckung von dem Verzug des VN abhängt, also schuldhaftem Verhalten. Entsprechend § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 beginnt daher der Versicherungsschutz schon vor Zahlung der Prämie für die vorläufige Deckung, wenn der VN die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat,14

6 Vgl. RegE S. 74. 7 Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 3; Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 6. 8 Vgl. Vor §§ 49 ff. Rn. 31 m.w.N. 9 Vgl. § 49 Rn. 11. 10 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 6; unklar ob a.A. Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 3. 11 So aber Bruck/Möller/Höra9 § 51 Rn. 3. 12 So Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 5. 13 RegE S. 71. 14 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 51 Rn. 2; dogmatisch noch weitergehender, aber im Ergebnis ebenso, wonach § 37 insgesamt unmittelbar anwendbar sein soll Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 51 Rn. 3; Staudinger/Halm/Wendt/Halbach § 51 Rn. 2. Schnepp

734

D. Beweislast

VVG § 51

und zwar zu dem Zeitpunkt, zu dem er ohne das Vertretenmüssen die Zahlung bewirkt hätte. Folglich kann der VR bei Nichtzahlung der Prämie nach deren Fälligkeit (wenn denn eine Fälligkeit vereinbart ist) gemäß § 37 Abs. 1 zurücktreten,15 und es besteht dieses Recht gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 auch nach Eintritt des Versicherungsfalls, jedoch mit der vorgenannten Einschränkung, dass ein Rücktritt nach Eintritt des Versicherungsfalls ausscheidet, wenn der VN die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat.

2. Rechtslage bei fehlender Vereinbarung oder unzureichender Belehrung Fehlt es an einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung, wonach der Beginn des Versicherungs- 9 schutzes für die vorläufige Deckung von der Zahlung der Prämie abhängig sein soll, oder erhielt der VN keine hinreichende Belehrung oder erfolgte diese nicht rechtzeitig, so ist zu unterscheiden. Ein Rücktritt nach § 37 Abs. 1 ist nach Fälligkeit (wenn denn eine Fälligkeit vereinbart ist)16 bis zur Prämienzahlung grundsätzlich möglich17 – und zwar auch ohne vorherige Belehrung.18 § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ist hingegen weder direkt noch entsprechend anwendbar; dies folgt aus einem Umkehrschluss zu § 52 Abs. 1.19 Tritt ein Versicherungsfall vor dem Rücktritt (oder einer sonstigen Beendigung der vorläufigen Deckung) ein, ist der VR daher unabhängig davon, ob der VN die Nichtzahlung der Erstprämie zu vertreten hat, zur Leistung verpflichtet.

C. Abdingbarkeit Die gesetzlichen Vorschriften in § 51 Abs. 1 sind gemäß Absatz 2 halbzwingend.20 Abweichungen 10 zum Nachteil des VN sind damit – auch in Form von Individualvereinbarungen – unwirksam. Unwirksam sind daher insbesondere Klauseln, die geringe Anforderungen an den Warnhinweis stellen oder den Beginn des Versicherungsschutzes von anderen auf die Prämienzahlung bezogenen Bedingungen, etwa die Zahlung der Prämie für den Hauptvertrag oder die Erteilung der Einzugsermächtigung für den Hauptvertrag, abhängig machen.21 Zulässig ist es aber, statt der Zahlung die Erteilung einer SEPA-Lastschrift oder (vor allem im Online-Geschäft) den Prämieneinzug über eine Kreditkarte zur Bedingung für den Eintritt des Versicherungsschutzes zu machen,22 wenn der Warnhinweis entsprechend hierauf abgestellt wird.

D. Beweislast Der VR, der sich auf § 51 beruft, ist darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass (1.) der materielle 11 Beginn des Versicherungsschutzes aus der vorläufigen Deckung von der vorherigen Prämienzahlung abhängig gemacht wurde, (2.) ein den gesetzlichen Anforderungen erfüllender Warnhinweis erfolgte und (3.) dieser dem VN rechtzeitig zugegangen ist.23 Hingegen muss der VN, 15 RegE S. 74; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 51 Rn. 2; unklar Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 5, der aber offenbar nur den Rücktritt nach Eintritt des Versicherungsfalls und ordnungsgemäßem Warnhinweis ausschließen möchte. 16 Vgl. § 50 Rn. 10. 17 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 8 f.; unklar Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 5. 18 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 10; allgemein zu diesem Thema bei § 37 Bruck/Möller/Beckmann § 37 Rn. 66. 19 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 7. 20 Allgemein dazu Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 163 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster Einleitung Rn. 8. 21 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 51 Rn. 2; Staudinger/Halm/Wendt/ Halbach § 51 Rn. 7. 22 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 11; so wohl auch Langheid/Wandt/Rixecker § 51 Rn. 3, 6. 23 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 12. 735

Schnepp

§ 51 VVG

Prämienzahlung

wie auch sonst bei § 37,24 darlegen und beweisen, dass die Prämie fristgerecht bzw. vor Eintritt des Versicherungsfalls gezahlt wurde.25 Will der VN nach der hier vertretenen Auffassung26 geltend machen, die nicht rechtzeitig erfolgte Prämienzahlung sei unverschuldet, muss er dies darlegen und beweisen.27

24 Bruck/Möller/Beckmann § 37 Rn. 84. 25 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 12; a.A. Bruck/Möller/Höra9 § 51 Rn. 5, wonach auch insoweit der VR die Darlegungs- und Beweislast trägt. 26 Rn. 8. 27 Prölss/Martin/Klimke § 51 Rn. 12. Schnepp

736

§ 52 Beendigung des Vertrags (1)

(2)

(3)

(4)

(5)

1

Der Vertrag über vorläufige Deckung endet spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem nach einem vom Versicherungsnehmer geschlossenen Hauptvertrag oder einem weiteren Vertrag über vorläufige Deckung ein gleichartiger Versicherungsschutz beginnt. 2 Ist der Beginn des Versicherungsschutzes nach dem Hauptvertrag oder dem weiteren Vertrag über vorläufige Deckung von der Zahlung der Prämie durch den Versicherungsnehmer abhängig, endet der Vertrag über vorläufige Deckung bei Nichtzahlung oder verspäteter Zahlung der Prämie abweichend von Satz 1 spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsnehmer mit der Prämienzahlung in Verzug ist, vorausgesetzt, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge aufmerksam gemacht hat. 1 Absatz 1 ist auch anzuwenden, wenn der Versicherungsnehmer den Hauptvertrag oder den weiteren Vertrag über vorläufige Deckung mit einem anderen Versicherer schließt. 2Der Versicherungsnehmer hat dem bisherigen Versicherer den Vertragsschluss unverzüglich mitzuteilen. Kommt der Hauptvertrag mit dem Versicherer, mit dem der Vertrag über vorläufige Deckung besteht, nicht zustande, weil der Versicherunsnehmer seine Vertragserklärung nach § 8 widerruft oder nach § 5 Abs. 1 und 2 einen Widerspruch erklärt, endet der Vertrag über vorläufige Deckung spätestens mit dem Zugang des Widerrufs oder des Widerspruchs beim Versicherer. 1 Ist das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, kann jede Vertragspartei den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist kündigen. 2Die Kündigung des Versicherers wird jedoch erst nach Ablauf von zwei Wochen nach Zugang wirksam. Von den Absätzen 1 bis 4 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Schrifttum Siehe Vor §§ 49 ff.

Übersicht A.

Einführung

1

I.

Allgemeines

1

II.

Zentraler Regelungsgegenstand der Norm

B.

Tatbestandsmerkmale des § 52

I.

Absatz 1 (Beendigung der vorläufigen Deckung durch Beginn des Versicherungsschutzes nach Hauptvertrag oder anderweitiger vorläufiger De4 ckung) Grundfall nach Absatz 1 Satz 1 (Gleichartiger Versicherungsschutz bei demselben Versiche4 rer) a) Versicherungsschutz bei demselben Versi5 cherer 6 b) Maßgebender Zeitpunkt

1.

7 Gleichartiger Versicherungsschutz Scheitern des Hauptvertrags oder einer wei13 teren vorläufigen Deckung e) Nachträgliches Erlöschen oder nachträgliche Einschränkung des Hauptvertrags oder einer weiteren vorläufigen De15 ckung f) Nachträgliches Erlöschen oder nachträgliche Einschränkung der vorläufigen Deckung durch Rückwärtsversiche18 rung Sonderfall nach Absatz 1 Satz 2 (Beginn des Versicherungsschutzes für den Hauptvertrag oder der weiteren vorläufigen Deckung abhängig von 21 der Zahlung der Prämie) 21 a) Ausgangslage b) Verzug des Versicherungsnehmers mit der 24 Zahlung der Prämie c) d)

2

4

737 https://doi.org/10.1515/9783110522624-037

2.

Schnepp

§ 52 VVG

c) d)

II. 1. 2.

III. 1. 2.

Beendigung des Vertrags

Belehrung durch den Versicherer 30 Sonderfall des Erlöschens der vorläufigen 36 Deckung ex tunc

Absatz 2 (Gleichartige Deckung bei einem ande37 ren Versicherer) Entsprechende Geltung von Absatz 1 nach Ab37 satz 2 Satz 1 Mitteilungspflicht an den bisherigen Versicherer 40 nach Absatz 2 Satz 2 Absatz 3 (Widerruf des Vertrages und Wider42 spruch zu Antragsänderungen) 43 Widerruf des Hauptvertrags nach § 8 Widerspruch wegen Abweichungen vom Antrag 47 nach § 5

IV. 1. 2.

3. 4.

Absatz 4 (Kündigung der vorläufigen De49 ckung) 50 Kündigungsfrist Rechtsfolge der Kündigung: Erlöschen des Deckungsschutzes der vorläufigen De54 ckung Recht auf außerordentliche Kündigung nach 55 § 314 BGB Rechtslage bei befristeter vorläufiger De56 ckung

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

58 61

A. Einführung I. Allgemeines 1 § 52 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur vorläufigen Deckung (§§ 49 bis 52), mit der VVGReform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der vorläufigen Deckung auf die Vorbemerkungen zu §§ 49 ff. verwiesen.

II. Zentraler Regelungsgegenstand der Norm 2 § 52 regelt die bis zur VVG-Reform umstrittene und auch in der Rechtsprechung nicht immer einheitlich beantwortete Frage, welche Rechtsfolgen sich für die zugesagte vorläufige Deckung ergeben, sobald (1.) der beabsichtigte Hauptvertrag zustande kommt, (2.) er zwar zustande kommt, aber dessen Erstprämie nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt wird, (3.) der VN den Hauptvertrag bei einem anderen VR abschließt oder von einem anderen VR vergleichbare vorläufige Deckung erhält und (4.) der VN seine Vertragserklärung zum Hauptvertrag nach § 8 widerruft.1 Hinzu kommt eine besondere Regelung für die Kündigungsfrist. § 52 ist deshalb die für die Rechtspraxis wohl wichtigste Vorschrift der §§ 49 ff. Erklärtes Ziel 3 des Gesetzgebers ist, den VN durch § 52 vor einem nach dessen Verständnishorizont nicht zu erwartenden Verlust der vorläufigen Deckung zu bewahren und zugleich eine Mehrfachversicherung von vorläufiger Deckung und Hauptvertrag zu vermeiden. Andererseits soll und muss auch dem VR das Recht eingeräumt sein, sich von einem wegen erkannter Eilbedürftigkeit zunächst weitgehend unbesehen übernommenen vorläufigen Versicherungsschutz zumindest für die Zukunft wieder zu trennen.2

1 Näher zum Meinungsstand vor der VVG-Reform Römer/Langheid2 vor § 1 Rn. 37 ff.; Prölss/Martin/Prölss27 Zusatz zu § 1 Rn. 5a ff. 2 RegE S. 74 f.; vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 1. Schnepp

738

B. Tatbestandsmerkmale des § 52

VVG § 52

B. Tatbestandsmerkmale des § 52 I. Absatz 1 (Beendigung der vorläufigen Deckung durch Beginn des Versicherungsschutzes nach Hauptvertrag oder anderweitiger vorläufiger Deckung) 1. Grundfall nach Absatz 1 Satz 1 (Gleichartiger Versicherungsschutz bei demselben Versicherer) Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 endet der Vertrag über die vorläufige Deckung im Regelfall spätestens in 4 dem Zeitpunkt, zu dem ein nach dem Gesetzeswortlaut gleichartiger Versicherungsschutz nach dem Hauptvertrag oder eine weitere vorläufige Deckung beginnt.

a) Versicherungsschutz bei demselben Versicherer. Geregelt ist in Absatz 1 die Fallalter- 5 native, dass gleichartiger Versicherungsschutz, sei es in dem Hauptvertrag oder durch anderweitige vorläufige Deckung, bei demselben VR erlangt wird.3 Dies folgt zwar nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes, ergibt sich jedoch zwingend aus Absatz 2 der Norm, der den Sonderfall regelt, dass ein Vertrag über gleichartige Deckung bei einem anderen VR geschlossen wird. b) Maßgebender Zeitpunkt. Ausgehend von der Intention des Gesetzgebers, den VN vor ei- 6 nem nach seinem Verständnis der Abreden unerwarteten Verlust der vorläufigen Deckung zu bewahren, endet die vorläufige Deckung nicht bereits mit dem formellen Abschluss des Hauptvertrags oder einer anderweitigen vorläufigen Deckung. Denn dann besitzt der VN noch nicht den begehrten Versicherungsschutz, sofern formeller und materieller Versicherungsbeginn voneinander abweichen, etwa durch Vereinbarung einer Einlösungsklausel i.S.v. Absatz 1 Satz 2. Maßgebend ist deshalb nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung der Beginn des materiellen Versicherungsschutzes aus dem beantragten Hauptvertrag oder der anderweitigen vorläufigen Deckung.4 Erst wenn der Versicherungsschutz daraus in dem Umfang gewährleistet ist, wie ihn der VN sich vorgestellt hat und wie er nach den Annahmerichtlinien des VR tatsächlich gewährt werden kann, ist es gerechtfertigt, den bis dahin vorläufig (ggf. unter Einschränkungen) gewährten Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung enden zu lassen.

c) Gleichartiger Versicherungsschutz. Die vorläufige Deckung endet mit dem materiellen 7 Beginn des Hauptvertrags oder einer weiteren vorläufigen Deckung nach § 52 Abs. 1 nur, wenn diese einen gleichartigen Versicherungsschutz beinhaltet. „Gleichartig“ bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht, dass der vorläufige Versicherungsschutz inhaltlich mit dem beantragten Hauptvertrag deckungsgleich sein müsste. Nach der Gesetzesbegründung ist es ausreichend, dass der neue Versicherungsschutz „im Wesentlichen dem vorläufigen Versicherungsschutz entspricht“.5 Wann hiervon auszugehen ist, lässt sich nicht allgemein formulieren. Selbstverständlich ist nur, dass der Deckungsschutz aus dem Hauptvertrag oder einer weiteren vorläufigen Deckung dasselbe Risiko umfassen muss und keine gegenüber der gewährten vorläufigen Deckung wesentliche Risikoausschlüsse oder -einschränkungen umfassen darf. Unschädlich sind hingegen nicht wesentliche Risikoausschlüsse oder -einschränkungen; diese führen zur Beendigung der vorläufigen Deckung gemäß Absatz 1 Satz 1. 3 RegE S. 75 („bisherigen VR“); Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 3. 4 RegE S. 75; Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 4; so auch schon zum früheren Recht BGH 26.4.2006 – IV ZR 248/ 04, VersR 2006 913, 914.

5 Vgl. RegE S. 75. 739

Schnepp

§ 52 VVG

Beendigung des Vertrags

An einem gleichartigen Versicherungsschutz fehlt es danach, wenn etwaige Deckungsausschlüsse, Risikoeinschränkungen oder den VN belastende Obliegenheiten im Hauptvertrag oder der weiteren vorläufigen Deckung den bislang zugesagten Schutz erheblich einschränken. Wann von Erheblichkeit auszugehen ist, lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung des angestrebten Versicherungszwecks beurteilen. Abzustellen ist dabei auf die Sicht eines mit den Verhältnissen vertrauten objektiven Dritten. Würde allein auf die Interessenlage des VN abgestellt, wäre dies ebenso inadäquat wie das Abstellen auf die gegenläufigen Interessen des VR. Denn bei Eintritt eines Versicherungsfalles, der nach einschränkenden Regelungen in dem Hauptvertrag oder einer anderweitigen vorläufigen Deckung nicht gedeckt ist, wäre es lebensfremd anzunehmen, dass sich der VN nicht auf eine weitergehende Zusage aus einer fortdauernden vorläufigen Deckung beruft. Aus alleiniger Sicht des nicht leistungsbereiten VR ist die gegenteilige Wertung zu erwarten. Angesichts der Vielfalt von Versicherungsverträgen, bei denen vorläufige Deckung gewährt wird und der jeweils dahinter stehenden Interessenlage, lassen sich allgemeingültige Kriterien für die vorzunehmende Wertung nicht aufstellen. Zu berücksichtigen wird lediglich sein, dass der VR regelmäßig die überlegene Vertragspartei ist. Wenn er im Zweifelsfall bei objektiver Würdigung der Differenzen zwischen vorläufigem Versicherungsschutz und der neuen Vertragssituation erkennt oder erkannt haben müsste, dass die Interessenlage des VN nicht nur in unerheblichen Kleinigkeiten berührt wird, darf er nicht von einem automatischen Ende des vorläufigen Versicherungsschutzes ausgehen. Er wird dann, schon im eigenen Interesse, die vorläufige Deckung kündigen müssen.6 Als nicht gleichartig wird unter Beachtung dieser Kriterien etwa anzusehen sein, wenn in 9 der Berufsunfähigkeitsversicherung anstatt des von der vorläufigen Deckung umfassten Schutzes gegen Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung einer Beamtenklausel in dem neuen Vertrag nur Schutz gegen allgemeine Berufsunfähigkeit gewährt wird. Gleiches gilt, wenn statt eines Versicherungsschutzes gegen Berufsunfähigkeit nur einer gegen Erbwerbsunfähigkeit gewährt wird,7 der VR in der Hausratversicherung den beantragten und von der vorläufigen Deckung umfassten erweiterten Deckungsschutz für Kunstgegenstände ablehnt,8 in der Wohngebäudeversicherung der Versicherungsschutz gegen Elementarschäden fehlt oder in der Kraftfahrtversicherung anstelle des Haftpflicht- und Kaskorisikos nur der Antrag auf die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung angenommen wird.9 10 Liegt demnach eine wesentliche Deckungseinschränkung vor, erlischt die zugesagte vorläufige Deckung nicht, sofern der VR diese nicht kündigt (Absatz 4). Der Fortbestand der vorläufigen Deckung gilt jedoch nur hinsichtlich des Teils, der nicht durch den Hauptvertrag oder die weitere Deckung abgesichert ist.10 Dies ergibt sich aus dem (weiteren) Gesetzeszweck,11 Mehrfachversicherung zu vermeiden. Auf die Frage, ob der Hauptvertrag oder eine die ursprüngliche Zusage ersetzende ander11 weitige vorläufige Deckung gleichartig ist, kann es nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung hingegen nicht ankommen, wenn die Abweichungen auf einer dies billigenden, wirksamen vertraglichen Absprache mit dem VN beruht.12 Wenn im Verlauf der Vertragsverhandlungen zum 8

6 Ähnlich Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 5 (der auf einen gerechten Ausgleich abstellt; an einer gleichartigen Absicherung fehlt es danach, wenn dem VN bei entsprechender Wertung im Hinblick auf seine Erwartungen durch die Notwendigkeit einer Kündigung durch den VR und der damit verbundenen Nachfrist Gelegenheit gegeben werden muss, sich auf eine veränderte Lage einzustellen); Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 52 Rn. 2. 7 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 6. 8 Vgl. OLG Hamm 12.2.1982 – 20 U 318/81, VersR 1982 1042, 1043 zu einer ähnlichen Konstellation. 9 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 6; a.A. OLG Saarbrücken 22.3.2000 – 5 U 818/99, VersR 2001 323, 325, aber wohl nur aufgrund der dortigen Konstellation, der VN habe trotz Nachfrage des VR zu dem Antrag auf Abschluss des Hauptvertrags nicht deutlich gemacht habe, dass er für den Hauptvertrag auch eine Kaskoversicherung wünsche. 10 Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 52 Rn. 2. 11 Vgl. Rn. 3. 12 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 52 Rn. 3; Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 13 (der dies mit einer teleologischen Reduktion begründet). Schnepp

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B. Tatbestandsmerkmale des § 52

VVG § 52

Hauptvertrag während der Zeitdauer der vorläufigen Deckung etwa einzelne Risikoausschlüsse oder Sonderklauseln vereinbart werden, hat dies zwar zunächst (sofern nicht ebenfalls wirksam abgeändert, wovon im Zweifel nicht auszugehen ist) keinen Einfluss auf den Deckungsumfang der vorläufigen Deckung. Dieser richtet sich ausschließlich nach der insoweit gegebenen ursprünglichen Vereinbarung. Sofern nach Beginn des materiellen Versicherungsschutzes aus dem Hauptvertrag ein Versicherungsfall eintritt, wird der VN aber keinen Leistungsanspruch aus der vorläufigen Deckung mehr mit der Begründung geltend machen können, diese gehe über den Deckungsschutz in dem beantragten Hauptvertrag hinaus, wenn er zuvor Deckungsausschlüssen oder -einschränkungen zum Hauptvertrag zugestimmt hat. Es widerspräche Treu und Glauben, wollte sich der VN ab dem Zeitpunkt, von dem an er wissentlich und willentlich Einschränkungen des Deckungsumfangs zugestimmt hat und dieser materiell wirksam geworden ist, auf einen weitergehenden Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung berufen. Wenn der VR z.B. eine vorläufige Deckung für die Haftpflicht- und die Kaskoversicherung eines Fahrzeugs erteilt und es nach Abschluss der Vertragsverhandlungen nur zu einer Haftpflichtversicherung kommt, endet der darüber hinausgehende vorläufige Kaskoschutz nicht kraft Gesetzes, sondern weil der VN den gewünschten Versicherungsschutz bewusst reduziert hat. Entscheidend ist die Auslegung des Parteiwillens und gegebenenfalls die Beratung des VN. Wer bewusst auf Kaskodeckung verzichtet, kann nicht erwarten, dass ein darüber hinausgehender vorläufiger Versicherungsschutz über den materiellen Versicherungsbeginn des neuen Vertrages hinaus in dem willentlich eingeschränkten Hauptvertrag fortdauert.13 Enthält der Hauptvertrag oder die Vereinbarung über anderweitige vorläufige Deckung Ab- 12 weichungen von dem Versicherungsantrag und der sich darauf beziehenden vorläufigen Deckung, und sind diese unter Beachtung des § 5 besonders kenntlich gemacht, ist fraglich, ob ein anfänglich zugesagter, darüber hinausgehender vorläufiger Deckungsschutz ohne Kündigung durch den VR auch in diesem Fall endet. Dies ist zu bejahen, obwohl § 52 Abs. 1 seinem bloßen Wortlaut nach entgegensteht. Dies rechtfertigt sich daraus, dass der § 5 eine Sonderregelung zu § 150 Abs. 2 BGB ist, die als lex specialis der allgemeinen Norm vorgeht.14 Wenn danach die ausdrückliche Zustimmung des VN zu einer ihm von dem VR angetragenen Antragsänderung durch Schweigen ab Ablauf der Widerspruchsfrist als Zustimmung gilt, wäre es mit Treu und Glauben unvereinbar, wollte er sich ab diesem Zeitpunkt bei Eintritt eines Versicherungsfalles auf eine weitergehende Deckung aus der ursprünglich gewährten vorläufigen Deckungszusage berufen.15 Die Interessen des VN werden dadurch ausreichend gewahrt, dass er bis zum Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist des § 5 Abs. 1 (bzw. bis zum Zugang der Widerspruchserklärung bei dem VR)16 den vorläufigen Versicherungsschutz zunächst behält.

d) Scheitern des Hauptvertrags oder einer weiteren vorläufigen Deckung. Hat der VN 13 vorläufige Deckung erlangt, scheitern jedoch die Verhandlungen der Vertragsparteien über den Hauptvertrag oder einer weiteren vorläufigen Deckung oder kommen diese langfristig zum Stillstand, war nach früherem Recht umstritten, ob und zu welchem Zeitpunkt dadurch die vorläufige Deckungszusage endet. Vor allem war streitig, wann von einem Scheitern der Verhandlungen zu dem Hauptvertrag ausgegangen werden musste.17

13 Vgl. zu weiteren Fallkonstellationen und Fragen in der Kraftfahrzeugversicherung B.2.3 ff. AKB 2015 sowie Bruck/Möller/Koch9 B. AKB 2015 Rn. 23 ff. 14 Bruck/Möller/Knops § 5 Rn. 6. 15 So im Ergebnis auch Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 6 und 20; Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 13. 16 Vgl. Rn. 47. 17 Vgl. etwa BGH 13.2.1958 – II ZR 317/56, VersR 1958 137, 138; BGH 9.5.1955 – II ZR 290/53, VersR 1955 339, 340; RG 19.3.1926 – VI 376/25, RGZ 113 150, 152; RG 16.10.1923 – VII 18/23, RGZ 107 198, 200 f.; OLG Hamm 1.7.1983 – 20 U 427/82, VersR 1984 173, 174. 741

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Beendigung des Vertrags

Soweit vertreten wird, aus der gesetzlichen Regelung folge im Umkehrschluss, dass der Vertrag über die vorläufige Deckung auch nach der VVG-Reform ohne Abschluss eines gleichartigen Hauptvertrags enden könne,18 ist dies mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar. Der Vertrag über die vorläufige Deckung bleibt auch bei einem Scheitern oder Einschlafen der Vertragsverhandlungen bestehen.19 Denn wenn § 52 Abs. 1 auf einen „gleichartigen“ Versicherungsschutz abstellt, kann es nicht richtig sein, dass der Vertrag über die vorläufige Deckung, von den in § 52 Abs. 1 Satz 2 sowie Absätzen 2 und 3 beschriebenen Sonderfällen abgesehen, auch ohne Kündigung durch den VR erlöschen könnte. Dies wäre mit dem Schutzgedanken des § 52 unvereinbar. Stattdessen ist dem VR zur Wahrung seiner berechtigten Interessen das Recht der Kündigung20 der vorläufigen Deckung eingeräumt. Dies gilt auch dann, wenn der VN nach Ablauf der Bindungsfrist an seinen Versicherungsantrag für den Hauptvertrag oder einer weiteren vorläufigen Deckung von dem VR ein abweichendes Vertragsangebot erhält und auf dieses nicht reagiert, es also nicht annimmt.21 Dies gilt selbst dann, wenn der VN dieses neue Angebot des VR ausdrücklich ablehnt.22 Auch in diesem Fall werden die Interessen des VR durch das Kündigungsrecht hinreichend gewahrt. So bleibt es dem VR etwa unbenommen, das neue Angebot mit einer Kündigung mit ausreichender Frist (also etwa länger als die 14 Tage des Absatzes 4) zu verbinden. Anders ist dies nur dann, wenn der VN mit seiner Ablehnung zugleich deutlich macht, nicht mehr an weiteren Verhandlungen interessiert zu sein. Dies folgt aus der Wertentscheidung des Gesetzgebers in Absatz 1 i.V.m. Absätzen 3 und 4, die Fälle der Beendigung der vorläufigen Deckung zum Schutz des VN an Willenserklärungen bzw. die Ausübung von Gestaltungsrechten anzuknüpfen.

15 e) Nachträgliches Erlöschen oder nachträgliche Einschränkung des Hauptvertrags oder einer weiteren vorläufigen Deckung. Kommt der beabsichtigte Hauptvertrag oder eine anderweitige vorläufige Deckung zustande und beginnt der materielle Versicherungsschutz daraus, erlischt die vorläufige Deckung nach § 52. Sie lebt auch nicht wieder auf, falls der anderweitige Vertrag von dem VR nachträglich angefochten wird oder der VR von ihm berechtigt zurücktritt bzw. der Versicherungsschutz nachträglich so verändert wird, dass er nicht mehr als gleichartig angesehen werden kann. § 52 Abs. 1 stellt seinem Wortlaut nach unmissverständlich auf den „Beginn“ des Versicherungsschutzes der anderweitigen Deckung ab. Der VN bedarf zudem keines weitergehenden Schutzes, als in dem Gesetz vorgesehen. Denn wenn der Hauptvertrag oder eine anderweitige vorläufige Deckung rechtswirksam aufgrund Anfechtung oder Rücktritts erlischt, ist dies zwangsläufig mit der Feststellung eines schweren, dem VN vorwerfbaren Verschuldens verbunden. Es sind keine beachtenswerten Gründe ersichtlich, weshalb unter solchen Umständen die vorläufige Deckung wieder aufleben sollte.23 16 Dies gilt auch für den Fall, dass gemäß § 19 Abs. 4 der Hauptvertrag oder die weitere vorläufige Deckung rückwirkend inhaltlich verändert wird, da auch insoweit im Regelfall Verschulden des VN Voraussetzung ist.24 Fraglich ist, ob eine Ausnahme zu machen ist, soweit § 19 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 eine Vertragsanpassung ab der laufenden Versicherungsperiode bei einer von

18 So noch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski1 § 52 Rn. 3; allerdings aufgegeben ab der 2. Aufl., vgl. Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Karczewski1 § 52 Rn. 4. 19 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 20; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 52 Rn. 4. 20 Vgl. nachfolgend Rn. 49 ff. 21 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 20; Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 31. 22 A.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 73; dem folgend Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 20 Fn. 38; Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 30. 23 RegE S. 75 (ausdrücklich nur für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung); OLG Saarbrücken 18.4.2012 – 5 U 293/11, ZfS 2013 100, 102; Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 21; Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 9. 24 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 21. Schnepp

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dem VN nicht zu vertretenden, d.h. nicht schuldhaften Pflichtverletzung zulässt.25 Dies ist zu verneinen; die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu § 19 Abs. 4 Satz 2, den Versicherungsschutz auch bei unverschuldetem Verhalten des VN nachträglich einzuschränken, ist auch im Rahmen des § 52 zu akzeptieren.26 Wird der Deckungsschutz in dem anderweitigen Vertrag durch andere als aus §§ 19 ff. 17 folgende Umstände nachträglich so verändert, dass er nicht mehr als gleichartig zu der erloschenen vorläufigen Deckung angesehen werden kann, so führt auch dies nicht zu einem Wiederaufleben der vorläufigen Deckung.27 Denn nachträgliche Veränderungen des Versicherungsschutzes erfordern entweder übereinstimmende Willenserklärungen der Vertragsparteien oder die Ausübung anderweitig geregelter Gestaltungsrechte, so dass der VN nicht mehr schützenswert i.S.v. § 52 ist. In den wenigen Fällen, in denen das Gesetz etwa eine einseitige Anpassung von Vertragsklauseln zulässt,28 ist der VN durch die in diesen Normen geregelten stringenten Voraussetzungen hinreichend davor geschützt, dass sich sein Versicherungsschutz nicht inadäquat verändert. Unklar ist die Rechtslage in den Fällen, in denen der materielle Versicherungsschutz des Hauptvertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist des § 8 beginnt und der VN dann widerruft; in diesen Fällen dürfte keine Ausnahme zu machen sein.29

f) Nachträgliches Erlöschen oder nachträgliche Einschränkung der vorläufigen De- 18 ckung durch Rückwärtsversicherung. Differenziert zu bewerten sind die Fälle der Rückwärtsversicherung, wenn also der Hauptvertrag bei dessen Zustandekommen ab Beginn des materiellen Versicherungsschutzes die vorläufige Deckung rückwirkend ersetzt. Wenn es sich bei dem Hauptvertrag nicht um einen gleichartigen Versicherungsschutz handelt, besteht der Schutz der vorläufigen Deckung (wenn auch gegebenenfalls nur teilweise)30 ohnehin fort. Wenn es sich jedoch um einen gleichartigen Versicherungsschutz handelt (etwa weil nur den Kern des Versicherungsschutzes nicht berührende Risikoausschlüsse und Selbstbehalte hinzugekommen sind) und der VN willentlich und bewusst in Bezug auf den Hauptvertrag eine Rückwärtsversicherung mit diesem Inhalt beantragt hat, beruht die nachträgliche Änderung des Deckungsumfangs auf dem Willen und der Entscheidung des VN. Auch wenn der Deckungsumfang der Rückwärtsversicherung negativ von dem der vorläufigen Deckung abweicht, kann dann die vorläufige Deckung mit dem Beginn des materiellen Versicherungsschutzes aus dem Hauptvertrag erlöschen.31 In Hinblick auf die für den VN bestehende Gefahr, dass in der Zwischenzeit ein Versicherungsfall eingetreten sein kann, der zwar umfänglich unter der vorläufigen Deckung, aber unter dem Hauptvertrag nicht oder nur teilweise gedeckt ist, sind allerdings strenge Anforderungen daran zu stellen, ob der VN wirklich willentlich und bewusst32 und dies in nach den §§ 305 ff. BGB wirksamer Form eine entsprechende Willenserklärung abgegeben hat. Ferner ist eine entsprechende Hinweis- und Beratungspflicht des VR auf die mit der Rückwärtsversicherung verbundenen Gefahren anzunehmen,33 bei deren Verletzung der VN Schadenersatz geltend machen kann und dann so zu stellen ist, als bestünde die vorläufige Deckung für diesen Versichungsfall fort.

Bruck/Möller/Höra9 § 52 Rn. 10. So im Ergebnis wohl auch Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 21. Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 10. Vgl. §§ 163, 164 (Lebensversicherung), § 203 (Krankenversicherung). Vgl. Rn. 45. Vgl. Rn. 11. Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 23; Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 6, 6a; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 57. 32 Siehe auch Rn. 21. 33 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 23; a.A. Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 6a; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Lehmann § 7 Rn. 57, wonach es einer solchen Belehrung nicht bedarf.

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Wenn der vorläufige Deckungsschutz und der Hauptvertrag mit beabsichtigter Rückwärtsversicherung mit gleichem Inhalt beantragt wurden und sich Einschränkungen erst während der Antragsprüfung ergeben, führt dies nur dann zu einem rückwirkenden Erlöschen, wenn der VN einer im Versicherungsschein dokumentierten Abweichung von seinem Antrag trotz Wahrung aller in § 5 zu seinem Schutz vorgeschriebenen Verdeutlichungs- und Belehrungspflichten nicht widerspricht.34 Abweichend ist die Thematik der Rückwärtsversicherung zu beurteilen, wenn die vorläufige 20 Deckung mit Abschluss des Hauptvertrages nur deshalb durch diesen ersetzt wird, weil in dem Antrag für den Hauptvertrag ein bestimmter, in der Zukunft liegender Tag als Versicherungsbeginn des beantragten Versicherungsschutzes angegeben ist und der VR in seiner erst danach erfolgten Annahmeerklärung Deckungsschutz rückwirkend ab diesem Datum verspricht. Falls zuvor gewährte vorläufige Deckung und der Versicherungsschutz aus der Rückwärtsversicherung identisch sind, ergeben sich keine Probleme. Anders ist es aber, wenn der Deckungsschutz aus der Rückwärtsversicherung hinter demjenigen aus der vorläufigen Deckung zurückbleibt. Die für einen eingetretenen, dem VN möglicherweise sogar nicht bekannt gewordenen Versicherungsfall sich daraus ergebenden Rechtsfolgen sind einem durchschnittlichen VN nicht bewusst. Ob deshalb der vorläufige Versicherungsschutz infolge Zustandekommens der (verminderten) rückwärtigen Deckung aus dem Hauptvertrag erlischt und der VN an Stelle eines Deckungsanspruchs aus der vorläufigen Deckungszusage auf eventuelle Schadenersatzansprüche wegen Beratungsverschuldens verwiesen werden kann, erscheint im Hinblick auf die in § 52 zum Ausdruck gebrachten gesetzlichen Wertungen fraglich. In diesem Fall sind die Erklärungen der Parteien im Zweifel so zu werten, dass ein weitergehender Versicherungsschutz der vorläufigen Deckung nicht rückwirkend erlöschen soll.35 19

2. Sonderfall nach Absatz 1 Satz 2 (Beginn des Versicherungsschutzes für den Hauptvertrag oder der weiteren vorläufigen Deckung abhängig von der Zahlung der Prämie) 21 a) Ausgangslage. Üblicherweise wird für die vorläufige Deckung keine gesonderte Prämie erhoben. Stattdessen wird die Risikoübernahme bis zu dem erwarteten Zustandekommen des Hauptvertrages in die dafür kalkulierte Prämie einbezogen. Wird ausnahmsweise die Zahlung einer Versicherungsprämie für die vorläufige Deckung als Voraussetzung für den Beginn des Versicherungsschutzes rechtswirksam vereinbart, bestehen gegen eine solche Regelung keine durchgreifenden Bedenken. Denn es steht dem VR frei, seine Vertragsklauseln innerhalb von Gesetz und rechtlicher Ordnung frei zu vereinbaren. Für die Fälligkeit der Prämien bzw. Verzugsfolgen der vorläufigen Deckung gelten dann die §§ 33 ff. 22 Hiervon abzugrenzen ist der in § 52 Abs. 1 Satz 2 geregelte Fall, dass der Beginn des materiellen36 Versicherungsschutzes nach dem Hauptvertrag oder einer weiteren vorläufigen Deckung von der Zahlung der Prämie für diese (Anschluss-) Deckung abhängig sein soll. In diesem Fall endet der Versicherungsschutz der vorläufigen Deckung vorzeitig, d.h. vor dem Beginn des materiellen Versicherungsschutzes des Hauptvertrags oder einer weiteren vorläufigen Deckung, wenn (1.) der VN mit der Zahlung der geforderten Prämie in Verzug geraten ist und er (2.) auf die ihm drohende Rechtsfolge durch gesonderte Mitteilung in Textform oder – sofern ausgestellt – in dem Versicherungsschein für die vorläufige Deckung in auffälliger Weise aufmerksam gemacht worden ist. Der VN soll davor geschützt werden, dass ein von ihm erwarteter Versicherungsschutz nicht eintritt, sofern ihn kein Verschulden trifft. Andererseits schützt die Regelung

34 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 23. 35 Ähnlich wohl auch Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 22. 36 Vgl. Rn. 6. Schnepp

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den VR davor, dass der VN das Ende des vorläufigen Versicherungsschutzes dadurch hinausschiebt, dass er vorwerfbar seiner Zahlungspflicht nicht nachkommt. Ist der Beginn des materiellen Versicherungsschutzes des Hauptvertrags oder einer weiteren 23 vorläufigen Deckung nicht mit der Prämienzahlung verknüpft, beginnt deren materieller Versicherungsschutz (unbeschadet der Rechte des VR nach § 37) also schon vorher, kommt § 52 Abs. 1 Satz 2 nicht zur Anwendung. In diesem Fall erlischt der Schutz der vorläufigen Deckung nach § 52 Abs. 1 Satz 1. Tritt ein Versicherungsfall nach dem Erlöschen, aber vor Prämienzahlung ein, kann der VR gegebenenfalls nach § 37 Abs. 2 unter dem Hauptvertrag nicht eintrittspflichtig sein – und ist es auch nicht nach der inzwischen erloschenen vorläufigen Deckung. Der VN wird in diesen Fällen durch § 37 Abs. 2 ausreichend geschützt. Bei einer weiteren vorläufigen Deckung, für die eine Prämie vereinbart ist, gilt nicht § 37 Abs. 2, sondern § 51.37

b) Verzug des Versicherungsnehmers mit der Zahlung der Prämie. In § 52 Abs. 1 Satz 2 24 gemeint ist die Erstprämie i.S.v. § 37, also die einmalige oder erste Prämie. Wann diese Erstprämie fällig ist und der VN mit der Zahlung in Verzug ist, ergibt sich aus allgemeinem Recht. Erste Voraussetzung ist, dass ein Vertrag über den Hauptvertrag oder die weitere vorläufige Deckung rechtswirksam zustande gekommen ist. Denn andernfalls fehlt es an der Rechtsgrundlage für die Prämienzahlungspflicht. Ist ein Vertrag (noch) schwebend unwirksam, weil die Annahmeerklärung des VR von dem Antrag des VN abweicht (§ 5), entsteht die Prämienzahlungspflicht erst mit Ablauf der Widerspruchsfrist.38 Zweitens muss der Prämienanspruch fällig geworden sein. Nach § 33 Abs. 1 ist die erste oder einmalige Prämie unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. § 33 Abs. 1 ist dispositiv und lässt abweichende Vereinbarungen zu. Nur muss eine etwa verkürzte Zahlungsfrist zumutbar und angemessen erscheinen und nicht das Verschuldensprinzip des Gesetzes aufweichen.39 Schließlich muss sich der VN in Verzug befinden (§ 286 BGB). Vorwerfbares Verschulden und damit Verzug setzt zum einen voraus, dass dem VN die zu zahlende Erstprämie genau und unterschieden von etwaigen Folgeprämien sowie von Prämien anderweitigen Versicherungsschutzes beziffert worden ist.40 Daran kann es im Einzelfall bereits dann fehlen, wenn die zu zahlende Erstprämie innerhalb einer weitergehenden Prämienanforderung lediglich gesondert ausgewiesen ist.41 Die gesonderte Anforderung der Erstprämie kann jedoch nicht generell gefordert werden. Auch wenn für einen durchschnittlichen VN bei aufmerksamer Durchsicht der an ihn gerichteten Sammelprämienanforderung erkennbar ist, dass die Fortdauer einer ihm eingeräumten vorläufigen Deckung von der rechtzeitigen Zahlung der insoweit verlangten Prämie abhängt, muss dies genügen. Er kann und darf sich nicht stets darauf zurückziehen können, die Prämienanforderung als „undurchsichtig“ zu bezeichnen. Denn wenn er ersehen kann, dass durch Nichtzahlung der dafür geforderten Prämie sein Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung endet, ist er nicht mehr schutzbedürftig. Bei vereinbartem Lastschrifteinzugsverfahren ist gemäß § 33 Abs. 2 notwendig, dass der VN von dem VR dazu in Textform „aufgefordert“ worden ist. An dieser Stelle muss der Hinweis genügen, dass dazu der bloße Lastschrifteinzug nicht ausreicht. Der in § 33 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 zum Ausdruck kommende Schutzgedanke erfordert, dass der Lastschrifteinzug von dem VR rechtzeitig angekündigt ist, d.h. so, dass der VN für hinreichende Deckung auf dem zu belas37 Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 18. 38 Vgl. zum bisherigen Recht BGH 26.4.2006 – IV ZR 248/04, VersR 2006 913, 914; OLG Hamm 12.2.1982 – 20 U 344/81, VersR 1982 1042, 1043. 39 Näher Bruck/Möller/Beckmann § 33 Rn. 76 ff. 40 Vgl. BGH 9.7.1986 – IVa ZR 5/85, VersR 1986 986, 987; OLG Hamm 22.9.1998 – 20 W 21/98, VersR 1999 957; Prölss/Martin/Reiff § 38 Rn. 19; Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 9. 41 So OLG Saarbrücken 14.1.2004 – 5 U 457/03, VersR 2005 215 f. 745

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tenden Konto sorgen kann. Die Ankündigung des Lastschrifteinzugs muss außerdem allen Anforderungen einer dem VN zugeleiteten Erstprämienrechnung genügen.42 Ist dies der Fall, wird der von dem Gesetz gewollte Schutz des VN nicht beeinträchtigt. 29 Verzug setzt außerdem voraus, dass die Zahlung der rechtmäßig geforderten Erstprämie nach Fälligkeit schuldhaft nicht oder nicht fristgerecht erfolgt ist. § 52 Abs. 1 modifiziert die Regelung in § 37 sowie § 286 BGB nicht. In den Fällen des § 33 Abs. 1 kann Verzug 14 Tage nach Zugang des Versicherungsscheins eintreten, ohne dass es einer Mahnung bedarf (§ 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB).43 Zwar fordert § 33 Abs. 1 die Zahlung erst „unverzüglich nach Ablauf der 14 Tage nach Zugang des Versicherungsscheins“. Aber das in „unverzüglich“ liegende Verschuldenselement ist dem Verzug ohnehin immanent (§ 286 Abs. 4 BGB). Nach der Rechtsprechung hat der VN die Nichtzahlung der Prämie z.B. nicht zu vertreten, wenn er krankheitsbedingt an der Zahlung gehindert war44 oder ihm eine missverständliche bzw. fehlerhafte Prämienrechnung45 übermittelt wurde.

30 c) Belehrung durch den Versicherer. Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 verliert der VN die ihm zugesagte vorläufige Deckung bei bloßem Verzug mit der Zahlung der Erstprämie nur, wenn er auf diese Rechtsfolge durch den VR in „gesonderter Mitteilung in Textform“ oder durch einen „auffälligen Hinweis im Versicherungsschein“ aufmerksam gemacht worden ist. Fehlt es daran, bleibt ein Verzug mit einer an sich vertraglich vereinbarten und gerechtfertigten Prämienanforderung folgenlos. Das Gesetz hat damit die vor der VVG-Reform in der Rechtsprechung46 entwickelten Grundsätze übernommen. Soweit das Gesetz eine „gesonderte Mitteilung in Textform“ fordert, folgt daraus zwar nicht 31 die Notwendigkeit einer eigenständigen, von anderen Mitteilungen losgelösten Erklärung. Die Mitteilung kann auch mit anderen Erklärungen des VR verbunden werden. Gesetzeszweck ist eine deutliche Warnung des VN. Deshalb muss der Hinweis drucktechnisch besonders hervorgehoben werden und darf nicht als ein Hinweis unter vielen erscheinen. Er muss dem VN ins Auge fallen.47 Die Belehrung muss inhaltlich umfassend und vollständig sein.48 In ihr muss zum Ausdruck 32 kommen, dass nur vorwerfbare Nichtzahlung oder schuldhaft verspätete Zahlung zum Erlöschen der vorläufigen Deckung führt. Da bei schuldloser Säumnis durch nachträgliche Zahlung der Versicherungsschutz rückwirkend erhalten bleibt, ist auch dies in die Belehrung aufzunehmen.49 Sie muss darüber hinaus Angaben zur Zahlungs- und Widerrufsfrist enthalten.50 Ein diesen Anforderungen an sich genügender Hinweis reicht nicht aus, wenn er sich ledig33 lich im Antragsformular befindet.51 Grund ist, dass dem VN bei Unterzeichnung des Antragsformulars zwar bewusst sein mag, dass er für die Leistung des VR eine Gegenleistung – die Prämie – zu erbringen hat. Über deren genaue Höhe und den Fälligkeitszeitpunkt besagen die 42 Zutreffend OLG Saarbrücken 14.1.2004 – 5 U 457/03, VersR 2005 215 f. 43 So Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 19; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 61; a.A. Maier RuS 2006 485, 489. 44 OLG Stuttgart 27.5.1952 – 3 W 22/52, VersR 1953 18: Prölss/Martin/Reiff § 37 Rn. 17. 45 Vgl. BGH 7.10.1992 – IV ZR 247/91, VersR 1992 1501; BGH 21.12.1977 – IV ZR 21/77, VersR 1978 241, 242. 46 Vgl. etwa BGH 5.6.1985 – IVa ZR 113/83, VersR 1985 981, 983; so schon BGH 4.7.1973 – IV ZR 28/72, VersR 1973 811, 812 f. 47 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 12; Prölss/Martin/Reiff § 37 Rn. 27 m.w.N.; zu diesem Erfordernis bei § 28 BGH 9.1.2013 – ZR 191/11, BGHZ 196 67, 71 ff. 48 Vgl. (zum alten Recht) BGH 26.4.2006 – IV ZR 248/04, VersR 2006 913, 914. 49 Vgl. BGH 26.4.2006 – IV ZR 248/04, VersR 2006 913, 915; OLG Koblenz 3.7.1998 – 10 U 865/97, VersR 1999 1141; OLG Hamm 29.1.1999 – 20 U 159/98, VersR 1999 1229, 1230; OLG Köln 19.8.1997 – 9 U 222/96, VersR 1998 1104, 1106. 50 Vgl. BGH 26.4.2006 – IV ZR 248/04, VersR 2006 913, 914; OLG Hamm 29.1.1999 – 20 U 159/98, VersR 1999 1229, 1230; Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 13. 51 Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 12; Prölss/Martin/Reiff § 37 Rn. 26. Schnepp

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B. Tatbestandsmerkmale des § 52

VVG § 52

Antragsformulare in der Regel jedoch nichts. Erfolgt der Hinweis auf der Rückseite des Versicherungsscheins oder einer Mitteilung, muss auf der Vorderseite darauf aufmerksam gemacht werden.52 Spätester Zeitpunkt, zu dem die Belehrung des VN über die mit der Nichtzahlung oder ver- 34 späteten Zahlung der Erstprämie verbundenen Rechtsfolgen vorgenommen sein muss, ist die Fälligkeit dieser Prämie. Ist deren Einzug im Lastschriftverfahren vereinbart, muss die Belehrung vor dem Versuch des VR, die Prämie per Lastschrift einzuziehen, erfolgt sein. Der VN muss Gelegenheit haben, für eine hinreichende Kontendeckung zu sorgen.53 Da bei dem Lastschriftverfahren der Prämieneinzug entweder vollständig oder überhaupt nicht erfolgt, darf der Lastschriftbeleg nur die Erstprämie eines einzigen Vertrages umfassen, nicht jedoch mehrere; diese Prämie muss richtig berechnet sein.54 Rechtsfolge einer formal oder inhaltlich mangelhaften Belehrung ist, dass der Vertrag über 35 die vorläufige Deckung weder durch den Hauptvertrag noch durch eine anderweitige vorläufige Deckung beendet wird. Die Haftung des VR besteht fort, sofern und solange die vorläufige Deckung nicht von einer Vertragspartei gekündigt wird. Darauf wird sich der VN jedoch dann nach Treu und Glauben nicht berufen und den VR bei Eintritt eines Versicherungsfalles in Anspruch nehmen können, wenn er langfristig keinerlei Prämienzahlung geleistet hat.55 Verzug mit der Prämienzahlung für einen oder wenige Monate reicht dazu nicht aus, da der VR nach der Gesetzessystematik in einem solchen Fall gehalten ist, die vorläufige Deckung nach Absatz 4 zu kündigen.

d) Sonderfall des Erlöschens der vorläufigen Deckung ex tunc. Grundsätzlich bewirkt die 36 schuldhaft nicht rechtzeitige Zahlung des sog. Einlösungsbeitrags lediglich das Erlöschen der vorläufigen Deckung ex nunc. Das Gesetz schließt jedoch nicht aus, dass in den vertraglichen Vereinbarungen vorgesehen wird, dass die vorläufige Deckung rückwirkend ex tunc erlischt. Der noch im Referentenentwurf56 auf Vorschlag der VVG-Kommission vorgesehenen Regelung, dass eine Vereinbarung unwirksam ist, „nach der bei einem Vertrag über vorläufige Deckung bei Verzug des VN mit der Zahlung der Prämie für die vorläufige Deckung oder der einmaligen oder ersten Prämie für den Hauptvertrag die vorläufige Deckung rückwirkend entfällt“, ist der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die vornehmlich in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung bestehende Missbrauchsgefahr nicht gefolgt. Eine vertragliche Vereinbarung, dass der Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung rückwirkend bei Nichtzahlung oder verspäteter Zahlung des sog. Einlösungsbeitrags für den vorläufigen Versicherungsschutz oder den Hauptvertrag erlischt, wie dies § 9 Satz 2 KfzPflVV und die AKB (so B.2.4 AKB 2015) vorsehen, bleibt deshalb auch außerhalb der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung57 zulässig.58 Dem steht insbesondere Absatz 5 nicht entgegen.59 Auf die Gefahr des rückwirkenden Verlusts der vorläufigen Deckung und der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen muss im Rahmen der Belehrungspflicht aber gesondert und hervorgehoben hingewiesen werden. Voraussetzung ist zudem, dass die rückwirkende Deckung in der von dem VN auf Abschluss des Hauptvertrags oder einer weiteren 52 LG Bremen 18.5.1994 – 4 S 125/94, VersR 1995 287. 53 Vgl. OLG Saarbrücken 14.1.2004 – 5 U 457/03, VersR 2005 215, 216. 54 Vgl. OLG Hamm 19.10.1983 – 20 U 1/83, VersR 1984 231; LG Oldenburg 29.4.1986 – 1 S 805/85, VersR 1986 1012, 1013.

55 Vgl. OLG Nürnberg 2.8.2007 – 8 U 988/07, VersR 2008 70, 72; Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 13. 56 RefE S. 73. 57 Näher zu § 9 KfzPflVV und der Regelung in den AKB Bruck/Möller/Koch9 § 9 KfzPflVV Rn. 5 und B AKB 2015 Rn. 32 ff.

58 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 32; Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 52 Rn. 13; Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Karczewski § 52 Rn. 7; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 62; Rixecker ZfS 2007 315; Gitzel VersR 2007 322 ff.; a.A. aber Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 38. 59 So aber Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 38. 747

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§ 52 VVG

Beendigung des Vertrags

vorläufigen Deckung gerichteten Vertragserklärung vorgesehen ist. Ist dieses nicht der Fall, gelten die Regelungen des § 5.60

II. Absatz 2 (Gleichartige Deckung bei einem anderen Versicherer) 1. Entsprechende Geltung von Absatz 1 nach Absatz 2 Satz 1 37 Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 endet der Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung auch, wenn ein gleichartiger Versicherungsschutz durch einen Hauptvertrag oder eine weitere vorläufige Deckung bei einem anderen VR erlangt wird. Das Gesetz hat insoweit die bisherige Rechtsprechung vor der VVG-Reform übernommen.61 Es verweist hinsichtlich der Voraussetzungen, an die das Ende der vorläufigen Deckung geknüpft ist, vollinhaltlich auf die Regelung in Absatz 1. Ein inhaltlicher Unterschied zwischen Erlangung eines gleichartigen Versicherungsschutzes bei demselben oder einem anderen VR besteht nicht. Voraussetzung für die kraft Gesetzes nach Absatz 2 eintretende Beendigung der vorläufigen Deckung ist deshalb, dass der anderweitige Vertrag zustande gekommen ist und materieller Versicherungsschutz aus diesem begonnen hat. 38 Von der Regelung in § 52 Abs. 2, dass der VN während der Zeitdauer einer vorläufigen Deckung bei einem anderen VR gleichartigen Versicherungsschutz erlangt, ist der Fall zu unterscheiden, dass das durch die vorläufige Deckungszusage abgesicherte Risiko bereits zuvor anderweitig in einem Hauptvertrag abgesichert ist. Ursache dafür kann sein, dass der VN den bereits bestehenden Versicherungsschutz übersehen hat, meint, dieser sei nicht ausreichend oder andere, möglicherweise „egoistische“ Zwecke verfolgt. Ungeachtet des Normzwecks kann aus Absatz 2 kein gesetzliches Verbot einer Mehrfachversicherung entnommen werden. Die von dem VN erlangte Mehrfachversicherung ist deshalb nicht nichtig (§ 134 BGB). Maßgebend für die Rechtsfolgen sind vielmehr die §§ 77 ff.62 39 Nach dem Wortlaut verweist Absatz 2 Satz 1 insgesamt auf Absatz 1 und damit auch auf dessen Satz 2, also das Erfordernis, dass der andere VR den VN auf die vorzeitige Beendigung des vorläufigen Versicherungsschutzes spätestens im Fall des Verzugs hinweisen muss, wenn für den Vertrag bei dem anderen VR eine Einlösungsklausel i.S.v. Absatz 1 Satz 2 vereinbart ist. Im Ergebnis ist dies jedoch ohne Relevanz. Der andere VR hat an diesem Hinweis kein Interesse, da er ohnhehin nur nach der neuen Deckung eintrittspflichtig ist. Der VR der vorläufigen Deckung bleibt eintrittspflichtig, bis der neue materielle Versicherungsschutz beginnt oder er den Vertrag kündigt (Absatz 4). Ihn schützt aber (bedingt) Absatz 2 Satz 2.

2. Mitteilungspflicht an den bisherigen Versicherer nach Absatz 2 Satz 2 40 Nach Absatz 2 Satz 2 ist der VN verpflichtet, den Vertragsabschluss dem bisherigen VR unverzüglich mitzuteilen. Die kraft Gesetzes ab Beginn des materiellen Versicherungsschutzes aus dem neuen Vertrag automatisch eintretende Beendigung der vorläufigen Deckungszusage des bisherigen VR wird von einer Verletzung der Mitteilungspflicht nicht berührt.63 Die Vorschrift will eine Mehrfachversicherung ausschließen. Diesem Normzweck würde es zuwiderlaufen, wenn der VN durch Verstoß gegen seine Mitteilungspflicht für einen bestimmten Zeitraum sowohl bei dem bisherigen (bei diesem aufgrund dessen irriger Vorstellung, er sei noch eintrittspflichtig) als auch bei dem neuen VR Versicherungsschutz erlangen würde. 60 Nur im Ergebnis daher zutreffend AG Essen 14.6.2011 – 12 C 5/11, BeckRS 2011 22472. 61 Vgl. BGH 25.1.1995 – IV ZR 328/93, VersR 1995 409, 410; zu § 52 Abs. 2 AG Bremen 11.1.2011 – 4 C 332/10, BeckRS 2011 5102. 62 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 16; Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 14. 63 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 52 Rn. 5. Schnepp

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B. Tatbestandsmerkmale des § 52

VVG § 52

Auch wenn das Gesetz keine unmittelbare Rechtsfolgen an die Verletzung der Mitteilungs- 41 pflicht durch den VN knüpft, bleibt diese nicht folgenlos. Der VN macht sich schadenersatzpflichtig (§ 280 BGB), sofern dem bisherigen oder dem neuen VR aus der Verletzung der Mitteilungspflicht ein Schaden entstehen sollte.64

III. Absatz 3 (Widerruf des Vertrages und Widerspruch zu Antragsänderungen) Der VN kann das endgültige Zustandekommen des angestrebten Hauptvertrages in den Fällen 42 des § 5 durch Widerspruch oder einen an sich bereits rechtswirksam zustande gekommenen Vertrag gemäß § 8 durch Widerruf beenden. Absatz 3 modifiziert für diese Fallkonstellationen Absatz 1. Absatz 3 gilt jedoch nicht in den Fällen von Absatz 2, wenn also der VN den Hauptvertrag mit einem anderen VR abschließt.65

1. Widerruf des Hauptvertrags nach § 8 Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 kann der VN seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen, in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung gemäß § 152 Abs. 1 innerhalb von 30 Tagen, gegenüber dem VR widerrufen. Dieses Widerrufsrecht besteht nach § 8 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nicht in Bezug auf einen Vertrag über vorläufige Deckung, es sei denn, es handelt sich insoweit um einen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312c BGB. Außerdem sind gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Verträge mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat von dem Widerrufsrecht ausgenommen, wozu auch Verträge über vorläufigen Deckungsschutz gehören können.66 Kommt der Hauptvertrag mit dem VR, mit dem der Vertrag über vorläufige Deckung besteht, aufgrund Ausübung des Widerrufsrechtes durch den VN nicht zustande, endet der Vertrag über die vorläufige Deckung nach Absatz 3 „spätestens“ mit dem Zugang des Widerrufs bei dem VR. Das Wort „spätestens“ beinhaltet, dass die vorläufige Deckung aus anderen Rechtsgründen auch zuvor beendet sein kann, wenn also eine frühere Beendigung rechtswirksam vereinbart war oder eingetreten ist. Dies kann durch eine rechtswirksam vereinbarte zeitliche Befristung geschehen sein. Von vorheriger Beendigung im Sinne des Gesetzes ist auch dann auszugehen, wenn ein noch mit dem Widerrufsrecht des VN belasteter adäquater Hauptvertrag zustande gekommen ist.67 Hiergegen könnte zwar argumentiert werden, die Regelung in Absatz 3 („endet“) werde so für den Fall des § 8 weitgehend gegenstandslos.68 Betrachtet man die verschiedenen Fallgruppen, so zeigt sich, dass zum einen ein relevanter Anwendungsbereich verbleibt und zum anderen der VN ausreichend geschützt ist. Beginnt der materielle Versicherungsschutz des Hauptvertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist, endet der Schutz der vorläufigen Deckung nach Absatz 1 Satz 1. Widerruft der VN danach, hat er bis dahin lückenlosen Versicherungsschutz. Es ist seine Entscheidung, ob er widerruft; schützenswert ist er nicht. Soll der materielle Versicherungsschutz des Hauptvertrags mit oder nach Ablauf der Widerrufsfrist enden, ist Absatz 3 anwendbar. Absatz 3 gilt entsprechend, wenn der VN nicht seine Vertragserklärung widerruft, sondern (soweit noch möglich) die Rücknahme seiner auf den Vertragsschluss des Hauptvertrags gerichtete Willenserklärung zurücknimmt.69

64 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 15; Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 16; Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 52 Rn. 5. 65 Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 28; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 52 Rn. 12. 66 Näher Bruck/Möller/Knops § 8 Rn. 11 ff., 82 ff., 85. 67 Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 17; Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 54. 68 So Bruck/Möller/Höra9 § 52 Rn. 20. 69 RegE S. 75; Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 17. 749

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2. Widerspruch wegen Abweichungen vom Antrag nach § 5 47 Sofern das Zustandekommen des beabsichtigten Hauptvertrages durch einen rechtzeitigen Widerspruch des VN gegen im Versicherungsschein dokumentierte Abweichungen von seinem Antrag scheitert (§ 5 Abs. 1 und 2), sieht Absatz 3 ebenfalls das automatische Ende der vorläufigen Deckung mit Zugang des Widerspruchs bei dem VR vor. Wenn bedacht wird, dass die vorläufige Deckung zwar ein selbständiger Versicherungsvertrag ist, aber – für den VN erkennbar – nur den Zeitraum bis zu dem materiellen Versicherungsschutz aus dem beantragten Hauptvertrag überbrücken soll, wird er durch die automatische Beendigung der vorläufigen Deckung mit Zugang seines Widerspruchs bei dem VR nicht unangemessen benachteiligt. Er kann vernünftigerweise nicht erwarten, dass ihm weiterhin vorläufige Deckung gewährt wird, wenn der VR sich außerstande sieht, den gestellten Versicherungsantrag unverändert anzunehmen und die einschränkenden Bedingungen von dem VN abgelehnt werden. Zudem kann sich der VN während des Laufs der Widerspruchsfrist bei einem anderen VR um eine seinen Vorstellungen entsprechende anderweitige vorläufige Deckungszusage bemühen.70 48 Soweit Bedenken gegen die Regelung in Absatz 3 mit der Begründung erhoben worden sind, nach deren Wortlaut ende der Vertrag über die vorläufige Deckung in jedem Fall mit dem Zugang des Widerrufs oder des Widerspruchs, was für den VN in bestimmten Fällen problematisch sei, etwa wenn er nur wegen unzutreffender Angaben im Versicherungsschein (des Hauptvertrags) Widerspruch einlege, grundsätzlich aber an dem Versicherungsantrag festhalten wolle,71 sind diese zwar nachvollziehbar. Sie sind jedoch nicht überzeugend. Denn der VN hat es allein in der Hand, ob er sich zu Verhandlungen mit dem VR entschließt oder Widerspruch mit den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen einlegt. Er kann zudem während des Laufs der Widerspruchsfrist Verhandlungen mit einem anderen VR aufnehmen, um sich einen ihm genehmen Versicherungsschutz zu verschaffen. Der in Absatz 3 zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzes, die nach dem früheren Rechtszustand bestehenden Streitfragen zum Ende der vorläufigen Deckung so weit als möglich endgültig zu regeln, lässt es nicht zu, dass die Rechtsfolge des Widerspruchs nicht mit dem nachprüfbaren Zugang des Widerspruchs endet, sondern nur bei endgültigem Scheitern (wie dieses auch immer festgestellt werden soll) des Hauptvertrages.72

IV. Absatz 4 (Kündigung der vorläufigen Deckung) 49 Wenn der Vertrag über die vorläufige Deckung nicht zulässigerweise73 aufgrund einer Befristung74 endet, ist er nach allgemeinem Recht auf unbestimmte Zeit geschlossen. Sofern auch keine Beendigung kraft Gesetzes gemäß Absätze 1 bis 3 eintritt, endet er deshalb nach Absatz 4 erst und nur durch Kündigung. Die Kündigung der vorläufigen Deckungszusage steht nach dem Gesetz beiden Vertragsparteien offen.

1. Kündigungsfrist 50 Eine Kündigungsfrist sieht Absatz 4 nicht vor. Die Kündigung wird vornehmlich aufgrund seiner Interessenlage durch den VR erfolgen und auch erfolgen müssen, wenn es nicht zu dem Abschluss einer risikoadäquaten anderweitigen vorläufigen Deckung oder eines entsprechenden Hauptvertrages kommt und damit zu einem auf gesetzlicher Grundlage (Absätze 1 bis 3) beru70 71 72 73 74

Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 18. Vgl. Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 52 Rn. 6 f. Vgl. auch Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 18. Vgl. Rn. 57. Vgl. RegE S. 75.

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henden Ende des Vertrages. Selbstverständlich kann dies zu Gunsten des VN in den Versicherungsbedingungen abweichend geregelt werden. Nur Regelungen, die zu Lasten des VN gehen, sind durch Absatz 5 ausgeschlossen. Da Absatz 4 eine Kündigungsfrist nicht vorsieht, ist die Kündigung der vorläufigen De- 51 ckungszusage jederzeit, d.h. ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist möglich. Sie darf lediglich nach allgemeinem Recht nicht zur Unzeit oder aus sittenwidrigen Motiven erfolgen.75 Sofern der VR kündigt, ist bei der Bewertung, ob die Kündigung zur Unzeit oder aus sittenwidrigen Motiven erfolgt ist, vorrangig die Schutzfrist von zwei Wochen zu berücksichtigen, die § 52 Abs. 4 Satz 2 zu Gunsten des VN vor Erlöschen des Versicherungsschutzes statuiert. Eine Begründung der Kündigung ist nicht erforderlich. Da die Kündigung ein Gestaltungs- 52 recht ist, kann sie nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden. Die Rechtspraxis akzeptiert jedoch trotz systematischer Bedenken solche Bedingungen, deren Verwirklichung allein in der Hand des VN liegt, wie etwa die Formulierung, dass der VR „vorsorglich“ die Kündigung der vorläufigen Deckung für den Fall ausspricht, dass der VN eine ihm angetragene Abweichung des beantragten (Haupt-)Versicherungsschutzes von seinem Antrag nicht hinnehmen will.76 Die Kündigung ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Sie kann deshalb rechtswirk- 53 sam auch mündlich erklärt werden. Nur muss derjenige, der sich zur Wahrung seiner Interessen auf die Kündigung der vorläufigen Deckung beruft, diese nachweisen.

2. Rechtsfolge der Kündigung: Erlöschen des Deckungsschutzes der vorläufigen Deckung Bei Kündigung der vorläufigen Deckung durch den VN, was nur ausnahmsweise in Betracht 54 kommen dürfte, erlischt der Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung mit Zugang der Erklärung des VN bei dem VR, wenn sich aus der Kündigungserklärung nicht etwas anderes ergibt. Kündigt dagegen der VR den Vertrag über die vorläufige Deckung, sieht das Gesetz zu seinen Gunsten eine Schutzfrist von zwei Wochen ab Zugang der Kündigung bei dem VN vor. Ihm soll Gelegenheit gegeben werden, sich innerhalb dieser Frist, die letztlich ein Hinausschieben des Wirksamwerdens der Kündigung über deren Zugang bei dem VN bedeutet, sich anderweitig um den gewünschten Deckungsschutz zu bemühen, bevor die Zusage des VR endet.77

3. Recht auf außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB Die Regelung in Absatz 4 lässt das – faktisch nur für den VR relevante – Recht auf außerordent- 55 liche Kündigung aus dogmatischer Sicht unberührt. Es dürfte hierfür jedoch kaum ein Anwendungsbereich verbleiben, weil die versicherungsrechtlichen Spezialregelungen (etwa §§ 19 ff. und 28) vorgehen.78

4. Rechtslage bei befristeter vorläufiger Deckung Absatz 4 gilt nur für unbefristete vorläufige Deckungen. Ist die vorläufige Deckung ausnahms- 56 weise und zulässigerweise befristet, ist Absatz 4 nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzge-

75 76 77 78 751

Vgl. Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 91 m.w.N. Vgl. Langheid/Wandt/Rixecker § 52 Rn. 27. So schon zu dem bisherigen Recht Römer/Langheid2 vor § 1 Rn. 36, 38. Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 33; Looschelders/Pohlmann/Kammerer-Galahn § 52 Rn. 11. Schnepp

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bers auch nicht analog anwendbar.79 Den Parteien steht dann also allenfalls – in engen Grenzen – das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB zu. 57 Allerdings ist dies faktisch nur für invidualvertraglich ausgehandelte Befristungen relevant. Durch AVB vereinbarte Befristungen sind in der Regel wegen Gefährdung des Vertragszwecks nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam.80

C. Abdingbarkeit 58 Die gesamten Bestimmungen in § 52 sind gemäß Absatz 5 halbzwingend. Sie dürfen nicht zu Lasten des VN durch anderweitige vertragliche Regelungen abgeändert werden. Klauseln, die automatisch den Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung auf einen 59 bestimmten maximalen Zeitraum ohne Rücksicht darauf begrenzen, inwieweit VR oder VN es zu vertreten haben, dass ein mit der vorläufigen Deckung verbundener beabsichtiger Hauptvertrag nicht innerhalb eines von vornherein festgelegten Deckungszeitraums des vorläufigen Versicherungsschutzes zustande kommt,81 widersprechen dem Gesetz und sind unwirksam. Kein Verstoß gegen Absatz 5 liegt dann vor, wenn der rückwirkende Wegfall der vorläufigen 60 Deckung im Fall des Prämienverzugs vereinbart ist.82

D. Beweislast 61 Beweisbelastet für die in § 52 normierten Voraussetzungen des Erlöschens der vorläufigen Deckung ist nach allgemeinem Beweisrecht die Partei, zu deren Gunsten sich das Erlöschen auswirkt. Das ist in der Regel der VR. Wenn sich der VR etwa auf Erlöschen des Versicherungsschutzes aus einer zugesagten vorläufigen Deckung wegen Beginns des materiellen Versicherungsschutzes aus dem Hauptvertrag oder einer weiteren vorläufigen Deckungszusage beruft, muss er deren Zustandekommen und den vor Eintritt des Versicherungsfalles eingetretenen materiellen Versicherungsbeginn aus dem Hauptvertrag oder der weiteren vorläufigen Deckung darlegen und gegebenenfalls beweisen. Er muss auch darlegen und beweisen, dass die Zahlung der Erstprämie verspätet erfolgt ist und der VN hinreichend und rechtzeitig belehrt wurde.83 Wenn sich der VN darauf beruft, dass er die nicht rechtzeitige Zahlung der Erstprämie des 62 Hauptvertrags oder einer weiteren vorläufigen Deckung nicht verschuldet hat, muss er sein Unverschulden substantiiert darlegen und gegebenenfalls auch beweisen (§ 286 Abs. 4 BGB).84

79 RegE S. 75. 80 So BGH 3.4.1996 – IV ZR 152/95, VersR 1996 743 (für eine zweimonatige Befristung in der vorläufigen Deckung der Lebensversicherung); Prölss/Martin/Klimke § 52 Rn. 35; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Karczewski § 52 Rn. 15. 81 Vgl. Rn. 13 f. 82 Umstritten, vgl. Rn. 36. 83 Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 86. 84 Beckmann/Matusche-Beckmann/Lehmann § 7 Rn. 86. Schnepp

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Anh. zu § 52 Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft (GDV) für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung, Stand: 14.10.2009 (Antragsverfahren) bzw. 23.8.2010 (Invitatioverfahren)1

Übersicht Teil 1: Antragsverfahren

Teil 2: Invitatioverfahren

Allgemeine Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung

Allgemeine Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung LVIVAB

Teil 1: Antragsverfahren Stand: 14.10.2009 Diese Bedingungen sind für die Versicherer unverbindlich; ihre Verwendung ist rein fakultativ. Abweichende Bedingungen können verwendet werden. Anmerkung: Die Formulierungen des beigefügten Dokuments passen ausschließlich für das Antragsverfahren. Wählt der Versicherer das Invitatio-Verfahren, sind entsprechenden Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung für das Anfrageverfahren einschlägig.

Allgemeine Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde, mit den nachfolgenden Bedingungen wenden wir uns an Sie als Antragsteller und künftigen Versicherungsnehmer. § 1 Was ist vorläufig versichert? (1)

(2)

Der vorläufige Versicherungsschutz erstreckt sich auf die für den Todesfall beantragten Leistungen. Wenn Sie eine Unfall-Zusatzversicherung beantragt haben, zahlen wir zusätzlich die Unfallversicherungssumme, wenn ein Unfall a) während der Dauer des vorläufigen Versicherungsschutzes eingetreten ist und b) innerhalb eines Jahres nach dem Unfalltage zum Tode der versicherten Person führt. Aufgrund des vorläufigen Versicherungsschutzes zahlen wir einschließlich der Leistungen aus einer UnfallZusatzversicherung höchstens … Euro, auch wenn Sie höhere Leistungen beantragt haben. Diese Begrenzung gilt auch dann, wenn mehrere Anträge auf das Leben derselben Person bei uns gestellt worden sind.

§ 2 Unter welchen Voraussetzungen besteht vorläufiger Versicherungsschutz? Sofern nichts anderes vereinbart ist, ist Voraussetzung für den vorläufigen Versicherungsschutz, dass a) der beantragte Versicherungsbeginn nicht später als … nach der Unterzeichnung des Antrags liegt;

1 Beide Fassungen werden inzwischen (Stand September 2021) nicht mehr durch den GDV auf der Webseite vorgehalten. 753 https://doi.org/10.1515/9783110522624-038

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Anh. zu § 52 VVG

b)

c) d) e)

Anhang

uns eine Ermächtigung zum Beitragseinzug erteilt worden ist. Bei Vermögensbildungsversicherungen reicht es aus, wenn uns der „Antrag auf Überweisung vermögenswirksamer Leistungen durch den Arbeitgeber“ vorliegt; Sie das Zustandekommen der beantragten Versicherung nicht von einer besonderen Bedingung abhängig gemacht haben; Ihr Antrag nicht von den von uns gebotenen Tarifen und Bedingungen abweicht; die versicherte Person bei Unterzeichnung des Antrags das … Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

§ 3 Wann beginnt und endet der vorläufige Versicherungsschutz? (1) (2)

(3)

Der vorläufige Versicherungsschutz beginnt mit dem Tag, an dem Ihr Antrag bei uns eingeht, spätestens jedoch mit dem … Tag nach der Unterzeichnung des Antrages. Soweit nichts anderes vereinbart ist, endet der vorläufige Versicherungsschutz, wenn a) der Versicherungsschutz aus der beantragten Versicherung begonnen hat; b) Sie Ihren Antrag angefochten oder zurückgenommen haben; c) Sie von Ihrem Widerrufsrecht nach § 8 VVG Gebrauch gemacht haben; d) Sie einer Ihnen gemäß § 5 Abs. 1 und 2 VVG mitgeteilten Abweichung des Versicherungsscheins von Ihrem Antrag widersprochen haben; e) der Einzug des Einlösungsbeitrages aus von Ihnen zu vertretenden Gründen nicht möglich war oder dem Einzug widersprochen worden ist, sofern wir Sie durch geson-derte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungs-schein auf diese Rechtsfolge aufmerksam gemacht haben. Jede Vertragspartei kann den Vertrag über den vorläufigen Versicherungsschutz ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Unsere Kündigungserklärung wird jedoch erst nach Ablauf von zwei Wochen nach Zugang bei Ihnen wirksam.

§ 4 In welchen Fällen ist der vorläufige Versicherungsschutz ausgeschlossen? (1)

(2)

(3)

(4)

Unsere Leistungspflicht ist ausgeschlossen für die Versicherungsfälle aufgrund von Ursachen, nach denen im Antrag gefragt ist und von denen die versicherte Person vor seiner Unterzeichnung Kenntnis hatte, auch wenn diese im Antrag angegeben wurden. Dies gilt nicht für Umstände, die für den Eintritt des Versicherungsfalls nur mitursächlich geworden sind. Bei vorsätzlicher Selbsttötung der versicherten Person besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn uns nachgewiesen wird, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Bei Ableben der versicherten Person in unmittelbarem und mittelbarem Zusammenhang mit kriegerischen Ereignissen oder inneren Unruhen entfällt unsere Leistungspflicht, wenn die versicherte Person auf Seiten der Unruhestifter teilgenommen hat. Bei Ableben der versicherten Person in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit dem vorsätzlichen Einsatz von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen oder dem vorsätzlichen Einsatz oder der vorsätzlichen Freisetzung von radioaktiven, bio-logischen oder chemischen Stoffen entfällt unsere Leistungspflicht, sofern der Einsatz oder das Freisetzen darauf gerichtet sind, das Leben einer Vielzahl von Personen zu gefährden.

§ 5 Was kostet Sie der vorläufige Versicherungsschutz? Für den vorläufigen Versicherungsschutz erheben wir zwar keinen besonderen Beitrag. Erbringen wir aber Leistungen aufgrund des vorläufigen Versicherungsschutzes, behalten wir ein Entgelt ein. Das Entgelt entspricht dem Beitrag für einen Beitragszahlungsabschnitt. Bei Einmalbeitragsversicherungen ist dies der einmalige Beitrag. Wir berechnen Ihnen jedoch nicht mehr als den Tarifbeitrag für die Höchstsumme gemäß § 1 Abs. 2. Bereits gezahlte Beträge rechnen wir an.2 Bemerkung Bei Tarifen, bei denen im Leistungsfall der Beitrag für das erste Versicherungsjahr des beantragten Versicherungsvertrages zu zahlen ist, lautet § 5 wie folgt:

2 [Anm.: Fussnote 1 im Original] Es kann auch ein Betrag bis zur Höhe des Beitrages für die Zeit vom Beginn des vorläufigen Versicherungsschutzes bis zum Ende des Monats gewählt werden, in dem der Versicherungsfall eintritt. Schnepp

754

Teil 2: Invitatioverfahren

VVG Anh. zu § 52

Für den vorläufigen Versicherungsschutz erheben wir zwar keinen gesonderten Beitrag. Erbringen wir aber Leistungen aufgrund des vorläufigen Versicherungsschutzes, behalten wir ein Entgelt ein. Das Entgelt entspricht dem Beitrag für das erste Versicherungsjahr des beantragten Versicherungsvertrages. Bei Einmalbeitragsversicherungen ist dies der einmalige Beitrag. Wir berechnen jedoch nicht mehr als den Tarifbeitrag für die Höchstsumme gemäß § 1 Abs. 2. Bereits gezahlte Beträge rechnen wir an. § 6 Wie ist das Verhältnis zur beantragten Versicherung und wer erhält die Leistungen aus dem vorläufigen Versicherungsschutz? (1)

(2)

Soweit in diesen Bedingungen nichts anderes bestimmt ist, finden die Allgemeinen und Besonderen Bedingungen für die beantragte Versicherung Anwendung, einschließlich derjenigen für eine mitbeantragte Unfall-Zusatzversicherung. Dies gilt insbesondere für die dort enthaltenen Einschränkungen und Ausschlüsse. Eine Überschussbeteiligung erfolgt jedoch nicht. Haben Sie im Antrag ein Bezugsrecht festgelegt, gilt dieses auch für die Leistungen aus dem vorläufigen Versicherungsschutz.

Teil 2: Invitatioverfahren Stand: 23.8.2010 Diese Bedingungen sind für die Versicherer unverbindlich; ihre Verwendung ist rein fakultativ. Abweichende Bedingungen können verwendet werden. Anmerkung: Die Formulierungen des beigefügten Dokuments passen ausschließlich für das Invitatio-Verfahren und nur für den Fall, dass der Versicherer bereits ab Zugang der Anfrage vorläufigen Versicherungsschutz gewährt. Wählt der Versicherer das Antragsverfahren, sind die entsprechenden Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung für das Antragsverfahren einschlägig. Wählt der Versicherer einen anderen Zeitpunkt für den Beginn des vorläufigen Versicherungsschutzes, sind die Bedingungen entsprechend anzupassen.

Allgemeine Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung LVIVAB Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde, mit den nachfolgenden Bedingungen wenden wir uns an Sie als Anfragenden und künftigen Versicherungsnehmer. § 1 Was ist vorläufig versichert? (1)

(2)

Der vorläufige Versicherungsschutz erstreckt sich auf die für den Todesfall vorgesehen3 Leistungen der Versicherungsanfrage. Wenn Sie eine Versicherungsanfrage für eine Unfall-Zusatzversicherung gestellt haben, zahlen wir zusätzlich die Unfallversicherungssumme, wenn ein Unfall a) während der Dauer des vorläufigen Versicherungsschutzes eingetreten ist und b) innerhalb eines Jahres nach dem Unfalltage zum Tode der versicherten Person führt. Aufgrund des vorläufigen Versicherungsschutzes zahlen wir einschließlich der Leistungen aus einer Unfall-Zusatzversicherung höchstens … Euro, auch wenn Ihre Versicherungsanfrage höhere Leistungen vorsieht. 2Diese Begrenzung gilt auch dann, wenn mehrere Versicherungsanfragen auf das Leben derselben Person bei uns gestellt worden sind.

§ 2 Unter welchen Voraussetzungen besteht vorläufiger Versicherungsschutz? Sofern nichts anderes vereinbart ist, ist Voraussetzung für den vorläufigen Versicherungsschutz, dass

3 Anm. des Autors: Es müsste wohl „vorgesehenen“ heißen. 755

Schnepp

Anh. zu § 52 VVG

a) b)

c) d) e)

Anhang

der in der Versicherungsanfrage vorgesehene Versicherungsbeginn nicht später als … nach der Unterzeichnung der Versicherungsanfrage liegt; uns eine Ermächtigung zum Beitragseinzug erteilt worden ist. Bei Vermögensbildungsversicherungen reicht es aus, wenn uns der „Antrag auf Überweisung vermögenswirksamer Leistungen durch den Arbeitgeber“ vorliegt; Sie das Zustandekommen der Hauptversicherung nicht von einer besonderen Bedingung abhängig gemacht haben; Ihre Versicherungsanfrage nicht von den von uns gebotenen Tarifen und Bedingungen abweicht; die versicherte Person bei Unterzeichnung der Versicherungsanfrage das … Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

§ 3 Wann beginnt und endet der vorläufige Versicherungsschutz? (1) (2)

(3)

Der vorläufige Versicherungsschutz beginnt mit dem Tag, an dem Ihre Versicherungsanfrage bei uns eingeht, spätestens jedoch mit dem … Tag nach der Unterzeichnung der Versicherungsanfrage. Soweit nichts anderes vereinbart ist, endet der vorläufige Versicherungsschutz, wenn a) der Versicherungsschutz aus der Hauptversicherung begonnen hat; b) Sie Ihre Vertragserklärung angefochten oder zurückgenommen haben; c) Sie von Ihrem Widerrufsrecht nach § 8 VVG Gebrauch gemacht haben; d) Sie uns mitteilen, dass Sie am Abschluss der Hauptversicherung kein Interesse mehr haben; e) der Einzug des Einlösungsbeitrages aus von Ihnen zu vertretenden Gründen nicht möglich war oder dem Einzug widersprochen worden ist, sofern wir Sie durch gesonderte Mitteilung in Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge aufmerksam gemacht haben. Jede Vertragspartei kann den Vertrag über den vorläufigen Versicherungsschutz ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Unsere Kündigungserklärung wird jedoch erst nach Ablauf von zwei Wochen nach Zugang bei Ihnen wirksam.

§ 4 In welchen Fällen ist der vorläufige Versicherungsschutz ausgeschlossen? (1)

(2)

(3)

(4)

Unsere Leistungspflicht ist ausgeschlossen für die Versicherungsfälle aufgrund von Ursachen, nach denen in der Versicherungsanfrage gefragt ist und von denen die versicherte Person vor ihrer Unterzeichnung Kenntnis hatte, auch wenn diese in der Versicherungsanfrage angegeben wurden. Dies gilt nicht für Umstände, die für den Eintritt des Versicherungsfalls nur mitursächlich geworden sind. Bei vorsätzlicher Selbsttötung der versicherten Person besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn uns nachgewiesen wird, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Bei Ableben der versicherten Person in unmittelbarem und mittelbarem Zusammenhang mit kriegerischen Ereignissen oder inneren Unruhen entfällt unsere Leistungspflicht, wenn die versicherte Person auf Seiten der Unruhestifter teilgenommen hat. Bei Ableben der versicherten Person in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit dem vorsätzlichen Einsatz von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen oder dem vorsätzlichen Einsatz oder der vorsätzlichen Freisetzung von radioaktiven, biologischen oder chemischen Stoffen entfällt unsere Leistungspflicht, sofern der Einsatz oder das Freisetzen darauf gerichtet sind, das Leben einer Vielzahl von Personen zu gefährden.

§ 5 Was kostet Sie der vorläufige Versicherungsschutz? Für den vorläufigen Versicherungsschutz erheben wir zwar keinen besonderen Beitrag. Erbringen wir aber Leistungen aufgrund des vorläufigen Versicherungsschutzes, behalten wir ein Entgelt ein. Das Entgelt entspricht dem Beitrag für einen Beitragszahlungsabschnitt. Bei Einmalbeitragsversicherungen ist dies der einmalige Beitrag. Wir berechnen Ihnen jedoch nicht mehr als den Tarifbeitrag für die Höchstsumme gemäß § 1 Abs. 2. Bereits gezahlte Beträge rechnen wir an.4

4 [Anm: Fussnote 1 im Original] Es kann auch ein Betrag bis zur Höhe des Beitrages für die Zeit vom Beginn des vorläufigen Versicherungsschutzes bis zum Ende des Monats gewählt werden, in dem der Versicherungsfall eintritt. Schnepp

756

Teil 2: Invitatioverfahren

VVG Anh. zu § 52

Bemerkung Bei Tarifen, bei denen im Leistungsfall der Beitrag für das erste Versicherungsjahr des beantragten Versicherungsvertrages zu zahlen ist, lautet § 5 wie folgt: Für den vorläufigen Versicherungsschutz erheben wir zwar keinen gesonderten Beitrag. Erbringen wir aber Leistungen aufgrund des vorläufigen Versicherungsschutzes, behalten wir ein Entgelt ein. Das Entgelt entspricht dem Beitrag für das erste Versicherungsjahr des beantragten Versicherungsvertrages. Bei Einmalbeitragsversicherungen ist dies der einmalige Beitrag. Wir berechnen jedoch nicht mehr als den Tarifbeitrag für die Höchstsumme gemäß § 1 Abs. 2. Bereits gezahlte Beträge rechnen wir an. § 6 Wie ist das Verhältnis zur Hauptversicherung und wer erhält die Leistungen aus dem vorläufigen Versicherungsschutz? (1)

(2)

757

1

Soweit in diesen Bedingungen nichts anderes bestimmt ist, finden die Allgemeinen und Besonderen Bedingungen für die Hauptversicherung Anwendung, einschließlich derjenigen für eine Unfall-Zusatzversicherung, soweit für diese eine Versicherungsanfrage gestellt wurde. Dies gilt insbesondere für die dort enthaltenen Einschränkungen und Ausschlüsse. Eine Überschussbeteiligung erfolgt jedoch nicht. Haben Sie in der Versicherungsanfrage ein Bezugsrecht benannt, gilt dieses auch für die Leistungen aus dem vorläufigen Versicherungsschutz.

Schnepp

Abschnitt 6 Laufende Versicherung Vorbemerkung zu §§ 53 bis 58 Schrifttum Abele Transporthaftungsversicherung und laufende Versicherung nach § 210 VVG, FS Thume (2009); Ahrens Die Gefahrdeckung in der deutschen und englischen Seeversicherung, Diss. Hamburg 1957; Alff Fracht-, Lager- und Speditionsrecht, 2. Aufl. (1991); v. Ammon Betrachtungen zur Kreditversicherung, VersR 1978 1086; Basedow Der Transportvertrag (1987); Bensa Il contratto di assicurazione nel medio evo (1884); Berliner Einheitsversicherung und laufende Versicherung, Jur. Rundschau für die Privatversicherung 1931 249; Bruck Versicherungsvertrag, 6. Aufl. (1929) (zit. Bruck6); ders. Zum Begriff des Interesses im Versicherungsrecht, Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben 1929 (zit. Bruck Rechtsleben); Ehlers Auswirkungen der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) auf das Transportversicherungsrecht, TranspR 2007 5; Ehrenberg Die gesetzliche Regelung der laufenden Versicherung, ZVersWiss 1903 203; Ehrenberg Versicherungsrecht Bd. 1 (1893); Ehrensperger Der laufende Versicherungsvertrag in der Seetransportversicherung, besonders seine Rechtsnatur, Diss. Zürich 1944; Ehrenzweig Deutsches (Österreichisches) Versicherungsvertragsrecht (1952); Enge Erläuterungen zu den ADS Güterversicherung 1973 und dazugehörigen DTV-Klauseln (1973); Enge/Schwampe Transportversicherung, 4. Aufl. (2012); Gerhard/Hagen Kommentar zum Deutschen Reichsgesetz über den Versicherungs-Vertrag (1908); Hagen Das Versicherungsrecht, Bd. 8, II. Abteilung des Handbuchs des gesamten Handelsrechts, hrsg. von Ehrenberg (1922); Hagen Seeversicherungsrecht, 1938; Helberg Prämienzahlung bei Generalpolicen der Transportversicherung, VW 1950 32; Herzog Die Praxis der Transport-Versicherung, (1909); Jansen Die Versicherung von Messegut, Diss. Köln 1973; Kisch Handbuch des Privatversicherungsrechts, Bd. II + III (1920/1922); Kluge Die von Haus-zu-Haus-Klauseln in der Seeversicherung unter Mitberücksichtigung des englischen und des französischen Rechts, Diss. Hamburg 1959; Koller Transportrecht, 10. Aufl. (2020); v. Kottwitz Die laufende Versicherung, Diss. Hamburg 1976; Krien/Hay Die Allgemeinen Deutschen Spediteur Bedingungen (ADSp) (1959); Langheid Die laufende Versicherung, FS Wälder (2009) 23; Lensing Die Ausstellungsversicherung unter besonderer Berücksichtigung des Messewesens, Diss. Karlsruhe 1991; Lewis Lehrbuch des Versicherungsrechts (1889); Manes Versicherungswesen, 2. Bd.: Güterversicherung, 5. Aufl. (1931); Marlow/Spuhl Das neue VVG kompakt, 4. Auflage (2010); Martin A., Montageversicherung (1972); Martin H., Die „Maxima“ in der Transport- und Lager-Versicherung, Versicherungspraxis 1928 47; Martin H., Die Bedeutung der Versicherungsanmeldung bei laufenden Policen und bei Mantelverträgen, Versicherungspraxis 1935 99; Möhrle Laufende Versicherung, Diss. Hamburg 1994; Moldenhauer Die laufende Versicherung, Diss. Göttingen 1899; Möller Die Transportversicherung bei aufeinanderfolgender Land-, See- und/oder Luftbeförderung, Sonderdruck aus den Deutschen Landesreferaten zum III. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in London 1960 588; Mürl Die laufende Versicherung, Diss. Erlangen 1929; Pörschke Die private Ausfuhrkreditversicherung, Diss. Karlsruhe 1991; Ritter/ Abraham Das Recht der Seeversicherung, 2. Aufl. (1967); Schlegelberger Seeversicherungsrecht (1960); Schuhmacher Die Versicherung des Lagergeschäfts, Diss. Karlsruhe 1988; Seidel Die Deklarationspflicht bei der laufenden Transportversicherung, Diss. Berlin 1967; Sieg Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl. (1988); Sieg Neuere Aspekte der vorläufigen und der Rahmen-Versicherungsverhältnisse, VersR 1986 929; Thume/de la Motte/Ehlers Transportversicherungsrecht, 2. Aufl. (2011); Ulrich Allgemeine Deutsche Seeversicherungs-Bedingungen (1922); Werber Die Gefahrerhöhung im deutschen, schweizerischen, französischen, italienischen, schwedischen und englischen Versicherungsvertragsrecht (1967); Wittchen Die Warenkreditversicherung, Diss. Hamburg 1995.

Schnepp https://doi.org/10.1515/9783110522624-039

758

A. Einführung

VVG Vor §§ 53–58

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Gesetzgebungsgeschichte

II.

Entwicklungsgeschichte bis zum Inkrafttreten 7 des VVG 1908

B.

Besonderheiten der laufenden Versiche9 rung

C.

Vertragsfreiheit der laufenden Versiche11 rung

1

A. Einführung I. Gesetzgebungsgeschichte Das VVG in seiner Fassung vom 30.5.1908 bestimmte in § 187:

1

§ 187 i.d.F. 1908 [1] Die in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen der Vertragsfreiheit bleiben bei der Transportversicherung von Gütern, bei der Kreditversicherung, der Versicherung gegen Kursverluste, und der Versicherung gegen Arbeitslosigkeit außer Anwendung. [2] Das Gleiche gilt von einer Schadensversicherung, die in der Weise genommen wird, dass die versicherten Interessen bei der Schließung des Vertrages nur der Gattung nach bezeichnet und erst nach ihrer Entstehung dem Versicherer einzeln aufgegeben werden (laufende Versicherung).

Eine weitergehende gesetzliche Regelung der laufenden Versicherung im Einzelnen sah das VVG 2 1908 nicht vor. Mit Art. 2 Nr. 8 des 2. Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG vom 28.6.19901 wurde als 3 Folge der Einführung der Großrisiken und der sich nach Art. 7 ff. EGVVG a.F. für sie ergebenden Rechtswahlfreiheit § 187 VVG mit Wirkung zum 1.7.1990 neu gestaltet, wobei Absatz 2 entfiel: § 187 i.d.F. 1990 Die in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen der Vertragsfreiheit sind auf die in Art. 10 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Gesetz über das Versicherungsvertragsgesetz genannten Großrisiken nicht anzuwenden.

Der Gesetzgeber glaubte, damit auch den bisherigen Regelungsgehalt des § 187 Abs. 2 VVG 1908 4 für die laufende Versicherung abgedeckt zu haben.2 Er übersah dabei, dass die Bestimmung eine Legaldefinition der laufenden Versicherung enthielt und die Anmeldung der zu versichernden Einzelrisiken zur gesetzlichen Rechtspflicht machte.3 Der Kommissionsbericht hat die 1990 erfolgte ersatzlose Streichung von § 187 Abs. 2 VVG 1908 5 als nicht sachgerecht bezeichnet.4 Mit der Aufnahme der laufenden Versicherung in das VVG 2008 stellt das Gesetz wieder eine Legaldefinition der laufenden Versicherung zur Verfügung und macht

1 2 3 4

BGBl. 1990 I S. 1249. Vgl. Begr. zu Art. 2 Nr. 8, BTDrucks. 11/6341 S. 37. Bruck6 § 187 Anm. 8. KomE S. 57.

759

Schnepp

Vor §§ 53–58 VVG

Vorbemerkung zu §§ 53–58

die Anmeldung der versicherten Einzelrisiken zur gesetzlichen Rechtspflicht.5 Abweichend von der Urfassung im VVG 1908 und von § 56 des Kommissionsentwurfs6 sprechen der Regierungsentwurf in § 55 und das Gesetz in § 53 nur im Singular von einem der Gattung nach bezeichneten versicherten Interesse und verkennen dabei, dass es gerade zum Wesen der laufenden Versicherung gehört, unter der Gattungsbezeichnung eine Mehrzahl versicherter Interessen zu erfassen.7 6 Die Aufnahme eines eigenen Abschnitts über laufende Versicherungen im Allgemeinen Teil ist sinnvoll und zweckmäßig. Der Standort der knappen Bestimmung im VVG 1908 in den Schlussvorschriften des Gesetzes verdeckte, dass über die Befreiung laufender Versicherungen von den Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG hinaus die Bestimmung auch eine Legaldefinition dieses Instituts enthielt.

II. Entwicklungsgeschichte bis zum Inkrafttreten des VVG 1908 7 Die bisher im Gesetz im Einzelnen nicht geregelte laufende Versicherung ist in der Hauptsache die Versicherung künftig entstehender Interessen. Ihre ältesten historischen Beispiele stammen aus der Seeversicherung und hatten die Versicherung von Warentransporten in unbekannten Schiffen zum Gegenstand. Eine genuesische Notariatsurkunde vom 9.3.1350 versichert Güter für eine Reise von Genua nach Sluys in den Niederlanden mit dem Recht der Umladung in unbestimmte Schiffe in Cadiz oder Lissabon.8 Auch das Königl.-Preußische Seerecht vom 1.12.1727 erkannte an, dass es Umstände geben konnte, unter denen der Versicherte nicht wissen konnte, in welches Schiff die Güter verladen würden.9 §§ 2080 bis 2083 Zweyter Theil Achter Titel ALR übernahmen die Regelung und verbanden sie mit einer durch Prämienverdoppelung sanktionierten Deklarationspflicht bezüglich der später bekannt gewordenen Schiffsangaben. § 817 HGB in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung regelte seit 1897 in deutscher Gesetzgebung die Versicherung von Gütern in bestimmten oder unbenannten Schiffen. Spätestens im 19. Jahrhundert wurde daraus auch eine Versicherung für unbestimmte Güter, wofür seit je ein besonderes Interesse etwa wegen einer Versicherung für etwaige Retouren bestand. 8 Der Gesetzgeber des VVG 1908 war sich bewusst, dass der Anwendungsbereich der laufenden Versicherung damals zwar über die Transport- und die Rückversicherung hinaus reichte, ging aber, wie sich den Motiven entnehmen lässt, davon aus, dass sie nur im Handelsverkehr Bedeutung habe und deshalb die Befreiung von den Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG gerechtfertigt sei. Zur Begründung von § 187 Abs. 2 VVG 1908 heißt es: „Soweit es sich lediglich um die Transport- und die Rückversicherung handelt, bedarf die Form der laufenden Versicherung einer näheren Regelung nicht. Es genügt, dass die Beteiligten freie Hand haben, die Versicherung so zu gestalten, wie es der Lage der Sache entspricht. Die laufende Versicherung ist indessen nicht ausschließlich für jene Versicherungszweige verwendbar; sie kann namentlich auch bei der Feuerversicherung, insbesondere bei der Versicherung von Waren, die in einem Lagerhaus aufbewahrt werden, Anwendung finden. Auch hier wird sie aber in der Regel nur für größere Unternehmungen sich verwerten lassen, deren Leiter der Geschäftserfahrung nicht entbehren. Hier kann es wiederum den Parteien überlassen werden, die Bestimmungen zu vereinbaren, welche der Eigenart der betreffenden Versicherungsverhältnisse entsprechen. Dem Entwurfe verbleibt daher nur die Aufgabe, für diese Verhältnisse gleichfalls die Schranken zu beseitigen, die er sonst der Vertragsfreiheit zieht“.10

5 Es besteht nach zutreffender h.M. eine Rechtspflicht und nicht nur eine Obliegenheit zur Anmeldung, vgl. § 53 Rn. 33.

6 KomE S. 219. 7 Vgl. § 53 Rn. 18 ff. 8 Bensa S. 196; Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 3. 9 Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 4. 10 Zitiert nach Hagen Versicherungsrecht § 157 S. 344. Schnepp

760

C. Vertragsfreiheit der laufenden Versicherung

VVG Vor §§ 53–58

B. Besonderheiten der laufenden Versicherung Die laufende Versicherung zeichnet sich dadurch aus, dass die bei Vertragsschluss nur der Gat- 9 tung nach bezeichneten zu versichernden Interessen erst später entstehen und erst dann dem VR einzeln aufgegeben werden können und aufgegeben werden müssen. § 53 enthält eine Legaldefinition der laufenden Versicherung, die auf der Rechtspflicht11 zur Anmeldung der Einzelrisiken beruht, für die unter einer laufenden Versicherung Versicherungsschutz gewährt werden soll. Die wesentliche Besonderheit der laufenden Versicherung liegt darin, dass das versicherte 10 Interesse sich regelmäßig in der Geschäftsbeziehung zwischen dem VN und einem Dritten, insbesondere dessen Kunden, verwirklicht und der VR darauf nur mittelbar Einfluss ausüben kann. Sowohl die unterschiedliche Interessenlage von VR und VN in Bezug auf den Kunden des VN als auch der Umstand, dass bei der laufenden Versicherung die Sach- und Rechtslage bezüglich eines versicherten Einzelrisikos nicht notwendigerweise identisch mit der Sach- und Rechtslage zum Mantelvertrag ist, erfordern für die laufende Versicherung eine von den Bestimmungen des Allgemeinen Teils, insbesondere der §§ 19 bis 32, abweichende Regelung, die in ihren Grundzügen im 6. Abschnitt des Allgemeinen Teils (§§ 53 bis 58) festzulegen war.

C. Vertragsfreiheit der laufenden Versicherung Die Dreiecksbeziehung zwischen VN, VR und Drittem macht deutlich, dass die laufende Versi- 11 cherung Ursprung und Bedeutung aus dem Handelsverkehr bezieht, weshalb es gerechtfertigt war und ist, die laufende Versicherung in § 210 Abs. 1 von den Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG freizustellen. Die Notwendigkeit der besonderen Erwähnung der laufenden Versicherung in § 210 Abs. 1 ergibt sich aus dem Umstand, dass laufende Versicherungen auch über andere Risiken – etwa als Flottenversicherungen im Kfz-Bereich oder in der Verkehrshaftungsversicherung – als die in § 210 Abs. 2 benannten Großrisiken genommen werden können, nicht jeder VN einer laufenden Versicherung die zur freien Rechtswahl berechtigenden Größenkriterien des § 210 Abs. 2 Nr. 3 erfüllt und diese VN über die Regelungen der §§ 53 bis 58 hinaus zur freien Vertragsgestaltung und Rechtswahl berechtigt sein sollen. § 210 stellt somit für alle laufenden Versicherungen den bis 1990 geltenden Rechtszustand wieder her. Auch wenn generell für laufende Versicherungen nach Maßgabe des § 210 Abs. 1 Vertrags- 12 freiheit besteht, unterliegen ihre AVB §§ 305 ff. BGB und damit insbesondere der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Um deutlich zu machen, dass das neue Regelungskonzept über die Rechtsfolgen von Anzeigepflichtverletzungen, Gefahrerhöhungen und Obliegenheitsverletzungen der §§ 19 bis 28 nicht uneingeschränkt als gesetzliches Leitbild Auslegungsmaßstab für laufende Versicherungsbedingungen sein soll, enthalten die §§ 56 bis 58 Sondervorschriften, die aber innerhalb der durch die allgemeine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB gezogenen Grenzen durch AVB abbedungen werden können. Weichen sie von gesetzlichen Leitbildern ab, können sie nach den Grundsätzen zu § 307 BGB unwirksam sein.

11 Es besteht nach zutreffender h.M. eine Rechtspflicht und nicht nur eine Obliegenheit zur Anmeldung, vgl. § 53 Rn. 33. 761

Schnepp

§ 53 Anmeldepflicht Wird ein Vertrag in der Weise geschlossen, dass das versicherte Interesse bei Vertragsschluss nur der Gattung nach bezeichnet und erst nach seiner Entstehung dem Versicherer einzeln aufgegeben wird (laufende Versicherung), ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, entweder die versicherten Risiken einzeln oder, wenn der Versicherer darauf verzichtet hat, die vereinbarte Prämiengrundlage unverzüglich anzumelden oder, wenn dies vereinbart ist, jeweils Deckungszusage zu beantragen.

Schrifttum Siehe Vor §§ 53–58.

Übersicht 1

A.

Einführung

B.

Begriff und Erscheinungsformen der laufen2 den Versicherung

I.

Begriff und Definition

II. 1.

7 Ausgestaltungsmöglichkeiten Unterscheidung nach obligatorischen und fakul7 tativen Risiken a) Obligatorische laufende Versiche8 rung 9 b) Fakultative laufende Versicherung aa) Aktive fakultative laufende Versiche10 rung bb) Passive fakultative laufende Versiche11 rung 12 Deckungsformen 13 a) Generalpolice 14 b) Abschreibepolice

2.

c) d) e)

Umsatzpolice Pauschalpolice Summenpolice

15 16 17 18

C.

Versicherungsgegenstand

I.

Versichertes Interesse

II. 1. 2. 3.

Gattung der versicherbaren Interessen 24 Transportversicherung 28 Kreditversicherung 30 Weitere Anwendungsfälle

D.

Vertragsbeginn, Versicherungsschutz und 31 Anmeldung

E.

Rechtsnatur, Inhalt und Zeitpunkt der An33 meldung

F.

Prämienberechnung und Fälligkeit

2 18 23

41

A. Einführung 1 § 53 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur laufenden Versicherung (§§ 53 bis 58), mit der VVG-Reform in das Gesetz aufgenommen. § 53 nimmt den Regelungsgehalt der ursprünglichen Bestimmung aus § 187 Abs. 2 VVG 1908 wieder auf, die irrtümlicherweise mit Wirkung zum 1.7.1990 durch die Neufassung von § 187 aufgehoben wurde.1 Anders als § 187 Abs. 2 VVG 1908, der nur davon spricht, dass die mit einer laufenden Versicherung versicherten Interessen nach ihrer Entstehung einzeln aufgegeben werden, verpflichtet die neue Vorschrift den VN ausdrücklich zu deren Anmeldung. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der laufenden Versicherung auf die Vorbemerkungen zu §§ 53 ff. verwiesen.

1 Vgl. Vor §§ 53 ff. Rn. 3 f. Schnepp https://doi.org/10.1515/9783110522624-040

762

B. Begriff und Erscheinungsformen der laufenden Versicherung

VVG § 53

B. Begriff und Erscheinungsformen der laufenden Versicherung I. Begriff und Definition In § 53 erfolgt für den Begriff „laufende Versicherung“ eine Legaldefinition. Bezeichnet wird damit die Rechtsform einer in der Schadenversicherung gebräuchlichen Versicherungstechnik zur Versicherung im Geschäftsverkehr wiederkehrender kaufmännisch-gewerblicher Risiken. Sie wird vom VN für im Rahmen seines Geschäftsbetriebes entstehende Risiken genommen, für die er nach kaufmännischen Grundsätzen Versicherung zu nehmen hat. Sie ist in der Regel eingebettet in auf eine gewisse Dauer angelegte Geschäftsbeziehungen des VN zu Dritten und verpflichtet die Vertragsparteien des Versicherungsverhältnisses in besonderem Maße auf das für den kaufmännischen Geschäftsverkehr geltende Treueprinzip. Die laufende Versicherung ist die Versicherung gegebenenfalls gegenwärtiger, der Hauptsache nach aber künftig entstehender und der Gattung nach bezeichneter Interessen, die bei materiellem Versicherungsbeginn jedoch vorhanden sind und Versicherungsschutz durch die Anmeldung (Deklaration, Aufgabe, Anzeige) beim VR erlangen, wobei die Anmeldung (wenn nicht anders vereinbart) keine Obliegenheit oder Anspruchsvoraussetzung, sondern als empfangsbedürftige Tatsachenerklärung eine Rechtspflicht des VN ist.2 Dabei gibt die Bezeichnung „laufende Versicherung“ die Eigenart dieser Versicherungsform in bezeichnender Weise wieder: Sie „läuft“ und erfasst für die Dauer einer bestimmten Periode alle der Risikobeschreibung entsprechenden Interessen. Im englischen Recht und im internationalen Wirtschaftsverkehr ist die laufende Versicherung als ‚open policy‘ oder ‚floating policy‘ geläufig und wird etwa in Section 29 Abs. 1 des englischen Marine Insurance Act 1906 wie folgt definiert: „A floating policy is a policy which describes the insurance in general terms, and leaves the name of the ship or ships and other particulars to be defined by subsequent declaration.“ Der VR verspricht bei Abschluss des Vertrages für die während dessen Laufzeit entstehenden und ihm aufgegebenen Einzelrisiken Versicherungsschutz zu gewähren. Die Laufzeit kann entweder periodisch oder summenmäßig bestimmt werden. Die laufende Versicherung deckt nicht immer und nicht ausschließlich das eigene Interesse des VN. Besonders in der Transportversicherung bezieht sich die laufende Versicherung häufig auf fremde Interessen, auf deren Rechnung sie auch genommen werden kann.

2

3

4

5

6

II. Ausgestaltungsmöglichkeiten 1. Unterscheidung nach obligatorischen und fakultativen Risiken Laufende Versicherungen können sowohl als obligatorische als auch als fakultative laufende 7 Versicherungen genommen werden.3

a) Obligatorische laufende Versicherung. Obligatorisch ist eine laufende Versicherung, 8 wenn der Vertrag verbindlich bestimmt, welche Risiken von ihm erfasst sein sollen und die Parteien bei Entstehen dieser Risiken nicht die Freiheit haben, sie von der Anwendung des Vertrages auszuschließen. Das Entstehen des Risikos begründet die Anmeldepflicht für den VN, der VR erwirbt den Prämienanspruch. Die obligatorische laufende Versicherung regelt für beide Seiten abschließend den Umfang des durch die Versicherung gewährten Versicherungsschutzes. 2 Umstritten, vgl im Einzelnen Rn. 33. 3 Hagen Versicherungsrecht § 158 S. 348; Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 13; Schlegelberger § 97 ADS Rn. 2; Berliner Kommentar/Schauer Vorbem. zu §§ 49–68a Rn. 58. 763

Schnepp

§ 53 VVG

Anmeldepflicht

9 b) Fakultative laufende Versicherung. Fakultativ ist eine laufende Versicherung, wenn vereinbart ist, dass nicht jedes nach dem Versicherungsvertrag gedeckte Risiko ohne weiteres versichert sein soll. Insoweit ist der Vertrag unter einer auflösenden oder aufschiebenden Bedingung abgeschlossen. Es ist deshalb falsch, die fakultative laufende Versicherung als Rahmenvertrag zu charakterisieren, der noch keine umfassende Regelung von Rechten und Pflichten der Parteien erfasse.4 Jedenfalls unter dem neuen VVG ergibt sich dies allein schon aus der letzten in § 53 genannten Variante, wonach auch die jeweilige Beantragung der Deckungszusage bei einer laufenden Versicherung vereinbart sein kann.5 Es handelt sich auch bei der fakultativen laufenden Versicherung um einen einheitlichen Vertrag, der jedoch einzelne Segmente unter eine auflösende oder aufschiebende Bedingung stellt. Je nach Ausgestaltung der Bedingung handelt es sich aus Sicht des VN um eine aktive fakultative laufende Versicherung oder eine passive fakultative laufende Versicherung: Entweder erklärt der VN, dass er für ein bestimmtes Risiko keine Deckung begehrt, oder der VR erteilt Deckungszusage für die angemeldeten Risiken.

10 aa) Aktive fakultative laufende Versicherung. Hat sich der VN im Vertrag vorbehalten, für einzelne nach der Risikobeschreibung des Versicherungsvertrags der laufenden Versicherung gedeckte Risiken keinen Versicherungsschutz in Anspruch zu nehmen, so verzichtet er mit Unterlassen der Anmeldung auf deren Versicherung. Es handelt sich insoweit um eine negative Einwirkung auf den in dem Versicherungsvertrag der laufenden Versicherung beschriebenen Versicherungsumfang. Dem VN wird mit dem Vertrag das Recht eingeräumt, den Versicherungsumfang zu reduzieren. Der Rechtsnatur nach handelt es sich hierbei um eine auf ein Einzelrisiko einer laufenden Versicherung bezogene auflösende Bedingung. Diese Vertragsgestaltung, die in der Form von Umsatz- oder Abschreibepolicen gebräuchlich ist, erfordert jedoch hinsichtlich der Anmeldung der versicherten Risiken besondere Sorgfalt durch den VN; eine schadlose Nachmeldung nach Eintritt des Versicherungsfalls wegen fahrlässigen früheren Unterlassens der Anmeldung scheidet aus.

11 bb) Passive fakultative laufende Versicherung. Hat sich der VR im Versicherungsvertrag der laufenden Versicherung vorbehalten, in vorab definierten Fällen – im Einzelfall oder generell – Versicherungsschutz nur auf ausdrückliche Deckungszusage hin zu gewähren, handelt es sich aus Sicht des VN um eine passive fakultative laufende Versicherung. Auch diese Fälle unter dem Begriff der laufenden Versicherung zu erfassen, mag zwar dogmatisch kritisiert werden,6 ergibt sich jedoch aus dem Wortlaut von § 53 a.E. und ist im Übrigen ausdrücklicher gesetzgeberischer Wille.7 Die Gewährung des Versicherungsschutzes für das Einzelrisiko steht hier unter einer aufschiebenden Bedingung: Versicherungsschutz wird konstitutiv erst mit der Deckungszusage des VR begründet. Für diese Form der Vertragsgestaltung besteht ein besonderes Bedürfnis in der Kredit- und in der Transportversicherung. In der Kreditversicherung kann der VN mangels Kenntnis seiner künftigen Kreditschuldner bei Vertragsschluss dem VR nicht alle zur Übernahme der Gefahr erheblichen Umstände anzeigen; erst nach Aufgabe des Einzelrisikos kann der VR die Bonität des Kreditschuldners und die für die Übernahme der Gefahr erheblichen Umstände bewerten. In der Transportversicherung kann sich der VR etwa vorbehalten, bei Transporten in Krisengebiete und zu Krisenzeiten Versicherungsschutz nur aufgrund von gesonderten Deckungszusagen zu gewähren. Ob und unter welchen Voraussetzungen der VR bei der passiven fakultativen laufenden Versicherung verpflichtet ist, eine Deckungszusage zu 4 So Möhrle S. 21; Berliner Kommentar/Schauer Vorbem. zu §§ 49–68a Rn. 58; so wohl auch Langheid FS Wälder S. 23, 25; wie hier: Bruck/Möller/Möller8 § 1 Anm. 85; Ehrenzweig S. 22 f.; RG 28.2.1917 – I 113/16, RGZ 90 5, 8 f. 5 Prölss/Martin/Armbrüster § 53 Rn. 12. 6 Vgl. Langheid/Wandt/Reinhard § 53 Rn. 13. 7 RegE S. 76. Schnepp

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B. Begriff und Erscheinungsformen der laufenden Versicherung

VVG § 53

gewähren, ist gesetzlich nicht geregelt; dies ergibt sich vielmehr allein aus dem Vertrag. Fehlt jede Pflicht des VR, kann er also völlig frei entscheiden, ob er ein von dem VN „angemeldetes“ Risiko annimmt oder nicht, liegt allerdings keine laufende Versicherung, sondern lediglich ein Rahmenvertrag vor, in dessen Ausführung einzelne Versicherungsverträge abgeschlossen werden, auf die §§ 53 ff. keine Anwendung finden. Ob Letzteres der Fall ist, bedarf im Zweifel der Auslegung des Vertrags.

2. Deckungsformen Je nach der Interessenlage des VN und der Art seiner Geschäftstätigkeit wird die Deckung für 12 die versicherten Interessen in unterschiedlichen Policen vereinbart: Generalpolicen, Abschreibepolicen, Umsatzpolicen und Pauschalpolicen.

a) Generalpolice. Die Generalpolice (englisch: open policy oder open cover) ist die eigentliche 13 und ursprüngliche Form der laufenden Versicherung. Sie verpflichtet den VN, sämtliche in dem Versicherungsvertrag der laufenden Versicherung bezeichneten Risiken zur Versicherung anzumelden und den VR sie zu den in der Generalpolice vereinbarten Bedingungen zu versichern. Es ist üblich (nicht aber zwingend), für einzelne von der Police erfasste Risiken Höchstversicherungssummen zu vereinbaren.

b) Abschreibepolice. Die Abschreibepolice (englisch: declaration policy oder policy with sunset 14 clause) ist in heutiger Zeit eher weniger in Gebrauch. Es handelt sich um eine Unterart der Generalpolice. Im Bereich der Transportversicherung und der Kreditversicherung werden hierbei Versicherungssummen vereinbart, von der die Versicherungssummen der einzelnen Warentransporte oder kreditierten Warenlieferungen abgeschrieben werden. Die im Voraus zahlbare Prämie bestimmt sich nach der vereinbarten Abschreibesumme. Sobald diese aufgebraucht ist, kann sie gegen erneute Prämienzahlung erneuert werden.

c) Umsatzpolice. Die Umsatzpolice (englisch: turnover policy) ist dazu bestimmt, die Prämien- 15 berechnung zu erleichtern. Grundlage ist der Umsatz des VN. In der Transportversicherung wird der VN mit der Umsatzpolice verpflichtet, sämtliche in der Umsatzpolice bezeichneten Transporte zur Versicherung anzumelden (Umsatzmeldung), und der VR, sie zu den in der Umsatzpolice vereinbarten Bedingungen zu versichern, auch wenn der zunächst festgelegte mutmaßliche Umsatz überschritten wird. Der VN ist von der Anmeldung der einzelnen Transporte befreit, jedoch verpflichtet, dem VR den Umsatz, der den versicherten Transporten entspricht, zu melden. Auf den mutmaßlichen Umsatz wird eine vorläufige Prämie berechnet. Die endgültige Abrechnung erfolgt aufgrund der Umsatzmeldung. Ergibt sich daraus ein Saldo zugunsten des VNs, so wird ihm dieser Saldo zurückerstattet; im umgekehrten Fall wird die entsprechende Mehrprämie erhoben. Abweichend hiervon kann auch eine Mindestprämie vereinbart werden, die der VN selbst dann zu zahlen hat, wenn der damit verbundene Umsatz nicht erreicht wird.

d) Pauschalpolice. Die Pauschalpolice (englisch: blanket policy oder floating policy) gewährt 16 während der Versicherungsdauer Versicherungsschutz für die im Vertrag bezeichneten Risiken gegen Entrichtung einer Pauschalprämie, ohne den VN zu verpflichten, die einzelnen Risiken jeweils anzumelden; sie berechtigt aber den VR, die auf die versicherten Risiken bezogenen Unterlagen des VN zu prüfen. Grundlage für die Prämienberechnung sind die Angaben des VN. Bei der Warentransportversicherung kann die Pauschalpolice etwa ohne Einzelanmeldung pau765

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§ 53 VVG

Anmeldepflicht

schalen Versicherungsschutz für alle Transporte in einem bestimmten Zeitraum und innerhalb eines geographisch abgegrenzten Bereichs in Höhe der Versicherungssumme gewähren.

17 e) Summenpolice. Der Regierungsentwurf nennt in der Begründung zu § 53 nicht nur die vier vorgenannten Begriffe, sondern auch den Beriff der Summenpolice.8 Darunter ist nicht eine unter dem Prinzip der abstrakten Bedarfsdeckung geschlossene Summenversicherung zu verstehen, wie sie etwa in der Personenversicherung geläufig ist,9 sondern eine Limitierung des Versicherungsschutzes mittels Versicherungssumme, wie sie für die Abschreibepolice typisch ist.

C. Versicherungsgegenstand I. Versichertes Interesse 18 § 53 bezeichnet als Gegenstand der laufenden Versicherung das nur der Gattung nach bezeichnete und erst nach Entstehung dem VR aufzugebende Interesse. Die im Wortlaut des § 53 liegende Beschränkung auf ‚das‘ versicherte Interesse (Einzahl) einer laufenden Versicherung kann nur mit einem auf dogmatischer Unsicherheit beruhenden Redaktionsversehen erklärt werden. § 187 Abs. 2 VVG 190810 ebenso wie § 56 des Kommissionsentwurfs11 sprechen zutreffend von einer Mehrzahl in einer laufenden Versicherung zu versichernden und der Gattung nach bezeichneten Interessen. 19 In der Seeversicherung, in der sich als erster Versicherungsart das Bedürfnis nach laufender Versicherung verwirklichte,12 hatte bereits § 1 Abs. 1 ADS 1867 und der durch die VVG-Reform13 aufgehobene § 778 HGB jedes in Geld schätzbare Interesse als versicherbares Interesse bezeichnet, das jemand daran hat, dass Schiff oder Ladung die Gefahren der Seefahrt besteht. Der (wie das gesamte Seeversicherungsrecht) durch das ReformG ebenfalls aufgehobene § 779 Abs. 1 HGB listete beispielhaft auf als versicherbare Interessen der Seeversicherung das Schiff, die Fracht, Überfahrtsgelder, Güter, Bodmereigelder, Havariegelder, andere Forderungen, zu deren Deckung Schiff, Fracht, Überfahrtgelder oder Güter dienen, den von der Ankunft der Güter am Bestimmungsort erwarteten (imaginären) Gewinn, die zu verdienende Provision und das Rückversicherungsrisiko. Das verdeutlicht, dass die Seeversicherung entsprechend dem Grundsatz der Universalität der Gefahren Allgefahrendeckung gewährt. In der Transportversicherung erfasst die Einzelversicherung mit Allgefahrendeckung eine Mehrzahl versicherter Interessen. 20 Das versicherte Einzelinteresse in einer laufenden Versicherung erfasst nicht nur der Gattung nach zu bezeichnende versicherte Gegenstände, sondern auch das in Geld abschätzbare Interesse, die Beziehung zu dem versicherten Gegenstand.14 Bei Abschluss des Vertrages ist das Interesse ungewiss, weil nicht feststeht, ob und wann es entsteht; es soll aber (je nach vereinbarter Ausgestaltung abhängig von der Deklaration durch den VN oder der Deckungszusage des VR für das Einzelrisiko)15 versichert sein, wenn es entsteht. Da die laufende Versicherung dazu bestimmt ist, in einem Vertrag eine Mehrzahl selbstän21 dig versicherbarer wiederkehrend entstehender Sachverhalte und geldwerter Interessen zu ver8 RegE S. 75. 9 Vgl. Bruck/Möller/Baumann/Koch § 1 Rn. 10 und 59. 10 Zitat Vor §§ 53 Rn. 1. 11 KomE S. 219. 12 Vgl. Vor §§ 53 Rn. 6. 13 Art. 4 ReformG BGBl. I S. 2631, 2668. 14 Vgl. zu dem Begriff des versicherten Interesses statt vieler: Bruck/Möller/Sieg8 § 49 Anm. 48; Bruck/Möller/ Baumann/Koch § 1 Rn. 67 ff. 15 Vgl. Rn. 8 bis 11. Schnepp

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C. Versicherungsgegenstand

VVG § 53

sichern, erfordert der Begriff der laufenden Versicherung entgegen dem Wortlaut des § 53 per definitionem eine Mehrzahl versicherter und der Gattung nach bezeichneter Interessen. Die laufende Versicherung deckt immer eine Mehrzahl künftig entstehender und bei Vertragsschluss nur der Gattung nach bezeichneter versicherter Interessen. Sie können bei Vertragsschluss nicht individuell, sondern nur generell bezeichnet werden und ihre Anmeldung (Deklaration, Aufgabe, Anzeige) kann erst nach ihrer Entstehung erfolgen. Keine laufende Versicherung im Sinne der §§ 53 ff. ist die Inbegriffsversicherung nach 22 § 89, denn sie versichert nicht künftig entstehende Interessen, sondern eine vorhandene Mehrheit von Sachen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden wie ein Warenlager, eine Bibliothek, eine Herde oder einen Hausrat. Weder hebt hierbei eine vorübergehende Entfernung einer einzelnen Sache noch das Hinzukommen einer weiteren Sache die Zugehörigkeit zum Inbegriff auf.16 Demgegenüber bezieht sich die laufende Versicherung auf eine Mehrzahl eigenständiger versicherbarer Interessen und nicht wie die Inbegriffsversicherung auf eine durch Zweckverbundenheit als Einheit zu betrachtende Mehrheit von Sachen.

II. Gattung der versicherbaren Interessen Über die der Gattung nach bezeichneten versicherten Interessen erschließen sich Versicherungs- 23 zweig und Versicherungsart, dem ein Vertrag über eine laufende Versicherung zuzuordnen ist. Die Fülle der Anwendungsfälle offenbart die Breite des Anwendungsbereichs dieser Versicherungsform.

1. Transportversicherung Klassischer Anwendungsfall der laufenden Versicherung ist die Transportversicherung. In die- 24 ser Sparte hat die laufende Versicherung ihre bis in die Gegenwart hineinwirkende normative Ausgestaltung in den §§ 97 und 98 ADS 191917 erhalten: § 97 ADS 1919 Laufende Versicherung (1) Ist die Versicherung in der Weise genommen, dass die Güter bei der Schließung des Vertrages nur allgemein oder nur ihrer Art nach bezeichnet und erst nach Entstehung des Versicherungsinteresses dem Versicherer einzeln aufgegeben werden, so bezieht sich die Versicherung auf alle Güter oder auf alle Güter der im Vertrag bestimmten Art, für die der Versicherungsnehmer, sei es für eigene, sei es für fremde Rechnung, nach kaufmännischen Grundsätzen Versicherung zu nehmen hat. Sie bezieht sich insbesondere nicht auf solche Güter, für die der Versicherungsnehmer nur deshalb Versicherung zu nehmen hat, weil er sich hierzu einem Dritten gegenüber, sei es auch gegen Entgelt, verpflichtet hat. (2) Die Versicherung bezieht sich auch auf die in § 80 Nr. 3 bezeichneten Güter. Dem Versicherer gebührt jedoch für die Versicherung dieser Güter eine Zuschlagsprämie. (3) Der Versicherer ist verpflichtet, eine von ihm unterzeichnete Urkunde über die laufende Versicherung (laufende Police) dem Versicherungsnehmer auszuhändigen. Die laufende Police gilt nicht als Police im Sinne des Gesetzes und dieser Bedingungen; jedoch findet die Bestimmung des § 15 über die Genehmigung des Inhalts der Police auf sie entsprechende Anwendung. Ist die laufende Police abhanden gekommen oder ver-

16 Prölss/Martin/Armbrüster Vorbemerkung §§ 53-58 Rn. 6; Langheid/Wandt/Reinhard § 53 Rn. 25. 17 §§ 80 bis 99 ADS wurden zunächst durch die Besonderen Best. für die Güterversicherung in der Fassung von 1973 sowie den Anpassungen aus den Jahren 1984 und 1994 (ADS-Güterversicherung 73/84/94) sowie im Jahr 2000 durch die DTV-Güterversicherungsbedingungen 2000/2011 (DTV-Güter 2000/2011), zuletzt Fassung Mai 2020; und die dazu gehörigen Best. für die laufende Versicherung, zuletzt Fassung Juni 2020 (Abdruck Rn. 27), ersetzt. Die älteren Regelungen ADS-Regelungen werden teilweise noch heute verwendet, vgl. Bruck/Möller/Riemer9 Band 6/1 DTV-Güter 2000/2011 Volle Deckung Ziff. 1 Rn. 1 ff. sowie den dortigen Abdruck einer Synopse der ADS-Güterversicherung 73/84/94 zu den DTV-Güter 2000/2011. 767

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§ 53 VVG

Anmeldepflicht

nichtet, so kann der Versicherungsnehmer von dem Versicherer die Ausstellung einer Ersatzurkunde verlangen, die Kosten hat der Versicherungsnehmer zu tragen. (4) Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer auf Verlangen eine von ihm unterzeichnete Urkunde über die einzelne Aufgabe (Einzelpolice) auszuhändigen. Die Einzelpolice gilt als Police im Sinne des Gesetzes und dieser Bedingungen; jedoch findet die Bestimmung über die Genehmigung des Inhalts der Police auf sie keine Anwendung. (5) In Ansehung der Fälligkeit der Versicherungskosten tritt an die Stelle des Vertragsabschlusses der Beginn der Versicherung. (6) Der Versicherungsnehmer hat die Güter sobald wie möglich, insbesondere unverzüglich nachdem er von dem Beginn der Versicherung Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer aufzugeben und dabei den Versicherungswert sowie das zur Beförderung bestimmte oder dienende Schiff zu bezeichnen; dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Güter unbeschädigt abgeliefert sind und der Versicherungsnehmer erst nach der Ablieferung von der Versicherung Kenntnis erlangt. Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn nicht die Aufgabe rechtzeitig bewirkt ist; zur Erhaltung der Rechte des Versicherungsnehmers genügt die rechtzeitige Absendung der Aufgabe. Hat der Versicherungsnehmer die Güter vorsätzlich nicht oder nicht rechtzeitig aufgegeben oder hat er die Güter oder ihren Versicherungswert vorsätzlich unrichtig aufgegeben, so endigt die laufende Versicherung; dem Versicherer gebühren gleichwohl die Prämien, die ihm im Falle gehöriger Erfüllung des Vertrages zu zahlen gewesen wären. (7) Ist vereinbart, dass die Güter nur bis zu einem bestimmten Gesamtversicherungswerte mit einem Schiffe befördert werden dürfen, so bezieht sich die Versicherung nicht auf den höheren Wert. Diese Bestimmung findet keine Anwendung, wenn die der Versicherung widersprechende Beförderung dadurch verursacht ist, dass an einem Umschlagplatze Güter zugeladen sind und der Versicherungsnehmer diesen Umstand nicht zu vertreten hat. (8) Werden die Güter in Schiffen minderwertiger als der im Vertrag bestimmten Art befördert, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei. Diese Bestimmung findet keine Anwendung, wenn die Güter ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers in minderwertigen Schiffen befördert werden; dem Versicherer gebührt in diesem Falle eine Zuschlagsprämie. (9) Der Versicherer kann die laufende Versicherung, auch wenn sie für eine bestimmte Zeit genommen ist, nach dem Eintritt eines ihm zur Last fallenden Unfalls unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von vier Wochen kündigen. Das Recht erlischt, wenn der Versicherer es nicht, sobald er von dem Unfall und seinen Folgen Kenntnis erlangt, unverzüglich ausübt. Das Gleiche gilt für den Versicherungsnehmer, wenn die Versicherung für eine längere Zeit als die Dauer eines Jahres genommen ist und der Versicherungsfall nach Ablauf eines Jahres eintritt. (10) Ist vereinbart, dass der Versicherer für den aus einer Kriegsgefahr entstehenden Schaden haften soll, so kann jeder Teil die laufende Versicherung, auch wenn sie für eine bestimmte Zeit genommen ist, unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Tagen kündigen. Ist die laufende Versicherung auch für andere Gefahren genommen, so kann sie nur insoweit, als sie sich auf die Kriegsgefahr bezieht, gekündigt werden; im Falle der Kündigung vermindert sich die Prämie um den für die Versicherung gegen Kriegsgefahr bestimmten Betrag.

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§ 98 ADS 1919 Abschreibeversicherung Ist die laufende Versicherung für eine bestimmte Zeit und in der Weise genommen, dass von einer im Vertrag bestimmten Höchstversicherungssumme die einzelnen Versicherungssummen abgeschrieben werden (Abschreibeversicherung), so kann der Versicherer in Ansehung des nach dem Ablaufe der Zeit nicht abgeschriebenen Betrages die Ristornogebühr verlangen. Ist eine Zeit nicht bestimmt, so gilt die Abschreibeversicherung als für die Dauer eines Jahres genommen. Ist die Abschreibeversicherung für eine längere Zeit genommen, so vermindert sich die Höchstversicherungssumme mit dem Ablaufe eines jeden Jahres um den Betrag, der dem Verhältnis eines Jahres zu der ganzen Dauer der Abschreibeversicherung entspricht; in Ansehung des hiervon nicht abgeschriebenen Betrags kann der Versicherer die Ristornogebühr verlangen.

26 Gegenwärtig sind in der deutschen Warentransportversicherung in der Regel die hierfür vorgeschlagenen Best. für die laufende Versicherung in Gebrauch, die die auf den Normalfall des Einzelrisikos zugeschnittenen18 DTV-Güterversicherungsbedingungen 2000/2011 (DTV-Güter

18 Bruck/Möller/Riemer9 Band 6/1 DTV-Güter 2000/2011, Bestimmungen für die laufende Versicherung, Vorbemerkungen Rn. 1. Schnepp

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2000/2011), Volle Deckung19 oder Eingeschränkte Fassung, für die Zwecke der laufenden Versicherung ergänzen (und daher teilweise auf diese verweisen): 27

Best. für die laufende Versicherung DTV-Güter 2000/201120 1

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Gegenstand der Versicherung 1.1 Die Versicherung bezieht sich auf Güter aller Art oder alle Güter der im Vertrag bestimmten Art, die vom Versicherungsnehmer nach kaufmännischen Grundsätzen für eigene oder fremde Rechnung zu versichern sind. Nicht versichert sind daher solche Güter, die der Versicherungsnehmer ohne eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse nur deshalb zu versichern hat, weil er sich hierzu einem Dritten gegenüber, sei es auch gegen Entgelt, verpflichtet hat. 1.2 Unbeschadet der Regelungen in Ziffer 9 der DTV-Güter 2000/2011 erstreckt sich der Versicherungsschutz für vom Versicherungsnehmer veranlasste Lagerungen während des versicherten Transportes nur auf Lagerorte, die vor Risikobeginn mit dem Versicherer vereinbart sind. Haben die Parteien vereinbart, dass Lagerungen vor Beginn bzw. nach Ende des versicherten Transportes mitversichert sind, gilt Satz 1 entsprechend. 1.3 Entsteht ein versicherbares Interesse nach Risikobeginn, besteht Versicherungsschutz zugunsten des Versicherungsnehmers im Rahmen dieses Vertrages, sofern ihm keine bereits eingetretenen Schäden und/oder gefahrerheblichen Umstände bekannt sind, die eine Anzeigepflicht begründen. 1.4 Für andere als im Vertrag genannte Güter besteht Versicherungsschutz nur, wenn Prämien und Deckungsumfang vor Risikobeginn vereinbart worden sind. Laufende Versicherung 2.1 Durch den Abschluss der laufenden Versicherung wird der Versicherungsnehmer verpflichtet, sämtliche im Vertrag bezeichneten Transporte und Lagerungen gemäß Ziffer 3 zur Versicherung anzumelden. 2.2 Der Versicherer ist verpflichtet, Versicherungsschutz für alle gemeldeten Transporte und Lagerungen im Rahmen der Bestimmungen dieses Vertrages zu gewähren. Deklarations-/Anmeldeverfahren 3.1 Einzelanmeldung 3.1.1 Der Versicherungsnehmer meldet dem Versicherer unverzüglich sämtliche unter die laufende Versicherung fallenden Transporte und Lagerungen einzeln mit Angabe des Versicherungswertes. Dabei hat er das Gut, die Verpackungsart, das Transportmittel und den Transportweg zu bezeichnen sowie alle Umstände anzugeben, nach denen der Versicherer ausdrücklich gefragt hat. 3.1.2 Für jede vom Versicherungsnehmer veranlasste Lagerung gemäß der Ziffer 1.2 umfasst die Meldung auch eine Zuordnung zu dem in diesem Vertrag vereinbarten Lagerort. 3.1.3 Rücktransporte infolge eines nach dieser Police versicherten Schadens müssen nicht deklariert werden. 3.1.4 Hat der Versicherungsnehmer die Anmeldung unterlassen oder fehlerhaft vorgenommen, so ist der Versicherer,21 von der Verpflichtung zur Leistung frei, ohne dass es einer Kündigung durch den Versicherer bedarf. Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Anmeldepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat und die Anmeldung unverzüglich nach Kenntniserlangung von dem Fehler nachholt oder berichtigt. 3.1.5 Verletzt der Versicherungsnehmer die Deklarationspflicht vorsätzlich, so kann der Versicherer den Vertrag fristlos kündigen. Dem Versicherer gebühren die Prämien, die ihm im Falle gehöriger Erfüllung des Vertrages bis zum Wirksamwerden der Kündigung zu zahlen gewesen wären. 3.1.6 Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht Versicherungsschutz insbesondere für folgende Risiken nur bei vorheriger schriftlicher Vereinbarung: – Versicherung, unabhängig von der Gefahrtragung; – Lagerungen über die gemäß Ziffer 9.1 DTV-Güter 2000/2011 hinausgehende Dauer; – Mehrwert-, Konditions- und Summendifferenz-, Schutzversicherungen sowie die separate Deckung der in Ziffer 1.1.3 DTV-Güter 2000/2011 genannten Interessen wie Zoll, Fracht usw.;

19 Abgedruckt und kommentiert Bruck/Möller/Riemer9 Band 6/1. 20 Abdruck der vom GDV empfohlenen Fassung Juni 2020; vgl. den Abdruck und die Kommentierung einer früheren Fassung Bruck/Möller/Riemer9 Band 6/1 sowie den Abdruck der Vorfassung 2000/2008 Bruck/Möller/Renger9 § 53 Rn. 27. 21 Das vorstehende Komma dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen. 769

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– Ausstellungen, Messen und sonstige Veranstaltungen; – Aufenthalte und Lagerungen in Verpackungsbetrieben. 3.2 Summarische Anmeldung 3.2.1 Soweit vereinbart, ist der Versicherungsnehmer von der Pflicht zur Anmeldung der einzelnen Transporte und Lagerungen befreit. Er hat den Vereinbarungen entsprechend den versicherten Umsatz für Transporte und Lagerungen monatlich, vierteljährlich, halbjährlich oder jährlich im Nachhinein zu melden. Die zu meldenden Umsätze können sich auch auf bestimmte Ländergruppen und sonstige Relationen beziehen. 3.2.2 Soweit nicht anders vereinbart, hat der Versicherungsnehmer die von ihm veranlassten Lagerungen unter Angabe von Art und Menge sowie der Versicherungswerte der eingelagerten Güter, die sie am vereinbarten Stichtag eines jeden Monats haben, getrennt nach den in diesem Vertrag vereinbarten Lagerorten zu melden. Der zu Ziffer 3.2.1 vereinbarte Zeitpunkt der Meldung gilt entsprechend. 3.2.3 Die Vorschriften der Ziffern 3.1.2 bis 3.1.6 gelten entsprechend. Maximum 4.1 Höchstversicherungssumme 4.1.1 Die vereinbarten Maxima sind die Höchstversicherungssummen. Die Maximierung erfolgt je Transportmittel sowie je Lagerort. Übersteigt die Gesamtversicherungssumme aller unter diesem Vertrag versicherten Güter auf einem Transportmittel oder Lagerort das Maximum, so vermindern sich die einzelnen Versicherungssummen im Verhältnis des Maximums zur Gesamtversicherungssumme. 4.1.2 Die Bestimmung des Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn nach Beginn der Versicherung eine Zusammenverladung verschiedener Versendungen oder Bezüge auf ein Transportmittel oder eine Zusammenlagerung auf ein Lager durch Spediteure oder Transportunternehmen erfolgt, auf die der Versicherungsnehmer keinen Einfluss gehabt hat oder nehmen konnte. Gleiches gilt bei einer Zuladung oder Zulagerung an einem Umschlagplatz, die der Versicherungsnehmer nicht zu vertreten hat. Die Überschreitung des Maximums ist dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. 4.1.3 Soweit nichts anderes vereinbart ist, werden Aufwendungen und Kosten zusammen mit anderen Entschädigungen nur im Rahmen der vereinbarten Maxima ersetzt. Die Regelung der Ziffer 2.3.3 DTV-Güter 2000/2011 bleibt unberührt. 4.2 Höchsthaftungssumme 4.2.1 Soweit vereinbart, sind die vertraglich festgelegten Maxima Höchsthaftungssummen. In Fällen der Ziffer 3.2 gilt als Versicherungssumme der Versicherungswert im Sinne von Ziffer 10 DTVGüter 2000/2011. 4.2.2 Ziffern22 4.1.3 gelten entsprechend. 4.3 Begrenzung je Schadenereignis 4.3.1 Die Höchstersatzleistung des Versicherers beträgt je Schadenereignis … EUR. 4.3.1.1 Alle Versicherungsfälle, die aus ein und derselben Schadenursache in einem örtlich und zeitlich abgrenzbaren, ununterbrochenen Geschehensablauf entstehen oder auf gleichen Schadenursachen mit einem inneren, insbesondere sachlichen und zeitlichen Zusammenhang beruhen gelten als ein Schadenereignis. 4.3.1.2 Ein von dem Schadenereignis betroffener Lagerort wird als ein Versicherungsfall festgelegt. 4.3.2 Dauer und Umfang eines Schadenereignisses für versicherte Naturgefahren wird wie folgt begrenzt: a) auf … aufeinander folgende Stunden bei Sturm, Regen, Hagel, Hurrikan, Tornado, Taifun und/oder Wirbelsturm; b) auf … aufeinander folgende Stunden bei Erd- oder Seebeben, Vulkanausbruch und/oder Flutwelle c) auf … aufeinander folgende Stunden bei Überschwemmung. 4.4 Begrenzung je Versicherungsjahr Die Höchstersatzleistung des Versicherers beträgt für alle Schadenereignisse eines Versicherungsjahres … EUR.

22 Die Mehrzahl „Ziffern“ beruht wohl auf einem Redaktionsversehen. In der Vorfassung wurde hier auf die Ziffern 4.1.2 und 4.1.3 verwiesen. Schnepp

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Ausgeschlossene Gefahren und Schäden, Obliegenheiten 5.1 Ausgeschlossene Gefahren und Schäden Ergänzend zu Ziffer 2.4 und Ziffer 2.5 der DTV-Güter 2000/2011 können folgende Ausschlüsse optional vereinbart werden: 5.1.1 die Gefahren der Witterung und des Wetters bei in Zelten oder im Freien untergebrachten Lagergutes, soweit dieses nicht ausdrücklich für diese Art der Lagerung vorgesehen ist; 5.1.2 Schäden durch die allmähliche Einwirkung von Temperatur, von Gasen, Dämpfen oder Feuchtigkeit und von Niederschlägen (Rauch, Ruß, Staub); 5.1.3 Schäden durch Inventurdifferenzen, Abhandenkommen und sonstige ungeklärte (Teil-)Verluste. 5.2 Obliegenheiten In Ergänzung zu Ziffer 7 DTV-Güter 2000/2011 ist folgendes vereinbart: 5.2.1 Der Versicherungsnehmer hat alle gesetzlichen, behördlichen oder in dem Versicherungsvertrag vereinbarten Sicherheitsvorschriften zur Unterbringung des Lagerguts (z.B. Sicherheitskonzept, Angaben in dem Lagerfragebogen etc.) zu beachten; 5.2.2 Sämtliche Schäden, entstanden durch Brand, Explosion, Diebstahl und Beraubung sind unverzüglich polizeilich zur Anzeige zu bringen. Über das beschädigte oder verlustige Lagergut ist eine Aufstellung bei der Polizei und dem Versicherer einzureichen. Die unverzügliche, schriftliche Schadenanzeige gegenüber dem Versicherer gemäß Ziffer 15.1 DTV-Güter 2000/2011 bleibt unberührt; 5.2.3 Verletzt der Versicherungsnehmer diese oder sonstige vertraglich vereinbarte Obliegenheiten vorsätzlich oder grob fahrlässig, ist der Versicherer von der Leistung frei, es sei denn, die Verletzung war nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistungspflicht. Die Regelung in Ziffer 3.1.4. bleibt unberührt. Prämie 6.1 Einzelanmeldung Bei Einzelanmeldung werden die Prämien nach den im Vertrag vorgesehenen Prämiensätzen zuzüglich Versicherungsteuer und sonstiger Nebenkosten für den vereinbarten Zeitraum im Nachhinein in Rechnung gestellt. 6.2 Summarische Anmeldung Der Versicherer ist berechtigt Vorausprämie in Rechnung zu stellen, in der die Prämien für die Mitversicherung der politischen Gefahren enthalten sind. Nach Ablauf des Versicherungsjahres erfolgt eine Endabrechnung unter Verrechnung der Vorausprämie. Die Abrechnung gemäß Ziffern 6.1 und 6.2 erfolgt getrennt nach Transporten und veranlassten Lagerungen. 6.3 Fälligkeit Der Anspruch auf die Prämie entsteht mit dem Beginn der Versicherung und wird mit der Erteilung der Rechnung fällig. Die Prämie ist unverzüglich nach Erhalt der Prämienrechnung, spätestens innerhalb von 14 Tagen, zu zahlen. Police 7.1 Der Inhalt der laufenden Versicherung gilt als von dem Versicherungsnehmer genehmigt, wenn dieser nicht binnen eines Monats nach Aushändigung widerspricht. Die laufende Versicherung gilt nicht als Police im Sinne des Gesetzes und der DTV-Güter 2000/2011. 7.2 Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer auf Verlangen eine von ihm unterzeichnete Urkunde für den einzelnen Transport (Einzelpolice, Zertifikat) auszuhändigen. Die Einzelpolice gilt als Police im Sinne des Gesetzes und der DTV-Güter 2000/2011; jedoch finden die Bestimmungen über die Genehmigung des Inhalts der Police auf sie keine Anwendung. Kündigung 8.1 Zum Ablauf der Versicherungsperiode Der Vertrag verlängert sich stillschweigend jeweils um ein Jahr, sofern er nicht mit einer Frist von drei Monaten zum Ablauf der Versicherungsperiode von einer der Vertragsparteien gekündigt worden ist. 8.2 Im Schadenfall Nach Eintritt eines Versicherungsfalls können beide Parteien den Versicherungsvertrag kündigen. Die Kündigung ist schriftlich zu erklären. Sie muss spätestens einen Monat nach dem Abschluss der Verhandlungen über die Entschädigung zugehen. Der Versicherer hat eine Kündigungsfrist von einem Monat einzuhalten. Kündigt der Versicherungsnehmer, so kann er bestimmen, dass seine Kün-

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Anmeldepflicht

digung sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt wirksam wird, jedoch spätestens zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode. 8.3 Bei Kriegszustand 8.3.1 Bezieht sich die laufende Versicherung auch auf Transporte oder Lagerungen von, nach oder in eine(r) Region, die sich im Kriegszustand oder in kriegsähnlichem Zustand befindet, so kann der Versicherer den Versicherungsschutz für diese Region jederzeit mit einer Frist von einer Woche schriftlich kündigen. Die Möglichkeit der Kündigung einzelner Gefahren (z.B. Krieg, Streik, Beschlagnahme) bleibt hiervon unberührt. 8.3.2 Der Versicherungsnehmer kann innerhalb von vier Wochen nach der Kündigung des Versicherers seinerseits den ganzen Vertrag mit einer Frist von einer Woche schriftlich kündigen. 8.4 Wirksamwerden der Kündigung 8.4.1 Die Versicherung von Gütern, die vor Wirksamwerden der Kündigung begonnen hat, bleibt bis zu dem Zeitpunkt in Kraft, der für das Ende des Versicherungsschutzes maßgeblich ist. 8.4.2 Für lagernde Güter, ausgenommen transportbedingte Zwischenlagerungen, endet die Versicherung aufgrund der Kündigung am nächsten deklarierten Ablauftermin, spätestens einen Monat nach Kündigung. Insolvenz des Versicherers Wird über das Vermögen des Versicherers das Insolvenzverfahren eröffnet, endet das Versicherungsverhältnis mit Ablauf eines Monats seit der Eröffnung; bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es der Insolvenzmasse gegenüber wirksam.

2. Kreditversicherung 28 Die Kreditversicherung ist neben der Transportversicherung einer der Hauptanwendungsfälle für laufende Versicherungen, und zwar als Warenkredit- oder Delkredereversicherung, mit denen der VR dem VN Ausfälle an Forderungen aus Warenlieferungen und Dienstleistungen ersetzt, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages durch Zahlungsunfähigkeit versicherter Kunden entstehen. Der Eigenart dieser Versicherung entsprechend sind Forderungen in der Regel versichert, wenn und soweit vom VR für den Kunden des VN eine Versicherungssumme bestimmt ist und das vom VN dem Kunden gewährte Zahlungsziel innerhalb des durch den Versicherungsvertrag bestimmten Kreditziels liegt. Im Rahmen von vereinbarten Versicherungssummen bezüglich einzelner Kunden sind Forderungen in der Reihenfolge ihres Entstehens versichert, vor Eintritt des Versicherungsfalles beim VN eingehende Zahlungen werden auf die jeweils ältesten fälligen Forderungen angerechnet. 29 Jede Wirtschaftskrise verdeutlicht aufs Neue die besonderen Gefahren der Kredit- und Kautionsversicherung, die sich daraus ergeben, dass die versicherungstechnischen Risiken, die dem Eigenkapital des VR und den Prämieneinnahmen gegenüberstehen, extrem groß sind und deshalb in der Regel auch sehr hoch rückversichert sind. Für laufende Kreditversicherungen ergibt sich aus dieser Einbettung, dass für die Abwicklung eines solchen Versicherungsverhältnisses in ganz besonderem Maße das gilt, was § 13 ADS 1919 für die Seeversicherung als bestimmenden Grundsatz normierte, dass nämlich alle Beteiligten eines Versicherungsverhältnisses „Treu und Glauben in höchstem Maße zu betätigen“ haben.

3. Weitere Anwendungsfälle 30 Laufende Versicherungen sind außerdem in der Rückversicherung (wobei für diese wie in der Seeversicherung die §§ 53 ff. nicht anwendbar sind, vgl. § 209 Abs. 1), einer Vielzahl von Sachund Schadensversicherungen, beispielsweise in der Bauleistungsversicherung, der Maschinenversicherung, der Messe- und Ausstellungsversicherung, der Montageversicherung und der Veranstaltungsversicherung gebräuchlich. Eine laufende Versicherung kann in Form Schnepp

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E. Rechtsnatur, Inhalt und Zeitpunkt der Anmeldung

VVG § 53

der Kombination verschiedener Versicherungen in einer Police erfolgen, so die Kombination verschiedener Haftpflichtversicherungen wie bei der Versicherung der Haftpflicht der Frachtführer mit der der Spediteure und Lagerhalter in einem Vertrags- und Bedingungswerk.23 Bei der laufenden Filmversicherung handelt es sich wohl um die Versicherung einer auf eine oder mehrere Filmproduktionen bezogenen Kombination aus Sach- und Haftpflichtrisiken.

D. Vertragsbeginn, Versicherungsschutz und Anmeldung Formeller Versicherungsbeginn einer laufenden Versicherung ist der im Vertrag bestimmte 31 Zeitpunkt. Materieller Versicherungsbeginn der nur der Gattung nach bezeichneten Interessen ist der Zeitpunkt ihres Entstehens. Es kennzeichnet die Eigenart der laufenden Versicherung, dass der VN beim Eintreten der in der Police bezeichneten Umstände für die bezeichneten Risiken versichert ist.24 Die Anmeldung eines einzelnen Versicherungsinteresses hat regelmäßig nur die Bedeutung einer Tatsachenmitteilung darüber, dass ein bestimmtes nach dem Vertrag versichertes Interesse entstanden ist und der Versicherungsschutz hierfür in Anspruch genommen wird. Etwas anderes gilt aber (in Umfang und Wirkung abhängig von der vertraglichen Vereinbarung) dann, wenn der Versicherungsschutz für das Einzelrisiko durch einen entsprechenden Antrag des VN (vgl. § 53 a.E.) sowie eine konstitutive Deckungszusage des VR für dieses Einzelrisiko bedingt ist; bedeutendster Fall in der Praxis hierfür ist die Kreditversicherung.25 Vom Grundsatz her ist in der laufenden Versicherung jedes einzelne versicherte Interesse 32 unverzüglich nach seiner Entstehung beim VR anzumelden. § 97 Abs. 6 ADS 191926 lässt zur Erhaltung der Rechte des VN die rechtzeitige Absendung der Anmeldung genügen. Es darf unterstellt werden, dass diese Regelung inzwischen gewohnheitsrechtlich allgemeine Geltung für die Praxis der laufenden Versicherung beanspruchen kann, es sei denn, im konkreten Versicherungsvertrag ist etwas anderes vereinbart.

E. Rechtsnatur, Inhalt und Zeitpunkt der Anmeldung Ob die Anmeldung entstandener Risiken auf einer Rechtspflicht,27 einer Obliegenheit28 oder 33 gar beidem29 beruht, ist umstritten. Dabei besteht insofern Einigkeit, dass beide Ausgestaltungen möglich sind,30 so dass sich die Streitfrage damit auf die Frage beschränkt, wie die Rechtslage bei fehlender oder unklarer Regelung im Versicherungsvertrag ist. Der Wortlaut in § 53 „verpflichtet“ deutet darauf hin, dass eine Pflicht zur Anmeldung als Regelfall gesetzlich gewollt ist, der VR diese also auch durch eine Leistungsklage einfordern kann. Auch die Gesetzesbegründung zu § 53 stellt ausdrücklich darauf ab, dass die Norm „eine Rechtspflicht zur Anmel-

23 Vgl. die DTV-VHV 2003/2011, dazu Bruck/Möller/Abele9 Band 6/2, Einführung DTV-VHV Rn. 22 ff.; Prölss/Martin/ Armbrüster Vorbemerkung zu §§ 53-58 Rn. 5. 24 Schlegelberger § 97 ADS Rn. 1; Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 6. 25 Vgl. Rn. 11. 26 Vgl. das Zitat Rn. 24. 27 So Bruck/Möller/Renger9 § 53 Rn. 34; Langheid/Rixecker/Rixecker § 53 Rn. 9; Looschelders/Pohlmann/Gesing/ Looschelders § 53 Rn. 34; so zum alten VVG auch OLG Hamm 9.12.1992 – 20 U 146/92, VersR 1993 1519, 1520; Prölss/ Martin/Kollhosser27 § 187 Rn. 17. 28 So Prölss/Martin/Armbrüster § 54 Rn. 5; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 53 Rn. 13; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 54 Rn. 2 (der aber – ohne den Widerspruch aufzulösen – in § 53 Rn. 5 von einer Rechtspflicht ausgeht). 29 So Langheid/Wandt/Reinhard § 53 Rn. 27 und 30. 30 Vgl. die vorstehenden drei Fussnoten sowie – wenn auch zum alten VVG – BGH 17.1.2001 – IV ZR 282/99, VersR 2001 368, 369 (dort für den konkreten Fall offen gelassen). 773

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dung der Einzelrisiken“31 begründet. Ebenso weist die Gesetzesbegründung zu § 54 darauf hin, die Norm regele die Rechtsfolgen einer „Verletzung der Anmeldepflicht“.32 Soweit für das Bestehen einer Obliegenheit auf die in § 54 vorgesehene Leistungsfreiheit verwiesen wird,33 so überzeugt dies nicht. § 54 ist hinsichtlich der Rechtsfolgen zwar wie bei einer Obliegenheit ausgestaltet – und bei gelungenem Exkulpationsbeweis im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 2 scheiden für den VN nachteilige Folgen aus. Dies ändert jedoch nichts an dem eindeutig erklärten gesetzgeberischen Willen. Es ist daher, wenn nicht (so etwa für die Pauschalpolice) etwas anderes vereinbart ist, von einer Rechtspflicht auszugehen. Da die Anmeldung (wenn nicht anders vereinbart) auf einer Rechtspflicht des VN beruht, ist sie Erfüllungshandlung und Leistung des VN,34 die den VR über die konkret von ihm getragenen Risiken unterrichtet und der gegebenenfalls Bedeutung für die Prämienberechnung zukommt. Die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Pflicht werden durch § 54 geregelt bzw. dort kommentiert. Die Anmeldung (Deklaration, Aufgabe, Anzeige) eines versicherten Interesses ist ihrer Natur nach eine empfangsbedürftige Tatsachenmitteilung, die dem VR gegenüber abzugeben ist. Sie ist keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung.35 Der erforderliche Inhalt der Anmeldung ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag. Ist Abweichendes nicht vereinbart, sieht das Gesetz die Einzelanmeldung jedes einzelnen von der Versicherung erfassten Risikos vor. Die Anmeldung hat alle zur Berechnung der Prämie erforderlichen Angaben zu enthalten. In der Transportversicherung sind dies regelmäßig die versicherten Güter, die Verpackungsart, der Versicherungswert, das Transportmittel und der Transportweg.36 In der Kreditversicherung sind es Name des Zahlungsschuldners, Forderungshöhe und Zahlungsziel. Der Verzicht des VR auf Einzelanmeldung der versicherten Risiken ist bereits im Gesetz vorgesehen, verlangt aber für diesen Fall die Anmeldung der Prämiengrundlage und schafft damit eine gesetzliche Grundlage für die Vereinbarung von summarischen oder periodischen Anmeldungen. Eine Vereinbarung, jeweils Deckungszusage zu beantragen, bedeutet keinen Verzicht auf die Einzelanmeldung, sondern vielmehr eine Vereinbarung, dass qualifizierte Einzelanmeldungen zu erfolgen haben. Qualifiziert sind sie insoweit, als Versicherungsschutz unter der laufenden Police erst nach Erteilung der Deckungszusage besteht. Die Einzelanmeldung hat „nach ihrer Entstehung“ zu erfolgen; bei Verzicht auf Einzelanmeldung ist die „vereinbarte Prämiengrundlage unverzüglich“ anzumelden. Das Prinzip ist in beiden Fällen das Gleiche: Der VN hat ohne schuldhaftes Zögern anzumelden. Eine Anmeldebestätigung des VR ist eine Quittung über eine erfolgte Erfüllungshandlung des VN, der über die Beweisfunktion hinaus keine weitere rechtliche Bedeutung zukommt.

F. Prämienberechnung und Fälligkeit 41 Je nach vereinbarter Anmeldungsart – Einzelanmeldung oder summarische/periodische Anmeldung – unterscheiden sich in der Regel Prämienberechnung und Prämienzahlung. Bei Einzelanmeldung werden die Prämien nach den im Vertrag festgelegten Prämiensätzen für den vereinbarten Zeitraum nachträglich in Rechnung gestellt. Bei summarischer oder periodischer Anmeldung ist es üblich, dass der VR zunächst auf der Grundlage eines geschätzten Jahresum31 32 33 34 35 36

RegE S. 75. RegE S. 76; vgl. das Zitat der Begründung § 54 Rn. 3. So insbesondere Prölss/Martin/Armbrüster § 54 Rn. 5. RegE S. 76. RegE S. 75 f. Vgl. Ziff. 3.1.1 Best. für die laufende Versicherung DTV-Güter 2000/2011 (Fassung Juni 2020), Abdruck Rn. 27.

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F. Prämienberechnung und Fälligkeit

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satzes eine jährliche Vorausprämie in Rechnung stellt und nach Ablauf der Versicherungsperiode eine Endabrechnung unter Verrechnung der Vorausprämie erstellt. Der Prämienanspruch entsteht dem Grunde nach mit dem Beginn der Versicherung und 42 wird nach Rechnungsstellung fällig. Soweit anderes nicht vereinbart ist, gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 33–41 des Gesetzes.

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§ 54 Verletzung der Anmeldepflicht (1)

1

Hat der Versicherungsnehmer die Anmeldung eines versicherten Risikos oder der vereinbarten Prämiengrundlage oder die Beantragung der Deckungszusage unterlassen oder fehlerhaft vorgenommen, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet. 2 Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Anmelde- oder Antragspflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat und die Anmeldung oder den Antrag unverzüglich nach Kenntniserlangung von dem Fehler nachholt oder berichtigt. (2) 1Verletzt der Versicherungsnehmer die Anmelde- oder Antragspflicht vorsätzlich, kann der Versicherer den Vertrag fristlos kündigen. 2Die Versicherung von Einzelrisiken, für die der Versicherungsschutz begonnen hat, bleibt, wenn anderes nicht vereinbart ist, über das Ende der laufenden Versicherung hinaus bis zu dem Zeitpunkt bestehen, zu dem die vereinbarte Dauer der Versicherung dieser Einzelrisiken endet. 3 Der Versicherer kann ferner die Prämie verlangen, die bis zum Wirksamwerden der Kündigung zu zahlen gewesen wäre, wenn der Versicherungsnehmer die Anmeldepflicht erfüllt hätte.

Schrifttum Siehe Vor §§ 53–58.

Übersicht 1

2.

A.

Entstehungsgeschichte

B.

Verletzung der Anmeldepflicht

I.

Leistungsfreiheit (Absatz 1)

II. 1.

14 Fristlose Kündigung (Absatz 2) Recht zur fristlosen Kündigung des Vertrages 14 (Absatz 2 Satz 1)

4 3.

5

C.

Auswirkungen einer fristlosen Kündigung des Vertrages auf die Versicherung der Einzelrisiken 18 (Absatz 2 Satz 2) Auswirkungen einer fristlosen Kündigung des Vertrages auf die Prämie (Absatz 2 20 Satz 3) Darlegungs- und Beweislast

21

A. Entstehungsgeschichte 1 § 54 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur laufenden Versicherung (§§ 53 bis 58), mit der VVGReform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der vorläufigen Deckung auf die Vorbemerkungen zu §§ 53 ff. verwiesen. § 54 knüpft an die in der Praxis, insbesondere an die in der See- und Transportversicherung 2 entwickelten Prinzipien an.1 Sie regelt die Rechtsfolgen einer Verletzung der Anmeldepflicht. Der Regierungsentwurf2 erläutert Absatz 1 der Vorschrift wie folgt: 3 „Die Vorschrift regelt in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1 die Rechtsfolgen einer Verletzung der Anmeldepflicht. Unterlässt der Versicherungsnehmer die für die Konkretisierung des versicherten Risikos erforderliche Anmeldung, fehlt die für die Gewährung von Versicherungsschutz notwendige Bestimmtheit des versicherten Interesses. Eine

1 Vgl. § 97 Abs. 6 ADS (Abdruck § 53 Rn. 24); Ziff. 3 Best. für die laufende Versicherung DTV-Güter 2000/2011 (Fassung Juni 2020), Abdruck § 53 Rn. 27.

2 RegE S. 76. Schnepp https://doi.org/10.1515/9783110522624-041

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B. Verletzung der Anmeldepflicht

VVG § 54

schuldlos oder einfach fahrlässig unterlassene oder fehlerhafte Anmeldung soll nach Absatz 1 Satz 2 folgenlos bleiben, wenn sie vom Versicherungsnehmer unverzüglich nachgeholt oder berichtigt wird, nachdem er von seiner Pflichtverletzung Kenntnis erlangt hat. Die Erwähnung der Prämiengrundlage in Satz 1 berücksichtigt Besonderheiten der Umsatzpolice, die insbesondere bei der Warenkreditversicherung eine besonders weitgehende Form eines Versicherungsscheins für laufende Versicherungen darstellt. Ist vereinbart, dass jeweils Deckungszusagen zu beantragen sind, gilt auch bei Verletzung dieser Pflicht diese Sanktionsregelung; eine Leistungspflicht des Versicherers nach Satz 2 besteht in diesem Fall erst nach Erteilung der Deckung.“ Absatz 2 der Vorschrift wird wie folgt erläutert: „Satz 1 räumt dem Versicherer das Recht ein, den Vertrag über eine laufende Versicherung fristlos zu kündigen, wenn der Versicherungsnehmer seine Anmelde- oder Antragspflicht nach Absatz 1 vorsätzlich verletzt. Die Sätze 2 und 3 regeln das Prinzip der Auslaufhaftung, das in der Warentransportversicherung gängige und notwendige Versicherungspraxis ist, aber in der Kreditversicherung bei Überschreitung des äußersten Kreditziels häufig vertragliche Einschränkungen erfährt.“

B. Verletzung der Anmeldepflicht Anmeldepflicht, Inhalt und Zeitpunkt der Anmeldung bestimmen sich nach § 533 bzw. den dazu 4 vereinbarten vertraglichen Regelungen. Anmeldepflichtiger ist der VN. § 54 regelt die Rechtsfolgen einer Verletzung der Anmeldepflicht: die Leistungsfreiheit nach Absatz 1 und ein Kündigungsrecht des VR nach Absatz 2.

I. Leistungsfreiheit (Absatz 1) Absatz 1 bestimmt Voraussetzungen und Beschränkungen der Leistungsfreiheit des VR für den 5 Fall schuldhaft unterlassener oder fehlerhafter Anmeldung eines versicherten Interesses. Eine Verletzung der Anmeldepflicht liegt vor, wenn die Anmeldung unterlassen oder fehlerhaft vorgenommen worden ist. Fehlerhaft ist die Anmeldung eines Versicherungsinteresses, die nicht rechtzeitig, unvollständig, falsch oder auf andere Weise fehlerhaft abgegeben wird. Zur Leistungsfreiheit des VR berechtigt die Verletzung aber nur, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgte. Die Anmeldung hat unverzüglich nach Entstehung des Versicherungsinteresses zu erfol- 6 gen. Der VN hat sie deshalb unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, vorzunehmen, sobald er Kenntnis von dem anmeldepflichtigen Sachverhalt erlangt. Erhält der VR, etwa in der Warengüterversicherung, erst nach Ablieferung der Waren von ihrer Versicherung durch die laufende Versicherung Kenntnis, besteht die Anmeldepflicht gleichwohl. § 97 Abs. 6 ADS 19194 trug diesem Sachverhalt ausdrücklich Rechnung und sanktionierte seine Verletzung mit Leistungsfreiheit. Auch die Best. für die laufende Versicherung DTV-Güter 2000/20115 enthalten diese Einschränkung der Leistungsfreiheit des VR.6 Keine Verletzung der Anmeldepflicht liegt vor, wenn der VN die Anmeldung unverzüglich 7 nach Entdeckung des Fehlers nachholt oder berichtigt (Absatz 1 Satz 2). In der Vertragspraxis laufender Versicherungen werden häufig im Interesse der Geschäftsvereinfachung und zu Gunsten des VN Abweichungen von der strikten Anmeldepflicht vereinbart, etwa derart, dass die Anmeldung nachträglich in gewissen Abständen, nach bestimmten Stichtagen oder nach anderen Kriterien vorzunehmen ist7 oder gar – wie bei der Pauschalpolice8 – gänzlich unterbleiben kann. Fraglich ist allerdings, wie lange eine Anmeldung (auch wenn sie unverzüglich erfolgt) 3 4 5 6 7 8

Vgl. insbes. § 53 Rn. 33 ff. Abdruck § 53 Rn. 24. Abdruck § 53 Rn. 27. Ziff. 3.1.4 Best. für die laufende Versicherung DTV-Güter 2000/2011 (Fassung Juni 2020), Abdruck § 53 Rn. 27. Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 61. Vgl. zur Pauschalpolice § 53 Rn. 16.

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in zeitlicher Hinsicht noch möglich ist. Zwar kann eine laufende Versichrung auch eine Rückwärtsversicherung umfassen.9 Soweit es sich nur um Anmeldungen zur Bemessung der Prämiengrundlage handelt, ist eine Überschreitung der durch § 2 Abs. 2 Satz 2 gesetzten Grenze unkritisch. Soweit es sich jedoch um für den Versicherungsschutz konstitutive Anmeldungen handelt, die zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der VN bereits Kenntnis von dem Eintritt des Versicherungsfalls hat, geht richtigerweise § 2 Abs. 2 Satz 2 vor – und der VR ist nicht zur Leistung verpflichtet.10 Soweit hiergegen (formalistisch) eingewandt wird, die Anmeldung bei einer laufenden Versicherung sei keine Vertragserklärung i.S.v. § 2 Abs. 2,11 überzeugt dies wertungsmäßig nicht. Die Anmeldung eines unbestreitbar nicht von der Police erfassten Interesses ist keine falsche oder fehlerhafte Anmeldung im Sinne des Gesetzes, weil sie sich auf einen Gegenstand bezieht, der nicht Vertragsgegenstand ist. Das Schweigen des VR auf eine solche Anmeldung kann deshalb nicht als Zustimmung zur Einbeziehung dieses Interesses in die laufende Versicherung angesehen werden. Ob eine Anmeldebestätigung als Zustimmung gedeutet werden kann, wird von den Umständen im Einzelfall abhängen, für die Seeversicherung wird dies eher bezweifelt.12 Die Leistungsfreiheit des VR bei Verletzung der Anmeldepflicht bezieht sich nur auf ein bestimmtes, nicht ordnungsgemäß angemeldetes versichertes Interesse, nicht aber auf die generelle Leistungsverpflichtung des VR aus der laufenden Versicherung für andere, unter derselben Police ordnungsgemäß angemeldete versicherte Interessen, für die Versicherungsschutz besteht. Auf die Leistungsfreiheit kann der VR sich nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit berufen. Eine Quotelung nach der Schwere des Verschuldens, wie sie § 28 vorsieht, ist für laufende Versicherungen nicht vorgesehen. Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Anmeldepflicht berührt den Prämienanspruch des VR in Bezug auf das betroffene Einzelrisiko nicht. Da die Anmeldung versicherter Interessen (wenn nicht anders vereinbart) auf einer Rechtspflicht des VN beruht,13 kann der VR bei schuldhafter Verletzung der Anmeldepflicht auch Schadensersatz verlangen.14 Da es sich um eine Rechtspflicht (und – wenn nicht anders vereinbart – nicht um eine bloße Obliegenheit) handelt, gelten die allgemeinen Grundsätze der Zurechnung bei Handeln Dritter. Wenn der VN gesetzlich vertreten ist, muss er das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters oder seines Erfüllungsgehilfen gegen sich gelten lassen. Bedient sich der VN zur Erfüllung der Anmeldepflicht eines Versicherungsmaklers, muss er sich auch dessen Verschulden anrechnen lassen. Handelt es sich hingegen ausnahmsweise nur um eine Obliegenheit, gelten die bei Handeln Dritter die dafür geltenden Grundsätze, insbesondere die der Repräsentantenhaftung.15

II. Fristlose Kündigung (Absatz 2) 1. Recht zur fristlosen Kündigung des Vertrages (Absatz 2 Satz 1) 14 Die laufende Versicherung ist von einem besonderen gegenseitigen Treueverhältnis der Vertragsparteien gekennzeichnet, für das das uneingeschränkte Vertrauen zur gegenseitigen Ver-

9 Prölss/Martin/Armbrüster § 53 Rn. 13; Langheid/Wandt/Reinhard § 53 Rn. 9. 10 Prölss/Martin/Armbrüster § 53 Rn. 13; so im Ergebnis auch Langheid/Wandt/Reinhard § 54 Rn. 7 i.V.m. § 53 Rn. 10 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 54 Rn. 4. So aber (und daher abzulehnen) OLG Hamm 16.10.2017 – 18 U 11/17, RuS 2018 599, 601. Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 15 f. So die zutreffende h.M., vgl. § 53 Rn. 33 m.w.N. Langheid/Rixecker/Rixecker § 53 Rn. 9; Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 63; Schlegelberger § 97 ADS Rn. 20. Vgl. dazu etwa Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 281 ff.

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B. Verletzung der Anmeldepflicht

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tragstreue Grundlage des Vertragsverhältnisses ist.16 Die vorsätzliche Verletzung der Anmeldepflicht schafft einen Zustand, bei dem dem VR nicht ohne weiteres die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zugemutet werden kann. Absatz 2 Satz 1 sieht deshalb für die vorsätzliche (nicht aber für die grob fahrlässige) Verletzung der Anmeldepflicht ein fristloses Kündigungsrecht des VR vor. Es ist ein einseitiges Recht des VR; Form und Zeitpunkt der fristlosen Kündigung richten 15 sich nach allgemeinen Grundsätzen. Es kann daher zunächst auf die Ausführungen zu §§ 11 und 24 verwiesen werden. Die Kündigung bezieht sich grundsätzlich auf die Beendigung des Versicherungsverhältnisses für die Zukunft. Der VR kann sich auf sein Kündigungsrecht von dem Zeitpunkt an berufen, zu dem er 16 Kenntnis von der Verletzung der Anmeldepflicht durch den VN erhält. Auch wenn das Gesetz keine ausdrückliche Befristung des Kündigungsrechts bestimmt, ist es gleichwohl als der Sache nach befristet anzusehen. Entsprechend § 24 Abs. 3 ist von einer Überlegungsfrist von einem Monat nach Kenntniserlangung auszugehen.17 Hat der VR nach dem Zeitpunkt, zu dem er Kenntnis von der vorsätzlichen Verletzung der Anmeldepflicht erhalten hat, weitere ordnungsgemäße Anmeldungen unwidersprochen entgegen genommen, wird zu prüfen sein, ob darin bereits ein Verzicht auf Ausübung seines Kündigungsrechts zu sehen ist und der VR sich später nicht mehr darauf berufen kann. Auch wenn der VR zur fristlosen Kündigung berechtigt ist, hindert ihn dies nicht, den 17 Versicherungsvertrag unter Einhaltung einer Frist zu kündigen.18

2. Auswirkungen einer fristlosen Kündigung des Vertrages auf die Versicherung der Einzelrisiken (Absatz 2 Satz 2) Der Eigenart der laufenden Versicherung entsprechend, eine Mehrzahl eigenständiger versicher- 18 ter Interessen gleichzeitig erfassen zu können, modifiziert Absatz 2 Satz 2 die Wirkung der fristlosen Kündigung dahin, dass der Versicherungsschutz für andere zu diesem Zeitpunkt versicherte Einzelrisiken bis zur vertragsgemäßen Beendigung ihrer Versicherung bestehen bleibt. Hinsichtlich dieser Risiken besteht eine Auslauf- oder Ablaufhaftung des VR. Die Wirkung der Kündigung bezieht sich mithin nur auf alle nach Wirksamwerden der fristlosen Kündigung des Vertrages entstehenden Einzelrisiken. Angesichts der Disposivität der Bestimmung ist statt der fristlosen Kündigung des Ge- 19 samtvertrages auch der fristlose Ausschluss bestimmter, vom Vertrag erfasster Risikokategorien bei Verletzung einer darauf bezogenen Anmeldepflicht, also eine Teilkündigung vereinbar. Hierfür mag etwa in der Warenkreditversicherung bei Zahlungsverzug oder sonstiger Zahlungsunzuverlässigkeit eines einzelnen Kunden des VN ein Bedürfnis bestehen, indem mit fristloser Wirkung alle in Bezug auf diesen Kunden entstehenden Risiken aus dem Versicherungsschutz der Police ausgeschlossen werden.

3. Auswirkungen einer fristlosen Kündigung des Vertrages auf die Prämie (Absatz 2 Satz 3) Bei fristloser Kündigung hat der VR Prämienanspruch auf die Prämie, die bis zum Wirksam- 20 werden der Kündigung bei erfüllter Anmeldepflicht zu zahlen gewesen wäre. Wie dieser Prämienanspruch im Einzelnen zu berechnen ist, bestimmt sich nach den im Vertrag vereinbarten

16 Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 40. 17 Prölss/Martin/Armbrüster § 54 Rn. 4. 18 Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 24 Rn. 15. 779

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§ 54 VVG

Verletzung der Anmeldepflicht

Berechnungsgrundsätzen, je nachdem ob Pauschalabrechnung oder Einzelabrechnung vorgesehen ist.

C. Darlegungs- und Beweislast 21 Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast entspricht den allgemeinen Grundsätzen. Der VR hat die objektive Verletzung der Anmeldepflicht zu beweisen und auch den Vorsatz, wenn er nach Absatz 2 Satz 1 kündigen will. Der VN hat allerdings den Gegenbeweis im Sinne von Absatz 1 Satz 2 zu führen, dass er die Anmeldepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat.19

19 Langheid/Wandt/Reinhard § 54 Rn. 19 f.; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 54 Rn. 9; Langheid/Rixecker/Rixecker § 54 Rn. 1; zu teilweise anderen Ergebnissen kommt die Mindermeinung, wonach die Anmeldung nicht auf einer Rechtspflicht, sondern auf einer Obliegenheit beruht, vgl. dazu grundsätzlich § 53 Rn. 33 sowie zur Darlegungs- und Beweislast etwa Prölss/Martin/Armbrüster § 54 Rn. 6 und Langheid/Wandt/Reinhard § 54 Rn. 19. Schnepp

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§ 55 Einzelpolice (1)

1

Ist bei einer laufenden Versicherung ein Versicherungsschein für ein einzelnes Risiko (Einzelpolice) oder ein Versicherungszertifikat ausgestellt worden, ist der Versicherer nur gegen Vorlage der Urkunde zur Leistung verpflichtet. 2Durch die Leistung an den Inhaber der Urkunde wird er befreit. (2) 1Ist die Urkunde abhandengekommen oder vernichtet, ist der Versicherer zur Leistung erst verpflichtet, wenn die Urkunde für kraftlos erklärt oder Sicherheit geleistet ist; eine Sicherheitsleistung durch Bürgen ist ausgeschlossen. 2Dies gilt auch für die Verpflichtung des Versicherers zur Ausstellung einer Ersatzurkunde. (3) 1Der Inhalt der Einzelpolice oder eines Versicherungszertifikats gilt abweichend von § 5 als vom Versicherungsnehmer genehmigt, wenn dieser nicht unverzüglich nach der Übermittlung widerspricht. 2Das Recht des Versicherungsnehmers, die Genehmigung wegen Irrtums anzufechten, bleibt unberührt.

Schrifttum Siehe Vor §§ 53–58 sowie zu §§ 3, 4 und 5.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Tatbestandsmerkmale des § 55

I.

Form und Rechtsnatur der Einzelpolice (Ab5 satz 1) Verhältnis zwischen Versicherungsschein, Ein5 zelpolice und Versicherungszertifikat

1.

2.

Rechsnatur der Einzelpolice und deren Legitima9 tionswirkung

II.

Aufgebotsverfahren und Kraftloserklärung bei abhandengekommenen oder vernichteten Ur18 kunden (Absatz 2)

III.

Billigungsklausel (Absatz 3)

C.

Abdingbarkeit

D.

Beweislast

1 4 5 23

30 32

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 55 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur laufenden Versicherung (§§ 53 bis 58), mit der VVG- 1 Reform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der laufenden Versicherung auf die Vorbemerkungen zu §§ 53 ff. verwiesen. § 55 knüpft an die Bedürfnisse der Praxis an, denen etwa bereits schon § 97 Abs. 4 ADS 1919 2 mit folgender Bestimmung Rechnung trug: (4) Der Versicherer hat dem Versicherungsnehmer auf Verlangen eine von ihm unterzeichnete Urkunde über die einzelne Aufgabe (Einzelpolice) auszuhändigen. Die Einzelpolice gilt als Police im Sinne des Gesetzes und dieser Bedingungen; jedoch findet die Bestimmung des § 15 über die Genehmigung des Inhalts der Police auf sie keine Anwendung.1

1 § 15 ADS 1919 bestimmt: „Der Inhalt der Police gilt als vom Versicherungsnehmer genehmigt, wenn dieser nicht unverzüglich nach der Aushändigung widerspricht. Das Recht des Versicherungsnehmers, die Genehmigung wegen Irrtums anzufechten, bleibt unberührt.“. 781 https://doi.org/10.1515/9783110522624-042

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§ 55 VVG

Einzelpolice

3 Insbesondere für die Bereiche der Warentransportversicherung und der Warenkreditversicherung besteht in der Praxis häufig ein Bedürfnis nach einem Verkehrsdokument. Der Versicherungsschein einer laufenden Versicherung ist mangels Identifizierung versicherter Einzelinteressen hierzu ungeeignet. Um dem Verkehrsbedürfnis nach dokumentiertem Nachweis bestehenden Versicherungsschutzes zu entsprechen, hat der Kommissionsentwurf die Aufnahme der Bestimmung in das Gesetz empfohlen.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 4 Der dem VN auszuhändigende Versicherungsschein über die laufende Versicherung lässt zwar erkennen, was versichert sein kann, nicht aber was versichert ist. Er ist deshalb nicht geeignet den Nachweis darüber zu führen, ob ein in dem Versicherungsschein beschriebenes versicherbares Interesse auch tatsächlich versichert ist. Der Verkehr bedarf aber dieses Nachweises, insbesondere wenn die Versicherung für fremde Rechnung genommen wird und die Versicherten auch kein Recht an dem Versicherungsschein haben. Es ist deshalb seit je üblich zu vereinbaren, dass der VR dem VN auf dessen Verlangen über die Einzelanmeldungen Einzelpolicen (in der Praxis auch als Zertifikat, Versicherungszertifikat, certificate, extract of marine insurance bekannt) auszuhändigen hat.

B. Tatbestandsmerkmale des § 55 I. Form und Rechtsnatur der Einzelpolice (Absatz 1) 1. Verhältnis zwischen Versicherungsschein, Einzelpolice und Versicherungszertifikat 5 Die Regelung von Absatz 1 Satz 1 Halbs. 1 in Verbindung mit der Überschrift der Norm ist sprachlich und dogmatisch missglückt. Die Norm ist mit „Einzelpolice“ überschrieben. In Absatz 1 Satz 1 Halbs. 1 wird die Einzelpolice als der Versicherungsschein für das Einzelrisiko definiert und daneben das Versicherungszertifikat genannt. Kommissionsentwurf2 und Referentenentwurf3 hatten den Begriff „Versicherungsschein“ für die Einzelpolice vermieden. Erst der Regierungsentwurf ändert die Terminologie und erklärt hierzu in der Begründung:4 „Als Verkehrsdokument ist der Versicherungsschein für die laufende Versicherung ungeeignet, weil er keine Aussage über ein bestimmtes versichertes Einzelrisiko enthält. Da aber der Verkehr eines dokumentierten Nachweises bedarf, hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer auf Verlangen über die einzelne Aufgabe eine Einzelpolice auszuhändigen, die als Versicherungsschein im Sinn des Gesetzes gilt und wie jeder Versicherungsschein an Order gestellt werden kann.“

Eine besondere Erläuterung des Begriffs des Versicherungszertifikats fehlt in der Gesetzesbegründung, wobei der Gesetzeswortlaut den Eindruck erweckt, es handele sich um ein Aliud zu der Einzelpolice. Im Ergebnis führt die sprachliche und dogmatische Unschärfe jedoch nicht zu praxisrelevanten Rechtsunsicherheiten. 6 So besteht Einigkeit, dass auf die Einzelpolice § 3 Anwendung findet, soweit in § 55 nicht etwas anderes bestimmt ist.5 Ob es sich bei der Einzelpolice um einen Versicherungsschein i.S.v. 2 3 4 5

KomE S. 220. RefE S. 38. RegE S. 76. RegE S. 76; so auch alle nachstehend zitierten Fundstellen dieser Rn.

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B. Tatbestandsmerkmale des § 55

VVG § 55

§ 3 handelt,6 diese als Versicherungsschein gilt7 oder der Rechtscharakter als Versicherungsschein fingiert wird,8 ist vor diesem Hintergrund eine rein dogmatische Frage ohne Konsequenzen für die Rechtsanwendung. Allerdings ist die schon in der Vorauflage vertretene Auffassung der Fiktion vorzugswürdig. Der Gesetzgeber des neuen VVG hat zwar in § 3 auf eine Legaldefinition des Versicherungsscheins verzichtet, weil sich diese in der Praxis als bedeutungslos herausgestellt hat.9 Die Funktion des Versicherungsscheins ist aber unverändert geblieben. In § 3 a.F. war der Versicherungsschein als „Urkunde über den Versicherungsvertrag“ definiert. Die Einzelpolice ist indes keine Urkunde über den (gesamten) Versicherungsvertrag, sondern eben gerade des Einzelrisikos. Sofern die Einzelpolice eine Inhaberklausel trägt, ist ergänzend § 4 anwendbar.10 Versicherungszertifikat ist, anders als der Wortlaut von Absatz 1 Satz 1 Halbs. 1 nahelegen 7 könnte, kein Aliud zur Einzelpolice, sondern nur eine in der Praxis übliche andere Bezeichnung (oft auch kurz: „Zertifikat“ oder „Versicherungsbestätigung“) für die gleiche Urkunde.11 Da § 3 Anwendung findet, ist die Einzelpolice12 grundsätzlich in Textform zu erteilen, auf 8 Verlangen aber als Urkunde (§ 3 Abs. 1).13 Verlangen kann die Ausstellung als Urkunde nur der VN. Die Ausstellung als Urkunde setzt die Papierform voraus, wobei aber eine Unterzeichnung durch den VR nicht erforderlich ist.14 In der Praxis wird aufgrund der gesteigerten Beweiskraft15 die Ausstellung als Urkunde und auch die Unterzeichnung durch den VR vereinbart.16

2. Rechsnatur der Einzelpolice und deren Legitimationswirkung Hinsichtlich der Rechtsnatur der Einzelpolice ist zu unterscheiden, ob diese in Textform oder 9 als Urkunde ausgestellt wird. Wird die Einzelpolice (nur) in Textform ausgestellt, so beschränkt sich deren Funktion (wie 10 bei dem Versicherungsschein)17 darauf, über Bestand, Inhalt und Umfang des Versicherungsschutzes für das darin bezeichnete Einzelrisiko Beweis zu führen. Die in Absatz 1 normierte Legitimationswirkung18 findet auf die Einzelpolice keine Anwendung; das Gesetz knüpft diese an die „Urkunde“. Die Einzelpolice muss – wie bei einem Versicherungsschein19 – den auf dieses einzeln bestimmte Risiko bezogenen wesentlichen Inhalt des gewährten Versicherungsschutzes enthalten, also insbesondere die Bezeichnung • der Vertragsparteien, • (soweit einschlägig) des Dritten, dessen Interessen bei einer Versicherung für fremde Rechnung von der Police erfasst werden sollen, • des versicherten Interesses, 6 Prölss/Martin/Armbrüster § 55 Rn. 1; wohl auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 55 Rn. 1. 7 Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 55 Rn. 2. 8 Bruck/Möller/Renger9 § 55 Rn. 4; ähnlich Langheid/Rixecker/Rixecker § 55 Rn. 1, wonach § 55 Abs. 1 die Einzelpolice dem Versicherungsschein „gleich stellt“. 9 RegE S. 57; Bruck/Möller/Knops § 3 Rn. 2. 10 Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 55 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 55 Rn. 3. 11 Allg.M., siehe alle Fn. zu Rn. 6 sowie Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers § 54 Rn. 2. 12 In den weiteren Rn. zu § 55 wird der Begriff Einzelpolice als Synonym zu Versicherungszertifikat verwandt, vgl. Rn. 7. 13 Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 7. 14 Bruck/Möller/Knops § 3 Rn. 10. 15 Dazu allgemein Bruck/Möller/Knops § 3 Rn. 7. 16 So etwa Ziff. 7.2 Satz 1 Best. für die laufende Versicherung DTV-Güter 2000/2011 (Fassung Juni 2020), Abdruck § 53 Rn. 27. 17 Bruck/Möller/Knops § 3 Rn. 7. 18 Vgl. Rn. 9. 19 Bruck/Möller/Knops § 3 Rn. 11. 783

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Einzelpolice

• der Gefahr, gegen welche versichert wird, • der technischen und formellen Versicherungsdauer, • der Versicherungssumme. Wird die Einzelpolice als Urkunde ausgestellt, ist der VR nur gegen Vorlage der Urkunde zur Leistung verpflichtet (Absatz 1 Satz 1 Halbs. 2) und wird durch Leistung an den Inhaber der Urkunde frei (Absatz 1 Satz 2). Dies gilt erst recht, aber nicht nur,20 wenn die Einzelpolice i.S.v. § 4 Abs. 1 auf den Inhaber ausgestellt ist. Eine befreiende Leistung ist jedoch nicht möglich, wenn der VR die Nichtberechtigung des Inhabers kennt oder sonst gegen Treu und Glauben die Leistung bewirkt hat.21 Gleiches gilt nach zutreffender ganz herrschender Ansicht (in Analogie zu Art. 40 Abs. 3 Satz 1 WechselG) bei grob fahrlässiger Unkenntnis des VR.22 Der VR ist allerdings grundsätzlich nicht verpflichtet, die Berechtigung des Inhabers zu prüfen.23 Er kann darüber hinaus auch ohne Vorlage der Einzelpolice leisten. Aufgrund dieser Wirkung ist die Einzelpolice als Urkunde nicht nur Beweisurkunde i.S.v. § 402 BGB, sondern auch Schuldschein im Sinne des § 371 BGB24 sowie hinkendes Inhaberpapier bzw. qualifiziertes Legitimationspapier i.S.v. § 808 BGB.25 Auch wenn die Einzelpolice als Urkunde nach Absatz 1 grundsätzlich ein hinkendes Inhaberpapier bzw. qualifiziertes Legitimationspapier ist, kann sie als echtes Inhaberpapier i.S.v. §§ 793 ff. BGB ausgestaltet werden.26 Die Urkunde ist dann kein Schuldschein, sondern Wertpapier. Die Übertragung der Rechte aus der Einzelpolice erfolgt dann durch Übereignung der Urkunde. Allerdings setzt die Ausgestaltung als echtes Inhaberpapier voraus, dass dies ausreichend deutlich in der Urkunde zum Ausdruck kommt.27 Überdies kann die Urkunde als Namenspapier an Order gestellt werden, was insbesondere in Betracht kommt, wenn es sich um eine Versicherung für fremde Rechnung handelt.28 Die Urkunde ist dann kein Schuldschein, sondern Wertpapier i.S.v. § 363 Abs. 2 HGB. Die Übertragung aller Rechte aus der Einzelpolice erfolgt durch Indossament (§ 364 Abs. 1 HGB).29 Der Unterschied zwischen der Einzelpolice als hinkendes Inhaberpapier bzw. qualifiziertes Legitimationspapier zu den Fällen, in denen es sich um ein Wertpapier handelt, ist nicht nur hinsichtlich der Art und Weise der Übertragung der Rechte aus der Versicherung des einzelnen Risikos bedeutsam, sondern auch bei der Frage, welche Einwendungen gegen den gutgläubigen Inhaber der Einzelpolice geltend gemacht werden können, nachdem der VN diese aus der Hand gegeben hat. Handelt es sich – wie in der Regel – nicht um ein Wertpapier, können dem Inhaber gegenüber alle Einwendungen aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis, also dem Versicherungsvertrag, entgegengehalten werden (§ 404 BGB). Bei einem echten Wertpapier können dem gutgläubigen Inhaber dagegen nur die Einwendungen entgegengehalten werden, die sich aus der Einzelpolice selbst ergeben, wobei es allerdings jedenfalls im kaufmännischen Ver-

20 So aber offenbar Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 55 Rn. 4. 21 BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 938; 22.3.2000 – IV ZR 23/99, VersR 2000 709, 710; 24.2.1999 – IV 122/98, VersR 1999 700, 701; Bruck/Möller/Knops § 4 Rn. 6 m.w.N.; Prölss/Martin/Armbrüster § 55 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 4. 22 OLG Düsseldorf 27.11.1986 – 6 U 49/86, NJW 1987 654, 655; Bruck/Möller/Knops § 4 Rn. 6 m.w.N.; Prölss/Martin/ Armbrüster § 55 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 4; a.A. Bruck/Möller/Riemer9 Band 6/1 Ziff. 11 DTV-Güter 2000/2011 Rn. 5; offen gelassen zuletzt BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 938. 23 BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936, 937; Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 55 Rn. 2. 24 BGH 10.3.2010 – IV ZR 207/08, VersR 2010 936; Prölss/Martin/Armbrüster § 55 Rn. 2. 25 Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 4. 26 Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 6; Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers § 55 Rn. 164. 27 BGH 24.5.1962 – II ZR 199/60, VersR 1962 659, 660 (abgelehnt für die Formulierung „in favour of the bearer”); eingehend dazu Enge/Schwampe S. 214 f. 28 RegE S. 76; Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 4, Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers § 55 Rn. 163. 29 Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 5, Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers § 55 Rn. 163. Schnepp

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B. Tatbestandsmerkmale des § 55

VVG § 55

kehr ausreicht, dass sich die Einwendungen durch die Bezugnahme auf branchenübliche Versicherungsbedingungen ergeben.30 Werden die unter einer laufenden Versicherung versicherten Güter veräußert, gehen die 16 Rechte und Pflichten aus dem Vertrag über die laufende Versicherung, soweit sie sich auf die veräußerten Güter beziehen, ohne weiteres auf den Erwerber über (entsprechend § 95). Ist hierüber eine Einzelpolice ausgestellt (ob in Textform oder als Urkunde), so hat der Erwerber in der Regel Anspruch auf Übergabe der Einzelpolice (§ 952 BGB).31 Ein Kündigungsrecht des Erwerbers oder eine Anzeigepflicht entsprechend §§ 96, 97 bestehen hingegen nicht, es sei denn, sämtliche unter einer laufenden Versicherung versicherbaren Güter sind betroffen, was nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Ist die laufende Versicherung bei einem Lloyd’s Syndikat oder einer anderen Mehrheit von 17 VR genommen, hat sich in der Hamburger Transportversicherungspraxis eingebürgert, dass der führende VR den Versicherungsmaklern blanko gezeichnete Formulare zur Erteilung von Einzelpolicen nach Maßgabe des durch die laufende Versicherung vorgegebenen Vertragsinhalts zur Verfügung stellt.32

II. Aufgebotsverfahren und Kraftloserklärung bei abhandengekommenen oder vernichteten Urkunden (Absatz 2) Absatz 2 enthält für den Fall, dass die Einzelpolice als Urkunde (und nicht nur in Textform) ausgestellt wurde, eine Sonderregelung im Verhältnis zu § 3 Abs. 3, die jedoch an die allgemeinen Regeln (bis 2009 der ZPO und heute) des FGG sowie des BGB und des HGB anknüpft. Sie ist eine notwendige Folge der Charakterisierung der Einzelpolice in Form der Urkunde als Legitimationspapier bzw. – bei entsprechender Vereinbarung33 – als echtes Wertpapier. Nach Absatz 2 Satz 1 ist der VR nach Abhandenkommen und Vernichtung der Urkunde erst zur Leistung verpflichtet, wenn die Urkunde für kraftlos erklärt wurde. Das Abhandenkommen umfasst nicht nur die Fälle des § 935 Abs. 1 BGB, sondern nach Sinn und Zweck der Norm auch die Fälle, in denen der VN den Besitz freiwillig aufgegeben hat.34 Abhandengekommene oder vernichtete Urkunden können nur im Wege des gerichtlichen Aufgebotsverfahrens nach §§ 433 ff., 466 ff. FamFG durch einen Ausschließungsbeschluss (§ 478 FamFG) für kraftlos erklärt werden. Auch schon vor Kraftloserklärung kann der Berechtigte (im Regelfall der VN), entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 365 Abs. 2 Satz 2 HGB jedoch erst nach Einleitung des Aufgebotsverfahrens,35 Leistung nach Maßgabe der Urkunde verlangen, wenn er bis zur Kraftloserklärung Sicherheit leistet. Die zulässigen Sicherheiten ergeben sich aus § 232 Abs. 1 BGB. Die Sicherheitsleistung durch Bürgen ist entgegen § 232 Abs. 2 BGB ausdrücklich ausgeschlossen (Absatz 2 Satz 1 Halbs. 2). Nach Kraftloserklärung oder schon vorher (anders als bei § 3 Abs. 3 Satz 2 für den Versicherungsschein) nach Sicherheitsleistung ist der VR verpflichtet, eine Ersatzurkunde auszustellen (Absatz 2 Satz 2). Das Recht auf Ausstellung der Ersatzurkunde steht, wie bei der ursprünglichen Urkunde, nur dem VN zu (soweit nicht im Versicherungsvertrag anders vereinbart). Sofern die 30 In Einzelnen Enge/Schwampe S. 215 ff. 31 Langheid/Rixecker/Rixecker § 55 Rn. 1; wohl auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 55 Rn. 4 („ähnlich § 952 BGB“). 32 Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 37; Schlegelberger § 97 ADS Rn. 11. 33 Rn. 13 f. 34 Ganz h.M. Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 55 Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 55 Rn. 6; Langheid/Wandt/Reinhard § 3 Rn. 45, a.A. RG 21.1.1921 – VII 360/20, RGZ 101 224, 225 (kein Abhandenkommen bei vom Irrtum beeinflussten Willen). 35 So wohl auch Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 10. 785

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ursprüngliche Urkunde bei Abhandenkommen oder Untergang im rechtmäßigen Besitz eines Dritten war (insbesondere bei einem echten Inhaber- oder Orderpapier), kann sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem VN und dem Dritten (ggf. auch mittelbar, falls der Dritte nicht unmittelbar von dem VN erworben hat) die Pflicht des VN ergeben, die Ersatzurkunde für den Dritten zu beschaffen bzw. diesem die Ersatzurkunde zu überlassen. 22 Wurde die Einzelpolice nur in Textform (also nicht auch als Urkunde) ausgestellt und kommt diese abhanden oder wird vernichtet (etwa bei ursprünglicher Übermittlung per E-Mail und der Vernichtung aller Daten bei dem VN), ist nicht Absatz 2 einschlägig, sondern es bleibt § 3 Abs. 3 anwendbar.

III. Billigungsklausel (Absatz 3) 23 Absatz 3 ist als Billigungsklausel eine von § 5 abweichende und diesen verdrängende Sondervorschrift für laufende Versicherungen. Diese Sondervorschrift gilt unabhängig davon, ob die Einzelpolice in Textform oder als Urkunde ausgestellt wurde. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass Widersprüche zwischen laufender Police und Einzelpolice denkbar sind. Die Einzelpolice bezieht sich nicht auf den Inhalt des Versicherungsvertrages als Ganzes, sondern dokumentiert nur eine Aussage über den Versicherungsschutz eines bestimmten Einzelrisikos. Beruht der Widerspruch zwischen Versicherungsvertrag und Einzelpolice auf ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung zwischen VR und VN, gilt die Einzelpolice. Weicht der Inhalt der Einzelpolice vom Vertrag über die laufende Versicherung oder einer 24 Zusatzvereinbarung ab, so gilt zu Lasten des VN die Abweichung als genehmigt, wenn er nicht unverzüglich widerspricht (Absatz 3 Satz 1). Dies gilt entsprechend für eine durch den VR (insbesondere nach Absatz 2) ausgestellte Ersatzurkunde.36 Die aus Gründen des Verbraucherschutzes in § 5 Abs. 1 bis 3 für die Wirksamkeit der Genehmigung abweichender Vertragsinhalte aufgestellten Bedingungen – Monatsfrist, Belehrung über die Abweichung und Rechtsfolgenhinweis – finden auf die Genehmigungsfiktion des Absatzes 3 keine Anwendung.37 Der Widerspruch hat unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), 25 zu erfolgen, d.h. alsbald nachdem der VN durch Empfang der Einzelpolice von dem abweichenden Inhalt Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Wird die Einzelpolice zwar als Urkunde ausgestellt, jedoch vorab in Textform übermittelt, kommt es auf die Kenntnis der Textform an.38 In der Regel beträgt die Frist für einen rechtzeitigen Widerspruch nur wenige Tage.39 Insbesondere im kaufmännischen Verkehr dürfte die Frist nicht mehr als drei bis vier Werktage betragen.40 Will der VN die Einzelpolice an einen Dritten weitergeben, hat er diese vorher zu prüfen; 26 macht er dies nicht, erlischt das Widerspruchsrecht, auch wenn die Frist hierfür noch nicht abgelaufen ist.41 Ist die inhaltlich unzutreffende Einzelpolice Inhaberpapier, gewährt sie dem Erwerber keinen Gutglaubensschutz. Anderes gilt jedoch, wenn die Einzelpolice an Order gestellt und durch Indossament übertragen worden ist.42 Ziff. 7.2 Satz 2 Halbs. 2.1.1 Best. für die laufende Versicherung DTV-Güter 2000/2011 (Fassung 27 Juni 2020)43 sieht vor, dass auf die als Urkunde ausgestellte Einzelpolice die Bestimmungen über die Genehmigung des Inhalts der Police keine Anwendung finden. Dies wird teilweise da36 37 38 39 40 41 42 43

Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 55 Rn. 9. RegE S. 76. RegE S. 76. Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 15. Ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 55 Rn. 9. Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 15. Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 36. Abdruck § 53 Rn. 27.

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D. Beweislast

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hin ausgelegt, dass damit ein Widerspruch nach ihrer Aushändigung nicht mehr möglich ist,44 teilweise beschränkt auf den Fall, dass die Urkunde auf einen Dritten übertragen wurde.45 Ersteres würde bedeuten, dass der VN jeden Fehler des VR hinnehmen müsste. Letzteres gilt schon nach Absatz 3 Satz 1 ohne besondere Regelung.46 Zudem schließt der Wortlaut der Regelung nur die Bestimmung über die Genehmigung aus, nicht aber den Widerspruch. Richtigerweise ist die Regelung daher so zu verstehen, dass § 55 Abs. 3 insofern abbedungen wird, dass es bei einem erfolgten rechtzeitigen Widerspruch keine Genehmigungsfiktion gibt und nach § 5 Abs. 3 die Versicherung des Einzelrisikos gemäß der Anmeldung des VN als versichert gilt.47 Nach Absatz 3 Satz 2 bleibt das Recht des VN zur Irrtumsanfechtung der Genehmigung un- 28 berührt. Dies entspricht § 5 Abs. 4, ist aber anders als für den Versicherungsschein abdingbar.48 Ob dem VN ein solches Recht zusteht, bestimmt sich nach den gesetzlichen Voraussetzungen (§§ 119, 121 BGB). Die Anfechtung bezieht sich allerdings nicht auf eine Willenserklärung des VN, sondern auf die Genehmigungsfiktion von Absatz 3 Satz 1. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der VN den Widerspruch unter Hinwies auf sein Anfechtungsrecht nachholen kann, wenn die Voraussetzungen für eine Anfechtung vorliegen.49 Absatz 3 Satz 2 erwähnt nur das Recht der Irrtumsanfechtung des VN. Ungeachtet dessen 29 kann auch der VR wegen Irrtums und es können beide Parteien nach § 123 BGB anfechten, wenn dafür die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.50

C. Abdingbarkeit § 55 ist, wie generell die Vorschriften zur laufenden Versicherung, abdingbar (§ 210 Abs. 1); die 30 §§ 305 ff. BGB sind aber anwendbar.51 Sofern das Recht zum Widerspruch abbedungen wird (Absatz 3 Satz 1), darf bei AVB nicht 31 auch das Recht zur Irrtumsanfechtung der dann bestehenden Genehmigungsfiktion (Absatz 3 Satz 2) abbedungen werden.52

D. Beweislast Der VR muss die Übermittlung der Einzelpolice und ggf. einer Ersatzurkunde beweisen. Der VN 32 muss darlegen und beweisen, dass er rechtzeitig widersprochen hat und der Widerspruch dem VR zuging. Im Falle einer Anfechtung trägt der Anfechtende die Beweislast. Es gelten insoweit die allgemeinen Voraussetzungen.

44 45 46 47 48 49 50 51 52

Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers Teil 5 Rn. 731. Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 17. Vgl. Rn. 26. Bruck/Möller/Riemer9 Band 6/1 Ziff. 6 Best. Laufende Versicherung DTV-Güter 2000/2011 Rn. 4 f. RegE S. 76. Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 18. Langheid/Wandt/Reinhard § 55 Rn. 19. Vor §§ 53 ff. Rn. 11 f.; vgl. zu Abweichungen in der Praxis vorstehend Rn. 13 f., 27. Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 55 Rn. 16, der dies aber wohl auch bei Individualvereinbarungen annehmen möchte. 787

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§ 56 Verletzung der Anzeigepflicht (1)

1

Abweichend von § 19 Abs. 2 ist bei Verletzung der Anzeigepflicht der Rücktritt des Versicherers ausgeschlossen; der Versicherer kann innerhalb eines Monats von dem Zeitpunkt an, zu dem er Kenntnis von dem nicht oder unrichtig angezeigten Umstand erlangt hat, den Vertrag kündigen und die Leistung verweigern. 2Der Versicherer bleibt zur Leistung verpflichtet, soweit der nicht oder unrichtig angezeigte Umstand nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war. (2) 1Verweigert der Versicherer die Leistung, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag kündigen. 2Das Kündigungsrecht erlischt, wenn es nicht innerhalb eines Monats von dem Zeitpunkt an ausgeübt wird, zu welchem dem Versicherungsnehmer die Entscheidung des Versicherers, die Leistung zu verweigern, zugeht.

Schrifttum Siehe Vor §§ 53–58 sowie zu §§ 19 und 21.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Zweck der Regelung

3

III.

Anwendungsbereich

5

B.

Tatbestandsmerkmale des § 56

I.

Ausgangspunkt: Verletzung der vorvertragli9 chen Anzeigepflicht

II.

Rechtsfolgen einer Verletzung der Anzeige10 pflicht (Absatz 1)

1

9

1. 2. 3. 4.

10 Kein Rücktrittsrecht des VR 11 Kündigungsrecht des VR Leistungsverweigerungsrecht des VR 19 Anfechtungsrecht des VR

III.

Kündigungsrecht des VN bei Leistungsverweige20 rung (Absatz 2)

C.

Abdingbarkeit

D.

Darlegungs- und Beweislast

16

25 27

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 § 56 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur laufenden Versicherung (§§ 53 bis 58), mit der VVGReform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der laufenden Versicherung auf die Vorbemerkungen zu §§ 53 ff. verwiesen. Die Vorschrift wurde auf Vorschlag des GDV1 zusammen mit § 57 in den Regierungsentwurf 2 aufgenommen; Kommissionsentwurf und Referentenentwurf hielten beide Bestimmungen für entbehrlich. Inhaltlich orientiert sich § 56 an § 20 ADS 1919. § 56 stimmt, wie der Regierungsentwurf hervorhebt, wörtlich mit der Regelung des § 131 für die Transportversicherung überein.2 1 Stellungnahme des GDV vom 15.5.2006 zum RefE, S. 71 ff. 2 RegE S. 76. Schnepp https://doi.org/10.1515/9783110522624-043

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A. Einführung

VVG § 56

II. Zweck der Regelung Die Bestimmung regelt in bewusster Abweichung von § 19 die Rechtsfolgen einer Verletzung der 3 vorvertraglichen Anzeigepflicht des VN. Die Reform des VVG hat für die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen des VN und bei Gefahrerhöhung aus Gründen des Verbraucherschutzes ein neues gesetzliches Leitbild entwickelt, dessen Grundsätze Kommissionsbericht3 und Regierungsentwurf4 wie folgt zusammenfassen: • Auf die Leistungsfreiheit als Rechtsfolge wird nicht verzichtet; in manchen Fällen erscheint es aber ausreichend, wenn der Versicherer kündigen oder eine höhere Prämie verlangen kann. • Zur Leistungsfreiheit können grundsätzlich nur solche Verstöße führen, die kausal für den Versicherungsfall oder den Umfang der Leistung des Versicherers sind. Nur betrügerisches Verhalten des Versicherungsnehmers vor und nach dem Versicherungsfall führt ausnahmsweise, auch wenn es nicht kausal geworden ist, zur Leistungsfreiheit. • Einfach fahrlässig verursachte Verstöße bleiben folgenlos. • Vorsätzliche Verstöße führen – vorbehaltlich des zweiten Grundsatzes – zur Leistungsfreiheit. • Bei grob fahrlässigen Verstößen des Versicherungsnehmers gegen Obliegenheiten kann der Versicherer seine Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens kürzen. • Der Versicherungsnehmer soll nicht von der Leistungsfreiheit überrascht werden: Es werden Belehrungspflichten des Versicherers vorgesehen, die den Versicherungsnehmer warnen und ihn zu richtigem Verhalten anhalten sollen. • Die Beweislast wird klar und einheitlich geregelt: Bei objektiver Tatbestandsverwirklichung wird von grober Fahrlässigkeit ausgegangen, d.h. die Beweislast für Vorsatz trägt der Versicherer, von grober Fahrlässigkeit muss sich der Versicherungsnehmer entlasten. Die Beweislast für Kausalität soll dagegen unverändert bleiben; Obliegenheitsverletzungen bleiben folgenlos, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass sein Verhalten nicht kausal war. Zwar unterliegt die laufende Versicherung, als im Grundsatz kaufmännische Versicherung, ge- 4 mäß § 210 Abs. 1 nicht den Beschränkungen der Vertragsfreiheit durch zwingende und halbzwingende Vorschriften des VVG, an ihren darin formulierten gesetzlichen Leitbildern wären bei einer AGB-Kontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB aber auch für laufende Versicherungen verwendete AVB zu messen.5 Es sollte durch ausdrückliche gesetzliche Regelung klargestellt werden, dass die bisherige Praxis der laufenden Versicherung (und der Transportversicherung), Verletzungen der Anzeigepflicht mit uneingeschränkter Leistungsfreiheit zu sanktionieren, durch die Reform nicht in Frage gestellt werden sollte.6

III. Anwendungsbereich Grundsätzlich sind bei der laufenden Versicherung zwei verschiedene Anzeigepflichten zu 5 unterscheiden: Jene Umstände, die sich aus gemeinsamen Risiken aller zu versichernden Risiken ergeben, und besondere Umstände einzelner Risiken. § 56 gilt nur für Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichten des (gesamten) Ver- 6 trages über die laufende Versicherung, nicht aber für die Anmeldung des Einzelrisikos (für diese gilt allein § 54).7 Dies gilt auch dann, wenn die Anmeldung konstitutiv wirkt, also für das Zustandekommen der Risikoübernahme die Annahme durch den VR erforderlich ist.8 Die 3 4 5 6 7

KomE S. 37 f. RegE S. 49. KomE S. 416 f.; RegE S. 115; vgl. Vor §§ 53 Rn. 11 f. KomE S. 377; RegE S. 76 (durch Verweis auf die Ausführungen zu Transportversicherung), S. 92. RegE S. 76; Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 1; Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker § 56 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 56 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 56 Rn. 2. 8 Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 1; a.A. Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 56 Rn. 5 i.V.m. § 53 Rn. 17. 789

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§ 56 VVG

Verletzung der Anzeigepflicht

gemeinsamen gefahrerheblichen Umstände aller zu versichernder Risiken sind also vor Vertragsschließung anzuzeigen. Lediglich auf bestimmte Einzelrisiken bezogene besondere gefahrerhebliche Umstände sind nur dann vor Vertragsschließung anzuzeigen, wenn diese Einzelrisiken und deren besondere gefahrerhebliche Umstände zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt sind. 7 Kein Gegenstand der vorvertraglichen Anzeigepflicht sind also die erst bei Entstehung des Einzelinteresses sich ergebenden Umstände, die dessen Art und Umfang betreffen. Sie sind bei Schließung des Vertrages unbekannt. Werden besondere gefahrerhebliche Umstände von Einzelrisiken erst bei bzw. bis deren Entstehen erkannt, sind sie unverzüglich mit der Anmeldung des Einzelrisikos anzuzeigen. Ob für sie Versicherungsschutz, gegebenenfalls gegen Prämienzuschlag, Versicherungsschutz nur bei Deckungszusage oder Haftungsausschluss in Betracht kommt, bestimmt sich nach dem Vertrag. 8 Früher vertretene Auffassungen, bei der laufenden Versicherung seien gefahrerhebliche Umstände erst mit der Anmeldung des Einzelinteresses anzuzeigen,9 und die gegenteilige Ansicht, bei der laufenden Versicherung könne eine Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten nicht die Unverbindlichkeit der Versicherung nach sich ziehen,10 haben sich nicht durchgesetzt. Auch vor der VVG-Reform war ganz herrschende Meinung, dass in der laufenden Versicherung die vorvertragliche Anzeigepflicht bei Abschluss des Vertrages und nur bei ihm zu erfüllen ist.11

B. Tatbestandsmerkmale des § 56 I. Ausgangspunkt: Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht 9 Wie sich aus der Einleitung von Absatz 1 Satz 1 und der dortigen Bezugnahme auf § 19 Abs. 2 ergibt, regelt § 56 die Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung abweichend von den §§ 19 ff., nicht aber deren Voraussetzungen. Für Inhalt und Umfang der Anzeigepflicht bei Abschluss eines Vertrages über eine laufende Versicherung gelten die allgemeinen Grundsätze. Die Anzeigepflicht ist vor Vertragsschluss vom VN gegenüber dem VR eine formfrei zu erfüllende Obliegenheit und erstreckt sich auf alle dem Anzeigepflichtigen bei Schließung des Vertrages bekannten individuellen Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind. Die von § 19 Abs. 1 geforderten Voraussetzungen müssen erfüllt sein, insbesondere kommt es nur auf die erheblichen Fragen des VR an, die dieser in Textform gestellt hat.12 Im Übrigen ist auf die Kommentierung zu § 19 zu verweisen.

II. Rechtsfolgen einer Verletzung der Anzeigepflicht (Absatz 1) 1. Kein Rücktrittsrecht des VR 10 Abweichend von der allgemeinen Regel des § 19 Abs. 2 hat der VR bei Verletzung der Anzeigepflicht kein Rücktrittsrecht. Ohne dass dies ausdrücklich in § 56 Abs. 1 zum Ausdruck kommt, ist damit auch die Anwendung von § 19 Abs. 3 und 4 sowie 6 ausgeschlossen. Ob allerdings auch § 19 Abs. 5 ausgeschlossen ist, ist umstritten. Teilweise wird von der generellen Nichtanwendung der § 19 Abs. 3 bis 6 ausgegangen,13 teilweise wird angenommen, dass § 19 Abs. 5 anwendbar bleibt, und 9 Kisch PVR II 260. 10 Ehrenberg S. 410; Hagen ZfVW 1920 153. 11 OLG Hamburg 20.5.1955 – 1 U 269/53, VersR 1955 501, 502; Bruck/Möller/Möller8 § 16 Anm. 9; Bruck6 § 187 Rn. 7; Ritter/Abraham § 97 ADS Anm. 9; Schlegelberger § 97 ADS Rn. 3; Möhrle S. 127 f. 12 Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Rixecker § 56 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski § 56 Rn. 2. 13 Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 56 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski § 56 Rn. 6. Schnepp

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B. Tatbestandsmerkmale des § 56

VVG § 56

gemäß dessen Satz 1 auch bei Abschluss einer laufenden Versicherung auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen werden muss.14 Letztere Ansicht ist vorzugswürdig.15 Hierfür spricht, dass sich die Hinweispflicht nicht allein auf den durch § 56 Abs. 1 Satz 1 ausgeschlossenen Rücktritt, sondern mittelbar auch auf die Voraussetzungen der Anzeigepflichtverletzung bezieht und auch unter Berücksichtigung des kaufmännischen Verkehrs, auf den die laufende Versicherung ausgerichtet ist, ein Schutzbedürfnis des VN nicht per se negiert werden kann (was etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass unstreitig nach Gesetzeslage auch bei der laufenden Versicherung die Fragen des VR in Textform gestellt werden müssen).16

2. Kündigungsrecht des VR Der VR kann nach Absatz 1 Satz 1 innerhalb einer Monatsfrist den Vertrag kündigen. Maßgebend für die Berechnung der Monatsfrist zur Kündigung des Vertrages ist der Zeitpunkt, zu dem der VR Kenntnis von der Verletzung der Anzeigepflicht erlangt hat. Es kommt mithin (wie bei § 21 Abs. 1 Satz 2)17 auf die tatsächlich erlangte Kenntnis an; nicht darauf, ob der VR Kenntnis hätte haben können oder müssen.18 Es handelt sich um eine Ausschlussfrist, d.h. nach Ablauf der Monatsfrist ist eine Kündigung wegen der jeweiligen Anzeigepflichtverletzung ausgeschlossen (nicht aber wegen etwaiger weiterer Anzeigepflichtverletzungen). Erlangt der VR Kenntnis von einer Anzeigepflichtverletzung des VN, so steht ihm ein Kündigungsrecht unabhängig davon zu, ob ein Versicherungsfall eingetreten ist. Eine relevante Verletzung der Anzeigepflicht setzt kein Verschulden des VN voraus, liegt also auch dann vor, wenn dieses ohne Verschulden erfolgt.19 § 20 ist bei Handeln eines Vertreters des VN anwendbar.20 Das Kündigungsrecht ist nach dem anwendbaren § 19 Abs. 521 gemäß dessen Satz 2 ausgeschlossen, wenn der VR den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte.22 Die Kündigung ist entsprechend § 21 Abs. 1 Satz 3 zu begründen. Das Kündigungsrecht erlischt entsprechend § 21 Abs. 3 nach fünf bzw. zehn Jahren.23 Die Überlegungen, nach denen § 19 Abs. 5 bei der laufenden Versicherung anzuwenden ist,24 gelten entsprechend. Die Kündigung beendet den Vertrag über die laufende Versicherung und damit auch die Versicherung der Einzelrisiken. Die Kündigung hat mit Zugang bei dem VN grundsätzlich sofortige Wirkung. Dem VR ist es aber unbenommen, auch zu einem späteren Zeitpunkt zu kündigen, etwa zum Ende der laufenden Versicherungsperiode.25 14 Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 6; ebenso zur wortgleichen und in der Interessenlage vergleichbaren Norm der Transportversicherung Bruck/Möller/Schneider9 § 131 Rn. 15; Prölss/Martin/Koller § 131 Rn. 1. 15 Offengelassen durch OLG Köln 6.11.2012 – 9 U 66/12, Rn. 96 – juris (aufgrund bejahter Arglistanfechtung); unergiebig auch die Revisionsentscheidung BGH 16.10.2013 – IV ZR 390/12, VersR 2014 59, 64. 16 Vgl. Rn. 9. 17 Vgl. Bruck/Möller/Rolfs § 21 Rn. 22 ff. 18 Langheid/Rixecker/Rixecker § 56 Rn. 2; wohl ebenso Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 2; Langheid/Wandt/ Reinhard § 56 Rn. 9. 19 Ganz h.M., Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 56 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 5; a.A. Bruck/Möller/Schneider9 § 131 Rn. 18 zur wortgleichen Norm der Transportversicherung, wonach der VN die Anzeigepflichtverletzung wenigstens fahrlässig begangen haben muss. 20 Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 56 Rn. 6. 21 Umstritten, vgl. Rn. 10. 22 Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 7. 23 Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 10; a.A. Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 2; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski § 56 Rn. 6, wonach § 21 nicht anwendbar sein soll. 24 Vgl. Rn. 10. 25 Vgl. Bruck/Möller/Renger9 § 56 Rn. 14; a.A. wohl Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 8, der nur die sofortige Wirkung erwähnt. 791

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§ 56 VVG

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Verletzung der Anzeigepflicht

Sofern vertraglich Abweichendes nicht vereinbart ist, bestimmt sich bei einer Kündigung der Prämienanspruch des VR nach § 39 Abs. 1.

3. Leistungsverweigerungsrecht des VR 16 Der VR kann nach Absatz 1 Satz 1 ferner innerhalb einer Monatsfrist die Leistung verweigern. Die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts setzt – wie bei der Kündigung – eine entsprechende Erklärung des VR voraus, unabhängig davon, ob ein Versicherungsfall eingetreten ist oder nicht.26 Für die dabei zu beachtende Monatsfrist sowie die übrigen Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts gelten die Ausführungen zur Kündigung entsprechend.27 Das Leistungsverweigerungsrecht steht dem VR unabhängig von dem Kündigungsrecht zu, wie sich im Umkehrschluss aus Absatz 2 ergibt; der VR kann sich also dazu entscheiden, den Vertrag über die laufende Versicherung nicht zu kündigen, sondern nur die Leistung zu verweigern.28 Anders als das Kündigungsrecht kann das Leistungsverweigerungsrecht im Schadensfall auch gegenüber einem anspruchsberechtigten Dritten (etwa im Falle einer übertragenen Einzelpolice als echte Inhaberpolice oder eine Orderpolice)29 ausgeübt werden. Das Leistungsverweigerungsrecht ist allerdings nach Absatz 1 Satz 2 dahin eingeschränkt, 17 dass der VR verpflichtet bleibt, soweit der nicht oder unrichtig angezeigte Umstand nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war. Dies stimmt wortwörtlich mit § 26 Abs. 3 Nr. 1 überein und entspricht § 21 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2. Während § 21 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 jedoch die Leistungsfreiheit im Sinne des Alles-oder-Nichts-Prinzips dem Grunde nach ausschließt,30 ergibt sich aus dem Wort „soweit“ in Absatz 1 Satz 2 – wie bei § 26 Abs. 3 Nr. 131 –, dass die Leistungsfreiheit des VR auch der Höhe nach von der Ursächlichkeit der Anzeigepflichtverletzung abhängig ist.32 Übt der VR sein Leistungsverweigerungsrecht zu Recht aus, ist er (vorbehaltlich Absatz 1 18 Satz 2) nicht zur Leistung verpflichtet. Dies gilt für alle noch offenen und, wenn der VR nicht gleichzeitig kündigt, für alle zukünftigen Fälle, die auf der Anzeigepflichtverletzung beruhen. Das Leistungsverweigerungsrecht bezieht sich jedoch nicht auf bereits regulierte Versicherungsfälle;33 § 56 sieht gerade kein Rücktrittsrecht vor, dessen Rechtsfolge nach §§ 346 ff. BGB auch die Rückabwicklung bereits eingetretener Versicherungsfälle zur Folge hätte.34

4. Anfechtungsrecht des VR 19 Neben dem Kündigungs- und dem Leistungsverweigerungsrecht nach § 56 Abs. 1 steht dem VR nach § 22 i.V.m. § 123 BGB das Recht der Arglistanfechtung zu.35 Hierfür gelten die allgemeinen Voraussetzungen; auf die Kommentierung zu § 22 wird verwiesen.

26 Langheid/Rixecker/Rixecker § 56 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 11; a.A. offenbar und abzulehnen Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 56 Rn. 11, wonach der VR bei nicht erfolgter Kündigung auch noch nach Ablauf der Monatsfrist die Leistung verweigern kann, sein Recht aber nach § 242 BGB verwirkt sein kann. 27 Vgl. Rn. 11 bis 13. 28 Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker § 56 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Gesing/ Looschelders § 56 Rn. 7. 29 Vgl. § 55 Rn. 11 ff.; zur Kündigung des VN nach Absatz 2 in diesen Fällen nachstehend Rn. 22. 30 Vgl. Bruck/Möller/Rolfs § 21 Rn. 46. 31 Vgl. Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 26 Rn. 46. 32 Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 13. 33 So aber Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 12. 34 Vgl. Bruck/Möller/Rolfs § 21 Rn. 31. 35 Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 56 Rn. 1; Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 6. Schnepp

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D. Darlegungs- und Beweislast

VVG § 56

III. Kündigungsrecht des VN bei Leistungsverweigerung (Absatz 2) Absatz 2 gewährt als Gegengewicht zu dem dem VR in Absatz 1 zugesprochenen Recht zur Leistungsverweigerung bei Anzeigepflichtverletzung dem VN ein Kündigungsrecht, das aber erst mit der tatsächlichen Leistungsverweigerung durch den VR entsteht. Es handelt sich bei dieser Bestimmung um die Aufnahme eines für die Schadenversicherung eigentümlichen Prinzips, das dort als beiderseitiges Kündigungsrecht nach Eintritt des Versicherungsfalls ausgestaltet ist (§§ 92 und 111). Die Kündigung bezieht sich immer auf den Versicherungsvertrag über die laufende Versicherung, nicht auf das versicherte Einzelinteresse. Voraussetzung für das Entstehen des Kündigungsrechts des VN ist die Anzeigepflichtverletzung und die darauf gestützte Leistungsverweigerung des VR. Das Kündigungsrecht besteht also nicht, wenn der VR die Leistung aus anderen Gründen (etwa Obliegenheitsverletzungen, vgl. dazu § 58) verweigert.36 Es kommt hingegen nicht darauf an, ob der VR die Leistung unter Berufung auf die Anzeigepflichtverletzung zu Recht oder zu Unrecht verweigert.37 Kündigungsberechtigt ist nur der VN, und zwar innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Monat, nachdem er Kenntnis von der Leistungsverweigerung des VR erlangt hat. Bezieht sich die Leistungsverweigerung auf ein versichertes Interesse, für das eine Einzelpolice ausgefertigt wurde, und wurde diese dann auf einen dadurch anspruchsberechtigten Erwerber übertragen, so dass der VR in einem Schadensfall gegenüber dem Erwerber die Leistungsfreiheit erklärt hat, ohne zugleich gegenüber dem VN zu kündigen,38 kann zwischen Leistungsverweigerung durch den VR und Kenntniserlangung auf Seiten des VN durchaus ein beträchtlicher Zeitraum liegen. Die Kündigung ist gesetzlich formfrei. Während der Kündigungsfrist läuft die Versicherung fort. Der VN kann bestimmen, dass seine Kündigung sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt, spätestens jedoch zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode wirksam wird.

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C. Abdingbarkeit § 56 ist, wie generell die Vorschriften zur laufenden Versicherung, abdingbar (§ 210 Abs. 1); die 25 §§ 305 ff. BGB sind aber anwendbar.39 Die Best. für die laufende Versicherung DTV-Güter 2000/2011 (Fassung Juni 2000)40 enthal- 26 ten zwar keine besonderen Regelungen für die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung. Da diese allerdings die DTV-Güter 2000/2011 im Falle der laufenden Versicherung nur ergänzen, gilt die allgemeine Regelung von Ziff. 4 DTV-Güter 2000/201141 auch für die laufende Versicherung und ändert damit § 56 insoweit, in nach §§ 305 ff. BGB unbedenklicher Weise, ab.42 So folgt aus Ziff. 4.1 DTV-Güter 2000/2011, dass der VN (wie nach altem VVG) alle und nicht nur die in Textform gestellten Fragen zu beantworten hat und ihn eine spontane Anzeigepflicht trifft. Ferner schadet dem VN nach Ziff. 4.2 DTV-Güter 2000/2011 auch grob fahrlässige Unkenntnis.

D. Darlegungs- und Beweislast Es gelten die allgemeinen Regeln: jede Partei hat die Voraussetzungen der Norm darzulegen 27 und zu beweisen, auf die sie sich zu ihren Gunsten beruft. Der VR muss also das Vorliegen 36 37 38 39 40 41 42 793

Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 14. RegE S. 92 i.V.m. S. 76; Prölss/Martin/Armbrüster § 56 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 15. Vgl. Rn. 16. Vor §§ 53 ff. Rn. 11 f.; vgl. zu Abweichungen in der Praxis vorstehend Rn. 13 f., 26. Abdruck § 53 Rn. 27. Vgl. die Kommentierung Bruck/Möller/Riemer9, Band 6/1, Ziff. 4 DTV-Güter 2000/2011, Volle Deckung. Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 56 Rn. 3 f. Schnepp

§ 56 VVG

Verletzung der Anzeigepflicht

der Anzeigepflichtverletzung und auch die fristgerechte Ausübung des Kündigungs- und des Leistungsverweigerungsrechts beweisen. Der VN muss hingegen den Zeitpunkt der Kenntniserlangung des VR, den Kausalitätsgegenbeweis nach Absatz 1 Satz 2 sowie – für die Kündigung nach Absatz 2 – den Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Leistungsverweigerungsrechts sowie die fristgerechte Ausübung des Kündigungsrechts beweisen.43

43 Ebenso wohl Langheid/Wandt/Reinhard § 56 Rn. 17 (teilweise anders akzentuiert). Schnepp

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§ 57 Gefahränderung (1) Der Versicherungsnehmer hat dem Versicherer eine Änderung der Gefahr unverzüglich anzuzeigen. (2) 1Hat der Versicherungsnehmer eine Gefahrerhöhung nicht angezeigt, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsfall nach dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Anzeige dem Versicherer hätte zugehen müssen. 2Er ist zur Leistung verpflichtet, 1. wenn ihm die Gefahrerhöhung zu dem Zeitpunkt bekannt war, zu dem ihm die Anzeige hätte zugehen müssen, 2. wenn die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt worden ist oder 3. soweit die Gefahrerhöhung nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war. (3) Der Versicherer ist abweichend von § 24 nicht berechtigt, den Vertrag wegen einer Gefahrerhöhung zu kündigen.

Schrifttum Siehe Vor §§ 53–58 und Vor §§ 23–27.

Übersicht 1

III.

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Zweck der Regelung

3

III.

Anwendungsbereich

5

B.

Tatbestandsmerkmale des § 57

I.

Ausgangspunkt: Keine Vorgaben an den 7 VN

II.

1

Anzeigepflicht des VN (Absatz 1)

1. 2.

IV.

Möglichkeit einer Prämienerhöhung oder des Ausschlusses der Absicherung der Gefahrerhö20 hung

C.

Abdingbarkeit

D.

Darlegungs- und Beweislast

7

8

Rechtsfolgen einer Verletzung der Anzeigeoblie13 genheit Bedingte Leistungsfreiheit des VR (Ab13 satz 2) Ausschluss des Kündigungsrechts für VR (Ab19 satz 3)

21 23

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 57 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur laufenden Versicherung (§§ 53 bis 58), mit der VVG- 1 Reform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der laufenden Versicherung auf die Vorbemerkungen zu §§ 53 ff. verwiesen. Wie die voranstehende Vorschrift des § 56 ist die Bestimmung auf Vorschlag des GDV1 erst 2 im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens in den Regierungsentwurf aufgenommen worden; Kommissionsentwurf und Referentenentwurf hielten die Bestimmung für entbehrlich. Abgesehen 1 Stellungnahme des GDV vom 15.5.2006 zum RefE, S. 74 f. 795 https://doi.org/10.1515/9783110522624-044

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§ 57 VVG

Gefahränderung

von einer leichten, nicht jedoch inhaltlichen2 Modifikation in Absatz 1, stimmt die Vorschrift mit der die Gefahränderung in der Transportversicherung regelnden Vorschrift des § 132 überein und orientiert sich inhaltlich an § 23 ADS 1919.

II. Zweck der Regelung 3 Bei laufenden Versicherungen sind häufige und unabhängig vom Willen des VN eintretende Erhöhungen der Gefahr weder für deklarierte und versicherte Einzelinteressen noch in Bezug auf die Gesamtheit der versicherten Interessen auszuschließen. § 57 berücksichtigt dies, indem die Regelungen der §§ 23 bis 27 modifiziert werden. Die Bestimmung normiert eine Anzeigepflicht des VN bei einer Gefahränderung (Absatz 1), die Sanktion einer Anzeigepflichtverletzung (Absatz 2 Satz 1), die Leistungsverpflichtung des VR in bestimmten Fällen trotz Gefahrerhöhung (Absatz 2 Satz 2) und schließt abweichend von der allgemeinen Regel des § 24 das Kündigungsrecht des VR aus (Absatz 3). Letzteres nimmt den Rechtsgedanken des § 142 a.F. auf, wonach in der Transportversicherung der VR wegen Gefahrerhöhung oder Veräußerung das Versicherungsverhältnis nicht kündigen darf. 4 Der Gesetzgeber hat § 57 für erforderlich gehalten, um zum einen dem häufigen Eintritt von Gefahränderungen, denen sich der VN nicht entziehen kann, bei der laufenden Versicherung gerecht zu werden und zum anderen um deutlich zu machen, dass für laufende Versicherungen ebenso wie nach § 132 für die Transportversicherung an dem in diesen Versicherungen bewährten Alles-oder-Nichts-Prinzip bei Verletzung der Anzeigepflicht für Gefahrerhöhungen festgehalten und die Quotierungsregelung des § 28 Abs. 2 auch nicht als gesetzliches Leitbild im Rahmen einer AGB-Kontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB herangezogen werden soll.3

III. Anwendungsbereich 5 § 57 gilt für jede Art von Gefahrerhöhung in der laufenden Versicherung. Zum einen kommt es also nicht darauf an, ob sich die Gefahrerhöhung auf alle (auch zukünftigen) Risiken oder nur auf Einzelrisiken bezieht.4 Zum anderen gilt die Vorschrift unabhängig davon, ob es sich um durch den VN vorgenommene oder von ihm gestattete Gefahrerhöhungen handelt oder diese unabhängig von seinem Willen entstanden sind.5 6 Die Vorschrift ist eine vorgehende Sonderregelung zu den allgemeinen Bestimmungen der §§ 23 bis 27, auf deren Kommentierung im Übrigen zu verweisen ist. Die Absätze 2 und 3 stimmen wortgleich mit § 132 überein; Absatz 1 im Kerngehalt:6 auch bei Gefahränderung besteht Versicherungsschutz, die Gefahränderung ist jedoch dem VR anzuzeigen.

B. Tatbestandsmerkmale des § 57 I. Ausgangspunkt: Keine Vorgaben an den VN 7 Die parallele Vorschrift zur Transportversicherung, § 132, unterscheidet sich von § 57 nur darin, dass dort in Absatz 1 Satz 1 ausdrücklich festgehalten wird, der VN dürfe abweichend von § 23 die 2 Vgl. Rn. 7. 3 RegE S. 76. 4 Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 5; Möhrle S. 107; a.A., d.h. nicht auf Einzelrisiken: Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 57 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 57 Rn. 4. 5 Prölss/Martin/Armbrüster § 57 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 57 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski § 57 Rn. 7; Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 5; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 57 Rn. 4. 6 Vgl. Rn. 7. Schnepp

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B. Tatbestandsmerkmale des § 57

VVG § 57

Gefahr erhöhen oder in anderer Weise ändern und die Änderung durch einen Dritten gestatten. Hieraus will eine Mindermeinung ableiten, bei der laufenden Versicherung bleibe es bei der Grundregel des § 23 Abs. 1, dass der VN keine Gefahrerhöhung vornehmen oder Dritten gestatten darf, wobei aber eingeräumt wird, dass ein Verstoß ausweislich der abschließenden Regelung in § 57 Abs. 2 nicht sanktioniert wird.7 Wie allein schon die fehlende Sanktion zeigt, ist richtigerweise mit der ganz herrschenden Ansicht davon auszugehen, dass dem VN auch bei der laufenden Versicherung keine Vorgaben gemacht werden.8 Dies dürfte dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, der den Unterschied des Wortlauts in Absatz 1 beider Normen zwar nicht erläutert, aber in der Begründung zu § 57 auf § 132 verweist und im Übrigen beide Normen inhaltlich gleich begründet.9

II. Anzeigepflicht des VN (Absatz 1) Absatz 1 verpflichtet den VN zur unverzüglichen Anzeige jeder Gefahränderung.10 Das sind Gefahrerhöhungen, Gefahrminderungen oder andere Veränderungen der Gefahr, ohne dass erkennbar ist, ob sie eine Erhöhung oder Minderung bedeuten. Letzteres kann zum Beispiel der Fall sein, wenn unter einer laufenden Transportversicherungspolice die Verschiffung der Ware mit einem anderen als dem angemeldeten Schiff oder sonstigen Transportmittel erfolgt. Soweit teilweise verteten wird, der Begriff der Gefahränderung sei mit dem der Gefahrerhöhung identisch, weil der Gesetzgeber beide Begriffe synonym verwende,11 überzeugt dies angesichts des klaren Wortlauts von § 132 Abs. 1 Satz 1 nicht. Legaldefinitionen der Begriffe Gefahränderung, Gefahrerhöhung und Gefahrminderung gibt es nicht.12 Der Sache nach handelt es sich um eine nachträgliche Änderung der im Versicherungsvertrag oder in der Einzelanmeldung für das versicherte Risiko bezeichneten gefahrerheblichen Umstände. Eine anzeigepflichtige Gefahränderung kann deshalb bezogen auf den gesamten Vertrag erst nach der Vertragserklärung des VN und bezogen auf ein Einzelrisiko nach dessen Anmeldung vorliegen. Keine Anzeige soll entsprechend § 27 bei einer nur unerheblichen Gefahränderung bzw. Gefahrerhöhung oder dann erforderlich sein, wenn eine Gefahrerhöhung mitversichert ist.13 Auch wenn dies wohl die h.M. sein dürfte, überzeugt dies nicht. Die Anzeigepflicht bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut auf Gefahränderungen – und damit anders als die §§ 23 bis 27 sowie Absatz 2 – nicht nur auf Gefahrerhöhungen, Dies verdeutlicht, dass der VR über solche Gefahränderungen umfassend informiert werden soll. Es ist Sache des VR, diese zu bewerten. § 27 ist daher im Rahmen der laufenden Versicherung nicht anwendbar. Allerdings dürfte es in den Fällen, in denen außerhalb der laufenden Versicherung § 27 greift, eine Anzeigepflichtverletzung in der Regel nicht zu für den VN nachteiligen Folgen führen. Die Anzeige der Gefahränderung ist eine den VN und seinen Repräsentanten treffende Obliegenheit. Sie hat unverzüglich nach erlangter Kenntnis von der eingetretenen Gefahränderung zu erfolgen. Notwendig ist die tatsächlich erlangte Kenntnis; ein bloßes Kennenmüssen genügt nicht.14 Maßgeblich für den Zeitpunkt der Anzeige ist der Zeitpunkt, zu dem der VN Kenntnis

7 Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 2. 8 Prölss/Martin/Armbrüster § 57 Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker § 57 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski § 57 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 57 Rn. 3. 9 RegE S. 76, 92. 10 Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 9. 11 So Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 57 Rn. 4; Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers § 57 Rn. 185. 12 Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 23 Rn. 4. 13 So für unerhebliche oder mitversicherte Gefahrerhöhungen Prölss/Martin/Armbrüster § 57 Rn. 2; Staudinger/ Halm/Wendt/Eichelberg § 57 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 57 Rn. 4; für unerhebliche Gefahränderung und mitversicherte Gefahrerhöhung: Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 11. 14 Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 23 Rn. 90. 797

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Gefahränderung

von der Gefahränderung erlangt. Die Anzeige muss unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), erfolgen.15 12 Die Anzeige muss alle Umstände umfassen, die für die Beurteilung des Risikos durch den VR erforderlich sind.16 Die Anzeige ist auch nach dem Gesetz formfrei möglich; regelmäßig wird aber eine bestimmte Form (etwa Text- oder Schriftform) vereinbart.

III. Rechtsfolgen einer Verletzung der Anzeigeobliegenheit 1. Bedingte Leistungsfreiheit des VR (Absatz 2) 13 Absatz 2 bestimmt die Rechtsfolgen einer Verletzung der Anzeigepflicht. Satz 1 (und damit auch Satz 2) gilt jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut nur bei der Gefahrerhöhung, anders als Absatz 1 nicht bei jeder Gefahränderung. Absatz 2 sanktioniert damit nicht sonstige Verletzungen der Anzeigeobliegenheit. Sollte dem VR durch eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit, die keine Gefahrerhöhung betrifft, ein Schaden entstehen (wohl nur in seltenen Ausnahmefällen denkbar), kann dem VR ein Schadenersatzanspruch nach § 280 BGB zustehen. 14 Satz 1 belässt es bei einer nicht angezeigten Gefahrerhöhung in bewusster Abweichung von der in §§ 26 und 28 geregelten abgestuften Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen beim traditionellen Alles-oder-Nichts-Prinzip.17 Satz 2 enthält die (nicht nur) aus Sicht des Gesetzgebers18 sachlich gebotenen Ausnahmen 15 von der Leistungsfreiheit des VR.19 Nach Satz 2 Nr. 1 bleibt der VR bei Kenntnis der Gefahrerhöhung zur Leistung verpflichtet. 16 Dies entspricht der Ausnahme in § 26 Abs. 2 Satz 1 a.E., so dass auf die dortige Kommentierung20 verwiesen werden kann. Nach Satz 2 Nr. 2 kann der VN einwenden, er habe die Anzeigeobliegenheit weder grob 17 fahrlässig noch vorsätzlich verletzt. Dies entspricht grundsätzlich den Ausnahmen zu § 26 Abs. 1 und 2, so dass zu den Fällen der groben Fahrlässigkeit und des Vorsatzes auf die dortige Kommentierung21 verwiesen werden kann. Allerdings kommt es bei grober Fahrlässigkeit anders als bei § 26 Abs. 1 Satz 2 nicht zur Quotelung, sondern es gilt das Alles-oder-Nichts-Prinzip.22 Nach Satz 2 Nr. 3 ist der VR zur Leistung verpflichtet, soweit die Gefahrerhöhung nicht ursäch18 lich für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht war. Dies entspricht wortwörtlich § 26 Abs. 3 Nr. 1, wobei sich aus dem Wort „soweit „– wie bei § 26 Abs. 3 Nr. 123 – ergibt, dass die Leistungsfreiheit des VR auch der Höhe nach von der Ursächlichkeit der Anzeigepflichtverletzung abhängig ist und es in diesem Umfang zu einer Quotelung kommen kann.24

2. Ausschluss des Kündigungsrechts für VR (Absatz 3) 19 Absatz 3 statuiert einen generellen gesetzlichen Ausschluss des Kündigungsrechts des VR bei Gefahrerhöhung. Der Sache nach geboten ist dies in allen Fällen, in denen bereits unter einer 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Vgl. Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 23 Rn. 91. OLG Frankfurt 22.11.2016 – 14 U 24/15, TranspR 2018 15, 18; Prölss/Martin/Armbrüster § 57 Rn. 2. RegE S. 76. RegE S. 76. RegE S. 76. Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 26 Rn. 34 f. Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 26 Rn. 13 ff, 20, 31. Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 16. Vgl. Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 26 Rn. 37 ff, 46. Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 57 Rn. 11.

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C. Abdingbarkeit

VVG § 57

Einzelpolice Versicherungsschutz besteht. In diesen Fällen wäre es dem VN kaum oder nur sehr schwer möglich, Versicherungsschutz zu finden. Gedankliches Vorbild für die Bestimmung ist § 142 a.F.; hier ging es darum auf der Reise befindliche Warentransporte nicht ihres Versicherungsschutzes zu berauben, zumal der VN bei Warentransporten häufig erst nach Ende der Reise von der Gefahrerhöhung Kenntnis erlangt. Ob es aber sachlich geboten ist, für laufende Versicherungen bei nicht angezeigten Gefahrerhöhungen generell das Kündigungsrecht des VR gesetzlich auszuschließen und den VR zur Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses bis zum Ende der Versicherungsperiode zu verpflichten, mag dahinstehen,25 weil die Bestimmung abbedungen werden kann. Es dürfte durchaus erwägenswert sein, bei nicht angezeigten Gefahrerhöhungen entsprechend der Regelung in § 58 Abs. 2 ein Kündigungsrecht mit Monatsfrist zu vereinbaren.

IV. Möglichkeit einer Prämienerhöhung oder des Ausschlusses der Absicherung der Gefahrerhöhung Nicht angesprochen in § 57 ist der Einfluss einer Gefahränderung auf die Prämie oder eines 20 möglichen Ausschlusses der Absicherung der Gefahränderung. Ob und in welchem Umfang aus Gefahränderungen ein gesetzlicher Anspruch auf Prämienanpassung oder ein Risikoausschlussrecht erwächst, ist umstritten. Dies hängt von der Frage ab, ob § 25 für die laufende Versicherung gilt. Teilweise wird dies vor allem mit dem Argument verneint, § 25 Abs. 1 Satz 1 gewähre eine Prämienerhöhung und alternativ ein Risikoausschlussrecht nur statt einer Kündigung, so dass der Ausschluss des Kündigungsrechts in Absatz 3 auch das Recht der Prämienerhöhung ausschließe.26 Nach der Gegenansicht ist § 25 auch bei der laufenden Versicherung anwendbar.27 Hierfür spricht zum einen, dass in § 57 gerade nur das Kündigungsrecht des § 24 Abs. 3, nicht aber die Rechte nach § 25 ausgeschlossen werden, und dass § 25 an das Kündigungsrecht nur angeknüpft wird, um klarzustellen, dass die Rechte aus § 25 von den gleichen Voraussetzungen abhängen. Darüber hinaus ist hierfür anzuführen, dass das Kündigungsrecht des gesamten Vertrags als einschneidendes Mittel des VR zwar durch den Gesetzgeber ausdrücklich unter Hinweis auf die Interessenlage des VN ausgeschlossen wurde.28 Eine Prämienerhöhung oder der Ausschluss der Absicherung der Gefahrerhöhung belasten den VN hingegen weniger, zumal er den Vertrag, wenn sich der VR hierauf beruft, nach § 25 Abs. 2 kündigen kann. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Recht des Risikoausschlusses nach § 25 Abs. 2 wertungsmäßig dem Grundsatz29 widerspricht, dass der VN im Rahmen der laufenden Versicherung Gefahränderungen vornehmen darf.30 Vorzugswürdig ist deshalb die Auslegung, dass § 25 zwar für die laufende Versicherung entsprechend gilt, jedoch nur hinsichtlich der Möglichkeit der Prämienerhöhung, nicht aber bezogen auf den Risikoausschluss.

C. Abdingbarkeit § 57 ist, wie generell die Vorschriften zur laufenden Versicherung, abdingbar (§ 210 Abs. 1); die 21 §§ 305 ff. BGB sind aber anwendbar.31 25 Kritisch auch Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 19. 26 Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 19; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 57 Rn. 13; Langheid/Rixecker/Rixecker § 57 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 57 Rn. 4. 27 Prölss/Martin/Armbrüster § 57 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 57 Rn. 13; Staudinger/ Halm/Wendt/Eichelberg § 57 Rn. 11; Langheid FS Wälder S. 35. 28 RegE S. 76. 29 Vgl. Rn. 7. 30 Insoweit zutreffend Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 57 Rn. 4. 31 Vor §§ 53 ff. Rn. 11 f.; vgl. zu Abweichungen in der Praxis vorstehend Rn. 13 f., 26. 799

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§ 57 VVG

22

Gefahränderung

Abweichende Regelungen gibt es insbesondere (und sind angesichts der Rechtsunsicherheit32 auch empfehlenswert) zu der Frage, ob der VR bei einer Gefähränderung bzw. -erhöhung zur Anpassung der Prämie berechtigt ist.33

D. Darlegungs- und Beweislast 23 Es gelten die allgemeinen Regeln: Jede Partei hat die Voraussetzungen der Norm darzulegen und zu beweisen, auf die sie sich zu ihren Gunsten beruft. Den VR trifft (wie bei § 23)34 die Beweislast für das Vorliegen einer Gefahränderung i.S.v. Absatz 1 bzw. einer Gefahrerhöhung i.S.v. Absatz 2 Satz 1 und den Zeitpunkt ihres Eintritts. Den VN trifft hingegen die Beweislast dafür, dass und wann er die Gefahränderung dem VR angezeigt hat und, falls die Anzeige bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht erfolgt war, dies von ihm nicht zu vertreten ist. Beruft sich der VN darauf, dass der VR trotz verspäteter oder nicht erfolgter Anzeige zur Leistung verpflichtet bleibt (Absatz 2 Satz 2), trägt er dafür die Bewelslast.35

32 33 34 35

Vgl. Rn. 20. So etwa Ziff. 4 DTV-Güter 2000/2011, Volle Deckung oder Eingeschränkte Deckung. Bruck/Möller/Matusche-Beckmann § 23 Rn. 164. Ebenso wohl Langheid/Wandt/Reinhard § 57 Rn. 2 (teilweise anders akzentuiert).

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§ 58 Obliegenheitsverletzung (1) Verletzt der Versicherungsnehmer bei einer laufenden Versicherung schuldhaft eine vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllende Obliegenheit, ist der Versicherer in Bezug auf ein versichertes Einzelrisiko, für das die verletzte Obliegenheit gilt, nicht zur Leistung verpflichtet. (2) Bei schuldhafter Verletzung einer Obliegenheit kann der Versicherer den Vertrag innerhalb eines Monats, nachdem er Kenntnis von der Verletzung erlangt hat, mit einer Frist von einem Monat kündigen.

Schrifttum Siehe Vor §§ 53–58 und zu § 28.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Zweck der Regelung

B.

Tatbestandsmerkmale des § 58

I.

Vorliegen einer relevanten Obliegenheitsverlet6 zung

II.

Leistungsfreiheit bei einer Obliegenheitsverlet9 zung (Absatz 1)

III.

Kündigungsrecht des VR (Absatz 2)

C.

Abdingbarkeit

D.

Darlegungs- und Beweislast

1 16

3 22

6 24

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte § 58 wurde, wie die übrigen Vorschriften zur laufenden Versicherung (§§ 53 bis 58), mit der VVG- 1 Reform in das Gesetz aufgenommen und hat keinen Vorläufer im alten VVG. Im Übrigen wird zur historischen Entwicklung und zu grundsätzlichen Aspekten der laufenden Versicherung auf die Vorbemerkungen zu §§ 53 ff. verwiesen. Die Vorschrift ist im Verhältnis zur allgemeinen Regelung des § 28 über Obliegenheitsverlet- 2 zungen eine Sondervorschrift, deren Aufnahme in das Gesetz bereits Kommissionsentwurf1 und Referentenentwurf2 vorgesehen hatten.

II. Zweck der Regelung Der Regierungsentwurf hat die Aufnahme der Vorschrift in das Gesetz zu Absatz 1 wie folgt 3 begründet:3

1 KomE S. 220, 334. 2 RefE S. 39. 3 RegE S. 76 f. 801 https://doi.org/10.1515/9783110522624-045

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§ 58 VVG

Obliegenheitsverletzung

„Laufende Versicherungen werden nur in der gewerblich-kommerziellen Versicherungspraxis verwendet. Vom Versicherungsnehmer kann deshalb grundsätzlich auch in Bezug auf die Beachtung von Obliegenheiten die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes verlangt werden. Es ist daher gerechtfertigt, für jede schuldhafte, d.h. auch für eine einfach fahrlässige Verletzung einer Obliegenheit eine Sanktion vorzusehen. Dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass in einer laufenden Versicherung Einzelrisiken mit jeweils unterschiedlichen Versicherungssummen und -limiten versichert sind und die Verletzung einer für ein Einzelrisiko geltenden Obliegenheit nicht notwendigerweise die übrigen Einzelrisiken oder den Mantelvertrag berühren muss. Unbeschadet der Auswirkungen einer Obliegenheitsverletzung in Bezug auf das betroffene Einzelrisiko muss der Versicherer wegen der Beeinträchtigung des für den Fortbestand des Versicherungsverhältnisses notwendigen Vertrauensverhältnisses die Möglichkeit haben, die laufende Versicherung selbst mit einer angemessenen Frist zu kündigen.“

4 Absatz 1 verwirft für laufende Versicherungen bei Obliegenheitsverletzungen vor Eintritt des Versicherungsfalles die in § 28 Abs. 2 Satz 2 eingeführte Quotelungsregelung und hält am Allesoder-Nichts-Prinzip fest. VN und Versicherter verwirken bei einer vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden, schuldhaft verletzten Obliegenheit den Anspruch auf die Leistung des VR. 5 Absatz 2 gewährt dem VR bei schuldhafter Obliegenheitsverletzung ein befristetes außerordentliches Kündigungsrecht. Es gilt sowohl für vor wie für bei oder nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllende Obliegenheiten. Es erfährt seine Rechtfertigung aus dem Umstand, dass die Verletzung von Obliegenheiten geeignet ist, das für ein gedeihliches Versicherungsverhältnis bei laufenden Versicherungen unverzichtbare Vertrauen in die Versicherungstreue des VN zu erschüttern oder zu zerstören.4 Dass Absatz 2 für Obliegenheitsverletzungen ein Kündigungsrecht einräumt, ein solches in § 57 Abs. 3 bei Gefahrerhöhungen hingegen ausgeschlossen ist, mag ein Wertungswiderspruch sein;5 er ist jedoch aufgrund der ausdrücklichen unterschiedlichen gesetzlichen Regelung als vom Gesetzgeber gewollt hinzunehmen.

B. Tatbestandsmerkmale des § 58 I. Vorliegen einer relevanten Obliegenheitsverletzung 6 Zu Begriff und Rechtsnatur der Obliegenheiten6 sowie zur Frage, inwieweit sich der VN das Verhalten von Dritten (Versicherte, Repräsentanten und sonstige Dritte) zurechnen lassen muss,7 ist auf die Kommentierung zu § 28 zu verweisen. § 58 gilt für gesetzliche und für vertragliche Obliegenheiten.8 Bei den vertraglichen Oblie7 genheiten kommt es nicht darauf an, ob diese für den gesamten Vertrag der laufenden Versicherung oder nur für das jeweilige Einzelrisiko vereinbart wurden.9 § 58 gilt nicht bei einer Verletzung der Anmeldepflicht i.S.v. § 53; hier gilt § 54 als die speziel8 lere Regelung (und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der Anmeldepflicht um eine Rechtspflicht oder eine Obliegenheit handelt).10, 11

4 5 6 7 8 9

RegE S. 77. Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers § 58 Rn. 203; ähnlich Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 10. S. hierzu Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 19 ff. S. hierzu Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 80 ff. Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 3. Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 4; Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 58 Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 6; unklar, aber wohl auch für Absatz 1 ebenso Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 4 f.; zu eng Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers § 58 Rn. 199. 10 Vgl. dazu § 53 Rn. 33. 11 Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski § 58 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 4. Schnepp

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B. Tatbestandsmerkmale des § 58

VVG § 58

II. Leistungsfreiheit bei einer Obliegenheitsverletzung (Absatz 1) Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm in Absatz 1 gilt die dortige Sonderregelung ausschließlich für vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllende Obliegenheiten und ändert insoweit § 28 Abs. 1 ab. Anstelle eines außerordentlichen Kündigungsrechts (so § 28 Abs. 1; aber neben dem Recht nach § 58 Abs. 2) gewährt sie dem VR Leistungsfreiheit bei schuldhafter Verletzung einer vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheit. Damit sind vor allem die risikovorbeugenden Obliegenheiten betroffen. Liegt eine relevante vorvertragliche Obliegenheitsverletzung vor, ist der VR nach dem Allesoder-Nichts-Prinzip nicht zur Leistung verpflichtet. Eine Quotelung, wie in § 28 Abs. 2 vorgesehen, soll nicht in Betracht kommen; diese Norm ist also nicht anwendbar. Die Leistungsfreiheit gilt aber nur in Bezug auf das versicherte Einzelrisiko, für das die verletzte Obliegenheit gilt; ob die Obliegenheit nur für das betroffene Einzelrisiko, für mehrere Einzelrisiken oder alle Einzelrisiken unter einer laufenden Versicherung vereinbart wurde, ist hingegen irrelevant.12 Die Leistungsfreiheit ist gesetzliche Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung und bedarf nicht, wie früher nach § 6 a.F. und wie in § 28 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, der ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung.13 Anders als bei § 28 Abs. 4 ist die Belehrung keine Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des VR.14 Leistungsfreiheit tritt bei jedem Verschuldensgrad ein, also auch bei leichtester Fahrlässigkeit.15 Nach dem eindeutigen Wortlaut des Absatzes 1 muss aber ein Verschulden vorliegen.16 Der VN kann entsprechend § 28 Abs. 3 Satz 1 einwenden, der VR bleibe zur Leistung verpflichtet, weil die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich sei. Dies gilt nach § 28 Abs. 3 Satz 2 nicht, wenn der VN die Obliegenheit arglistig verletzt hat.17 Die Anwendung von § 28 Abs. 3 im Rahmen der Leistungsfreiheit nach Absatz 1 wurde durch den Gesetzgeber zwar nicht thematisiert, ergibt sich aber aus der allgemeinen Überlegung, dass die §§ 53 bis 58 die allgemeinen Regelungen des VVG nur so weit abändern, wie sich dies aus den Sondernormen ergibt. § 28 Abs. 3 ist – im Rahmen von Absatz 1 – auch auf die Verletzung von gesetzlichen Obliegenheiten anzuwenden, was sich mittelbar aus der Gleichbehandlung vertraglicher und gesetzlicher Obliegenheiten ergibt.18 Anders als nach der alten Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 3 a.F. ist das Recht des VR zur Leistungsverweigerung nicht von der rechtzeitigen Kündigung des Versicherungsverhältnisses gemäß Absatz 2 abhängig; beide Rechte bestehen unabhängig voneinander.19 Da Absatz 1 nach dem eindeutigen Wortlaut nur für vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllende Obliegenheiten gilt, bleibt es im Falle der Verletzung einer bei oder nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit bei der allgemeinen gesetzlichen Rege-

12 Vgl. Rn. 7. 13 Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 5; Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Harms § 58 Rn. 1; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 6; Langheid/Rixecker/Rixecker § 58 Rn. 1; zu Thume/de la Motte/Ehlers/Ehlers § 58 Rn. 199. 14 So wohl auch Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 8; a.A. offenbar Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 58 Rn. 4, wonach die Belehrungspflicht abbedungen werden kann. 15 Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 3; Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 6. 16 A.A. offenbar Langheid/Rixecker/Rixecker § 58 Rn. 1, wonach die Leistungsfreiheit nicht von dem Verschulden abhängig sein soll, der VN „wohl“ aber den Kausalitätsgegenbeweis führen darf. 17 Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 7; Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Harms § 58 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 7; a.A. Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 7, wonach aber der Kausalitätsgegenbeweis im Einzelfall nach § 242 zulässig sein soll; Staudinger/ Halm/Wendt/Eichelberg § 58 Rn. 3; Marlow/Spuhl/Schneider Rn. 495 (zweifelnd). 18 So im Ergebnis auch Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 3. 19 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 58 Rn. 2. 803

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§ 58 VVG

Obliegenheitsverletzung

lung in § 28 Abs. 2 bis 520 bzw. bei den gesetzlichen Obliegenheiten (etwa §§ 30 f.) bei den dafür einschlägigen Bestimmungen.21 Bei Obliegenheitsverletzungen vor Eintritt des Versicherungsfalles gilt folglich (wenn auch nur jeweils für das betroffene Einzelrisiko) das Alles-oder-Nichts-Prinzip, während bei Obliegenheitsverletzungen bei oder nach Eintritt des Versicherungsfalles die Quotelung gemäß § 28 Abs. 2 gilt. Die unterschiedliche Handhabung ist rechtspolitisch und auch rechtsdogmatisch insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber die Regelung in § 58 mit dem gewerblichen bzw. kaufmännischen Hintergrund der laufenden Versicherung rechtfertigt,22 nicht nachvollziehbar,23 aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Norm aber hinzunehmen. Gemildert wird die Ungleichbehandlung von vor und nach Eintritt des Versicherungsfalles erfolgenden Obliegenheitsverletzungen durch die in § 210 Abs. 1 normierte Vertragsfreiheit.24

III. Kündigungsrecht des VR (Absatz 2) 16 Das Kündigungsrecht des VR nach Absatz 2 bei schuldhafter Verletzung einer Obliegenheit ist gesetzliche Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung und bedarf keiner vertraglichen Abrede. Es ist befristet. Es gilt für jegliche Obliegenheitsverletzung, gleichgültig, ob vor, bei oder nach Eintritt des Versicherungsfalles.25 Das Kündigungsrecht setzt eine schuldhafte Obliegenheitsverletzung voraus, wobei (wie bei 17 Absatz 1)26 jeder Verschuldensgrad ausreicht, also auch leichteste Fahrlässigkeit.27 Es ist ein außerordentliches Kündigungsrecht, das nur binnen eines Monats ausgeübt wer18 den kann, nachdem der VR Kenntnis (nicht ausreichend: selbst grob fahrlässige Unkenntnis) von der Obliegenheitsverletzung erlangt hat, wobei die Frist nach § 187 Abs. 1 BGB an dem auf den Tag der Kenntniserlangung folgenden Tag beginnt. Anders als beim Kündigungsrecht nach § 28 Abs. 128 ist davon auszugehen, dass das Erfordernis der Kenntnis sich auf den objektiven Tatbestand der Verletzung ebenso wie auf das Verschulden des VN oder seines Repräsentanten bezieht. Die Kündigung ist formfrei; in der Regel ist jedoch Schriftform vereinbart. Das Versiche19 rungsverhältnis kann nur mit einer Frist von einem Monat gekündigt werden. Mit Wirksamwerden der Kündigung endet der gesamte Vertrag über die laufende Versiche20 rung. Das gilt auch für alle versicherten Einzelrisiken, für die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung Versicherungsschutz besteht; es gilt also keine Auslaufhaftung bis zum Ende ihrer Versicherungsdauer.29 Ein Recht auf Kündigung nur des von einer Obliegenheitsverletzung betroffenen Einzelrisikos lässt sich aus Absatz 2 nicht ableiten.30 20 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 2; Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 3 und 8; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 58 Rn. 2 (der jedoch nur auf § 28 Abs. 4 und 2 verweist); Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 2 (der jedoch nur auf § 28 Abs. 4 verweist). 21 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 2. 22 Rn. 3 bzw. RegE S. 76 f. 23 Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 3; ähnlich Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 1. 24 Siehe Rn. 22 f. 25 Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 58 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 8; Langheid/Rixecker/Rixecker § 58 Rn. 2; a.A. Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 11 (nur für Obliegenheitsverletzungen vor Eintritt des Versicherungsfalles). 26 Vgl. Rn. 12. 27 Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 4; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 10; Langheid/Rixecker/Rixecker § 58 Rn. 2; einschränkend (aber mit dem Wortlaut nicht vereinbar) Schwintowski/Brömmelmeyer/ Schwintowski § 58 Rn. 8. 28 S. hierzu Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 152. 29 Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 8; Langheid/Wandt/ Reinhard § 58 Rn. 11; anders noch Bruck/Möller/Renger9 § 58 Rn. 13. 30 Langheid/Wandt/Reinhard § 58 Rn. 9. Schnepp

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D. Darlegungs- und Beweislast

VVG § 58

Kündigt der VR wegen Verletzung einer vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden 21 Obliegenheit, setzt die Ausübung des Kündigungsrechts die Leistungsverweigerung des VR nach Absatz 1 nicht voraus.31 Da die Rechte aus den Absätzen 1 und 2 unabhängig von einander ausgeübt werden können, kann der VN einer Kündigung nach Absatz 2 nicht den Einwand aus § 28 Abs. 3 entgegenhalten.

C. Abdingbarkeit § 58 ist, wie generell die Vorschriften zur laufenden Versicherung, abdingbar (§ 210 Abs. 1); die 22 §§ 305 ff. BGB sind aber anwendbar.32 So ist es unproblematisch möglich, § 58 auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu beschrän- 23 ken und das dann geltende Alles-oder-Nichts-Prinzip auch auf die bei oder nach Eintritt eines Versicherungsfalles zu erfüllenden Onbliegenheiten auszudehnen33 oder für das Vorliegen des Verschuldens eine § 28 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 entsprechende Beweislastumkehr zu vereinbaren.34 Selbst die Ausdehnung von § 58 Abs. 1 mit der Sanktion des Alles-oder-Nichts-Prinzips für jede schuldhafte Obliegenheitsverletzung, also auch für bei oder nach Eintritt eines Versicherungsfalles zu erfüllende Obliegenheiten ist nach § 307 Abs. 2 Satz 1 BGB unbedenklich.35 In Anknüpfung an die Rechtsprechung zu § 6 a.F.36 sind jedoch AVB nach § 307 Abs. 2 Satz 1 BGB unwirksam, die die Rechtsfolgen an jede objektive Obliegenheitsverletzung, also auch an schuldlose Verletzungen, anknüpfen oder den Kausalitätsgegenbeweis entsprechend § 28 Abs. 3 aussschließen.37

D. Darlegungs- und Beweislast Es gelten die allgemeinen Regeln: jede Partei hat die Voraussetzungen der Norm darzulegen 24 und zu beweisen, auf die sie sich zu ihren Gunsten beruft. Um sich auf Leistungsfreiheit oder auf sein Kündigungsrecht berufen zu können, hat der VR das objektive Vorliegen einer schuldhaften Obliegenheitsverletzung darzulegen und zu beweisen. Das Verschulden muss nach dem eindeutigen Wortlaut in Absatz 1 und 2 durch den VR nachgewiesen werden;38 es wird nicht etwa bei objektiver Obliegenheitsverletzung vermutet.39

31 Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 13. 32 Vor §§ 53 ff. Rn. 11 f.; vgl. zu Abweichungen in der Praxis vorstehend Rn. 13 f., 26. 33 So etwa Ziff. 7.3.1 DTV-VHV laufende Versicherung 2003/2011, Mai 2020, und allgemein für die Güterversicherung Ziffer 7.2 Abs. 1 DTV-Güter 2000/2011, Volle Deckung oder Eingeschränkte Deckung, Mai 2020; jeweils nur für vertraglich vereinbarte Obliegenheiten und nebst Vereinbarung des § 28 Abs. 3 entsprechenden (jedoch nur deklaratorischen, vgl. Rn. 13) Kausalitätsgegenbeweises. 34 Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 3; Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 8; Schwintowski/ Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 6. 35 So wohl auch Rüffer/Halbach/Schimikowski/Harms § 58 Rn. 4. 36 BGH 2.12.1992 – IV ZR 135/91, BGHZ 120 290, 295. 37 Bruck/Möller/Renger9 § 210 Rn. 15; Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 252; Langheid/Wandt/Looschelders § 210 Rn. 11; Prölss/Martin/Klimke § 210 Rn. 16. 38 Prölss/Martin/Armbrüster § 58 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 58 Rn. 6; Langheid/Wandt/ Reinhard § 58 Rn. 12; Langheid/Rixecker/Rixecker § 58 Rn. 1 (nur zu Absatz 2). 39 So aber – entgegen dem Wortlaut der Norm – Looschelders/Pohlmann/Gesing/Looschelders § 58 Rn. 8; Langheid/Rixecker/Rixecker § 58 Rn. 1 (nur zu Absatz 1). 805

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Abschnitt 7 Versicherungsvermittler, Versicherungsberater Unterabschnitt 1 Mitteilungs- und Beratungspflichten § 59 Begriffsbestimmungen (1)

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Versicherungsvermittler im Sinn dieses Gesetzes sind Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler. 2[Ab 23.2.2018:] Die §§ 1a, 6a, 7a, 7b und 7c gelten für Versicherungsvermittler entsprechend. 3Versicherungsvermittler ist auch, wer eine Vertriebstätigkeit im Sinne von § 1 a Absatz 2 ausführt, ohne dass die Voraussetzungen des nachfolgenden Absatzes 2 oder 3 vorliegen. (2) Versicherungsvertreter im Sinn dieses Gesetzes ist, wer von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen. (3) 1Versicherungsmakler im Sinn dieses Gesetzes ist, wer gewerbsmäßig für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherer oder von einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein. 2Als Versicherungsmakler gilt, wer gegenüber dem Versicherungsnehmer den Anschein erweckt, er erbringe seine Leistungen als Versicherungsmakler nach Satz 1. (4) 1Versicherungsberater im Sinn dieses Gesetzes ist, wer gewerbsmäßig Dritte bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen oder bei der Wahrnehmung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen im Versicherungsfall berät oder gegenüber dem Versicherer außergerichtlich vertritt, ohne von einem Versicherer einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten oder in anderer Weise von ihm abhängig zu sein. 2[Ab 23.2.2018] Die §§ 1a, 6a, 7a, 7b und 7c gelten für Versicherungsberater entsprechend.

Schrifttum Abram Geplante Berufsausübungsregelungen für Versicherungsvermittler, VersR 2005 1318; ders. Schützt das neue Recht den Versicherungsnehmer gegen Folgen einer Pflichtverletzung seines Versicherungsvermittlers? VersR 2008 724; Adjemian Versicherungsvermittler – Erlaubnis und Registrierung nach § 34d GewO, GewArch 2009 137; Armbrüster Schadensregulierung durch Versicherungsmakler als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung ZIP 2017 1; Baumann Versicherungsvermittlung durch Versicherungsmakler (1998); Beckmann/Matusche-Beckmann Versicherungsrechtshandbuch, 3. Aufl. (2016); Beenken/Sandkühler Das Vermittlergesetz und seine Konsequenzen für die Branche, RuS 2007 182; dies. Das neue Versicherungsvermittlergesetz (2007); Bethge Maklervertrag: Kein konkludenter Abschluss ohne konkreten Suchauftrag, BGH-Report 2005 1567; Boslak Die Pflichten des Versicherungsvermittlers im Internet- und Telefonvertrieb, VW 2008 636; Böckmann/Ostendorf Probleme für Versicherungsvermittler in ihrer Statusbestimmung als Vertreter oder Makler und den daraus resultierenden Informationspflichten nach dem neuen Recht, VersR 2009 154; Brömmelmeyer Informations- und Beratungspflichten in der Restschuldversicherung, VersR 2015 1460, 1467; Dreher Die zivilrechtliche Beurteilung von Provisionsabgabevereinbarungen und die Zuständigkeit der Kartellgerichte, VersR 1995 1; ders. Das deutsche versicherungsaufsichtsrechtliche Begünstigungsverbot und das europäische Versicherungsrecht, VersR 1997 1; ders. Die europa- und verfassungsrechtliche Beurteilung des Provisionsabgabeverbots in der Lebensversicherung, VersR 2001 1; Cornelissen Die gewerberechtliche Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung und -beratung unter besonderer Berücksichtigung des Polarisationsprinzips (2016); Durstin/Peters Versicherungsberater und Versicherungsmakler in der rechtspolitischen Entwicklung, VersR 2007 1456; Evers Fehlanreize für Verbraucher werden überschätzt, VW 2017 42; Fischer Fehler- und lückenhafte Maklerprovisionsabreden in der Praxis, NZM 2002 480; ders. Die Entwicklung des Maklerrechts seit 2003, NJW 2007 3107; ders. Versicherungsvermittlung im Internet – der Vertriebskanal der Zukunft, BB 2012 2773; ders. Versicherungsvertrieb 4.0 – Auswirkungen des Check24-Urteils und der Versicherungsvertriebsrichtlinie, BB 2016 3082; Hamm/ Schwerdtner Maklerrecht, 7. Aufl. (2016); Harstorff Grenzen der Honorarberatung für Versicherungsmakler und Versicherungsberater, VersR 2008 47; Jacob Versicherungsvermittlung durch Banken und Sparkassen sowie im Strukturvertrieb, VersR 2007 1164; Icha Die Nettopolice, Berliner Reihe Bd. 43 (2014); Jank Produktstandardisierung für

Schwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522624-046

806

Schrifttum

VVG § 59

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ZfV 2020 120; Sonnenberg Vertriebskostentransparenz bei Versicherungsprodukten, Berliner Reihe Bd. 42 (2013); Trinkhaus Handbuch der Versicherungsvermittlung Bd. 1, Provision und Abfindung der Versicherungsvermittler (1955) 131; Von Gierke Versicherungsrecht unter Ausschluss der Sozialversicherung, 2. Hälfte (1947); Werber § 6 VVG 2008 und die Haftung des Versicherers für Fehlberatung durch Vermittler, VersR 2008 285; ders. Schadensregulierung durch Versicherungsmakler, VersR 2015 1321; ders. Kritische Nachlese zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb (2019) 321; Winter Das Provisionsabgabeverbot in der Lebensversicherung – Grenzen und zivilrechtliche Auswirkungen, VersR 2002 1055; Zinnert Honorarberatung durch Versicherungsmakler, VersR 2008 313; ders. Recht und Praxis des Versicherungsmakler (2008).

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Schwintowski

§ 59 VVG

Begriffsbestimmungen

Übersicht 1

2.

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Vermittlerrichtlinie 5 (VRL)

III.

Gesetz zur Umsetzung der IDD

IV.

Die Versicherungsvermittlerverordnung

B.

Spezielle Kommentierung

I.

Tatbestandsvoraussetzungen von § 59 Abs. 1 29 (Satz 1) 29 Der Begriff Versicherungsvermittler a) Definition des Begriffs Versicherungsver43 mittler in § 34d GewO b) Definition des Begriffs Versicherungsver48 mittler in der Rechtsprechung Abgrenzung zu Funktionsausgliederungsverträ53 gen 3. Abgrenzung zu Rahmenversicherungsverträ55 gen

1.

2.

II. 1. 2. 3. 4. III.

IV. 1. 2.

3. 4. V. 1.

1

3. 4.

8 25

29

Tatbestandsvoraussetzungen von § 59 Abs. 1 58 (Satz 2) 58 Versicherungsvertreiber 61 Mitwirkung im Schadensfall 62 § 6a 63 §§ 7a/b/c Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 59 I 66 (Satz 3)

5.

6. VI. 1. 2. 3.

Der Begriff Versicherungsvertreter 73 (§ 59 Abs. 2) 73 Grundlagen 80 Betrauung 81 a) Betrauung von einem Versicherer b) Der produktakzessorische Vertre100 ter c) Betrauung von einem Versicherungsvertre105 ter 109 Gewerbsmäßig 111 Gewerberechtliche Implikationen Der Begriff Versicherungsmakler 119 (§ 59 Abs. 3) Abgrenzung zum Versicherungsvertreter und 119 zum Handelsmakler 123 a) Maklerpools 128 b) Abgrenzung zum Handelsmakler

220 Der Versicherungsberater (§ 59 Abs. 4) 220 Das gesetzliche Leitbild Die gewerberechtlichen Voraussetzun226 gen Die materiellen Anforderungen des VVG 231 (§ 59 Abs. 4) 231 a) Gewerbsmäßige Beratung 232 b) Statusinformationen 233 c) Die Anforderungen aus § 68 d) Vereinbarung, Änderung, Prüfung von 237 VV e) Wahrnehmung von Ansprüchen im Versi241 cherungsfall f) Vertretung gegenüber dem Versiche245 rer 248 g) Provisionsannahmeverbot 252 h) Durchleitungsgebot (§ 48c VAG)

VII. Honorarberatung durch Versicherungsvermitt259 ler VIII. Das Begünstigungs- und Provisionsabgabever266 bot IX.

Schwintowski

Die gewerberechtlichen Voraussetzungen für 141 Versicherungsmakler 146 Gewerbsmäßig Vermittlung oder Abschluss für den Auftragge147 ber a) Der Maklervertrag – Zustandekommen – 147 Form – Rechtsnatur b) Grundsätze für das konkludente Zustande149 kommen des Maklervertrages 154 c) Pflichten des Maklers 159 d) Vollmachten des Maklers e) Nettopolicen – Provisionsan161 spruch f) Erfolgshonorar bei Tarifwechsel nach § 204 178 VVG g) Verwirkung des Provisionsanspru182 ches 185 h) Maklerwechsel Keine Betrauung von einem Versicherer oder 192 von einem Versicherungsvertreter a) Das Rechtsverhältnis zwischen Makler und 195 Versicherer 205 b) Versicherer lehnt Antrag ab 208 c) Kausalität 209 d) Der Gläubiger der Courtage e) Gewerberechtliche Auswirkungen auf den 212 Maklerstatus 213 Scheinmakler

Die Versicherungsvermittlerverordnung

296

808

A. Einführung

1. 2. 3. 4. 5.

Inkrafttreten- Rechtsgrundlage 296 297 Wesentlicher Inhalt der Neuregelungen Erlaubnisverfahren, Sachkundenachweis, Wei299 terbildung (Abschnitt 1) 308 Vermittlerregister (Abschnitt 2) Berufshaftpflichtversicherung (Ab309 schnitt 3)

6. 7. 8. 9.

VVG § 59

Anforderungen an die Geschäftsorganisation, In314 formationspflichten (Abschnitt 4) Ergänzende Vorschriften für Versicherungsanla322 geprodukte (Abschnitt 5) 323 Zahlungssicherung (Abschnitt 6) Ordnungswidrigkeiten, Übergangsregelung (Ab324 schnitt 7)

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Die Regelungen über Versicherungsvermittler und Versicherungsberater beruhen auf der Umset- 1 zung der Vermittlerrichtlinie (I) vom 15. Januar 2003.1 Ergänzt und teilweise grundlegend neugefasst wurden die Regelungen der ersten Vermittlerrichtlinie durch die Richtlinie 2016/97 vom 20.1.2016 (IDD), die in das deutsche Recht durch Gesetz vom 17.8.20172 umgesetzt wurde. Die Neuregelungen sind, bis auf wenige Ausnahmen, am 23.2.2018 in Kraft getreten. Ziel sowohl der ersten als auch der zweiten Vermittlerrichtlinie war die Harmonisierung des Vermittlermarktes und die Verbesserung des Verbraucherschutzes.3 Die Richtlinie sah die Eintragung aller gewerblich tätigen Vermittler in ein oder mehrere nationale Register vor, wobei die in verschiedenen Registern enthaltenen Informationen von einer zentralen Auskunftsstelle aus abrufbar sein müssen.4 Ferner soll den Kunden der Zugang zu einer außergerichtlichen Schlichtungs- und Beschwerdestelle ermöglicht wurden. Weiterhin werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Vorschriften zur Kundengeldsicherung und zur Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten des Vermittlers zu schaffen.5 Die Vorgaben der VRL wurden, allerdings verspätet, mit Wirkung vom 22. Mai 2007 ins deut- 2 sche Recht umgesetzt. Rechtstechnisch geschah dies durch das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts.6 Das Gesetz enthielt einen gewerberechtlichen7 und einen privatversicherungsrechtlichen Teil. In die Gewerbeordnung wurden die Regelungen über das neue Vermittlerregister bei den Industrie- und Handelskammern (§ 11a GewO) aufgenommen. Die Verpflichtung, gewerbsmäßige Versicherungsvermittlung nur noch mit Erlaubnis der zuständigen IHK zu betreiben, ergab und ergibt sich auch heute noch aus § 34d GewO. Dort ist auch geregelt, dass gebundene Vermittler keiner Erlaubnis bedürfen, wenn das VU die uneingeschränkte Haftung aus der Vermittlertätigkeit übernommen hat (§ 34d Abs. 7 GewO). Die Anforderungen an die Sachkundeprüfung (§ 34d Abs. 9 GewO) ergeben sich aus der Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung (VersVermV) vom 15.7.2007,8 neugefasst durch Umsetzung der IDD am 17.12.2018.9 Artikel 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts enthielt die Ände- 3 rungen des Gesetzes über den Versicherungsvertrag.10 Diese am 22. Mai 2007 in Kraft getretenen Änderungen sind wortgleich in das am 1. Januar 2008 in Kraft getretene VVG als §§ 59 bis 73

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002, Abl. EG Nr. L9 S. 3. BGBl. I 3214. BTDrucks. 16/1935 S. 1; Erwägungsgrund 2 RiLi 2016/97. BTDrucks. 16/1935 S. 1. BTDrucks. 16/1935 S. 1. Vom 19.12.2006, BGBl. I 3232, BTDrucks. 16/1935 S. 5 ff. Dazu Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2010) § 34d Rn. 1 ff. BGBl. I 733, in Kraft getreten am 22.5.2007. Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über den Versicherungsvertrieb, BGBl. 2018 I Nr. 46, 2483. 10 BTDrucks. 16/1935 S. 9 ff. 809

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§ 59 VVG

Begriffsbestimmungen

übernommen worden. Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts11 enthielt deshalb keine Begründung zu den Vorschriften über die Versicherungsvermittlung, sondern verweist insoweit auf das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 9. Dezember 2006.12 Das Gesetz klärte zunächst, dass es nur zwei Arten von Versicherungsvermittlern gibt, nämlich die (gebundenen) Versicherungsvertreter und die (ungebundenen) Versicherungsmakler (§ 59). Die von der Richtlinie geforderten Beratungs- und Dokumentationspflichten enthält § 61. Erstmals sind Versicherungsvermittler ausdrücklich zum Schadensersatz verpflichtet (§ 63). Die für die Versicherungsvermittler geltenden Vorschriften sind auf Versicherungsberater entsprechend anzuwenden (§ 68). Die §§ 69 bis 73 regeln, inwieweit der Versicherungsvertreter bevollmächtigt ist, Erklärungen zulasten des VR entgegenzunehmen – in den neu gefassten Nummern 1 und 2 des § 69 Abs. 1 wird die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung des BGH in den Gesetzeswortlaut überführt. 4 Die Umsetzung der VRL und das Inkrafttreten des VVG am 1.1.2008 haben erhebliche strukturelle Veränderungen in der Vermittlerschaft der Versicherungswirtschaft bewirkt. Nach Schätzungen des Gesamtverbandes waren im Jahre 2006 etwa 410.000 Gewerbetreibende als Versicherungsvermittler tätig. Davon 6.000 bis 8.000 als Makler, 3.000 als Mehrfachvertreter ohne Ausschließlichkeitsklausel und etwa 400.000 als gebundene Vertreter, also solche, die einen Agenturvertrag mit einem VU mit Ausschließlichkeitsklausel haben.13 Bei diesen Zahlen waren die Strukturvertriebe14 mit ihrem großen Netzwerk selbständiger Vermittler nur einfach gezählt.15 Dazu kam eine nicht bezifferbare Anzahl von Gewerbetreibenden, die Versicherungen akzessorisch zu dem Hauptprodukt vermitteln (produktakzessorische Vermittler), wie z.B. KfzHändler.16 Deshalb erschien eine Gesamtzahl von ca. 500.000 Versicherungsvermittlern im Jahre 2006 nicht als ausgeschlossen.17 Demgegenüber waren im statistischen Vermittlerregister (Stand: Oktober 2009) insgesamt 250.823 Vermittler eingetragen.18 Das ist weniger als die Hälfte der Vermittler, die es im Jahre 2006 noch gegeben haben soll. Der größte Teil der Versicherungsvermittler gehörte zu den gebundenen Vertretern (172.997), daneben standen 33.570 Versicherungsvertreter mit Erlaubnis sowie 41.289 Versicherungsmakler, 172 Versicherungsberater sowie 2.649 produktakzessorische Vermittler. Die Entwicklung in den Jahren danach (Stand 2018) verweist auf eine Marktkonsolidierung. Stand 2.7.2018 waren rund 206.110 Versicherungsvermittler registriert.19 Davon waren 125.419 Versicherungsvertreter gebunden, während 29.403 Versicherungsvertreter eine eigene Erlaubnis hatten. 46.727 Versicherungsmakler waren zugelassen. Eingetragen waren 4.076 produktakzessorische Vertreter und 141 produktakzessorische Makler. Daneben waren 344 Versicherungsberater eingetragen.20

II. Inhalt und Zweck der Vermittlerrichtlinie (VRL) 5 Der in der VRL verwendete und definierte Begriff des Versicherungsvermittlers wurde erstmals in das deutsche Recht eingeführt. Versicherungsvermittler sind nach § 59 Abs. 1 Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler. Damit sind alle anderen früher einmal gebräuchlichen Begriffe, z.B. 11 BTDrucks. 16/3945. 12 BTDrucks. 16/1935 ab S. 1; dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie vom 25.10.2006, BTDrucks. 16/3162 ab S. 1. 13 BTDrucks. 16/1935 S. 13. 14 Zur Definition und Ausgestaltung des Begriffs Strukturvertrieb vgl. Schwintowski MiFID, 87 ff. 15 BTDrucks. 16/1935 S. 13. 16 BTDrucks. 16/1935 S. 13. 17 BTDrucks. 16/1935 S. 13; die Schätzungen schwanken beträchtlich, vgl. die verschiedenen Einschätzungen von Tillinghast/Mummert/Beenken/Schwintowski MiFID, 53 ff. 18 Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2010) § 34d Rn. 7. 19 DIHK Registrierung im Versicherungsvermittlerregister (2.7.2018). 20 Sämtliche Zahlen stammen aus dem Versicherungsvermittlerregister der DIHK (Stand: 2.7.2018). Schwintowski

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A. Einführung

VVG § 59

der Begriff des Versicherungsagenten oder des Mehrfachagenten, überwunden. Damit knüpft das VVG an die Reform des HGB aus dem Jahre 1953, in der durch das Handelsvertretergesetz der Begriff des Agenten durch den Begriff des Vertreters ersetzt wurde.21 Nach Art. 2 Nr. 5 ist „Versicherungsvermittler“ jede natürliche oder juristische Person, die die 6 Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt. An dieser Definition hat sich durch die IDD (Art. 2 Abs. 1 Nr. 3) nichts geändert. Daran knüpft § 59 Abs. 1 an und stellt klar, dass Versicherungsvermittler in zwei Grundkategorien auftreten können, nämlich als Versicherungsvertreter oder als Versicherungsmakler. Es gibt somit keinen Widerspruch zwischen dem Begriff des Versicherungsvermittlers in § 59 Abs. 1 und in Art. 2 der Richtlinien.22 Letztlich bezweckt § 59 zunächst einmal eine klare Präzisierung des Begriffs Versicherungsvermittlung. Auf diese Weise wird zwischen den verschiedenen Beteiligten bei der Entstehung eines VV, dem VN, der versicherten Person, dem VR und dem Versicherungsvermittler abgegrenzt.23 Darüber hinaus wird eine klare Trennung zwischen den vertraglich gebundenen Versicherungsvermittlern, den Versicherungsvertretern im Sinne des § 59 Abs. 1 und den vertraglich nicht gebundenen Versicherungsvermittlern, den Versicherungsmaklern nach § 59 Abs. 1, differenziert. Auf diese Weise wird es möglich, Pflichten, die nur den Versicherungsvertreter oder nur den Versicherungsmakler treffen, einer dieser beiden Gruppen präzise zuzuordnen.24 Über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinausgehend hat sich der deutsche Gesetzge- 7 ber entschlossen, auch den Versicherungsberater im VVG zu regeln.25 Der Versicherungsberater berät gewerbsmäßig Versicherte, ohne von einem VR einen wirtschaftlichen Vorteil (Provision) zu erhalten oder in anderer Weise von ihm abhängig zu sein (§ 59 Abs. 4). Die Vorschriften der §§ 60 Abs. 1 Satz 1, 61 Abs. 1 und der §§ 62 bis 65 und 67 sind auf den Versicherungsberater entsprechend anzuwenden (§ 68).

III. Gesetz zur Umsetzung der IDD Durch Gesetz vom 17.8.2017 hat der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie 2016/97 vom 20.1.2016 8 (IDD) in das nationale Recht umgesetzt. Die Neuregelungen betreffen die Gewerbeordnung, das VAG und das VVG. Außerdem wurde die VersVermV neugefasst. Die Neuregelungen sind, mit wenigen Ausnahmen, am 23.2.2018 in Kraft getreten. Der neue § 34d Abs. 1 Satz 4 stellt klar, dass die Versicherungsvermittlung auch das Mitwir- 9 ken bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall, umfasst (Nr. 1). Nicht vom Begriff der Versicherungsvermittler erfasst ist die Schadensregulierung und die sachverständige Begutachtung von Schäden.26 Neu ist die ausdrückliche Einbeziehung der Informationsbereitstellung über eine Website und von Vergleichsportalen, sofern jeweils direkt oder indirekt der Abschluss eines Versicherungsvertrages ermöglicht wird.27 Auch nach bisheriger Rechtslage unterfielen viele Vergleichsprotale der Erlaubnispflicht, wenn sie die Möglichkeit zum Vertragsschluss eröffneten.28 Im Einzelfall ist eine Abgrenzung zur weiterhin erlaubnisfreien Tippgebung notwendig.29

21 BTDrucks. 16/1935 S. 22. 22 Etwas unklar die Gesetzesbegründung in BTDrucks. 16/1935 S. 22. 23 Schwierigkeiten kann es bei der Frage geben, ob diejenigen, die Rahmenversicherungsverträge schließen, mit der Vermittlung von Versicherungen betraut sind, dazu Schwintowski VuR 2008 286. 24 Zu Abgrenzungsproblemen Schwintowski VuR 2008 286. 25 Dazu Werber VersR 2019 321 f. 26 BTDrucks. 18/11627 S. 34, entsprechend Art. 2 Abs. 2b IDD. 27 BTDrucks. 18/11627 S. 34. 28 BTDrucks. 18/11627 S. 34; OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111987; dazu Lehmann/Rettig VersR 2017 1370; Schwintowski VersR 2015 1062; Fischer BB 2017 3082. 29 BTDrucks. 18/11627 S. 34, dazu Schwintowski FS Fenyves, 765 bis 779. 811

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Begriffsbestimmungen

Geplant war ein Honorarannahmeverbot für Versicherungsvermittler wonach der Versicherungsvermittler ausschließlich von dem Versicherungsunternehmen, mit dem er direkt oder indirekt zusammenarbeitet, vergütet werden durfte. Dieses Verbot ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nach Beratung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie am 28.6.201730 aufgegeben worden. Ohne jede Grundlage in der IDD hat der deutsche Gesetzgeber ein Provisionsabgabeverbot für Versicherungsvermittler in § 34d Abs. 1 Satz 6 verankert. Allerdings ist § 48b Abs. 4 VAG (neu seit 23.2.2018) anzuwenden. Das bedeutet, dass ein Versicherungsvermittler Provisionen zur Prämienreduktion oder zur Erhöhung der Leistung abgeben darf.31 In Verbindung mit dem (gescheiterten) Honorarannahmeverbot wollte der Gesetzgeber den Versicherungsmaklern Honorarvereinbarungen mit Verbrauchern verbieten.32 Damit wäre auch der Vertrieb von Nettopolicen nicht möglich gewesen. Auch dies ist letztlich im Ausschuss für Wirtschaft und Energie gescheitert.33 Die Regelungen über den Versicherungsberater (§ 34d Abs. 2 GewO) sind neu – auch für sie gibt es keine Entsprechung in der IDD. An der Unabhängigkeit vom VU hat sich nichts geändert. Der Versicherungsberater darf neuerdings aber Versicherungen vermitteln – er ist aber verpflichtet Provisionszuwendungen an den Kunden weiterzuleiten. Die Einzelheiten ergeben sich aus § 48c VAG. Vermittler aus anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten, die in ihrem Herkunftsland registriert sind, benötigen in Deutschland keine Erlaubnis (§ 34d Abs. 7 GewO). In Abs. 8 sind die bisher in § 34d Abs. 9 GewO enthaltenen erlaubnisfreien Vermittlungstätigkeiten aufgeführt. Gemeint sind Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit oder Vermittler von Bausparkassen. Die Vorgaben für die Weiterbildung wurden in § 34d Abs. 9 GewO umgesetzt. Eine Weiterbildung im Umfang von 15 Zeitstunden jährlich ist vorgeschrieben. Die Einzelheiten ergeben sich aus § 7 VersVermV einschließlich der Anlagen 3 und 4. Nach § 144 Abs. 2 Nr. 7 GewO stellt der Verstoß des Versicherungsvermittlers gegen das Provisionsabgabegebot eine Ordnungswidrigkeit dar. Zuständig für die Ahndung ist nicht die BaFin ´ n. Sie ahnden auch Vermittler, die Nachweise über Weiterbildungsleistunsondern sind die IHK gen nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht mindestens 15 Jahre aufbewahren (§ 26 VersVermV). Im neu eingeführten § 48b VAG wird das Provisionsabgabe- und Sondervergütungsverbot gesetzlich im VAG festgeschrieben. Wichtig ist die Ausnahme in § 48b Abs. 4 VAG, wonach Provisionsabgabe zur Leistungserhöhung oder Prämienreduktion zulässig ist.34 Das in § 48c VAG eingeführte Durchleitungsgebot für Versicherungsberater soll es diesem ermöglichen Bruttotarife zu vermitteln, ohne selbst in Kontakt mit den darin enthaltenen Zuwendungen zu kommen.35 Neu eingefügt wurde § 1a VVG, wonach die Vertreiber von Versicherungen, das sind neben den Vermittlern auch die Versicherer,36 verpflichtet sind stets ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse der VN zu handeln.37 Das war im deutschen Recht nach § 242 BGB schon immer der Fall.38 In Erwägungsgrund 46 IDD wird darauf hingewiesen, dass jedenfalls „keine provisionsgesteuerte Beratung“ durch Angestellte oder Vertreter von Versicherern

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BTDrucks. 18/13009 S. 7, vertiefend Reiff/Köhne VersR 2017 449, 459 f. Vertiefend Schwintowski ZfV 2017 714 ff., 740 ff. BTDrucks. 18/11627 S. 35. BTDrucks. 18/13009 S. 7 f. Vertiefend Schwintowski ZfV 2017 714 ff., 740 ff. BTDrucks. 18/11627 S. 40. Begriffsbestimmung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 IDD. Dazu Werber VersR 2019 321, 327 ff. BTDrucks. 18/11627 S. 42.

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A. Einführung

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erfolgen solle. Auch dies entspricht dem deutschen Recht, nach dem für den zu erteilenden Rat die Wünsche und Bedürfnisse des VN maßgeblich sind.39 Erfasst wird auch die Mitwirkung bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall. Der Makler als Sachwalter des Kunden kann in dessen Interesse Schäden regulieren – aber nicht gleichzeitig auch noch für den Versicherer.40 Nach § 1a Abs. 2 umfasst der Versicherungsvertrieb auch das Bereitstellen von Informationen, insbesondere auf einer Website, und das Erstellen von Ranglisten.41 Im Hinblick auf diejenigen, die Ranglisten, einschließlich eines Preis- oder Produktvergleichs, erstellen, ist hiermit eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie verbunden.42 Der neue § 6a gilt auch für Vermittler (entsprechend § 59 Abs. 1 Satz 2). Die Informationen vor Abgabe der Vertragserklärung des VN müssen danach entweder in Papier- oder unter bestimmten Voraussetzungen – in Textform erbracht werden. Auch eine Unterrichtung über eine Website ist möglich, wenn die Voraussetzungen von § 6a Abs. 5 gegeben sind. Auch die Neuregelungen über Querverkäufe (§ 7a) treffen die Vermittler (§ 59 Abs. 1 Satz 2). Es geht um Verträge, die in einem Versicherungspaket enthalten sind. Es muss darüber informiert werden, ob die Verträge auch gesondert erworben werden können.43 Auch Vermittler in Nebentätigkeit sind, so der neue § 66, zu bestimmten Informationen verpflichtet und müssen das Produktinformationsplatt übergeben.44 Das Gesetz trat am 23.2.2018 in Kraft.45 Die Verordnungsermächtigung trat bereits nach Verkündigung des Gesetzes in Kraft. Ebenso wie die Regeln zur Provisionsabgabe.46

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IV. Die Versicherungsvermittlerverordnung Mit der Verordnung über Versicherungsvermittlung und -beratung wurde von der Verordnungs- 25 ermächtigung in § 34e GewO Gebrauch gemacht.47 Das Erlaubnisverfahren einschließlich der Berufshaftpflichtversicherung und das Registrierungsverfahren wurden konkretisiert. Zudem wurden die Pflichten der Gewerbetreibenden, insbesondere die Pflicht zu einer regelmäßigen Weiterbildung (§ 7), ausgestaltet.48 Außerdem wurde in der Finanzanlagenvermittlungsverordnung (Art. 2) und der Immobiliardarlehensvermittlungsverordnung (Art. 3) die notwendigen Folgeveränderungen vorgenommen. Die Anforderungen an den Inhalt der Sachkundeprüfung enthält § 2 und die Prüfungs- und 26 Verfahrensvorschriften § 4. Die Weiterbildung kann in Präsenzform, im Selbststudium, durch betriebsinterne Maßnahmen oder in einer anderen geeigneten Form durchgeführt werden (§ 7). Bei Weiterbildungsmaßnahmen im Selbststudium ist eine nachweisbare Lernerfolgskontrolle durch den Anbieter der Weiterbildung erforderlich (§ 7 Abs. 1). Die Anforderungen an die Qualität der Weiterbildungsmaßnahme ergeben sich aus Anlage 3. Nach wie vor hat der Vermittler beim ersten Geschäftskontakt die Statusinformationen 27 dem VN mitzuteilen (§ 15). Mitzuteilen ist auch die Art der Vergütung und, ob diese vom Kunden oder als Provision in der Versicherungsprämie enthalten ist. Mitzuteilen ist auch, ob die Vergütung aus einer Verknüpfung verschiedener Vergütungsarten besteht (§ 15 Abs. 1 Nr. 5 bis 8). 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 813

BTDrucks. 18/11627 S. 42. BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14, VuR 2016 349 mit Anm. Schwintowski. BTDrucks. 18/11627 S. 42. BTDrucks. 18/11627 S. 43. BTDrucks. 18/11627 S. 44. BTDrucks. 18/11627 S. 45. BTDrucks. 18/11627 S. 45 (Art. 5 des Änderungsgesetzes). BTDrucks. 18/11627 S. 45. Eine vertiefende Darstellung zur VersVermV finden Sie unter B VII. VersVermV – 17.12.2018, BGBl. 2018 I Nr. 46, 2483. Schwintowski

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Begriffsbestimmungen

Nachweise über die Weiterbildungsmaßnahmen müssen vom Vermittler aufbewahrt werden. Das gilt für mindestens 5 Jahre (§ 26 Abs. 1 Nr. 1). Werden die Nachweise nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht in der vorgeschriebenen Weise aufbewahrt, so kann dies mit einem Bußgeld durch die IHK geahndet werden (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 2 Nr. 1 GewO).

B. Spezielle Kommentierung I. Tatbestandsvoraussetzungen von § 59 Abs. 1 (Satz 1) 1. Der Begriff Versicherungsvermittler 29 Versicherungsvermittler i.S.d. § 59 Abs. 1 sind – so heißt es dort – Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler. Daraus folgt, dass Personen, die sich weder als Versicherungsvertreter, noch als Versicherungsmakler einordnen lassen, z.B. Tippgeber49 keine Versicherungsvermittler sind. Versicherungsvermittler ist auch, wer eine Vertriebstätigkeit im Sinne von § 1a Abs. 2 ausführt, ohne dass die Voraussetzungen der Abs. 2 oder 3 vorliegen.50 Das bedeutet auch der Betreiber einer Website wird als Versicherungsvermittler eingestuft, selbst wenn die Voraussetzungen von Abs. 2 und 3 nicht erfüllt sind.51 Der Versicherungsvertrieb umfasst auch das Erstellen von Ranglisten von Versicherungsprodukten, einschließlich eines Preis- und Produktvergleichs oder eines Rabatts auf den Preis eines Versicherungsvertrages, wenn der VN einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt über eine Website oder ein anderes Medium abschließen kann (so der Wortlaut zu § 1a Abs. 2). Damit ist eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der IDD verbunden.52 Zugleich werden alle Versicherungsvertreiber gleichbehandelt. 30 Der neue Begriff des Versicherungsvertreibers ist in Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 IDD definiert. Versicherungsvertreiber sind Versicherungsvermittler, auch in Nebentätigkeit oder Versicherungsunternehmen. Auf diese Personen bezieht sich die IDD und zwar auch dann, wenn sie über eine Website oder andere Medien dem Kunden die Möglichkeit bieten einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt abzuschließen (Erwägungsgrund 12 IDD). Darauf nimmt die gesetzliche Begründung Bezug. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie sei sachgerecht, weil andernfalls Wettbewerbsnachteile für Vermittler und Versicherungsunternehmen, die Websites betreiben, entstünden. Das VVG übernimmt diese Regelung in § 59 Abs. 1, auch wenn es nicht um Vertragsrecht im eigentlichen Sinne geht.53 Erfasst wird auch die „indirekte“ Ermöglichung des Abschlusses eines Versicherungsvertrages, zum Beispiel wenn dies durch Weiterleitung an eine andere Website ermöglicht wird. 31 Versicherungsvermittler nach der IDD sind natürliche oder juristische Personen, die keine Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen oder ihre Angestellten und keine Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit sind und, die die Versicherungsvertriebstätigkeit gegen Vergütung aufnehmen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 IDD). Die Definition für Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 Nr. 4a bis c IDD. 32 Von der Versicherungsvermittlung ist der Versicherungsvertrieb zu trennen. Beim Versicherungsvertrieb (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 IDD) geht es um die Beratung, das Vorschalgen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen, das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall, einschließlich der Bereitstellung von Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge aufgrund von Kriterien, die ein Kunde über eine Website 49 50 51 52 53

BT-Drucks. 16/1935 S. 17 f. So der Wortlaut BTDrucks. 18/11627 S. 34 seit 23.2.2018. BTDrucks. 18/11627 S. 44. BTDrucks. 18/11627 S. 43. BTDrucks. 18/11627 S. 43.

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B. Spezielle Kommentierung

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oder andere Medien wählt, sowie die Erstellung einer Rangliste von Versicherungsprodukten, einschließlich eines Preis- und Produktvergleichs, oder ein Rabatt auf den Preis des Versicherungsvertrages, wenn der Kunde einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt über eine Website oder ein anderes Medium abschließen kann. Diese Vorgaben der IDD sind in § 34d Abs. 1 GewO und für die Vermittler in Nebentätigkeit in Abs. 8 umgesetzt. Ergänzt werden diese gewerberechtlichen Regelungen vertragsrechtlich durch §§ 1a, 59. Grundsätzlich bedarf derjenige, der den Abschluss von Versicherungs- oder Rückversicherungsverträgen vermitteln will, der Erlaubnis der zuständigen IHK (§ 34d Abs. 1 GewO). Das Gleiche gilt für denjenigen, der gewerbsmäßig über Versicherungen oder Rückversicherungen beraten will (Versicherungsberater: § 34d Abs. 2 GewO). Der Versicherungsberater darf die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernehmen. Er darf sich seine Tätigkeit aber nur durch den Auftraggeber vergüten lassen (§ 34e Abs. 2 Satz 3 GewO). Die Tätigkeit des Versicherungsvermittlers umfasst auch das Mitwirken bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall. Dagegen sind die Schadensregulierung und die Sachverständigenbegutachtung von Schäden nicht vom Begriff der Versicherungsvermittlung erfasst.54 Hiervon unabhängig gehört die Schadensregulierung im Auftrag des Versicherers im Regelfall nicht als Nebenleistung (§ 5 RDG) zum Berufs- oder Tätigkeitsbild des Versicherungsmaklers.55 In § 34d Abs. 8 GewO sind die (bis zum 23.2.2018) in § 34d Abs. 9 Nr. 1 GewO enthaltenen erlaubnisfreien Vermittlungen in Nebentätigkeit geregelt.56 Gemeint sind Vermittler, die nicht hauptberuflich Versicherungen vermitteln und bei denen die Versicherung eine Zusatzleistung zur Lieferung einer Ware oder zur Erbringung einer Dienstleistung darstellen (z.B. Reisekranken- oder Reisegepäckversicherungen), die bestimmte Prämienhöhen nicht überschreiten (gemeint sind auch Restschuldversicherungen, die im Zusammenhang mit Darlehens- und Leasingverträgen vermittelt und deren Jahresprämie einen Betrag von A 500 nicht übersteigen, § 34d Abs. 8 Nr. 3 GewO). Es geht ferner um Versicherungen, die Bestandteile von Bausparverträgen und ausschließlich dazu bestimmt sind, die Rückzahlungsforderungen der Bausparkasse abzusichern (§ 34d Abs. 8 Nr. 2 GewO). Die in § 34d Abs. 8 Nr. 1 GewO genannten Kriterien müssen kumulativ vorliegen. Wenn diese Voraussetzungen kumulativ vorliegen, dann handelt es sich um Bagatelltätigkeiten, bei denen aufgrund des unbeachtlichen Umfangs, des geringen Risikos sowie der geringen Höhe der Versicherungsprämien die an die Person des Vermittlers gestellten Anforderungen unverhältnismäßig wären.57 In der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass bestimmte Personengruppen in der Regel den Ausnahmetatbestand erfüllen werden, wobei sie ihn im Einzelfall nachzuweisen haben. Es geht um die Kredit- und Kreditkartenvermittler (z.B. Arbeitslosigkeitsversicherung), um die Brillenhändler (z.B. Kaskoversicherung), um Reifenhändler (z.B. Reifenversicherung); um Versand- und Einzelhändler (z.B. Garantieversicherungen zur Verlängerung der Gewährleistung; ferner Elektrohändler (Garantie- und Reparaturversicherungen); Fahrradhändler und Fahrradhersteller (z.B. Unfall- und Diebstahlsversicherungen) sowie Reisebüros (z.B. Reiserücktritts- und Reisekrankenversicherungen). Mit Wirkung zum 23.2.2018 ist § 66 VVG, der die Versicherungsvermittlernebentätigkeit auch früher schon erfasste, geändert worden. Für Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit wird dort klargestellt, dass die §§ 1a Abs. 2, 6a, 7b, 7c, 60 bis 64, 69 Abs. 2 und 214 nicht gelten. Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit haben aber den Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Versicherungsvertrags Informationen über ihre Identität und ihre Anschrift, sowie über die Verfahren, nach denen die Versicherungsnehmer und andere interessierte Parteien Be54 BTDrucks. 18/11627 S. 34. 55 BGH 14.1. 2016 – I ZR 107/14 (juris); ergänzend BGH 3.11.2016 – I ZR 107/14, BeckRS 2010 109935; übergreifend Schlömer Münsteraner Reihe Bd. 138 (2018) passim. 56 BTDrucks. 18/11627 S. 36. 57 BTDrucks. 16/1935 S. 20. 815

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schwerden einlegen können, zur Verfügung zu stellen. Das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten haben sie dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrages auszuhändigen. In § 34d Abs. 8 Nr. 2 GewO wurden weitere Fälle aus dem Anwendungsbereich des § 34d ausgenommen, bei denen aufgrund spezifischer nationaler Verhältnisse eine Erfassung nach Sinn und Zweck der Richtlinie nicht gerechtfertigt wäre.58 Es handelt sich um die im Bausparwesen üblichen Versicherungen, bei denen die Versicherungssumme das vorhandene Restdarlehen abdeckt. Diese Konstellation – so der Gesetzgeber – stellt keine Versicherungsvermittlung im eigentlichen Sinne dar, denn die Bausparkasse schließt einen Kollektivvertrag ab, aus dem sich für den Kunden nur im Todesfall ein individualisierter Anspruch ergibt, ansonsten jedoch nicht auf seine persönliche Situation hinsichtlich seiner Gesundheit Bezug genommen wird.59 Vor diesem Hintergrund, so der Gesetzgeber, stelle die Versicherung praktisch einen Teil des Bauspardarlehens dar.60 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass es eine vergleichbare Ausnahme in der Richtlinie nicht gäbe. Auch für Bausparer gäbe es sehr wohl Alternativen für die Restschuldversicherung, die möglicherweise für ihn günstiger seien und über die er aufgeklärt werden müsste. Aus diesem Grunde wird in der Literatur – zutreffend – darauf hingewiesen, dass § 34d Abs. 8 Nr. 2 GewO als richtlinienwidrig angesehen werden müsse.61 Die gleichen Erwägungen gelten auch für Restschuldversicherungen nach § 34d Abs. 8 Nr. 3 GewO. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass die Ausnahme für die Vermittlung bestimmter Restschuldversicherungen nach Sinn und Zweck der Richtlinie gerechtfertigt sei.62 Es handele sich nicht um die in der Richtlinie erwähnte Lebensversicherung im engeren Sinne, sondern vielmehr um eine Versicherung sui generis, mit deren Abschluss sich der Verbraucher gegen Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Unfall oder auch Todesfall versichern und damit sich und seine Familie vor einer wirtschaftlichen Notlage schützen könne.63 Unter die Ausnahme fielen lediglich Restschuldversicherungen, die als Zusatzleistung zur Lieferung einer Ware oder der Erbringung einer Dienstleistung in Zusammenhang mit Verbraucherdarlehen vermittelt würden, deren Jahresprämie einen Betrag von A 500 nicht übersteige. Es erscheine unverhältnismäßig, den primär betroffenen Einzelhandel der Erlaubnispflicht zu unterwerfen.64 Zu bedenken ist, dass § 34d Abs. 8 Nr. 2 und Nr. 3 GewO die Bausparkassen und die Anbieter von Restschuldversicherungen nur von den gewerberechtlichen Voraussetzungen ausnimmt – es bedarf also keiner Erlaubnis und keiner Registrierung bei der IHK – auch die Berufshaftpflichtversicherung muss nicht nachgewiesen werden. Dagegen gelten die Beratungs- und Dokumentationspflichten (§ 61) auch für die Bausparkassen und die Anbieter von Restschuldversicherungen, wie der Gesetzgeber ausdrücklich klarstellt.65 Aus diesem Grunde bezieht sich § 66 nur auf die Versicherungsvermittler i.S.d. § 34d Abs. 8 Nr. 1 GewO – aber nicht auf die Versicherungsvermittler der Nr. 2 (Bausparkassen) und der Nr. 3 (Restschuldversicherungen). Haben Versicherer und Kreditinstitut eine Restschuldgruppenversicherung abgeschlossen und tritt der Kreditnehmer als versicherte Person bei, so hat der Versicherer ihm gegenüber die Beratungs- und Informationspflichten eines Versicherers (§ 7e).66 Parallel dazu hat das Kredit-

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So die Gesetzesbegründung in BTDrucks. 16/3935 S. 20. BTDrucks. 16/1935 S. 20. BTDrucks. 16/1935 S. 20. Reiff VersicherungsvermittlerR, 26; Abram VersR 2005 1318, 1321; sowie die bei Reiff zitierten Stellungnahmen von Verbänden; Prölss/Martin/Dörner, 31 vor § 59 Rn. 54. 62 BTDrucks. 16/1935 S. 21. 63 BTDrucks. 16/1935 S. 21. 64 BTDrucks. 16/1935 S. 21; kritisch dazu Reiff VersicherungsvermittlerR, 26 – unter Hinweis auf die Stellungnahme des vzbv vom 7.4.2006, S. 16 f. 65 BT-Drucks. 16/1935 S. 21. 66 In Kraft ab 23.3.2018; zuvor bereits für eine Analogie: Brömmerlmeyer VersR 2015 1460, 1467. Schwintowski

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institut den Kreditnehmer aufgrund eines (konkludenten) Beratungsvertrags im Hinblick auf den Beitritt zur Restschuldversicherung anleger- und objektgerecht zu beraten.67

a) Definition des Begriffs Versicherungsvermittler in § 34d GewO. Die versicherte Person 43 hat die Rechte eines Versicherungsnehmers, insbesondere das Widerrufsrecht (§ 7d Satz 2). Über dieses Widerrufsrecht ist eine Woche nach Abgabe der Vertragserklärung erneut in Textform zu belehren (§ 7d Satz 3). Das Produktinformationsblatt ist mit dieser Belehrung erneut zur Verfügung zu stellen (§ 7d Satz 4). Die Widerrufsfrist beginnt nicht vor Zugang dieser Unterlagen (§ 7d Satz 5).68 Der neue § 7d verbessert die Transparenz bei Restschuldversicherungen in Gruppenverträgen. Außerdem wird die Rechtsstellung der versicherten Person, derjenigen des Versicherungsnehmers angeglichen. Die Tätigkeit eines Tippgebers, die darauf beschränkt ist, Möglichkeiten zum Abschluss 45 von Versicherungsverträgen namhaft zu machen oder Kontakte zwischen einem potenziellen VN und einem Versicherungsvermittler oder VU herzustellen ist, keine Vermittlung i.S.d. § 34d GewO.69 Wie schon in BTDrucks. 13/9721 S. 25 zum Gesetzentwurf des Bundesrates zu § 104a VAG-E – der nie Gesetz geworden ist – ausgeführt, sollen auch in § 34d GewO die bloße Namhaftmachung von Abschlussmöglichkeiten (durch sog. Namhaftmacher) und die Anbahnung von Verträgen (durch sog. Kontaktgeber) keine Vermittlung darstellen, weil sie als vorbereitende Handlungen nicht auf eine konkrete Willenserklärung des Interessenten zum Abschluss eines Vertrages, der Gegenstand der Vermittlung ist, abzielen.70 Vielmehr stelle dies lediglich eine Vermittlung an einen Vermittler dar.71 So stellte auch die VRL in Art. 2 Nr. 3 u.a. darauf ab, ob die Tätigkeit zum Ziel habe, den 46 Kunden beim Abschluss des VV zu unterstützen. Anders als in der Immobilienbranche sei damit der dort bekannte und in § 34d GewO erwähnte Nachweismakler nicht erfasst. Von einem bloßen Tippgeber, der lediglich Kontaktdetails weitergebe – wobei eine Konkretisierung auf ein bestimmtes Produkt noch gar nicht stattgefunden habe – erwarte ein potenzieller VN auch keine Beratung. Diese müsse erst beim eigentlichen Vermittler erfolgen, was auch durch die Dokumentationspflicht in § 61 sichergestellt werde.72 Bietet eine Supermarktkette eine Unfallversicherung für Kinder mit einmaliger Jahresprämie 47 an, so liegt darin Versicherungsvermittlung.73 Bietet ein Kaufhaus den Kunden Informationen an, die zum Abschluss einer Versicherung führen könnten (über ein Call-Center), so liegt hierin zwar die Zuführung von Kunden an Versicherer, nicht aber eine (beratungspflichtige) Vermittlung.74 Vertreibt ein VU Verträge über eine Internet-Homepage, so soll der Homepagebetreiber Tippgeber sein, jedenfalls dann, wenn das VU für den Kunden eindeutig erkennbar ist. In diesen Fällen dürfte der Homepagebetreiber nicht einmal Tippgeber sein, sondern ausschließlich die technischen Voraussetzungen für ein invitatio ad offerendum zur Verfügung stellen.75 Aus den gleichen Gründen sind Call-Center regelmäßig keine Vermittler, es sei denn, das Center betreibt Akquise und Beratung.76

67 Brömmelmeyer a.a.O. 68 Die seit dem 23.2.2018 geltende Neuregelung ist durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie vom 28.6.2017 ins Gesetz gekommen, BTDrucks. S. 60. 69 BTDrucks. 16/1935 S. 17; Schwintowski FS Fenyves, 765 bis 779. 70 BTDrucks. 16/1935 S. 17. 71 Schwintowski FS Fenyes. 72 BTDrucks. 16/1935 S. 17 und 18; vertiefend Schwintowski FS Fenyves, 765 bis 779. 73 LG Wiesbaden 14.5.2008, VersR 2008 919. 74 Wie hier: Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 39 – unter Hinweis auf die abweichende Meinung ´ n. der IHK 75 Bsp. von Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 39b. 76 Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 40 f. 817

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Begriffsbestimmungen

48 b) Definition des Begriffs Versicherungsvermittler in der Rechtsprechung. Versicherungsvermittler sind – so der BGH am 22. Mai 1985 – diejenigen, die Kraft rechtsgeschäftlicher Geschäftsbesorgungsmacht für einen anderen Versicherungsschutz ganz oder teilweise beschaffen, ausgestalten und abwickeln, ohne selbst VN oder VR zu sein.77 In späteren Entscheidungen hat der BGH betont, dass der Vermittler vom VR mit dem Abschluss von Verträgen betraut sein müsse.78 Dafür reiche es nicht aus, dass der Vermittler ein eigenes wirtschaftliches Interesse an Vertragsabschlüssen mit einem bestimmten VR habe.79 Auch das Provisionsinteresse des Vermittlers genüge insoweit nicht.80 Vielmehr sei entscheidend, dass bei Anbahnung und Abschluss des Versicherungsverhältnisses eine klare Rollenverteilung bestanden habe. Wenn der angebliche Vermittler in Wahrheit als Vertreter des späteren VN auftrete, so werde er jedenfalls nicht dadurch zum Vermittler, dass ihm der VR später eine Provision zahle.81 Auch ein Betreuungshinweis in den Vertragsunterlagen des VR sei kein ausreichendes Indiz für eine Vertreterstellung des benannten Vertragsbetreuers oder seiner Mitarbeiter.82 In jenem Fall war auf dem Versicherungsschein vermerkt: „Sie werden betreut von: B.-Assekuranz (…).“ Ein solcher Vermerk sei sowohl im Interesse des VN wie auch des Vermittlers zweckmäßig. Daraus folge jedoch noch nicht, dass die B.-Assekuranz automatisch Versicherungsvertreterin für den VR sei.83 Auch die Gesetzlichen Krankenkassen, die auf der Grundlage des § 194 Abs. 1a SGB V Zu49 satzversicherungen vermitteln, tun dies als Vermittler und bedürfen deshalb der Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO; die Bestimmung des § 194 Abs. 1a SGB V enthält keine den § 34d GewO verdrängende speziellere Regelung.84 Dagegen sind diejenigen, die Rahmenversicherungsverträge schließen, im Regelfall nicht 50 mit der Vermittlung von Versicherungen betraut. Es geht ihnen weder um die Verwirklichung der Interessen des Versicherers, und auch nicht um die Verwirklichung eigener wirtschaftlicher Vermittlungsinteressen. Sie sind vielmehr daran interessiert, den Rahmenversicherungsvertrag bereitzustellen. Bezweckt der Rahmenvertrag eine Besserstellung der zukünftig Versicherten, so nimmt derjenige, der den Rahmenvertrag schließt, die Interessen derer wahr, die durch den Rahmenvertrag begünstigt werden. Er ist also nicht im eigenen Interesse und nicht im Interesse des Versicherers, sondern im Interesse des Kollektivs tätig. In diesen Fällen ist er nicht Versicherungsvermittler.85 Etwas anderes gilt, wenn derjenige, der den Rahmenvertrag schließt für jeden einzelnen Versicherten, der diesem Vertrag beitritt, eine Provision bekommt. Dieses eigene wirtschaftliche Interesse spricht für den Status des Vermittlers.86 51 Spediteure oder Lagerhalter werden nicht als Versicherungsvermittler eingeordnet, wenn die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit auftragsgemäß Versicherungsschutz über eine von ihnen als VN und Prämienschuldner gekennzeichnete Versicherung (z.B. Transport-, Generalpolice, Lagerversicherung, Fremdunternehmensversicherung) besorgen, indem sie bei Deklaration des Sacherhaltungsinteresses des versicherten Eigentümers des transportierten oder eingelagerten Gutes versichern. In diesen Fällen hat der Spediteur/Lagerhalter schon vorab eine (Rahmen-)Versicherung abgeschlossen, deren Versicherungsschutz dann zu Gunsten des jeweiligen

77 BGH 22.5.1985, BGHZ 94 356, 358 – auf diese Entscheidung verweist auch die Gesetzesbegründung in BTDrucks. 16/1935 S. 18; die Rechtsprechung hat dabei auf eine Definition von Möller Versicherungsvermittlung, 19 zurückgegriffen. 78 BGH 7.11.2007, VersR 2008 242, 243 unter Hinweis auf BGH 19.9.2001, VersR 2001 1498; BGH 22.9.1999, VersR 1999 1481. 79 BGH 7.11.2007, VersR 2008 242 f. 80 BGH 7.11.2007, VersR 2008 242 f. 81 BGH 19.9.2001, VersR 2001 1498; BGH 22.5.1985, BGHZ 94 356, 359. 82 BGH 7.11.2007, VersR 2008 242 f. 83 BGH 22.9.1999, VersR 1999 1481 f. 84 BGH 18.9.2013 – I ZR 183/12, GRUR 2013 1250 m.w.N. 85 Vertiefend Schwintowski VuR 2008 286, 290. 86 Schwintowski a.a.O. (2008) 286, 290. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 59

Transport-/Lagergutes entsprechend dem Wunsch des Kunden konkretisiert wird.87 Keine Versicherungsvermittlung liegt auch in jenen Fällen vor, in denen ein Kfz-Händler eine eigenständige Garantie über die des Herstellers hinaus anbietet, die über eine Versicherung abgedeckt wird.88 Wird aber der Garantieanspruch des Kunden gegen ein VU eröffnet, so ist von einer Vermittlung auszugehen.89 Vermittelt dagegen ein Immobilienmakler den Versicherungsschutz für eine Haus- oder Haftpflichtversicherung, so vermittelt er.90 Für die Finanzgerichte ist die Klärung des Begriffs der Versicherungsvermittlung ebenfalls 52 von Bedeutung. Der Grund liegt darin, dass die Versicherungsvermittlung nach § 4 Nr. 11 UStG umsatzsteuerfrei erfolgt. Bis zum Urteil vom 6.9.2007 hat der BFH für den Begriff der Versicherungsvermittlung an die §§ 92, 93 HGB angeknüpft. Das hat er mit dem Urteil vom 6.9.2007 aufgegeben.91 Es handelte sich um einen Fall, wo der angebliche Versicherungsvermittler sich ausschließlich auf das Erheben von Daten der potenziellen VN (Bestandsaufnahme) beschränkte. Für diesen Fall verneinte der BFH die Vermittlungstätigkeit und verwies insoweit auf Art. 13 Teil B a der 6. MwSt-Richtlinie. Das ausschließliche Erheben von Daten potenzieller VN sei demnach mehrwertsteuerpflichtig, weil es keine Versicherungsvermittlung darstelle.92 Dies entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung des EuGH in Steuersachen.93

2. Abgrenzung zu Funktionsausgliederungsverträgen Funktionsausgliederungsverträge sind nach 7 Nr. 2, 32 VAG zulässig. Es handelt sich um Verträ- 53 ge „durch die der Vertrieb, die Bestandsverwaltung, die Leistungsbearbeitung, das Rechnungswesen, die Vermögensanlage oder die Vermögensverwaltung eines VU ganz oder zu einem wesentlichen Teil einem anderen Unternehmen auf Dauer übertragen werden soll (Funktionsausgliederung).“ Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Funktionsausgliederung mit der 14. Novelle zur Änderung des VAG im Jahre 1983 eingeführt.94 Funktionsausgliederungen beinhalten rechtlich die Übertragung einer Funktion des VR auf 54 einen Dritten. Dienstleister, die im Rahmen eines Funktionsausgliederungsvertrages für einen VR tätig werden, erhalten regelmäßig für ihre Tätigkeit eine Vergütung. Diese Vergütung ist die Gegenleistung für die Tätigkeit, die der Dienstleister im Rahmen des Funktionsausgliederungsvertrages für den VR erbringt. Ein Dienstleister, der Funktionen des VR übernimmt, etwa indem er den Bestand verwaltet, die Namen der Versicherten an den VR weitergibt, die Prämie einzieht, das Mahnverfahren organisiert oder einen gemeldeten Schaden aufnimmt, wird damit anstelle des VR tätig, nimmt also Funktionen eines VR und nicht Funktionen eines Versicherungsvermittlers wahr. Das ergibt sich auch daraus, dass das ausgliedernde Versicherungsunternehmen sich die erforderlichen Auskunfts- und Weisungsrechte vertraglich zu sichern hat (§ 32 Abs. 4 VAG). Auch die VRL stellt klar, dass „die berufsmäßige Verwaltung der Schadensfälle eines VU oder die Schadensregulierung und Sachverständigenarbeit im Zusammenhang mit Schadensfällen „nicht als Versicherungsvermittlung gilt“ (Art. 2 Nr. 3 Abs. 3).95

87 88 89 90 91 92 93

Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 34. Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 35. Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 35. Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 33. BFH 6.9.2007, BB 2008 319 f. BFH 6.9.2007, BB 2008 319 f. Urt. v. 20.11.2003 Rs. C-8/01 Taksatoringen, BFH/NV 2004 Beilage 2, 122; Urt. v. 3.3.2005 Rs. C-472/03 Andersen, Umsatzsteuerrundschau 2005 2001. 94 Vertiefend Zimmerer 15 ff.; Kagelmacher 125 ff.; aus aufsichtsrechtlicher Perspektive vgl. die Rundschreiben R 7/ 76; 29/2002 (BAV); 15/2005 (BaFin). 95 Vertiefend Schwintowski VuR 2008 281, 283. 819

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§ 59 VVG

Begriffsbestimmungen

3. Abgrenzung zu Rahmenversicherungsverträgen 55 In der Praxis sind Rahmenversicherungsverträge (auch Kollektivverträge) in verschiedenen Fallgestaltungen übliche. Etwa im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (§§ 1, 1a BetrAVG). Vereine schließen häufig zugunsten ihrer Mitglieder Kollektivrahmenverträge, um ihnen besonders günstige Konditionen zu ermöglichen.96 Darüber hinaus schließen Banken mit Lebensversicherungen Rahmenverträge, um das Risiko der Rückzahlung eines Restkredites insbesondere bei Tod oder Berufsunfähigkeit des Kreditnehmers abzusichern. Je größer und homogener das Kollektiv und je dauerhafter die Vertragsbeziehung ist, umso mehr können sich die günstigen Verhältnisse auswirken.97 Diejenigen, die Rahmenversicherungsverträge schließen, sind in der Regel VN, aber nicht 56 zugleich Versicherungsvermittler.98 Es fehlt nicht nur die rechtsgeschäftliche Geschäftsbesorgungsmacht, sondern auch der Wille, für andere Versicherungsschutz ganz oder teilweise zu beschaffen, auszugestalten und abzuwickeln.99 Das Interesse derjenigen, die Rahmenversicherungsverträge schließen, erschöpft sich im Regelfall darin, den Rahmenvertrag bereitzustellen. Es handelt sich typischerweise um eine Versicherung für fremde Rechnung nach §§ 43 ff. VVG.100 Ob und in welchem Umfang Dritte von der Möglichkeit der Bereitstellung Gebrauch machen, ist für den VN des Rahmenversicherungsvertrages irrelevant. Eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Erlaubnispflicht nach § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO liegt hierin nicht, da der VN des Gruppenvertrages angemessen beraten wird und darüber hinaus eine eigenständige Beratungsverpflichtung zu Gunsten des einzelnen Versicherten gesetzlich bisher nicht besteht.101 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Bereitstellende kraft ergänzender rechtsgeschäftlicher Geschäftsbesorgungsmacht nicht nur den Rahmenvertrag bereitstellt, sondern darüber hinaus daran interessiert ist, ganz oder teilweise Versicherungsschutz zu beschaffen, auszugestalten und abzuwickeln. Dies hat der BGH mit Blick auf gesetzlichen Krankenversicherungen diskutiert, die auf der Grundlage von § 194 Abs. 1a SGB V Zusatzversicherungen vermittelten.102 Inzwischen hat das Bundessozialgericht entschieden, dass gesetzliche Krankenkassen das Bewerben und Anbieten von in ihrer Satzung geregelten Wahltarifen für Gestaltungsleistungen, wie besonderen Auslandskrankenschutz, unterlassen müssen, soweit sie dadurch ohne gesetzliche Ermächtigung ihren Tätigkeitskreis erweitern.103 Mit Beschluss vom 15.10.2020104 hat der BGH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der VN einer Auslandsreisekrankenversicherung zugleich auch Vermittler sein kann. Assecuradeure sind Vermittler mit weitreichenden Geschäftsvollmachten für VUs – sie 57 können Prämien bestimmen, Deckungszusagen tätigen und Schäden regulieren. Soweit sie Versicherungen im Paket für andere Vermittler weitergeben – diese vermitteln dann an den Endkunden – liegt keine Vermittlung im Sinne des § 34d GewO vor, da es dort nur um die Vermittlung an Endkunden geht. Assecuradeure bedürfen aber dann einer Erlaubnis, wenn sie Verträge an Endkunden vermitteln.105 96 Schwintowski VuR 2008 286. 97 So das BAV (heute BaFin) im Rundschreiben 3/94 vom 10.11.1994 – dieses Rundschreiben, das für die Kollektivlebensversicherung galt, wirkt seit der Deregulierung der Versicherungsmärkte am 21. Juli 1994 nur noch für den Altbestand. 98 OLG Koblenz 19.12.2018 – 9 U 805/18; LG Erfurt 24.10.2013 – 2 H K O 156/13; aus steuerrechtlicher Perspektive: BFH 7.12.2016 – II R 1/15, BSTBl. 2017 II 360; Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 45. 99 BGH 22.5.1985, BGHZ 94 356, 358; OLG Koblenz 19.12.2018 – 9 U 805/18 Rn. 36 m.w.N.; Schwintowski VuR 2008 281 ff. 100 OLG Koblenz 19.12.2018 – 9 U 805/18 Rn. 35. 101 OLG Koblenz 19.12.2018 – 9 U 805/18 Rn. 39; a.A. LG Erfurt 24.10.2013 – 2 HKO 156/13 (juris Rn. 26) f. 102 BGH 18.9.2013 – I ZR 183/12. 103 BSG 31.7.2019 – B 1 KR 34/18 R (juris). 104 I ZR 8/19. 105 Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 46. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

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II. Tatbestandsvoraussetzungen von § 59 Abs. 1 (Satz 2) 1. Versicherungsvertreiber Die am 23.2.2018 in Kraft getretene Neuregelung sorgt dafür, dass die §§ 1a, 6a, 7a, 7b und 7c 58 auch für Versicherungsvermittler entsprechend gelten. Es handelt sich um Regelungen, die nach der IDD für Versicherungsvertreiber (Art. 2 Abs. 1 Nr. 8) gelten. Versicherungsvertreiber sind auch Versicherungsvermittler und Versicherungsberater, sodass die Analogie sachgerecht ist.106 Infolgedessen sind Versicherungsvermittler nach § 1a Abs. 1 Satz 1 verpflichtet stets ehrlich, redlich und professionell im besten Interesse des Versicherungsnehmers zu handeln. Diese Anforderungen entsprechen den in Deutschland seit Langem geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB).107 Ferner sind Vermittler nach § 61 Abs. 1 verpflichtet die Wünsche und Bedürfnisse des VN 59 zu erfragen und einen hierauf abgestimmten Rat zu erteilen. Dies ist nur möglich, wenn der Vermittler ehrlich, redlich und professionell berät. Eine nicht ehrliche, unprofessionelle und unredliche Beratung wäre mit den Vorgaben des Versicherungsvertragsrechts auch vor dem 23.2.2018 kaum vereinbar gewesen – es wäre zu Schadensersatzansprüchen nach § 63 gekommen.108 Für gebundene Vertreter haben die Versicherer eine Vergütungspolitik zu entwickeln, wonach eine provisionsgesteuerte Beratung ausgeschlossen ist. In jedem Fall müssen sich die Wünsche und Bedürfnisse des Versicherungsnehmers durchsetzen – andernfalls haftet der Vermittler auf Schadensersatz (§ 63). Das Gleiche gilt für den Versicherer (§ 6 Abs. 5). Der Versicherungsmakler, der Sachwalter des Versicherungsnehmers ist, ist ohnehin verpflichtet, im bestmöglichen Interesse seines Kunden zu beraten – eine provisionsgesteuerte Beratung war und ist ihm schon immer verboten gewesen.109 § 1a Abs. 1 übernimmt die Definition der Richtlinie für „Vertriebstätigkeit“. Die Vertriebstä- 60 tigkeit umfasst nicht nur die Beratung. Erfasst sind auch Vorbereitungshandlungen. In Betracht kommt zum Beispiel die Versendung von Informationsmaterial vor einem Beratungsgespräch.110 Erfasst wird aber auch die Mitwirkung bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall.111 Diese Klarstellung im Gesetz entspricht der Rechtsprechung des BGH.112 Von einem Versicherungsmakler, so der BGH, ist ein Hinweis auf den drohenden Verlust des Versicherungsanspruchs wegen Nichteinhaltung der Frist zur ärztlichen Feststellung und Geltendmachung einer eingetretenen Invalidität zu erwarten, jedenfalls wenn für ihn erkennbar ist, dass Ansprüche wegen Invalidität in der Unfallversicherung ernsthaft in Betracht kommen.113 Der Umstand, dass es zur eigenen Verantwortung des VN gehört, sich über Ausschlussfristen nach den Versicherungsbedingungen zu informieren, lässt keinen Raum für die Verteidigung des Versicherungsmaklers, sich auf diese Obliegenheit des VN zu berufen, weil sie lediglich das Verhältnis des VN zum VR betrifft. Der VN bedient sich aber gerade eines Maklers als sachkundigen Fachmanns, um seine Ansprüche zu wahren und durchzusetzen.114

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BTDrucks. 18/11627 S. 44. BTDrucks. 18/11627 S. 42. BTDrucks. 18/11627 S. 42. In diesem Sinne BTDrucks. 18/11627 S. 42. BTDrucks. 18/11627 S. 42. BTDrucks. 18/11627 S. 2. BGH 16.7.2009 – III ZR 21/09, NJW-RR 2009 1688 Rn. 8; BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818 Rn. 13. 113 BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818 Rn. 15. 114 BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818 Rn. 15. 821

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Begriffsbestimmungen

2. Mitwirkung im Schadensfall 61 Nach § 34d Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 GewO umfasst die Tätigkeit als Versicherungsvermittler auch das Mitwirken im Schadensfall. Damit hat der Gesetzgeber Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 IDD umgesetzt.115 Diese Mitwirkung im Schadensfall war auch schon nach Art. 2 Nr. 3 der Vermittlerrichtlinie (2002/92) vom Begriff der Versicherungsvermittlung umfasst. Insoweit handelt es sich lediglich um eine Klarstellung.116 Dies bedeutet, der Vermittler muss dem VN zum Beispiel Schadensanzeigen übermitteln oder Kontaktadressen, die für die Schadensregulierung zuständig sind, weitergeben oder auch beim Versicherer nachfragen, ob und warum sich die Regulierung des Schadens möglicherweise verzögert.117 Dagegen ist die Schadensregulierung selbst und die sachverständige Begutachtung von Schäden vom Begriff der Versicherungsvermittlung nicht umfasst.118 Der Makler darf die Schadensregulierung jedenfalls im Auftrag des VR nicht durchführen, weil er insoweit in einem Interessenkonflikt zum VN gerät, dessen Sachwalter er ist.119 Demgegenüber dürfte der VN seinen Makler mit einer Schadensregulierung im Interesse des VN beauftragen – insoweit läge eine zulässige Nebenleistung nach § 5 RDG vor.120 Demgegenüber kann der Versicherungsvertreter, der im Interesse des Versicherers, an den er sich gebunden hat, tätig ist, für diesen auch die Schadensregulierung erledigen.121 Dies gilt somit auch für die Mehrfachagenten und die Assecuradeure. Makler können vom Versicherer die Schadensregulierung für VN, die sie nicht vermittelt haben, gegen Entgelt, übernehmen.

3. § 6a 62 Der ab 23.2.2018 geltende § 6a regelt wie der Rat und die Gründe hierfür dem VN mitzuteilen sind – gemeint ist der Rat des Versicherungsvermittlers nach § 61 Abs. 1. Zulässig ist die Erteilung des Rates auf Papier aber auch in Textform und unter bestimmten Voraussetzungen auch über eine Website.122

4. §§ 7a/b/c 63 Seit 23.2.2018 sind in § 7a Querverkäufe geregelt, die Versicherungspakete betreffen. Den Vermittler treffen Informationen darüber, ob einzelne Teile eines Paketes, das er anbietet, gesondert erworben werden können.123 § 7b betrifft besondere Informationspflichten für Versicherungsanlageprodukte, die teilwei64 se auch schon früher bestanden.124 So müssen „angemessene Informationen“ über das Versicherungsanlageprodukt – in erster Linie geht es um die fondsgebundene Lebensversicherung – erteilt werden. Ebenso muss über Kosten und Gebühren informiert werden.125 Was genau der 115 BTDrucks. 18/11627 S. 34. 116 BTDrucks. 18/11627 S. 345. 117 Weiterführend BGH 16.7.2009 – III ZR 21/09, NJW-RR 2009 1688 Rn. 8; BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818 Rn. 13. 118 BTDrucks. 18/11627 S. 34 unter Hinweis auf Art. 2 Abs. 2b IDD. 119 BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris Rn. 16). 120 BGH a.a.O. Rn. 22, 27; bestätigt durch BGH 3.11.2016 – I ZR 107/14, BeckRS 2016 109935; dazu Nowok/Over GRUR-Prax 2017 140; Armbrüster ZIP 2017 1; Johnik GRUR 2016 1135; Schwintowski VuR 2016 351 ff.; Schlömer Münsteraner Reihe Bd. 138 (2018) passim. 121 BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris Rn. 21). 122 BTDrucks. 18/11627 S. 43. 123 BTDrucks. 18/11627 S. 44. 124 BTDrucks. 18/11627 S. 44. 125 BTDrucks. 18/11627 S. 47. Schwintowski

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europäische Gesetzgeber damit meint, dass Informationen „in zusammengefasster Form“ zu erteilen sind, ist, so die Gesetzesbegründung, nicht eindeutig zu bestimmen; es wird davon ausgegangen, dass eine relativ kurze Aufstellung der in § 7b Abs. 2 genannten Kosten und Gebühren dieser Vorgabe dem europäischen Recht genügen.126 § 7c enthält besondere Pflichten im Zusammenhang damit, wie zu beurteilen ist, ob ein 65 Versicherungsanlageprodukt geeignet und zweckmäßig ist.127 Die Versicherungsvertreiber treffen besondere Pflichten, Berichte zur Verfügung zu stellen (§ 7c Abs. 5).128

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 59 I (Satz 3) Nach § 59 Abs. 1 Satz 3 ist Versicherungsvermittler auch, wer eine Vertriebstätigkeit im Sinne von § 1 a Abs. 2 ausführt, ohne dass die Voraussetzungen des nachfolgenden Abs. 2 (Versicherungsvertreter) oder Abs. 3 (Versicherungsmakler) vorliegen. Sachlogisch folgt daraus, dass auch die Voraussetzungen des Abs. 4 (Versicherungsberater) nicht vorliegen müssen. Versicherungsvermittler ist folglich jeder, der Versicherungsverträge über Websites oder andere Medien anbietet, wenn der VN einen versicherungsvertrag direkt oder indirekt über dieses andere Medium abschließen kann (§ 1a Abs. 2). Wenn diese Möglichkeit besteht, so ist auch derjenige Vermittler, der Ranglisten von Versicherungsprodukten, einschließlich eines Preisund Produktvergleichs oder eines Rabatts auf den Preis eines Versicherungsvertrages, erstellt. Es kommt – anders als vor dem 23.2.2018 – nicht mehr darauf an, ob die Betreiber des Internetportals über eine wirksame Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung verfügten. Entscheidend ist, dass der VN die Möglichkeit hat, einen Versicherungsvertrag über das Internet abzuschließen. Die Betreiber des Portals sind auch dann Versicherungsvermittler nach § 59 VVG, wenn die erforderliche Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GewO nicht vorliegen sollte. Inhaltlich geht es um Internetseiten oder Apps und um Versicherungsvergleichsportale, die auch vor dem 23.2.2018 der Erlaubnispflicht unterfielen, wenn sie die Möglichkeit zum Vertragsschluss eröffneten.129 Im Ergebnis stellt der Gesetzgeber klar, dass der Internetvertrieb im Vergleich zum traditionellen Vertrieb keinerlei rechtliche Privilegien erfahren darf, er also grundsätzlich dem gleichen Pflichtenkatalog unterworfen ist wie der offline Vermittler.130 In diesem Sinne hatte bereits das OLG München131, 132 entschieden. Zuvor hatte bereits das LG München klargestellt, dass die Pflichten des § 61 für als Versicherungsmakler tätige Internetvergleichsportale gelten.133 Im Einzelfall ist eine Abgrenzung zum erlaubnisfreien Tipp134 erforderlich. Kein bloßes Tippgeben sondern eine Vermittlungstätigkeit liegt vor, wenn auf der Internetseite konkrete Versicherungsprodukte empfohlen und der online Abschluss ermöglicht wird.135 Ein erlaubnisfreies Tippgeben ist auch im Internet möglich, wenn ein Handelsunternehmen auf seinen Internetseiten lediglich allgemein das mit ihm kooperierende Versicherungsunternehmen empfiehlt und mittels eines Links die Weiterleitung auf dessen Internetseiten, die

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BTDrucks. 18/11627 S. 44. BTDrucks. 18/11627 S. 44. BTDrucks. 18/11627 S. 44. BTDrucks. 18/11627 S. 34; hierzu umfassend Rübben Berliner Reihe Bd. 51 (2017). Rübben a.a.O. S. 329. 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111987, Anm. Schwintowski in VuR 2017 468. Zur Diskussion im Vorfeld der Entscheidung des OLG: Fischer BB 2012 2773; Schwintowski VersR 2015 1062; reagierend auf das OLG: Lehmann/Rettig VersR 2017 1370; Fischer BB 2016 3082. 133 13.7.2016 – 37 O 152 68/15, VersR 2016 1315. 134 Art. 2 Abs. 2 IDD. 135 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13, GRUR 2014 398 betreffend Tchibo o.a. 823

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als solche deutlich sichtbar sind, ermöglicht, wo dann der Vertrag spezifiziert und schließlich abgeschlossen werden kann.136 72 Nicht unter § 1 a Abs. 2 fallen Vergleichsportale, mit deren Hilfe Versicherungsvertreibern ein Produkt-, Qualitäts- und auch Preisvergleich von Versicherungsprodukten, die im Markt angeboten werden eröffnet wird. Es handelt sich um Portale, wie beispielsweise softfair oder Nafi, die B2B Informationen anbieten, um Versicherern und den an sie gebundenen Vermittlern einen Marktvergleich zu erleichtern und um Maklern den erforderlichen Marktüberblick nach § 60 zu eröffnen um darauf aufbauend dem VN eine seinen Wünschen und Bedürfnissen angemessene Empfehlung (§ 61 Abs. 1) zu geben. Plattformen dieser Art wenden sich nicht an den VN, sondern an die Versicherungsvertreiber. Der VN kann auf Plattformen dieser Art nicht zugreifen und er kann über diese Plattformen keinen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt abschließen.137

IV. Der Begriff Versicherungsvertreter (§ 59 Abs. 2) 1. Grundlagen 73 Versicherungsvertreter i.S.d. § 59 Abs. 2 ist, „wer von einem VR oder einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen.“ Der Versicherungsvertreter ist folglich an einen VR oder Versicherungsvertreter durch einen Betrauungsakt (i.d.R ist das ein Geschäftsbesorgungsvertrag) gebunden. Das gilt auch für den Mehrfachvertreter, der in Bereichen, die nicht miteinander konkurrieren, an jeweils einen Versicherer gebunden ist (z.B. an A für LV, B für Sach und C für Kranken). Eine vergleichbare Betrauung an einen VR/Versicherungsvertreter fehlt beim Versicherungsmakler. Er vermittelt für den Auftraggeber (meist den zukünftigen VN), ohne von einem VR/Versicherungsvertreter damit betraut zu sein (§ 59 Abs. 3). Demgegenüber ist der Versicherungsberater für Dritte (meist Versicherte) tätig, ohne von einem VR einen wirtschaftlichen Vorteil (Provision/Courtage) zu erhalten oder in anderer Weise von ihm abhängig zu sein (§ 59 Abs. 4). 74 Eine vergleichbare Differenzierung zwischen Versicherungsvertretern, Versicherungsmaklern und Versicherungsberatern wird in der VRL nicht vorgenommen. Allerdings kennt die Richtlinie neben dem Oberbegriff Versicherungsvermittler (Art. 2 Nr. 5) auch den „vertraglich gebundenen Versicherungsvermittler“ (Art. 2 Nr. 7). Gemeint ist eine Person, die die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung im Namen und für Rechnung eines VU oder – wenn die Versicherungsprodukte nicht in Konkurrenz zueinander stehen – mehrere VU ausübt, die jedoch weder die Prämien noch die für den Kunden bestimmten Beträge in Empfang nimmt und hinsichtlich der Produkte der jeweiligen VU unter deren uneingeschränkter Verantwortung handelt. 75 Im Erwägungsgrund 5 der IDD heißt es, dass Versicherungsprodukte von verschiedenen Kategorien von Personen oder Einrichtungen wie Versicherungsagenten, Versicherungsmaklern und „Allfinanzunternehmen“, Versicherungsunternehmen, Reisebüros und Autovermietungsfirmen vertrieben werden. Aus Gründen der Gleichbehandlung all dieser Akteure und des Kundenschutzes bezieht sich die Richtlinie auf all diese Personen und Einrichtungen. Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 IDD ist Versicherungsvermittler jede natürliche oder juristische Person, die kein Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen oder ihre Angestellten und kein Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit ist und die die Versicherungsvertriebstätigkeit gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt. 76 Der Versicherungsvertreter i.S.d. § 59 Abs. 2 ist folglich ein „vertraglich gebundener Versicherungsvermittler“ i.S.v. Art. 1 Nr. 3 IDD. Das ergibt sich im deutschen Recht aus dem Zusammenwirken zwischen § 59 Abs. 2 sowie dem Gewerbe- und dem Versicherungsaufsichtsrecht. Nach § 34d Abs. 7 GewO bedarf ein Versicherungsvermittler keiner Erlaubnis, wenn 136 Reiff VersR 2015 649, 652; Beck-OK/Will GewO § 34d Rn. 24 bis 47. 137 Vertiefend insbes. zu den kartell- und wettbewerbsrechtlichen Fragen Schwintowski NZKart 2016 575. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

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(1) er seine Tätigkeit als Versicherungsvermittler ausschließlich im Auftrag eines oder, wenn die Versicherungsprodukte nicht in Konkurrenz stehen, mehrerer im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten VU ausübt und (2) durch das oder die VU für ihn die uneingeschränkte Haftung aus seiner Vermittlertätigkeit übernommen wird. Der gebundene Vertreter kann freiwillig eine Erlaubnis nach § 34 d Abs. 1 GewO beantragen.138 77 Entscheidet er sich für ein Tätigwerden als gebundener Vertreter nach § 34d Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 GewO, so benötigt er keine eigene Haftpflichtversicherung und die Vorabprüfung der Qualifikation, der Zuverlässigkeit und der geordneten Vermögensverhältnisse durch die IHK entfällt. Dies ist nach § 48 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VAG durch die VU sicherzustellen. Verletzt das VU seine Prüfungspflichten vorsätzlich oder fahrlässig, so kann dies mit einem Bußgeld geahndet werden (§ 332 Abs. 3 Nr. 3 VAG). Ein Versicherungsvermittler, der seine Tätigkeit ausschließlich im Auftrag eines VU ausübt, 78 bedarf nach § 34d Abs. 7 GewO keiner Erlaubnis nach Absatz 1, wenn er mit Zustimmung des VU Produkte anderer VU vermittelt, die weder mit den Produkten des auftraggebenden VU, noch untereinander konkurrieren, sofern diese Tätigkeit nur einen geringen Teil seiner Gesamttätigkeit ausmacht, durch eine hinreichend bestimmt gefasste Vereinbarung mit dem Auftraggeber begrenzt ist und dieses die uneingeschränkte Haftung für den Vermittler übernimmt.139 Der gebundene Vertreter kann in einzelnen Fällen makeln, ohne seine Vertretereigenschaft 79 zu verlieren – er muss den Kunden aber darauf hinweisen.140 Denkbar ist dies, wenn der Vertreter mit einem Makler-Pool zusammenarbeitet, der Produkte anbietet, die der VR, an den der Vertreter gebunden ist nicht vorhält.141 In der Regel wird allerdings der Vertretervertrag eine solche „Nebentätigkeit“ nicht zulassen. Gewerberechtlich problematisch ist, dass die Haftungsübernahme durch das Mutter-VU die Maklertätigkeit nicht mehr abdeckt.142 Damit aber fällt die entscheidende Voraussetzung für die Privilegierungsmöglichkeit des § 34d Abs. 7 GewO weg.143

2. Betrauung Der Versicherungsvertreter muss von einem VR oder einem Versicherungsvertreter damit be- 80 traut sein, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen. Es entsteht der Agenturvertrag (§§ 92 Abs. 1, 86 Abs. 1 HGB), der den Vertreter verpflichtet, sich um den Abschluss von Versicherungsgeschäften zu bemühen (Bemühenspflicht).144 Der Vertreter hat die Interessen des VR wahrzunehmen (§§ 92 Abs. 2, 86 Abs. 1 HGB). Eine Betrauung durch den VN sieht das Gesetz, anders als beim Versicherungsmakler, nicht vor. Dies gilt auch für Mehrfachvertreter. Werden Mehrfachvertreter sowohl vom VR als auch vom VN mit der Wahrung ihrer Interessen betraut, besteht die Gefahr der Interessenkollision.145 Die Interessenkollision kann durch vertragliche Vereinbarung, privatautonom, aufgelöst werden, indem der Mehrfachvertreter vom VR im Vertrag ermächtigt wird, nicht nur für andere VR, sondern auch im Interesse der VN tätig zu werden. Das Gleiche gilt im Vertrag zwischen VN und Mehrfachvertreter – dies folgt einerseits aus dem Leitbild des § 654 BGB, aus dem sich im Umkehrschluss ergibt, dass der Makler die Tätigkeit für beide Seiten vertraglich vereinbaren darf (das entspricht zugleich §§ 98, 138 139 140 141 142 143 144 145

BTDrucks. 16/1935 S. 19. BGH 30.1.2014 – I ZR 19/13, GRUR 2014 794. Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 49, 122. Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 49; a.A. Adjemian GewArch 2009 137, 140. Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 122. BGH 30.1.2014 – I ZR 19/13, GRUR 2014 794. Prölss/Martin/Dörner § 59 Rn. 20. Möller in: Erdmann/Warth S. 207 ff.; zum Umfang der Interessenwahrungspflicht nach § 86 Abs. 1 HGB: BGH 13.3.1974 – IV ZR 53/73, NJW 1974 137. 825

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§ 59 VVG

Begriffsbestimmungen

99 HGB). Die gleichen Grundsätze gelten für den Vertreter nach § 181 BGB. Danach kann der Vertreter mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen, es sei denn, etwas anderes ist ihm (zum Beispiel durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen) ausdrücklich gestattet.146

81 a) Betrauung von einem Versicherer. Betrauung ist die rechtsgeschäftlich eingeräumte Geschäftsbesorgungsmacht (§ 675 BGB), für einen anderen Versicherungsschutz ganz oder teilweise zu beschaffen, auszugestalten und abzuwickeln, ohne selbst VR oder VN zu sein.147 Die Betrauung macht auch den Gelegenheitsvermittler, der, sofern er gewerbsmäßig tätig ist, zum Versicherungsvertreter.148 Reiff weist – zutreffend – daraufhin, dass damit Gelegenheitsvermittler von der Erlaubnispflicht völlig befreit seien, obwohl dies die Europäischen Richtlinien nicht zulassen.149 Auch in Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 IDD wird nicht darauf abgestellt, dass der Vermittler ein Gewerbe betreiben müsse. Er darf allerdings nicht nur in Nebentätigkeit (also gelegentlich) tätig sein und muss seine Vertriebstätigkeit gegen Vergütung aufnehmen/ausüben. Dies spricht dafür, dass auch die Richtlinie, die den deutschen Begriff des Gewerbes nicht kennt, von einer gewerblichen Tätigkeit ausgeht. 82 Damit ist der Anwendungsbereich des VVG weiter als derjenige der §§ 84, 92 HGB. Das VVG erfasst auch Personen, die abweichend von § 84 Abs. 1 HGB nicht ständig damit betraut sind, für den Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder abzuschließen, sofern sie ihre Tätigkeit aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmer gewerbsmäßig ausüben.150 Diese Ausweitung des Vertreterbegriffes war erforderlich, weil auch die Gelegenheitsvermittler, soweit sie gewerbsmäßig handeln, unter die Vermittlerrichtlinie fallen (Art. 2 Nr. 5).151 Die Agenturverträge enthalten regelmäßig Provisionsabreden sowohl für die Abschluss- als 83 auch für die Bestands(pflege)provisionen. Eine Formulierung, wonach der Vertreter für die „Erhaltung“ der Verträge einer Provision erhält, hat Rückwärtsbezug in dem Sinne, dass ein Erfolg in der Vergangenheit honoriert werden soll.152 Eine Formulierung im Agenturvertrag, wonach die Provision dann zur Auszahlung kommt, wenn sie verdient ist, spricht dafür, dass Provisionen, die ausgezahlt wurden nachdem der VN die Prämie für einen bestimmten Zeitraum gezahlt hat, auch endgültig verdient sind und keinen Vorschuss darstellen.153 Üblicherweise muss der Vertreter Provisionen für Verträge, die ungekündigt fortbestehen und für die die Prämien bezahlt werden, bei seinem Ausscheiden nicht zurückzahlen. Sofern für den Fall der Bestandsprovisionen etwas anderes gelten soll, handelt es sich um einen Sonderfall, der ausdrücklich geregelt werden müsste, um dem Vertreter zu ermöglichen, Vorsorge für den Fall seines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Agenturverhältnis zu treffen.154 84 Das Gesetz sieht keinerlei Form für die Betrauung vor – sie kann folglich schriftlich, in Textform, mündlich oder auch konkludent erfolgen. Zweckmäßig und in der Praxis üblich sind schriftliche Vertreterverträge. Die Schriftform kann sich für handelsrechtliche Nebenabreden aus dem HGB ergeben. So etwa, wenn sich der Handelsvertreter verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit aus einem Geschäft einzustehen (Delkredere: § 89b Abs. 1 HGB). Schriftform ist außerdem vorgesehen für die Vereinbarung einer nachvertraglichen Wettbewerbsabrede 146 Angedeutet in diesem Sinne OLG München 22.10.2010 – 25 U 5827/07, VersR 2011 1254 f.; weniger klar Böckmann/Ostendorf VersR 2009 154; Cornelissen 129. 147 BGH 22.5.1985, BGHZ 94 356, 358; BGH VersR 2008 242 f.; Reiff VersR-HB2 § 5 Rn. 5 m.w.N. 148 Prölss/Martin/Dörner § 59 Rn. 9. 149 VersR 2015 649, 653. 150 BTDrucks. 16/1935 S. 22. 151 Ähnlich BTDrucks. 16/1935 S. 22. 152 OLG Köln 24.6.2016 – 19 U 181/15 (juris Rn. 32) m.w.N. 153 OLG Köln 24.6.2016 – 19 U 181/15 (juris Rn. 33). 154 OLG Köln 24.6.2016 – 19 U 181/15 (juris Rn. 34). Schwintowski

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nach § 90a Abs. 1 HGB. Inhaltlich muss der Betrauungsakt dazu führen, dass der Versicherungsvertreter als selbständiger Gewerbetreibender damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (VR) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen (§ 84 Abs. 1 Satz 1 HGB). Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Da es für die Betrauung keine Formvorschrift gibt, kann die Frage entstehen, ob eine kon- 85 kludente Betrauung auch dann schon vorliegt, wenn der Vertreter mit Wissen und Wollen des VR tätig wird.155 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass ein Vermittler, der mit Wissen und Wollen des VR tätig sei, von diesem nicht betraut sein müsse.156 Bestehe etwa die Verbindung eines VR zu einem Vermittler nur darin, dass der VR dem Vermittler Antragsformulare überlasse, so findet dessen Vermittlungstätigkeit zwar mit Wissen und Wollen des VR statt – darin läge aber keine Betrauung.157 Jedenfalls folgt aus der schlichten Überlassung von Antragsformularen nicht, dass der Vermittler als Vertreter des VR tätig werden solle. Die Überlassung von Antragsformularen kann auch gegenüber einem Makler erfolgen, damit dieser den VR in seinen Beratungskreis einschließen kann. Überlässt dagegen der VR dem Vermittler die Unterlagen, die er typischerweise seinen (gebundenen) Vertretern offeriert einschließlich der Informationen über die bei der Vermittlung fließenden Provisionen, so deutet dies darauf hin, dass eine Betrauung (konkludent) erfolgen soll. Erweckt der Vermittler schließlich den Anschein einer Betrauung, obwohl sie tatsächlich nicht erfolgt ist, so sind die allgemeinen Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht anzuwenden – auch auf diese Weise kann folglich eine Betrauung entstehen.158 Betrauung meint keinen einseitig verpflichtenden, sondern einen zweiseitig verpflichten- 86 den schuldrechtlichen Vertretervertrag mit zahlreichen Rechtspflichten sowohl des Versicherungsvertreters als auch des Versicherers.159 Möller hat darauf hingewiesen, dass der Vertretervertrag kein gegenseitiger Vertrag ist.160 Die Vermittlungsprovision werde zwar für Vermittlungserfolge versprochen, aber solche Erfolge wären nicht geschuldet. Zwar sei der Versicherungsvertreter verpflichtet, sich um Vermittlungen zu bemühen, aber nicht für die Bemühungen, sondern nur für seine Erfolge werde er entlohnt. Daraus ergebe sich auch, dass der Vertretervertrag jedenfalls ein entgeltlicher Vertrag sei. Der Vertreter schulde keine Dienste i.S. eines Dienstvertrages, sondern ist nach § 84 Abs. 1 HGB selbständig tätig, weil er im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit frei bestimmen kann. Der Vertretervertrag ist auch kein echter Werkvertrag, denn das Werk – der Vermittlungserfolg – wird nicht geschuldet, sondern allenfalls angestrebt (Bemühenspflicht). Der Vertretervertrag erweist sich somit als Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) mit starken handelsrechtlichen Komponenten.161 Die Pflichten des Versicherungsvertreters ergeben sich im Einzelnen aus dem geschlossenen 87 Vertretervertrag. Dabei wird an handelsrechtliche Usancen angeknüpft, etwa an die Pflicht des Vertreters, sich um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften zu bemühen (§ 86 Abs. 1 HGB) oder die Pflicht, das Interesse des Unternehmers wahrzunehmen (§ 86 Abs. 1 HGB). Die Pflicht, dem Unternehmer die erforderlichen Nachrichten zu geben, ihm namentlich von jeder Geschäftsvermittlung und von jedem Geschäftsabschluss unverzüglich Mitteilung zu machen, ergibt sich unmittelbar aus § 86 Abs. 2 HGB, ist aber Ausdruck der allgemeinen Pflichten i.R. eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses (§§ 675, 666 BGB). Aus der Pflicht, die Interessen des Versicherers zu wahren, ergibt sich im Umkehrschluss die Verpflichtung, seinen Weisungen zu folgen, soweit 155 156 157 158 159 160 161 827

So für § 43 a.F. OLG Hamm 18.11.1998, NVersZ 1999 284, 285. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 59 Rn. 10. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 59 Rn. 10. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 59 Rn. 11; § 69 Rn. 13. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Rn. 197. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Rn. 197. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 197 m.w.N. Schwintowski

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es um das Produkt, die Tarifierung, die AVB, das Basisinformationsblatt, die Verkaufsbroschüre und um die Werbung geht. Webemitteilungen müssen den Vorgaben von § 1a Abs. 3 entsprechen, also redlich und eindeutig und nicht irreführend sein. Werbemitteilungen müssen stets als solche erkennbar sein. Da der Vertreter an § 1a Abs. 3 direkt gebunden ist, dürfen Weisungen des VR den Vertreter nicht verpflichten, gegen § 1a Abs. 3 zu verstoßen. Außerdem dürfen Weisungen des VR nicht dazu führen, dass der Vertreter seine Tätigkeit nicht mehr im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit nicht mehr bestimmen kann.162 Der Versicherungsvertreter darf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, die ihm anvertraut oder als solche durch seine Tätigkeit für den Unternehmer bekannt geworden sind, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht verwerten oder anderen mitteilen (Geheimhaltungspflicht: § 90 HGB). Er hat Anspruch auf Provision für Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind (§ 92 Abs. 3 HGB). Eine Verpflichtung des Versicherungsvertreters zum Inkasso, zur Schadensbearbeitung oder zur Vertragsverwaltung gibt es nicht.163 Jedoch darf der Versicherungsvertreter mit dem Versicherer i.R. eines Funktionsausgliederungsvertrages (§ 32 VAG) den Vertrieb, die Bestandsverwaltung, die Leistungsbearbeitung, das Rechnungswesen, die Vermögensanlage oder die Vermögensverwaltung eines Versicherungsunternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil übernehmen. Die Übernahme von Funktionen des Versicherers darf allerdings nicht so weit führen, dass der Vertreter zum Quasi-Versicherer wird, indem er die Tarife gestaltet, die AVB formuliert, die Grundsätze der Geschäftsführung bestimmt und formuliert, sodass der „Versicherer“ letztlich nur noch Finanzier des Versicherungsgeschäftes ist und damit die Funktion eines stillen Gesellschafters übernimmt.164 Das ausgliedernde VU hat sich die erforderlichen Auskunfts- und Weisungsrechte vertraglich zu sichern und die ausgegliederten Funktionen und Versicherungstätigkeiten in sein Risikomanagement einzubeziehen (§ 32 Abs. 4 Satz 1 VAG). Auch die Rechte des Versicherungsvertreters ergeben sich aus dem Vertretervertrag – sind aber durch die handelsrechtlichen Regelungen beeinflusst. Im Zentrum steht das Recht auf die Provision (§ 92 Abs. 3 HGB), daneben können Festbezüge gewährt werden.165 Der Versicherungsvertreter vermittelt den Versicherungsvertrag – der Kunde wird also zum Vertragspartner des Versicherers – insoweit besteht für den Versicherungsvertreter kein Kundenschutz.166 Ist das Geschäft auf die Tätigkeit des Versicherungsvertreters zurückzuführen (§ 92 Ab. 3 HGB), so gebührt ihm allerdings auch nach Abschluss des Vertrages die laufende Provision i.R.d. vertraglichen Vereinbarungen mit dem Versicherer.167 Über die Frage, ob der zwischen dem VR und dem Vermittler geschlossene Vertrag ein Vertretervertrag ist, mit der Folge, dass auf diesen das Handelsvertreterrecht und nicht das Arbeitsrecht anzuwenden ist, entscheidet primär der Begriff der Selbständigkeit in § 84 Abs. 1 HGB. Wer nach dem Vertrag mit dem VR im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, ist i.d.R. Versicherungsvertreter. Darüber hinaus entscheidet das Gesamtbild über die Einordnung des Vertrages als Vertretervertrag.168 Wesentlich ist, dass der Vertreter die Interessen des VR zu wahren hat (§ 86 Abs. 1 HGB), dass der VR dem Vertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Geschäftsbedingungen oder Werbedrucksachen zur Verfügung zu stellen hat (§ 86a HGB), dass der Vertreter einen Anspruch auf Provision für alle während des Vertragsverhältnisses vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind, erwirbt (§ 87 Abs. 1 HGB), dass der VR die 162 163 164 165 166 167 168

Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 219 m.w.N. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 222 ff. Vertiefend BAV (heute BaFin) Rundschreiben R 6/76 i.V.m. R 29/2000 und R 15/2005. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 244. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 241. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 241, 269. Reiff VersR-HB2 § 5 Rn. 11.

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B. Spezielle Kommentierung

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Produkte gestaltet und dem Versicherungsvertreter vorgibt und dass der VR sowohl das Insolvenz- und Bonitätsrisiko des VN als auch das mit dem Versicherungsprodukt verbundene Leistungsrisiko trägt.169 Wer, ohne selbständig zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, gilt als Angestellter (§ 84 Abs. 2 HGB). Daraus folgt, dass Arbeitnehmer eines VR, die im Innen- oder auch im Außendienst für diesen Versicherungsverträge vermitteln oder abschließen, keine Versicherungsvertreter sind.170 Aus diesem Grunde stellt § 6 klar, dass der VR, wenn er, vertreten durch seine Angestellten, Verträge vermittelt oder abschließt, den gleichen Beratungs- und Dokumentationspflichten unterliegt wie der Versicherungsvermittler (§ 61). Ob Versicherungsvertreter ihre Tätigkeit haupt- oder nebenberuflich ausüben, ist für § 59 Abs. 2 gleichgültig – beide Formen sind erfasst. Zwar muss der Versicherungsvertreter nach § 59 Abs. 2 gewerbsmäßig Versicherungsverträge vermitteln oder abschließen; jedoch trifft dies bei richtlinienkonformer Auslegung auf die meisten Gelegenheitsvermittler zu. Die Differenzierung hat allerdings handelsrechtliche Folgen, da die §§ 89, 89b HGB auf nebenberufliche Vertreter nicht anzuwenden sind. Nebenberuflich ist ein Vertreter tätig, wenn das Arbeitseinkommen überwiegend nicht aus der Vermittlertätigkeit stammt oder wenn eine andere, gegebenenfalls unentgeltliche Tätigkeit die Tätigkeit als Handelsvertreter nach Zeit und Umfang überwiegt.171 Auch der von mehreren VR betraute „Mehrfachvertreter“ ist Versicherungsvertreter i.S.d. § 59 Abs. 2.172 Er bedarf allerdings der Erlaubnis (einschließlich Registrierung und Berufshaftpflichtversicherung) nach § 34d GewO, da er nicht unter die Befreiung des § 34d Abs. 7 GewO fällt. Die Befreiung nach § 34d Abs. 7 GewO setzt voraus, dass die Vermittlungstätigkeit ausschließlich im Auftrag eines VU ausgeübt wird. Nur dann, wenn die Versicherungsprodukte nicht in Konkurrenz stehen, darf der Versicherungsvermittler auch an mehrere VR, die im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt sind, gebunden sein (§ 34d Abs. 7 Nr. 1 GewO). Der Vermittler ist also auch dann ausschließlich für einen VR tätig, wenn er für A das Sachgeschäft vermittelt, für B das Lebensgeschäft und für C die Krankenversicherung. Betreibt allerdings A sowohl das Sach- als auch das Lebensgeschäft und erstreckt sich der Vertretervertrag auch auf das Lebensgeschäft, so konkurrieren die Produkte von A mit denen von B (beide Verträge umfassen auch das Lebensgeschäft), sodass die Befreiung von der Erlaubnis nach § 34d Abs. 7 GewO nicht mehr greift. Eine solche Konkurrenzsituation ist innerhalb eines Konzerns nicht notwendig gegeben.173 Schönleiter verweist darauf, dass der Vermittler im Konzern an einen VR gebunden sein kann, der z.B. nur Lebensversicherungen anbietet. Dennoch dürfe er gleichzeitig von anderen VR desselben Konzerns Versicherungen, ja sogar auch Lebensversicherungen, anbieten. Die Auffassung von Schönleiter lässt sich halten, wenn der Vertretervertrag des Vermittlers eine Konzernklausel enthält, wenn der Vermittler also eine Ausschließlichkeitsvereinbarung mit der Konzernspitze schließt und diese ihm den Zugang zu den verschiedenen Versicherungsprodukten des Konzerns eröffnet. In diesem Fall ist der Konzern ein einziges VU mit mehreren Produktsparten – verteilt auf verschiedene Versicherungsgesellschaften. Hat der Vermittler dagegen einen Ausschließlichkeitsvertrag mit einem einzigen VR, der konzernangehörig ist, so ist er nur berechtigt und verpflichtet, für diesen VR Verträge zu vermitteln. Andere konzernangehörige VR, die vergleichbare Produkte anbieten, sind Konkurrenten – daran ändert die Konzernierung (§ 18 AktG) nichts. Dies bedeutet, dass die Befreiung von der Erlaubnis nach § 34d GewO für diese Fälle fraglich ist. Ein Vermittler, der vergleichbare (in Konkurrenz stehende) Produkte für meh169 Zu diesem Fragenkreis BAG v. 15.12.1999, VersR 2000 1496 f.; Hanau/Strick Beilage Nr. 14 zu DB 1998 6. 170 Wie hier Reiff VersR-HB2 § 5 Rn. 5 m.w.N. 171 Koller/Roth/Morck/Roth HGB-Komm. 6. Aufl. (2007) § 92b Rn. 2 mit Hinweis auf Rentner, Hausfrauen und Studenten; Reiff VersR-HB2 § 5 Rn. 12; Sieg ZVersWiss 1988 263, 273.

172 BT-Drucks. 16/1935 S. 22. 173 Schönleiter GewArch 2007 265 III. 1. c. 829

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rere konzernangehörige VR anbietet, ohne einen Vertrag mit Konzernklausel zu haben, dürfte Mehrfachvertreter sein und als solcher der Erlaubnis, der Registrierung und der Berufshaftpflichtversicherung bedürfen. Bietet ein VR beispielsweise nur das Sachgeschäft an, so darf der Vermittler für das Lebensund für das Krankengeschäft nunmehr mit anderen VR Verträge schließen. Seinen Status als Ausschließlichkeitsvermittler im gewerberechtlichen Sinne verliert er dadurch selbst dann nicht, wenn er für andere VR nicht als Versicherungsvertreter, sondern als Versicherungsmakler tätig werden sollte. Gewerberechtlich bedeutet dies, dass der Vermittler für seine Ausschließlichkeitsbindung an den Sachversicherer von der Erlaubnispflicht befreit ist – insoweit bedarf er auch keiner Berufshaftpflichtversicherung. Jedoch benötigt dieser Vermittler wegen seiner Tätigkeit als Makler nunmehr die Erlaubnis nach § 34d GewO einschließlich der Registrierung und der Berufshaftpflichtversicherung. Ist es dem Versicherungsvertreter nach dem Vertretervertrag erlaubt, das Risiko, das er eingeworben hat, auch bei einer anderen Gesellschaft zu platzieren, wenn „seine“ Gesellschaft das Risiko nicht zeichnen will, so verliert der Vermittler durch diese Ventillösung seine ausschließliche Bindung an nur einen einzigen VR. Er darf den Antrag auch an einen anderen VR vermitteln – dieser steht in Konkurrenz zu dem Stammversicherer des Vermittlers – folglich liegen die Voraussetzungen für die Erlaubnisbefreiung nach § 34d Abs. 7 GewO nicht mehr vor.174 Anders sind die Gestaltungen zu beurteilen, wonach der Vermittler z.B. bezüglich der Lebensversicherung an VR (A) und bzgl. der Krankenversicherung an VR (B) gebunden ist. Eine solche Fallgestaltung ist gewerberechtlich zulässig und erfüllt die Ausnahme von der Erlaubnispflicht nach § 34d Abs. 7 GewO. In der Literatur wurde darauf hingewiesen, dass allerdings die Haftungsübernahme eines VR für die gesamte Tätigkeit des Vermittlers zu erteilen ist.175 Daraus schlussfolgerte Schönleiter – er war der maßgebliche Referent des Gesetzentwurfes im BMWi – dass „damit auch die Haftung für Schäden aus dem Bereich des anderen VR mitübernommen werde.“ Dem hat der BGH am 30.1.2014 zugestimmt.176 Es entspräche dem Willen des Gesetzgebers, der die Haftungsübernahmeerklärung eines VU als entscheidend für die in § 34d Abs. 4 (heute Abs. 7) GewO geregelte Befreiung von dem in § 34 d Abs. 1 GewO bestimmten grundsätzlichen Erlaubniszwang ansehe.177 Dies stehe auch mit dem Unionsrecht im Einklang. Nach Art. 4 Abs. 3 RL 2002/92/EG sei das dort geregelte Erfordernis, das für die Tätigkeit des Vermittlers eine hinreichende Berufshaftpflichtversicherung oder eine andere gleichwertige Garantie, bestehe nicht nur dann erfüllt, wenn eine solche Versicherung oder Garantie von dem Unternehmen, in dessen Namen der Vermittler handelt, gestellt worden ist oder dieses Unternehmen die unbeschränkte Haftung für das Handeln des Vermittlers übernommen habe, sondern auch dann, wenn ein anderes Unternehmen, für das der Vermittler zu handeln befugt sei eine solche Versicherung oder Garantie gestellt oder die unbeschränkte Haftung für das Handeln des Vermittlers übernommen habe.178 Der Ausschließlichkeitsvermittler, der mit Zustimmung seines VU Produkte eines anderen vermittele, die untereinander nicht konkurrieren, sei von der Erlaubnis nach § 34 d Abs. 1 GewO befreit, wenn diese Tätigkeit nur einen geringen Teil seiner gesamten Tätigkeit ausmache und das Auftrag gebende Unternehmen die uneingeschränkte Haftung für den Vermittler übernehme.179

100 b) Der produktakzessorische Vertreter. Produktakzessorische Vertreter sind solche, die Versicherungen als Ergänzung im Rahmen ihrer Haupttätigkeit vermitteln (§ 34d Abs. 6 GewO). Für 174 Schönleiter GewArch 2007 265, 268; Beck-OK/Will GewO (2018) § 34d Rn. 196; Schulze-Schwienhorst/Neuhaus VersR 2012 1356. Schönleiter GewArch 2007 265 III. 1. c. BGH 30.1.2014 – I ZR 19/13, GRUR 2014 794. BGH a.a.O. Rn. 21 unter Hinweis auf BTDrucks. 16/1935 S. 19. BGH a.a.O. Rn. 21. BGH a.a.O.

175 176 177 178 179

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diesen Vermittler stellt der Vertrieb von Versicherungen nur eine Nebentätigkeit zu seinem eigentlichen Gewerbe dar.180 Viele der produktakzessorischen Vermittler sind bereits durch die generelle Ausnahme nach § 34d Abs. 8 GewO sowohl von der Erlaubnispflicht nach § 34d GewO wie auch über § 66 VVG von der zivilrechtlichen Beratungs- und Dokumentationspflicht gänzlich befreit.181 Nach der Neufassung des § 66 (ab 23.2.2018) haben die Vermittler in Nebentätigkeit das Informationsblatt zur Versicherungsprodukten dem VN vor Abschluss des Vertrages auszuhändigen und Informationen über ihre Identität und ihre Anschrift sowie über ein etwaiges Beschwerdeverfahren zur Verfügung zu stellen. In den Anwendungsbereich des § 34d Abs. 6 GewO fallen folglich nur noch jene produktakzessorischen Vermittler, die die strengeren Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 8 nicht erfüllen. In der Praxis sind dies in erster Linie Kfz-Händler, die Haftpflichtversicherungen vermitteln und deshalb nicht unter die Ausnahme des § 34d Abs. 8 GewO fallen. Auch Banken, die beim Abschluss eines Darlehensvertrages eine Lebensversicherung als Sicherheit für die Bedienung des Darlehens vermitteln, fallen unter § 34 d Abs. 6 GewO, wenn es sich nicht um eine Restschuldversicherung mit einer Höchstjahresprämie von A 500 handelt (§ 34d Abs. 3 GewO). Schilderpräger, die KfZ-Kennzeichen herstellen und KfZ-Versicherungen vermitteln, fallen nicht unter § 34d Abs. 6 GewO, weil die Versicherungen keine Ergänzung der Haupttätigkeit (Kennzeichen prägen) sind.182 Sie fallen auch nicht unter § 34d Abs. 8 GewO, weil dort die Haftpflichtversicherung seit 23.2.2018 nicht mehr erfasst ist. Sie können aber als Ausschließlichkeitsvermittler nach § 34d Abs. 7 GewO von der Erlaubnis befreit sein. Produktakzessorische Vermittler können auf Antrag von der Erlaubnispflicht des § 34d Abs. 1 GewO befreit werden (§ 34d Abs. 6 GewO). Wenn die Voraussetzungen für die Befreiung vorliegen (Bindung an einen oder mehrere VR/Vermittler; Berufshaftpflichtversicherung sowie Zuverlässigkeit, geordnete Vermögensverhältnisse und angemessene Qualifizierung), so kann die zuständige Behörde (IHK) den produktakzessorischen Vermittler von der Erlaubnis befreien. Bei produktakzessorischen Versicherungen können auch Mehrfirmenvertreter privilegiert werden.183 Das Merkmal der Produktakzessorietät ist eng auszulegen.184 Eine Reise, verbunden mit einer Gut-Wetter-Versicherung, entspricht dem Merkmal der Produktakzessorietät.185 Dagegen soll die Vermittlung einer Hausratversicherung durch ein Kreditinstitut bei Aufnahme eines Hausbaudarlehens nicht akzessorisch sein.186 Diese Abgrenzung erscheint zumindest in den Fällen fraglich, in denen es sich eindeutig um ein Wohnhaus handelt, bei dem die Bank womöglich auch die Einrichtung mitfinanziert. Jedenfalls dürfte die Gebäudeversicherung akzessorisch sein. Nicht akzessorisch sind dagegen Versicherungen, die als zusätzliche Bausteine eines Finanzierungsmodells eingesetzt werden.187 Gemeint könnte eine neben der Finanzierung des Hausbaus abgeschlossene Rentenversicherung sein. Sie hat reine Anlagefunktion und sichert kein mit der Hauptleistung (Immobilienfinanzierung) unmittelbar verbundenes Risiko.188 Wegen der notwendigen Produktakzessorietät werden Vermittler von Strukturvertrieben regelmäßig die Befreiungsmöglichkeit nicht nutzen können.189 Unabhängig davon, ob produktzakzessorische Vermittler den Befreiungsantrag nach § 34d Abs. 6 GewO gestellt haben, sind sie materiell-rechtlich Versicherungsvertreter i.S.d. 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 831

Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2010) § 34d Rn. 93. Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2010) § 34d Rn. 93. VG Arnsberg 30.7.2009 – 1 K 2393/08, BeckRS 2009 37571. BTDrucks. 16/1935 S. 19. BTDrucks. 16/1935 S. 19. Schönleiter GewArch 2007 265, III. 1. c. BTDrucks. 16/1935 S. 19. BTDrucks. 16/1935 S. 19. BTDrucks. 16/1935 S. 19. BTDrucks. 16/1935 S. 19. Schwintowski

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§ 59 Abs. 2, jedenfalls dann, wenn sie – wie in der Praxis üblich – Versicherungsverträge gewerbsmäßig vermitteln oder abschließen.

105 c) Betrauung von einem Versicherungsvertreter. Viele Vertreter haben ihren Vertretervertrag nicht mit dem VR, sondern mit einem anderen Versicherungsvermittler abgeschlossen, sie sind Untervermittler und damit selbständige Gewerbetreibende, also keine Angestellten i.S.d. § 34d Abs. 9 GewO. Der Untervertreter muss nach § 59 Abs. 2 von einem Versicherungsvertreter mit der Vermittlung von VV betraut sein. Betrauung bedeutet auch hier die rechtsgeschäftliche Vereinbarung eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses. Dies kann schriftlich, mündlich oder konkludent erfolgen. 106 Eine vergleichbare Betrauungsregelung enthält § 59 Abs. 3 für den Versicherungsmakler nicht. Aber auch im Maklervertrieb sind Untervermittlungsverhältnisse durchaus üblich und nach allgemeinen Grundsätzen zulässig. Untervermittler bedürfen der Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO. Sie sind nicht von der Erlaubnispflicht nach § 34d Abs. 7 GewO freigestellt, es sei denn, dass das VU auch für den Untervermittler die uneingeschränkte Haftung aus seiner Vermittlertätigkeit übernommen hat. Eine uneingeschränkte Haftungsübernahme durch den Obervermittler genügt für die Befreiung von der Erlaubnis nach § 34d Abs. 7 GewO nicht. Übernimmt das VU nicht die uneingeschränkte Haftung aus der Vermittlertätigkeit des Untervermittlers, so bedarf dieser einer eigenständigen Erlaubnis, einschließlich Registrierung, Qualifikation und Haftpflichtversicherung. 107 Kein Fall der Untervermittlung liegt bei der Vermittlung von Versicherungen durch Mitarbeiter von Banken, Sparkassen oder Strukturvertrieben vor. In diesen Fällen ist die juristische Person, in deren Namen der jeweilige Mitarbeiter handelt, Versicherungsvermittler. Die juristische Person hat nach § 34d Abs. 5 Nr. 4 GewO nachzuweisen, dass sie die für die Versicherungsvermittlung notwendige Sachkunde über die versicherungsfachlichen Grundlagen, insbesondere hinsichtlich Bedarf, Angebotsformen, Leistungsumfang, rechtliche Grundlagen und Kundenberatung, besitzt. Es ist (§ 34d Abs. 4 Nr. 4 Satz 4 GewO) ausreichend, wenn der Nachweis durch eine angemessene Zahl von beim Antragsteller beschäftigten natürlichen Personen erbracht wird, denen die Aufsicht über die unmittelbar mit der Vermittlung von Versicherungen befassten Personen übertragen ist und die den Antragsteller (z.B. die Bank oder Sparkasse) vertreten dürfen. Der Nachweis der Sachkunde kann von der „Geschäftsführung“ auf andere vertretungsberechtigte Aufsichtspersonen des „Unternehmens“ delegiert werden, wobei eine Vertretungsberechtigung nach den §§ 49 oder 54 HGB ausreicht.190 Es muss sichergestellt sein, dass die gewählte Aufsichtsperson dafür sorgen kann, dass alle unmittelbar mit der Vermittlung betrauten Personen ihrem Tätigkeitsfeld entsprechend qualifiziert sind.191 Die Qualität der Beratung wird durch ein angemessenes Zahlenverhältnis zwischen Aufsichtspersonen und zu beaufsichtigenden Personen garantiert.192 Mit Wirkung zum 23.2.2018 hat der Gesetzgeber geklärt, dass § 34 d Abs. 5 Nr. 4 Satz 4 GewO 108 nicht anzuwenden ist, wenn der Antragssteller eine natürliche Person ist und (Abs. 1) selbst Versicherungen vermittelt oder über Versicherungen berät oder (Abs. 2) für diese Tätigkeiten in der Leitung des Gewerbebetriebs verantwortlich ist.

3. Gewerbsmäßig 109 Der Versicherungsvertreter muss nach dem Wortlaut des § 59 Abs. 2 gewerbsmäßig VV vermitteln oder abschließen. Für die Einschränkung auf die Gewerbsmäßigkeit verweist der Gesetzge190 BTDrucks. 16/1935 S. 18. 191 BTDrucks. 16/1935 S. 18; Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2010) § 34d Rn. 102a verlangt, dass der „Obervermittler“ eine deutsche Erlaubnis braucht.

192 BTDrucks. 16/1935 S. 19; vertiefend Jacob VersR 2007 1164. Schwintowski

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ber auf Art. 2 Nr. 5 der RL.193 In Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie wird als Versicherungsvermittler jede natürliche oder juristische Person definiert, die die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt. Daran hält auch Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 IDD fest. Eine spezifische Einschränkung auf die Gewerbsmäßigkeit der Tätigkeit enthalten beide Richtlinien nicht, jede Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung ist folglich gemeint. Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit im deutschen Recht ist aus dieser Perspektive richtlinienkonform zu interpretieren. Gewerbsmäßig meint eine Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung. Damit setzt diese Tätigkeit kein Handelsgewerbe i.S.d. § 1 Abs. 2 HGB voraus. Der Versicherungsvertreter benötigt also kein Unternehmen, das nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Es genügt, wenn er die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt. In diesem Sinne ist auch die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie194 zu verstehen. Dort wurde mit Blick auf die ursprüngliche Fassung des § 66195 darauf hingewiesen, dass die Erstreckung der Beratungs- und Dokumentationspflichten, der Kundengeldsicherung und der Regeln über die Schlichtungsstelle auf Versicherungsvermittler i.S.d. § 34d Abs. 9 GewO und auf gewerbsmäßig tätige Versicherungsvermittler über die Vorgaben der Richtlinie hinausginge. Das ist zutreffend, weil nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf (§ 42h VVG) der Eindruck 110 hätte entstehen können, also sollten sich die materiell-rechtlichen Regelungen des neuen VVG auch auf Versicherungsvermittler erstrecken, deren Tätigkeit die Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 5 der RL nicht erfüllen. Dies bedeutet, dass der Begriff Gewerbsmäßigkeit richtlinienkonform funktional auszulegen ist.196 Gewerbsmäßig handelt jede natürliche oder juristische Person, die die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt. Damit sind Versicherungsvermittler nicht erfasst, bei denen nicht davon gesprochen werden kann, dass sie die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung überhaupt aufnehmen. Gemeint sind selbständige Vermittler mit außerordentlich geringen Umsätzen (gewerberechtliche Bagatelle).197 Von einer Tätigkeit kann auch dann kaum gesprochen werden, wenn der geschäftliche Umfang „vernachlässigenswert gering und zeitlich beschränkt ist.“198 Die präzisen Grenzen wird man im Einzelfall zu bestimmen haben. „Mehr als wenige Hundert Euro Provisionsumsatz im Jahr oder zwei, drei Vermittlungsgeschäfte pro Jahr werden es aber nicht sein.“199 Daraus folgt, dass einige wenige Gelegenheitsvermittler mangels Gewerbsmäßigkeit aus dem Anwendungsbereich des VVG ausgeschlossen sind. Erzielen diese Vermittler aber Umsätze von einigen Tausend Euro pro Jahr bei zehn bis 15 provisionspflichtigen Vermittlungsvorfällen, so handeln sie bereits gewerbsmäßig, sind also Versicherungsvermittler.

4. Gewerberechtliche Implikationen Arbeitet ein Versicherungsunternehmen mit einem an dieses Unternehmen gebundenen und 111 folglich von der Erlaubnis befreiten Versicherungsvertreter (§ 34d Abs. 7 GewO) zusammen, so setzt diese Zusammenarbeit voraus, dass die Vermittler zuverlässig sind und in geordneten Vermögensverhältnissen leben (§ 48 VAG). Außerdem müssen die VU sicherstellen, dass die Vermittler über die zur Vermittlung der jeweiligen Versicherung angemessene Qualifikation verfü193 194 195 196

BTDrucks. 16/1935 S. 18. BTDrucks. 16/3162 vom 25.10.2008 S. 10. Im Gesetzentwurf war das § 42h VVG, vgl. BTDrucks. 16/1935 S. 11. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Reiff VersR 2007 717, 719 (Fn. 23 bis 26), der einen Verstoß gegen die Richtlinie annimmt. 197 Beenken/Sandkühler 28 (2.1.3). 198 Beenken/Sandkühler 28. 199 Beenken/Sandkühler 28; Baumann in: Looschelders/Pohlmann, § 59 Rn. 8. 833

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gen. Es handelt sich um jene Voraussetzungen, die für die Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO im Normalfall erforderlich sind, ohne deren Vorliegen also die Erlaubnis zu versagen ist (§ 34d Abs. 5 GewO). Dies bedeutet, dass der an ein VU gebundene Ausschließlichkeitsvertreter zwar keiner Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO bedarf (§ 34d Abs. 7 GewO), dass das VU mit ihm aber nur zusammenarbeiten darf, wenn er zuverlässig und qualifiziert ist sowie in geordneten Vermögensverhältnissen lebt, also die Voraussetzungen des § 34d Abs. 5 GewO erfüllt, sieht man einmal von der Berufshaftpflichtversicherung ab (§ 34d Abs. 5 Nr. 3 GewO), die der Vertreter wegen der Haftungsübernahme des Versicherers nicht benötigt. Arbeitet ein VU mit einem Vertreter zusammen, der die Voraussetzungen des § 48 VAG nicht oder nicht hinreichend erfüllt, so handelt es ordnungswidrig – es kann ein Bußgeld nach § 322 Abs. 3 Nr. 3 VAG verhängt werden. Darüber hinaus müssen VU Beschwerden über Versicherungsvermittler, beantworten (§ 51 VAG). Bei wiederholten Beschwerden, die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit erheblich sein können, müssen sie die für die Erlaubniserteilung nach § 34d Abs. 4 GewO zuständige IHK davon in Kenntnis setzen. Grund ist, dass die IHK nach § 34d Abs. 1 GewO die Erlaubnisbefreiung, sowie dies zum Schutze der Allgemeinheit und der Versicherungsnehmer erforderlich ist, inhaltlich beschränken und mit Auflagen verbinden kann.200 Das Gesetz stellt durch Verweisung auf § 34d Abs. 5 Nr. 4 Satz 2 GewO klar, dass die Zuverlässigkeit regelmäßig zu verneinen ist, wenn der Antragsteller in den letzten fünf Jahren wegen eines Verbrechens oder eines anderen in § 34d Abs. 5 Nr. 4 GewO genannten Delikts rechtskräftig verurteilt worden ist.201 Genannt wird Diebstahl, Unterschlagung, Erpressung, Betrug, Untreue, Geldwäsche, Urkundenfälschung, Hehlerei, Wucher oder eine Insolvenzstraftat. Darüber hinaus haben die VU zu überprüfen, ob der Antragsteller in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt. Dies ist, wie sich aus § 34d Abs. 5 Nr. 4 GewO ergibt, in der Regel der Fall, wenn über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden oder er in das Schuldnerverzeichnis (§ 882 b ZPO) eingetragen ist.202 Die erforderliche Zuverlässigkeit kann wegfallen, wenn der Versicherungsvermittler seine zivilrechtliche Beratungs- und Dokumentationspflicht (§§ 60, 61 VVG) dauernd und nachhaltig ´ n verpflichtet sind, die Einverletzt.203 Das Gesetz enthält keine Hinweise darauf, dass die IHK haltung der zivilrechtliche Beratungs- und Dokumentationspflicht (stichprobenartig) zu prüfen. Darin könnte ein Sanktionsdefizit im Sinne des effet utile (Art. 4 Abs. 3 EUV) liegen. Dem könnte ´ n und den Gerichten von den Beratungs- und man entgegenhalten, dass die Kunden den IHK Dokumentationsdefiziten (einschließlich der Defizite bei den Statusangaben) berichten könnten. Allerdings wissen die Kunden in der Regel gar nicht, in welchem Umfang Statusangaben sowie Beratungs- und Dokumentationspflichten geschuldet sind. Dies bedeutet, dass es bei der Zuverlässigkeitsprüfung zu einer erheblichen Verlässlichkeitslücke kommt, weil der Gesetzgeber ´ n noch der BaFin eine Überprüfungsbefugnis insoweit zuzuweisen. versäumt hat, weder den IHK Dies könnte europarechtswidrig sein, weil damit die wirksame Umsetzung der Vermittlerrichtlinie, insbesondere die Durchsetzung der Statusinformation sowie der Beratungs- und Dokumentationspflichten als Kern der Richtlinie, in Frage steht. Mit Blick auf die nach § 48 VAG erforderliche Sachkundeprüfung ist § 2 Abs. 3 VersVermV zu beachten. Danach sind aller Personen von der Sachkundeprüfung befreit, die seit dem 31. August 2000 selbständig oder unselbständig ununterbrochen als Versicherungsvermittler oder als Versicherungsberater tätig waren. Für diese Personengruppe gewährt das Gesetz – ebenso wie Art. 5 der VRL Bestandsschutz. Es wird unterstellt, dass diese Personengruppe über ein angemessenes Ausbildungs- und Erfahrungsniveau (learning by doing) verfügt.204 Personen, die vor dem 1.1.2009 eine Erlaubnis nach § 34 d Abs. 1 oder nach § 34 e Abs. 1 GewO in der zu dem 200 201 202 203 204

BTDrucks. 16/1935 S. 18. BTDrucks. 16/1935 S. 28. Vertiefend: Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 72 ff. Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 70. Vertiefend Beenken/Sandkühler 34 f.

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vorstehend genannten Zeitpunkt geltenden Fassung beantragt haben, bedürfen auch im Fall einer nach der Antragstellung eingetretenen Unterbrechung ihrer Tätigkeit als Versicherungsvermittler oder Versicherungsberater keiner Sachkundeprüfung (§ 2 Abs. 3 VersVermV). Eine vom Gesetzgeber nicht erörterte Frage ist diejenige, wie sich gewerberechtliche Fehler 116 einerseits auf den Vertretervertrag und andererseits auf den mit dem Kunden geschlossenen Versicherungsvertrag auswirken. Der Vertretervertrag kann wegen Verstoßes gegen gewerberechtliche Voraussetzungen nach §§ 48, 332 VAG i.V.m. § 34d Abs. 5 GewO nach § 134 BGB nichtig sein. Die Nichtigkeitssanktion des § 134 Abs. 1 BGB hängt von der Ausgestaltung und dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes ab.205 § 48 VAG hat den Zweck, dass VU nur mit solchen Vermittlern zusammenarbeiten, die zuverlässig und qualifiziert sind sowie in geordneten Vermögensverhältnissen leben. Ein VU, das gegen diese Grundregeln verstößt, handelt ordnungswidrig und schuldet ein Bußgeld (§ 322 Abs. 3 Nr. 3 VAG). Der Zweck des Verbotes zielt also darauf, Vermittlungsverträge mit Personen, die die gewerberechtlichen Mindestvoraussetzungen nicht erfüllen, zu verhindern. Dieser Sinn und Zweck der aufsichtsrechtlichen Regelungen würde leerlaufen, wenn der zivilrechtlich geschlossene Vertretervertrag gleichwohl wirksam weiter bestehen dürfte. Aus diesem Grund bewirkt der Verstoß gegen § 48 Abs. 1 Nr. 1 VAG zugleich die zivilrechtliche Nichtigkeit des Vertretervertrages nach § 134 Abs. 1 BGB.206 Eine hiervon zu trennende Frage ist die, ob der Verstoß gegen § 48 Abs. 1 VAG auch das 117 zwischen dem Vermittler und dem Kunden bestehende – auf Anbahnung des zukünftigen Versicherungsvertrages gerichtete – Rechtsverhältnis tangiert. Der BGH hat geurteilt, dass es in diesen Fällen entscheidend ist, ob sich das Verbotsgesetz (§ 48 Abs. 1 VAG) nicht nur gegen den Abschluss des Rechtsgeschäftes mit dem Dritten (Vertretervertrag) wendet, sondern auch gegen die privatrechtliche Wirksamkeit im Drittverhältnis und damit gegen den wirtschaftlichen Erfolg der Verträge mit Dritten.207 Diese Frage wird man mit Blick auf den Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 VAG im Regelfall zu bejahen haben. Der an einen Versicherer gebundene Ausschließlichkeitsvertreter ist ja nur deshalb von der Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO befreit, weil er alle Voraussetzungen für eine Erlaubnis erfüllt, der Versicherer ihn aber von der Haftung freistellt. Erfüllt ein solcher Vermittler in Wirklichkeit die Voraussetzungen für eine Erlaubnis (Zuverlässigkeit/Qualifikation/geordnete Vermögensverhältnisse) nicht oder nicht hinreichend, so würde er die Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO nicht bekommen. Würde er dennoch Versicherungsverträge vermitteln, so wären die auf Vermittlung gerichteten Rechtsgeschäfte wegen Verstoßes gegen § 34d Abs. 1 GewO nach § 134 BGB nichtig, es sei denn, der VN hält an dem geschlossenen VV ausdrücklich fest.208 Das Gleiche muss auch dann gelten, wenn der Vermittler ausschließlich an einen VR gebunden ist und dieser die Prüfung der nach § 80 Abs. 2 VAG erforderlichen gewerberechtlichen Voraussetzungen beim Vermittler übernimmt. Auch in diesen Fällen bedürfen die Kunden Schutz vor Vermittlern, die unzuverlässig sind, nicht qualifiziert sind oder in ungeordneten Vermögensverhältnissen leben. Die auf Vermittlung eines VV gerichteten Rechtsverhältnisse sind nach § 134 BGB nichtig, um die unrechtmäßig geflossenen Provisionen rückabzurechnen und i.S.d. Kick-back-Rechtsprechung209 des BGH im Zweifel den Kunden auszukehren. Die Nichtigkeit des Vermittlungsverhältnisses bewirkt den Wegfall der Geschäftsgrundlage für den geschlossenen Versicherungsvertrag zwischen Kunden und Versicherer (§ 313 BGB). Hätten die Parteien auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen Vermittlungsvertrages den Versicherungsvertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, so könnten sie Anpassung des Vertrages verlangen, die im Extremfall zur Aufhebung und Rückabwicklung führen kann. Die gleichen Grundsätze gelten für Mehrfachvertreter, die Versicherungen vermitteln, ohne 118 über die gewerberechtlich erforderliche Erlaubnis zu verfügen. Bei ihnen ergibt sich die Nichtig205 206 207 208 209 835

Palandt/Ellenberger80 § 134 Rn. 6, 7. So bereits für das frühere inhaltsgleiche Recht Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 203. BGH 23.4.1968, NJW 1968 2286 f. So war es im Falle eines Immobilienmaklers: BGH 23.10.1980, NJW 1981 387. BGH 19.12.2006, BGHZ 146 235, dazu Schäfer/Schäfer BKR 2007 163. Schwintowski

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keit des Vermittlungsverhältnisses aus § 34d Abs. 5 GewO, der Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB ist. Im Verhältnis zwischen dem Kunden und dem Versicherer führt das Fehlen der Erlaubnis beim Mehrfachvertreter ebenfalls zur Störung der Geschäftsgrundlage und zur Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB.

V. Der Begriff Versicherungsmakler (§ 59 Abs. 3) 1. Abgrenzung zum Versicherungsvertreter und zum Handelsmakler 119 Versicherungsmakler ist, wer gewerbsmäßig für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherer oder von einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein (§ 59 Abs. 3 Satz 1). Danach können – entsprechend der IDD (Art. 1 Nr. 3) natürliche oder juristische Personen Versicherungsmakler sein. Als Versicherungsmakler gilt, wer gegenüber dem Versicherungsnehmer den Anschein erweckt, er erbringe seine Leistungen als Versicherungsmakler (Pseudomakler: § 59 Abs. 3 Satz 2). Versicherungsmakler ist, so § 59 Abs. 3, „wer gewerbsmäßig für den Auftraggeber die Ver120 mittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt.“ Anders als der Versicherungsvertreter ist der Versicherungsmakler nicht von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter mit der Vermittlung oder dem Abschluss von VV betraut. Er ist vielmehr als Sachwalter210 des Auftraggebers – das ist der zukünftige VN – tätig. Die Pflichten des Versicherungsmaklers gehen weit. Er wird regelmäßig vom VN beauftragt und als sein Interessen- oder sogar Abschlussvertreter angesehen.211 Er hat als Vertrauter und Berater des VN individuellen, für das betreffende Objekt passenden Versicherungsschutz oft kurzfristig zu besorgen.212 Deshalb ist er, anders als sonst der Handels- oder Zivilmakler, dem ihm durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag verbundenen VN gegenüber üblicherweise sogar zur Tätigkeit, meist zum Abschluss des gewünschten Versicherungsvertrages verpflichtet.213 Dem entspricht es, dass der Versicherungsmakler von sich aus das Risiko untersucht, das Objekt prüft und den VN als seinen Auftraggeber ständig, unverzüglich und ungefragt über die für ihn wichtigen Zwischenund Endergebnisse seiner Bemühungen, das aufgegebene Risiko zu platzieren, unterrichten muss.214 Der Pflichtenkreis des Maklers umfasst grundsätzlich auch die Hilfestellung bei der Regulierung eines Versicherungsschadens.215 Dies ergibt sich auch aus § 34 d Abs. 1 Satz 4 GewO, wonach der Makler zur Mitwirkung im Schadensfall verpflichtet ist.216 Nicht vom Begriff der Versicherungsvermittlung erfasst ist demgegenüber die Schadensregulierung selbst und die sachverständige Begutachtung von Schäden.217 Der Makler kann aber, gegen Entgelt, die Schadensregulierung für und im Interesse der von ihm vermittelten VN übernehmen.218 Dies gilt auch für die Schadensregulierung im Interesse des Versicherers soweit es um Kunden geht, die nicht vom Makler betreut werden, weil dies nicht zu einem Interessenkonflikt führen würde.219 Zu den Aufgaben des Versicherungsmaklers gehört es auch, den Versicherungsvertrag nach 121 Abschluss weiter zu betreuen, indem er den Vertrag ungefragt auf etwaigen Anpassungsbedarf 210 BGH 22.5.1985, BGHZ 94 356 = VersR 1985 930 – IV a ZR 190/83; BGH 6.11.2013 – I ZR 104/12, GRUR 2014 88; BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris Rn. 19); BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818. 211 BGH 22.5.1985 – IV a ZR 190/83, VersR 1985 930 II 1. 212 BGH a.a.O. 213 BGH a.a.O. m.w.N. 214 BGH a.a.O. 215 BGH 16.7.2009 – III ZR 21/09, NJW-RR 2009 1688 Rn. 8; BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818 Rn. 13. 216 Umsetzung von Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 IDD; BTDrucks. 18/11627. 217 BTDrucks. 18/11627 S. 34. 218 BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris). 219 BHG 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris Rn. 21). Schwintowski

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sowie Verlängerungen hin überprüft und den VN rechtzeitig darauf hinweist, den Zahlungsverkehr fördert, im Schadensfall den VN sachkundig berät, für sachgerechte Schadensanzeigen sorgt und bei der Schadensregulierung die Interessen des VN wahrnimmt.220 Eine Doppeltätigkeit des Versicherungsmaklers sowohl für den VR als auch für den VN bei der Vermittlung von Versicherungsverträgen entspricht nicht diesem Leitbild.221 Damit unterscheidet sich das Berufsbild des Versicherungsmaklers grundlegend von dem des Handelsmaklers nach § 93 HGB, der grundsätzlich von beiden Parteien beauftragt wird, und von demjenigen anderer Makler im Sinne von § 652 BGB, die unter bestimmten Voraussetzungen, etwa als Immobilienmakler, ebenfalls für beide Parteien der von ihnen vermittelten Verträge vertreten werden dürfen.222 Eine Tätigkeit für den VR gehört deshalb nicht zum Pflichtenkreis des Maklers. Er kann aber durch individuellen Auftrag weitere Pflichten übernehmen, die nicht zum Leitbild des Sachwalters gehören.223 Von einem Versicherungsvertreter unterscheidet sich somit ein Versicherungsmakler da- 122 durch, dass jener im Lager des Versicherers steht, nämlich für diesen vertraglich gebunden vermittelt, während der Versicherungsmakler „im Lager des Kunden“ steht, also für diesen und in seinem Interesse mit einem Vermittlungsgeschäft betraut wird.224 Deshalb ist eine Registrierung unter beide Vermittlertypen gewerberechtlich nicht zulässig.225 Mit Wirkung 23.2.2018 ist klargestellt, dass Versicherungsvermittler nach § 34d Abs. 1 GewO nichts zugleich Versicherungsberater nach § 34 d Abs. 1 GewO und umgekehrt sein dürfen.

a) Maklerpools. Makler schließen sich oft zu Makler-Pools zusammen – diese Pools haben 123 regelmäßig den Charakter von Servicegesellschaften, um akquirierte Verträge zu poolen und damit größere Volumina den entsprechenden VUs anzubieten.226 Die wichtigsten Makler-Pools (Fonds Finanz, Netfonds und Vema) wickelten im Jahre 2017 60 % der Versicherungsverträge im Bereich Vorsorge/Leben, Kranken, Sach/HUK und Finanzen ab.227 Aber auch Anbieter wie aruna und maxpool spielen im Markt eine wichtige Rolle.228 Die Makler arbeiten im Durchschnitt mit 2,5 Pools zusammen. Der wichtigste Grund für die Zusammenarbeit der Makler mit Pools ist die Wahrung der Unabhängigkeit des Maklers. Außerdem erwarten die Makler, die Bereitstellung von hochwertiger Abwicklungs- und Beratungssoftware sowie unabhängige Vergleichsprogramme.229 Eine Übersicht über die am Markt tätigen Maklerpools – es sind mehr als 20 – findet sich auf der Webseite von Cash. Online.230 Maklerpools sind häufig selbst als Makler nach § 34d Abs. 1 GewO zugelassen. Aus diesem 124 Grunde sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Versicherungsmakler nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei. Der Bundesfinanzhof geht, in Anlehnung an den EuGH, davon aus, dass die Vermittlung in einer Nachweis-, einer Kontaktaufnahme- oder einer Verhandlungstätigkeit bestehen kann, wobei sich die Tätigkeit auf ein einzelnes Geschäft, das vermittelt werden soll, beziehen muss.231 Regelmäßig verarbeiten Maklerpools auch personenbezogene Daten (Art. 4 Nr. 1 DSGVO). Die Verarbeitung dieser Daten kann durch den Einzelmakler auf den Auftragsverarbeiter (Makler220 221 222 223

BGH 14.1.2016 – I ZR 207/14 (juris Rn. 19), so schon BGH 16.7.2009 – II ZR 21/09 (juris). BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris Rn. 17). BGH 30.4.2003 – III ZR 318/02, NJW-RR 2003 991 m.w.N. BGH 10.5.2000 – IVa ZR 72/88, VersR 2008 46: Pflicht den VN darauf hinzuweisen, dass er in wenigen Wochen ohne Versicherungsschutz sein werde. 224 BTDrucks. 16/1935 S. 22. 225 Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 56. 226 Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2017) § 34d Rn. 58. 227 AssCompact 4/2017 S. 94. 228 AssCompact a.a.O. S. 95. 229 AssCompact a.a.O. S. 95. 230 Dazu Versicherungsjournal.de: „Die größten Maklerpools” vom 14.8.2018. 231 BFH 14.8.2006 – V B 65/04, BFH/NV 2007 114; BFH 6.9.2007 – V R 50/05, BStBl II 2008 829; BFH 27.5.2015 – V B 31/15, BFH/NV 2015 1274; vertiefend: Leipold in: Sölch/Ringleb UStG 84.EL September 2018 § 4 Nr. 11 Rn. 25. 837

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pool) übertragen werden (Art. 28, 29 DSGVO). Zulässig ist dies dann, wenn der Einzelmakler als Verantwortlicher die Herrschaft über die Ziele und Mittel der Datenverarbeitung behält.232 Wenn und soweit der Maklerpool von den Weisungen des Einzelmaklers unabhängig ist, bedarf es einer eigenständigen Einwilligung des Kunden auch gegenüber dem Maklerpool.233 Diskutiert wird die Möglichkeit eine Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit nach Art. 26 DSGVO abzuschließen und zudem eine Auftragsdatenverarbeitung für die Backofficetätigkeit.234 Maklervertrag und Maklervollmacht werden i.d.R. nur zwischen dem Einzelmakler und des125 sen Kunden, nicht aber zwischen dem Maklerpool und dem Kunden des Maklers geschlossen. Der Makler bedient sich des Pools regelmäßig nicht um Pflichten gegenüber seinem Kunden zu erfüllen, d.h. der Pool ist deshalb nicht Erfüllungsgehilfe des Maklers. Vielmehr bedient sich der Makler des Pools, um über diesen ergänzende Dienstleitungen für seine Tätigkeit zu akquirieren, insbesondere den Zugang zu Versicherern und Courtagevereinbarungen, sowie den Zugang zu hochwertiger Abwicklungs- und Beratungssoftware oder den Zugang zu Vergleichsprogrammen. Aus der Anbindung eines Maklers an einen oder mehrere Maklerpools folgt regelmäßig die Antwort auf die Frage, auf welcher Beratungsgrundlage er tätig ist (§ 60 VVG). Der Makler, nicht aber der Maklerpool, befragt den Versicherungsnehmer nach seinen Wünschen und Bedürfnissen und gibt ihm, unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrages, einen bestimmten Rat (§ 61 Abs. 1), den er nach § 62 dokumentiert. Infolgedessen haftet der Makler, und nicht der Maklerpool, für Pflichtverletzungen nach den §§ 60 oder 61 auf Schadensersatz (§ 63).235 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Pool, wie im Fall des OLG Dresden, keine eigene Beratungstätigkeit übernimmt und im Wesentlichen Anträge an Versicherer weiterleitet.236 Versicherungsmakler sind ihrer Natur nach weder von einem bestimmten Versicherungsun126 ternehmen noch von einem Maklerpool abhängig. Ein Makler kann sich der Dienstleistungen eines oder mehrerer Pools versichern und seine Zugehörigkeit zu den Pools jederzeit ändern. Er ist in keinem Fall von einem Maklerpool, sondern immer nur von seinem Kundenstamm, wirtschaftlich abhängig. Daraus folgt, dass ein Maklerpool nicht etwa Auftraggeber des Maklers, sondern allenfalls sein (ergänzender) Dienstleister ist. Aus diesem Grund entsteht keine Sozialversicherungspflicht des Versicherungsmaklers bei Anbindung an einen Maklerpool nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI. Nach dieser Norm wäre Voraussetzung, dass der Makler auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist. Da der Pool nicht Auftraggeber des Maklers, sondern Dienstleister des Maklers ist und jeder Makler individuell darüber entscheidet, ob er überhaupt und wenn ja mit welchem Pool oder Pools er zusammenarbeitet, fehlt es an einer derartigen Bindung, die zu einer Art Sozialversicherungsverhältnis zwischen Maklerpool und Makler führen würde. Die Entscheidung des LSG Bayern vom 3.06.2016 verkennt diese Zusammenhänge und kommt deshalb zu fehlerhaften Schlussfolgerungen.237 127 Im Rahmen eines UWG Verfahrens hat das LG Lübeck238 am 10.7.2018 entschieden, dass im Falle der Insolvenz eines Maklerpools sämtliche Bestandsdaten per Maklervertrag nicht zeitaufwendig übertragen werden müssen, da im „vereinfachten Bestandsübertragungsverfahren“ gemäß des mit dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. vereinbarten „code of conduct“ eine Übertragung in aller Regel problemlos möglich ist. Die Aussage, dass die Rechte am Kundenstammbaum beim Maklerpool lägen und im Falle einer Insolvenz des Maklerpools der Bestand ohne Zustimmung des Maklers veräußert werden könne, sei unzutref232 233 234 235 236 237

Vertiefend Michaelis/Müller-Delius ZfV 2021 80, 83. Michaelis/Müller-Delius ZfV 2021 80, 85. Weiterführend Michaelis/Müller-Delius ZfV 2021 80, 84 m.w.N. OLG Dresden 3.4.2018 – 4 U 698/17, BeckRS 2018 5126. OLG Dresden a.a.O Rn. 32. LSG Bayern 3.6.2016 – L 1 R 679/14; demgegenüber wird die Gruppe der Handelsvertreter mit Ausschließlichkeitsbindung vom BSG zurecht als rentenversicherungspflichtig angesehen: BSG 10.5.2006 – B12 RA 2/05 R. 238 8 HKO 11/18. Schwintowski

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fend, da kein „Bestand“ veräußert werden könnte, sondern allenfalls künftige Provisionsansprüche, die aus bis dahin vermittelten Verträgen resultierten. Dies wäre dem Insolvenzverwalter jedoch nur dann möglich, wenn der Maklerpool im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch Gläubiger dieser Provisionsansprüche wäre. Schließlich träfe es nicht zu, dass ein Makler bei einem Maklerpool keine Außenwirkung habe, da in den Policen der Name des Pools stehe. Typischerweise würde aber bei einem Maklerpool der jeweilige vermittelnde Makler in der Police geführt werden, das heißt, er bleibe auch für den Kunden der ihn betreuende Vermittler. Das OLG Schleswig-Holstein hat die Berufung gegen das Urteil des LG Lübeck rechtskräftig zurückgewiesen.239

b) Abgrenzung zum Handelsmakler. Der Begriff des Versicherungsmaklers in § 59 Abs. 3 128 Satz 1 weicht nicht unerheblich vom Begriff des Handelsmaklers nach § 93 Abs. 1 HGB ab.240 Der Versicherungsmakler ist Sachwalter des VN, also anders als der Handelsmakler, nicht für beide Seiten tätig (§§ 98, 99 HGB). Nach § 93 Abs. 1 HGB ist der Handelsmakler gewerbsmäßig für andere Personen tätig, ohne von ihnen aufgrund eines Vertragsverhältnisses ständig mit der Vermittlung von Verträgen betraut zu sein. Der Handelsmakler wird also „von Fall zu Fall“ tätig. Demgegenüber wird der Versicherungsmakler aufgrund eines ständigen Betrauungsverhältnisses mit seinen Kunden tätig.241 Schon Julius von Gierke hat 1947 darauf hingewiesen, dass § 93 HGB nicht mehr für den Versicherungsmakler passe.242 Der Versicherungsmakler, so Gierke, vermittele zwar wie der Handelsmakler gewerbsmäßig VV, stehe aber zu den Parteien nicht in einer „flüchtigen Rechtsbeziehung“, sondern sei mit dem Versicherungsnehmer durch eine Dauerbeziehung zu dessen Vertretung verbunden. Deshalb wurde schon frühzeitig eine gesetzliche Regelung gefordert,243 die nunmehr in § 59 Abs. 3 „gefunden zu sein scheint.“244 Der Gesetzgeber hat sich aus diesen Gründen entschieden, das nach früherem Recht maßgebliche Kriterium, wonach der Vertreter im Gegensatz zum Makler mit seiner Vermittlungstätigkeit ständig betraut sein müsse, wegen der nach der Richtlinie notwendigen Erweiterung des Vertreterbegriffes wegfallen zu lassen.245 Für die Abgrenzung zwischen Versicherungsmakler und Versicherungsvertreter ist somit allein entscheidend, dass der Versicherungsvertreter nicht von einem Versicherer, sondern von einem Kunden mit dessen Vermittlungsgeschäft betraut wird.246 „Während der Versicherungsvertreter das Interesse des VR wahrzunehmen hat, steht der Versicherungsmakler im Verhältnis zum VR auf der Seite des Kunden, als dessen Interessenwahrer und Sachwalter.“247 Die Pflichten, die der Makler als Sachwalter des Kunden zu beachten hat, ergeben sich aus dem Maklervertrag, den er mit dem Kunden schließt. Danach hat der Versicherungsmakler i.d.R. für den durch eine entsprechende Analyse ermittelten Bedarf eines Kunden den sachgerechten Versicherungsschutz am Markt zu besorgen.“248 Ob es angesichts der Spezialregelungen für den Makler sowohl im VVG als auch im § 34d GewO noch einen Anwendungsbereich für §§ 93 ff. HGB gibt, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Immerhin enthält § 99 HGB einen für den Versicherungsmakler nicht unwichtigen Grundgedanken, wonach der Maklerlohn in Ermangelung eines abweichenden Ortgebrauchs, von jeder Partei zur Hälfte zu entrichten ist. Da239 OLG Schleswig-Holstein 4.1.2019 – 6 U 34/18; daran anschließend hat das LG Lübeck mit Urteil v. 14.3.2019 – Az: 8 HKO 50/18 den Maklerpool gegen den Maklerverbund in Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten (§ 9 UWG) zugesprochen. 240 BTDrucks. 16/1935 S. 22. 241 Koch VW 2007 248 Ziff. 1b. 242 Von Gierke 124. 243 Trinkhaus 131. 244 So Koch VW 2007 248 Ziff. 1b. 245 BTDrucks. 16/1935 S. 22. 246 BTDrucks. 16/1935 S. 22. 247 BTDrucks. 16/1935 S. 22 und 23. 248 Koch VW 2007 248 Ziff. 1b. 839

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mit wird klargestellt, dass das Bruttopolicenmodell, wonach typischerweise der Versicherer die Courtage des Maklers bezahlt, dem Leitbild des § 99 HGB (weil Ortsgebrauch) entspricht und somit im Umkehrschluss nicht die Position des Maklers als Sachwalter des VN in Frage stellt. Der Wortlaut des § 59 Abs. 3 definiert den Versicherungsmakler, klärt – anders als § 59 Abs. 2 beim Versicherungsvertreter – aber nicht den Status eines Handelsvertreters, der für den Versicherungsmakler tätig ist. Die Gesetzesbegründung stellt – zutreffend – klar, dass „auch der Handelsvertreter eines Versicherungsmaklers im Verhältnis zum Kunden Versicherungsmakler ist.“249 Auch insoweit brauchen die Voraussetzungen für den Handelsmakler nach § 93 HGB (z.B. Weisungsfreiheit) nicht vorzuliegen. Deshalb kann ein Handelsvertreter, der bei einem Versicherungsmakler tätig ist, durchaus Versicherungsmakler (aber nicht Handelsmakler) sein. Aus diesem Grunde ist es auch möglich, dass ein Versicherungsmaklerpool oder ein Haftungsdach Versicherungsmakler ist und die im Pool tätigen Handelsvertreter ebenfalls Versicherungsmakler sind. Ob die gleichen Grundsätze auch im Recht der Finanzdienstleistungen gelten, erscheint fraglich, weil es dort (im KWG und WpHG) keine § 59 Abs. 3 vergleichbaren Vorschriften gibt. Ein Finanzdienstleister, der z.B. Hypothekenanleihen, Aktien oder Zertifikate anbietet und nach § 2 Abs. 10 KWG an ein Haftungsdach angedockt ist, ist jedenfalls nicht schon deshalb Makler, weil das Haftungsdach als Sachwalter des Kunden tätig ist. In der Vergangenheit hat die Frage immer wieder Schwierigkeiten bereitet, unter welchen Voraussetzungen die Erklärungen eines Versicherungsmaklers dem VR so zuzurechnen sind, als sei der Makler sein (gebundener) Vertreter gewesen. Genügte es, dass der VR dem Vermittler Antragsformulare zur Verfügung stellte und ihn auf dem Versicherungsschein als „Betreuer“ bezeichnete250 oder mussten weitere, besondere Tatsachen hinzutreten, um aus dem Versicherungsmakler im Verhältnis zum VN und VR einen Versicherungsvertreter zu machen.251 Fälle dieser Art gibt es nicht mehr, denn die Statusinformationen, die der Vermittler zu Beginn des Beratungsgespräches zu geben hat, weisen ihn entweder als (gebundenen) Vertreter oder aber als (ungebundenen) Makler aus. Für den VN werden also vor Beginn des Beratungsgespräches etwaige Zweifel über den Status des Vermittlers beseitigt. Weist sich der Vermittler als Makler aus, so bleibt er Makler, auch wenn er auf der Grundlage seines Rates den Antrag eines ganz bestimmten VR – den er gerade empfohlen hat – auf den Tisch legt. Zweifel an der Eigenschaft als Versicherungsmakler ergeben sich hieraus nicht, denn für jeden VN dürfte einsichtig sein, dass ein Makler, nicht nur derjenige mit eingeschränktem Marktüberblick – von einer Reihe von VR, mit denen er zusammenarbeitet, die Antragsunterlagen mit sich führt. Der Makler muss in einem solchen Fall auch nicht die ihm überlassenen Antragsformulare mit einem eigenen Stempelaufdruck versehen und hierbei eindeutig auf seine Maklereigenschaft hinweisen.252 Es genügt, wenn er in der Statusinformation auf seine Eigenschaft als Versicherungsmakler klar und verständlich hingewiesen hat. Das gilt auch für den Makler, der Verträge über eine Website im Internet vermittelt. Die bloße Abrufbarkeit der Statusinformationen reicht nicht aus, weil die Belehrung auf diese Weise nicht in einer unveränderlichen textlich verkörperten Gestalt in den Machtberiech des VN gelangt.253 Darüber hinausgehende Rechtspflichten des VR, „zumutbare Anstrengungen zu unternehmen, den Vermittler im Verhältnis zum VN aus seiner Sphäre (gemeint ist der VR) auszugrenzen“, gibt es weder im VVG noch in der GewO, noch in der VersVermV. Die entgegengesetzte Auffassung von Reiff254 verkennt, dass allein der Vermittler Statusinformationen schuldet – da249 BTDrucks. 16/1935 S. 23. 250 So OLG Hamm 8.3.1996, VersR 1996 697, 700; 10.7.1996, NJW-RR 1997 220, 221; 18.11.1998, NVersZ 1999 285; ähnlich OLG Nürnberg 27.1.1994, NJW-RR 1995 227, 229. So BGH 22.9.1999, VersR 1999 1481, 1482. So aber Reiff VersR-HB2 § 5 Rn. 57. OLG München 6.4.2017 – 29 U 2139/16, BeckRS 2017 111989 Rn. 58. Reiff VersR-HB2 § 5 Rn. 57.

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rüber hinausgehende unterstützende Maßnahmen gegenüber dem VN durch den VR kennt das Vermittlerrecht nicht – auch die Vermittlerrichtlinien fordern bei Versicherungsmaklern keine klarstellenden oder unterstützenden Statusinformationen durch den VR. Legitimiert sich der Versicherungsvermittler als Makler, so weiß der Kunde, mit wem er es zu tun hat. Aus der Tatsache, dass der Makler Antragsformulare, Tarifwerke, AVB oder Produktinformati- 134 onsblätter eines bestimmten VR zur Verfügung hat, folgt nicht, dass dieser Makler womöglich (gebundener) Vertreter ist, sondern nur, dass er auf der Grundlage einer bestimmten Empfehlung in der Lage ist, Formulare des von ihm empfohlenen VR zur Verfügung zu stellen. Das ist auch nichts Ungewöhnliches, insbesondere dann, wenn der Makler mit einer eingeschränkten VR- und Vertragsauswahl, die er offenlegt, wirbt. Aber auch dann, wenn der Makler über einen ausgewogenen Marktüberblick verfügt, kann es durchaus sein, dass er die notwendigen Antragsformulare beim Kundengespräch zur Verfügung stellen kann, entweder, weil er sie über das Internet aufruft oder aber, weil er eine gewisse Grundmenge an Anträgen bestimmter VR mit sich führt und der von ihm empfohlene VR zu dieser Gruppe gehört. Aus der Tatsache, dass ein Versicherungsmakler nach Abgabe seines Rates in der Lage ist, die seinem Rat entsprechenden Formulare eines bestimmten VR zu präsentieren, ergeben sich somit für den Kunden keinerlei Anhaltspunkte für ein etwaiges Misstrauen an dem Status des Vermittlers als Versicherungsmakler. Umgekehrt müssen VR, die Versicherungsmaklern Antragsformulare, AVB, Tarifunterlagen und Produktinformationsblätter zur Verfügung stellen, keine weiteren Maßnahmen ergreifen, um deutlich zu machen, dass der Vermittler als Versicherungsmakler und nicht als Versicherungsvertreter tätig ist. Ein VR, der weiß, dass ein Versicherungsmakler die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen benutzt, erfüllt damit nicht etwa die Voraussetzungen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht.255 Etwas anderes gilt dann, wenn der Makler seinen Status als Versicherungsvertreter angibt und der VR dies duldet oder erkennen könnte. In der Literatur wird vorgeschlagen, einen Versicherungsmakler wie einen Versiche- 135 rungsvertreter zu behandeln, wenn er fast alle seine Risiken bzw. einen sehr großen Prozentsatz davon bei einem einzigen VR platziert.256 Angeknüpft wird an § 43a ÖVVG, wonach in diesem Fall ein „wirtschaftliches Naheverhältnis“, aufgrund dessen der VR dem VN für das Verschulden des Vermittlers wie für sein eigenes haftet, besteht.257 Für das deutsche Recht bietet sich eine differenzierte Betrachtung an. Im Normalfall weiß der VN, dass er es mit einem Versicherungsmakler zu tun hat – ihm geht es also darum, einen „Sachwalter für eigene Angelegenheiten“ zu gewinnen, dessen Erklärungen umgekehrt den VR nicht binden. Platziert dieser Makler – ohne dass es der VN im Einzelnen weiß – einen großen Prozentsatz seiner Risiken bei einem einzigen VR, so kann dies verschiedene Ursachen haben. Möglicherweise handelt es sich um den leistungsfähigsten und besten VR für ein bestimmtes Standardprodukt – z.B. eine private Haftpflichtversicherung – für das die Platzierung bei einem einzigen VR sachlogisch ist. Es kann aber auch sein, dass dieser Makler seine Sachwalterpflichten gegenüber den VN verletzt, keine systematische Marktuntersuchung mehr durchführt und – für die VN unerkennbar – in Wirklichkeit eine Vertreterbeziehung zu einem einzigen VR praktiziert. In diesem Fall macht sich der Makler wegen fehlenden Marktüberblicks und fehlerhafter Beratung nach §§ 63, 60, 61 gegenüber dem VN schadensersatzpflichtig. Erst dann, wenn der VR mit dem Makler zusammenzuwirken beginnt, ihn also beim Bruch 136 seines Maklervertrages gegenüber dem VN unterstützt, kommt eine Zurechnung der Erklärungen des Maklers gegenüber dem VR ebenso wie eine Mithaftung des VR nach §§ 1a, b, 6 Abs. 5 in Betracht. Dies wäre etwa dann denkbar, wenn der VR dem Makler Sondervergünstigungen gewährt, damit dieser, ganz unabhängig von der Marktanalyse, ihm, dem VR, möglichst alle Risiken, die er akquiriert, zuweist. Etwas Ähnliches kann gelten, wenn der VR das – marktunty255 Zur Duldungsvollmacht BGH 14.5.2002, NJW 2002 2325; zur Anscheinsvollmacht BGH 12.3.1981, NJW 1981 1728; BGH 5.3.1998 NJW 1998 1854. 256 Reiff VersR-HB2 § 5 Rn. 57. 257 Vertiefend hierzu Fenyves/Kronsteiner/Schauer Versicherungsvertragsnovellen § 43a Rn. 2. 841

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pische – Empfehlungsverhalten des Maklers erkennt, dessen ungeachtet aber keinen Anlass für eine Nachfrage sieht, also die Augen vor einem nach der Marktstellung des VR ungewöhnlichen Vermittlerverhalten verschließt. Schließlich sind Fälle offenen kollusiven Zusammenwirkens von VR und Makler zum Nachteil des VN zu nennen. In diesen (Ausnahme-)Fällen kann der VN den Vermittler aus seiner behaupteten Position als Versicherungsmakler (§ 63) und den VR, der diesen Makler als Vertreter benutzt hat, nach §§ 1a, 6 Abs. 5 und nach § 826 BGB auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Darüber hinaus, kann ein VR mit dem Makler insbesondere nach Vertragsschluss zusammenwirken, um seine Vertragspflichten gegenüber dem VN zu erfüllen. Will der VR beispielsweise dem VN Informationen zum laufenden VV übermitteln, so kann er sich des Maklers bedienen. Das Gleiche gilt, wenn der Vertrag an neue Konditionen oder Versicherungssummen angepasst werden soll. In solchen Fällen erklärt der VR gegenüber dem VN wie er in Zukunft den Vertrag gestalten will. Dabei kann er sich des Maklers als Boten/verlängerter Arm bedienen, der Makler fungiert nun nicht als Sachwalter des VN, sondern (wie der Vertreter) als Auge und Ohr des VR. Ähnlich wäre es, wenn der VR den VN auf Vertragsanpassungen nach § 6 Abs. 4 hinweisen will. Auch hier kann er sich des Maklers bedienen. Dies widerspricht nicht § 6 Abs. 6, denn dort sind die Fälle gemeint, in denen der Makler als Sachwalter des VN tätig ist und bleibt, nicht hingegen jene, in denen der Makler (wie der Vertreter) für den VR als Auge und Ohr fungiert. Auf dieser Weise wird vermieden, dass der VN der den Vertrag mit dem VR geschlossen hat, nachvertraglich wohlmöglich schlechter behandelt wird als der VN, der von einem gebundenen Vermittler betreut wird. Schließlich wird in der Literatur vorgeschlagen, den Vermittler im Falle der wirtschaftlichen Verflechtung mit einem VR wie einen Versicherungsvertreter zu behandeln.258 Eine solche Verflechtung sei im Falle einer nicht unerheblichen wirtschaftlichen Beteiligung oder einer sonstigen Beherrschung durch den VR anzunehmen.259 Auch in diesem Falle ist eine differenziertere Betrachtungsweise geboten. Die wirtschaftliche Verflechtung als solche – z.B. in Form der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung – führt, wie ein Blick in das Konzernrecht zeigt (§§ 15 bis 18 AktG) nicht automatisch dazu, dass das abhängige Unternehmen womöglich nur noch im Interesse des herrschenden Unternehmens handeln kann und darf. Eine derart weitgehende rechtliche Gleichschaltung der Verhaltensweisen zwischen dem abhängigen und dem herrschenden Unternehmen setzt einen Beherrschungsvertrag i.S.d. § 291 AktG oder einen Vertrag vergleichbaren Inhalts zwischen anderen Gesellschaftsrechtsformen voraus. Besteht – wie im Regelfall – ein solcher Beherrschungsvertrag nicht, so hat das herrschende Unternehmen gegenüber dem abhängigen Unternehmen keine Weisungsrechte (vgl. § 308 AktG). Es sind allenfalls faktische nachteilige Eingriffe des herrschenden Unternehmens in das abhängige möglich, die Schadensersatzansprüche des abhängigen Unternehmens gegen das herrschende aus dem Gesichtspunkt der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht oder § 311 AktG analog auslösen könnten. Es ist aber keineswegs ausgemacht, dass ein abhängiges Unternehmen nicht als Makler mit hinreichendem Marktüberblick tätig sein kann, denn das herrschende Unternehmen kann sehr wohl der Auffassung sein, dass es von einem in dieser Weise unabhängig agierenden Makler größere Vorteile erzielt, als wenn es den Vermittler verpflichten würde, ausschließlich für das herrschende Unternehmen zu vermitteln. Aus diesem Grunde ist zunächst einmal gewerberechtlich zu klären, ob das beherrschte Maklerunternehmen die Freiheit hat, als Versicherungsmakler i.S.d. § 59 Abs. 3 tätig zu sein. Wenn die zuständige IHK dies prüft und feststellt, dass es keinerlei gesellschaftsrechtlichen Einfluss auf das unabhängige Maklerunternehmen gibt, so ist die Erlaubnis als Versicherungsmakler nach § 34d Abs. 1 GewO zu erteilen. Anders sind die Dinge dann zu beurteilen, wenn das herrschende Unternehmen dem Makler durch (faktische) Einflussnahme auf die unternehmerischen Entscheidungen praktisch die Unabhängigkeit nimmt. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn der Makler alle oder einen 258 Ähnlich § 43a ÖVVG. 259 Reiff VersR-HB2 § 5 Rn. 57. Schwintowski

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großen Prozentsatz seiner Risiken dem herrschenden Unternehmen zuweist, obwohl andere Makler mit vergleichbarer Kundenstruktur dieses nicht tun. In einem solchen Fall, in dem sich der Makler marktuntypisch gegenüber dem herrschenden Unternehmen verhält, spricht eine (widerlegliche) Vermutung dafür, dass der Makler seinen Status verloren und stattdessen zum Versicherungsvertreter geworden ist.

2. Die gewerberechtlichen Voraussetzungen für Versicherungsmakler Versicherungsmakler ist nach dem Verständnis des § 59 Abs. 3 nur derjenige, der auf der einen Seite über die Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO verfügt und darüber hinaus die in § 59 Abs. 3 formulierten Kriterien erfüllt. Verfügt ein Versicherungsmakler dagegen nicht über die Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO, so „ist“ er kein Versicherungsmakler, er erweckt allenfalls gegenüber dem Kunden den Anschein eines solchen. In einem solchen Fall „gilt er“ nach § 59 Abs. 3 Satz 2 als Versicherungsmakler, obwohl er kein Makler ist. Im Grundsatz bedeutet dies, dass sich ein Versicherungsvermittler erst dann Versicherungsmakler nennen darf, wenn er über die Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO verfügt. Korrespondierend sind VU verpflichtet, nur mit solchen gewerbsmäßig tätigen Versicherungsvermittlern zusammenzuarbeiten, die im Besitz einer Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO sind (§ 48 VAG). Verstoßen die VU hiergegen, so handeln sie ordnungswidrig und schulden ein Bußgeld (§ 332 Abs. 3 Nr. 3 VAG). Darüber hinaus handelt der „Makler“ ordnungswidrig, der vorsätzlich oder fahrlässig ohne die erforderliche Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 den Abschluss von Versicherungsverträgen vermittelt (§ 144 Abs. 1j GewO). Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu A 5.000 geahndet werden (§ 144 Abs. 4 GewO). In der Erlaubnis ist anzugeben, ob sie einem Versicherungsmakler oder einem Versicherungsvertreter erteilt wird (§ 34d Abs. 1 GewO). Die einem Versicherungsmakler erteilte Erlaubnis beinhaltet die Befugnis, Dritte, die nicht Verbraucher sind, bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen gegen gesondertes Entgelt rechtlich zu beraten (§ 34 d Abs. 1 S. 8 GewO: gemeint ist die bAV Beratung). Die Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO ist dem Versicherungsmakler zu erteilen, wenn er zuverlässig ist (§ 34d Abs. 5 Nr. 1), in geordneten Vermögensverhältnissen lebt (§ 34d Abs. 5 Nr. 2 GewO), den Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung erbringt (§ 34d Abs. 5 Nr. 3 GewO) und die notwendige Sachkunde nachweist (§ 34d Abs. 5 Nr. 4 GewO). Die Anforderungen an die Berufshaftpflichtversicherung ergeben sich aus §§ 11 ff. VersVermV. Bei Nichtbestehen, Änderung oder Beendigung der Haftpflichtversicherung haftet diese im Verhältnis zu Dritten so lange, bis dies der zuständigen Behörde (IHK) mitgeteilt wurde (§ 13 VersVermV an die Stelle des alten § 158c Abs. 2 VVG ist § 117 Abs. 2 getreten).260 Die ursprünglich in § 9 Abs. 6 VersVermV vorgesehene Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf fünf Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrages mit dem Makler ist auf Intervention des Bundesrates gestrichen worden.261 Der Bundesrat hielt eine unbeschränkte Nachhaftung aus Gründen des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Versicherungsmakler für notwendig. Die führenden Berufshaftpflichtversicherer Deutschlands haben sich zu einer einseitigen (den Vermittler begünstigenden) Vertragsänderung entschlossen, wonach sie im Schadensfall auf die Einrede der beschränkten Nachhaftung aus den Versicherungsverträgen, die eine solche Beschränkung enthalten, verzichten.262 Die BaFin hat dieses Verfahren – zumindest in der Übergangszeit (bis 1.1.2009) – akzeptiert.263

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Vertiefend Schwintowski/Brömmelmeyer/Huber § 117 Rn. 78 ff. BRDrucks. 207/07 Beschluss Nr. 5. So Schönleiter GewArch 2007 265 III.1.d. Schönleiter GewArch 2007 265 III.1.d. Schwintowski

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3. Gewerbsmäßig 146 Der Versicherungsmakler muss gewerbsmäßig die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernehmen (§ 59 Abs. 3 Satz 1). Der Begriff gewerbsmäßig ist – ebenso wie im Zusammenhang mit § 59 Abs. 2 richtlinienkonform zu bestimmen. Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 IDD ist ein Versicherungsvermittler jede natürliche oder juristische Person, die die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt. Das Betreiben eines Handelsgewerbes i.S.d. § 1 Abs. 2 HGB ist dafür nicht erforderlich. Erfasst werden Vermittler, bei denen davon gesprochen werden kann, dass sie die „Tätigkeit der Versicherungsvermittlung“ ausüben. Damit sind selbständige Vermittler mit sehr geringfügigen Umsätzen (gewerberechtliche Bagatelle) nicht erfasst.264 Gewerberechtlich unbeachtlich ist eine selbständige Tätigkeit i.d.R. dann, „wenn der geschäftliche Umfang vernachlässigenswert gering und zeitlich beschränkt ist.“265 „Mehr als wenige Hundert Euro Provisionsumsatz im Jahr oder zwei, drei Vermittlungsgeschäfte pro Jahr werden es aber nicht sein.“266 Auch derjenige, der im Wesentlichen Verträge über andere Geschäfte des Handelsverkehrs, beispielsweise Finanzprodukte und nur gelegentlich Versicherungsverträge vermittelt, ist kein Versicherungsmakler.267 Wer hiernach das Versicherungsmaklergeschäft möglicherweise nicht gewerbsmäßig betreibt, dennoch aber gegenüber dem Versicherungsnehmer den Anschein des Versicherungsmaklers erweckt, gilt nach § 59 Abs. 3 Satz 2 als Versicherungsmakler. So gesehen wird das Merkmal gewerbsmäßig in der Praxis nahezu keine Rolle spielen können, sieht man einmal von den gewerbe- und ordnungsrechtlichen Fragestellungen ab.

4. Vermittlung oder Abschluss für den Auftraggeber 147 a) Der Maklervertrag – Zustandekommen – Form – Rechtsnatur. Der Versicherungsmakler muss gewerbsmäßig „für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen“ übernehmen, ohne von einem Versicherer oder von einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein. Es ist folglich für den Versicherungsmakler in Abgrenzung zum Versicherungsvertreter entscheidend, dass er nicht von einem Versicherer, sondern von einem Kunden mit einem Vermittlungsgeschäft betraut wird.268 Während der Versicherungsvertreter das Interesse des Versicherers wahrzunehmen hat, steht der Versicherungsmakler im Verhältnis zum Versicherer auf der Seite des Kunden als dessen Interessenwahrer und Sachwalter.269 148 Der Versicherungsmakler vermittelt für den Auftraggeber, indem er mit diesem einen Maklervertrag schließt. Durch diesen Vertrag wird der Versicherungsmakler – im Gegensatz zu § 93 HGB – zum „treuhänderischen Sachwalter“ des VN.270 Der Maklervertrag kommt, wie jeder zivilrechtliche Vertrag, durch ausdrückliche oder konkludent abgegebene übereinstimmende Willenserklärungen zustande.271 Der Abschluss des Vertrages unterliegt keinerlei Formbindungen – in der Praxis ist die Schriftform durchgesetzt und zweckmäßig. Der Maklervertrag ist Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) mit Dienst- und Werkvertragselementen (§§ 611, 631 BGB).272

264 Beenken/Sandkühler 28 unter 2.1.3. 265 Beenken/Sandkühler 28 unter 2.1.3. 266 Beenken/Sandkühler 28 unter 2.1.3; ähnlich (6 Verträge/ unter A 1.000 Provision/ Jahr): Schönleiter in: Landmann/Rohmer (2010) § 34d Rn. 61. 267 Koch VW 2007 248 Ziff. 1a. 268 BTDrucks. 16/1935 S. 22. 269 BTDrucks. 16/1935 S. 22 und 23. 270 BGH 22.5.1985, BGHZ 94 356, 359; BGH 26.5.1987, VersR 1987 663 f.; BGHZ 162 67; BGH 14.6.2007, VersR 2007 1127. 271 Fischer NJW 2007 3107. 272 Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 38; Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 59 Rn. 10. Schwintowski

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b) Grundsätze für das konkludente Zustandekommen des Maklervertrages. Die Frage, 149 unter welchen Voraussetzungen ein Maklervertrag konkludent zustande kommt, hat die Rechtsprechung vielfach beschäftigt. Wer sich an einen Makler wendet, der mit „Angeboten“ werbend im geschäftlichen Verkehr auftritt, erklärt damit noch nicht konkludent seine Bereitschaft zur Zahlung einer Maklerprovision für den Fall, dass ein Hauptvertrag über das angebotene Objekt zustande kommt.273 Nach der Rechtsprechung des BGH darf der Interessent – es ging um eine Immobilie – davon ausgehen, dass der Makler das Objekt von dem Verkäufer an die Hand bekommen hat und deshalb mit der angetragenen Weitergabe von Informationen eine Leistung für den Verkäufer erbringen will.274 Ein Kaufinteressent, der dagegen in Kenntnis eines eindeutigen Provisionsverlangens die Dienste des Maklers in Anspruch nimmt, gibt damit grundsätzlich in konkludenter Weise zu erkennen, dass er den in dem Provisionsbegehren liegenden Antrag auf Abschluss eines Maklervertrages annehmen will.275 Es ist folglich Sache des Maklers, etwaige Unklarheiten auf Seiten des Interessenten aus dem Wege zu schaffen, „was i.d.R. nur durch ein ausdrückliches Provisionsverlangen“ hinreichend verlässlich geschehen kann.276 Daraus folgt, dass das „reine Gefallenlassen“ oder die „Entgegennahme von wesentlichen Maklerdienstleistungen“ nicht in jedem Fall und nicht ohne weiteres die Annahme eines stillschweigenden Vertragsabschlusses rechtfertigt.277 Das widerspruchsfreie Entgegennehmen und Ausnutzen der Tätigkeit des Maklers führt somit noch nicht zum konkludenten Vertragsschluss.278 Der BGH hat – mit Blick auf Immobilien – mit Urteil vom 22.9.2005279 – im Gegensatz zu 150 seiner früheren Rechtsprechung280 festgestellt, dass ein Vertragsabschluss auch dann nicht angenommen werden könne, wenn der Kunde ohne Bezugnahme auf ein Inserat oder ein sonstiges Einzelangebot Kontakt zum Makler aufnimmt, um sich Objekte aus dessen „Bestand“ benennen zu lassen.281 Auch bei einer solchen Fallgestaltung liege in der Objektangabe ein von Makler ausgehendes Angebot, sodass der Interessent, selbst wenn ihm bewusst sei, dass er insoweit Dienste des Maklers entgegennehme, mangels hinreichender Anhaltspunkte für das Gegenteil, damit rechnen dürfe, die Objekte seien dem Makler schon von dem Verkäufer an die Hand gegeben worden.282 Diese für den Immobilienmakler entwickelten Grundsätze können auch für den Versiche- 151 rungsmakler eine Rolle spielen. Wendet sich der Kunde beispielsweise an den Versicherungsmakler mit der Bitte, dieser möge ihm doch einmal Versicherungsalternativen „aus seinem Bestand“ benennen – beispielsweise im Bereich der Altersversorgung oder der privaten Krankenversicherung – so kommt durch das bloße Benennen noch kein Maklervertrag zustande. Das Gleiche gilt, wenn der Makler auf die telefonische Bitte dem Kunden Angebote für den Abschluss von Versicherungsverträgen übermittelt oder diesen über die Vor- und Nachteile von bestimmten Versicherungsverträgen unterrichtet. Ein Maklervertrag, der den Kunden möglicherweise zur Zahlung eines Honorars für die in Anspruch genommene Beratung verpflichtet kommt nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen jedenfalls erst dann zustande, wenn der Makler etwaige Unklarheiten

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Fischer NJW 2007 3107. BGH 25.9.1985, NJW 1986 177; BGH 22.9.2005, NJW 2005 3779, 3780. BGH 17.9.1998, NJW-RR 1999 361; 6.12.2001, NJW 2002 817; 16.11.2006, NJW-RR 2007 400, 401. BGH 25.9.1985, NJW 1986 177; BGH 28.9.1995, NJW-RR 1996 114; 4.11.1999, NJW 2000 282, 283; dazu Fischer NJW 2007 3107. 277 BGH 28.9.1995, NJW-RR 1996 114; 6.12.2001, NJW 2002 1945; 22.9.2005, NJW 2005 3779, 3780; OLG Karlsruhe 8.8.2003, NJW-RR 2003 1695; Fischer NJW 2007 3107. 278 Anders noch OLG Frankfurt 15.5.1955, VersR 1955 579. 279 BGH 22.9.2005, NJW 2005 3779, 3780. 280 BGH 21.5.1971, WM 1971 1098, 1099; 16.5.1990, NJW-RR 1990 1269. 281 Hierzu Fischer NJW 2007 3107, 3108. 282 Vertiefend Fischer NJW 2007 3107, 3108; a.A. Pauly MDR 2006 549, 550. 845

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über sein Honorar- oder Provisionsverlangen hinreichend verlässlich aus dem Wege geräumt hat.283 152 Erst dann, wenn der Kunde weitergehende Maklerdienstleistungen nachfragt, insbesondere (es ging um eine Immobilie) einen eigenen Suchauftrag erteilt, kommt ein Maklervertrag zustande.284 Der Hinweis auf die Entscheidungen des OLG Hamm und des OLG Saarbrücken zeigt, so Fischer,285 dass der Makler zur Erledigung eines derartigen Suchauftrags jedenfalls nicht nur auf eigenes Adressenmaterial zurückgreifen darf. Vielmehr muss sich der Suchauftrag darauf erstrecken, neue Objekte durch eigenständige Tätigkeit für den Kunden zu erschließen.286 Nach der Auftragslage müsse der Makler mithin „nach außen hin suchend tätig“ werden.287 Für den Versicherungsmakler bedeutet dies, dass der bloße Rückgriff auf bestehende EDV-Dateien, die die Anbieter bestimmter Versicherungsverträge enthalten, kaum ausreichen dürfte, um einen Maklervertrag konkludent zu schließen. Das gleiche gilt für den Abdruck eines Betreuungsvermerks auf der Versicherungspolice, jedenfalls dann, wenn der Vermittler durch die Bezeichnung Generalagent selbst nicht den Anschein eines Versicherungsmaklers erweckt hat.288 153 Anders ist es, wenn der Makler die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden im Einzelnen abfragt, insbesondere ein Risikoprofil auf der Grundlage der persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Kunden erarbeitet, um ihm daraus folgend eine Empfehlung oder einen Rat für einen ganz bestimmten, für den Kunden besonders geeigneten Versicherungsvertrag zu geben. In einem solchen Fall, in dem der Makler nicht nur „aus seinem Bestand“ denkbare Vertragsalternativen benennt, sondern individuell auf die Bedürfnisse und Wünsche des Kunden eingeht, dürfte auch für den Kunden in aller Regel klar sein, dass er nunmehr die Dienste des Versicherungsmaklers gegen Entgelt in Anspruch nimmt. Bittet der Kunde den Makler auf der Grundlage von dessen Empfehlung, den besonders geeigneten Versicherer zum Abschluss zu bewegen, so muss spätestens an dieser Stelle zwischen Kunde und Makler darüber gesprochen werden, ob der VR die dem Makler gebührende Provision zahlt (aufgrund einer Courtagevereinbarung) oder ob der Makler dem Kunden die Vereinbarung eines Nettotarifes mit dem Versicherer nahe legt. In diesem – zulässigen289 – Fall ist eine Provisionsabsprache zwischen dem Makler und dem Kunden unvermeidlich, sodass spätestens dadurch der Maklervertrag zustande kommt. Nur dann, wenn die Beratung ergebnislos endet und die Entscheidung über einen Abschluss in die fernere Zukunft vertagt wird, stellt sich die Frage, ob der Kunde durch konkludenten Abschluss eines Maklervertrages zumindest ein Beratungshonorar schuldet. Unklarheiten darüber, wird es beim Versicherungsmakler in Zukunft deshalb nicht mehr geben, weil der Makler nach § 15 Abs. 1 Nr. 6 VersVermV dem VN bereits beim ersten Geschäftskontakt mitzuteilen hat, ob die Vergütung direkt vom Kunden zu zahlen oder als Provision in der Versicherungsprämie enthalten ist.

154 c) Pflichten des Maklers. Die Pflichten des Versicherungsmaklers ergeben sich einerseits aus dem VVG und andererseits aus dem geschlossenen Maklervertrag. Der Makler ist nach § 60 Abs. 1 VVG verpflichtet, seinem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und von Versicherern zugrunde zu legen. Er darf aber im Einzelfall ausdrücklich auf eine eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl hinweisen (§ 60 Abs. 1 Satz 2). Darüber hinaus trifft den Makler die Beratungs- und Dokumentationspflicht nach § 61. Diese Pflichten 283 BGH 25.9.1985, BGHZ 95 393, 395; BGH 4.11.1999, NJW 2000 282, 283. 284 BGH 22.9.2005, NJW 2005 3779, 3780 unter Bezugnahme auf OLG Hamm 21.2.1994, NJW-RR 1994 1540; OLG Saarbrücken 22.4.2004, OLG-Report 2004 420, 421. 285 Fischer NJW 2007 3107, 3108. 286 OLG Saarbrücken 22.4.2004, OLG-Report 2004 420, 421. 287 Fischer NJW 2007 3107, 3108; Bethge BGH-Report 2005 1567. 288 OLG Saarbrücken 20.3.2013 – 5 U 356/12, BeckRS 2013, 13689. 289 BGH 20.1.2005, VuR 2005 404. Schwintowski

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hat der Makler vor Abgabe der Vertragserklärung des Kunden zu erfüllen (§ 62). Verletzt der Makler seine Pflichten aus §§ 60, 61, so haftet er auf Schadensersatz (§ 63). Der Versicherungsmakler hat als Vertrauter und Berater dem VN individuellen Versicherungsschutz zu besorgen.290 Deshalb ist er, anders als sonst der Handels- oder Zivilmakler, dem ihm vertraglich verbundenen Versicherungsnehmer gegenüber üblicherweise sogar zur Tätigkeit, meist zum Abschluss des gewünschten VV verpflichtet.291 Dem entspricht, dass der Versicherungsmakler von sich aus das Risiko untersucht, das Objekt prüft und den VN als seinen Auftraggeber ständig, unverzüglich und ungefragt über die für ihn wichtigen Zwischen- und Endergebnisse seiner Bemühungen, das aufgegebene Risiko zu platzieren, unterrichten muss.292 Nach Vertragsschluss hat der Versicherungsmakler die Pflicht, während der Dauer des Versicherungsverhältnisses den VN zu betreuen, soweit für ihn ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung erkennbar ist. Diese Verpflichtung ergibt sich einerseits aus einer Analogie zu § 6 Abs. 4 und andererseits aus dem „Wesen des Maklervertrages“, wie es von der Rechtsprechung auch in der Vergangenheit entwickelt wurde.293 Zu den Aufgaben des Versicherungsmaklers gehört es auch, den Versicherungsvertrag nach Abschluss weiter zu betreuen, indem er ihn ungefragt auf etwaigen Anpassungsbedarf sowie Verlängerungen hin überprüft und den VN rechtzeitig darauf hinweist, den Zahlungsverkehr fördert, im Schadensfall den Versicherungsnehmer sachkundig berät, für sachgerechte Schadensanzeigen sorgt und bei der Schadensregulierung die Interessen des VN wahrnimmt.294 Eine Pflicht des Maklers zur laufenden, mindestens einmal jährlich durchgeführten Bestandsaufnahme und Überprüfung, ob die bestehenden Versicherungen den Verhältnissen und Bedürfnissen des VN entsprechen besteht jedoch nicht.295 Der Pflichtenkreis des Maklers umfasst auch die Hilfestellung bei der Regulierung eines Versicherungsschadens, etwa wenn es um Ausschlussfristen im Rahmen einer Unfallversicherung (Invalidität) geht.296 Zum Aufgabenkreis des Maklers gehört es ferner zeitlichen Deckungslücken entgegenzuwirken und den Auftraggeber auf erforderliche Verlängerungen aufmerksam zu machen.297 Ein Versicherungsmaklervertrag setzt nicht voraus, dass der Auftraggeber nach der getroffenen Vereinbarung dauerhaft zu betreuen ist.298 Das Geschäft des Versicherungsmaklers besteht, so der BGH, in der Hauptsache in der Vermittlung und dem Abschluss von Versicherungsverträgen. Es könne zwar auch die versicherungstechnische Betreuung der Verträge umfassen und daher als Dauerschuldverhältnis fortbestehen.299 Das Fehlen einer solchen Vereinbarung führe aber nicht dazu, dass kein Maklervertrag vorliege. Die Schadensregulierung im Auftrag des VR gehört jedoch nicht als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild des Versicherungsmaklers, da er Sachwalter des VN und nicht des VR ist.300 Darüber hinaus kann der Makler durch individuellen Auftrag weitere Pflichten übernehmen, die nicht zum Leitbild des Sachwalters gehören.301 Grundsätzlich besteht keine Verpflichtung des Maklers die gesamte Versicherungssituation des Kunden ständig ungefragt einer 290 291 292 293 294 295

BGH 14.6.2007, VersR 2007 1127. BGH 14.6.2007, VersR 2007 1127. BGH 14.6.2007, VersR 2007 1127. BGH 10.5.2000, NVersZ 2000 389. BGH 16.7.2009 – III ZR 21/09 (juris); BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris Rn. 19) m.w.N. OLG Hamburg 27.9.2018 – 1 U 2/18, BeckRS 2018, 28347 unter Hinweis auf OLG Frankfurt 8.6.2016 – 4 U 223/ 15 (juris Rn. 35). 296 BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017, 141818 Rn. 13. 297 OLG Brandenburg 19.3.2014 – 11 U 212/12, BeckRS 2014 06646. 298 BGH 28.6.2018 – I ZR 77/17, NJW 2018 3715 Rn. 17. 299 BGH 28.6.2018 – I ZR 77/17, NJW 2018 3715 Rn. 17 unter Hinweis auf BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14, NJW 2016, 3366 Rn. 39 n.w. N. 300 BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 (juris) ab Rn. 16. 301 Beispiel BGH 10.5.2000 – IV ZR 297/98, VersR 2000 846: Pflicht den VN darauf hinzuweisen, dass er in wenigen Wochen ohne Versicherungsschutz sein werde. 847

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umfassenden Prüfung zu unterziehen.302 Der Makler hat auch nicht die Aufgabe, bei der PKV Einkünfte des erwerbstätigen Ehepartners in die Vergleichsrechnung einzubeziehen.303 Macht der Kunde den Eindruck, der abgeschlossene Hausratvertrag sei bedarfsgerecht, so ist der Makler nicht verpflichtet eine weitergehende Bedarfsermittlung durchzuführen.304 Bei Beendigung des Maklervertrages sind die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.305

159 d) Vollmachten des Maklers. In der Praxis ist es üblich, dass der VN den Makler i.R.d. Maklervertrages oder neben diesem eine Maklervollmacht erteilt. Typisch ist eine Vollmacht zum Abschluss des VV mit der Folge, dass der Makler auch zur Entgegennahme der Vertragsinformationen nach § 7 ermächtigt ist. Der VN muss sich die Kenntnis des von ihm bevollmächtigten Maklers nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Im Innenverhältnis zum VN obliegt es dem Makler zu prüfen, ob das vom VR vorgelegte verbindliche Vertragsangebot den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden entspricht. Gebräuchlich sind ferner Vollmachten zur Abgabe oder Entgegennahme von Willenserklä160 rungen, etwa i.R.d. Zahlungsverkehrs und bei der Geltendmachung von Ansprüchen im Versicherungsfall.306 Erteilt der VN dem Makler eine Umdeckungsvollmacht, so kommt es darauf an, ob der Makler das Risiko im Interesse des VN (zur Verbesserung des Versicherungsschutzes) oder ausschließlich im eigenen Provisionsinteresse umdecken will. Stehen die Provisionsinteressen im Vordergrund, so kann dies nach den Grundsätzen des Unlauterkeitsrechtes (UWG) unzulässig sein.307 Maklervollmachten sind, wie alle Vollmachten, jederzeit frei widerruflich und erlöschen mit dem Maklervertrag (§ 168 BGB).

161 e) Nettopolicen – Provisionsanspruch. Nach der Rechtsprechung des BGH308 verbindet sich mit dem Stichwort Nettopolice eine Vereinbarung des Maklers mit dem Kunden, wonach der Makler vom Kunden für jeden vermittelten VV eine Vermittlungsgebühr erhält. Darüber hinaus wird vereinbart, dass der Makler vom jeweiligen VU für die Vermittlung des VV keine Vergütung erhält.309 In den vom BGH bisher entschiedenen Fällen wurde weiterhin vereinbart, dass die vom „Handelsmakler zu erbringende Leistung auf die Vermittlung des jeweiligen VV beschränkt ist. Eine über die Vermittlung des jeweiligen VV hinausgehende Beratungs- oder Betreuungspflicht ist nicht Gegenstand dieser Vereinbarung und wird vom Handelsmakler nicht geschuldet.“310 Mit dem Stichwort Nettopolice verbinden sich also Fallgestaltungen, bei denen ein Makler mit dem Kunden eine Provisionsvereinbarung über die Abschlussprovision trifft. Der Kunde schuldet aufgrund dieser Abrede die Abschlussprovision unmittelbar gegenüber dem Makler. Die Abschlussprovision ist nicht in die Prämie des VV eingerechnet. 162 Die in allen drei Entscheidungen des BGH ergänzend getroffene Abrede, wonach der Makler eine über die Vermittlung des jeweiligen VV hinausgehende Beratungs- oder Betreuungspflicht nicht schuldet, ist im Rahmen der Vereinbarung einer Nettopolice zwar möglich, aber nicht zwingend notwendig. Der Makler kann auf der einen Seite eine Provisionsvereinbarung 302 303 304 305

OLG Hamm 21.5.2015 – 18 U 132/14 (juris). OLG Köln 26.2.2016 – 20 U 102/15 (juris). OLG Köln 26.2.2016 – 20 U 102/15 (juris). OLG Düsseldorf 6.6.1997 – 7 U 197/96, NJW-RR 1998 395; OLG München 24.3.2000 – 23 U 5318/97, VersR 2001 459; OLG Hamm 19.6.2000 – 18 U 7/00, VersR 2001 583. 306 BGH 13.11.1956, VersR 1957 58. 307 BGH 28.4.1966, GRUR 1966 509, 513; OLG 16.3.1990, GRUR 1990 536; OLG Hamm 27.9.1991 r&s 1992 143 f. 308 BGH 20.1.2005, NJW 2005 1357; BGH 20.1.2005, VersR 2005 404; BGH 14.6.2007, VersR 2007 1127. 309 So der Wortlaut der Klausel in der Entscheidung vom 20.1.2005, VersR 2005 404; inhaltsgleich die Klausel in der Entscheidung des BGH vom 20.1.2005, NJW 2005 1357; sehr ähnlich die Klausel im Urteil des BGH vom 14.6.2007, VersR 2007 1127. 310 So die Klauseln in allen drei vorgenannten Urteilen des BGH. Schwintowski

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direkt mit dem Kunden treffen und darüber hinaus auch die laufende Beratung und Betreuung verabreden. In diesem Fall könnte der Makler entweder mit dem Kunden eine Vereinbarung über die nun für die laufende Betreuung fällig werdende (laufende) Provision treffen. Er könnte aber auch dem Kunden die laufende Betreuung versprechen und dafür eine Courtagevereinbarung mit dem VR treffen. Diese wäre dann Teil der laufenden Verwaltungskosten, die nach § 2 Abs. 1 VVG-InfoV ohnehin offenzulegen sind. Der BGH hält die Vereinbarung einer unmittelbar vom Kunden zu zahlenden Maklerprovision bei der Vermittlung eines Lebensversicherungsvertrages mit Nettopolice für wirksam.311 Eine vorformulierte „Vermittlungsgebührenvereinbarung“, wonach der Anspruch des Maklers auf Zahlung der Vermittlungsgebühr mit dem Zustandekommen des vom Kunden gewünschten Versicherungsvertrages entsteht, ist mit dem geltenden AGB-Recht, insbesondere mit § 305c Abs. 1 BGB und § 307 BGB vereinbar. Eine solche AGB-Provisionsklausel wiederholt nur die in § 652 BGB niedergelegte Regel, wonach der Maklerlohnanspruch bereits bei Vermitteln eines wirksamen Hauptvertrages anfällt und der weitere Bestand des nachgewiesenen oder vermittelten Vertrags auf die Provisionsforderung regelmäßig ohne Einfluss bleibt. Insoweit sei keine unangemessene Benachteiligung erkennbar.312 Mit Urteil vom 6.11.2013313 hat der BGH zunächst einmal klargestellt, dass die Vermittlung einer Nettopolice mit dem geltenden Lauterkeitsrecht (damals § 4 Nr. 11 UWG) vereinbar ist. Mit einer solchen Vereinbarung sei auch nicht notwendig eine Irreführung des VN über den Status des Vermittlers als Versicherungsvertreter verbunden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie ihren Status in der Erstkontaktinformation eindeutig offengelegt hatte und damit nicht den Anschein erweckte Versicherungsmaklerin zu sein.314 Mit Urteil vom 12.12.2013315 hat der BGH entschieden, dass sich ein Versicherungsvertreter von einem Kunden für die Vermittlung einer Lebensversicherung als Nettopolice eine Vergütung versprechen lassen darf. Das gleiche gilt für einen Versicherungsmakler, der mit seinem Kunden wirksam vereinbaren darf, dass dieser bei der Vermittlung einer Nettopolice die Maklerprovision ratenweise zu zahlen hat. Dies gilt auch dann, wenn der Kunde bei der Kündigung des Versicherungsvertrages zur Fortzahlung der vereinbarten Provision verpflichtet bleibt.316 Einer solchen Vereinbarung stünden weder zwingende Vorschriften des VVG (§§ 168, 165, 171) noch § 305c Abs. 1 oder § 307 BGB entgegen. In diesem Fall sei der Schicksalsteilungsgrundsatz, wonach bei einer Bruttopolice die Courtage des Versicherungsmaklers das Schicksal der Versicherungsprämie teile, im Verhältnis der Maklervertragsparteien nicht anwendbar.317 Diese Grundsätze gelten nicht nur für den Versicherungsmakler, sondern, so der BGH ausdrücklich, auch für den Versicherungsvertreter. Auch dieser schulde umfassende Beratungsund Dokumentationspflicht und hafte gegen den VN persönlich auf Schadensersatz (§§ 61, 63). Angesichts dieser Normenlage wäre es wenig verständlich, wenn man es dem Versicherungsvertreter verwehren wollte, Beratungstätigkeiten, die in erheblichem Umfang gesetzlich vorgegeben seien, zum Gegenstand vertraglicher Entgeltvereinbarungen mit dem VN zu machen, denn

311 BGHZ 162 67; BGH 20.1.2005, VersR 2005 404; 19.5.2005, VersR 2005 1144; 19.5.2005, NJW-RR 2005 1423; zustimmend Langheid BGH-Report 2005 565, 566; Looschelders/Götz JR 2006 65, 66; Loritz NJW 2005 1757, 1758; Reiff LMK 2005 88. 312 BGH 20.1.2005, NJW 2005 1357, 1358 unter Hinweis auf die unterschiedlichen Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung zur Wirksamkeit der Provisionsabrede bei vorzeitiger Kündigung des Versicherungsvertrages. 313 I ZR 104/12, GRUR 2014 88. 314 BGH a.a.O. unter Hinweis auf Reiff VersR 2012 645 652; Icha VuR 2013 74. 315 III ZR 124/13 BeckRS 2014 01033. 316 BGH 12.12.2013 – III ZR 124/13, BeckRS 2014 01033 Rn. 11. 317 BGH a.a.O. Rn. 10 unter Hinweis auf BGH 20.1.2005 – III ZR 251/04, BGHZ 162 67 72 ff. sowie III ZR 207/04, VersR 2005 404; ferner die Urteile vom 19.5.2005 – III ZR 240/04, VersR 2005 1144, 1145; III ZR 309/04, NJW-RR 2005 1425 f. sowie III ZR 322/04, VersR 2005 978, 979. 849

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die Beratungspflichten des Versicherungsvertreters unterschieden sich in ihrem Umfang und in ihrer Intensität nicht von den Pflichten des Versicherungsmaklers.318 Darüber hinaus verwies der BGH auf seine Rechtsprechung zur zulässigen Vereinbarung einer Nettopolice mit dem Versicherungsmakler.319 Auch Kostenausgleichsvereinbarungen, die rechtlich selbstständig neben dem Versicherungsvertrag stehen, sind nicht wegen Verstoßes gegen § 169 Abs. 3, 5 VVG unwirksam.320 Bereits aus der Gesetzesbegründung zu § 169 Abs. 3 gehe hervor, dass der Gesetzgeber die Freiheit der Parteien, die Zahlung von Abschlusskosten gesondert zu regeln, grundsätzlich nicht einschränken wollte.321 Hätten die Parteien etwa vereinbart, dass die Abschlusskosten gesondert und ohne Zillmerung gezahlt werden sollten, so könne es auch nicht zu einer Verrechnung über einen Zeitraum von fünf Jahren kommen. Der Rückkaufswert wäre einerseits höher – die Verpflichtung zur Zahlung der Abschlusskosten stünde andererseits unabhängig davon, ob der Versicherungsvertrag beendet werde. Es sei ähnlich wie bei der Wohnraummiete, eine Maklerprovision sei auch dann in voller Höhe zu zahlen, wenn die angemietete Wohnung nach kurzer Zeit wieder gekündigt werde. Die Kostenausgleichsvereinbarung, so der BGH, sei auch klar und verständlich formuliert gewesen (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dem VN sei unmissverständlich vor Augen geführt worden, dass nur der Widerruf seiner Vertragserklärung zur Beendigung der Kostenausgleichsvereinbarung führe, nicht hingegen eine Kündigung des Versicherungsvertrags oder der Kostenausgleichsvereinbarung.322 Schon im Versicherungsantrag fände sich ein entsprechender Hinweis, dass die Auflösung des Versicherungsvertrags grundsätzlich nicht zur Beendigung dieser Kostenausgleichsvereinbarung führt. Darauf wurde der VN unmittelbar vor Unterschrift zur Kostenausgleichsvereinbarung ebenfalls hingewiesen und ferner darauf, dass er die Kostenausgleichsvereinbarung nicht kündigen könne. Allerdings dürfe der VR, der in jenem Falle Vertragspartner war, das nicht abdingbare Recht des VN zur Kündigung des Versicherungsvertrags nicht dadurch unterlaufen, dass er durch eine vertragliche Gestaltung den VN mit Nachteilen belaste, die ihn von einer Ausübung seines Kündigungsrechts abzuhalten geeignet seien und sich deshalb faktisch als eine Art unzulässiger Vertragsstrafe darstellten.323 Die Unwirksamkeit des Kündigungsausschlusses nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB stehe nicht im Widerspruch zu den Entscheidungen des BGH, die eine Provisionsabrede mit Ratenzahlungen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsmakler/Versicherungsvertreter zum Gegenstand gehabt hätten.324 Diese Regelungen könnten für das Verhältnis zwischen VR und VN nicht als Leitbild herangezogen werden, da diese Kosten mit dem Versicherungsvertrag eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Dies verbiete es, dem VN zwar die Möglichkeit zu geben sich vom Versicherungsvertrag durch Kündigung zu lösen, an die Kostenausgleichsvereinbarung aber unkündbar gebunden zu sein.325 Aus alledem folgt, dass Versicherer im Bereich der Lebensversicherung berechtigt sind, Nettopolicen anzubieten, und dass Makler (und Versicherungsvertreter) ihrerseits berechtigt sind, individuelle Kostenausgleichsvereinbarungen mit den zukünftigen VN zu schließen. Die Vereinbarungen müssen transparent sein, also die Höhe der Kostenbelastung in Euro und Cent wiedergeben. Außerdem muss der Kunde deutlich darauf hingewiesen werden, dass er zur Zahlung der vollen Vergütung verpflichtet bleibt, wen der vermittelte Versicherungsvertrag nach kurzer Zeit beendet wird.

318 319 320 321 322 323 324 325

So schon BGH 6.11.2013 – I ZR 104/13, BeckRS 2013 20765 Rn. 21. BGH 12.12.2013 – III ZR 124713, BeckRS 2014 01033 Rn. 17. BGH 12.2.2014 – IV ZR 295/13, NJW 2014 1658. BTDrucks. 16/3945 S. 102. BGH a.a.O. Rn. 25. BTDrucks. 16/3945 S. 52, 104. BGH a.a.O. Rn. 33. BGH a.a.O. Rn. 33.

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Werden Kostenausgleichsvereinbarungen zwischen VN und VR geschlossen, so bilden sie mit dem Versicherungsvertrag eine wirtschaftliche Einheit, die es verbietet, dem VN zwar die Möglichkeit zu geben, sich vom Versicherungsvertrag durch Kündigung zu lösen, ihn an die Kostenausgleichsvereinbarung aber unkündbar gebunden zu halten. Die Kostenausgleichsvereinbarung zwischen VR und VN muss folglich kündbar ausgestaltet sein. Wird hingegen – wie inzwischen üblich – die Kostenausgleichsvereinbarung zwischen dem Vermittler und dem VN geschlossen, so fehlt es an der wirtschaftlichen Einheit der beiden nebeneinanderstehenden Verträge, das heißt im Verhältnis zum Vermittler darf die Kostenausgleichsvereinbarung, wie auch sonst im Maklerrecht (§ 653 BGB) unkündbar ausgestaltet sein. Mit dieser Rechtsprechung hat der BGH der Nettopolice und der selbstständigen Kostenausgleichsvereinbarung den Weg geöffnet. Eine andere Frage hat Aline Icha bereits 2013 in einer breit angelegten Monografie zum Thema Nettopolice gestellt, nämlich die, ob es möglicherweise eine Rechtspflicht für VR geben könnte, neben der traditionellen Bruttopolice auch eine Nettopolice anzubieten.326 Auf den Umstand, dass der Kunde bei der Nettopolice auch dann zur Zahlung der (vollen) Vergütung des Maklers verpflichtet bleibt, wenn der Versicherungsvertrag nach kurzer Zeit beendet wird, muss deutlich hingewiesen werden.327 Nicht ausreichend ist der Hinweis, dass der Kunde wegen der rechtlichen Unabhängigkeit der Vergütungsvereinbarung vom Versicherungsvertrag auch bei vorzeitiger Beendigung dieses Vertrages zur Zahlung der Vergütung verpflichtet ist. Daraus gehe nicht deutlich hervor, dass er auch bei Beendigung des Versicherungsvertrages nach kurzer Zeit zur Zahlung der vollen Vergütung verpflichtet bleibe und damit erheblich schlechter gestellt sei als bei der Bruttopolice.328 Fehle es an einem ordnungsgemäßen Hinweis, so bestehe eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sich der Kunde bei gehöriger Beratung nicht für eine Nettopolice entschieden hätte.329 Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Dokumentation hinsichtlich der Aufklärung über die Nettopolice, so spricht zugunsten des VN eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine solche Aufklärung nicht erfolgt sei.330

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f) Erfolgshonorar bei Tarifwechsel nach § 204 VVG. Nach § 59 Abs. 3 ist Versicherungs- 178 makler, wer gewerbsmäßig für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt ohne von einem Versicherer oder von einem Versicherungsnehmer damit betraut zu sein.331 Abzugrenzen ist die Versicherungsvermittlung von einer Tätigkeit, die ausschließlich darauf gerichtet ist, Möglichkeiten zum Abschluss von Versicherungsverträgen namhaft zu machen oder Kontakte zwischen einem potenziellen VN und einem Vermittler oder Versicherer herzustellen, die für sich genommen keine Versicherungsvermittlung darstellen.332 Nach diesen Grundsätzen ist der Vermittler, der dem VN ein konkretes Angebot zum Abschluss eines geänderten Krankenversicherungsvertrages nach § 204 einholt, als Makler tätig.333 Die Tätigkeit eines Versicherungsvermittlers setze, so der BGH, zwar die Einholung des Angebotes eines Versicherers zum Abschluss eines Vertrages durch den Makler voraus, nicht 326 Icha Berliner Reihe Bd. 43 2013; dazu Schwintowski (I.) ZfV 2014 467 ff., (II) ZfV 2014508 ff; Reiff RuS 2013 525.

327 OLG München 5.7.2016 – 20 U 1011/16, BeckRS 2016 14017; OLG Hamm 23.8.2017 – 20 U 38/17, BeckRS 2017 136707; OLG Karlsruhe 24.3.2016 – 12 U 144/15. 328 OLG München 5.7.2016 – 20 U 1011/16, BeckRS 2016 14117. 329 OLG München 5.7.2016 – 20 U 1011/16, BeckRS 2016 14117 im Anschluss an BGH 12.12.2013 – III ZR 124/13, BeckRS 2014 01033 sowie BGH 5.6.2014 – III ZR 557/13, BeckRS 2014 13044 Rn. 24. 330 OLG Karlsruhe 24.3.2016 – 12 U 144/15, BeckRS 2016 06262. 331 BGH 28.6.2018 – I ZR 77/17, Beck RS 2018 24702 Rn. 11. 332 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13, VersR 2014 497 Online-Versicherungsvermittlung. 333 BGH 28.6.2018 – I ZR 77/17, BeckRS 2018 24702 Rn. 14. 851

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aber auch dessen Abschluss durch eine Vertragserklärung des Versicherungsmaklers. Deshalb heiße es in § 59 Abs. 3: „Die Vermittlung oder den Abschluss“.334 179 Der Einordnung als Maklervertrag stehe auch nicht entgegen, dass bei einem Tarifwechsel nach § 204 im Verhältnis zwischen dem VR und dem VN kein neuer Versicherungsvertrag geschlossen, sondern der bisherige Vertrag unter Wechsel des Tarifs fortgesetzt werde.335 Die Vorschrift des § 204 diene dem Schutz des VN, dem damit dem Herkunftstarif erworbenen und die dort aufgebaute Altersrückstellungen erhalten bleibe.336 Diese Tatsache habe jedoch keine Auswirkungen auf das Rechtsverhältnis zwischen dem VN und dem Vermittler. Dieser habe in solchen Fällen, ebenso wie in Fällen, in denen es um die Vermittlung oder den Abschluss nicht nur geänderter, sondern gänzlich neuer Verträge gehe, auf einen adäquaten Versicherungsschutz zu für den VN besseren Bedingungen hinzuwirken.337 In beiden Fallkonstellationen gehe es um das Beschaffen und Gestalten von Versicherungsschutz für einen anderen338 und um das Durchführen von Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen im Sinne von Art. 2 Nr. 3 RL 2002/92/EG. 180 Der Einordnung der Vereinbarung als Maklervertrag stehe ferner nicht entgegen, dass diese Vereinbarung keine laufende weitere Betreuung des VN durch den Makler umfasse. Das Geschäft des Versicherungsmaklers bestehe in der Hauptsache in der Vermittlung und dem Abschluss von Versicherungsverträgen. Es könne zwar auch die versicherungstechnische Betreuung der Verträge umfassen und daher als Dauerschuldverhältnis fortbestehen.339 Das Fehlen einer Vereinbarung über eine dauernde Betreuung in einem Versicherungsmaklervertrag führe aber nicht dazu, dass damit kein solcher Vertrag vorliege.340 Aus diesen Gründen verstoße der Maklervertrag nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (§ 134 BGB i.V.m. § 3 RDG).341 Dem Makler sei die Beratung zum Tarifwechsel vielmehr nach § 5 Abs. 1 RDG als Nebenleistung erlaubt.342 181 Schließlich hat der BGH mit Urteil vom 6.6.2019343 klargestellt, dass der Makler eine erfolgsabhängige Vergütung für den Tarifwechsel nach § 204 vereinbaren dürfe.344 Dem Versicherungsberater sei dagegen die Vereinbarung eines Erfolgshonorars untersagt – bei ihm läge ein Interessenkonflikt im Sinne des § 4 RDG vor.345 Der vom BGH konstruierte Interessenkonflikt ist für Versicherungsberater nur schwer nachzuvollziehen, denn diese sind im Interesse des VN tätig und werden deshalb auch ausschließlich von ihm honoriert. Warum dies ausgerechnet bei einem Tarifwechsel nach § 204, der ohnehin kraft Gesetzes stattfindet, wenn die Voraussetzungen des § 204 vorliegen, zu einem Interessenkonflikt führen soll, ist schwer zu erklären.346

182 g) Verwirkung des Provisionsanspruches. Nach § 654 BGB ist der Anspruch auf den Maklerlohn und der Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen ausgeschlossen, wenn der Makler dem Inhalt des Vertrages zuwider auch für den anderen Teil tätig gewesen ist. Dabei ist – bei Immobi334 335 336 337 338 339 340 341 342 343 344 345

BGH a.a.O. Rn. 15. So bereits BGH 13.4.2016 – IV ZR 393/15, VersR 2016, 718; BGH 20.7.2016 – IV ZR 45/16, VersR 2016 1108. BGH 28.6.2018 – I ZR 77/17, BeckRS 2018 24702 Rn. 16. BGH a.a.O. Rn. 16 unter Hinweis auf OLG Karlsruhe 13.6.2018 – 6 U 122/17 (juris Rn. 55). BGH a.a.O. Rn. 16 unter Hinweis auf BTDrucks. 16/1935 S. 18. BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14, BGHZ 209, 256 Rn. 39 m.w.N. = VersR 2017, 158. BGH a.a.O. Rn. 17. BGH a.a.O. Rn. 19. BGH a.a.O. Rn. 20. I ZR 67/18. BGH a.a.O. Rn. 56. BGH a.a.O. Rn. 59, 65; Zur kontroversen Diskussion zu diesem Fragenkreis vertiefend Matusche-Beckmann NJW 2019 1491 m.w.N. in Rn. 13. 346 Vertiefend Schwintowski Erfolgshonorar für den Versicherungsmakler zulässig – für den Versicherungsberater unzulässig: Warum? ZfV 2020 120 bis 122. Schwintowski

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liengeschäften – eine Tätigkeit des Maklers für beide Seiten nach dem Inhalt des Vertrags grundsätzlich zulässig, sofern der Makler für beide Teile als Nachweismakler oder für den einen als Vermittlungs- und für den anderen als Nachweismakler tätig geworden ist.347 Das gilt, so betont Fischer,348 auch ohne ausdrückliche Gestattung selbst dann, wenn dem Maklerkunden die Doppeltätigkeit des Maklers unbekannt gewesen war. Überträgt man diese Grundsätze auf den Versicherungsmakler, so würde daraus folgen, dass dieser jedenfalls dann für den VN ebenso wie für den VR tätig sein dürfte, wenn dies nach dem Inhalt des Maklervertrages vereinbart wäre. Eine derart weitgehende Doppeltätigkeit ist für den Versicherungsmakler mit § 59 Abs. 3 nicht vereinbar, insoweit unterscheidet er sich vom Handelsmakler und vom Leitbild des Zivilmaklers. Der Versicherungsmakler soll Sachwalter und Interessenwahrer des VN sein. Er muss folglich für diesen den Abschluss oder die Vermittlung von VV übernehmen, ohne vom VR oder einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein (§ 59 Abs. 3 Satz 1).349 Die Verwirkung der Maklerlohnanspruches hat Strafcharakter.350 Nicht jede objektiv erheb- 183 liche Pflichtverletzung des Maklers und damit auch nicht jedes Informations- und Beratungsverschulden lässt, so der BGH, deshalb den Provisionsanspruch nach § 654 BGB entfallen, vielmehr ist in erster Linie subjektiv eine schwerwiegende Treuepflichtverletzung zu fordern; der Makler muss sich seines Lohnes „unwürdig“ erwiesen haben.351 Das ist nach der Rechtsprechung erst dann der Fall, wenn er seine Treuepflicht vorsätzlich, wenn nicht gar arglistig, mindestens aber in einer dem Vorsatz nahe kommenden grob leichtfertigen Weise verletzt hat.352 Andere Fälle sind unter dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung (heute: § 311 BGB) zufriedenstellend zu lösen.353 Nach diesen Maßstäben reicht die vom VN dem Makler vorgeworfene objektive Sorgfalts- 184 pflichtverletzung (Empfehlung einer fondsgebundenen LV für die Altersvorsorge) als Verwirkungstatbestand nicht aus.354 Auch der Ausschluss jeglicher Beratungspflichten des Maklers in vorformulierten Vertragsklauseln genügt, so der BGH, als Verwirkungstatbestand nicht. Zu beachten ist, dass es § 61 Abs. 2 (Beratungsverzicht) im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht gab. Eine die Beratungspflichten gänzlich ausschließende Klausel widerspreche zwar den insgesamt umfassenden Betreuungspflichten eines Versicherungsmaklers und sei deswegen nach § 9 AGBG (heute § 307 BGB) unwirksam.355 Die vom Versicherungsmakler angestrebte Haftungsfreizeichnung beinhalte objektiv zwar eine Pflichtverletzung, habe jedoch nicht das für die Anwendung des Verwirkungsgedankens erforderliche außergewöhnliche Gewicht. Die Verwendung unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen seitens des Maklers allein könne im Regelfall – ohne Hinzutreten besonderer Umstände – keine Verwirkung seines Lohnanspruches rechtfertigen.356 Die (teilweise) Verlagerung des Stornorisikos auf den Kunden, auf die das LG Offenburg357 zusätzlich verweist, beruht auf einer zulässigen, wenn auch von der bisherigen Praxis abweichenden Rechtsgestaltung und stellt deshalb keine Vertragsverletzung des Maklers dar.358 347 BGH 30.4.2003, VersR 2003 730, 731; in Anknüpfung an BGHZ 48 344, 346; BGH 18.5.1973, BGHZ 61 17, 21; BGH 26.3.1998, NJW-RR 1998 992. 348 NJW 2007 3107, 3110. 349 LG Köln 15.10.2018 – 18 O 270/16, BeckRS 2018 25728. 350 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 m.w.N. 351 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 Rn. 14. 352 BGH 5.2.1962, BGHZ 36 323, 326 f.; BGH 26.9.1984, BGHZ 92 184, 185; BGH 24.6.1981, NJW 1981 2297; BGH 18.3.1992, NJW-RR 1992 817, 818; kritisch MüKo/Roth4 § 654 Rn. 2 f. 353 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978; BGH 5.2.1962, BGHZ 36 323, 327. 354 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 Rn. 15. 355 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 Rn. 15 unter Hinweis auf BGH 20.1.2005, BGHZ 162 67 = VersR 2005 406. 356 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 Rn. 15; a.A. OLG Hamm 29.5.2000, NJW-RR 2001 567, 578 für die Vereinbarung einer sog. Verweisungsklausel; vertiefend Schulz ZMR 2002 102, 104; Fischer NZM 2001 873, 881; Schwerdtner Maklerrecht4 Rn. 733. 357 LG Offenburg 20.4.2004, VersR 2005 646, 647. 358 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 Rn. 15. 853

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Der BGH schließt eine schuldhafte Verletzung des Maklervertrages wegen fehlerhafter Beratung (mangelnde Eignung der vermittelten fondsgebundenen LV für eine gesicherte Altersversorgung) nicht aus. Dies könne zwar keine Verwirkung der Maklerprovision, wohl aber einen Schadensersatzanspruch begründen, eine Frage, die heute in Zusammenhang mit § 63 zu prüfen wäre.359

185 h) Maklerwechsel. Ein Maklerwechsel kann mit und ohne Umdeckung stattfinden. In beiden Fällen muss der Maklervertrag beendet sein, etwa durch Zeitablauf oder Kündigung. Grundsätzlich gilt, dass dem neuen Makler von nun an die Courtage gebührt, da er den VN betreut. Besonders deutlich wird dies, wenn der VN – oft auf Anraten des neuen Maklers – den VV kündigt und das Risiko bei einem anderen VR eindeckt (Umdeckung). Damit ist aus Sicht des alten Maklers die Grundlage für seinen Courtageanspruch weggefallen.360 Denkbar sind auch Fälle, in denen der VV zunächst gekündigt, dann aber nach Verhandlun186 gen mit dem neuen Versicherungsmakler zu deutlich günstigeren Konditionen fortgeführt wird.361 In einer solchen Fortführung des VV mit geänderten Konditionen liegt gegenüber der Generalagentur, die den Vertrag ursprünglich vermittelt hatte, keine Teilbeendigung des Handelsvertretervertrages im Verhältnis zum VR, denn der Generalagenturvertrag besteht weiterhin fort, sodass Ausgleichsansprüche der Generalagentur gegen den VR nach § 98b HGB nicht in Betracht kommen.362 Dieses Ergebnis entspricht der bereits bei Abschluss des Agenturvertrages vereinbarten ver187 traglichen Risikoverteilung zwischen der Generalagentur und dem VR mit Blick auf Bestandsübertragungen infolge sog. Maklereinbrüche. Wären nämlich die VV vom VN zunächst gekündigt und anschließend zu den von dem Makler mit dem VR ausgehandelten Bedingungen neu abgeschlossen worden, so hätte der Generalagent mit dem Wirksamwerden der Kündigung seinen Anspruch auf Folgeprovisionsansprüche verloren, ohne dass dies ausgleichsrechtliche Folgen gehabt hätte.363 Der Versicherungsvertreter muss die auf Initiative des VN zurückzuführende Beendigung eines VV als typisches Risiko seiner Tätigkeit grundsätzlich hinnehmen.364 Dabei betont der BGH ausdrücklich, dass ein Fall des kollusiven Zusammenwirkens zwi188 schen VR und VN zum Zwecke des „Ausschaltens des Vertreters“ eine andere Beurteilung zulässt. In einem solchen Fall wäre der neue Vertrag nichtig und der Makler könnte Schadensersatz verlangen (§ 280 BGB). Grundsätzlich muss ein Versicherungsvertreter jedoch damit rechnen, dass er einem Kunden nicht immer die marktgünstigsten Konditionen bieten könne, weil er an die Tarifgestaltung „seines“ VU gebunden sei. Nutze ein VN durch Einschaltung eines Maklers die Möglichkeiten des Marktes aus und komme es deshalb zu einer Übertragung von VV auf den Makler, so könne dies bei Fortführung des VV ausgleichsrechtlich nicht zulasten des VU gehen.365 Damit sei, so der BGH ausdrücklich, die Generalagentur aber nicht rechtlos gestellt. Zwar 189 stünden ihr keine Ausgleichsansprüche handelsrechtlicher Art zu, aber Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung des Versicherungsvertretervertrages (heute § 280 BGB) blieben möglich. In Betracht komme eine schuldhafte Verletzung der Pflicht des VR zur Rücksicht-

359 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 Rn. 16 – aus diesem Grund hat das Gericht die Sache zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beckmann/Matusche-Beckmann VersR-HB2 § 5 Rn. 414. Ein solcher Fall lag dem Urteil des BGH 27.10.1993, BGHZ 124 10 = VersR 1994 92 zugrunde. BGH 27.10.1993, BGHZ 124 10 = VersR 1994 92. BGH 27.10.1993, BGHZ 124 10 = VersR 1994 92 Rn. 14. BGH 27.10.1993, BGHZ 124 10 = VersR 1994 92 Rn. 14; Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 241; Küstner/von Manteuffel VersVerm 1991 176; Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 59 Rn. 19. 365 BGH 27.10.1993, BGHZ 124 10 = VersR 1994 92 Rn. 14.

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nahme auf schutzwürdige Interessen der Generalagentur.366 Die schutzwürdigen Interessen der Generalagentur könnten sich insbesondere aus der Bindung an die vom VR vorgegebenen Konditionen für einen zu vermittelnden VV ergeben.367 Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein VR seinen Generalvertreter, der an ihn gebunden ist, im Wettbewerb nicht schlechter behandeln darf als einen freien Makler, der die Betreuung derselben Verträge eines VN übernommen hat. Der Fall zeigt auch, dass ein neuer Makler an die Stelle des alten ohne Umdeckung treten 190 kann. In diesen Fällen wird differenziert, und zwar danach, ob die ursprünglich dem alten Makler geschuldete Courtage noch eine Gegenleistung für die Vermittlung des Vertrages war oder ob die Courtage für die laufende Betreuung gezahlt wurde. Wurde mit der Courtage die Betreuung abgegolten, so gebührt die Courtage nunmehr dem neuen Makler, da er die Betreuung übernimmt. Wurde mit der Courtage (pro rata temporis) die Vermittlungsleistung entgolten, so gebührt die Folgecourtage in den Grenzen des im Maklerrecht üblichen (§ 346 HGB) dem alten Makler.368 In der Praxis hat sich herausgebildet, dass der alte Makler die Courtage für das jeweils laufende Versicherungsjahr behält. Mit Beginn des neuen Versicherungsjahres gebührt die Courtage dem neuen Makler.369 Unabhängig davon, ob ein solcher Handelsbrauch wirklich besteht, ist eine solche Lösung sachlich überzeugend, denn es kann, worauf der BGH zutreffend hingewiesen hat, keinen Unterschied machen, ob der VN zunächst einmal seinen Vertrag mit dem VR kündigt und damit den Provisionsanspruch des alten Maklers beendet, um sodann unter Zuhilfenahme eines neuen Maklers einen inhaltsgleichen VV beim selben VR zu beginnen.370 Deshalb ist es in diesen Fällen nicht überzeugend, dass der VR die Zahlung der Betreuungscourtage verweigert und den Makler lediglich als Korrespondenzmakler führt.371 Dies ist nicht zutreffend, denn der vom VN beauftragte Makler ist nicht zur unentgeltlichen Betreuungsleistung verpflichtet.372 Eine andere Frage, die nichts mit einem Maklerwechsel zu tun hat, stellt sich, wenn ein 191 Krankenversicherer dem VN – am Makler vorbei – mitteilt, dass die laufende Beratung des VN einschließlich derjenigen über einen Tarifwechsel durch den VR kostenfrei erfolge.373 Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Korrespondenz über den Makler für den Versicherer im Einzelfall als unzumutbar darstellt.374 Die Korrespondenzpflicht mit einem vom VN eingeschalteten Vertreter kann insbesondere dann unzumutbar sein, wenn sie für den Versicherer mit einem unzumutbaren Mehraufwand verbunden ist, zum Beispiel, wenn der VN seinem Vertreter keine umfassende sondern eine begrenzte Vollmacht erteilt hat. In diesen Fällen ist es dem Versicherer (es geht um Massengeschäfte) nicht zuzumuten, Vollmachten in jedem Einzelfall darauf zu untersuchen, wie weit sie reichen und ob sie die jeweils zu führende Korrespondenz und die zu erteilende Auskunft betreffen.375 Anders als es der Leitsatz des Urteils nahelegt geht es in der Entscheidung nur um die Korrespondenzpflicht. Die laufende Beratung obliegt nach § 6 Abs. 6 ausschließlich dem Makler.376

366 Vertiefend hierzu BGH 12.12.1957, BGHZ 26 161, 164; BGH 9.11.1967, BGHZ 49 39, 44; Küstner/von Manteuffel VersVerm 1989 171 f.; Müller-Stein VersR 1990 564 m.w.N.

367 BGH 27.10.1993, BGHZ 124 10 = VersR 1994 92 Rn. 15. 368 OLG Hamm 8.12.1994, VersR 1995 658; OLG Hamm 28.4.1986, VersR 1987 155. 369 Rundschreiben des GdV vom 22.2.1988 an seine Mitglieder (M-Tgw.-Nr. 27/28) unter Berücksichtigung der Erfahrungen des Bundes deutscher Versicherungsmakler, dazu Dehner NJW 1993 3226 sowie NJW 1997 18. 370 BGH 27.10.1993, BGHZ 124 10 = VersR 1994 92 Rn. 14. 371 OLG Hamm 24.11.2004 – 35 U 17/04 (juris). 372 Deshalb kritisch Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 59 ab Rn. 21. 373 BGH 21.1.2016 – I ZR 274/14, GRUR 2016 825. 374 BGH 29.5.2013 – IV ZR 165/12, NJW 2013 2354 Rn. 14 bis 18. 375 BGH 21.1.2016 – I ZR 274/14, GRUR 2016 825 Rn. 17 m.w.N. – im vorliegenden Fall war die Vollmacht auf die Tarifumstellung nach § 204 VVG beschränkt. 376 BTDrucks. 18/11627 S. 43. 855

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5. Keine Betrauung von einem Versicherer oder von einem Versicherungsvertreter 192 Der Versicherungsmakler darf mit der Vermittlung oder dem Abschluss von VV nicht von einem VR oder einem Versicherungsvertreter betraut sein. Durch eine solche Betrauung würde er nämlich zum (gebundenen) Versicherungsvertreter nach § 59 Abs. 2 werden. Die Frage, von wem der Versicherungsvermittler betraut wird, entscheidet somit darüber, ob es sich um einen Versicherungsvertreter oder um einen Versicherungsmakler handelt. Während der Versicherungsvertreter das Interesse des Versicherers wahrzunehmen hat, steht der Versicherungsmakler im Verhältnis zum VR auf der Seite des Kunden als dessen Interessenwahrer und Sachwalter.377 Dies ändert nichts daran, dass mit Aufnahme der Vermittlertätigkeit auch ein gesetzliches (vertragsähnliches) Schuldverhältnis zwischen dem Makler und dem VR entsteht.378 Damit entsteht für den Versicherungsmakler ein Doppelrechtsverhältnis.379 Dies ist der Grund für die in vielen Ländern gleichförmig bestehende Übung des Versicherungsvertragsrechts, wonach die Provision/Courtage der Versicherungsmakler vom VR getragen wird.380 193 Bei der Frage, welchen Inhalt das Rechtsverhältnis des Maklers zum VR haben darf, hat das Leitbild des § 59 Abs. 3 im Vordergrund zu stehen. Der Makler muss vom VN mit der Vermittlung oder dem Abschluss betraut sein, er muss für ihn und in seinem Interesse als Sachwalter tätig werden. Das schließt nicht aus, dass der Makler seine Tätigkeit auf eine eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl beschränkt (§ 60 Abs. 1). Allerdings darf der Makler, der mit einer beschränkten Anzahl von VR zusammenarbeitet, nicht von diesen mit der Vermittlung betraut sein – ein solcher Betrauungsvertrag würde ihn zum Mehrfachvertreter (§ 59 Abs. 2) machen. Demgegenüber beinhalten die in der Praxis verbreiteten Courtagevereinbarungen keine Betrauung i.S.v. § 59 Abs. 2. Eine solche Vereinbarung verpflichtet den Versicherungsmakler nicht zu einer Vermittlertätigkeit für den VR. Der Makler ist völlig frei, welchem VR er einen Vertrag vermittelt. Umgekehrt verpflichtet sich der VR gegenüber dem Versicherungsmakler zur Zahlung einer Provision, wenn der Vertrag zustande kommt. Die Höhe der Courtage bestimmt sich nach den getroffenen Vereinbarungen. Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt (§ 653 Abs. 2 BGB), so ist bei dem Bestehen einer Taxe der taxmäßige Lohn, in Ermangelung einer Taxe der übliche Lohn als vereinbart anzusehen. 194 Da der Makler nach § 59 Abs. 3 Satz 1 vom VR oder einem Versicherungsvertreter gerade nicht mit der Vermittlung oder dem Abschluss von VV betraut ist, stellt sich die Frage, wie es dennoch zu einem Doppelrechtsverhältnis, also einem Rechtsverhältnis zum Kunden (Maklervertrag) und auf der anderen Seite zu einem Rechtsverhältnis zum VR kommen kann. Dabei ist zu beachten, dass das Rechtsverhältnis zum VR jedenfalls keine Betrauung für die Vermittlung oder den Abschluss von VV beinhalten darf. Wenn ein Makler – möglicherweise gegenüber seinen Kunden verdeckt – eine vertragliche Bindung zu einem oder mehreren VR eingeht, die einer Betrauung i.S.d. § 59 Abs. 2 entspricht, so wird er zum (gebundenen) Versicherungsvertreter oder zum Mehrfachvertreter – er verliert seinen Maklerstatus – er wird nach § 59 Abs. 3 zum Scheinmakler. Wann dies genau der Fall ist, lässt sich nicht generell beantworten, sondern hängt von der Gestaltung des Einzelfalles ab. Wird ein Makler über einen längeren Zeitraum nur noch für einen einzigen VR tätig, obwohl es eine Vielzahl von VR für vergleichbare Produkte am Markt gibt, so ist dies ein Indiz dafür, dass der Makler möglicherweise in die Ausschließlichkeit gewechselt ist. Das gilt aber schon dann nicht mehr, wenn der Makler zeigen kann, dass er den von ihm präferierten VR nur deshalb wählt, weil dieser die Wünsche und Bedürfnisse seiner Kunden als einziger optimal nach Preis und Leistung erfüllt. Ähnliche Indizwirkungen entstehen, wenn der Makler seine Auswahl auf eine ganz kleine Zahl immer wieder gleicher VR und 377 378 379 380

BTDrucks. 16/1935 S. 22 und 23. Prölss/Martin/Dörner § 59 Rn. 111 ff. m.w.N. OLG Frankfurt/M 12.11.1993 VersR 1995 93; BGH 30.4.2003 VersR 2003 730, 731 m.w.N. BGH 22.5.1985, BGHZ 94 358 Rn. 11 m.w.N.; BGH 20.1.2005, BGHZ 162 67 Rn. 16 = VersR 2005 406; BGH 20.1.2005, VersR 2005 404 Rn. 18. Schwintowski

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ihrer Produkte erstreckt und bei der Produktanalyse gegenüber seinen Kunden das Hinzutreten weiterer neuer VR mit neuen Produkten gar nicht oder nur unsystematisch berücksichtigt.

a) Das Rechtsverhältnis zwischen Makler und Versicherer. Steht fest, dass der Makler 195 von keinem VR und keinem Versicherungsvertreter mit der Vermittlung oder dem Abschluss von VV betraut ist, so stellt sich die Frage, welches Rechtsverhältnis ihn dann eigentlich mit dem VR verbindet, gegenüber dem er das Geschäft vermittelt. Diese Frage ist für die Entstehung des Courtageanspruchs des Versicherungsmaklers und für die Höhe der Courtage wichtig. Hat der Makler mit dem VR im Vorfeld seiner Vermittlungstätigkeit eine Courtagevereinbarung getroffen, so ist diese Grundlage des Rechtsverhältnisses zwischen VR und Makler.381 Auch eine Rahmenvereinbarung zwischen dem VR und dem Makler kann Grundlage für einen Courtageanspruch des Maklers sein. Ein solches Rahmenabkommen kann sich sowohl auf die Vermittlungstätigkeit als auch auf die Übernahme der Verwaltung und Betreuung durch den Makler beziehen. Selbst, wenn der Makler ausschließlich die Verwaltung und Betreuung bestimmter VV und Kunden übernimmt, erwächst ihm gegenüber dem VR ein Courtageanspruch.382 Eine andere Frage ist die, wie das Rechtsverhältnis zwischen VR und Makler entsteht, wenn es weder eine Courtagevereinbarung noch ein Rahmenabkommen oder möglicherweise eine Vollmacht des VR an den Versicherungsmakler zur Erteilung vorläufiger Deckungszusagen oder zur Entgegennahme von Anzeigen und Erklärungen des VN gibt.383 In einem solchen Fall, in dem der Makler an den VR herantritt und ihm die Vermittlung eines Vertrages anträgt, stellt sich zunächst einmal die Frage, ob der VR verpflichtet ist, mit dem Makler eine Courtagevereinbarung zu treffen, oder ob er berechtigt ist, das Vermittlungsbegehren des Maklers – ohne Ansehen des zukünftigen VN – einfach zurückzuweisen (mit diesem Makler wollen wir nicht zusammenarbeiten – Gründe dafür benennen wir nicht). Dieser Fall ist nicht identisch mit demjenigen, den das OLG Frankfurt am 12.11.1993 zu entscheiden hatte.384 Dort gab es zwischen VR und Makler eine Rahmenvereinbarung. Dieser Fall lässt sich auch nicht durch Rückgriff auf die §§ 93, 98, 99, 101 HGB lösen. Denn auch die Regeln über den Handelsmakler, die für den Versicherungsmakler nach § 59 Abs. 3 eingeschränkt gelten, setzen bereits ein Rechtsverhältnis zwischen VR und Makler voraus. Das gilt auch für die §§ 652, 653 BGB, die die Regeln für den Zivilmakler enthalten. Voraussetzung ist, dass jemand – ein VR – einen Maklerlohn für den Abschluss oder die Vermittlung eines Vertrages verspricht (§ 652 Abs. 1 BGB). Dafür ist eine Willenserklärung des VR gegenüber dem Makler erforderlich. Will der VR aber mit dem Makler nicht zusammenarbeiten, so fehlt es an einer solchen Willenserklärung. Diese Willenserklärung wird auch nicht entbehrlich, wenn man annimmt, dass der VV zwischen dem VR und dem VN möglicherweise als Vertrag zugunsten Dritter (des Maklers) auszulegen ist.385 Einen solchen VV gibt es in der vorliegenden Fallkonstellation nicht, deshalb kann er auch keine Drittwirkungen zugunsten des Maklers entfalten. Einen Handelsbrauch (§ 346 HGB) mit dem Inhalt, dass ein VR jeden von einem Versicherungsmakler angetragenen Antrag zumindest sachgerecht zu prüfen und nach den Tarifierungsgrundsätzen des Hauses zu bescheiden hat, gibt es nicht. Das hängt damit zusammen, dass jeder VR sein Vertriebssystem frei wählen 381 Prölss/Martin/Dörner § 59 Rn. 117. 382 OLG Frankfurt/M 12.11.1993, VersR 1995 92, zustimmend BGH mit Nichtannahmebeschluss vom 19.10.1994, VersR 1995 92. 383 Vollmachten dieser Art sind in der Praxis selten. Vgl. dazu § 28 Nr. 4 ÖMaklerG sowie ÖOGH VersR 2001 1401. 384 OLG Frankfurt vom 12.11.1993, VersR 1995 92 (mit Zustimmung des BGH im Nichtannahmebeschluss). 385 Prölss/Martin/Kollhosser VVG27 Nach § 48 Rn. 28 f. auch unter Hinweis auf OLG Hamm 8.12.1994, VersR 1995 658 und OLG Frankfurt/M 12.11.1993 VersR 1995 92, wobei nicht ganz deutlich wird, ob es um die Entstehung des Rechtsverhältnisses zwischen VR und Makler oder um die Entstehung des Courtageanspruches im Rahmen eines solchen Rechtsverhältnisses geht. 857

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und folglich entscheiden darf, ob er mit Ausschließlichkeitsvertretern, Mehrfachvertretern oder Maklern arbeitet oder sich von diesen Vertriebsformen völlig abwendet und in den Direktvertrieb übergeht. Ein VR ist hiernach in der Wahl seines Vertriebsweges frei. Hat sich der VR allerdings für den Maklervertrieb entschieden, so ist er nunmehr nach § 20 Abs. 2 GWB gehalten, Anträge auf Abschluss von VV, die ihm von einem Makler vermittelt werden, diskriminierungsfrei zu behandeln. Dies gilt jedenfalls dann, wenn für den Makler keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere VR auszuweichen, z.B. deshalb, weil der VR um den es geht, die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden in optimaler Weise erfüllen würde, während das für die anderen VR so nicht gilt. In einer solchen Situation wäre die Zurückweisung des Maklers – ohne Ansehung des Antrags und des zukünftigen VN – für den Makler diskriminierend. Er hätte Anspruch auf Abschluss einer Courtagevereinbarung jedenfalls dann, wenn der VR für die Zurückweisung des Maklers keinen sachlichen Grund hätte. So gesehen kann ein VR einen Makler, der ihm einen Antrag vermittelt, nicht ohne Benennung von Sachgründen von der Prüfung des Antrages von vornherein ausschließen. Welche Sachgründe einen VR berechtigen, einen Makler zurückzuweisen, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Grundsätzlich gilt, dass ein Makler nicht zurückgewiesen werden darf, wenn der VR anderen gleichartigen Maklern üblicherweise Zugang gewährt. Etwas anderes könnte gelten, wenn der VR mit dem Makler in der Vergangenheit bereits zusammengearbeitet und dabei außerordentlich schlechte Erfahrungen gemacht hat, etwa bei der Übermittlung von Anzeigen oder Policen an den VN oder beim Ausfüllen der Antragsfragen für den VN oder bei der Mitwirkung in der Schadensregulierung. Nicht überzeugend ist deshalb das Urteil des OLG München vom 10.6.2010.386 Der VR hatte in jenem Fall Anträge im Rahmen der bAV von verschiedenen Maklern entgegengenommen und damit einen gleichartigen Geschäftsverkehr zu mehreren Maklern im Sinne des § 20 Abs. 2 GWB eröffnet. Die Konsequenz hieraus ist, dass der VR jedem Makler diskriminierungsfreien Zugang eröffnen muss. Der Hinweis des OLG München, der Versicherer nehme zwar die Anträge an, zahle dafür aber keine Courtage, ändert nichts daran, dass er seinen vertriebsweg für Makler geöffnet hat. Der VR, der gebundenen Vertretern Provision zahlt, Maklern für vergleichbare Anträge jedoch keine Courtage zahlen will, verletzt das Diskriminierungsverbot. Aus § 354 HGB ergibt sich, dass ein Kaufmann für eine erbrachte Dienstleistung (hier: Das Vermitteln von Altersvorsorgeverträgen) vergütet werden muss. Wer eine solche Dienstleistung entgegennimmt, sie dessen ungeachtet nicht vergüten will, verstößt gegen § 354 HGB. Für diesen Verstoß gibt es keinen Sachgrund. Folglich liegt darin zugleich eine Diskriminierung nach § 20 Abs. 2 GWB.387 Hat sich der VR entschlossen, einen ihm vermittelten VV mit dem VN zu schließen, so schuldet er nunmehr im Regelfall die Zahlung der Courtage an den Makler. Durch die Annahme des Antrags ist das Doppelrechtsverhältnis zu beiden Parteien entstanden.388 Daraus folgt, dass nach § 99 HGB ein Provisionsanspruch gegen beide Parteien begründet sein könnte. Hiervon abweichend ist der VR jedoch kraft „Übung des Versicherungsvertragsrechts“389 Schuldner der Provision. Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die Provision vom VN mit der Prämie aufgebracht wird.390 Etwas anderes gilt dann, wenn mit dem VN eine Nettopolice vereinbart wurde – in einem solchen Fall tritt an die Stelle der „Übung des Versicherungsvertragsrechts“ die individuelle Vereinbarung zwischen VN und Makler. Der Makler vermittelt die Nettopolice an den VR – dieser ist zur Entgegennahme des Antrags nach den Grundsätzen des § 20 Abs. 2 GWB verpflichtet. Die Provision allerdings schuldet nicht der VR, sondern der VN dem Makler. 386 U (K) 5651/09, VuR 2010 432 m. Anm. Schwintowski. 387 Vertiefend Schwintowski ZfV 2010 581 ff. 388 OLG Frankfurt/M 12.11.1993, VersR 1995 92 unter Zustimmung des BGH im Nichtannahmebeschluss vom 19.10.1994, VersR 1995 92. 389 BGH 22.5.1985, BGHZ 94 356 = VersR 1985 930; OLG Frankfurt/M 12.11.1993, VersR 1995 92 sowie BGH im Nichtannahmebeschluss vom 19.10.1994, VersR 1995 92. 390 OLG Frankfurt/M 12.11.1993, VersR 1995 92; zustimmend BGH 19.10.1994, VersR 1995 92. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 59

Eine bisher offene und wenig diskutierte Frage ist diejenige, ob ein Makler, der bisher ge- 204 genüber einem VR „Bruttopolicen“ vermittelt hat, berechtigt ist, stattdessen „Nettopolicen“ anzudienen. Der Sachgrund für die Zurückweisung eines solchen Antrags würde – aus Sicht des VR – im Wechsel des Provisionsmodells liegen (Nettopolice statt Bruttopolice). Ob dieser Sachgrund für den VR hinreichend ist, erscheint fraglich, denn der VR hat keine Nachteile dadurch, dass nicht er, sondern der VN direkt die Provision an den Makler zahlt. Hinzu kommt, dass die in Bruttopolicen liegende Preisbindung wohl gegen Art. 4 lit. a VO 2790/99 verstößt.391

b) Versicherer lehnt Antrag ab. Eine hiervon zu trennende Frage ist diejenige, ob der VR 205 berechtigt ist, einen ihm über einen Makler vermittelten Antrag zurückzuweisen. Die Zurückweisung des Antrags wirkt sich zunächst einmal im Verhältnis zum VN aus und nur mittelbar auch im Verhältnis zum Makler. Er erhält mangels Abschlusses keine Courtage. Man könnte deshalb die Frage stellen, ob der Makler die Annahmegrundsätze des VR überprüfen und im Einzelfall von diesem den Abschluss des VV verlangen kann. Im Ergebnis ist diese Frage zu verneinen. Grundsätzlich hat der VR Vertrags- und Abschlussfreiheit. Er kann die Annahme eines Antrags – auch ohne Begründung – ablehnen. Allerdings hat der VR die Grenzen zwingenden Rechts zu beachten. Er darf einen Antrag nicht 206 aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zurückweisen (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Seit der Entscheidung des EuGH vom 1.3.2011392 ist es Versicherern – mit Wirkung vom 21.12.2012 – untersagt geschlechtsspezifische Tarifierungen vorzunehmen, auch dann, wenn Frauen, wie etwa in der KfZ-Versicherung, dadurch deutlich höhere Prämien zahlen müssen. Verstößt der VR gegen diese Grundsätze, so kann der Benachteiligte (der zukünftige VN) unbeschadet weiterer Ansprüche die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen (§ 21 Abs. 1 AGG). Ein vergleichbares Recht hat der Makler nicht. Er ist allerdings verpflichtet, den zukünftigen VN im Rahmen seiner Sachwalterposition auf den Anspruch nach §§ 19, 21 AGG hinzuweisen. Er ist außerdem – aus dem Rechtsverhältnis zum VR – verpflichtet, diesen darauf hinzuweisen, dass nach seiner – des Maklers – Auffassung eine Verletzung des § 19 AGG gegeben ist, sodass er – der Makler – den Kunden auf die Ansprüche nach § 21 Abs. 1 AGG hinweisen muss. Auf diese Weise kann der Makler dazu beitragen, dass der VR seine Entscheidung noch einmal überdenkt, bevor er den Antrag gegenüber dem Kunden endgültig ablehnt. Lehnt der VR den Antrag unter Verletzung von § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG ab und verzichtet der 207 Kunde daraufhin ganz auf die Vermittlung eines VV – auch gegenüber einem anderen VR – so kann der Makler den ihm entstandenen Schaden (Courtageausfall) vom VR wegen Verletzung des der Vermittlung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses (§ 280 Abs. 1 BGB) ersetzt verlangen. Es bedarf wegen des Bestehens des Rechtsverhältnisses zwischen Makler und VR nicht des Rückgriffs auf § 311 Abs. 3 BGB.

c) Kausalität. Der VV muss durch die Vermittlung des Versicherungsmaklers zustande gekom- 208 men sein (§ 652 Abs. 1 BGB). Dabei reicht Mitursächlichkeit der Vermittlerbemühung aus.393 Sind mehrere Versicherungsmakler gleichzeitig eingeschaltet gewesen, so müssen sie sich die Courtage teilen.394 Entscheidend ist, ob der VV auf die Vermittlungstätigkeit des Maklers zurückzuführen ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn VR den Antrag mit gewissen Änderungen annimmt und der VN dies akzeptiert.395 Schließt der VN letztlich mit einem anderen VR ab, so gebührt 391 392 393 394 395 859

Schwintowski ZfV 2014 667. EuGH 1.3.2011 – Rs. C-236/09; Anm. Schwintowski VuR 2011 190. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 78. Knütel ZHR 144 289, 309. Bruck/Möller/Möller VVG8 Vor §§ 43 bis 48 Anm. 79 m.w.N. Schwintowski

§ 59 VVG

Begriffsbestimmungen

dem Makler keine Courtage. Verhindert in diesem Fall der VN den Abschluss des Vertrags gegenüber dem Makler wider Treu und Glauben (§ 162 Abs. 1 BGB), so macht sich VN gegenüber dem Makler wegen Verletzung des Maklervertrages (§ 280 Abs. 1 BGB) schadensersatzpflichtig.

209 d) Der Gläubiger der Courtage. Eine sehr grundsätzliche Frage hat Bundesrichter Nobbe (Vorsitzender des XI. Senats beim BGH) aufgeworfen.396 Nobbe schildert die ständige Rechtsprechung des BGH zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Er verweist darauf, dass der Zahlung des Kunden eine Gegenleistung des Vertragspartners (Bank-/Versicherungs-/ Bausparkasse) gegenüberstehen müsse. Wenn – so Nobbe – eine Bausparkasse beispielsweise Kosten für den Abschluss des Vertrages berechnet, obwohl nicht sie, sondern ein Vermittler den Vertrag vermittelt habe, dann habe sie, die Bausparkasse, keinen Anspruch auf Erhebung der Abschlusskosten beim Kunden. Diesen Anspruch hätte allenfalls der Vermittler. Wenn die Bausparkasse trotzdem die Abschlusskosten erhebe, so sei dies AGB-rechtswidrig und folglich nichtig. 210 Auf Nachfrage hat Nobbe bestätigt, dass er diese Auffassung auch im Bereich des Versicherungsrechtes für zutreffend und zielführend halte. Dies würde bedeuten, dass das in der Versicherungspraxis durchgesetzte Bruttopolicenmodell nicht mehr zulässig wäre. Bei diesem Modell zahlt der VN die Brutto-Prämie. In dieser Prämie ist die (Makler-)Provision enthalten, wird aber (abgesehen von der LV, § 2 VVG-InfoV) nicht getrennt ausgewiesen und auch nicht vom Makler erhoben. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der VR, der keine Vermittlungsleistung erbracht hat, eine Provision, die in die Prämie eingerechnet ist, erhebt. Argumentiert man wie Bundesrichter Nobbe, so ist dies unzulässig, weil der VR keine Vermittlungsleistung erbracht hat. Die Vermittlungsprovision dürfte vom Vermittler erhoben werden – er dürfte seinen Provisionsanspruch zur Einziehung auch an den VR abtreten. Allerdings würde dies dazu führen, dass die Versicherungsvermittler ganz prinzipiell Nettopolicen anbieten und die ihnen zustehende Provision ergänzend dazu mit dem Kunden vereinbaren müssten. 211 Ob sich diese Auffassung letztlich durchsetzt, muss sich erst noch in der Praxis und der Rechtsprechung erweisen. Die Auffassung ist allerdings in sich konsistent begründet – sie knüpft an die Leistungen an, die gegenüber dem Kunden erbracht werden. Zugleich korrespondiert diese Auffassung mit dem Leitbild des Maklers vom Interessenwahrer und Sachwalter für den VN. Mit diesem Leitbild ist eine Provisionsvereinbarung zwischen VN und Makler sehr viel besser zu vereinbaren als zwischen Makler und VR. Zwar bleibt der Makler auch innerhalb einer Courtagevereinbarung frei, an welchen VR er Anträge vermittelt. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Makler, der von einem VR sehr viel höhere Provisionen erwarten darf, dessen Produkte bevorzugt und gegenüber dem Kunden stärker empfiehlt, wobei dies durchaus unbewusst geschehen kann.

212 e) Gewerberechtliche Auswirkungen auf den Maklerstatus. Seit dem 22. Mai 2007 müssen Makler eine Berufshaftpflichtversicherung nachweisen (§ 34d Abs. 5 Nr. 3 GewO) VU dürfen mit Versicherungsvermittlern, die keine Berufshaftpflichtversicherung nachweisen, nicht zusammenarbeiten (§ 48 VAG). Ein VR, der trotzdem mit einem Vermittler ohne Haftpflichtversicherung zusammenarbeitet, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße geahndet wird (§ 332 Abs. 3 Nr. 3 VAG). Die BaFin achtet auf die Einhaltung dieser Regeln, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäftes gelten. Sie kann nach § 298 Abs. 1 VAG „gegenüber Unternehmen, den Mitgliedern ihres Vorstandes sowie sonstigen Geschäftsleitern oder den die Unternehmen kontrollierenden Personen alle Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um Missstände zu vermeiden oder zu beseitigen“. Die Skala der möglichen Anordnungen reicht vom informellen Verwaltungshandeln bis zum begründeten und mit Rechtsmitteln versehenen 396 Nobbe WM 2008 163. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 59

Verwaltungsakt, der förmlich zugestellt wird und mit Zwangsmitteln durchsetzbar ist (§ 17 FinDAG).

6. Scheinmakler Wer gegenüber dem VN den Anschein erweckt, er erbringe seine Leistungen als Versicherungsmakler „gilt als Versicherungsmakler“ (Pseudomakler: § 59 Abs. 3 Satz 2). Für den Kunden kann sich hieraus ein Schadensersatzanspruch nach § 63 ergeben.397 Fälle, in denen sich Versicherungsvermittler, die nicht Makler sind, als Makler gerieren, sind in der Praxis nicht selten.398 Im Interesse eines wirksamen Kundenschutzes erscheint es daher erforderlich, vorsorglich eine Regelung zu treffen, durch die ein solcher Vermittler dem Kunden gegenüber wie ein Makler haftet.399 Insbesondere soll er dafür geradestehen, dass er seine Beratung nicht auf eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen VV gestützt hat, obgleich er diesen Anschein beim Kunden geweckt hat.400 Unberührt bleibt eine etwaige Haftung des VR für seinen Vertreter; sie kommt auch nach einer Beendigung des Vermittlervertrages nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung (§ 171 BGB) in Betracht.401 Gemeint sind Vermittler, die sich als Makler gerieren, obwohl sie nicht Makler sind, die also über die gewerberechtliche Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO nicht verfügen. Ein Vermittler erweckt gegenüber dem VN den Anschein er sei ein Versicherungsmakler, wenn er in der Statusinformation, die er nach § 15 VersVermV schuldet, behauptet, über eine Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO zu verfügen. Er erweckt diesen Anschein aber auch dann, wenn er die Statusinformation dem VN nicht aushändigt, dabei aber zu erkennen gibt, er wolle als unabhängiger Sachwalter und Interessenwahrer für den VN aus dem vielfältigen Angebot der VR das für ihn günstigste und passendste heraussuchen.402 Entscheidend ist, nach dem Wortlaut des § 59 Abs. 3 Satz 2, dass der Vermittler „den Anschein gegenüber dem VN erweckt“, er erbringe seine Leistungen als Versicherungsmakler. Die Norm setzt nicht voraus, dass der Kunde dem Anschein glaubt, also tatsächlich der Auffassung ist, der Vermittler sei Makler. Es genügt nach dem Wortlaut des Gesetzes, dass der Vermittler den objektiven Anschein, er sei Makler, erweckt – Gutgläubigkeit beim Kunden wird nicht vorausgesetzt. Daran ändert auch der Hinweis in der gesetzlichen Begründung nichts, wonach § 59 Abs. 3 Satz 2 einem „wirksamen Kundenschutz“ dienen soll.403 Ein wirksamer Kundenschutz wird insbesondere durch eine objektive Anknüpfung, die allein darauf abstellt, ob der Vermittler den Anschein erweckt, Versicherungsmakler zu sein, gewährleistet. Würde man demgegenüber die Frage stellen, ob der Kunde wusste oder hätte wissen müssen, dass der Makler in Wirklichkeit kein Makler ist, so würde dies zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit und damit einer Beeinträchtigung des Kundenschutzes führen. Man würde beispielsweise die Frage stellen, ob ein Kunde den Statusinformationen des Vermittlers trauen oder zunächst einmal bei der IHK anfragen muss, ob die gewerberechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Genau das wollte der Gesetzgeber durch die Formulierung von § 59 Abs. 3 Satz 2 vermeiden.404 Die Frage, ob der zwischen dem Scheinmakler und dem Kunden geschlossene „Maklervertrag“ wirksam ist, muss differenziert beantwortet werden. Nach dem Wortlaut von § 59 Abs. 3 397 398 399 400 401 402 403 404 861

BTDrucks. 16/1935 S. 23. BTDrucks. 16/1935 S. 23; OLG Oldenburg 13.1.1999 – 2 U 246/98, VersR 1999 757. BTDrucks. 16/1935 S. 23. BTDrucks. 16/1935 S. 23. BTDrucks. 16/1935 S. 23. OLG Dresden 9.4.2019 – 4 U 441/19 Rn. 9; OLG Hamm 8.10.2009 – 18 U 26/08 (juris). BTDrucks. 16/1935 S. 23. Schwankend Beckmann/Matusche-Beckmann VersR-HB2 § 5 Rn. 224. Schwintowski

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Begriffsbestimmungen

Satz 2 gilt der Vermittler als Versicherungsmakler, ohne es zu sein. Dieser Wortlaut spricht zunächst einmal dafür, dass ein Vermittler, der nicht Makler ist, sich gegenüber dem Kunden darauf nicht berufen kann. Er gilt ihm gegenüber als Makler – ihn treffen also insbesondere die Schadensersatzpflichten nach § 63. Allerdings darf die in § 59 Abs. 3 Satz 2 formulierte Fiktion nicht den Sinn der Norm, also den mit ihr bezweckten Kundenschutz aushebeln. Andernfalls würde nämlich ein Scheinmakler einen rechtlich wirksamen Maklervertrag mit dem Kunden schließen können und ihn auf der Grundlage dieses Maklervertrages nunmehr dauerhaft (möglicherweise viele Jahre lang) als Makler betreuen dürfen. Eine solche Wirkung soll § 59 Abs. 3 Satz 2 nicht haben – die Norm erschöpft sich darin, dem Kunden den Schutz zu gewähren, den er benötigt, weil er mit einem Scheinmakler kontrahiert. Die Norm will dem Kunden aber nicht die Möglichkeit abschneiden, das angebliche Maklerverhältnis so schnell wie möglich zu beenden und möglicherweise auch den VV, der durch den Scheinmakler vermittelt wurde, rückabzuwickeln, wenn sich dies für den Kunden als sachgerecht erweist. Dies bedeutet, dass § 59 Abs. 3 Satz 2 seinem Sinn und Zweck entsprechend als Kundenschutznorm auszulegen ist. Dies bedeutet, dass der Kunde ein Wahlrecht darüber hat, ob er sich auf die Fiktion des § 59 Abs. 3 Satz 2 berufen will oder nicht. 218 Dogmatisch zeigt dies, dass § 59 Abs. 3 Satz 2 zwar ein Schutzgesetz zugunsten des Kunden ist, das – anders als § 134 BGB – allerdings nicht die Nichtigkeit des angeblichen Maklervertrages, sondern das Wahlrecht des Kunden auslöst. Insoweit ist § 59 Abs. 3 Satz 2 zugleich lex specialis gegenüber § 134 BGB. Dies widerspricht nicht der Rechtsprechung des BGH zur Wirksamkeit eines Immobilienmaklervertrages.405 Der BGH hat entschieden, dass § 34c Abs. 1 Nr. 1a GewO kein ausdrückliches gesetzliches Verbot enthalte. Es ging nicht um den neuen § 34d Abs. 1 GewO und es ging auch nicht um § 59 Abs. 3 Satz 2. Die Entscheidung, die ohnehin nicht den Versicherungsmakler, sondern den Immobilienmakler betraf, ist für § 59 Abs. 3 Satz 2 insofern von Relevanz, als sich aus ihr ergibt, dass ein Maklervertrag durch einen Scheinmakler zivilrechtlich wirksam geschlossen werden kann. Eine darüber hinausweisende Wirkung entfaltet diese Entscheidung aber jedenfalls für § 59 Abs. 3 Satz 2 nicht, auch deshalb nicht, weil der Scheinmakler in jenem Fall die Kaufgelegenheit für ein Haus nachgewiesen hatte und der Käufer dieses Haus auch behalten wollte – nur die Zahlung der Provision war streitig. Es handelt sich also um den Fall, in dem sich ein VN entscheidet, von der Fiktion des § 59 Abs. 3 Satz 2 Gebrauch zu machen, wozu er selbstverständlich berechtigt ist. Die Frage, ob unter bestimmten Fallgestaltungen ein Kunde auch das Recht hat, eine zu seinen Gunsten geschaffene Fiktion abzuwählen, hatte der BGH am 23.10.1980 nicht zu entscheiden – insoweit entfaltet dieses Urteil keinerlei Bindungswirkung für § 59 Abs. 3 Satz 2. 219 Entscheidet sich der VN, den VV uneingeschränkt fortzuführen, so macht er insoweit zugleich von der Fiktion des § 59 Abs. 3 Satz 2 Gebrauch – der Maklervertrag gilt als geschlossen. Die Berufung auf das Wahlrecht wegen Verletzung der Statusangaben wäre widersprüchlich und wegen venire contra factum proprium unwirksam. Der Kunde könnte sich allerdings auch für die Fortführung des VV unter anderer Betreuung, etwa der Betreuung durch einen gewerberechtlich ordnungsgemäß zugelassenen Versicherungsmakler oder für die Betreuung durch den VR entscheiden. Dann würde dem Scheinmakler zwar die Abschlussprovision, nicht aber das Betreuungsentgelt zufließen. Der Kunde könnte sich aber auch – z.B. wegen fehlerhafter Beratung – vom Maklervertrag lösen. Da dieser die Geschäftsgrundlage für den später zustande gekommenen VV bildet, wäre dieser nunmehr nach § 313 BGB anzupassen. Eine Maklercourtage dürfte bezogen auf den neuen VV auch aus der Perspektive des § 812 BGB ausscheiden, weil dieser Vertrag erst durch eine Anpassung nach § 313 BGB inhaltlich zustande kam, also nicht auf die Vermittlungstätigkeit des Scheinmaklers zurückzuführen ist.

405 BGH 23.10.1980, NJW 1981 387. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

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VI. Der Versicherungsberater (§ 59 Abs. 4) 1. Das gesetzliche Leitbild Versicherungsberater ist, wer gewerbsmäßig Dritte über Versicherungen beraten will, ohne von einem VU einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten oder von ihm in anderer Weise abhängig zu sein (§ 59 Abs. 4, § 34d Abs. 2 GewO). Mit Wirkung ab 23.2.2018 gelten die §§ 1a, 6a, 7a, 7b und 7c für den Versicherungsberater – genauso wie für jeden anderen Vermittler – entsprechend. Eine vor dem 23.2.1018 erteilte Erlaubnis als Versicherungsberater nach § 34 e Abs. 1 GewO a.F. gilt als Erlaubnis nach § 34 d Abs. 2 Satz 1 GewO weiter (§ 156 Abs. 1 GewO). Der Versicherungsberater bedarf der Erlaubnis der zuständigen IHK (§ 34 d Abs. 2) (wirksam seit 23.2.2018). Er darf die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernehmen (§ 34 d Abs. 2 Nr. 3 GewO). Das war bis zum 23.2.2018 anders. Der Versicherungsberater darf sich seine Tätigkeit nur durch den Auftraggeber vergüten lassen (§ 34 d Abs. 2 Satz 3 GewO). Zuwendungen eines Versicherungsunternehmens im Zusammenhang mit der Beratung, insbesondere aufgrund einer Vermittlung als Folge der Beratung, darf er nicht annehmen (§ 34 d Abs. 2 Satz 4 GewO). Für die Übergangszeit gilt § 156 Abs. 3 GewO. Sind mehrere Versicherungen für den VN in gleicher Weise geeignet, hat der Versicherungsberater dem VN vorrangig die Versicherung anzubieten, die ohne das Angebot einer Zuwendung des Versicherungsunternehmens erhältlich ist (§ 34 d Abs. 2 S. 5 GewO: gemeint sind Netto-Policen). Wenn der Versicherungsberater dem VN eine Versicherung vermittelt, deren Vertragsbestandteil auch Zuwendungen zugunsten desjenigen enthält, der die Versicherung vermittelt (Bruttopolicen) hat er unverzüglich die Auskehrung der Zuwendungen durch das Versicherungsunternehmen an den VN nach § 48c Abs. 1 VAG zu veranlassen (§ 34 d Abs. 2 Satz 6 GewO). Versicherungsvermittler nach § 34 d Abs. 1 GewO dürfen kein Gewerbe als Versicherungsberater und umgekehrt ausüben (§ 34 d Abs. 3 GewO). Da die Tätigkeit der Versicherungsberater nach – zutreffender – Auffassung der EG-Kommission der VRL unterfällt,406 lag es nahe, die Grundstrukturen der Tätigkeit des Versicherungsberaters im Vermittlerrecht zu regeln, „zumal die frühere Regelung im Rechtsberatungsgesetz (Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RBerG) mit ihren kaum konkretisierten Vorgaben Zweifel an einer verfassungsrechtlich dem Art. 12 GG genügenden Regelung aufkommen ließen.“407 Es war daher, so Schönleiter, konsequent, die Versicherungsberater als Gewerbetreibende (da nicht obligatorisch akademisch vorgebildet) neben den Vermittlern in der GewO zu regeln. Der Versicherungsberater, der seit 1989 in Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RBerG geregelt war, ist in das am 1.7.2008 in Kraft getretene Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG)408 nicht übernommen worden, sondern stattdessen in § 34e GewO a.F. i.V.m. § 59 Abs. 4 geregelt worden (heute § 34 d Abs. 2 GewO). Bei den gesetzgeberischen Beratungen wurde darauf hingewiesen, dass einer unabhängigen Beratung im Versicherungswesen eine verbraucherpolitische Schlüsselstellung zukomme; deshalb sei der Erhalt des Berufs notwendig.409 Auf diese Weise habe der Gesetzgeber den vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen dauerhaften Erhalt des Berufs des Versicherungsberaters sichergestellt.410 Zugleich wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich bei der Versicherungsberatung um eine Tätigkeit handelt, bei der die anwaltliche Versorgung die Nachfrage der

406 Schönleiter GewArch 2007 265 (III 1 e); das BMWi hatte bei der Europäischen Kommission angefragt und die Auskunft erhalten, die Vermittlerrichtlinie sei auch auf Versicherungsberater anwendbar: Reiff VersicherungsvermittlerR 125 f. 407 Schönleiter GewArch 2007 265 (III 1 e). 408 BGBl. I 2840 ff. 409 BRDrucks. 623/06 S. 82. 410 BVerfG 5.5.1987, NJW 1988 543. 863

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Begriffsbestimmungen

Rechtssuchenden nicht ohne weiteres deckt, weil bei der Beratung neben juristischen Kompetenzen weitere (versicherungstechnische) Kenntnisse vonnöten seien.411 224 Die Regulierung der Tätigkeit des Versicherungsberaters in der Gewerbeordnung soll dazu führen, alle beim Abschluss eines VV potenziell beteiligten Berufe – vom Versicherungsvertreter über den Versicherungsmakler bis hin zum Versicherungsberater – in einem zusammenhängenden Normenkomplex zu regeln.412 Deshalb konnte darauf verzichtet werden, zahlreiche Berufsausübungsregeln, die nach der Vermittlerrichtlinie auch für den Versicherungsberater vorgesehen sind, im RDG zu regeln.413 Die Ausgliederung aus dem Rechtsberatungsgesetz, das auf eine „freiberufliche Tätigkeit“ hindeutete, in die Gewerbeordnung wurde von den Versicherungsberatern – primär aus berufsständischen Überlegungen – nicht akzeptiert und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen.414 Die Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 8. Mai 2007 zurückgewiesen.415 225 Die Berufsbezeichnung und die das Berufsbild des Versicherungsberaters prägende Unabhängigkeit von der Versicherungswirtschaft schlägt sich vor allem in dem unbedingten Provisionsannahmeverbot nieder.416 Durch die Trennung der Vorschriften über die Versicherungsberatung von den Vorschriften über Versicherungsvertreter und -makler wird sichergestellt, dass der Beruf des Versicherungsberaters auch weiterhin ein mit dem Rechtsanwaltsberuf vereinbarer Beruf ist.417 Der Tätigkeitsbereich des Versicherungsberaters ergibt sich seit 23.2.2018 nicht mehr vollständig aus § 59 Abs. 4 GewO, sondern wird durch § 34 d Abs. 2 GewO ergänzt. Vor allem darf der Versicherungsberater auch die Vermittlung und den Abschluss von Versicherungsverträgen übernehmen – er ist aber verpflichtet Zuwendungen an den Kunden weiterzuleiten (§ 48 c VAG).418

2. Die gewerberechtlichen Voraussetzungen 226 Der Versicherungsberater bedarf nach § 34d Abs. 2 GewO der Erlaubnis der zuständigen IHK. Die Erlaubnis kann inhaltlich beschränkt und mit Auflagen verbunden werden, soweit dies zum Schutze der Allgemeinheit oder der VN erforderlich ist. Unter denselben Voraussetzungen ist auch die nachträgliche Aufnahme, Änderung und Ergänzung von Auflagen zulässig (§ 34 d Abs. 4 GewO). Die Erlaubnis beinhaltet die Befugnis, Dritte bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von VV oder bei der Wahrnehmung von Ansprüchen aus dem VV im Versicherungsfall rechtlich zu beraten und gegenüber dem VU außergerichtlich zu vertreten. Dieser Wortlaut ist in § 59 Abs. 4 übernommen worden. Außerdem darf der Versicherungsberater für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernehmen (§ 34 d Abs. 2 Nr. 3 GewO). Er darf sich seine Tätigkeit nur durch den Auftraggeber vergüten lassen. Zuwendungen des VU, insbesondere aufgrund einer Vermittlung, darf er nicht annehmen (§ 34 d Abs. 2 Satz 4/5 GewO). Versicherungsberater unterlagen vor dem Inkrafttreten des RDG dem Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren – dies hat sich durch § 4 Abs. 2 Satz 2 RDG nicht geändert.419 Dies gilt auch mit Blick auf Einsparmöglichkeiten bei der Privaten Krankenversicherung (Tarifoptimierung nach § 204 VVG).420 Tarifoptimierungen nach § 204 VVG und 411 412 413 414 415 416 417 418 419 420

Ring WM 2007 281, 285. BTDrucks. 16/3655 S. 41. BTDrucks. 16/3655 S. 41. Schönleiter GewArch 2007 265 (III 1 e). BVerfG 8.5.2007, GewArch 2007 285. BTDrucks. 16/1935 S. 21. BTDrucks. 16/1935 S. 21. BTDrucks. 18/11627 S. 35. BGH 6.6.2019 – I ZR 67/18 ab Rn. 42; BTDrucks. 16/3655 S. 80. BGH 6.6.2019 – I ZR 67/18 ab Rn. 56.

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damit verbundene Erfolgshonorare begründen einen Maklervertrag, den ein Versicherungsberater im Zusammenhang mit einem Tarifwechsel in der privaten Krankenversicherung nicht abschließen darf.421 Der BGH betont aus der Perspektive des Art. 12 Abs. 1 GG, dass § 4 Abs. 1 RDG dem Zweck diene, Rentenberatern und registrierten Erlaubnisinhabern (dazu gehören die Versicherungsberater) ebenso zu behandeln wie Rechtsanwälte. Dies rechtfertige es, diesen Personenkreis, wie Rechtsanwälte, dem Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars unterwerfen.422 Ebenso wie bei Rechtsanwälten gefährde ein an der Höhe der Einsparung von Versicherungsprämien orientiertes Erfolgshonorar die Unabhängigkeit des Versicherungsberaters. Es führe dazu, dass die Interessen von Versicherungsberater und Kunde, zumindest im Hinblick auf eine möglichst hohe Prämienersparnis, gleichliefen. Dieser Interessengleichlauf könne den Versicherungsberater verleiten, seinen Kunden im eigenen wirtschaftlichen Interesse so zu beraten, dass dieser möglichst weitgehend auf Versicherungsschutz verzichte, auch wenn dies bei objektiver Betrachtung den Interessen des Kunden zuwiderlaufe.423 Sehr überzeugend ist diese Argumentation nicht, denn das pricipal-agent-Problem besteht bei Interessengleichlauf gerade nicht. Für etwaige Beratungsfehler, die trotzdem vorkommen können, haftet der Versicherungsberater nach § 63 VVG. So gesehen, gibt es keinen erkennbaren Sachgrund dem Versicherungsberater die Vereinbarung eines Erfolgshonorars zu verweigern. Dies stellt gegenüber dem Versicherungsmakler eine Wettbewerbsbeschränkung ohne sachliche Notwendigkeit dar. Während der Versicherungsmakler seine Honorierung vom Erfolg seiner Bemühungen abhängig machen darf, ist dies dem Versicherungsberater verwehrt – er muss folglich ohne Wenn und Aber ein der Höhe nach vereinbartes Honorar vom Kunden verlangen. Die Folge ist, dass der Kunde vom Versicherungsberater zum Versicherungsmakler wechseln wird, bei dem eine gleiche Anreizsituation vorliegt wie beim Versicherungsberater. Dies bedeutet die Ungleichbehandlung von Versicherungsberatern einerseits und Versicherungsmaklern andererseits verstößt auch gegen Art. 3 GG und verletzt das europäische Gebot eines freien, unverfälschten effektiven Wettbewerbs (Art. 119, 120 AEUV). Das Tätigkeitsfeld eines Versicherungsberaters überschneidet sich mit demjenigen eines 227 Versicherungsvertreters und (besonders stark) dem eines Versicherungsmaklers. Nach § 5 RDG sind auch Versicherungsvertretern und -maklern Rechtsdienstleistungen erlaubt, wenn sie eine zum Berufsbild gehörige Nebenleistung darstellen. Darüber hinaus wird Versicherungsmaklern in § 34d Abs. 1 Satz 8 GewO ausdrücklich die rechtliche Beratung gegenüber Dritten, die nicht Verbraucher sind, gegen gesondertes Entgelt gestattet. Damit hat der Versicherungsberater unter der Geltung des RDG „keinen Alleinstellungsanspruch mehr für die rechtliche Beratung im Zusammenhang mit VV.“424 Nach § 34d Abs. 5 GewO gelten die für Versicherungsvermittler eingeführten Erlaubnisvo- 228 raussetzungen entsprechend für Versicherungsberater, d.h. Zuverlässigkeit, geordnete Vermögensverhältnisse, Berufshaftpflichtversicherung und Sachkundenachweis müssen auch vom Versicherungsberater erbracht werden.425 Ferner gelten die für Versicherungsvermittler in § 34d Abs. 7, 9, 10 GewO entsprechend, insbesondere die Pflicht zur Registrierung und die statusbezogenen Informationen.426 Dabei stellen die gesetzlichen Anforderungen an die Sachkunde gerade im Bereich der Versicherungsberatung nur einen absoluten Mindeststandard dar, den alle Personen, die als Versicherungsberater tätig werden wollen, erfüllen müssen.427 Unabhängige Versicherungsberater – so heißt es in der Gesetzesbegründung – werden in aller Regel über eine berufliche Qualifikation verfügen, die weit über den gesetzlichen Mindestanforderun421 422 423 424 425 426 427 865

BGH 6.6.2019 – I ZR 67/18 Rn. 58 unter Hinweis auf andere Auffassungen von OLG`n auch in Rn. 65. BGH a.a.O. Rn. 70. BGH a.a.O. Rn. 71. Kilian/Sabel/vom Stein § 2 Rn. 181; Lensing ZfV 2009 16, 20 ff. BTDrucks. 16/1935 S. 21. BTDrucks. 16/1935 S. 21. BTDrucks. 16/1935 S. 21. Schwintowski

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Begriffsbestimmungen

gen liegt. Eine abweichende gesetzliche Festlegung der Berufsqualifikation bei Versicherungsberatern sei deshalb nicht erforderlich, zumal auch nach geltendem Recht keine festen gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Berufsqualifikation der Versicherungsberater bestehen. Die gesetzliche Regelung einer Mindestqualifikation stehe dem Erwerb höherer Qualifikationen und auch einer freiwilligen Selbstbindung der Berufsangehörigen nicht entgegen.428 Nachteile für die Rechtssuchenden seien im Bereich der Versicherungsberatung auch aus diesem Grunde nicht zu befürchten, zumal die Versicherungsberater, die anders als die Vermittler wegen des für sie bestehenden Provisionsannahmeverbots darauf angewiesen seien, von ihren Kunden eine Vergütung für ihre Dienstleistung zu erhalten, am Markt nur aufgrund nachgewiesener hoher Qualifikationen bestehen und sich gegen die Konkurrenz der Vermittler durchsetzen könnten.429 Reiff kritisiert dieses gesetzgeberische Konzept.430 Nach seiner Auffassung müssten Versi229 cherungsberater höhere Sachkundeanforderungen erfüllen als Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler. Aus der VRL ergibt sich dies allerdings nicht. Aus diesem Grund ist auch der zweite Vorwurf, den Reiff erhebt, wonach das deutsche Recht die Auswirkungen der europäischen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nicht hinreichend berücksichtigt, nicht wirklich überzeugend.431 Richtig ist, dass mit der Vermittlerrichtlinie der Europäische Pass auch für die Versicherungsvermittler eingeführt wurde – ein in Frankreich, den Niederlanden oder Dänemark zugelassener Versicherungsvermittler bedarf folglich in Deutschland keiner Erlaubnis (§ 34d Abs. 7 GewO). Allerdings muss sich die Erlaubnis im Nachbarland auf eine Tätigkeit beziehen, die derjenigen des deutschen Versicherungsberaters vergleichbar ist. Ein Vermittler, der im Nachbarland als Versicherungsmakler zugelassen ist (so das Beispiel von Reiff), kann folglich nicht als Versicherungsberater in Deutschland auftreten. Dies würde voraussetzen, dass er im Nachbarland die Erlaubnis zur Beratung in Versicherungssachen hätte, ohne von einem VR einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten oder in anderer Weise von ihm abhängig zu sein. 230 In § 34d Abs. 2 GewO heißt es, dass Versicherungsberater Zuwendungen eines VU im Zusammenhang mit der Beratung, insbesondere aufgrund einer Vermittlung als Folge der Beratung, nicht annehmen dürfen. Mit diesem Provisionsannahmeverbot ist der entscheidende Unterschied zum Versicherungsvermittler formuliert.432 Damit sich der Kunde auf die Neutralität des Versicherungsberaters verlassen kann, schreibt § 34 d Abs. 2 Satz 6 vor, dass der Versicherungsberater die Auskehrung von Zuwendungen durch das Versicherungsunternehmen bei einer Bruttopolice an den VN nach § 48 c Abs. 1 VAG zu veranlassen hat.

3. Die materiellen Anforderungen des VVG (§ 59 Abs. 4) 231 a) Gewerbsmäßige Beratung. Der Versicherungsberater muss gewerbsmäßig tätig sein. Der Begriff Gewerbsmäßigkeit ist – ebenso wie beim Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler – funktional aus der Perspektive der Anforderungen des § 59 auszulegen. Es geht nicht um den Gewerbebegriff des § 1 HGB, d.h. der Versicherungsberater muss kein kaufmännisches Gewerbe betreiben. Gewerberechtlich unbeachtlich ist eine selbständige Tätigkeit i.d.R. nur dann, wenn der geschäftliche Umfang vernachlässigenswert gering und zeitlich beschränkt ist.433 Entscheidend ist die Schutzfunktion des § 59 Abs. 4 i.V.m. § 68. Der Dritte, der in Versicherungssachen beraten wird, soll sich darauf verlassen, dass die ihn schützenden Normen – z.B. die Beratungs- und Dokumentationspflichten und die daran geknüpfte Schadensersatzpflicht des Beraters zu seinen Gunsten wirken. So gesehen ist auch schon derjenige gewerbsmäßig tätig, 428 429 430 431 432 433

BTDrucks. 16/1935 S. 21. BTDrucks. 16/1935 S. 21. Reiff VersicherungsvermittlerR 129; ders. VersR 2007 717 E.II.1.b. Reiff VersicherungsvermittlerR 130; ders. VersR 2007 717 E.II.1.b. BTDrucks. 16/1935 S. 21. Beenken/Sandkühler 28 Rn. 2.1.3.

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der wenige hundert Euro Honorarumsatz im Jahr oder „zwei, drei Beratungsfälle pro Jahr“ hat.434 Eine solche schutzzweckorientierte Auslegung des Begriffs Gewerbsmäßigkeit ergibt sich auch aus den Zielen der VRiLi, die in Art. 2 Nr. 5 jede natürliche oder juristische Person erfasst, die die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung (damit ist auch die Versicherungsberatung gemeint) gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt (so auch Art. 2 Abs. 4 Nr. 3 IDD).

b) Statusinformationen. Der Versicherungsberater darf Dritte bei der Vereinbarung, Änderung 232 oder Prüfung von VV oder bei der Wahrnehmung von Ansprüchen aus VV im Versicherungsfall beraten oder gegenüber dem VR außergerichtlich vertreten. Dabei ist der Versicherungsberater verpflichtet, dem Kunden beim ersten Geschäftskontakt die relevanten Statusinformationen in Textform mitzuteilen. Er teilt folglich mit, dass er als Versicherungsberater mit der Erlaubnis nach § 34d Abs. 2 GewO bei der zuständigen Behörde gemeldet, in das Register nach § 34d Abs. 10 GewO eingetragen ist und wie sich diese Eintragung überprüfen lässt (§ 15 Abs. 1 VersVermV). c) Die Anforderungen aus § 68. Ansonsten gelten für den Versicherungsberater die für den Versicherungsmakler geltenden Vorschriften des § 60 Abs. 1 Satz 1, des § 61 Abs. 1 und der §§ 62 bis 65 und 67 entsprechend (§ 68). Weitergehende Pflichten des Versicherungsberaters aus dem Auftragsverhältnis bleiben unberührt (§ 68 Satz 2). Dies bedeutet, dass der Versicherungsberater verpflichtet ist, seinem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen VV und von VR zugrunde zu legen, sodass er nach fachlichen Kriterien eine Empfehlung dahin abgeben kann, welcher VV geeignet ist, die Bedürfnisse des VN zu erfüllen (§ 60 Abs. 1 Satz 1). Die für den Versicherungsmakler eröffnete Möglichkeit, auf eine eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl hinzuweisen (§ 60 Abs. 1 Satz 2) besteht für den Versicherungsberater nicht. Damit wollte der Gesetzgeber dem „besonderen Berufsbild des Versicherungsberaters“ Rechnung tragen.435 So recht überzeugend ist dies nicht. Das Berufsbild des Versicherungsberaters ist vom Provisionsannahmeverbot geprägt. Entscheidend ist, dass der Versicherungsberater vom VR wirtschaftlich völlig unabhängig ist. Dies ist er auch dann, wenn er seine Beratung auf eine bestimmte Anzahl von VR und Verträgen beschränkt und seinen Kunden darauf ausdrücklich hinweist. Der Berater verdeutlicht auf diese Weise, dass er keinen vollständigen Marktüberblick hat. Das ändert aber an seiner Unabhängigkeit gegenüber den VR nichts. Andererseits darf ein Makler, der – wie der Versicherungsberater – „im Lager“ des Kunden steht, auf eine eingeschränkte Vertrags-/VR-Auswahl hinweisen, ohne damit seine Sachwalterposition einzubüßen. Wieso dies einem Versicherungsberater nicht möglich sein soll, ist nicht nachzuvollziehen und führt zu der Frage der Vereinbarkeit mit Art. 3, 12, 2GG und der europäischen Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG), letzteres insbesondere für einen Versicherungsberater, der mit dem europäischen Pass, z.B. von den Niederlanden oder von Polen aus, in Deutschland berät. Zum anderen kann der Kunde gegenüber einem Versicherungsberater auf die Beratung und Dokumentation nach § 61 Abs. 1 nicht verzichten. Auch dies begründet der Gesetzgeber mit dem besonderen Berufsbild des Versicherungsberaters.436 Diese Einschränkung ist überzeugend, bewirkt in der Vertragspraxis aber nichts, denn ein Versicherungsberater, der mit dem Kunden einen Beratungsverzicht vereinbaren würde, verzichtet damit zugleich auf den Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrages (§ 675 BGB), den er mit dem Kunden gerade anstrebt. Damit würde zugleich die seinen Honoraranspruch tragende Anspruchsgrundlage wegfallen. Ansonsten gelten für den Versicherungsberater die Regelungen zu Zeitpunkt und Form der Information (§ 62), zur Schadensersatzpflicht (§ 63), zur Zahlungssicherung (§ 64), zu den Groß434 In Anlehnung an Beenken/Sandkühler 28 Ziff. 2.1.3. 435 BTDrucks. 16/1935 S. 26. 436 BTDrucks. 16/1935 S. 26. 867

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risiken (§ 65) und zu abweichenden Vereinbarungen (§ 67) entsprechend. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass die entsprechende Anwendung der Beratungs- und Dokumentationspflichten (§ 61 Abs. 1) für den Versicherungsberater unangemessen sei, weil er weitergehende Pflichten habe als ein Versicherungsmakler oder ein Versicherungsvertreter.437 Dieser Einwand ist schwer verständlich, denn die Beratung entspricht dem Berufsbild des Versicherungsberaters – wenn er mit dem Kunden einen entsprechenden Versicherungsberatungsvertrag (§ 675 BGB) schließt, so besteht nunmehr i.R. dieses Vertrages Anlass für die Beratung i.S.d. § 61 Abs. 1. Richtig ist, dass es aus der Perspektive eines Versicherungsberaters nicht sehr nahe liegend ist, ein angemessenes Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und zu zahlender Prämie herzustellen. Insoweit stellt § 68 allerdings klar, dass weitergehende Pflichten des Versicherungsberaters aus dem Auftragsverhältnis unberührt bleiben. Hinzu kommt, dass die Regelungen, auf die § 68 verweist, auf den Versicherungsberater entsprechend anzuwenden sind. Entsprechend bedeutet unter Berücksichtigung des Berufsbildes des Versicherungsberaters und seiner daraus resultierenden Rechte und Pflichten gegenüber dem Kunden. Insoweit spielt das Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und Prämie keine relevante Rolle.

237 d) Vereinbarung, Änderung, Prüfung von VV. Der Versicherungsberater darf Dritte bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von VV beraten. Der Terminus „bei der Vereinbarung“ umfasst nicht nur die Beratung „zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft (§ 311 Abs. 1 BGB – früher cic), sondern auch die Frage, ob es überhaupt zweckmäßig und vernünftig ist, ein definiertes wirtschaftliches Risiko mit Hilfe eines VV abzudecken. Verneint der Versicherungsberater diese Frage und empfiehlt dem Kunden, keinen VV abzuschließen, so ist ein solcher Rat von seinem Berufsbild und damit von § 59 Abs. 4 umfasst – auch für einen solchen Rat schuldet der Kunde das vereinbarte Honorar. Ob der Versicherungsberater dem Kunden nunmehr raten darf, das definierte wirtschaftliche Risiko mit Hilfe anderer am Markt vorhandener Produkte abzudecken, hängt davon ab, ob eine solche Beratung als Nebenleistung von § 5 RBerG erfasst ist oder womöglich einer eigenständigen gewerberechtlichen Erlaubnis bedarf. Ein Versicherungsberater, der nicht über die gewerberechtliche Erlaubnis des § 34c GewO verfügt, darf folglich dem Kunden nicht empfehlen, anstelle eines VV besser Kaufverträge über Investmentanteile oder geschlossene/offene Immobilienfonds einzugehen. Erst recht erstreckt sich die Tätigkeitserlaubnis eines Versicherungsberaters nicht auf die Beratung über Finanzprodukte nach dem WpHG/KWG, etwa über Aktien, Zertifikate, Derivate oder Edelmetalle. Insoweit bedarf er einer Erlaubnis nach § 32 KWG, es sei denn, er ist an ein Haftungsdach angeschlossen (§ 2 Abs. 10 KWG).438 Vorrangig hat der Versicherungsberater Versicherungen, die keine Zuwendung enthalten 238 (Nettoprodukte) zu vermitteln.439 Der Versicherungsberater muss daher in dem Fall, dass mehrere Versicherungen in gleicher Weise für den Versicherungsnehmer geeignet sind, diejenige anbieten, die ohne Zuwendung zur Verfügung steht.440 Der Versicherungsberater darf ferner bei der Änderung oder Prüfung von Versicherungs239 verträgen beraten. Prüft der Versicherungsberater einen bestehenden Vertrag, so kann dies in der Empfehlung, diesen Vertrag zu ändern, münden. Prüfung und Änderung sind somit zwei eng miteinander verwobene und aufeinander bezogene Begriffe. Der Versicherungsberater darf VV prüfen – auf andere Verträge bezieht sich seine Erlaubnis nicht. Bittet der Kunde den Versicherungsberater darum, sein gesamtes Finanzportfolio zu prüfen, so muss der Versicherungsberater dies zurückweisen – seine Erlaubnis umfasst eine solche weitgehende Beratung nicht. Dazu würde er neben der Erlaubnis nach § 34d GewO der zusätzlichen Erlaubnis nach § 32 KWG 437 438 439 440

Reiff VersR 2007 717 E.II.2.b. Hierzu im Einzelnen Schwintowski MiFID 118 ff. BTDrucks. 18/11627 S. 35. BTDrucks. 18/11627 S. 35.

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bedürfen. Aus diesem Grunde ist der Versicherungsberater auch verpflichtet, den Kunden darauf hinzuweisen, dass er ihm kein „financial planning“ – also eine umfassende Finanzplanung unter Einbeziehung aller am Markt erhältlichen Produkte bieten kann. Das Tätigkeitsfeld des Versicherungsberaters ist auf VV beschränkt. Diese Beschränkung wirkt sich bei bestimmten wirtschaftlichen Risiken kaum aus, wenn es etwa um die Absicherung eines Haftpflichtrisikos oder eines Hausrat- oder Gebäuderisikos geht. Für die Absicherung solcher Risiken stehen nur Versicherungsprodukte zur Verfügung. Bei der Absicherung und vorausschauenden Finanzplanung für die Altersvorsorge ist dies aber anders. Hier konkurrieren Finanzprodukte mit Versicherungsprodukten – etwa der fondsbasierte Banksparplan mit der Fonds-LV. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, eine Risiko-LV mit einem Banksparplan zu verbinden oder eine RisikoLV mit einem Bankportfolio zu verbinden. Der Versicherungsberater muss darauf hinweisen, dass er eine solche umfassende Beratung nicht bieten kann, es sei denn, er verfügt nicht nur über die Erlaubnis nach § 34d GewO, sondern auch über diejenige nach § 32 KWG oder er ist einem Haftungsdach (§ 2 Abs. 10 KWG) angeschlossen.441 Wenn der Versicherungsberater eine Änderung eines bestehenden VV empfiehlt, so sind 240 die Sachgründe nach § 61 Abs. 1 zu dokumentieren. Diese die Empfehlung tragenden Gründe müssen letztlich die Sinnhaftigkeit der Änderung eines bestehenden Vertrages widerspiegeln. Dazu gehört zum einen das Ergebnis der Risikoanalyse und zum anderen ein Preis-Leistungsvergleich, der auch etwaige Kosten der angestrebten Änderung berücksichtigt. Empfiehlt der Versicherungsberater beispielsweise eine bestehende kapitalbildende LV bei VR A aufzugeben und stattdessen einen vergleichbaren Vertrag bei VR B zu schließen, so sind die Kosten der Aufhebung bei VR A ebenso zu benennen und zu dokumentieren wie die Einstiegskosten bei VR B. In einer Gesamtrechnung müsste dann gezeigt werden, dass sich der Umstieg trotz der Wechselkosten lohnt. Dabei muss möglicherweise zwischen einer kurzfristigen, einer mittelfristigen und einer langfristigen Betrachtungsweise differenziert werden. Verletzt der Versicherungsberater diese Pflichten, so kann er sich schadensersatzpflichtig (§ 63) machen.

e) Wahrnehmung von Ansprüchen im Versicherungsfall. Der Versicherungsberater darf 241 den Dritten nach § 59 Abs. 4 auch bei der Wahrnehmung von Ansprüchen aus VV im Versicherungsfall beraten. Mit dieser Befugnis beginnen sich die Tätigkeitsfelder des Versicherungsberaters mit denen des Rechtsanwalts zu überschneiden. Der Rechtsanwalt ist typischerweise nicht bei der Vereinbarung, der Änderung oder Prüfung von VV tätig, weil diese Tätigkeit spezifische versicherungstechnische Kenntnisse, sowie einen vollständigen Überblick über die Versicherungsprodukte und über die am Markt tätigen VR voraussetzt. Kenntnisse dieser Art hat der typische Rechtsanwalt nicht – oft auch nicht der Fachanwalt für Versicherungsrecht. Demgegenüber sind Rechtsanwälte bei der Wahrnehmung von Ansprüchen aus VV im Versicherungsfall durchaus häufig tätig – insoweit bestehen also Überschneidungen zum Berufsbild des Versicherungsberaters. Allerdings darf der Versicherungsberater nur außergerichtlich tätig werden (§ 59 Abs. 4). Übernimmt der Versicherungsberater die Beratung im Versicherungsfall, so gehört es zu sei- 242 nen Pflichten, den Dritten darauf hinzuweisen, dass er ihn nur außergerichtlich, nicht aber gerichtlich vertreten darf. Für den Dritten wirft dies die Frage auf, ob es vernünftig und zweckmäßig ist, sich zunächst von einem Versicherungsberater vertreten zu lassen und dann (vor Gericht) von einem mit dem Fall nicht vertrauten Rechtsanwalt. Eine generelle Aussage darüber, ob es sinnvoll ist, eine Beratung „aus einer Hand“ anzustreben, oder ob es vernünftiger ist, die außergerichtliche Beratung in die Hände des Versicherungsberaters zu legen, ist nicht möglich. Für die Beratung durch einen Versicherungsberater spricht, dass dieser mit den Versicherungsprodukten, den VU und i.d.R. auch mit der Schadensregulierungspraxis der einzelnen Unternehmen häufig sehr gut vertraut ist. Dies kann aber auch bei einem Anwalt, der beispielsweise im Versicherungsrecht 441 Vertiefend Schwintowski MiFID, 118 ff., 127 ff. (zum Haftungsdach). 869

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spezialisiert ist, der Fall sein. Für den Versicherungsberater sprechen Kostenvorteile – die Stundensätze der Versicherungsberater sind i.d.R. niedriger als diejenigen eines Rechtsanwaltes. Aber auch hier sollte der Dritte vor Mandatierung recherchieren. Zeichnet sich von Anfang an erheblicher rechtlicher Streit zwischen VN und VR ab, so dürfte die Mandatierung eines Rechtsanwaltes näher liegen als das Zwischenschalten eines Versicherungsberaters. Im Einzelfall kann das Zusammenwirken zwischen einem Versicherungsberater und einem Rechtsanwalt sinnvoll sein, etwa dann, wenn der Versicherungsberater mit dem Schadensregulierer des VR gute persönliche Erfahrungen gemacht hat und wenn er gleichzeitig mit dem Rechtsanwalt eng zusammenarbeitet, ihm beispielsweise sein Wissen bei der möglicherweise doch notwendig werdenden gerichtlichen Verfolgung uneingeschränkt weitergibt und umgekehrt der Rechtsanwalt den Versicherungsberater bei schwierigen Fällen typischerweise hinzuzieht und ihn damit zugleich auch rechtlich fortbildet. Dabei können die nach dem RVG zulässigen Honorarvereinbarungen mit Rechtsanwälten die (außergerichtliche) Tätigkeit des Versicherungsberaters berücksichtigen. 243 Der Versicherungsberater darf bei Ansprüchen aus VV im Versicherungsfall beraten. Voraussetzung ist also, dass der Dritte einen VV unterhält, dass ein Versicherungsfall eingetreten ist und der Dritte einen Anspruch aus dem VV gegen den VR geltend macht. Die Wahrnehmung von Ansprüchen aus VV im Versicherungsfall umfasst auch die Frage, ob überhaupt ein Versicherungsfall eingetreten ist. So kann es bei einem Hausratschaden streitig sein, ob ein Sturmschaden vorliegt oder die für diesen notwendige Sturmstärke (typischerweise 8 Beaufort) nicht erreicht wurde. In einem solchen Fall kann der Versicherungsberater für den VN tätig werden und mit dem VR klären, wo die Grenzen zwischen einem versicherten und einem nicht versicherten Sturmschaden liegen. Der Versicherungsberater kann auch versuchen, für seinen Kunden eine Regelung auf der Basis von Kulanz herbeizuführen – auch eine solche Regelung ist durch einen (in den Einzelheiten meist streitigen) Versicherungsfall ausgelöst. 244 Hat der Dritte mit dem VR, den er in Anspruch nehmen will, keinen VV, will er beispielsweise aus einem Kfz-Haftpflichtschaden seine deliktischen Schadensersatzansprüche im Wege der action direct gegen den VR verfolgen, so darf der Versicherungsberater nicht tätig werden. Dieser Anspruch des Dritten entsteht nicht aus dem VV, sondern aus dem deliktische Schadensersatzansprüche auslösenden Unfall. Diese Ansprüche wären auch dann gegeben, wenn der in Anspruch genommene Schädiger über keinen VV oder über einen „kranken“ VV verfügen würde, wenn er beispielsweise seine Folgeprämie nicht gezahlt und der VR den VV gekündigt hätte.

245 f) Vertretung gegenüber dem Versicherer. Schließlich darf der Versicherungsberater den Kunden gegenüber dem VR außergerichtlich vertreten. Diese Vertretungsbefugnis setzt einen VV zwischen dem Kunden und einem VR voraus. Nimmt dagegen ein Dritter den Kunden auf Schadensersatz in Anspruch oder will umgekehrt der Kunde seinerseits einen Dritten auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, so geht es um die Durchsetzung von Ansprüchen aus schädigenden Ereignissen, aber nicht aus VV. Die Vertretungsbefugnis des § 59 Abs. 4 umfasst diese umfassende Vertretung für Schadensfälle im Allgemeinen nicht.442 Eine solche über die dem Versicherungsberater zugewiesene Vertretung hinausgehende Tätigkeit ist auch keine Nebenleistung, die man unter § 5 Abs. 1 RDG subsumieren könnte, denn die Vertretung im Schadensfall, die vom Tätigkeitsbild des Versicherungsberaters nicht erfasst ist, ist Hauptleistung.443 246 In der Literatur wurde die Frage gestellt, ob die Vertretungsbefugnis des Versicherungsberaters gegenüber dem VR auf den Versicherungsfall beschränkt ist.444 Die Unsicherheit beruht auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers. In § 34e GewO heißt es: „Die Erlaubnis beinhaltet die Befugnis, Dritte … bei der Wahrnehmung von Ansprüchen aus dem VV im Versicherungsfall 442 Vgl. hierzu BTDrucks. 11/5264 S. 35. 443 Kilian/Sabel/vom Stein 80 § 2 Rn. 187. 444 Durstin/Peters VersR 2007 1456 IV; Harstoff VersR 2008 47 I; Kilian/Sabel/vom Stein 77 § 2 Rn. 186. Schwintowski

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rechtlich zu beraten und gegenüber dem VU außergerichtlich zu vertreten. Dieser Wortlaut spricht dafür, dass der Versicherungsberater zur Vertretung gegenüber dem VU nur im Versicherungsfall berechtigt ist. Demgegenüber hat der Gesetzgeber in § 59 Abs. 4 das Wort „und“ gegen das Wort „oder“ ersetzt. Auf diese Weise wird klar, dass der Versicherungsberater den Dritten nicht nur im Versicherungsfall gegenüber dem VR, sondern auch bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von VV vertreten darf. Der Wortlaut von § 59 Abs. 4 ist derjenige, der das Tätigkeitsbild des Versicherungsberaters zutreffend erfasst. Zum einen entspricht dies der früheren gesetzlichen Regelung in Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RBerG. Mit der Neuregelung des Versicherungsberaters in der GewO und dem VVG wurde keine inhaltliche Neuausrichtung oder womöglich eine Beschränkung des Tätigkeitsfeldes des Versicherungsberaters angestrebt.445 Darüber hinaus ergibt sich die Vertretungsbefugnis des Versicherungsberaters bei der Ver- 247 einbarung, Änderung oder Prüfung von VV schon aus der Natur der Sache. Die Beratung, die auf der besonderen Kenntnis der Versicherungsprodukte und der sie anbietenden VR beruht, umfasst die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit einer Vertretung des Kunden gegenüber dem VR, ohne dass der Versicherungsberater dadurch zum Versicherungsvermittler wird. Dies bedeutet, dass die Vertretungsbefugnis gegenüber VR auch bei Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von VV besteht – insoweit ist die in § 59 Abs. 4 ausdrücklich geregelte Vertretungsbefugnis gegenüber dem VR für diese Fälle rein deklaratorischer Natur.

g) Provisionsannahmeverbot. Versicherungsberater ist nur derjenige, der von einem VR kei- 248 nen wirtschaftlichen Vorteil erhält oder in anderer Weise von ihm abhängig ist. Mit diesem Provisionsannahmeverbot ist der entscheidende Unterschied zum Versicherungsvermittler formuliert.446 Das Gesetz spricht davon, dass der Versicherungsberater von einem VR keinen „wirtschaftli- 249 chen Vorteil“ erhalten darf. Wirtschaftlicher Vorteil ist typischerweise eine Provision/Courtage. Erfasst sind aber auch wirtschaftliche Vorteile anderer Art, etwa die Gewährung von Sachleistungen (z.B. Kfz-/Büroausstattung/Werbematerialien) oder die Übernahme von Verbindlichkeiten (z.B. Zahlung der Leasingraten für das Kfz oder Übernahme der Miete für die Büroräume). Letztlich sind alle geldwerten Vorteile, die durch den Abschluss oder die Änderung eines VV entstehen können, von § 59 Abs. 4 umfasst – dazu gehören z.B. auch Treueprämien der VR an Versicherungsberater oder die Auslobung eines Karibikurlaubs für den erfolgreichsten Versicherungsberater oder die Übernahme von Flugkosten für Meetings zwischen VR und Versicherungsberatern. Nicht erfasst sind dagegen Vortragshonorare, die ein VR i.R. von Fachseminaren an Versicherungsberater zahlt oder Honorare für Schulungsmaßnahmen, die ein Versicherungsberater beispielsweise gegenüber Versicherungsvertretern eines oder mehrerer VR durchführt. Entscheidend ist immer, dass der wirtschaftliche Vorteil in einem engen Zusammenhang zu einem oder mehreren VV steht, die durch die Beratung des Versicherungsberaters zustande gekommen sind, so dass der Eindruck entsteht, der Versicherungsberater sei in Wirklichkeit Versicherungsvermittler. Entwickelt der Versicherungsberater demgegenüber Produkte für einen VR oder überprüft er deren Transparenz oder Leistungsstärke, entwickelt der Versicherungsberater Vertriebs- und Marketingstrategien, nimmt er Tarifkalkulationen für diesen vor oder erhebt er empirische Daten (z.B. aus Schadensfällen) für diesen, um zu tragfähigen Statistiken zu kommen, so handelt es sich um Tätigkeiten, die außerhalb des Beratungsvertrages des Versicherungsberaters mit einem Kunden stehen und folglich nicht unter das Provisionsannahmeverbot des § 59 Abs. 4 fallen. Mit Wirkung zum 23.2.2018 darf der Versicherungsberater die Vermittlung oder den Ab- 250 schluss von Versicherungsverträgen übernehmen (§ 34 d Abs. 2 Nr. 3 GewO). Er darf sich seine Tätigkeit nur durch den Auftraggeber vergüten lassen. Zuwendungen eines VU in Zusammenhang mit der Beratung, insbesondere aufgrund einer Vermittlung als Folge der Beratung darf er 445 BTDrucks. 16/1935 S. 21; zustimmend Kilian/Sabel/vom Stein 77 § 2 Rn. 186; Harstorff VersR 2008 47 I. 446 BTDrucks. 16/1935 S. 21. 871

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Begriffsbestimmungen

nicht annehmen (§ 34 d Abs. 2 S. 3/4 GewO). Sind Zuwendungen Vertragsbestandteil (Bruttopolice) so hat der Versicherungsberater für die Auskehrung der Zuwendungen durch das VU an den VN nach § 48 c Abs. 1 VAG zu sorgen. 251 Ansonsten unterliegt die Ausgestaltung des Honorars (Grundlage, Tätigkeits- oder Erfolgshonorar etc.) den Vertragsparteien.447 Regelungen zu Honoraren sind so zu wählen, dass Missbräuche vermieden werden. Die Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des Versicherungsberaters wird im Einzelnen in der VersVermV geregelt.448

252 h) Durchleitungsgebot (§ 48c VAG). Nach § 48 c VAG – in Kraft ab 23.2.2018 – ist das VU verpflichtet, Zuwendungen, die nicht dem Versicherungsvertrag zu Gute kommen (Bruttotarif), unverzüglich an den VN auszukehren (§ 48 c Abs. 1 Satz 1 VAG). Die Auskehrung hat im Wege der Gutschrift auf einen für den VN für den Vertrag zu führenden Prämienkonto zu erfolgen (§ 48 c Abs. 1 Satz 2 VAG). Die Gutschrift beträgt höchstens 80 % der maßgeblichen Zuwendung. Bis zum Gegenwert von 80 % der in den ersten fünf Jahren nach Vertragsschluss zu entrichtenden Prämien (§ 48 c Abs. 1 Satz 3 VAG). Das Guthaben des Prämienkontos ist ausschließlich zur Erfüllung der Pflicht des VN zur Prämienzahlung zu verwenden und in Höhe von 80 % auf die Prämie anzurechnen, die für die jeweilige Versicherungsperiode zu leisten ist (§ 48 c Abs. 1 Satz 4 VAG). 253 Das bedeutet, der Versicherungsberater kann, er muss aber nicht, das Prämienkonto beim VU führen. Er kann stattdessen die Prämienreduzierung, so wie jeder andere Vermittler, über § 48 b Abs. 4 VAG realisieren.449 Macht der Versicherungsberater von dieser Möglichkeit Gebrauch, so hat er die gesamte ihm zufließende Zuwendung an den VN auszukehren, also nicht nur 80 % davon. So gesehen dürfte es eine Rechtspflicht des Versicherungsberaters geben, den für den Kunden günstigsten Weg – unter Berücksichtigung seines Honorars – zu wählen. Mit dem Durchleitungsgebot will der Gesetzgeber die Honorarberatung fördern.450 Dem Ver254 sicherungsberater soll es ermöglicht werden Bruttotarife zu vermitteln, ohne selbst in Kontakt mit den enthaltenen Zuwendungen zu kommen.451 Das VU als Normadressat hat die Pflicht die Zuwendung unverzüglich an den VN auszukehren, entweder im Wege der Gutschrift oder durch Prämienreduzierung.452 Durch die Beschränkung auf 80 % der Zuwendung wird dem Umstand Rechnung getragen, 255 dass die Einführung des Durchleitungsgebots bei dem VU Kosten verursacht.453 Diese Kosten, so die Gesetzesbegründung, mindern die Höhe der Zuwendung, die dem VN gutgeschrieben wird. Wirklich überzeugend ist dies nicht, denn letztlich besteht kein Schutzbedürfnis zugunsten der VN für eine solche (sehr kostenintensive) den VU aufgedrängte Dienstleistung. Es würde genügen, dass das VU den Versicherungsberatern (auf Nachfrage) die jeweilige Nettoprämie benennt, so dass das Produkt provisionsfrei vertrieben wird. Genauso soll es aus der Sicht des Versicherungsberaters sein. Der Vorteil für die Märkte wäre, dass die Preise für Versicherungen transparent und klar würden – das heißt jeder potenzielle VN hätte die Möglichkeit darüber nachzudenken, ob es für ihn sinnvoll sein könnte ein Nettoprodukt zuzüglich eines Vermittlungshonorars zu erwerben oder stattdessen die Bruttopolice zu wählen. 256 In der jetzigen Konzeption werden die VU vom Gesetzgeber zu einer Dienstleistung gesetzlich verpflichtet, für die es keine Sachnotwendigkeit gibt. Der einfachere, angemessenere Weg wäre, die VU bei der Nachfrage von Versicherungsberatern zu verpflichten die Nettoprämie für 447 448 449 450 451 452 453

BTDrucks. 18/11627 S. 35. BTDrucks. 18/11627 S. 35. Dazu Rn. 278 ff. BTDrucks. 18/11627 S. 40. BTDrucks. 18/11627 S. 40. BTDrucks. 18/11627 S. 40. BTDrucks. 18/11627 S. 40.

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das Produkt zu benennen oder aber darauf hinzuweisen, dass das Produkt nur brutto zu haben ist. In diesem Falle müsste der Berater mit dem VU, wie ein Makler, eine Courtagevereinbarung treffen und diese Courtage sodann (§ 667 BGB) an den Kunden herausgeben und/oder mit seinem Honorar verrechnen. Durch eine solche Konzeption gäbe es keinerlei Fehlanreize, die der Gesetzgeber offenbar 257 befürchtet.454 Es gäbe aber auch keine überflüssige und teure Bürokratie, insbesondere seitens der VU. Der gesetzlich vorgeschriebenen 5 Jahre Kappungsgrenze (§ 48 c Abs. 1 Satz 3) würde es nicht bedürfen, weil der Versicherungsberater nur das auskehren könnte, was ihm als Zuwendung zuflösse. Insoweit hätte es das VU in der Hand Zuwendungen, die der Berater dem VN zur Prämienreduktion auskehren könnte, immer dann zu gewähren, wenn diese verdient wären. Es bedürfte somit auch keiner Stornohaftungsregelung (§ 49 VAG). Die Neuregelung erscheint hoch kompliziert, kostenträchtig, vor allem aber überflüssig, da 258 es eine sehr viel einfachere Möglichkeit der Auskehrung von Zuwendungen an den VN gäbe, nämlich die Nettoisierung der Produkte. Aus der Perspektive der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf Versicherungsmärkten erscheint die zuletzt genannte Alternative als die naheliegende, die mit den Grundprinzipien des Europäischen Rechts in Einklang stünde (Art. 119, 120 AEUV i.V.m. Protokoll Nr. 27).

VII. Honorarberatung durch Versicherungsvermittler Alle Versicherungsvermittler können und dürfen mit dem VN Honorarvereinbarungen treffen. 259 Grundsätzlich hat der Versicherungsvertreter als Handelsvertreter (§ 92 Abs. 1 HGB) einen Anspruch auf Provision nach § 87 Abs. 1 HGB. Der Anspruch entsteht nach § 92 Abs. 4 HGB dann, sobald der VN die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet. Nach § 87b Abs. 2 HGB ist die Provision von dem Entgelt zu berechnen, das der Dritte oder der Unternehmer zu leisten hat. Die Bestimmungen zur Vergütung des Versicherungsvertreters sind abdingbar.455 Dies bedeutet, der Versicherungsvertreter wird im Regelfall aus der vom VN gezahlten Prämie durch den VR provisioniert. Das ist übliche Praxis, von der allerdings wegen der Dispositivität des § 87b HGB abgewichen werden könnte. Der Versicherungsmakler wird als Sachwalter gegenüber dem VN aufgrund eines Ge- 260 schäftsbesorgungsvertrages (§ 675 Abs. 1 BGB) tätig.456 Die Geschäftsbesorgung erfolgt entgeltlich. Ist zwischen den Parteien nichts darüber vereinbart, wer den Maklerlohn bezahlen soll, so ist er von jeder Partei zur Hälfte zu entrichten, es sei denn es besteht ein abweichender Ortsgebrauch (§ 99 HGB). Ein solcher Ortsgebrauch im Range einer gewohnheitsrechtlichen Übung besteht im Maklerrecht seit Langem.457 In der Rechtsprechung des BGH ist allerdings anerkannt, dass der Makler mit dem VN eine eigenständige Honorarvereinbarung treffen kann und darf und damit den Handelsbrauch verdrängt.458 Der Gesetzgeber wollte im Zusammenhang mit der Umsetzung der IDD ein Honorarannah- 261 meverbot für Versicherungsvermittler in § 34d Abs. 1 GewO verankern. Es sollte dort heißen: 454 BTDrucks. 18/11627 S. 40. 455 Allgemeine Meinung, Baumbach/Hopt § 87 Rn. 48; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch Bd. 1 § 87 Rn. 60 m.w.N.

456 BGH 22.5.1985 – IV a ZR 190/83 (juris Rn. 11). 457 BGH 22.5.1985 – IV a ZR 190/83 (juris Rn. 11); BGH 13.1.2005 – III ZR 338/04 (juris Rn. 9); so schon LG Hamburg 1.5.1951, VersR 1951 261 f.; zur historischen Entwicklung Baumann (1998) 284 ff.; Zinnert (2008) 283 f.; Schafstädt Berliner Reihe Bd. 46 (2015) 52 m.w.N. 458 BGH 20.1.2005 – III ZR 251/04 (juris Rn. 17) f.; BGH 19.5.2005 – III ZR 322/04 (juris Rn. 12); BGH 14.6.2007 – III ZR 269/06 (juris Rn. 7); BGH 16.7.2009 – III ZR 21/09, NJW-RR 2009 1688 Rn. 8; BGH 12.12.2013 – III ZR 124/13, BeckRS 2014 01033; BGH 12.3.2014 – IV ZR 285/13, NJW 2014 1658; Prölss/Martin/Dörner § 59 Rn. 83, mit Blick auf die gewohnheitsrechtliche Courtage ab Rn. 90; Schellack in Koch u.a. (Hrsg.) Aktuelle Probleme des Versicherungsvertrags- und Vermittlerrechts (2010) 197, 208 ff. 873

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„Der Versicherungsvermittler darf sich seine Tätigkeit unmittelbar oder mittelbar nur durch ein Versicherungsunternehmen vergüten lassen“.459 Damit sollte eine klare Trennung zwischen Versicherungsvermittlern und Versicherungsberatern gewährleistet werden. Andernfalls bestehe das Risiko, dass Vermittler zum Beispiel für Beratungsleistungen zusätzlich noch eine Unabhängigkeit suggerierende Honorarvereinbarung mit dem Kunden abschließen. Das würde es für den Kunden zusätzlich erschweren zwischen Versicherungsvermittler und Versicherungsberater zu differenzieren und könnte dafür sorgen, dass die im Koalitionsvertrag beabsichtigte Stärkung der Honorarberatung nicht erfolge.460 Diese Überlegungen sind nach ausführlicher Diskussion und Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie aufgegeben worden.461 Die Aufgabe des Honorarannahmeverbotes war verfassungsrechtlich aus der Perspektive der Gewerbefreiheit (Art. 12 GG) und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sachgerecht, da das Ansinnen des Gesetzgebers, die Honorarberatung zu stärken, nur über die Maklerschaft verwirklicht werden kann.462 Ein Honorarannahmeverbot wäre auch europarechtswidrig gewesen – weil es keinen zwingenden Sachgrund für ein solches Gebot gab, im Gegenteil, der Wettbewerb um die Vertriebsentgelte wäre durch eine solche Regelung erheblich und unter Verstoß gegen Art. 119, 120 AEUV beschränkt worden. Somit ist festzuhalten, dass auch der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass Honorarvereinbarungen zwischen Versicherungsvermittlern und VN zulässig und möglich sind. Honorarvereinbarungen müssen den Grundsätzen des Transparenzgebotes (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) entsprechen.463 Außerdem hat der Vermittler beim ersten Geschäftskontakt nach § 15 Abs. 1 Nr. 6 VersVermV auf die Art der Vergütung hinzuweisen, welches Vergütungsmodell sich durchsetzen wird (Courtage durch den VR/Honorar durch den VN oder ein Mischmodell) wird sich im Wettbewerb zu erweisen haben.464 Nach § 34 d Abs. 1 Satz 8 GewO (früher Satz 4) umfasst die dem Versicherungsmakler erteilte Erlaubnis, die Befugnis Dritte, die nicht Verbraucher sind, bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen gegen gesondertes Entgelt rechtlich zu beraten; diese Befugnis zur Beratung erstreckt sich auch auf Beschäftigte von Unternehmen in den Fällen, in denen der Versicherungsmakler das Unternehmen berät.465 Durch diese Neuregelung hat der Gesetzgeber zunächst einmal klargestellt, dass ein Versicherungsmakler im Unternehmensbereich „zugleich die Befugnis“ hat, gegen gesondertes Honorar Beratungen über VV durchzuführen. Der Courtageanspruch auf der einen Seite und der Honoraranspruch auf der anderen Seite schließen sich somit nicht gegenseitig aus.466 Die Regelung war notwendig wegen der besonderen Beratungssituation in der bAV. Dies wird durch die Begründung zum 3. Mittelstandsentlastungsgesetz vom 17. März 2009 bestätigt.467 Danach beinhaltet § 34d Abs. 1 Satz 4 GewO die Befugnis zu einer Beratung im gewerblichen Bereich. Die Praxis hat, so die Begründung weiter, gezeigt, dass Makler bei Unternehmen, die im Hinblick auf den Abschluss von Gruppenversicherungsverträgen oder einer betrieblichen Altersversicherung beraten, oftmals auch in die (Einzel-)Beratung von Beschäftigten einbezogen werden sollten, da sich im Einzelfall noch weitergehende Fragen stellen. Das Unternehmen als Arbeitgeber erfülle damit auch den arbeitsrechtlichen Fürsorgeanspruch gegenüber 459 BTDrucks. 18/11627 S. 6; zur Begründung S. 34 und 35. 460 BTDrucks. 18/11627 S. 35. 461 Bericht vom 28.6.2017 BTDrucks. 18/13009 S. 7; dazu Reiff/Köhne Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 (IDD) aus rechtlicher und ökonomischer Sicht, VersR 2017 449 459 f.; zustimmend Prölss/ Martin/Dörner § 59 VVG Rn. 49. 462 Circa 300 Versicherungsberatern stehen 45.000 Makler gegenüber. 463 BGH 12.3.2014 – IV ZR 285/13, NJW 2014 1658 Rn. 33. 464 Übergreifend dazu Schafstädt Berliner Reihe Bd. 46 (2015) passim. 465 BTDrucks. 16/1935 S. 18. 466 Zur früheren Rechtslage nach dem RBerG Karle VersR 2000 425 ff.; Loschelders/Pohlmann/Baumann § 59, Rn. 22. 467 BTDrucks. 16/10490 S. 19. Schwintowski

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seinen Beschäftigten. Die Erstreckung der Befugnis zur Beratung auf die Beschäftigten des Unternehmens solle diesem Erfordernis der Praxis Rechnung tragen.468 Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber im 3. Mittelstandsentlastungsgesetz vom 17.3.2009 Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen wollte, um den Maklern im Rahmen von Gruppenversicherungsverträgen und bei Bereitstellung von bAV-Konzepten die Gewähr zu bieten, dass sie gewerberechtlich auf sicherem Boden sind.

VIII. Das Begünstigungs- und Provisionsabgabeverbot Nach § 81 Abs. 2 Satz 4 VAG a.F. konnte die Aufsichtsbehörde (BaFin) allgemein oder für einzelne Versicherungszweige den VU und Vermittlern von VV untersagen, dem VN in irgendeiner Form Sondervergütungen zu gewähren. Auf der Grundlage dieser Ermächtigung gab es das Provisionsabgabeverbot in der Lebens-, der Kranken- und der Schadensversicherung. Das Provisionsabgabeverbot in der Lebensversicherung beruhte auf der Anordnung des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung vom 8.3.1934.469 Es handelte sich bei dieser Anordnung um eine Rechtsverordnung,470 die als Bundesrecht fortgalt.471 Daneben stand die ebenfalls fortgeltende Anordnung des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung vom 6.6.1934 über das Verbot von Sondervergütungen und Begünstigungsverträgen in der Krankenversicherung.472 Für die Schadensversicherung galt die Verordnung vom 17.8.1982 über das Verbot von Sondervergütungen und Begünstigungsverträgen.473 Dazu kamen in der Lebensversicherung und der Krankenversicherung Richtlinien des BAV (heute BaFin) zur Auslegung der genannten Verordnungen.474 Diese Verordnungen galten auch für den Versicherungsmakler.475 Die in § 81 Abs. 2 Satz 4 VAG a.F. verankerte Verordnungsermächtigung sollte bereits im Jahre 1994 gestrichen werden.476 Zur Begründung477 wurde darauf verwiesen, dass der ursprüngliche Anlass, der in der Notsituation des Jahres 1923 (Inflation) in das VAG eingefügten Bestimmung, nämlich eine weitere Steigerung der Verwaltungskosten der VU zu vermeiden, inzwischen überholt sei. Mit einem Begünstigungsverbot könne man nach den Erfahrungen der Aufsichtsbehörde die Verwaltungskosten der VU nicht in nennenswertem Umfang senken. Ferner könne es in einer wettbewerbsorientierten Wirtschaft ebenso wenig Aufgabe einer Versicherungsaufsichtsbehörde sein, für eine „gerechte“ Prämie zu sorgen, wie es in der übrigen Wirtschaft nicht die Aufgabe des Staates sei, für einen „gerechten“ Preis zu sorgen. Das Begünstigungsverbot wirke sich jedenfalls dann wettbewerbshemmend aus, wenn es dahin verstanden werde, dass auch der Eintritt in Konkurrentenpreise oder die Reaktion auf preisgünstige Prämien von Anbietern auf Teilmärkten verboten sein solle. Die vorgeschlagene Aufhebung bezog sich nicht nur auf die von dem VU mit dem VN direkt geschlossenen Begünstigungsverträge, sondern auch auf das den Versicherungsvermittlern auferlegte Provisionsabgabeverbot. Das Provisionssystem und die Provisionshöhe seien gesetzlich nicht geregelt. Die Provisionen seien Wettbewerbspreise. Das gelte auch dann, wenn Versi468 BTDrucks. 16/10490 S. 20. 469 Nr. 58 des Deutschen Reichsanzeigers und Preußischen Staatsanzeigers vom 9.3.1934; vgl. auch VerAfP 1934 99 f.

470 BGH 17.6.2004, VersR 2004 1029. 471 BGH 19.12.1984, BGHZ 93 177, 179 m.w.N. und Verlautbarung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (heute BaFin) VersR 1989 942. 472 VerAfP 1934 100. 473 BGBl. I S. 1243 = VerBAV 1982 456. 474 R3/94; VerBAV 1982 306 i.d.F. VerBAV 1986 199; VerBAV 1995 3; VerBAV 1964 130. 475 BGH 19.12.1984, BGHZ 93 177, 182; KG 3.6.1994 VersR 1005 445; vgl. auch VerBAV 1996 222. 476 Regierungsentwurf BTDrucks. 12/6959 S. 22 und 42. 477 Regierungsentwurf BTDrucks. 12/6959 S. 83. 875

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cherungsvermittler vom VR den Teil der Provision ersetzt verlangten, den sie an ihren Versicherungskunden weitergegeben hätten. Diese im Kern zutreffenden, auch heute noch geltenden Erwägungen haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt. Der Gesetzgeber ist der Empfehlung des Finanzausschusses478 gefolgt und hat die geplante Streichung aufgegeben. In der Literatur wurde vermutet, dass der Gesetzgeber nur das Verbot der Sondervergünstigungen (Provisionsabgabeverbot) aufrechterhalten wollte; die Aufrechterhaltung des Verbots der Begünstigungsverträge beruhte wohl auf einem Versehen.479 Zur Begründung für die Aufrechterhaltung des Verbots von Begünstigungsverträgen und Provisionsabgaben wurde seither auf das Interesse des Verbraucherschutzes (Sicherung der Beratungsqualität und der Markttransparenz) und der (finanziellen) Interessen der Vermittler verwiesen.480 Das Begünstigungsverbot ist im Zuge der Umsetzung der IDD durch die Verordnung zur Aufhebung der Verordnungen nach dem VAG vom 16.12.2015481 zum 1.7.2017 aufgehoben worden.482 An die Stelle ist ein neueingeführtes Provisionsabgabe- und Sondervergütungsverbot getreten. Dieses Verbot ergibt sich aus § 34 d Abs. 1 Satz 6 GewO. Danach ist es einem Versicherungsvermittler untersagt, VN, versicherten Personen oder Bezugsberechtigten aus einem Versicherungsvertrag Sondervergütungen zu gewähren oder zu versprechen. Nach Satz 7 ist § 48 VAG entsprechend anzuwenden. Der EuGH hatte bereits am 17.11.1993 im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 234 EG) darüber zu entscheiden, ob das deutsche Provisionsabgabeverbot mit dem europäischen Recht vereinbar ist.483 Er hat die Frage des vorlegenden Kammergerichts dahin verstanden, ob die Art. 3f, 5 Abs. 2 und Art. 85 EWG-Vertrag (heute Art. 3 Abs. 3, 4 Abs. 3 EUV, Art. 101 AEUV) einer staatlichen Regelung entgegenstehen, durch die es Versicherungsvermittlern untersagt ist, die von den VU erhaltenen Provisionen ganz oder teilweise an ihre Kunden abzugeben. Im Hinblick auf die Auslegung von Art. 3f, 5 Abs. 2 und Art. 85 EWG-Vertrag wies der EuGH zunächst darauf hin, dass Art. 85 EWG (heute: Art. 101 AEUV) an sich nur das Verhalten von Unternehmen und nicht durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahmen der Mitgliedstaaten betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH dürften die Mitgliedstaaten jedoch aufgrund von Art. 85 i.V.m. Art. 5 EWG-Vertrag (heute: Art. 101 AEUV i.V.m. Art. 4 Abs. 3 EUV) keine Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen, treffen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei ein solcher Fall dann gegeben, wenn ein Mitgliedstaat gegen Art. 85 EWG (heute: Art. 101 AEUV) verstoßende Kartellabsprachen vorschreibe, erleichtere oder deren Auswirkungen verstärke oder wenn er der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nehme, dass er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern übertrage.484 Ausgehend von diesen Grundsätzen stellte der EuGH zunächst fest, dass die deutsche Versicherungsaufsicht den Vermittlern weder eine Kartellabsprache vorschreibe noch erleichtere – vielmehr sei das in der Rechtsverordnung ausgesprochene Verbot „aus sich heraus wirksam“. Die staatliche Regelung bewirke auch keine Verstärkung einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache. Das gelte sowohl für die Krankenversicherung, die Schadensversicherung, die Rechtsschutzversicherung und die Lebensversicherung. Entscheidend sei, dass die Regelung selbst das

478 479 480 481 482 483 484

BTDrucks. 12/7595 S. 109. Merz FS Everling, 837. BTDrucks. 12/7595 S. 104, 109; Dreher VersR 1995 1, 2; BGH 17.6.2004, VersR 2004 1029, 1031. BGBl. I 23, 47. BTDrucks. 18/11627 S. 40. EuGH 17.11.1993, VersR 1994 161. EuGH 21.9.1988, Slg. 1988 4769 Van Eycke.

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Verbot von Sondervergütungen für VN aufstelle und die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen nicht privaten Wirtschaftsteilnehmern übertragen habe.485 Die Entscheidung des EuGH ist in der Literatur vielfach kritisiert worden.486 Ob der EuGH 275 heute noch einmal so entscheiden würde wie am 17.11.1993, ist fraglich, denn inzwischen enthält die Schirmgruppenfreistellungsverordnung487 das Verbot der Preisbindung der zweiten Hand (Art. 4 lit. a GVO). Das Verbot der Preisbindung der zweiten Hand – also das Verbot an Vermittler, den Preis für die Vermittlung des Vertrages durch Weitergabe eines Teils der Provision zu senken, ist eine schwarze Klausel, die per definitionem nicht gerechtfertigt werden kann und die vom EuGH und der Kommission ausnahmslos als wettbewerbswidrig beurteilt wird.488 Hinzu kommt, dass der Europäische Vertrag in seiner heute gültigen Form den Gedanken des freien und unverfälschten Wettbewerbs als Rechtsprinzip in Art. 119, 120 AEUV enthält. Dies bindet sowohl die Mitgliedstaaten als auch den EuGH bei der Auslegung des Art. 4 Abs. 3 EUV (effet utile). Damit ist die Frage gestellt, ob ein Mitgliedstaat gesetzliche Regelungen aufrechterhalten darf, die die praktische Wirksamkeit des Primärrechts aufheben könnten. Zu dieser Frage konnte der EuGH am 17.11.1993 nicht entscheiden, weil es die Art. 4 Abs. 3 EUV, 110, 120 AEUV nicht gab. Es wäre aber überraschend, wenn der EuGH den Mitgliedstaaten das Recht einräumen würde, gegen Rechtsprinzipien des Europäischen Vertrages, wie sie in Art. 4 Abs. 3 EUV, 119, 120 AEUV festgelegt sind, verstoßen zu dürfen, ohne dass dies den Europäischen Vertrag zugleich verletzt. Dies würde nämlich bedeuten, dass der EuGH den Mitgliedstaaten das Recht einräumen würde, das europäische Primärrecht durch nationales (rangniedrigeres) Recht aushebeln zu dürfen. So gesehen sprechen eine Reihe von Argumenten dafür, dass die Entscheidung Meng angesichts des heute geltenden europäischen Primärrechts nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Der BGH hat die Möglichkeit, die hier diskutierten Fragen aus der Perspektive des heute 276 geltenden europäischen Rechtes durch ein erneutes Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH prüfen zu lassen, „mangels Entscheidungserheblichkeit“ im Jahre 2004 verstreichen lassen.489 In jenem Fall hatte der Vermittler bei Vermittlung eines Lebensversicherungsvertrages die Weitergabe eines Teils der an ihn fließenden Provision an den VN schriftlich vereinbart. Nach einer Laufzeit von knapp einem Jahr wurde der Vertrag wegen Schwierigkeiten bei der Beitragszahlung vorzeitig storniert. Der Vermittler musste große Teile der vom VR empfangenen Provision an diesen zurückerstatten und verlangte seinerseits die Rückzahlung der von ihm an den VN weitergegebenen Provision. In der mit dem VN geschlossenen Vereinbarung hieß es: „Dass die geleistete Provisionszahlung zu erstatten sei, falls der VV während der Provisionshaftzeit, gleich aus welchem Grunde, in das Storno gerate.“ Der VN wandte ein, diese Vereinbarung verletze das Provisionsabgabeverbot und sei folglich nach § 134 BGB nichtig. Der BGH widersprach und entschied, dass es sich bei dem Provisionsabgabeverbot in der 277 Lebensversicherung nicht um ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB handele.490 Das Provisionsabgabeverbot richte sich nämlich einseitig an die VU und die Vermittler, nicht aber an die VN. Die Bußgelddrohung richte sich folglich auch nur gegen die Vermittler von VV und die das VU vertretenden Personen (§ 9 OWiG i.V.m. § 144a Abs. 1 Nr. 3 VAG a.F.). Vor allem diene das Provisionsabgabeverbot nach der vom Bundestag angenommenen Beschlussempfehlung des Finanzausschusses491 nicht mehr dem Erhalt der Bonität der VU. Es gehe vielmehr um allgemeine Interessen des Verbraucherschutzes und die (finanziellen) Interessen der Vermittler. Aus diesem 485 EuGH 17.11.1993 Slg. 1993 I-05751 Rn. 16 bis 20. 486 Dreher VersR 1995 1 ff.; 2001 1 ff.; 1997 1 ff.; Winter VersR 2002 1055 ff.; Klinge VuR 2008 125 ff; aus früherer Perspektive Sieg VersR 1989 217. VO 330/2010 für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen. Weiterführend Klinge VuR 2008 125, 129 m.w.N. BGH 17.6.2004, VersR 2004 1029. BGH 17.6.2004, VersR 2004 1029 Rn. 33 m.w.N. BT-Drucks. 12/7595 S. 104, 109.

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Grunde sei es auch kein Widerspruch, dass nur die VU an das Provisionsabgabeverbot gebunden seien, die der Aufsicht des Bundes (heute der BaFin) unterstünden, während diejenigen Unternehmen, die von den Ländern beaufsichtigt würden, nicht gebunden seien.492 Am 24.10.2011 hat das VG Frankfurt a.M. entschieden, dass das Verbot der Gewährung von Sondervergütungen mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam sei.493 Dieses Urteil wurde rechtskräftig, weil die BaFin eine zunächst beim BVerwG eingelegte Sprungrevision zurückgenommen und stattdessen ein Konsultationsverfahren durchgeführt hatte.494 Mit Wirkung zum 23.2.2018 hat der Gesetzgeber im Zuge der Umsetzung der IDD ein neues Provisionsabgabe- und Sondervergütungsverbot eingeführt. Dieses Verbot hat keine Grundlage im europäischen Recht. Etwas Vergleichbares gibt es in anderen europäischen Mitgliedstaaten nicht. Wie oben schon betont, sind die Vermittler nach § 34 d Abs. 1 Satz 6 GewO verpflichtet; keine Sondervergütungen zu gewähren. Aus Satz 7 ergibt sich, dass § 48 b VAG entsprechend anzuwenden ist. Im Ergebnis wird, wie gleich zu zeigen ist, hiermit ein modifiziertes Provisionsabgabeverbot eingeführt. Jedes deutsche Gericht ist demnach befugt nach Art. 267 AEUV dem EuGH erneut die Frage vorzulegen, ob dieses neue Provisionsabgabeverbot mit dem geltenden Europäischen Primärrecht zu vereinbaren ist, ob es also dem Prinzip des freien und unverfälschten Wettbewerbs (Art. 119, 120 AEUV) entspricht und ob es mit dem standstill Gebot (Art. 4 Abs. 3 EUV) vereinbar ist. So hat der EuGH bereits am 1.10.1987495 darauf hingewiesen, dass sich Reisevermittler nicht zur Einhaltung der von den Reiseveranstaltern vorgeschriebenen Reiseverkaufspreise verpflichten dürfen. Derartige Vereinbarungen bezweckten oder bewirkten die Einschränkung des Wettbewerbs zwischen Reisevermittlern. Sie hinderten diese daran, dadurch in einen Preiswettbewerb einzutreten, in dem sie aus eigener Initiative zugunsten ihrer Kunden auf einen größeren oder kleineren Teil der ihnen zustehenden Provision verzichteten.496 Die gleichen Argumente sprechen gegen ein striktes Provisionsabgabeverbot der Versicherungsvermittler, denn damit bestimmen letztlich die Versicherer die Höhe des Preises für die Vermittlungsleistung. Das gilt nicht nur für die gebundenen Vertreter, sondern vor allem auch für die Makler, die als Sachwalter der VN in der Lage sein müssten, mit diesen Honorarvereinbarungen zu treffen. Diese Freiheit, die bei Nettopolicen besteht, wird mit Blick auf Bruttopolicen durch das Provisionsabgabeverbot des deutschen Rechts tendenziell unterlaufen. Der Europäische Gerichtshof sollte darüber entscheiden, ob dies mit den Grundsätzen des europäischen Rechts in Einklang steht. Gewerberechtlich richtet sich das neue Provisionsabgabegebot nur an Versicherungsvermittler, nicht an Versicherer und ihre Angestellten. Die letzteren werden erst über § 48 b Abs. 1 VAG (seit 23.2.1018) einbezogen. Daraus folgt, dass die Aufsicht über die Einhaltung des neuen ´n gewerberechtlichen Provisionsabgabegebotes nicht bei der BaFin, sondern bei den IHK liegt.497 Die neugeschaffene Ordnungswidrigkeit (§ 144 Abs. 2 Nr. 7 GewO) richtet sich nur an Versicherungsvermittler. Aufsichtsrechtlich wird für VU und Vermittler im deutschen Recht klargestellt, dass eine gegen das Provisionsabgabeverbot verstoßende vertragliche Vereinbarung unwirksam ist (§ 48 b Abs. 1 Satz 3 VAG). Es scheint so, also würde sich der Gesetzgeber damit gegen die ständige Rechtsprechung des BGH wenden, wonach Vereinbarungen zwischen Vermittlern und VN über die Weitergabe der Provision zivilrechtlich in vollem Umfang wirksam waren.498 Im Ergebnis ist es so nicht, da § 48 b Abs. 4 VAG entsprechend anzuwenden ist. Dies bedeutet, das Provisions-

492 493 494 495 496 497 498

Vertiefend Winter VersR 2002 1064; Dreher VersR 1995 1, 3. 9 K 105/11 F VersR 2012 358. 04/2012 26.6.2012 – VA 31-14318-2012-0002. Rs 311/85 BeckRS 2004 70731. EuGH a.a.O., Rn. 17. Vertiefend Rüsing VersR 2019 129. BGH 17.6.2004 – III ZR 271/03, VersR 2004 1029; BGH 5.6.2014 – III ZR 557/13, NJW 2014 2782.

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abgabeverbot findet keine Anwendung, soweit die Sondervergütung zur dauerhaften Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung des vermittelten Vertrages verwendet wird. Diese Ausnahme gilt, wenn die Sondervergütung langfristig dem Versicherungsverhältnis zugutekommt, da in diesen Fällen keine Fehlanreize für den Verbraucher geschaffen werden.499 Liegen die Voraussetzungen von § 48 b Abs. 4 VAG vor, so sind folglich Provisionsabgaben auch zivilrechtlich voll wirksam. Die Sondervergütung darf nach § 48 b Abs. 4 VAG nur für den vermittelten Vertrag verwendet werden, also nicht für andere Verträge oder solche, die erst in Zukunft vermittelt werden. Auf diese Weise wird der Fehlanreiz vermieden, dass der VN eher auf die Provisionsabgabe achtet als auf den für ihn passenden Versicherungsschutz.500 Die Sondervergütung muss zur dauerhaften Leistungserhöhung/Prämienreduzierung verwendet werden, sie soll langfristig dem Versicherungsverhältnis zugutekommen.501 Der Begriff Dauerhaftigkeit ist funktional zu entwickeln. Sondervergütungen für die gesamte Dauer des Vertrages erfüllen das Merkmal in jedem Falle.502 Für die Lebensversicherung folgt aus § 168 Abs. 1, dass der Gesetzgeber für die Dauerhaftigkeit an eine Versicherungsperiode (§ 12) anknüpft, da die LV nach Ablauf eines Jahres gekündigt werden kann. In der Sachversicherung sind Verträge nach 3 Jahren kündbar (§ 11 Abs. 4). Danach ist die Sondervergütung dauerhaft verwendet, wenn sie sich zumindest auf die vereinbarte Versicherungsperiode oder auf ein Vielfaches davon bezieht. Die Sondervergütung muss entweder zur Leistungserhöhung oder zur Prämienreduzierung verwendet werden. Will der Kunde die ihm zufließende Sondervergütung zur Leistungserhöhung einsetzen, so wird er den VR von diesem Verlangen informieren und eine Erklärung des Vermittlers beifügen müssen, in der dieser dem Kunden bestätigt, in welchem Umfang eine ihm zufließende Provision für die Leistungserhöhung zu Gunsten des Kunden verwendet werden soll. Beim praktischen Hauptfall, der Prämienreduktion, kommt keine Analogie zum Durchleitungsgebot (§ 48 c Abs. 1 VAG) in Betracht, da diese Norm speziell für den Versicherungsberater geschaffen wurde.503 Die Prämienreduktion kann auf mehreren rechtlich wirksamen Wegen stattfinden. Der Kunde kann den VR anweisen den Teil der Prämie, der von der Sondervergütung abgedeckt wird, mit seiner Prämienforderung in dem Augenblick zu verrechnen, in dem er selbst die Differenz zahlt. Dieses Modell der „kundeninduzierten Prämienreduktion“ vermindert nicht die Höhe der dem Versicherer geschuldeten Bruttoprämie, sondern findet im Verhältnis zwischen VN und Vermittler statt. In der juristischen Sekunde, in der der VN die reduzierte Prämie an das VU zahlt, wird beim VU zunächst einmal die Prämie auf dem Kundenkonto um den vom VN gezahlten Betrag vermindert. Der offenbleibende Betrag – die Sondervergütung des Vermittlers – wird in derselben juristischen Sekunde dem Kundenkonto gutgeschrieben, weil der Kunde diesen Betrag im Wege der Abtretung des Courtageanspruchs dem VU zugewiesen hat. Da der Courtageanspruch in dem Augenblick fällig wird, in dem der Kunde seine Prämie bezahlt, liegen sämtliche Voraussetzungen für die Prämienreduktion genau in dem Augenblick vor, in dem der Kunde die Differenzprämie seinem Konto zuführt.504 Die Prämienreduktion kann auch noch auf anderen Wegen herbeigeführt werden. Die Weisung des Kunden an das VV zur Prämienreduktion könnte auch vom Vermittler als Bote des Kunden übermittelt werden (Botenmodell). Beim Begünstigungsmodell würde der Vermittler mit dem VU zugunsten eines Kunden eine dauerhafte Prämienreduktion vereinbaren. Das ist nach §§ 328, 267 BGB zulässig. Das Modell verursacht beim VU sehr viel mehr Bürokratie. 499 500 501 502 503 504 879

BTDrucks. 18/11627 S. 40. Evers VW 2017 42/43. BTDrucks. 18/11627 S. 40. Schwintowski ZfV 2017 714, 716. Vertiefend Schwintowski a.a.O. ZfV 2017 714, 717. Vertiefend Schwintowski a.a.O. ZfV 2017 714, 740. Schwintowski

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Auch das Notarmodell erfüllt die Voraussetzung von § 48 b Abs. 4 VAG. In diesem Fall würde der Vermittler dem Kunden die Provision auf ein zum Zwecke der Prämienreduktion geführtes Notar-under-Konto überweisen. Der Kunde hätte Zugriff auf dieses Konto und könnte auf diese Weise die Prämienreduktion dauerhaft herbeiführen. Der Nachteil dieses Weges liegt in der Notwendigkeit ein Notar-under-Konto zu errichten. Zulässig wäre auch das Versprechensmodell. Bei diesem vereinbart der Vermittler mit dem Kunden die Provision (ganz oder teilweise) zur Prämienreduzierung des vermittelten Vertrages abzugeben. Dabei wird verabredet, dass der Kunde zunächst einmal die volle Prämie an den VR zahlt, aber zeitnah einen Teil der Provision vom Vermittler erstattet erhält. Auf diese Weise wird die Prämie dauerhaft reduziert und zwar auf der Grundlage eines schuldrechtlich wirksamen Versprechens, das der Vermittler dem Kunden gegenüber abgibt.505 Wichtig ist, dass nach § 48 b Abs. 4 VAG weder der Vermittler noch der VN irgendwelche Genehmigungen seitens des VU benötigt, um zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Sondervergütungen zur dauerhaften Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung verwendet werden können. Es ist allein Sache des Vermittlers mit dem Kunden entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Alles andere würde in die Gewerbefreiheit des Vermittlers ohne Sachgrund eingreifen (Art. 12 GG). Die BaFin ist anderer Auffassung, nach ihrer Meinung muss an der Vereinbarung zur Prämienreduktion zwischen dem Makler und dem Kunden auch der Versicherer mitwirken.506 Die Prämienreduzierung müsse, so die BaFin, beim VR durch eine Änderung des Versicherungsvertrags dokumentiert werden.507 An dieser Auffassung hielt die BaFin fest, obwohl die zuständige IHK Wiesbaden die gegenteilige Auffassung vertrat.508 Die BaFin wandte sich am 6.8.2018 an die unter ihrer Aufsicht stehenden Erstversicherer und wies daraufhin, dass sie in der Zusammenarbeit des Erstversicherers mit einem Versicherungsmakler, der die Provision ohne Mitwirkung des Versicherers abgebe, einen Verstoß gegen § 48b Abs. 1 VAG sehe.509 Sollte ein Erstversicherer mit einem Makler, der Provision abgebe, zusammenarbeiten, so würde die BaFin darin einen Missstand sehen, der nach §§ 298 Abs. 1 i.V.m. § 94 Abs. 2 VAG verfolgt werde.510 Zunächst einmal ist festzuhalten, dass § 48 b Abs. 4 Satz 1 VAG dem Vermittler die Möglichkeit der Provisionsabgabe eröffnet. Der VR kann keine Sondervergütung gewähren, weil er keine Provision verdient, die er abgeben könnte. Das bedeutet, der Vermittler kann die Prämie, die der VR mit dem VN vereinbart, nicht reduzieren. Dies wäre ein Vertrag zu Lasten Dritten. Deshalb kann es sich bei der Prämienreduktion nur um eine Reduktion handeln, bei der die Prämie im Verhältnis zum VR gleichbleibt, aber im Verhältnis zum VN reduziert wird. Man könnte, mit der BaFin, darüber nachdenken, ob § 48b Abs. 4 VAG im Sinne einer gesetzlichen Prämienreduktionsanordnung gegenüber dem VR in den Fällen zu verstehen ist, in denen der Vermittler seine Provision ganz oder teilweise an den VN abgibt. Dann müsste der VR auf Anweisung des Vermittlers – unter Zustimmung des Kunden – die Prämie in der Höhe, in der die Provision abgegeben wird, ermäßigen. Man würde § 48b Abs. 4 VAG im Sinne eines gesetzlichen Gestaltungsrechts begreifen, das es Vermittler und VN gemeinsam erlaubt, den VR anzuweisen, die Prämie insoweit zu ermäßigen, wie dies die Parteien beantragen. Einen Nachteil hätte der Versicherer nicht, denn er erspart sich insoweit die Provisionszahlung. Bei dieser Interpretation des § 48b Abs. 4 VAG hätte der VR kein Recht, die Prämienreduktion auf Antrag von Vermittler und VN abzuwehren oder womöglich zu genehmigen, denn ein 505 Zu allem Modellen vertiefend Schwintowski a.a.O. ZfV 2017 714, 742. 506 BaFin Rundschreiben 11/2018 v. 17.7.2018; so auch im Verfahren vor dem hessischen VGH Beschluss v. 5.2.2019 – 6 B 2061/18; so auch das BMF vom 26.11.2018, Antwort auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Schäffler u.a. und der Fraktion der FDP zur Honorarberatung in Deutschland, Unterziffer 7 S. 8. 507 So VGH Kassel a.a.O. S. 3. 508 So VGH Kassel a.a.O. S. 3. 509 So zitiert nach VGH Kassel a.a.O. S. 3. 510 So VGH Kassel a.a.O. S. 3. Schwintowski

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solches Recht sieht § 48b Abs. 4 VAG nicht vor. Alles andere wäre auch überraschend, denn es geht ja um die Provision des Vermittlers und nicht des Versicherers. Vor allem würde sich bei einer Ermäßigung der dem VR geschuldeten Prämie zugleich auch die Vermittler geschuldete Provision ermäßigen – diese Wirkung ist aber in § 48b Abs. 4 VAG nicht intendiert – sie würde die Möglichkeit Provision abzugeben, letztlich ad absurdum führen. Würde man, wie es die BaFin tut, aus der Tatsache, dass es Ausfallrisiken bei der Courtage 293 geben kann, das Recht des VR ableiten, der Provisionsabgabe zu widersprechen, so würde dies in das freie Recht des Vermittlers über sein eigenes Einkommen zu verfügen, ohne jeden Sachgrund eingreifen. Da es umgekehrt auch gar keinen Sachgrund gibt, dass der Vermittler die Kalkulationsgrundlagen des Versicherers eingreift, lässt sich § 48b Abs. 4 VAG verfassungskonform nur im Sinne einer Norm interpretieren, die eine Sondervergütung zulässt, indem der Vermittler dem Kunden etwas abgibt. Durch dieses Abgeben im Verhältnis zum Kunden wird die Prämie für den Kunden (wirtschaftlich) reduziert. Rechtlich bleibt sie mit Blick auf das VU unberührt. Hinzukommt, dass ein Zustimmungsvorbehalt durch den Versicherer gegen das europäische Recht verstoßen würde. Nach Art. 119, 120 EUV sind die Vermittler frei, ihr Honorar im Wettbewerb zu vereinbaren. Würde man § 48b Abs. 4 VAG im Sinne der BaFin interpretieren, so wäre schon die Einführung dieser Norm mit dem europäischen Recht nicht in Einklang zu bringen – das standstill Gebot von Art. 4 Abs. 3 EUV wäre verletzt. Bei der dauerhaften Prämienreduktion nach § 48 b Abs. 4 VAG handelt es sich somit nicht 294 etwa um eine Preisreduzierung oder um einen Rabatt zwischen VN und VU. In einem solchen Fall fiele die Provision zugunsten des Vermittlers in Höhe des Rabattes erst gar nicht an. Es ginge nicht mehr um eine Prämienreduktion, sondern es ginge darum, dass die Prämie von Vornherein nur in einer ganz bestimmten Höhe geschuldet ist, dass sie mit anderen Worten gerade nicht durch eine Vereinbarung mit dem Vermittler reduziert wird. Das Verfahren nach § 48b Abs. 4 VAG ist komplex und aufwendig. Letztlich erlaubt es den 295 Vermittlern zwar den Preis für das Vermittlerentgelt mit dem Kunden selbst zu bestimmen – aber der bürokratische Aufwand, der hierfür notwendig ist, beinhaltet zugleich eine Hürde, die es aus der Perspektive eines freien und unverfälschten Wettbewerbs auf den Märkten für Vermittlerentgelte nicht geben dürfte, es sei denn es spricht ein zwingender Sachgrund für diese Regulierung. Der Gesetzgeber meint einen solchen zwingenden Sachgrund darin zu sehen, dass auf diese Weise Fehlanreize für den Verbraucher vermieden werden.511 Es geht um die Fälle, in denen der VN wohlmöglich eine Versicherung abschließt, nicht weil er sie benötigt, sondern weil er in den Genuss einer Sondervergütung kommen möchte. Einen solchen Fehlanreiz hat jedenfalls der BGH im Rahmen der Lebensversicherung nicht erkannt und deshalb im Jahre 2004 entschieden, dass es sich bei dem damals bestehenden Provisionsabgabeverbot jedenfalls nicht um ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB handele.512 Wieso der Gesetzgeber nunmehr Fehlanreize zu erkennen glaubt, die der BGH offensichtlich nicht erkannte, ist aus der Gesetzesbegründung nicht zu erschließen. Es spricht viel dafür, dass das neue Provisionsabgabeverbot den Kunden unverhältnismäßig bevormundet und zugleich der Wettbewerb auf den Märkten für Vermittlerentgelte unverhältnismäßig beschränkt wird. Andernfalls müsste man auch Verbraucherdarlehen untersagen, wenn und soweit der Kunde das Darlehen wohlmöglich nur deshalb aufnimmt, um sich eine Urlaubsreise oder ein neues Auto zu leisten, obwohl er sich beides „eigentlich“ nicht leisten kann. In solchen Fällen mag das Verhalten des Verbrauchers aus der Sicht eines rational handelnden homo oeconomicus irrational sein. Dies ändert nichts daran, dass der Gesetzgeber in einer Marktwirtschaft nicht die Aufgabe hat, den Verbraucher zu gängeln, zu bevormunden und ihm letztlich vorzuschreiben, was für ihn gut oder schlecht ist. So gesehen sprechen gute Argumente dafür, dass auch das neue, modifizierte Provisionsabgabeverbot des deutschen Rechtes in § 48b VAG mit den Grundsätzen des geltenden europäischen Rechts (Art. 119, 120 AEUV/ Art. 4 Abs. 3 EUV) nicht zu vereinbaren ist. 511 BTDrucks. 18/11627 S. 40. 512 BGH 17.6.2004 – III ZR 271/03, VersR 2004 1029. 881

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Begriffsbestimmungen

IX. Die Versicherungsvermittlerverordnung 1. Inkrafttreten- Rechtsgrundlage 296 Die Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2016/97 über den Versicherungsbetrieb vom 17.12.2018 (VersVermV) ist nach Art. 4 am Tag nach der Verkündung, also am 18.12.2018 in Kraft getreten.513 Rechtsgrundlage ist die Verordnungsermächtigung in § 34e GewO. § 34e GewO beruht seinerseits auf § 34d GewO in der Neufassung vom 20.7.2017.514 Mit § 34d GewO wurde ein Teil der Vermittlerrichtlinie II (IDD) 2016/97 vom 20.1.2016 in das deutsche Recht umgesetzt. Mit Inkrafttreten der VersVermV 2018 trat die zuvor geltende VersVermV vom 15.5.2007515 außer Kraft.516

2. Wesentlicher Inhalt der Neuregelungen 297 Im Kern wurde das Erlaubnisverfahren einschließlich der Berufshaftpflichtversicherung und das Registrierungsverfahren näher ausgestaltet. Außerdem wurden die Pflichten der Versicherungsvermittler im Einzelnen ausgestaltet. Notwendige Folgeänderungen wurden in der Finanzanlagenverordnung (Art. 2) und der Immobiliar- und Darlehensvermittlungsverordnung (Art. 3) vorgenommen.517 Die VersVermV enthält in Abschnitt 1 das Erlaubnisverfahren, den Sachkundenachweis und 298 die Anforderungen an die Weiterbildung (§§ 1 bis 7). Das Vermittlerregister (§§ 8 bis 10) enthält Abschnitt 2. Die Anforderungen an die Berufshaftpflichtversicherung (§§ 11 bis 13) befinden sich in Abschnitt 3. Abschnitt 4 enthält die Anforderungen an die Geschäftsorganisation und die Informationspflichten (§§ 14 bis 17). Ergänzende Vorschriften für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten enthält Abschnitt 5 (§§ 18, 19). Das Konzept der Zahlungssicherung zu Gunsten des Versicherungsnehmers befindet sich in Abschnitt 6 (§§ 20 bis 25). Ordnungswidrigkeiten und Übergangsregelungen enthalten §§ 26, 27 (Abschnitt 7).

3. Erlaubnisverfahren, Sachkundenachweis, Weiterbildung (Abschnitt 1) 299 Wer gewerbsmäßig den Abschluss von Versicherungs-, oder Rückversicherungsverträgen vermitteln will (Versicherungsvermittler), bedarf nach § 34d GewO der Erlaubnis der zuständigen IHK. Das gilt nach § 34e Abs. 2 GewO auch für den Versicherungsberater. In § 1 VersVermV wird geregelt, dass die Antragssteller zusätzliche Angaben bei der Antragsstellung zu machen haben. Der Vermittler muss mitteilen, ob eine natürliche oder juristische Person an seinem Unternehmen eine Kapitalbeteiligung von 10 % oder mehr erhält (Abs. 1 Nr. 1). Es ist ferner mitzuteilen, ob der Antragssteller mit einer anderen Person durch ein Kontrollverhältnis dauerhaft verbunden ist (Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Nr. 7 VAG). Schließlich sind der IHK die Tatsachen mitzuteilen, die ausschließen, dass die Beteiligungen/ die Kontrolle die Überwachung durch die IHK beeinträchtigen (Abs. 1 Nr. 3). Das gleiche gilt für Änderungen dieser Angaben (Abs. 2). 300 § 2 enthält – wie auch früher schon – die Sachkundeprüfung. Im Kern geht es um die rechtlichen Grundlagen für die Versicherungsvermittlung und -beratung. Dazu gehören auch die sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen, ebenso wie die private Vorsorge durch Lebens-, Renten und BU-Versicherungen. Die Grundzüge der betrieblichen Altersversorgung 513 514 515 516 517

BGBl. 2018 I Nr. 46 vom 19.12.2018 ab S. 2483. BGBl. I 2789. BGBl. I 733, 1967. Art. 4 der VO BGBl. 2018 Teil I vom 19.12.2018, 2483, 2499. BTDrucks. 19/3109 S. 31.

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werden abgeprüft, ebenso wie staatliche Förderungssysteme und die steuerliche Behandlung privater Vorsorgeverträge, einschließlich der Entgeltumwandlung in der bAV. Geprüft werden die fachlichen Grundlagen der Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung, ebenso die Grundlagen der Hausrat- und der verbundenen Gebäudeversicherung. Genannt sind schließlich die Haftpflicht-, die Kraftfahrt- und die Rechtsschutzversicherung. Darüber hinaus erstreckt sich die Sachkundeprüfung auch auf die Kundenberatung (§ 2 Abs. 1 Nr. 2). Ausdrücklich genannt ist die Bedarfsermittlung. Dazu gehören auch Kenntnisse über die standardisierte Finanzanalyse.518 § 2 Abs. 2 umfasst die Sachkundeprüfung, insbesondere den zielgruppenspezifischen Bedarf, die Angebotsformen, den Leistungsumfang, den Versicherungsfall, sowie die rechtlichen Grundlagen und die marktüblichen allgemeinen Versicherungsbedingungen. Die weiteren inhaltlichen Anforderungen an die Sachkundeprüfung ergeben sich aus Anlage 1 zur VersVermV. Dort werden die inhaltlichen Anforderungen an die Kundenberatung, die rechtlichen Grundlagen im Allgemeinen, an die Vorsorgeprodukte, die gesetzliche und private Unfall-, Krankenund Pflegeversicherung, die Kraftfahrt-, Hausrat-, Gebäude- und Rechtschutzversicherung differenziert. Die Sachkundeprüfung kann bei jeder IHK abgelegt werden (§ 3 Abs. 1). Sie besteht aus einem schriftlichen und einem praktischen Teil (§ 4 Abs. 1). Die IHK stellt eine Bescheinigung über die erfolgreiche Ablegung der Sachkundeprüfung nach Anlage 2 zu § 4 Abs. 8 VersVermV aus. Bescheinigt wird: „Geprüfter Fachmann oder Fachfrau für Versicherungsvermittlung IHK.“ Personen, die seit dem 31. August 2000 selbstständig oder unselbstständig ununterbrochen als Versicherungsvermittler oder Berater tätig sind, bedürfen keiner Sachkundeprüfung (AlteHasen-Regelung). Das gleiche gilt für die kleine Gruppe von Personen, die seit August 2000 ununterbrochen tätig und zum 1.1.2009 eine Erlaubnis beantragt hatten und zwar auch dann, wenn nach der Antragsstellung eine Unterbrechung ihrer Tätigkeit eingetreten war. Auf diese Weise soll der Bestandsschutz für diese Betroffenen aufrecht erhalten bleiben.519 Bestimmte Berufsqualifikationen, etwa eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann oder zur Versicherungskauffrau oder die Qualifikation geprüfter Fachwirt*in für Versicherungs- oder Finanzberatung, sind der Sachkundeprüfung gleichgestellt (die Einzelheiten enthält § 5). Ausländische Bestätigungsnachweise können im Rahmen der Niederlassungsfreiheit anerkannt werden (§ 6). Mit Blick auf die Weiterbildung ergänzt § 7 die Grundregelungen in § 34d Abs. 9 GewO. Die Weiterbildung kann in Präsenzform, im Selbststudium, durch betriebsinterne Maßnahmen oder in einer anderen geeigneten Form durchgeführt werden. Bei Weiterbildungsmaßnahmen im Selbststudium ist eine nachweisbare Lernerfolgskontrolle durch den Anbieter der Weiterbildung erforderlich. Der Anbieter muss sicherstellen, dass der Weiterbildungsmaßnahme eine Planung zugrunde liegt, diese systematisch organisiert ist und die Qualifikation derjenigen, die Weiterbildungen durchführen, gewährleistet wird. Die Nachweise und Unterlagen über die Weiterbildung sind fünf Jahre auf einem dauerhaften Datenträger vorzuhalten. Für den Nachweis der Weiterbildung dient das Formblatt der Anlage 4 zur VersVermV.

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4. Vermittlerregister (Abschnitt 2) Das Vermittlerregister wird nach § 11a GewO bei der jeweils zuständigen IHK geführt. § 8 enthält 308 Angaben, die dem Register zu melden sind, insbesondere der Name der Person, die eingetragen werden soll, die Anschrift und die Registriernummer. Die Angaben zur Speicherung im Vermittlerregister sind der Registerbehörde mitzuteilen (§ 9).

518 BTDrucks. 19/3109 S. 33. 519 BTDrucks. 19/3109 S. 34. 883

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Begriffsbestimmungen

5. Berufshaftpflichtversicherung (Abschnitt 3) 309 Der Versicherungsvermittler muss für die Erlaubnis nach § 34d GewO eine Berufshaftpflichtversicherung nachweisen. Für gebundene Vertreter gilt dies nicht, wenn das Versicherungsunternehmen, an das er gebunden ist, für ihn die uneingeschränkte Haftung aus seiner Vermittlertätigkeit übernommen hat (§ 34d Abs. 7 Nr. 1 GewO). Ausnahmen können auch für produktakzessorische Vermittler bestehen, wenn anstelle der Berufshaftpflichtversicherung eine gleichwertige Garantie besteht (§ 34d Abs. 6 Nr. 2 GewO). 310 Die Berufshaftpflichtversicherung muss für das gesamte Gebiet der EU und des EWR gelten (§ 11). Die Versicherung muss bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen werden (§ 12 Abs. 1). Die Mindestversicherungssumme betrug nach Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie A 1,25 Mio. für jeden Versicherungsfall und A 1,85 Mio. für alle Versicherungsfälle eines Jahres. Die Summen werden durch technische Regulierungsstandards der Europäischen Kommission nach Art. 10 Abs. 7 RL angepasst. Im Jahre 2017 betrug die Mindestversicherungssumme A 1,276 Mio. für jeden Versicherungsfall und A 1,919 Mio. für alle Versicherungsfälle eines Jahres. Die Anpassungen erfolgen nach Art. 10 Abs. 7 der RL 2016/97 (§ 12 Abs. 2). 311 Der Versicherungsvertrag muss Deckung für die sich aus der Vermittlertätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden gewähren. Die Deckung muss sich auch auf Hilfspersonen (§§ 278, 831 BGB) erstrecken (§ 12 Abs. 3). Ist der Vermittler als geschäftsführender Gesellschafter in einer Personenhandelsgesellschaft (zum Beispiel OHG oder KG) tätig, so muss für die jeweilige Personenhandelsgesellschaft ein Versicherungsvertrag abgeschlossen werden. Der Vertrag kann auch die Tätigkeit des Gewerbetreibenden selbst abdecken (§ 12 Abs. 3). 312 Der Versicherungsvertrag hat Versicherungsschutz für jede einzelne Pflichtverletzung zu gewähren, die gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts gegen den Versicherungspflichtigen zur Folge haben könnte (§ 12 Abs. 4). Es geht also um gesetzliche Haftpflichtansprüche, nicht um vertragliche. Und es geht um privatrechtliche Haftpflichtansprüche, also nicht um öffentlich-rechtliche. Es kann vereinbart werden, dass sämtliche Pflichtverletzungen bei Erledigung eines einheitlichen Geschäfts als ein Versicherungsfall gelten (§ 12 Abs. 4). Die Haftung kann wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen werden (§ 12 Abs. 5). 313 Der Vermittler muss gegenüber der IHK eine Bestätigung dieser Pflichtversicherung nach § 113 Abs. 3 vorlegen. Die Bestätigung darf nicht älter als 3 Monate sein (§ 13 Abs. 1). Der Versicherer ist verpflichtet, der IHK unverzüglich die Beendigung des Versicherungsvertrages, etwa infolge einer Kündigung, anzuzeigen. Das gleiche gilt, wenn der VN aus einem Gruppenversicherungsvertrag ausscheidet. Außerdem ist jede Änderung des Versicherungsvertrages, die den Versicherungsschutz im Verhältnis zu Dritten beeinträchtigen kann, der IHK unverzüglich durch das Versicherungsunternehmen mitzuteilen (§ 13 Abs. 2).

6. Anforderungen an die Geschäftsorganisation, Informationspflichten (Abschnitt 4) 314 Der Vermittler muss (§ 14) über angemessene Vorkehrungen verfügen, um Informationen über das Versicherungsprodukt und das Produktfreigabeverfahren einschließlich des bestimmten Zielmarktes jedes Versicherungsproduktes zu erhalten. Die entsprechende Informationspflicht des Versicherungsunternehmens gegenüber dem Gewerbetreibenden ergibt sich aus § 23 Abs. 1c VAG. Einzelheiten werden nach Art. 25 Abs. 2 IDD durch einen delegierten Rechtsakt der EUKommission geregelt.520 Angestellte eines Vermittlers dürfen nicht in einer Weise vergütet oder bewertet werden, 315 die mit ihrer Pflicht, im besten Kundeninteresse zu handeln kollidiert (§ 14 Abs. 2). Der Gewerbetreibende darf keine Vorkehrungen durch die Vergütung, Verkaufsziele oder in anderer Weise 520 BTDrucks. 19/3109 S. 36. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

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treffen, durch die Anreize für ihn selbst oder seine Beschäftigten geschaffen werden könnten, einem Versicherungsnehmer ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu empfehlen, obwohl er ein anderes, den Bedürfnissen des Versicherungsnehmers besser entsprechendes Versicherungsprodukt anbieten könnte (§ 14 Abs. 2). Mit diesem Wortlaut knüpft der Verordnungsgeber an die Delegierte Verordnung 2017/2359 vom 21.9.2017 (Art. 8 Abs. 2a) an. Sehr ähnlich ist das BaFin Rundschreiben 11/2018 gestaltet. Im Grundsatz sind Boni, die im Voraus versprochen werden, ebenso unzulässig, wie die Vergütung bei Erreichung von bestimmten Absatzzielen. Demgegenüber sind Vergütungsanreize zulässig, etwa für niedrige Stornoquoten oder nachträgliche Boni für die Vergütung von hoher Kundenzufriedenheit. Entgelte für die automatische Verarbeitung von Geschäftsprozessen (Dunkelverarbeitung) oder für die Schadensregulierung sind nicht gemeint, denn beide Dienstleistungen werden erst nach Abschluss des Vertrages erbracht und sind von Provisionen/Courtagen für die Vermittlung nicht umfasst. Von großer praktischer Bedeutung sind die Informationen die der Vermittler dem VN nach § 15 zu gewähren hat. Es geht zunächst einmal um die Statusinformationen bei erstem Geschäftskontakt. Diese Informationen sind auch auf einer Website zu erbringen (§ 1a Abs. 2 VVG).521 Der Vermittler hat darüber hinaus mitzuteilen, wer eine Beratung anbietet (§ 15 Nr. 4). Ferner die Art der Vergütung, die er im Zusammenhang mit der Vermittlung erhält (zum Beispiel Courtage/Provision vom Versicherer: § 15 Nr. 5). Er hat ferner mitzuteilen, ob die Vergütung direkt vom Kunden zu zahlen ist oder als Provision oder sonstige Vergütung in der Versicherungsprämie enthalten ist (§ 15 Nr. 6), ob er als Vergütung andere Zuwendungen (Boni/geldwerte Sachleistungen) erhält (§ 15 Nr. 7) und ob seine Vergütung aus einer Verknüpfung der in den Nummern 6 und 7 genannten Vergütungen besteht. Die VersVermV geht also davon aus, dass Provisionen/Courtagen vom Versicherer gezahlt werden können und dürfen. Davon geht auch § 99 HGB aus. Die Vermittler dürfen aber auch Honorarvereinbarungen mit dem Kunden schließen. Das entspricht der Rechtsprechung des BGH zur Vergütungsvereinbarung bei Nettopolicen.522 Die Kostenausgleichsvereinbarung muss, so der BGH, vom Vermittler mit dem Kunden klar und transparent vereinbart werden. Eine Vereinbarung zwischen dem Kunden und dem Versicherer ist demgegenüber mit § 307 BGB nicht in Einklang zu bringen. In der Kostenausgleichsvereinbarung muss klar und verständlich formuliert werden, dass die Abschlusskosten nicht in der an den Versicherer zu zahlenden Prämie enthalten sind, sondern dem VN vom Vermittler gesondert in Rechnung gestellt werden. Es muss ferner vereinbart werden, wann die Abschlusskosten fällig werden – in der Regel, wenn der Versicherungsvertrag nach Ablauf von Widerrufsfristen wirksam wird. Es sollte darüber hinaus unbedingt klar und unmissverständlich darauf hingewiesen werden, dass der VN das Honorar auch dann schuldet, wenn er den Vertrag z.B. durch Kündigung vorzeitig beendet. Es sollte deutlich werden, dass er auch in diesem Falle die dem Vermittler geschuldeten Abschlusskosten in voller Höhe bereit ist zu zahlen. Selbstverständlich kann ein Vermittler auch eine Verteilung des Honorars auf die ersten 5 Jahre vereinbaren, so wie es § 49 VAG (Stornohaftung) tut. Die Mitteilungen nach § 15 erfolgen entweder auf Papier oder über einen anderen dauerhaften Datenträger, wenn der VN sich für diesen Datenträger entschieden hat (§ 16 Abs. 2 Nr. 1). Die Information ist auch über eine Website möglich, wenn der Zugang für den VN personalisiert wird oder der VN der Auskunftserteilung zugestimmt hat und es gewährleistet ist, dass die Auskünfte auf der Website so lange verfügbar bleiben, wie sie für den VN vernünftigerweise abrufbar sein müssen (§ 16 Abs. 2 Nr. 2). Der Mitteilungsweg über die Website ist insbesondere dann angemessen, wenn der VN eine E-Mail-Adresse für die Zwecke des Geschäftes mitteilt (§ 16

521 So bereits OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111982; Rübben Die Pflichten von Internetportalen beim Vertrieb von Versicherungsprodukten im Lichte europäischer Gesetzgebung, Berliner Reihe Bd. 51 (2018). 522 BGH 6.11.2013 – I ZR 104/12; 12.12.2013 – III ZR 124/13; 12.3.2014 – IV ZR 295/13. 885

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§ 59 VVG

Begriffsbestimmungen

Abs. 3). Bei einem telefonischen Kontakt sind die Mitteilungen dem VN nachträglich zu erteilen (§ 16 Abs. 4). 320 Nach § 17 muss der Vermittler über Leitlinien zur Beschwerdeverarbeitung verfügen. Damit wird Art. 14 der IDD umgesetzt.523 Die Leitlinien sollen dafür Rechnung tragen, dass Beschwerden zügig, rechtlich korrekt, fair, effizient und unter gleichmäßiger Anwendung von vorher festgelegten Kriterien bearbeitet werden.524 Es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das heißt, die Leitlinien müssen der Größe des Gewerbebetriebs angepasst sein.525 Bei Einzelgewerbetreibenden ist eine Beschwerdemanagement-Funktion nicht nötig – sie dürfte nur bei größeren Betrieben in Frage kommen.526 Die Informationen über das Verfahren zur Beschwerdebearbeitung (Abs. 2) sollen in geeigneter und zugänglicher Weise veröffentlicht werden, zum Beispiel auf der Website des Vermittlers.527 Bekanntgegeben sollte die Kontaktadresse, an die die Beschwerde zu richten ist. Ferner sollte es Informationen geben über den Zeitpunkt, an dem der Eingang der Beschwerde bestätigt wird. Es sollte Hinweise auf ungefähre Bearbeitungszeiten, Angaben über zuständige Behörden, Ombudsstellen oder Möglichkeiten eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens geben.528 321 Ruft der VN die Schlichtungsstelle nach § 214 an, so ist der Vermittler verpflichtet, an dem Schlichtungsverfahren teilzunehmen (§ 17 Abs. 4). Damit wird Art. 15 der IDD umgesetzt.529

7. Ergänzende Vorschriften für Versicherungsanlageprodukte (Abschnitt 5) 322 Vermittler die Versicherungsanlageprodukte, zum Beispiel fondsgebundene Lebensversicherungen, vermitteln, müssen angemessene Maßnahmen treffen, um Interessenkonflikte zu erkennen und zu vermeiden (§ 18). Einzelheiten regelt die unmittelbar anzuwendende Delegierte Verordnung (EU 2017/2359 vom 21.9.2017). Das gleiche gilt für Vergütungen die im Zusammenhang mit der Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten gezahlt werden (§ 19).

8. Zahlungssicherung (Abschnitt 6) 323 Vermittler, die vom VN für das VU Zahlungen im Zusammenhang mit der Vermittlung oder dem Abschluss eines Versicherungsvertrages annehmen, müssen zuvor eine Sicherheit geleistet, oder eine geeignete Versicherung abgeschlossen haben. Auf diese Weise wird der VN dahingehend geschützt, dass der Vermittler die Zahlung nicht an das VU weiterleiten kann (§ 20 Abs. 1). Das gleiche gilt, wenn der Vermittler Leistungen des Versicherers annimmt, die dieser auf Grund eines Versicherungsvertrages an den VN zu erbringen hat (§ 20 Abs. 2). Die Nachweise über alle Zahlungen sind übersichtlich zu sammeln (§ 22 Abs. 1). Überprüfungen durch die IHK sind möglich (§§ 23, 24).

9. Ordnungswidrigkeiten, Übergangsregelung (Abschnitt 7) 324 Ordnungswidrigkeiten enthält § 26. Ordnungswidrig ist es beispielsweise, wenn der Vermittler die Weiterbildungsbelege nicht vollständig 5 Jahre lang aufbewahrt (§ 26 Abs. 1 Nr. 1). Ord523 524 525 526 527 528 529

BTDrucks. 19/3109 S. 37. BTDrucks. 19/3109 S. 37. BTDrucks. 19/3109 S. 37. BTDrucks. 19/3109 S. 37. BTDrucks. 19/3109 S. 37. BTDrucks. 19/3109 S. 37. BTDrucks. 19/3109 S. 37.

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B. Spezielle Kommentierung

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nungswidrig ist es auch, wenn der Vermittler den VN beim ersten Geschäftskontakt nicht richtig oder vollständig informiert (§ 26 Abs. 1 Nr. 3). Auch Verletzungen im Rahmen der Zahlungssicherung führen zu Ordnungswidrigkeiten (§ 26 Abs. 1 Nr. 4 bis 7). In § 27 wird klargestellt, dass ein vor dem 1.1.2009 erworbener Abschluss als Versicherungs- 325 fachmann/frau des Berufsbildungswerks der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. der erfolgreich abgelegten Sachkundeprüfung gleichsteht.

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§ 60 Beratungsgrundlage des Versicherungsvermittlers (1)

1

Der Versicherungsmakler ist verpflichtet, seinem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und von Versicherern zu Grunde zu legen, so dass er nach fachlichen Kriterien eine Empfehlung dahin abgeben kann, welcher Versicherungsvertrag geeignet ist, die Bedürfnisse des Versicherungsnehmers zu erfüllen. 2Dies gilt nicht, soweit er im Einzelfall vor Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers diesen ausdrücklich auf eine eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl hinweist. (2) 1Der Versicherungsmakler, der nach Absatz 1 Satz 2 auf eine eingeschränkte Auswahl hinweist, und der Versicherungsvertreter haben dem Versicherungsnehmer mitzuteilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage sie ihre Leistung erbringen, und die Namen der ihrem Rat zu Grunde gelegten Versicherer anzugeben. 2Der Versicherungsvertreter hat außerdem mitzuteilen, für welche Versicherer er seine Tätigkeit ausübt und ob er für diese ausschließlich tätig ist. (3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Mitteilungen und Angaben nach Absatz 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten.

Schrifttum Beenken/Sandkühler Das neue Versicherungsvermittlergesetz (2007); Leverenz Anforderungen an eine „gesonderte Mitteilung“ nach dem VVG 2008, VersR 2008 719; Reiff Versicherungsvermittlerrecht im Umbruch (2006); Stöbener Informations- und Beratungspflichten des Versicherers nach der VVG-Reform (2007).

Übersicht 1

1. 2.

10 Hinreichende Zahl Einschränkung der Versicherer- und Vertragsaus19 wahl

2

II.

7

1. 2.

Tatbestandsvoraussetzungen von § 60 23 Abs. 2 Die Markt- und Informationsgrundlage 26 Rechtsfolgen

III.

Verzicht (§ 60 Abs. 3)

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt der Regelung

III.

Zweck der Regelung

B.

Spezielle Kommentierung

I.

Tatbestandsvoraussetzungen von § 60 Abs. 1 10 Satz 1

1

23

10 27

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Die Norm, für die es im Versicherungsrecht bis 31.12.2007 kein Vorbild gab, beruht auf der Umsetzung von Art. 12 Abs. 2 Vermittlerrichtlinie. Sie ist durch Umsetzung der IDD (23.2.2018) unverändert geblieben.

II. Inhalt der Regelung 2 Der Versicherungsmakler ist verpflichtet, seinem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen VV zugrundezulegen, sodass er gemäß fachlichen Kriterien eine Empfehlung daSchwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522624-047

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A. Einführung

VVG § 60

hingehend abgeben kann, welcher VV geeignet wäre, die Bedürfnisse des Kunden zu erfüllen. Dieser Wortlaut von Art. 12 Abs. 2 ist bis auf redaktionelle Korrekturen identisch mit dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz 1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 2 darf der Versicherungsmakler seine Empfehlung im Einzelfall auf eine eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl stützen, wenn er den VN darauf vor Abgabe von dessen Vertragserklärung ausdrücklich hinweist. Diese Einschränkung ist europarechtlich zulässig. Sie ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1e (lit. iii). Der Versicherungsmakler, der auf eine eingeschränkte Auswahl hinweist, hat – ebenso wie der Versicherungsvertreter – dem VN mitzuteilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage er seine Leistung erbringt. So kann sich der VN zumindest teilweise ein Urteil über die fachliche Kompetenz und Interessengebundenheit des Versicherungsvermittlers bilden.1 Damit geht das deutsche VVG über die Richtlinie hinaus, die dem VN lediglich ein Fragerecht sowie eine Belehrung über das Bestehen dieses Rechts einräumt (Art. 12 Abs. 1e lit. i bis iii).2 Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 hat der Versicherungsvertreter außerdem mitzuteilen, für welche VR er seine Tätigkeit ausübt und ob er für diese ausschließlich tätig ist. Damit wird Art. 12 Abs. 1e (lit. ii) Vermittlerrichtlinie umgesetzt. Nach § 60 Abs. 3 kann der VN auf die Mitteilungen und Angaben nach Abs. 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten. Um den Kunden den Verzicht bewusst vor Augen zu führen (Warnfunktion), muss die Verzichtserklärung zum Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung in einem eigenen Dokument, also nicht versteckt in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, gemacht und vom Kunden unterschrieben werden.3 Einen vergleichbaren Verzicht kennt die Vermittlerrichtlinie nicht. Von der Norm kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden (§ 67).

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III. Zweck der Regelung Die Norm bezweckt statusergänzende Informationen. Der Vermittler hat dem VN beim ersten 7 Geschäftskontakt bestimmte Statusinformationen klar und verständlich in Textform mitzuteilen. Die Informationen ergeben sich im Einzelnen aus § 15 Abs. 1 VersVermV.4 Der VN erfährt durch die Statusinformationen, ob er es mit einem Versicherungsmakler oder mit einem Versicherungsvertreter zu tun hat. Trotz dieser Informationen weiß er noch nicht genau, auf welcher Beratungsgrundlage der Versicherungsvermittler arbeitet. Er kann also noch nicht mit letzter Sicherheit beurteilen, ob der Vermittler einen vollständigen Marktüberblick hat, ob er völlig unabhängig auf der Grundlage einer objektiven Untersuchung berät oder ob seine VR- und Vertragsauswahl beschränkt ist. Statusergänzende Informationen dieser Art vermittelt § 60 Abs. 1. Damit will die Norm sicherstellen, dass der VN nicht nur den gewerberechtlichen Status des Vermittlers kennt, sondern auch darüber informiert ist, ob der Vermittler an einen oder mehrere VR gebunden ist oder mit einer bestimmten Anzahl von VR typischerweise zusammenarbeitet oder aber über einen ausgewogenen vollständigen Marktüberblick verfügt und völlig unabhängig ist. Zwar eröffnet der Gesetzgeber den Unternehmen die Wahl ihres Vertriebsweges. Die Freiheit 8 bei der Wahl des Vertriebsweges korrespondiert aber mit der Pflicht zur Aufdeckung von Abhängigkeiten zwischen dem Produktanbieter und dem Vertriebspartner. Ein Kunde, der weiß, dass der vor ihm stehende Vermittler an ein ganz bestimmtes Unternehmen gebunden ist, kann von diesem Vermittler kein Angebot aus der Produktpalette des gesamten Marktes verlangen. Sollte sich später herausstellen, dass ein anderer VR am Markt ein ähnliches oder leistungsstärkeres Produkt womöglich zu einem günstigeren Preis angeboten hatte, kann der Kunde, dem die Bin1 2 3 4

BTDrucks. 16/1935 S. 23. BTDrucks. 16/1935 S. 23. BTDrucks. 16/1935 S. 23. Damit wurde Art. 12 Abs. 1a bis e in das deutsche Recht umgesetzt.

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§ 60 VVG

Beratungsgrundlage des Versicherungsvermittlers

dung des Vermittlers bekannt war, keinen Schadensersatz verlangen. Der Kunde kann den Vermittler aber wechseln, wenn ihm die Bindung zu stark erscheint. Das gilt auch mit Blick auf Makler, die ausdrücklich auf eine eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl hinweisen. 9 Die Norm bezweckt somit die Transparenz über Abhängigkeitslagen, in denen sich Vermittler kraft Vertrages oder geschäftlicher Übung befinden. Auf diese Weise kann der Kunde – ganz unabhängig vom Inhalt des späteren Beratungsgespräches – den für seine Wünsche und Bedürfnisse statusrechtlich passenden Vermittler aussuchen, bevor er seine Vertragserklärung abgibt.5

B. Spezielle Kommentierung I. Tatbestandsvoraussetzungen von § 60 Abs. 1 Satz 1 1. Hinreichende Zahl 10 Der Versicherungsmakler ist verpflichtet, seinem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen VV und von VR zugrunde zu legen, so dass er nach fachlichen Kriterien eine Empfehlung dahin abgeben kann, welcher VV geeignet ist, die Bedürfnisse des VN zu erfüllen (§ 60 Abs. 1 Satz 1). Zunächst einmal stellt der Wortlaut klar, dass es um die hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Verträgen und VR geht. Es spielt also keine Rolle, in welchem Umfang VV oder VR von den Kunden nachgefragt werden. Der Makler soll also eine Anbieterperspektive einnehmen und seinen Rat auf eine hinreichende Zahl von angebotenen VV und VR stützen. 11 Die Verträge sollen auf dem Markt angeboten werden. Ein vergleichbarer Marktbezug fehlt bei den VR – hier genügt es, dass der Makler seinem Rat eine hinreichende Zahl von VR zugrunde legt. Gemeint ist in beiden Fällen das Gleiche. Der Makler muss seinen Rat quantitativ fundieren. Er muss also zunächst einmal prüfen, welche VV, die dem Bedürfnisprofil seines Kunden entsprechen, am Markt erhältlich sind und er muss im zweiten Schritt prüfen, welche VR Verträge dieser Art anbieten. Arbeiten VR aus bestimmten Gründen, z.B. weil sie Direktversicherer oder Internetversicherer sind, nicht mit Maklern zusammen, so werden ihre Verträge zwar auf dem Markt, der sich an die VN richtet, angeboten, sind aber Maklern nicht zugänglich. In diesen Fällen muss der Makler nach § 60 Abs. 1 Satz 2 darauf hinweisen, dass ein Angebot, bestimmte VR, z.B. Direktversicherer oder Internetversicherer oder VR, die mit Maklern prinzipiell nicht zusammenarbeiten, nicht umfasst.6 In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass Direktversicherer, Internetversicherer 12 und VR, die nicht mit Maklern zusammenarbeiten, von vornherein gar nicht zum „Maklermarkt“ gehören.7 Deshalb müsse der Makler VR dieser Art bei seiner Marktuntersuchung nicht berücksichtigen. Diese Auffassung vernachlässigt, dass es bei § 60 Abs. 1 Satz 1 nicht um den Maklermarkt, sondern um den Markt angebotener VV von VR geht, also um den Angebotsmarkt, der dem VN offen steht. Auf diesem Markt sind auch Direktversicherer oder Internetversicherer tätig.8 Ein Makler, der mit bestimmten VR nicht zusammenarbeiten kann, muss folglich nach § 60 Abs. 1 Satz 2 offenlegen, dass er über eine eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl verfügt, denn nur auf diese Weise kann der Kunde entscheiden, ob er weiterhin vom Makler betreut werden möchte oder möglicherweise doch lieber ins Internet schaut oder zu einem Direktversicherer wechselt. In jedem Fall muss der Makler alle VR, die Angebote auf dem Markt 5 Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 60 Rn. 1. 6 Loorschelders/Baumann § 60 Rn. 9, Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 3. 7 Beenken/Sandkühler 57/58, Rüffer/Halbach/Schimikowski/MünkeI § 60 VVG Rn. 4; Matusche-Beckmann § 5 Rn. 288.

8 Looschelders/Pohlmann/Baumann § 60 Rn. 9. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 60

stellen, berücksichtigen, auch, wenn er mit ihnen keine Courtagezusage hat.9 Im Ergebnis heißt dies, dass ein Makler entweder die Versicherer (positiv) benennen kann, mit denen er zusammenarbeitet. Weist er hingegen (negativ) darauf hin, mit wem er nicht zusammenarbeitet, so muss er nunmehr auch die Direkt- und die Internetanbieter benennen. Dies bedeutet nicht, dass der Makler wohlmöglich verpflichtet wäre, den Abschluss bei einem Internet- oder Direktversicherer zu empfehlen. Er ist nicht verpflichtet „Wettbewerb gegen sich selbst“ zu machen, aber sehr wohl verpflichtet darauf hinzuweisen, dass er seinem Rat bestimmte Versicherer und bestimmte Verträge nicht zugrundelegen kann, weil diese nicht bereit sind mit Maklern zusammenzuarbeiten. Durch einen solchen Hinweis des Maklers entsteht für den Kunden die notwendige Markttransparenz (wie beim Vertreter nach § 60 Abs. 2), aber keinerlei Notwendigkeit, Angebote von Versicherern, mit denen der Makler nicht zusammenarbeitet, in seine Analyse mit einzubeziehen. Das wäre sachlich auch nicht möglich, da der Versicherer ihm keine Angebote stellt. Insoweit laufen die Befürchtungen in der Literatur, die Pflichten an die Makler wohlmöglich zu überspannen, ins Leere.10 Die angebotenen VV müssen einen Markt bilden. Märkte werden traditionell zeitlich, räumlich und sachlich aus der Perspektive des verständigen Nachfragers abgegrenzt. Die zeitliche Marktabgrenzung kann eine Rolle spielen, wenn es beispielsweise um die Versicherung einer zeitlich begrenzten Sportveranstaltung oder einer Messe geht. Das Angebot eines VR für eine Messe im Herbst des Jahres ist mit dem Angebot eines anderen VR für eine Messe im Frühjahr desselben Jahres nicht vergleichbar, weil sich die Zeiträume gegenseitig ausschließen. Räumliche Angebotsbegrenzungen sind dann denkbar, wenn ein VR sein Angebot auf einen ganz bestimmten Raum, z.B. das Land Bayern oder den Raum Norddeutschland beschränkt, während ein anderer VR sein Angebot ausdrücklich auf das Saarland oder auf Ostdeutschland beschränkt. Die in der Praxis wichtigste sachliche Marktabgrenzung fragt danach, ob ein bestimmter VV aus der Sicht eines verständigen Nachfragers gegen einen anderen, alternativ angebotenen VV austauschbar ist. Dieses Bedarfsmarktkonzept, das vom BGH für das Wettbewerbsrecht entwickelt wurde,11 ist auch i.R.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 anzuwenden, denn es bewirkt, dass die aus der Sicht des VN austauschbaren VV miteinander verglichen werden, während die Verträge, die aus der Perspektive des VN ohnehin nicht vergleichbar sind, aus der Betrachtung herausfallen. Da der Makler darüber entscheidet, welche Verträge aus der Sicht des Kunden für diesen sachlich austauschbar sind, steht der Makler nach § 63 letztlich auch für Fehleinschätzungen ein. Hat der Makler den Markt nach zeitlichen, räumlichen und sachlichen Kriterien ermittelt, so muss er seinem Rat nunmehr eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen VV und von VR zugrunde legen. Hinreichend ist die Zahl dann, wenn er auf der Grundlage dieser Zahl nach „fachlichen Kriterien eine Empfehlung dahin abgeben kann, welcher VV geeignet ist, die Bedürfnisse des VN zu erfüllen.“ Der Begriff hinreichend ist somit nicht statisch, sondern funktional zu entwickeln. Es geht nicht darum, alle VV und VR in die Analyse einzubeziehen. Es geht nicht um eine ganz bestimmte Anzahl, z.B. 10 %, 50 % oder 75 %, sondern die Zahl ist hinreichend, wenn der Makler, und zwar auf der Grundlage fachlicher Kriterien – etwa unter Einsatz von am Markt inzwischen erhältlichen Vergleichsprogrammen – eine Empfehlung dahin abgeben kann, welcher VV geeignet ist, die Bedürfnisse des VN zu erfüllen. Der Makler schuldet also nicht best advice, sondern suitable advice, also eine den Bedürfnissen des VN angemessene, eine passende Beratung.12 kennt der Makler den einen passenden Vertrag, so ist es hinreichend, wenn er seinen Rat auf diesen Vertrag beschränkt.

9 So auch Beenken/Sandkühler 58; dabei helfen Ihm B2B-Vergleichsportale, wie etwa softfair oder Nafi. 10 So aber MüKo/Reiff § 60 Rn. 20; Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 60 Rn. 8/9. 11 BGH 3.7.1976 WuW/E BGH 1435 – Vitamin-B-12. 12 Wie hier Beenken/Sandkühler 57; Looschelders/Pohlmann/Baumann § 60 Rn. 5; Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 6. 891

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Beratungsgrundlage des Versicherungsvermittlers

Wie sich der Makler die für seine Empfehlung notwendigen Informationen besorgt, ob er dafür eine besondere Software13 einkauft, im Internet recherchiert, Produkte analysiert oder sich in anderer Weise einen Marktüberblick verschafft, ist gesetzlich nicht geregelt – insoweit stehen dem Makler alle Informationsmöglichkeiten, zur Verfügung. Allerdings muss der Makler im Streitfall beweisen, dass er eine hinreichende Zahl von Verträgen und VR seiner Empfehlung zugrunde gelegt hat, nach welchem System er gearbeitet hat, um sagen zu können, seine Empfehlung beruht auf einem hinreichenden Marktabgleich. Wenn er beispielsweise nur auf seine Maklererfahrung verweist, ohne offen zu legen, wie er sich Marktinformationen systematisch besorgt und verarbeitet hat, wird dies nicht reichen. 18 Verletzt der Makler seine Pflicht zu einer hinreichenden, ausgewogenen Marktuntersuchung, so spricht eine Vermutung dafür, dass er mit seiner Empfehlung die Wünsche und Bedürfnisse des VN nicht hinreichend erfüllt hat. Insoweit handelt es sich um eine widerlegliche Vermutung. Ein Makler, der einen passenden VV vermittelt, kann damit die Wünsche und Bedürfnisse des VN in vollem Umfang erfüllt haben, auch wenn er über keinen hinreichenden Marktüberblick verfügte. Allerdings ist es Sache des Maklers zu beweisen, dass die Wünsche und Bedürfnisse des VN trotz des fehlenden Marktüberblicks des Maklers erfüllt wurden. 17

2. Einschränkung der Versicherer- und Vertragsauswahl 19 Der Makler kann den VN im Einzelfall vor Abgabe von dessen Vertragserklärung ausdrücklich darauf hinweisen, dass er nur über eine eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl verfügt.14 Diese Erklärung muss der VN zustimmend zur Kenntnis nehmen.15 Eine darüber hinausgehende wirksame Vereinbarung mit dem VN ist vom Wortlaut des Gesetzes nicht gefordert, als Folge der Zustimmung des VN aber auch entbehrlich.16 Nimmt der VN die Beschränkung der Vertragsauswahl zustimmend zur Kenntnis und akzeptiert er die Beratung des Maklers auf diese Grundlage, so ist der Makler von seiner Pflicht nach Abs. 1 Satz 1 entbunden. Ihm obliegt es mithin zu beweisen, dass der VN seinen Hinweis auf die eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl zustimmend zur Kenntnis genommen hat.17 Die Beschränkung der Beratungsgrundlage kann nur im Einzelfall erfolgen; folglich ist eine Beschränkung durch einen Hinweis in den AVB mit § 60 nicht zu vereinbaren und somit unwirksam. Eines Rückgriffs auf § 307 BGB bedarf es nicht.18 Da der Versicherungsmakler durch AGB die Beschränkung der Beratungsgrundlage ohnehin nicht herbeiführen darf, stellt sich die Frage, ob und wann er sich möglicherweise soweit vom Leitbild seiner Tätigkeit entfernt, dass ein Widerruf der Gewerbeerlaubnis in Betracht kommt, nicht.19 Hiervon abgesehen, formuliert § 60 Abs. 2 weder eine Ausnahme noch eine Regel, sondern die Verpflichtung des Maklers auf eine eingeschränkte Auswahl hinzuweisen, so dass der VN weiß auf welcher Markt- und Informationsgrundlage die Beratung erfolgt.20

13 Wieso eine qualifizierte, marktumfassende Maklersoftware nicht genügen soll, bleibt unerfindlich; so aber Looschelders/Pohlmann/ Baumann § 60 Rn. 3, 12. 14 Langheid/Rixecker/Rixecker VVG § 60 Rn. 6. 15 BTDrucks. 16/1935 S. 23; Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 8. 16 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 60 Rn. 5; a.A. Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 8. 17 Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 8. 18 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 60 Rn. 5; mit anderer Begründung Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 11; Langheid/Rixecker/Rixecker VVG § 60 Rn. 6; ähnlich Looschelders/Pohlmann/Baumann § 60 Rn. 16; differenzierend Langheid/Wandt/Reiff § 60 Rn. 25 wonach der Hinweis nicht in den AGB des Maklers, wohl aber in vorformulierten Erklärungen enthalten sein dürfe – das überzeugt allerdings nach dem Wortlaut des § 60 nicht. 19 Dazu Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 12. 20 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 60 Rn. 5, der zu Unrecht zwischen Ausnahmefall und Einzelfall unterscheidet – diese Differenzierung enthält § 60 Abs. 2 nicht. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 60

Der ausdrückliche Hinweis auf die eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl setzt 20 entweder voraus, dass der Makler die Namen, der in Betracht kommenden VR und Verträge positiv benennt oder aber positiv jene VR und Verträge benennt, die in seine Vertragsauswahl nicht einbezogen sind. Letzteres bietet sich an, wenn der Makler seinem Rat eine sehr große Zahl von auf dem Markt angebotenen Verträgen und von Versicheren zugrunde legen kann, der Kunde aber darauf hingewiesen werden muss, dass seinem Rat einige wenige Marktakteure und Verträge nicht zugrunde gelegt werden können. Wenn der VN auf die Mitteilung der Namen der zugrunde gelegten Versicherer verzichtet 21 (§ 60 Abs. 3), so ändert dies nichts an der Verpflichtung des Maklers, den VN auf die eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl hinzuweisen (§ 60 Abs. 1 Satz 2). In einem solchem Fall ist die Bestimmung der Beratungsgrundlage nicht dem Makler überlassen, sondern dem Beratungsgespräch vorgegeben. Der VN verzichtet lediglich auf Mitteilung der Namen der VR, die die Markt- und Informationsgrundlage bilden. Der Verzicht bewirkt also weder unmittelbar noch mittelbar eine einseitige Leistungsbestimmung im Sinne des § 315 BGB.21 Der Makler ist von seiner Verpflichtung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 nur befreit, soweit er im 22 Einzelfall auf die eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl hinweist. Er kann also nicht generell, sozusagen für die gesamte Geschäftsverbindung mit dem VN auf eine eingeschränkte Vertragsauswahl hinweisen, sondern muss dies in jedem konkreten Einzelfall vor Abgabe der Vertragserklärung des VN tun. Dies schließt beispielsweise den Hinweis auf eine eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl durch Allgemeine Geschäftsbedingungen aus. Dies bedeutet aber nicht, dass der Hinweis auf die eingeschränkte Vertragsauswahl nur gelegentlich oder wohlmöglich nur in Ausnahmefällen zulässig wäre.22

II. Tatbestandsvoraussetzungen von § 60 Abs. 2 1. Die Markt- und Informationsgrundlage Der Versicherungsmakler, der auf eine eingeschränkte Auswahl hinweist, hat dem VN mitzu- 23 teilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage er seine Leistung erbringt und die Namen der seinem Rat zugrunde gelegten VR anzugeben. Die gleiche Verpflichtung trifft den Versicherungsvertreter. So kann sich der VN zumindest teilweise ein Urteil über die fachliche Kompetenz und Interessengebundenheit des Versicherungsvermittlers bilden.23 Diese Regelung geht über die Richtlinie hinaus, die dem VN lediglich ein Fragerecht sowie eine Belehrung über das Bestehen dieses Rechts einräumt (Art. 12 Abs. 1e lit. i bis iii).24 Während der VN vom Versicherungsmakler nach Abs. 1 ohnehin einen Rat auf Grundlage einer ausgewogenen Marktuntersuchung erwarten kann, hat der Versicherungsvertreter die Interessen des von ihm vertretenen VR oder mehrerer VR wahrzunehmen, sodass für seinen Ratschlag das Ergebnis eines Marktüberblicks nur insoweit relevant sein kann, als es mit dem Interesse der von ihm vertretenen VR übereinstimmt.25 Der Versicherungsvertreter kann auch einen Mehrfachvertreter sein. In einem solchen Fall 24 hat er dem VN mitzuteilen auf welcher Markt- und Informationsgrundlage er seine Leistung erbringt und die Namen der seinem Rat zugrunde gelegten VR anzugeben.26 Dies gilt für den 21 Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 60 Rn. 13; Rüffer/Halbach/Schimikowsk/Münkel § 60 Rn. 5; a.A. Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 10. 22 Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 11; Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 16 Rn. 14 m.w.N.; a.A. MüKo/Reiff § 60 Rn. 24. 23 BTDrucks. 16/1935 S. 23. 24 BTDrucks. 16/1935 S. 23. 25 BTDrucks. 16/1935 S. 23. 26 BTDrucks. 16/1935 S. 23; Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 15. 893

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§ 60 VVG

Beratungsgrundlage des Versicherungsvermittlers

Versicherungsvertreter und den Mehrfachvertreter generell, also nicht nur im Einzelfall – § 60 Abs. 1 Satz 2 betrifft nur den Makler. Hieraus folgt, dass der (Mehrfach)vertreter bereits in seinem Informationsmaterial für bestimmte Sparten eine Einschränkung der Beratungsgrundlage deutlich machen kann, weil er seine Empfehlung ohnehin nur auf die Angebote jeder VR stützen kann, an die er gebunden ist.27 25 Außerdem hat der Versicherungsvertreter mitzuteilen, für welche VR er seine Tätigkeit ausübt und ob er für diese ausschließlich tätig ist.

2. Rechtsfolgen 26 Der Versicherungsmakler ist nach § 63 zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem VN durch die Verletzung einer Pflicht nach § 60 entsteht. Dies gilt nicht, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Dem VN muss durch eine unzulängliche Beratungsgrundlage oder durch eine unzulängliche Information über die Beschränkung der Beratungsgrundlage ein Schaden entstanden sein.28 Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der VN bei einer ausreichenden Marktund Informationsgrundlage möglicherweise einen anderen, für ihn besseren Versicherungsvertrag geschlossen hätte.29 Dabei muss der Versicherungsmakler darlegen, dass die von ihm gewählte Informationsbasis den Anforderungen des § 60 entsprach.30 Dem VN obliegt es sodann, den ihm entstanden Schaden zu beweisen.31

III. Verzicht (§ 60 Abs. 3) 27 Der VN kann auf die Mitteilungen und Angaben nach Abs. 2 (eingeschränkte Auswahl) durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten. Um dem Kunden den Verzicht bewusst vor Augen zu führen (Warnfunktion), muss die Verzichtserklärung zum Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung in einem eigenen Dokument, also nicht versteckt in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, gemacht und vom Kunden unterschrieben werden.32 Eine vergleichbare Verzichtsmöglichkeit enthält die Richtlinie nicht, sodass nicht auszu28 schließen ist, dass § 60 Abs. 3 europarechtswidrig ist.33 Der Verzicht bezieht sich nur auf Mitteilungen und Angaben nach § 60 Abs. 2, nicht auf die Angaben nach § 60 Abs. 1. Folglich muss der Versicherungsmakler in jedem Fall auf eine eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl hinweisen, wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will. Wenn der Kunde nach diesem Hinweis auf die eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl nunmehr durch gesonderte schriftliche Erklärung auf die Mitteilung der Namen der dem Rat zugrunde gelegten VR verzichten will, so bedarf es hierfür wegen der umfassenden Betreuungspflicht des Maklers34 eines nachvollziehbaren Sachgrundes. Ohne einen solchen Sachgrund würde sich ein Makler, der auf eine eingeschränkte Vertragsauswahl hinweist – aber „seine“ VR nicht nennen will – widersprüchlich verhalten (venire contra factum proprium). Der Sachgrund könnte darin liegen, dass der Kunde mit dem Makler eine langjährige Geschäftsverbindung unterhält und genau weiß, mit welchen VR dieser Makler zusammenarbeitet. Eine Verzichtserklärung wäre auch dann nach27 28 29 30 31 32 33

Ähnlich Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 17 m.w.N. Langheid/Rixecker/Rixecker VVG § 60 Rn. 10. Langheid/Rixecker/Rixecker VVG § 60 Rn. 10. Langheid/Rixecker/Rixecker VVG § 60 Rn. 10. Langheid/Rixecker/Rixecker VVG § 60 Rn. 10. BTDrucks. 16/1935 S. 23; Stöbener ZVersWiss 96 465, 476. Wie hier Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 22; a.A. MüKo/Reiff § 60 Rn. 37; Looschelders/Pohlmann/Baumann § 60 Rn. 34. 34 BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 Rn. 15. Schwintowski

894

B. Spezielle Kommentierung

VVG § 60

vollziehbar, wenn der Kunde die Vermittlung gegenüber einem ganz bestimmten VR wünscht und der Makler bestätigt, mit diesem zusammenzuarbeiten. Gibt es keine nachvollziehbaren, naheliegenden Sachgründe für einen Verzicht des VN auf 29 die Mitteilungen und Angaben nach § 60 Abs. 2, so deutet eine solche Verzichtserklärung auf einen Beratungsfehler (§ 63) des Maklers hin, der Interessenvertreter und Sachwalter des Kunden ist.35 Ihm, dem Makler, muss daran gelegen sein, dem Kunden zu verdeutlichen, mit welchen VR und auf welcher Vertragsgrundlage er vermittelt, denn dem Makler als Interessenvertreter und Sachwalter des Kunden muss es darum gehen, dem Kunden aus der Gesamtheit aller aus dem Markt angebotenen Verträgen denjenigen zu vermitteln, der seine Wünsche und Bedürfnisse optimal abbildet. Wenn der Makler dies nicht kann, weil seine VR- und Vertragsauswahl eingeschränkt ist, so ergibt sich aus der Sachwalterposition des Maklers die Verpflichtung, den Kunden auf diese Einschränkungen hinzuweisen, um ihm die Gelegenheit zu geben, über die Frage, ob er mit dem richtigen Vermittler zusammenarbeitet, noch einmal nachzudenken. Aus diesen Gründen stellt sich zugleich die Frage, ob die in § 60 Abs. 3 vorgesehene Verzichtsmöglichkeit mit der Vermittlerrichtlinie, die eine vergleichbare Verzichtsmöglichkeit nicht vorsieht, vereinbar ist. In jedem Fall schließt die vom Gesetz geforderte ausdrückliche Erklärung nicht nur still- 30 schweigende Verzichterklärungen aus, sondern erfordert ein besonderes Erklärungsbewusstsein des VN: Er muss sich bewusst sein, dass er mit der Erklärung darauf verzichtet, konkrete Ihm geschuldete Informationen zu erhalten. Nur so kann dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz des VN Rechnung getragen werden.36 Die Verzichtserklärung ist, wenn man einmal die Frage der Europarechtswidrigkeit ausblendet, mit der Unterschrift durch den VN (§ 126 BGB) wirksam. Dafür, dass die Verzichtserklärung zugangsbedürftig ist, gibt es keinerlei Hinweise in § 60 Abs. 3. Das ist auch sachgerecht, denn der Verzicht ist eine einseitige, den VN bindende Erklärung, die keinen Zugang beim Vermittler voraussetzt. Zweckmäßigerweise sollte sich der Vermittler den Verzicht aber übermitteln lassen, da er beweisen muss, dass der VN auf die Angaben nach § 60 Abs. 2 verzichtet hat.

35 So verletzt ein Makler, der in seinen AGB Beratung völlig ausschließt, damit § 307 BGB, BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 Rn. 15. 36 BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14 Rn. 18. 895

Schwintowski

§ 61 Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers (1)

1

Der Versicherungsvermittler hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. 2Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 zu dokumentieren. (2) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung oder die Dokumentation nach Absatz 1 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherungsvermittler ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers auswirken kann, gegen den Versicherungsvermittler einen Schadensersatzanspruch nach § 63 geltend zu machen. [Ab 23.2.2018:] Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textfrom verzichten.

Schrifttum Armbrüster Der Abschluss von Versicherungsverträgen über das Internet, RuS 2017 57; Basedow/Meyer/Rückle/ Schwintowski (Hrsg.) VersWissStud Bd. 26 (2004) 123; Beenken Beratungspflicht nach der IDD und Ihre Umsetzung ins deutsche Recht, RuS 2017 617; ders./Sandkühler Das neue Versicherungsvermittlergesetz (2007); Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, WM 2006 1710; Ebers Die Reform des VVG vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, VersWissStud Bd. 26 (2004) 123; Fischer Versicherungsvermittler im Internet – der Vertriebskanal der Zukunft? BB 2012 2773; ders. Versicherungsvertrieb 4.0 – Auswirkungen des check24-Urteils und der Versicherungsvertriebs-RL, BB 2016 3082; Groth/ Schaaf Private Rentenversicherungen als Kapitalanlagegeschäfte? – Zur Reichweite der vorvertraglichen Pflichten von Versicherern und Versicherungsvermittlern, VersR 2019 655; Kieninger Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten beim Abschluss von Versicherungsverträgen, AcP 199 190; Langer/Rosenow Konsumentenschutz bei der Vermittlung von Versicherungsverträgen in der Schweiz und in Europa, in: Konsumentenrecht. Liber amicorum Bernd Stauder (2006) 195; Mauntel Bedarfs- und produktbezogene Beratung beim Abschluss von Lebensversicherungsverträgen (2004); Lehmann/Rettig Versicherungsvertrieb im Internet, NJW 2017 596; dies. Beratungspflichten im Internetvertrieb von Versicherungsprodukten – check24, die Haftung des Internetvermittlers und die Umsetzung der IDD-Richtlinie, VersR 2017 1370; Reiff Versicherungsvermittlerrecht im Umbruch (2006); ders. Das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechs, VersR 2007 717; Römer Informationspflichten in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, VersWissStud Bd. 11 (1999) 23; ders. Zu ausgewählten Problemen der VVG-Reform nach dem Referentenentwurf vom 13. März 2006 (Teil 1), VersR 2006 740; ders. Beratung nötig – Verzicht möglich – Zur Kunst der Gesetzgebung, VuR 2007 94; Rüffer/Halbach/Schimikowski Versicherungsvertragsgesetz – Handkommentar 3. Aufl. (2015); Schimikowski VVG-Reform: Die vorvertraglichen Informationspflichten des Versicherers und das Rechtzeitigkeitserfordernis, RuS 2007 133; Schneider Zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge: Information, Beratung und Belehrung im Versicherungsvertragsrecht, RuS 2015 477; Schwintowski Anleger- und objektgerechte Beratung in der Lebensversicherung, VuR 1997 83; ders. Neuerungen im Versicherungsvertragsrecht, ZRP 2006 139; ders. Versicherungsvermittlung über Internetportale, VuR 2014 370; ders. Internetplattformen im Spannungsfeld zwischen Versicherungsvermittlung- und Lauterkeitsrecht, VersR 2017 1062; ders. Angebots- und Vergleichsprogramme für Versicherungsvermittler auf dem Prüfstand des nationalen und europäischen Kartellrechts, NZKart 2016 575; Stöbener Informations- und Beratungspflichten des VR nach der VVG-Reform, ZVersWiss 2007 465;

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

Schwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522624-048

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Spezielle Kommentierung

3 7 896

A. Einführung

I. 1. 2. 3. 4.

Tatbestandsvoraussetzungen von § 61 7 Abs. 1 7 Befragungspflicht des Vermittlers 15 Anlassbezogene Beratung 33 Wünsche und Bedürfnisse Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und Prä45 mie

VVG § 61

5. 6.

49 Rat Dokumentation

II.

Beratungs- und Dokumentationsverzicht (§ 61 55 Abs. 2)

50

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Mit § 61 Abs. 1 wurde Art. 12 Abs. 3 der VRL umgesetzt.1 Es geht um die Beratungs- und Doku- 1 mentationspflicht des Versicherungsvermittlers und damit um den Kern der Neuregelung. Nach § 61 Abs. 2 kann der VN auf die Beratung oder die Dokumentation oder auf beides zusammen (schriftlich) verzichten. Eine vergleichbare Verzichtsmöglichkeit enthält die VRL nicht. Im Zuge der Umsetzung der IDD (23.2.2018) hat der Gesetzgeber (wie für VR in § 6 Abs. 3) für Verträge im Fernabsatz, die Möglichkeit des Verzichts in Textform ermöglicht.2 Von § 61 kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden (§ 67). § 61 gilt für alle Versicherungsvermittler und damit auch für jene, die eine Vertriebstätigkeit 2 im Sinne von § 1a Abs. 2, also über Websites und anderen Medien wählen. Dies gilt auch für jene Vermittler, die Ranglisten von Versicherungsprodukten erstellen, einschließlich eines Preisund Produktvergleichs oder eines Rabatts auf den Preis eines Versicherungsvertrags, wenn der VN den Vertrag direkt oder indirekt über eine Webseite oder über ein anderen Medium abschließen kann. Damit ist der Streit um die Einbeziehung von Internetanbietern in die Beratungs- und Dokumentationspflichten eindeutig entschieden.3 Eine andere Frage betrifft diejenige, ob und unter welchen Voraussetzungen Angebots- und Vergleichsprogramme für Versicherungsvermittler mit dem nationalen und internationalen Kartellrecht im Einklang stehen.4

II. Inhalt und Zweck der Regelung Das bis zum 31.12.2007 geltende VVG enthielt keine Vorschriften über die Beratungs- und Doku- 3 mentationspflichten gegenüber dem VN vor Abschluss eines VV. Aufklärungs- und Informationspflichten gegenüber dem VN bestanden nur dann, wenn dieser nach den im Verkehr herrschenden Anschauungen redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Allerdings waren weder der VR noch der Versicherungsvermittler verpflichtet, den VN von sich aus über alle Einzelheiten der Vertragsbeziehungen aufzuklären oder auf mögliche Schadensfälle, die von der Versicherung nicht gedeckt waren, hinzuweisen.5 Anerkannt war durch die Rechtsprechung des BGH allerdings, dass der Vermittler den zukünftigen Vertragspartner über alle Umstände aufzuklären hatte, die für dessen Entschließung von wesentlicher Bedeutung sein konnten.6

1 BTDrucks. 16/1935 S. 24. 2 BTDrucks. 18/11627 S. 43. 3 Zuvor bereits in gleicher Weise OLG München 6.4.2017 – 29U 3139/16, BeckRS 2017 111987; dazu Lehman/Rettig VersR 2017 1320; zuvor dies. NJW 2017 596; Schwintowski VersR 2015 1062; ders. VuR 2014 340; Fischer BB 2012 2773; ders. BB 2016 3082. 4 Schwintowski NZKart 2016 575. 5 OLG Köln 29.3.1973, VersR 1974 199. 6 BGH 5.2.1981, VersR 1981 621, 623. 897

Schwintowski

§ 61 VVG

Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers

Durch § 61 Abs. 1 wird erstmals eine Beratungs- und Dokumentationspflicht im VVG verankert. Der Versicherungsvermittler hat den VN nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben (§ 61 Abs. 1). Diese Informationen sind vor dem Abschluss des Vertrags klar und verständlich in Textform zu übermitteln (§ 62 Abs. 1).7 Der Vermittler klärt ausgehend von den Wünschen des Kunden, ob ein bestimmter VV seinen Bedürfnissen entspricht, für ihn also geeignet ist (suitability test). Um einen Rat für das geeignete Produkt abgeben zu können, muss der Vermittler eine Risikoanalyse durchführen und auf diese Weise dem Kunden die Vor- und Nachteile eines VV, einschließlich des Preis-Leistungsverhältnisses, vor Augen zu führen. Im Kern geht es § 61 Abs. 1 darum, beim Kunden die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte informierte Entscheidung für oder gegen einen VV zu treffen. § 61 Abs. 1 ist Ausdruck und Konkretisierung des Gedankens der Privatautonomie. Ein Kunde soll seinen Willen privatautonom auf der Grundlage hinreichender Informationen bilden. 5 Darüber hinaus soll § 61 Abs. 1 i.V.m. § 62 Abs. 1 für eine ordnungsgemäße Dokumentation der Beratung sorgen. Die Dokumentation bezweckt zum einen, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden durch den Rat des Vermittlers hinreichend und angemessen abgefragt und abgebildet wurden. Die Dokumentationspflicht ist sozusagen die Referenzkopie des Beratungsgespräches – eine gute Dokumentation bildet die Kernpunkte des Beratungsgespräches ab und erlaubt es, den Entscheidungsprozess sowohl des Vermittlers als auch des Kunden nachzuvollziehen. Gleichzeitig werden Beweisschwierigkeiten über den Inhalt des Beratungsgespräches durch eine Dokumentation weitgehend ausgeräumt. 6 Dies kommt Vermittlern, VR und VN nicht erst im Prozess über mögliche Beratungsfehler zugute, sondern entfaltet Vorfeldwirkung. Die Tatsache, dass die entscheidenden Grundaussagen des Beratungsgespräches dokumentiert werden müssen, bewirkt automatisch erhöhte Beratungsdisziplin und Beratungsqualität. Ein Vermittler, der dem Kunden im Beratungsgespräch etwas verspricht, dieses Versprechen aber nicht dokumentieren will, macht sich beim Kunden unglaubwürdig. Der Kunde wird seine Vertragserklärung bei diesem Vermittler nicht abgeben. Umgekehrt muss der Vermittler in der Dokumentation Wert darauf legen, dass dem Kunden die Grundstruktur des zu schließenden Vertrages deutlich vor Augen tritt. Dazu gehören die Informationen über den versicherten Gegenstand, die Prämie die Kosten sowie die Risikoausschlüsse und die Obliegenheiten.

4

B. Spezielle Kommentierung I. Tatbestandsvoraussetzungen von § 61 Abs. 1 1. Befragungspflicht des Vermittlers 7 Gemeint sind alle Versicherungsvermittler mit Ausnahme der Bagatellvermittler nach § 66. Angestellte des VR im Außendienst sind nicht gemeint – für diese steht der VR nach § 278 BGB ein.8 Der Versicherungsvermittler hat den VN zu befragen und zu beraten. Demgegenüber hat der Vermittler nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 3 VRL die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden anzugeben. Dies bedeutet zunächst nur, dass der Vermittler die Wünsche und Bedürfnisse, soweit sie ihm vom Kunden oder auf andere Weise bekannt werden, dokumentieren muss.9 Macht der Kunde jedoch von sich aus keine oder nur unzureichende Angaben, so wird das Ziel der Vorschrift, im Interesse des Kunden eine sachgerechte Beratung durch einen Versicherungsvermittler zu erreichen, verfehlt.10 7 Damit wird Art. 13 der Richtlinie umgesetzt. 8 Langheid/Rixecker/Rixecker VVG § 61 Rn. 6. 9 BTDrucks. 16/1935 S. 24. 10 BTDrucks. 16/1935 S. 24. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 61

Mit Wirkung zum 23.2.2018 ist § 1a Abs. 2 zur Umsetzung von Art. 17 Abs. 1 IDD11 in Kraft getreten. Danach muss der Vermittler bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber dem VN stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichen Interesse handeln.12 Diese Verpflichtung, die Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist, wird, so die Gesetzesbegründung, durch die Pflicht des Vermittlers die Wünsche und Bedürfnisse des VN zu erfragen und einen darauf abgestimmten Rat zu erteilen, konkretisiert.13 Der Gesetzgeber spricht von der Pflicht die Wünsche und Bedürfnisse des VN zu erfragen. Von einer (nur) anlassbezogenen Beratung spricht er nicht. Der Begriff des Beratungsanlasses ist somit funktional aus der Perspektive des bestmöglichen Interesse zu entwickeln.14 Die gleichen Grundsätze enthält § 6 für den VR, wenn dieser den VN direkt berät. Nimmt der VR für die Vermittlung von VV die Dienste von (gebundenen) Versicherungsvertretern in Anspruch, so erfüllt der Versicherungsvertreter die Pflichten des VR nach § 6 Abs. 1 Satz 1.15 Er handelt aufgrund des Vertretervertrages mit dem VR für und gegen diesen (§§ 164, 166 BGB) – einer gesetzlichen Regelung bedarf es insoweit nicht.16 Demgegenüber wird der Versicherungsmakler nicht als Vertreter des VR, sondern als Sachwalter für den VN tätig.17 Der VR darf im Falle der Zwischenschaltung eines Versicherungsmaklers davon ausgehen, dass dieser seine ihm gegenüber dem VN obliegende Frage- und Beratungspflicht erfüllt.18 Aus diesem Grunde ist es in diesen Fällen nicht erforderlich, auch dem VR eine entsprechende Frage- und Beratungspflicht aufzuerlegen, wie § 6 Abs. 6 klarstellt. Das Verhalten eines Maklers, der als Vertragspartner des VN für diesen tätig ist, kann ausnahmsweise dem VR zuzurechnen sein, wenn der Makler mit Wissen und Wollen des VR Aufgaben übernimmt, die typischerweise dem VR obliegen, so dass er in dessen Pflichtenkreis tätig wird.19 Die gleichen Grundsätze gelten, wenn der Vertrag über einen Versicherungsberater zustande kommt, weil auch dieser der Frage- und Beratungspflicht nach § 61 Abs. 1 unterliegt. Einer ausdrücklichen Klarstellung im Gesetz bedarf es insoweit nicht.20 Etwas anderes gilt aus der Sicht des VR für Gelegenheitsvermittler nach § 34d Abs. 8 GewO, da diese der Frage- und Beratungspflicht nicht unterworfen sind (§ 66). Ansonsten sorgen §§ 61 Abs. 1, 6 Abs. 1 für den Gleichlauf der Frage- und Beratungspflicht, einerseits der Vermittler und andererseits der VR. Ein Versicherungsvertreter schuldet im Vergleich zu einem Versicherungsmakler nur eine eingeschränkte Produktberatung und muss grundsätzlich seine eigene Marktposition nicht schwächen. Gleichwohl muss auch er über diejenigen Punkte, die für den Abschluss des konkreten Vertrages üblicherweise von wesentlicher Bedeutung sind, aufklären und etwaige irrige Vorstellungen des VN in zentralen Punkten richtig stellen.21

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2. Anlassbezogene Beratung Eine Pflicht, den Kunden nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen, besteht nur 15 insoweit, als aufgrund der konkreten Umstände für den Versicherungsvermittler ein erkennba-

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RL (EU) 2016/97 v. 20.1.2016, ABl. L26/19 S. 39. Das gleiche gilt für den VR § 6 Abs. 1. BTDrucks. 18/1127 S. 42. Dazu mehr unter 2. BTDrucks. 16/3945 S. 58. BTDrucks. 16/3945 S. 58. BTDrucks. 16/3945 S. 58. BTDrucks. 16/3945 S. 58. BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15 (juris) ab Rn. 23 m.w.N. BTDrucks. 16/3945 S. 58. OLG Saarbrücken 26.4.2017 – 5U 36/16, BeckRS 2017 120805. Schwintowski

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rer Anlass dazu besteht.22 Hierunter ist keine eingehende Ermittlungs- und Nachforschungstätigkeit zu verstehen, sondern es soll lediglich eine angabenorientierte Beratung sichergestellt werden.23 Hinsichtlich des Anlasses werden als Kriterien beispielsweise die Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, die Person des VN und dessen Situation genannt.24 Der Umfang der Verpflichtung des Versicherungsvermittlers richtet sich zum einen nach Art, Umfang und Komplexität des konkreten Versicherungsproduktes, d.h. danach, ob es sich bei der vom VN gewünschten Versicherung um ein einfaches Standardprodukt, wie z.B. eine Hundehaftpflichtversicherung, oder einen komplizierten Vertrag, wie z.B. eine Lebensversicherung, handelt.25 Zum anderen ist maßgeblich, inwieweit der Kunde bereit und vor allem in der Lage ist, seine Bedürfnisse und Wünsche klar zu benennen. Bei klar artikulierten, begrenzten Wünschen des Kunden können Befragung und Beratung auf ein Minimalmaß reduziert sein.26 Auch Informationen, die sich dem Vermittler in der konkreten Vermittlungssituation aufdrängen, muss er berücksichtigen. Wenn es also um eine Hausratversicherung geht und dem Vermittler i.S.d. Kunden weit überdurchschnittliche Wertgegenstände auffallen, hat er auf die Gefahr einer möglichen Unterdeckung hinzuweisen.27 Andererseits muss der Vermittler von sich aus keine allgemeine Risikoanalyse durchführen und z.B. nach dem Bestehen einer Berufsunfähigkeitsversicherung fragen, wenn er vom Kunden wegen einer Hausratversicherung kontaktiert wird.28 Der Maklerauftrag bezieht sich in der Regel nur auf das von seinem Kunden ihm zur Prüfung aufgegebene Risiko. Es besteht grundsätzlich keine Verpflichtung des Maklers, die gesamte Versicherungssituation des Kunden ungefragt einer umfassenden Prüfung zu unterziehen.29 Ein Anlass zur Befragung, Beratung und Dokumentation wird regelmäßig nur für den Versicherungsvermittler bestehen, der den Kundenkontakt hat, nicht etwa zusätzlich für einen „Obervermittler“. Bei derartigen Vermittlungsketten besteht ohnehin nur eine Pflicht, die in der Kette weitergegeben wird.30 Damit hat sich – gegen die Kritik des Bundesrates31 – das Modell der anlassbezogenen Beratung durchgesetzt. Dieses Modell wurde zuvor bereits in der Rechtsprechung entwickelt.32 Der BGH hat im Jahre 1981 wie folgt formuliert: Es kann „nicht Sache des VR und der für ihn handelnden oder verhandelnden Personen sein, umfangreiche Befragungen durchzuführen, um festzustellen, ob für den VN möglicherweise eine andere als die beantragte Versicherungsart vorteilhafter ist; er wird vielmehr nur dann aufklären müssen, wenn er erkennen oder mit der nahe liegenden Möglichkeit rechnen muss, dass der Antragsteller aus mangelnden versicherungsrechtlichen oder versicherungstechnischen Kenntnissen nicht die für ihn zweckmäßigste Vertragsgestaltung gewählt hat.“33 Mit Wirkung zum 23.2.2018 ist § 1a Abs. 1 zur Umsetzung von Art. 17 Abs. 1 IDD in Kraft getreten. Das heißt der Vermittler muss bei seiner Vertriebstätigkeit stets im bestmöglichen Interesse des VN handeln. In der Gesetzesbegründung weißt der Gesetzgeber auf die Pflicht des Vermittlers hin, die Wünsche und Bedürfnisse des VN zu erfragen. Von einer anlassbezogenen Einschränkung spricht der Gesetzgeber nicht. Er geht also davon aus, dass der Vermittler nur dann professionell und im bestmöglichen Interesse des VN handeln kann, wenn er zuvor geklärt

22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. OLG Hamm 21.5.2015 – 18U 132/14, BeckRS 2015 12435. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/3945 S. 125. Kieninger AcP 199 190, 195 f.; Stöbener ZVersWiss 2007 467 ff. BGH 5.2.1981, VersR 1981 621.

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hat, ob dem VN die Leistung der Versicherer und ihre möglichen Leistungsgrenzen bekannt sind. Dabei ist zu beachten, dass sich das bestmögliche Interesse nicht ausschließlich nach objektiven Maßstäben bestimmen lässt.34 Es kommt immer auf die subjektiven Wünsche und Bedürfnisse des VN an. Besteht ein Beratungsanlass für die Risiken, die der VN erkennbar absichern will, so ist er darauf hinzuweisen, wenn sich seine gewünschten Ziele mit dem anvisierten Produkt (fondsgebundene Rentenversicherung) nicht erreichen lassen.35 Der Begriff des Beratungsanlasses ist somit, spätestens seit 23.2.2018, im Lichte des § 1a Abs. 1 funktional aus der Perspektive des bestmöglichen Interesses des VN zu entwickeln. Ganz in diesem Sinne hat bereits das OLG München aus der Perspektive eines Internetmaklers entschieden.36 Es bestünde zwar keine anlasslose Prüfungs- und Beratungspflicht.37 Der Anlass, den VN nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen, ergäbe sich aber aus der Schwierigkeit, die jeweils angebotene Versicherung zu beurteilen.38 Bei einer Hausratversicherung besteht etwa die Pflicht nach Umständen, wie der Studenteneigenschaft, zu fragen, um zu klären, ob der Studierende möglicherweise schon über seine Eltern (Außenversicherung) mitversichert ist – andernfalls bestehe die Gefahr der Doppelversicherung.39 Das gelte auch bei der Beratung im Internet über eine Website.40 Bei einer PHV sind Risiken aus ehrenamtlichen Tätigkeiten oder besonderen Hobbys nicht immer abgedeckt. Deshalb besteht die Notwendigkeit den, an einer derartigen Versicherung Interessierten, zu fragen, ob er/sie solche Tätigkeiten oder Hobbys wahrnimmt und ob er/sie auch insoweit Versicherungsschutz begehrt.41 Wird ein geleastes Fahrzeug versichert, so besteht die Gefahr einer Kollision zwischen der im Leasingvertrag regelmäßig vereinbarten Verpflichtung des Leasingnehmers, das Fahrzeug in einer Vertragswerkstatt reparieren zu lassen, und dem – zu einer niedrigeren Prämie führenden – Verzicht auf freie Werkstattwahl im Versicherungsvertrag. Daraus folgt die Notwendigkeit den VN danach zu befragen, ob seine Erklärung, auf die freie Werkstattwahl zu verzichten, mit den Regelungen in seinem Leasingvertrag vereinbar sind – das gilt auch bei der Beratung im Internet über eine Website.42 Die vom OLG München entwickelten Hinweispflichten begründen keinen unangemessenen Beratungsaufwand, der zum Ausschluss der Beratungspflichten führen könnte.43 Der Beratungsanlass ergibt sich aus der Schwierigkeit, die jeweils angebotene Versicherung zu beurteilen.44 Der Vermittler muss sich in den durchschnittlichen VN ohne spezifische Rechtskenntnisse versetzen und sich fragen, ob ein solcher VN die eben beschriebenen Schwierigkeiten einer Hausrat-, PHV- oder KfZ-Versicherung aufgrund persönlichen Wissens erkennen und beurteilen kann. Bestehen insoweit Zweifel, so besteht umgekehrt ein Anlass für die Befragung des VN. Da der Vermittler in der Regel den Wissensstand des VN nicht kennt, also nicht ausschließen kann, dass der VN die vom OLG München gestellten Fragen aus eigenem Wissen nicht beantworten kann, besteht ein Anlass, den VN (stichprobenartig) so zu befragen, wie es das OLG München

34 BTDrucks. 18/11627 S. 42. 35 OLG Düsseldorf 4.11.2019 – 24 U 1/19, BeckRS 2019, 29126 unter Hinweis auf BeckOK/VVG/Filthuth, Stand: 28.2.2019, § 6 Rn. 9. 36 OLG München 6.4.2017 – 20U 3119/16, BeckRS 2017 111982 Rn. 39. 37 OLG München a.a.O Rn. 24 ff. 38 OLG München a.a.O. Rn. 39. 39 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111982 Rn. 41. 40 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111982 Rn. 43. 41 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111982 Rn. 44. 42 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111982 Rn. 47. 43 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111982 Rn. 50. 44 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16, BeckRS 2017 111982 Rn. 39. 901

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entwickelt, sodass der Vermittler sicher sein kann, im bestmöglichen Interesse des VN zu handeln (§ 1a Abs. 1).45 25 Berät der Vermittler den VN, so schuldet er in jedem Fall eine sorgfältige und ordnungsgemäße Beratung, auch wenn sich später herausstellt, dass gar kein Anlass für die Beratung bestand.46 In diesen Fällen haftet der Vermittler für falsche Beratung und Aufklärung nach § 63 sowie nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB. Schließlich sind in der Rechtsprechung Frage- und Beratungspflichten bei erkennbarer 26 Verfehlung des Versicherungszwecks anerkannt, wenn der Vermittler also weiß oder wissen muss, dass der vom VN beantragte Versicherungsschutz seinen individuellen Versicherungsbedarf zu verfehlen droht.47 Wünscht der Kunde für eine bestimmte Lebenssituation eine umfassende Sicherung, so muss der VV, der später zustande kommt, diesen Anforderungen genügen, es sei denn, auf wesentliche Deckungslücken ist klar und unmissverständlich hingewiesen worden. Vergisst der Vermittler bei Abschluss einer Gebäudeversicherung, dass das vom Heizöltank ausgehende Anlagerisiko noch nicht abgedeckt ist, so steht er dafür ein.48 Ebenso muss der Inhaber eines Rohrreinigungsservices bei Abschluss einer Haftpflichtversicherung darauf hingewiesen werden, dass die für sein Unternehmen im Zentrum stehenden Schäden durch Abwasser gerade nicht eingeschlossen sind.49 Schließt ein VN eine private Krankenversicherung in der Absicht ab, sich bei Heilpraktikern behandeln zu lassen, so muss der Vermittler darauf hinweisen, dass solche Leistungen im angestrebten Vertrag nur eingeschränkt erstattet werden.50 Das Gleiche gilt, wenn der VN für sein Kfz Haftpflichtversicherungsschutz ab Zulassung ausdrücklich wünscht, durch den abgeschlossenen Vertrag aber nicht bekommt.51 Im Dachdeckergewerbe ist es üblich, Gerüste an Dritte zu vermieten. Wenn das hieraus resultierende große Haftpflichtrisiko in der üblichen Betriebshaftpflichtversicherung nicht eingeschlossen ist, so muss der Vermittler darauf ausdrücklich hinweisen.52 Wenn ein türkischer VN eine Kfz-Versicherung nimmt, so muss darauf hingewiesen werden, dass die Deckung auf Europa beschränkt ist und somit den asiatischen Teil der Türkei nicht einschließt.53 Bei einem Deutschen, der eine Ausbildungsstelle im asiatischen Teil der Türkei hatte, wurde die Hinweispflicht mangels erkennbaren Anlasses verneint.54 Verlangt der VN eine hinreichende Gebäude- und Feuerversicherung, so ist der VN grund27 sätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er die richtige Versicherungssumme nennt. Wenn diese Versicherungssumme aber nur schwer zu bestimmen ist, etwa weil sie nach dem Gebäudewert von 1914 bestimmt wird, verlangt der BGH, dass der Vermittler oder sein Vertreter den VN auf die Problematik hinweist und berät.55 Bei pflichtwidriger und schuldhafter Falschberatung oder bei ganz unterlassener Aufklärung ist es dem Vermittler verwehrt, sich im Schadensfalle auf eine Unterversicherung zu berufen.56 Dem Makler obliegt es bei einer Maschinenversicherung u.a. einen auskömmlichen Versicherungswert zu ermitteln und den VN über die Bedeutung 45 So schon BTDrucks. 16/1935 S. 24 zu § 42c a.F. 46 BGH 28.10.1963, NJW 1964 245; KG Berlin VersR 2007 731; LG Flensburg 26.5.1995, RuS 1995 350; LG Köln 25.11.1992, RuS 1993 229. 47 BGH 9.10.1974, VersR 1975 77, 78; OLG Köln 12.6.1986, RuS 1986 273; 9.3.1999 RuS 1999 272, 274. 48 OLG Köln 14.1.1993, RuS 1993 134, 135. 49 OLG Köln 12.6.1986, RuS 1986 273. 50 OLG Köln 21.3.1991, VersR 1991 1279, 1280. 51 OLG Köln 29.4.1997, VersR 1998 180. 52 BGH 9.10.1974, VersR 1975 77, 78. 53 OLG Stuttgart 8.3.1993, Schaden-Praxis 1993 188; OLG Innsbruck 13.12.1990, VersR 1992 600; OLG Köln 30.8.1990, RuS 1990 400 (Kunde müsse beweisen, dass er Versicherungsschutz auch für den asiatischen Teil gewünscht habe); großzügiger OLG Frankfurt/M 20.11.1997, VersR 1998 1103, das schon aus dem Umstand eine Aufklärungspflicht des VR annahm, dass die VN türkische Staatsangehörige war. 54 OLG Koblenz 6.3.1998, ZfS 1998 261. 55 BGH 7.12.1988, VersR 1989 472 = NJW-RR 1989 410. 56 Römer VersWissStud Bd. 11, 23, 29. Schwintowski

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des jeweiligen gültigen Listenpreises in § A 5 Nr. 1 lit. a. ABMG 2008 aufzuklären und auf die in diesem Zusammenhang bestehenden Risiken einer Unterversicherung hinzuweisen.57 Bittet der Inhaber eines freistehenden, eingerichteten, aber zurzeit nicht betriebenen, Hotels um umfassenden Versicherungsschutz, so muss der Vermittler, der nur den üblichen Versicherungsschutz anbietet, darauf hinweisen, dass – hier nahe liegende – Vandalismusschäden nicht mitversichert sind. Das gilt auch dann, wenn der Vermittler selbst nicht bereit gewesen wäre, seinen Vertrag auf Vandalismusschäden auszudehnen, weil sich der VN bei Kenntnis dieser Sachlage von anderer Seite evtl. ein Angebot hätte einholen können.58 Ist wegen Veräußerung einer Gaststätte eine zuvor mitversicherte Kegelbahn plötzlich nicht mehr mitversichert, so muss der Vermittler hierauf hinweisen.59 Unter Umständen muss sich der VN ein Mitverschulden anrechnen lassen. Bei einer Gebäudeversicherung muss der Vermittler über den Unterschied zwischen Neuwertversicherung und Zeitwertversicherung und den daraus resultierenden Versicherungssummen aufklären, weil diese Zusammenhänge für den versicherungstechnischen Laien nicht auf der Hand liegen.60 In diesen Zusammenhang gehören auch falsche Angaben von Vermittlern. Macht ein Vertreter schuldhaft falsche Angaben über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Lebensversicherungsprämien als betriebliche Ausgaben, so steht der VR für den daraus entstehenden Schaden ein.61 Weiß der Lebensversicherer, dass die Finanzierung eines Realkredits durch eine Lebensversicherung, angesichts der bei Vertragsabschluss bestehenden Zinssituation, unweigerlich zu einem Verlust führen muss, so hat er den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.62 Ist die vereinbarte Versicherungsleistung gegenüber der Renditeerwartung von untergeordneter Bedeutung, so unterliegen die Aufklärungsanforderungen denen für Anlagegeschäfte.63 Regt ein Vertreter die Überführung der Kfz-Versicherung für den Zweitwagen der Ehefrau auf den Ehemann an, so ist auf die Versicherungslücke bei Schäden hinzuweisen, die die Ehefrau mit dem Zweitwagen am Fahrzeug des Ehemannes verursacht.64 Der Vertreter hat vor allem auch dann auf Schutzlücken im VV hinzuweisen, wenn er selbst, wegen seines eigenen Provisionsinteresses, die Verlagerung der Feuer- und HausratV von der Eigentümerin des Anwesens auf deren zweiten Ehemann anregt.65 Eine Fehlberatung liegt auch dann vor, wenn der Vermittler mit der nahe liegenden Möglichkeit eines Irrtums bei dem VN rechnen muss.66 Eine solche nahe liegende Möglichkeit ist z.B. dann anzunehmen, wenn sich der VN umfassend durch Abschluss einer Kasko-, Haftpflichtoder Insassenunfallversicherung absichern will, sich aber zu Risikoausschlüssen nicht äußert, weil er sie offenbar nicht erkannt hat.67 Falsche Vorstellungen des VN können sich auch aus einem offensichtlich verfehlten Versicherungsantrag ergeben.68 Der Vermittler ist auch dann zur Aufklärung berufen, wenn der VN nicht nur unzutreffende, sondern auch unklare Vorstellungen hat, die sich aus geäußerten Zweifeln ergeben können.69 Ein VN, der erkennbar sofortigen De-

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OLG Naumburg 5.12.2013 – 4U 27/13, BeckRS 2014 19301. OLG Karlsruhe 5.11.1992, VersR 1994 1169. OLG Köln 3.6.1993, RuS 1994 185, 186. OLG Köln 12.11.1996, RuS 1997 30. OLG Hamm 10.4.1987, VersR 1987 623; ähnlich OLG Karlsruhe 19.1.1995, VersR 1996 1001, 1002. BGH 9.7.1998, NJW 1998 2898 = VuR 1998 415 m. Anm. Schwintowski. BGH 11.7.2012 – IV ZR 164/11 Rn. 53; zustimmend OLG Düsseldorf 4.11.2019 – 24 U 1/19 Rn. 5 ff.; kritisch zu dieser Rechtsprechung Groth/Schaaf VersR 2019 unter Einbeziehung von EuGH 31.5.2018 – C-542/16, VersR 2019, 165; sowie OLG Dresden 3.7.2018 – 4 U 1189/17, VersR 2019 681. 64 OLG Stuttgart 18.4.1986, NJW-RR 1986 904. 65 OLG Düsseldorf 22.5.1962, VersR 1963 56, 58. 66 BGH 20.6.1963, VersR 1963 768, 769 = NJW 1963 1978, 1979. 67 OLG Frankfurt/M 14.3.1985, VersR 1987 579; ähnlich OLG Hamm 23.11.1983, VersR 1984 853, 854. 68 BGH 28.10.1963, VersR 1964 36 = NJW 1964 244. 69 OLG Oldenburg 25.6.1997, VersR 1998 220. 903

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ckungsschutz anstrebt, muss darüber aufgeklärt werden, dass er dieses Ziel mit dem Einreichen eines Antrags auf Abschluss der Versicherung nicht erreichen kann.70 32 Die Absicherung des BU-Risikos ist für den VN existenziell. Schließt ein Vermittler eine Umdeckung vor, so muss er dem VN deutlich vor Augen führen, dass eine vorzeitige Kündigung mit gravierenden Nachteilen – einer Einschränkung des Versicherungsschutzes oder gar dem vollständigen Verlust – verbunden sein kann und empfehlen, die bestehende Versicherung erst zu kündigen, wenn gewährleistet ist, dass der angestrebter Vertrag mit den gewünschten Konditionen zustande kommt.71 In allen Fällen, in denen der Vermittler den Versicherungszweck, der sich anlassbezogen aufbringt, erkennbar verfehlt ist er nach § 63 zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Die Frage, ob der Vermittler anlassbezogen zutreffend die Wünsche und Bedürfnisse des VN ermittelt und für einen angemessenen Versicherungsschutz gesorgt hat, wird letztlich über § 63 konkretisiert.72

3. Wünsche und Bedürfnisse 33 Wenn und soweit Anlass besteht, hat der Vermittler den VN nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und daran anschließend einen Rat zu geben, Im Grunde hängen alle drei Schritte zusammen. Wünsche und Bedürfnisse bilden regelmäßig den Beratungsanlass, denn sie lösen den Wunsch des Kunden, mit einem Vermittler über Versicherungen zu sprechen, aus. Besteht objektiv kein Beratungsanlass, so liegt das regelmäßig daran, dass der VN keine Wünsche und Bedürfnisse hat, d.h. der Vermittler, der den Beratungsanlass erkennt, wird den VN automatisch nach seinen Wünschen und Bedürfnissen befragen, weil er nur auf diese Weise erfahren kann, ob und wie er das Bedürfnis des VN nach Versicherungsschutz über einen adäquaten Rat/Empfehlung befriedigen kann. Die Trennung des Beratungsanlasses von den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden beschreibt letztlich jene Fälle, in denen der VN erklärt er benötige eine ganz bestimmte ihm bekannte Versicherung, für die er keinerlei Beratung wünsche noch benötige (execution only). 34 Im ersten Schritt sind also die (subjektiven) Wünsche des Kunden und im zweiten Schritt seine (objektiven) Bedürfnisse zu erforschen. Wie Vermittler dies tun sollen, wird ihnen vom Gesetzgeber nicht vorgegeben. 35 Während die Ermittlung der Wünsche des Kunden noch verhältnismäßig einfach ist (VN will für sein Alter vorsorgen, seinen Hausrat versichern oder seine Hinterbliebenen absichern), werden die Dinge auf der Ebene der objektiven Bedürfnisprüfung sehr viel schwieriger. Auf dieser Ebene muss eine Risikoanalyse durchgeführt werden. Der hier verwendete Begriff Risikoanalyse ist nicht identisch mit demjenigen, den der Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzes verwendet hat.73 Dort heißt es: „Andererseits muss der Vermittler von sich aus keine allgemeine Risikoanalyse durchführen und z.B. nach dem Bestehen einer Berufsunfähigkeitsversicherung fragen, wenn er vom Kunden wegen einer Hausratversicherung kontaktiert wird.“ Eine solche allgemeine Risikoanalyse, die womöglich in einem financial planning, also einer umfassenden Analyse aller wirtschaftlichen Risiken des VN münden würde, ist nicht gemeint. Es geht bei der objektiven Bedürfnisprüfung um eine spezifische Risikoanalyse, also eine solche, mit deren Hilfe der Kundenwunsch – z.B. nach einer Hausratversicherung oder Krankenversicherung – umgesetzt werden kann. 36 In einem ersten Grobraster ist zu klären, ob der Kundenwunsch in eine sinnvolle Risikoanalyse überführt werden kann. Wünscht der Kunde Absicherung gegen alle Risiken des Lebens, so kommt der Vermittler nicht weiter. Er muss durch Rückfragen zunächst klären, welche Risi70 71 72 73

BGH 15.3.1978, VersR 1978 457. OLG Saarbrücken 26.4.2017 – 5U 36/16, BeckRS 2017 120805. Vertiefend die Kommentierung zu § 63. BTDrucks. 16/1935 S. 24.

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ken des Lebens der Kunde meint, z.B. das Risiko des Todes oder des Kreditausfalls oder des Einbruchs oder der Haftung für verursachte Schäden. Erst, wenn durch Rückfragen der Kundenwunsch präzisiert ist, kann in eine Feinrisikoanalyse übergegangen werden. Diese wird mit allgemeinen Daten über die Person des Kunden beginnen, die sein Alter, seine Berufsausbildung, sein Einkommen, seinen Familienstand, seine Vermögensverhältnisse, seinen Wohnsitz, seine Lebensziele abbilden und wird dann übergehen in eine produktbezogene Risikoanalyse, die stark vom angestrebten Versicherungsschutz (Lebens-, Renten-, Kranken-, Unfall-, Haftpflicht-, Sachversicherung) abhängt und die mitgeprägt ist von den Produktangeboten auf dem Markt. Risikoanalysen von Maklern müssen völlig anders aussehen als Risikoanalysen von gebundenen Vertretern. Ein gebundener Vertreter kann nur das Produkt oder die Produkte anbieten, die der VR oder die VR, an die er gebunden ist, zur Verfügung stellen. Nur darauf kann sich die Risikoanalyse beziehen. Demgegenüber müssen Makler, die über einen objektiven und ausgewogenen Marktüberblick verfügen, in einem sehr umfassenden Sinne objektivierte Bedürfnisse abfragen, um dann, aufgrund der Vielzahl der bestehenden Angebote, den VR herauszufiltern, der dem spezifischen Bedürfnis des Kunden mit seinem Produkt am nächsten kommt. Das kann ein gebundener Vertreter nicht leisten. Für ihn besteht keine Beratungspflicht im Hinblick auf Konkurrenzangebote. Der gebundene Vermittler hat den VN nur insoweit zu beraten und aufzuklären, als er für ein bestimmtes Risiko Versicherungsschutz anbietet.74 Der Schwerpunkt der Maklerberatung dürfte auf einen Produktvergleich liegen.75 Der Makler muss also zunächst einmal jene Leistungsmerkmale ermitteln, die den Bedürfnissen des VN am ehesten entsprechen und dann, über eine geeignete Software einen Marktvergleich durchführen. Auf diese Weise werden die Produkte ermittelt, die den Wünschen und Bedürfnissen am nächsten kommen. Im nächsten Schritt muss eine Preis-Leistungsanalyse erfolgen. Bisher ist es nicht möglich die Leistungsmerkmale, die der Kunde wünscht, einzugeben und dafür (quasi individualisierten) Deckungsschutz abzufragen, ähnlich wie es im Gewerbegeschäft schon üblich ist. Mittel und langfristig sollte es über das Internet möglich werden auch im Jedermann-Geschäft eine individualisierte Leistungsbeschreibung einschließlich der gewünschten Risikoausschüsse und Obliegenheiten einzugeben und die jeweils angeschlossenen Versicherer um entsprechende Angebote zu bitten. Die derzeitig verfügbare Vergleichssoftware erlaubt es den Deckungsumfang der Produkte und der Inhalt der AVB und ebenso den Preis zu vergleichen. Der Service des VR der sein Verhalten im Schadensfall könnte miteinbezogen werden, wenn es insoweit belastbare Daten geben sollte, die über eine Software abgefragt werden könnten. Dazu würde auch die Zügigkeit von Zahlungen, das Know-how bei der Regulierung und die Rentabilität des Produktes gehören.76 Das Insolvenzrisiko des VR und auch die finanzielle Leistungsfähigkeit des VN (in der Lebensversicherung) könnten einbezogen werden.77 Die wenig ergiebige Diskussion um die Frage, ob der Makler suitable oder best advice schuldet, ist nunmehr (seit 23.2.2018) durch § 1a Abs. 1 überwunden, wonach im bestmöglichen Interesse des VN zu handeln ist.78 Weder die VRiLi noch der deutsche Gesetzgeber geben für die spezielle Risikoanalyse irgendwelche Hinweise. Allerdings sind Versicherungsmakler nach der Rechtsprechung des BGH verpflichtet, einen „individuellen und passenden Versicherungsschutz zu besorgen.“79 Sie müs74 BTDrucks. 16/1935 S. 24 zu § 42c a.F.; zum früheren Recht OLG Saarbrücken 14.4.1999, VersR 1999 1367; OLG Hamm 25.11.1994, VersR 1995 1345. 75 Prölss/Martin/Dörner § 61 Rn. 23; Zu den Vergleichssystemen Schwintowski NZKart 2016 575. 76 LG Itzehoe VuR 2010 280; Prölss/Martin/Dörner § 61 Rn. 23. 77 OLG Frankfurt/M 5.9.2001 – 7U 29/01, VersR 2001 1542; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münke § 60 Rn. 4. 78 Zur früheren Diskussion Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 60 Rn. 12 m.w.N.; Werber VersR 2010 553, 554; Prölss/Martin/Dörner § 61 Rn. 23. 79 BGH 22.5.1985, BGHZ 94 356 = VersR 1985 930 Sachwalter. 905

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sen bei der Frage, welche Deckungsmöglichkeiten der Markt für den VN bereithält, das Risiko identifizieren und bewerten.80 Andererseits ist wegen der Breite des Marktes die Entwicklung von unternehmensneutralen Risikoanalysebögen ein „schwieriges Unterfangen“.81 Deshalb entstand im Arbeitskreis Vermittlerrichtlinie82 der Gedanke, Beschreibungen eines Versicherungsschutzes zu entwickeln, der bestimmte Mindeststandards enthielt. Die Mindeststandards erfassen ausdifferenzierte Marktangebote; sie werden als gegeben vorausgesetzt, sodass sich eine differenzierte Befragung in diesem Bereich erübrigt.83 Die Risikoanalysebögen bieten dem Makler zwei Vorteile: „Die systematische Erfassung der Kundenrisiken und zum anderen die daraus resultierende Haftungsminimierung.“84 Da die Risikoanalysebögen nicht zwischen dem informierten und dem weniger informierten Kunden unterscheiden (können), ist in der Risikoanalyse das Merkmal der Komplexität automatisch berücksichtigt.85 Beenken/Sandkühler86 weisen zutreffend darauf hin, dass die Risikoanalyse in der Praxis 43 unterschiedlich ausfallen wird. Während der gebundene Vertreter lediglich prüfe, ob im Angebot seines VR ein oder mehrere zu den Wünschen und dem Bedarf passende Verträge und Tarife vorhanden sind, müsse der Mehrfachvertreter unter Umständen – in Abhängigkeit von seiner gegenüber dem Kunden kommunizierten Beratungsgrundlage –, bereits mehrere VR mit ihren Leistungen vergleichen. Für den Makler bieten die Risikoanalysebögen die Möglichkeit, den passenden Versicherungsschutz aus einem breiten Marktangebot für den Kunden zu finden und damit seine Sachwalterfunktion zu realisieren. Risikoanalysebögen können, so Beenken/Sandkühler, als Anlage zur Beratungsdokumenta44 tion verwendet werden.87 Der Kunde kann auf diese Weise genau nachvollziehen, welche Angaben er gemacht hat und warum es daraufhin zu einer bestimmten Empfehlung gekommen ist. Auf diese Weise konkretisieren Risikoanalysebögen die objektive Bedürfnisprüfung und vermitteln dem Kunden jene Informationsgrundlage, die er benötigt, um eine privatautonome Sachentscheidung für oder gegen ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu treffen.88

4. Verhältnis zwischen Beratungsaufwand und Prämie 45 Zwischen dem Beratungsaufwand und der aufgrund des VV zu leistenden Prämie soll, so die Begründung des Gesetzgebers, ein angemessenes Verhältnis gewahrt werden.89 Regelmäßig werde es sich bei einer geringen Prämienhöhe um ein wenig komplexes Standardprodukt handeln. So werde z.B. die Vermittlung eines einfachen Standardproduktes mit einer jährlichen Prämie von A 60 meist keine langwierige Beratung erfordern. Auch bei Versicherungen mit einer niedrigen Prämie könne jedoch ein erhöhter Beratungsaufwand aufgrund der übrigen, in § 61 genannten Kriterien erforderlich sein.90 Im Gegensatz zur Vermittlerrichtlinie soll somit die Beratung nach dem deutschen VVG 46 auch „unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom VN zu zahlenden Prämie“ stehen. Eine solche Einschränkung ist überraschend, weil sie den Umfang der Beratungspflicht von der Gegenleistung, nämlich der dem VR zufließenden

80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90

Wie hier Beenken/Sandkühler 71. Beenken/Sandkühler 71. Diesem Arbeitskreis gehörten neben dem Verfasser verschiedene Mitglieder von Maklerverbänden an. Beenken/Sandkühler 71. Beenken/Sandkühler 71. Beenken/Sandkühler 71. Beenken/Sandkühler 71. Beenken/Sandkühler 71. Vertiefend und weiterführend auch zu umfassenden Risikoanalysen Beenken/Sandkühler 72 ff., 74 Ziff. 3.4.5. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24.

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Prämie, abhängig macht. Überträgt man diese Denkweise etwa auf einen Kaufvertrag, so würde dies bedeuten, dass der Verkäufer einer geringwertigen Sache – etwa eines Bleistifts oder eines preiswerten Medikaments, den Käufer nicht darauf aufmerksam machen muss, dass der Stift wegen giftiger Beimischungen in der Karbonmine gerade zurückgerufen wurde oder, dass das Medikament Nebenwirkungen schwerster Art hat. Eine solche Reduktion von Rechtspflichten aus der Perspektive der Gegenleistung ist dem allgemeinen Schuldrecht fremd. Reiff verweist zutreffend darauf, dass es Versicherungsprodukte mit sehr niedrigen Prämien aber gefährlichen Deckungslücken gibt. Als Beispiel verweist er auf Reisekrankenversicherungen mit einer Nachleistungsklausel von 28 Tagen.91 Richtig ist, dass einfache und verständliche Produkte nur einen geringen Beratungsauf- 47 wand verursachen und folglich preiswert angeboten werden können. Will ein Vermittler demgegenüber ein kompliziertes Kombiprodukt verkaufen, so wird er nicht umhin kommen, den Beratungsaufwand in seine Preisgestaltung einzubeziehen. Das bedeutet, der Beratungsaufwand richtet sich nach dem Produkt und dessen Komplexität und nicht nach der zu zahlenden Prämie. Genauso ist auch die Vermittlerrichtlinie konzipiert – die entgegenstehende Einschränkung des deutschen Gesetzes erweist sich als europarechtswidrig und nichtig.92 Auch der Bundesrat hat darauf hingewiesen, dass relativ preisgünstige Versicherungen für den einzelnen VN erhebliche finanzielle Risiken mit sich bringen können, ohne dass diesen ein entsprechender Nutzen gegenüberstünde. Das Kriterium eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der zu zahlenden Prämie sei daher häufig nicht sachgerecht und solle aus dem Gesetz gestrichen werden. Es solle besser an die Risiken des Auftraggebers angeknüpft werden.93 Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung vom 30.8.200694 darauf hingewiesen, dass die Höhe der Prämie lediglich eines von mehreren Kriterien sei. Wenn anlassbezogen ersichtlich sei, dass Beratungsbedarf bestehe, dann müsse dem auch Rechnung getragen werden. Das Kriterium der Prämienhöhe sei wichtig, um zu verhindern, dass bei einfachen Produkten ein unverhältnismäßiger Beratungs- und Dokumentationsaufwand betrieben werden müsse, der die Prämienhöhe um ein Vielfaches übersteige. Das bedeutet, dass auch nach Meinung der Bundesregierung immer dann Beratung ge- 48 schuldet ist, wenn dies der jeweilige Anlass mit sich bringt. Das ist allerdings ohnehin selbstverständlich, sodass der Hinweis auf die Prämienhöhe letztlich rein deklaratorischer Natur ist.

5. Rat Weiterhin muss der Vermittler die Gründe für seinen Rat angeben, den er dem Kunden hinsicht- 49 lich einer bestimmten Versicherung erteilt.95 Dies setzt voraus, dass der Vermittler zunächst den von ihm erteilten Rat angibt. Ein Bedürfnis dafür, eine entsprechende Angabepflicht gesetzlich festzulegen, ist nicht ersichtlich; auch die Richtlinie sieht dies nicht vor.96 Der anzugebende Rat wird sich in erster Linie auf den vom Vermittler angebotenen VV beziehen. Die Pflicht zur Angabe der Gründe gilt aber auch für jeden weiteren Rat, den der Vermittler zu einer bestimmten Versicherung erteilt.97 Der Umfang der Angaben bestimmt sich u.a. auch nach dem Schwierigkeitsgrad, also der Vielschichtigkeit und Verständlichkeit des angebotenen Versicherungsproduktes.98 Die anzugebenden Gründe werden sich nach dem jeweiligen Vermittlertyp unterschei91 92 93 94 95 96 97 98 907

Reiff 81. Wie hier Römer VersR 2006 740, 743. BRDrucks. 303/06 16.6.2006 S. 9. BTDrucks. 16/2475 S. 5 f. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1935 S. 24. Schwintowski

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den.99 Ein Vermittler, der ausschließlich einen VR vertritt, muss nur über das Produkt dieses Unternehmens informieren und braucht nicht zu begründen, warum er einen VV mit diesem Unternehmen vorschlägt. Dagegen ist beim Versicherungsmakler die Entscheidung für einen bestimmten VR für den Kunden ein wesentlicher Punkt, weshalb der Versicherungsmakler seine Empfehlung v. a. unter dem Aspekt des Verhältnisses von Preis/Leistung einschließlich aller anderen für den Kunden relevanten Kriterien genau begründen muss.100

6. Dokumentation 50 Der Vermittler hat die Beratung sowie die Gründe für jeden, zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat nach § 61 Abs. 1 Satz 2 zu dokumentieren. Zeitpunkt und Form der Dokumentation ergeben sich aus §§ 62, 6a. Die Dokumentation hat die Komplexität des angebotenen Vertrages zu berücksichtigen. Der Hinweis auf die Komplexität des angebotenen VV meint, dass die Dokumentation die Komplexität des Produktes widerspiegeln muss. Wünscht der Kunde eine schlichte Teilkaskoversicherung für sein Auto, so genügt bei der Dokumentation der Hinweis auf diese Tatsache – was eine Teilkaskoversicherung ist, was sie im Regelfall umfasst. Das wissen die Kunden, die Gerichte und die sonstigen Beteiligten im Versicherungsrecht. Wünscht der Kunde dagegen eine umfassende Altersvorsorge, so muss die Dokumentation diesen Wunsch und die daraus resultierenden objektiven Bedürfnisse widerspiegeln. Die Risikoanalyse sollte der Dokumentation beigefügt werden, damit später im etwaigen Deckungs- und/oder Haftungsprozess die Frage leicht zu klären ist, welche Fragen im Beratungsgespräch erörtert wurden und welche nicht.101 51 Die Dokumentation muss den wesentlichen Gang des Beratungsgesprächs wiedergeben, andernfalls ist sie als Beweis- und Legitimationsgrundlage für den Rat, der gegeben wurde, nicht geeignet. Verbreitet ist folgende Dokumentationsstruktur: – Name und Anschrift dessen, der die Dokumentation vorgelegt hat – Ort und Datum der Beratung – Personen, die anwesend waren – Vollständige Statusinformation (§ 11 VersVermV) – Anlass des Beratungsgesprächs – Wünsche und Bedürfnisse des Kunden – Risikoanalyse/Risikobewertung – Rat/Empfehlung – Entscheidung des Kunden – insbesondere Gründe, warum Kunde dem Rat nicht oder nur eingeschränkt folgt – Unterschrift von Kunde und Vermittler102 52 Die Dokumentation ist dem Kunden auszuhändigen. Sie ist Grundlage des vermittelten Vertrags und damit Teil der gegenseitigen Willensbildung – mehr also als die Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB. Die Dokumentation ergänzt mithin den Antrag und ist zu Auslegungszwecken, etwa bei der Frage, ob ein offener oder verdeckter Dissens vorliegt (§§ 154, 155 BGB), heranzuziehen. Aus diesem Grunde teilt die Dokumentation das Schicksal des Gesamtvertrages, sie ist folglich so lange aufzubewahren, wie die gesamten Vertragsunterlagen. Es wäre deshalb nicht sinnvoll, auf die Dokumentation die Aufbewahrungsvorschriften für Handelsbriefe (6-jäh-

99 BTDrucks. 16/1935 S. 24. 100 BTDrucks. 16/1935 S. 24. 101 Ähnlich Beenken/Sandkühler 72. 102 Die Dokumentation muss nach der Richtlinie zwar nicht unterschrieben werden – die Unterschrift ist aber zweckmäßig – sie erhöht den Beweiswert. Schwintowski

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rige Aufbewahrungspflicht: § 257 Abs. 4 HGB) anzuwenden.103 Die Dokumentation hat in Textform zu erfolgen (§ 62 Abs. 1). Sie kann ergänzend elektronisch archiviert werden. Die Nichtbeachtung der Dokumentationpflicht kann zu Beweiserleichterungen zugunsten 53 des VN bis hin zu einer Beweislastumkehr führen.104 Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung nicht dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Vermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist.105 Gelingt der Nachweis nicht, ist zu Gunsten des VN davon auszugehen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Beratung gegen den Verkauf entschieden hätte.106 Diese Grundsätze finden auf die Zeit vor dem 22. Mai 2007 keine Anwendung.107 Die bloße Übersendung einer Verbraucherinformation ersetzt die erforderliche Beratungsdokumentation nicht.108 Der Versicherungsmakler, der seiner sekundären Darlegungslast bei Erfüllung seiner Aufklärung- und Beratungspflichten nicht genügt hat, ist für seine Behauptung einer sach- und interessewidrigen Weisung des VN und dessen Verzicht auf eine weitergehende Beratung darlegungs- und beweisbelastet.109 Wenn der VN behauptet, der Makler habe beim Ausfüllen des Antrags für eine Krankenvoll- 54 versicherung erklärt, es seien im Rahmen der – dem VN nicht vorgelegten und nicht vorgelesenen – Gesundheitsfragen nur Operationen binnen der letzten 10 Jahre anzugeben, so muss der VN beweisen, dass dies der Makler tatsächlich erklärt hat. Ihm kommt keine Beweiserleichterung oder Beweislastumkehr wegen mangelnder Dokumentation zugute, denn aus der fehlenden Dokumentation folgt nicht, dass der Makler eine Antragsfrage falsch erläutert hat.110 Fehlt eine Dokumentation, so kann der Vermittler für seine Behauptung, er habe in bestimmter Weise (positiv) beraten, beweisbelastet sein.111 Etwas anderes gelte aber, so das OLG Hamm, hinsichtlich derjenigen tatsächlichen Umstände, aus denen der VN die Rechtspflicht des Vermittlers herleiten will, ihn über ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu beraten. Unabhängig vom Vorhandensein oder Fehlen einer Beratungsdokumentation ist deshalb der VN beweisbelastet für diejenigen Tatsachen, aus denen sich eine rechtliche Pflicht des Vermittlers ableiten ließe, ihn auch über einzelne Aspekte einer betrieblichen Altersvorsorge zu beraten. Das gelte insbesondere für die Behauptung der VN, eine solche betriebliche Altersvorsorge wäre im Vergleich zu dem vom Vermittler empfohlenen Versicherungsvertrag passender gewesen.112 Mit diesen Erwägungen setzt sich das OLG Hamm in Widerspruch zum Urteil des BGH vom 13.11.2014,113 denn nach diesem Urteil muss der Vermittler für seine Behauptung, er habe in bestimmter Weise beraten, Beweis führen. Wenn, wie im Fall des OLG Hamm vom 28.6.2019, nicht ausgeschlossen ist, dass eine betriebliche Altersvorsorge angesichts der persönlichen Verhältnisse der VN für diese günstiger gewesen wäre, so muss nun der Vermittler in Ermangelung einer Dokumentation beweisen, dass er die VN in bestimmter, nämlich zutreffender, Weise beraten hat. Dazu gehört der Beweis, dass angesichts der persönlichen Verhältnisse für den VN eine betriebliche Altersvorsorge nicht günstiger gewesen wäre. Der Auffassung des OLG Hamm ist aber zuzustimmen, wenn es sich

103 Ähnlich Looschelders/Pohlmann/Baumann § 61 Rn. 24. 104 OLG Köln 26.7.2019 – 20 U 185/18, BeckRS 2019, 30054. 105 BGH 13.11.2014 – III ZR 440/13, NJW 2015 126; BGH 25.9.2014 – III ZR 440/13, BeckRS 2014 19132 m.w.N.; BTDrucks 16/1935 26; OLG München 22.6.2012 – 25U 3343/11, VersR 2012 92, 1293; OLG Saarbrücken 4.5.2011 – 5U 502/10-76, 1478VersR 2011 1441, 1443; OLG Schleswig 15.11.2018 – 16 U 26/18, BeckRS 2018 35446. 106 OLG Dresden 8.1.2019 – 4 U 942/17, BeckRS 2019 1478. 107 BGH 30.11.2016 – XI ZR 319/15, BeckRS 2016 112138. 108 BGH 26.10.2016 – IV ZR 193/15, BeckRS 2016 20740 Rn. 33. 109 BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14, NJW 2016 3366; OLG Dresden 21.2.2017 – 4U 1512/16, BeckRS 2017 106452; 110 OLG Hamm 5.12.2018 – I-20 U 146/18, Beck RS 2018 44005 Rn. 14 ff. 111 OLG Hamm 28.6.2019 – I-20 U 70/19, BeckRS 2019 35894 Rn. 39 unter Hinweis auf BGH 13.11.2014 – III ZR 544/ 13, VersR 2015 107. 112 OLG Hamm a.a.O. Rn. 39. 113 III ZR 544/13 VersR 2015, 107. 909

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um Umstände handelt, die nach § 62 nicht zu dokumentieren sind, wie etwa bei einem Besichtigungstermin.114

II. Beratungs- und Dokumentationsverzicht (§ 61 Abs. 2) 55 § 61 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit, durch Vereinbarung auf die Beratung oder die Dokumentation nach Absatz 1 oder auf beides zusammen zu verzichten. Der grundsätzlich mögliche Verzicht auf Beratung und Dokumentation durch gesonderte schriftliche Erklärung erscheint bei einem Abschluss im Fernabsatz nicht sinnvoll; die Regelung lässt deshalb seit 23.2.2018 einen Verzicht in Textform zu.115 Um dem Kunden den Verzicht bewusst vor Augen zu führen, muss die Verzichtserklärung 56 zum Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung in einem eigenen Dokument gemacht und vom Kunden unterschrieben werden.116 Der Kunde ist dabei vom Vermittler ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des VN auswirken kann, gegen den Vermittler einen Schadensersatzanspruch nach § 63 geltend zu machen. Mit Sinn und Zweck der Richtlinie ist es, so der Gesetzgeber in der Begründung, vereinbar, dem VN als mündigem Verbraucher die Möglichkeit einzuräumen, unter diesen besonderen Bedingungen auf seine Rechte zu verzichten.117 Die bloße Verweigerung von Auskünften auf Befragung durch den Vermittler stellt keinen solchen Verzicht dar; allerdings beschränken sich in diesem Fall die Pflichten des Vermittlers und seine Haftung auf das vom VN ausdrücklich gewünschte Versicherungsprodukt, da eine weitergehende Beratungspflicht in diesem Fall mangels Anlasses nicht besteht.118 Mit diesem Hinweis weist der Gesetzgeber in die richtige Richtung. Ein Kunde, der nicht 57 beraten werden will, z.B. weil er ein ganz bestimmtes Versicherungsprodukt von einem ganz bestimmten VR zu erwerben wünscht, muss keinen Beratungsverzicht erklären. Vielmehr wird die Tatsache, dass der VN bestimmte Wünsche und Bedürfnisse hat, die einer weiteren Beratung nicht bedürfen, dokumentiert. Auf diese Weise erfüllt der Vermittler seine Beratungs- und Dokumentationspflicht in vollem Umfang – er geht also kein Haftungsrisiko ein. Gleichzeitig erhält der VN das Versicherungsprodukt, das er wünscht, ohne weitere Beratung. Ein darüber hinausgehender Beratungs- und Dokumentationsverzicht, wie ihn § 61 Abs. 2 58 vorsieht, ist in der VRL nicht vorgesehen. Dies bedeutet, dass die Vermittlerrichtlinien davon ausgehen, dass die jeweiligen Wünsche und Bedürfnisse des Kunden dokumentiert werden. So wird beispielsweise dokumentiert, dass der Kunde ein ganz bestimmtes Versicherungsprodukt von einem ganz bestimmten VR wünscht und keine weitere Beratung mehr benötigt. Ein solcher „Beratungsverzicht“ ist etwas anderes als der Beratungsverzicht, der im in § 61 Abs. 2 formuliert ist. Nach deutschem Recht ist es möglich, dass ein Kunde auf die Beratung verzichtet, obwohl 59 er – wie der Vermittler durch die Befragung feststellen würde – Beratung braucht. Ein Kunde, der nicht erkennt, dass er Beratung benötigt, würde dies im Beratungsgespräch, wie es nach der Vermittlerrichtlinie vorgesehen ist, erfahren. Findet ein solches Beratungsgespräch nicht statt, so wird der Kunde verzichten, weil er nicht weiß, was er tut. Dieses Konzept des von der Dokumentation losgelösten, eigenständigen Beratungsverzichts, kann von Vermittlern – gelegentlich hört man den Hinweis auf Strukturvertriebe – dazu ausgenutzt werden, dem Kunden zunächst einmal das Formular mit dem Beratungsverzicht vorzulegen, weil man auf diese Weise das viele Kleingedruckte, das für den Kunden doch ohnehin unverständlich sei, zur Seite legen 114 115 116 117 118

OLG Hamm 20.6.2018 – 20 U 16/18, BeckRS 2018 33403. BTDrucks. 18/11 627 S. 43. BTDrucks. 16/1935 S. 24. BTDrucks. 16/1934 S. 24/25. BTDrucks. 16/1935 S. 25.

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könne. In Ermangelung einer Dokumentation wird der Kunde Schwierigkeiten haben, diesen Sachverhalt bei späteren Haftungsprozessen zu beweisen. Der Vermittler wird vortragen, der Kunde habe den Beratungs- und Dokumentationsverzicht gewünscht, weil die Zeit für ein umfassendes Beratungsgespräch zu knapp gewesen sei. Dies bedeutet, dass ein Beratungsverzicht nach § 61 Abs. 2 dazu führen kann, dass Kunden, die eine Beratung benötigen, auf sie verzichten, ohne die Folgen und Wirkungen ihres Verzichtes hinreichend übersehen zu können. Der Gesetzgeber bietet geradezu einen Anreiz zur Umgehung der Beratung und Dokumentation, indem suggeriert wird, ein Kunde, der eine separate Verzichtserklärung unterschreibe und dabei darauf hingewiesen werde, dass dies haftungsrechtliche Nachteile für ihn haben könne, wisse in jedem Falle, was er tue. Eine solche gesetzliche Verzichtskonzeption ist mit der Vermittlerrichtlinie nicht mehr zu vereinbaren.119 Dabei ist es nicht so, dass die VRL womöglich den mündigen Kunden bevormundet. Denn auch nach der VRL kann der Kunde jederzeit auf eine weitergehende Beratung verzichten. Dieser vom Kunden gewünschte Beratungsverzicht und die Begründung dafür werden nach der Konzeption der VRL dokumentiert, sodass bei einem späteren Haftungsprozess jederzeit nachweisbar ist, aus welchem Grunde der Vermittler den Kunden über andere alternative VV nicht beraten hat. Umgekehrt vermeidet die VRL einen Beratungsverzicht in den Fällen, in denen das Beratungsgespräch ergibt, dass der Kunde sehr wohl Beratungsbedarf hat, diesen zunächst aber nicht erkannte. Die über dieses auf Stärkung der Privatautonomie des Kunden bedachte, an Informationstransparenz anknüpfende, Dokumentationsmodell der Richtlinie hinausgehende, Verzichtsmodell des deutschen Rechtes ist nach Meinung des überwiegenden Schrifttums europarechtswidrig.120 Der Beratungs- und Dokumentationsverzicht nach § 61 Abs. 2 passt zum Berufsbild des Versicherungsmaklers nicht.121 Der Versicherungsmakler ist Sachwalter und Interessenvertreter des Kunden, er schuldet ihm gegenüber angemessene und hinreichende Beratung – der Beratungsverzicht kann nur eine extreme Ausnahme, etwa dann sein, wenn der Kunde vom Makler einen ganz bestimmten VV, womöglich von einem bestimmten VR haben will, der Makler ihn darauf hinweist, dass nach seiner Meinung etwas „Besseres am Markt“ zu haben sei, der Kunde aber dennoch auf der Vermittlung gerade seines Wunschvertrages besteht. Für diesen Fall kann die Verzichtserklärung sinnvoll sein, um dem Kunden deutlich vor Augen zu führen, dass der Beratungsverzicht für ihn zugleich haftungsrechtlich negative Folgen hat. Noch besser wäre es in diesem Fall, wenn der Makler die Vermittlung des Vertrages ganz ablehnen würde. Der Makler, der in einer solchen Situation einen Dokumentationsverzicht vom Kunden verlangt, sollte ergänzend dokumentieren, warum er auf der Verzichtserklärung bestanden und damit seine Sachwalterrolle verlassen hat. Ganz grundsätzlich gilt aber, dass der Beratungs- und Dokumentationsverzicht zur Rolle des Maklers als Sachwalter des Kunden nicht passt. Zugleich folgt daraus, dass ein Beratungsund Dokumentationsverzicht bei Vermittlung durch einen Makler zwar keinen Beratungsfehler indiziert, aber doch im Wege einer (widerleglichen) Vermutung einen solchen nahe legt. Dies bedeutet, dass ein Makler, der von seinem Kunden einen Beratungs- und Dokumentationsverzicht entgegennimmt, damit zugleich gegen das Rollenverständnis eines Maklers verstößt und nunmehr seinerseits Sachgründe dafür vortragen muss, die den Beratungs- und Dokumentationsverzicht ausnahmsweise einmal rechtfertigen. Die Rechtfertigung liegt regelmäßig nicht da119 Wie hier Dörner/Staudinger WM 2006 1711; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 35; Looschelders/Pohlmann § 6 Rn. 76; a.A. Reiff VersR 2007, 717, 726; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 30; Looschelders/ Pohlmann/Baumann § 61 Rn. 25. 120 Ebers VersWissStud 26, 123, 145; Römer VersR 2006 740; ders. VuR 2007 94, 95; Langer/Rosenow Liber amicorum Stauder 195, 214; Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1711; Schwintowski ZRP 2006 139, 141 a.A. Armbrüster, § § 6, 61 VVG Münsterran Reihe 2009 S. 21; MüKo VVG/Reiff § 61 Rn. 33; Looschelders/Pohlmann/Baumann § 61 Rn. 25. 121 Wie hier Prölss/Martin/Dörner § 61 Rn. 36. 911

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rin, dass der Kunde seine Versicherungssachen durch den Makler erledigen lässt. Für Fälle dieser Art ist die Maklervollmacht das geeignete Mittel. Der Kunde bevollmächtigt seinen Makler, Erklärungen für ihn gegenüber dem VR abzugeben und anzunehmen. Der Makler ist folglich Stellvertreter des Kunden (§§ 164, 166 BGB). Die Kenntnisse und das Wissen des Maklers werden dem Kunden wie eigene Kenntnisse und eigenes Wissen zugerechnet. Es bedarf folglich keines Dokumentations- und Beratungsverzichtes, denn über die Maklervollmacht ist der Kunde im Rechtssinne umfassend informiert. Auf die Mitteilung nach § 7 kann der VN nicht verzichten. Das bedeutet, jeder Vermittler muss dafür sorgen, dass dem VN vor Abgabe von dessen Vertragserklärung die vorgeschriebenen Mitteilungen nach § 7 i.V.m. VVG-InfoV übermittelt werden.122 Der VR wird deshalb im Vertretervertrag eine entsprechende Verpflichtung des Vertreters festlegen.123 Für die Versicherungsmakler wird dies in der Praxis in den üblichen Rahmenabkommen zwischen VR und Maklern bestimmt.124 Wird der Vertrag auf Verlangen des VN telefonisch oder unter Verwendung eines anderen Kommunikationsmittels geschlossen, muss die Information unverzüglich nach Vertragsschluss nachgeholt werden. Dies gilt auch, wenn der VN durch eine gesonderte schriftliche Erklärung auf eine Information vor Abgabe seiner Vertragserklärung ausdrücklich verzichtet (§ 7 Abs. 1 a.E.). In jedem Fall schließt die vom Gesetz geforderte ausdrückliche Erklärung nicht nur stillschweigende Verzichtserklärungen aus, sondern fordert ein besonderes Erklärungsbewusstsein des VN: er muss sich bewusst sein, dass er mit der Erklärung darauf verzichtet, konkrete ihm geschuldete Informationen zu erhalten. Nur so kann dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz des VN125 Rechnung getragen werden126 Der VN kann auf die Beratung einerseits und/oder die Dokumentation andererseits oder auch auf beides durch gesonderte schriftliche Erklärung verzichten. Schriftform (§ 126 Abs. 1 BGB) bedeutet, dass die Verzichtserklärung vom Kunden unterschrieben werden muss. Im Fernabsatz genügt die Textform (§ 126b BGB). Bedient sich der VN der Textform, so muss seine Erklärung ihn als Erklärenden benennen und die Erklärung muss auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Diese Anforderungen erfüllt eine E-Mail, die der Empfänger (VR) speichern und ausdrucken kann, aber nicht ausdrucken muss.127 Wird formularmäßig verzichtet, so stellt sich die Frage, ob ein solcher Verzicht gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB deshalb verstößt, weil damit wesentliche Rechte, die sich aus der Natur der Versicherungsvertrages ergeben, so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertrageszwecks gefährdet ist.128 Das überzeugt nicht, denn durch eine Erstreckung von § 307 BGB auf § 6 Abs. 3/4 wird das gesetzlich ausdrücklich angeordnete Recht zum Verzicht ausgehebelt. Entspricht die Verzichtserklärung den Anforderungen der Schrift- oder Textform (§ 126, 126b BGB), so sind die Voraussetzungen des Gesetzes erfüllt, d.h. der Verzicht ist zulässig und wirksam.129 Ein standardisiertes Verzichtsverfahren, das dem VN systematisch angetragen wird, stellt allerdings einen Missstand nach §§ 294 Abs. 2, 298 VAG dar.130

122 123 124 125 126 127 128

BTDrucks. 16/3945, S. 59. BTDrucks. 16/3945, S. 59. BTDrucks. 16/3945 S. 59. BTDrucks. 16/3945 S. 60. BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14. Palandt/Ellenberger § 126b Rn. 3 m.w.N. Dafür Dörner VersWissStud Bd. 43 S. 137, 143; Franz VersR 2008 298, 300; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 40; Schimikoswki RuS 2007 133, 136; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 43. 129 Wie hier: Armbrüster Privatversicherungsrecht S. 23; Blankenburg VersR 2008 1446, 1449; Gaul VersR 2007 21, 23; Rüffer/HalbachSchimikowski/Münkel § 6 Rn. 32. 130 So Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 43; ähnlich Armbrüster ZVersWiss 2008 425, 432. Schwintowski

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Der VR muss in der gesonderten Erklärung ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich ein 70 Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des VN auswirken kann, gegen den VR einen Schadensersatzanspruch nach § 63 geltend zu machen. Nach § 63 ist der Vermittler bei Verletzung der Beratungs- und Dokumentationspflicht dem VN zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet, es sei denn der Vermittler hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. Verzichtet der VN auf Beratung und Dokumentation, so schuldet der VR ihm insoweit nichts, d.h. der Verzicht schließt den Anspruch gegen den Vermittler aus. So gesehen ist die Formulierung in Absatz 2 verharmlosend,131 denn der Verzicht wirkt sich in jedem Fall nachteilig für den VN aus – er verliert seinen Schadensersatzanspruch nach § 63 durch den Verzicht. Um den VN von einem unüberlegten Verzicht abzuhalten, müssen ihm deshalb die Folgen 71 des Verzichts deutlich vor Augen gehalten werden.132 Bei einem vollständigen Beratungsverzicht ist darauf hinzuweisen, dass dem VN wegen einer etwaigen Fehlberatung keinerlei Schadensersatzansprüche zustehen.133 Formuliert der VN die Verzichtserklärung selbst, so soll es ausreichen, wenn der VR ihn auf die Folgen gesondert schriftlich hinweist.134 Das überzeugt nicht, da die Nachteilshinweise vom VN weder vom Schriftform- noch vom Textformerfordernis umfasst wären. Unabhängig von der Frage der Europarechtswidrigkeit verlangt das Gesetz, dass der VN 72 durch gesonderte schriftliche Erklärung oder in Textform verzichtet. Davon, dass diese Erklärungen dem Vermittler zugehen, findet sich in § 61 Abs. 2 kein Hinweis. Der Verzicht ist also nicht zugangsbedürftig. Er ist wirksam indem der Kunde unterschreibt oder ihn in Textform abgibt. Die Übermittlung an den Vermittler ist aus Beweiszwecken allerdings zwecksmäßig und anzuraten.

131 So Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 41. 132 Zunächst BGH 28.6.2017 – IV ZR 440/14 (juris); Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 41. 133 Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 41; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 43; a.A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 33. 134 Küster VersR 2010 734. 913

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§ 62 Zeitpunkt und Form der Information (1) Dem Versicherungsnehmer sind die Informationen nach § 60 Abs. 2 vor Abgabe seiner Vertragserklärung, die Informationen nach § 61 Abs. 1 vor dem Abschluss des Vertrags klar und verständlich in Textform zu übermitteln. (2) 1Die Informationen nach Absatz 1 dürfen mündlich übermittelt werden, wenn der Versicherungsnehmer dies wünscht oder wenn und soweit der Versicherer vorläufige Deckung gewährt. 2In diesen Fällen sind die Informationen unverzüglich nach Vertragsschluss, spätestens mit dem Versicherungsschein dem Versicherungsnehmer in Textform zu übermitteln; dies gilt nicht für Verträge über vorläufige Deckung bei Pflichtversicherungen.

Schrifttum Reiff Das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts, VersR 2007 717; Römer Zu ausgewählten Problemen der VVG-Reform nach dem Referentenentwurf vom 13. März 2006 (Teil 1), VersR 2006 740.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Spezielle Kommentierung

I.

Tatbestandsvoraussetzungen von § 62 3 Abs. 1

II.

Tatbestandsvoraussetzungen von § 62 10 Abs. 2

1 2 3

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Mit § 62 wird Art. 13 Vermittlerrichtlinie (VRL) umgesetzt. Hinsichtlich des Zeitpunktes, zu dem die Mitteilungen und Angaben dem Kunden spätestens übermittelt werden müssen, orientiert sich die Umsetzung an der Vorgabe in Art. 12 Abs. 1 und 3 der Vermittlerrichtlinie.1 Die Norm ist durch die Umsetzung der IDD nicht geändert worden – allerdings gelten für die Einzelheiten der Auskunftserteilung, über die Verweisung in § 59 Abs. 1, seit 23.2.2018 auch die Einzelheiten der Auskunftserteilung nach § 6a für den Zeitpunkt und die Form nach § 62.

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 Um dem Zweck der Richtlinie zu entsprechen, den VN in die Lage zu versetzen, das Vertragsangebot zu beurteilen und seine Entscheidung in Kenntnis der wesentlichen Umstände zu treffen, bevor er seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung abgibt, wird für die Angaben nach § 60 Abs. 2 (Hinweis auf die eingeschränkte Beratungsgrundlage) vorgeschrieben, dass die Information vor Abgabe der Vertragserklärung des VN erfolgen muss.2 Für die Beratungs- und Dokumentationspflicht nach § 61 Abs. 1 bleibt es entsprechend der Richtlinie dabei, dass diese 1 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 2 BTDrucks. 16/1935 S. 25. Schwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522624-049

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dem VN erst bei Vertragsschluss zur Verfügung stehen muss. Eine Vorverlegung bereits auf den Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung durch den Kunden würde die Versicherungsvermittler vor eine praktisch kaum lösbare Aufgabe stellen, da diese ständig umfassende Materialien für alle von ihnen vermittelten Versicherungsprodukte bei sich führen müssten, um diese dem Kunden gegebenenfalls bei Abgabe einer Vertragserklärung geben zu können.3

B. Spezielle Kommentierung I. Tatbestandsvoraussetzungen von § 62 Abs. 1 Der Vermittler ist zur Dokumentation verpflichtet. Damit wird dem Formerfordernis des Art. 13 Abs. 1a VRL. Rechnung getragen.4 Nach § 126b BGB setzt dies voraus, dass auf einem dauerhaften Datenträger eine lesbare Erklärung abgegeben und darin die Person des Erklärenden genannt wird. Darauf nimmt auch § 6a Abs. 2 Bezug, jedenfalls wenn die Nutzung des dauerhaften Datenträgers angemessen ist und der VN die Wahl zwischen einer Auskunftserteilung auf Papier oder auf einem dauerhaften Datenträger hatte und sich für den Datenträger entschieden hat (§ 6a Abs. 2 Nr. 1). Nach § 6a Abs. 3 wird die Auskunftserteilung über einen dauerhaften Datenträger als angemessen erachtet, wenn der VN nachweislich regelmäßig Internetzugang hat. Die Mitteilung einer E-Mailadresse seitens des VN für die Zwecke dieses Geschäft gilt als solcher Nachweis. Dass die mitzuteilenden Informationen auf der Homepage des Vermittlers lediglich abrufbar sind, also die bloße Möglichkeit eines Downloads, genügt den Kriterien des § 6a Abs. 3 nicht.5 Die Übermittlung kann auch über eine Webseite, wenn der Zugang für den VN personalisiert wird, erfolgen. Dann müssen die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 2 Nr. 2 vorliegen. Die Dokumentation muss klar und verständlich sein. D.h. unter anderem, dass sie in deutscher oder in einer anderen von den Parteien vereinbarten Sprache erfolgen muss.6 Das entspricht den Vorgaben von Art. 13 Abs. 1b und c VRL. I.d.R. wird der Vermittler die Daten in einem Schriftstück dokumentieren und sich den Empfang durch Unterschrift des Kunden bestätigen lassen.7 Es ist zu erwarten, dass von der Praxis jedenfalls für den Normalfall Beratungsprotokolle in Formularform entwickelt werden. Auf gesetzliche Vorgaben für solche Formulare wird in Anbetracht der sich ständig ändernden Produkte verzichtet.8 Hinsichtlich des Zeitpunktes, für den die Mitteilungen und Angaben dem Kunden spätestens übermittelt werden müssen, orientiert sich die Umsetzung an der Vorgabe in Art. 12 Abs. 1 und 3 VRL.9 Die Angaben, mit denen die Vermittler dem VN mitteilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage sie ihre Leistung erbringen (§ 60 Abs. 2), müssen vor Abgabe der Vertragserklärung des VN erfolgen. Dies entspricht der Übermittlung der Informationspflichten nach § 7. Demgegenüber muss die Dokumentation der Beratung nicht schon vor Abgabe der Vertragserklärung, sondern erst vor Abschluss des Vertrags übermittelt werden.10 Der Gesetzgeber verweist darauf, dass eine Vorverlegung bereits auf den Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung durch den Kunden die Versicherungsvermittler vor eine praktisch kaum lösbare Aufgabe stellen würde, da diese ständig umfassende Materialien für alle von ihnen vermittelten 3 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 4 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 5 So auch früher EuGH 5.7.2012 – C-49/11, NJW 2012 2637; BGH 29.9.2010 – I ZR 66/08, VersR 2011 269; Prölss/ Martin/Dörner § 62 Rn. 14 m.w.N.

6 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 7 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 8 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 9 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 10 BTDrucks. 16/1935 S. 25, dazu kritisch Reiff VersR 2007 717; zustimmend Römer VersR 2006 740. 915

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Zeitpunkt und Form der Information

Versicherungsprodukte bei sich führen müssten, um diese dem Kunden gegebenenfalls bei Abgabe einer Vertragserklärung geben zu können.11 Es entspreche der allgemeinen Praxis, dass der Kunde zum Zeitpunkt seiner Vertragserklärung in zusammengefasster Weise über das Versicherungsprodukt informiert werde. In Anbetracht der Befragungspflicht des Versicherungsvermittlers sei der Kunde hinreichend geschützt, wenn er die vollständigen Unterlagen erst zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erhalte, die ihm dann als Grundlage zur Geltendmachung etwaiger Rechte dienten.12 Die Hinweise des Gesetzgebers auf die praktischen Schwierigkeiten für die Versicherungs7 vermittler sind nur schwer nachzuvollziehen. Es geht in § 61 Abs. 1 nicht um die Vertragsbestimmungen und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Insoweit wäre es nahe liegender gewesen, die Übermittlung der Materialien auf den Zeitpunkt vor Abschluss des VV zu verschieben. Tatsächlich hat der Gesetzgeber aber in § 7 festgelegt, dass die Vertragsbestimmungen und die AVB vor Abgabe der Vertragserklärung des VN diesem zu übergeben sind. Das bedeutet, dass der Versicherungsvermittler, der im Vorfeld nicht weiß, welchen VV der Kunde möglicherweise abschließen möchte, in der Tat alle von ihm vermittelten Versicherungsprodukte bei sich führen muss. Ob er das in Papier leisten kann oder ob es in Zeiten der modernen Informationstechnik möglich ist, das Ganze über das Internet zu bewältigen, sei dahingestellt. Gerade die Dokumentation des Rates, den der Vermittler dem Kunden erteilt, ist für diesen besonders wichtig. Auf der Grundlage dieses Rates und der Argumente pro und contra soll der Kunde seine (informierte) Entscheidung für die ihn bindende Vertragserklärung treffen. Wenn er seine Vertragserklärung aber abgibt, obwohl er die Dokumentation mit dem Rat des Vermittlers nicht in den Händen hält, so kann er eine einmal gegebene verbindliche Vertragserklärung nur noch schwer korrigieren – er muss den Vertrag später widerrufen. 8 Die VRL enthält keine differenzierenden Zeitpunkte zwischen den Informationen, die dem Kunden vor Abgabe seiner bindenden Vertragserklärung zu geben sind. Auch dies spricht dafür, dem Kunden vor allem die Dokumentation vor Abgabe der Vertragserklärung auszuhändigen. 9 Nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 1 ist die Dokumentation vor dem Abschluss des Vertrages klar und verständlich in Textform zu übermitteln. Gemeint ist, dass sie spätestens vor dem Abschluss des Vertrages vorzuliegen hat. Im Normalfall ergibt sich aber aus der Notwendigkeit einer sachgerechten und fehlerfreien Beratung, dass der Kunde die ihn bindende Vertragserklärung unter Berücksichtigung des schriftlich dokumentierten Rates des Vermittlers abgibt. Man wird aus § 62 Abs. 1 unter Berücksichtigung der gesetzlichen Begründung folgern können, dass ein Vermittler dem Kunden die schriftliche Dokumentation jedenfalls dann vor Abgabe von dessen Vertragserklärung auszuhändigen hat, wenn dies für den Vermittler ohne Schwierigkeiten möglich ist. Nur dann, wenn der Vermittler technische Probleme hat, auf die die gesetzliche Begründung hinweist, ist es ihm (ausnahmsweise) erlaubt, die schriftliche Dokumentation vor Abschluss des Vertrages nachzureichen.

II. Tatbestandsvoraussetzungen von § 62 Abs. 2 10 Wenn der Kunde es wünscht, dürfen die Angaben statt in Textform auch mündlich übermittelt werden. Die inhaltlichen Anforderungen an die Information bleiben ohne Einschränkung bestehen.13 Die mit einer mündlichen Übermittlung verbundenen Einschränkungen des Kundenschutzes erscheinen bei Wunsch des Kunden und – über Art. 13 Abs. 2 der Vermittlerrichtlinie hinausgehend – nicht generell bei Vereinbarung einer Sofortdeckung, sondern nur bei Gewährung einer vorläufigen Deckung, notwendig und sachlich gerechtfertigt.14 11 12 13 14

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B. Spezielle Kommentierung

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Die Übermittlung der Informationen in Textform ist in diesen Fällen unverzüglich nach 11 Vertragsschluss, spätestens mit Übermittlung des Versicherungsscheins, nachzuholen, sofern der VN nicht nach § 60 Abs. 3 oder § 61 Abs. 2 verzichtet hat. Beide Verzichtsmöglichkeiten könnten allerdings europarechtswidrig sein und folglich keine Rechtswirkungen entfalten. Nach § 62 Abs. 2 Satz 3 ist die Übermittlung in Textform nicht nachzuholen, soweit es sich 12 um eine vorläufige Deckungszusage im Rahmen einer Pflichtversicherung handelt. Da nach der Rechtsprechung schon eine Deckungskarte einen eigenständigen Vertrag darstellt, wäre ansonsten die Dokumentation für die Deckungskarte und dann nochmals für den „Folgevertrag“ zu erstellen.15 Auch nach Sinn und Zweck des Art. 13 Abs. 2 der VRL muss aber aufgrund der engen Verknüpfung der beiden Verträge eine einmalige Dokumentation in Fällen von Pflichtversicherungen ausreichen.16 Die vorläufige Deckung wird sich dabei ohnehin regelmäßig auf das gesetzlich erforderliche Mindestmaß beschränken.17 Diese Regelungen korrespondieren mit § 49 Abs. 1, wonach vereinbart werden kann, dass dem VN die Vertragsbestimmungen und die Informationen nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 nur auf Anforderung und spätestens mit dem Versicherungsschein vom VR zu übermitteln sind. In solchen Fällen werden die AVB, die der VR zu diesem Zeitpunkt für den vorläufigen Versicherungsschutz üblicherweise verwendet, bei Fehlen solcher Bedingungen die für den Hauptvertrag vom VR verwendeten Bedingungen, Vertragsbestandteil (§ 49 Abs. 2).

15 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 16 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 17 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 917

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§ 63 Schadensersatzpflicht 1

Der Versicherungsvermittler ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Versicherungsnehmer durch die Verletzung einer Pflicht nach § 60 oder § 61 entsteht. 2Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsvermittler die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

Schrifttum Abram Schützt das neue Recht den Versicherungsnehmer gegen Folgen einer Pflichtverletzung seines Versicherungsvermittlers? VersR 2008 724; Armbrüster Zur Verantwortung für die Festlegung des bedarfsgerechten Versicherungswertes in der Gebäudeversicherung, VersR 1997 931; Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, WM 2006 1710; Herzog Kapitalversicherungsbetrug? Grenzen und Möglichkeiten des strafrechtlichen Verbraucherschutzes, VersWissStud Band 26 (2004); Kieninger Aufklärungspflichten bei fremdfinanzierter Lebensversicherung als Kapitalanlage, NVersZ 1999 118; Langheid/Rixecker Versicherungsvertragsgesetz Kommentar, 5 Aufl. (2016); Lorenz Die „gewohnheitsrechtliche“ Erfüllungshaftung des Versicherers im bisherigen und im zukünftigen Versicherungsvertragsrecht, Festschrift Canaris (2007) 757; Römer Culpa in contrahendo, Versicherungsrecht, VersR 1998 1313; Schwintowski/Ebers Lebensversicherung – stille Reserven – Überschussbeteiligung, ZVersWiss 2002 393; Schwintowski Vertragsverletzung, Anlageberatung, Lebensversicherung, VuR 1997 83.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Tatbestandsmerkmale

I.

Abgrenzung zur gewohnheitsrechtlichen Erfül7 lungshaftung

II.

Pflichtverletzungen des Versicherungsmaklers 17 nach § 60 Verletzung einer Pflicht nach § 60 Abs. 1 17 Satz 1 Verletzung einer Pflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 2 19 i.V.m. Abs. 2 21 Verschulden

1. 2. 3.

1 3

7

22

4.

Schaden

III.

Pflichtverletzungen der Versicherungsvermittler 23 nach § 61 24 Beratungsverzicht 25 Verletzung der Dokumentationspflicht 30 Verletzung der Beratungspflicht 30 a) Versicherungsvertreter 31 b) Versicherungsmakler 35 c) Rechtsfolgen

1. 2. 3.

IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Fallgruppen für Beratungsfehler 42 Deckungsumfang 51 Vorläufige Deckung 57 Kfz-Versicherung 64 Haftpflichtversicherung Weitere Versicherungszweige 72 Krankenversicherung 78 Lebensversicherung

42

69

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Mit Wirkung zum 1.1.2008 enthält das deutsche VVG eine Norm, die den Versicherungsvermittler zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem VN durch die Verletzung einer Pflicht nach § 60 (Beratungsgrundlagen) oder nach § 61 (Dokumentations- und Beratungspflicht) entsteht. Die Schadensersatzpflicht des Vermittlers ist ausgeschlossen, wenn der Vermittler die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Das gleiche gilt für Versicherungsberater (§ 68). Für die Vermittlung von Großrisiken (§ 65) sowie für Gelegenheitsvermittler (§ 43d Abs. 8 GewO) gilt die Norm nicht (§ 66). Schwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522624-050

918

A. Einführung

VVG § 63

Mit § 63 wird Art. 8 Abs. 3 VRL umgesetzt, wonach die Mitgliedstaaten angemessene Sankti- 2 onen für den Fall vorsehen, dass ein Versicherungsvermittler nationale Rechtsvorschriften nicht einhält, die aufgrund dieser Richtlinie erlassen wurden. Durch Umsetzung der IDD in das deutsche Recht (in Kraft seit 23.2.2018) wurde die Norm nicht verändert.

II. Inhalt und Zweck der Regelung Im Interesse des Schutzes der VN muss eine Sanktion für den Fall vorgesehen werden, dass der Vermittler eine ihm im Zusammenhang mit seiner Beratungstätigkeit nach den §§ 60, 61 obliegende Pflicht schuldhaft verletzt.1 Hierfür bietet es sich an, dem VN einen Schadensersatzanspruch einzuräumen. Adressat der Schadensersatzpflicht ist in erster Linie der Versicherungsmakler, der sich keinen ausreichenden Marktüberblick verschafft hat und deswegen einen für den VN nach der Marktsituation objektiv ungünstigen oder ungeeigneten VV empfiehlt.2 Bei Beratungsfehlern, die auf einer Verletzung der Beratungs- und Dokumentationspflicht (§ 61) beruhen, sind nicht nur die Versicherungsmakler, sondern auch die (gebundenen) Versicherungsvertreter zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet.3 Durch diese für das deutsche Recht neue Schadensersatzverpflichtung des Versicherungsvertreters entstehen Überschneidungen zum gewohnheitsrechtlichen Erfüllungsanspruch und zur Schadensersatzpflicht des VR nach § 6 Abs. 5, wenn und soweit sich der VR eines Vermittlers bedient. § 63 ist halbzwingend; der Vermittler kann sich also nicht für schuldhaft begangene Beratungsfehler, auch nicht seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), freizeichnen.4 Haftungsbegrenzungen scheitern mit Blick auf die gesetzlichen Verpflichtungen aus §§ 60, 61 an § 67. Wenn und soweit ein Makler weitere (vertragliche) Pflichten übernimmt, werden diese regelmäßig zu Kardinalpflichten und sind deshalb nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht einschränkbar. Für Nebenpflichten kann es Einschränkungen im Rahmen von § 309 Nr. 7 b BGB geben. Schadensersatzansprüche, die der VN nicht wegen einer Pflichtverletzung bei Vertragsanbahnung, sondern bei der Abwicklung des Versicherungsfalls geltend macht, haben ihre Grundlage nicht in §§ 60 ff., 63 sondern in der allgemeinen Vorschrift des § 280 Abs. 1 BGB.5 Auch Schadensersatzansprüche des VN gegenüber einem Makler wegen der Verletzung von Pflichten im Zusammenhang mit dem Verkauf von Lebensversicherungen an einen gewerblichen Policenaufkäufer (S&K-Gruppe) haben ihre Grundlage in der allgemeinen Vorschrift des § 280 Abs. 1 BGB.6 Der Versicherungsmakler verletzt seine Pflichten, wenn er dem VN zum Verkauf einer Lebensversicherung an einen gewerblichen Policenaufkäufer rät, ohne ihn auf die Vor- und Nachteile einer Kündigung einerseits oder den Verkauf andererseits hinzuweisen.7 Neben § 63 kommt eine deliktische Haftung des Vermittlers, insbesondere bei schuldhafter Verletzung von Schutzgesetzen (§ 823 Abs. 2 BGB) in Betracht. Denkbar ist die Verletzung der Informationspflichten beim ersten Geschäftskontakt (§ 15 VersVermV).8 Die §§ 6 Abs. 2, 6a werden zwar nicht ausdrücklich in § 63 erwähnt, aber über § 61 Abs. 1 Satz 2 einbezogen9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BTDrucks. 16/1935 S. 25. BTDrucks. 16/1935 S. 25. BTDrucks. 16/1935 S. 25. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, NJW 2018, 1160. OLG Hamm 13.3.2019 – I-20 U 142/18, BeckRS 2019, 11088. OLG Hamm a.a.O.; ähnlich OLG Dresden 29.1.2019 – 4 U 942/17 (juris). Prölss/Martin/Dörner § 63 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 63 Rn. 3. Prölss/Martin/Dörner § 63 Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Michaelis § 63 Rn. 3.

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3

4

5

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§ 63 VVG

Schadensersatzpflicht

B. Tatbestandsmerkmale I. Abgrenzung zur gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung 7 Das VVG enthält eine Schadensersatzverpflichtung des Vermittlers bei bestimmten Informations- oder Beratungsfehlern. Daneben enthält das VVG – ebenfalls erstmals – eine Schadensersatzverpflichtung des VR für den Fall, dass er seine Informations- und Beratungspflichten nach § 6 Abs. 1, 2 oder 4 verletzt (§ 6 Abs. 5). Durch dieses Nebeneinander zweier Schadensersatzansprüche von VR und Vermittlern ist die Frage entstanden, ob die bereits vom Reichsgericht10 entwickelte und später vom BGH11 fortgeführte gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung möglicherweise überwunden ist.12 Diese Frage hat der BGH am 20.6.1963 aus der Perspektive des alten Rechtes ebenfalls gestellt und dahingehend beantwortet, dass es neben der Schadensersatzpflicht des VR aus bestimmten Gründen auch eine Erfüllungshaftung geben müsse.13 Die Gründe, die den BGH bewogen, ein Nebeneinander von Schadensersatzverpflichtung und Erfüllungshaftung anzunehmen, gelten auch für das neue Recht fort – insoweit haben sich die Grundgedanken nicht geändert. 8 Der BGH stellt am 20.6.1963 zunächst einmal fest, dass die Schadensersatzverpflichtung eines VR wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (heute: § 311 BGB) nicht durch die gewohnheitsrechtlich anerkannte Erfüllungshaftung ausgeschlossen oder eingeschränkt werde. Dies gelte auch dann, wenn der Schadensersatzanspruch des VN darauf gestützt sei, dass der Versicherungsvertreter es schuldhaft unterlassen habe, den VN über den Umfang der Versicherung aufzuklären.14 Die beiden Ansprüche – so führt der BGH fort – haben verschiedene Voraussetzungen, sie führen verschiedene Rechtsfolgen herbei. I.R.d. Erfüllungshaftung müsse der VR den Versicherungsschutz nach den irrigen Vorstellungen des VN gewähren. Der VN könne den VR auch dann in Anspruch nehmen, wenn der VR das Wagnis, über dessen Versicherung sich der VN geirrt habe, nicht versichert hätte und wenn andere VR eine derartige Versicherung ebenfalls abgelehnt hätten. Der VR müsse im Übrigen auch dann Versicherungsschutz gewähren, wenn den Versicherungsvertreter kein Verschulden treffen sollte. Die Haftung des VR sei also streng. Dem entspreche es, dass sie in vollem Umfang wegfalle, wenn den VN ein erhebliches eigenes Verschulden an seinem Irrtum treffe. Die Grundsätze des § 254 BGB seien nicht anwendbar.15 9 Der Schadensersatzanspruch habe demgegenüber zur Voraussetzung, dass der Versicherungsvertreter in seiner Eigenschaft als Erfüllungsgehilfe des VR schuldhaft handele und durch dieses Verhalten ein Schaden des VN eintrete. Eine Haftung scheide vor allem aus, wenn der VR eine Versicherung, wie der VN sie sich irrig vorgestellt habe, nicht übernehme und der VN, falls er hierüber aufgeklärt worden wäre, auch bei anderen VR eine derartige Versicherung nicht hätte abschließen können oder nicht abgeschlossen hätte. Die Haftung des VR sei also weniger streng. Dem entspreche es, dass eine Haftung des VR nicht in vollem Umfang wegfalle, wenn den VN an seinem Irrtum ein erhebliches eigenes Verschulden treffe. Es ist dann vielmehr § 254 BGB anzuwenden.16 10 Die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung wolle dem VN Rechte gewähren; sie wolle ihn besser stellen als er stünde, wenn ausschließlich die gesetzliche (Schadensersatz-)Regelung gälte. Es bestehe kein Anlass für die Annahme, dass sie ihm Rechte entziehen wolle, die ihm kraft Geset-

10 11 12 13 14 15 16

RG 19.1.1915, RGZ 86 128. BGH 9.5.1951, BGHZ 2 87. Lorenz FS Canaris (2007) 757; Dörner/Staudinger WM 2006 1710. BGH 20.6.1963, VersR 1963 768. BGH 20.6.1963, VersR 1963 768, 769 m.w.N. BGH 20.6.1963, VersR 1963 768, 769. BGH 20.6.1963, VersR 1963 768, 769.

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B. Tatbestandsmerkmale

VVG § 63

zes (heute §§ 6, 63) zustünden. Hieran ändere nichts, dass das Reichsgericht den gewohnheitsrechtlichen Satz zu einer Zeit aufgestellt habe, als die Grundsätze über die Haftung aufgrund eines Verschuldens bei Vertragsschluss noch nicht, jedenfalls nicht in dem Ausmaß entwickelt waren, wie sie heute gelten. Liegen also die Voraussetzungen der gewohnheitsrechtlichen Haftung nicht vor, weil den VN ein erhebliches eigenes Verschulden treffe, so schließe dies nicht aus, dass dem VN ein Anspruch auf Schadensersatz zustehe, wenn die Voraussetzungen für die Entstehung eines solchen Anspruchs gegeben seien.17 Diese Grundsätze, die der BGH und die ihm folgende Rechtsprechung der Instanzgerichtes 11 bis in die neueste Zeit hinein immer wieder bestätigt hat,18 gelten auch und gerade nach Inkrafttreten der §§ 6, 63 in vollem Umfang fort. Die nunmehr im VVG geregelten Schadensersatzansprüche gegen den VR und/oder den Vermittler haben im Gegensatz zur Erfüllungshaftung verschiedene Voraussetzungen und führen verschiedene Rechtsfolgen herbei. Der VR steht i.R.d. Erfüllungshaftung für Erklärungen des Vermittlers ein, die dieser, möglicherweise ohne Verschulden, über den Versicherungsumfang abgegeben hat.19 Erklärt der Versicherungsvertreter beispielsweise, der VN habe in einem bestimmten Teil der Welt Versicherungsschutz, so steht der VR für diese Erklärung sowohl nach den Grundsätzen der Erfüllungshaftung als auch nach denjenigen der Auge-und-Ohr-Doktrin20 ein. Dies würde selbst dann gelten, wenn der VR in keinem Falle bereit ist, Deckungsschutz für diesen Teil der Welt zu gewähren und wenn dies auch kein anderer VR anböte. Die Tatsache, dass ein an den VR gebundener Vertreter einen bestimmten Deckungsumfang bestätigt, bindet also den VR. Ein Schadensersatzanspruch würde dem VN in diesem Falle nicht weiterhelfen, wenn weder der VR noch der Vermittler schuldhaft gehandelt haben. Hat der VN in diesem Falle vor der Erklärung des Vermittlers bei einer Vielzahl anderer 12 VR und möglicherweise auch Makler Deckungsschutz erbeten und immer den Hinweis erhalten, für diesen Teil der Welt gewähre man keinen Versicherungsschutz, so entfällt die Erfüllungshaftung des VR wegen erheblichen eigenen Verschuldens des VN. Er hätte in dem Moment, in dem der Vermittler ihm den Deckungsschutz für den betreffenden Teil der Welt bestätigte, nachfragen müssen, ob sich der Vermittler wirklich sicher sei, ob sein VR tatsächlich Versicherungsschutz gewähren wolle, obwohl alle anderen von ihm angefragten VR dies nicht täten. Umgekehrt wird ein Schadensersatzanspruch des VN gegen den VR oder den Vermittler 13 durch das Bestehen der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung nicht ausgeschlossen. In dem Fall, den der BGH am 20.6.1963 entschied, ging es um einen Türken, der in Deutschland studierte und sich einen Pkw kaufte, um nach Ankara zu fahren. Die finanzierende Bank, die zugleich die Kfz-Haftpflichtversicherung vermittelte, wies den jungen Mann nicht darauf hin, dass er in der Umgebung von Ankara keinen Versicherungsschutz habe. Der BGH entschied, dass der Vermittler hätte erkennen müssen, dass sich der Türke über den Umfang der Versicherung irrige Vorstellungen macht. Eine derartige Verpflichtung bestehe auch dann, wenn der Vermittler zwar nicht mit Sicherheit zu erkennen brauche, dass der VN sich irrige Vorstellungen mache, er aber mit der nahe liegenden Möglichkeit eines derartigen Irrtums rechnen müsse. Im vorliegenden Fall hätte der Vermittler den jungen Mann darauf hinweisen müssen, dass er nur im europäischen Teil der Türkei, nicht aber in Ankara Versicherungsschutz habe, obwohl er dem Vermittler ausdrücklich erklärt hatte, er wolle mit dem Wagen nach Ankara fah-

17 BGH 20.6.1963, VersR 1963 768. 18 BGH 26.9.2001, NVersZ 2002 64 sowie die Nachweise bei Römer/Langheid 2. Aufl. VVG § 43 Rn. 39. 19 Instruktiv der Fall, den der BGH am 28.10.1963, VersR 1964 36 entschied, wo der BGH klarstellte, dass ein falscher Rat des Vertreters der unterlassenen Aufklärung des VN über einen offensichtlich verfehlten Versicherungsantrag gleichstehe. 20 Der BGH hat die Auge-und-Ohr-Doktrin mit Urteil vom 11.11.1987, VersR 1988 234 erstmals begründet und seither vielfach bestätigt. 921

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§ 63 VVG

Schadensersatzpflicht

ren.21 Zwar könne, so der BGH weiter, der VN in diesem Fall den VR nicht nach den Grundsätzen der Erfüllungshaftung in Anspruch nehmen, weil der Vermittler über den Umfang des Deckungsschutzes gerade nichts erklärt hatte. Der BGH bejahte aber die Haftung des VR aus Verschulden bei Vertragsabschluss (heute § 6 Abs. 5), weil der Versicherungsvertreter als Erfüllungsgehilfe des VR die Verpflichtung schuldhaft verletzt hatte, den VN über den Umfang der Versicherung oder das Bestehen des Risikoausschlusses (kein Versicherungsschutz im außereuropäischen Teil der Türkei) aufzuklären.22 Die Rechtsprechung hält auch für das neue VVG (ab 1.1.2008) an der Erfüllungshaftung 14 fest.23 Die Literatur ist nicht ganz einig.24 Dogmatisch ist die Erfüllungshaftung nicht von § 63 umfasst, weil es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um eine Ausdehnung der Vertragserfüllung handelt.25 Der VR hafte folglich für Auskünfte seiner Angestellten als auch für Auskünfte der an ihn gebundenen Vertreter, auch wenn diese letzlich keine Abschlussvollmachten hätten.26 Im Ergebnis kann man deshalb festhalten, dass die Grundsätze der gewohnheitsrechtlichen 15 Erfüllungshaftung auch nach Inkrafttreten der §§ 6, 63 weiter gelten. Die diese Erfüllungshaftung tragenden Sachgründe bestehen nach wie vor fort. Neben der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung steht die Haftung des VR auf Schadensersatz, wenn er selbst seine Pflichten nach § 6 Abs. 1, 2 und 4 verletzt (§ 6 Abs. 5). Dabei steht der VR für das Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) ein. Der für den VR tätige Versicherungsvertreter ist, wenn er mit dem VN über den Abschluss eines VV verhandelt, zugleich Erfüllungsgehilfe des VR. Neben dieser Haftung des VR steht die eigene Haftung auf Schadensersatz des Vertreters nach § 63. VR und Vertreter haften in einem solchen Falle dem VN als Gesamtschuldner auf Schadensersatz – es steht im Belieben des VN, welchen der Gesamtschuldner er in welchem Umfang in Anspruch nimmt (§§ 421, 426 BGB).27 Eine hiervon zu trennende Frage ist diejenige, wie der Innenausgleich zwischen VR und Vertreter vorzunehmen ist – insoweit ist auf die Vereinbarungen im Vertretervertrag zu verweisen. Wird der VV über einen Versicherungsmakler vermittelt, so scheidet eine Erfüllungshaf16 tung des VR für das Verhalten des Maklers aus, weil der Makler Sachwalter und Interessenvertreter des VN, nicht aber Vertreter des VR ist. Zugleich scheidet ein Schadensersatzanspruch des VN gegen den VR wegen Fehlberatung durch den Makler aus, weil der Makler nicht Erfüllungsgehilfe des VR ist. Bei Vermittlung eines VV durch einen Makler gibt es für den VN „nur“ die Schadensersatzpflicht gegen den Makler nach § 63. Dies kann ausnahmsweise anders sein, wenn der Makler zugleich Aufgaben, die typischerweise dem VR obliegen, mit dessen Wissen und Wollen übernimmt und damit in dessen Pflichtenkreis tätig wird.28 So gesehen kann es für den VN zu haftungsrechtlichen Nachteilen führen, wenn er sich für die Vermittlung seines VV eines Maklers bedient. Die gleichen Grundsätze gelten für den Fall, dass der VN einen Versicherungsberater (§§ 59 Abs. 4, 68) konsultiert. Auch für diesen steht der VR nicht ein, weil der Versicherungsberater vom VR völlig unabhängig ist.

21 BGH 20.6.1963, VersR 1963 768, 769. 22 BGH 20.6.1963, VersR 1963 768. 23 OLG Frankfurt 19.5.2011 – 7U 67/08, BeckRS 2012 06605; LG Saarbrücken 21.11.2014 – 13 S 132/14, VersR 2014 317 Rn. 22. 24 Für die Fortgeltung: Schimikowski R&S 2012 577, 582; Koch FS Lorenz (2014) 199; Looschelders/Pohlmann § 6 Rn. 15; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 68; dagg. Armbrüster ZVersWiss 2008 425,434; Fricke VersR 2015 1090; Lorenz FS Canaris Band I (2007) 770, 775; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 43; Langheid/Rixecker § 6 Rn. 3. 25 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69. 26 Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 69. 27 OLG Hamburg 12.3.2015 – 4U 61/14, VersR 2016, 988. 28 BGH 5.4.2017 – IV ZR 437/15 (juris) ab Rn. 23; BGH 12.3.2014 – IV ZR 306/13, BGHZ 200 286 Rn. 22; BGH 11.7.2012 – IV ZR 164/11, BGHZ 194 39 Rn. 51. Schwintowski

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B. Tatbestandsmerkmale

VVG § 63

II. Pflichtverletzungen des Versicherungsmaklers nach § 60 1. Verletzung einer Pflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Adressat der Schadensersatzpflicht ist der Versicherungsmakler, der sich keinen ausreichen- 17 den Marktüberblick verschafft hat (§ 60 Abs. 1) und deswegen einen für den VN nach der Marktsituation objektiv ungünstigen oder ungeeigneten VV empfiehlt.29 Entscheidend ist, dass der Makler seinem Rat keine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen VV und VR zugrunde gelegt hat. Im Zusammenhang mit § 60 wurde erörtert, dass der Markt nach sachlichen, örtlichen und zeitlichen Kriterien abzugrenzen ist. Hinreichend ist die Zahl der angebotenen Verträge und VR, wenn sie objektiv geeignet ist, nach fachlichen Kriterien eine Empfehlung dahin abzugeben, welcher VV geeignet ist, die Bedürfnisse des VN zu erfüllen. Erteilt der Versicherungsmakler eine Empfehlung ohne ausreichenden Marktüberblick, so ist er noch nicht automatisch schadensersatzpflichtig. Der mangelhafte Marktüberblick muss für den VN zu einem objektiv ungünstigen oder ungeeigneten VV führen – d.h., der mangelnde Marktüberblick muss für den daraus resultierenden Schaden kausal sein. Aus der Tatsache, dass sich der Versicherungsmakler nach § 60 Abs. 1 einen hinreichen- 18 den Marktüberblick verschaffen muss und darauf aufbauend erst eine Empfehlung abgeben darf, folgt, dass es an ihm ist, darzutun und zu beweisen, dass die Verletzung der Marktüberblickspflicht beim VN keinen Schaden herbeigeführt hat. Die Verletzung der Marktüberblickspflicht schafft somit einen Anschein (prima facie) aus dem die (widerlegliche) Vermutung der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem beim VN eingetretenen Schaden resultiert.

2. Verletzung einer Pflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Ein Makler, der auf eine eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl hinweist (§ 60 Abs. 1 Satz 2), ist 19 einer Haftung dann ausgesetzt, wenn er unrichtige Angaben über die berücksichtigten VR- und VV macht und dem VN durch Abschluss eines für ihn ungünstigen VV ein Schaden entsteht.30 Steht die Verletzung der Informationspflicht des Maklers objektiv fest, so wird die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden (widerleglich) vermutet. Soweit es um den Beweis der Pflichtverletzung geht, können die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen herangezogen werden.31 Es ist davon auszugehen, dass sich der VN aufklärungsrichtig verhalten hätte.32 Dies gilt jedenfalls dann, wenn für die zu beratende Person bei ordnungsgemäßer Beratung nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte.33 Hiervon ausgehend ist es gerechtfertigt, dem Versicherungsmakler die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass durch die Verletzung seiner Hinweispflichten dem VN kein Schaden entstanden ist. Es ist Sache des Maklers, diejenigen Umstände darzutun und zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass der VN den für ihn ungünstigen VV in jedem Falle geschlossen hätte oder dass der VV in Wirklichkeit gar nicht ungünstig ist. Die Haftung des Versicherungsmaklers entfällt nicht, auch wenn der VN auf die Mitteilun- 20 gen und Angaben nach § 60 Abs. 3 durch gesonderte schriftliche Erklärung verzichtet hat. Dieser Verzicht bezieht sich nur auf die Mitteilung der Markt- und Informationsgrundlage sowie der Namen der dem Rat zugrunde gelegten VR. Hat der VN auf diese Hinweise verzichtet, so ändert dies nichts daran, dass der Makler, der auf eine eingeschränkte VR- und Vertragsauswahl hingewiesen hat, verpflichtet ist, mit Blick auf diese generelle Einschränkung keine unrichtigen 29 30 31 32 33 923

BTDrucks. 16/1935 S. 25. BTDrucks. 16/1935 S. 25. BTDrucks. 16/1935 S. 25/26. BGH 12.5.09 – XI ZR 586/07. BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, NJW 2018 1160 LS 4. Schwintowski

§ 63 VVG

Schadensersatzpflicht

Angaben zu machen. So wäre es beispielsweise fehlerhaft, wenn der Makler darauf hinweist, dass er mit fünf VR zusammenarbeitet, obwohl es nur zwei sind, mit der Folge, dass der VN einer Empfehlung folgt, die lediglich auf der Auswahl von zwei VR beruht.

3. Verschulden 21 Der Makler haftet dann nicht auf Schadensersatz, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 63 Satz 2). Die Beweislast ist im Einklang mit § 280 Abs. 1 BGB geregelt.34 Der Versicherungsvermittler muss dartun, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.35 Diese Regelung trägt insbesondere dem Umstand Rechnung, dass es dem Kunden in der Praxis regelmäßig nicht möglich sein wird, ein Verschulden auf Seiten des zu Beratung und Dokumentation verpflichteten Versicherungsvermittlers nachzuweisen und erleichtert im Interesse des Verbraucherschutzes die Geltendmachung berechtigter Schadensersatzansprüche.36 Von den Regelungen in § 63 kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden (§ 67). Der Versicherungsvermittler kann sich also nicht für schuldhaft begangene Beratungsfehler, auch nicht seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), freizeichnen.37 Ein Mitverschulden des VN scheidet in den Fällen fehlerhafter Beratung und Information regelmäßig aus, da es nicht Sache des VN ist, sich selbst zu informieren und zu beraten.38

4. Schaden 22 Der Versicherungsmakler ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem VN durch die Verletzung seiner Hinweispflichten nach § 60 entsteht. Zu fragen ist also, welchen Rat der Versicherungsmakler auf der Grundlage eines hinreichenden Marktüberblicks oder auf der Grundlage einer zutreffend eingeschränkten VR- oder Vertragsauswahl hätte geben müssen. Es besteht die Vermutung, dass sich der VN beratungsrichtig verhalten hätte.39 Der Versicherungsmakler hat also den Schaden zu ersetzen, der sich aus der Differenz zwischen seinem fehlerhaften Rat und einem gedachten zutreffenden Rat ergibt. Es kann sein, dass bei inhaltlich gleichem Deckungsschutz eine günstigere Prämie möglich gewesen wäre, es kann aber auch sein, dass ein Risiko mitversichert gewesen wäre, für das der VN nunmehr im Schadensfall keine Deckung hat. Der VN kann verlangen so gestellt zu werden, als hätte er den erforderlichen Versicherungsschutz erhalten „Quasideckung“.40 Der Versicherungsmakler schuldet als Schadensersatz den Betrag, den der VR bei Mitversicherung des Risikos getragen hätte. Es kann sein, dass die Lücke im Deckungsschutz entdeckt wird, ohne dass ein Schaden eingetreten ist. Der Versicherungsmakler ist dann verpflichtet, für die Schließung der Deckungslücke zu sorgen – die dadurch entstehende möglicherweise höhere Prämie im Vergleich zu derjenigen, die bei Abschluss des Vertrages möglich gewesen wäre, schuldet der Makler dem VN als Schadensersatz.

III. Pflichtverletzungen der Versicherungsvermittler nach § 61 23 Im Falle von Beratungsfehlern, die auf einer Verletzung der Beratungs- und Dokumentationspflicht nach § 61 zur Feststellung und Dokumentation der Wünsche und Bedürfnisse des VN 34 35 36 37 38 39 40

BTDrucks. 16/1935 S. 25. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BGH 20.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818 LS 5; Looschelders/Pohlmann/Baumann § 63 Rn. 12. BTDrucks. 16/1935 S. 26; BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, NJW 2018 1160. BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, BeckRS 2014 07862.

Schwintowski

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B. Tatbestandsmerkmale

VVG § 63

sowie zur Angabe der Gründe für den erteilten Rat beruhen, sind Versicherungsvermittler – also Vertreter und Makler gleichermaßen – zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet.41

1. Beratungsverzicht Eine Haftung des Vermittlers entfällt, soweit der VN vor Abschluss des VV nach § 61 Abs. 2 auf 24 eine Beratung verzichtet hat. Dies gilt allerdings nicht, wenn und soweit der Beratungsverzicht selbst durch einen Beratungsfehler hervorgerufen wurde. Dies wird (widerleglich) vermutet, wenn der Vermittler keinen überzeugenden Sachgrund für den Beratungsverzicht dartun kann. Ein solcher Sachgrund besteht jedenfalls nicht in dem Wunsch des Maklers, sich durch eine vorformulierte Vertragsklausel von seiner Haftung völlig freizuzeichnen. In einer solchen Haftungsfreizeichnung liegt objektiv eine Pflichtverletzung.42 Dies bedeutet im Regelfall, dass ein Beratungs- und ein damit verbundener Haftungsverzicht mit der Rolle des Maklers als Sachwalter des VN nicht zu vereinbaren ist.43 Ein Sachgrund für einen Beratungsverzicht kann aber beispielsweise darin bestehen, dass der VN auf Abschluss eines bestimmten VV besteht, obwohl der Vermittler der Auffassung ist, ein anderer Vertrag wäre für ihn günstiger. Auch Zeitmangel kann ein solcher Sachgrund sein. Ein Gericht, das einen Wegfall der Haftung des Vermittlers wegen des Beratungs- und Dokumentationsverzichts nach § 61 Abs. 2 annehmen will, müsste den Fall allerdings zunächst einmal dem EuGH nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorlegen, denn es sprechen eine Vielzahl von Gründen dafür, dass der im deutschen Recht ermöglichte – in der Richtlinie aber nicht vorgegebene – Beratungs- und Dokumentationsverzicht mit den Zielen der Vermittlerrichtlinie nicht zu vereinbaren ist.44

2. Verletzung der Dokumentationspflicht Fehlt die Dokumentation gänzlich oder ist sie in wesentlichen Teilen lückenhaft, so verletzt der 25 Vermittler seine Rechtspflichten aus § 61. Soweit es um den Beweis dieser Pflichtverletzung geht, können die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen herangezogen werden.45 Da es Sache des Vermittlers ist, das Beratungsgespräch zu dokumentieren, liegt es bei fehlender Dokumentation oder Lücken in der Dokumentation an ihm, darzutun und zu beweisen, dass die Dokumentation ausnahmsweise – z.B. wegen Dokumentationsverzichtes – hinreichend war. Ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht kann Beweiserleichterungen zugunsten des VN rechtfertigen.46 Diese Beweiserleichterungen zu Gunsten des VN können bis zu einer Beweislastumkehrung führen.47 Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung nicht einmal im Ansatz dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist.48

41 42 43 44 45 46 47 48

BTDrucks. 16/1935 S. 25. BGH 19.5.2005, VersR 2005 978 m.w.N. Prölss/Martin/Dörner § 61 ab Rn. 31; Langheid/Rixecker/Bearbeiter 5. Aufl. § 61 Rn. 13. Prölss/Martin/Dörner § 61 ab Rn. 34. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13 (juris) LS 2. BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13 (juris Rn. 18); BGH 25.9.2014 – III ZR 440/13, BeckRS 2014 19 132 Rn. 34; OLG Dresden 21.2.2017 – 4 U 1512/16, BeckRS 2017, 106452; OLG Saarbrücken 27.1.2010 – 5 U 337/09 (juris) ab Rn. 29; OLG Saarbrücken 26.2.2014 – 5 U 64/13 VuR 2015 262 m. Anm. Schwintowski; OLG München 22.6.2012 – 25 U 3343/11 (juris) LS 2; LG Essen 8.7.2016 – 19 O 303/15, BeckRS 2016 116590. 925

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Schadensersatzpflicht

Fehlt es an einer Dokumentation oder ist die Dokumentation stark lückenhaft, so wird man daraus zugunsten des VN schließen dürfen, dass die Widergabe des Beratungsgespräches, so wie sie der VN vorträgt, zunächst einmal inhaltlich zutreffend ist. Fehlt es etwa an einer ordnungsgemäßen Dokumentation hinsichtlich der Aufklärung über die Nettopolice, so spricht zu Gunsten des VN eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine solche Aufstellung nicht erfolgt ist.49 Etwas anderes kann gelten, wenn sich der VN in Widersprüche verwickelt und dadurch seinerseits bei der Wiedergabe des Beratungsgespräches unglaubwürdig erscheint. Die Übersendung einer Verbraucherinformation genügt der erforderlichen Beratungsdokumentation in keinem Fall.50 Der Versicherungsvermittler, der die Dokumentationspflicht verletzt, ist beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre.51 Es besteht die Vermutung, dass sich der VN beratungsrichtig verhalten hätte.52 27 Der Versicherungsvermittler muss ferner dartun, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.53 Diese Regelung trägt insbesondere dem Umstand Rechnung, dass es dem Kunden in der Praxis regelmäßig nicht möglich sein wird, ein Verschulden auf Seiten des zur Beratung und Dokumentation verpflichteten Versicherungsvermittlers nachzuweisen, und erleichtert im Interesse des Verbraucherschutzes die Geltendmachung berechtigter Schadensersatzansprüche.54 Die Regelung ist nach § 67 halbzwingend; der Versicherungsvermittler kann sich also nicht 28 für schuldhaft begangene Dokumentationsfehler, auch nicht seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), freizeichnen.55 Ein Vermittler, der nicht nur im Einzelfall, sondern womöglich generell nicht oder nur unzu29 reichend dokumentiert, der durch sein Verhalten also zum Ausdruck bringt, dass er die ihm nach § 61 auferlegte Dokumentationspflicht nicht einzuhalten gedenkt, riskiert seine Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO. Die bewusste und gewollte Hinwegsetzung über die Dokumentationspflicht nach § 61 ist eine Tatsache, die die Annahme rechtfertigt, dass der Vermittler die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt (§ 34d Abs. 5 GewO). Mit einem solchen Vermittler darf ein VR nach § 48 Abs. 1 VAG mangels Zuverlässigkeit nicht zusammenarbeiten. Andernfalls droht nach § 332 Abs. 3 Nr. 3 VAG ein Bußgeld. 26

3. Verletzung der Beratungspflicht 30 a) Versicherungsvertreter. Ein Versicherungsvertreter schuldet im Vergleich zum Versicherungsmakler nur eine eingeschränkte Produktberatung und muss grundsätzlich seine eigene Marktposition nicht schwächen. Er muss aber über solche Punkte, die für den Abschluss eines konkreten Vertrages üblichwerweise von wesentlicher Bedeutung sind, aufklären und etwaige irrige Vorstellungen des VN in zentralen Punkten richtig stellen.56 Die Aufklärungsverantwortlichkeit bei einem beabsichtigten Wechsel zu einem neuen Krankenversicherer unter Kündigung des Vertrages beim bisherigen privaten Mitbewerber ist besonders hoch, insbesondere bei einem 58-jährigen VN, dessen bisherige PKV seit etwa 25 Jahren besteht.57 Die Absicherung des BURisikos ist für den VN existenziell, das heißt, der Vertreter darf die Kündigung der bestehenden 49 50 51 52 53 54 55 56

OLG Karlsruhe 24.3.2016 – 12 U 144/15, BeckRS 2016 6262. BGH 26.10.2016 – IV ZR 193/15, BeckRS 2016 20740 Rn. 33. BTDrucks. 16/1935 S. 26 unter Hinweis auf die Beratungspflichten, für die Gleiches gilt. BTDrucks. 16/1935 S. 25; BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16 BeckRS 2017 141818 LS 4. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. OLG München 22.6.2012 – 25 U 3343/11 BeckRS 2012 15241; OLG Saarbrücken 26.4.2017 – 5 U 36/16 BeckRS 2017 120805. 57 OLG München a.a.O. LS 3. Schwintowski

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Versicherung erst empfehlen, wenn gewährleistet ist, dass der angestrebte Versicherungsvertrag mit den gewünschten Konditionen zustande kommt.58 Offensichtliche Fehlvorstellungen des VN hinsichtlich seines Versicherungsbedarfs muss der Vertreter korrigieren. Das gleiche gilt, wenn mit dem vermittelten Versicherungsprodukt der erkennbare Vertragszweck verfehlt wird.59

b) Versicherungsmakler. Die Pflichten des Versicherungsmaklers zu Aufklärung und Beratung umfassen vor allem die Fragen, welche Risiken der VN absichern sollte, wie die effektivste Deckung erreicht werden kann, bei welchem Risikoträger die Absicherung vorgenommen werden kann und zu welcher Prämienhöhe, welche Risikoabdeckung erhältlich ist.60 Dabei muss grundsätzlich der den Schadensersatz begehrende VN darlegen und beweisen, dass der Makler seine Beratungspflicht verletzt hat; ihn trifft insoweit eine sekundäre Darlegungslast.61 Ein Versicherungsmakler erfüllt diese Pflicht nicht allein dadurch, dass er ohne Prüfung und Erörterung im konkreten Fall den VN auf Lücken einer bestehenden Versicherung sowie die dadurch hervorgerufenen wirtschaftlichen Risiken hinweist und einen Versicherungsschutz gegen alle Risiken empfiehlt.62 Der Pflichtenkreis der Versicherungsmakler umfasst grundsätzlich auch die Hilfestellung bei der Regulierung eines Versicherungsschadens.63 Bei einer grundlegenden Rechtprechungsänderung, die dem spezialisierten Makler nicht verborgen bleiben kann, ist dieser verpflichtet den VN auf den Rechtsprechungswechsel hinzuweisen und den bestehenden Versicherungsschutz zu diskutieren, insbesondere wenn dieser zu erheblichen Risikoerhöhungen führt.64 Aus der Sachwalter-Rechtsprechung des BGH ergibt sich „zu Gunsten“ des Versicherungsmaklers, dass sich der Maklerauftrag in der Regel nur auf das von seinem Kunden ihm zur Prüfung bzw. Optimierung aufgegebene Risiko bzw. Objekt bezieht. Hingegen besteht grundsätzlich keine Verpflichtung des Maklers, die gesamte Versicherungssituation des Kunden ungefragt einer umfassenden Prüfung zu unterziehen.65 Muss sich allerdings einem Vermittler bei einer Anfrage des VN aufdringen, dass der Versicherungsfall eingetreten ist und der VN dessen Voraussetzungen verkennt, so ist er verpflichtet dem VN einen entsprechenden Hinweis zu geben.66 Da der Maklervertrag ein Dauerschuldverhältnis mit Geschäftsbesorgungscharakter ist, folgt daraus nicht nur die Verpflichtung rechtzeitig angemessenen Versicherungsschutz zu beschaffen, sondern auch den Auftraggeber als VN nachfolgend im Rahmen des jeweiligen Versicherungsverhältnisses begleitend zu betreuen.67 Dabei gehört es vor allem zum Aufgabenkreis des Maklers zeitlichen Deckungslücken entgegenzuwirken und den Auftraggeber rechtzeitig auf erforderliche Verlängerungen aufmerksam zu machen.68

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c) Rechtsfolgen. Eine Haftung des Vermittlers entfällt, soweit der VN vor Abschluss des VV 35 nach § 61 Abs. 2 auf eine Beratung verzichtet hat.69 Dies gilt allerdings nur insoweit, als der 58 59 60 61 62 63 64

OLG Saarbrücken a.a.O. LS 3 unter Hinweis auf OLG Hamm 10.6.2010 – 18 U 154/09 BeckRS 2010 22267. LG Bochum 6.5.2015 – I-4U 239/14 (juris) LS 1. BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14 BeckRS 2016 14690 LS 1. BGH a.a.O. Rn. 24 unter Hinweis auf BGH 25.9.2014 – III ZR 440/13, VersR 2014 1328 Rn. 34. BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14, BeckRS 2016 14690 LS 1. BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, NJW 2018 1160 LS 2. ÖOGH 22.3.2016 – 5 Ob/15t (der österreichische oberste Gerichtshof hatte seine Rechtsprechung zu wrongful life geändert, sodass alle gynäkologisch tätigen Fachärzte einen verbesserten Risikoschutz benötigten. 65 OLG Hamm 21.5.2015 – 18 U 132/14, BeckRS 2015 12435. 66 BGH 7.9.2016 – IV ZR 370/13, BeckRS 2016 17447 (aus Sicht des VR, die aber für den Vermittler vergleichbar ist). 67 OLG Brandenburg 19.3.2014 – 11 U 212/12, NJOZ 2014 1860. 68 OLG Brandenburg a.a.O. 69 BTDrucks. 16/1935 S. 25. 927

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Beratungsverzicht selbst nicht auf einer Pflichtverletzung des Vermittlers beruhte und soweit der Beratungsverzicht mit dem Europarecht vereinbar ist. Die Beweislast ist im Einklang mit § 280 Abs. 1 BGB geregelt. Soweit es um den Beweis der Pflichtverletzung geht, können die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen herangezogen werden.70 Der Versicherungsvermittler, der Beratungspflichten verletzt, ist beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre.71 Entspricht der VV umgekehrt trotz der Pflichtverletzung den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden, so fehlt es sowohl an der Kausalität als auch am Schaden. Korrigiert der Vermittler seine fehlerhafte Beratung so rechtzeitig, dass dem VN ein angemessener Zeitraum verbleibt, sich anderweitig um Versicherungsschutz zu bemühen, soll dies die Kausalität ausschließen.72 Grundsätzlich besteht die Vermutung, dass sich der VN beratungsrichtig verhalten hätte.73 Dies gilt jedenfalls dann, wenn die zu beratende Person bei ordnungsgemäßer Beratung nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit gehabt hätte.74 Der Versicherungsvermittler muss dartun, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.75 Diese Regelung trägt insbesondere dem Umstand Rechnung, dass es dem Kunden in der Praxis regelmäßig nicht möglich sein wird, ein Verschulden auf Seiten des zur Beratung und Dokumentation verpflichteten Versicherungsvermittlers nachzuweisen und erleichtert im Interesse des Verbraucherschutzes die Geltendmachung berechtigter Schadensersatzansprüche.76 Der VN ist so zu stellen, als wäre er nicht falsch beraten – oder im Fall der unterlassenen Beratung – als wäre er richtig beraten worden. Gegenstand des Schadensersatzanspruches ist also das negative Interesse. Der Vertrauensschaden ist – anders als in den Fällen der §§ 122, 179 BGB – der Höhe nach aber nicht auf das Erfüllungsinteresse beschränkt.77 Der Vertrauensschaden kann mit dem Erfüllungsinteresse identisch sein, wenn feststeht, dass der VN ohne den Beratungsfehler vollen Versicherungsschutz erhalten hätte.78 Das Gleiche gilt, wenn der VN beweist, dass er den gewünschten Versicherungsschutz bei einem anderen VR zu vergleichbaren Bedingungen erhalten hätte.79 In diesen Fällen kann der VN die Erstattung der bezahlten Prämien verlangen.80 Hätte der VN ohne das schuldhafte Verhalten des Vermittlers einen Vertrag mit einem anderen VR geschlossen, gehört zum negativen Interesse auch der aus diesem Vertrag entgangene Gewinn bzw. die entgangene Versicherungsleistung. Das Erfüllungsinteresse ist zu ersetzen, wenn der Vertrag ohne das Beratungsverschulden mit dem VR zu günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre.81 Ist der Vertrag infolge des Beratungsfehlers zu ungünstigen Bedingungen zustande gekommen, hält der VN aber gleichwohl am Vertrag fest, gibt ihm die Rechtsprechung einen Anspruch auf Vertragsanpassung. Er kann Herabsetzung seiner Leistung auf das angemessene Maß und Rückzahlung des Mehrbetrages der überzahlten Prämie fordern.82 Er kann aber auch verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er den erforderlichen Versicherungsschutz erhalten („Quasideckung“).83 Ein 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79

BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. LG Köln 5.12.1984, VersR 1985 381; BGH 4.12.2013 – IV ZR 409/12, BeckRS 2014 04463. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818 LS 3 m.w.N. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BGH 28.10.1977, BGHZ 57 191, 193; BGH 25.5.1977, BGHZ 69 53, 56. OLG Hamm 24.10.1990, VersR 1991 914. OLG Köln 30.8.1990, RuS 1990 325; OLG Frankfurt/M 5.4.1989, VersR 1990 782; OLG Karlsruhe 3.3.1988, VersR 1990 889. 80 OLG Nürnberg 11.11.1993, RuS 1994 81. 81 BGH 4.6.1989, BGHZ 108 200; BGH 24.6.1989, NJW 1989 2900. 82 BGH 6.4.2001, NJW 2001 2878. 83 BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12, BeckRS 2014 07862 LS 1. Schwintowski

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B. Tatbestandsmerkmale

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Mitverschulden des VN ist bei der Haftung des Vermittlers nach § 254 BGB zu berücksichtigen.84 Ein Mitverschulden des VN ist bei der Haftung des Vermittlers nach § 254 BGB zu berück- 40 sichtigen.85 Bei einem Versicherungsmaklervertrag kann der zu beratenden Person, auch wenn sie über einschlägige Kenntnisse verfügt, regelmäßig nicht als mitwirkendes Verschulden vorgehalten werden, sie hätte das, worüber sie der Berater hätte aufklären oder unterrichten sollen, bei entsprechenden Bemühungen ohne fremde Hilfe selbst erkennen können.86 Abweichendes kann gelten, wenn die zu beratende Person Warnungen oder ohne weiteres erkennbare Umstände, die gegen die Richtigkeit des vom Berater eingenommenen Standpunktes sprechen, nicht genügend beachtet oder den Berater nicht über eine fundierte abweichende Auskunft unterrichtet, die sie von einer sachkundigen Person erhalten hat, oder von der Gefährdung ihrer Interessen sonst Kenntnis hat.87 Behauptet der Versicherungsmakler, er habe den VR bei der Umdeckung eines Risikos über 41 die Gefahr erhebliche Umstände mündlich informiert, trifft ihn für die Erfüllung, der ihm obliegenden Informationspflicht eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast.88 Insoweit ist der Makler darlegungs- und beweisbelastet.89

IV. Fallgruppen für Beratungsfehler 1. Deckungsumfang Nach früherer Rechtsprechung90 war der Vermittler nicht generell verpflichtet, auf einen in den 42 AVB enthaltenen Risikoausschluss (Schäden am Kamin und Schornstein in der Gebäudeversicherung ausgenommen) gesondert hinzuweisen und Versicherungsschutz insoweit anzubieten, solange der VN nicht danach fragte. Inzwischen ist der Vermittler i.R.d. Produktinformationsblattes nach § 4 VVG-InfoV verpflichtet, den VN zumindest auf die wichtigsten Risikoausschlüsse hinzuweisen. Weist der Vermittler auf den Risikoausschluss hin, so ist er als Makler und damit Sachwalter verpflichtet zu fragen, ob der VN insoweit Versicherungsschutz benötigt, jedenfalls dann, wenn es VR gibt, die diesen Versicherungsschutz anbieten. Der Vertreter muss auf den Risikoausschluss hinweisen und jedenfalls dann Versicherungsschutz anbieten, wenn dies nach den Bedingungen des von ihm vertretenen VR möglich ist. Eine Frage dieser Art erübrigt sich allerdings, wenn der VN zu verstehen gibt, dass er Umfang und Wirkweise des Risikoausschlusses verstanden hat und an keinerlei weiterem Versicherungsschutz interessiert ist. Ein Versicherungsmakler hätte bei einem Ofenbaumeister nachfragen müssen, welche kon- 43 kreten Tätigkeiten im Betrieb tatsächlich ausgeübt werden, um Versicherungsschutz für die gelegentlichen Fliesenarbeiten zu beschaffen.91 Der Makler darf von der Beratung eines nicht ausreichend informierten VN nur absehen, wenn der VN ihm unmissverständlich erklärt, dass er auf eine weitergehende Beratung verzichtet.92 Das Reisebüro, das nach § 34d Abs. 9 Nr. 1 GewO von der Erlaubnispflicht befreit ist, hat 44 den Reisenden bei einer Reiserücktritts-, Reisegepäck- oder Reisekrankenversicherung nur insoweit zu beraten und aufzuklären, dass überhaupt Versicherungsschutz gewährt wird. Dies 84 85 86 87 88 89 90 91 92 929

BGH 4.3.1968, VersR 1968 467; OLG Köln 4.10.1990, RuS 1991 113. BGH 4.3.1968, VersR 1968 467; OLG Köln 4.10.1990, RuS 1991 113. BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818 LS 5. BGH a.a.O. LS 5. OLG München 9.3.2011 – 20 U 1643 09, BeckRS 2012 04097; entgg. BeckRS 2012 04076 Rn. 38. Der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen: 11.1.2012 – IV ZR 83/11, BeckRS 2012, 04076. OLG Hamm 13.11.1992, RuS 1993 108, 109. BGH 26.3.2014 – IV ZR 422/12 (juris Rn. 26). BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14 (juris) Sprinkleranlage. Schwintowski

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ergibt sich nicht aus § 61, da diese Norm nach § 67 auf das Reisebüro nicht anwendbar ist, sondern aus allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts (§§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB). Das Reisebüro braucht nicht darauf hinzuweisen, dass ein Konkurrent ein Risiko versichert, für das es selbst keinen Versicherungsschutz bietet.93 Einem Reisebüromitarbeiter ist es nicht zumutbar, den Kunden nach eventuellen schweren Erkrankungen zu fragen, die zur Privatsphäre des Kunden gehören und nach außen nicht erkennbar sind.94 Verwendet ein Vermittler Versicherungsbedingungen, nach denen die Bestimmung des richtigen Versicherungswertes (hier: Versicherungswert 1914) so schwierig ist, dass sie selbst ein Fachmann nur mit Mühe treffen kann, überlässt er aber die Bestimmung dieses Wertes dem VN, so treffen ihn nach Treu und Glauben gesteigerte Hinweis- und Beratungspflichten. Er muss in geeigneter Form auf die Schwierigkeiten der richtigen Festsetzung des Versicherungswertes und auf die Gefahr einer falschen Festsetzung hinweisen. Dazu gehört auch der Hinweis, dass es sich empfehlen kann, einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Der VR kann seiner Hinweispflicht auch dadurch genügen, dass er dem VN eine eigene fachkundige Beratung anbietet.95 Zu einer ordnungsgemäßen Belehrung gehört auch der Hinweis, dass einem Bauwesen nicht sachverständiger VN mit der Bestimmung des richtigen Versicherungswertes 1914 in aller Regel überfordert sein wird.96 Bedient sich der VN bei der Feststellung des Versicherungswertes 1914 eines sachverständigen Dritten, so hat er keinen Anspruch gegen den VR aus Beratungsverschulden, wenn dieser den Wert zu niedrig bestimmt.97 In der Maschinenversicherung ergibt sich die ausreichende Versicherungssumme nicht aus dem Anschaffungspreis, sondern aus dem jeweils gültigen Listenpreis.98 Unterlässt der Versicherungsvertreter es schuldhaft, den Antragsteller auf den Zusammenhang zwischen Versicherungssumme und Versicherungswert hinzuweisen, so hat der VN einen Schadensersatzanspruch aus der so eingetretenen Unterversicherung, muss sich aber möglicherweise einen Mitverschuldensanteil anrechnen lassen.99 Dem Versicherungsmakler obliegt es bei einer Maschinenversicherung u.a. ein auskömmlichen Versicherungswert zu ermitteln und den VN über die Bedeutung des jeweils gültigen Listenpreises in § A5, Nr. 1lit. a ABMG 2008 aufzuklären und auf die in diesem Zusammenhang bestehenden Risiken einer Unterversicherung hinzuweisen.100 Bei der Ermittlung eines auskömmlichen Versicherungswertes reicht es nicht aus, wenn der Versicherungsmakler den Listenpreis für einen zu versichernden Radlader durch den VN bei dessen Verkäufern telefonisch erfragen lässt. Vielmehr hat der Versicherungsmakler selbst aufzuklären, was unter dem Listenpreis im Einzelnen zu verstehen ist, insbesondere ob es sich um einen Listenpreis des Herstellers, des Verkäufers oder um eine branchenübliche Preisliste handelt.101 War der VN in der Ursprungspolice darüber informiert, was eine Unterversicherung ist, so braucht der Vertreter auch bei Erhöhung der Versicherungssumme nicht noch einmal ausdrück-

93 OLG Saarbrücken 14.4.1999, VersR 1999 1367. 94 AG München 12.10.2005, VersR 2006 1492. 95 BGH 7.12.1988, VersR 1989 472 = NJW-RR 1989 410; ähnlich OLG Hamm 14.6.1991, VersR 1992 49; LG Köln 30.9.1992, RuS 1994 187; OLG Karlsruhe 5.11.1992, VersR 1994 1169 = RuS 1994 264; OLG Celle 3.3.1994, VersR 1995 333 = RuS 1994 225; OLG Koblenz 25.10.1996, VersR 1997 1226 = RuS 1997 93; OLG Koblenz 14.1.2000, NVersZ 2000 581 = VersR 2001 51; abgrenzend OLG Frankfurt/M. 12.9.2001, NVersZ 2002 90; OLG Frankfurt/M. 21.11.2001, NVersZ 2002 272; vertiefend Armbrüster VersR 1997 931. 96 BGH 3.2.2011 – IV ZR 171/09 (juris) LS 1; OLG Stuttgart 30.3.2011 – 3 U 192/10, BeckRS 2011, 10929; weiterführend OLG Hamm 30.4.2012 – I-18 U 141/06, NJW-RR 2013 38. 97 OLG Oldenburg 19.8.1992, VersR 1993 1226; ähnlich AG Köln 15.2.1995, VersR 1996 613; ähnlich ÖOGH 10.12.2014 – 7 Ob 156/14p; ÖOGH 9.4.2015 – 7 Ob 33/15a. 98 AG Kassel 14.5.1996, RuS 1997 44 = ZfS 1997 19. 99 OLG Köln 12.11.1996, VersR 1997 1530 = VuR 1998 193 m. Anm. Schwintowski. 100 OLG Naumburg 5.12.2013 – 4U 27/13, BeckRS 2014 19301. 101 LG Dessau-Roßlau 30.10.2014 – 2 O 197/12, BeckRS 2015 08232. Schwintowski

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B. Tatbestandsmerkmale

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lich auf die Risiken der eigenen Wertermittlung hinzuweisen.102 Ein Versicherungsmakler haftet nicht für einen dem VN durch Unterversicherung entstandenen Schaden, wenn die Unterversicherung auf nachträglichen Anschaffungen des VN beruht. Ihn trifft keine Pflicht zu ungefragten tätig werden mit dem Ziel der Prüfung, ob nach Vertragsschluss eingetretene Umstände aus der Sphäre des VN eine Änderung des Versicherungsschutzes notwendig erscheinen lassen.103 Das ist anders, wenn bei Vertragsänderung der Verzicht auf den Einwand der Unterversicherung aufgehoben wird und der Vertreter es unterlässt, den VN darauf hinzuweisen, dass die Ermittlung einer hinreichenden Versicherungssumme erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann.104 Ein Versicherungsvertreter, der einen VN bei der Feststellung und Abdeckung einer IndustrieUnterversicherung berät, muss den VN über die richtige Form und über den gebotenen Umfang der Nachversicherung zutreffend unterrichten.105 Der Vertreter muss den VN nicht auf eine mögliche Unterversicherung hinweisen, wenn diese nach einem Eigentumswechsel daraus entstehen kann, dass der Erwerber anders als der Veräußerer nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist.106 Bei einem Makler kann dies wegen seiner Sachwalterposition anders sein. Bei Herabsetzung der Versicherungssumme in einer Geschäftsversicherung muss über das Risiko der Unterversicherung in besonderer Weise belehrt werden.107 Wünscht der Kunde gegenüber dem Versicherungsvertreter, der ihn abzuwerben versucht, 49 einen Versicherungsschutz wie bisher bei seinem alten VR und vermittelt der Vertreter diesen Umfang nicht hinreichend mit der Folge, dass der Kunde bei dem neuen VR einen weniger weit reichenden Versicherungsschutz hat, so haftet der Vermittler aus § 63 auf Schadensersatz, wenn ein Ereignis eintritt, das nach dem alten Vertrag versichert gewesen wäre, nach dem neuen aber nicht versichert ist. Auch der VR, der von seinem Vermittler vertreten wurde, muss in diesem Fall unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes grundsätzlich Deckung gewähren.108 Ermittelt der Vermittler auf ausdrückliche Bitte des VN, die Versicherungssumme so zu wäh- 50 len, dass das Unternehmen des VN gegen Betriebsunterbrechungsschäden richtig versichert ist, die Versicherungssumme falsch, sodass im Ergebnis eine Unterversicherung eintritt, so haftet er für den daraus entstehenden Schaden.109 Ein Versicherungsmakler muss nachprüfen, ob der von ihm vermittelte Versicherungsvertrag (Hausratversicherung) auch tatsächlich zustande gekommen ist.110

2. Vorläufige Deckung Vorläufige Deckung kann für den Fall gewährt werden, dass der VN dem VR einen bestimmten 51 Versicherungsantrag zufaxt. Akzeptiert der VR dieses Verfahren nicht, so muss der Vermittler den VN hiervon unterrichten. Unterlässt der Vermittler dies, so haftet der Vermittler, neben dem VR (§ 6 Abs. 5) für diese Unterlassung in Höhe der Versicherungsleistung.111 Verspricht der VR vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung ab An- 52 tragstellung, wenn der Antrag nicht vom Geschäftsplan abweicht, dann muss der VR dafür Sorge tragen, dass der Vermittler des Antrags mit den notwendigen Informationen ausgestattet ist, die einen mit dem Geschäftsplan in Übereinstimmung stehenden Antrag ermöglichen.112 Erklärt 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 931

OLG Düsseldorf 17.12.1996, VersR 1998 845 = RuS 1998 290. OLG Frankfurt a.M. 8.6.2016 – 4 U 223/15 (juris). OLG Hamm 14.7.1995, RuS 1995 389. BGH 28.10.1963, VersR 1964 36 = NJW 1964 244. OLG Köln 12.5.1995, RuS 1995 267. OLG Karlsruhe 15.1.2013 – 12 U 121/12, BeckRS 2013, 01975. OLG Koblenz 27.10.2006, VersR 2007 482. OLG Saarbrücken 8.9.2004, VersR 2005 1686. OLG Hamm 19.5.2017 – I-20 U 53/17 (juris) LS 1. OLG Hamm 28.5.1997, RuS 1999 128 = ZfS 1999 111. OLG Hamm 29.12.1993, VersR 1994 1095 = RuS 1994 273. Schwintowski

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ein Vertreter dem Antragsteller objektiv zu Unrecht und schuldhaft, es bestehe vorläufige Deckung, so haftet der Vermittler, neben dem VR (§ 6 Abs. 5) aus § 63 auf Ersatz der Schäden, die durch die unrichtige Auskunft verursacht werden.113 Unterlässt es der Vertreter bei Antragstellung auf die Möglichkeit einer vorläufigen Deckung hinzuweisen, kann ein Schadensersatzanspruch aus § 63 in Betracht kommen. Dieser ist, wenn der Vertreter dem VN keine vorläufige Deckung hätte anbieten können, nicht auf das Erfüllungsinteresse, sondern auf das Vertrauensinteresse gerichtet. Der VN hat folglich zu beweisen, dass er bei richtiger Beratung noch anderweitig hätte Versicherungsschutz erlangen können. Kann der VN dies nicht beweisen, so fehlt es an der erforderlichen Kausalität zwischen der Fehlberatung und dem eingetretenen Schaden.114 Ist ein Mitarbeiter einer Direktversicherung befugt, bereits am Telefon verbindliche Erklärungen abzugeben, hat er die gleichen Beratungspflichten wie ein Versicherungsvertreter oder ein angestellter Außendienstmitarbeiter. Erkennt er, dass der VN falsche Vorstellungen über den Beginn der vorläufigen Deckung hat, so ist er verpflichtet, ihn aufzuklären und ihn auf die Möglichkeit einer Sondervereinbarung aufmerksam zu machen.115 War für den Versicherungsvermittler nicht zu erkennen, dass der Antragsteller gerade für die Zeit zwischen dem im Versicherungsantrag angegebenen Beginn und dem Zugang des Antrags beim VR vorläufigen Deckungsschutz erhalten wollte, kann dem Vermittler kein Beratungsverschulden angelastet werden.116 Erweckt der Vertreter bei dem VN den Eindruck, der Versicherungsschutz aus einem früher abgeschlossenen VV laufe bis zum Abschluss eines neu beantragten Vertrages ohne Unterbrechung weiter, so liegt darin keine Deckungszusage, sondern eine Aufklärung über den Geltungsbereich der alten Versicherung, für die der Vermittler nach § 63, neben dem VR nach § 6 Abs. 5, einzustehen hat.117 Nach § 9 Kfz-PflVV gewährt der VR in der Kfz-Versicherung durch Aushändigung der Versicherungsdoppelkarte vorläufigen Versicherungsschutz. Von der Kasko-Versicherung ist in § 9 Kfz-PflVV keine Rede. Stellt der VN jedoch einen einheitlichen Antrag auf Abschluss einer Haftpflicht- und einer Fahrzeugversicherung, so führt dies nach ständiger Rechtsprechung des BGH118 regelmäßig dazu, dass der Vermittler, neben dem VR (§ 6 Abs. 5) verpflichtet ist, den VN so zu stellen, als wäre vorläufige Deckung in der Fahrzeugversicherung gewährt worden. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Vermittler deutlich darauf hinweist, dass vorläufige Deckung nur in der Haftpflichtversicherung gewährt wird.119 Dies gilt auch dann, wenn der VN dem Vermittler den Wunsch nach Kaskoversicherungsschutz in dem noch abzuschließenden Hauptvertrag telefonisch oder sonst mündlich mitgeteilt hat.120 Datieren der VN und der Vermittler in kollusivem Zusammenwirken die vorläufige Deckung in Kenntnis des bereits eingetretenen Versicherungsfalls zurück, so ist die vorläufige Deckung nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.121

3. Kfz-Versicherung 57 Der Vermittler hat bei Abschluss einer Kfz-Kaskoversicherung einen der deutschen Sprache kaum mächtigen türkischen Staatsangehörigen auf geeignete Weise darauf hinzuweisen, dass der Versicherungsschutz nur für Europa bzw. den europäischen Teil der Türkei gilt. Wenn der Vermittler in einer solchen Situation die Aufklärung unterlässt, haftet er, möglicherweise 113 114 115 116 117 118 119 120 121

LG Köln 5.12.1984, VersR 1985 381. OLG Köln 30.8.1990, RuS 1990 325 = ZfS 1990 414. OLG Köln 29.4.1997, VersR 1998 180. OLG Köln 9.7.1996, RuS 1996 337. BGH 9.5.1951, BGHZ 2 87. Seit BGH 19.3.1986, VersR 1986 541. Bestätigt in BGH 14.7.1986, VersR 1999 1274. BGH 19.3.1986, VersR 1986 541; OLG Saarbrücken 20.4.2006, VuR 2007 30 m. Anm. Schwintowski. BGH 26.9.1985, VersR 1986 181.

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neben dem VR (§ 6 Abs. 5) auf Schadensersatz.122 Dies gilt auch mit Blick auf die Haftpflichtdeckung, so dass die grüne Karte auch für den asiatischen Teil der Türkei gilt, wenn der Vermittler nicht darüber aufgeklärt hat, dass sie nur für den europäischen Teil gelten solle.123 Dies gilt auch mit Blick auf die Insassenunfallversicherung124 und die Fahrzeugversicherung.125 Händigt ein Vermittler dem VN eine grüne Karte aus, die – nach der Rechtsprechung – Haftpflichtdeckung auch für den asiatischen Teil der Türkei bietet, so hat er den VN gleichzeitig ausdrücklich darüber zu belehren, dass in der Kaskoversicherung der Versicherungsschutz auf den europäischen Teil der Türkei beschränkt bleiben soll.126 Unterlässt er diese Hinweise, so haftet er auf Schadensersatz nach § 63. Durch die fehlerhafte Auskunft eines Vermittlers über einen Kfz-Tarif kann aber keine Vertrauensposition geschaffen werden, die den jeweils geltenden Gesetzen widerspricht.127 Wird das Kfz eines Familienangehörigen als Zweitwagen bei ein und demselben VN versichert, so ist dieser darüber aufzuklären, dass gegenseitige Schäden an den beiden versicherten Fahrzeugen nun nicht mehr mitversichert sind (§ 11 Nr. 2 AKB).128 Füllt ein Versicherungsmakler für den VN die Schadensanzeige nach einem Kfz-Diebstahl aus und rät ihm dabei, einen Vorschaden zu verschweigen, so haftet er für den sich aus diesem Rat folgenden Ausfall der Versicherungsleistung gegenüber dem VN nicht, wenn er diesem die Risiken einer derartigen Obliegenheitsverletzung deutlich vor Augen geführt hatte.129 Wird ein Kfz als Mietfahrzeug versichert, so soll der Vermittler nicht verpflichtet sein, darauf hinzuweisen, dass die von ihm angebotene Kaskoversicherung das Risiko der Unterschlagung durch den Mieter nicht abdeckt.130 Aus der Perspektive von § 4 VVG-InfoV (Produktinformationsblatt) ist diese Rechtsprechung nicht mehr zu halten, denn der Vermittler muss den VN – hier: Vermieter des Fahrzeugs – auf die wichtigsten Risikoausschlüsse hinweisen. Stellt ein VR dem VN eine grüne Karte zur Verfügung und weiß der Vermittler, dass es dem VN um Versicherungsschutz in der Türkischen Republik Nord-Zypern geht, so muss der Vermittler darauf hinweisen, dass die grüne Karte keinen Versicherungsschutz für Nord-Zypern begründet. Versäumt der Vermittler diesen Hinweis, so ist er, neben dem VR (§ 6 Abs. 5) auf Schadensersatz nach § 63 verpflichtet.131 Wünscht der VN eine Kfz-Versicherung „wie bisher“ und wird das Fahrzeug – wie bisher – gegen Haftpflicht und Teilkasko versichert, so besteht bezogen auf die Vollkaskoversicherung keine weitergehende Beratungspflicht.132

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4. Haftpflichtversicherung Wer eine Haftpflichtversicherung eingehen will, muss mit dem Bestehen von Risikoausschlüs- 64 sen rechnen und kann sich über deren Inhalt und Umfang durch Einsichtnahme in die Versicherungsbedingungen und, wenn er dann noch Zweifel hat, durch Rückfrage beim VR oder dessen 122 OLG Karlsruhe 13.3.1987, VersR 1988 486. 123 BGH 28.10.1992, BGHZ 120 87 = VersR 1993 88 = NJW 1993 1007; so auch OLG Köln 15.9.1988, RuS 1989 3; OLG Hamm 30.11.1990, VersR 1991 1238; OLG Köln 30.8.1990, RuS 1990 400; OLG Stuttgart 24.9.1992, VersR 1993 347; OLG Innsbruck 13.12.1990, VersR 1992 600; OGH 13.7.1994, VersR 1995 943; OLG Stuttgart 8.4.1993, Schaden-Praxis 1993 188; OLG Frankfurt/M. 20.11.1997, NVersZ 1998 38 = VersR 1998 1103. 124 OLG Frankfurt 14.3.1985, NJW-RR 1986 1410. 125 BGH 13.4.2005, VersR 2005 824. 126 OLG Oldenburg 29.9.1999, NVersZ 2000 388; BGH VersR 2005 824. 127 OLG Düsseldorf 28.4.1998, VersR 1998 1366 = RuS 1998 361. 128 OLG Stuttgart 18.4.1986, NJW-RR 1986 904; etwas eingeschränkter AG Trier 9.2.2002, NVersZ 2002 231. 129 OLG Hamm 19.6.2000, NVersZ 2001 68 = VersR 2001 583 m. Anm. Wandt. 130 OLG Köln 19.9.1995, VersR 1996 1265. 131 BGH 4.7.1989, BGHZ 108 200 = VersR 1989 948. 132 OLG Hamm 4.12.2009 – 20 U 131/09, BeckRS 2010 9433. 933

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Vermittler vergewissern.133 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Vermittler nach § 4 VVG-InfoV i.R.d. Aufklärung über das Produktinformationsblatt den VN über die wesentlichsten Risikoausschlüsse hinzuweisen hat. In jedem Fall muss ein Versicherungsvermittler, der erkennt, dass sich der VN über einen wesentlichen Punkt des VV falsche Vorstellungen macht, diese richtig stellen.134 Wünscht ein VN umfassenden Versicherungsschutz für sein Gebäude, so muss der Vermittler darauf hinweisen, wenn das Anlagenrisiko Gewässerschäden nicht umfasst.135 Erklärt der Vermittler auf Nachfrage des VN, wo der VS bleibe, er brauche sich keine Sorgen zu machen, weil er versichert sei, so löst dies die Erfüllungshaftung des Vermittlers nach § 63 und des VR wegen Verschuldens seines Vermittlers bei den Verhandlungen über den Abschluss eines VV (§ 6 Abs. 5) aus.136 Der Vermittler hat ein Rohrreinigungsunternehmen bei den Verhandlungen über den Abschluss einer Haftpflichtversicherung darauf hinzuweisen, dass der für dieses Unternehmen wesentliche Risikoausschluss „Abwasser“ abbedungen werden kann.137 Wird in der Tierhalterhaftpflichtversicherung der Versicherungsschutz durch eine Neufassung der AVB erweitert, dann verletzt der Vermittler seine Beratungspflicht, wenn er den VN nicht auf die Möglichkeit für einen erweiterten Versicherungsschutz hinweist. Im Schadensfall hat er ihn so zu stellen, als sei die Neufassung Vertragsinhalt geworden.138 Der Vermittler haftet auf Schadensersatz nach § 63, wenn der VV entgegen dem für den Vermittler erkennbaren Wunsch des VN umfassend gesichert zu sein, bestimmte Risiken nicht abdeckt. Eine solche Haftung ist gegeben, wenn der Vermittler nach einer Besichtigung aller Räume eines Anwesens erklärt, es sei ausreichender Versicherungsschutz in der schon bestehenden Hausrat- und Haftpflichtversicherung gegeben, obwohl wegen eines unübersehbaren 2000-Liter-Öltanks der Heizungsanlage die zusätzliche Versicherung des Anlagenrisikos angezeigt gewesen wäre.139 Der Vermittler ist verpflichtet, auf eine für einen durchschnittlichen VN nicht erkennbare Deckungslücke zwischen Betriebs- und Kfz-Haftpflichtversicherung hinzuweisen. Unterlässt er einen derartigen Hinweis, so kann er sich auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Kfz-Ausschlussklausel (§ 6.1.2.1 der AVB zur Betriebshaftpflichtversicherung) selbst dann nicht berufen, wenn sich ein typisches Wagnis der Kfz-Haftpflichtversicherung verwirklicht hat.140 Der Versicherungsmakler hat einen Arzt über die geänderte Rechtsprechung des BGH141 zum Unterhaltsaufwand für ein ungewolltes Kind als Vermögensschaden zu unterrichten.142 Werden bestehende AHB (1969) durch neue AHB (1981) ersetzt, so hat der Vermittler hierauf hinzuweisen, wenn die neueren AVB nicht nur per Saldo günstiger sind. Ein Schadensersatzanspruch besteht jedoch nicht, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der VN seinen Vertrag nicht umgestellt hätte, weil er auch auf zahlreiche spätere Anregungen des Vermittlers nicht reagierte.143 Ein Gabelstapler, der regelmäßig auf öffentlichen Straßen benutzt wird, muss im Rahmen einer Kfz-Haftpflichtversicherung versichert werden. In der Betriebs-Haftpflichtversicherung ist er nicht versicherungsfähig. Hierauf muss ein Kaufmann vom Vermittler allenfalls dann hingewiesen werden, wenn der VN dem Vermittler bereits bei Vertragsschluss mitteilt, einen Gabelstapler anschaffen zu wollen.144

133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144

BGH 19.11.1956, VersR 1956 787, 791. BGH 9.5.1951, BGHZ 2 87 = VersR 1951 166. OLG Hamm 23.11.1983, VersR 1984 853. BGH 29.1.1986, VersR 1986 329. OLG Köln 12.6.1986, RuS 1986 273. LG Bad Kreuznach 26.2.1991, NJW-RR 1991 1503. OLG Köln 14.1.1993, VersR 1993 1385. OLG Köln 17.9.1992, VersR 1993 304. BGH 18.3.1980, NJW 1980 1450. OLG Hamm 11.5.1995, MedR 1997 463. OLG Hamm 21.1.2000, NVersZ 2000 349 = VersR 2000 1231. OLG Köln 9.3.1999, VersR 2000 352 = RuS 1999 272 m. Anm. Schimikowski.

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B. Tatbestandsmerkmale

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5. Weitere Versicherungszweige Teilt ein VN dem Vermittler bei bestehender Einbruchdiebstahlversicherung einen beabsich- 69 tigten Umzug mit, ist dieser verpflichtet auf den drohenden Verlust des Versicherungsschutzes hinzuweisen und den VN zu belehren. Fehlende Nachfrage durch den VN kann nach § 254 BGB den Anspruch mindern.145 Die Sturmversicherung deckt Schäden durch eindringendes Regenwasser nicht. Wird dieser beim VN bestehende Irrtum für den Vermittler nicht erkennbar, so kann ihm kein Beratungsverschulden vorgeworfen werden.146 Erklärt der VN, dass er sein mit Lagerhallen und einem Bürogebäude bebautes Grundstück „so gut wie möglich versichert haben“ will und wird ihm auf Nachfrage versichert, dass „kein Restrisiko“ mehr bestehe, so liegt hierin ein Beratungsfehler, wenn das Risiko des Hagelschadens nicht mitversichert ist.147 In der Reisegepäckversicherung muss der Vermittler den VN belehren, wenn er die „Koffer- 70 raumklausel“ auch bei der Benutzung von Pkws anwenden will, die einen verschlossenen Kofferraum im klassischen Sinne nicht haben. Andernfalls können sich Vermittler und VR auf die Verletzung von Obliegenheiten des VN nicht berufen.148 Erklärt der geschäftlich erfahrene VN, dass der neu abzuschließende Rechtsschutzversicherungsvertrag nach Inhalt und Prämie dem alten bei einem anderen VR geschlossenen VV entsprechen soll, so sind der Vermittler und der VR hieran gebunden. Es liegt kein Beratungsfehler vor, wenn sich später herausstellt, dass im alten wie im neuen VV der Vertragsrechtsschutz nicht mitversichert ist.149 Bei positiver Kenntnis hat der Vermittler eine Beratungspflicht über eine bestehende Unter- 71 versicherung gegenüber dem VN.150 Besondere Hinweis- und Beratungspflichten treffen den Vermittler bei der Vereinbarung des Versicherungswertes 1914.151 Ein Beratungsbedürfnis des VN in Bezug auf den Versicherungswert besteht nicht, wenn er sich zur Ermittlung des Versicherungswertes eines Architekturbüros als Erfüllungsgehilfen bedient.152 Für den Versicherungsmakler besteht bei der Überprüfung einer Gewerbe-Inhaltsversicherung auf ausreichende Deckung neben der Vermittlung einer Haftpflichtversicherung Anlass, den Bedarf einer Diebstahlsversicherung für einen gewerblich genutzten Radlager unabhängig davon zu ermitteln, ob dem Kunden der Unterschied zwischen Haftplicht- und Kaskoschutz bekannt ist.153 Die Pflicht des Maklers, von sich aus das Risiko zu untersuchen und das Objekt zu prüfen, umfasst keine Objektbesichtigung zur Beantwortung einer Antragsfrage zur Art und Nutzung des zu versichernden Gebäudes.154 Erklärt ein Makler vor Abschluss einer Patentrechtschutzversicherung, dass auch die Abwehr von Patentrechtsnichtigkeitsklagen erfasst ist, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist, ist er Schadensersatzpflichtig, wenn der VN im Vertrauen auf das Bestehen eines entsprechenden Rechtschutzes eine Patentverletzungsklage erhoben hat und dann, wie üblich, im Gegenzug im Rahmen einer Patentrechtsnichtigkeitsklage verklagt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Abwehr von Patentrechtsnichtigkeitsklagen überhaupt versicherbar ist.155 Ein Makler macht sich Schadensersatzpflichtig, wenn er dem erkennbaren Interesse des Inhabers eines Lohnbetriebs in der Landwirtschaft nicht entsprochen hat, weil der vermittelte Versicherungsvertrag für das naheliegende Risiko von verschuldeten Bearbeitungsschäden keine Deckung gewährt.156

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OLG Hamm 3.6.1998, VersR 1999 708. OLG Köln 6.6.1974, VersR 1974 990. OLG Hamm 23.8.2000, NVersZ 2001 88 = NJW-RR 2001 239. BGH 13.12.1978, VersR 1979 343. OLG Düsseldorf 12.8.1997, RuS 1998 510. OLG Hamm 15.10.2004, VersR 2005 685; LG Mainz vom 13.10.2005 (AZ: 4 O 49/05). OLG Düsseldorf 13.12.2005, RuS 2006 331. OLG Saarbrücken 18.1.2006, RuS 2006 197. OLG Schleswig 15.11.2018 – 16 U 26/18, BeckRS 2018, 35446. OLG Hamm 20.6.2018 – 20 U 16/18, BeckRS 2018 33403. OLG Düsseldorf 16.11.2018 – I-4 U 210/17, BeckRS 2018 31909. OLG Saarbrücken 12.12.20018 – 1 U 167/14, VersR 2019 620. Schwintowski

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Schadensersatzpflicht

6. Krankenversicherung 72 Für den Vermittler einer privaten Krankenversicherung besteht keine Verpflichtung auf eine Doppelversicherung hinzuweisen, wenn der Vermittler von einer Kenntnis der maßgeblichen Umstände beim VN ausgehen kann.157 Klärt der Vermittler den VN bei Abschluss des Vertrages nicht darüber auf, dass bei der Inanspruchnahme eines Heilpraktikers nicht alle, sondern nur einige Leistungen unter den VV fallen, macht sich der Vermittler, neben dem VR (§ 6 Abs. 5) schadensersatzpflichtig. Dem VN ist in diesem Fall ein hälftiges Mitverschulden anzulasten, wenn er es unterlässt, sich durch Einsichtnahme in die AVB Klarheit darüber zu verschaffen, ob Heilpraktikerkosten unter den vertraglichen Leistungskatalog fallen.158 Durch die Mitteilung des VN über die Beendigung des VV seiner Tochter wegen Aufnahme 73 eines krankenversicherungspflichtigen Ausbildungsverhältnisses wird für den Vermittler nicht ohne weiteres erkennbar, dass sich daraus Auswirkungen auf den Beihilfeanspruch der Ehefrau des VN ergeben können. Es ist deshalb kein Beratungsfehler, wenn der Vermittler auf diese für ihn nicht erkennbaren Auswirkungen nicht hinweist.159 Wechselt eine kinderlose verheiratete Frau von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung, so besteht grundsätzlich keine Pflicht des Vermittlers, ohne besonderen Anlass von sich aus darauf hinzuweisen, dass die Kosten für eine Schwangerschaftsbehandlung nicht übernommen werden, wenn die alleinige Ursache für die Kinderlosigkeit die Fortpflanzungsunfähigkeit des Partners ist.160 Ein Versicherungsvermittler muss einen Lehrer, der wegen Wegfalls seiner Beihilfeberechti74 gung bei Ausscheiden aus dem Schuldienst eine Änderung des Krankenversicherungstarifes wünscht, nicht ungefragt über die Möglichkeit abgeleiteter Beihilfeansprüche belehren, wenn er von deren Voraussetzungen keine Kenntnis hat.161 Es ist in der Regel nicht Aufgabe eines Vermittlers, den VN bei Abschluss eines VV auf jede Bestimmung der umfangreichen Satzung einer Krankenkasse hinzuweisen. Vielmehr genügt es grundsätzlich, wenn der Vermittler dem VN die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise vom Inhalt der Satzung Kenntnis zu nehmen (hier: Aufklärung über eine zu berücksichtigende Wartezeit).162 Der Verlust der Alterungsrückstellung beim Wechsel des privaten Krankenversicherers ist 75 für sich allein kein vom Versicherungsmakler in Fällen fehlerhafter Beratung zu ersetzender Schaden. Der VN und Maklerkunde ist vielmehr darauf verwiesen, eine etwaige Prämiendifferenz als konkreten Vermögensschaden geltend zu machen.163 Eine Pflicht des Vermittlers, den VN darauf hinzuweisen, dass er eine Beitragspflicht für die Sozialversicherungssysteme aufgrund einer Gesetzesänderung umgehen könne, besteht nicht.164 Die gesetzliche Krankenversicherung hat auf die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung für Selbständige hinzuweisen, wenn der VN ausdrücklich darum bittet, freiwillig versichert zu werden.165 In der Pflegeversicherung besteht eine besondere Hinweispflicht des Vermittlers, wenn für ihn erkennbar ist, dass der VN über die Reichweite des bestehenden Versicherungsschutzes wegen unwirksamer Kündigung, irrige Vorstellungen hat.166 Dem für einen privaten KrankenVR handelnden Vertreter trifft beim Abschluss eines Krank76 heitskostenV für den VN und dessen Familienangehörige grundsätzlich keine Pflicht, diesen ungefragt und umfassend über die Vor- und Nachteile zu beraten, die sich aus dem Wechsel 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166

LG Arnsberg 30.6.1989, RuS 1990 319. OLG Köln 21.3.1991, VersR 1991 1279. OLG Saarbrücken 20.9.1995, RuS 1997 208. OLG Stuttgart 12.11.1998, NVersZ 1999 218 = VersR 1999 1268. OLG Hamm 25.8.1999, NVersZ 2000 125 = RuS 2000 211. OLG Schleswig 25.5.1984, VersR 1984 1170. BGH 11.5.2006, RuS 2006 351. LG Bielefeld 14.7.2006 (AZ: 3 O 13/06). OLG München 1.6.2006, OLGR München 2007 160. BSG 29.11.2006, RuS 2007 144.

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B. Tatbestandsmerkmale

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von der gesetzlichen in die private KV ergeben können, insbesondere soweit sich Änderungen aus der Familienplanung oder der Absicht der Ehefrau zur Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit oder zur Betreuung der Kinder ergeben. Anderes kommt nur in Betracht, wenn im Einzelfall ein besonderes Auskunfts- oder Beratungsbedürfnis erkennbar ist oder wenn konkrete Vergleichsberechnungen bzgl. der künftigen Kosten in der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung aufgestellt werden.167 Wird dem VN ein Angebot zum Wechsel von der GKV in die PKV unterbreitet, so trifft den 77 Vermittler, jedenfalls dann, wenn es sich um einen älteren VN handelt (56 Jahre) eine besondere Beratungspflicht im Hinblick auf die langfristigen und unter Umständen auch nachteiligen Folgen eines solchen Wechsels.168 Das Unterlassen der Aufklärung darüber, dass bei Kündigung der Krankenversicherung ein Versicherungsschutz für die Krankentagegeldversicherung verloren gehen kann, wenn nicht bereits eine neue Tagegeldversicherung abgeschlossen worden ist, stellt eine haftungsbegründende Pflichtverletzung dar.169 Es ist jedoch nicht Aufgabe eines Maklers, der private Krankheitskostenversicherungen vermittelt, die Bedingungen der gesetzlichen Krankenkassen für eine Einbeziehung der Einkünfte des von ihm beratenden VN in die Berechnung der Beiträge für den selbstständig erwerbstätigen Ehepartner zu prüfen. Er könnte verpflichtet sein, darauf hinzuweisen, dass der beabsichtigte Wechsel in die PKV sich auf den Versicherungsschutz seines Ehepartners und dessen damit verbundene finanzielle Belastungen auswirken kann.170 Ein Makler hat den Kunden umfassend über die Vor- und Nachteile einer Versicherung im Rahmen der von einigen privaten Krankenversicherern angebotenen Beamtenöffnungsklausel aufzuklären. Er hat insbesondere über die Versicherung ohne Leistungsausschluss, mit einem 30 %igen Zuschlag, im Vergleich zu einem niedrigeren Zuschlag aber teilweisen Leistungsausschlüssen zu belehren.171

7. Lebensversicherung Bei der Verbindung einer Kapitallebensversicherung (im folgenden: KLV) mit einem Kreditver- 78 trag (die Kredite sind während der Laufzeit tilgungsfrei) sind bei der Prüfung der marktüblichen Konditionen nach § 138 Abs. 1 BGB auch die zu erwartenden Gewinnbeteiligungen und die Steuervergünstigungen bei der LV zu berücksichtigen.172 Erhält ein Verbraucher statt eines Ratenkredits einen mit einer KLV verbundenen Festkredit, so kann seine Gesamtbelastung aus Kreditzinsen und Versicherungsprämien bei Effektivzinsvergleich gemäß § 138 Abs. 1 BGB der marktüblichen Belastung aus einem Ratenkredit mit Restschuldversicherung gegenübergestellt werden. Auch wenn die Vertragsverbindung nach dem Ergebnis des Zinsvergleichs und der Gesamtwürdigung nicht sittenwidrig erscheint, kann der Kreditnehmer von der Bank Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluss verlangen, wenn er nicht über die speziellen Nachteile und Risiken der Vertragsverbindung aufgeklärt worden ist.173 Eine Aufklärungspflicht entfällt aber dann, wenn der VN (Kreditnehmer) bei Anbahnung des Kredit- und VV durch einen sachkundigen Finanz- und Vermögensberater betreut wurde und für den Vermittler nach den Umständen des Einzelfalls bereits objektiv kein Anlass für erneute oder ergänzende Beratung bestanden hat.174 167 168 169 170 171 172 173 174

OLG Zelle 7.2.2008, NJOZ 2008 1496. OLG Hamm 24.6.2015 – I-20 U 116/13 (juris) LS 1. LG Dessau-Roßlau 20.7.2015 – 4 O 103/14 (juris). OLG Köln 26.2.2016 – 20 U 102/15, BeckRS 2016 05566. OLG Köln 5.4.2018 – 9 U 137/17, BeckRS 2018 46426. BGH 14.1.1988, VersR 1988 349 (im Ergebnis wirksame KLV). BGH 3.4.1990, BGHZ 111 117 = VersR 1990 744 = NJW 1990 1844. OLG Koblenz 16.6.2000, NVersZ 2001 16 (im Anschluss an BGH 27.2.1996, NJW 1996 1744 – Anlageberatung einer Bank) = VersR 2000 1268. 937

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Schadensersatzpflicht

Bei einem Verbraucherkredit, dessen Fälligkeit von der Auszahlung eines Bausparvertrages oder einer KLV abhängt, durch die der Kredit ganz oder teilweise getilgt werden soll, muss die vom Verbraucher zu unterzeichnende Vertragserklärung den Gesamtbetrag aller von ihm zu erbringenden Leistungen angeben.175 Vermittelt ein Vertreter eine KLV zum Zwecke der Umschuldung einer bestehenden Finanzierung, so hat er darüber aufzuklären, dass der Darlehensnehmer der Bank für die vorzeitige Darlehensbeendigung eine Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlen hat.176 Ein Versicherungsmakler, der einem Kunden eine (fondsgebundene) Lebensversicherung mit Nettopolice vermittelt, kann in der vorformulierten „Vermittlungsgebührenvereinbarung“ seine Pflicht zur umfassenden Beratung nicht ausschließen und sich nicht von einer Haftung freizeichnen. Wenn seine Beratung mangelhaft ist, weil der vermittelte Vertrag ein für den Bedarf des Kunden ungeeignetes Produkt ist und weil der Kunde durch eine empfohlene Kündigung alter Lebensversicherungen erhebliche Nachteile erlitten hat, ist eine Haftung des Versicherungsmaklers aus § 63 in Betracht zu ziehen. Der Schaden des Kunden besteht dann jedenfalls in der Provision des Maklers.177 Bei der Finanzierung eines steuersparenden Erwerbermodells kann die Bank als Vermittlerin eines Lebensversicherungsvertrages, ausnahmsweise zur Risikoaufklärung verpflichtet sein, wenn ihr Kunde kein „professioneller Kapitalanleger“ ist, sondern ein Angestellter mit einem relativ geringen Einkommen, für den die Notwendigkeit der Steuerersparnis fern liegt. Dabei trifft die Bank eine Aufklärungspflicht über die spezifischen Vor- und Nachteile, die mit einer Darlehenstilgung durch eine KLV verbunden sind, weil dieses komplizierte Finanzierungsprodukt für den durchschnittlichen Kreditbewerber weitgehend undurchschaubar ist.178 Weiß der Vermittler, dass die Finanzierung eines Realkredits durch eine Lebensversicherung wegen der bei Vertragsabschluss bestehenden Zinssituation unweigerlich zu einem Verlust führen muss, so verletzt er seine Beratungspflicht, wenn er dieses Kreditfinanzierungsmodell trotzdem empfiehlt. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Kunde in der Vertragsanbahnungsphase die Versprechungen des Vermittlers nicht hinterfragt, insbesondere nicht aufgeklärt hat, wie hoch das Beitragsdepot verzinst werden sollte (hier: 6 %).179 Vor dem Verkauf einer Lebensversicherung an einen Policenankäufer hat der Makler den VN über mögliche Alternativen und deren Vor- und Nachteile gegenüber dem Verkauf der Police zu beraten. Dazu gehört auch das Risiko des Totalausfalls bei Insolvenz des Policenaufkäufers während der Wartezeit.180 Das Gleiche gilt, wenn der Makler bei Abschluss einer neuen Lebensversicherung und dem zeitgleichen Verkauf dreier alter Lebensversicherungen über die Vor- und Nacchteile nicht angemessen aufklärt.181 Der VN hat aus § 63 Anspruch auf Rückzahlung seiner Beiträge in der Fondslebensversicherung, wenn ihm gegenüber bei Abschluss des VV das Anlagerisiko verharmlost wurde und der Vermittler sich das zurechnen lassen muss.182 Hat der VN eine fondsgebundene Lebensversicherung abgeschlossen und wollte er nach dem Vertrag ersichtlich die Versicherungsprämien aus dem angelegten Kapital finanzieren, ist ihm der Vermittler wegen Beratungsverschuldens zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er auf die Risiken der Wertanlage in einem Aktienfonds nicht hingewiesen hat.183 Liegt es nahe oder drängt es sich auf, dass der Kunde durch den 175 176 177 178 179

BGH 18.12.2001, BGHZ 149 302 = NJW 2002 957 = VuR 2002 134. LG Freiburg 26.4.1996, VuR 1998 301. BGH 19.5.2005, NJW-RR 2005 1425. OLG Frankfurt/M. 23.8.2001, WM 2002 549. BGH 9.7.1998, NVersZ 1998 32 = NJW 1998 2898 = VuR 1998 415 m. Anm. Schwintowski; dazu Kieninger NVersZ 1999 118. 180 OLG Dresden 8.1.2019 – 4 U 942/17, BeckRS 2019 1478. 181 LG Bielefeld 7.9.2018 – 18 O 269/16 BeckRS 2018 44009. 182 OLG Düsseldorf 30.4.2004, VersR 2005 62. 183 OLG Celle 24.11.2005, Nds.Rpfl. 2006 209. Schwintowski

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B. Tatbestandsmerkmale

VVG § 63

Abschluss der Fondslebensversicherung finanziell überfordert wird, so muss der Vermittler dem Kunden vom Vertragsschluss abraten.184 Bei einem Wechsel der Lebensversicherung muss der Vermittler seinem Kunden insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen LV hinweisen.185 Ein Versicherungsvertreter kann sich von seinem Kunden für die Vermittlung einer Lebensversicherung mit Nettopolice eine Vergütung versprechen lassen. Auf den Umstand, dass der VN bei der Nettopolice auch dann zur Zahlung der vollen Vermittlervergütung verpflichtet bleibt, wenn der vermittelte Vertrag nach kurzer Zeit beendet wird, muss der Vertreter im Rahmen seiner Beratung besonders deutlich hinweisen.186 Diese Grundsätze gelten auch für den Versicherungsmakler, der nachdrücklich über die Gefahren der Vermittlung einer Nettopolice aufzuklären hat.187 Zu den Beratungspflichten des Maklers gehört, einem VN die finanziellen Nachteile einer Kündigung eines bestehenden steuerbegünstigten Kapitallebensversicherungsvertrages eingehend vor Augen zu führen.188 Der Vermittler muss den VN, der den Wunsch hat, sein Kind in der Rentenversicherung mitzuversichern, darauf hinweisen, dass die Absicherung des Kindes in aller Regel spätestens mit Vollendung des 25. Lebensjahres endet.189 Den VR, wohl auch den Vermittler, trifft die Verpflichtung, den Versicherten auf die Möglichkeit eines günstigeren Versicherungsschutzes hinzuweisen, wenn die dem Vermittler bekannten Umstände das Bedürfnis des VN nahelegen, Kinder mitzuversichern.190 Anders als dem VN stehen dem Bezugsberechtigten aus der LV keine Ansprüche wegen Falschberatung des VN zu. Für den Bezugsberechtigten kommen Ansprüche wegen fehlerhafter Beratung des VN nur unter den Voraussetzungen der §§ 311, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB in Betracht.191 Einer im Zeitpunkt des Abschlusses der Rentenversicherung bereits 81-jährigen VN darf keine über weitere 12 Jahre laufende Rentenversicherung vermittelt werden, jedenfalls dann nicht, wenn innerhalb von 12 Jahren die Rückzahlung der gesamten eingezahlten Prämie nicht gesichert ist.192 In der Rentenversicherung ist der Erblasser auch über den Tarif zu unterrichten, der die Möglichkeit bietet, dass bei Eintritt des Todes vor Ablauf der Garantiezeit das eingesetzte Kapital abzüglich der geleisteten Rentenzahlungen an die Erben ausgekehrt wird.193 Kündigt der VN einen bestehenden LV und schließt gleichzeitig einen neuen ab, so muss der Vertreter nicht von sich aus darauf hinweisen, dass die Ausschlussfrist für Selbsttötungen (§ 8 ALB) erneut zu laufen beginnt.194 Ob bei einem erkennbar suizidgefährdeten Vertragspartner etwas anderes gilt, bleibt offen.195 Äußert der VN gegenüber dem Vermittler den Wunsch, die LV wegen vorübergehender Einkommenslosigkeit auf die Dauer von zehn Monaten beitragsfrei zu stellen, kann dies nicht als Antrag auf Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung, sondern nur als Antrag, die Versicherung für kurze Zeit zum Ruhen zu bringen, verstanden werden. Hat der Vermittler diesen Wunsch als Antrag auf Umwandlung in eine prämienfreie LV bewertet und den 184 LG Stuttgart 19.4.2006, VuR 2006 269. 185 BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13, NJW 2015 1026. 186 BGH 12.12.2013 – III ZR 124/13, NJW 2014 1655 Rn. 16; OLG Hamm 23.8.2017 – 20 U 38/17, BeckRS 2017 136707; LG Düsseldorf 2.4.2014 – 23 S 150/13 (juris) LS 1; OLG München 5.7.2016 – 20 U 1011/16, BeckRS 2016 1417. OLG Karlsruhe 15.9.2011 – 12 U 56/11, BeckRS 2011 23170. OLG Saarbrücken 4.5.2011 – 5 U 502/10, BeckRs 2011 18059. OLG Naumburg 12.3.2015 – 4 U 62/14, BeckRS 2016 07568. OLG München 10.6.2015 – 25 U 945/15, BeckRS 2015 12874. OLG Hamm 6.5.2013 – 18 U 114/12, BeckRS 2013 12054. ÖOGH 29.10.2014 – 7 Ob 161/14y. OLG Stuttgart 21.8.2006, VersR 2007 1069. OLG Hamm 8.8.1986, RuS 1986 247. OLG Hamm 18.8.1986, VersR 1988 51.

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VN nicht auf die Folgen hingewiesen, haftet er aus § 63. Dem VN, der es unterlassen hat, von sich aus Rechtsrat einzuholen, ist in diesem Fall kein Mitverschuldensanteil anzulasten.196 Schuldhaft falsche Erklärungen des Vermittlers über die steuerliche Anerkennung von LV-Prämien als betriebliche Ausgaben führen zu einem Schadensersatzanspruch des VN gegen den Vermittler aus § 63. Den VN trifft in diesem Fall ein Mitverschulden von 50 %, wenn er sich „blindlings“ auf die Angaben des Vermittlers verlässt, ohne einen ansonsten konsultierten Steuerberater zu befragen.197 Wenn ein Vermittler den VN bei Abschluss einer LV steuerrechtlich falsch berät (hier: die in voller Höhe auszuzahlende Versicherungssumme werde nicht versteuert), haftet der VR angeblich weder aus dem Institut der gewohnheitsrechtlichen Vertrauenshaftung noch aus Verschulden bei Vertragsschluss, weil er nicht zur Aufklärung über Steuerpflichten verpflichtet sei.198 Es liegt kein schuldhafter Beratungsfehler vor, wenn der Vermittler bei Vertragsschluss hinsichtlich der Frage der steuerlichen Absetzbarkeit von Prämien als Betriebsausgaben eine zum damaligen Zeitpunkt zutreffende Auskunft erteilt und dabei eine sich noch nicht konkret abzeichnende Änderung der Rechtsprechung des BFH nicht vorhergesehen hat.199 Erklärt der Vermittler bei Aufnahme des Antrags fälschlicherweise, dass die vom VN benannten erheblichen Vorerkrankungen nicht relevant seien, so liegt hierin ein Verschulden vor Vertragsschluss, das einen Schadensersatzanspruch auslöst.200 Fragt der VN in einem Beratungsgespräch bei Abschluss eines Rentenversicherungsvertrags ausdrücklich danach, was mit dem eingezahlten Kapitalbetrag nach seinem Tode passiere, so hat der Vermittler unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass bei einem Ableben des VN vor Ablauf der Rentengarantiezeit der noch nicht verbrauchte Rest des Kapitals verloren ist. Verletzt der Vermittler diese Aufklärungspflicht und erteilt die falsche Auskunft, dass im Todesfalle das für die Rentenzahlungen nicht verbrauchte Geld vollständig zurückgezahlt werde, so haftet der Vermittler, neben dem VR (§ 6 Abs. 5) den Erben aus § 63 in Höhe des verlorenen Teils des eingezahlten Kapitals, wenn der VN bei richtiger Aufklärung den VV nicht abgeschlossen hätte. Die Erben müssen sich ein Mitverschulden des VN anrechnen lassen, wenn dieser beim Lesen der Anträge hätte erkennen können, dass die AVB keinen Anspruch auf Rückzahlung des „Restkapitals“ vorsehen.201 Die Erklärung des Vermittlers, es handele sich bei dem LVV um eine „gute Geldanlage“, vermag einen Beratungsfehler angeblich nicht zu begründen, da es sich um eine bloße Anpreisung handele, die für den Empfänger ersichtlich nicht verbindlich gemeint sei.202 Erklärt der Vermittler dem VN bei einer KLV mit vorgezogener Leistung bei schwerer Krankheit, dass die Versicherungssumme schon dann ausgezahlt wird, wenn der VN mindestens zwei Monate hintereinander schwer krank sei, während in den AVB die Leistung erst bei einer Querschnittslähmung gewährt wird, liegt ein krasser Widerspruch zwischen der Beratung und den AVB vor. Derartigen Anpreisungen darf der VN keinen Glauben schenken, tut er es doch, so soll – nach Einschätzung des LG Oldenburg – sein grobes Eigenverschulden den Beratungsfehler des Vermittlers völlig verdrängen.203 Diese Entscheidung ist nicht nachvollziehbar – die Haftung des Vermittlers für seinen Beratungsfehler läuft praktisch leer. Es geht im vorliegenden Fall auch nicht um einen Beratungsfehler, sondern darum, dass ein Vermittler als Augeund-Ohr des VR für diesen erklärt hat, die Versicherungssumme werde schon dann ausgezahlt, 196 OLG Köln 16.5.1991, RuS 1992 138. 197 OLG Hamm 10.4.1987, VersR 1988 623. 198 LG München 16.9.1992, RuS 1994 156 (spätestens überholt durch Anlage D zum VAG, Abschnitt I 2 f, wonach allgemeine Angaben über die Steuerregelung in der LV vorgeschrieben sind). 199 OLG Karlsruhe 19.1.1995, VersR 1996 1001. 200 OLG Nürnberg 11.11.1993, VersR 1994 585 = NJW-RR 1994 1515. 201 OLG Oldenburg 25.6.1997, VersR 1998 220 = RuS 1999 166. 202 OLG Frankfurt/M. 1.7.1999, NVersZ 2000 18 = VersR 1999 1397. 203 LG Oldenburg 3.4.1998, RuS 1999 139. Schwintowski

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B. Tatbestandsmerkmale

VVG § 63

wenn der VN mindestens zwei Monate hintereinander schwer krank ist. Dies muss sich der VR wie eine eigene Erklärung zurechnen lassen. Die Erklärung des Vermittlers hat die AVB abgeändert. Der VN hat Versicherungsschutz in dem Umfang, den der Vermittler ihm gewährt hat. Die Frage, ob der Vermittler im Innenverhältnis dem VR wegen Überschreiten der ihm eingeräumten Erklärungsgrenzen auf Schadensersatz haftet, hängt von der Ausgestaltung des Vertretervertrages mit dem VR ab. Eine allgemeine Pflicht des Vermittlers bei Abschluss einer KLV auch auf die Möglichkeit einer ergänzenden BUZ hinzuweisen, besteht nicht.204 Der Vermittler einer privaten Renten-VR haftet aus § 63 auf Schadensersatz (Rückzahlung der Beiträge und entgangener Gewinn), wenn sein VR Prognosen über die künftige (unverbindliche) Gewinnbeteiligung abgegeben hat, obwohl für den VR klar war, dass die zugrunde gelegten Sterbetafeln (DAV R 1987) nicht mehr stimmten und in Kürze durch neue Sterbetafeln (DAV R 1994) abgelöst werden sollten.205 Dabei soll der VN nur den Ersatz des Vertrauensschadens verlangen dürfen und nicht so gestellt werden, dass die bei Vertragsschluss in Aussicht gestellte Gewinnbeteiligung gewährt wird.206 Damit steht die Entscheidung im Gegensatz zu den Urteilen des OLG Koblenz207 und des OLG Düsseldorf,208 die entweder den Erfüllungsschaden oder das positive Interesse gewähren, also den Vermittler und neben ihm den VR (§ 6 Abs. 5) verpflichten, für die Falschberatung des VN einzustehen. Verweist man demgegenüber den VN auf das negative Interesse, so wirft das die Frage auf, ob der VN bei einem anderen VR oder einer anderen Bank eine gewinnbringendere Anlagemöglichkeit gehabt hätte. Da dies vielfach nicht der Fall sein wird, bleibt der Beratungsfehler für den Vermittler und für den VR folgenlos, eine Tatsache, die geradezu einen Anreiz darstellt, Kunden durch Falschberatung zunächst einmal einzufangen (ex ante opportunism). Empfiehlt der Versicherungsmakler seinem Kunden langfristige LVV, die den Kunden wegen der hohen Beiträge finanziell überfordern, so kann sich daraus ein Schadensersatzanspruch gegen den Makler ergeben, wenn die bis dahin gezahlten Beiträge des Kunden bei einer vorzeitigen Stornierung der Verträge ganz oder teilweise verloren gehen.209 Bei langfristigen Lebensversicherungen mit ungewöhnlich hohen Beiträgen kann es für den VR Anhaltspunkte dafür geben, dass der Makler das eigene Provisionsinteresse möglicherweise über die Interessen des Kunden gestellt hat. In einem solchen Falle kann auch den VR – neben dem Makler – eine vorvertragliche Aufklärungspflicht gegenüber dem VN treffen, wenn dieser durch die Beitragsverpflichtungen möglicherweise finanziell überfordert wird.210 Eine Makler GmbH muss sich das Verhalten ihres Geschäftsführers zurechnen lassen, wenn dieser – trotz geäußerter Bedenken des Kunden im Hinblick auf Vorerkrankungen – zum Abschluss einer BU rät, der Makler zum Beratungsgespräch bereits Formulare mitbringt, in denen die Gesundheitsfragen „nein“ angekreuzt sind und die Angaben zum Inhalt der verschiedenen Beratungsgespräche im Verlauf des Prozesses widersprüchlich sind,211 Ein Versicherungsmakler ist nicht verpflichtet einen Arztbericht, der lediglich zur Weiterleitung an den VR übergeben worden ist, auf eine Übereinstimmung mit den Angaben des VN hin zu überprüfen.212 Er darf auf die Angaben des VN zu den Gesundheitsfragen des VR vertrauen, wenn er ihn auf seine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Beantwortung ihrer Fragen hingewiesen

204 LG Bochum 20.11.1997, RuS 2000 85 (unter dem Eindruck der VRL, die den Vermittler zwingt Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu erfragen, dürfte der Satz in dieser Allgemeinheit in Zukunft nicht mehr Bestandhaben). 205 OLG Düsseldorf 15.8.2000, VersR 2001 705; OLG Koblenz 26.5.2000, VersR 2000 1357, 1358, dazu Schwintowski/ Ebers ZVersWiss 2002 393, 437 ff. 206 OLG Düsseldorf 15.12.2000, NVersZ 2001 354 = VersR 2002 299. 207 OLG Koblenz 26.5.2000, VersR 2000 1357 = NVersZ 2000 423. 208 OLG Düsseldorf 18.8.2000, VersR 2001 705 = NVersZ 2001 15. 209 OLG Karlsruhe 29.5.2007, NJOZ 2008 1523. 210 OLG Karlsruhe 29.5.2007, NJOZ 2008 1522. 211 OLG Koblenz 30.4.2015 – 10 U 35/15, BeckRS 2015 10337. 212 OLG Braunschweig 28.12.2018 – 11 U 94/18, BeckRS 2018 36609. 941

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Schadensersatzpflicht

hat und keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die erteilten Auskünfte unvollständlich oder fehlerhaft sind.213 Ein Lebensversicherer ist nicht in jedem Falle gehalten, vor der Annahme eines Antrags auf Abschluss einer Risikoversicherung eine „Erklärung vor dem Arzt“ zu dem Gesundheitszustand des VN einzuholen.214

213 OLG Braunschweig a.a.O. 214 OLG Saarbrücken 26.6.2019 – 5 U 89/18, BeckRS 2019 23766. Schwintowski

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§ 64 Zahlungssicherung zugunsten des Versicherungsnehmers Eine Bevollmächtigung des Versicherungsvermittlers durch den Versicherungsnehmer zur Annahme von Leistungen des Versicherers, die dieser auf Grund eines Versicherungsvertrags an den Versicherungsnehmer zu erbringen hat, bedarf einer gesonderten schriftlichen Erklärung des Versicherungsnehmers.

Schrifttum Beenken/Sandkühler Das neue Versicherungsvermittlergesetz (2007).

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Spezielle Kommentierung

3 5

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Die Regelung über die Sicherung von Geldern, die der Vermittler vom Kunden oder für den 1 Kunden entgegennimmt, dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 4 VRL. Die Umsetzung der IDD (in Kraft seit: 23.2.2018) hat zur Neufassung von § 34d Abs. 8 GeWO (heute: § 34e GewO)1 und der VersVermV geführt. § 64 enthält nur einen Teil der den VN sichernden Regelungen. Die weiteren Sicherungsmaßnahmen enthält § 69 Abs. 2, sowie § 20 VersVermV und zwar auf der Grundlage des § 34d Abs. 8 Satz 2 GewO (neu: § 34e GeWO). Das Grundkonzept der Sicherungsmaßnahmen besteht darin, dass der Vermittler nur dann 2 zur Entgegennahme von Zahlungen des VN oder von Zahlungen an den VN aufgrund des VV berechtigt ist, wenn er dazu bevollmächtigt ist. Das ergibt sich für die Entgegennahme von Zahlungen des VN aus § 69 Abs. 2 (Vollmachtsfiktion), sowie § 20 Abs. 1 VersVermV und für die Annahme von Leistungen des VR zugunsten des VN aus § 64.

II. Inhalt und Zweck der Regelung Nach dem Wortlaut der VRL geht es darum, die Kunden dagegen zu schützen, dass der Versiche- 3 rungsvermittler nicht in der Lage ist, die Prämie an das Versicherungsunternehmen oder den Erstattungsbetrag (im Versicherungsfall) oder eine Prämienvergütung durch den VR an den VN weiterzuleiten.2 Die VRL erlaube den Mitgliedstaaten eine Reihe von Maßnahmen, von denen eine oder mehrere ergriffen werden durften. Zulässig wären Vorschriften, nach denen vom Kunden an den Vermittler gezahlte Gelder so behandelt werden, als seien sie direkt an das Unternehmen gezahlt worden (Art. 4 VRL). Eine solche Zugangsfiktion enthält § 69 Abs. 2.3 Von § 64 kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden (§ 67). Dies gilt auch für 4 Versicherungsberater (§ 68) nicht aber für Gelegenheitsvermittler (§ 66).

1 BTDrucks. 18/11 627 S. 10. 2 Art. 4 Abs. 4 VRL. 3 BTDrucks. 16/1935 S. 11, die Begründung dazu S. 26 (ursprünglich § 42f Abs. 1). 943 https://doi.org/10.1515/9783110522624-051

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§ 64 VVG

Zahlungssicherung zugunsten des Versicherungsnehmers

B. Spezielle Kommentierung 5 Die VRL erlaubte weiterhin Regelungen, wonach Gelder, die das Unternehmen an den Vermittler zahlt, erst dann so behandelt werden, als seien sie an den Verbraucher gezahlt worden, wenn der Verbraucher sie tatsächlich erhält (Art. 4a). Das deutsche Recht setzt diesen Gedanken durch eine Vollmachtsregelung um. Der VN muss den Vermittler zur Annahme von Leistungen des VR, die dieser aufgrund eines VV an den VN zu erbringen hat, bevollmächtigt haben. Diese Vollmacht bedarf einer gesonderten schriftlichen Erklärung des VN. 6 Ferner erlaubte die VRL Vorschriften, nach denen Versicherungsvermittler über eine finanzielle Leistungsfähigkeit zu verfügen haben, die jederzeit vier Prozent der Summe ihrer jährlichen Prämieneinnahmen, mindestens jedoch A 15.000 entspricht. Hieran knüpft § 20 Abs. 1 VersVermV. Danach darf der Vermittler für das VU Zahlungen, die der VN im Zusammenhang mit der Vermittlung oder dem Abschluss eines VV an ihn leistet, nur annehmen, wenn er zuvor eine Sicherheit geleistet oder eine geeignete Versicherung abgeschlossen hat, die den VN dagegen schützt, dass der Gewerbetreibende die Zahlung nicht an das VU weiterleiten kann. Dies gilt allerdings nicht, soweit der Gewerbetreibende zur Entgegennahme von Zahlungen des VN nach § 69 Abs. 2 bevollmächtigt ist. 7 Für den Fall, dass die Vollmacht nach § 69 Abs. 2 für den VN erkennbar beschränkt ist, darf der Vermittler Zahlungen nur entgegennehmen, wenn er eine Sicherheit geleistet oder eine geeignete Versicherung zugunsten des VN abgeschlossen hat. In § 20 Abs. 3 wird geregelt, dass die Sicherheit durch die Stellung einer Bürgschaft oder andere vergleichbaren Verpflichtungen geleistet werden kann. Ergänzend wird klargestellt, dass nur Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Sitz im Inland als Bürge in Betracht kommen, daneben Kreditinstitute, die im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt sind, sowie VU, die zum Betrieb der Kautionsversicherung im Inland befugt sind. 8 Schließt der Vermittler eine Versicherung zugunsten des VN ab, so sind nach § 20 Abs. 4 VersVermV Versicherungen dann geeignet, wenn das VU zum Betrieb der Vertrauensschadenversicherung im Inland befugt ist und die AVB dem Zweck der VersVermV gerecht werden, insbesondere den VN aus dem VV auch in den Fällen der Insolvenz des Vermittlers unmittelbar berechtigen. 9 Sicherheiten und Versicherungen können nach § 20 Abs. 5 VersVermV nebeneinander geleistet und abgeschlossen werden. Sie können für jedes einzelne Vermittlungsgeschäft oder für mehrere gemeinsam geleistet oder abgeschlossen werden. Insgesamt hat die Versicherungssumme 4 % der jährlichen, vom Gewerbetreibenden entgegengenommenen, Prämieneinnahmen zu entsprechen, mindestens jedoch A 19.200. Vorbild für die Sicherheitsleistung ist § 2 der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV).4 Auf die Anpassung der Mindestsicherungssumme ist der technische Regulierungsstandard nach Art. 10 Abs. 7 der Richtlinie (EU) 2016/97 anzuwenden (§ 20 Abs. 5 VersVermV). Die Grundsätze über die Sicherheitsleistung oder den Abschluss einer geeigneten Versiche10 rung gelten auch dann, wenn der Vermittler Leistungen des VU annimmt, die aufgrund eines VV an den VN zu erbringen sind (§ 20 Abs. 2 VersVermV). Allerdings bedarf es weder einer Sicherheitsleistung noch eines VV zugunsten des VN, wenn dieser den Vermittler zur Entgegennahme von Leistungen des VU gesondert und schriftlich nach § 64 bevollmächtigt hat. Erforderlich ist eine Vollmachtserteilung in einer gesonderten Urkunde.5 Zum Schutz des VN bestimmt § 64, dass der VR an den Versicherungsvermittler nur dann 11 Zahlungen mit befreiender Wirkung gegenüber dem VN leisten kann, wenn dieser den Versicherungsvermittler entsprechend bevollmächtigt hat.6 Bei Leistungen des VR, die dieser auf Grund 4 BRDrucks. 207/07 S. 32. 5 Prölss/Martin/Dörner § 64 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 64 Rn. 1; Langheid/Rixecker/Rixecker § 64 Rn. 3; Langheid/Wandt/Reiff § 64 Rn. 4; a.A. Looschelders/Pohlmann/Baumann § 64 Rn. 4. 6 BTDrucks. 16/1935 S. 26. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 64

eines VV an den VN zu überbringen hat, geht es nicht nur um Entschädigungen im Versicherungsfall, sondern auch um Vorschüsse, oder Rückzahlungen, oder Erstattungen von Prämien. Entscheidend ist, dass die Leistungen ihre Grundlage im Versicherungsvertrag haben. Auch Leistungen zur Erfüllung eines (Abfindungs-) Vergleichs zwischen VN und VR fallen unter § 64.7 Um den VN davor zu schützen, dass eine solche Bevollmächtigung z.B. in den Allgemeinen 12 Geschäftsbedingungen des Maklers versteckt ist, verlangt § 64 als Warnfunktion eine gesonderte schriftliche Erklärung.8 Fehlt es an einer gesonderten schriftlichen Bevollmächtigung durch den VN, so darf der Vermittler nur dann Leistungen des VR an den VN aufgrund eines VV annehmen, wenn eine Sicherheit oder ein VV zugunsten des VN i.S.d. § 20 Abs. 5 VersVermV besteht. Zahlt der VR an einen vollmachtlosen Vermittler, so tritt mit dieser Zahlung gegenüber dem VN noch keine Erfüllung ein – der VN kann vom (§ 362) VR (erneut) Zahlung verlangen.9 Vorschriften, nach denen Kundengelder über streng getrennte Kundenkonten weiterge- 13 leitet werden müssen und diese Konten im Fall der Insolvenz nicht zur Entschädigung anderer Gläubiger herangezogen werden dürfen, wären nach Art. 4 Abs. 4c VRL zulässig gewesen. Davon hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Das gilt auch für Vorschriften, nach denen ein Garantiefonds eingerichtet werden müsste (Art. 4 Abs. 4d VRL).

7 Langheid/Rixecker/Rixecker § 64 Rn. 2. 8 Beispiel für eine solche Vollmacht bei Beenken/Sandkühler 91. 9 Langheid/Rixecker/Rixecker § 64 Rn. 4. 945

Schwintowski

§ 65 Großrisiken Die §§ 60 bis 63 gelten nicht für die Vermittlung von Versicherungsverträgen über Großrisiken im Sinn des § 210 Absatz 2.

Schrifttum Looschelders/Smarowos Das Internationale Versicherungsvertragsrecht nach Inkrafttreten der Rom-I-Verordnung, VersR 2010 1.

A. Einführung 1 § 65 macht von der Möglichkeit, die Art. 12 Abs. 4 VRL vorsieht, Gebrauch, Vermittler von Großrisiken von den Informations- und Dokumentationspflichten zu befreien.1

B. Tatbestand im Einzelnen 2 Der Verweis in § 65 stellt klar, dass unter Großrisiko ein VV i.S.v. § 210 Abs. 2 zu verstehen ist. Hintergrund ist der Gedanke, dass der VN bei Großrisiken über umfangreiche geschäftliche Erfahrungen verfügt und deshalb nicht schutzbedürftig ist.2 Großrisiken sind bestimmte Transport- und Haftpflichtversicherungen (§ 210 Abs. 2 Nr. 1), bestimmte Kredit- und Kautionsrisiken (§ 210 Abs. 2 Nr. 2), bestimmte Sach-, Haftpflicht- und sonstige Schadensversicherungen bei VN, die mindestens zwei der folgenden drei Mermale überschreiten: a. A 6,2 Mio. Bilanzsumme b. A 12,8 Mio. Nettoumsatzerlöse c. Im Druchschnitt 250 Arbeitnehmer pro Wirtschaftsjahr (§ 210 Abs. 2 Nr. 3).3 3 Die Freistellung der Versicherungsvermittler bei Verträgen über Großrisiken bezieht sich aber nur auf die dem Kundenschutz dienenden besonderen Verpflichtungen nach § 60 (Beratungsgrundlage), § 61 (Beratungs- und Dokumentationspflichten), Zeitpunkt und Form der Information (§ 62) sowie die Schadensersatzpflicht (§ 63). Unberührt bleiben die Regelungen über die Zahlungssicherung zugunsten des VN (§ 64) und die Verpflichtungen des Versicherungsmaklers, die sich aus dem Maklervertrag und der hieraus nach der Rechtsprechung folgenden Sachwalterposition des Maklers ergeben.4 Dies gilt auch für die gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätze der Erfüllungshaftung des VR für Verhalten des Vermittlers. Nach § 209 gelten die Vorschriften des VVG generell nicht für die Rückversicherung und die 4 Versicherung gegen die Gefahren der Seeschifffahrt und damit auch nicht für die Rückversicherungsvermittlung oder die Seeversicherungsvermittlung.5

1 BTDrucks. 16/1935 S. 26. 2 Looschelders/Smarowos VersR 2010 1, 4 m.w.N.; Fricke VersR 2009, 429; Thume VersR 2009 1342. 3 Ungenauigkeiten bei der Definition von Großrisiken in den EU-Richtlinien gegenüber dem deutschen Recht: Vgl. Prölss/Martin/Dörner § 65 Rn. 1.

4 BTDrucks. 16/1935 S. 26. 5 BTDrucks. 16/1935 S. 26. Schwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522624-052

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§ 66 Sonstige Ausnahmen Die §§ 60 bis 64, 69 Abs. 2 und § 214 gelten nicht für Versicherungsvermittler im Sinn von § 34d Abs. 9 Nr. 1 der Gewerbeordnung. [ab 23.2.2018: § 1a Abs. 2, die §§ 6a, 7b, 7c, 60-64, 69 Abs. 2 und § 214 gelten nicht für Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit nach § 34d Abs. 8 Nr. 1 der GewO. Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit haben dem VN vor Abschluss eines Versicherungsvertrages Informationen über ihre Identität und ihre Anschrift sowie über die Verfahren nach denen die Versicherungsnehmer und andere interessierte Parteien Beschwerden einlegen können, zur Verfügung zu stellen. Das Informationsblatt zur Versicherungsprodukten haben sie dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrags auszuhändigen.]

A. Einführung § 66 a.F. ging auf einen Vorschlag des Bundesrates1 zurück. Die ursprünglich vorgeschlagene 1 Fassung, die sowohl nicht gewerbsmäßig tätige Versicherungsvermittler als auch Versicherungsvermittler i.S.d. § 34d Abs. 9 GewO a.F. in die Vorschriften des VVG über Beratungs- und Dokumentationspflichten, Kundengeldsicherung und die Schlichtungsstelle einbezog, ging über die Vorgaben der VRL2002/92/EG hinaus. Die Neuregelung zur Umsetzung von Art. 1 Abs. 4 IDD (in Kraft seit ab: 23.2.2018) klärt, 2 dass auch Vermittler in Nebentätigkeit zu bestimmten Informationen verpflichtet sind und das Produktinformationsblatt übergeben müssen.2 Im Übrigen wurde der Verweis auf die GewO aktualisiert.3

B. Tatbestand im Einzelnen Mit § 66 wird Art. 1 Abs. 2 VRL und Art. 1 Abs. 4 IDD umgesetzt. Danach sind gewisse Vermitt- 3 lungstätigkeiten vom Anwendungsbereich der Vermittlerrichtlinie ausgenommen. Es handelt sich um Tätigkeiten, die in § 34 Abs. 9 Nr. 1 GewO bezeichnet sind. Es sind Tätigkeiten, bei denen aufgrund des unbeachtlichen Umfangs, des geringen Risikos sowie der geringen Höhe der Versicherungsprämie, die an die Person des Vermittlers gestellten Anforderungen unverhältnismäßig wären.4 Die einzelnen Ausnahmetatbestände der Richtlinie wurden weitgehend unverändert in § 34d Abs. 9 Nr. 1 GewO übernommen. Die Voraussetzungen des Abs. 8 Nr. 1 müssen kumulativ vorliegen. Regelmäßig werden die folgenden Personengruppen den Ausnahmetatbestand erfüllen, was der Gewerbetreibende gegebenenfalls nachweisen muss: – Kreditkartenvermittler, z.B. Arbeitslosigkeitsversicherung; – Brillenhändler (z.B. Kaskoversicherung); – Reifenhändler (z.B. Reifenversicherung); – Versand- und Einzelhandel (z.B. Garantieversicherung zur Verlängerung der Gewährleistung); – Elektrohändler (z.B. Garantie- und Reparaturversicherung); – Fahrradhändler, Fahrradhersteller (z.B. Unfall- und Diebstahlversicherung); – Reisebüros (z.B. Reiserücktritts- und Reisekrankenversicherung).5

1 2 3 4 5

BTDrucks. 16/3162 S. 10. BTDrucks. 18/11627 S. 45. BTDrucks. 18/11627 S. 45. BTDrucks. 16/1935 S. 20. BTDrucks. 16/1935 S. 20.

947 https://doi.org/10.1515/9783110522624-053

Schwintowski

§ 66 VVG

Sonstige Ausnahmen

4 Erfasst sind auch Versicherungen im Rahmen eines Kollektivvertrages, die Bestandteile von Bausparverträgen, die ausschließlich dazu bestimmt sind, die Rückzahlungsforderung der Bausparkasse aus gewährten Darlehen abzusichern (§ 34d Abs. 8 Nr. 2 GewO). Ferner geht es um bestimmte Restschuldversicherungen im Zusammenhang mit Darlehens- und Leasingverträgen, deren Jahresprämie einen Betrag von A 500 nicht übersteigt (§ 34d Abs. 8 Nr. 3 GewO). 5 Für diese Personengruppen, die keiner gewerberechtlichen Erlaubnis für die Versicherungsvermittlung bedürfen, gelten weder die Vorschriften über die Beratungsgrundlage (§ 60), noch die Regeln über die Beratungs- und Dokumentationspflichten (§ 61), den Zeitpunkt und die Form der Information (§ 62), die Schadensersatzpflicht (§ 63), die Zahlungssicherung (§ 64), die Zugangsfiktion (§ 69 Abs. 2) und die Regelungen über die Schlichtungsstelle (§ 214). Beratungsund Aufklärungspflichten können sich allerdings nach allgemeinem Zivilrecht ergeben.6 Mit Umsetzung von Art. 1 Abs. 4 IDD hat der Gesetzgeber seit 23.2.2018 klar gestellt, dass 6 auch Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit dem VN vor Abschluss eines Versicherungsvertrages ihre Identität und ihre Anschrift, sowie Informationen über das Verfahren nach denen der VN Beschwerden einlegen kann, zur Verfügung stellen muss. Klargestellt ist außerdem, dass das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten dem VN vor Abschluss des Vertrages auszuhändigen ist.

6 Looschelders/Pohlmann/Baumann § 66 Rn. 3. Schwintowski

948

§ 67 Abweichende Vereinbarungen Von den §§ 60 bis 66 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Übersicht 1

A.

Einführung

B.

Spezielle Kommentierung

I.

Der Anwendungsbereich der Norm

II.

Der Verzicht

III.

Der Versicherungsnehmer wünscht keine Bera14 tung

4 4

IV. 1. 2.

Beschränkungen vertraglicher Pflichten 16 Kardinalpflichten 18 Nebenpflichten

V.

Angemessene Dokumentation

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24

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A. Einführung Nach dem Wortaut des § 67 kann von den §§ 60 bis 66 nicht zum Nachteil des VN abgewichen 1 werden. Dieser Wortlaut hat sich durch Umsetzung der zweiten Vermittlerrichtlinie (IDD) 2016/ 97 vom 20.1.2016 in das deutsche Recht nicht geändert. Die Norm ist halbzwingend – Abweichungen zum Vorteil des VN sind zulässig. § 67 regelt 2 Abweichungen von den §§ 60 bis 66. Insoweit handelt es sich um Abweichungen von gesetzlichen Vorschriften. Von diesen gesetzlichen Vorschriften kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden. Das gilt sowohl für Individualvereinabrungen als auch für Klauselvereinbarungen, das heißt Abweichungen zum Nachteil des VN sind generell unwirksam. Entstehen – zum Beispiel durch einen Maklervertrag – ergänzende Maklerpflichten,1 so un- 3 terliegen diese Vertragspflichten den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts, insbesondere des AGB-Rechts (§§ 307 bis 310 BGB).

B. Spezielle Kommentierung I. Der Anwendungsbereich der Norm Erfasst von § 67 sind Informationspflichtverletzungen (§§ 60, 62) sowie Beratungs- und Doku- 4 mentationspfichtverletzungen (§§ 61, 62 VVG). Verletzt der Versicherungsvermittler Pflichten nach §§ 60, 61, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem VN durch die Verletzung der Pflicht entsteht (§ 63 VVG). Dies gilt nicht, wenn der Vermittler die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 63 Satz 2 VVG). Dies gilt nicht für Großrisiken im Sinne des § 210 Abs. 2 (§ 65) und nicht für Versicherungsvermittler im Sinne von § 34d Abs. 9 Nr. 1 GewO (§ 66). Eine Vereinbarung (auch individuell), wonach der Versicherungsvermittler nicht oder nur 5 teilweise oder nur der Höhe nach oder nur zeitlich begrenzt zum Ersatz des Schadens verpflich-

1 Grundlegend BGH 22.5.1985 – IV a ZR 190/83. 949 https://doi.org/10.1515/9783110522624-054

Schwintowski

§ 67 VVG

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Abweichende Vereinbarungen

tet sein soll, ist unwirksam, weil diese für den VN nachteilig ist.2 Für Pflichten, die nicht unter §§ 60, 61 fallen, gilt dies hingegen nicht. Da der Vermittler nach § 63 zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist und es in § 63 keinerlei Höhenbegrenzung gibt, scheitert die Reduzierung der Haftungssumme für Pflichtverletzungen nach §§ 60, 61 an § 67. Das gilt auch für individualvertragliche Haftungsbeschränkungen auf eine Höchstsumme, jedenfalls soweit sich die individualvertragliche Haftungsbeschränkung auf die Pflichten nach §§ 60, 61 bezieht.3 Geht es um Pflichten, die nicht unter §§ 60, 61 fallen, so ist eine individualvertragliche Haftungsbeschränkung zumindest für den Fall fahrlässiger Pflichtverletzungen zulässig.4 Eine summenmäßige Haftungsbegrenzung, die an die Höhe einer angemessenen Vermögensschadenhaftpflichtdeckung des Versicherungsmaklers anknüpft, benachteiligt den VN außerhalb des Pflichtenkreises der §§ 60, 61 jedenfalls dann nicht unangemessen, wenn die Haftungsbegrenzung hinreichend klar und verständlich vereinbart wird. Ähnlich wie bei Rechtsanwälten soll eine Haftungsbeschränkung für leichte Fahrlässigkeit im Maklervertrag klauselmäßig wirksam sein.5 Eine Haftungsbeschränkung scheitert allerdings, wenn es sich, wie oft, um Kardinalpflichten nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB handelt.6 Baumann7 meint, nur der Haftungsgrund des § 63 sei halbzwingend. Schadenshöhe und Verjährungseintritt hingegen nicht, weil beides im BGB geregelt sei. Diese Argumentation überzeugt nicht, da nach § 63 der volle Schaden zu ersetzen ist, gleichgültig, wie er berechnet wird. Richtig ist, dass die Verjährung durch eine vertragliche Vereinbarung (§ 202 BGB) verkürzt werden kann – allerdings wäre das zweifellos zum Nachteil des VN, würde also gegen § 67 VVG verstoßen.8 Werber9 meint, eine Haftungsbeschränkung sei gar nicht nachteilig, wenn der Vermittler gleichzeitig eine hinreichend hohe Haftpflichtversicherung bereitstelle. Diese Argumentatin überzeugt nicht, da der Haftpflichtversicherer Deckung nur in dem Umfang übernimmt, in welchem der Vermittler selbst haftet. Oberhalb der Haftungsbeschränkung leistet folglich der Versicherer nicht mehr. Folglich ist eine Begrenzung der Haftung für den VN in jedem Fall nachteilig.10 Eine Klausel, wonach jegliche Informationen über Versicherungs- und Finanzdienstleistungen keine Anlageberatung für den Nutzer darstellt sondern der Erleichterung einer selbstständigen Anlagenentscheidung des Nutzers dient, verstößt gegen § 67, weil damit die Versicherungsberatung verweigert wird (Verstoß gegen § 61 Abs. 1) und ein Verzicht im Sinne des § 61 Abs. 2 VVG quasi aufgerängt wird. Das Gleiche gilt für eine Klausel, wonach stets unbeschränkt für Personenschäden sowie für vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden gehaftet wird, denn damit schränkt der Vermittler die Haftung für fahrlässig verursachte Sachschäden ein.

II. Der Verzicht 11 Verzichtet der VN auf Mitteilungen zur Beratungsgrundlage (§ 60) oder auf die Beratung oder die Dokumentation (§ 61 Abs. 2), so ist dies zulässig, wenn Schriftform (Textform) gewahrt ist. 2 So auch BT Drucks. 16/1935 S. 26; Prölss/Martin/Dörner § 67 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 67 Rn. 1. 3 Prölss/Martin/Dörner § 67 Rn. 3. 4 Beckmann/Matusche-Beckmann/Matusche-Beckmann § 5 Rn. 347, 348 m.w.N. 5 Beckmann/Matusche-Beckmann/Matusche-Beckmann § 5 Rn. 353 unter Hinweis auf die abweichende Auffassung bei Prölss/Martin/Dörner § 59 Rn. 59. 6 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 67 Rn. 3. 7 Looschelders/Pohlmann/Baumann § 67 Rn. 3. 8 Wie hier Prölss/Martin/Dörner § 67 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 67 Rn. 1 ff.; Langheid/Wandt/ Reiff § 67 Rn. 2. 9 Werber VersR 2010 553, 557; zustimmend Langheid/Wandt/Reiff § 63 Rn. 39a. 10 Wie hier Prölss/Martin/Dörner § 67 Rn. 4. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 67

Der VN macht in diesem Fall von Möglichkeiten Gebrauch, die das VVG ihm anbietet. Darin liegt kein Nachteil nach § 67. Ob die §§ 307 bis 310 BGB durch die Spezialregelung in § 60 Abs. 3 verdrängt werden, ist in der Literatur umstritten – Rechtsprechung gibt es nicht.11 Wenn AGB-Recht anwendbar ist, so verletzt der Verzicht auf eine Beratung eine Kardi- 12 naplpflicht des Maklers, weil dieser als Sachwalter des VN zur umfassenden Betreuung und Beratung des Kunden verpfllichtet ist.12 Die Klausel: (…) money meets-Mitglieder verzichten auf jegliche Beratung durch money meets gefährdet jedenfalls den Vertragszweck (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) und ist ferner überraschend (§ 305c BGB) und folglich unwirksam.13 Die Frage, ob zugleich die Anforderungen von § 61 Abs. 2 „verletzt waren (keine Schriftform/ kein Hinweis auf Nachteile) ließ das LG dahingestellt, weil sich die Beratungsverpflichtungen jedenfalls auch aus dem Maklerauftrag selbst ergeben habe. Darauf weißt auch Rixecker hin, weil die in § 61 Abs. 1 geregelten Informationspflichten „Kardinalpflichten“ des Versicherungsmaklervertrages darstellten.14 Das ist sicher zutreffend – wenn aber die formalen Voraussetzungen für den Verzicht in §§ 60, 61 (Schriftform/Hinweis auf Nachteile) eingehalten werden, so verdrängen beide Regelungen als leges specialis § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, da sie ansonsten leerlaufen würden. Sollte sich der Verzicht, der in den Vermittlerrichtlinien der EU nicht vorgesehen ist, als 13 europarechtswidrig15 erweisen, so wäre § 67 berührt, da sich die Möglichkeit des Verzichtes nunmehr nicht mehr aus dem VVG ergäbe. Der Verzicht auf die Pflichten der §§ 60, 61 wäre prinzipiell nachteilig für den VN und würde in diesem Falle an § 67 scheitern. Der Makler, als Sachwalter des VN, sollte mit diesem über die Nachteile eines Beratungsverzichts sprechen und stattdessen dokumentieren, dass der VN in bestimmten Fällen deshalb keine Beratung benötigt und keine Beratung wünscht, weil er genau weiß, welches Produkt er erwerben möchte und dieses Produkt in seinen wesentlichen inhaltlichen Ausprägungen kennt.

III. Der Versicherungsnehmer wünscht keine Beratung Ein VN, der keine Beratung wünscht und benötigt, kann dies jederzeit erklären und um entspre- 14 chende Dokumentation bitten. Denkbar ist auch eine Erklärung, wonach der VN auf Vor- und Nachteile einer bestimmten Versicherung im Einzelnen aufgeklärt wurde. Er kann ferner erklären, dass ihm bewusst ist, dass es Versicherungen mit einem weiteren Deckungsumfang gibt. Ferner kann er darauf hinweisen, dass er diesen Deckungsschutz entweder nicht benötigt oder nicht haben will, weil er ihm möglicherweise zu teuer ist. Aus diesem Grunde habe er sich für die empfohlene Versicherung entschieden. Schließlich könnte dokumentiert werden, dass eine weitergehende Beratung, auch zu solchen Leistungsmerkmalen über die nicht ausdrücklich gesprochen wurde, nicht benötigt wird. Ein solcher „Verzicht“ auf weitere Beratung beinhaltet nur die Klarstellung, dass der VN weitere Beratung nicht benötigt und nicht wünscht. Rechtlich liegt darin kein Beratungsverzicht, sondern die Dokumentation einer in sich abgeschlossenen und sachlich angemessenen Beratung. Solche Erklärungen benachteiligen den VN nicht im Sinne des § 67, da er selbst diese Erklärungen abgibt. Ein VN, der den Vermittler dennoch wegen fehlerhafter Beratung in Anspruch nehmen will, muss nun den Beratungsfehler beweisen, es sei denn, ein Hinweis von wesentlicher Bedeutung ist nicht einmal im Ansatz dokumentiert wor11 Vertiefend Prölss/Martin/Dörner § 60 Rn. 25 und 26; Beckmann/Matusche-Beckmann/Matusche/Beckmann § 5 Rn. 295; a.A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 36. 12 Prölss/Martin/Dörner § 61 Rn. 36; Langheid/Rixecker/Rixecker § 61 Rn. 13; a.A. Armbrüster 23. 13 LG Köln 14.10.2015 – 84O 65/15. 14 Langheid/Rixecker/Rixecker § 61 Rn. 13; Dörner VersWissStud. Bd. 34, S. 137, 143; Franz VersR 2008 298, 300; Prölss/Martin/Rudy § 6 Rn. 40; Schimikowski RuS 2007 133, 136 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 43; a.A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 6 Rn. 32; Gaul VersR 2007 21, 23; Blankenburg VersR 2008 1446, 1449. 15 Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1711; Römer VuR 2007 94, 95; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 6 Rn. 44; Schwintowski ZRP 2006 139, 141: Vorlagepflicht der deutschen Gerichte nach Art. 267 AEUV. 951

Schwintowski

§ 67 VVG

Abweichende Vereinbarungen

den.16 Dies ist denkbar, wenn der Vermittler bei dem Wechsel einer Lebensversicherung auf die Risiken und Folgen der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung nicht hingewiesen hätte.17 Dies allerdings ist bei ordnungsgemäßer Dokumentation ausgeschlossen.

IV. Beschränkungen vertraglicher Pflichten 15 § 67 bezieht sich auf die gesetzlichen Pflichten, insbesondere §§ 60, 61. Die Norm erfasst nicht die vertraglichen Pflichten des Vermittlers. Damit sind jene Pflichten gemeint, die neben den Informations-, Beratungs-, und Dokumentationspflichten der §§ 60, 61 stehen und vor allem solche Pflichten, die nach Vertragsschluss bestehen. Zu beachten ist, dass der BGH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, dass es zu den Aufgaben des Maklers gehört, den Versicherungsvertrag auch nach Abschluss weiter zu betreuen, indem er den VN ungefragt auf etwaigen Anpassungsbedarf hinweist und den Vertrag auf notwendige Verlängerungen hin überprüft.18 Darüberhinaus ist der Makler verpfichtet, den Zahlungsverkehr zu fördern und den VN im Schadensfall sachkundig zu beraten, insbesondere für eine sachgerechte Schadensanzeige zu sorgen und ansonsten die Interessen des VN wahrzunehmen. Makler können darüber hinaus individuell weitere Vertragspflichten übernehmen. Für deren Verletzung wird nach § 280 BGB auf Schadensersatz gehaftet.19

1. Kardinalpflichten 16 Die Frage, ob die Haftung für die typischen Sachwalterpflichten begrenzt werden kann, richtet sich somit nicht nach § 67, sondern nach dem AGB-Recht. Danach haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 305b BGB). Vorformulierte Vertragsbedingungen sind keine individuellen, auch wenn sie nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und der Verbraucher aufgrund der Vorformulierung keinen Einfluss nehmen konnte (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB). In der Literatur werden individualvertragliche Haftungsbegrenzungen für den Fall fahrlässiger Pflichtverletzungen für möglich gehalten, sofern die Beschränkungen den VN nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht unangemessen benachteiligen.20 Danach wird eine Begrenzung auf die Höhe einer angemessenen Vermögensschadenshaftpflichtdeckung für möglich gehalten. Das Gleiche gilt in den Grenzen der §§ 138, 242 BGB auch für Verkürzungen der Verjährungsfrist (§ 202 BGB). 17 Etwas anderes gilt für die typischen Sachwalterpflichten, die Hauptleistungspflichten des Maklers darstellen. Der Verwender soll sich dieser Pflichten durch AGB nicht entledigen können.21 Das Gleiche gilt für wesentliche Nebenpflichten, wenn ihre Beachtung für die Vertragsdurchführung von besonderer Bedeutung ist.22 Durch die Abweichung müssen dem VN Rechtspositionen genommen oder geschmälert werden, die ihm der Vertrag nach Inhalt und Zweck geben sollte, sodass dadurch die Verwirklichung des Vertragszwecks tatsächlich gefährdet ist.23 Diese Grundsätze gelten auch im kaufmännischen Verkehr.24 16 BGH 13.11.2014 – III ZR 554/13. 17 BGH 11.11.2014 – II ZR 554/13. 18 BGH 22.5.1985 – IV ZR 190/83; BGH 16.7.2009 – III ZR 21/09; BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14; OLG Brandenburg 19.3.2014 – 11 U 2012/12. 19 BGH 30.11.2017 – I ZR 143/16. 20 Beckmann/Matusche-Beckmann/Matusche-Beckmann § 5 Rn. 348 m.w.N. 21 BGH 20.6.1984 – VIII ZR 137/83, NJW 1985 914. 22 BGH a.a.O. NJW 1985 914, 916. 23 BGH a.a.O.; bestätigt 11.11.1992 – VIII ZR 238/91, NJW 1993 335; 14.11.2000 – X ZR 211/98, NJW-RR 2001 342. 24 BGH a.a.O. seit 1984, erneut v. 25.9.2005 – I ZR 68/03, BeckR 2005 14477. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 67

2. Nebenpflichten Auch eine Haftungsbegrenzung auf fahrlässig verursachte Sach- und Vermögensschäden, die nach § 309 Nr. 7b BGB, zulässig sein kann, ist für den Makler als Sachwalter des VN nicht möglich, da dieser seine Verpflichtungen aus dem Maklervertrag vor und nach Abschluss des Versicherungsvertrages ohne Wenn und Aber erfüllen muss. Eine fahrlässige Nichterfüllung dieser vertraglichen Hauptpflichten würde den Vertragszweck vereiteln und deshalb an § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB scheitern. Das gilt auch, wenn die Begleitung bei der Schadensregulierung fahrlässig fehlerhaft ist, denn dann wird der Vertragszweck – die ordnungsgemäße Feststellung und Abwicklung des Schadens zugungsten des VN – nicht erreicht.25 Dies bedeutet, eine Begrenzung der Haftung für den Makler auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz ist bei den typischen Sachwalterpflichten deshalb ausgeschlossen, weil es sich um Hauptleistungspflichten handelt. Demgegenüber sind Haftungsbegrenzungen bei Nebenpflichten möglich. Nebenpflichten sind solche, deren Einschränkung die Erreichung des Vertragszwecks nicht gefährden (Umkehrschluss aus § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Zu beachten ist aber, dass die vertragliche Übernahme individueller Pflichten, die der Makler als Sachwalter nicht hatte, durch die vertragliche Vereinbarung zu wesentlichen Pflichten im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB werden. Übernimmt der Makler beispielsweise den Auftrag für durchgehenden und prinzipiell lückenlosen Feuerversicherungsschutz zu sorgen – eine solche weitgehende Pflicht hat er als Sachwalter nicht – so muss er den VN nunmehr rechtzeitig vor Ablauf der Versicherung informieren, sodass anderweitig für Versicherungsschutz gesorgt werden kann.26 Um echte Nebenpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB handelt es sich dann, wenn der Vertragszweck nicht gefährdet wird. So besteht grundsätzlich keine Verpflichtung des Maklers, die gesamte Versicherungssituation des Kunden ungefragt einer umfasenden Prüfung zu unterziehen.27 Mit Blick auf die Frage, ob der Makler die gesamte Versicherungssituation ungefragt einer umfassenden Prüfung zu unterziehen hat, wäre folglich eine Haftungsbegrenzung nach § 309 Nr. 7b BGB zulässig. Der Makler hat auch nicht die Aufgabe, bei der PKV Einkünfte des erwerbstätigen Ehepartners in die Vergleichsrechnung mit einzubeziehen.28 Erwägenswert, so das OLG, sei eine Pflicht des Maklers, wonach der beabsichtige Wechsel in die PKV sich möglicherweise auch auf den Versicherungsschutz des (nicht mitversicherten) Ehepartners und dessen damit verbundene finanzielle Belastung auswirken könnte.29 Dies ist eine Nebenpflicht, die man durch eine Haftungsbegrenzungsklausel nach § 309 Nr. 7b BGB begrenzen dürfte. Wenn der Kunde den Eindruck macht, dass der schon abgeschlossene Hausratsversicherungsvertrag bedarfsgerecht ist, so muss der Makler keine weitergehenden Bedarfsermittlungen mehr durchführen – bei anderer Meinung wäre eine Haftungsbegrenzung nach § 309 Nr. 7b BGB zulässig.30 In diesen Fällen sind Klauseln denkbar, wonach die Haftung des Versicherungsmaklers für sonstige Schäden (§ 309 Nr. 7b BGB) im Falle von fahrlässigen Pflichtverletzungen beispielsweise auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit und/oder auf einen Betrag von A 2 Mio. beschränkt ist. Es muss darauf hingewiesen werden, dass dies nicht für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit gilt. Sollte auch die Verjährungsfrist verkürzt werden, so darf sich dies nicht auf die Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit auswirken.31 Eine Klausel, die die Haftung auf „Kardinalpflichten“ begrenzt, ist, so der BGH,

25 26 27 28 29 30 31 953

BGH v. 30.11.2017 – I ZR 143/16, BeckRS 2017 141818. BGH 10.5.2000 – IV ZR 297/98, VersR 2000 846. OLG Hamm 21.5.2015 – 18 O 132/14. OLG Köln 26.2.2016 – 20 U 102/15. OLGKöln a.a.O. LS 3.2. OLG Köln 26.2.2016 – 20 U 102/15; LG Bochum 6.5.2015 – I-4 O 239/14. BGH 22.9.2015 – II ZR 341/14. Schwintowski

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Abweichende Vereinbarungen

intransparent und deshalb unwirksam, weil der jurstische Laie nicht wissen könne, was mit „Kardinalpflichten“ gemeint sei.32 23 Da das BGB eine vollständige Haftungsbegrenzung für Fahrlässigkeit nach § 309 Nr. 7b BGB erlaubt, darf der Makler (erst recht) Haftungsbeschränkungen vereinbaren, die für den VN günstiger sind. Dies gilt etwa für eine Begrenzung auf „leichte“ Fahrlässigkeit oder auf die Haftpflichtversicherungssumme. Auf jeden Fall muss die Haftungsbegrenzung klar und verständlich sein, sodass der durchschnittliche, versicherungsrechtlich nicht vorgebildete VN ohne Weiteres erkennen kann, dass die Haftung des Maklers in bestimmten Fällen begrenzt ist. Das gleiche gilt für die Verkürzung der Verjährungsfrist (§ 202 BGB).

V. Angemessene Dokumentation 24 Fragen der zulässigen Haftungsbegrenzung werden durch angemessene Dokumentation vermieden. Umgekehrt führt die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht zu Beweiserleichterungen zugunsten des VN bishin zur Beweislastumkehr zulasten des Maklers.33 Hat der Makler demgegenüber seine Prüfungs- und Beratungspflichten umfassend erfüllt und entscheidet sich der VN gegen die ihm empfohlene, sach- und interessengerechte, Vorgehensweise, kann der Makler für den unzureichenden Versicherungsschutz nicht verantworltich gemacht werden.34 In diesem Fall ist der Makler auch nicht verpflichtet, seine Empfehlung zu wiederholen und den VN gegen dessen erklärten Willen erneut zu beraten.

32 BGH 20.7.2005 – VIII ZR 121/04; OLG Celle 30.10.2008 – XI U 68/08. 33 BGH 13.11.2014 – III ZR 544/13; OLG Saarbrücken 26.2.2014 – 5 U 64/13. 34 BGH 10.3.2016 – I ZR 147/14. Schwintowski

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§ 68 Versicherungsberater 1

Die für Versicherungsmakler geltenden Vorschriften des § 60 Abs. 1 Satz 1, des § 61 Abs. 1 und der §§ 62 bis 65 und 67 sind auf Versicherungsberater entsprechend anzuwenden. 2 Weitergehende Pflichten des Versicherungsberaters aus dem Auftragsverhältnis bleiben unberührt.

Schrifttum Durstin/Peters Versicherungsberater und Versicherungsmakler in der rechtspolitischen Entwicklung, VersR 2007 1456.

Da die Versicherungsberater von der VRL und der IDD erfasst werden,1 bestimmt § 68, dass die 1 für Versicherungsmakler geltenden Vorschriften auf Versicherungsberater entsprechend anzuwenden sind.2 In zwei Punkten sind allerdings Ausnahmen erforderlich, um dem vom Versicherungsmakler abweichenden besonderen Berufsbild des Versicherungsberaters Rechnung zu tragen.3 Zum einen soll dem Versicherungsberater nicht die Möglichkeit nach § 60 Abs. 1 Satz 2 eingeräumt werden, seine Beratungsgrundlage gegenüber seinem Kunden einzuschränken. Diese Auffassung des Gesetzgebers ist i.R.d. Kommentierung zu § 59 Abs. 4 als nicht überzeugend diskutiert worden.4 Zum anderen kommt bei einem Vertrag mit einem Versicherungsberater ein Verzicht des Kunden nach § 61 Abs. 2 nicht in Betracht, da sich dies mit dem Berufsbild des Versicherungsberaters nicht vereinbaren lässt.5 Aus dem Vertragsverhältnis mit dem Versicherungsberater werden sich i.d.R. Verpflichtun- 2 gen des Versicherungsberaters gegenüber dem Kunden ergeben, die über die von der Richtlinie vorgeschriebenen Pflichten hinausgehen. In § 68 Satz 2 wird daher klargestellt, dass diese weitergehenden Verpflichtungen unberührt bleiben.6 Für Pflichtverletzungen haftet der Berater nach §§ 311, 280 BGB.

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Vgl. die Einzelheiten bei der Kommentierung zu § 59 Abs. 4; sowie Durstin/Peters VersR 2007 1456. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. Zur Komm § 59 Abs. 4. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 27; Prölss/Martin/Dörner § 68 Rn. 1.

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Unterabschnitt 2 Vertretungsmacht § 69 Gesetzliche Vollmacht (1) Der Versicherungsvertreter gilt als bevollmächtigt, 1. Anträge, die auf den Abschluss eines Versicherungsvertrags gerichtet sind, und deren Widerruf sowie die vor Vertragsschluss abzugebenden Anzeigen und sonstigen Erklärungen vom Versicherungsnehmer entgegenzunehmen, 2. Anträge auf Verlängerung oder Änderung eines Versicherungsvertrags und deren Widerruf, die Kündigung, den Rücktritt und sonstige das Versicherungsverhältnis betreffende Erklärungen sowie die während der Dauer des Versicherungsverhältnisses zu erstattenden Anzeigen vom Versicherungsnehmer entgegenzunehmen und 3. die vom Versicherer ausgefertigten Versicherungsscheine oder Verlängerungsscheine dem Versicherungsnehmer zu übermitteln. (2) 1Der Versicherungsvertreter gilt als bevollmächtigt, Zahlungen, die der Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit der Vermittlung oder dem Abschluss eines Versicherungsvertrags an ihn leistet, anzunehmen. 2Eine Beschränkung dieser Vollmacht muss der Versicherungsnehmer nur gegen sich gelten lassen, wenn er die Beschränkung bei der Vornahme der Zahlung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. (3) 1Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast für die Abgabe oder den Inhalt eines Antrags oder einer sonstigen Willenserklärung nach Absatz 1 Nr. 1 und 2. 2Die Beweislast für die Verletzung der Anzeigepflicht oder einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer trägt der Versicherer.

Schrifttum Bruns Privatversicherungsrecht (2015); Fricke Beweislast und Beweisführung bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht – eine kritische Würdigung der Rechtsprechung des BGH, VersR 2007 1614; Niederleithinger Auf dem Weg zu einer VVG-Reform, VersR 2006 437; Rixecker VVG 2008 – Eine Einführung, ZfS 2008 669.

Übersicht 1

1. 2.

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

III.

Rechtsnatur der Vertretungsmacht

B.

Spezielle Kommentierung

I.

II.

1 3. 4.

2

22 Der Antrag Vor Vertragsschluss abgegebene Anzeigen und 24 Erklärungen des Versicherungsnehmers 28 Der Widerruf des Antrags Anzeigen vor Vertragsschluss/sonstige Erklärun31 gen

12 III.

Die Empfangsvollmacht nach § 69 Abs. 1 36 Nr. 2

Der Begriff Versicherungsvertreter in § 69 16 Abs. 1

IV.

Übermittlung von Versicherungsschei39 nen

Die Empfangsvollmacht nach § 69 Abs. 1 21 Nr. 1

V.

Die Inkassovollmacht (§ 69 Abs. 2)

VI.

Die Beweislast (§ 69 Abs. 3)

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A. Einführung

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A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Die §§ 69 bis 73 knüpfen an die bis 31.12.2007 geltenden §§ 43 bis 48 VVG a.F. an und tragen der 1 Tatsache Rechnung, dass VV vielfach durch Versicherungsvertreter vermittelt werden. Durch das Zwischenschalten eines Vermittlers entsteht notwendigerweise die Frage, ob der Vermittler zugleich Stellvertreter des VR ist, ob also Willenserklärungen, die der Vermittler abgibt, unmittelbar für und gegen den VR wirken (§ 164 Abs. 1 BGB). Die Norm ist durch Umsetzung der IDD (23.2.2018) unverändert geblieben.

II. Inhalt und Zweck der Regelung § 69 enthält eine gesetzliche Vollmacht des Versicherungsvertreters für die Entgegennahme von Willens- und Wissenserklärungen des VN vor und nach Vertragsschluss, seine gesetzliche Botenstellung bei der Weiterleitung von Versicherungs- und Verlängerungsscheinen sowie eine gesetzliche Empfangsermächtigung für die Entgegennahme bestimmter Zahlungen des VN.1 Die Regelung trägt der Tatsache Rechnung, dass VV typischerweise durch einen zwischengeschalteten Dritten vermittelt werden. Daraus entsteht im Rechtsverkehr das Bedürfnis nach Rechtssicherheit bei der Frage, ob und in welchem Umfang der Vermittler zugleich Stellvertreter des VR ist. Da der Vermittler nicht Organ des VR und damit auch nicht gesetzlicher Vertreter des VR ist, hat sich der Gesetzgeber entschlossen, Unklarheiten über das Bestehen und den Umfang der Vertretungsmacht des Vermittlers zugunsten der VN durch Schaffung einer gesetzlichen Vollmacht zu begegnen. Die gesetzliche Vollmacht des § 69 gilt für den Versicherungsvertreter und knüpft damit konzeptionell an die gesetzlichen Vollmachten des Handelsrechtes, etwa die Prokura (§§ 48 bis 53 HGB), die Handlungsvollmacht (§ 54 HGB), die Abschlussvollmacht (§ 55 HGB) und die Vollmacht des Ladenangestellten (§ 56 HGB) an. In allen Fällen geht es um den Schutz des Rechtsverkehrs durch Vorgabe einer gesetzlichen Vollmacht. Anders als im Vertretungsrecht des BGB (§ 166 Abs. 2 BGB) ergibt sich der Umfang der Vollmacht nicht aus der rechtsgeschäftlichen Abrede zwischen VR und Vermittler, sondern aus dem Gesetz – der Rechtsverkehr kann sich folglich auf den Umfang der Vertretungsmacht einstellen und auf etwaige Nachfragen über Bestehen und Umfang der Vertretungsmacht, die i.R.d. bürgerlich-rechtlichen Vertretungsrechtes erforderlich sind, verzichten. Konzeptionell beschränkt sich die gesetzliche Vollmacht des § 69 auf den Versicherungsvertreter (§ 59 Abs. 2). Eine vergleichbare gesetzliche Vollmacht gibt es für den Versicherungsmakler oder den Versicherungsberater nicht. Dafür besteht auch kein Sachgrund, denn sowohl der Versicherungsmakler (Sachwalter des VN) als auch der Versicherungsberater (§ 59 Abs. 4) sind für den VN und nicht für den VR tätig. Das schließt nicht aus, dass der Makler im Einzelfall nicht treuhänderischer Sachwalter des VN, sondern (rechtsgeschäftlicher) Vertreter des VR und damit i.S.d. § 69 bevollmächtigt ist.2 Die Regelung über die dem Versicherungsvertreter kraft Gesetzes zustehende Vollmacht ist wie bisher (§ 43 VVG a.F.) sowohl auf Abschlussvertreter (§ 71) als auch auf bloße Versicherungsvertreter (§ 59 Abs. 2) anzuwenden.3 Dabei ist Versicherungsvertreter nach § 59 Abs. 2, wer von einem VR oder einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig VV zu vermitteln oder abzuschließen.

1 Prölss/Martin/Dörner § 69 Rn. 1; Abs. 3 enthält Beweislastverteilungen. 2 BGH 17.1.2001, VersR 2001 368, 369; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 59 m.w.N. 3 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 957

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Gesetzliche Vollmacht

Die frühere Beschränkung der gesetzlichen Vollmacht auf den Versicherungszweig, in dem der Vertreter vertraglich tätig ist (§ 43 Satz 1 VVG a.F.) ist in § 69 Abs. 1 entfallen, da sie dem Schutzbedürfnis des VN widerspricht.4 Durch sorgfältige Auswahl seiner Vertreter habe der VR es in der Hand, sicherzustellen, dass sich sein Vertreter an den ihm vorgegebenen Rahmen seiner vertraglichen Vertretungsmacht halte.5 Ergänzt und stabilisiert wird § 69 durch § 70, wonach die Kenntnis des Versicherungsvertreters der Kenntnis des VR gleichsteht. Dies entspricht konzeptionell § 166 Abs. 1 BGB. Außerdem kann die gesetzliche Vollmacht des Versicherungsvertreters nicht durch AVB eingeschränkt werden – die §§ 69, 71 sind insoweit nicht abdingbar (§ 72). Schließlich stellt § 73 klar, dass die §§ 69 bis 72 auch auf Angestellte eines VR und auf nicht gewerbsmäßig tätige Vermittler anzuwenden sind. In § 69 Nr. 1 und 2 wird die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung des BGH6 berücksichtigt, auf deren Grundlage bereits im bis zum 31.12.2007 geltenden Recht von einer gegenüber dem Gesetzeswortlaut erweiterten Empfangsvollmacht auszugehen ist.7 Aus Gründen der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit wird in der Nr. 1 und 2 zwischen der Sachlage vor und nach Vertragsschluss klarer als nach dem Wortlaut in § 43 VVG a.F. unterschieden.8 In Nr. 1 werden daher nur der Antrag auf Abschluss des Vertrages, nicht die Verlängerung und Änderung aufgeführt. Hierunter fällt auch, wie bereits im geltenden Recht, die Annahmeerklärung des VN.9 Zusätzlich werden Anzeigen, zu denen der VN, insbesondere nach § 19 vor Vertragsschluss, verpflichtet ist, sowie alle sonstigen Erklärungen des VN im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages erfasst.10 Nr. 2 berücksichtigt alle Anträge, Erklärungen oder Anzeigen, die vom VN nach Vertragsschluss gegenüber dem VR abgegeben werden.11 Die Ermächtigung des Vertreters nach Nr. 3 stimmt mit der Regelung bis zum 31.12.2007 überein. Sie erfasst auch Einzelpolicen und Versicherungszertifikate nach § 55, die bei laufenden Versicherungen vom VR ausgestellt werden.12 Mit § 69 Abs. 2 werden – ergänzt durch § 64 – die Vorgaben der Vermittlerrichtlinie zur Zahlungssicherung zugunsten des VN umgesetzt.13 Die Frage der Beweislastverteilung wird in Abs. 3 entsprechend den vom BGH entwickelten Grundsätzen klargestellt. Danach trifft den VR die Beweislast dafür, dass der VN seine vorvertragliche Anzeigepflicht nach § 19 oder eine Obliegenheit verletzt hat.14 Bei allen anderen Willenserklärungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 liegt die Beweislast beim VN, wenn die Abgabe oder der Inhalt der Erklärung streitig ist.15

III. Rechtsnatur der Vertretungsmacht 12 Es handelt sich in § 69 um eine gesetzliche Vollmacht, nicht aber um eine gesetzliche Vertretungsmacht i.S.e. absoluten Rechtes, wie sie etwa von § 1626 Abs. 1 BGB den Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern eingeräumt wird. Es bedarf folglich einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht. Die Erteilung der Vollmacht erfolgt, indem der VR einen Versicherungsvertreter damit betraut, gewerbsmäßig VV zu vermitteln oder abzuschließen (§ 59 Abs. 2). Im Regelfall wird 4 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 5 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 6 Erstmals BGH 11.11.1987, VersR 1988 234. 7 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 8 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 9 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 10 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 11 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 12 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 13 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 14 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 15 BTDrucks. 16/3945 S. 77. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

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die Vollmacht also als Innenvollmacht vom VR gegenüber dem Versicherungsvertreter erteilt (§ 167 Abs. 1 BGB). Das schließt nicht aus, dass der VR auch gegenüber einem Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung erklären kann, dass eine Person von ihm mit der Vermittlung oder dem Abschluss von VV betraut worden ist (Außenvollmacht). Die Bevollmächtigung ist formfrei, sie kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Das Erlöschen der Vollmacht bestimmt sich nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (§ 168 Satz 1 BGB). Da es sich bei § 69 um eine gesetzliche Vollmacht handelt, ist diese Vollmacht – entgegen § 168 Satz 2 BGB – nicht widerruflich und nach § 72 durch AGB nicht beschränkbar. Die gesetzliche Vollmacht entsteht, wenn der VR einen Versicherungsvertreter damit be- 13 traut, gewerbsmäßig VV zu vermitteln oder abzuschließen (§ 59 Abs. 2). Mit dieser Betrauung gilt der Versicherungsvertreter als bevollmächtigt, bestimmte Erklärungen und Zahlungen des VN entgegenzunehmen und Versicherungsscheine dem VN zu übermitteln. Nach § 165 BGB ist die Wirksamkeit einer von oder gegenüber dem Vertreter abgegebenen 14 Willenserklärung nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Vertreter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. Kommt der Vertretervertrag, beispielsweise wegen fehlender Genehmigung des gesetzlichen Vertreters (§ 108 Abs. 1 BGB) mit dem Minderjährigen nicht zustande, so wird der VR i.R.d. §§ 69, 70 dennoch gebunden, wenn der Minderjährige im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertretervertrages mit der Vermittlungstätigkeit begonnen haben sollte.16 Neben der gesetzlichen Vollmacht des § 69 steht die rechtsgeschäftliche, die dem Vertre- 15 tervertrag zwischen VR und dem an ihn gebundenen Vermittler immanent ist. Nimmt der VR für die Vermittlung von VV die Dienste von Versicherungsvertretern in Anspruch, so erfüllt der Vertreter damit gleichzeitig die Pflichten des VR nach § 6 Abs. 1 Satz 1.17 Er handelt aufgrund des Vertretervertrages mit dem VR für und gegen diesen (§§ 164, 166 BGB) – einer gesetzlichen Regelung bedarf es nach Meinung des Gesetzgebers deshalb nicht.18 Dies bedeutet, dass sich die gesetzliche (Empfangs-)Vollmacht des § 69 mit der rechtsgeschäftlichen Vollmacht aus dem Vertretervertrag überlagert und ergänzt. Die gesetzliche Vollmacht des § 69 bildet dabei den Mindeststandard, der nicht unterschritten werden kann, während die rechtsgeschäftliche Vollmacht aus dem Vertretervertrag darüber hinausgehend die Vertretungsmacht des gebundenen Vermittlers insoweit erweitert, als er Pflichten des VR nach § 6 erfüllt. Daraus folgt, dass eine Empfehlung, die der Versicherungsvertreter im Beratungsgespräch erteilt, zugleich eine Empfehlung des VR nach § 6 Abs. 1 ist. Soweit der Versicherungsvertreter seinen Rat dokumentiert, bindet diese Dokumentation zugleich auch den VR (§ 7 Abs. 1 Satz 2). Vergleichbare Bindungen entstehen nach Vertragsschluss, soweit ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des VN erkennbar ist und anstelle des VR der Versicherungsvertreter tätig wird (§ 6 Abs. 4). Verletzt der Vertreter des VR eine Verpflichtung nach § 6 Abs. 1, 2 oder 4, so ist der VR dem VN zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet (§ 6 Abs. 5), wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hatte. Dabei wird das Verhalten des Vertreters dem VR nach § 278 BGB zugerechnet.

B. Spezielle Kommentierung I. Der Begriff Versicherungsvertreter in § 69 Abs. 1 Der Begriff des Versicherungsvertreters wird in § 69 Abs. 1 vorausgesetzt – es wird an die Defini- 16 tion in § 59 Abs. 2 angeknüpft. Dort heißt es, dass Versicherungsvertreter i.S.d. Gesetzes ist, wer von einem VR oder einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig VV zu vermitteln oder abzuschließen. Daraus folgt, dass ein Versicherungsvertreter i.S.d. § 59 Abs. 2 automatisch über die gesetzliche Vollmacht des § 69 Abs. 1 verfügt. Dies gilt auch für Versiche16 Bruck/Möller/Möller § 43 Rn. 10. 17 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 18 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 959

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rungsvermittler nach § 34d Abs. 8 Nr. 1 GewO. Dies ergibt sich aus § 66, der § 59 Abs. 2 für Vermittler dieser Art für anwendbar erklärt. Das Gleiche gilt für Vermittler nach § 34d Abs. 6 GewO, der zwar von der nach § 34d Abs. 1 GewO notwendigen Erlaubnis auf Antrag befreit werden kann, dessen ungeachtet aber Versicherungsvertreter i.S.d. § 59 Abs. 2 ist. Gemeint sind Gewerbetreibende, die die Versicherung als Ergänzung der i.R. ihrer Haupttätigkeit gelieferten Waren oder Dienstleistungen vermitteln. Die Vermittlung der Versicherungen erfolgt produktakzessorisch, z.B. die Haftpflicht- oder Kaskoversicherung beim Kfz-Kauf oder der Abschluss einer Lebensversicherung als Sicherheit für einen Darlehensvertrag.19 Ebenfalls umfasst sind Angestellte eines VR, die mit der Vermittlung oder dem Abschluss von VV betraut sind und nicht gewerbsmäßig tätige Vermittler, wie § 73 klarstellt. Angestellte oder Hilfspersonen, die nicht mit der Vermittlung von VV betraut sind, werden von der Norm nicht erfasst.20 Demgegenüber wird der Versicherungsmakler nicht nach § 59 Abs. 2, sondern nach § 59 Abs. 3 tätig – er ist Sachwalter für den VN.21 Auf ihn erstreckt sich die gesetzliche Vollmacht des § 69 nicht.22 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Makler – ausnahmsweise – einmal rechtsgeschäftlicher Vertreter (Vollmacht nach § 167 BGB: sog. Maklerklausel)23 des VR ist.24 Dies wurde vom BGH in einem Fall bejaht, in dem der Makler alle Rechtshandlungen des VR als dessen Vertreter vornahm, einschließlich der Leistungsablehnung mit Androhung der Ausschlussfrist (§ 12 Abs. 3 VVG a.F.).25 Dies hatte zur Folge, dass die Unklarheiten der – vom Makler aufgestellten – AVB nicht zu Lasten des VN, sondern zu Lasten des VR gingen.26 Ein Versicherungsvertreter kann ausnahmsweise auch einmal rechtsgeschäftlicher Vertreter des VN gegenüber dem VR (sog. Pseudomakler) sein. In einem solchen Fall wird der Vertreter nicht nach § 59 Abs. 2 für den VR, sondern nach § 59 Abs. 3 für den VN als Makler tätig. In diesem Sinne entschied der BGH, als ein Hauseigentümer „seine“ Hausverwaltung darum bat, einen neuen Gebäudeversicherungsvertrag abzuschließen. Die Hausverwaltung, die nach § 59 Abs. 2 an einen bestimmten VR gebunden war, verhandelte – wegen der Weisungen des Hauseigentümers – für ihn mit mehreren VR, gerierte sich also als Makler.27 Für den VN war die Hausverwaltung folglich nicht als Versicherungsvertreter, sondern als Versicherungsmakler tätig. Ob die Hausverwaltung durch ihre Tätigkeit für den VN den zwischen ihr und dem VR bestehenden Vertretervertrag schuldhaft verletzt hatte (§ 280 Abs. 1 BGB), ist eine andere Frage. Aus der Tatsache, dass der Versicherungsvertreter in diesen Fällen als Pseudomakler tätig wird, folgt, dass § 69 keine Anwendung findet.28 Jedenfalls gilt das mit Blick auf den VR, gegenüber dem der Vertreter gemakelt hat, an den er nicht gebunden ist. Insoweit ist der VN, der glaubte mit einem Makler zu verhandeln, nicht schutzbedürftig.29 Sollte der Vertrag mit dem VR, an den der Vertreter gebunden ist, zustande gekommen sein, so bleibt es bei der Anwendung des § 69, weil die in dieser Norm liegende gesetzliche Zuweisung nicht disponibel ist. Ein Versicherungsvertreter, der diese Vollmacht hat, kann sie nicht einfach dadurch abstreifen, indem er sich des Mantels des Maklers bedient.30 Dies ergibt sich auch aus § 72, wonach eine 19 BTDrucks. 16/1935 S. 19; vertiefend Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 52; Langheid/Rixecker § 69 Rn. 62 ff. 20 Langheid/Rixecker § 69 Rn. 6. 21 BTDrucks. 16/3945 S. 58. 22 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 69 Rn. 7 m.w.N. 23 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 69 Rn. 8. 24 BGH 17.1.2001, VersR 2001 368, 369. 25 BGH 17.1.2001, VersR 2001 368, 369 unter II.1. 26 Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 59. 27 BGH 19.9.2001, VersR 2001 1498, 1499 unter II.2; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 58; Langheid/ Rixecker § 69 Rn. 3; Langheid/Wandt/Reiff § 69 Rn. 6a; Bruns § 12 Rn. 7; zweifelnd: Prölss/Martin/Dörner § 69 Rn. 4. 28 Prölss/Martin/Dörner § 69 Rn. 4. 29 So zurecht: Prölss/Martin/Dörner § 69 Rn. 4. 30 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 69 Rn. 9. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

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Beschränkung der dem Versicherungsvertreter nach den §§ 69 und 71 zustehenden Vertretungsmacht durch AVB gegenüber dem VN und Dritten unwirksam ist. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Vermittler die Beschränkung der Vertretungsmacht mit dem VN im Einzelnen aushandelt und dabei offen legt, dass er von seinem mit dem VR für den Normalfall verabredeten Status in diesem Ausnahmefall individuell abweichen will.

II. Die Empfangsvollmacht nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 Der Versicherungsvertreter gilt als bevollmächtigt, Anträge, die auf den Abschluss eines VV 21 gerichtet sind und deren Widerruf entgegenzunehmen. Das Gleiche gilt für die vor Vertragsschluss abzugebenden Anzeigen und sonstigen Erklärungen des VN. Mit dem Zugang der Willenserklärung beim Vertreter (§ 130 BGB) ist sie nach § 164 Abs. 3 BGB auch dem VR zugegangen.31 Mit Zugang beim VR läuft folglich auch die Bindung des VN an den Antrag.32 Entsprechendes gilt, wenn der Vertreter eine Wissenserklärung (z.B. eine Anzeige) des VN entgegen nimmt.33 Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 69 kann der Vertreter mit besonderer rechtsgeschäftlicher Vollmacht ermächtigt sein Willenserklärung für den VR abzugeben, etwa Veträge abzuschließen (§ 71). Die Befugnis des Vertreters zur Abgabe von Erklärungen für den VR kann sich auch aus den allgemeinen Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht herleiten.34 Die Vertretungsbefugnis umfasst jedenfalls nicht die Vertretung des Versicherers bei der Regulierung eines Versicherungsfalls.35 Erst recht erfasst die Vertretungsbefugnis nicht den Abschluss einer Abtretungsvereinbarung, durch welche eine dem VR nach Zahlung gesetzlich zustehende Forderung gegen den Schädiger an die Geschädigten abgetreten wird.36 Auch die Zusage eines Vertreters, der VN könne mit einer bestimmten Ablaufleistung aus seinem Lebensversicherungsvertrag rechnen, wird von einer Abschlussvollmacht nicht umfasst.37

1. Der Antrag Der Begriff Antrag, der in § 69 Abs. 1 Nr. 1 ebenso wie in § 5 Abs. 1 gebraucht wird, beinhaltet, 22 wie sich aus dem Kontext zu §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1, 19 Abs. 1 ergibt, jene Willenserklärung des VN, mit der er gegenüber dem VR bindend erklärt, mit diesem auf der Grundlage der im Antrag niedergelegten Einzelheiten einen VV zu schließen. Der Versicherungsvertreter ist folglich bevollmächtigt, diesen Antrag, also die Vertragserklärung des VN, mit Wirkung für und gegen den VR entgegenzunehmen. Bis zur Grundsatzentscheidung des BGH im Jahre 198738 war unklar, ob der Antrag auch die bei dieser Gelegenheit vom Antragsteller abgegebenen mündlichen Erläuterungen umfasste. Der BGH hat dies bejaht und entschieden: „Die Entgegennahme eines Antrages auf Abschluss eines VV und die Kenntnisnahme der von dem Antragsteller bei dieser Gelegenheit abgegebenen – mündlichen – Erklärungen zu den ihm im Antragsformular des VR gestellten Fragen stellen einen einheitlichen Lebensvorgang dar, der keine juristische Aufspaltung erlaubt. Bei der Entgegennahme eines Antrages auf Abschluss eines VV steht dem Antragsteller – auf alleinige Veranlassung des VR – der Empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent bildlich ge31 BGH 25.3.1987 – IV ZR 224/85, VersR 1987 663; OLG Brandenburg 13.3.1996 – 4 U 63/95, VersR 1997 347; Prölss/ Martin/Dörner § 69 Rn. 10. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 69 Rn. 22; Prölss/Martin/Dörner § 69 Rn. 10. Prölss/Martin/Dörner § 10 Rn. 11; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 69 Rn. 18. Prölss/Martin/Dörner § 69 Rn. 15. OLG Köln 26.6.2018 – 3 U 134/17 BeckRS 2018 28401 Rn. 20 m.w.N. OLG Köln a.a.O. Rn. 20. KG 23.2.2018 – 6 U 161/15, BeckRS 2018, 32597. BGH 11.11.1987, VersR 1988 234; bestätigt durch BVerfG 25.6.1998, VersR 1998 1137.

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Gesetzliche Vollmacht

sprochen als das Auge und Ohr des VR gegenüber. Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem VR gesagt und vorgelegt worden.“39 23 Ausgehend von dieser, inzwischen in Literatur und Rechtsprechung vielfach bestätigten, Auge-und-Ohr-Doktrin bilden das Antragsformular und die bei Abgabe dieses Formulars an den Vermittler abgegebenen mündlichen Erklärungen des VN eine Einheit. Der Antrag besteht nicht nur aus dem Formular, sondern auch aus den Erklärungen des VN an den Vermittler, wobei der VN darlegen und beweisen muss, bestimmte Erklärungen abgegeben zu haben. Weicht der Versicherungsschein, der später vom VR ausgefertigt wird, von diesem (einheitlichen) Antrag ab, ohne dass der VN vom VR hierauf durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein aufmerksam gemacht wird, so gilt der Vertrag als mit dem Inhalt des (einheitlichen) Antrags des VN geschlossen (§ 5 Abs. 3). Fälle dieser Art sind möglich, wenn der Versicherungsvertreter die (mündlichen) Erklärungen des VN weder im Antrag (schriftlich) festhält, noch sonst dokumentiert und dem VR ausschließlich den (schriftlichen) Antrag weitergibt, sodass beim VR der Eindruck entsteht, als sei die Vertragserklärung des VN im schriftlichen Antrag vollständig enthalten.

2. Vor Vertragsschluss abgegebene Anzeigen und Erklärungen des Versicherungsnehmers 24 In § 69 Abs. 1 Nr. 1 wird darüber hinaus klargestellt, dass der Versicherungsvertreter als bevollmächtigt gilt, die vor Vertragsschluss abzugebenden Anzeigen und sonstigen Erklärungen vom VN entgegenzunehmen. Mit dieser Fassung wollte der Gesetzgeber die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung berücksichtigen, auf deren Grundlage bereits im geltenden Recht (bis 31.12.2007) von einer gegenüber dem Gesetzeswortlaut erweiterten Empfangsvollmacht auszugehen war.40 Der Wortlaut der ab 1.1.2008 geltenden Nr. 1 umfasst folglich die Vertragserklärung des VN, den diese Erklärung begleitenden (schriftlichen oder mündlichen) Antrag sowie alle von dem Antragsteller bei dieser Gelegenheit abgegebenen – auch nur mündlichen – Erklärungen zu den dem VN im Antragsformular gestellten Fragen sowie die vor Vertragsschluss abzugebenden Anzeigen (insbesondere nach § 19) und sonstigen Erklärungen (z.B. nach § 28). Dies bedeutet, dass auch Erklärungen des VN zu den im Antragsformular gestellten Fragen, die weder unter § 19 noch unter den Terminus sonstige Erklärungen zu subsumieren sind, vom Versicherungsvertreter als Auge und Ohr des VR entgegengenommen werden. 25 Benutzt der VR ein schriftliches Antragsformular, so kann dieses durch den Versicherungsvertreter inhaltlich verändert werden. Der Versicherungsvertreter kann beispielsweise Antragsfragen wegstreichen oder weglassen oder ergänzen. In einem solchen Fall besteht der Antrag in der vom Versicherungsvertreter modifizierten Form. Der VR muss sich die Modifikationen i.R.v. § 6 zurechnen lassen. Dies gilt etwa dann, wenn der Versicherungsvertreter das Antragsformular ausgefüllt hat und der VN substantiiert behauptet, den Vermittler mündlich zutreffend unterrichtet zu haben.41 In diesem Fall muss der VR beweisen, dass der VN den Vertreter nicht zutreffend unterrichtet hat.42 Der Versicherungsvertreter kann das Antragsformular auch dadurch verändern, indem er 26 es selbst ausfüllt oder die Fragen ganz oder teilweise nicht vorliest. In diesem Falle sind die Fragen nicht gestellt worden – sie sind noch nicht einmal zur Kenntnis des VN gelangt, wenn das Antragsformular allein zur Unterzeichnung vorgelegt wird.43 Das Gleiche gilt, wenn der 39 40 41 42 43

BGH 11.11.1987, VersR 1988 234 Rn. 35. BTDrucks. 16/3945 S. 77. Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 66 m.w.N. BGH 23.5.1989, BGHZ 107 322; 16.10.1996, VersR 1996 1529; BGHZ 107 322; 10.10.2001, VersR 2001 1541. BGH 13.3.1991, VersR 1991 575; 25.4.1991, NJW-RR 1994 1049; 16.10.1996, VersR 1996 1529; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 67. Schwintowski

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Versicherungsvertreter die Fragen nicht vorliest, sondern mit eigenen Worten wiedergibt.44 Etwas anderes gilt, wenn der Vermittler dem Kunden das Formular nicht nur zur Unterschrift, sondern mit der ausdrücklichen Bitte um vorherige Durchsicht und Überprüfung seiner Eintragungen vorgelegt und ihm die dafür notwendige Zeit eingeräumt hat.45 Werden dem VN komplizierte Fragen vorgelesen, so hat der VR nachzuweisen, dass die Befragung einer sorgsamen, nicht unter Zeitdruck stehenden und gegebenenfalls durch klärende Rückfragen ergänzten Lektüre der Fragen gleichgesetzt werden kann.46 Verdeckt der Vermittler durch relativierende Bemerkungen die Antragsfrage, so gilt die Frage als nicht gestellt.47 Etwaige Fehler in einem rechnergestützen Abfrageprogramm für die Antragsfragen gehen im Zweifel zu Lasten des VR.48 Eine Änderung der vom VR vorformulierten Antragsfragen findet jedoch nicht statt, wenn VN und Versicherungsvermittler zu Lasten des VR kollusiv zusammenwirken, wenn der VN also vom treuwidrigen Verhalten des Versicherungsvermittlers weiß oder sich ein solches Verhalten dem VN geradezu aufdrängt.49 Schaltet der VR – etwa in der LV oder BU – einen Arzt ein, so steht dieser einem Versiche- 27 rungsvermittler bei der Aufnahme des Versicherungsantrages gleich. Was der VN dem Arzt zur Beantwortung der vom VR vorformulierten Fragen erklärt, hat er dem VR erklärt, auch wenn der Arzt die ihm gegebenen Antworten nicht in seine Erklärung gegenüber dem VR aufnimmt.50

3. Der Widerruf des Antrags Der Versicherungsvertreter gilt auch als bevollmächtigt, den Widerruf eines Antrags, der auf 28 Abschluss eines VV gerichtet ist, entgegenzunehmen. Gemeint ist nicht der Fall des § 130 Abs. 1 BGB, wonach eine Willenserklärung (die Vertragserklärung) nicht wirksam wird, wenn dem anderen (VR) vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Dieser Fall ist bei Abgabe der Vertragserklärung durch den VN nicht möglich, weil der Versicherungsvertreter durch § 69 Abs. 1 Nr. 1 zur Entgegennahme der an den VR gerichteten Vertragserklärung bevollmächtigt ist. Folglich ist die Vertragserklärung, die der Kunde abgibt (z.B. die Unterschrift unter den Antrag) durch Aushändigung an den Vermittler gegenüber dem VR wirksam. Es ist nur noch theoretisch denkbar, dass der Kunde, der gerade unterschrieben hat, mit Übergabe des von ihm unterschriebenen Antrags erklärt, er widerrufe diesen Antrag. In einem solchen, wenig praktischen, Fall gehen dem VR, vertreten durch seinen Vermittler, Antrag und dessen Widerruf gleichzeitig zu – der Antrag wird nicht wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB). Praktische Bedeutung hat das Widerrufsrecht des VN nach § 8. Danach kann der VN seine 29 Vertragserklärung (den Antrag) innerhalb von zwei Wochen widerrufen. Der Widerruf ist zwar nach § 8 Abs. 1 (in Textform) gegenüber dem VR zu erklären – § 69 Abs. 1 Nr. 1 klärt, dass auch der Versicherungsvertreter als bevollmächtigt gilt, den Widerruf entgegenzunehmen. Dies ist auch dann der Fall, wenn – so wie es § 8 Abs. 2 Nr. 2 vorsieht – der Name und die Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, von dem Namen und der Anschrift des Versicherungsvertreters abweicht. An diesen Grundsätzen wird sich auch dann nichts ändern, wenn das BMJ von der Verordnungsermächtigung nach § 8 Abs. 5 Gebrauch machen und eine Verordnung schaffen sollte, die Inhalt und Gestaltung der dem VN mitzuteilenden Belehrung über das Widerrufsrecht festlegt. Die Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters bezieht 44 45 46 47

OLG Stuttgart 15.2.2007, OLGR 2007 753. BGH 25.5.1994, NJW-RR 1994 1049. BGH 11.7.1990, VersR 1990 1002; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 70 m.w.N. BGH 10.10.2001, VersR 2001 1541; OLG Saarbrücken 29.11.1990, VersR 2007 826; ähnlich Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 71. 48 OLG Bremen 31.1.2006, VuR 2006 433; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 72. 49 BGH 30.1.2002, VersR 2002 425; vertiefend Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 74. 50 BGH 21.11.1989, VersR 1990 77; 16.12.1987, MDR 1988 387; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 75. 963

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Gesetzliche Vollmacht

sich auch auf Anträge in der Lebensversicherung. Die Sonderregelung in § 152 Abs. 1 ändert nichts am Widerrufsrecht des VN, sondern verlängert nur die Widerrufsfrist von zwei Wochen auf 30 Tage. 30 Weicht der Versicherungsschein vom Antrag des VN oder den getroffenen Vereinbarungen ab und weist der VR den VN bei Übermittlung des Versicherungsscheins darauf hin, dass Abweichungen als genehmigt gelten, wenn der VN nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht (§ 5 Abs. 1 und 2), so ist der Versicherungsvertreter zur Entgegennahme dieses Widerspruchs nicht nach § 69 Abs. 1 Nr. 1, aber nach Nr. 2 bevollmächtigt.

4. Anzeigen vor Vertragsschluss/sonstige Erklärungen 31 Aus Gründen der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit wird in den Nr. 1 und 2 zwischen der Sachlage vor und nach Vertragsschluss klarer als nach dem bis zum 31.12.2007 geltenden Wortlaut des VVG unterschieden.51 Erfasst werden von der Nr. 1 auch Anzeigen, zu denen der VN – insbesondere nach § 19 – vor Vertragsschluss verpflichtet ist sowie alle sonstigen Erklärungen des VN im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages.52 32 Die Anzeigen, zu denen der VN nach § 19 vor Vertragsschluss verpflichtet ist, sind – wie oben gezeigt – Teil des Antrags, den der VN stellt. So gesehen hat der Wortlaut der Nr. 1 deklaratorische Bedeutung. Zugleich werden aber alle Anzeigen, zu denen der VN vor Vertragsschluss verpflichtet ist, erfasst, auch dann, wenn sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter den Begriff Antrag subsumierbar sind. Darüber hinaus sind alle sonstigen Erklärungen des VN im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages erfasst.53 Dies können Erklärungen sein, die der VN in Ergänzung von Antragsfragen abgibt, die der Vertreter aber weder in den Antrag noch in die Dokumentation aufnimmt, weil die Erklärung – aus seiner Sicht – weder für den Antrag noch für den Abschluss des Vertrages von Relevanz ist. Sollte sich der Vermittler in diesem Punkt geirrt haben, gilt die Erklärung, die der VN ihm gegenüber abgegeben hat, zugleich auch im Verhältnis zum VR als abgegeben. Erklärt der VN beispielsweise bei Anbahnung einer BU oder LV, als Kind jahrelang ständig Kopfschmerzen gehabt zu haben, so ist der Hinweis des Vertreters, dies spiele keine Rolle, weil es keine entsprechende Antragsfrage gebe, für die Zurechnung der Erklärung dem VR gegenüber irrelevant. Der VR kennt folglich die Kopfschmerzen, obwohl davon nichts im Antrag steht. Weist der VN darauf hin, dass vor dem Gebäude, das gerade versichert werden soll, monatelang ein Baugerüst stehen wird, so ist die damit verbundene Gefahrerhöhung dem VR bekannt, auch wenn der Vertreter das Baugerüst weder im Antrag noch in der Dokumentation erwähnt. Erklärt der VN, der einen Betrieb versichern will, dass auf dem Nachbargrundstück nach seiner Kenntnis hochexplosive Flüssigkeiten zwischengelagert werden, so ist dem VR dies damit bekannt, auch wenn der Vertreter der Meinung ist, das Nachbargrundstück interessiere bei der Risikoaufnahme nicht. 33 Aus der Perspektive der Beweisbarkeit sollten sowohl der Vermittler als auch der VN Wert darauf legen, dass Erklärungen, die neben oder ergänzend zu den Antragsfragen gegeben wurden, Teil der Dokumentation werden. Im Grundsatz gilt, dass die Beweislast für eine, den schriftlichen Antrag ergänzende, mündliche Willenserklärung auf Erweiterung des Versicherungsschutzes der VN auch dann trägt, wenn der Vertreter des VR den Antrag ausgefüllt hat.54 Ist der VN allerdings in der Lage, seinerseits substantiiert zu behaupten, den Vertreter mündlich zutreffend unterrichtet und damit seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit erfüllt zu haben, obliegt es nunmehr dem VR darzulegen und zu beweisen, dass der VN den Vertreter auch münd51 52 53 54

BTDrucks. 16/3945 S. 77. BTDrucks. 16/3945 S. 77. BTDrucks. 16/3945 S. 77. BGH 3.7.2002, VersR 2002 1098.

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lich unzutreffend unterrichtet hat.55 Denn was dem Vertreter in Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem VR gesagt und vorgelegt worden, auch wenn der Versicherungsvertreter es nicht in das Formular aufgenommen hat.56 Eine Wissenszurechnung ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn der künftige VN nicht 34 schutzwürdig ist.57 Das ist der Fall, wenn er mit dem Versicherungsvertreter arglistig zum Nachteil des VR zusammenwirkt.58 Eine solche Kollusion – als besonders schwerer Fall des Vollmachtsmissbrauchs59 setzt dabei voraus, dass der VN auf die Auskunft des Vertreters, eine erhebliche Vorerkrankung sei nicht anzeigepflichtig, nicht vertraut, sondern im Bewusstsein der Anzeigeobliegenheit erkennt und billigt, dass der VR durch das Vorgehen des Vertreters über seinen Gesundheitszustand getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluss des VV beeinflusst wird und er deshalb – im Einvernehmen mit dem Versicherungsvertreter – will, dass die betreffende Erkrankung im Antragsformular unerwähnt bleibt.60 In der Rechtsprechung des BGH ist seit Längerem anerkannt, dass der Vertretene (VR) auch 35 in den Fällen eines Vollmachtsmissbrauchs unterhalb der Schwelle der Kollusion mit dem Vertragspartner im Verhältnis zu diesem geschützt sein kann.61 Voraussetzung dafür ist, dass der Missbrauch aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident ist.62 Deshalb hat der BGH an die für § 242 BGB geforderte Evidenz des Vollmachtsmissbrauchs durch einen Versicherungsvertreter einen strengen Maßstab angelegt, der dessen besonderer Stellung Rechnung trägt.63 Der VR, der aufgrund des Vertrauensverhältnisses während der Vertragsverhandlungen dem künftigen VN gegenüber zur Auskunft und Beratung verpflichtet ist, soweit sie dieser benötigt, erfüllt diese Pflicht durch Auskünfte seines Vertreters.64 Dementsprechend darf der Antragsteller davon ausgehen, dass der Vertreter zur Erteilung solcher Auskünfte regelmäßig auch befugt ist. Mit der Vorgabe von Fragen nach gefahrerheblichen Umständen im Antragsformular hat der VR selbst die Anzeigeobliegenheiten so ausgestaltet, dass der künftige VN die Gefahrumstände anhand der ihm gestellten Fragen zu beantworten hat. Unterläuft das der Versicherungsvertreter dadurch, dass er dem Antragsteller durch einschränkende Bemerkungen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist, kann dieses Vertreterverhalten nicht zulasten des künftigen VN gehen.65 Den Vertreter hinsichtlich seiner Auskünfte, was von den offenbarten Umständen in das Formular aufzunehmen ist, zu kontrollieren, ist jedenfalls nicht Sache des künftigen VN.66

III. Die Empfangsvollmacht nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 Der Versicherungsvertreter gilt ferner als bevollmächtigt, Anträge auf Verlängerung oder Ände- 36 rung eines VV oder deren Widerruf, die Kündigung, den Rücktritt und sonstige den VV betreffende Erklärungen sowie die während der Dauer des VV zu erstattenden Anzeigen vom VN entgegenzunehmen (§ 69 Abs. 1 Nr. 2). Erfasst sind sämtliche Erklärungen und Anzeigen, die

55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65

BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 10 unter Hinweis auf BGH 23.5.1989, BGHZ 107 322, 325. BGH 18.12.1991, BGHZ 116 387, 389. BGH 7.3.2001, VersR 2001 620; 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 10. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 10. So zutreffend Fricke VersR 2007 1614, 1615. BGH 14.7.2004, VersR 2004 1297; 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 10. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. BGH 19.4.1994, NJW 1994 2082 unter II.2.a und 29.6.1999, WM 1999 1617 unter I.2.a. BGH 30.1.2002, VersR 2002 425 unter II.3.c. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13; 30.1.2002, VersR 2002 425 unter II.3.c; 10.10.2001, VersR 2001 1541 unter II.1.d. 66 BGH 27.2.2208, VersR 2008 765 Rn. 13. 965

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vom VN nach Vertragsschluss gegenüber dem VR abgegeben werden.67 Die Erklärungen müssen das Versicherungsverhältnis betreffen – informiert der VN seinen Vertreter ganz allgemein darüber, dass in der Straße, in der er wohnt, Bauarbeiten begonnen hätten, so fehlt der Bezug zu einem bestimmten VV. Anders ist es, wenn der VN berichtet, am Haus sei ein Baugerüst aufgestellt worden – daraus ergibt sich für den Vertreter (wie für den VR), dass möglicherweise eine Gefahrerhöhung eingetreten ist. Einer weiteren Anzeige dieser Gefahrerhöhung durch den VN bedarf es folglich nicht mehr. Das Gleiche gilt, wenn der VN seinem Vertreter von einem bevorstehenden Umzug berichtet. Mit dieser Information ist auch der VR entsprechend informiert – ein möglicherweise entgegenstehendes Schriftformerfordernis in den AVB läuft über § 69 Abs. 1 Nr. 2 leer. Das gilt für alle Formerfordernisse, die die AVB für Erklärungen des VN aufstellen, da § 69 Abs. 1 Nr. 2 die Zurechnung von Erklärungen des VN gegenüber dem VR formfrei eröffnet. Der VN kann folglich seine Anzeigen, insbesondere die Schadensanzeige, sowie die Kündigungs-, Rücktritts- oder Anfechtungserklärung mündlich gegenüber seinem Versicherungsvertreter abgeben.68 Der VN erfüllt seine Obliegenheit (§ 30 Abs. 1), den Versicherungsfall unverzüglich anzuzeigen, auch dadurch, dass er die entsprechende Mitteilung mündlich gegenüber seinem Versicherungsvertreter macht, ganz gleichgültig, ob die AVB – was nach § 32 Satz 2 zulässig wäre – die Schriftform verlangen. Ein solches Schriftformerfordernis wird über § 69 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 72 verdrängt, weil danach eine Beschränkung der dem Versicherungsvertreter zustehenden Vertretungsmacht durch AVB gegenüber dem VN und Dritten unwirksam ist. Eine Beschränkung der Empfangsvollmacht nach § 69 Abs. 1 liegt auch in einer Klausel, die für Erklärungen des VN gegenüber dem Vertreter die Schriftform oder Textform verlangt.69 Ausgenommen sind die Fälle der Arglist und der Kollusion, ohne dass es hierfür einer ausdrücklichen Bestimmung bedarf.70 Nicht ausgeschlossen sollen Klauseln sein, wonach Anzeigen des VN gegenüber dem VR, 37 z.B. die Änderung eines Bezugsrechts oder die Anzeige einer Abtretung, der Schriftform bedürfen.71 Gegenüber dem Vertreter entfalten Klauseln dieser Art jedenfalls keine Wirkungen, weil Anzeigen, die der VN dem Vertreter gegenüber macht, formfrei zulässig und wirksam sind. Erstattet der VN eine Anzeige nicht seinem Vertreter, sondern direkt dem VR, so soll diese Anzeige nur dann wirksam sein, wenn der VN der Schriftform genügt. Dieselbe Anzeige, die der VN dem Vertreter gegenüber abgibt, ist demgegenüber formfrei wirksam. Damit erweist sich das Schriftformerfordernis in den AVB als überraschend (§ 305c BGB), aber auch als unangemessen nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil das Abweichen der AVB von § 69 Abs. 1 Nr. 2 mit wesentlichen Grundgedanken dieser gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist. Der VR, der vom Versicherungsfall weiß, wenn er seinem Vertreter vom VN oder einem Dritten mündlich oder konkludent angezeigt wurde, handelt treuwidrig, wenn er einwendet, er wisse von nichts, weil dieselbe Anzeige nicht dem Vertreter sondern ihm selbst gegenüber direkt – aber nicht schriftlich, sondern mündlich erfolgte.72 38 Erfasst sind nach § 69 Nr. 2 nicht nur Anträge auf Verlängerung oder Änderung eines VV und deren Widerruf, die Kündigung, der Rücktritt, sondern auch sonstige das VV betreffende Erklärungen. Damit sind sowohl Wissens- als auch Willenserklärungen gemeint.73 Damit sind alle Auskünfte umfasst, die der VN zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR nach § 31 Abs. 1 Satz 1 gibt. Wenn und soweit die AVB vom VN im Verhältnis zum VR nach § 32 Satz 2 Schrift- oder Textform vorschreiben, so kollidieren diese

67 68 69 70 71 72 73

BTDrucks. 16/3945 S. 77. Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 63. BTDrucks. 16/3945 S. 78. BTDrucks. 16/3945 S. 78. BTDrucks. 16/3945 S. 78. Weiterführend mit einem Praxishinweis Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 30 Rn. 13. Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 63.

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Klauseln mit den Wertungen der §§ 69 Abs. 1 Nr. 2, 72 und den Wertungen der §§ 305c, 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.74

IV. Übermittlung von Versicherungsscheinen Der Versicherungsvertreter gilt ferner als bevollmächtigt, die vom VR ausgefertigten Versiche- 39 rungsscheine oder Verlängerungsscheine dem VN zu übermitteln (§ 69 Abs. 1 Nr. 3). Die Ermächtigung des Vertreters stimmt mit der früheren Regelung (§ 43 Nr. 3 VVG a.F.) überein. Sie erfasst auch Einzelpolicen und Versicherungszertifikate nach § 55 Abs. 1, die bei laufenden Versicherungen vom VR ausgestellt werden.75 Der Vertreter gilt als bevollmächtigt, Versicherungs- oder Verlängerungsscheine (§ 4 Abs. 1) dem VN zu übermitteln. Die Vertretungsfiktion des § 69 Abs. 1 Nr. 3 erstreckt sich nicht darauf, einen Versicherungsschein in Vertretung des VR für diesen entgegenzunehmen. So ist der VR nach § 55 Abs. 1 i.R.d. laufenden Versicherung „nur gegen Vorlage der Urkunde zur Leistung verpflichtet“. Liegt die Urkunde dem Versicherungsvertreter, nicht aber dem VR vor, so ist der VR folglich erst dann zur Leistung verpflichtet, wenn der Vertreter ihm die Urkunde weitergibt. Das Gleiche gilt, wenn im Vertrag bestimmt ist, dass der VR nur gegen Rückgabe eines als Urkunde ausgestellten Versicherungsscheines zu leisten hat (§ 4 Abs. 2). Übermittelt der Vertreter für den VR den Versicherungsschein, so trägt der VR das Risiko des Abhandenkommens. In diesem Fall hat der VR seine Verpflichtung aus § 3 Abs. 1, dem VN einen Versicherungsschein zu übermitteln, nicht erfüllt. Er hat den Originalversicherungsschein folglich noch einmal zu übermitteln und die Kosten dafür zu tragen.76 Es handelt sich nicht um den in § 3 Abs. 3 geregelten Fall, wonach ein Versicherungsschein, der dem VN bereits wirksam zugegangen ist, abhanden kommt oder vernichtet wird. Nur für diesen Fall, in dem der VR seine Pflicht zur Übermittlung des Originalversicherungsscheines erfüllt hat, trägt der VN die Kosten für den Ersatzversicherungsschein nach § 3 Abs. 5.

V. Die Inkassovollmacht (§ 69 Abs. 2) In § 69 Abs. 2 wird den Versicherungsvertretern – nicht den Maklern77 – durch den Gesetzgeber 40 eine Inkassovollmacht zugewiesen. Zahlungen, die der VN im Zusammenhang mit der Vermittlung oder dem Abschluss eines VV an den Versicherungsvertreter leistet, darf dieser entgegennehmen. Eine Beschränkung dieser Vollmacht muss der VN nur gegen sich gelten lassen, wenn er die Beschränkung bei der Vornahme der Zahlung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Systematisch gehört diese Regelung zu § 64 in den Kontext der Zahlungssicherung zu- 41 gunsten des VN. Aus diesem Grunde war § 69 Abs. 2 zunächst auch in § 42f VVG a.F. (als Abs. 1) angesiedelt. Mit dem Inkrafttreten des VVG am 1.1.2008 hat sich der Gesetzgeber – aus nicht offen gelegten Gründen – entschlossen, den systematischen Zusammenhang zur Zahlungssicherung aufzugeben und Abs. 1 des früheren § 42f VVG a.F. in § 69 zu integrieren. Für den Leser ist dies verwirrend, weil man erwartet, die Regelungen über die Zahlungssicherung in § 64 vollständig vorzufinden. Inhaltlich setzt § 69 Abs. 2 die in Art. 4 Abs. 4a der Vermittlerrichtlinie vorgesehene Kun- 42 dengeldsicherung um.78 Hierbei handelt es sich – so der Gesetzgeber – um die unbürokra-

74 75 76 77 78 967

Vertiefend Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 31 Rn. 19. BTDrucks. 16/3945 S. 77. Bruck/Möller/Möller § 3 Anm. 17; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 3 Rn. 28. Für diese gilt die Pflicht zur Sicherheitsleistung nach §§ 12 ff. VersVermV. BTDrucks. 16/1935 S. 26. Schwintowski

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tischste und praktikabelste Alternative.79 Die Zugangsfiktion greift nicht, wenn dem Kunden bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass der Vertreter nicht zur Entgegennahme von Zahlungen bevollmächtigt ist.80 Der Kunde, der z.B. trotz eines deutlichen Hinweises des VR auf das Nichtbestehen einer Inkassovollmacht an den Versicherungsvertreter zahlt, ist regelmäßig nicht schutzwürdig.81 Es liegt jedoch kein Fall grober Fahrlässigkeit vor, wenn es sich lediglich um einen standardisierten Hinweis in den AGB handelt.82 Für die Versicherungsmakler ist eine Inkassovollmacht unangemessen, da der Makler auf 43 Seiten des Kunden steht.83 Soweit Versicherungsvermittler, Makler und Vertreter nicht bevollmächtigt sind oder als bevollmächtigt gelten, wird von der Verordnungsermächtigung in § 34e GewO Gebrauch gemacht und ein an die Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) angelehntes Sicherungssystem etabliert.84 Der Versicherungsvertreter darf Zahlungen, die der VN in Zusammenhang mit der Vermitt44 lung oder dem Abschluss eines VV an ihn leistet, annehmen. Damit sind – bei Vermittlung einer Nettopolice – Provisionszahlungen ebenso wie die Zahlung der Erstprämie (§ 37) gemeint. Aber auch Folgeprämien (§ 38) sind erfasst. Sie stehen zwar nicht im Zusammenhang mit dem Abschluss, aber doch im Zusammenhang mit der Vermittlung des VV.85 Dies ergibt im Zweifel eine europarechtskonforme Interpretation des § 69 Abs. 2, denn nach der Vermittlerrichtlinie (Art. 4 Abs. 4a) sollen ganz allgemein Gelder, die vom VN an den Vermittler gezahlt wurden, so behandelt werden, als seien sie direkt an den VR gezahlt worden. Eine Beschränkung der dem Versicherungsvertreter nach § 69 Abs. 2 zustehenden Vertre45 tungsmacht durch AVB ist gegenüber dem VN und Dritten unwirksam (§ 72).86 Folglich kann sich die nach § 69 Abs. 2 Satz 2 zulässige Beschränkung der Vertretungsmacht nur auf solche Fälle beziehen, in denen die Beschränkung individuell vereinbart wird. Die hiergegen von Reiff vorgebrachten Bedenken überzeugen nicht.87 Ein deutlich hervorgehobener Hinweis im Antragsformular genügt nicht, weil Antragsfragen, Inhalt und Umfang der Antworten des VN bestimmen, also Grundlage der Risikobewertung durch den VR werden, und damit AVB sind oder doch zumindest zu den den Vertragsschluss begleitenden Umständen (§ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB) gehören. Auf Letztere ist § 307 BGB anzuwenden.88 Das Gleiche dürfte auch für die den Vertragsschluss begleitenden Statusinformationen nach § 15 Abs. 1 VersVermV gelten, sodass es nicht genügen würde, in der Statusinformation darauf hinzuweisen, dass der Versicherungsvertreter keine Inkassovollmacht hat.89

VI. Die Beweislast (§ 69 Abs. 3) 46 Die Frage der Beweislastverteilung wird in § 69 Abs. 3 entsprechend den vom BGH entwickelten Grundsätzen klargestellt.90 Danach trifft den VR die Beweislast dafür, dass der VN seine vorvertragliche Anzeigepflicht nach § 19 oder eine Obliegenheit verletzt hat. Bei allen anderen Willens-

79 80 81 82 83 84 85

BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26. BTDrucks. 16/1935 S. 26 – vgl. die Kommentierung zu § 64. Wie hier Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 84; Reiff VersR 2007 727; Prölss/Martin/Dörner § 69 Rn. 25; a.A. Niederleithinger VersR 2006 437, 445. 86 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 87 Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 86, 87. 88 Vertiefend Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 28 ff. 89 A.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 87. 90 BTDrucks. 16/3945 S. 77. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

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erklärungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 liegt die Beweislast beim VN, wenn die Abgabe oder der Inhalt der Erklärung streitig ist.91 Folglich trifft die Beweislast den VN dann, wenn es um die „Abgabe oder den Inhalt eines Antrages oder einer sonstigen Willenserklärung“ geht. Gemeint ist nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Norm eine vom VN selbst abgegebene Willenserklärung oder ein vom VN stammender Antrag. Behauptet demgegenüber der VR, der VN habe einen Antrag gestellt, der beispielsweise seinen Versicherungsschutz einschränke, so fehlt es an der Abgabe eines Antrags oder einer sonstigen Willenserklärung durch den VN – § 69 Abs. 3 Satz 1 ist nicht anwendbar. Für diesen Fall, den Reiff gebildet hat,92 enthält § 69 Abs. 3 keine Beweislastregelung – es gelten die allgemeinen Regeln, wonach derjenige, der sich auf eine für ihn günstige Tatsache beruft (hier der VR), diese zu beweisen hat. Dieses Beispiel zeigt, dass § 69 Abs. 3 nur für einige wichtige Fälle die Beweisregeln festlegt, während in anderen Fällen die allgemeinen Grundsätze heranzuziehen sind. Die Beweislast für die Verletzung der Anzeigepflicht (etwa nach § 19) oder einer Obliegenheit (§ 28) trägt der VR. Der VR hat daher nachzuweisen, dass der VN im maßgeblichen Zeitraum bekannte und erfragte Gefahrumstände nicht angezeigt hat.93 Der VR hat ferner nachzuweisen, dass ein Gefahrumstand so erheblich war, dass der VN ihn hätte anzeigen müssen.94 Die Beweislast dafür, dass der VN im Zuge der Antragstellung eine Obliegenheitsverletzung durch unzutreffende Beantwortung von Gesundheitsfragen begangen hat, liegt stets beim VR.95 Diesen Beweis kann er allerdings nicht allein mit der Vorlage des vom Vertreter ausgefüllten Antragsformulars, sondern regelmäßig nur durch eine Aussage des Versicherungsvertreters führen, sofern der VN substantiiert behauptet, den Vertreter mündlich zutreffend unterrichtet zu haben.96 Damit wird dem VR nur eine andere Art der Beweisführung abverlangt, die aber nicht die Beweislast berührt. Die Beweislast trägt der VR deshalb, weil er sich auf eine Obliegenheitsverletzung beruft, die ihn begünstigt, weil sie ihn zur Anfechtung oder zum Rücktritt berechtigt und somit rechtsvernichtende Wirkung hat.97 I.R. von Obliegenheitsverletzungen vor oder nach dem Versicherungsfall trägt der VR, wenn er Leistungen insgesamt vermeiden will, die Beweislast für Vorsatz.98 Von grober Fahrlässigkeit muss sich dagegen der VN entlasten, wenn er – trotz der objektiven Obliegenheitsverletzung – die volle Leistung des VR erhalten will.99 Andererseits geht es bei Beantwortung von vorformulierten Antragsfragen nicht zulasten des künftigen VN, wenn der Vertreter durch einschränkende Bemerkungen zu den Fragen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist.100 Dies bedeutet, dass der VR allein mit dem Inhalt des von seinem Vertreter ausgefüllten Antragsformulars nicht den Beweis führen kann, der VN habe falsche Angaben gemacht, sofern dieser seinerseits substantiiert behauptet, den Vertreter mündlich zutreffend unterrichtet und damit seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit erfüllt zu haben.101 Dabei wird in Zukunft die Dokumentation eine bedeutende Rolle spielen, denn aus ihr müsste sich – wenn sie denn gut gemacht ist – ergeben, welche Angaben der VN dem Vertreter gemacht hat und warum im Einzelfall Informationen, die der VN gegeben hat, nicht in den Antrag übernommen wurden.

91 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 92 Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 89. 93 Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 146. 94 Rixecker ZfS 2007 369, 370; Marlow/Spuhl 39; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 147 m.w.N. 95 BGH 3.7.2002, VersR 2002 1089. 96 BGH 23.5.1989, BGHZ 107 323, 325; 3.7.2002, VersR 2002 1089 Rn. 31. 97 BGH 3.7.2002, VersR 2002 1089 Rn. 31. 98 BTDrucks. 16/3945 S. 69. 99 BTDrucks. 16/3945 S. 69. 100 BGH 10.10.2001, VersR 2001 1541. 101 BGH 27.2.2008, VersR 2008 765. 969

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Gesetzliche Vollmacht

Gelingt es dem VN – z.B. unter Rückgriff auf die Dokumentation – seinerseits substantiiert zu behaupten, den Vertreter mündlich unterrichtet zu haben, so obliegt es dem VR in einem solchen Fall darzulegen und gegebenenfalls – im Regelfall durch die Aussage seines Vertreters – zu beweisen, dass der VN diesen auch mündlich unzutreffend unterrichtet hat.102 Die Gefahr einer einseitigen Beweisbelastung des VR, wie sie von Reiff angedeutet wird („zufällig“ stehen Verwandte und Bekannte des VN als Zeugen zur Verfügung)103 besteht, da der Vertreter Zeuge des VR ist, somit nicht. Völlig andere Fragen stellen sich dann, wenn der VN mit dem Versicherungsvertreter arglis53 tig zum Nachteil des VR zusammenwirkt. Eine solche Kollusion – als besonders schwerer Fall des Vollmachtsmissbrauchs104 – setzt dabei voraus, dass der VN auf die Auskunft des Vertreters, eine erhebliche Vorerkrankung sei nicht anzeigepflichtig, nicht vertraut, sondern im Bewusstsein der Anzeigeobliegenheit erkennt und billigt, dass der VR durch das Vorgehen des Vertreters über seinen Gesundheitszustand getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluss des VV beeinflusst wird und er deshalb – im Einvernehmen mit dem Versicherungsvertreter – will, dass die betreffende Erkrankung im Antragsformular unerwähnt bleibt.105 Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung des BGH seit längerem anerkannt, dass der Ver54 tretene (VR) auch in Fällen eines Vollmachtmissbrauchs unterhalb der Schwelle der Kollusion mit dem Vertragspartner im Verhältnis zu diesem geschützt sein kann.106 Voraussetzung dafür ist, dass der Missbrauch aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident ist.107 Dementsprechend hat der BGH an die für § 242 BGB geforderte Evidenz des Vollmachtsmissbrauchs durch einen Versicherungsvertreter einen strengen Maßstab angelegt, der dessen besonderer Stellung Rechnung trägt.108 Der VR, der aufgrund des Vertrauensverhältnisses während der Vertragsverhandlungen dem künftigen VN gegenüber zur Auskunft und Beratung verpflichtet ist, soweit sie dieser benötigt, erfüllt diese Pflicht durch Auskünfte seines Vertreters. Dementsprechend darf der Antragsteller davon ausgehen, dass der Vertreter zur Erteilung solcher Auskünfte regelmäßig auch befugt ist. Mit der Vorgabe von Fragen nach gefahrerheblichen Umständen im Antragsformular hat der VR selbst die Anzeigeobliegenheit so ausgestaltet, dass der künftige VN die Gefahrumstände anhand der ihm gestellten Fragen zu beantworten hat.109 Unterläuft das der Versicherungsvertreter dadurch, dass er dem Antragsteller durch einschränkende Bemerkungen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist, kann dieses Vertreterverhalten nicht zulasten des künftigen VN gehen.110 Den Vertreter hinsichtlich seiner Auskünfte, was von den offenbarten Umständen in das Formular aufzunehmen ist, zu kontrollieren, ist nicht Sache des künftigen VN.111 Mit diesen beweisrechtlichen Grundsätzen verdeutlicht der BGH, dass der Versicherungsvertreter nicht nur Auge-und-Ohr des VR, sondern auch dessen Mund ist, jedenfalls dann, wenn es um die Antragsfragen und die sie ergänzenden, erweiternden oder auch einschränkenden Bemerkungen geht. Das entspricht konzeptionell dem Grundgedanken des § 6, wonach der VR selbst zur Beratung und Dokumentation verpflichtet ist, sich dabei aber durchaus vertreten lassen kann. Dies tut der VR i.d.R. durch seinen Versicherungsvertreter. Bemerkungen, Erläuterungen, Hinweise, Erweiterungen oder Ergänzungen des Versicherungsschutzes, die der Versicherungsvertreter (für den VR) i.R.d. Beratungs- und Dokumentationsgespräches gibt, binden den VR folglich ebenso, wie Anträge oder 52

102 103 104 105 106 107 108 109 110 111

BGH 27.2.2008, VersR 2008 765; 23.5.1989, BGHZ 107 322, 325; 18.12.1991, BGHZ 116 387, 389. Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 91. Fricke VersR 2007 1614, 1615. BGH 14.7.2004, VersR 2004 1297; 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 10. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. BGH 19.4.1994, NJW 1994 2082 unter II.2.a; 29.6.1999, WM 1999 1617 unter I.2.a. BGH 30.1.2002, VersR 2002 425 unter II.3.c; Fricke VersR 2007 1614, 1615. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. BGH 30.1.2002, VersR 2002 425; 10.10.2001, VersR 2001 1541 unter II.1.d; 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13.

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 69

sonstige Erklärungen, die der Antragsteller dem Vertreter zur Kenntnis gibt. Der Versicherungsvertreter ist somit über § 69 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 hinaus nicht nur Empfangsvertreter des VR, sondern zugleich auch dessen Informations-, Beratungs- und Dokumentationsvertreter. Es gilt nicht nur der Satz: „Was dem Vertreter gesagt wird, ist dem VR gesagt“, sondern auch der Satz: „Was der Vertreter i.R.d. Beratung und Dokumentation sagt, hat der VR gesagt.“ Das ändert nichts daran, dass die Vollmacht des Vertreters i.S.d. typischen und gebräuchlichen Vermittlungsvollmacht beschränkt ist – die wenigsten Vermittler haben Abschlussvollmacht (§ 71). Diese (typische) Vollmachtsbeschränkung wirkt im Innenverhältnis zwischen Vermittler und VR. Sollte der Versicherungsvertreter allerdings gegenüber dem Antragsteller die Annahme des Antrags erklären oder eine vorläufige Deckung gewähren, ohne eine entsprechende Vollmacht zu haben, so bindet er über § 6 den VR, es sei denn, der Antragsteller weiß von der Vollmachtsbeschränkung oder kann die Vollmachtsbeschränkung – beispielsweise aus den Statusinformationen – unschwer erkennen, sodass die Erklärungen des Vermittlers in einem solchen Fall nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht dem VR nicht zugerechnet werden.

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§ 70 Kenntnis des Versicherungsvertreters 1

Soweit nach diesem Gesetz die Kenntnis des Versicherers erheblich ist, steht die Kenntnis des Versicherungsvertreters der Kenntnis des Versicherers gleich. 2Dies gilt nicht für die Kenntnis des Versicherungsvertreters, die er außerhalb seiner Tätigkeit als Vertreter und ohne Zusammenhang mit dem betreffenden Versicherungsvertrag erlangt hat.

Schrifttum Schwintowski Der Versicherungsnehmer als Vermittler? VuR 2008 281.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Spezielle Kommentierung

1

I.

Zurechnung der Kenntnis (§ 70 S. 1)

II.

Nichtzurechenbare Kenntnisse (§ 70 15 Satz 2)

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A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Mit § 70 VVG will der Gesetzgeber die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung des BGH bruchlos im VVG verankern.1 Danach steht der empfangsbevollmächtigte Versicherungsvertreter bei Entgegennahme eines Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrages dem VN, bildlich gesprochen, als das Auge und Ohr des Versicherers gegenüber. Was ihm mit Bezug auf die Antragsstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden.2 Hat der Vertreter etwas, was ihm der VN auf die Fragen wahrheitsgemäß mündlich mitgeteilt hat, nicht in das Antragsformular aufgenommen, so hat der VN seine Anzeigeobliegenheit gleichwohl gegenüber dem VR erfüllt.3 Die frühere Regelung in § 44 VVG a.F., wonach die Kenntnis eines Versicherungsvertreters der Kenntnis des VR nicht gleichstand, wurde aufgegeben – § 70 Abs. 1 stellt klar, dass die Kenntnis des Versicherungsvertreters der Kenntnis des VR gleichsteht, soweit nach dem VVG die Kenntnis des VR erheblich ist. 2 Mit diesem Wortlaut wird – wie es in der Gesetzesbegründung zutreffend heißt – die Augeund-Ohr-Rechtsprechung des BGH im VVG implementiert.4 In der Entscheidung des BGH vom 11.11.1987 hatte das Gericht zu Missverständnissen über die Reichweite des § 44 VVG a.F. unter Rückgriff auf den ursprünglichen Regierungsentwurf und die Beratungen der VIII. Kommission Stellung genommen. In den Erläuterungen zum Regierungsentwurf zu § 44 VVG a.F. hieß es:5 1 BTDrucks. 16/3945 S. 77; BGH 5.7.2017 – IV ZR 508/14, NJW-RR 2017 1062 Rn. 15 ff. 2 St.Rspr. BGH 5.7.2017 – IV ZR 508/14, NJW-RR 2017 1062; BGH 24.11.2010 – IV ZR 252/08, NJW 2011 1213; BGH 11.11.1987 – IVa ZR 240/86, NJW 1988 973.

3 BGH 5.7.2017 – IV ZR 508/14, NJW-RR 2017 1062 Rn. 16; BGH 24.11.2010 – IV ZR 252/08, NJW 2011 1213; BGH 22.11.1991 – V ZR 299/90, NJW 1992 828.

4 Erstmals BGH 11.11.1987, VersR 1988 234; seither immer wieder bestätigt, vgl. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765. 5 Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, XI. Legislaturperiode II. Zession, 2. Anlagenband (1906) Aktenstück Nr. 22, S. 1240. Schwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522624-057

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A. Einführung

VVG § 70

„Übrigens wird durch die Art, wie der § 44 und die anderen hierher gehörigen Vorschriften des Entwurfs die Stellung des Vermittlungsagenten gestaltet haben, nicht der Frage vorgegriffen, inwiefern der VN, um Rechtsnachteile von ihm abzuwenden, sich auf das Verhalten des Agenten berufen kann […] So können die Umstände des Falles es rechtfertigen, den VN in Bezug auf eine nicht ordnungsgemäß gemachte Anzeige als entschuldigt anzusehen, wenn er den Fragebogen unter der Anleitung des Agenten ausfüllt oder diesem die Ausfüllung überlässt oder wenn der Agent eine an ihn von dem VN erstattete Anzeige ohne Widerspruch entgegennimmt, obwohl ihm die Befugnis zur Entgegennahme von Anzeigen der betreffenden Art entzogen ist.“6 In den Beratungen der VIII. Kommission kam die Reichweite des § 44 VVG a.F. zur Sprache.7 Es heißt dort: „Hierzu gab ein Vertreter der Regierung auf Anfrage hin die Erläuterung, dass § 44 sich nur auf die Kenntnis des Agenten beziehe, die er ohne Anzeige oder Erklärung (i.S.d. § 43) erlangt habe.“ Hieran anknüpfend hat der BGH im Urteil vom 11.11.19878 klargestellt, dass § 44 VVG a.F. 3 den in § 166 Abs. 1 BGB allgemein für das Zivilrecht normierten Grundsatz der Kenntniszurechnung nicht außer Kraft setzt. Nach § 166 Abs. 1 BGB kommt es für die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände nicht auf die Person des Vertretenen (VR), sondern auf die Person des Vertreters an. Für diese Klarstellung hat der BGH darauf hingewiesen, dass sich eine am Wortlaut des § 44 VVG a.F. haftende – § 166 Abs. 1 BGB außer Kraft setzende – Interpretation schwer mit dem Umstand vereinbaren ließe, dass im Gesetzgebungsverfahren (gemeint ist das Gesetzgebungsverfahren für das VVG 1908) gerade die Schutzwürdigkeit derjenigen Gruppe von VN gesehen und betont worden ist, der die VR für einen beabsichtigten Vertragsabschluss als allein in betracht kommende Kontaktperson einen zu ihrer passiven Stellvertretung bevollmächtigten Versicherungsvertreter gegenüberstellen. Er sei gewolltermaßen bei der Antragstellung der ausschließliche Empfänger von antragsbezogenen Erklärungen des künftigen VN. Wissen des zur passiven Stellvertretung – nämlich zur Entgegennahme von Erklärungen – 4 ermächtigten Versicherungsvertreters, das er in Ausübung der Stellvertretung erlange, schließe es aus, dass der rechtsgeschäftlich vertretene VR unter Berufung auf seine Unkenntnis […] Rechtsfolgen für seine anschließend erklärte Vertragsannahme geltend machen könnte.9 Dies bedeutet, dass der BGH mit der Auge-und-Ohr-Entscheidung vom 11.11.1987 den heu- 5 tigen Wortlaut von § 70 vorweggenommen hat. Auf der einen Seite steht die Kenntnis des Versicherungsvertreters der Kenntnis des VR gleich, soweit nach dem VVG die Kenntnis des VR erheblich ist. Auf der anderen Seite gilt dies nicht für die Kenntnis des Versicherungsvertreters, die er außerhalb seiner Tätigkeit als Vertreter und ohne Zusammenhang mit dem betreffenden VV erlangt hat.

II. Inhalt und Zweck der Regelung Mit § 70 entsteht ein einheitliches Konzept der Kenntniszurechnung im Versicherungsvertrags- 6 recht. Immer dann, wenn nach dem VVG die Kenntnis des VR erheblich ist, steht die Kenntnis des Versicherungsvertreters der Kenntnis des VR gleich. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass dem (gebundenen) Vertrieb des Versicherungsvertreters nach wie vor eine ganz erhebliche Bedeutung in der Praxis zukommt. Wissen des zur passiven Stellvertretung – nämlich zur Entgegennahme von Erklärungen – ermächtigten Versicherungsvertreters, das er in Ausübung der Stellvertretung erlangt, schließt es aus, dass der rechtsgeschäftlich vertretene VR unter Berufung auf seine Unkenntnis bzgl. solcher Umstände, von denen sein Stellvertreter auf

6 So zitiert in BGH 11.11.1987, VersR 1988 234 Rn. 38. 7 Verhandlungen des Reichstages XII. Legislaturperiode, I. Zession, Band 242, Anlagen zu den Stenografischen Berichten, S. 216.

8 BGH 11.11.1987, VersR 1988 234 Rn. 41. 9 BGH 11.11.1987, VersR 1988 234 Rn. 42. 973

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§ 70 VVG

Kenntnis des Versicherungsvertreters

die genannte Weise Kenntnis erlangt hat, Rechtsfolgen für seine anschließend erklärte Vertragsannahme geltend machen könnte.10 7 Der Anwendungsbereich von § 70 umfasst auf der einen Seite die in § 69 Abs. 1 Nr. 1 und 2 geregelten Fälle der Empfangsvollmacht – erweist sich insoweit also als deklaratorisch –, geht aber ansonsten über § 69 Abs. 1 Nr. 1 und 2 hinaus. Wissen, das ein Versicherungsvertreter im Zusammenhang mit der Antragstellung – vor oder nach Vertragsschluss – erlangt, wird nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 und 2 zugerechnet. Teilt der VN dem Versicherungsvertreter bei Beantragung einer Krankenversicherung eine Vorerkrankung mündlich mit, so muss sich der VR dieses Wissen über § 69 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 wie eigenes zurechnen lassen – der VN hat seine Anzeigeobliegenheit aus § 19 Abs. 1 erfüllt.11 § 70 hat in diesem Fall nur deklaratorische Funktion. Das Gleiche gilt für sonstige, das Versicherungsverhältnis betreffende Erklärungen (§ 69 Abs. 1 Nr. 2), z.B. die Obliegenheit des VN, den Versicherungsfall unverzüglich anzuzeigen (§ 30 Abs. 1). Informiert der VN seinen Versicherungsvertreter darüber mündlich, so hat er zugleich seine Anzeigepflicht gegenüber dem VR erfüllt – auch in diesem Fall hätte es § 70 nicht bedurft – die Norm verstärkt den Rechtsgedanken des § 69 Abs. 1 Nr. 2.12 8 Der originäre Anwendungsbereich des § 70 ist jedoch dann eröffnet, wenn der Versicherungsvertreter Kenntnisse, die nach dem VVG erheblich sind, erlangt, ohne darüber vom Antragsteller oder VN informiert zu sein. Sieht der Vertreter beispielsweise, dass der Antragsteller ein reetgedecktes Haus bewohnt, so muss auf diesen gefahrerheblichen Umstand nach § 19 Abs. 1 i.R.d. Antrags auf eine Gebäudeversicherung nicht mehr ausdrücklich hingewiesen werden. Der VR weiß, dass das Haus reetgedeckt ist, weil der Vertreter es weiß. Das Gleiche gilt für die Verglasung, für die Art der Schlösser oder für die Frage, ob das Haus alleinstehend und damit für Diebe besonders gut zugänglich ist. Betritt der Versicherungsvertreter, der über die Verlängerung einer Hausratversicherung sprechen will, das Gebäude und sieht, dass es gerade eingerüstet wird, so hat damit der VR Kenntnis von diesem gefahrerhöhenden Umstand – einer Anzeige durch den VN nach § 23 Abs. 2 bedarf es nicht mehr. Das Gleiche gilt, wenn der Vertreter eine schwere Erkrankung oder Behinderung des Antragstellers erkennt. Ist eine solche Erkrankung oder Behinderung eindeutig erkennbar, so bedarf es keiner weiteren Anzeige des VN nach § 19 Abs. 1 mehr, weil sein Zustand offensichtlich ist – der VR kennt folglich den Zustand des VN. In einem solchen Fall13 verletzt der VN seine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 nicht, weil der VR von seiner Erkrankung/Behinderung Kenntnis hat. Es bedarf also keines Rückgriffs mehr auf § 19 Abs. 5 Satz 2.14

B. Spezielle Kommentierung I. Zurechnung der Kenntnis (§ 70 S. 1) 9 In § 70 S. 1 wird ein eigenständiger Zurechnungstatbestand formuliert – eines Rückgriffs auf § 166 Abs. 1 BGB bedarf es folglich nicht mehr.15 Anders als in § 166 Abs. 1 BGB geht es in § 70 S. 1 auch nicht um die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung, sondern ganz generell um Kenntnisse, die „nach diesem Gesetz“ – gemeint ist das VVG – erheblich sind. Damit sind Kenntnisse jeder Art gemeint, ganz gleichgültig, ob man sie im engeren Sinne als Willens- oder Wissenserklärungen einordnet. § 70 S. 1 differenziert auch nicht zwischen dem Vermittlungsund dem Abschlussvertreter (§ 71). Entscheidend ist allein, ob der Versicherungsvertreter Kennt10 11 12 13 14 15

BGH 11.11.1987, VersR 1988 234 Rn. 42. Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 115. Wie hier Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 116. So OLG Hamm 2.2.1993, VersR 1994 294. Dies verkennt Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 117. A.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 119.

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B. Spezielle Kommentierung

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nisse hat, die nach dem VVG erheblich sind. Ob der Versicherungsvertreter auf der Grundlage dieser Kenntnisse einen gestellten Antrag annehmen oder die Änderung oder Verlängerung eines Vertrages wirksam vereinbaren darf, ist eine davon zu trennende, ganz eigenständige Frage, die unter § 71 fällt. Die Kenntnis des VR ist „nach diesem Gesetz erheblich“, wenn und soweit das VVG oder der an das VVG knüpfende Antrag oder der auf dem VVG beruhende Vertrag den Antragsteller oder VN verpflichtet, den VR über bestimmte Tatsachen oder Umstände in Kenntnis zu setzen. Dies betrifft vor allem die Gefahrumstände, die der VN nach § 19 Abs. 1 dem VR mitzuteilen hat. Ferner geht es um die Anzeige von Gefahrerhöhungen nach § 23 Abs. 2 oder um die Anzeige (§ 30) und die Aufklärung des Versicherungsfalles (§ 31). Mitzuteilen hat der VN ferner eine Änderung seiner Anschrift oder seines Namens (§ 13). Bei der Versicherung für fremde Rechnung ist auch die Kenntnis und das Verhalten des Versicherten zu berücksichtigen (§ 47 Abs. 1). Hierhin gehört ferner die Anmeldepflicht bei der laufenden Versicherung nach § 53. Gemeint sind auch Kündigungserklärungen – etwa nach dem Versicherungsfall (§ 92) oder nach Veräußerung (§ 96). Auch die Anzeigepflicht des VN nach § 104 in der Haftpflichtversicherung ist gemeint, ebenso der Widerruf nach §§ 8, 152 oder die Einräumung einer Bezugsberechtigung in der Lebensversicherung (§ 159). Neben diesen – nicht abschließenden – Beispielen stehen jene Tatsachen und Umstände, die nach dem zu schließenden oder geschlossenen VV für den VR erkennbar von Bedeutung sind. Soweit es sich um gefahrerhebliche Umstände handelt, stellt § 19 Abs. 1 klar, dass sich die Anzeigepflicht des VN auf solche bekannten Gefahrumstände beschränkt, nach denen der VR in Textform gefragt hat. Auf diese Weise wird die bis zum 31.12.2007 bestandene Unsicherheit darüber, welcher Gefahrumstand für den VR nach seiner Tarifkalkulation als gefahrerheblich gilt, beseitigt. Hat der Versicherungsvertreter – beispielsweise durch die Inaugenscheinnahme des zu versichernden Hauses – Kenntnis von einem Gefahrumstand (z.B. Reetdach), so ändert sich an dieser Kenntnis nichts dadurch, dass der Antragsteller die ihm gestellte Frage: „Harte Bedachung?“ fälschlicherweise bejaht – möglicherweise deshalb, weil ihm der Unterschied zwischen harter und weicher Bedachung als versicherungstechnischer Begriff nicht geläufig ist. In einem solchen Fall ändert sich an der Kenntnis, die der VR durch Zurechnung des Wissens seines Vertreters vom Reetdach hat, nichts – die fehlerhafte Aussage des VN, die der Vertreter aus der Perspektive seiner Beratungs- und Dokumentationspflicht nicht unwidersprochen hätte dokumentieren dürfen, beseitigt die positive Kenntnis über den tatsächlichen Zustand des Daches nicht. Auch die Frage einer arglistigen Täuschung (§ 22) stellt sich nicht, weil Vertreter und VR zutreffende Kenntnis haben, sodass es in jedem Fall an der Verletzung der Anzeigepflicht fehlt.16 Zur Frage der Wissenszurechnung bzgl. EDV-gespeicherter Daten bei konzernverbundenen Unternehmen verbleibt es bei der höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach welcher der VR sich die gespeicherten Kenntnisse eines Konzernunternehmens zurechnen lassen muss, wenn er Veranlassung hatte und in der Lage war, die entsprechende Daten abzurufen.17 Der Vorschlag der VVG-Reformkommission,18 wonach sich der VR die Kenntnis eines anderen VR von Daten des VN hätte zurechnen lassen müssen, wenn er Veranlassung hatte und in der Lage war, die bei dem anderen VR gespeicherten Daten abzurufen, ist nicht Gesetz geworden. Grundsätzlich sind dem VR alle Daten über einen VN bekannt, die er in Datenbanken gespeichert hat, soweit Anlass besteht, sie abzurufen.19 Ein Anlass, Daten abzurufen, besteht jedenfalls dann, wenn der Antragsteller im Antrag auf das Bestehen eines anderen VV bei dem VR hinweist. Das Gleiche gilt, wenn er auf das Vorhandensein von Daten in der Datensammlung 16 17 18 19

Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 136. BTDrucks. 16/3945 S. 77. Abschlussbericht vom 19.4.2004, S. 40, 210. BGH 10.9.2003, NJW-RR 2003 1603; 14.7.1993, VersR 1993 1089; 18.12.1991, VersR 1992 217; 13.12.1989, VersR 1990 258; OLG Hamm 10.12.1997, RuS 1998 473. 975

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Kenntnis des Versicherungsvertreters

des VR verweist.20 Ein Lebensversicherer kann sich der Kenntnis bestehender Verträge nicht dadurch entziehen, dass er mehrere Verträge für dieselbe Person in verschiedenen Abteilungen so verwaltet, als handele es sich bei diesen um jeweils selbständige Unternehmen, die nichts miteinander zu tun haben.21 Der Hinweis auf die Datensammlung eines anderen VR genügt, wenn der VN im Antragsformular darin eingewilligt hat, auf die im Verbund mit dem anderen VR stehenden Daten zurückgreifen zu dürfen.22 Erlangt der VR über die UniwagnisDatei23 Kenntnisse über das Risiko oder den VN, so soll dies die Aufklärungsobliegenheiten des VN derzeit unberührt lassen.24 Dies ist jedenfalls mit § 70 S. 1 nur dann in Einklang zu bringen, wenn die aus der Uniwagnis-Datei gefilterten Kenntnisse keine hinreichenden und sicheren Rückschlüsse auf eine bestimmte Risikosituation des VN erlauben. Sind Zweifel über bestimmte Tatsachen und Umstände hingegen ausgeschlossen, so handelt ein VR treuwidrig, wenn er sich trotz der bestehenden Kenntnis auf Unkenntnis beruft. 14 Der VR kann allein mit dem Inhalt des von seinem Vertreter ausgefüllten Antragsformulars nicht Beweis führen, dass der VN hinsichtlich seiner Vorerkrankungen falsche Angaben gemacht hat, sofern dieser substantiiert behauptet, den Vertreter mündlich über Vorerkrankungen, ärztliche Untersuchungen oder Behandlungen unterrichtet zu haben.25 In diesem Fall muss der VR darlegen und – im Regelfall durch Aussage seines Vertreters – beweisen, dass der Vertreter dem VN die Antragsfragen zu eigenverantwortlicher (mündlicher) Beantwortung vorgelesen hat.26 Maßgeblich für die Frage, ob der VN – auch objektiv – falsche Angaben gemacht hat, sind in einem solchen Falle allein die Angaben, die er gegenüber dem Vertreter mündlich gemacht hat. Das der VN im Antragsformular die Fragen nach Vorerkrankungen verneinte, ist für sich genommen unerheblich; es kommt allein auf seine mündlichen Erklärungen an.27

II. Nichtzurechenbare Kenntnisse (§ 70 Satz 2) 15 Eine Wissenszurechnung findet nach § 70 Satz 2 nur dann nicht statt, wenn der Versicherungsvertreter seine Kenntnis außerhalb seiner Vertretertätigkeit und ohne Zusammenhang mit dem betreffenden VV erlangt, d.h. wo es sich um privat erworbenes Wissen handelt.28 So bleibt ein gebäudeversicherter VN, bei Aufstellung eines Baugerüstes, auch dann zur Anzeige der Gefahrerhöhung verpflichtet, wenn der Versicherungsvertreter später erklärt, beim gelegentlichen Durchfahren der Straße das Baugerüst durchaus gesehen zu haben. Bemerkt der Vertreter bei einer familiären Feier, eine schwere Erkrankung oder Behinderung bei einem der Anwesenden, so erlangt er dieses Wissen außerhalb seiner Vertretertätigkeit. Bittet ihn diese Person später – z.B. telefonisch – zum Abschluss einer Krankenversicherung, so wird dieses zunächst privat erworbene Wissen nunmehr in den Zusammenhang mit dem avisierten VV gestellt und insoweit nach § 70 Satz 1 zurechenbar.29 16 Teilt ein VN dem Vertreter in Bezug auf eine Krankenversicherung Tatsachen mit, die auch für seinen Lebensversicherungsvertrag von Bedeutung sind, so ist die Kenntnis dieser Tatsachen

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Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 138. Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 139 unter Hinweis auf BGH 10.9.2003, NJW-RR 2003 1603. BGH 14.7.1993, VersR 1993 1089; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle § 19 Rn. 140. Ein seit dem Jahr 1993 eingerichtetes Hinweis- und Informationssystem der Versicherungswirtschaft (HIS); vertiefend dazu Schwintowski VuR 2008 281. 24 BGH 17.1.2007, VersR 2007 481. 25 BGH 5.7.2017 – IV ZR 508/14, NJW-RR 2017 1062 Rn. 17; BGH 24.11.2010 – IV ZR 252/08, NJW 2011 1213 Rn. 26; BGH 23.5.1989 – Iva ZR 72/88, NJW 1989 2060. 26 BGH 5.7.2017 – IV ZR 508/14, NJW-RR 2017 1062 Rn. 17; BGH 13.3.1991 – IV ZR 218/90, NJW 1991 1891. 27 BGH 5.7.2017 – IV ZR 508/14, NJW-RR 2017 1062 Rn. 17. 28 BTDrucks. 16/3945 S. 77. 29 Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 129 unter Hinweis auf OGH 19.3.2003, VersR 2004 538. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 70

auch dem LebensVR zuzurechnen.30 Zuzurechnen sind Kenntnisse, die der Vertreter im Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit erfährt.31 Wird der Vertreter auf einer privaten Feier in seiner Rolle als Versicherungsvertreter kontaktiert, so findet die Zurechnung ebenfalls nach § 70 Satz 1 statt.32 Der Vertreter weiß von einem Leitungswasserschaden, wenn er davon als Nachbar Kenntnis erlangt.33

30 31 32 33

OLG Oldenburg VersR 1995, 175; a.A. OLG München 30.9.2003 – 25 U 2913/03, VersR 2004 181. LG Hamburg 24.5.1984 – 2 O 19/84, VersR 1985 329; anders OLG Köln RuS 1986 43. Prölss/Martin/Dörner § 70 Rn 7. OLG Nürnberg RuS 1991 349; Vgl. auch: OLG Celle VersR 2005 1342: Erkrankung eines Familienangehörigen bei Abschluss einer Krankenversicherung. 977

Schwintowski

§ 71 Abschlussvollmacht Ist der Versicherungsvertreter zum Abschluss von Versicherungsverträgen bevollmächtigt, ist er auch befugt, die Änderung oder Verlängerung solcher Verträge zu vereinbaren sowie Kündigungs- und Rücktrittserklärungen abzugeben.

Schrifttum Voss Zur Frage der Rechtstellung des Versicherungsvertreters bei Verwendung von Blockpolicen, VW 1961 81.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Spezielle Kommentierung

2 5

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Mit § 71 wird die Regelung des § 45 VVG a.F. unverändert beibehalten.1 Dagegen wird auf die Sonderregelung des § 46 VVG a.F. für den Bezirksvertreter verzichtet, da örtliche Beschränkungen in der Versicherungswirtschaft praktisch nicht vorkommen.2

II. Inhalt und Zweck der Regelung 2 Die Norm klärt, dass der Versicherungsvertreter – nicht der Makler – auch zum Abschluss von VV bevollmächtigt sein kann. Verfügt er über eine Abschlussvollmacht, so ist er auch befugt, die Änderung oder Verlängerung solcher Verträge zu vereinbaren, sowie Kündigungs- und Rücktrittserklärungen abzugeben. Damit wird die Abschlussvollmacht, die rechtsgeschäftlich zu erteilen ist (§ 167 Abs. 1 BGB), in ihrem Umfang gesetzlich präzisiert und standardisiert. Der Gesetzgeber schafft auf diese Weise für den Rechtsverkehr Rechtssicherheit. In der Literatur3 wurde darauf hingewiesen, dass die Vorschrift weitgehend überholt sei, 3 nachdem die Rechtsprechung mit der Auge-und-Ohr-Judikatur und der Vertrauenshaftung des VR für seinen Versicherungsvertreter die Befugnisse, die nach dem VVG dem Abschlussagenten zukommen sollen, im Wesentlichen auch auf den Vermittlungsvertreter übertragen habe. Dies ist nicht völlig überzeugend, denn der bloß mit der Vermittlung von VV betraute Vertreter 4 (§ 59 Abs. 2) ist nicht zum Abschluss von VV bevollmächtigt. Er kann auch nicht die Änderung oder Verlängerung solcher Verträge vereinbaren sowie Kündigungs- und Rücktrittserklärungen abgeben.

B. Spezielle Kommentierung 5 Die Abschlussvollmacht ist eine dem Versicherungsvertreter – nicht dem Makler – erteilte rechtsgeschäftliche Vollmacht zum Abschluss von VV. Die Erteilung der Vollmacht erfolgt durch 1 BTDrucks. 16/3945. 2 BTDrucks. 16/3945 S. 78. 3 Römer/Langheid2 § 45 Rn. 1. Schwintowski https://doi.org/10.1515/9783110522624-058

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 71

Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden oder einem Dritten, demgegenüber die Vertretung stattfinden soll (§ 167 Abs. 1 BGB). Hat jemand durch besondere Mitteilung an einen Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung kundgegeben, dass er einen anderen bevollmächtigt habe, so ist dieser aufgrund der Kundgebung im ersteren Falle dem Dritten gegenüber, im letzteren Falle jedem Dritten gegenüber zur Vertretung befugt (§ 171 Abs. 1 BGB). Der besonderen Mitteilung einer Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber steht es gleich, wenn dieser dem Vertreter eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und der Vertreter sie dem Dritten vorlegt (§ 172 Abs. 1 BGB). Lässt es der Vertretene (VR) wissentlich geschehen, dass ein bloß mit der Vermittlung betrauter Versicherungsvertreter (§ 59 Abs. 2) für ihn wie ein Abschlussvertreter (§ 71) auftritt, so dass der VN/Antragsteller dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin versteht und auch verstehen darf, dass der Versicherungsvertreter Abschlussvollmacht hat, liegt eine Duldungsvollmacht4 vor; das Verhalten des Abschlussvertreters ist dem VR so zuzurechnen, als hätte er eine Abschlussvollmacht nach § 71 erteilt. Eine Abschlussvollmacht kann sich auch aus den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht ergeben. Eine Anscheinsvollmacht ist gegeben, wenn der Vertretene (VR) das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der andere Teil (VN/Antragsteller) annehmen durfte, der Vertretene (VR) dulde und billige das Handeln des Vertreters.5 Die Tatsache, dass ein Versicherungsvertreter inkassobevollmächtigt ist, ergibt sich bereits aus § 69 Abs. 2 – daraus folgt nicht, dass der Vertreter zugleich Abschlussvollmacht hat.6 Auch aus der Bezeichnung „Generalagentur“ folgt nicht, dass der Vertreter über eine Abschlussvollmacht verfügt.7 Richtig ist, dass ein Versicherungsvertreter, der beispielsweise den Inhalt eines Vertrages auch gegenüber anders lautenden AVB verändert, den VR nach § 6 bindet. Dadurch wird er aber nicht zum Abschlussvertreter. Überlässt der VR dem Vermittler dagegen vorformulierte und vom VR bereits unterschriebene Policen (Blockpolicen), sodass es nunmehr in der Hand des Vermittlers liegt, den Vertrag mit Wirkung gegen den VR zu schließen, liegt eine Abschlussvollmacht vor, inhaltlich begrenzt auf den Versicherungszweig, der jeweils betroffen ist (z.B. die Reisegepäckversicherung).8 Die vorläufige Deckung ist ebenfalls ein selbständiger VV, der einen endgültigen VV in Aussicht stellt, aber bereits sofortige Deckung gewährt.9 Versicherungsvertreter haben häufig die Vollmacht, Deckungszusagen zu erteilen. Wenn und soweit dies der Fall ist, sind sie Abschlussvertreter nach § 71. Erteilt der Versicherungsvertreter ohne Berechtigung, Deckungszusagen zu erteilen, diese trotzdem, so ist diese Erklärung nach den Grundsätzen der Duldungsoder Anscheinsvollmacht dem VR zuzurechnen, es sei denn, der Antragsteller hätte bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können und müssen, dass der Versicherungsvertreter keine Deckungszusage erteilen darf.10 Der Abschlussagent ist bevollmächtigt, VV abzuschließen, zu ändern oder zu verlängern. In der Änderung sind auch Verkürzungen erfasst.11 Der Abschlussvertreter kann auch solche Verträge ändern, die nicht von ihm abgeschlossen wurden.12 Darüber hinaus stellt § 71 klar, dass der Abschlussvertreter auch Kündigungs- und Rücktrittserklärungen abgeben darf. Damit ist der Abschlussvertreter zugleich berechtigt, Prämien zu stunden und nach § 38 anzumah4 BGH 14.5.2002, NJW 2002 2325; 10.3.2004, NJW-RR 2004 1275, 1277. 5 BGH 12.3.1981, NJW 1981 1728; 5.3.1998, NJW 1998 1854; Langheid/Rixecker/Rixecker § 71 Rn. 2. 6 Römer/Langheid2 § 45 Rn. 2. 7 OLG Köln 30.8.1990, RuS 1990 325; Langheid/Rixecker/Rixecker § 45 Rn. 2. 8 So AG München vom 12.2.1979, VersR 1979 1052; vertiefend zu Blockpolicen Voss VW 1961 81. 9 RG 16.10.1923, RGZ 107 198; vertiefend Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 49 Rn. 1 ff. 10 Langheid/Rixecker/Rixecker § 71 Rn. 2. 11 OLG Nürnberg 20.6.1966, VersR 1966 1070. 12 LG Krefeld 9.11.1977, RuS 1983 107, 109. 979

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§ 71 VVG

Abschlussvollmacht

nen.13 Regulierungszusagen umfasst die Abschlussvollmacht nicht; der Abschlussvertreter ist auch nicht für den VR zur Prozessführung befugt.14

13 Langheid/Rixecker/Rixecker § 45 Rn. 3 m.w.N. 14 Langheid/Rixecker/Rixecker § 45 Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 112; Prölss/Martin/Dörner § 71 Rn. 5. Schwintowski

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§ 72 Beschränkung der Vertretungsmacht Eine Beschränkung der dem Versicherungsvertreter nach den §§ 69 und 71 zustehenden Vertretungsmacht durch Allgemeine Versicherungsbedingungen ist gegenüber dem Versicherungsnehmer und Dritten unwirksam.

Schrifttum Armbrüster Privatversicherungsrecht (2013); Fricke Beweislast und Beweisführung bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht – eine kritische Würdigung der Rechtsprechung des BGH, VersR 2007 1614; Leverenz Auswirkungen des „Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr“ auf die Versicherungswirtschaft, VersR 2002 1318; Wandt Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016).

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

1

II.

Inhalt und Zweck der Regelung

B.

Spezielle Kommentierung

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A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Gegenstand der Regelung ist, wie früher in § 47 VVG a.F., die Frage, inwieweit eine Beschrän- 1 kung der dem Versicherungsvertreter gesetzlich eingeräumten Vertretungsmacht, die zwischen VR und Versicherungsvertreter vereinbart ist, dem VN oder einem sonstigen Dritten entgegengehalten werden kann.1 Nach § 47 VVG a.F. musste sich ein Dritter eine solche Beschränkung entgegenhalten lassen, wenn er die Beschränkung bei Vornahme des Geschäftes oder der Rechtshandlung kannte oder grob fahrlässig nicht kannte.2 Nach der Rechtsprechung des BGH sind Beschränkungen, die der VR für Erklärungen vor Vertragsschluss durch die vereinbarten AGB durchsetzen will, unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB und damit unwirksam.3

II. Inhalt und Zweck der Regelung Mit § 72 wird diese Rechtsprechung aufgegriffen und erstreckt sich auch auf die Beschränkun- 2 gen der Empfangsvollmacht des Vertreters für Erklärungen nach Vertragsschluss (§ 69 Abs. 1 Nr. 2), da eine Differenzierung zwischen Erklärungen vor Vertragsschluss und solchen nach Vertragsschluss nicht sachgerecht ist.4 Die Vorschrift schließt daher zum Schutz des VN generell aus, dass ihm Beschränkungen 3 der dem Vertreter nach den §§ 69 und 71 eingeräumten Vollmacht über die AVB entgegengehalten werden können.5 Dies gilt auch im Verhältnis zu Dritten, wie z.B. dem Erwerber nach § 96 Abs. 2. 1 2 3 4 5

BTDrucks. 16/3945 S. 78. BTDrucks. 16/3945 S. 78. BTDrucks. 16/3945 S. 78; BGH 18.12.1991, VersR 1992 217; BVerwG 25.6.1998, VersR 1998 1137 m. Anm. Präve. BTDrucks. 16/3945 S. 78. BTDrucks. 16/3945.

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§ 72 VVG

Beschränkung der Vertretungsmacht

B. Spezielle Kommentierung 4 Eine Beschränkung der dem Versicherungsvertreter nach den §§ 69 und 71 zustehenden Vertretungsmacht durch AVB ist gegenüber dem VN und Dritten unwirksam, so heißt es in § 72. Unter den Begriff AVB fallen alle vom VR vorformulierten Vertragsbedingungen, selbst wenn sie nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der VN aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Erfasst sind folglich neben den klassischen AVB auch das Antragsformular, der Versicherungsschein oder das Produktinformationsblatt.6 Die Norm schließt zum Schutz des VN generell aus, dass ihm Beschränkungen der Empfangsvollmacht (§ 69) und der Abschlussvollmacht (§ 71) über AVB entgegengehalten werden können.7 Dies gilt auch im Verhältnis zu Dritten, wie beispielsweise dem Erwerber nach § 96 Abs. 2.8 5 Eine Beschränkung der Empfangsvollmacht nach § 69 Abs. 1 liegt auch in einer Klausel, die für Erklärungen des VN gegenüber dem Vertreter die Schriftform oder Textform verlangt.9 Ausgenommen sind auch hier die Fälle der Arglist und der Kollusion, ohne dass es hierfür einer ausdrücklichen Bestimmung bedarf.10 6 Die Grundsätze für kollusives Zusammenwirken zwischen Versicherungsvertreter und VN sowie den Vollmachtsmissbrauch hat der BGH im Urteil vom 27.2.2008 entwickelt.11 Eine Kollusion – als besonders schwerer Fall des Vollmachtsmissbrauchs12 – setzt voraus, dass der VN auf die Auskunft des Vertreters, eine erhebliche Vorerkrankung sei nicht anzeigepflichtig, nicht vertraut, sondern im Bewusstsein der Anzeigeobliegenheit erkennt und billigt, dass der VR durch das Vorgehen des Vertreters über seinen Gesundheitszustand getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluss des VV beeinflusst wird und er deshalb – im Einvernehmen mit dem Versicherungsvertreter – will, dass die betreffende Erkrankung im Antragsformular unerwähnt bleibt.13 7 Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung des BGH seit längerem anerkannt, dass der Vertretene (VR) auch in Fällen eines Vollmachtsmissbrauchs unterhalb der Schwelle der Kollusion mit dem Vertragspartner im Verhältnis zu diesem geschützt sein kann. Voraussetzung ist hierfür, dass der Missbrauch aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident ist.14 Dementsprechend hat der BGH an die für § 242 BGB geforderte Evidenz des Vollmachtsmissbrauchs durch einen Versicherungsvertreter einen strengen Maßstab angelegt, der dessen besonderer Stellung Rechnung trägt.15 Der VR, der aufgrund des Vertrauensverhältnisses zwischen den Vertragsverhandlungen dem künftigen VN gegenüber zur Auskunft und Beratung verpflichtet ist, soweit sie dieser benötigt (§ 6), erfüllt diese Pflicht durch Auskünfte seines Vertreters.16 Folglich darf der Antragsteller davon ausgehen, dass der Vertreter zur Erteilung solcher Auskünfte regelmäßig auch befugt ist.17 8 Mit der Vorgabe von Fragen nach gefahrerheblichen Umständen im Antragsformular hat der VR selbst die Anzeigeobliegenheit so ausgestaltet, dass der künftige VN die Gefahrumstände anhand der ihm gestellten Fragen zu beantworten hat. Unterläuft das der Versicherungsvertreter 6 Wie hier Beckmann/Matusche-Beckmann/Reiff § 5 Rn. 74. 7 BTDrucks. 16/3945 S. 78. 8 BTDrucks. 16/3945 S. 78. 9 BTDrucks. 16/3945 S. 78. 10 BTDrucks. 16/3945 S. 78. 11 BGH 27.2.2008, VersR 2008 765. 12 Fricke VersR 2007 1614, 1615. 13 BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 10 unter Hinweis auf BGH 14.7.2004, VersR 2004 1297. 14 BGH 19.4.1994, NJW 1994 2082 unter II.2.a; 29.6.1999, WM 1999 1617 unter I.2.a; 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. 15 BGH 30.1.2002, VersR 2002 425 unter II.3.c; Fricke VersR 2007 1614, 1615. 16 BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. 17 BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. Schwintowski

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B. Spezielle Kommentierung

VVG § 72

dadurch, dass er dem Antragsteller durch einschränkende Bemerkungen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist, kann dieses Vertreterverhalten nicht zu Lasten des künftigen VN gehen.18 Den Vertreter hinsichtlich seiner Auskünfte, was von den offenbarten Umständen in das Formular aufzunehmen ist, zu kontrollieren, ist nicht Sache des künftigen VN.19 Von den Fällen der Kollusion und des Missbrauchs der Vertretungsmacht abgesehen ist eine Beschränkung der Vertretungsmacht nach § 72 möglich, wenn diese Beschränkung zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt ist – in diesem Fall liegen keine AVB i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB vor. Folglich hat die individuelle Vertragsabrede Vorrang vor AVB (§ 305b BGB).20 Nicht ausgeschlossen sind nach der Gesetzesbegründung Klauseln, wonach bestimmte Willenserklärungen oder Anzeigen des VN gegenüber dem VR, z.B. die Änderung eines Bezugsrechtes oder die Anzeige einer Abtretung, der Schriftform bedürfen.21 Damit knüpft die Gesetzesbegründung an § 32 Satz 2 an, wonach für bestimmte Anzeigen (vorvertragliche Gefahrumstände, Obliegenheiten sowie Auskünfte zur Feststellung des Versicherungsfalles) die Schrift- oder die Textform vereinbart werden kann. Allerdings ist eine vergleichbare Beschränkung der dem Versicherungsvertreter zustehenden Vertretungsmacht durch AVB dem VN und dem Dritten gegenüber nach § 72 unwirksam. Dies führt zu einem kaum auflösbaren Wertungswiderspruch. Zeigt der VN dem Vertreter des VR ordnungsgemäß an, so wirkt dies unmittelbar für und gegen den VR. Ausgehend von dieser gesetzlich vorgeschriebenen Wirkung erscheint eine Schriftformklausel in den AVB, die die Schriftform auf den VR beschränkt, für den VN überraschend (§ 305c BGB), aber auch unangemessen (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), weil das Abweichen der AVB im Verhältnis zum VR von § 69 Abs. 1 Nr. 2 mit wesentlichen Grundgedanken dieser gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist. Der VR, der Kenntnis hat, wenn seinem Vertreter vom VN oder einem Dritten mündlich oder konkludent Auskunft gegeben wurde, kann sich nicht darauf berufen, er wisse von nichts, wenn dieselbe Anzeige nicht dem Vertreter, sondern ihm gegenüber direkt erfolgte. Für die Anzeige des Versicherungsfalles ergibt sich dies darüber hinaus aus § 30 Abs. 2. Hat der VR durch fehlerhafte Anzeige vom Versicherungsfall i.S.d. § 30 Abs. 2 anderweitig Kenntnis erlangt, so bleiben etwaige Formfehler folgenlos.22 Aus diesen Gründen sind Klauseln in AVB, die die Schrift- oder Textform vorsehen, auch dann problematisch, wenn es um die Anzeigen geht, die vom VN direkt an den VR gerichtet werden (§ 32 Satz 2). Der VN müsste zwischen Erklärungen, die er unmittelbar an den VR addressiert und solchen die dem VR bei seinem Vertreter zugehen sollen, differenzieren. Der durchschnittliche VN ohne spezifische Rechtskenntnisse dürfte diese Differenzierung nicht vornehmen können.23 Eine solche Klausel ist überraschend (§ 305c BGB). Sie verstößt aber auch gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).24 Zumindest müsste der VN vom VR darauf hingewiesen werden, dass die Anzeigen bei Einschaltung eines Vertreters auch mündlich erfolgen können.25 Für die Lebensversicherung wird im Bereich der Abtretungs- und Verpfändungssanzeigen sowie für Einräumung und Widerruf von Bezugsberechtigungen erwogen, Schriftformklauseln 18 19 20 21 22

BGH 30.1.2002, VersR 2002 425; 10.10.2001, VersR 2001 1541 unter II.1.d; 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. BGH 27.2.2008, VersR 2008 765 Rn. 13. Wie hier Reiff VerR-HB2 § 5 Rn. 74. BTDrucks. 16/3945 S. 78. So auch BGH 9.12.1965, VersR 1966 152, 154; ähnlich OLG Köln 19.8.1997, VersR 1998 1105; OLG Hamburg 30.3.1982, VersR 1982 1161; Praxishinweise bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski § 32, Rn. 9. 23 Prölss/Martin/Dörner § 72 Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Münkel § 72 Rn. 13. 24 Prölss/Martin/Dörner § 72 Rn. 10. 25 Langheid/Wandt/Reiff § 72 Rn 16a; a.A. Langheid/Rixecker/Rixecker § 72 Rn. 2; Wandt Rn. 423; Armbrüster Rn. 673. 983

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Beschränkung der Vertretungsmacht

weiterhin zu gestatten.26 Dies müsste im Wortlaut des § 72 klargestellt werden, um Gleichlauf zwischen Erkläungen an der VR und den Vertreter zu erreichen.27 Derzeit ist es jedenfalls widersprüchlich, dass der VN eine Bezugsberechtigung zwar nicht gegenüber dem VR, wohl aber gegenüber dem Vertreter mündlich widerrufen kann. Dieser Widerspruch sollte (teleologisch) dadurch aufgelöst werden, dass auch gegenüber dem VR mündliche Erklärungen wirksam sind. Der Schutz des VN findet in diesen Fällen über das Beweisrecht statt. 14 In der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass es möglich sei, die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung sowohl für den VR als auch für den Vertreter zu vereinbaren.28 Problematisch ist, dass das Gesetz (§ 72) mit Blick auf den Vertreter genau das Gegenteil vorschreibt. Die Regelung ist nach ihrem Wortlaut zwingend, das heißt, sie kann nicht durch vertragliche Vereinbarungen beschränkt werden. Ist Schriftform vereinbart, so muss der VN die Erklärungen im Regelfall eigenhändig durch 15 Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigtem Handzeichen unterzeichnen (§§ 127 Abs. 1, 126 Abs. 1 BGB analog). Der Schriftform genügt auch eine E-Mail, ebenso wie ein Telefax oder ein Telegramm.29 Eine eigenhändige Unterschrift ist in diesen Fällen nicht erforderlich, aus der Erklärung muss sich aber eindeutig ergeben, wer sie abgegeben hat und auf welches Versicherungsverhältnis sie sich bezieht.30 Die Schriftform kann durch elektronische Form ersetzt werden.31 Ist Textform vereinbart, so muss die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe von Schriftzeichen geeignete Weise abgegeben, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Namensunterschrift oder anderes erkennbar gemacht werden.32 16 Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Anzeigen, die gegenüber dem Versicherungsvertreter mündlich wirksam abgegeben werden können, zugleich auch den VR binden.33 Dies ergibt sich auch aus §§ 19 Abs. 5 Satz 2, 26 Abs. 2 Satz 1, denn die Kenntnis des VR – gleichgültig, wie sie zu dem VR gelangt ist – schließt Rücktritt, Kündigung und Leistungsfreiheit aus.

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Langheid/Wandt/Reiff § 72 Rn. 17 ff. Ähnlich Prölss/Martin/Dörner § 73 Rn. 11. BTDrucks. 16/3945 S. 78. Palandt/Ellenberger § 127 Rn. 2; Leverenz VersR 2002 1318, 1326. BGH 21.2.1996, NJW-RR 1996 641. Qualifizierte Signatur: §§ 126 Abs. 3, 126a Abs. 1, 127 Abs. 3 BGB analog. § 126b BGB analog; Leverenz VersR 2002 1318, 1322. BGH 9.12.1965, VersR 1966 153.

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§ 73 Angestellte und nicht gewerbsmäßig tätige Vermittler Die §§ 69 bis 72 sind auf Angestellte eines Versicherers, die mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Versicherungsverträgen betraut sind, und auf Personen, die als Vertreter selbständig Versicherungsverträge vermitteln oder abschließen, ohne gewerbsmäßig tätig zu sein, entsprechend anzuwenden.

A. Einführung Bereits im bis 31.12.2007 geltenden Recht war in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass 1 die Vorschriften der §§ 43 bis 48 VVG a.F. nicht nur für selbständige Vertreter, sondern auch für angestellte Vermittler eines VR gelten. Dies wird nunmehr in § 73 ausdrücklich klargestellt.1

B. Spezielle Kommentierung Für die Wissenszurechnung beim VR gilt somit die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung auch für die 2 in § 73 genannten Personen.2 Den mit der Vermittlung betrauten Angestellten des VR stehen solche Angestellte gleich, die mit ausdrücklicher oder auch stillschweigender Zustimmung des VR nach außen als Vermittler auftreten.3 Zusätzlich werden zum Schutz der VN die selbständigen Vermittler erfasst, die zwar von 3 einem VR oder einem Versicherungsvertreter mit der Vermittlung oder dem Abschluss von VV betraut sind, ihre Tätigkeit aber nicht gewerbsmäßig ausüben und daher keine Versicherungsvertreter i.S.d. § 59 Abs. 2 sind.4 Gemeint sind nicht Gelegenheitsvermittler, die nach § 34d Abs. 8 GewO von der Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO freigestellt sind, denn diese handeln gewerbsmäßig, fallen also ohnehin in den Anwendungsbereich der §§ 69 bis 72.5 Gemeint sind solche Personen, die nicht gewerbsmäßig vermitteln, die also nebenberuflich hin und wieder Versicherungen vertreiben (Feierabendvertreter).6 Die Regelung erstreckt sich nicht auf Personen, die als Makler eine Vermittlungstätigkeit ausüben, da in diesen Fällen die für die Anwendung der §§ 69 bis 72 maßgebliche Verbindung mit dem VR in aller Regel fehlt.7 Das Gleiche gilt für den Versicherungsberater. Ganz generell ist § 73 nicht anwendbar auf die Rückversicherung und die Seeversicherung und damit auch nicht auf Personen, die lediglich selbständig solche Versicherungsverträge vermitteln (§ 209).8

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BTDrucks. 16/3945 S. 78. BTDrucks. 16/3945 S. 78. BTDrucks. 16/3945 S. 78. BTDrucks. 16/3945 S. 78. Langheid/Rixecker/Rixecker § 73 Rn. 2. Langheid/Rixecker/Rixecker § 73 Rn. 2. BTDrucks. 16/3945 S. 78. Looschelders/Pohlmann/Koch § 73 Rn. 3.

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Schwintowski

Sachregister

A Abholung der Prämie 33 69 ff. Abnutzung 27 13 Abschlussvollmacht 71 1 ff. – Anscheinsvollmacht 71 7 – Blockpolicen 71 8 – Duldungsvollmacht 71 6 – Regulierungszusagen 71 10 – Urkunde 71 5 – vorläufige Deckung 71 9 Abschreibepolice 53 14 Absichten 23 15 ff. abweichende Vereinbarungen s. AVB Additionsmodell 28 219 AGG 19 46 f. Aktivenversicherung 48 17 aktives Tun 23 50 ff. Akzessorietät der Rechtsstellung 44 9 Alarmanlage 23 118 Alles-oder-nichts-Prinzip – Gefahränderung 57 4, 57 14 – Gefahrerhöhung Vor 23 1 – Obliegenheit 28 1 f. – Obliegenheitsverletzung 58 4 – Quotelung 28 199 alternativlose Maßnahmen 23 44 Alterungsprozess 27 13 Altverträge 19 5, s.a. Übergangsrecht Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums 19 134 Angemessenheit – Prämienanpassung 25 14 – Prämienherabsetzung 41 15 anlassbezogene Beratung 61 15 ff. – bestmögliches Interesse 61 20 – Risikoanalyse 61 17 – Umfang der Verpflichtung 61 16 – Verfehlung des Versicherungszwecks 61 26 Anmeldepflichtverletzung 54 1 ff., 54 4 ff. – Beweislast 54 21 – grobe Fahrlässigkeit 54 10 – Kündigung des VR 54 14 ff. – Leistungsfreiheit 54 5 ff., 54 10 ff. – Prämie 54 20 – Schadensersatz 54 12 – Vorsatz 54 10 Annahmeverzug 34 15 987 https://doi.org/10.1515/9783110522624-061

Anscheinsvollmacht – Abschlussvollmacht 71 7 – Betrauung 59 85 Antragsprüfung 19 91 ff. Anzeige 30 24 ff. – elektronische Kommunikation 30 26 – Empfangszuständigkeit 30 29 – Entbehrlichkeit 30 23 – Form 30 24 ff. – Formfehler 30 27 – Formvereinbarungen 30 25 – Inhalt 30 28 – Schriftform 30 24 – Umfang 30 28 – unverzügliche ~ 30 30 ff. – Zeitpunkt 30 30 ff. Anzeigeobliegenheiten s.a. Anzeigepflicht – Leistungsfreiheit 28 187 – objektive Gefahrerhöhung 23 107 Anzeigepflicht 19 1 ff. – Altverträge 19 5 – Antragsprüfung 19 91 ff. – Anwendungsbereich, sachlicher 19 13 f. – Anwendungsbereich, zeitlicher 19 15 f. – anzeigepflichtige Umstände 19 26 ff., s.a. dort – Anzeigepflichtiger 19 19 ff., s.a. dort – Anzeigepflichtverletzung 19 79 ff., s.a. dort – AVB 19 164 ff. – Belehrungspflicht 19 11 – Berufsunfähigkeitsversicherung 19 14 – Beweislast des VN 19 175 ff. – Beweislast des VR 19 172 ff. – Beweislastklauseln 19 171 – bis zur Annahme 19 71 ff. – bis zur Vertragserklärung 19 67 ff. – Erklärungsempfänger 19 74 ff., s.a. dort – erweiterte ~ 19 71 – Form von Anzeigen/Erklärungen 19 167 ff. – Formvereinbarungen 32 25 ff., s.a. dort – Gefahränderung 57 8 ff. – gefahrerhebliche Umstände 23 7 ff. – Gefahrerhöhung Vor 23 1 ff., Vor 23 5 ff., 23 140, s.a. dort – gesetzliche Obliegenheit 19 6 – Gleichstellung Versicherter-VN 47 23 – halbzwingende Vorschriften 32 20, 32 22 – Invitatio-Modell 19 69 – Krankenversicherung 19 14 Klie

Sachregister

– Kündigung des VN 19 12 – Kündigung des VR 19 136 ff., s.a. dort – laufende Versicherung 19 14 – Lebensversicherung 19 14 – Nachfrageobliegenheit 19 91 ff. – Nachmeldepflicht 19 71 ff. – objektive Gefahrerhöhung 23 107 – Obliegenheit 19 6 – Renewal-Fragebogen 19 15 – Risikoausschlusserweiterung 19 166 – Rücktritt des VR 19 8 ff., 19 97 ff., s.a. dort – Rückversicherung 19 13 – Rückwärtsversicherung 19 14 – ruhende Versicherung 19 16 – Seeversicherung 19 13 – subjektive Gefahrerhöhung 23 91 ff. – subjektive Umstände 19 51 f. – Transportversicherung 19 14 – Übergangsrecht 19 4 f. – Umfang 19 7 – Versicherungsfall 30 1 ff., s.a. Anzeigepflicht Versicherungsfall – Vertragsänderungen 19 15 – Vertragserklärung 19 7, 19 67 ff. – Vertragsgefahr 19 51 – Vertragsverlängerung 19 16 – Vertreter des VN 20 2 – Voraussetzungen 19 19 ff. – vorläufige Deckung 19 17 f., Vor 49 58 ff. – vorvertragliche ~ 19 1 ff. – VVG 2008 19 4 f. – Zeitpunkt 19 7, 19 67 ff. – Zweck 19 6 Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 1 ff. – Anzeige 30 24 ff., s.a. dort – Anzeigepflichtverletzung 30 38 ff., s.a. dort – AVB 30 53 – Beweislast 30 54 – Bewertung als Versicherungsfall 30 21 – Disparität der Rechtsfolgen 30 8 – Dritte 30 2, 30 36 f. – Eintritt des Versicherungsfalls 30 15 f. – Entbehrlichkeit der Anzeige 30 23 – Entwicklung 30 1 f. – fahrlässige Unkenntnis 30 22 – Formvereinbarungen 32 26 – gedehnte Versicherungsfälle 30 15 – Haftpflichtversicherung 30 6 – Informationsasymmetrie 30 4 – Informationsobliegenheit, gesetzliche 30 4, 30 11 ff. – Kenntnis der Ereignisse 30 19 Klie

– Kenntnis des Versicherungsverhältnisses 30 20 – Kenntnis des VN 30 17 ff. – leistungsberechtigte Dritte 30 10 – Rechtsnatur 30 11 ff. – Regelungsbedürfnis 30 7 – Schadensersatz 30 13 – Unfallversicherung 30 16 – Verpflichtete 30 8 ff. – Versicherungsnehmer 30 9 – Voraussetzungen 30 15 ff. – Wissenserklärung 30 14 anzeigepflichtige Umstände 19 26 ff. – Erheblichkeit 19 63 ff. – Frage des Versicherers 19 27 ff., s.a. dort – Gefahrumstände 19 37 ff., s.a. dort – Kenntnis des VN 19 55 ff., s.a. dort Anzeigepflichtiger 19 19 ff. – Gehilfe beim Ausfüllen 19 22 – Repräsentanten 19 20 – Versicherung für fremde Rechnung 19 25 – Versicherungsnehmer 19 19 – Vertreter des VN 19 20 – Wissenserklärungsvertreter 19 21 Anzeigepflichtverletzung 19 79 ff., 30 38 ff. – Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums 19 134 – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 38 ff. – Arglistanfechtung 56 19 – Ausübung der VR-Rechte 21 1 ff., s.a. dort – AVB 30 53 – Belehrungspflicht 30 46 – Beweislast 30 54 – Blankoerklärungen 19 85 f. – culpa in contrahendo 19 134 – deliktische Ansprüche 19 135 – DTV-Güter 2000/2011 56 26 – Einzelrisiken 56 7 – fehlende Kausalität 21 35 ff., 21 40 ff. – fehlende Kenntnis des VR 30 47 f. – Gefahränderung 57 13 ff. – Geheimhaltungsinteresse 19 84 – grobe Fahrlässigkeit 30 43 f. – Inhalt 56 9 – Kausalität 30 45 f. – kollusives Zusammenwirken 19 88 – Konkurrenzen 19 134 f. – Kündigung des VR 19 136 ff., s.a. dort – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 35 – laufende Versicherung 56 3 ff. – Leistungsfreiheit 30 39 f. – Leistungskürzung 30 39 f., 30 43 f. – Leistungsverweigerungsrecht 56 16 ff. – Missbrauch der Vertretungsmacht 19 87 ff. 988

Sachregister

– mündliche ~ 19 80 – Nichtbeantwortung von Fragen 19 82 – Rücktritt des VR 19 97 ff., s.a. dort – Schadensersatz 30 49 ff. – Streichungen 19 83 – Umfang 56 9 – unrichtige Umstände 19 79 – Verschulden 30 42 ff. – Verschweigen 19 79 – Vertragsanpassung 19 108 ff., 19 144 ff., s.a. dort – Vorsatz 30 42 Äquivalenz des Verhaltens 28 184 Äquivalenzprinzip 40 51 Arbeitsorganisation 28 129 Arglistanfechtung 22 7 ff. – Anfechtungserklärung 22 28 – Anfechtungsfrist 22 29 ff. – Anzeigepflichtverletzung 56 19 – arglistige Täuschung 22 8 ff., s.a. dort – Ausschlussfrist 22 32 f. – AVB 22 41 – Beweislast 22 42 ff., 22 48 f. – deliktische Ansprüche 22 40 – Entfall der Obliegenheit 28 71 – Konkurrenzen 22 40 – Krankenversicherung 22 38 – Lebensversicherung 22 38 – Leistungen des VN 22 37 f. – Leistungen des VR 22 39 – Leistungsfreiheit 22 36 – Nachfrageobliegenheit 19 96 – Nichtigkeit des Vertrages 22 34 ff. – Prämie 22 37 – Rechtsfolgen 22 34 ff. – Rücktritt des VR 19 130 – Täuschungshandlung 22 8 ff. – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 14 – Versicherung für fremde Rechnung 43 66 ff. – Vertrauensschutz 22 35 – vorläufige Deckung Vor 49 60 – vorzeitige Vertragsbeendigung 39 11 arglistige Täuschung 22 1 ff. – Alkoholabhängigkeit 22 22 – Anfechtung wegen ~ 22 7, 22 28 ff., s.a. dort – Ausschlussfrist 21 50 f. – Bedeutung der Fehlvorstellung 22 24 ff. – Belegpflichtverletzung 31 106 ff. – Bewusstsein über Fehlvorstellung des VR 22 24 ff. – Dritte 22 18 – erfragte Umstände 22 9 – fehlende Kausalität 21 44 f. 989

– Fehlvorstellung des VR 22 12 ff. – Gefahrumstände 22 1, 22 5 – Gleichstellung Versicherter-VN 47 24 – Indizien 22 45 – Kausalität 22 16, 22 46 – Kenntnis der Unrichtigkeit 22 21 ff. – Leistungsfreiheit 28 169 ff. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 47 f. – mehrdeutige Fragen 22 23 – Nachfrageobliegenheit 19 96, 22 12 – nicht erfragte Umstände 22 10 f. – Obliegenheitsverletzung 28 12 – Person des Täuschenden 22 17 ff. – Personenversicherung 22 24 – Rücktritt des VR 19 130 – Sachversicherung 22 25 – Schweigepflicht 22 44 – Sperrwirkung 22 4 – subjektive Gefahrumstände 22 26 – subjektiver Tatbestand 22 20 ff. – Täuschungshandlung 22 8 ff. – Übergangsrecht 22 3 – unklare Fragen 22 23 – Versicherung für fremde Rechnung 22 17 – Versicherungsberater 22 19 – Versicherungsmakler 22 19 – Versicherungsvertreter 22 13 – Vertragsänderungen 22 6 – vorläufige Deckung 22 6 – Widerrechtlichkeit 22 15 – Wissenserklärungsvertreter 22 14 Arglistzurechnung 20 14 f. Arzt 19 77 Assecuradeure 59 57 Aufgebotsverfahren 55 19 Aufklärungsbedürfnis 30 64 Aufklärungsobliegenheiten 47 21 Aufrechnung – Prämie 36 31 ff. – Rechte des Versicherten 44 21 – Verfügungsbefugnis des VN 45 25 – VN als Treuhänder 46 20 – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 39 f. Aufrechnung des VR 35 1 ff. – Abdingbarkeit 35 19 – Anwendungsbereich 35 7 ff. – Aufrechnungsrecht gegenüber Dritten 35 10 ff. – Ausübung 35 16 f. – Bezugsberechtigte 35 11 – Dritte 35 10 ff. – Erlöschen der Forderungen 35 18 Klie

Sachregister

– erweiterte ~ 35 9 – Gleichartigkeit 35 14 f. – Haftpflichtversicherung 35 7 – Hypothekengläubiger 35 11 – Leasinggeber 35 10 – Pfandgläubiger 35 12 – Pflicht-Haftpflichtversicherung 35 7 – qualifizierte Konnexität 35 13 – Rechtsfolgen 35 18 – Rückwirkung 35 18 – Vertrag zugunsten Dritter 35 5 – Voraussetzungen 35 10 ff. – Zweck 35 3 Auge-und-Ohr-Rechtsprechung – gesetzliche Vollmacht 69 8 – Kenntnis des Versicherungsvertreters 70 1 f. – Versicherungsvermittler 59 3 Auskehrungsverpflichtung 46 12 ff. Auskunft 31 39 ff. – Aufklärungsbedürfnis 30 64 – Begriff 31 39 – berechtigte Fragen 30 47 ff. – Berichtigung falscher Auskünfte 30 69 ff. – elektronische Kommunikation 30 44 – Empfangszuständigkeit 30 74 f. – Falschauskünfte, folgenlose 30 64 – falsche Angaben 30 52 – fehlende Angaben 30 53 ff. – Form 31 41 ff. – Formvereinbarungen 30 42 – Fragenkatalog 30 48 f. – gestufter Dialog 30 62 – informationelle Selbstbestimmung 30 62 – informierter VR 30 64 – Inhalt 30 46 ff. – inkonsistente Angaben 30 59 – Nachforschungen des VR 30 65 ff. – präsente Informationen des VR 30 65 – Rechtsnatur 31 40 – Rechtzeitigkeit 30 76 f. – Richtigkeitsgebot 30 63 ff. – Rückfrageobliegenheit 30 50 – Schadensanzeige 31 41 – spontane Anzeigeobliegenheit 30 61 – Textform 30 42 – Umfang 30 46 ff. – Uniwagnis-Datei 30 67 – weitere ~ 30 60 f. – Wissenserklärung 31 40 Auskunftsperson 28 112 Klie

Auskunftspflicht des VN 31 1 ff. – Auskunft 31 39 ff., s.a. dort – AVB 31 79 ff. – Belegpflicht 31 7, 31 82 ff., s.a. dort – berechtigtes Auskunftsverlangen 31 21 ff., s.a. dort – Dauerobliegenheit 31 35, 31 78 – Dritte 31 17, 31 93 f. – Eintritt des Versicherungsfalls 31 20 – Entwicklung 31 1 – Erbfall 31 16 – Erkundigungsobliegenheit 31 19 – erweiterte ~ 31 79 ff. – Falschauskünfte, bewusste 31 9 – Formvereinbarungen 32 26 – gestufter Dialog 31 4 – Informationsobliegenheit 31 2 – Informationsvorsprung 31 3 – Kenntnis des VN 31 33 f. – Kfz-Haftpflichtversicherung 31 80 – kooperative Regulierung 31 2 – Leistungsfreiheit 31 6 – Obliegenheit 31 18 – Pflichtversicherung 31 11 – Prüfungsbereitschaft des VR 31 35 ff. – Rechtsnatur 31 18 f. – Regelungsbedürfnis 31 12 – Repräsentanten 31 15 – Schadensersatz 31 8 – verhaltene Obliegenheit 31 21 – Verlassen der Unfallstelle 31 80 – Verpflichtete 31 14 ff. – Versicherungsnehmer 31 14 ff. – VN als Treuhänder 46 24 f. – Voraussetzungen 31 20 ff. – Wissenserklärungsvertreter 31 14 Auslandsrechte – Gleichstellung Versicherter-VN 47 62 – Rechte des Versicherten 44 54 – Rechtsverhältnis VN-Versicherter 46 48 – Verfügungsbefugnis des VN 45 51 – Versicherung für fremde Rechnung 43 83 – Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 43 Ausschlussfrist 21 47 ff. – allgemeine ~ 21 47 ff. – Arglistanfechtung 22 32 f. – arglistige Täuschung 21 50 f. – Ausübung der VR-Rechte 21 6 ff., 21 47 ff. – AVB 21 58 – fünfjährige ~ 21 47 ff. – Krankenversicherung 21 52 990

Sachregister

– Lebensversicherung 21 53 – Obliegenheit 28 36 – verlängerte ~ 21 50 f. – Vorsatz 21 50 f. Ausschlussklauseln Vor 49 62 ff. Ausschlusstheorie 28 22, 28 24 Ausübung der VR-Rechte 21 1 ff. – Ausschlussfrist 21 6 ff., 21 47 ff., s.a. dort – Ausübungsfrist 21 22 ff. – AVB 21 54 ff. – Begründung 21 15 ff. – Feuerversicherung 21 10 – Fristablauf 21 29 f. – Fristbeginn 21 23 ff. – Krankenversicherung 21 10 – Lebensversicherung 21 10 – Leistungsfreiheit 21 31 ff., s.a. dort – Pflicht-Haftpflichtversicherung 21 10 – Rücktrittserklärung 21 11 ff. – Rückversicherung 21 9 – Schriftform 21 14 – Seeversicherung 21 9 – Transportversicherung 21 10 – Übergangsrecht 21 3 ff. – Vertragsanpassungserklärung 21 11 ff. – Zustellungsbevollmächtigte 21 55 ff. automatisiertes Fahrsystem 23 136 AVB – Anzeigepflicht 19 164 ff. – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 53 – Anzeigepflichtverletzung 30 53 – Arglistanfechtung 22 41 – Auskunftspflicht des VN 31 79 ff. – Ausschlussfrist 21 58 – Ausübung der VR-Rechte 21 54 ff. – Belegpflicht 31 110 – Belegpflichtverletzung 31 98 – Beschränkung der Vertretungsmacht 72 4, 72 12 – Formvereinbarungen 32 28 – Gefahrerhöhung 23 151 ff. – halbzwingende Vorschriften 32 36 – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 55 f. – Leistungsfreiheit 28 250 ff. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 56 – Obliegenheit 28 60 ff. – Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 29 ff. – Prämienherabsetzung 41 18 f. – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 13 – unerhebliche Gefahrerhöhung 27 16 ff. – Verfügungsbefugnis des VN 45 46 ff. – Vertragsanpassung 19 111, 19 145 991

– Vertreter des VN 20 18 – vorläufige Deckung Vor 49 50 ff., 49 18 ff. – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 88 B Bagatelltätigkeiten 59 36 Bank 19 77 Barzahlung 36 30 Basistarif 33 41 Baugerüst 23 117 Bedarfsmarktkonzept 60 15 Beendigung der vorläufigen Deckung 52 1 ff. – Abdingbarkeit 52 58 ff. – Abweichungen vom Antrag 52 47 f. – befristete vorläufige Deckung 52 56 f. – Belehrungspflicht 52 30 ff. – Beweislast 52 61 f. – Erlöschen ex tunc 52 36 – gleichartiger Versicherungsschutz 52 4 ff., 52 7 ff., 52 37 ff. – Kündigung 52 49 ff. – Kündigung, außerordentliche 52 55 – Mehrfachversicherung 52 3 – Mitteilungen an bisherigen Versicherer 52 40 f. – nachträgliches Erlöschen des Hauptvertrags 52 15 ff. – nachträgliches Erlöschen durch Rückwärtsversicherung 52 18 ff. – Scheitern des Hauptvertrags 52 13 f. – Versicherungsschutz nach Prämienzahlung 52 21 ff. – Widerruf des Hauptvertrags 52 43 ff. – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 52 24 ff. Befriedigungsvorrecht 46 40 ff. Begünstigte eines Regressverzichts 43 20 Begünstigungsverbot 59 268 ff. Behandlungen 19 31 Beitrag 33 11 Beitragszuschlag 33 15 Belegpflicht 31 7, 31 82 ff. – AVB 31 110 – Begriff 31 82 – Belegpflichtverletzung 31 95 ff., s.a. dort – Belegverschaffung 31 88 f. – berechtigtes Belegverlangen 31 85 – Beweislast 31 110 – Billigkeit 31 87 – Dritte 31 93 f. – Eintritt des Versicherungsfalls 31 84 – Empfangszuständigkeit 31 92 – Existenz von Belegen 31 86 – Nichteintritt der Fälligkeit 31 105 Klie

Sachregister

– Obliegenheitsverletzung 31 95 ff. – Originale 31 89 – Rechtsnatur 31 83 – Richtigkeitsgebot 31 90 f. – Versicherungsvertreter 31 92 – Voraussetzungen 31 84 ff. Belegpflichtverletzung – arglistige Täuschung 31 106 ff. – AVB 31 98 – Belehrungspflicht 31 102 f. – grobe Fahrlässigkeit 31 100 – Kausalität 31 101 – Leistungsfreiheit 31 96 ff. – Leistungskürzung 31 96 ff. – Schadensersatz 31 104 – Verschulden 31 99 f. – Vorsatz 31 99 Belehrungspflicht 28 189 ff. – Adressat der Belehrung 28 191 – anlassbezogene ~ 28 197 – Anzeigepflicht 19 11 – Anzeigepflichtverletzung 30 46 – Beendigung der vorläufigen Deckung 52 30 ff. – Belegpflichtverletzung 31 102 f. – Belehrungsmuster 28 196 – Beweislast 28 246 – elektronische Kommunikation 28 192 – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 55 ff. – gesonderte Mitteilung 28 193 – information overkill 28 195 – Inhalt der Belehrung 28 195 – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 22 ff. – Leistungsfreiheit 28 165, 28 181, 28 189 ff. – Mitversicherter 28 191 – Obliegenheit 28 2 – qualifizierte Mahnung 38 46 ff. – Quotelung 28 228 – Schriftform 28 192 – Sprache 28 194 – Textform 28 192 – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 46 ff. Beratungs-/Dokumentationspflicht Vor 49 54 ff., 61 1 ff. – anlassbezogene Beratung 61 15 ff., s.a. dort – Bedürfnisse 61 33 ff. – Befragungspflicht des Vermittlers 61 7 ff. – Beratungs-/Dokumentationsverzicht 61 55 ff., s.a. dort – Beratungspflichtverletzung 63 30 ff. – Dokumentation 61 5, 61 50 ff. – Dokumentationspflichtverletzung 63 25 ff. Klie

– Haftungsbegrenzung 67 24 – informierte Entscheidung 61 4 – Privatautonomie 61 4 – Produktvergleich 61 39 – Rat 61 49 – Risikoanalyse 61 35, 61 38, 61 42 – Verhältnis Beratungsaufwand-Prämie 61 45 ff. – Vorfeldwirkung 61 6 – Wünsche 61 33 ff. – Zweck 61 3 Beratungs-/Dokumentationsverzicht 61 55 ff. – eigenes Dokument 61 56 – Fernabsatz 61 67 – Maklervollmacht 61 63 – stillschweigender ~ 61 66 – Textform 61 55, 61 67 – unüberlegter ~ 61 71 – Versicherungsmakler 61 62 – Versicherungsvermittler 67 11 ff. Beratungsfehler 63 42 ff. – Deckungsumfang 63 42 ff. – Einbruchdiebstahlversicherung 63 69 – Haftpflichtversicherung 63 64 ff. – Kfz-Haftpflichtversicherung 63 51 ff. – Kfz-Kaskoversicherung 63 51 ff. – Kofferraumklausel 63 70 – Krankenversicherung 63 72 ff. – Lebensversicherung 63 78 ff. – Rechtsschutzversicherung 63 70 – Rentenversicherung 63 89 ff. – Sturmversicherung 63 69 – Unterversicherung 63 71 – vorläufige Deckung 63 51 ff. Beratungsgrundlage – Abhängigkeitslagen 60 9 – Bedarfsmarktkonzept 60 15 – eingeschränkte VR-auswahl 60 19 – hinreichende Zahl 60 10 ff. – Maklermarkt 60 12 – statusergänzende Informationen 60 7 – Statusinformationen 60 7 – suitable advice 60 16 – Versicherungsvermittler 60 7 – zeitliche Marktabgrenzung 60 14 Beratungspflichtverletzung 63 31 ff. Beratungsverzicht 63 24 berechtigte Fragen 30 47 ff. berechtigtes Auskunftsverlangen 31 21 ff. – Begriff 31 21 f. – Berechtigung 31 26 ff. – Berufsunfähigkeitsversicherung 31 30 – Beurteilungsspielraum 31 27 f. 992

Sachregister

– Einschätzungsprärogative 31 27 – Erforderlichkeit 31 29 – Form 31 25 – Mehrfachversicherung 31 30 – Mitversicherung 31 24 – Moral Hazard 31 29 – Prüfung der Vertragswirksamkeit 31 31 – Rechtsnatur 31 23 – Risikoprüfung 31 31 – Textform 31 25 – Vermögensschadenshaftpflichtversicherung 31 30 – vor Eintritt des Versicherungsfalls 31 32 Bereicherungsausgleich 45 38 ff. Berufshaftpflichtversicherung – Versicherungsmakler 59 212 – Versicherungsvermittlerverordnung 59 309 ff. Berufsunfähigkeitsversicherung – Anzeigepflicht 19 14 – berechtigtes Auskunftsverlangen 31 30 – Daten als Prämie 33 32 – Gefahrerhöhung 23 160 – indizierende Umstände 19 54 – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 7 – objektive Gefahrumstände 19 40 f. – Rücktritt des VR 19 133 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 46, Vor 43 60 Beschränkung der Vertretungsmacht 72 1 ff. – AVB 72 4, 72 12 – kollusives Zusammenwirken 72 6 – nach Vertragsschluss 72 2 – Schriftform 72 10, 72 14 f. – Vollmachtsmissbrauch 72 7 Bestimmtheitsgebot 40 57, 40 59 Betrauung 59 80 ff. – Agenturverträge 59 83 – Anscheinsvollmacht 59 85 – Duldungsvollmacht 59 85 – entgeltlicher Vertrag 59 86 – Form 59 84 – Funktionsausgliederungsverträge 59 89 – Geheimhaltungspflicht 59 88 – Gelegenheitsvermittler 59 81 – gesetzliche Vollmacht 69 13 – konkludente ~ 59 85 – Konzern 59 95 – Kundenschutz 59 90 – Mehrfachvertreter 59 94 – Provision 59 88 – Untervermittler 59 105 – Ventillösung 59 97 – Versicherungsmakler 59 192 ff. 993

– Versicherungsvertreter 59 80 ff. – von einem Versicherungsvertreter 59 105 ff. – von einem VR 59 81 ff. Betriebshaftpflichtversicherung – objektive Gefahrerhöhung 23 122 ff. – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 15 Betriebsschließungsversicherung 23 98 Betriebsstilllegung 23 110 Beweislast – Anmeldepflichtverletzung 54 21 – Anzeigepflicht 19 172 ff., 19 175 ff. – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 54 – Anzeigepflichtverletzung 30 54 – Arglistanfechtung 22 42 ff., 22 48 f. – Ausübung der VR-Rechte 21 59 ff. – Beendigung der vorläufigen Deckung 52 61 f. – Belegpflicht 31 110 – Belehrungspflicht 28 246 – Einzelpolice 55 32 – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 82 ff. – Gefahränderung 57 23 – Gefahrerhöhung 23 163 ff. – gesetzliche Vollmacht 69 46 ff. – grobe Fahrlässigkeit 28 235 – Haftung für Dritte 28 135 – halbzwingende Vorschriften 32 5, 42 15 – Kausalität 28 239 ff. – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 67 – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 57 f. – Leistungsfreiheit 28 234 – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 57 ff. – Obliegenheitsverletzung 28 233, 58 24 – Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 32 f. – Prämienherabsetzung 41 20 – qualifizierte Mahnung 38 90 ff. – Rechte des Versicherten 44 49 – Schwere des Verschuldens 28 236 ff. – unerhebliche Gefahrerhöhung 27 19 – Versicherung für fremde Rechnung 43 82 – Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 42 – Vertreter des VN 20 19 – vorläufige Deckung 49 30 ff. – vorzeitige Vertragsbeendigung 39 20 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 89 ff. – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 85 f. Beweislastklauseln 19 171 Beweisurkunde 55 12 Bezugsberechtigte – Aufrechnung des VR 35 11 – Prämienzahlung durch Dritte 34 9 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 49 f., 43 15 f. Klie

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Billigungsklausel 55 23 ff. Black Box 33 31 Blockpolicen 71 8 Bote 28 111 Brandreden 23 112 Bringschuld 36 14, 36 19 ff. Bruchteilseigentum 28 76 Bruchteilsgemeinschaften 43 30 Bruttopolice 59 210 Bruttoprämie 33 18 Bündelversicherungen 29 15 C Call-Center 59 47 CIF-Verkäufer 48 19 Completion Bonds Vor 43 39 Courtagevereinbarung 59 196 COVID-19-Pandemie – objektive Gefahrerhöhung 23 97 ff. – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 14 ff. culpa in contrahendo 19 134 Cyberversicherung 23 128 D D&O-Versicherung – Gleichstellung Versicherter-VN 47 39 – objektive Gefahrerhöhung 23 127 – Versicherung für fremde Rechnung 43 38 Daten als Prämie 33 31 ff. – Berufsunfähigkeitsversicherung 33 32 – Black Box 33 31 – digitale Inhalte/Dienstleistungen 33 36 – Fahrverhalten 33 31 – Kfz-Haftpflichtversicherung 33 32 – Krankenversicherung 33 32 – Lebensversicherung 33 32 – Prämienzahlungsverzug 33 35 – Score-Wert 33 31 – Telematiktarife 33 31 – Vitalitäts-Tarife 33 33 – Wearables 33 31 Datenbankabruf – Kenntnis des Versicherungsvertreters 70 13 – Rücktritt des VR 19 120 ff. Dauerobliegenheit 31 35 Deckungsablehnung 28 67 ff. Deckungsverhältnis Vor 43 1 deliktische Ansprüche – Anzeigepflichtverletzung 19 135 – Arglistanfechtung 22 40 Dokumentation 61 50 ff. – Information des VN 62 3 ff. Klie

Doppelbelehrung 19 116 Doppelkontrolle 32 36 Doppelrechtsverhältnis 59 192, 59 194, 59 203 Dritte – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 2, 30 36 f. – arglistige Täuschung 22 18 – Aufrechnung des VR 35 10 ff. – Auskunftspflicht des VN 31 17, 31 93 f. – Belegpflicht 31 93 f. – Erklärungsempfänger 19 77 f. – Haftung für ~ 28 85 ff., s.a. dort – objektive Gefahrerhöhung 23 100 ff. – subjektive Gefahrerhöhung 23 77 ff. Drohungen Dritter 23 112 DTV-Güter 2000/2011 56 26 Duldung – Drittvornahme 23 80 ff. – Repräsentanten 28 103 Duldungsvollmacht – Abschlussvollmacht 71 6 – Betrauung 59 85 Durchleitungsgebot 59 252 ff. Durchschnittsrisiko – Gefahrerhöhung 23 40 – unerhebliche Gefahrerhöhung 27 12 E Ehegatte 28 97, 28 103 eigenmächtiges Handeln 28 103 Eigenversicherung 43 74 f. Eigenversicherungsvermutung 43 77 ff. Einbruchdiebstahlversicherung – Beratungsfehler 63 69 – objektive Gefahrerhöhung 23 116 ff. – objektive Gefahrumstände 19 49 Einheitlichkeitswille 29 14 Einheitstheorie Vor 49 20 Einlösungsprinzip 37 3 Einmalprämie 33 37 – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 1 ff., s.a. dort – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 1 ff., 37 9, s.a. dort Einschätzungsprärogative 31 27 Einschreiben 38 28 einseitiges Bestimmungsrecht 19 146 Einstiegsquote 28 209 ff. einstweilige Verfügung 44 26, 44 28 Eintritt des Versicherungsfalls – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 15 f. – Auskunftspflicht des VN 31 20 – berechtigtes Auskunftsverlangen 31 32 994

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– Gefahrerhöhung 23 145 f. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 8 – unerhebliche Gefahrerhöhung 27 5 Eintrittsberechtigte 43 17 Einwilligung des VR 23 84 f. Einzelpolice 55 2 ff. – Abdingbarkeit 55 30 f. – Aufgebotsverfahren 55 19 – Beweislast 55 32 – Beweisurkunde 55 12 – Billigungsklausel 55 23 ff. – Kraftloserklärung 55 19 ff. – Legitimationspapier 55 12 – Rechsnatur 55 9 ff. – Schuldschein 55 12 – Textform 55 8 – Urkunde 55 8, 55 11 ff. – Versicherungsschein 55 4, 55 5 ff. – Versicherungszertifikat 55 5, 55 7 – Zweck 55 4 Einzelrechtsnachfolge – Rechte des Versicherten 44 20 – Verfügungsbefugnis des VN 45 31 Einziehungsverpflichtung 46 12 ff. elektronische Kommunikation – Anzeige 30 26 – Auskunft 30 44 – Belehrungspflicht 28 192 – Formvereinbarungen 32 32 f. – Frage des Versicherers 19 35 – qualifizierte Mahnung 38 27 Empfangsbote 38 24 Empfangsvollmacht 69 21 ff., 69 36 ff. – Antrag 69 22 f. – Formvereinbarungen 32 30 – Vertragserklärung 69 22 – vor Vertragsschluss 69 24 ff., 69 31 ff. – Widerruf des Antrags 69 28 ff. Empfangszuständigkeit – Anzeige 30 29 – Auskunft 30 74 f. – Belegpflicht 31 92 Entfall der Obliegenheit 28 66 ff. – Arglistanfechtung 28 71 – Berichtigungspflicht 28 69 – Deckungsablehnung 28 67 ff. – tatsächliche Erledigung 28 73 Entgelt 33 10 f. Epilepsie 23 131 Erbfall 31 16 Erfolgsort 36 6, 36 22 Erforderlichkeit 31 29 995

Erfüllbarkeit 33 67 Erfüllungsgehilfenhaftung 28 118 Erfüllungshaftung – Versicherungsmakler 63 16 – Versicherungsvermittler 63 7, 63 11 Erfüllungsinteresse 63 39 Erheblichkeit 19 63 ff. Erheblichkeitsschwelle 40 58 erhöhtes Risiko 19 110 Erklärungsempfänger – Arzt 19 77 – Bank 19 77 – Dritte 19 77 f. – Versicherer 19 74 – Versicherungsberater 19 76 – Versicherungsmakler 19 76 – Versicherungsvertreter 19 75 Erklärungsgehilfe 28 111, 28 117 Erkundigungsobliegenheit 31 19 Erlaubnis – Versicherungsberater 59 221 – Versicherungsmakler 59 141 ff. – Versicherungsvermittler 59 2 – Versicherungsvermittlerverordnung 59 299 Erlöschen der Forderungen 35 18 Erlöschen des Kündigungsrechts 24 36 ff. Erstprämie 33 37, 37 10 f. – Abänderung der Vertragsdauer 37 19 – Abgrenzung 37 12 ff. – Änderung des versicherten Objekts 37 17 – Erweiterung auf neues Risiko 37 14 ff. – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 37, s.a. dort – Kündigung des VR 37 20 – Leistungsfreiheit 37 20 – Leistungsort 36 4 – Nachträge 37 13 – Neuabschluss 37 13 – Nichtzahlung 39 15 – Ratenzahlung 37 21 f. – Rücktritt des VR 37 20 – Rückwärtsversicherung 37 25 – Stundungsvereinbarung 37 23 – Vertragsänderung 37 13 – vorläufige Deckung 37 24 – Wechsel der Vertragsparteien 37 18 – Wiederherstellung eines beendeten Vertrages 37 26 ff. – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 1 ff. – Zusatzvereinbarungen 37 13 erweiterte Einlösungsklauseln – Leistungsfreiheit 37 79, 37 84 – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 49 Klie

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Erwerber der versicherten Sache 43 18 Explosionsklausel 28 30 F Fahren ohne Brille 23 131 Fahrerbeeinträchtigung 23 131 Fahrlässigkeit – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 3, 24 23 – Obliegenheitsverletzung 28 229 ff. Fahrlässigkeit des VN – Kenntnis des VN 19 55 – Kündigung des VR 19 137 – Rücktritt des VR 19 97 – Vertreter des VN 20 16 f. Fahruntüchtigkeit 28 182 Fahrverhalten 33 31 Fahrzeugzustand 23 130 Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 1 ff. – Abdingbarkeit 33 77 ff. – Abholung der Prämie 33 69 ff. – Abweichen des Versicherungsscheins 33 53 f. – Anwendungsbereich 33 7 f. – Basistarif 33 41 – Belehrungspflicht 33 55 ff. – Beweislast 33 82 ff. – Einmalprämie 33 37 – Erfüllbarkeit 33 67 – Erfüllungswirkung 33 66 – Erstprämie 33 37 – Fälligkeit 33 50 ff. – fehlerhafte Belehrung 33 55 ff. – Folgeprämien 33 4, 33 38, 33 61 – Invitatio-Modell 33 58 – Lastschriftverfahren 33 70 ff. – Lebensversicherung 33 7 – Prämie 33 9 f. – Prämiengläubiger 33 47 ff. – Prämienhöhe 33 39 ff. – Prämienkalkulation 33 40 – Prämienschuldner 33 44 ff. – Rechtzeitigkeit der Zahlung 33 66 – Rückwärtsversicherung 33 60 – sofortige ~ 33 1 – Stundungsvereinbarung 33 65 – Tarifbestimmungen 33 43 – Tarifgenehmigungspflicht 33 40 – Teilzahlungen 33 62 – unterbliebene Belehrung 33 55 ff. – unterjährige Zahlungsweise 33 62 ff. – Unternehmenstarif 33 39, 33 43 – Verjährung 33 68 – Versicherungsschein 33 2, 33 50 Klie

– Voraussetzungen 33 50 ff. – vorläufige Deckung 33 60 – Widerrufsrecht 33 1 – Widerrufsrechtsausschluss 33 59 Falschauskünfte, bewusste 31 9 falsche Angaben 30 52 fehlende Angaben 30 53 ff. fehlende Kausalität 21 34 ff. – nzeigepflichtverletzung-Leistungspflicht 21 40 ff. – Anzeigepflichtverletzung-Versicherungsfall 21 35 ff. – arglistige Täuschung 21 44 f. – gefahrerhöhende Umstände 21 38 – indizierende Umstände 21 39 – Schadensversicherung 21 41 – Summenversicherung 21 42 Fernabsatz – Beratungs-/Dokumentationsverzicht 61 67 – vorläufige Deckung 49 11 ff. Feuerschutzsteuer 33 25 Feuerversicherung – Ausübung der VR-Rechte 21 10 – objektive Gefahrerhöhung 23 108 ff. – objektive Gefahrumstände 19 49 Finanzgerichte 59 52 Folgeprämien 38 5 ff. – Abgrenzung 37 12 ff. – Begriff 38 1 – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 4, 33 38, 33 61 – Inkassovollmacht 69 44 – Leistungsort 36 4 – Ratenzahlung 38 8 – Reaktivierung von Verträgen 38 9 – Vertragsänderung 38 7 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 1 ff., s.a. dort – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 8 Formvereinbarungen 32 25 ff. – Anzeige 30 25 – Anzeigepflicht Versicherungsfall 32 26 – Auskunft 30 42 – Auskunftspflicht des VN 32 26 – AVB 32 28 – elektronische Kommunikation 32 32 f. – Empfangsvollmacht 32 30 – Formerfordernisse 32 29 ff. – Formfehler 32 35 – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 32 27 – Schriftform 32 28, 32 31 ff. 996

Sachregister

– Textform 32 28, 32 34 – Versicherungsvertreter 32 30 Frage des Versicherers 19 27 ff. – andere Versicherungen 19 30 – arglistige Täuschung 22 9 – Auslegung von Fragen 19 29 – Behandlungen 19 31 – elektronische Kommunikation 19 35 – Geheimhaltungsinteresse 19 84 – Generalfragen 19 31 – grobe Fahrlässigkeit 19 102 f. – Homepage 19 35 – Krankheiten 19 31 – Mehrfachagenten 19 33 – Nichtbeantwortung von Fragen 19 82 – Person des Erklärenden 19 36 – Person des Fragestellers 19 33 – Personenversicherung 19 31 – Sachversicherung 19 32 – Streichungen 19 83 – Tele-Underwriting 19 35 – Textform 19 34 ff. – Unklarheiten 19 29 – Versicherungsmakler 19 33 – Vorsatz des VN 19 102 f. – Vorschäden des VN 19 30 Fragenkatalog 30 48 f. fremdbestimmtes Hilfsverhalten 28 30 Fristen 28 36 ff. Funktionsausgliederungsverträge – Betrauung 59 89 – Versicherungsvermittler 59 53 f. G Gebäudeversicherung – objektive Gefahrerhöhung 23 108 ff., 23 121 – objektive Gefahrumstände 19 49 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 15 gedehnte Versicherungsfälle – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 15 – Kündigung des VR 19 142 – Leistungsfreiheit 37 68 Gefahränderung 57 3 ff. – Alles-oder-nichts-Prinzip 57 4, 57 14 – Anwendungsbereich 57 5 f. – Anzeigepflicht 57 8 ff. – Anzeigepflichtverletzung 57 13 ff. – Arten 57 5 – Ausschluss der Absicherung 57 20 – bedingte Leistungsfreiheit 57 13 ff. – Begriff 57 9 – Beweislast 57 23 997

– Kündigung des VR 57 19 – Obliegenheit 57 11 – Prämienerhöhung 57 20 – Transportversicherung 57 4, 57 7 – Zweck 57 3 gefahrerhebliche Umstände 23 6 ff. – Absichten 23 15 ff. – Anzeigepflicht 23 7 ff. – Ausnahmen 23 11 – Bestimmung der Gefahr 23 6 – Gefahrerhöhung 23 6 ff. – gesetzeswidriger Zustand 23 12 – grobe Fahrlässigkeit 19 105 – Ist-Zustand 23 14 – neuer Zustand 23 14 – Pläne 23 15 ff. – Schutzgelderpressungen 23 18 – verkehrswidriger Zustand 23 12 – Vorsatz des VN 19 105 – vorvertragliche Anzeigeobliegenheiten 23 7 ff., s.a. Anzeigepflicht – zukünftige ~ 23 13 – Zwischenschritte 23 18 Gefahrerhöhung Vor 23 1 ff., 23 1 ff. – Alles-oder-nichts-Prinzip Vor 23 1 – alternativlose Maßnahmen 23 44 – Anzeigepflicht Vor 23 5 ff., 23 140 – AVB 23 151 ff. – Begriff 23 4 – Berufsunfähigkeitsversicherung 23 160 – Beweislast 23 163 ff. – Durchschnittsrisiko 23 40 – Eintritt des Versicherungsfalls 23 145 f. – fehlendes versichertes Interesse 23 150 – Formvereinbarungen 32 25 ff., s.a. dort – gefahrerhebliche Umstände 23 6 ff., s.a. dort – Gefahrkompensation 23 19 ff., s.a. dort – Gefahrwechsel 23 33 – Gleichbehandlungsgebot Vor 23 4 – halbzwingende Vorschriften 32 20 – Konkurrenzen 23 140 ff. – Krankenversicherung 23 162 – Kündigung wegen ~ 24 1 ff., s.a. dort – laufende Versicherung 23 157 – Lebensversicherung 23 159 – Leistungsfreiheit Vor 23 1 – Leistungsfreiheit wegen ~ 26 1 ff., s.a. dort – Mehrfachversicherung 23 148 – mitversicherte ~ 27 2 – nachträgliche Änderung 23 5 – objektive ~ 23 95 ff., s.a. dort – Obliegenheit 23 2, 23 141 ff. Klie

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– Prämienerhöhung wegen ~ 25 1 ff., s.a. dort – Risikoausschluss 23 152, 25 21 ff. – Risikogemeinschaft Vor 23 3 – sinnvolle Maßnahmen 23 43 – Sonderregelungen Vor 23 10, 23 156 ff. – Störung der Geschäftsgrundlage 23 149 – subjektive ~ 23 45 ff., s.a. dort – Tarifbestimmungen 23 147 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 6 – Transportversicherung 23 158 – übliches Durchschnittsrisiko 23 40 – unerhebliche ~ 27 2 ff., s.a. dort – Unfallversicherung 23 161 – Versicherungsfall 23 39, 23 145 f. – vertragliche Obliegenheiten 23 141 ff. – Vertragserklärung Vor 23 5 ff., Vor 23 8, 23 1 – Vorhersehbarkeit für VR 23 40 ff. – weiches Tarifmerkmal 23 147 – Zustand gewisser Dauer 23 34 ff. Gefahrkompensation 23 19 ff. – Begriff 23 21 – Gesamtbetrachtung der Gefahrenlage 23 19 – Kompensationskongruenz 23 23 ff. – objektive Gefahrerhöhung 23 104 ff. – Wegfall 23 28 ff. – Zeitmoment 23 27 Gefahrstandspflicht – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 3, 24 25 – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 11 ff. Gefahrtragungspflicht 26 54 Gefahrumstände 19 37 ff. – AGG 19 46 f. – arglistige Täuschung 22 1, 22 5 – indizierende Umstände 19 37, 19 53 f. – Kenntnis des VN 19 57 ff. – objektive ~ 19 37 ff., s.a. dort – offenkundige ~ 19 64 f. – Prämienherabsetzung 41 6 ff., 41 11 – Rechtstatsachen 19 37 – subjektive Momente 19 37 Gefahrverwaltung 28 30 Gefahrwechsel 23 33 Gegenseitigkeit 35 4 Geheimhaltungsinteresse 19 84 Geheimhaltungspflicht 59 88 Gelegenheitsvermittler 73 3 Generalfragen 19 31 Generalpolice 53 13 Generalprävention 28 166 Genomanalyse 19 47 f. Geringfügigkeitsgrenze 40 58 Klie

Gesamthandgemeinschaft – Obliegenheitserfüllung 28 76 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 18 Gesamtrechtsnachfolge – Obliegenheitserfüllung 28 77 – Rechte des Versicherten 44 20 – Verfügungsbefugnis des VN 45 31 Geschäftsbereich 28 101 Geschäftsorganisation 59 314 f. Geschäftspraxis 19 112 gesetzliche Vertreter 28 88 gesetzliche Vollmacht 69 1 ff. – Auge-und-Ohr-Rechtsprechung 69 8 – Betrauung 69 13 – Beweislast 69 46 ff. – Beweislastverteilung 69 11 – Empfangsvollmacht 69 21 ff. – Innenvollmacht 69 12 – Maklerklausel 69 18 – Pseudomakler 69 19 – rechtsgeschäftliche Vollmacht 69 15 – Rechtsnatur 69 12 ff. – Versicherungsmakler 69 18 – Versicherungsvertreter 69 16 – Zahlungssicherung 69 11 Gestattung der Drittvornahme – objektive Gefahrerhöhung 23 100 ff. – subjektive Gefahrerhöhung 23 77 ff. gestufter Dialog – Auskunft 30 62 – Auskunftspflicht des VN 31 4 Gewerberecht – Provisionsabgabeverbot 59 280 – Versicherungsberater 59 226 ff. – Versicherungsmakler 59 141 ff. – Versicherungsvertreter 59 111 ff. Gewerbsmäßigkeit – Versicherungsberater 59 231 – Versicherungsmakler 59 146 – Versicherungsvertreter 59 109 f. Gewinnanteil 33 23 Gleichartigkeit der Forderungen 35 14 f. Gleichbehandlungsgebot – Gefahrerhöhung Vor 23 4 – Repräsentantenhaftung 28 90 Gleichstellung Versicherter-VN – Abdingbarkeit 47 59 ff. – Anwendungsbereich 47 22 ff. – Anzeigepflicht 47 23 – arglistige Täuschung 47 24 – Aufklärungsobliegenheiten 47 21 – Auslandsrechte 47 62 998

Sachregister

– Ausnahmen 47 25 ff. – D&O-Versicherung 47 39 – fehlendes Wissen vom Versicherungsvertrag 47 25 ff. – Fremdversicherung 47 36 ff. – geschützte Interessen 47 20 – Grundsatz der Einzelwirkung 47 37 – Interessenlage des Begünstigten 47 17 – Kenntnis des Versicherten 47 10 ff. – Kenntnis des VN 47 43 – kombinierte Eigen-/Fremdversicherung 47 47 ff. – Krankenversicherung 47 56 – Obliegenheit 47 13 ff., 47 22 ff. – Obliegenheitsverletzung 47 35 ff., 47 41, 47 42 ff. – PEICL 47 63 f. – Pflicht-Haftpflichtversicherung 47 45 – Rechtsnatur 47 13 ff. – Risikoausschluss 47 35 ff., 47 46 – Rückausnahme 47 30 f. – Sonderregeln 47 56 – Tuns-Obliegenheiten 47 18 – Unfallversicherung 47 56 – Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit der Benachrichtigung 47 32 ff. – Unterlassens-Obliegenheiten 47 18 – Verhaltenspflichten 47 10 grobe Fahrlässigkeit – Anmeldepflichtverletzung 54 10 – Anzeigepflichtverletzung 30 43 f. – Begriff 19 100, 28 206 f. – Belegpflichtverletzung 31 100 – Beweislast 28 235 – Bezugspunkte 19 101 – Frage des Versicherers 19 102 f. – gefahrerhebliche Umstände 19 105 – Kenntnis des VN 19 55 – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 16 f. – Leistungsfreiheit 28 199 ff. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 19 ff. – mittlere ~ 28 208 ff. – Obliegenheitsverletzung 28 145 – Quotelung 28 199 ff., s.a. dort – Richtigkeit der Auskünfte 19 104 – Rücktritt des VR 19 100 – Vertreter des VN 20 16 f. Großrisiken 65 1 ff. – halbzwingende Vorschriften 42 4 Grundpfandgläubiger – Sicherungsschein 44 44 ff. – Versicherung für fremde Rechnung 43 12 999

Grundsatz der Einzelwirkung 47 37 Gruppenversicherung Vor 43 62 H Haftpflichtversicherung – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 6 – Aufrechnung des VR 35 7 – Beratungsfehler 63 64 ff. – objektive Gefahrerhöhung 23 122 ff. – Sozialbindung 35 7 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 45, Vor 43 61, 43 37 f. – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 15 Haftung für Dritte 28 85 ff. – Beweislast 28 135 – funktionsbedingte Erfüllungsdiener 28 93 – gesetzliche Vertreter 28 88 – juristische Personen 28 86 – Organe 28 86 – Organisationsverschulden 28 85 – Partei kraft Amtes 28 87 – Selbstverschuldensprinzip 28 85 Hagelversicherung 39 6 halbzwingende Vorschriften 32 1 ff. – Abweichung zum Nachteil des VN 32 7 – Anzeigepflicht 32 20, 32 22 – AVB-Kontrolle 32 36 – Begriff 32 5 – Benachteiligungsabsicht 32 6 – Beweislast 42 15 – Beweislastverteilung 32 5 – Doppelkontrolle 32 36 – Erlaubnisnormen 32 36 – Fallgruppen 32 21 – Gefahrerhöhung 32 20 – Großrisiken 42 4 – laufende Versicherung 42 4 – Nachteil des VN 42 5 ff., s.a. dort – Obliegenheitsverletzung 32 20 – Parteivereinbarungen 32 24 – Prämie 42 1 ff. – Rechtsfolgen bei Abweichung 42 9 ff. – Rechtslage nach der VVG-Reform 32 21 – Richtigkeitsgewähr der Verträge 32 3 – Saldierung Vor-/Nachteile 32 8 ff., s.a. dort – Transparenzgebot 32 36 – verhüllte Obliegenheit 32 21 – Versicherungsvermittler 67 1 ff. Handelsmakler 59 128 ff. Hausratversicherung – objektive Gefahrerhöhung 23 108 ff., 23 121 Klie

Sachregister

– objektive Gefahrumstände 19 50 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 15 Herbeiführungsausschluss 28 21 Hinweispflicht des VR – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 22 ff. – Kündigung des VN 19 161 – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 46 ff. Holschuld 36 41 Homepage 19 35 Honorarannahmeverbot 59 10 Honorarberatung 59 259 ff. Hypothekengläubiger 35 11 hypothetischer Parteiwille 29 4, 29 22 ff. I IDD-Umsetzung 59 8 ff. Inbegriffsversicherung – laufende Versicherung 53 22 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 38 Indizien 22 45 indizierende Umstände – Berufsunfähigkeitsversicherung 19 54 – fehlende Kausalität 21 39 – Gefahrumstände 19 37, 19 53 f. – Krankenversicherung 19 54 – Lebensversicherung 19 54 Information des VN 62 1 ff. – Datenträger 62 3 – Dokumentation 62 3 ff. – Markt-/Informationsgrundlage 62 6 – mündliche ~ 62 10 – Textform 62 9, 62 11 f. – Vertragserklärung 62 7 – Zweck 62 2 information overkill 28 195 informationelle Selbstbestimmung 30 62 Informationsasymmetrie 30 4 Informationsobliegenheit – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 4, 30 11 ff. – Auskunftspflicht des VN 31 2 Informationspflicht – Prämienbestandteile 33 14 – Prämienzahlung durch Dritte 34 18 – Versicherungsvermittlerverordnung 59 316 ff. – vorläufige Deckung 49 3 ff. Informationsrecht 34 17 Informationsvorsprung 31 3 Inhaltskontrolle der Prämienanpassungsklauseln 40 35 Inkassovollmacht 69 40 ff. – Folgeprämien 69 44 Klie

– Statusinformationen 69 45 – Versicherungsmakler 69 43 – Zahlungssicherung 69 41 inkonsistente Angaben 30 59 Insassenunfallversicherung 23 139 Insolvenz des VN – Rechte des Versicherten 44 19 – Rechtsverhältnis VN-Versicherter 46 46 – Verfügungsbefugnis des VN 45 32 – Versicherung für fremde Rechnung 43 76 Insolvenz des VR 39 16 Interesseträgerschaft 48 30 f. Interessewegfall 43 36, 43 73 Internet 59 66 ff. Invitatio-Modell – Anzeigepflicht 19 69 – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 58 J juristische Personen – Haftung für Dritte 28 86 – Kenntnis des VN 19 61 K Kausalität – Anzeigepflichtverletzung 30 45 f. – arglistige Täuschung 22 16, 22 46 – Belegpflichtverletzung 31 101 – Beweislast 28 239 ff. – fehlende ~ 21 34 ff., s.a. dort – Leistungsfreiheit 21 34 ff., 28 175, 28 183 ff. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 37 ff. – Obliegenheit 28 1 – Obliegenheitsverletzung 28 5 – Quotelung 28 221 f., 28 225 ff. – subjektive Gefahrerhöhung 23 86 – Versicherungsmakler 59 208 Kausalitätsgegenbeweis 26 37 ff. Kenntnis des Versicherten 47 3 ff. Kenntnis des Versicherungsvertreters 70 1 ff. – Auge-und-Ohr-Rechtsprechung 70 1 f. – Datenbankabruf 70 13 – Kenntniszurechnung 70 9 ff. – nichtzurechenbare Kenntnisse 70 15 f. – Zweck 70 6 ff. Kenntnis des VN 19 55 ff. – Abgabe der Vertragserklärung 19 56 – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 17 ff. – Auskunftspflicht des VN 31 33 f. – belanglose Umstände 19 59 – Fahrlässigkeit des VN 19 55 1000

Sachregister

– Gefahrumstände 19 57 ff. – Gleichstellung Versicherter-VN 47 43 – grob fahrlässige Unkenntnis 19 55 – juristische Personen 19 61 – Kenntniszurechnung 19 61 f. – Krankheitssymptome 19 57 – Nichtwissen 19 55 – Obliegenheitsverletzung 28 137 – Personengesellschaften 19 61 – Repräsentanten 19 62 – subjektive Gefahrerhöhung 23 68 – Vertreter des VN 19 62, 20 2, 20 11 ff. – Wissensvertreter 28 126 ff., s.a. dort – Zeitpunkt 19 56 Kenntnis des VR – Anzeigepflichtverletzung 30 47 f. – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 38 ff. Kenntnis von der Unrichtigkeit 19 118 ff. – Kenntnis durch Datenbankabruf 19 120 ff. – routinemäßige Abfrage 19 122 – Versicherungsberater 19 123 – Versicherungsmakler 19 123 – Versicherungsvertreter 19 123 Kenntniszurechnung – Kenntnis des Versicherungsvertreters 70 9 ff. – Kenntnis des VN 19 61 f. – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 40 Kfz-Haftpflichtversicherung – Auskunftspflicht des VN 31 80 – Beratungsfehler 63 51 ff. – Daten als Prämie 33 32 – objektive Gefahrerhöhung 23 129 ff. – Repräsentanten 28 97 – vorläufige Deckung Vor 49 2, Vor 49 16, Vor 49 34 f. Kfz-Kaskoversicherung – Beratungsfehler 63 51 ff. – objektive Gefahrerhöhung 23 134 ff. – objektive Gefahrumstände 19 49 Klauselverbot 40 35 Kofferraumklausel 63 70 kollusives Zusammenwirken – Anzeigepflichtverletzung 19 88 – Beschränkung der Vertretungsmacht 72 6 – Obliegenheitsverletzung 28 12 kombinierte Eigen-/Fremdversicherung – Fehlverhalten des Versicherten 47 48 – Fehlverhalten des VN 47 49 ff. – Gleichstellung Versicherter-VN 47 47 ff. – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 6 Kommissionstheorie Vor 43 14 Kompensationskongruenz 23 23 ff. 1001

Kompensationstheorie 42 7 Konkurrenzen – Leistungsfreiheit 28 249 – Obliegenheitsverletzung 28 249 Konzern 59 95 kooperative Regulierung 31 2 Korrespondenzmakler 59 190 Kostenausgleichsvereinbarung 59 167 ff. Kraftloserklärung der Einzelpolice 55 19 ff. Krankenversicherung – Anzeigepflicht 19 14 – Arglistanfechtung 22 38 – Ausschlussfrist 21 52 – Ausübung der VR-Rechte 21 10 – Beratungsfehler 63 72 ff. – Daten als Prämie 33 32 – Gefahrerhöhung 23 162 – Gleichstellung Versicherter-VN 47 56 – indizierende Umstände 19 54 – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 7 – Kündigung des VR 19 143 – objektive Gefahrumstände 19 42 f. – Prämienherabsetzung 41 5 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 8 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 36 – Vertragsanpassung 19 163 – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 6 Krankheiten 19 31 Kreditversicherung 53 28 f. Kündigung bei Prämienerhöhung 40 1 ff., 40 18 ff. – Abdingbarkeit 40 66 – Anwendungsbereich 40 6 ff. – Belehrungspflicht 40 22 ff. – Berufsunfähigkeitsversicherung 40 7 – beteiligte Personen 40 20 – Beweislast 40 67 – Erhöhung der Versicherungssumme 40 13 – Form 40 19 – Hinweispflicht des VR 40 22 ff. – Inhalt 40 19 – Krankenversicherung 40 7 – Kündigungsfrist 40 20 – Lebensversicherung 40 7 – Prämienanpassungsklauseln 40 12, 40 17, 40 29 ff., s.a. dort – Prämienerhöhung 40 9 ff., 40 14 ff. – Verminderung des Versicherungsschutzes 40 28 – Voraussetzungen 40 9 ff. – Zweck 40 5 Kündigung des VN 19 155 ff. – Anzeigepflicht 19 12 Klie

Sachregister

– Hinweispflicht des VR 19 161 – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 1 ff., s.a. dort – Kündigungserklärungsfrist 19 162 – Leistungsbeschränkungen 19 160 – Leistungsverweigerungsrecht 56 20 ff. – Prämienerhöhung 19 158 – Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 26 ff. – Quotelung 28 204 – Risikoausschluss 19 159 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 5, 29 29 ff. – Vertragsanpassung 19 155 ff. – Voraussetzungen 19 157 ff. Kündigung des VR 19 136 ff. – Anmeldepflichtverletzung 54 14 ff. – Erstprämie 37 20 – Fahrlässigkeit des VN 19 137 – gedehnte Versicherungsfälle 19 142 – Gefahränderung 57 19 – Krankenversicherung 19 143 – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 1 ff., s.a. dort – Kündigungsfrist 19 138 f. – laufende Versicherung 56 11 ff. – Lebensversicherung 19 143 – Obliegenheitsverletzung 28 4, 28 140 ff., 58 16 ff., s.a. dort – Rechtsfolgen 19 140 ff. – Rücktritt des VR 19 130 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 4 ff., s.a. dort – Voraussetzungen 19 137 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 64, 38 70 ff. Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 1 ff. – Anzeigepflichtverletzung 24 35 – Ausschluss 24 37 ff. – AVB 24 55 f. – Beweislast 24 57 f. – Erlöschen des Kündigungsrechts 24 36 ff. – Fahrlässigkeit 24 3, 24 23 – Formvereinbarungen 32 27 – fristgebundene ~ 24 20 ff. – fristlose ~ 24 9, 24 11 ff. – Gefahrstandspflicht 24 3, 24 25 – grobe Fahrlässigkeit 24 16 f. – kein Verschulden 24 27 – Kenntnis des VR 24 38 ff. – Kenntniszurechnung 24 40 – Kündigungserklärung 24 13 ff. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 49 ff. Klie

– Monatsfrist 24 9 – nachträglich erkannte subjektive Gefahrerhöhung 24 31 ff. – objektive Gefahrerhöhung 24 31 ff. – Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 1, 25 6 – Rechtsfolgen 24 54 – Umdeutung 24 18 – unwirksame fristlose ~ 24 18 f. – ursprünglicher Zustand 24 46 – Versicherungsvertreter 24 41 – Vertragsanpassung 24 7 – Vorsatz des VN 24 16 f. – Wiederherstellung der Ausgangsgefahrenlage 24 44 ff. – Wiederherstellung nach ~ 24 49 ff. – Zweck 24 6 f. Kündigungserklärung – Frist 19 162 – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 13 ff. L Lagerhalter 59 51 Lastschriftverfahren – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 70 ff. – Leistungsort 36 41 ff. laufende Versicherung Vor 53 1 ff., 53 1 ff. – Abschreibepolice 53 14 – ADS 1919 53 24 f. – Anmeldepflichtverletzung 54 1 ff., s.a. dort – Anmeldung 53 32, 53 33 ff. – Anzeigepflicht 19 14 – Anzeigepflichtverletzung 56 3 ff., s.a. dort – Arglistanfechtung 56 19 – Ausgestaltungsmöglichkeiten 53 7 ff. – Begriff 53 2 f. – Besonderheiten Vor 53 9 f. – Deckungsformen 53 12 ff. – DTV-Güter 2000/2011 53 27 – Einzelpolice 55 2 ff., s.a. dort – Entwicklung Vor 53 1 ff. – fakultative ~ 53 9 ff. – Gattung versicherbarer Interessen 53 23 ff. – Gefahränderung 57 3 ff., s.a. dort – Gefahrerhöhung 23 157 – Generalpolice 53 13 – halbzwingende Vorschriften 42 4 – Inbegriffsversicherung 53 22 – Kreditversicherung 53 28 f. – Kündigung des VR 56 11 ff. – Leistungsverweigerungsrecht 56 16 ff. – Obliegenheitsverletzung 28 8, 58 2 ff., s.a. dort 1002

Sachregister

– Obliegenheitsverletzung, relevante 58 6 ff. – obligatorische ~ 53 8 – Pauschalpolice 53 16 – Prämie 53 41 f. – Rücktritt des VR 56 10 – Rückversicherung 53 30 – Sachversicherung 53 30 – Schadensversicherung 53 30 – Summenpolice 53 17 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 8 – Transportversicherung 53 24 ff. – Umsatzpolice 53 15 – versichertes Interesse 53 18 ff. – Versicherungsbeginn 53 31 – Versicherungsgegenstand 53 18 ff. – Vertragsfreiheit Vor 53 11 f. Leasinggeber 35 10 Lebensversicherung – Anzeigepflicht 19 14 – Arglistanfechtung 22 38 – Ausschlussfrist 21 53 – Ausübung der VR-Rechte 21 10 – Beratungsfehler 63 78 ff. – Daten als Prämie 33 32 – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 7 – Gefahrerhöhung 23 159 – indizierende Umstände 19 54 – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 7 – Kündigung des VR 19 143 – objektive Gefahrumstände 19 38 f. – Prämienherabsetzung 41 5 – Rücktritt des VR 19 133 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 46 ff., Vor 43 64 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 86 Leerstehenlassen von Gebäuden 23 108 Leistungsausschlüsse 19 147 Leistungsbeschränkungen – Kündigung des VN 19 160 – Vertragsanpassung 19 148 f. Leistungsfreiheit 21 31 ff., 28 159 ff. – Anmeldepflichtverletzung 54 5 ff., 54 10 ff. – Anzeigeobliegenheiten 28 187 – Anzeigepflichtverletzung 30 39 f. – Äquivalenz des Verhaltens 28 184 – Arglistanfechtung 22 36 – arglistige Obliegenheitsverletzung 28 164 ff. – arglistige Täuschung 28 169 ff. – Auskunftspflicht des VN 31 6 – Ausübung der VR-Rechte 21 31 ff. – AVB 28 250 ff. – bedingte ~ 57 13 ff. 1003

– Belegpflichtverletzung 31 96 ff. – Belehrungspflicht 28 165, 28 181, 28 189 ff., s.a. dort – betragsmäßig beschränkte ~ 28 217 – Beweislast 28 234 – Erstprämie 37 20 – erweiterte Einlösungsklauseln 37 79, 37 84 – fahrlässige Obliegenheitsverletzung 28 229 ff. – Fahruntüchtigkeit 28 182 – fehlende Kausalität 21 34 ff., s.a. dort – gedehnte Versicherungsfälle 37 68 – Gefahrerhöhung Vor 23 1 – gegen Dritte 28 160, 28 162 – Geltendmachungserfordernis 28 161 – Generalprävention 28 166 – grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung 28 199 ff. – Haftpflichtversicherung 28 160 – Kausalität 21 34 ff., 28 183 ff., 30 45 f. – Kausalität der Verletzung 28 175 – Konkurrenzen 28 249 – Leistung 21 46 – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 1 ff., s.a. dort – Leistungskürzung 28 161 – Leistungspflicht gegenüber Dritten 37 78 – Leistungsrückforderung 28 162 – Nichtzahlung bei Versicherungsfall 37 68 ff. – Obliegenheitsverletzung 28 5, 28 11, 28 142, 28 159 ff., 58 9 ff. – Parteivereinbarung 30 41 – Quotelung 28 199 ff., s.a. dort – Rechtsirrtümer 28 179 – Rechtswidrigkeitszusammenhang 28 185 – Rücktritt des VR 19 126 – Rücktritt nach Versicherungsfall 21 33 – Rücktrittsvorbehalt 28 166 – Rückwärtsversicherung 37 76 – schuldlose Obliegenheitsverletzung 28 229 ff. – Schutzzweckzusammenhang 28 185 – Sicherungsschein 37 82 – Tatsachenirrtümer 28 179 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 6 – teilweise ~ 28 200, 29 32 ff., s.a. Quotelung – unerhebliche Obliegenheitsverletzung 28 168 – Verschulden 28 231, 30 42 ff. – Vertragsstrafe 28 166 – Vertreter des VN 20 6 – Verwirkung 28 163 – Verzicht 28 163, 37 80 f. – volle ~ 28 164 ff. – von Amts wegen 28 161 Klie

Sachregister

– vorläufige Deckung 37 75 – Vorsatz 28 176 ff. – vorsätzliche Obliegenheitsverletzung 28 175 ff. – Wirkung 28 160 ff. – Zahlungsfrist 37 71 ff. – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 65 ff. – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 68 ff. Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 1 ff. – arglistige Täuschung 26 47 f. – AVB 26 56 – Beurteilungsfehler 26 17 – Beweislast 26 57 ff. – Eintritt des Versicherungsfalls 26 8 – Gefahrstandspflicht 26 11 ff. – Gefahrtragungspflicht 26 54 – grobe Fahrlässigkeit 26 19 ff. – Kausalitätsgegenbeweis 26 37 ff. – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 26 49 ff. – Leistungskürzung 26 19 ff. – nachträglich erkannte subjektive 26 21 ff. – nachträglich erkannte subjektive Gefahrerhöhung 26 26 ff. – Nichtausübung des Kündigungsrechts 26 49 ff. – objektive Gefahrerhöhung 26 26 ff. – Quotelung 26 21 ff. – rechtsvernichtende Einwendung 26 10 – Relevanz-Rechtsprechung 26 16 – subjektive Gefahrerhöhung 26 12 – teilweise ~ 29 32 ff. – Verzicht 26 55 – Vorsatz 26 11, 26 13 ff. – Zweck 26 9 f. Leistungskürzung – Anzeigepflichtverletzung 30 39 f., 30 43 f. – Belegpflichtverletzung 31 96 ff. – Leistungsfreiheit 28 161 – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 19 ff. – Parteivereinbarung 30 41 Leistungsort 36 1 ff. – Aufrechnung 36 31 ff. – außerhalb der Richtlinie 36 16 ff. – Barzahlung 36 30 – Begriff 36 6 – Bringschuld 36 14, 36 19 ff. – Erfolgsort 36 6, 36 8 f., 36 22 – Erstprämie 36 4 – EU-Recht 36 13 f. – Folgeprämien 36 4 – Gerichtsstand des Erfüllungsortes 36 3 Klie

– gewerbliche Niederlassung 36 2, 36 7 – Holschuld 36 41 – Lastschriftverfahren 36 41 ff. – Leistungshandlung 36 6, 36 12 – Prämienzahlungspflicht 36 15 – sonstige Geldleistungen 36 4 – Überweisung 36 34 ff. – Wohnsitz 36 2, 36 7 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 17 Leistungsverweigerungsrecht – Kündigung des VN 56 20 ff. – laufende Versicherung 56 16 ff. Leitungswasserrisiko 23 115 Luftfahrthaftpflichtversicherung 23 126 M Makler-Pool 59 123 ff. Maklereinbrüche 59 187 Maklerklausel 69 18 Maklervertrag 59 147 ff. – konkludenter ~ 59 149 ff. – Nettopolice 59 161 ff. – Pflichten des Maklers 59 154 ff. – Scheinmakler 59 217 ff. – Vollmachten des Maklers 59 159 f. Maklerwechsel 59 185 ff. Mantelvertrag 29 15 Mehrfachagenten 19 33 Mehrfachversicherung – Beendigung der vorläufigen Deckung 52 3 – berechtigtes Auskunftsverlangen 31 30 – Gefahrerhöhung 23 148 – vorzeitige Vertragsbeendigung 39 6 Mehrfachvertreter – Betrauung 59 94 – Versicherungsvertreter 59 73 Mieter 28 97 Missbrauch der Vertretungsmacht 19 87 ff. Mitobhut 28 96 Mitteilungspflicht 25 19 f. mittelbare Stellvertretung Vor 43 15 Mitversicherung – berechtigtes Auskunftsverlangen 31 24 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 37 modifizierte Schickschuld 36 22 Moral Hazard 31 29 N Nachforschungen des VR 30 65 ff. Nachfrageobliegenheit – Anhaltspunkte 19 93 – Anzeigepflicht 19 91 ff. 1004

Sachregister

– Arglistanfechtung 19 96 – arglistige Täuschung 22 12 – Rücktritt des VR 19 95 Nachmeldepflicht 19 71 ff. Nachteil des VN 42 5 ff. – Ermittlung der nachteiligen Abweichung 42 6 – Gesamtsaldierung 42 7 – Kompensationstheorie 42 7 – Rechtsfolgen bei Abweichung 42 9 ff. – Vorteilsberücksichtigung 42 7 f. Nachträge 37 13 Nebengebühren 33 26 ff. Nebenintervenient des VN 45 19 Nebenpflichten 28 54 Nebentätigkeit 59 35, 59 37, 66 1 ff. Nettopolice 59 161 ff., 59 173 ff. Nettoprämie 33 18 Nichtausübung des Kündigungsrechts 26 49 ff. Nichtwissen 19 55 O objektive Gefahrerhöhung 23 95 ff. – Abgrenzung 23 100 ff. – Alarmanlage 23 118 – Anzeigeobliegenheiten 23 107 – automatisiertes Fahrsystem 23 136 – Baugerüst 23 117 – Betriebshaftpflichtversicherung 23 122 ff. – Betriebsschließungsversicherung 23 98 – Betriebsstilllegung 23 110 – Brandreden 23 112 – COVID-19-Pandemie 23 97 ff. – Cyberversicherung 23 128 – D&O-Versicherung 23 127 – Drohungen Dritter 23 112 – Einbruchdiebstahlversicherung 23 116 ff. – Einzelfälle 23 108 ff., 23 113 f. – Epilepsie 23 131 – Fahren ohne Brille 23 131 – Fahrerbeeinträchtigung 23 131 – Fahrzeugzustand 23 130 – Feuerversicherung 23 108 ff. – Gebäudeversicherung 23 108 ff., 23 121 – Gefahrkompensation 23 104 ff. – Gestattung der Drittvornahme 23 100 ff. – Haftpflichtversicherung 23 122 ff. – Hausratversicherung 23 108 ff., 23 121 – Insassenunfallversicherung 23 139 – Kfz-Haftpflichtversicherung 23 129 ff. – Kfz-Kaskoversicherung 23 134 ff. – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 31 ff. – Leerstehenlassen von Gebäuden 23 108 1005

– Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 26 ff. – Leitungswasserrisiko 23 115 – Luftfahrthaftpflichtversicherung 23 126 – Nutzungsänderung 23 111 – Personenversicherung 23 138 – Psychosen 23 131 – Smart Home 23 121 – subjektive Gefahrerhöhung 23 46 – Telematiktarife 23 137 – Trunkenheit am Steuer 23 131 – Unfallversicherung 23 139 – Veranstaltungsausfallversicherung 23 99 – Warenkreditversicherung 23 140 – Wegfall der Gefahrkompensation 23 104 ff. objektive Gefahrumstände 19 37 ff. – AGG 19 46 f. – Berufsunfähigkeitsversicherung 19 40 f. – Einbruchdiebstahlversicherung 19 49 – Feuerversicherung 19 49 – Gebäudeversicherung 19 49 – Genomanalyse 19 47 f. – Hausratversicherung 19 50 – Kfz-Kaskoversicherung 19 49 – Krankenversicherung 19 42 f. – Lebensversicherung 19 38 f. – Personenversicherung 19 38 ff. – Rechtsschutzversicherung 19 49 – Sachversicherung 19 49 f. – Schwangerschaft 19 46 – Vollkaskoversicherung 19 49 Obliegenheit 28 1 ff., 30 12 – Abgrenzung 28 20 ff., 28 23 ff., 28 36 ff. – Alles-oder-nichts-Prinzip 28 1 f. – Anzeigepflicht 19 6 – Auskunftspflicht des VN 31 18 – Ausschlussfrist 28 36 – Ausschlusstheorie 28 22, 28 24 – AVB 28 60 ff. – Begriff 28 19 – Belehrungspflicht 28 2 – Entfall der ~ 28 66 ff., s.a. dort – Explosionsklausel 28 30 – fremdbestimmtes Hilfsverhalten 28 30 – Fristen 28 36 ff. – Gefahränderung 57 11 – Gefahrerhöhung 23 2, 23 141 ff. – Gefahrverwaltung 28 30 – gesetzliche ~ 28 14 – Gleichstellung Versicherter-VN 47 13 ff., 47 22 ff. – Haftung für Dritte 28 85 ff., s.a. dort – Herbeiführungsausschluss 28 21 Klie

Sachregister

– Kasuistik 28 26 – Kausalität 28 1 – Nebenpflichten 28 54, 28 93 – Obliegenheitserfüllung 28 63 ff., s.a. dort – Prämienzahlung durch Dritte 34 15 – Produktinformationsblatt 28 9 – Quotelung 28 54, s.a. dort – Rechtsnatur 28 40 ff. – Rechtszwangtheorie 28 42, 28 53 – Relevanz-Rechtsprechung 28 2 – Risikoausschluss 28 20 – Risikobegrenzungen 28 20 ff., 28 23 ff. – Schadensersatz 28 54 – Sorgfaltsverhalten 28 30 – Theorienstreit 28 41 ff. – Transparenzgebot 28 34 – unverzügliche Anzeige 28 38 – Verbindlichkeitstheorie 28 43, 28 48 ff. – verhaltene ~ 31 21 – Verhaltenstheorie 28 22, 28 29 ff. – verhüllte ~ 28 21 – Verpflichtete 28 74 ff. – Verschulden 28 21 – Versicherung für fremde Rechnung 47 13 ff. – Versicherungsnehmer 28 74 ff. – vertragliche ~ 28 9 – Voraussetzungstheorie 28 41, 28 44 ff. Obliegenheitserfüllung 28 63 ff. – Bruchteilseigentum 28 76 – Entfall der Obliegenheit 28 66 ff., s.a. dort – Gesamthandgemeinschaft 28 76 – Gesamtrechtsnachfolge 28 77 – Haftung für Dritte 28 85 ff., s.a. dort – Mehrheit von VN 28 75 f. – Pfandgläubiger 28 81 – Transparenzgebot 28 64 – Umfang der Verpflichtung 28 63 ff. – Verpflichtete 28 74 ff. – Versicherter 28 82 ff. – Versicherungsnehmer 28 74 ff. – Vertragsübernehmer 28 78 f. – Zessionar 28 80 Obliegenheitsverletzung – Abdingbarkeit 58 22 f. – Alles-oder-nichts-Prinzip 58 4 – arglistige ~ 28 164 ff. – arglistige Täuschung 28 12 – Belegpflicht 31 95 ff. – Beweislast 28 233, 58 24 – einheitliche Regelung 28 4 – fahrlässige ~ 28 229 ff. Klie

– Gleichstellung Versicherter-VN 47 35 ff., 47 41, 47 42 ff. – grob fahrlässige ~ 28 199 ff. – grobe Fahrlässigkeit 28 145 – grobes Verschulden 28 5 – Haftung für Dritte 28 85 ff., s.a. dort – halbzwingende Vorschriften 32 20 – Kausalität 28 5 – Kenntnis des VN 28 137 – kollusives Zusammenwirken 28 12 – Konkurrenzen 28 249 – Kündigung des VR 28 4, 58 16 ff. – Kündigung, Beweislast 28 157 f. – Kündigung, fristlose 28 146 – Kündigung, missbräuchliche 28 154 – Kündigungsform 28 147 f. – Kündigungsfrist 28 149 ff. – Kündigungsrecht des VR 28 140 ff. – Kündigungswirkung 28 155 f. – laufende Versicherung 28 8, 58 2 ff. – Leistungsfreiheit 28 5, 28 11, 28 142, 28 159 ff., 58 9 ff., s.a. dort – Obliegenheit vor Versicherungsfall 28 144 – Proportionalität der Sanktion 28 3 – Quotelung 28 5, s.a. dort – Rechtsfolgen 28 136 ff. – relevante ~ 58 6 ff. – Repräsentanten 28 136 – risikovorbeugende Obliegenheiten 28 144 – Rücktritt des VR 28 248 – Rückversicherung 28 8 – schuldlose ~ 28 229 ff. – Seeversicherung 28 8 – Übergangsrecht 28 16 ff. – Verschulden 28 145 – Versicherungsfall 28 144 – vertragliche Obliegenheit 28 143 – Vorsatz 28 145 – vorsätzliche ~ 28 175 ff. Ordnungswidrigkeiten 59 324 Organe 28 86 Organisationsverschulden 28 85 P Pächter 28 97 Paketversicherung 29 15 Partei kraft Amtes 28 87 Passivenversicherung 48 17 Pauschalpolice 53 16 PEICL – Gleichstellung Versicherter-VN 47 63 f. – Rechte des Versicherten 44 55 1006

Sachregister

– Rechtsverhältnis VN-Versicherter 46 49 – Verfügungsbefugnis des VN 45 52 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 71 ff., 43 84 – Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 44 Person des Fragestellers 19 33 Personengesellschaften 19 61 Personenversicherung – arglistige Täuschung 22 24 – Frage des Versicherers 19 31 – objektive Gefahrerhöhung 23 138 – objektive Gefahrumstände 19 38 ff. – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 32, Vor 43 46 ff. Pfandgläubiger – Aufrechnung des VR 35 12 – Obliegenheitserfüllung 28 81 Pfandrechtserweiterung 34 19 f. Pflicht-Haftpflichtversicherung – Aufrechnung des VR 35 7 – Ausübung der VR-Rechte 21 10 – Gleichstellung Versicherter-VN 47 45 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 85 Pflichtverletzungen der Versicherungsvermittler 63 23 ff. Pflichtversicherung 38 15 Pläne 23 15 ff. Prämie 33 9 f. – abweichende Vereinbarungen 36 49 f. – Anmeldepflichtverletzung 54 20 – Arglistanfechtung 22 37 – Aufrechnung 36 31 ff. – Aufrechnung des VR 35 1 ff., s.a. dort – Barzahlung 36 30 – bedarfsgerechte ~ 28 204 – Beitrag 33 11 – Bringschuld 36 19 ff. – Daten als ~ 33 31 ff., s.a. dort – Entgelt 33 10 f. – Erfüllungswirkung der Zahlung 36 48 – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 1 ff., s.a. dort – halbzwingende Vorschriften 42 1 ff. – Holschuld 36 41 – laufende Versicherung 53 41 f. – Legaldefinition 33 10 – Leistungsort 36 1 ff., s.a. dort – modifizierte Schickschuld 36 22, 36 27 – Prämienbestandteile 33 12 ff., s.a. dort – Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 1 ff., s.a. dort 1007

– Prämienherabsetzung 41 1 ff., s.a. dort – Prämienzahlung durch Dritte 34 1 ff., s.a. dort – pro rata temporis 39 7, 50 7 – qualifizierte Schickschuld 36 1, 36 10 ff. – Rechtzeitigkeit 36 28 f. – Rücktritt des VR 19 126 – Scheck 36 45 ff. – Teilbarkeit 39 7 ff., 39 17 f. – Überweisung 36 34 ff. – Unteilbarkeit der ~ 39 2 f. – Verlustgefahr 36 10 – Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 33 – Verzögerungsgefahr 36 11 – vorläufige Deckung 50 2 ff., 51 2 ff., 51 8 f. – vorzeitige Vertragsbeendigung 39 1 ff., s.a. dort – Wechsel 36 45 ff. – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 1 ff., s.a. dort – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 1 ff., s.a. dort Prämienanpassung 25 11 ff. – Angemessenheit 25 14 – Mitteilungspflicht 25 19 f. – Zeitpunkt des Wirksamwerdens 25 15 ff. Prämienanpassungsklauseln 40 29 ff. – AGB 40 32 f. – Änderung des Schadensaufwandes 40 39 f. – Anknüpfungspunkt 40 51, 40 55 – Äquivalenzprinzip 40 51 – Bedeutung 40 29 f. – Bestimmtheit 40 50, 40 53 – Bestimmtheitsgebot 40 57, 40 59 – BGH 40 45 ff., 40 50 ff. – Branchenwerte 40 42 – BVerwG 40 38 ff. – einseitige ~ 40 31 – Erheblichkeitsschwelle 40 58 – Geringfügigkeitsgrenze 40 58 – Gewinnmaximierung 40 56 – gruppenspezifische Beurteilung 40 41 – Höchstgrenze 40 58 – inhaltliche Anforderungen 40 35 ff. – Inhaltskontrolle 40 35 – Klauselverbot 40 35 – Kontrollfähigkeit 40 34 – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 12, 40 17, 40 29 ff. – Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 31 – Rechtsprechung 40 37 ff. – Transparenzgebot 25 31, 40 54, 40 59 – Treuhänderbestellung 40 60 Klie

Sachregister

– Unterlassungsklagengesetz 40 65 – unwirksame ~ 40 62 ff. – Verwendung gegenüber Unternehmern 40 61 Prämienbestandteile 33 12 ff. – Beitragszuschlag 33 15 – Bruttoprämie 33 18 – Daten als Prämie 33 31 ff., s.a. dort – Feuerschutzsteuer 33 25 – Gewinnanteil 33 23 – Informationspflicht 33 14 – Nebengebühren 33 26 ff. – Nettoprämie 33 18 – Prämienkalkulation 33 15 – Prämienzu-/-abschläge 33 20 ff. – Risikoprämie 33 17 – Sicherheitszuschlag 33 15, 33 19 – Sparprämie 33 17 – Steuern 33 13 – verschiedene ~ 33 13 – Versicherungssteuer 33 24 – Verwaltungskostenbeitrag 33 18 – Zinsen 33 28 Prämienerhöhung – einseitige ~ 40 31 – Gefahränderung 57 20 – Kündigung bei Prämienerhöhung 40 9 ff., 40 14 ff., s.a. dort – Kündigung des VN 19 158 – Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 1 ff., s.a. dort Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 1 ff. – AVB 25 29 ff. – Beweislast 25 32 f. – Kündigung des VN 25 26 ff. – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 25 1, 25 6 – Prämienanpassung 25 11 ff., s.a. dort – Prämienanpassungsklauseln 25 31 – Risikoausschluss 25 21 ff. – Vertragsanpassung 25 8 – Wahlrecht 25 6 Prämienherabsetzung 41 1 ff. – Abdingbarkeit 41 18 – Abgrenzung 41 12 – Angemessenheit 41 15 – Anwendungsbereich 41 5 – AVB 41 18 f. – Bedeutungslosigkeit von Gefahrumständen 41 6 ff. – Beweislast 41 20 – Falschanzeige von Gefahrumständen 41 11 – Gefahrumstände 41 6 ff., 41 11 Klie

– Krankenversicherung 41 5 – Lebensversicherung 41 5 – Prämienkalkulation 41 10 – Rechtsfolgen 41 13 ff. – Verlangen des VN 41 13 ff. – Wegfall des versicherten Interesses 41 12 – Wegfall von Gefahrumständen 41 6 ff. – Zeitpunkt 41 17 – Zweck 41 3 Prämienhöhe – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 39 ff. – vorläufige Deckung 50 6 ff. Prämienkalkulation – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 40 – Prämienbestandteile 33 15 – Prämienherabsetzung 41 10 Prämienreduktion 59 286 f. Prämienzahlung durch Dritte 34 1 ff. – Abdingbarkeit 34 21 – ablösungsberechtigende Leistungen 34 13 – ablösungsberechtigte Personen 34 8 ff. – Annahmepflicht des VR 34 7 ff. – Annahmeverzug 34 15 – Bezugsberechtigte 34 9 – Informationspflicht 34 18 – Informationsrecht 34 17 – Obliegenheit 34 15 – Pfandgläubiger 34 10 – Pfandrechtserweiterung 34 19 f. – Rechtsfolgen 34 14 ff. – Versicherung für fremde Rechnung 34 8 – Zahlungspflicht 34 14 – Zweck 34 4 Prämienzahlungspflicht 36 15 Prämienzu-/-abschläge 33 20 ff. privates Wissen 28 132 Produktinformationsblatt – Obliegenheit 28 9 – Risikoausschluss 32 18 Produktvergleich 61 39 Proportionalität der Sanktion 28 3 Provision 59 88 Provisionsabgabeverbot 59 266, 59 269, 59 272 ff. – dauerhafte Leistungserhöhung 59 284 – gesetzliches Verbot 59 277 – Gewerberecht 59 280 – Prämienreduktion 59 286 f. – Preisbindung der zweiten Hand 59 275 – Versicherungsvermittler 59 11, 59 266, 59 272 ff. Provisionsannahmeverbot 59 225, 59 234, 59 248 ff. 1008

Sachregister

Prozesskostenhilfe 45 21 Prozessstandschaft 45 15, 45 17 Prüfungsbereitschaft des VR 31 35 ff. Pseudomakler 69 19 Psychosen 23 131 Q qualifizierte Konnexität 35 13 qualifizierte Mahnung 38 18 ff. – Angabe aller Rechtsfolgen 38 46 ff. – Belehrung 38 46 ff. – Beweislast 38 90 ff. – Einschreiben 38 28 – elektronische Kommunikation 38 27 – Empfangsbote 38 24 – Erklärungsbote 38 23 f. – Form 38 31 f. – Hausbriefkasten 38 26 – Inhalt 38 33 ff. – Kosten 38 40 – Mahnender 38 19 – Mahnungsadressat 38 20 f. – Prämienschuld 38 34 ff. – Prämienschuldner 38 20 – Textform 38 31 – Verzug mit mehreren Prämien 38 56 ff. – Zahlungsaufforderung 38 45 – Zahlungsfrist 38 42 ff. – Zeitpunkt 38 55 – Zinsen 38 40 – Zugang der Mahnung 38 22 ff. – Zugangsfiktion 38 30 – Zugangsvereitelung 38 29 qualifizierte Schickschuld 36 1, 36 10 ff. Querverkäufe 59 22, 59 63 ff. Quotelung 28 199 ff. – Additionsmodell 28 219 – Alles-oder-nichts-Prinzip 28 199 – bedarfsgerechte Prämie 28 204 – Belehrungspflicht 28 228 – betragsmäßig beschränkte Leistungsfreiheit 28 217 – Einstiegsquote 28 209 ff. – Einzelfallgerechtigkeit 28 201 – Fahrlässigkeitsvermutung 28 208 ff. – Fallmuster 28 213 – Kausalität 28 221 f., 28 225 ff. – Kündigung des VN 28 204 – Leistungsfreiheit 28 199 ff. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 21 ff. – mehrfache ~ 28 219 ff. 1009

– mittlere grobe Fahrlässigkeit 28 208 ff. – Obliegenheit 28 54 – Obliegenheitsverletzung 28 5 – Präventionswirkung 28 203 – Quotelungspraxis 28 223 – Quotelungsschritte 28 212 ff. – Quotelungsvereinbarungen 28 224 – Quotenkonsumption 28 219 – Quotenmultiplikation 28 219 – Selbstbehalt 28 218 – Stufenmodell 28 219 – Verschulden 28 199 – Verschuldensgrad 28 215 f. – wertende Gesamtbetrachtung 28 219 – Zweck 28 201 Quotelungspraxis 28 223 Quotelungsschritte 28 212 ff. Quotelungsvereinbarungen 28 224 Quotenkonsumption 28 219 Quotenmultiplikation 28 219 R Rahmenversicherungsverträge 59 55 ff. Ratenzahlung – Erstprämie 37 21 f. – Folgeprämien 38 8 Rechte des Versicherten 44 1 ff. – Abdingbarkeit 44 50 ff. – Akzessorietät der Rechtsstellung 44 9 – Annex zur Hauptforderung 44 8 – Aufrechnung 44 21 – Auslandsrechte 44 54 – Beweislast 44 49 – Einzelrechtsnachfolge 44 20 – Gesamtrechtsnachfolge 44 20 – Insolvenz des VN 44 19 – PEICL 44 55 – Rechte aus dem Versicherungsvertrag 44 5 – Rechte/Pflichten des VN 44 10 ff. – Rechtsfolgen bei Leistung 44 47 f. – Rettungskosten 44 7 – Sachverständigenverfahren 44 7 – Sicherungsschein 44 44 ff. – Veräußerung der versicherten Sache 44 22 f. – Verfügungsbefugnis 44 3, 44 24 f. – Versicherungsleistung 44 5 – Versicherungsschein 44 2, 44 15 ff. – Verzugsschaden 44 8 – Zinsen 44 8 – Zwangsvollstreckung 44 18 – Zweck 44 4 Klie

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Rechtsfolgenbelehrung 19 114 ff. – Doppelbelehrung 19 116 – eindeutige ~ 19 117 – Extra-Blatt 19 115 – Rücktritt des VR 19 114 ff. – Textform 19 115 – umfassende ~ 19 117 – Versicherungsmakler 19 115 Rechtsirrtümer 28 179 Rechtsschutzversicherung – Beratungsfehler 63 70 – objektive Gefahrumstände 19 49 – Verfügungsbefugnis des VN 45 20 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 65 Rechtstatsachen 19 37 Rechtsverhältnis Makler-VR 59 195 ff. Rechtsverhältnis VN-Versicherter 46 1 ff. – Auslandsrechte 46 48 – Befriedigungsvorrecht 46 40 ff. – Innenverhältnis 46 2 – Insolvenz des Versicherten 46 44 f. – Insolvenz des VN 46 46 – PEICL 46 49 – Rechte des VN 46 29 ff. – Schuldverhältnis 46 3 ff. – Treuhandverhältnis 46 6 ff. – Valutaverhältnis 46 2 – VN als Treuhänder 46 11 ff., s.a. dort – Zurückbehaltungsrecht 46 2, 46 29 ff. Rechtswidrigkeitszusammenhang 28 185 Rechtszwangtheorie 28 42, 28 53 Rechtzeitigkeit der Auskunft 30 76 f. Relevanz-Rechtsprechung – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 16 – Obliegenheit 28 2 Renewal-Fragebogen 19 15 Rentenversicherung – Beratungsfehler 63 89 ff. – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 66 Repräsentanten 28 95 ff. – alleinige Obhut 28 96 – Anzeigepflichtiger 19 20 – Auskunftspflicht des VN 31 15 – Duldung 28 103 – Ehegatte 28 97, 28 103 – eigenmächtiges Handeln 28 103 – Geschäftsbereich 28 101 – Kenntnis des VN 19 62 – Kfz-Haftpflichtversicherung 28 97 – Mieter 28 97 – Mitobhut 28 96 – Obhutsuberlassung von Dauer 28 98 Klie

– Obliegenheitsverletzung 28 136 – Pächter 28 97 – Repräsentantenhaftung 28 89 ff., s.a. dort – Risikoverwaltung 28 96, 28 98 – subjektive Gefahrerhöhung 23 76 – Vertragsverwaltung 28 100 – Wissen/Willen des VN 28 103 Repräsentantenhaftung 28 89 ff. – Anwendungsbereich 28 94 – Beispiele 28 106 f. – Gehilfenhaftung 28 89 – Gleichbehandlungsgebot 28 90 – Kritik 28 92 f. – Rechtsfortbildung 28 90 – Repräsentanten 28 95 ff. – Risikoverwaltung 28 94 – Unabdingbarkeit 28 105 – Vertragsverwaltung 28 108 ff. – Wissenserklärungsvertreter 28 108 ff., s.a. dort – Wissensvertreter 28 127 – zurechenbares Verhalten 28 104 Restschuldversicherung – Saldierung Vor-/Nachteile 32 11 – Versicherungsvermittler 59 40 Rettungskosten 44 7 Richtigkeitsgebot – Auskunft 30 63 ff. – Belegpflicht 31 90 f. Risikoanalyse 61 35, 61 38, 61 42 Risikoausschluss – Anzeigepflicht 19 166 – Gefahrerhöhung 23 152, 25 21 ff. – Gleichstellung Versicherter-VN 47 35 ff., 47 46 – Kündigung des VN 19 159 – Obliegenheit 28 20 – Produktinformationsblatt 32 18 – Saldierung Vor-/Nachteile 32 11 – vorläufige Deckung Vor 49 62 ff. Risikobegrenzungen – Kasuistik 28 27 – Obliegenheit 28 20 ff., 28 23 ff. Risikogemeinschaft Vor 23 3 Risikoprämie 33 17 Risikoprüfung – berechtigtes Auskunftsverlangen 31 31 – Saldierung Vor-/Nachteile 32 15, 32 17 – vorläufige Deckung Vor 49 59 Risikoverwaltung – Repräsentanten 28 96, 28 98 – Repräsentantenhaftung 28 94 Risikozuschläge 19 150 Rückfrageobliegenheit 30 50 1010

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Rückgewährschuldner 19 128 Rückgewährschuldverhältnis 19 125 Rücktritt des VR 19 97 ff. – Anzeigepflicht 19 8 ff. – Anzeigepflichtverletzung 19 98 – Arglistanfechtung 19 130 – Berufsunfähigkeitsversicherung 19 133 – Erstprämie 37 20 – Fahrlässigkeit des VN 19 97 – Fahrlässigkeitsvermutung 19 107 – grobe Fahrlässigkeit 19 100 – Kenntnis von der Unrichtigkeit 19 118 ff., s.a. dort – Kündigung des VR 19 130 – laufende Versicherung 56 10 – Lebensversicherung 19 133 – Leistungsfreiheit 19 126 – Nachfrageobliegenheit 19 95 – Obliegenheitsverletzung 28 248 – Prämie 19 126 – Rechtsfolgen 19 125 ff. – Rechtsfolgenbelehrung 19 114 ff., s.a. dort – Rückgewährschuldner 19 128 – Rückgewährschuldverhältnis 19 125 – Rücktrittserklärung 19 124 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 4 ff., s.a. dort – Teilrücktritt 19 126 – Transportversicherung 19 132 – Übergangsrecht 21 3 – Umdeutung 19 130 – unberechtigter ~ 19 131 – Vertragsanpassung 19 108 ff. – Vertrauensschutz 19 129 – Voraussetzungen 19 98 ff. – Vorsatz des VN 19 99 – vorzeitige Vertragsbeendigung 39 11 – Wirkung 19 125 ff. – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 62 ff. – Zinsen 19 127 Rücktrittserklärung – Ausübung der VR-Rechte 21 11 ff. – Rücktritt des VR 19 124 Rücktrittsvorbehalt 28 166 Rückversicherung – Anzeigepflicht 19 13 – Ausübung der VR-Rechte 21 9 – laufende Versicherung 53 30 – Obliegenheitsverletzung 28 8 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 8 – Versicherung für fremde Rechnung 43 22 1011

Rückwärtsversicherung – Anzeigepflicht 19 14 – Erstprämie 37 25 – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 60 – Leistungsfreiheit 37 76 – vorläufige Deckung Vor 49 24 Rückwirkung 35 18 Ruhen der Versicherung 38 81 ruhende Versicherung 19 16 S Sacherhaltungsinteresse 43 39 – Versicherung eigener Sachen 43 41 ff. Sachersatzinteresse 43 39 – Versicherung eigener Sachen 43 45 ff. Sachkundeprüfung – Versicherungsvermittlerverordnung 59 26, 59 300 – Versicherungsvertreter 59 115 Sachnutzungsinteresse 43 39 Sachversicherung – arglistige Täuschung 22 25 – Frage des Versicherers 19 32 – laufende Versicherung 53 30 – objektive Gefahrumstände 19 49 f. – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 67 Sachverständigenverfahren 44 7 Saldierung Vor-/Nachteile 32 8 ff. – Beurteilungsmaßstab 32 10 – BGH 32 11 ff. – OLG Dresden 32 14 – Produktinformationsblatt 32 18 – Restschuldversicherung 32 11 – Risikoausschluss 32 11 – Risikoprüfung 32 15, 32 17 – Vertragsstrafe 32 19 Schadensanzeige 31 41 Schadensersatz – Anmeldepflichtverletzung 54 12 – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 13 – Anzeigepflichtverletzung 30 49 ff. – Auskunftspflicht des VN 31 8 – Belegpflichtverletzung 31 104 – Beratungsfehler 63 42 ff., s.a. dort – Obliegenheit 28 54 – Versicherung für fremde Rechnung 43 69 f. – Versicherungsvermittler 63 1 ff., 63 9 – VN als Treuhänder 46 26 ff. Schadensversicherung – fehlende Kausalität 21 41 – laufende Versicherung 53 30 Klie

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– Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 31, Vor 43 42 ff. Scheck 36 45 ff. Scheinmakler 59 194, 59 213 ff. – Maklervertrag 59 217 ff. Schicksalsteilungsgrundsatz 59 165 Schriftform – Anzeige 30 24 – Ausübung der VR-Rechte 21 14 – Belehrungspflicht 28 192 – Beschränkung der Vertretungsmacht 72 10, 72 14 f. – Formvereinbarungen 32 28, 32 31 ff. schuldlose Obliegenheitsverletzung 28 229 ff. Schuldschein 55 12 Schuldverhältnis 46 3 ff. Schutzgelderpressungen 23 18 Schutzzweckzusammenhang 28 185 Schwangerschaft 19 46 Schweigepflicht 22 44 Score-Wert 33 31 Seeversicherung – Anzeigepflicht 19 13 – Ausübung der VR-Rechte 21 9 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 8 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 40 Selbstbehalt 28 218 Selbstverschuldensprinzip 28 85 Sicherheitszuschlag 33 15, 33 19 Sicherungsschein 44 44 ff. Smart Home 23 121 sofort beginnender Versicherungsschutz Vor 49 25 ff. Sonderregeln 44 42 f. Sorgfaltsverhalten 28 30 Sozialbindung 35 7 Sparprämie 33 17 Spediteure 59 51 Sperrwirkung 22 4 spontane Anzeigeobliegenheit 30 61 Sprache 28 194 statusergänzende Informationen 60 7 Statusinformationen – Beratungsgrundlage 60 7 – Inkassovollmacht 69 45 – Versicherungsberater 59 232 Steuern 33 13 Störung der Geschäftsgrundlage 23 149 Stufenmodell 28 219 Stundungsvereinbarung – Erstprämie 37 23 Klie

– Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 65 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 77 ff. Sturmversicherung 63 69 subjektive Gefahrerhöhung 23 45 ff. – aktives Tun 23 50 ff. – Duldung der Drittvornahme 23 80 ff. – Einwilligung des VR 23 84 f. – Gefahrstandspflicht 23 47 – Gestattung der Drittvornahme 23 77 ff. – Kausalität 23 86 – Kenntnis des VN 23 68 – Kenntnisenziehung, arglistige 23 69 ff. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 12 – nachträglich erkannte ~ 23 87 ff. – objektive Gefahrerhöhung 23 46 – Repräsentanten 23 76 – Unterlassen 23 53 ff. – unverzügliche Anzeige 23 91 ff. – Vertragserklärung 23 45 – Vertreter des VN 23 76 – voluntatives Element 23 66 ff. – Vornahme der Gefahrerhöhung 23 50 ff. – Wissensvertreter 23 76 subjektive Momente 19 37 suitable advice 60 16 Summenpolice 53 17 Summenversicherung – fehlende Kausalität 21 42 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 35, 43 9 – Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 18 T Tarifbestimmungen – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 43 – Gefahrerhöhung 23 147 Tarifgenehmigungspflicht 33 40 Tatsachenirrtümer 28 179 Teilbarkeit der Prämie 39 7 ff., 39 17 f. Teilkündigung/-rücktritt des VR 19 126, 29 4 ff. – Arglistanfechtung 29 14 – AVB 29 13 – Bündelversicherungen 29 15 – einheitlicher Vertrag 29 12 ff. – Einheitlichkeitswille 29 14 – Gefahrerhöhung 29 6 – Gegenstand 29 17 – Gesamthandgemeinschaft 29 18 – hypothetischer Parteiwille 29 4, 29 22 ff. – Krankenversicherung 29 8 – Kündigung des VN 29 5, 29 29 ff. 1012

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– laufende Versicherung 29 8 – Leistungsfreiheit 29 6 – Mantelvertrag 29 15 – mehrere Personen 29 18 – mehrere Verträge 29 12 f. – Paketversicherung 29 15 – Rechtsfolgen 29 27 f. – Rückversicherung 29 8 – Seeversicherung 29 8 – Teilbarkeit des Vertrags 29 16 ff. – Teilnichtigkeit 29 13 – teilweiser Pflichtenverstoß 29 20 f. – Übergangsrecht 29 9 – Versicherer 29 4 ff. – Vertragserhaltung 29 4 Teilnichtigkeit 29 13 Teilzahlungen – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 62 – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 32 Tele-Underwriting 19 35 Telematiktarife – Daten als Prämie 33 31 – objektive Gefahrerhöhung 23 137 – unerhebliche Gefahrerhöhung 27 17 Textform – Auskunft 30 42 – Belehrungspflicht 28 192 – Beratungs-/Dokumentationsverzicht 61 55, 61 67 – berechtigtes Auskunftsverlangen 31 25 – Einzelpolice 55 8 – Formvereinbarungen 32 28, 32 34 – Frage des Versicherers 19 34 ff. – Information des VN 62 11 f. – qualifizierte Mahnung 38 31 – Rechtsfolgenbelehrung 19 115 Tilgungsbestimmungen 37 41 f. Tippgeber 59 45, 59 47 Transparenzgebot – halbzwingende Vorschriften 32 36 – Obliegenheit 28 34 – Obliegenheitserfüllung 28 64 – Prämienanpassungsklauseln 25 31, 40 54, 40 59 – verhüllte Obliegenheit 28 34 Transportversicherung – Anzeigepflicht 19 14 – Ausübung der VR-Rechte 21 10 – Gefahränderung 57 4, 57 7 – Gefahrerhöhung 23 158 – laufende Versicherung 53 24 ff. 1013

– Rücktritt des VR 19 132 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 68 Trennungstheorie Vor 49 21 Treu und Glauben 38 84 Treuhänderbestellung 40 60 Treuhandverhältnis Vor 43 2 – Rechtsverhältnis VN-Versicherter 46 6 ff. Trunkenheit am Steuer 23 131 U Übergangsrecht – Anzeigepflicht 19 4 f. – arglistige Täuschung 22 3 – Obliegenheitsverletzung 28 16 ff. – Rücktritt des VR 21 3 – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 9 Überversicherung – Versicherung für fremde Rechnung 43 36 – vorzeitige Vertragsbeendigung 39 6 Umdeutung – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 18 – Rücktritt des VR 19 130 Umsatzpolice 53 15 unerhebliche Gefahrerhöhung 27 2 ff. – Abnutzung 27 13 – Alterungsprozess 27 13 – AVB 27 16 ff. – Beweislast 27 19 – Durchschnittsrisiko 27 12 – Eintritt des Versicherungsfalls 27 5 – Entwertungsgedanke 27 14 – maßgebliche Umstände 27 12 ff. – qualitativ ~ 27 8 ff. – quantitativ ~ 27 4 ff. – Risikoerhöhungen von kurzer Dauer 27 6 f. – Telematiktarife 27 17 Unfallversicherung – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 16 – Gefahrerhöhung 23 161 – Gleichstellung Versicherter-VN 47 56 – objektive Gefahrerhöhung 23 139 – objektive Gefahrumstände 19 44 f. – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 36 Uniwagnis-Datei 30 67 unterjährige Zahlungsweise 33 62 ff. Unterlassen 23 53 ff. Unternehmenstarif 33 39, 33 43 Unterversicherung 63 71 unverzügliche Anzeige 30 30 ff. – Obliegenheit 28 38 – subjektive Gefahrerhöhung 23 91 ff. – Versicherungsfall 30 30 ff. Klie

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Urkunde – Abschlussvollmacht 71 5 – Einzelpolice 55 8, 55 11 ff. V Valutaverhältnis Vor 43 2 – Rechtsverhältnis VN-Versicherter 46 2 Ventillösung 59 97 Veranstaltungsausfallversicherung 23 99 Veräußerung der versicherten Sache – Rechte des Versicherten 44 22 f. – Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 38 Verbindlichkeitstheorie 28 43, 28 48 ff. Verfehlung des Versicherungszwecks 61 26 Verfügungsbefugnis 44 24 f. – einstweilige Verfügung 44 26, 44 28 – Rechte des Versicherten 44 3, 44 24 f. – rechtsmissbräuchliches Verhalten des VR 44 37 ff. – regelmäßige ~ 45 6 ff. – selbständige ~ 44 52 – Sonderregeln 44 42 f. – Verfügung 44 27 f. – Verfügungsbefugnis des VN 45 1 ff., 45 4 f., s.a. dort – Verfügungsbeschränkung 44 24 – Versicherung eigener Interessen ohne ~ 43 11 – Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 32 – Versicherungsschein 44 33 ff. – Zustimmung des VN 44 30 ff. Verfügungsbefugnis des VN 45 1 ff. – Abdingbarkeit 45 45 ff. – Aufrechnung 45 25 – Auslandsrechte 45 51 – AVB 45 46 ff. – Bereicherungsausgleich 45 38 ff. – Einschränkung 45 22 ff. – Einzelrechtsnachfolge 45 31 – Einziehungsermächtigung, gesetzliche 45 4 – Erfüllungshandlungen des VR 45 27 – Gesamtrechtsnachfolge 45 31 – Insolvenz des VN 45 32 – Leistungsannahme 45 25 – materiellrechtliche Wirkung 45 9 ff. – Nebenintervenient 45 19 – PEICL 45 52 – Prozesskostenhilfe 45 21 – Prozessstandschaft 45 15, 45 17 – prozessuale Wirkung 45 14 ff. Klie

– Rechtsschutzversicherung 45 20 – Rechtsstellung 45 2 – regelmäßige ~ 45 6 ff. – Übertragung der Rechte 45 28 – Verfügungsbefugnis 45 4 f. – Versicherungsschein 45 22 ff. – Verzicht 45 29 f. – Wettversicherungen 45 3, 45 33 – Zustimmung der versicherten Person 45 24, 45 33 ff. Vergleichsportale 59 72 Verhalten des Versicherten 47 3 ff. Verhaltenstheorie 28 22, 28 29 ff. verhüllte Obliegenheit 28 21 – halbzwingende Vorschriften 32 21 – Transparenzgebot 28 34 – Unwirksamkeit 28 35 Verjährung 33 68 Verlustgefahr 36 10 Vermittlerregister 59 308 Vermittlerrichtlinie 59 1, 59 5 ff. – Versicherungsvermittler 59 6 Vermögensschadenshaftpflichtversicherung 31 30 Verschulden – Anzeigepflichtverletzung 30 42 ff. – Belegpflichtverletzung 31 99 f. – Leistungsfreiheit 28 231, 30 42 ff. – Obliegenheit 28 21 – Obliegenheitsverletzung 28 145 – Quotelung 28 199 – Versicherungsmakler 63 21 – Wissenserklärungsvertreter 28 115 Verschuldensgrad 28 215 f. Verschuldensvermutung 37 1 Verschweigen 19 79 Versicherer – Aufrechnung des VR 35 1 ff., s.a. dort – Ausübung der VR-Rechte 21 1 ff. – Erklärungsempfänger 19 74 – Frage des ~s 19 27 ff., s.a. dort – Kenntnis des Versicherungsvertreters 70 1 ff., s.a. dort – Kündigung des VR 19 136 ff., s.a. dort – Nachfrageobliegenheit 19 91 ff. – Rücktritt des VR 19 97 ff., s.a. dort – Teilkündigung/-rücktritt des VR 29 4 ff., s.a. dort versichertes Interesse – Gefahrerhöhung 23 150 – laufende Versicherung 53 18 ff. – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 5 1014

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– Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 5 ff. – vorzeitige Vertragsbeendigung 39 6 Versicherung alternativer Interessen 48 6 ff., 48 34 Versicherung eigener Interessen an fremden Sachen 43 8 Versicherung eigener Interessen ohne Verfügungsbefugnis 43 11 Versicherung eigener Sachen – Sacherhaltungsinteresse 43 41 ff. – Sachersatzinteresse 43 45 ff. – Versicherung für fremde Rechnung 43 41 ff. Versicherung fremder Interessen für eigene Rechnung 43 9 Versicherung fremder Personen für eigene Rechnung 43 13 f. Versicherung fremder Sachen 43 51 ff. Versicherung für fremde Rechnung 22 17, Vor 43 1 ff. – Abgrenzung 43 7 ff. – analoge Anwendung Vor 43 39 – Anfechtung 43 59 ff. – Anzeigepflichtiger 19 25 – Arglistanfechtung 43 66 ff. – Arten Vor 43 51 ff. – Auslandsrechte 43 83 – Beendigung 43 72 ff. – Begriff Vor 43 1, 43 6 – Begünstigte eines Regressverzichts 43 20 – Berufsunfähigkeitsversicherung Vor 43 46, Vor 43 60 – Beweislast 43 82 – Bezugsberechtigte Vor 43 49 f., 43 15 f. – Bruchteilsgemeinschaften 43 30 – Completion Bonds Vor 43 39 – D&O-Versicherung 43 38 – Deckungsverhältnis Vor 43 1 – Definition 43 1 – dinglich Berechtigte 43 12 – Eigenversicherung 43 74 f. – Eigenversicherungsvermutung 43 77 ff. – Einrede der Anfechtbarkeit 43 71 – Eintrittsberechtigte 43 17 – Entwicklung Vor 43 9 ff. – Erlöschen 43 72 f. – Erwerber der versicherten Sache 43 18 – fremdes Interesse 43 33 ff. – geschädigte Dritte 43 19 – gesetzliche Vermutung Vor 43 58 – Gleichstellung Versicherter-VN 47 3 ff., s.a. dort – grenzüberschreitende ~ Vor 43 70 1015

– Grundpfandgläubiger 43 12 – Gruppenversicherung Vor 43 62 – Haftpflichtversicherung Vor 43 45, Vor 43 61, 43 37 f. – Inbegriffsversicherung Vor 43 38 – Insolvenz des VN 43 76 – Interessewegfall 43 36, 43 73 – Irrtumsanfechtung des VN 43 59 ff. – Irrtumsanfechtung des VR 43 64 – Kenntnis des Versicherten 47 3 ff. – kombinierte Eigen-/Fremdversicherung Vor 43 6 – Kommissionstheorie Vor 43 14 – Krankenversicherung Vor 43 36 – Lebensversicherung Vor 43 46 ff., Vor 43 64 – mittelbare Stellvertretung Vor 43 15 – Mitversicherung von Kindern Vor 43 37 – Obliegenheit 47 13 ff. – PEICL Vor 43 71 ff., 43 84 – Personenversicherung Vor 43 32, Vor 43 46 ff. – Phänomenologie Vor 43 41 ff. – praktischer Bedarf Vor 43 41 ff. – Prämienzahlung durch Dritte 34 8 – Prüfungsreihenfolge 43 23 – Rechte des Versicherten 44 1 ff., s.a. dort – Rechtsnatur Vor 43 14 ff. – Rechtspflicht zur ~ Vor 43 52 ff. – Rechtsschutzversicherung Vor 43 65 – Rechtsverhältnis VN-Versicherter 46 1 ff., s.a. dort – Rentenversicherung Vor 43 66 – Rückversicherung 43 22 – Sacherhaltungsinteresse 43 39 – Sachersatzinteresse 43 39 – Sachnutzungsinteresse 43 39 – Sachversicherung Vor 43 67, 43 39 ff. – Schadensersatz 43 67 f., 43 69 f. – Schadensversicherung Vor 43 31, Vor 43 42 ff. – Seeversicherung Vor 43 40 – Sonderregeln Vor 43 36 ff. – Summenversicherung Vor 43 35, 43 9 – Transportversicherung Vor 43 68 – Treuhand zugunsten Dritter Vor 43 20 ff. – Treuhandverhältnis Vor 43 2 – Überversicherung 43 36 – Umwandlung 43 74 f. – Unfallversicherung Vor 43 36 – Valutaverhältnis Vor 43 2 – Verfügungsbefugnis des VN 45 1 ff., s.a. dort – Verhalten des Versicherten 47 3 ff. – versichertes Interesse Vor 43 5 – Versicherung eigener Interessen an fremden Sachen 43 8 Klie

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– Versicherung eigener Interessen ohne Verfügungsbefugnis 43 11 – Versicherung eigener Sachen 43 41 ff. – Versicherung fremder Interessen für eigene Rechnung 43 9 – Versicherung fremder Personen für eigene Rechnung 43 13 f. – Versicherung fremder Sachen 43 51 ff. – Versicherungszweige Vor 43 34 – Vertrag zugunsten Dritter Vor 43 17 ff., Vor 43 24 ff. – vertragliche Vereinbarung Vor 43 59 ff. – Vertragsschluss 43 55 ff. – Vertragsschluss für einen anderen 43 35 ff. – Vertragsschluss im eigenen Namen 43 24 ff. – Vertreter des VN 43 25 ff. – Vollzugsverhältnis Vor 43 3 – Zweifelsfälle 43 29 ff. Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 1 ff. – Aktivenversicherung 48 17 – Anwendungsbereich 48 17 ff. – Auflösung 48 39 ff. – Auslandsrechte 48 43 – Beweislast 48 42 – CIF-Verkäufer 48 19 – eigener Versicherungstypus 48 3 – Feststellung des versicherten Interesses 48 25 ff. – Geheimhaltungsinteresse 48 14 – Interessegestaltungen 48 5 ff. – Interesseträgerschaft 48 30 f. – Passivenversicherung 48 17 – PEICL 48 44 – Prämie 48 33 – Rechtsfolgen 48 32 ff. – Rechtsnatur 48 15 – Seegüterversicherung 48 1 – Summenversicherung 48 18 – Veräußerung der versicherten Sache 48 38 – Vereinbarung 48 20 ff. – Verfügungsbefugnis 48 32 – Versicherung alternativer Interessen 48 6 ff., 48 34 – Versicherung kumulativer Interessen 48 11 ff., 48 35 – Versicherung sukzessiver Interessen 48 9 f., 48 36 – Versicherungsfall 48 28 – Verteilung der Rechte 48 32 – Zeitpunkt des Vertragsschlusses 48 27 – Zurückweisung 48 32 – Zweck 48 3 Klie

Versicherung kumulativer Interessen 48 11 ff., 48 35 Versicherung sukzessiver Interessen 48 9 f., 48 36 Versicherungsanlageprodukte 59 322 Versicherungsberater 59 13, 59 220 ff. – Änderung von Verträgen 59 239 – Ansprüche im Versicherungsfall 59 241 ff. – arglistige Täuschung 22 19 – Begriff 59 7, 59 220 – Durchleitungsgebot 59 252 ff. – Erklärungsempfänger 19 76 – Erlaubnis 59 221 – Gewerberecht 59 226 ff. – Gewerbsmäßigkeit 59 231 – Kenntnis von der Unrichtigkeit 19 123 – Provisionsannahmeverbot 59 225, 59 234, 59 248 ff. – Prüfung von Verträgen 59 239 – Statusinformationen 59 232 – Vereinbarung von Verträgen 59 237 – Versicherungsfall 59 241 ff. – Versicherungsmakler 59 233, 68 1 – Versicherungsvertreter 59 73 – Vertretung gegenüber VR 59 245 ff. Versicherungsfall – Anzeigepflicht ~ 30 1 ff., s.a. dort – Gefahrerhöhung 23 39, 23 145 f. – Obliegenheitsverletzung 28 144 – Versicherung für Rechnung wen es angeht 48 28 – Versicherungsberater 59 241 ff. Versicherungsleistung 44 5 Versicherungsmakler 59 119 ff. – Abgrenzung 59 119 ff., 59 128 ff. – Abschluss für den Auftraggeber 59 147 ff. – Antragsablehnung durch VR 59 205 ff. – arglistige Täuschung 22 19 – Begriff 59 119 f. – Beratungs-/Dokumentationsverzicht 61 62 – Beratungsgrundlage 60 2 ff. – Beratungspflichtverletzung 63 31 ff. – Berufshaftpflichtversicherung 59 212 – Betrauung 59 192 ff. – Bruttopolice 59 210 – Courtagevereinbarung 59 196 – Doppelrechtsverhältnis 59 192, 59 194, 59 203 – Erfolgshonorar bei Tarifwechsel 59 178 ff. – Erfüllungshaftung 63 16 – Erklärungsempfänger 19 76 – Erlaubnis 59 141 ff. – Frage des Versicherers 19 33 – gesetzliche Vollmacht 69 18 1016

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– Gewerberecht 59 141 ff. – Gewerbsmäßigkeit 59 146 – Gläubiger der Courtage 59 209 ff. – Handelsmakler 59 128 ff. – Informationsverzicht des VN 60 27 ff. – Inkassovollmacht 69 43 – Kausalität 59 208 – Kenntnis von der Unrichtigkeit 19 123 – Korrespondenzmakler 59 190 – Kostenausgleichsvereinbarung 59 167 ff. – Makler-Pool 59 123 ff. – Maklereinbrüche 59 187 – Maklervertrag 59 147 ff., s.a. dort – Maklerwechsel 59 185 ff. – Markt-/Informationsgrundlage 60 23 ff. – Nettopolice 59 161 ff., 59 173 ff. – Pflichten des Maklers 59 154 ff. – Pflichtverletzungen 63 17 ff. – Rechtsfolgenbelehrung 19 115 – Rechtsverhältnis Makler-VR 59 195 ff. – Sachwalter 59 120 – Schaden 63 22 – Scheinmakler 59 194, 59 213 ff. – Schicksalsteilungsgrundsatz 59 165 – Umdeckung 59 185 – Vermittlung für den Auftraggeber 59 147 ff. – Verschulden 63 21 – Versicherungsberater 68 1 – Versicherungsvertreter 59 73, 59 120, 59 135 – Verwirkung der Provision 59 182 ff. – Vollmachten des Maklers 59 159 f. – Zuverlässigkeit 59 144 Versicherungsnehmer – Anzeigepflicht 19 1 ff., s.a. dort – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 1 ff., 30 9, s.a. dort – Anzeigepflichtiger 19 19 – Auskunftspflicht des VN 31 1 ff., 31 14 ff., s.a. dort – Belegpflicht 31 7, 31 82 ff., s.a. dort – Kenntnis des VN 19 55 ff., s.a. dort – Kündigung des VN 19 155 ff., s.a. dort – Obliegenheitserfüllung 28 74 ff. – Organisationsverschulden 28 85 – Selbstverschuldensprinzip 28 85 – Vertreter des VN 20 1 ff., s.a. dort Versicherungsschein – Einzelpolice 55 4, 55 5 ff. – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 50 – Rechte des Versicherten 44 2, 44 15 ff. – Verfügungsbefugnis 44 33 ff. – Verfügungsbefugnis des VN 45 22 ff. – Versicherungsvertreter 69 39 1017

Versicherungssteuer 33 24 Versicherungsvermittler 59 1 ff. – Abgrenzung 59 53 f., 59 55 ff. – abweichende Vereinbarungen 67 1 ff. – Angestellte des VR 73 2 – Assecuradeure 59 57 – Auge-und-Ohr-Rechtsprechung 59 3 – ausgenommene Gewerbetreibende 66 1 ff. – Bagatelltätigkeiten 59 36 – Begriff 59 6, 59 29, 59 31 – Begriff der Rechtsprechung 59 48 ff. – Begriff nach § 34d GewO 59 43 – Begünstigungsverbot 59 268 ff. – Beratungs-/Dokumentationspflicht 61 1 ff., s.a. dort – Beratungs-/Dokumentationsverzicht 67 11 ff. – Beratungsfehler 63 42 ff., s.a. dort – Beratungsgrundlage s.a. dort – Beratungsverzicht 63 24 – Beschränkungen vertraglicher Pflichten 67 15 ff. – Call-Center 59 47 – Dokumentationspflichtverletzung 63 25 ff. – Erfüllungshaftung 63 7, 63 11 – Erfüllungsinteresse 63 39 – Erlaubnis 59 2, 59 76 – Finanzgerichte 59 52 – Funktionsausgliederungsverträge 59 53 f. – Gelegenheitsvermittler 73 3 – halbzwingende Vorschriften 67 1 ff. – Honorarannahmeverbot 59 10 – Honorarberatung 59 259 ff. – IDD 59 31 – IDD-Umsetzung 59 8 ff. – Information des VN 62 1 ff., s.a. dort – Interesse der VN 59 18 – Internet 59 66 ff. – Kardinalpflichten 67 16 f. – Lagerhalter 59 51 – Mitwirkung im Schadensfall 59 61 – Nebenpflichten 67 18 ff. – Nebentätigkeit 59 35, 59 37, 66 1 ff. – Pflichtverletzungen 63 23 ff., 67 4 ff. – Provisionsabgabeverbot 59 11, 59 266, 59 269, 59 272 ff., s.a. dort – Querverkäufe 59 22, 59 63 ff. – Rahmenversicherungsverträge 59 55 ff. – Restschuldversicherung 59 40 – Rollenverteilung 59 48 – Schadensersatz 63 1 ff., 63 9 – Spediteure 59 51 – Tippgeber 59 45, 59 47 – Vergleichsportale 59 72 Klie

Sachregister

– Vermittlerrichtlinie 59 1, 59 6 – Versicherungsvermittlerverordnung 59 25 ff. – Versicherungsvertreiber 59 30, 59 58 ff. – vertraglich gebundene ~ 59 74 – Weiterbildung 59 15 – Zahlungssicherung zugunsten des VN 64 1 ff., 64 5 ff. Versicherungsvermittlerverordnung 59 25 ff., 59 296 ff. – Berufshaftpflichtversicherung 59 309 ff. – Erlaubnisverfahren 59 297, 59 299 – Geschäftsorganisation 59 314 f. – Informationspflicht 59 316 ff. – Inhalt der Neuregelungen 59 297 f. – Inkrafttreten 59 296 – Ordnungswidrigkeiten 59 324 – Sachkundeprüfung 59 26, 59 300 – Vermittlerregister 59 308 – Versicherungsanlageprodukte 59 322 – Weiterbildung 59 307 – Zahlungssicherung 59 323 Versicherungsvertreiber 59 58 ff. – Begriff 59 30 Versicherungsvertreter 59 73 ff. – Abschlussvollmacht 71 1 ff., s.a. dort – arglistige Täuschung 22 13 – Belegpflicht 31 92 – Beratungspflichtverletzung 63 30 – Beschränkung der Vertretungsmacht 72 1 ff., s.a. dort – Betrauung 59 80 ff., s.a. d ort – Empfangsvollmacht 69 21 ff., 69 36 ff., s.a. dort – Erklärungsempfänger 19 75 – Erlaubnis 59 77 f. – Formvereinbarungen 32 30 – Gelegenheitsvermittler 59 81 – gesetzliche Vollmacht 69 1 ff., 69 16, s.a. dort – Gewerberecht 59 111 ff. – Gewerbsmäßigkeit 59 109 f. – Inkassovollmacht 69 40 ff., s.a. dort – Kenntnis des ~s 70 1 ff., s.a. dort – Kenntnis von der Unrichtigkeit 19 123 – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 41 – Mehrfachvertreter 59 73 – produktakzessorische ~ 59 100 ff. – Sachkundeprüfung 59 115 – Untervermittler 59 105 – Versicherungsberater 59 73 – Versicherungsmakler 59 73, 59 120, 59 135 – Versicherungsschein 69 39 – vorläufige Deckung Vor 49 38 ff. Versicherungsvertrieb 59 32 Klie

Versicherungszertifikat 55 5, 55 7 Vertrag zugunsten Dritter – Aufrechnung des VR 35 5 – Versicherung für fremde Rechnung Vor 43 17 ff., Vor 43 24 ff. Vertragsänderungen – Anzeigepflicht 19 15 – arglistige Täuschung 22 6 Vertragsanpassung 19 108 ff., 19 144 ff. – Anpassungsmöglichkeiten 19 147 ff. – AVB 19 111, 19 145 – einseitiges Bestimmungsrecht 19 146 – erhöhtes Risiko 19 110 – Geschäftspraxis 19 112 – Krankenversicherung 19 163 – Kündigung des VN 19 155 ff., s.a. dort – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 7 – Leistungsausschlüsse 19 147 – Leistungsbeschränkungen 19 148 f. – Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung 25 8 – Risikozuschläge 19 150 – Rücktritt des VR 19 108 ff. – Vertragsanpassungserklärung 19 146 – Vorrang 19 144 – Zeitpunkt 19 151 ff. Vertragsanpassungserklärung – Ausübung der VR-Rechte 21 11 ff. – Vertragsanpassung 19 146 Vertragserhaltung 29 4 Vertragserklärung – Anzeigepflicht 19 7, 19 67 ff. – Empfangsvollmacht 69 22 – Gefahrerhöhung Vor 23 5 ff., Vor 23 8, 23 1 – Information des VN 62 7 – Kenntnis des VN 19 56 – subjektive Gefahrerhöhung 23 45 Vertragsgefahr 19 51 Vertragsstrafe – Leistungsfreiheit 28 166 – Saldierung Vor-/Nachteile 32 19 Vertragsübernehmer 28 78 f. Vertragsverlängerung 19 16 Vertragsverwaltung – Repräsentanten 28 100 – Repräsentantenhaftung 28 108 ff. – Wissenserklärungsvertreter 28 119 – Wissensvertreter 28 127 Vertrauensschutz – Arglistanfechtung 22 35 – Rücktritt des VR 19 129 1018

Sachregister

Vertretenmüssen – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 61 – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 53 ff. Vertreter des VN 20 1 ff. – Anzeigepflicht 20 2 – Anzeigepflichtiger 19 20 – Arglistzurechnung 20 14 f. – AVB 20 18 – Bevollmächtigter 20 8 – Beweislast 20 19 – Fahrlässigkeit des VN 20 16 f. – grobe Fahrlässigkeit 20 16 f. – Kenntnis des VN 19 62, 20 2, 20 11 ff. – Leistungsfreiheit 20 6 – rechtsgeschäftliche ~ 20 5 – subjektive Gefahrerhöhung 23 76 – Versicherung für fremde Rechnung 43 25 ff. – Vertreter ohne Vertretungsmacht 20 9 – Vorsatzzurechnung 20 16 f. – Zurechnung 20 8 ff. Vertreter ohne Vertretungsmacht 20 9 Verwaltungskostenbeitrag 33 18 Verwirkung – Leistungsfreiheit 28 163 – Versicherungsmakler 59 182 ff. Verzicht – Beratungs-/Dokumentationsverzicht s. dort – Leistungsfreiheit 28 163, 37 80 f. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 55 – Verfügungsbefugnis des VN 45 29 f. – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 82 f. Verzögerungsgefahr 36 11 Verzugsschaden 44 8 Vitalitäts-Tarife 33 33 VN als Treuhänder 46 11 ff. – Aufrechnung 46 20 – Auskehrungsverpflichtung 46 12 ff. – Auskunftspflicht des VN 46 24 f. – Auskunftsverpflichtung 46 24 – Einziehungsverpflichtung 46 12 ff. – nach Eintritt des Versicherungsfalls 46 12 ff. – Schadensersatz 46 26 ff. – vor Eintritt des Versicherungsfalls 46 11 Vollkaskoversicherung 19 49 Vollmachtsmissbrauch 72 7 Vollzugsverhältnis Vor 43 3 Voraussetzungstheorie 28 41, 28 44 ff. Vorfeldwirkung 61 6 vorläufige Deckung Vor 49 1 ff., 49 1 ff. – Abgrenzung Vor 49 24 ff. – Abschlussvollmacht 71 9 – Annahme Vor 49 31 1019

– Antrag Vor 49 29 f. – Anzeigepflicht 19 17 f., Vor 49 58 ff. – Arglistanfechtung Vor 49 60 – arglistige Täuschung 22 6 – Auslegung des Antrags Vor 49 32 ff. – Ausschlussklauseln Vor 49 62 ff. – Ausschlussklauseln, beanstandete Vor 49 64 f. – Ausschlussklauseln, zulässige Vor 49 66 f. – AVB Vor 49 50 ff., 49 18 ff. – Beendigung der ~ 52 1 ff., s.a. dort – Beginn des Versicherungsschutzes Vor 49 41 ff. – Beratungsfehler 63 51 ff. – Beratungspflicht Vor 49 54 ff. – Beweislast 49 30 ff. – eigenständiger Versicherungsvertrag 49 2 – Einbeziehung nicht überlassener AVB 49 21 ff. – Einheitstheorie Vor 49 20 – Ende des Versicherungsschutzes Vor 49 49 – Entwicklung Vor 49 6 ff. – Erstprämie 37 24 – Europäische Harmonisierung Vor 49 14 f. – Fälligkeit der Erst-/Einmalprämie 33 60 – Fälligkeit der Prämie 50 10 – Fernabsatz 49 11 ff. – günstigstes Tarifwerk 49 25 ff. – Informationspflicht 49 3 ff. – Kfz-Haftpflichtversicherung Vor 49 2, Vor 49 16, Vor 49 34 f. – Leistungsfreiheit 37 75 – nachträgliche Rückwärtsversicherung Vor 49 28 – Nichtzustandekommen des Hauptvertrags 50 5 – Prämie 50 2 ff., 51 2 ff., 51 8 f. – Prämienanspruch dem Grunde nach 50 4 – Prämienhöhe 50 6 ff. – Rechtsnatur des Vertrages Vor 49 20 ff. – Risikoausschluss Vor 49 62 ff. – Risikoprüfung Vor 49 59 – Rückwärtsversicherung Vor 49 24 – sofort beginnender Versicherungsschutz Vor 49 25 ff. – Trennungstheorie Vor 49 21 – Verbreitung Vor 49 16 ff. – Versicherungsvertreter Vor 49 38 ff. – Vertragsinhalt 49 14 ff. – Wesen Vor 49 3 ff. – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 4, 51 4 ff. – Zustandekommen Vor 49 29 ff. Vorsatz – Anmeldepflichtverletzung 54 10 – Anzeigepflichtverletzung 30 42 – Ausschlussfrist 21 50 f. Klie

Sachregister

– Belegpflichtverletzung 31 99 – Leistungsfreiheit 28 176 ff. – Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung 26 11, 26 13 ff. – Obliegenheitsverletzung 28 145 – Vertreter des VN 20 16 f. Vorsatz des VN – Begriff 19 99 – Bezugspunkte 19 101 – Frage des Versicherers 19 102 f. – gefahrerhebliche Umstände 19 105 – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 16 f. – Richtigkeit der Auskünfte 19 104 – Rücktritt des VR 19 99 Vorschäden des VN 19 30 vorzeitige Vertragsbeendigung 39 1 ff. – Abdingbarkeit 39 19 – Arglistanfechtung 39 11 – Beschränkung der Zahlungspflicht 39 15 – Beweislast 39 20 – fehlendes versichertes Interesse 39 6 – Geschäftsgebühr 39 15 – Hagelversicherung 39 6 – Insolvenz des VR 39 16 – Mehrfachversicherung 39 6 – Nichtzahlung der Erstprämie 39 15 – Rückforderungsrecht des VN 39 16 – Rücktritt des VR 39 11 – Teilbarkeit der Prämie 39 7 ff., 39 17 f. – Überversicherung 39 6 – Unteilbarkeit der Prämie 39 2 f. VVG 2008 19 4 f. W Wahlrecht 25 6 Warenkreditversicherung 23 140 Wearables 33 31 Wechsel 36 45 ff. Weiterbildung – Versicherungsvermittler 59 15 – Versicherungsvermittlerverordnung 59 307 wertende Gesamtbetrachtung 28 219 Wettversicherungen 45 3, 45 33 Widerrufsrecht 33 1 Widerrufsrechtsausschluss 33 59 Wiederherstellung der Ausgangsgefahrenlage 24 44 ff. Wissenserklärung – Anzeigepflicht Versicherungsfall 30 14 – Auskunft 31 40 Wissenserklärungsvertreter – Anzeigepflichtiger 19 21 Klie

– arglistige Täuschung 22 14 – Auskunftsperson 28 112 – Auskunftspflicht des VN 31 14 – Beispiele 28 124 f. – Bote 28 111 – Erfüllungsgehilfenhaftung 28 118 – Erklärungsgehilfe 28 111, 28 117 – Kritik der Lehre vom ~ 28 115 ff. – Rechtsfortbildung 28 109, 28 121 – Rechtsprechung 28 110 ff. – Repräsentantenhaftung 28 108 ff. – Verschulden 28 115 – Vertragsverwaltung 28 108, 28 119 – Zeuge 28 113 Wissensvertreter 28 126 ff. – Beispiele 28 133 f. – Kenntnis des VN 19 61 f. – Kündigung wegen Gefahrerhöhung 24 40 – Repräsentantenhaftung 28 127 – subjektive Gefahrerhöhung 23 76 – Vertragsverwaltung 28 127 – Wissenszurechnung 28 128 ff., s.a. dort Wissenszurechnung 28 128 ff. – Arbeitsorganisation 28 129 – Betrauung mit der Kenntnisnahme 28 130 – Organisation des Betriebes 28 128 – privates Wissen 28 132 Wohnsitz 36 7 Z Zahlungsfrist – Leistungsfreiheit 37 71 ff. – qualifizierte Mahnung 38 42 ff. Zahlungssicherung – gesetzliche Vollmacht 69 11 – Inkassovollmacht 69 41 – Versicherungsvermittler 64 5 ff. – Versicherungsvermittlerverordnung 59 323 Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 1 ff. – Abdingbarkeit 38 87 – Ausbleiben der Rechtsfolgen 38 76 ff. – AVB 38 88 – Betriebshaftpflichtversicherung 38 15 – Beweislast 38 89 ff. – COVID-19-Pandemie 38 14 ff. – Fälligkeit 38 13 ff. – Folgeprämie 38 5 ff. – Gebäudeversicherung 38 15 – Haftpflichtversicherung 38 15 – Hausratversicherung 38 15 – isolierte Kündigung 38 72 – Kündigung des VR 38 64, 38 70 ff. 1020

Sachregister

– Kündigungswirkung 38 74 – Lebensversicherung 38 86 – Leistungsfreiheit 38 65 ff. – Leistungsort 38 17 – nicht rechtzeitige Zahlung 38 12, 38 17 – Pflichthaftpflichtversicherung 38 85 – Pflichtversicherung 38 15 – qualifizierte Mahnung 38 18 ff., s.a. dort – Reaktivierung des Vertrages 38 75 – Rechtsfolgen 38 64 ff. – Ruhen der Versicherung 38 81 – Stundungsvereinbarung 38 77 ff. – Treu und Glauben 38 84 – verbundene Kündigung 38 73 – Vertretenmüssen 38 61 – Verzicht 38 82 f. – Zahlung in der Frist 38 60 – Zinsen 38 11 – Zweck 38 3 Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 1 ff. – abweichende Vereinbarungen 37 83 f. – Anwendungsbereich 37 5 ff. – Aufrechnung 37 39 f. – Beendigung der vorläufigen Deckung 52 24 ff. – Belehrungspflicht 37 46 ff. – Beweislast 37 85 f. – Einlösungsprinzip 37 3 – Einmalprämie 37 9 – Erstprämie 37 10 f., s.a. dort – erweiterte Einlösungsklausel 37 49 – Folgeprämien 37 8 – geringfügige Prämienrückstände 37 33 ff. – Hinweispflicht des VR 37 46 ff. – Krankenversicherung 37 6 – Leistungsanforderung durch VR 37 29 – Leistungsfreiheit 37 68 ff.

1021

– Leistungshandlung des VN 37 30 – nicht rechtzeitige Zahlung 37 29 ff. – Nichtzahlung der Erstprämie 37 44 – qualitative Abweichungen 37 31 – quantitative Abweichungen 37 32 ff. – Rechtsfolgen 37 61 ff. – Rücktritt des VR 37 62 ff. – Rücktrittsfiktion 37 1 – Teilzahlungen 37 32 – Tilgungsbestimmungen 37 41 f. – Verschuldensvermutung 37 1 – Vertretenmüssen 37 53 ff. – vorläufige Deckung 37 4, 51 4 ff. – Zahlungspflicht des VN 37 61 – Zinsen 37 61 Zessionar 28 80 Zeuge 28 113 Zinsen – Prämienbestandteile 33 28 – qualifizierte Mahnung 38 40 – Rechte des Versicherten 44 8 – Rücktritt des VR 19 127 – Zahlungsverzug bei Folgeprämie 38 11 – Zahlungsverzug der Erst-/Einmalprämie 37 61 Zugangsfiktion 38 30 Zugangsvereitelung 38 29 Zurückbehaltungsrecht 46 2, 46 29 ff. Zusatzvereinbarungen 37 13 Zustellungsbevollmächtigte 21 55 ff. Zustimmung der versicherten Person 45 24, 45 33 ff. Zustimmung des VN 44 30 ff. Zuverlässigkeit 59 144 Zwangsvollstreckung 44 18 Zwischenschritte 23 18

Klie